Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beginnen die heutige Tagesordnung mit dem Zusatzpunkt 4:
Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Finanzhilfen zugunsten Griechenlands;
Verlängerung der Stabilitätshilfe
Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1
i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung
der bestehenden Finanzhilfefazilität zugunsten der Hellenischen Republik
Drucksachen 18/4079, 18/4093
Über diesen Antrag der Bundesregierung werden wir
am Schluss der Debatte namentlich abstimmen.
Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben jeweils einen Entschließungsantrag angekündigt. Diese werden vermutlich gerade gedruckt und sind
dann an den bekannten Stellen einzusehen bzw. mitzunehmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die ich als Bundesfinanzminister vom Deutschen Bundestag erbitte, ist eine Entscheidung, die
keinem Abgeordneten des Deutschen Bundestages
leichtfällt. Es geht - das muss man am Anfang dieser
Debatte sagen - um das zweite Hilfsprogramm für Griechenland, zu dem der Deutsche Bundestag am 27. Februar 2012 seine Zustimmung erteilt hat. Es geht darum,
die Laufzeit dieses Programmes, das eigentlich Ende
vergangenen Jahres abgeschlossen sein sollte, um weitere vier Monate zu verlängern. Wir haben im Dezember
zugestimmt, es um zwei Monate zu verlängern. Es geht
nicht um neue Milliarden für Griechenland, es geht nicht
um irgendwelche Veränderungen in diesem Programm,
sondern es geht darum, zusätzliche Zeit zur Verfügung
zu stellen, einzuräumen, um dieses Programm erfolgreich abzuschließen.
({0})
Die Diskussion vor und nach der Wahl in Griechenland hat diese Entscheidung nicht einfacher gemacht,
auch nicht die Diskussion in den letzten Tagen und Stunden, um auch dies mit aller freundlichen Zurückhaltung
zu sagen. Die Ankündigung, dieses Programm nicht erfüllen zu wollen, kein Programm zu brauchen, ist legitim, aber sie macht es nicht leichter, einer Verlängerung
des Programmes zuzustimmen. Natürlich muss man,
wenn man eine Verlängerung des Programmes will, zunächst einmal sagen, dass man am Programm festhalten
will. Dazu hat es einige Wochen intensiver Beratungen
und Debatten gegeben.
Grundlage des Antrags, den ich an den Deutschen
Bundestag gerichtet habe, ist die Erklärung der griechischen Regierung, ohne jede Vorbehalte, ohne jede Einschränkungen dieses Programm erfüllen zu wollen. Das
ist das, was Griechenland in der gemeinsamen Erklärung
der Euro-Gruppe so akzeptiert hat, die Grundlage für
den Antrag ist. Auch daran muss festgehalten werden.
Klar ist - auch darüber ist viel in Deutschland, in
Griechenland, in Europa diskutiert worden -: Wir sind
alles Demokratien. Griechenland hat einen Wahlkampf
geführt. Das griechische Volk hat eine klare Wahlentscheidung getroffen.
({1})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dessen,
was die Menschen in Deutschland und wir alle, jeder
von uns, bei dieser Debatte empfinden, bin ich heute gar
nicht so richtig - wie sonst - zu Scherzen aufgelegt, um
auch das ganz ruhig zu sagen.
({2})
Griechenland hat in einer erstaunlich schnellen Weise
- wir hätten uns das gar nicht vorstellen können - nach
dem Wahlergebnis eine neue Regierung gebildet. Diese
Regierung hat zunächst Ankündigungen getroffen, von
denen sie inzwischen gesagt hat, sie wolle sie nicht umsetzen, sondern sie wolle das Programm erfüllen, am
Programm festhalten. Das ist die Erklärung, die wir am
19. Februar nach mühsamen Verhandlungen zustande
gebracht haben.
Es gab in diesem Programm natürlich immer die
Überprüfung - das war in jedem Quartal die gleiche Situation -, ob ein Programmland - in diesem Fall Griechenland; wir haben ja fünf Programme gehabt - das erfüllt hat, was es tun muss. Denn unsere Hilfsprogramme
beruhen ja auf dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei
gibt es immer die Möglichkeit für die Regierung, mit
den drei Institutionen, also dem, was wir „Troika“ zur
Abkürzung genannt haben, zu vereinbaren, es ein Stück
weit anders zu machen. Aber das ist eine Beurteilung
dieser drei Institutionen Internationaler Währungsfonds,
Europäische Zentralbank, Europäische Kommission.
Deswegen haben wir natürlich auch gesagt: Griechenland wird jetzt in den kommenden Tagen, Wochen, Monaten Vorschläge machen - es hat eine erste Liste von
Vorschlägen am Montag eingereicht -, wie man die Flexibilität im Programm aus griechischer Sicht nutzen
will. Dazu müssen die drei Institutionen ihre Einschätzung geben; für die Einschätzung müssen sie genau prüfen. Dann wird sich die Euro-Gruppe damit befassen,
und wenn die eine einstimmige Empfehlung gibt, dann
werden wir der Auszahlung der noch ausstehenden
Tranche zustimmen. Aber zuvor muss der Haushaltsausschuss des Bundestages informiert werden. Wenn er
nicht einverstanden ist, wird nicht ausgezahlt, sondern
dann wird das Plenum angerufen und darüber entschieden. Wenn es zu einer Änderung des Programms kommen sollte, müsste zuvor der Deutsche Bundestag zustimmen. So sind die Regeln, und an diesen Regeln wird
sich auch nichts ändern.
({3})
Griechenland hat sich verpflichtet, keinerlei einseitige
Maßnahmen zu ergreifen ohne Abstimmung mit den drei
Institutionen - keinerlei einseitige Maßnahmen, die Auswirkungen auf das Programm hätten. Griechenland hat
sich verpflichtet, alle Gläubiger gleichmäßig, vollständig
und zeitgerecht zu bedienen. Griechenland hat sich
- auch das ist angesichts der Diskussionen, die es gab,
wichtig - verpflichtet, am Primärüberschuss festzuhalten, der notwendig ist, um die Schuldentragfähigkeit zu
erreichen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man muss gelegentlich daran erinnern, warum wir dieses Hilfsprogramm eigentlich brauchen. Griechenland hatte im Jahr
2009 alles Vertrauen bei den internationalen Gläubigern
verloren und keinen Zugang mehr zur Finanzierung
durch die internationalen Finanzmärkte gehabt. Deswegen haben wir Griechenland geholfen, über diese
Schwierigkeit hinwegzukommen.
({4})
- Ja, so ist es, wenn man Geld leihen will. Sie glauben,
es sei einfach, mehr Schulden zu machen. Man muss
aber erst einmal jemanden finden, der einem Geld leiht,
und Griechenland hat niemanden gefunden, der ihm
noch Geld leihen wollte, weil man Griechenland nicht
vertraut hat. Deswegen haben wir gesagt: Dann helfen
wir Griechenland, bis es wieder das Vertrauen der
Finanzmärkte gewinnt.
Insofern hat das alles auch mit der Bedienung von
Bankverbindlichkeiten zu tun. Das ist wahr. Aber ohne
dass Bankverbindlichkeiten erfüllt werden, bekommt
man keine neuen Mittel zur Verfügung. Das ist gar nicht
so kompliziert. Man muss nur den Inhalt begreifen.
Deswegen muss Griechenland in die Lage versetzt
werden - dafür braucht Griechenland wahrscheinlich
viel länger als andere Programmländer -, dass ihm die
Finanzmärkte wieder vertrauen und es seine Verpflichtungen ohne fremde Hilfe erfüllen kann. Das nennt man
auch Wettbewerbsfähigkeit oder Schuldentragfähigkeit,
und der Weg dahin ist für Griechenland weiter als für jedes andere europäische Land.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss in dieser
Debatte eines hinzufügen, weil das in den deutschen Medien gelegentlich falsch dargestellt wird. Über die
Schwierigkeiten in Griechenland haben wir - auch ich schon oft und schon beim ersten Griechenland-Programm im Frühjahr 2010 gesprochen, und wir sollten
das nicht arrogant behandeln. Die Wahrheit ist aber
auch, dass die Sozialleistungen, der Lebensstandard, die
Löhne und die Mindestlöhne in anderen Ländern der
Europäischen Währungsunion niedriger sind - auch
heute noch - als in Griechenland. Daran müssen vor allen Dingen diejenigen in Griechenland, die darüber reden, denken, wenn sie die Solidarität anderer einfordern,
und sie müssen auch Rücksicht auf das Empfinden in anderen Ländern - ich denke dabei gar nicht an Deutschland; uns geht es besser als anderen - nehmen.
({5})
Es gibt für keines dieser Länder einen bequemen Ausweg aus den Schwierigkeiten. Sanierung ist immer mit
Anstrengungen verbunden. Das ist so. Wir helfen Griechenland dabei in einem völlig außergewöhnlichen
Maße. Wir sind weiter dazu bereit, aber Griechenland
muss das Seine tun. Solidarität hat auch etwas mit Verlässlichkeit, Solidität und gegenseitiger Rücksichtnahme
zu tun.
({6})
- Wenn ich mich mit parteieigenen Zeitungen in
Deutschland oder in Griechenland beschäftigen würde,
dann würde es auch nicht besser. Das hat alles keinen
Sinn. Lassen Sie uns die Debatte so ernsthaft führen und
unsere Entscheidung so sorgfältig treffen, wie es jedem
möglich ist.
