Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/4/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich und rufe unseren Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat uns als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresabrüstungsbericht 2014. Für den einleitenden Bericht steht der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zur Verfügung. Anschließend werden Fragen dazu und gegebenenfalls sonstige Fragen an die Bundesregierung aufgerufen. Herr Minister, bitte schön.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat das Bundeskabinett den 32. Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung verabschiedet. Wie Sie wissen, fällt dieser Bericht in eine außen- und sicherheitspolitisch äußerst brisante Zeit: Konflikte in der Ukraine, in Syrien und im Irak sowie der Vormarsch von Terrorgruppen wie ISIS im Mittleren Osten oder Boko Haram in Afrika. Wir sind mit einer Vielzahl von internationalen Krisen konfrontiert, wie es in der jüngeren Vergangenheit geradezu beispiellos ist. Was den Einsatz der OSZE im Rahmen der UkraineKrise angeht, wird deutlich, welch große Bedeutung der Rüstungskontrollpolitik in der Tat zukommt. Es wird aber auch klar, mit welchem Einsatz und welchen Risiken sie verbunden ist. Denken Sie zum Beispiel an die Geiselnahme deutscher und internationaler Inspektoren im Frühjahr 2014 in der Region von Luhansk, die am Ende glücklich ausgegangen ist. Ich will die Gelegenheit nutzen, um allen beteiligten Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Helferinnen und Helfern an dieser Stelle für ihren Einsatz recht herzlich zu danken. ({0}) Den Dank an die Bundeswehr will ich auf ihre Hilfe, Unterstützung und maßgebliche Rolle bei der Vernichtung von Chemiewaffen aus Syrien ausweiten. In Kürze werden hier in Deutschland in der Tat die letzten Reste von insgesamt 360 Tonnen Senfgas aus syrischen Chemiewaffenbeständen vernichtet sein. Gerade jetzt, wo in Syrien die neue Bedrohung der ISIS-Banden wütet, wird vielleicht umso deutlicher, wie unendlich wichtig es ist, dass wir diese Waffen - hoffentlich noch rechtzeitig aus der Welt geschafft haben. Auch in den Iran-Verhandlungen gibt es vorsichtige Anzeichen für Hoffnung. Wer die Verhandlungen der letzten zehn Jahre in Erinnerung hat, der muss zugeben - das wurde auch gestern in Genf gesagt -: In den neun Jahren zuvor sind wir nicht so weit gekommen wie in den letzten zwölf Monaten. - Zum ersten Mal habe ich den Eindruck, dass auch die iranische Seite wirklich ernsthaft mit dem Ziel eines Abschlusses verhandelt. Es sind nicht alle Hürden überwunden. Aber angesichts des bisherigen Fortschritts lohnt es sich, um auch die letzten Hürden in Angriff zu nehmen. Man muss hoffen, dass Mut, Kreativität, aber auch Bereitschaft aufseiten des Iran, tatsächlich auf Atomwaffen zu verzichten, ausreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das sind Krisenherde, auf die wir natürlich aktuell reagieren müssen. Aber zugleich müssen wir uns fragen: Ist es eigentlich Zufall, dass so viele und so komplexe Krisen zur gleichen Zeit stattfinden? Ich glaube, es entladen sich systematisch Spannungen in einer Welt, in der uns bekannte internationale Ordnungsstrukturen an Prägekraft verloren haben und die auf der einen Seite enger zusammenwächst, in der auf der anderen Seite Gegensätze umso häufiger aufeinanderprallen. Deutschland ist als global vernetztes Land wie kein anderes auf den Erhalt bzw. die Stärkung einer regelbasierten Ordnung angewiesen. Deshalb bemühen wir uns um die Stärkung der internationalen Ordnung. In diesem Zusammenhang sehe ich auch das heutige Thema Abrüstung. Ganz bewusst habe ich deshalb gestern den Weg nach Genf angetreten und habe dort vor der Abrüstungskonferenz geredet. Aufgrund der Abrüs8536 tung entstehen seit Jahrzehnten Verträge, Prozesse und Bausteine der internationalen Ordnung. Vor zwei Monaten trat der internationale Waffenhandelsvertrag ATT in Kraft, ein Meilenstein für die internationale Regulierung von Rüstungsexporten, insbesondere von Kleinwaffen. Genauso wie viele andere Fälle zeigt dieser Fall: In der Abrüstung findet seit Jahrzehnten das wichtigste Prinzip für die internationale Ordnung umfassend Anwendung, nämlich der Multilateralismus. Die Abrüstung ist Teil der Arbeit an der internationalen Ordnung und Teil der Arbeit bei der Schaffung internationaler Regeln, die wir erneuern und stärken müssen. Zum Schluss. In diesem Hohen Hause genießt die Arbeit für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung seit Jahren einen hohen Stellenwert und breite Unterstützung von allen Seiten. Dafür bedanke ich mich und setze darauf, dass dies auch im größeren Kontext der internationalen Friedensordnung und in den wahrhaftig schwierigen Fragen, die noch auf uns zukommen werden, der Fall sein wird. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich habe bereits eine ganze Reihe von Wortmeldungen notiert und bitte die Geschäftsführer, zu helfen, dass wir niemanden übersehen. Als Erster Herr van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Steinmeier. - Abrüstung fängt bekanntlich zu Hause an; sonst findet sie gar nicht statt. Ich finde erwähnenswert, dass Sie in Ihren Ausführungen, aber auch bei den Schwerpunkten Ihres Jahresrüstungsberichtes 2014 zum Beispiel auf die Nuklearwaffen im Iran hinweisen, aber nicht auf die in Deutschland. Ich frage Sie, Herr Steinmeier: Sind die amerikanischen Atomwaffen mittlerweile aus Deutschland abgezogen, oder sind sie immer noch in Büchel stationiert? Ich weiß, dass der ehemalige Bundesaußenminister Herr Westerwelle dies wenigstens zum Thema gemacht hat. Er hat zwar überhaupt nichts getan, hat es aber wenigstens zum Thema gemacht. Davon finde ich bei Ihnen gar nichts mehr wieder. Heißt das, dass sie weg sind oder dass Sie das Thema aufgegeben haben? Sie müssen sich hier selbst einmal an die Nase fassen. Was tut die Bundesregierung für die nukleare Abrüstung nicht nur im Iran - es ist völlig richtig, was dort passiert -, sondern auch in Deutschland?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herzlichen Dank für die Frage. - Das Thema ist keineswegs aufgegeben. Es ist nach wie vor virulent, aber es ist ebenso schwierig wie in den letzten Jahren. Die Bundesregierung setzt sich - das wissen Sie; die meisten wollen es auch wissen - gegenüber den USA und Russland dafür ein, dass Verhandlungen zu verifizierbarer und vollständiger Abrüstung im substrategischen Nuklearbereich tatsächlich beginnen. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung dafür, dass der Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Atomwaffen tatsächlich stattfindet. Wir selbst sind in der Frage unverändert engagiert. Das Auswärtige Amt hat gerade erst im letzten Jahr, im März 2014, gemeinsam mit der Stiftung Wissenschaft und Politik ein internationales Seminar veranstaltet, bei dem Experten darüber diskutiert haben, auf welche Weise und in welchen Schritten nichtstrategische Nuklearwaffen unter russischer und amerikanischer Beteiligung abgerüstet werden können. Immerhin: Das Gute daran war, dass sich Russen und Amerikaner an dieser Debatte beteiligt haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Finckh-Krämer.

Dr. Ute Finckh-Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004273, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe drei kurze Fragen. Die erste Frage zur Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative, NPDI. Wird es dazu vor der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag ein Außenministertreffen geben, und, wenn ja, mit welchen Themen bzw. welchem Ziel? Zweitens, Vertrag über den Offenen Himmel. Wie ist der Stand bei der Beschaffung eines eigenen deutschen Beobachtungsflugzeuges? Drittens, der sogenannte P-5-Prozess, der nach der letzten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag entstanden ist. Welche Bedeutung für die Überprüfungskonferenz misst die Regierung diesem Prozess bei?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Erstens. Was ein Außenministertreffen vor der nächsten Konferenz angeht, so wird noch geprüft, ob das sinnvoll ist. Es macht, glaube ich, nur Sinn, die Außenminister zusammenzubringen, wenn wir von der Expertenebene das Signal bekommen, dass es Fortschritte auf der Arbeitsebene gegeben hat. Um es in aller Offenheit zu sagen: Das ist bisher noch nicht der Fall. Insofern ist die Frage nach dem Treffen der Außenminister noch nicht abschließend mit Nein zu beantworten; aber es muss sich bis dahin noch etwas bewegen. Zweitens. Was die Anschaffung eines eigenen Überwachungsflugzeugs angeht, so ist dazu bisher keine abschließende Entscheidung innerhalb der Bundesregierung getroffen. Drittens. Der P-5-Prozess geht voran. Er widmet sich den Fragen, die eben in der ersten Frage von Herrn van Aken schon angesprochen worden sind, und weiteren noch offenen Fragen, insbesondere der Frage, wie wir die Staaten, die zwar Atomwaffenstaaten, aber nicht UnBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier terzeichner des Atomwaffensperrvertrages sind, nach und nach in das Kontrollregime einbeziehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frithjof Schmidt.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Herr Außenminister, Sie haben in Ihrem Vortrag auch die Bedeutung von Kleinwaffen angesprochen, gerade auch die Proliferation von Kleinwaffen. Die Bundesregierung selbst sagt, dass gerade Staaten mit fragiler Staatlichkeit besonders unterstützt werden sollten. Welche konkreten Überlegungen gibt es, den Export von Kleinwaffen restriktiv zu gestalten? Gibt es Fortschritte bei der Markierung von Kleinwaffen? Gibt es Überlegungen, bestimmte Staaten oder Staatengruppen zu listen und dann generell den Export von Kleinwaffen dorthin nicht mehr zu genehmigen? Welche konkreten Schritte zur Umsetzung der Beschränkung von Kleinwaffenexporten wollen Sie also unternehmen?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Zunächst zu unserem multilateralen Engagement, das durchaus über die Grenzen unseres eigenen Landes hinaus anerkannt wird. Deutschland hat in den wichtigsten multilateralen Foren - dazu gehören natürlich zuvörderst die Vereinten Nationen, aber auch die OSZE - durch inhaltliche und finanzielle Beiträge nicht nur zur Verbesserung der Kontrolle des illegalen Handels, sondern auch - Waffen sind ja im Verkehr - zum besseren, sicheren Umgang mit Kleinwaffen ein hohes Profil erworben. Beispiel dafür ist der Einsatz beim letzten Staatentreffen zum VN-Kleinwaffenaktionsprogramm für den vermehrten Gebrauch neuer Technologie zur Sicherung von Kleinwaffen vor Diebstahl und unberechtigter Benutzung; dazu gehört auch die Kennbarmachung der Herkunft von Waffen. Das Auswärtige Amt engagiert sich mit über 5 Millionen Euro bei konkreten Projekten zur weltweiten Umsetzung der Vorgaben des Kleinwaffenaktionsprogramms. Die wichtigen Partner sind dabei das Abrüstungsbüro der Vereinten Nationen, die OSZE und die NATO. In dem Abrüstungsbericht selbst, der Ihnen vorliegt, sind verschiedene Projekte aufgeführt, die wir bilateral unterstützen, zum Beispiel die langfristige Förderung einer nationalen Kleinwaffenkommission an der Elfenbeinküste, aber auch Projekte in anderen afrikanischen Staaten, wo Kleinwaffen ein großes Problem sind. Ansonsten darf ich darauf hinweisen, dass sich diese Bundesregierung nicht nur einer größeren Transparenz beim Rüstungsexport, sondern auch einer sehr nachhaltigen Kontrolle möglicher Empfängerländer, gerade bezüglich des Missbrauchs von Kleinwaffen, verschrieben hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich möchte noch einmal auf die Zeitvorgaben aufmerksam machen. Ich weiß, dass es bei komplexen Themen ein bisschen schwierig ist, diese einzuhalten. Aber es gibt so viele Nachfragen, dass gegebenenfalls ergänzende Informationen noch bei der Beantwortung der nächsten oder übernächsten Frage vermittelt werden können. - Frau Vogler ist die nächste Fragestellerin.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich möchte an das anknüpfen, was Sie eben gesagt haben. Wie verträgt es sich mit dem Engagement der Bundesregierung gegen die weitere Verbreitung von Kleinwaffen, dass kürzlich bei einem Besuch des Wirtschaftsstaatssekretärs Beckmeyer in Indien auch die Firma Heckler & Koch Teil der Delegation gewesen ist? Wie verträgt sich die Tatsache, dass viele Mitglieder dieses Hauses und auch Mitglieder der Bundesregierung noch kurz vorher beim Red Hand Day gegen den Einsatz von Kindersoldaten eingestanden sind, damit, dass die Bundesregierung offensichtlich den Export von Kleinwaffen durch die Beteiligung dieser Firma an der Wirtschaftsdelegation fördert, und zwar in ein Land, in dem nachweislich Minderjährige in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden? Wie verträgt sich das mit der von Ihnen gerade postulierten Transparenz, dass genau dieser Teil der Staatssekretärsreise vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich nehme an, dass Sie diese Frage unmittelbar an Herrn Staatssekretär Beckmeyer richten wollen. - Wenn das nicht der Fall ist, dann antworte ich Ihnen gerne wie folgt: Ich begrüße es sehr, dass sich viele Abgeordnete nicht nur an der Red-Hand-Diskussion beteiligen, sondern auch Gesicht zeigen und deutlich machen, dass sie den Export und die Benutzung von Kleinwaffen in falschen Händen möglichst gering halten, wenn nicht sogar ausschließen wollen. Was die Reise von Angehörigen der Bundesregierung in Drittländer angeht: Bei den Reisen von Ministern und Staatssekretären sind neben Abgeordneten des Deutschen Bundestages Delegationen - in meinem Fall häufig Kulturdelegationen -, selbstverständlich auch Wirtschaftsdelegationen, dabei. Daran ist, finde ich, überhaupt nichts auszusetzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Außenminister, Sie haben in Ihrem kurzen Bericht ein paarmal den Iran angesprochen. Mich interessiert, ob Sie die Auffassung Ihres Kabinettskollegen Gabriel teilen, der im Hinblick auf den Blogger Badawi am Wochenende gesagt hat, dass man Herrn Badawi am besten helfen könne, indem man öffentlich nicht über den Fall spricht. - Das ist auch eine versteckte Kritik an dem unglaublich starken Engagement von Amnesty International und vieler internationaler NGOs, die den Fokus der Öffentlichkeit auf die dramatische Situation dieses Bloggers in Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen gerichtet haben. Daher interessiert mich: Teilen Sie die Auffassung von Herrn Gabriel, dass wir das lieber ausschweigen sollten? - Das betrifft allerdings Saudi-Arabien und nicht den Iran.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich glaube, Sie unterstellen Herrn Gabriel etwas, was er so gar nicht zum Ausdruck bringen wollte. Wenn Sie mit Ihrer Frage zum Ausdruck bringen wollen, dass es nur einen richtigen Weg gibt, um den Bedrängten und - wie in diesem Fall - den Geschlagenen zu helfen, dann will ich Ihnen sagen: Ich habe gerade gestern Nachmittag in Genf ganz offen mit Amnesty International gesprochen. Es ging nicht nur um den von Ihnen genannten Fall, sondern auch um die unterschiedlichen Möglichkeiten und Wege, die wir nehmen müssen, um solchen Menschen in ihrer jeweiligen Situation zu helfen. Jenseits der etwas plakativen Gegenüberstellungen, was richtig ist, die öffentliche Pressekonferenz oder der Versuch, die Kontakte in diese Regionen oder diese Länder zu nutzen, ({0}) wissen die NGOs sehr genau, dass wir sowohl sichtbar machen müssen, welches Schicksal einzelnen Menschen in dieser Region droht, als auch andere Möglichkeiten nutzen müssen, die nicht jeder zur Verfügung hat, um auf das Schicksal derjenigen anzusprechen und möglichst Besserung zu erreichen. Ich glaube, das eine gegen das andere auszuspielen, bringt nichts und hilft insbesondere den Menschen dort nicht. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich finde es sehr angemessen, dass wir heute noch einmal daran erinnern, dass Deutschland einen sehr wichtigen Beitrag bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen geleistet hat, umso mehr, als sich eine Fraktion mehrheitlich nicht zu einem Ja durchringen konnte. Das zeigt im Grunde genommen, dass die Abrüstung sehr stark zur Schau gestellt wird, dann aber, wenn es hart auf hart kommt, eine Zustimmung verweigert wird. Mich interessiert, Herr Bundesaußenminister, wie Deutschland gerade hier eine weitere Unterstützung der Vereinten Nationen bei dem gemeinsamen internationalen Anliegen betreffend Abrüstung und Rüstungskontrolle leisten kann. Vielleicht können Sie insbesondere darauf noch einmal Bezug nehmen, dass wir leider vor einigen Monaten erleben mussten, dass durch die Annexion der Krim auch das Budapest-Abkommen verletzt wurde, wodurch möglicherweise der Verbreitung der Atomwaffen Vorschub geleistet wurde, weil damals die Ukraine im Zusammenhang mit dem Budapest-Abkommen die russischen Atomwaffen nach Moskau zurückgegeben hat. An diesen Anlass und diesen Zusammenhang muss man immer wieder erinnern.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Vielen Dank für die Erinnerung an zurückliegendes Abstimmungsverhalten, das manchmal merkwürdig kontrastiert mit den Vorwürfen, die an uns oder die Bundesregierung gerichtet werden. - Ich erinnere daran, dass wir seit Beginn der Regierungstätigkeit unablässig dafür geworben haben, dass trotz der schwieriger gewordenen Zeiten zum Beispiel ein Militärbündnis wie die NATO das Thema Abrüstung nicht als Projekt verwirft, wohl wissend, dass es im Augenblick nur schwer vorankommt. Wir haben beim letzten NATO-Gipfel im Grunde genommen noch einmal die Formulierung aufrechterhalten, dass die in der NATO verbündeten Staaten über mehr Transparenz und gegenseitige Kontrolle bei Rüstungsverfahren miteinander ins Gespräch kommen; dieses Angebot gilt auch für Russland. Aus den Gründen, die eben genannt worden sind, dem Völkerrechtsverstoß bei der Annexion der Krim, dem Verstoß gegen das Budapester Abkommen, sind wir jetzt in einer Situation, die auch gestern in der Genfer Abrüstungskonferenz eine große Rolle gespielt hat. Das alles hat in kurzer Zeit so viel Vertrauen zerstört, dass wir auf vielen anderen Wegen, selbst da, wo in letzter Zeit leichte Fortschritte erkennbar waren wie beim Umgang mit spaltbarem Material, im Augenblick zurückfallen. Insofern müssen wir uns bei der Entschärfung der Ukraine-Krise möglichst auf eine politische Lösung konzentrieren, um auf anderen Feldern der Rüstungspolitik, der Rüstungskontrollpolitik und der Abrüstungspolitik wieder voranzukommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Brugger.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, vielen Dank. - Herr Minister, ich würde gern an eine Frage anknüpfen, die der Kollege van Aken gestellt hat. Ich freue mich, zu hören, dass sich die Bundesregierung dem Ziel des Abzugs der USAtombomben aus Deutschland noch verpflichtet fühlt. Das konnte man in den letzten Monaten nicht so stark wahrnehmen. Es ist auch sicherlich gut, dass Sie Verhandlungen zwischen den USA und Russland unterstützen wollen, auch wenn sie derzeit als nicht besonders wahrscheinlich erscheinen. Trotzdem gibt es weitere Fragen, die damit zusammenhängen und bei denen sich die Bundesregierung endlich einmal positionieren müsste; denn die USA modernisieren ihre Atomwaffen. Davon sind auch die in Büchel gelagerten betroffen. Für Deutschland stellt sich ganz konkret die Frage, wie sich die Bundesregierung zu diesen Modernisierungsplänen verhält. Wird es dadurch, dass diese Waffen für Milliardenbeträge modernisiert werden, nicht unwahrscheinlicher, dass diese Waffen abgezogen werden? Ich frage auch vor dem Hintergrund, dass es in den USA eine Debatte darüber gibt, dass sich die Staaten, in denen diese Waffen gelagert sind, an den Kosten beteiligen sollen. Dazu, dass Deutschland Bundeswehrpiloten entsprechend ausbildet und den Tornado als Trägermittel für einen möglichen Abwurf dieser Waffen bereitstellt - diese Modernisierung würde viele Millionen kosten -, hüllt sich die Bundesregierung aber in Schweigen. Ich glaube, es wäre wichtig, die Position der Bundesregierung dazu zu hören; auch das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich darf noch einmal alle Beteiligten bitten, gelegentlich auf die Lampen zu schauen, die der zeitlichen Orientierung dienen sollen. - Herr Minister.