Mich haben in den letzten Tagen und Stunden viele
Kollegen aus meiner Fraktion angesprochen und gesagt,
dass sie es bei allem Verständnis nicht mehr mit ihrem
Gewissen vereinbaren können, erneut dafür zu stimmen,
Griechenland mehr Zeit einzuräumen. Es ist so viel Vertrauen zerstört worden, dass ich das respektiere. Ich
pflege darauf immer die Antwort zu geben - und ich
bitte auch Sie, einen Moment darüber nachzudenken -:
Wir leben im Land von Immanuel Kant, und wir sollten
gelegentlich daran denken, wenn wir eine Entscheidung,
auch eine Gewissensentscheidung, treffen: Was wäre,
wenn alle dieselbe Entscheidung treffen?
({7})
Wir sind in Europa eine Gemeinschaft. Wir - das gilt
für uns Deutsche mehr als für alle anderen - werden in
diesem 21. Jahrhundert nur dann eine gute Zukunft haben, wenn die europäische Einigung weiter gelingt und
wir in Europa zusammenstehen,
({8})
wenn wir uns in Europa in guten und in weniger guten
Zeiten aufeinander verlassen können, wenn diejenigen,
die es besonders schwer haben, von anderen Solidarität
erfahren, und wenn diejenigen, die es gerade besser haben - in wirtschaftlicher Hinsicht haben wir es gerade
besser als andere -, anderen Unterstützung gewähren.
Das hat uns in den 70 Jahren seit der deutschen Katastrophe all das ermöglicht, was wir erreicht haben.
Wir Deutsche sollten alles dafür tun, dass wir Europa
zusammenhalten, soweit wir es können, und es zusammenführen - wieder und wieder. Wir können das nicht
alleine tun. Wir können es auch nur dann tun, wenn wir
unsere Bevölkerung davon überzeugen, dass es auf
Dauer funktionieren wird. Deswegen müssen sich auch
andere an das halten, was notwendig ist, damit wir gemeinsam auf den rechten Weg kommen. Wir arbeiten gegen die Zweifel an der Stabilisierung unserer europäischen Währung an. Übrigens: Diejenigen, die sagen, die
gemeinsame Währung war ein Fehler, mögen bitte bedenken, was in der Welt der globalisierten Wirtschaft bei
uns los wäre, wenn wir die europäische Währung nicht
hätten.
({9})
Aber natürlich erfordert eine gemeinsame Währung
auch, dass sich alle ihrer Verantwortung für diese gemeinsame Währung bewusst sind und sich ihr stellen.
Natürlich heißt Solidarität nicht - wir machen das ja
nicht für andere, sondern für die Gemeinschaft, die im
Interesse jedes Einzelnen liegen sollte -, dass man sich
gegenseitig erpressen kann. Vielmehr muss jeder seinen
Teil dazu beitragen.
({10})
- Ich habe mir vorgenommen, mich heute von Ihnen
nicht provozieren zu lassen, weil es mir zu ernst ist und
weil es um zu viel geht.
Wir müssen abwägen und dabei berücksichtigen, dass
auch alle anderen in Europa die nun anstehenden Entscheidungen mit Schmerzen fällen. Alle meine Kollegen
sagen mir, dass es jedem Einzelnen von ihnen wahnsinnig schwerfällt. Das gilt genauso für die Parlamente in
den Mitgliedstaaten. Deswegen muss man allen sagen:
Wir müssen auf dem Weg bleiben, den Europa in der
Welt der sich schnell verändernden globalen wirtschaftlichen Entwicklung eingeschlagen hat; das ist die eigentliche Herausforderung. Wir sind da in den letzten Jahren
besser geworden.
Die anderen Programmländer wie Irland haben Maßnahmen ergriffen und sind auf einem guten Weg. Gestern haben wir einstimmig zugestimmt, dass wir Portugal helfen, vorzeitig seine Kredite an den IWF
zurückzuzahlen. In Frankreich wurden große strukturelle
Reformen unter schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen auf den Weg gebracht. Italien ist auf dem
Weg, gute und richtige Entscheidungen zu treffen. Die
Euro-Zone insgesamt ist auf dem richtigen Weg. Wir
müssen nun Kurs halten und unseren Kollegen in Griechenland sagen: Bei allem Respekt vor der Wahlentscheidung der griechischen Wähler kann Griechenland
nicht alleine in Europa entscheiden, welcher Weg der
richtige Weg ist.
({11})
Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass der
Weg, den wir gemeinsam gegangen sind und weitergehen wollen, richtig ist. Aber wir müssen ihn weitergehen. Wenn wir Griechenland Ausnahmen erlauben würden, würden alle anderen nicht mehr die Kraft haben,
innenpolitisch das Notwendige durchzusetzen. Auch das
muss man bei der Entscheidung mit im Blick haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Angesichts dessen möchte ich den Deutschen Bundestag, jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten, bitten, dem Antrag des Bundesfinanzministers - er ist mir
auch nicht leicht gefallen - die Zustimmung nicht zu
verweigern, weil wir sonst unserem Volk und unserer
Zukunft großen Schaden zufügen würden.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Schäuble, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Sie haben
nur vergessen, zu erwähnen, dass der gesamte Sozialabbau in Europa - und auch eine unfaire Konkurrenz mit
der Agenda 2010 in Deutschland - begonnen hat,
({0})
als man sich hier entschieden hat, prekäre Beschäftigung
und Lohnsenkungen zu organisieren.
({1})
Sie werden mir aber nun zustimmen. Die Wahlen in
Griechenland am 25. Januar waren wirklich bedeutsam.
Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg stellt eine Partei
links von der Sozialdemokratie führend eine Regierung
in Griechenland.
({2})
- Das stimmt doch, oder? Haben Sie das Wahlergebnis
nicht mitbekommen?
({3})
Die Linksregierung in Griechenland bricht nun mit
der gescheiterten Kürzungspolitik. Das verändert Griechenland. Das verändert Europa, und das verändert auch
uns.
({4})
Dieser historisch zu nennende Wahlerfolg ist ein deutliches Votum der Griechinnen und Griechen gegen die
fast siebenjährige Kürzungspolitik, gegen das Diktat der
EU, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, also der Troika, die von der Bundesregierung auch instrumentalisiert wurde.
({5})
In gewisser Weise haben Sie, Herr Schäuble, und auch
Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel, ungewollt so zum
Wahlerfolg von Syriza beigetragen.
({6})
Denn wozu führte Ihre Politik in Griechenland? Sie
müssen das einfach zur Kenntnis nehmen: Einkommensverluste von 30 Prozent, Wirtschaftseinbruch von
25 Prozent, Massenarbeitslosigkeit von 28 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit der Menschen bis 25 Jahre von
60 Prozent, Zusammenbruch des Gesundheitssystems
- fast die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger Griechenlands sind nicht mehr versichert -, Anstieg der Staatsschulden - die sollten doch abgebaut werden - von
120 Prozent auf 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Das war eine Kamikazepolitik, die Sie dort an den Tag
gelegt haben.
({7})
Ich sage Ihnen: Diese Politik ist gescheitert. Mit einer
solchen Politik können die Schulden niemals zurückgezahlt werden.
Wissen Sie, was mich ärgert? In den Medien, aber
auch hier im Parlament wird eines immer ausgelassen:
Sie haben doch Bürgschaften für die Schulden der Südländer unterschrieben. Deutschland, das heißt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, haften für
27 Prozent aller Schulden. Das bedeutet bei Griechenland: Wir haften für 60 Milliarden Euro. Wenn Griechenland wirklich pleiteginge, müssten wir die 60 Milliarden Euro bezahlen. Wovon wollen Sie die eigentlich
bezahlen? Ich verstehe Ihre ganze Politik des Abbaus
nicht. Die hat doch gar keine Logik. Wir müssen Griechenland aufbauen, dann kann es auch seine Schulden
zurückzahlen, und unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften nicht mehr.
({8})
Aber eines muss man der Syriza-Regierung lassen:
Sie hat sofort die ganze Europäische Union durcheinandergebracht. Da sehen Sie einmal, was eine linke Regierung alles kann.
({9})
- Ich freue mich, die Vorfreude auf Ihren Gesichtern zu
sehen, aber hier dauert das noch eine Weile. - Vor allen
Dingen hat sich der Zeitgeist geändert. Das ist das Entscheidende. Wirklich, er hat sich geändert. Mit Syriza
gibt es die erste Regierung in Europa,
({10})
die diesen Neoliberalismus offen infrage stellt und den
Bruch vollziehen will. Syriza zeigt: Es gibt Alternativen
zur herrschenden neoliberalen, marktradikalen Politik,
die angeblich so alternativlos ist.
({11})
Schauen Sie sich es an. Der Zeitgeist ändert sich in
den Medien, in der Wissenschaft, in der Politik.
({12})
- Sie fühlen sich angesprochen, weil Sie die ganze miserable Politik seit sieben Jahren mitgemacht haben. Das
ist Ihr Problem.
({13})
Selbst der Internationale Währungsfonds kritisiert die
völlig überzogenen Auflagen und bemängelt die völlig
unrealistischen Erwartungen über die Erlöse von Privatisierungen von Häfen, Flughäfen und staatlichen Unternehmen.
In dieser Woche gab es eine Fernsehdokumentation
über die Arbeit der Troika-Beamten, die mit erpresserischen Methoden, ohne jede demokratische Kontrolle die
Kürzungsdiktate gegenüber demokratisch gewählten Regierungen durchgesetzt haben.
({14})
Es gibt das Beispiel, als die griechische Regierung gesagt hat: Wir brauchen dafür sechs Monate, dann ginge
es viel besser. - Da sagte ein Beamter: Nein, morgen. So ist das gelaufen, und das ist vorbei. Es ist auch
höchste Zeit, dass das vorbei ist.
({15})
Ich begrüße übrigens sehr den gemeinsamen Aufruf
des DGB und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Darin steht Folgendes:
Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine
Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte
Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und
zu korrigieren.
({16})
Das ist vom DGB-Vorsitzenden, den Vorsitzenden der
IG Metall, IG BCE, IG BAU, Verdi unterschrieben. Darunter finden sich gestandene Gewerkschafter mit SPDParteibuch. Aber, Herr Gabriel, auch Sie sind der Adressat des Appells und hätten dazu einmal Stellung nehmen
sollen.
({17})
Aber der Kampf um die Wiederaneignung von Politik
gegen das Diktat der Finanzmärkte wird sehr schwer.
Wir haben keine Illusionen. Ein Land gegen 18 Länder,
dazu noch ein Land, das wirtschaftlich und finanziell
schwach ist. Aber die 18 Länder sind sich auch nicht
mehr so einig. Die Finanzminister mussten letztlich dem
Griechenland-Antrag auf Verlängerung der Kreditvereinbarung mit der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds um vier Monate zustimmen.
Schon das ist ein wichtiger Einschnitt.
Es gibt keine Beharrung mehr auf drastische Kürzungsmaßnahmen. Angenommen wurde eine Reformliste mit Maßnahmen zum Kampf gegen Steuerflucht
und Steuervermeidung. Gerechterweise werden endlich
die wirklich Vermögenden und Reichen in Griechenland
herangezogen. Es wird ein Kampf gegen Korruption geführt. Weitere Rentenkürzungen wird es nicht geben.
({18})
Es gibt keine weiteren Entlassungen im öffentlichen
Dienst, keine neuen Steuererhöhungen für niedrige Einkommen und auch nicht für die Mitte der Gesellschaft.
({19})
Das ist das Ende der Troika-Diktatur. Es wurde auch
höchste Zeit, dass sie beendet wurde.
({20})
Auch da gibt es etwas Neues. Bisher saßen die Beamten der Troika in Athen und haben den Griechen gesagt,
was sie machen müssen.
({21})
Jetzt fahren führende Mitglieder der griechischen Regierung nach Brüssel und müssen mit den führenden Vertretern der anderen EU-Institutionen sprechen. Es wird wenigstens verhandelt. Auch das ist ein Neubeginn.
({22})
Übrigens, es ist ja völlig albern gewesen, dass sowohl
die Union als auch die SPD meinten, dass die Konservativen und die Sozialdemokraten in Griechenland erfolgreich die Korruption bekämpfen könnten, die sie selbst
eingeführt hatten. Also, das konnte nicht gut gehen.
Syriza trauen wir zu, das wirklich zu schaffen.
({23})
Nun zum Kompromiss. Zu einem Kräfteverhältnis
von 1: 18 gehört allerdings auch, dass Athen sich für die
nächsten vier Monate verpflichten musste, keine Kürzungen und Reformen zurückzunehmen und auf - ich zitiere wörtlich - „einseitige Veränderungen der Politik
und Strukturreformen“ zu verzichten, „die Haushaltsziele, die wirtschaftliche Erholung oder die finanzielle
Stabilität negativ beeinflussen“. Das lässt zwar Interpretationen zu, aber es ist ganz klar, dass in dieser Vereinbarung Dinge stehen, die uns nicht gefallen.
Ein wichtiges Zugeständnis an Athen ist aber die Sache mit dem Primärüberschuss des Haushalts, das heißt
mit dem Geld, das die Griechen erwirtschaften und zurücklegen müssen. Die Zahl hat die Troika bisher immer
willkürlich festgelegt. Jetzt muss es angemessen sein.
Das ist eine ganz andere Voraussetzung und erweitert die
Spielräume.
Vor allem hat Griechenland Zeit für Verhandlungen
zum Anschlussvertrag gewonnen, der nach dem Willen
der Linksregierung eine völlige Abkehr, einen Bruch mit
der bisherigen Abbaupolitik beinhalten soll. Sie, Herr
Schäuble, waren ein Hardliner. Sie drohten. Sie sagten,
Griechenland könne selbst entscheiden, ob es alle Auflagen akzeptiere oder den Austritt aus dem Euro, also den
Grexit, bevorzuge. Es ging Ihnen um das Prinzip.
({24})
Sie wollten keinen Millimeter von harten Auflagendiktaten abweichen. Aber Herr Schäuble war auch in der
Euro-Gruppe und gegenüber der EU-Kommission nicht
mehr unumstritten. Juncker wollte den Kompromiss.
Auch Frau Merkel wollte irgendwann den Kompromiss.
Der französische Außenminister wollte den Kompromiss.
({25})
Ich habe eine Frage: Wo waren Sie eigentlich, Herr
Gabriel? Warum lassen Sie dem Schäuble das alles
durchgehen? Was sind Sie eigentlich für ein Koalitionspartner, der sich dagegen nicht einmal öffentlich äußert?
({26})
Die SPD ist wohl noch nicht so weit. Bedenken Sie aber:
Die sozialdemokratische Pasok in Griechenland liegt
jetzt bei 5 Prozent.
Ich wollte nur sagen: Letztlich mussten Sie sich, Herr
Schäuble, auf Kompromisse einlassen. Deshalb bekommen Sie jetzt auch Kritik von rechts: von der AfD, von
Teilen der CSU, von Teilen Ihrer Abgeordneten.
({27})
- Sie wissen doch noch gar nicht, wie wir abstimmen.
Quatschen Sie doch nicht immer nur dummes Zeug. Verstehen Sie?
({28})
Es gibt eine These, die auch die Bild-Zeitung verbreitet: Die deutschen Steuerzahler finanzieren Griechenland. - Das ist der größte Quatsch, den ich je gelesen
und gehört habe. 90 Prozent der 240 Milliarden Euro für
Griechenland gingen an die Banken und die Gläubiger.
Dazu gehörte auch die Deutsche Bank. Dazu gehörten
auch französische Banken. 90 Prozent dieser Summe
gingen also nicht an die Griechinnen und Griechen; sie
haben kaum etwas davon gesehen. Wie soll Griechenland bei diesem Abbau überhaupt jemals die Darlehen
zurückzahlen? Darüber scheint sich hier keiner Gedanken zu machen.
Es gibt noch etwas: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, unterstützt im Kern die Vorhaben der Syriza-Regierung in
Griechenland. Wenigstens das sollte die Union einmal
nachdenklich machen. Auf diesen Mann könnten Sie
doch einmal hören.
({29})
Ich sage Ihnen jetzt Folgendes: Die Bundesregierung
hat Europas Akzeptanz bei vielen Bürgerinnen und Bürgern im Süden Europas zerstört. Was glauben Sie, was
mir die Jugendlichen in Griechenland sagen, wenn ich
sie nach Europa frage? Deren Antwort kann ich mir sehr
gut vorstellen. Diese Jugendlichen haben von Europa
vor allem Abbau und Not erlebt. Wir brauchen aber Aufbau. Schulden darf es nur noch für Aufbau, nicht für
weiteren Abbau, nicht für Krisen geben. Sonst sind sie
nicht bezahlbar.
Ich sage es noch einmal, auch aufgrund unserer eigenen Geschichte: Wir brauchen für den Süden Europas einen Marshallplan. In Griechenland muss investiert werden: in Bildung, in Schiffsindustrie und in Tourismus.
Dann kommt das Land auch voran. Es geht nicht, die
Löhne, die Renten zu kürzen und alles zu verkaufen, wie
Sie es vorgeschrieben haben.
({30})
Ich weiß: Es sind schwere Zeiten und harte Auseinandersetzungen, die auch auf die griechische Regierung
zukommen. Das Programm der Linksregierung ist aber
eine klare Kampfansage an die gescheiterte neoliberale
Politik.
({31})
Am Schluss sage ich Ihnen: Wir stimmen dem Antrag
Griechenlands auf Verlängerung des Hilfsprogramms
um vier Monate mit großer Mehrheit zu.
({32})
Das ist keine Zustimmung zur gescheiterten Sparpolitik.
Das ist keine Zustimmung zur Politik der Bundesregierung.
({33})
- Dafür, dass Sie nicht differenzieren können, kann ich
ja nichts. Hören Sie zu!
({34})
Aber es ist eine Zustimmung dazu, dass Griechenland
eine Atempause und eine Chance für einen Neuanfang
bekommt. Das hilft nicht nur Griechenland; es ist auch
eine Chance für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa.
({35})
Ich sage noch etwas dazu: Bei einem neuen Hilfspaket, wenn es je käme, hängt unsere Zustimmung oder unsere Ablehnung davon ab, ob es verbunden ist mit weiterem Sozialabbau und mit weiterer Zerstörung oder ob es
verbunden ist mit sinnvollen Investitionen, die Griechenland aufbauen, was uns allen nutzt.
({36})
Letztlich - das sage ich Ihnen - geht es auch um eine
Chance für unsere Wirtschaft, für unseren linken sozialen Kampf und für ein europäisches Deutschland statt eines deutschen Europa.
Danke schön.
({37})
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Gysi, das waren sehr interessante Pirouetten, die
Sie hier gedreht haben.
({0})
Ich war mir nicht so ganz sicher, wo Sie denn enden werden, also ob Sie jetzt zustimmen oder nicht.
({1})
Das war auch lange Zeit unklar, wie man ja verfolgen
konnte.
Jetzt haben Sie gesagt: Mehrheitlich stimmt die
Linksfraktion zu.