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Abrüstungspolitik hat auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, und ich versuche, Ihnen hier nichts vorzumachen. Deshalb sage ich: Es bleibt ein langfristig anzustrebendes Ziel, möglichst eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen und auf dem Weg dahin den deutschen Boden von Nuklearwaffen zu befreien. Aber es muss verhandelt werden. Niemand kann sich Abrüstungsziele herbeiwünschen, sondern sie müssen, auch hinsichtlich der Nuklearwaffen, politisch durchgesetzt, also in Verhandlungen erreicht werden. Das ist so einfach nicht möglich. Auch wenn Sie daraus einen Vorwurf ableiten, ist es, glaube ich, verantwortungsvolle Außenpolitik, wenn wir bezüglich der Ziele, die wir kurzfristig leider nicht erreichen können, nicht täglich mahnend an die Öffentlichkeit treten, sondern uns auf die Bereiche konzentrieren, in denen wir etwas bewegen können. Deshalb sage ich noch einmal, genauso wie in meiner Antwort auf die vorangegangene Frage: Wer nicht zur Kenntnis nimmt, dass der Ukraine-Konflikt im Augenblick der Konflikt ist, der uns an vielen anderen außen- und verteidigungspolitischen Verabredungen mit Russland hindert, der sieht nicht, wie bedrohlich dieser Konflikt für die weitere Entwicklung ist, auch in der Abrüstungspolitik. Deshalb müssen wir im Augenblick leider viel Zeit und Engagement auf die Lösung dieses Konflikts verwenden. Ob der Abzug von substrategischen Nuklearwaffen dadurch leichter wird, kann ich Ihnen nicht versprechen; aber das Ziel gerät nicht dadurch aus den Augen, dass wir uns im Augenblick auf noch drängendere Konflikte konzentrieren müssen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Ich bin friedlich gestimmt in diesen Saal gekommen. Nach der Frage des Kollegen Mützenich möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich der Meinung bin, dass wir hier verabreden sollten, über den Jahresabrüstungsbericht im Plenum gemeinsam und seriös zu diskutieren. ({0}) Eine solche Debatte fände ich völlig richtig. Dazu gehören dann auch unser Abstimmungsverhalten und vieles andere. Wir brauchen völlige Offenheit. Es wäre unseriös, sich schon jetzt intensiv zum Jahresabrüstungsbericht zu äußern, den wir gerade erst erhalten haben. Ich möchte einer Grundthese, die der Herr Außenminister vorgetragen hat, in Form einer Frage widersprechen. Für mich gehört zur Abrüstung immer auch die Bereitschaft zur einseitigen Abrüstung. Wenn man Prozesse voranbringen will, muss man bereit sein, in bestimmten Bereichen einseitig voranzugehen, um andere dazu zu bewegen, dasselbe zu tun. Herr Außenminister, der Vorstand Ihrer Partei hat beschlossen, ein Konzept für eine neue Entspannungs- und Ostpolitik vorzulegen. Das Gleiche hat der Vorstand meiner Partei beschlossen. Meinen Sie nicht auch, dass es Teil der Abrüstungspolitik ist, über Entspannungs- und neue Ostpolitik gerade jetzt zu diskutieren? Sie sagen zu Recht - damit komme ich zum Ende meiner Frage -, dass die Ukraine vieles blockiert, was eigentlich notwendig ist.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich bin nicht nur der Meinung, dass wir darüber diskutieren müssen, sondern ich diskutiere darüber, auch auf öffentlichen Veranstaltungen, und es gibt Papiere der SPD dazu. Am liebsten würde ich die Frage an Sie zurückgeben und Sie fragen: Glauben Sie wirklich, dass der Aufruf nach einseitiger Abrüstung in der jetzigen Situation, in der sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einseitig durch Russland Grenzen verschoben werden, richtig ist? Glauben Sie, dass das das richtige Fundament ist für einseitige Schritte seitens der NATO, des Westens? Insofern kann ich nur sagen: Es ist leider ein bisschen komplizierter. Wenn es uns gelingt, den gegenwärtigen Konflikt zu entschärfen, wäre das viel. Damit sind wir noch lange nicht bei einer politischen Lösung. Aber um das in den letzten zwölf Monaten verlorengegangene Vertrauen wiederaufzubauen, werden wir möglicherweise Jahre brauchen. Bevor das nicht erreicht ist, befürchte ich, werden die Staaten, die wir meinen, zu einseitigen Schritten nur sehr schwer bereit sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Außenminister, Sie hatten vorhin neben der Ukraine noch ein anderes Thema erwähnt, nämlich die aktuelle Diskussion um den Iran. Ich komme gerade aus Washington, wo man in den letzten Tagen sehr viel über eine Rede diskutiert hat und vor allen Dingen über die Differenzen des israelischen Premierministers und des amerikanischen Präsidenten hinsichtlich der Frage, wie der Verhandlungsstand zum Iran-Deal einzuschätzen ist. Das Einzige, worüber man Volker Beck ({0}) sich einig ist, ist, dass ein „bad deal“ schlimmer ist als kein Deal. Jetzt ist aber natürlich die Frage - das ist ja da auch strittig -: Welche Kriterien setzt man an, um zu sagen, dass es ein hinreichender oder guter Deal ist? Ich würde gerne die Position der Bundesregierung dazu erfragen. Denn es ist ja ein zentraler Punkt, dass man, um weitere atomare oder nukleare Aufrüstung in dieser Region zu verhindern, hier zu einem Ergebnis kommen muss. Ich würde gerne wissen, welche Vorstellungen von Anforderungen an einen solchen Deal Sie haben, also etwa hinsichtlich Break-out-Zeit für den Iran, Vertragsdauer einer solchen Vereinbarung

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Beck. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- oder Rückbau der jetzt vorhandenen Fähigkeiten und nuklearen Möglichkeiten des Iran.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Beck, Sie kommen gerade aus den USA. Ich werde in wenigen Tagen auf dem Weg in die USA sein. Dort besteht in der Tat großes Interesse, über unsere, die deutsche Haltung zu dem gegenwärtigen Stand der IranVerhandlungen zu sprechen. Ich habe vorhin eine Tendenz angedeutet, und ich sehe, dass es sich lohnt, die jetzt verbleibenden dreidreiviertel Monate, die wir noch bis zur Jahresmitte haben, zu nutzen. Klar muss sein: Es wird darüber hinaus keine weitere Verlängerung des Verhandlungsszenarios geben, weder der Iran ist dazu bereit noch die Amerikaner noch Dritte. Insofern gilt es jetzt. Was in den nächsten dreidreiviertel Monaten nicht gelingt, wird danach nicht mehr gelingen. Wir werden dann in einer weiteren Region Zuspitzungen erleben. Dies würde ich gerne vermeiden. Deshalb beteilige ich mich auch nicht an diesen schlagwortartigen Auseinandersetzungen, wie sie gerne in der Öffentlichkeit geführt werden. Ein bisschen gehört dazu auch die These: Ein schlechter Deal ist noch schlechter als gar kein Deal. ({0}) Denn man muss sich ja fragen: Wer ist wirklich auf der Suche? Dahinter steckt ja ein Vorwurf, den ich nur ungern tragen möchte, nämlich dass irgendjemand bereit wäre, einen schlechten Deal abzuschließen. Deshalb sage ich auch in öffentlichen Reden in Israel immer: Es wird keinen guten und keinen schlechten Deal geben, es wird nur ein Verhandlungsergebnis geben, das ausschließt, dass sich der Iran in den Besitz von Atomwaffen bringen kann. Dafür gibt es verschiedene Kriterien, die in Bezug zueinander stehen. Und ich plädiere tatsächlich dafür, dass wir nicht jedes dieser Kriterien öffentlich diskutieren. Vielen Dank.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

So, ich habe jetzt noch Wortmeldungen von Frau Hänsel, Frau Keul, Frau Höger, Frau Brugger und Herrn van Aken notiert. Damit würde ich gerne die Fragen zu diesem Bericht abschließen, zumal es noch weitere angemeldete Fragen an die Bundesregierung zu der heutigen Kabinettssitzung gibt und wir uns jetzt schon dem Ende des Zeitformats, das üblicherweise für die Regierungsbefragung vorgesehen ist, nähern. Wir verlängern sie dann entsprechend. Für diese weiteren jetzt angemeldeten und genannten Fragen halte ich dann aber an unserem Zeitregime für die Fragen und für die Antworten fest: jeweils eine Minute, danach Ende. ({0}) So, Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Es geht hier jetzt ja um den Jahresabrüstungsbericht. Gleichzeitig, Herr Minister, erleben wir, dass in der öffentlichen Diskussion massiv die Forderung nach Aufrüstung erhoben wird, vor allem nach mehr Geld für Militärausgaben. Die NATO-Mitgliedstaaten sollen 2 Prozent ihres BIP pro Jahr für Rüstung bzw. für Militär ausgeben. Meine Frage: Wie beurteilen Sie diese Bestrebungen der NATO? Denken Sie, dass sie in irgendeiner Form zur Abrüstung beitragen? Es geht ja auch um die Modernisierung von Waffen usw. Gleichzeitig erleben wir einen Aufwuchs der Präsenz von NATO-Truppen in den Nachbarstaaten Russlands und auch die Verbringung von Kriegsmaterial bzw. von Waffen in diese Region. Wie wollen Sie denn angesichts dieses Gebarens der NATO und ihrer Mitgliedstaaten verhindern, dass es zu einer neuen Aufrüstungsspirale in Europa kommt?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich muss zugeben: Bei dieser Frage ist es schwer, die Nerven zu behalten. ({0}) Als ob die Aufrüstung vom Westen ausgegangen sei! Sie vergessen bei der ganzen Beschreibung der gegenwärtigen Entwicklung - auch ich wünschte mir, sie verliefe anders -, dass dem etwas vorangegangen ist. ({1}) Die Korrektur von Grenzen hat, wie ich vorhin gesagt habe, sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stattgefunden, und zwar durch Annexion der Krim. Dem Nachbarland Russlands, der Ukraine, ist ein Teil des Staatsgebietes entrissen worden. Sie beklagen sich aber im Wesentlichen darüber, dass es zu einer verstärkten Präsenz, nicht einmal einer Aufrüstung, der NATO am Ostrand des NATO-Gebietes - übrigens nicht darüber hinaus - gekommen ist. Die NATO bewegt sich also im Rahmen des vertraglich Zulässigen, und zwar im Rahmen des Auftrages, den sie hat und der darin besteht, ihre Mitglieder tatsächlich zu schützen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Insofern kann ich nur sagen: Ich kann verstehen, dass Sie das Thema Aufrüstung gerne als Thema der NATO adressieren möchten. ({0}) Nur: Ich befürchte, in Wahrheit ist es ein bisschen andersherum. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wir sind uns ja völlig einig über die Bedeutung von Abrüstungsmaßnahmen auch als vertrauensbildende Maßnahmen, gerade in der heutigen Zeit. Aber genauso einig dürften wir uns über die Bedeutung der Vereinten Nationen in der heutigen Zeit sein. Deswegen frage ich Sie, wie es vor diesem Hintergrund dazu passt, dass Sie im Auswärtigen Amt - das haben wir gerade gehört - umstrukturiert haben. Die Abteilung „Abrüstung“ ist zu einer Unterabteilung geworden und mit der Abteilung „Vereinte Nationen“ zusammengelegt worden. Können Sie uns versichern, dass die dadurch freiwerdenden Mittel dem Thema Abrüstung erhalten bleiben?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich darf Ihnen versichern: Mit finanziellen Mitteln hat das überhaupt nichts zu tun. Die für Abrüstung zur Verfügung stehenden Mittel werden in keiner Weise eingeschränkt. Mit Unterstützung des Hohen Hauses werde ich auch in den kommenden Haushaltsverhandlungen darum bemüht sein, die Mittelausstattung weiter zu verbessern. Die Zusammenfügung der beiden Kompetenzen „Internationale Ordnung“ und „Abrüstung“ stellt keine Abwertung beider Teile dar, sondern nach meiner festen Überzeugung - ich freue mich darüber, dass das in den meisten Expertenkommentaren, wie ich vernommen habe, genauso gesehen wird - eine Verbesserung und Aufwertung. Dass es eine eigenständige Abrüstungsabteilung gab, stammt im Grunde genommen aus einer Zeit, in der wir noch in Ost-West-Kategorien gedacht haben. Inzwischen haben wir andere Konfliktlagen. Darum habe ich in meinen Eingangsbemerkungen vorhin gesagt: Abrüstung liefert im Grunde genommen Bausteine für den Bau einer neuen und hoffentlich stärkeren internationalen Ordnung. Deshalb gehören diese Bereiche zusammen, auch aufgrund der Kompetenzen, die in der Abteilung „Internationale Ordnung“ vorhanden sind. Ich finde, das war eine richtige Entscheidung. Ich bin dankbar dafür, dass die meisten in der Öffentlichkeit das so sehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Steinmeier, Sie haben auf die Fragen nach Abrüstung bisher nicht konkret geantwortet. Sie haben keine konkreten Ziele benannt und nicht gesagt, wo die Bundesregierung wirklich abrüsten will. Sie haben nur mit Verweis auf Russland erwähnt, dass jetzt keine Zeit für Abrüstung ist. Sie legen uns somit heute einen Abrüstungsbericht vor - wir alle haben ihn noch nicht gelesen -, der wohl nur aus Sprechblasen besteht. Was ist mit der Verpflichtung, pro Jahr im Umfang von 2 Prozent des BIP aufzurüsten, die die NATO beschlossen hat? Was ist mit den neuen Panzern, die Frau von der Leyen beschaffen möchte? Ist das Aufrüstung oder Abrüstung? Wir fordern Abrüstung. Damit fängt man zu Hause an. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich finde, wenn Sie fragen und ich antworte, dann sollten Sie meine Antworten wenigstens zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie meine Antworten zur Kenntnis genommen haben, dann verstehe ich nicht, wie Sie sagen können, dass ich auf Ihre Fragen bisher nicht geantwortet habe. Im Gegenteil! In der Vorbemerkung habe ich gesagt: Fast unerwartet und im Vergleich zu den Jahren davor überraschend ist uns in einem Feld eine Abrüstungsmaßnahme in einer Größenordnung gelungen, mit der niemand gerechnet hätte, nämlich die Vernichtung von Chemiewaffen in Syrien. Das war sogar mit der Bereitschaft Syriens verbunden, dem internationalen Chemiewaffenabkommen beizutreten. Gelänge uns - jetzt muss ich im Konjunktiv sprechen - eine Vereinbarung mit dem Iran, wäre das von der Bedeutung her ein noch größerer Beitrag zur weltweiten Rüstungskontrolle und Abrüstung. Wer vor diesem Hintergrund sagt, ich würde nicht konkret auf Ihre Fragen antworten, der, finde ich, ({0}) spricht nicht ganz die Wahrheit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Brugger.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Herr Minister, nochmals vielen Dank. Leider muss auch ich behaupten, dass Sie auf meine Frage nicht geantwortet haben. Ich habe vorhin nämlich nicht nach der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Abzuges der US-Atomwaffen aus Deutschland gefragt, sondern nach der Position der Bundesregierung zu den US-amerikanischen Modernisierungsplänen, wodurch diese Waffen ja leistungsfähiger gemacht werden sollen. Ich habe gefragt, wie sich das auf die Wahrscheinlichkeit des Abzuges auswirkt und was das finanziell für die Bundesrepublik heißt - auch vor dem Hintergrund, dass die SPD das in den vergangenen Jahren ebenfalls sehr stark kritisiert und gesagt hat: Wir wollen nicht die Trägermittel für noch leistungsfähigere Atomwaffen modernisieren. Das widerspricht auch dem Ziel, diese Waffen abzuziehen. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Vielleicht wissen Sie hier mehr als ich. Nach allem, was ich weiß und was mir an Informationen vorliegt, soll es keine technischen Verbesserungen im Sinne von Reichweitenverlängerung und optimierter Einsatzmöglichkeit geben, sondern einen lebensverlängernden Austausch von Materialien, die sozusagen technisch an ihr Lebensende gekommen sind. Insofern ist das, was Sie in Ihrer Frage unterstellen, nämlich dass wir vor einer neuen Aufrüstungsrunde stehen, schlicht und einfach nicht mit den Informationen übereinstimmend, die ich zur Verfügung habe. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Steinmeier, um auf den letzten Punkt einzugehen: Ihre Informationen sind da offenbar tatsächlich nicht ganz korrekt. Es geht auch um eine Erweiterung der Einsatzszenarien dieser taktischen Atomwaffen. Sie sollten sich da noch einmal ordentlich briefen lassen. Das wird dann tatsächlich etwas anderes sein als das, was bis jetzt dort in Büchel steht. Ich habe aber eine ganz andere Frage, bei der es um Drohnen und vollautomatische bzw. vollautonome Waffen geht. Das erwähnen Sie auch in den Schwerpunkten Ihres Jahresabrüstungsberichtes. Ich habe mit Freude vernommen, dass Sie sich für eine internationale Ächtung der vollautonomen Waffensysteme einsetzen. Hier würde mich interessieren: Was heißt das konkret? Sind Sie als Bundesregierung auch bereit, hier einen einseitigen Schritt zu machen und die Entwicklung, den Bau und den Einsatz vollautonomer Waffensysteme zu verbieten? Viel spannender finde ich aber, dass Sie im gleichen Satz im Jahresabrüstungsbericht schreiben, dass das von den Drohnen völlig zu trennen ist. Das kann ich überhaupt nicht verstehen; denn Sie wissen genauso gut wie ich, dass bewaffnete Drohnen und Kampfdrohnen ({0}) - ich bin in fünf Sekunden fertig, Herr Lammert - das Einsatzszenario verändern und dass so natürlich neue Kriege möglich werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt sind wir in der elften Sekunde.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben die Frage verstanden, Herr Steinmeier. Ich bedanke mich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Ich habe die Frage verstanden, aber ich bin nicht ganz einverstanden mit der Unterstellung, dass es notwendigerweise ein und dasselbe ist, wenn wir von Drohnen und vollautonomen Waffensystemen reden. Das ist möglicherweise die Sprachregelung in Ihrer Fraktion, aber in den internationalen Debatten, an denen ich mich beteilige, wird hier sehr wohl ein Unterschied gemacht. Vollautomatische Waffensysteme sind Systeme, die dem Soldaten die Entscheidung darüber, ob auf den roten Knopf gedrückt wird oder nicht, abnehmen. Das ist bei Drohnen nicht notwendigerweise der Fall. Drohnen - jedenfalls die, die heute im Einsatz sind - können das nicht und sollen das nach unserer Auffassung auch nicht können. Deshalb haben wir diesem Punkt schon im Koalitionsvertrag eine sehr herausgehobene Bedeutung zugemessen und dort in Bezug auf die vollautomatischen Waffensysteme sehr sorgfältig formuliert. Wir entwickeln sie auch nicht. Insofern, glaube ich, besteht kein Anlass zur Sorge.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank. - Jetzt haben sich zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung der Kollege Wunderlich und die Kollegin Hein zu Wort gemeldet. - Herr Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - In der heutigen Kabinettssitzung ging es auch um den Fünften Zwischenbericht der Bundesregierung zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes. Nun wissen wir seit diesem Zwischenbericht - er liegt uns ja inzwischen vor -: Es fehlen 185 000 Kitaplätze. Die Qualität der Kitas wird darin überhaupt nicht diskutiert. Uns steht möglicherweise ein Kitastreik bevor, weil die Beschäftigten mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind: zu wenig Personal, zu große Gruppen. Durch alle Medien geistert ja immer wieder, dass das Sondervermögen für den Kitaausbau um 550 Millionen Euro aufgestockt wird. Diese Maßnahme ist ja schon längst beschlossen, aber trotzdem fehlen Plätze. Und bis die weiteren 30 000 Betreuungsplätze realisiert sind, werden die Kinder der jetzigen Hortkinder selbst schon einen Anspruch auf einen Kitaplatz haben. Ich frage jetzt: Was plant die Bundesregierung über die bereits beschlossenen Maßnahmen hinaus, um dem Anspruch insbesondere im Hinblick auf Umfang und Qualität der Kinderbetreuung gerecht zu werden?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Die Frage unterstellt ein wenig, dass wir bisher nicht auf Qualität geachtet hätten. ({0}) Das ist schlicht und einfach nicht wahr. Wir haben durch die Maßnahmen, die wir seit 2004 zur Verbesserung der Betreuungssituation eingeleitet haben, inzwischen 300 000 Kinder mehr in der Betreuung und 65 000 Kinder mehr als noch 2013. Insofern geht der Aufwuchs schneller voran, als das in den Jahren davor der Fall war. Vergleicht man die Betreuungsquoten für die unter Dreijährigen, so stellt man fest: Die Quote ist von 17,6 Prozent im Jahr 2008 auf 32,2 Prozent gestiegen. ({1}) Sie haben recht: Das reicht noch nicht. Eigentlich brauchen wir eine Betreuungsquote von 41,5 Prozent. Aber was nicht eingetreten ist, ist, dass die Ausweitung der Quantität zulasten der Betreuungsqualität gegangen ist. Es hat keine Absenkung des Qualifikationsniveaus beim pädagogischen Personal gegeben, ({2}) was viele bei dem beschleunigten Aufwuchs befürchtet haben. Es hat auch keine Verschlechterung des Personalschlüssels gegeben. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Redezeit ist sowieso abgelaufen, sodass der Streit, ob das alles, teilweise oder gar nicht falsch ist, müßig ist. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Wenn Sie die Antwort nicht hören wollen, hätten Sie das vorher sagen können. Dann hätte ich verzichtet. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Hein hat die nächste Frage.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich frage trotzdem noch einmal nach der Qualität, und zwar anhand der Personalschlüssel. In dem Zwischenbericht heißt es, im Durchschnitt komme auf 4,1 Kinder eine Lehrkraft. Wir wissen aber alle, dass die Personalstandards in den östlichen Ländern deutlich schlechter als in den westlichen Ländern sind. Wir alle wissen auch, dass in den westlichen Ländern deutlich mehr Plätze fehlen als in den östlichen Ländern. Ich frage Sie: Wie wollen Sie bei der derzeitigen Personalsituation verhindern, dass sich die Personalschlüssel am Ende doch noch verschlechtern, um den quantitativen Ausbau hinzubekommen, dass also die Personalschlüssel eher den östlichen Standards angeglichen werden, anstatt dass umgekehrt die östlichen Standards den westlichen Standards angeglichen werden?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Viele haben am Beginn unseres Vorhabens zum Ausbau der Kinderbetreuung vorausgesagt, dass das notwendigerweise zum Absinken des Qualifikationsniveaus führen müsse. Viele haben vorausgesagt, dass das zu einer negativen Veränderung bei den Personalschlüsseln führen würde. Beides ist nicht eingetreten. Seien Sie versichert: Wir werden auch beim Ausbau der noch fehlenden 8, 9 oder 10 Prozent darauf achten, dass das Qualitätsniveau nicht sinkt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Außenminister, ganz kurze Frage zur Kabinettssitzung: Wie erklären Sie sich, dass das Programm zur energetischen Gebäudesanierung, dessen Abgesang nun eingeleitet wurde, nicht auf der Tagesordnung des Kabinetts stand? Der Stopp für den geplanten Steuerbonus wird ja dazu führen, dass wir die Klima- und Energieziele, die wir uns gesetzt haben, nicht einhalten werden.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Nicht alles, was heute nicht auf der Tagesordnung war, ist deshalb als Ziel aufgegeben. ({0}) Das gilt auch für die energetische Gebäudesanierung. Ich kann versichern, dass der Vizekanzler und zuständige Minister für Wirtschaft und Energie nicht nur besorgt sein wird, sondern sich auch darum kümmert, dass es eine Anschlussregelung geben wird. Details dazu liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor, aber sie wird kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

In der Abteilung drei unserer Regierungsbefragung gibt es die Möglichkeit, sonstige Fragen an die Bundesregierung zu richten. - Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Im aktuellen Spiegel steht, dass Sie, Herr Steinmeier, was ich außerordentlich begrüße, sich mit der Bitte an Frau Grütters gewandt haben, die Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden weiter zu finanzieren. Diese Gedenkstätte hat eine Dokumentationsstelle, bei der man sich nach sowjetischen Kriegsgefangenen erkundigen kann und über deren Verbleib Auskunft erhält, ähnlich wie dies früher auch beim Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes in Bad Arolsen für NS-Opfer war. Diese Stelle wird nun aktuell nicht mehr finanziert; Anfragen werden seit Wochen nicht mehr beantwortet. Ich möchte wissen, ob Sie innerhalb der Bundesregierung eine Lösung für die Finanzierung sehen und ob Sie es im 70. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für ein richtiges Zeichen halten, wenn diese Stelle ihre Arbeit nicht fortsetzen kann. Das ist ja vielleicht auch ein wenig Begleitmusik bei allen außenpolitischen Schwierigkeiten, die gegenüber Russland und der Ukraine bestehen, sodass man ein bisschen darauf achten sollte, welche Zeichen man setzt.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Vielen Dank. - Richtig ist, dass die Finanzierung bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien in diesem Jahr ausläuft. Gleichwohl spielt das Thema im deutsch-russischen Verhältnis im Augenblick eine wachsende Rolle, weil auf russischer Seite wenig Verständnis dafür herrscht, dass im 70. Jahr nach Kriegsende die Forschungen, jedenfalls im gegenwärtigen Format, nicht weiter finanziert werden; sie könnten möglicherweise über das Bundesarchiv oder andere vergleichbare Einrichtungen weiter finanziert werden. Wir sind gegenwärtig bemüht, eine Lösung zu finden, und werden dazu sicherlich auch in der nächsten Woche noch einmal zusammenkommen. Ich selbst habe großes Interesse, dass es eine Lösung geben wird. ({0}) - Ja, gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Außenminister, meine Frage bezieht sich auf ein außenpolitisches Thema. Ich würde gern Ihre Einschätzung zu der Agentur zur Modernisierung der Ukraine hören, an der ja die Kollegen Steinbrück und Wellmann aus dem Deutschen Bundestag beteiligt sein sollen und die privat von drei Oligarchen aus der Ukraine finanziert wird, die nicht unbekannt sind. Dazu interessiert mich Ihre Einschätzung als Außenminister, welche Bedeutung dies sowohl für uns als auch für die Ukraine hat.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Wir haben vorhin über die außenpolitische Dimension gesprochen, und ich habe gesagt, prioritär sind im Augenblick die Entschärfung des militärischen Konfliktes und die Einleitung von Schritten zur politischen Lösung. Aber wir sollten nicht vergessen: Das große Thema der kommenden zwölf Monate wird, wenn uns die Entschärfung tatsächlich gelingt, die wirtschaftliche Stabilisierung sein, die aus mindestens zwei Dimensionen besteht: erstens der Reformarbeit innerhalb der Ukraine und zweitens der Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft, die EU, die Vereinigten Staaten, den IWF und andere, die möglicherweise in Betracht kommen. Für dieses Vorhaben, die Modernisierung und Reform der eigenen Wirtschaft, braucht die Ukraine internationale Unterstützung. Dazu, was mit diesem Gremium, das Sie eben genannt haben, im Einzelnen an Vorhaben und Ideen verbunden ist, weiß ich nicht mehr als das, was auch Sie aus der Zeitung wissen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung. Vielen Dank, Herr Minister. Präsident Dr. Norbert Lammert ({0}) - Habe ich eine Frage übersehen? ({1}) Herr Minister, dürfen wir die Frage des Kollegen Koenigs noch aufrufen? - Bitte schön, Herr Koenigs.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Minister, ist heute über die rechtliche Grundlage des Deutschen Instituts für Menschenrechte im Kabinett ein Beschluss gefasst worden? Wenn nein, was ich befürchte: Ist dem Kabinett klar, welche Blamage uns da droht?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Zum zweiten Teil der Frage: ja. Zum ersten: in den nächsten Wochen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eigentlich hätte diese Frage etwas eher gestellt werden müssen, Herr Koenigs, nämlich im Rahmen der Fragen zur heutigen Kabinettssitzung. Aber wir sind großzügig, und wir haben es so oder so jetzt im Protokoll. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde Drucksache 18/4139 Wir rufen die mündlichen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Justizministeriums. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Martina Renner auf: Sind dem Generalbundesanwalt für das wiederaufgenommene Ermittlungsverfahren zum Oktoberfestattentat inzwischen alle beim Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, und beim Bundesnachrichtendienst, BND, vorhandenen Akten und Quellenmeldungen zum Komplex übergeben worden?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Präsident, liebe Kollegin Renner, ich würde gerne, wenn Sie erlauben, wegen des Sachzusammenhangs die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantworten. Gestatten Sie das? ({0}) - Wunderbar. Dann mache ich das gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich auch die Frage 2 auf: Sind dem Generalbundesanwalt für das wiederaufgenommene Ermittlungsverfahren zum Oktoberfestattentat die Identitäten sämtlicher V-Personen des BfV und der Landesämter für Verfassungsschutz und des BND im Komplex offengelegt worden?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat am 11. Dezember 2014 entschieden, die Ermittlungen wegen des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980 wieder aufzunehmen. Anlass hierfür sind die Angaben einer bislang nicht bekannten Zeugin. Bei einer Befragung hat sie Aussagen getroffen, die auf bislang unbekannte Mitwisser hindeuten könnten. Die Ermittlungen werden sich nicht auf die Zeugin beschränken. Der Generalbundesanwalt wird allen Ansatzpunkten erneut und umfassend nachgehen. Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom 17. Februar dieses Jahres sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch den Bundesnachrichtendienst um umfassende Mitteilung dort vorliegender Erkenntnisse sowie um Auflistung der dortigen Aktenbestände mit Bezug zum Sprengstoffanschlag auf dem Oktoberfest in München am 26. September 1980 gebeten. Eine Entscheidung über eine Anforderung konkreter Aktenteile wird auf Grundlage der entsprechenden Antworten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes getroffen werden. Inwieweit die Ermittlungen im Einzelnen die Offenlegung der Identität von V-Personen erfordern, wird der Generalbundesanwalt zu gegebener Zeit prüfen. Grundlage hierfür werden insbesondere die Antworten auf die oben genannten Erkenntnisanfragen sein, die der Generalbundesanwalt zeitgleich neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst auch an alle Landesämter für Verfassungsschutz gerichtet hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Ihre Zusatzfragen.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, so erfreulich es ist, dass die Generalbundesanwaltschaft die Wiederaufnahme beschlossen hat und, was längst überfällig war, endlich wenigstens als Option von der Einzeltäterthese abweichen will, so schwierig finde ich Ihre Antwort insofern, als ich in einer Kleinen Anfrage zu den im BfV und BND vorliegenden Akten gefragt habe. Dort gibt es sowohl Bestände zur Wehrsportgruppe Hoffmann als auch zum Oktoberfestattentat selbst, und es wird auch auf Quellenmeldungen zum Oktoberfestattentat hingewiesen. Sie werden allerdings in der Antwort auf die Kleine Anfrage nicht weiter präzisiert. Ich denke, das sind wichtige Beweismittel, die beim Bundesamt nicht nur angefragt werden sollten, sondern dringend beigezogen werden müssen, damit sich der Generalbundesanwalt weitere Tatbeteiligte - auch in der Tatvorbereitung - und einen möglichen auch organisatorischen neonazistischen Hintergrund dieser Terrortat deutlicher erschließen kann. Warum ist da noch nicht mehr passiert, obwohl eigentlich klar ist, was im BfV und im BND zu der Sache vorliegt?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, der Generalbundesanwalt hat sich erst vor zwei Wochen, am 17. Februar dieses Jahres, mit der Bitte um umfassende Auskunft an den Bundesnachrichtendienst und an den Verfassungsschutz gewandt. Die Antworten liegen noch nicht vor. Ich bitte, diese abzuwarten. Danach kann ich Ihnen gerne Bericht erstatten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe tatsächlich noch zwei weitere Zusatzfragen. - Wir haben das Thema auch schon im Justizausschuss besprochen. Auch dort wurde die Frage der Quellenmeldungen bzw. Akten im BfV, BND oder möglicherweise MAD schon erörtert. Mir erscheint es relativ spät, dass man sich erst jetzt schriftlich an die entsprechenden Sicherheitsbehörden gewandt hat. Warum ist da so viel Zeit verflossen? Diese Frage stellt sich ja nicht nur aus der Materie selbst, sondern auch aus dem Zusammenhang heraus, dass wir heute, nach der Terrorserie des NSU, einen anderen Blick auf die Aktenführung in den entsprechenden Behörden haben. Meine zweite Frage wäre: Inwieweit erwägt der GBA, ähnlich wie es das BKA im Kontext einer sogenannten NSU/NSDAP-CD getan hat - das BKA ist selbst ins BfV nach Köln gegangen und hat in den dort hinterlegten Materialien, also CDs oder Schriften, auch Quellenberichten, zu möglichen neuen Beweismitteln recherchiert -, zum Beispiel auch im BfV selbst nach möglichen weiteren Beweismitteln im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat zu suchen?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, Sie wissen, dass der Generalbundesanwalt allen anderen neuen Hinweisen nachgehen wird. Das hat er sowohl in den von Ihnen genannten Ausschusssitzungen als auch öffentlich erklärt. Dem hat mein Haus nichts hinzuzufügen. Was die einzelnen Ermittlungsschritte anbelangt, nach denen Sie mehr oder weniger gefragt haben, so wissen Sie, dass die Bundesregierung zu einzelnen Schritten eines noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens nicht Stellung nimmt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie hatten noch eine weitere Frage? - Nicht. Dann ist Frau Keul jetzt an der Reihe.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Zu dem Komplex des Oktoberfestattentats habe ich die Nachfrage, ob das Bundesjustizministerium der Auffassung ist, dass der Verfassungsschutz dann, wenn V-Leute konkret unter Mordverdacht stehen, Auskunft über diese V-Leute an die Ermittlungsbehörden weitergeben muss.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Sie wissen, Frau Kollegin, dass die Bundesregierung zu spekulativen Fragen nicht Stellung nimmt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich hatte schon einmal mehrere schriftliche Fragen zu diesem Komplex gestellt. Die haben Sie nur zu einem ganz geringen Teil beantwortet; insbesondere haben Sie nicht die Frage beantwortet, ob der Rechtsextremist, der in Niedersachsen ein bzw. mehrere größere Waffenlager seinerzeit unterhalten hat, der dann festgenommen wurde und im Gefängnis unter mysteriösen Umständen umgekommen ist, Mitarbeiter einer Verfassungsschutzbehörde gewesen ist. Können Sie der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag sagen, warum dieses Faktum, das Sie mir nicht benannt haben - Sie haben die Frage nicht beantwortet, ob er das war -, nach so vielen Jahrzehnten immer noch eine geheimhaltungsbedürftige Information sein soll?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Kollege, auch hier kann ich nur wiederholen, dass wir uns zu den Verfahren, die der Generalbundesanwalt durchführt, erst nach abgeschlossenen Ermittlungen äußern. Zu einzelnen Verfahrensschritten äußern wir uns ebenfalls nicht. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich Ihre Frage insofern nicht beantworten kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Es kann sein, dass Sie jetzt Amtshilfe des Kollegen Krings brauchen. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam. Haben Sie Kenntnis davon, ob beim BND oder auch im Bundesamt für Verfassungsschutz, nachdem die Wiederaufnahme der Ermittlungen angeordnet wurde, entsprechende Arbeitsgruppen oder Organisationen gebildet wurden, die sämtliches Material, welches infrage kommt, noch einmal daraufhin sichten, ob gegebenenfalls Beweismittel, die sie benötigen, die aber noch unausgewertet sind oder irgendwo gelagert werden - wir haben im Fall „Corelli“ Parallelen -, in diesen Ämtern zur Verfügung stehen und jetzt in dieses laufende Ermittlungsverfahren eingeführt werden können? Meine zweite Frage in diesem Zusammenhang: Ist man in Kontakt mit den gegebenenfalls noch lebenden V-Mann-Führern aus der damaligen Zeit? Befragt man gegebenenfalls auch diese? Auch hier haben wir eine NSU-Parallele; denn offensichtlich sind Führer von gewichtigen V-Leuten im NSU-Komplex erst in den Jahren 2014 und 2015 nach neuen Aspekten befragt worden.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Liebe Frau Kollegin Pau, Sie fragen immer wieder nach einzelnen Ermittlungsschritten des Generalbundesanwaltes, zu denen wir nicht Stellung nehmen können. Was die Frage nach der Amtshilfe des Bundesinnenministers anbelangt, hat mir der Kollege gerade zugerufen, dass er dazu, jedenfalls spontan, nicht Stellung nehmen kann. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, für mich erschließt sich nicht, warum Sie die Frage meiner Kollegin nicht beantworten. Frau Keul hat eine ganz konkrete Frage gestellt, und zwar nach der Auffassung des Bundesjustizministeriums und nicht nach irgendwelchen Spekulationen. Sie hat ganz klar nach einem Sachverhalt und der Bewertung des Justizministeriums gefragt. Ich möchte Sie bitten, jetzt dazu etwas zu sagen.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, ich habe Ihrer Kollegin Keul korrekt geantwortet, dass auf eine Wenn-dann-Frage, ({0}) die sich im Augenblick nicht stellt und die im Übrigen auf Ermittlungen Bezug nimmt, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nicht Stellung nimmt. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Auch ich muss da nachhaken. Meine Kollegin Pau hat überhaupt nicht nach Ermittlungsschritten des Generalbundesanwalts gefragt. Sie hat nach „Kenntnis der Bundesregierung“ gefragt: ob der Bundesregierung bekannt ist, dass beim Bundesnachrichtendienst oder beim Verfassungsschutz Arbeitsgruppen gebildet worden sind, die diese Akten sichten und zusammenstellen etc. pp., wie es in ähnlich gelagerten Fällen auch schon der Fall war. Da gab es keine Ermittlungen vom Generalbundesanwalt, sondern die Kenntnis der Bundesregierung zu den mutmaßlich gebildeten Arbeitsgruppen in den Behörden.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Darauf habe ich Ihnen geantwortet, dass mir der Kollege aus dem Bundesinnenministerium, der hier sitzt, zugerufen hat, dass er dazu nicht Stellung nehmen kann. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich sehe hierzu jetzt keine weiteren Nachfragewünsche. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Anette Kramme zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Klaus Ernst auf: Würde sich die Bundesregierung der Meinung der Gewerkschaft Verdi anschließen, dass die Praxis der Deutschen Post AG, befristeten Beschäftigten, deren Arbeitsverträge zum 31. März 2015 auslaufen, eine schlechter bezahlte unbefristete Anstellung in der neu gegründeten Tochtergesellschaft Delivery anzubieten und damit den gültigen Tarifvertrag zwischen Deutscher Post AG und Verdi zu umgehen, einen Fall von Tarifflucht darstellt ({0})? Ich bitte die Staatssekretärin Kramme, die Frage zu beantworten.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Gerne, Herr Präsident. - Herr Ernst, mir fällt es immer schwer, Fragen zu beantworten, die im Konjunktiv gestellt sind. Aber ich versuche einmal, Ihre Frage zu übersetzen. Ich vermute, Sie fragen, ob sich die Bundesregierung einer Kommentierung der Gewerkschaft Verdi zu tariflichen Vorgängen bei der Post AG anschließt. Die Vorgänge und ihre Beurteilungen liegen in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien. Mit Rücksicht auf die grundgesetzlich gewährte Tarifautonomie kommentiert die Bundesregierung grundsätzlich keine Tarifauseinandersetzungen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann muss ich einfach die Feststellung treffen, dass die Post zum Teil im Eigentum des Bundes ist. Kann ich davon ausgehen, dass es der Bundesregierung egal ist, dass die Post, die zum Teil im Eigentum des Bundes ist, einen großen Teil ihrer Beschäftigten ausgliedert, schlechter bezahlt? Wie ist das in Einklang zu bringen mit der Aussage der Bundesregierung, die Tarifautonomie zu stärken? Ist das nicht ein eklatanter Punkt, an dem die Tarifautonomie unterlaufen wird und an dem die Bundesregierung offensichtlich zusieht, wie das passiert?