({2})
Ich finde erst einmal: Das ist in Ordnung. Wir finden den
Antrag der griechischen Regierung auf Verlängerung des
bereits beschlossenen und bestehenden Hilfsprogramms
um vier Monate in Ordnung.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag vor etwa
zwei Monaten, im Dezember, quasi unter Ausschluss der
Öffentlichkeit - es war eine öffentliche Debatte am Donnerstag, um 12 Uhr; nur: selbst an den Fernsehern war
kaum jemand, weil parallel eine Pressekonferenz übertragen wurde - schon einmal einer Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms für Griechenland, das wir im
Jahr 2012 beschlossen haben, im bestehenden Finanzrahmen zugestimmt. Damals hat Ihr Kollege Bartsch gesagt - ich mag ihn ja; ich zitiere das jetzt nur, damit Sie
wissen, worüber Sie abstimmen -:
({3})
Ich will für die Linke klar sagen: Wir wollen uns in
diese Strategie nicht einbinden lassen. Das ist nicht
unsere Politik.
({4})
Kurz vor Schluss sagte er:
Wir lehnen ihn ab,
- den Kurs weil er im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, werden Sie
niemals erleben.
({5})
Ich will Ihnen nur sagen: Worüber Sie heute abstimmen, ist exakt das Gleiche wie im Dezember.
({6})
- Okay, es sind nicht zwei Monate Verlängerung; es sind
vier. Wir geben ihnen sogar noch mehr Zeit, und trotzdem - Aber egal. Es scheint mir so zu sein, dass das
Adrenalin, das sehr stark in griechischen Politikern drin
zu sein scheint - das ist nicht ganz unsere Kultur -, auch
bei Ihnen jetzt sehr stark Mitverursacher dieses Wandels
ist. Aber okay.
({7})
Ich finde das Horrorbild - so würde ich es fast nennen -,
das Sie gezeichnet haben, bemerkenswert: Die Linksfraktion, die Linkspartei führt dieses Land. - Sie haben
vergessen, dass es in Griechenland nicht nur die Linksfraktion oder Linkspartei gibt, sondern dass die mit einer
rechtspopulistischen, nationalistischen Partei koaliert.
({8})
Der Wähler sei davor, dass uns das blüht, dass in
Deutschland die Linkspartei mit der AfD koaliert.
({9})
Aber zur Sache. Herr Minister Schäuble, Sie haben
gesagt: Es fällt Ihnen nicht leicht, heute hier diesen Antrag zur Verlängerung zu stellen. - Ich kann das ob der
öffentlichen Debatte und der Äußerungen, die insbesondere vom griechischen Finanzminister immer wieder
kommen, nachvollziehen. Da fällt es einem schwer, immer wieder für Vernunft zu werben. Es ist eine Frage des
Anstands, wie man miteinander umgeht. Ich finde es gut
und richtig, dass der Bundestag und die anderen nationalen Parlamente, die hierüber ebenfalls entscheiden müssen, sich nicht von Rhetorik leiten lassen. Anstand
scheint immer auch eine Frage der kulturellen Definition
zu sein. Ich glaube, wir sind hier sehr rational und geben
dem Antrag des griechischen Staates auf eine Verlängerung um vier Monate statt. Es geht um eine Summe von
etwa 2 Milliarden Euro, die im bestehenden Programm
noch zur Verfügung steht. Es sind also keine zusätzlichen Mittel, sondern sie liegen innerhalb des Finanzrahmens.
Bei der Debatte um Griechenland - ich habe meine
Rede vom Mai 2010 noch einmal durchgelesen; das
Thema beschäftigt uns hier schon eine ganze Weile sind auch viele Fehler gemacht worden. Es sind zwei
politische Fehler auch von Deutschland gemacht worden. Der erste Fehler war, dass zu Beginn der Debatte
unter Führung von Union und FDP das Thema Schuldenschnitt nicht berücksichtigt wurde. Die SPD hat dem
ersten Paket damals nicht zugestimmt. Wir haben uns
enthalten und gesagt, dass wir zwar solidarisch sind,
aber die Überrollung der Schulden ohne einen Schuldenschnitt für die privaten Gläubiger nicht mitmachen. Es
hat sich im Nachhinein gezeigt - Sie sind dann 2012 damit gekommen -, dass es notwendig gewesen wäre.
Dann wäre die Schuldenlast niedriger.
Jetzt mussten wir Griechenland aus ökonomischen
Gründen sehr weit entgegenkommen, weil die Schuldentragfähigkeit nicht gegeben war. Deswegen zahlen sie
Carsten Schneider ({10})
fast keine Zinsen mehr. Die Schuldenlast ist das eine, das
andere, das Entscheidende, ist: Wie hoch sind eigentlich
die Zinsen? Die Zinsen, die Griechenland bezogen auf
seine Wirtschaftsleistung zahlt, sind deutlich geringer als
die, die zum Beispiel Portugal zahlt, deutlich geringer
als die, die Frankreich zahlt. Deutschland als Benchmark-Staat zahlt noch weniger, nämlich 1,8 Prozent im
Durchschnitt. Die Griechen zahlen knapp 2 Prozent.
Entscheidend ist - das ist der zweite politische Fehler
gewesen -, dass die Griechen - das Volk und die Partei für sich selbst annehmen, dass nur sie selbst sich helfen
können, dass nicht eine böse Macht von außen - nicht
die Troika oder sonst irgendwer - sie in diese Situation
gebracht hat; denn Kredite aufgenommen hat immer das
jeweilige Land und niemand anderer.
({11})
Der entscheidende Fehler war, dass die damalige
Bundesregierung verhindert hat, dass es eine Volksabstimmung über den Antrag von Papandreou, dem damaligen Ministerpräsidenten, gab, über diese Reformmaßnahmen Konsens zu erzielen. Das war der entscheidende
politische Fehler, für den wir heute bezahlen.
Wir müssen auch klar sagen: Die griechische Regierung hat in den vergangenen Jahren auch Fortschritte gemacht. Die Wirtschaftsleistung ist gesunken. Klar, das ist
auch logisch. Wenn sie nur über Kredit finanzieren - es
gibt im Englischen die Redewendung „credit bites back“ -,
dann kommt irgendwann der Return. Vorgezogener Konsum ohne entsprechende Wirtschaftsleistung dahinter
funktioniert nicht. Genau das ist jetzt der Fall.
Deswegen werden wir nicht nur heute über diese Verlängerung abstimmen. Wenn die griechische Regierung
bereit ist, ihre Situation anzunehmen und die richtigen
ökonomischen Antworten zu geben, dann werden wir
noch einmal über eine Verlängerung reden müssen; nicht
über dieses Programm, sondern über ein neues. Das steht
aber heute nicht zur Debatte. Die vom Bundestagspräsidenten angemahnte Abstimmung über die unterlegten
ökonomischen Reformen - er nennt das ein MoU, also
eine Verabredung dessen, was in der Sozialpolitik und
bei den Steuern gemacht wird - ist heute nicht die
Grundlage der Entscheidung. Wir entscheiden heute
ganz klar über das bisherige Reformprogramm.
Es hat in Griechenland eine Wahl gegeben. Das Wahlergebnis ist zu akzeptieren. Wir respektieren es auch,
auch wenn uns die Regierung nicht gefällt. Dass das
Wahlergebnis Veränderungen mit sich bringen muss, ist
auch klar; sonst bräuchten wir nicht zu wählen. Der entscheidende Punkt ist nur: Sollte die griechische Regierung ihre Wahlversprechen, die sie gemacht hat, von den
Steuerzahlern anderer Länder, also auch uns, die wir
diese Wahl gar nicht durchgeführt haben, finanzieren
lassen wollen, dann wird das nicht gehen. Das ist nicht
akzeptabel.
({12})
Ich verbinde durchaus eine Hoffnung mit dieser Regierung. Die bisherige Regierung hat die bestehende
Situation durch Korruption und vielleicht schlechte Effizienz im Staat selbst geschaffen. Wenn diese Regierung
eine Chance verdient hat, dann dazu, dass sie das Steuersystem modernisiert,
({13})
dass sie unsere Hilfe, die wir leisten wollen, auch annimmt, und dass sie für eine gerechtere Besteuerung
sorgt.
({14})
Blöderweise hat die neue Regierung eine Veränderung schon vorgenommen, die mich zumindest skeptisch
macht. Die internen Kontrollen bei den Steuerbehörden,
um zu ermitteln, ob es da Kumpanei mit den Steuerzahlern gibt - so etwas soll vorkommen; in Deutschland ist
das schwer vorstellbar, aber es soll da vorgekommen
sein -, wurden von der Regierung Samaras auf eine unabhängige Instanz übertragen. Das hat Tsipras bereits
geändert; das wird wieder intern gemacht. Das halte ich
für sehr schwierig. Auch darüber wird zu reden sein.
({15})
Wir sind sehr für Wachstum, für Hilfen zur Selbsthilfe, auch für mehr soziale Gerechtigkeit. Aber eines
muss klar sein: Diejenigen, die in Griechenland viel
Geld verdient haben und die über genügend Vermögen
verfügen, müssen dafür auch zahlen.
({16})
Das wird für die SPD eine Bedingung sein.
Jedem muss klar sein: Die teuerste Lösung - da rede
ich nur über finanzielle Aspekte - wäre jetzt der Austritt
Griechenlands aus der Euro-Zone ({17})
teuer nicht nur für die Griechen, teuer auch für Deutschland, denn wir haben Kredite von über 60 Milliarden
Euro vergeben. Es gibt ja viele Ökonomen, die sagen:
Die sollen austreten, dann wird das alles gut, dann haben
die wieder die Drachme und werden wettbewerbsfähig. Das ist schwierig, wenn man keine Exportwirtschaft hat;
das hilft einem relativ wenig, wenn man viel importieren
muss. ({18})
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Wenn sie tatsächlich die
Drachme einführen würden, würden die Schulden trotzdem noch in Euro lauten, und bei einer Abwertung um
Carsten Schneider ({19})
50 Prozent würde die Schuldenlast verdoppelt, also
überhaupt nicht mehr tragfähig sein. Das heißt, die
Wahrscheinlichkeit, dass alle anderen europäischen Länder die ausgegebenen Kredite wiedersehen würden, ist
relativ gering. Deswegen ist das kein Ziel, das die SPD
und auch Deutschland verfolgen sollten. Ein wirkliches
Wiedererstarken Griechenlands wird es nur im Euro geben - wenn auch die griechische Regierung bereit ist,
diesen Weg zu Reformen in ihrem Land, zu eigener Leistungsfähigkeit zu gehen; dabei sollten wir sie unterstützen. Gemacht ist dieser Weg noch nicht. Es liegt jetzt an
den Griechen selbst. Wir reichen ihnen dazu die Hand.