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Herr Ernst, Sie wiederholen nur Ihre Frage. Ich kann an dieser Stelle wieder nur antworten, dass die Bundesregierung Tarifauseinandersetzungen nicht kommentiert. Im Übrigen nehmen Sie die Frage 4 vorweg. Aber ich kann Frage 4 mit Einverständnis des Präsidenten gerne jetzt schon beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Von mir aus gerne. Herr Ernst hat dann entsprechend viele Zusatzfragen. Ich rufe also die Frage 4 des Abgeordneten Klaus Ernst auf: Welche Schritte plant die Bundesregierung angesichts des Vorhabens der Deutschen Post AG, bestehende Mitbestimmungsrechte und Tariflöhne durch die Tochtergesellschaft Delivery zu umgehen, um „mit einer klugen Arbeitsmarktpolitik die Weichen für … eine starke Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Gewerkschaften“ zu stellen, wie im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD angekündigt? Bitte schön, Frau Kramme.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Auch an dieser Stelle kann ich nur antworten, dass die Bundesregierung nicht in Tarifauseinandersetzungen eingreift, im Übrigen ihre Arbeitsmarktpolitik fortsetzt, die wir durchaus erfolgreich mit dem Tarifpaket gestartet haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte Sie einfach darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um die Kommentierung einer Tarifauseinandersetzung handelt, sondern um die Rolle der Bundesregierung als Miteigentümer der Deutschen Post. Sehe ich es richtig, dass Sie sich weigern, Ihrer Funktion als Arbeitgeber bei der Deutschen Post in der Weise gerecht zu werden, dass Sie dem Deutschen Bundestag Rechenschaft darüber ablegen, welche Politik die Bundesregierung bei der Post eigentlich betreibt?

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Herr Ernst, Sie bezeichnen das Ganze unter Bezugnahme auf Verdi als „Tarifflucht“ und als Verstoß gegen einen Tarifvertrag. Insoweit sind dann allerdings tatsächlich die Tarifvertragsparteien zuständig, können gegebenenfalls Klagen einreichen etc. Wir befinden uns also tatsächlich in der Situation einer Tarifauseinandersetzung. Diese kommentiert die Bundesregierung nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Frage, bitte schön.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie sollen ja auch nicht die Tarifauseinandersetzung kommentieren, sondern das Verhalten der Bundesregierung gegenüber einem Unternehmen, das sich im Eigentum des Bundes befindet und in dem es Aufsichtsratsmitglieder gibt, die von der Bundesregierung maßgeblich beeinflusst werden. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie nicht bereit sind, dieses Verhalten des Arbeitgebers - nicht das Verhalten der Tarifparteien, sondern ein Verhalten, für das Sie als Bundesregierung Mitverantwortung haben - vor dem Deutschen Bundestag zu diskutieren. Oder liege ich da jetzt falsch?

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Herr Ernst, Sie treffen eine eigene Bewertung. Das steht Ihnen an dieser Stelle natürlich frei. Es handelt sich im Übrigen nach Auffassung der Bundesregierung um die laufenden Geschäfte eines Unternehmens. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich glaube, dass Sie bereits vier Zusatzfragen gestellt haben, Herr Ernst. ({0}) - Ja, das ist so. Weitere Wortmeldungen dazu sehe ich nicht. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Fragen 5 und 6 des Kollegen Ebner werden schriftlich beantwortet. Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Ferlemann zur Verfügung. Die Frage 7 des Kollegen Hunko wird schriftlich beantwortet. Dann rufe ich die Frage 8 des Kollegen Krischer auf: Aus welchem Grund werden vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gleich drei verkehrspolitische Modellversuche - Ladesäulen für Elektroautos, selbstfahrende Autos, Warnhinweise für Geisterfahrer - an der Bundesautobahn 9 durchgeführt, und welche konkreten Bedingungen weist diese Autobahn im Unterschied zu anderen Autobahnen in Deutschland auf, die die Durchführung von diesen Modellversuchen hier sinnvoll erscheinen lassen bitte für jeden der drei genannten Modellversuche einzeln erläutern? Herr Ferlemann, bitte schön.

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe folgende Antwort auf die Frage: Im Straßenverkehr nimmt die digitale Kommunikation einen zunehmend größeren Stellenwert ein. Durch den Einzug neuer Technologien und Kommunikationssysteme in moderne Fahrzeuge findet eine Vernetzung statt, die neue Möglichkeiten eröffnet und Mobilität im Individualverkehr verändert. Um die sich daraus ergebenden Herausforderungen strukturiert und zielgerichtet analysieren zu können, wird ein digitales Testfeld Autobahn eingerichtet, auf dem die Wirkungen von Innovationen einzeln, aber auch im Zusammenspiel bewertet werden können. Unter anderem sollen hier automatisierte Fahrfunktionen erprobt werden. Das ist nicht das autonome Fahren; das fahrerlose Fahren ist nicht Gegenstand dieser Erprobung. Das Testfeld soll auf der BAB 9 zwischen München und Nürnberg eingerichtet werden. Bei der BAB 9 handelt es sich um eine hochbelastete Autobahn, die zwei Metropolregionen miteinander verbindet. Sie ist auf zahlreichen Abschnitten mit moderner Verkehrsbeeinflussung ausgestattet, die von einer leistungsfähigen Verkehrsrechnerzentrale aus gesteuert wird. Das Projekt „Schnellladen auf der A 9“ wird im Rahmen des Schaufensters Bayern-Sachsen ELEKTROMOBILITÄT VERBINDET umgesetzt. Es war nicht Gegenstand einer individuellen Vorauswahl durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, sondern Teil eines umfassenden Gesamtpakets der Bewerbung der Bundesländer Bayern und Sachsen im Rahmen des Wettbewerbs zum Schaufensterprogramm des Bundes 2012. Vergleichbare Projekte bzw. Maßnahmen gibt es auch in anderen Regionen bzw. an anderen Bundesautobahnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Ferlemann, herzlichen Dank für diese Ausführungen. - Ich habe nach drei konkreten Projekten gefragt - das basiert auf Pressemitteilungen Ihres Hauses -: selbstfahrende Autos, Ladesäulen/Elektromobilität und Warnanlagen für Geisterfahrer. Alle wurden von Ihnen in Verbindung mit der A 9 kommuniziert. Sie haben jetzt dargelegt: Dieser Autobahnabschnitt hat besondere Belastungen, weist eine besondere Technik auf. - Ich würde sagen: Wir haben in Deutschland wahrscheinlich Dutzende Autobahnabschnitte, auf die ähnliche Kriterien zutreffen. Warum konzentrieren Sie das an einer Stelle? Wieso werden mehrere Dinge, die nicht in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen - mir kann niemand erläutern, was Elektromobilität mit Geisterfahrern zu tun haben soll, außer dass beides auf Autos bezogen ist -, auf diesem Streckenabschnitt gemacht, und warum werden die Versuche nicht an anderen Streckenabschnitten gemacht?

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Wir können die Versuche - da haben Sie recht - auch auf anderen Streckenabschnitten machen. Es gibt auf anderen Strecken andere Versuche zur Elektromobilität. Hier ist es so, dass wir elektronisch versuchen wollen, Geisterfahrer vom Falschfahren abzuhalten. Weil wir die technologische Ausstattung an dieser Strecke haben und das sehr gut darstellen können, wollen wir es an dieser Strecke ausprobieren. Das schließt aber nicht aus, dass wir Modellprojekte auch noch an anderen Autobahnstrecken machen, wo gegebenenfalls ähnliche technologische Voraussetzungen bestehen. Nur: Hier ist es besonders gut für diese Modellprojekte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch eine weitere Nachfrage: Wäre das Ministerium in der Lage, uns eine Auflistung zu geben, welche weiteren Modellprojekte an anderen deutschen Autobahnen stattfinden, damit wir anhand einer Gesamtübersicht sehen können, welche Modellprojekte in welchen anderen Regionen bzw. an welchen anderen Autobahnen es gibt?

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Das Auskunftsrecht des Parlaments ist unendlich. Der Aufgabe wollen wir uns gerne stellen. Es handelt sich allerdings um eine sehr große Arbeit. Ich gebe ein Beispiel: An der A 2 testen wir, ob wir mit Telematik nicht deutlich geringere Unfallzahlen erreichen und die Verkehrsmenge deutlich stärker beeinflussen können. Das geschieht in diesem Streckenzug über ein ganzes Bundesland - in diesem Fall das schöne Niedersachsen hinweg. Es gibt viele Projekte, die wir auf den Autobahnen durchführen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen alle möglichen Modellprojekte aufzuzeigen. Das ist allerdings, wie schon gesagt, eine erhebliche Arbeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Stephan Kühn werden ebenso wie die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Matthias Gastel schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zu den Fragen 13 und 14 des Kollegen Herbert Behrens. - Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Dr. André Hahn werden schriftlich beantwortet. Wir sind dann mit diesem Geschäftsbereich fertig. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Sylvia KottingUhl werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 19 der Kollegin Katrin Kunert. Ich rufe nun die Frage 20 der Kollegin Höhn auf: Hält die Bundesregierung weiterhin am Ziel fest, wonach sie eine „Halbierung der CO2-Emissionen der Bundesregierung einschließlich Geschäftsbereich bis 2020 gegenüber 1990“ ({0}) erreichen will, und wie viel CO2-Reduktion wurde bis zum Jahr 2014 bereits erreicht? Herr Staatssekretär Pronold, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Höhn, das Ziel der „Halbierung der CO2-Emissionen der Bundesregierung einschließlich Geschäftsbereich bis 2020 gegenüber 1990“ wurde im Maßnahmenprogramm „Nachhaltigkeit“ der Bundesregierung am 6. Dezember 2010 beschlossen. Dies knüpft an die Selbstverpflichtungserklärung der Bundesregierung vom 18. Oktober 2000 an. Zahlen zu Emissionen von Treibhausgasen für 2014 liegen bislang generell nicht vor, daher auch nicht für den Bereich der Bundesregierung. Laut „Energie- und CO2-Bericht Bundesliegenschaften“ des damaligen Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aus dem Jahr 2012 wird für die Dienstliegenschaften des Bundes, also die unmittelbare Bundesverwaltung, eine Senkung der CO2-Emissionen um 66 Prozent gegenüber 1990 ausgewiesen. Der Bericht soll in diesem Jahr durch unser Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit als energetischer Sanierungsfahrplan Bundesliegenschaften vorgelegt werden. Für 2014 wird ein weiterer Rückgang der CO2-Emissionen in unseren Liegenschaften erwartet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Hier geht es um eine Vorbildfunktion. In diesem Sinne möchte ich gerne auf einen Artikel hinweisen, der gestern in der taz stand. Die Überschrift dieses Artikels lautet: „Schlupflöcher beim Klimaschutz“. In dem Artikel geht es um einen internen E-Mail-Verkehr bezüglich der Umweltministerkonferenz, die jetzt auf EU-Ebene stattfinden wird. Offensichtlich ist es so, dass das Wirtschafts- und das Finanzministerium Schlupflöcher eruiert haben. Mit allen diesen Schlupflöchern würde der Bedarf nach Emissionsreduzierungen bei Verkehr, Landwirtschaft und Haushalten - so wird aus diesen internen Mails zitiert „sich um etwa 47 bis 103 Prozent verringern“. Ist dem Ministerium dieser interne E-Mail-Verkehr des Finanz- und Wirtschaftsministeriums bekannt - ja oder nein?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Mir ist er zumindest nicht bekannt. Auch in der Vorbereitung auf die Beantwortung dieser Frage ist er mir nicht bekannt geworden. Den Hinweis auf den Pressebericht nehme ich zur Kenntnis. Ich kann Ihnen aber versichern, dass in unserem Hause geplant ist, den Gebäudebestand weiterhin energetisch zu optimieren. Hierfür haben wir Nachhaltigkeitskriterien, die wir sehr ernst nehmen. Wir wollen ohne Rechentricks eine bessere CO2-Einsparung im Gebäudebestand erreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie denn einfach einmal ganz konkret sagen, wie viele und welche Ministerien inklusive Kanzleramt Ökostrom beziehen?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Ich kann Ihnen nur anbieten, die Antwort auf diese Frage nachzureichen. Dies gehört meines Wissens nach zu den Aufträgen, die im Rahmen des energetischen Sanierungsplanes bearbeitet werden. Wir werden entsprechende Ergebnisse noch dieses Jahr vorlegen. Wenn es möglich ist, werde ich das eruieren und Ihnen die Antwort umgehend zukommen lassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Ab wann wird nach Informationen der Bundesregierung der Leseraum zur Einsicht in vertrauliche TTIP-Dokumente - TTIP: Transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA - in der Berliner USBotschaft eingerichtet sein, und plant die Bundesregierung, an die US-amerikanische Botschaft auch die Namen nationaler Parlamentarier als Zugangsberechtigte zu übermitteln, wie dies die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Transparenzinitiative vorgeschlagen hat? Herr Staatssekretär, bitte schön.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Höhn, Sie stellen eine Frage zum Thema TTIP und zur Einrichtung von Leseräumen in der US-Botschaft. Die Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt: Wie andere Mitgliedstaaten hat auch die Bundesregierung dem US-Handelsbeauftragten eine Liste von Regierungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern übermittelt, die Zugang zum Leseraum erhalten sollen, und dabei auch gefordert, Abgeordneten des Deutschen Bundestages Zugang zu den konsolidierten TTIP-Verhandlungstexten zu ermöglichen. Bislang liegt allerdings keine Rückmeldung der US-Seite vor. Auf Wunsch des Deutschen Bundestages ist die Bundesregierung auch bereit, Namen nationaler Parlamentarier an die USA zu melden. Allerdings ist derzeit offen, ob von der US-Seite nationalen Parlamentariern der Zugang zu Leseräumen gewährt wird.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, darf ich noch eine Nachfrage stellen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, klar.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay, danke. - Heute Abend findet eine Veranstaltung des Landwirtschaftsministeriums zum Thema TTIP statt. Nach der Eröffnung durch den Minister ist ein Vortrag von Friedrich Merz als Gastredner zum Thema „TTIP - Chancen für eine neue Partnerschaft mit den USA“ vorgesehen. Nun wissen wir, dass Friedrich Merz seit 2005 für die Kanzlei Mayer Brown LLP arbeitet, die sich unter anderem auf internationale Schiedsverfahren spezialisiert hat. Halten Sie das für eine vertrauensbildende Maßnahme?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Ich denke, dass er möglicherweise auch aufgrund seiner vielen anderen Funktionen an dieser Veranstaltung teilnimmt. Mir obliegt es nicht, dies weiter zu kommentieren. Ich bin nicht der Verantwortliche für Herrn Merz.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, aber der Bundesregierung! Sie sind ein Vertreter der Bundesregierung. Aber ich habe ja kein Recht auf eine gute Antwort, sondern ich kriege hoffentlich noch eine gute Antwort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber Sie haben das Recht auf eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Zusatzfrage lautet: Wir wissen, dass es bei CETA Bereiche gibt, die liberalisiert werden sollen. Es gibt Negativlisten, die die Bereiche umfassen, die von der Liberalisierung ausgenommen werden. Jetzt bittet die EU-Kommission ihre Mitglieder, einige dieser Ausnahmen wieder von der Liste zu nehmen, zu schauen, was andere Mitgliedstaaten gemeldet haben, und darauf zu achten, dass möglichst wenig Bereiche auf diese Negativliste kommen. Wie sieht das die Bundesregierung? Wird sie hier Abstriche machen, was die Ausnahmen bei CETA angeht?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Die aktuelle Situation bei CETA ist wie folgt, liebe Frau Kollegin: Im Grunde befinden wir uns in einer abgeschlossenen Verhandlungssituation, in der es ein nachträgliches Verhandeln als solches nicht gibt. Gleichwohl gibt es natürlich einen Prozess des Legal Scrubbings, in dem wir uns zurzeit befinden. Wir werden als Bundesregierung alle unsere Möglichkeiten ausnutzen, und zwar in dem Sinne, den wir gegenüber den Ausschüssen und dem Parlament auch artikuliert und vertreten haben. Der Minister ist an dieser Stelle prononciert befragt worden und hat auch prononcierte Antworten gegeben. Wir werden unsere Möglichkeiten ausnutzen und die deutsche Interessenlage nachdrücklich vertreten. Dazu gehört möglicherweise auch das, was Sie angesprochen haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das ist zwar nicht mein Fachgebiet. Aber wenn ich es richtig verstanden habe, werden in der US-Botschaft endlich Dokumente zur Kenntnisnahme zur Verfügung gestellt. Jetzt geht es darum, dass auch deutsche Parlamentarier davon Kenntnis bekommen können. Da verstehe ich nicht: Hat die Bundesregierung diese vertraulichen Unterlagen nicht? Warum stellt die Bundesregierung diese vertraulichen Unterlagen den Abgeordneten nicht direkt zur Verfügung? Das gehört doch zu ihren Verpflichtungen.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Abgeordneter Ströbele, es ist etwas komplizierter, als Sie es in Ihrer Frage dargestellt haben. Wir haben den Abgeordneten des Deutschen Bundestages bereits zwei Komplexe zur Verfügung gestellt. Das sind faktisch Papiere über Ergebnisse von abgeschlossenen Verhandlungen. Zurzeit finden wir EU-Papiere mit - parallel dazu - noch nicht ausverhandelten US-Texten vor. Die US-Seite hat öffentlich und gegenüber der Kommission Bedenken geäußert und gesagt, dass sie die US-amerikanischen Verhandlungstexte zurzeit nicht öffentlich kommuniziert wissen möchte. Das ist die aktuelle Lage. Vor dieser Situation stehen wir. Nun gibt es eine Verabredung mit Brüssel, dass möglicherweise über US-Botschaften Leseräume eingerichtet werden. Ich persönlich sage Ihnen an dieser Stelle: Aus meiner Sicht ist es eine Zumutung, von europäischen und deutschen Repräsentanten zu verlangen, in irgendwelche Leseräume zu gehen. Eigentlich gehört es sich, solche Papiere dem Parlament direkt zur Verfügung zu stellen. Das ist unser Verständnis davon, wie wir unsere Arbeit tun und tun wollen. Es ist unser Ziel, dass Europa die Konsultationen mit den USA vorantreibt. Unsere Position ist - das vertreten wir auch gegenüber der Europäischen Kommission -, dass die deutschen Vertreter mit Nachdruck darauf hinweisen, dass in dieser Frage Klarheit hergestellt werden muss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es liegen hierzu keine weiteren Zusatzfragen vor. Mit diesem Thema, Herr Kollege Ströbele, sind wir regelmäßig im Ältestenrat befasst. Mein Eindruck ist, dass wir da keine unterschiedliche Interessenlage vertreten und sicherstellen, dass das Parlament über den jeweiligen Verhandlungsstand zeitnah und authentisch unterrichtet wird. Präsident Dr. Norbert Lammert Die Frage 22 des Kollegen Oliver Krischer wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 23 der Abgeordneten Heike Hänsel auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Fakt, dass mit Geld aus den Rettungspaketen für Griechenland Rüstungsgüter in Milliardenhöhe von Rüstungsfirmen gekauft wurden ({0})?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Kollegin Hänsel, Sie fragen mit Blick auf Griechenland nach der Finanzierung von Rüstungsgütern. Ich antworte für die Bundesregierung wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Griechenland derzeit neue Kaufverträge über Rüstungsgüter in Milliardenhöhe, wie Sie es formuliert haben, abschließt, die mit Geld aus den Rettungspaketen finanziert werden sollen. Der Bundesregierung liegt eine Pressemitteilung eines deutschen Unternehmens vor, aus der hervorgeht, dass Griechenland 2014 einen Vertrag über den Kauf von Panzermunition aus deutscher Produktion im Wert von 52 Millionen Euro abgeschlossen hat. Bei der bestellten Munition handelt es sich um die Erstausstattung für die von Griechenland gekauften Panzer des Typs Leopard 2. Ein etwaiger Antrag auf Ausfuhrgenehmigung würde nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 sowie den geltenden Gesetzen und Bestimmungen zur Rüstungsexportkontrolle beurteilt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Dann frage ich noch einmal ganz konkret: Können Sie ausschließen, dass die griechische Regierung in der Vergangenheit, seitdem sie im Hilfsprogramm der Euro-Gruppe ist, Geld aus ihrem Budget für Rüstungskäufe ausgegeben hat?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Aktuell liegen mir dazu keine Erkenntnisse vor.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte dazu die Information geben, dass viele Rüstungskäufe Griechenlands bei deutschen Firmen mit massiven Schmiergeldzahlungen in Verbindung standen. Hier hätte ich gerne eine Bewertung der Bundesregierung, wie sie diese massiven Schmiergeldzahlungen und die Rolle der deutschen Rüstungsfirmen im Zusammenhang mit den Rüstungskäufen der griechischen Regierung in den letzten Jahren - auch während des Hilfsprogrammes - bewertet. Macht sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Memorandum zum Hilfsprogramm dafür stark, dass keinerlei weitere Rüstungskäufe mit diesen Geldern getätigt werden?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Hänsel, wir haben bereits diverse Fragen zu diesem Thema schriftlich beantwortet. Ich will Ihnen gerne die Haltung der Bundesregierung, wie sie in den schriftlichen Antworten zu diesem Thema vorgetragen worden ist, erneut vortragen. Wir verfolgen mit Aufmerksamkeit, was in Medienberichterstattungen über den Vorwurf rechtswidriger Zahlungen zu lesen ist. Sollten Zweifel an der Zuverlässigkeit eines der genannten Unternehmen bestehen, u. a. aufgrund belastbarer und konkreter Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Fehlverhalten, so werden wir, denke ich, handeln; dann wäre eine solche Ausfuhrgenehmigung nicht gegeben. Die Bundesregierung sieht hierzu vor dem Hintergrund der bekannten Informationen jedoch derzeit keine Veranlassung. Auch der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen … ist vergaberechtlich nur möglich, wenn eine rechtskräftige Verurteilung … vorliegt; der Ausschluss aufgrund eines mutmaßlichen Gesetzesverstoßes ist nicht zulässig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Keul, bitte sehr.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage und bin der Bundesregierung bezüglich der Kenntnisse über die U-Boot-Käufe Griechenlands gerne behilflich. Parallel dazu, dass wir hier im Mai 2010 über die ersten Hilfen für Griechenland diskutiert haben, wurden im Hintergrund neue Verträge über den Kauf von U-Booten der Howaldtswerke-Deutsche Werft verhandelt. Diese sind nach Verabschiedung des ersten Rettungspakets gekauft worden: Von 2002 bis 2013 kaufte der griechische Staat vier U-Boote der Howaldtswerke-Deutsche Werft im Wert von 1,14 Milliarden Euro. Dazu 170 Panzer vom Typ Leopard-2 im Wert von 1,7 Milliarden Euro sowie dutzende Militärfahrzeuge von Mercedes Benz. Heute besitzt Griechenland mehr Panzer als Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammen. Meine Frage bezieht sich auch auf den EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren. Darin sind bestimmte Kriterien angelegt. Kriterium acht besagt: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes sollte bei der Genehmigung von Exporten berücksichtigt werden. Können wir uns jetzt darauf verlassen, dass wenigstens zukünftig - ab jetzt - keine Exporte von Rüstungsgütern nach Griechenland mehr genehmigt werden, die die Staatsschulden dieses Landes noch weiter erhöhen würden?