({20})
Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn griechische Oligarchen ihr Land ausplündern und ihr Geld ins Ausland bringen, dann ist das
ein griechisches, aber eben auch ein europäisches Problem.
({0})
Wenn auf der anderen Seite marktradikale Technokraten
Griechenland zwingen, seine Energieunternehmen und
seine Häfen, die sogar schwarze Zahlen schreiben, zu
niedrigsten Preisen zu verkaufen, dann ist das ein Problem in Griechenland; am Ende wird es auch ein europäisches Problem.
({1})
Wenn deutsche und französische Banken hohe Gewinne
mit de facto unseriösen Krediten für Griechenland eingefahren haben und für die Risiken am Ende der europäische Steuerzahler haftet, dann ist das natürlich in erster
Linie ein Problem für Griechenland, aber es ist am Ende
auch ein Problem für Europa.
({2})
Wenn diese Krise von Populisten auf allen Seiten, von
Rechtspopulisten, aber auch von manchen Regierungsfraktionen sowie von manchen Medien - wenn man sich
anschaut, was heute in der Bild-Zeitung steht ({3})
dazu genutzt wird, auf nationalistische Ressentiments zu
setzen, dann ist das nicht mehr nur ein europäisches Problem, dann ist das schlichtweg eine Katastrophe für Europa.
({4})
Die neue griechische Regierung spielt da teilweise
eine echt unrühmliche Rolle - mal ganz abgesehen davon, dass man wirklich nicht verschweigen sollte, dass
da Rechtspopulisten beteiligt sind,
({5})
wenn auch Rechtspopulisten einer Ausgründung der Nea
Dimokratia. Es sind trotzdem Rechtspopulisten, und das
sollte man auf keinen Fall verschweigen. Aber man
sollte auch nicht verschweigen, was die griechische Regierung betreibt, insbesondere die große Partei Syriza:
Die antideutschen Karikaturen und manche Texte in ihrer Parteizeitung sind einfach widerlich und aufs
Schärfste zurückzuweisen.
({6})
Man muss natürlich auf der anderen Seite sagen:
Manchmal hat man den Eindruck, man erlebte einen großen Theaterdonner. Man hat den Eindruck, Herr Tsipras
führte einen Theaterdonner auf, um seine Wähler bei
Laune zu halten.
Wenn man sich einmal anschaut, was manche aus der
CDU/CSU-Fraktion in den letzten Tagen von sich gegeben haben, hat man den Eindruck, dass diese Äußerungen wenig von Sachverstand, sondern vor allem von panischer Angst davor bestimmt waren, dass noch mehr
Wähler zur AfD abwandern. Beides ist unverantwortlich!
({7})
Man sollte sich einmal anschauen, um was es in diesem Konflikt wirklich geht. Häufig wird so getan, als
gehe es bei diesem Konflikt darum, dass Durchschnittsdeutsche gegen Durchschnittsgriechen stehen. Das ist
doch völlig falsch! In Wirklichkeit geht es - sowohl in
Griechenland als auch in Europa - um die Partikularinteressen einiger weniger gegen das Allgemeinwohl.
({8})
Es geht in Wirklichkeit, wenn man sich Teile des Rettungspakets anschaut, um die Interessen einiger weniger
Großbanken gegen die Interessen der europäischen Steuerzahler.
({9})
In Wirklichkeit geht es um die Interessen einiger weniger Superreicher gegen die Interessen ganz normaler
Bürger in Griechenland. Das ist doch der Interessenkon8416
flikt! Hier geht es nicht um nationale Interessen, sondern
die Interessenkonflikte sind vollkommen anderer Natur!
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mir bestimmte Umfragen anschaue, sehe ich, dass in Polen, in
Frankreich und in Spanien nur noch 40 Prozent der Menschen Vertrauen in Europa haben. In Italien sind es sogar
nur noch 27 Prozent. Ich persönlich glaube nicht, dass
diese Menschen etwas gegen Solidarität in Europa haben
oder dass sie es gerne hätten, dass in Europa wieder
Schlagbäume errichtet bzw. Grenzen geschlossen werden. Diese erschreckenden Zahlen sind für mich ein
Ausdruck dessen, dass die europäische Politik der vergangenen Jahre gescheitert ist, dass auch die Europapolitik der deutschen Regierung - der Regierung Merkel und
Schäuble - in den letzten Jahren in diesem Punkt
schlichtweg gescheitert ist.
({11})
Wir benötigen eine Europapolitik, die nicht von der
Erkenntnis geleitet wird, dass ein Land nur gewinnen
kann, wenn ein anderes verliert. Das funktioniert so
nicht. Wir brauchen eine solidarische Europapolitik!
({12})
Wer die europäischen Werte ernst nimmt - für manche sind es die christlichen Werte -, muss ein Interesse
daran haben, dass die Armut in Griechenland bekämpft
wird und dass es den Menschen in Griechenland in Zukunft wieder besser geht.
({13})
Ich glaube aber, dass wir auch ein ganz großes Eigeninteresse daran haben; denn es wird uns in Deutschland
auf Dauer nur dann gut gehen, wenn es den übrigen EUStaaten gut geht.
({14})
Mit Blick darauf, dass wir eine Exportnation sind, frage
ich mich: An wen sollen wir denn unsere Güter exportieren? Wir exportieren sie leichter an Länder, die wohlhabend sind, als an Länder, die arm sind.
Schauen wir uns doch die Länder in Europa einmal
an: Natürlich ist Italien zu klein, um die Globalisierung
zu gestalten. Auch Frankreich, Belgien und die Niederlande sind zu klein. Seien wir doch einmal ehrlich: Wenn
man sich die Herausforderungen der Globalisierung vor
Augen führt, dann sieht man, dass auch Deutschland zu
klein ist, um sie zu gestalten. Das heißt, wir sind darauf
angewiesen, dass Europa funktioniert und zusammengehalten wird.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen - insbesondere von
der CDU/CSU -, Sie bauen gerne folgenden Popanz auf:
Entweder gelten Ihre Regeln, oder es gelten keine Regeln. Sie geben so gerne den harten Zuchtmeister.
Schauen wir uns aber einmal die Bilanz seit 2010 - seit
den ersten Rettungspaketen - an. Schauen wir einmal,
was Ihre Politik und was die Politik Ihrer konservativen
Schwesterpartei Nea Dimokratia in Griechenland bewirkt hat: Die Wirtschaftsleistung ist um 20 Prozent eingebrochen, die Schuldenquote dagegen um 25 Prozent
gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist auf 26 Prozent gestiegen.
Wäre es angesichts dieser Entwicklung nicht überlegenswert, andere Bedingungen zu stellen? Es geht nicht
darum, keine Bedingungen zu stellen, sondern die Fragen lauten: Haben die bisherigen Bedingungen das bewirkt, was wir erreichen wollten? Haben sie bewirkt,
dass die Schuldentragfähigkeit verbessert wurde? Haben
sie bewirkt, dass Griechenland aus seinen Schwierigkeiten herausgekommen ist? Haben sie bewirkt, dass es den
Menschen besser geht? - Nein, sie haben all das nicht
bewirkt. Deswegen halten wir es für sehr berechtigt, darüber nachzudenken und dafür zu streiten, dass die Bedingungen so angepasst werden, dass es Griechenland
bzw. den Menschen in Griechenland wieder besser geht.
({16})
Ich glaube, wir sollten uns absolut einig sein: Wenn
Griechenland wieder wohlhabender ist, besteht die
Chance, dass es zumindest einen Teil der Schulden, die
es in Europa hat, zurückzahlt.
Wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt. Das ist
aus moralischer Sicht der richtige Weg; denn wir wollen
kein verarmtes Land haben. Es ist fiskalisch gesehen der
richtige Weg, weil dadurch die Chance besteht, dass die
Kredite zurückgezahlt werden können. Es ist auch sicherheitspolitisch der richtige Weg; denn man muss sich
klarmachen, in welcher hochbrisanten Region Griechenland liegt, was in der Nähe von Griechenland passiert.
Dann wird deutlich, dass wir ein massives außenpolitisches und sicherheitspolitisches Interesse daran haben,
dass Griechenland stabil und im Euro bleibt.
Natürlich erwarten wir von der neuen Regierung, dass
sie Korruption bekämpft, natürlich erwarten wir von der
neuen Regierung, dass sie endlich dafür sorgt, dass ein
vernünftiger Staat aufgebaut wird; all das erwarten wir
von der neuen Regierung. Aber nachdem die vorherige
konservative Regierung fünf Jahre geschlampt hat und
Herr Schäuble sehr großzügig mit der CDU-Schwesterpartei war, erwarten wir, dass der neuen Regierung zumindest eine kleine Chance gegeben wird. Wir wissen
doch jetzt schon, dass wir in Kürze mit einem dritten Paket rechnen können. Es muss ehrlich und im Interesse
Europas darüber geredet werden: Wie stemmen wir dieses dritte Paket? Wie gestalten wir dieses Paket, und
zwar so, dass am Ende ein stabiles und ein wohlhabendes Griechenland steht, das seine Schulden zurückzahlen
und seine Aufgabe gegenüber den Menschen erfüllen
kann?