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Abgeordnete, weil Sie im Grunde wiederum unterstellen, dass das Geld gezahlt worden ist, um damit Rüstungsgüter zu bezahlen, will ich als Erstes feststellen: Die Euros haben keine Bänder. - Früher haben wir immer gesagt: Die Mark hat keine Bänder. Insofern: Es entzieht sich meiner Kenntnis, womit was bezahlt worden ist. Dass es solche Verkaufsprozesse gegeben hat, ist in den Medien nachzulesen; da haben Sie recht. Mit welchen Mitteln bezahlt worden ist, ({0}) entzieht sich meiner Kenntnis, ({1}) weil ich über den tatsächlichen Staatshaushalt Griechenlands zu wenig Kenntnisse besitze. ({2}) Was ich feststellen kann und muss, ist: Es gibt Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahr 2000. Das ist im Grunde der zu beachtende und auch vom Wirtschaftsministerium genutzte Maßstab für die Beurteilung der Ausfuhr von Rüstungsgütern. Insofern haben wir hier Griechenland so zu behandeln wie einen NATO-Staat; denn Griechenland ist und bleibt Mitglied der NATO. Insofern haben wir hier eine klare Rechtssetzung, an die wir uns halten. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich rufe Frage 24 der Kollegin Hänsel auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Absichtserklärung, dass die US-Armee ukrainische Einheiten, wie es am 11. Februar 2015 der Oberkommandeur der US-Streitkräfte in Europa, Ben Hodges, für März 2015 angekündigt hat, ausbilden wird ({0}) und ein weiteres Training plane ({1})? Frau Professor Böhmer.

Not found (Gast)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich beantworte Ihnen die Frage: Der Bundesregierung sind die Ankündigungen des US-Militärs bekannt. Darüber hinausgehende Kenntnisse zu Einzelheiten der geplanten Ausbildungskooperation hat sie nicht. Die Bundesregierung setzt sich gemeinsam mit der US-Regierung für eine politische Lösung des Konflikts ein. Grundlage dafür ist die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarung.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Staatsministerin. - Nun haben die USA angekündigt, dass sie ein Bataillon von Fallschirmjägern in die Ukraine entsenden und auch ukrainische Artillerieeinheiten ausbilden wollen. Hier geht es also um eine militärische Ausbildung der ukrainischen Armee. Deshalb möchte ich noch einmal ganz konkret nachfragen: Wie passt das zu Ihrer Aussage, dass Sie sich gemeinsam mit den USA für eine politische Lösung einsetzen wollen? Inwiefern erleichtert die militärische Ausbildung der ukrainischen Armee vonseiten der USRegierung eine politische Lösung, oder wirkt sie nicht umgekehrt weiterhin eskalierend?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich kann für die Bundesregierung nur erneut betonen: Für uns ist klar, dass es für diesen Konflikt keine militärische Lösung gibt. Daher setzen wir uns mit allem Nachdruck für eine politische Lösung ein. Das spiegelt sich in unserem Handeln wider. Das spiegelt sich in der Initiative der Bundeskanzlerin wider. Das spiegelt sich auch im nachdrücklichen Einsatz unseres Bundesaußenministers wider. Sie wissen, dass allein deshalb die jüngsten Minsker Vereinbarungen zustande gekommen sind, und ich kann nur an alle Partner appellieren, diese Minsker Vereinbarungen auch wirklich umzusetzen.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn Sie sagen, dass es eine enge Abstimmung mit dem NATO-Partner USA gibt, heißt das dann, dass die Bundesregierung ihr Einverständnis gegeben hat, dass die US-Regierung Soldaten zur Unterstützung der militärischen Ausbildung in die Ukraine schickt? Ich frage Sie ganz konkret: Ist die Bundesregierung damit einverstanden?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wenn ich schon am Anfang sage, dass uns die Ankündigungen bekannt sind, wir aber keine darüber hinausgehenden Kenntnisse haben, dann erschließt sich doch, dass die von Ihnen gestellte Frage nur mit Nein beantwortet werden kann. Wir haben keine Kontakte, wir sind auch nicht gefragt worden. Ich möchte eines hinzufügen: Mir liegt eine Meldung von Reuters von gestern vor, in der es heißt: Russland unterstützt die Separatisten im Osten der Ukraine nach Einschätzung des US-Militärs mit etwa 12 000 Soldaten. ({0}) Es handle sich um eine Mischung aus russischen Militärberatern, Bedienpersonal für Waffen und Kampftruppen … Ich glaube, mehr brauche ich nicht zu zitieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen hierzu gibt es nicht. Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Omid Nouripour sowie die Frage 27 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 28 der Abgeordneten Sevim Dağdelen, die Frage 29 des Abgeordneten Volker Beck, die Frage 30 der Abgeordneten Katrin Kunert und die Frage 31 der Abgeordneten Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Welche Sofortmaßnahmen ergreift die Bundesregierung nach den Berichten, dass die Geheimdienste National Security Agency, NSA, und Government Communications Headquarters, GCHQ, 2010/2011 die Chips, „Encryption Keys“, in SIM-Karten von Telekommunikationsgeräten sowie mutmaßlich auch Reisepässe und Personalausweise ausspähten ({0}) - was entgegen der Annahme des betroffenen Herstellers Gemalto weder kurzfristig festgestellt noch durch Verschlüsselungsalgorithmus ausgeschlossen werden könne ({1}) -, um nun der Gefahr zu begegnen, dass diese Dienste auch Kommunikation von Personal in Bundesregierung und Bundesbehörden mit bislang als sicher geltenden Geräten ausforschen sowie Dokumente mit solchen Chips missbrauchen können, und inwieweit waren unter Umständen auch deutsche Stellen an der erstgenannten Ausspähung zusammen mit jenen ausländischen Diensten beteiligt? Zur Beantwortung steht Staatssekretär Krings zur Verfügung.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal vielen Dank dafür, dass Sie - im Gegensatz zu den anderen sechs Fragestellern, deren Fragen schriftlich beantwortet werden - bei der Stange geblieben sind und dass ich die Gelegenheit bekomme, Ihre Frage mündlich zu beantworten. Das tue ich gerne. In Ihrer Frage geht es um den sogenannten GemaltoHack, also um den vermeintlichen oder tatsächlichen Angriff auf SIM-Karten, worüber wir alle in den Medien gelesen haben. Ich darf dazu wie folgt antworten: Es ist bekannt, dass handelsübliche, nur durch schwache Verschlüsselungsverfahren geschützte Mobilfunktelefonie mit gewissen Aufwänden abgehört werden kann. Für die Übertragung von sensiblen Informationen in der Bundesverwaltung ist derartige Mobilfunktelefonie daher nicht geeignet, sofern keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen ergriffen werden. In der Bundesverwaltung werden - um derartigen Risiken zu begegnen - für die sensible Kommunikation seit Jahren moderne und vom BSI zugelassene Kommunikationsgeräte eingesetzt, mit denen sicher verschlüsselt und folglich gesichert kommuniziert werden kann. Die Sicherheit dieser Geräte ist nach hier vorliegenden Kenntnissen durch den genannten Angriff nicht beeinträchtigt. SIM-Karten des Herstellers Gemalto werden in diesen Geräten nämlich nicht eingesetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich finde es ja schön, was Sie für die Bundesregierung und die Bundesbehörden gesagt haben. Aber gerade gestern oder heute, glaube ich, ging eine Meldung durch die Zeitungen, dass selbst bei sogenannten Kryptotelefonen, von denen ich auch eines besitze und über das auch der Vorsitzende eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses offensichtlich verfügt, der Verdacht besteht, dass jemand versucht hat, sich da Zutritt zu verschaffen. Damit nicht genug: Als er das dann zur Untersuchung zum BSI nach Bonn geschickt hat, ist dieses Päckchen sogar noch von irgendjemandem geöffnet worden. Die Frage ist also: Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass die SIM-Karten, die in diesen Telefonen angeblich noch über das Normale hinaus gesichert sein sollen, auch funktionieren?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Sie haben ja ganz konkret danach gefragt, ob es Sofortmaßnahmen im Anschluss an den sogenannten Gemalto-Hack gibt. Darauf habe ich geantwortet, dass wir diese SIM-Karten nicht benutzen, sondern andere Instrumente nutzen, die davon nicht betroffen sind, die auch höheren Sicherheitsanforderungen genügen, die kryptieren. Niemand kann eine hundertprozentige Sicherheit geben; das ist, glaube ich, auch ganz klar. Bei Fragen der IT-Sicherheit und -Absicherung befinden wir uns natürlich in einer Art Katz-und-Maus-Spiel: Wir versuchen, immer stärkere Sicherheitsmaßnahmen einzubauen, und umgekehrt gibt es verschiedenste Akteure von außen, die versuchen, diese Sicherheitsmaßnahmen zu durchbrechen. Insofern gibt es natürlich keine hundertprozentige Sicherheit. Aber zu dem, was von Ihnen hier als konkreter Sachverhalt noch einmal zitiert worden ist, also dem, was die in den Niederlanden sitzende und in Frankreich produzierende Firma als Angriff offenbar hat erleiden müssen, wobei nicht klar ist, wie erfolgreich dieser Angriff war, gibt es auch unterschiedliche Aussagen. Diese Art von Angriff betrifft die Handys und Kommunikationsmittel innerhalb der Bundesregierung, nach denen Sie gefragt haben, nicht; da können Sie sicher sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nun behauptet ja die Firma Gemalto, dass sie es bei ihren Chips ausschließt, nachdem sie es überprüft hat. Dies wird aber von Fachleuten bestritten; die Quellen habe ich in meiner Frage genannt. Welche Auffassung hat denn die Bundesregierung dazu? Kann diese Auskunft der Firma Gemalto überhaupt stimmen? Kann man in kurzer Zeit tatsächlich feststellen, ob so etwas millionenfach passiert ist oder nicht?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Die Aussage der Firma Gemalto geht in die Richtung: Wir wurden zwar als Unternehmen angegriffen; aber nur unsere Bürokommunikation ist angegriffen wurde, nicht unsere Fertigungsteile. Man konnte zwar offenbar in unsere Bürosysteme hineingehen oder hat es jedenfalls versucht; aber da, wo diese SIM-Karten produziert worden sind - die sind ja das sensible Teil, das auch in vielen deutschen Handys eingebaut ist -, hat der Angriff nicht stattgefunden, jedenfalls nicht erfolgreich. - So die Aussage der Firma Gemalto. Wir sind zurzeit in Gesprächen und in intensiver Abstimmung mit unseren Partnerbehörden in den Niederlanden, wo die Firma ihren Sitz hat, und in Frankreich, wo die Produktionsstätten sind, um dies zu verifizieren oder zu falsifizieren. Noch können wir Ihnen also keine Antwort darauf geben, ob die Aussage von Gemalto zutrifft oder nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Ich habe noch einmal eine generelle Frage, weil ich es natürlich als etwas absurd empfinde, dass Sie sich jetzt hier in die Einzelheiten des Forschens hineinbegeben müssen, wie man diese SIM-Karten vielleicht wieder sicher machen kann usw. Wie bewertet denn die Bundesregierung eigentlich die Meldungen, dass es vonseiten des US-amerikanischen und des britischen Geheimdienstes dieses Knacken der SIM-Cards gegeben hat? Ich habe in den Medien eigentlich so gut wie keine Bewertungen, Stellungnahmen der Bundesregierung gelesen. Vielleicht können Sie mich da noch einmal auf den aktuellen Stand bringen. Wie ist die politische Bewertung dieses Vorgehens der Geheimdienste?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich habe eben darauf hingewiesen, dass wir bisher nicht einmal wissen, wie erfolgreich dieser Angriff bezogen auf die SIM-Karten war. Das Gleiche gilt für die Urheberschaft dieses Angriffs. Natürlich gibt es Vermutungen, die auch in den Medien kursieren. Da gibt es ja die üblichen Verdächtigen, die dann genannt werden, vielleicht mit Anhaltspunkten, vielleicht auch ohne Anhaltspunkte. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wo die Urheberschaft eines solchen Angriffes zu sehen ist, zumal wir gar nicht wissen, welches Ausmaß er angenommen hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Ströbele auf: Welche Angaben macht die Bundesregierung zur Entwicklung und zum derzeitigen Stand der „automatisierten und systematischen Gewinnung, Verarbeitung und Auswertung von Massendaten aus dem Internet“, wie „zentral“ vor allem etwa „Kontaktlisten und Beziehungsgeflechte in … sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder YouTube“, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ({0}), welches solche selbst so formulierte Überwachung im Rahmen seiner neuen Referatsgruppe „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ Berichten zufolge ({1}) mindestens seit 2013 betreibt, und inwieweit berücksichtigt das BfV dabei - neben politischen Bedenken dagegen - auch die Rechtslage, dass es keine Massendaten über solche Kommunikation abfangen darf, sondern sich lediglich gemäß § 3 des Artikel-10-Gesetzes ({2}) die Überwachung von ({3})Verbindungen einzelner Teilnehmer durch die G-10-Kommission genehmigen lassen darf?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident! Herr Kollege Ströbele! Meine Damen und Herren! In der Frage geht es um eine Arbeitseinheit beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Einleitend möchte ich eine Mitteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Juni 2014 zur Einrichtung der in der Frage thematisierten Referatsgruppe „Erweiterte Fachunterstützung Internet“, EFI, zitieren: Ziel ist es, die bereits vorhandenen Daten besser auszuwerten. Im Bereich der digitalen Kommunikation handelt es sich dabei um Daten, die das BfV gemäß seinen Befugnissen nach dem G 10-Gesetz bereits erhoben hat. Die Datenerhebungsgrundlage selbst wird dadurch nicht ausgeweitet. Das BfV führt Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen ausschließlich bezogen auf Einzelpersonen und auf Grundlage des § 3 G-10-Gesetz oder des § 8 a Absatz 2 Nummer 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes - Auskunftsersuchen zu Telekommunikationsverkehrsdaten - durch. Zwingende Voraussetzung für beide Maßnahmen ist das Vorliegen bestimmter einzelner Kommunikationskennungen. Das sind beispielsweise Rufnummern oder E-Mail-Adressen, die überwacht werden sollen. Zudem müssen die entsprechenden materiellen Voraussetzungen gemäß § 3 G-10-Gesetz bzw. § 8 a Bundesverfassungsschutzgesetz im Einzelfall vorliegen. Bei jeder einzelnen Maßnahme bedarf es der Prüfung und Zustimmung durch die G-10-Kommission als unabhängigem parlamentarischem Kontrollorgan. Dementsprechend führt das Bundesamt für Verfassungsschutz gerade keine massenhaften, anlasslosen, verdachtsunabhängigen oder sonst ungezielten Maßnahmen gegen eine Vielzahl oder beliebige Grundrechtsträger durch. Die genannte Referatsgruppe „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ befindet sich im Aufbau. Ein entsprechender Aufbaustab wurde am 1. April 2014 gegründet. Die Arbeit der Referatsgruppe - das gilt insbesondere für die Auswertung und Analyse von Internetdaten, zum Beispiel der Kommunikation in sozialen Netzwerken basiert ausschließlich auf Daten, die auf geltender Rechtsgrundlage erhoben werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden? Sie behaupten, dass lediglich die Daten aus Facebook und den anderen sozialen Netzwerken analysiert und verarbeitet werden, die vorher aufgrund einer Anweisung der G-10-Kommission erhoben wurden?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Es gibt keine strategische Netzüberwachung, wie wir das aus den USA gehört haben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist nicht die NSA. Beide haben ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Das dürfen Sie ruhig für bare Münze nehmen. Das heißt, dass es immer eine konkrete Rechtsgrundlage gibt. Ich habe das G-10-Verfahren angesprochen. Die Daten, die auf Basis dieser Rechtsgrundlage vor einigen Monaten oder einigen Jahren erhoben wurden, sollen durch diese Referatsgruppe besser ausgewertet und analysiert werden können.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will das noch einmal präzisieren: Es werden keine persönlichen Daten aufgenommen, ausgewertet und möglicherweise gespeichert, deren Erhebung nicht durch die G-10-Kommission angeordnet und legitimiert wurde?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich habe die Norm eben zitiert. ({0}) Nach meinem Kenntnisstand sind alle Daten im Rahmen eines G-10-Verfahrens erhoben worden. Wichtig ist - ich sage das, um nicht aufs Glatteis zu geraten -, dass überall eine Rechtsgrundlage vorhanden sein muss. Nach meinem Kenntnisstand ist das ein G-10-Verfahren. Es mag auch Rechtsgrundlagen geben, bei denen ein G-10Verfahren nicht erforderlich ist. Aber alle Daten, die auf Basis der bisherigen Rechtsgrundlage, die im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens erhoben werden konnten, sollen jetzt mithilfe dieser neuen Arbeitseinheit ausgewertet werden. Das ist eine Umorganisation innerhalb des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Daten, die ohnehin auf rechtmäßiger Grundlage erhoben werden, werden nun vor dem Hintergrund des aktuellen Standes der Erkenntnisse und mit moderner Technik ausgewertet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Frage 34 des Abgeordneten Andrej Hunko und die Fragen 35 und 36 des Abgeordneten Hubertus Zdebel werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wir unterbrechen die Sitzung bis zum Beginn der Aktuellen Stunde, bis 15.30 Uhr. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Auswirkung der Ermordung des russischen Politikers Boris Nemzow auf die Politik Russlands Ich eröffne die Aussprache. - Als erster Redner hat der Abgeordnete Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern haben wir Abschied vom russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow genommen. Es war ein eindrucksvoller Akt der Trauer, als Tausende von russischen Menschen an dem aufgebahrten Leichnam im Andrej-Sacharow-Zentrum in Moskau vorbeizogen, um Boris Nemzow die letzte Ehre zu erweisen. Viele von ihnen haben dafür stundenlang in der Kälte ausharren müssen. Es waren auch zahlreiche Ausländer dabei, darunter Teilnehmer aus allen 28 EU-Staaten. Ich habe als Vertreter der Bundesregierung an der Panichida, der russisch-orthodoxen Totenmesse, für Boris Nemzow teilgenommen, gemeinsam mit unseren ehemaligen Bundestagsmitgliedern Sabine LeutheusserSchnarrenberger und Wolfgang Gerhardt von der FDP sowie dem deutschen Botschafter von Fritsch. Unser allererster Gedanke der Anteilnahme gilt der Familie, den Angehörigen und den Freunden von Boris Nemzow, aus deren Mitte er plötzlich und unerwartet durch einen feigen und heimtückischen Mord herausgerissen wurde. Dann fällt unser Blick auf den Verlust, den diese vier Kugeln der russischen Opposition, aber auch ganz Russland zugefügt haben. Ich habe Boris Nemzow persönlich schon Anfang der 90er-Jahre als blutjungen Gouverneur von Nischnij Nowgorod mit seinem unbändigen Lockenkopf, mit seiner schwarzen Lederjacke, von der er sich nie trennen wollte, und seiner Reformbegeisterung, mit der er westliche Investoren für seine Region zu gewinnen versuchte, kennengelernt. Persönlich war er in diesen Jahren erfolgreich. Er stieg 1997/98 zum Vize-Ministerpräsidenten auf, aber auch er wurde wie seine wirtschaftsliberalen Mitstreiter Gajdar, Tschubajs, Jawlinskij und andere Opfer einer tragischen Entwicklung, dass nämlich die Menschen in Russland die ersten Schritte zur Demokratie und Marktwirtschaft als Verlust ihrer sozialen Sicherheit verbunden mit Rubelabsturz und Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern erleben mussten. Diese Schulterlast konnte die Reformergeneration von Nemzow nie mehr abwerfen. Da half auch nicht die Gründung immer neuer oppositioneller Parteien, die eher zur Zersplitterung beitrugen. Boris Nemzow hat sich trotzdem nie entmutigen lassen. Er wurde zu einer unerschrockenen Stimme der Kritik am politischen Establishment. Er machte all denen Mut, die sich ein künftiges Russland ohne Demokratie, ohne Bürgerrechte, ohne Freiheitsrechte nicht vorstellen konnten. Zuletzt hat er schonungslos die aktuelle Ukraine-Politik von Präsident Putin öffentlich angegriffen. Vielleicht musste er deshalb sterben. Es gibt viele Spekulationen. Sich an ihnen zu beteiligen, hat keinen Sinn. Aber eines ist mit Händen zu greifen: Dieser zynische Mord hat etwas mit der künstlich aufgeheizten und aggressiven Atmosphäre in einem Land zu tun, in dem sich NGOs mit internationalen Verbindungen selber zu ausländischen Agenten erklären müssen und in dem der Präsident alle, die seinen Kurs kritisieren, als Nationalverräter und Anhänger einer fünften Kolonne ins Abseits stellt. Wo ein unerklärter Krieg im Nachbarland geführt wird, können Nationalverräter nicht geduldet werden. Eine solche Sprache allein kann tödliche Folgen haben, wenn sie unbequeme Stimmen kriminalisiert und letztlich für vogelfrei erklärt. Deswegen ist es unverzichtbar, die russische Führung aufzufordern, alles nur Mögliche zu veranlassen, um den Mörder und seine Hintermänner dingfest zu machen und vor Gericht zu stellen. ({0}) Aber es ist ebenso unverzichtbar, eine Änderung der gesellschaftlichen Atmosphäre einzufordern, die Hemmungen abbaut, auf vermeintliche Vaterlandsverräter loszugehen, auf Bürgerinnen und Bürger, die in Wirklichkeit nur von ihrem verbrieften Recht, eine andere Meinung zu haben und diese auch öffentlich kritisch zu äußern, Gebrauch machen. Von dieser Debatte im Deutschen Bundestag sollte - das wünschte ich mir - ein starkes politisches Signal in diese Richtung ausgehen. Vielen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr, Herr Präsident. - Ich glaube, dass es gestattet sein muss, zu Beginn dieser Debatte ein Wort über die eigenen Gefühle zu sagen. Die Nachricht vom Mord an Boris Nemzow - ich denke, dass man den Begriff „Mord“ benutzen muss ({0}) und nicht nur von „Tod“ reden darf - hat bei mir Entsetzen, Nachdenklichkeit, den Versuch, etwas innezuhalten, Fassungslosigkeit und Trauer ausgelöst. Ich denke, es war richtig, dass sich der Bundestag entschlossen hat, heute eine Aktuelle Stunde dazu durchzuführen, damit wir darüber reden. Ich möchte gern, dass die Bürgerinnen und Bürger in Russland verstehen, dass diese Aktuelle Stunde nicht gegen sie gerichtet ist, sondern dass wir im Rahmen dieser Aktuellen Stunde Trauer und Nachdenken mit ihnen teilen wollen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger Russlands nicht belehren, sondern wir möchten mit ihnen zusammen auf eine Veränderung des politischen Klimas hinwirken. Das ist mir sehr wichtig. ({1}) Ich will sehr deutlich sagen, was ich von der russischen Regierung und vom russischen Präsidenten erwarte. Präsident Putin muss das einlösen, was er gestern in der Öffentlichkeit gesagt hat. Er sagte, dass dieser Mord eine Schande ist. Ich erwarte von ihm und von der russischen Regierung - das würde ich von jeder Regierung in der Welt erwarten -: Es muss aufgeklärt werden, und zwar rasch und mit rechtsstaatlichen Mitteln - das betone ich ausdrücklich: mit rechtsstaatlichen Mitteln -, und es müssen Transparenz und Öffentlichkeit geschaffen werden. Das ist das, was man von der russischen Regierung und von Präsident Putin erwarten muss. Ich möchte, dass der Deutsche Bundestag zu einer Entwicklung in diese Richtung beiträgt. ({2}) Es ist bestimmt nicht entscheidend, was wir dazu meinen. Es ist entscheidend, dass in Russland verstanden wird, dass es um die Verfasstheit des Landes geht, dass es um die Verfasstheit Europas geht, dass es um die Zukunft Russlands geht. Wenn man das betont, dann bleibt es dabei: Wenn dieser Mord nicht aufgeklärt wird, dann behält Russland eine offene Wunde. Eine offene Wunde sollte Russland aber nicht behalten. Deswegen müssen dieser Mord und all seine Umstände aufgeklärt werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien - noch nicht einmal dann, wenn sie in meiner eigenen Umgebung verbreitet werden -, ({4}) weil sie meistens überhaupt nichts erklären. ({5}) Ich finde auch alle Verschwörungstheorien rund um diesen Mord unnütz. Ich bin der Auffassung, dass es, wenn man die Ansprüche stellt, die Sie gestellt haben, nicht klug ist, ein Klima zu bereiten, in dem von Anfang an feststeht, dass am Ende Putin schuld ist, nur er und kein anderer. ({6}) Das ist keine Aufklärung und sorgt nicht für ein Nachdenken über das gesellschaftliche Klima. ({7}) Ich möchte Aufklärung und aufklärerisches Wirken. Aufklärerisches Wirken muss nach vorne gerichtet sein. Ich will Ihnen einige Punkte nennen, die für mich unverzichtbar sind. Angesichts der aktuellen Situation möchte ich betonen: Man muss zur Entspannung zurückkehren, auch wenn das heute fast unmöglich erscheint. Man braucht innenpolitische Entspannung in Russland, und man braucht politische Entspannung in Europa. Das wäre ein vernünftiger Weg. Wir sollten darauf hinwirken, dass alle Vereinbarungen von Minsk umgesetzt werden. Im Krieg um die Ukraine und in der Ostukraine darf es nicht wieder zu offener Gewalt kommen, weil Gewalt immer auch staatliche Gewalt in den entsprechenden Ländern zeitigt, und das war die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Mord an Boris Nemzow in Russland passieren konnte. Entspannung ist heute denkbar, und die Ergebnisse von Minsk könnten ein Weg zur Entspannung sein. ({8}) Ich denke sehr darüber nach und bitte Sie, sich in diese Richtung auch ein Stück weit selbst zu überprüfen: Die Isolation und die Selbstisolation Russlands müssen dringend aufgehoben werden. Isolation und Selbstisolation führen immer zu innenpolitischen Verschärfungen und Verengungen. Ich glaube, dass wir Russland einen Weg zurück nach Europa weisen und die Tore weit aufmachen müssen, weil das und nichts anderes demokratisiert. ({9}) Ich möchte Ihnen in dieser Situation auch gerne sagen: Wenn der Deutsche Bundestag Verstand und Courage hat, dann müssen wir die Visafrage erneut auf die Tagesordnung setzen. Ich möchte, dass wir die russischen Bürgerinnen und Bürger einladen. Kommt in unser Land! Kommt nach Europa! Wir haben eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe in Europa. Wir müssen eine neue Ostpolitik und eine europäische Entspannungspolitik entwickeln. Wenn wir so damit umgehen, ein Stück weit innehalten und nicht immer mehr zuspitzen, dann könnte der Mord an Boris Nemzow ein Signal zur Umkehr werden. Diese Umkehr ist in Europa dringend notwendig. Das wollte ich Ihnen sagen. Herzlichen Dank. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Franz Josef Jung, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Freitag wurde der russische Regimekritiker Boris Nemzow in unmittelbarer Nähe des Kremls heimtückisch ermordet. Herr Erler hat darauf hingewiesen: Er wurde gestern unter Teilnahme von Tausenden Bürgerinnen und Bürgern zunächst aufgebahrt und dann beigesetzt. Ich denke, wir sind uns in diesem Parlament einig, dass wir erwarten, dass dieser hinterhältige Mord umfassend aufgeklärt wird und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Täter, Auftraggeber und Motive des Verbrechens dürfen aus unserer Sicht nicht wieder im Dunkeln bleiben, wie das beispielsweise bei den Morden an Anna Politkowskaja, an Natalja Estemirowa und an Aleksandr Litwinenko geschehen ist. Ebenso, denke ich, müssen wir uns über die Auswirkungen der Ermordung von Boris Nemzow auf die Politik in Russland unterhalten. Ich finde, hier ist es schon von Bedeutung, dass der konfrontative Kurs von Präsident Putin gegenüber den Regierungsgegnern und Oppositionellen ein Klima von Hass und Hysterie geschaffen hat - unterstützt durch die entsprechenden Staatsmedien, die hier Aggression und Feindschaft schüren -, ein Klima, das hier letztlich den dunkelsten Kräften in die Hände spielt. Deshalb ist es, denke ich, dringend notwendig und geboten - auch im Interesse Russlands -, dass Präsident Putin dafür sorgt, dass dieses Klima der Repression beendet wird und die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden. ({0}) Meine Damen und Herren, ich finde schon, dass der Mord an Boris Nemzow ein besonderes und bezeichnendes Licht auf die innere Entwicklung Russlands wirft. Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Bürgerrechte werden unterdrückt. Von einem lupenreinen Demokraten kann wahrlich keine Rede sein. Wer in Russland Präsident Putin und sein Regime kritisiert, der muss den Sicherheitsapparat nicht nur persönlich fürchten, sondern er muss auch damit rechnen, dass seine Nächsten in Gefahr geraten, wie es das Beispiel des Bruders des Kremlkritikers Nawalnyj zeigt, und er muss mit den Schlägern des sogenannten Anti-Maidan rechnen, die jede Opposition gegen Präsident Putin mit Gewalt im Keim ersticken. Die Tatsache aber, dass in Moskau am vergangenen Sonntag Zehntausende im Rahmen eines Trauermarsches für Boris Nemzow auf die Straße gegangen sind, macht deutlich, dass es viele mutige Bürger in Russland gibt, die gegen dieses Klima der Einschüchterung ihre Stimme erheben und auf die Straße gehen. Ich denke, diese mutigen Bürgerinnen und Bürger haben unsere Solidarität und unsere Unterstützung verdient. ({1}) Die Politik der Repression, des Rechtsbruchs oder auch der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine schadet aus meiner Sicht Russland. Deshalb wäre es im Interesse Russlands, wenn Präsident Putin eine derartige Politik beendete, die Freiheitsrechte umfassend gewährleistete, das Minsker Abkommen in die Tat umsetzte und partnerschaftliche Beziehungen zu Europa wieder aufnähme. Der wirtschaftliche Niedergang Russlands zeigt aus meiner Sicht, wie notwendig es ist, diese falsche und undemokratische Politik zu beenden. Wir wollen ein demokratisches, ein modernes, ein freiheitliches Russland, mit dem wir gut zusammenarbeiten können. Hier gilt die Hoffnung von Boris Nemzow, die auch gestern viele Menschen zum Ausdruck gebracht haben: Russland wird frei sein - im Interesse der Menschen, im Interesse der Sicherheit, im Interesse von Frieden und Freiheit in Europa. Besten Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Marieluise Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Boris Efimowitsch Nemzow war ein brillanter Kopf. Er war widerständig und unerschrocken. Er war ein Volkstribun, und - ich glaube, das darf ich sagen - er war auch ein Draufgänger. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Sie hieß: in der Wahrheit leben - ohne Rücksicht auf Gefahr und ohne Rücksicht auf das eigene Leben. Und er wusste, dass er in Gefahr war. Die Liste der Menschen, die für ihre Aufrichtigkeit in den vergangenen Jahren ermordet wurden, ist lang - viele sind schon genannt worden -: Anna Politkowskaja, Natalja Estemirowa - ich habe sie noch hier in Berlin getroffen -, Stanislaw Markelow, Sergej Magnitskij. All diese Morde sind nie aufgeklärt worden. Diese Wunden, Herr Kollege Gehrcke, sind alle noch offen. Alle diese Menschen stehen für den Wunsch nach Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Sie stehen für ein anderes Russland und für eine Alternative zu der Machtpyramide, an deren Spitze Präsident Putin steht. Der eindrucksvolle Gedenkzug für Boris Nemzow zeigt uns, dass in der russischen Gesellschaft mehr Lebendigkeit und Widerspruchsgeist stecken, als Putins Propaganda uns glauben lassen will. Auch wir selber sollten an diese Kräfte glauben und nicht zu zaghaft sein. ({0}) Nemzow war in ungewöhnlich jungem Alter - der Kollege Erler hat das schon gesagt - Gouverneur und später Vizepremier unter Jelzin und mit Aufgaben betraut, die eigentlich eine „Mission impossible“ waren. In diesen tumultuösen Zeiten wurden auch viele Fehler gemacht: Viele Menschen gerieten in Not, und die Oligarchen konnten ihr System in vielen rechtsfreien Räumen errichten. Tatsächlich schien es so zu sein, als würde mit Putin die Ordnung in das Land zurückkehren. Doch heute wissen wir, dass seine Herrschaft zu einem System aus Geheimdienst und Oligarchie geworden ist, überwölbt von Korruption, die alles zusammenhält. In diesem System muss jeder etwas abbekommen. Dazu gehört auch Willkür - ohne Chance auf Gerechtigkeit, ohne eine freie Justiz, an die sich Bürgerinnen und Bürger wenden können. Dieses System hat auch immer schon zu Gewalt gegriffen - daran erinnern wir uns nicht mehr so gut -: der Krieg in Tschetschenien - er war gnadenlos -, der Krieg in Georgien und jetzt der in der Ukraine. Je deutlicher wurde, dass Putin kein Modernisierer ist und dass ihm die ökonomische Modernisierung nicht gelingt, desto stärker baute er an seiner Propagandamaschine, an den Feindbildern von äußeren und inneren Gegnern, und desto schärfer wurde die Repression. Die Bürgergesellschaft im eigenen Land - das konnte man Jahr für Jahr sehen - wurde immer stärker stranguliert; kritische Nichtregierungsorganisationen sollten gezwungen werden, sich selber mit der stalinistischen Figur des „ausländischen Agenten“ zu belegen. Derzeit rollt in der Duma das nächste Gesetz an, nämlich das Verbot der Zusammenarbeit mit unerwünschten Organisationen. Das ist der nächste Strangulierungsschritt, der in der Pipeline ist, und die Feindpropaganda durchdringt das ganze Land. Nun hat Präsident Putin heute selber den Mord an Boris Nemzow als einen politisch motivierten bezeichnet. Was bedeutet das? Es legt vielleicht offen, dass es tatsächlich die Vertikale der Macht schon gar nicht mehr gibt, sondern dass sie beginnt, Putin zu entgleiten, hin zu Kräften, die nationalistischer, die extremistischer sind, hin zu einer kruden Mischung aus Nationalbolschewismus und faschistoiden Tendenzen. Eine Person mit zwei Namen steht für diese Kombination, nämlich Strelkow und Girkin. Es kann sein, dass Putin bereits ein Teil seines Apparates zu entgleiten beginnt und dass diese Schüsse direkt vor der Kremlmauer auch eine Botschaft an ihn gewesen sind. Ebenso kann er einen Kadyrow nicht mehr steuern; auch Kadyrow ist ihm schon entglitten. Wenn wir heute auf Russland und auf diesen entfesselten Hass schauen, so stellen wir fest, dass er tatsächlich zu einem Drama für das russische Volk selber geworden ist. Putin hat das Land in diese Isolation geführt. Keiner von uns weiß derzeit, wie und durch wen das Land wieder zurück auf den Weg in die europäische Familie und Marieluise Beck ({1}) in unser gemeinsames Haus Europa findet. Aber Boris Nemzow war einer der profiliertesten Oppositionspolitiker Russlands; er hatte Pläne für die Rückkehr in die Duma, und er war eine Hoffnung für viele Bürgerinnen und Bürger, weil er so ganz unterschiedslos gegen Korruption vorgegangen ist. Nun ist dieser mögliche Opponent nicht mehr da. Wir sollten - das ist unsere Aufgabe - all diejenigen Menschen treffen und sie ermutigen, die ohne Ansehen der eigenen Person diese zarten Pflänzchen der Bürgergesellschaft in Russland trotz aller Widerstände aufrechterhalten, und dies - da gebe ich dem Kollegen Gehrcke recht - ohne umständliche und teure Visaprozeduren, wir sollten sie reisen lassen, wir sollten sie als unsere Partner begreifen. Das wäre die beste Art, Boris Nemzow zu ehren. Schönen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Karl-Georg Wellmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Georg Wellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt viele Merkwürdigkeiten bei diesem Mord unter den Augen des Kreml, in der sensibelsten russischen Sicherheitszone schlechthin, unter Augen, denen sonst überhaupt nichts entgeht. Hängen Sie da mal ein Plakat auf; es ist in Sekunden wieder weg. Exakt zum Tatzeitpunkt versperrt ein Müllauto die Sicht, exakt zum Tatzeitpunkt sind 15 Überwachungskameras ausgeschaltet, weil sie angeblich gewartet werden. Wie idiotisch ist denn dieses Märchen, meine Damen und Herren? Ein FSB-Sicherheitschef, der dies verantwortete, wäre nicht einen Tag länger im Amt, wenn er so etwas machte. Von der Kollegin Beck und dem Kollegen Jung wurde schon auf das völlig vergiftete Meinungsklima hingewiesen, in dem Hass und Verfolgung gegen Andersdenkende blühen und sich natürlich einige ermutigt fühlen, den Ruhm und die Größe Russlands durch solche Mordtaten wiederherzustellen. Meine Damen und Herren, Russlands Regierung und eine Mehrheit der Bevölkerung sehen sich in einem vermeintlichen Abwehrkampf gegen äußere Feinde, und ihr Präsident will nicht zulassen, dass die Ehre Russlands von Feinden beleidigt wird. Die Frage ist, wie wir jetzt eigentlich auf so etwas reagieren. Ich möchte vorsichtig daran erinnern, dass das Verhältnis zu Russland in erster Linie eine außenpolitische Fragestellung ist. Es geht leider nicht darum, menschlich sehr verständlichen Regungen der Empörung und des Abscheus Genüge zu tun, sondern darum, wie wir außenpolitisch damit umgehen und praktische Politik betreiben können. Das hat für mich zwei Konsequenzen. Erstens. Wir müssen immer darauf achten, dass wir die Diplomatie nicht vernachlässigen. Russland ist und bleibt unser größter östlicher Partner. Für Russland gilt übrigens umgekehrt: Wir sind und bleiben dessen größter westlicher Partner. Wir müssen auch darauf achten, dass unsere Außenpolitik nicht durch Empfindungen und Gefühle geleitet wird, so schwierig das manchmal ist. Wir tun das an anderer Stelle auch nicht, zum Beispiel gegenüber China, wo die Menschenrechtslage noch schwieriger ist als in Russland. Zweitens. Wir müssen leider von unserer Konvergenzvermutung, also von unserer Sicht der Dinge, dass andere Staaten so werden wie wir, wenn wir nur lange genug mit ihnen zusammenarbeiten, Abschied nehmen. Wir haben keinen Hebel zur Durchsetzung unserer Werte. Wir müssen aufpassen, dass unsere Verstörung über die Zustände in Russland nicht auf die Außenpolitik durchschlägt. Die Akzeptanz unserer Werte durch andere darf nicht Bedingung für unsere Außenpolitik sein. An dieser Erkenntnis kommen wir leider nicht vorbei; sonst können wir zwei Drittel der Staaten dieser Welt nicht mehr besuchen oder mit ihnen den Kontakt aufrechterhalten. Wir haben sehr oft über den Begriff der „wertebezogenen Außenpolitik“ gesprochen. Aber damit geraten wir - wir sehen das in der Ukraine, in Belarus und in Russland - leider zu oft auf Traumpfade statt auf Wege, die in die Zukunft führen. Wir werden von außen leider wenig verändern. Wo das versucht wurde, ist es meistens furchtbar schiefgegangen: in Libyen, Irak, Syrien und anderswo. Viele Probleme, die wir jetzt haben, sind aus der Vorstellung entstanden, wir könnten einen Regime Change bewirken. Die russische Innen- und Außenpolitik ist nicht mit den Anforderungen des 21. Jahrhunderts kompatibel. Man glaubt in Russland offenbar, einen äußeren und inneren Feind zu brauchen. Das ist - das sage ich ganz deutlich - kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche. Gestern hat der russische Finanzminister, Herr Siluanow, die Haushaltsplanung für die nächsten drei Jahre vorgestellt. Ich empfehle sehr, sich das anzugucken. Er höchstpersönlich, nicht etwa die CIA oder jemand anderes, erklärt, dem Staat gehe das Geld aus; sie müssten das Haushaltsbudget kürzen und nicht nur die Rüstungsausgaben senken, sondern auch Renten und Sozialleistungen kürzen. Die Wirtschaft schrumpft dieses Jahr um 3 Prozent. Die Inflationsrate beträgt 16 Prozent, und es gibt, so der russische Finanzminister, einen Kapitalabfluss von 30 Milliarden Dollar im ersten Quartal dieses Jahres. Bezogen auf das ganze Jahr rechnet er mit 90 Milliarden bis 100 Milliarden Dollar. Das kennzeichnet exakt den Schwächezustand, in dem sich Russland befindet und der nur zu einem kleinen Teil durch Sanktionen verursacht wurde. Das moralische Koordinatensystem in Russland ist durcheinandergeraten. Vor allem das steht der dringend notwendigen Modernisierung Russlands entgegen, ist aber mit Mitteln unserer Außenpolitik nicht zu ändern. Ich habe keine Sorgen: Die westliche Wirtschaftskraft und Innovationskraft sind denjenigen Russlands haushoch überlegen. Wir müssen uns darüber keine Sorgen machen, sondern nur auf die veränderte Lage reagieren. Wenn man auf russischer Seite glaubt, ökonomische Schwäche durch militärische Kraftmeierei kompensieren zu können, so müssen wir uns auch sicherheitspolitisch darauf einstellen, und ich habe den Eindruck, dass wir das tun. Der Vorrang der Diplomatie in der Außenpolitik gibt uns im Verhältnis zu Russland vor, erstens die Lage realistisch zu beurteilen und die notwendigen Schlüsse zu ziehen und zweitens Russland weiter das Angebot einer Zusammenarbeit zu machen, sofern selbstverständlich die Regeln der europäischen Nachkriegsordnung eingehalten werden. Dies tut die Bundesregierung offensichtlich, auch wenn das Gedränge auf der Regierungsbank im Moment nicht gerade furchterregend ist. ({0}) Wir werden deshalb die aktuelle Krise gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten bestehen. Daran habe ich keinen Zweifel. Danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Stefan Liebich, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Reden klingen heute sehr ähnlich, und in einer solchen Debatte muss das nichts Schlechtes sein. Wenn Außenminister Steinmeier und auch viele andere sagen, dass das Wichtigste ist, dass die Urheber dieses Verbrechens gefunden und in einem transparenten und rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden müssen, dann benennen sie das, was jetzt notwendig ist. Trotzdem klingt hier bei vielen Rednern ein gewisser Zweifel an. Herr Jung hat das angesprochen, auch Frau Beck hat das angesprochen. Die Liste derjenigen, die ihr Leben in Russland bereits verloren haben, ist genannt worden. Man muss natürlich besorgt sein, ob die Aufklärung dieses Mordes gelingt. Nur dadurch wird es möglich sein, den jeweiligen Mutmaßungen, die es jetzt auf allen Seiten gibt, etwas entgegenzusetzen. Auch ich möchte, wie Herr Erler es am Beginn seiner Rede gemacht hat, darüber sprechen, wie sich das Klima in Russland entwickelt hat. Ich denke, das gehört zu diesem Thema; denn das raue Klima in Russland in diesen Tagen ist der Nährboden, auf dem diese Gewalt entsteht. Ich möchte jemanden zitieren, der Russland und Moskau deutlich besser kennt als ich: Wladimir Kaminer hat dieser Tage im ZDF ein Interview gegeben, das sehr deutlich war. Sie kennen Wladimir Kaminer: in Moskau geboren, in Berlin Erfinder der „Russendisko“. Er sagte: Menschen sterben. Zuerst wurde in der Ukraine scharf geschossen, und Tausende Russen und Tausende Ukrainer haben dort ihr Leben gelassen, und jetzt wird auch vor dem Kreml scharf geschossen. Die Macht der vom Staat gelenkten Medien trägt ganz sicher daran Schuld. Beinahe jede Woche, jeden Tag wird die politische Opposition diffamiert. Sie haben jede vernünftige Kritik an der Politik der Regierung gleich als Heimatverrat abgestempelt und haben diese Menschen als fünfte Kolonne und als amerikanische Spione geschmäht. Durch diese Propaganda, durch diese unsägliche Propaganda, die alles Böse in den Menschen hervorgerufen hat, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, diese Hetze gegen westliche Werte, drehen viele Menschen durch. - So hat Kaminer es beschrieben. ({0}) Ja, es ist schrecklich, dass so ein Klima in Russland entstanden ist, und das hat Konsequenzen. Lew Schlossberg, der Verleger der Zeitung Pskovskaya Guberniya, wurde am 29. August letzten Jahres krankenhausreif geprügelt. Die drei Angreifer wurden nicht identifiziert. Elena Klimowa, die Gründerin des Onlineportals Children 404, das sich um lesbische, schwule und Transgender-Jugendliche kümmert, wurde wegen „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen“ angeklagt. Auch Folter ist ein Thema in Russland. Im aktuellen Jahresbericht von Amnesty International heißt es zu Russland: Nach wie vor wurden Menschen gefoltert und misshandelt, ohne dass die Täter mit Bestrafung rechnen mussten. Folter, deren Straflosigkeit, Einschränkung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Hasspropaganda gegen Andersdenkende und Minderheiten das gibt es nicht nur in Russland, aber das gibt es auch dort. Wir messen nicht mit zweierlei Maß. Wir kritisieren das, wo immer es geschieht. ({1}) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, es ist richtig, Kritik zu üben, und es ist notwendig, Kritik zu üben, aber - da möchte ich an Herrn Wellmann anknüpfen - wir werden Nachbarn bleiben, wer immer dort oder hier gerade regiert. Wir müssen einen Weg finden, miteinander umzugehen, auch wenn es manchmal nicht leicht ist. Da erscheint es mir notwendig, dass Gesprächskanäle genutzt und nicht geschlossen werden. Es ist ein Fehler aus meiner Sicht, die G-8-Runde in eine G-7Runde zu verwandeln, es ist ein Fehler aus meiner Sicht, den NATO-Russland-Rat gerade dann zu suspendieren, wenn man ihn am dringendsten braucht. ({2}) Ich finde es richtig, dass sich die Obleute im Auswärtigen Ausschuss und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses entschieden haben, gerade jetzt die Duma und auch die Rada zu besuchen. Es ist notwendig, weiter im Gespräch zu bleiben. Ich möchte mit einem Punkt schließen, den Herr Gehrcke und Frau Beck hier angesprochen haben. Wir können selber etwas tun. Wir sollten endlich die Visafreiheit einführen. Wir haben das in der letzten Wahlperiode diskutiert, und wir waren schon ziemlich weit. Es geht nicht um ein Lob für Wladimir Putin oder für seine Regierung. Weltanschauung entsteht dadurch, dass man sich die Welt anschauen kann. Ich denke, wir sollten diese Chance den Russinnen und Russen einräumen. ({3}) Haben wir keine Angst vor unseren Nachbarn, öffnen wir uns! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Franz Thönnes, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schüsse auf Boris Nemzow waren ein kaltblütiger und kalkulierter Mord. Dieser Mord macht es schwierig für eine friedliche Entwicklung in Russland, er macht es schwierig für einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der notwendig ist, und er macht es auch schwierig für uns, mit einem Russland umzugehen, in dem ein derartiges Klima herrscht. Wir denken an Boris Nemzow heute, an seine Familienangehörigen, mit denen wir trauern, und an seine mutigen Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Russland. Unser Mitgefühl ist bei ihnen. Boris Nemzow ist mit seinem Tod auch ein Opfer des in den letzten Jahren sich zunehmend verschlechternden Klimas geworden. Die Vorredner haben darauf hingewiesen: wachsender Nationalismus, Wahrheiten, Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten und der Medienrechte, die Unterdrückung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen bis hin zu der Notwendigkeit, sich zu einem ausländischen Agenten zu erklären, wenn man bürgerrechtlichen Selbstverständlichkeiten nachkommen will. Hinzu kam der propagandistische und mediale Aufbau einer Mehrheitsmeinung, die diejenigen, die nur etwas abweichen, die Fragen stellen, die etwas infrage stellen, die andere Vorschläge haben, am Ende zu Staats- oder Volksfeinden erklärt. Medienberichten nach soll der angesehene ehemalige Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin dazu gesagt haben, der Mord an Boris Nemzow zeige, dass die Gesellschaft krank vor Hass sei. Das sind Worte, die aus Russland selbst kommen und den Zustand beschreiben. Ich will mich nicht wie andere auch - es ist gut, dass wir das nicht machen - an irgendwelchen Spekulationen über mögliche Täter beteiligen. Die Aufklärung und die Strafverfolgung liegen bei den verantwortlichen Behörden in Russland selbst. Ich hoffe, dass die Aufklärung diesmal konsequenter und ergebnishaltiger erfolgt als bei den Morden im politischen Bereich, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben. Auch deswegen stellt sich jetzt die Frage, die heute an uns alle gestellt wird: Welche Auswirkungen hat dies auf die Politik Russlands? Daran knüpft nämlich der Titel unserer heutigen Debatte an. Ich habe hier keine Glaskugel vor mir. Vielmehr glaube ich, wir müssen bei dem Versuch, dies zu beantworten, natürlich auf die Geschichte der letzten acht bis zehn Jahre zurückblicken. Aber ich will auch dazu sagen: Keiner von uns, auf beiden Seiten, kann behaupten, zu jeder Zeit an jedem Tag alles richtig und nichts falsch gemacht zu haben. Umso mehr knüpfe ich an dem an, was jetzt eine gute Grundlage ist, nämlich am Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015. Dieses Abkommen sollte uns die Möglichkeiten geben, schrittweise in eine friedlichere Zukunft in Europa zu gehen. Das, was die vier Staatschefs, aus Frankreich, aus der Ukraine, aus Russland und die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, unterzeichnet haben, ist eine gute Grundlage als Ergänzung zu dem Maßnahmenpaket und als Hilfe zu dessen Umsetzung. Weil das die erste Debatte dazu ist, die wir nach dem 12. Februar 2015 führen, will ich an dieser Stelle der Bundesregierung, der Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister einen großen Dank sagen für die Beharrlichkeit der Bemühungen, hier eine neue Vereinbarung zustande zu bringen, die eine gute Grundlage für eine friedlichere Entwicklung bietet. ({0}) In dieser Vereinbarung heißt es unter anderem: Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE. Das ist das, was wir mit russischen Kolleginnen und Kollegen diskutieren müssen: Wie soll das ausgefüllt werden? Was bedeutet das konkret für uns? Wie stärken wir gemeinsam die OSZE? Wie kommen wir gemeinsam dazu, diese Vorstellungen auch umzusetzen? - Das ist nicht nur eine Frage von Putin. Dies ist auch eine Frage für die Parlamentarier, dies ist eine Frage, die ebenso in die Gesellschaften hinein gestellt werden muss. Das bedeutet, neues Vertrauen zu entwickeln, und das bedeutet, daran zu arbeiten, wie wir es jetzt in der OSZE machen, wenn wir Ende dieses Monats in der Pfalz mit ukrainischen Kollegen, mit russischen Kollegen, mit deutschen Kollegen, mit französischen Kollegen zusammenkommen und auch vor dem Hintergrund von Kriegserfahrungen diskutieren, wie sich eine friedlichere ZuFranz Thönnes kunft entwickeln kann. Vielleicht setzen wir das im Herbst in der deutsch-dänischen Grenzregion fort. Das bedeutet auch, mehr Besuche zu organisieren, mehr Diskussionen mit Parlamentariern durchzuführen. Das bedeutet, gemeinsame Interessen auszuloten, damit wieder Kalkulierbarkeit entsteht, damit man weiß, was der andere denkt und wie der andere denkt und welche Zukunftsperspektiven man hat und wie Konflikte friedlich gelöst werden können. Eigentlich sollte das im 40. Jahr nach Helsinki eine der Hauptaufgaben sein, die zu erfüllen sind. Die 6 000 deutschen Unternehmen, die gut 1 000 deutsch-russischen Schulpartnerschaften, die 90 deutschrussischen Städtepartnerschaften, die Weiterentwicklung des Petersburger Dialoges, all das können gute Grundlagen sein, die auch nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Deswegen bin ich sehr dafür, dass auch die Hindernisse ausgeräumt werden. Das ist jetzt keine Idee nur von den Kolleginnen und Kollegen der Linken oder auch der Grünen. Vielmehr waren wir Außenpolitiker uns alle gemeinsam einig; schließlich haben wir schon in den vergangenen Jahren in einer Arbeitsgruppe gemeinsam dafür gearbeitet, dass Visaliberalisierung und Visafreiheit stattfinden müssen, ({1}) damit die Menschen kennenlernen können, wie Gesellschaften funktionieren, damit man unterschiedliche Wahrheiten und unterschiedliche Sichtweisen kennenlernt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen will ich schließen:

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Gut.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Der Tod von Boris Nemzow mahnt nicht nur Russland, sondern er mahnt die Verantwortlichen in Russland, dass es Sicherheit in einer Gesellschaft nur geben kann, wenn ein Klima des guten Umgangs und der Offenheit da ist, wo Regierung und Opposition um den richtigen Weg streiten, wo sich die Zivilgesellschaft frei und ohne Angst und ohne Repression bewegen kann und wo die Menschen ihre Bürgerrechte nutzen können. Daran gilt es zu arbeiten, und darüber gilt es mit russischen Kolleginnen und Kollegen sehr intensiv zu diskutieren. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Boris Nemzow, das war heimtückischer Mord. Hier ist jemand umgebracht worden - das lässt uns fassungslos zurück wegen seines politischen Wirkens, wegen seiner Überzeugung. Wir wissen nicht, wer dafür verantwortlich ist. Wir sind pessimistisch, ob das aufgeklärt werden wird, aber wir beharren auf der Forderung, dass es eine rückhaltlose und umfassende Aufklärung geben muss. Wir wissen aber auch, in welchem gesellschaftlichen Klima dieses passiert ist. Die Abgrenzung Russlands nach außen spiegelt sich in einer innergesellschaftlichen - nicht nur innerstaatlichen - Feinderklärung gegen alles Abweichende wider. ({0}) Und dann gehört das ganze System dazu: dass die Pressefreiheit nicht mehr gewährleistet ist, dass kritische Medien verstaatlicht, gleichgeschaltet oder so unter Druck gesetzt wurden, dass sie schließen mussten. Dazu gehört, dass diejenigen, die bei der dritten Amtseinführung von Präsident Putin beim „Marsch der Millionen“ zu Tausenden auf die Straße gegangen sind - viele von denen haben bei den ersten beiden Wahlen noch Putin gewählt -, massiv kriminalisiert worden sind, wie es Alexej Nawalnyj geschehen ist. Dann fragt man sich, wie es kommen kann, dass es unter solchen Bedingungen nach wie vor so ist, dass Putin, ja, die Zustimmung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung - manche sagen: 85 Prozent - hat. Aber es gilt der Satz „Propaganda tötet“. Das stand auf einem der Plakate beim Gedenkmarsch am Sonntag. - Das ist der Kern des Problems. Boris Nemzow wusste das sehr gut. Er hat gesagt: … die Zensur muss beendet werden, damit die schreckliche Propaganda aufhört. Die Lügen haben der russischen Bevölkerung den Verstand geraubt. ({1}) Das war übrigens einer seiner letzten Sätze, nur knapp vier Stunden vor seinem Tod. Was heißt das - Sie haben ja recht, Herr Thönnes; wir können nicht in eine Glaskugel gucken, aber wir können uns das selber fragen - für eine Politik in Europa, die zu Recht immer wieder betont hat, dass Russland ein Partner, kein Gegner ist, die von der Erkenntnis, ich glaube, aller Fraktionen dieses Hauses, ausgeht, dass es Sicherheit und Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben wird? Ich glaube, es müssen auch Positionen überprüft werden. Manche haben gesagt: Putin, war das nicht ein Fortschritt gegenüber Jelzin, da er doch das Chaos beendet hat? Ja, er hat das Chaos beendet; nur: Wenn man die Bandenkriege der Oligarchen durch eine Tyrannei und die umfassende Macht des Geheimdienstes beendet, ({2}) dann herrscht noch keine Ordnung. ({3}) Ordnung herrscht erst auf der Basis des Rechts. Es hat diejenigen gegeben, die gesagt haben: Man muss Russland wirtschaftlich öffnen, und dann entsteht so etwas wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. ({4}) Dieser Mechanismus ist in Russland widerlegt worden. Die politische Legitimation hat sich abgelöst vom wirtschaftlichen Wohlergehen. ({5}) Ich glaube, das zeigt uns: Wir müssen uns in unserer Politik gegenüber Russland auch ein Stück überprüfen. ({6}) Das heißt nicht, dass man alles glauben muss, was von Russland kommt: die Märchen von der Einkreisung, das „sie“ und „wir“, mit dem Putin sich rechtfertigt. Es ist nicht wahr, dass es ein böser Akt der Aggression gewesen ist, dass die baltischen Staaten der NATO beigetreten sind. Vielmehr ist dies mit Zustimmung Russlands, der höchstpersönlichen Zustimmung Wladimir Putins, und zusammen mit der Einrichtung des NATO-Russland-Rates geschehen. ({7}) Ich sage auch - da mag ich mich von manchen Stimmen jenseits des Atlantiks unterscheiden - sehr deutlich: Wir haben kein Interesse an einem wirtschaftlich ruinierten Russland. Ein „wirtschaftliches Wettrüsten“ liegt nicht in unserem Interesse. 145 Millionen Russen, die sich von Europa ausgegrenzt und abgegrenzt fühlen das kann nicht in unserem Interesse sein. ({8}) Deswegen gilt für uns: Ja, machen wir die Tore auf, stehen wir nicht nur zu Minsk 2, sondern reißen wir endlich die bisher praktizierte Form der Visapolitik ein, öffnen wir uns den russischen Bürgerinnen und Bürgern, schaffen wir Luft unter der Miefglocke, unter dieser Betondecke der Propaganda, die über Russland gelegt worden ist! ({9}) Ich will ausdrücklich sagen: Ich halte den Vorschlag der Bundeskanzlerin, des Bundesaußenministers und des Bundeswirtschaftsministers für richtig, so etwas wie eine Freihandelszone zu schaffen. Ich finde es fahrlässig, wenn in der Europäischen Kommission versucht wird, die Frage des Handels aus dem Zusammenhang der Assoziierung mit der Ukraine herauszunehmen. Das ist das falsche politische Signal. Aber ich füge hinzu: Freihandel wird es nachhaltig und dauerhaft nur dort geben, wo die Herrschaft des Rechts gilt. Das gilt nicht automatisch. Wir müssen offen sein gegenüber den russischen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch fest auf der Grundlage des Rechts und der Menschenrechte stehen. So geht Europa. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Tod von Boris Nemzow ist der Opposition in Russland - insbesondere der außerparlamentarischen Opposition - eine Identifikationsfigur genommen worden. Der russischen Bevölkerung ist Hoffnung genommen worden - Hoffnung auf die Aussicht, sich zivilgesellschaftlich in der Opposition für ein besseres Russland engagieren zu können. Er war kein Angehöriger der Nomenklatura, sondern jemand, der sich, ausgehend von Tschernobyl 1986, um Missstände in Russland gekümmert hat. Ihm lag Korruptionsbekämpfung und Bekämpfung von Machtmissbrauch von Anfang an am Herzen. Nun ist er der vorläufig letzte politisch Ermordete in einer langen Kette. Namen wurden genannt; ich erwähne nur: Politkowskaja und Magnitskij. Er war jemand, der sich im Bewusstsein engagiert hat, Risiko auf sich nehmen zu müssen und - auch wider Willen - Identifikationsfigur zu sein. Wir haben heute geradezu fraktionsübergreifend ein Signal nach Russland gesendet. Am 25. September 2001 hat Putin von dieser Stelle aus die gemeinsame europäische Kultur beschworen. Er hat seinerzeit - sicherlich noch unter dem Eindruck des 11. September - Sicherheitsherausforderungen angesprochen. Auch im Jahr 2007, wo er in München sprach, deutete er an, dass er Felder der Zusammenarbeit sieht. Er hat sich von dem seinerzeit von Gorbatschow vorgeschlagenen „gemeinsamen Haus Europa“ nicht nur verabschiedet, sondern die russische Gesellschaft von den europäischen Werten der Toleranz, der Meinungsvielfalt und vor allen Dingen der Rechtsstaatlichkeit abgegrenzt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir zeigen heute in Richtung Russland, dass wir noch Hoffnung für die russische Zivilgesellschaft sehen, dass wir nicht wolRoderich Kiesewetter len, dass Russland in eine Diktatur der Dunkelheit und der Unterdrückung zurückfällt. Die russische Außenpolitik läuft Gefahr, sich noch mehr zu isolieren. Der Mord hat gezeigt, dass das Gewaltmonopol - wer auch immer dafür verantwortlich ist - offensichtlich nicht in den Händen des Rechtsstaates liegt, sondern dass der russische Staat durch das Klima der Unterdrückung, das er geschaffen hat, zugelassen hat, dass so etwas passieren konnte. Ich beteilige mich nicht an Verschwörungstheorien. Wir müssen aber Antworten finden, Antworten, mit denen wir uns nicht auf das Niveau der gegenwärtigen russischen Politik begeben. Diese Antworten müssen - ich sage das ganz bewusst - asymmetrisch sein. Unser Außenminister und unsere Bundeskanzlerin haben bereits Antworten gegeben, die deutlich machen, dass wir auf Verhandlungen setzen und dass wir gegenüber Russland klarmachen: Es geht darum, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde durchzusetzen. Vielleicht müssen wir mit Blick auf den Europarat andere Antworten geben als in den letzten Monaten: Möglicherweise muss man Russland dort Sitz und Stimme wiedergeben und es zur Verantwortung ziehen. Möglicherweise muss man den Europarat beauftragen, entsprechende Untersuchungen durchzuführen, und auch den europäischen Menschengerichtshof einbeziehen. Es ist heute mehrfach das Thema der Visaliberalisierung angesprochen worden. Das ist kein Wert an sich. Aber: Was wirkt denn mehr, als wenn junge russische Menschen, Wissenschaftler, junge Familien, die Chance haben, für einige Wochen Mitteleuropa kennenzulernen, zu spüren, was es heißt, in einer Stadt wie Berlin, München oder Paris Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und Vielfalt zu erleben und kein Klima der Unterdrückung? Es stimmt mich auch sehr nachdenklich, wenn in einer Stadt mit 12 Millionen Einwohnern aus Anlass der Ermordung Nemzows gerade einmal 50 000 Menschen auf die Straße gehen, während in Paris, das deutlich kleiner ist, 2 Millionen Menschen gegen die Anschläge gegen Charlie Hebdo und jüdische Einrichtungen demonstrieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Antwort kann nur heißen: Fortsetzung der Verhandlungen, Verschärfung der Sanktionen, Aufklärung des Verbrechens, Stärkung der russischen Zivilgesellschaft und - mit Blick auf unsere eigene Gesellschaft - uns aufzustellen gegen die Desinformation und Propaganda Russlands, die nicht Meinungsvielfalt ist, sondern die Verhinderung von Meinungsvielfalt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns den Weg, den die Bundeskanzlerin und Außenminister Steinmeier mit dem Minsker Abkommen eingeschlagen haben, fortsetzen. Das Minsker Abkommen muss umgesetzt werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein charismatischer, ein glaubwürdiger Oppositionsführer ist am vergangenen Freitag in Moskau in Sichtweite des Kremls ermordet worden. Boris Nemzows gewaltsamer Tod ruft allen, die an den Geschehnissen in Russland und der Entwicklung des Landes Anteil nehmen, die anderen in Erinnerung, die unter nie befriedigend geklärten Umständen dort und im Ausland zu Tode gekommen sind und die durch ihre oppositionelle Haltung gegenüber der Staatsmacht miteinander verbunden waren. Es war deswegen gut und richtig, dass mehrere Kollegen heute - Frau Beck, Herr Jung, Herr Kiesewetter - an Persönlichkeiten wie Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa erinnert haben. Die starke öffentliche Reaktion in Russland selbst - die Menschen in Moskau sprechen davon, dass weit mehr als die offiziell geschätzten 20 000 an dem Trauerzug für Nemzow teilgenommen haben - und die Reaktionen von Präsident Putin und Ministerpräsident Medwedew zeigen, dass der Tod Nemzows ein Ereignis von besonderer Bedeutung ist. Theorien über die Urheber und die Nutznießer kursieren reichlich, die einen mit der Tendenz, die Staatsmacht, ihre selbsternannten Helfershelfer und letztlich Präsident Putin für Nemzows Tod verantwortlich zu machen. Andere tragen Entlastungsangriffe, Gegenangriffe vor. Es hat überhaupt keinen Sinn, dass wir uns an solchen Mutmaßungen beteiligen. Für uns ist doch wichtig, zu prüfen und darüber nachzudenken, was gerade diesen Mord zu diesem Zeitpunkt so bedeutungsvoll erscheinen lässt. Uns allen ist doch klar - das zeigt auch das von Herrn Liebich angeführte Zitat von Kaminer -, dass der Ukraine-Konflikt den Rahmen dafür abgibt. Es ist dieser Konflikt, dem Präsident Putin seinen zurzeit großen Rückhalt in der russischen Bevölkerung verdankt. Und es ist dieser Konflikt, weswegen Nemzow den Präsidenten immer wieder mit scharfen Worten angegriffen hat. Er war einer der wenigen, die das wagten. Schon dieser Umstand genügt, um die Trauer um Nemzow auch mit Wut und Misstrauen aufzuladen. Stark muss der Mord an Nemzow aber auch auf diejenigen wirken, die von außen auf Russland schauen und denen sich seit Beginn des Ukraine-Konflikts der erschreckende Eindruck vermittelt, dass dieser große Nachbar unberechenbar geworden ist. Dies sind außer der Ukraine selbst vor allem die baltischen Staaten, besonders Estland und Lettland. Diese kleinen Länder, die seit den livländischen Kriegen im 16. Jahrhundert als Russlands Tor zur Ostsee zum Imperium gehörten, können ja gar nicht anders, als die Geschehnisse in der Ukraine auch als unmittelbare Bedrohung für ihre junge Unabhängigkeit aufzufassen. In beiden Ländern gibt es nennenswerte russischsprachige Minderheiten, die als Vorwand für eine hybride Kriegsführung nach dem Vorbild der Besetzung der Krim herhalten könnten. Jedes Signal der Instabilität aus Moskau wird hier aufmerksam registriert, immer verbunden mit der Frage, ob irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem sie zur Zielscheibe einer Regierung werden, die mit einem auswärtigen Konflikt ihre inneren Probleme zuzudecken versucht. Diese Sorge motiviert unterschwellig die Außen- und Bündnispolitik im Baltikum seit seiner Unabhängigkeit. Hier liegt doch der Grund für das Streben in die NATO, das zugleich von russischer Seite als schlagender Beleg für deren Einkreisungstheorie angeführt wird. Hier liegt auch der Grund, warum Estland vor acht Tagen seine Unabhängigkeit mit einer Militärparade ausgerechnet in der russischsprachigen Grenzstadt Narva gefeiert und dazu auch britische und amerikanische Soldaten eingeladen hat. ({0}) Es ging darum, sich selbst, der eigenen Bevölkerung und natürlich auch dem potenziellen Gefährder, Herr Gehrcke, zu signalisieren, dass Estland im Notfall eben nicht alleine dastünde. Am folgenden Tag, heute vor einer Woche, antwortete Russland dann auf diese NATOParade zum estnischen Nationalfeiertag mit grenznahen Manövern. Heute treffen sich in Riga die Außen- und Verteidigungsexperten der europäischen Parlamente und unterstreichen so auf Einladung der lettischen Ratspräsidentschaft die Solidarität der EU mit den baltischen Mitgliedstaaten. Mitten in diesem sensiblen Umfeld erreicht uns die Nachricht vom Mord an Boris Nemzow. Meine Damen und Herren, in einer solchen Zeit, in der das scheinbar Festgefügte bedrohlich zu wanken beginnt, ist es an uns, durch eine Politik der Verlässlichkeit unseren Verbündeten Rückhalt zu geben. Mit Sanktionen reagiert Europa auf die Verletzungen der völkerrechtlichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine und auf die Verletzung der KSZE-Schlussakte, und die NATO hat den Aufbau einer Eingreiftruppe beschlossen, die in der Lage sein wird, sehr schnell auf jede Bedrohung in Osteuropa zu reagieren. Beides ist richtig. Wir zeigen damit, dass wir Unrecht nicht hinnehmen, uns selbst aber an das gebunden fühlen, was die NATO mit Russland vereinbart hat. Ob es ausreicht, muss die Zukunft zeigen. Die EU wird immer bestrebt sein, Russland für eine europäische Friedensordnung zurückzugewinnen. Europa braucht ein nach innen wie nach außen stabiles, in sich ruhendes Russland als zuverlässigen Partner. Aber die Ermordung des bedeutenden Oppositionsführers Nemzow trägt nicht dazu bei, Vertrauen in den russischen Staat und seine Führung wiederaufzubauen. Wir wollen uns deshalb umso mehr wünschen, dass dieser Staat die Kraft findet, das Verbrechen vollständig aufzuklären. Dem Toten selbst, der eine in vielfältiger Hinsicht beeindruckende Persönlichkeit war, sei aus dem Deutschen Bundestag mit Worten Puschkins für seine Lebensleistung gedankt. Boris Nemzow hat „in grausamer Zeit die Freiheit gepriesen“ - „w swoj schestokij wek on wosslawil swobodu“ -, und er hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Name Boris Nemzow reiht sich in eine lange Liste von motivierten und engagierten Politikern, Journalisten und Bürgerrechtlern ein. Ich halte es für richtig und angemessen, ihre Namen immer wieder, auch in dieser Aktuellen Stunde, zu wiederholen, um ihrer zu gedenken: Sergej Juschenko, Paul Klebnikov, Aleksandr Litwinenko, Anna Politkowskaja, Stanislaw Markelow, Natalja Estemirowa. Sie alle mussten für ihre kritischen Worte mit ihrem Leben bezahlen. Kurz vor seinem Tod gab Nemzow dem Radiosender Moskauer Echo sein letztes Interview. Darin übte er scharfe Kritik am Kreml. Er verurteilte die Annexion der Krim als Verletzung des Völkerrechts, die Sanktionen, denen Russland ausgesetzt ist, und die damit verbundene Kapitalflucht - all das wegen Putins unsinniger Aggression gegen die Ukraine, so Nemzow. Redefreiheit, Gedankenfreiheit, Versammlungsfreiheit - für diese Freiheitsrechte musste er sterben. Der Mord an Nemzow beleuchtet schonungslos den aktuellen Zustand Russlands. Die russische Gesellschaft ist tief gespalten. Es gibt eine winzige Minderheit, die auf hemmungslose Weise ihren Reichtum demonstriert, und demgegenüber eine überwältigende Mehrheit der russischen Bevölkerung, die in trostloser Armut lebt. Doch jegliche Diskussion darüber, jegliche Kritik wird im Keim erstickt. Durch die Kriminalisierung der Opposition bei gleichzeitiger Stärkung nationalistischer Kräfte entsteht ein aggressives Klima von Hass und Hysterie. Der Kollege Vaatz wies mich gerade auf ein Zitat des Vizedekans der Moskauer Hochschule hin. Dieser sagte zum Tod von Nemzow allen Ernstes: „Ein Miststück weniger“, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. So viel, um Ihnen ein Bild zu geben von dem Hass und der Hysterie in diesem Russland von heute. Wie kann ein Dekan einer Hochschule so etwas sagen? Das ist der Nährboden, auf dem politischer Mord gedeiht. Wer immer diesen Mord begangen haben mag: Die politische Verantwortung für dieses Klima trägt das herrschende Regime im Kreml. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die gewaltige staatliche Propagandamaschinerie in der Bevölkerung durchaus Wirkung zeigt. Die klassische Rhetorik vom Freund-Feind-Denken mündet in einer Selbstisolation Russlands, in einer Abschottungspolitik, weil man sich von ausländischen Feinden bedroht fühlt. Der erfolgreiche Kampf gegen die vorgegebene Dekadenz des Westens mit den damit verbundenen Wertvorstellungen kann allein durch das russische Volk geführt werden; das ist der Gegenstand der Propaganda. Es heißt, der russische Bär werde von allen bedroht und von den Truppen der NATO eingekreist. „Die ganze Welt hat sich gegen unser Russland verschworen“, so wird dort geredet. Jeder vernünftige Mensch erkennt das Zerrbild der Wirklichkeit. Dennoch bleibt uns nichts anderes übrig - mehrere Redner, und zwar parteiübergreifend, haben dies zu Recht gefordert, und das ist auch gut so -, als den Dialog mit Russland zu suchen, den Dialog mit den Herrschenden, aber besser noch: den Dialog mit den Beherrschten, mit der Zivilgesellschaft. Das müssten wir tun. ({0}) Dabei kommt der Reform des Petersburger Dialogs eine entscheidende Bedeutung zu. ({1}) Das ist das Format - das ist von einigen zu Recht gesagt worden -, das wir jetzt für eine konstruktive Verständigung brauchen. Deutschland hat ein Interesse an einem gesunden Russland. Deutschland hat ein Interesse an einem Russland in Frieden und Freiheit in einem zusammenwachsenden Europa; alles andere wäre töricht. Hoffnung und Mut, immer neue Anläufe zu wagen, gibt der Protestmarsch Zehntausender von Bürgern am letzten Sonntag in Moskau. Wir sollten nicht beklagen, dass es nur wenige Zehntausend waren. Bei diesem Klima von Hass und Hysterie ist das kein Wunder. Wir sollten froh sein, dass es so viele waren, die den Mut und die Zivilcourage aufgebracht haben, auf die Straße zu gehen. Diese Menschen mit ihren Fahnen, die Patrioten Russlands dürfen wir in Europa nicht enttäuschen. Danke schön. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit etwa 17, 18 Jahren reise ich regelmäßig in unterschiedlichster Funktion - auch privat - nach Russland. In diesen Tagen muss ich oft an eine Begegnung aus dem Jahre 1998 denken: In einer Kellerwohnung in Moskau hatte sich eine Gruppe aus der Region Trier/Luxemburg spontan mit der Touristenführerin getroffen, die uns vorher die Stadt nahegebracht hat. Ich erinnere mich daran, mit welcher Begeisterung diese junge Frau davon sprach, in ihrem Land endlich wieder frei reden zu können. Sie hielt 1998 förmlich eine politische Rede. Vor allen Dingen war sie davon überzeugt - das sagte sie damals -, dass dies Russland auch nie wieder zu nehmen sei. Unsere Touristenführerin hat sich allerdings gewaltig getäuscht, und ich gebe zu, ich auch. Der hinterhältige politische Mord an Boris Nemzow führt der Welt erneut vor Augen, in welchem innenpolitischen Klima sich Russland wieder befindet. Mehr denn je drohen gesellschaftliche Spaltungen, Ausgrenzungen und Repressalien für alle diejenigen, die dem Hauptstrom jetzt nicht mehr folgen. So viele Nachrichten, die uns aus Russland erreichen, sind schlichtweg bedrückend, vor allen Dingen für die Menschen, die eine enge Beziehung zu diesem Land haben. Wir empfinden es als bedrückend, was wir dort hören. Wir ringen in Europa mit der unberechenbar gewordenen Außenpolitik Putins. Doch auch im Innern hat sich vieles verändert: rückwärts und nicht zum Guten gewandt. Viele Menschen in Russland leiden unter dieser Politik des letzten Jahrhunderts. Russland ist wieder an einem Punkt angekommen, an dem es eben gefährlich ist, im Land frei zu reden. Trotz des wachsenden nationalen Stolzes, den man vor Ort in Russland jetzt tatsächlich erleben kann, bin ich davon überzeugt, dass die Kreml-Spitze kein Spiegelbild der russischen Gesellschaft ist. Die russische Gesellschaft war schon seit langem und ist auch heute weiter als die Kreml-Spitze und ihr Präsident. Man muss nur mit Studenten, mit der Wirtschaft, mit NGOs, mit denen, die Zusammenarbeit miteinander pflegen, sprechen. Im Umgang mit Russland bleiben nur Gespräche und Diplomatie. Gestern und heute sind Kollegen der russischen Duma bei uns im Bundestag zu Gast gewesen. Wir halten diesen Kontakt auch vor Ort in Russland. Wir suchen den Dialog mit Gesprächspartnern, mit unseren Kollegen in der Duma, aber auch außerhalb der Duma mit der Opposition, mit NGOs. Diese Gespräche und Kontakte mit der Opposition, mit kritischen Medien und Gesellschaftsgruppen werden wir unbeirrt fortsetzen. Bei allen Schwierigkeiten, die dabei oft entstehen, und gerade in einem Klima der wachsenden Angst müssen wir alle diejenigen stärken, die weiterhin in Russland für Freiheit und Demokratie eintreten. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor zwei Jahren waren wir bereits alarmiert, als die Büros der KonradAdenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung - im Visier war auch das Goethe-Institut - durchsucht und Unterlagen und Computer beschlagnahmt wurden. Zu genau diesem Zeitpunkt war ich damals in Moskau. Ich habe erlebt, dass es meinen Gesprächspartnern aus der Wirtschaft, aus der kommunalen Administration und von NGOs schlichtweg peinlich war, was sich damals dort abgespielt hat. Aktuell sind wir erneut mit einem solchen Fall konfrontiert. Einem Vertreter einer unserer politischen Stiftungen soll die Arbeit in Russland unmöglich gemacht werden. Mit Thomas Schneider von der KonradAdenauer-Stiftung hat Russland diesmal ausgerechnet den Leiter eines Projektes, das die Förderung des Dialogs zwischen der Europäischen Union und Russland zum Ziel hat, mit einem Einreiseverbot für viele Jahre belegt. Dieses Projekt wendet sich vor allem dem Jugendaustausch zu. Das ist ein ganz fatales Signal. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller, die sich abseits der großen politischen Differenzen um ein friedliches Miteinander der Völker bemühen. ({1}) Gerade in Anbetracht dieser großen Differenzen auf politischer Ebene gewinnt der Austausch im Bereich der Zivilgesellschaft an Bedeutung. Viele Kolleginnen und Kollegen haben das in der heutigen Debatte gesagt. Sie haben den Jugendaustausch, die Zusammenarbeit der Universitäten, die Städtepartnerschaften, all das, was wir da haben, angesprochen. In diesem Bereich gibt es angesichts der derzeitigen Situation aber viel Verunsicherung. Diejenigen, die sich in diesem Bereich engagieren, müssen wir ermutigen und stärken, weil gerade dieser Austausch in dieser Zeit so wichtig ist. Der brutale Mord an Boris Nemzow muss aufgeklärt werden. Wir müssen den Dialog mit all denjenigen stärken, die nach wie vor mutig für Demokratie, Freiheit und Völkerverständigung eintreten und für die es jetzt so viel schwerer geworden ist. Vielen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde, aber erst am Anfang der Klärung grundlegender Fragen, die die Rednerinnen und Redner heute, wie ich finde, in sehr eindringlicher und nachdrücklicher Weise angesprochen haben. ({0}) Ich denke, die Aktuelle Stunde, wie wir sie heute durchgeführt haben, tut dem Deutschen Bundestag sehr gut. Ich möchte für uns sagen: Der Deutsche Bundestag wird die Aufklärung dieses Verbrechens, des Mordes an Boris Nemzow, mit wachen Augen weiterverfolgen. - Danke. ({1}) Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. März 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.