Herr Kollege.
Ich bitte uns alle, die Debatte in den nächsten Wochen
und Monaten in diesem Sinne zu führen.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Brinkhaus für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Hofreiter, Sie irren, wenn Sie meinen, dass wir hier und
heute darüber abstimmen, ob Griechenland im Euro
bleibt. Darüber stimmen wir heute nicht ab. Das ist im
Übrigen auch nicht die Entscheidung des Deutschen
Bundestages. Ob Griechenland im Euro bleibt, das ist
einzig und allein die Entscheidung der Griechen. Das
muss man an dieser Stelle klarstellen.
({0})
Lassen Sie mich einige Fakten nennen. Griechenland
befindet sich in einer der schwersten Wirtschaftskrisen
seiner Geschichte. Diese Wirtschaftskrise ist nicht durch
die Troika und nicht durch die Reformpakete verursacht
worden, sondern vorher.
Ein weiteres Faktum. Die Europäische Union und die
europäischen Partner haben Griechenland unter Einsatz
hoher Summen von Steuergeldern sehr großzügig geholfen. Die Troika macht nichts anderes, als die Verwendung unserer und auch Ihrer Steuergelder, Herr Gysi, zu
überprüfen, und das ist mehr als recht.
({1})
Dritter Fakt. Die jetzt neu gewählte griechische Regierung hat sich in ihren Ankündigungen vom bisherigen
Reformkurs verabschiedet. Das ist wahr.
Vierter Fakt. Die europäischen Partner haben nicht
akzeptiert, dass man die Programme für Griechenland
unter den neuen Bedingungen verlängert. Deswegen hat
die griechische Regierung am Freitag einen Antrag eingereicht, das Programm unter den im Wesentlichen alten
Bedingungen zu verlängern. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Bevor ich auf den vorliegenden Antrag zu sprechen
komme, gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen. Wir
haben in der Euro-Zone, in unserem Währungsraum,
19 Staaten, und es ist nicht trivial, einen Währungsraum
mit 19 Staaten zu organisieren. Deswegen haben wir uns
ein Vertragswerk gegeben - mit Verträgen für normale
Zeiten und für Krisenzeiten -, das es uns ermöglicht,
diese Währungszone ökonomisch und politisch zu managen und zu organisieren.
({2})
Wenn diese Verträge bei jeder Neuwahl innerhalb dieser
19 Staaten von jeder neuen Regierung - und das sind
statistisch gesehen zwei oder drei pro Jahr - infrage gestellt werden, dann können wir die Veranstaltung EuroZone beenden. Das geht so nicht.
({3})
Zweite Vorbemerkung. Egal ob im Sportverein, in der
Familie, in der Schule oder in der Euro-Zone: Wenn derjenige Recht bekommt, der am lautesten schreit und
seine Argumente am aggressivsten vorträgt, dann ist das
das Ende jeder Gemeinschaft.
({4})
Nächster Punkt. Es ist richtig, dass die griechische
Regierung vom griechischen Souverän gewählt worden
ist, und der griechische Souverän hat das Reformprogramm abgewählt. Aber die Menschen, die hier in diesem Saal sitzen, sind auch von ihrem Souverän gewählt,
und die Menschen, die in diesem Saal sitzen, lehnen es
ab, das Programm der neuen griechischen Regierung zu
finanzieren. Genauso wie wir respektieren müssen, was
die neue griechische Regierung vorhat, muss die griechische Regierung respektieren, was wir hier entscheiden.
Es ist eine Mär, zu behaupten, dass es nur in Griechenland demokratisch gewählte Institutionen gibt. Auch wir
sind demokratisch gewählt, und wir sind die Treuhänder
der Steuergelder.
({5})
Nächste Vorbemerkung. Wir haben Rettungsschirme
über fünf Länder organisiert. Vier von diesen fünf Ländern sind erfolgreich oder sehr erfolgreich. Portugal hat
gestern beantragt, Kredite vorzeitig zurückzuzahlen. Das
heißt, die Politik der Europäischen Union war nicht ganz
so schlecht. Um das einmal mit den Worten aus der heutigen Ausgabe einer Boulevardzeitung auszudrücken: Es
hat sich gelohnt, nicht immer Nein zu sagen, sondern
auch mal Ja zu sagen.
({6})
Dementsprechend muss man sagen, dass wir nur bei
Griechenland Probleme haben. Und wenn wir sagen,
dass wir nur bei Griechenland Probleme haben, dann
darf man nicht verschweigen, dass es auch bei Griechenland gar nicht so schlecht gelaufen ist - bis zum Dezember. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.
({7})
Nach diesen Vorbemerkungen kommen wir zu dem,
was wir heute beantragen:
Erster Punkt. Heute wird, wie der Finanzminister
sagte, nicht ein neues Programm beantragt. Es wird nicht
beantragt, dass es neue Zahlungszusagen gibt, sondern
es wird die Verlängerung eines alten Programms beantragt, die es Griechenland erlaubt, dieses Programm ordnungsgemäß abzuschließen.
Zweiter Punkt. Wir beschließen heute auch keine
Auszahlungen, an nichts und niemanden. Auszahlungen
innerhalb dieses Programms werden geleistet, wenn
Griechenland die vereinbarten Reformen, die im Memorandum of Understanding vereinbarten Reformen, liefert, wenn die Troika das überprüft hat und wenn die nationalen Parlamente eingebunden wurden. Erst dann gibt
es Auszahlungen.
Dritter Punkt. Die griechische Regierung hat am
Freitag letztendlich zugesagt, dass sie folgende Bedingungen erfüllt - das sind keine neuen Bedingungen, sondern das sind die alten Bedingungen -: Sie hat gesagt,
sie setzt den Reformprozess fort; sie hat gesagt, sie arbeitet weiter mit den Institutionen, mit der Troika, zusammen; sie hat gesagt, sie dreht keine Reformen zurück; sie hat gesagt, dass alle Schuldner vollumfänglich
und fristgerecht bedient werden, dass es keinen Schuldenschnitt geben wird; sie hat gesagt, dass sie Haushaltsüberschüsse erwirtschaften wird, um die Schuldentragfähigkeit zu verbessern, und sie hat gesagt, dass sie keine
Reformen auf den Weg bringen wird, die dieses Haushaltsziel gefährden. Das ist das, was die griechische Regierung zugesagt hat, und wir erwarten von der griechischen Regierung, dass das umgesetzt wird. Ich kann
nicht akzeptieren, dass man in Brüssel etwas unterschreibt und dann nach Griechenland zurückkehrt und
etwas total anderes behauptet.
({8})
Um diese Reformagenda zu bekräftigen, hat die griechische Regierung am Dienstag eine Liste mit Reformvorhaben vorgelegt. Wir erwarten von der griechischen
Regierung, dass diese Liste spezifiziert wird, dass sie
konkretisiert wird, dass ein Zeitplan eingereicht wird,
dass diese Liste von der Troika überprüft wird, und dass
diese Liste dann umgesetzt wird - nicht mehr und nicht
weniger.
Es wird immer wieder gesagt, wir sollten nicht nur
über die EFSF und über die europäischen Institutionen,
sondern auch über die EZB reden. Es wird gefragt: Entsteht da in irgendeiner Art und Weise eine unkonditionierte Brückenfinanzierung? Durch unseren heutigen
Antrag nicht. Durch das Handeln der EZB? Dazu kann
man nur sagen: Die EZB ist unabhängig in ihrer Entscheidung; aber die EZB hat ein Mandat, und das Mandat verbietet Staatsfinanzierung, und wir werden darauf
achten, dass dieses Mandat eingehalten wird.
({9})
Ich werde immer wieder gefragt: Wie geht das weiter? Können wir den Griechen vertrauen, dass sie das alles umsetzen? Ehrlich gesagt: Ich kann diese Frage, ob
sie das in den nächsten vier Monaten umsetzen werden
oder nicht, nicht beantworten. In den letzten Monaten ist
viel zu viel passiert, um diese Frage sicher beantworten
zu können.
Eines ist aber auch richtig: Die Entscheidung über die
Verlängerung, die wir heute treffen, ist wichtig, aber
nicht entscheidend. Die entscheidende Abstimmung, die
entscheidende Entscheidung, die müssen wir im
Sommer treffen, wenn es darum geht, Griechenland
quasi mittelfristig in die Zukunft zu finanzieren. Unser
Bundesfinanzminister - ich weise ausdrücklich darauf
hin - hat bereits im Sommer 2013 darauf hingewiesen,
dass wir diese Entscheidung im Sommer 2015 treffen
müssen. Wie diese Entscheidung ausfällt, das hängt ganz
alleine von den Griechen und Griechinnen ab. Sie hängt
davon ab, was wir in den nächsten vier Monaten erleben.
Ich und der weit überwiegende Teil meiner Fraktion sind
der Meinung, dass wir den Griechen die Chance geben
müssen, ihre Entscheidung zu treffen, ob sie in der EuroZone bleiben wollen, ob sie weiter mit uns zusammenarbeiten wollen oder ob sie das nicht wollen.
Eine letzte Bemerkung. Die Euro-Zone ist eine große
Sache. Das ist ein großes Projekt. Ich glaube, wir alle
wollen dieses Projekt zum Erfolg führen. Es ist richtig,
dass es ganz, ganz schlecht ist, wenn jemand aus diesem
Projekt ausscheidet, wenn diese Euro-Zone an der einen
oder anderen Stelle bröckelt. Das ist auch sehr, sehr gefährlich. Aber, meine Damen und Herren, noch gefährlicher ist es, wenn diese Euro-Zone von innen zerstört
wird. Das wird der Maßstab für unsere zukünftigen Entscheidungen sein.
Danke.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Sven Kindler für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist gut, dass wir im Deutschen Bundestag
heute über einen Kompromiss abstimmen. Wir Grüne
waren immer dafür, dass Griechenland in der Euro-Zone
bleibt. Deswegen werden wir heute zustimmen. Das ist
richtig und notwendig.
({0})
Es war nicht einfach, diesen Kompromiss zu finden.
Es gab auf allen Seiten in Europa viel nationales Gepolter, auch von der griechischen Regierung, die zum Teil
noch im Wahlkampfmodus war. Es gab aber auch aus
Deutschland Gepolter. Ich fand es europäisch unverantwortlich, Herr Schäuble, dass Sie den Brief von Herrn
Varoufakis, der die Forderungen der Euro-Gruppe weitSven-Christian Kindler
gehend erfüllt hat, so harsch und brüsk zurückgewiesen
haben.
({1})
Am dollsten und wirklich skandalösesten fand ich die
Art und Weise, in der die CSU, aber auch Teile der CDU,
nämlich der AfD-Flügel in der Union, Griechenland in
den letzten Wochen gedroht haben, das Land aus dem
Euro zu drängen. Das war wirklich europäisch verantwortungslos.
({2})
Ich wundere mich, mit welch einer politischen Naivität und zum Teil Dummdreistigkeit von Teilen der Union
über einen möglichen Grexit geredet wird. Toni
Hofreiter hat es gesagt: Was das sicherheitspolitisch,
ökonomisch und politisch für Europa bedeutet, wird
nicht bedacht. Wenn ich mir das Leid, die Armut und die
Arbeitslosigkeit in Griechenland vor Augen halte, muss
ich sagen: Ich finde es zynisch und überheblich, wie die
CSU in den letzten Wochen agiert hat. Sie haben
rechtspopulistische Stammtischargumente vorgetragen.
Ich finde, dafür sollten Sie sich schämen. Dafür sollten
Sie sich heute hier im Deutschen Bundestag entschuldigen.
({3})
Toni Hofreiter hat noch etwas Wichtiges gesagt.
Wenn man sich fragt: „Wie kann man dafür sorgen, dass
es in Griechenland ein sinnvolles Programm gibt und
dass die Schulden im Interesse Europas zurückgezahlt
werden?“, dann muss man sich vergegenwärtigen, was
in Griechenland passiert ist. Die Schuldenquote ist im
Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt heute höher als in
der Vergangenheit, und das nicht, weil die griechische
Regierung nicht gespart hätte. Im Gegenteil, sie hat sehr
viel gespart - zum Teil sogar zu viel -, bzw. sie musste
zu viel sparen. In der Folge ist die Wirtschaft eingebrochen, unter anderem wegen fehlender Strukturreformen,
aber auch wegen der Austeritätspolitik. Das heißt, die
Schuldentragfähigkeit hat sich verschlechtert. Gleichzeitig kam es zu großer Armut und hoher Arbeitslosigkeit.
Das ist übrigens nicht nur ein Problem Griechenlands,
Herr Brinkhaus. Da Sie von dem Erfolgskurs in anderen
Ländern gesprochen haben, möchte ich Ihnen sagen:
Auch in anderen Ländern gibt es hohe Schuldenstandsquoten, hohe Arbeitslosigkeit und große Armut. Das
zeigt doch im Kern, dass der Austeritätskurs, den die
Bundesregierung massiv vorangetrieben hat, gescheitert
ist. Deswegen brauchen wir dringend einen Kurswechsel. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit und mehr Investitionen in Europa.
({4})
Letzte Woche war ich in Athen, um Gespräche mit
der Opposition, der Zentralbank, dem IWF und der
neuen griechischen Regierung zu führen. Natürlich muss
man feststellen, dass die Regierung zum Teil unerfahren
war, ein bisschen naiv in den Verhandlungsprozess in
Europa eingetreten ist und, innenpolitisch motiviert, gepoltert hat.
({5})
Trotzdem glaube ich, dass die neue Regierung eine
Chance darstellt; das müssen wir, glaube ich, anerkennen. Sie ist eben nicht Teil des alten Klientelsystems von
Pasok und ND; denn sie hat gesagt, dass sie im öffentlichen Sektor Reformen durchführen, für eine vernünftige
Steuerverwaltung sorgen, hohe Vermögen besteuern und
die Korruption bekämpfen will. Daran muss man sie
messen. Es ist gut, dass es diese Chance gibt. Ich glaube,
wir sollten sie nutzen. Die neue Regierung braucht Zeit.
Man sollte sie unterstützen.
({6})
Wichtig ist auch: Wir brauchen andere Formen der
Überprüfung. Finanzhilfen darf es zwar nur mit Kontrolle geben, aber so, wie es unter der Troika war, wird
es in Zukunft nicht weitergehen. Wir brauchen mittelfristig einen europäischen Währungsfonds, der das
Ganze kontrolliert, und wir brauchen eine deutliche demokratische Stärkung und Kontrolle der Troika. So wie
bisher kann es nicht weitergehen.
({7})
Klar ist: Das alles wird nicht in vier Monaten abgeschlossen sein. Es müssen jetzt sinnvolle Reformen angegangen werden. Langfristig muss es in Griechenland
zu sozialen Verbesserungen kommen, damit die Bevölkerung die Reformen mitträgt. Wir brauchen weitere
Maßnahmen und Spielraum im Haushalt, um etwas unternehmen zu können: zur Bekämpfung der Armut und
der Arbeitslosigkeit, zur Verbesserung des Gesundheitssystems, aber auch zur Lösung des Hungerproblems, das
es in Griechenland zum Teil gibt. Diese Chance müssen
wir ergreifen, damit es Griechenland in Zukunft auch in
sozialer Hinsicht besser geht. Griechenland braucht
mehr Gerechtigkeit. Wir brauchen auch in Europa mehr
Gerechtigkeit. Deswegen brauchen wir in den nächsten
Monaten einen Kurswechsel in der Europapolitik.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Johannes Kahrs,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden in der heutigen Debatte darüber,
wie wir uns Europa vorstellen. Wir haben in den letzten
Jahren hier diskutiert, wie europäische Solidarität geht.
Ich glaube, dieser Bundestag hat mit übergroßer Mehrheit die Programme beschlossen, die notwendig waren,
um viele Länder - mit jeweils auch unterschiedlichen
Problemen - in die Lage zu versetzen, ihre Probleme anzugehen.
Genauso war das mit Griechenland. Der Kollege
Brinkhaus hat hier ganz richtig erklärt, dass das Problem
Griechenlands in der Masse auch ein hausgemachtes ist:
Die griechischen Regierungen der Vergangenheit haben
dieses Land in eine Katastrophe geführt. Die letzten
griechischen Regierungen haben probiert, daran etwas
zu ändern; das hat teilweise geklappt und teilweise nicht.
Das sind alles Binsenweisheiten - trotzdem muss man
sie immer wieder aussprechen -: Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen - auch: wenn wir diesen Euro wollen -, dann muss man als Starker den Schwachen helfen.
Ich glaube, das ist hier alles auch unstrittig. Die Frage
ist, wie man das macht. Wolfgang Schäuble hat hier
noch einmal betont, wie wichtig der europäische Gedanke, wie wichtig europäische Solidarität ist. Dazu gehören aber zwei Seiten: Der, der helfen kann, muss helfen; aber der, dem geholfen wird, muss dann auch seine
Hausaufgaben machen, muss dann auch selber vor Ort
dafür sorgen, dass die Probleme, die bestehen, behoben
werden.
({0})
Egal wer in Griechenland regiert: Wir kämpfen dafür,
dass vor Ort Strukturreformen stattfinden. Das macht
sich bei uns nicht an irgendeiner Regierung oder an
Wahlergebnissen fest, sondern daran, ob dieses Land es
irgendwann selber schaffen wird. Dafür braucht man ein
funktionierendes Steuersystem. Dazu braucht man zum
Beispiel Grundbuchämter. Eine funktionierende Verwaltung ist eine schlichte Notwendigkeit in einer vernünftig
geführten Demokratie, ist Voraussetzung dafür, dass ein
Land überhaupt wieder nach vorne kommen kann. Da
haben sich griechische Regierungen der Vergangenheit
nicht mit Ruhm bekleckert; das wissen wir. Ob die jetzige Regierung es schafft? Ehrlich gesagt, ich hoffe es
inständig.
({1})
Diese Hoffnung ist es auch, warum ich bereit bin, heute
zuzustimmen, wenn es um eine Verlängerung um vier
Monate, nicht mehr und nicht weniger, geht. Dann werden wir uns anschauen, ob die neue Regierung in diesen
vier Monaten besser gewesen sein wird, als es die alten
vielleicht waren, dann werden wir schauen, ob diese Regierung das, was sie letzten Freitag zugesagt hat, im Ansatz umsetzt. In vier Monaten kann man die Welt nicht
verändern, kann man Griechenland nicht verändern; aber
man kann zeigen, dass man damit anfängt. Wir werden
nämlich ab Mai/Juni hier die Frage diskutieren, ob wir
dieser Regierung so weit vertrauen, dass wir ein drittes
Hilfsprogramm beschließen werden. Jeder, der heute zustimmt, muss wissen, dass, auch wenn die Griechen ihren Teil tun, ein drittes Hilfsprogramm unabweisbar sein
wird. Das dritte Hilfsprogramm, das kommen wird, wird
einfach die Fortsetzung der Arbeit sein, die wir angefangen haben. Wenn die griechische Regierung sichtbar
Fortschritte macht - und ich traue den europäischen Institutionen zu, das auch positiv zu begleiten -, dann
müssen wir aber auch den nächsten Schritt setzen. Das
heißt, jeder, der hier heute zustimmt, ist auch in der
Pflicht, beim nächsten Mal zuzustimmen
({2})
- immer genau zuhören, bevor man anfängt, zu nölen -,
vorausgesetzt die Griechen erledigen ihre Hausaufgaben, bringen ihre Verwaltung, ihren Staat nach vorne.
Das eine bedingt immer das andere.
({3})
Niemand darf glauben, dass in vier Monaten alles vorbei
ist, alles gut ist, in Griechenland alles wunderbar funktioniert. Das glaubt auch keiner. Wenn die griechische
Regierung ihren guten Willen zeigt und erste Erfolge
vorweisen kann, werden wir - das hat Wolfgang
Schäuble gesagt, das hat Carsten Schneider gesagt, das
haben die Grünen gesagt - hier im Deutschen Bundestag
auch ein drittes Programm beschließen.
Eine Anmerkung sei mir noch gestattet: Ich habe
Gregor Gysi eben sehr genau zugehört. Die Linke hat
bisher keinem einzigen Griechenland-Programm zugestimmt. Jetzt stimmt sie zu. Die Linke hat bisher jede
Regierungstätigkeit in Griechenland verurteilt und sagt
jetzt: Die neue Regierung, die von Rechtsradikalen und
Linksradikalen gemeinsam gebildet wird, ist das Nonplusultra. Es gab ja sogar Siegesfeiern in der Parteizentrale der Linken.
Sie wollen griechische Regierungen mit ihrem jeweiligen Pendant hier im Bundestag zusammenbringen. Ich
persönlich möchte mit keiner griechischen Regierung
und mit keiner griechischen Partei zusammengebracht
oder in Haftung genommen werden. Ich bin froh, wenn
ich es mit meiner eigenen Partei kann.
({4})
Ich finde, man muss immer aufpassen, dass man für niemand anderen - für kein anderes Land und schon gar
nicht für deren Parteien - die Hand ins Feuer legt. Das,
was die Linke hier macht, finde ich schwer mutig. Man
bejubelt eine Partei, die man nur in Ansätzen kennt, und
sagt: Das ist jetzt der Heilsbringer, und deswegen stimmen wir auf einmal allem zu.
({5})
Herr Bartsch, weil Sie hier eben so gejodelt haben, als
Carsten Schneider Sie zitiert hat, möchte ich das auch
noch einmal tun, damit man genau weiß, was Sie zum
Besten gegeben haben. Sie haben gesagt, Sie würden
diesen Kurs und dieses Diktat ablehnen
({6})
- genau, Sie dürfen jetzt klatschen -, weil das im Kern
ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten sei. Dass Sie dabei mitmachen, würden wir niemals erleben. - Damit,
Herr Bartsch, haben Sie gelogen. Sie werden heute mitmachen,
({7})
und das, worüber wir heute abstimmen und was wir
heute beschließen, ist im Kern genau das Gleiche, was
vor vier Monaten beschlossen worden ist und im zweiten
Programm generell steht.
({8})
Das heißt, Sie bemühen sich hier, eine ganz klare
Lüge durch viel Theaterdonner zu verbergen. Gregor
Gysi kann das. Er kann unterhalten und ist manchmal
auch erfreulich lustig.
({9})
Auf der Sachebene ist er im Kern aber leider schwach.
Sie sagen, dass die Linksradikalen und die Rechtsradikalen die Lösung für Griechenland sind. Ich hoffe das,
ehrlich gesagt, für die Griechen, aber ich weiß es nicht.
Ich bin aber, wie bei den vorhergehenden griechischen
Regierungen auch, bereit, der jetzigen einen Vertrauensvorschuss zu geben, um mir im Anschluss anzugucken,
ob das, was sie macht, im Ergebnis funktioniert. Dafür
haben wir jetzt diese vier Monate.
Wir stimmen hier heute namentlich aber über das
Gleiche ab, worüber wir auch schon vor vier Monaten
abgestimmt haben, als wir dieses Programm beschlossen
haben.
({10})
Deswegen, Herr Bartsch, haben Sie gelogen, deswegen,
Herr Gysi, haben Sie Unrecht.
Ideologische Verblendung ist Dummheit und nicht
akzeptabel, wenn es darum geht, eine Entscheidung im
Deutschen Bundestag zu begründen. Sie stimmen nur
deshalb zu, weil Ihnen gerade eine links- und rechtsradikale Regierung gefällt, obwohl Sie in der Vergangenheit
auf der Sachebene, die sich überhaupt nicht geändert hat,
immer abgelehnt haben. Deswegen fragt man sich doch,
was Sie morgens nehmen. Das müssen doch illegale
Substanzen sein.
({11})
Im Ergebnis ist das jedenfalls weder schlau noch weiterführend. Das bedient den Populismus, der überall um
sich greift. Wer Populismus gepaart mit einer gehörigen
Portion Dummheit will, der muss die Linke wählen.
Vielen Dank.
({12})
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Dehm
das Wort.
Da besonders bei den Zwischenrufen aus den Reihen
der SPD von Rechtsradikalen und Linksradikalen die
Rede war, will ich nur sagen: Wenn die Syriza-Regierung stürzen sollte - möglicherweise mit der tätigen
Mithilfe von Leuten hier im Raum -, dann werden Sie
erleben, was Rechtsradikale sind. Die „Goldene Morgenröte“, eine echt rechtsradikale faschistische Partei,
steht bereit.
({0})
Wir reden aber bei Anel über eine Partei, die sich wegen der EU-Politik von ihrer Schwesterpartei, der Nea
Dimokratia, abgespalten hatte. Das ist eine Partei, die in
kürzester Zeit beschlossen hat - demzufolge gab es auch
einige Diskussionen an ihrer Basis -, dass Migrantenkinder sofort die griechische Staatsbürgerschaft erhalten,
({1})
dass die Polizei bei Großdemonstrationen und Sportevents abgerüstet wird und dass eine Humanisierung des
Strafvollzugs - auch bei schwersten Straftaten - erfolgt.
Ich möchte einmal sehen, dass Rot-Grün oder die Große
Koalition das möglich macht, was diese Koalition in wenigen Stunden vereinbart hat. Das ist der Beweis dafür,
dass diese Regierung auf dem richtigen Weg ist.
({2})
Tun Sie mir bitte einen Gefallen, Herr Kahrs. Nennen
Sie es - Sie können es nennen, wie Sie wollen - bitte
nicht Reform und nicht Fortschritt, wenn die Kindersterblichkeitsrate in Griechenland um 43 Prozent zugenommen hat. Nennen Sie es nicht Reform und nicht
Fortschritt, wenn das Gesundheitssystem an die Kapitalentwicklung gebunden wird und damit die Zahl der HIVInfektionen um 42 Prozent zugenommen hat. Nennen
Sie es nicht Reform und nicht Fortschritt, wenn die Wirtschaft um 25 Prozent eingebrochen ist.
Herr Bundesfinanzminister, nennen auch Sie es nicht
Reform und nicht Fortschritt, wenn die Schulden in der
Zeit der Troika von 239 Milliarden Euro auf 318 Milliarden Euro gestiegen sind. Die Schulden sind durch die segensreiche Diktatur der Troika auch nicht irgendwie reduziert worden. Sie sind gestiegen. Das zeigt, dass Ihre
Politik gescheitert ist und dass Griechenland jetzt eine
neue Politik braucht.
({3})
Ein allerletzter Punkt. Sie haben erklärt, Herr Kahrs,
der Kollege Bartsch habe gesagt, ein Weihnachtsgeld für
Spekulanten werde es mit ihm nicht geben. Danach haben Sie in schlecht gespielter Häme hier im Deutschen
Bundestag kundgetan, das, was wir heute beschließen
würden, sei ein Weihnachtsgeld für Spekulanten, ganz
abgesehen davon, dass sich die Jahreszeit geändert hat.
Nein, wir stimmen hier und heute nicht über ein
Weihnachtsgeld für Spekulanten ab. Der Zeitgeist in Europa hat sich geändert. Auch das Gefühl für Würde, das
die neue griechische Regierung den Menschen wiedergegeben hat, hat sich geändert. Seien Sie mir nicht böse:
So wie Allende für einen Liter Milch gestanden hat
- letzter Satz -, stehe ich hier dafür, dass Griechenland
Geld bekommt und jetzt endlich Essensmarken an Arme
und Hungernde verteilt werden können. Das ist das
Symbol für die Syriza-Regierung. Dafür stehen wir, das
ist die Veränderung.
({4})
Zu einer kurzen Erwiderung, Herr Kollege.
Ich kann verstehen, dass der Kollege etwas sauer war,
dass seine Redezeit durch Herrn Gysi aufgebraucht worden ist.
({0})
Aber wenn man dann diese Kurzfassung hört, dann weiß
man, dass er sich nur durch seine eigenen Vorurteile leiten lässt und nicht auf der Sachebene argumentiert.
Wenn man sich die Vertreter dieser rechtsradikalen
Partei anschaut, dann fragt man sich, wodurch sie aufgefallen sind: durch antisemitische und homophobe Äußerungen. Das kann man einmal durchdeklinieren. Wenn
die Linke glaubt, dass sie mit Antisemiten zusammenarbeiten möchte - das haben Sie in Deutschland übrigens
schon einmal gemacht;
({1})
Sie haben schon einmal mit Rechtsradikalen und Antisemiten zusammen demonstriert -, dann zeigt das, wes
Geistes Kind die Linke ist. Das zeigt auch, dass Sie weder europäisch noch international sind, sondern genauso
kleingeistig und rückwärtsgewandt wie die AfD. Vorurteile, das können Sie. Sachebene, das können Sie nicht.
({2})
Uns geht es darum, den jeweiligen griechischen Regierungen die Möglichkeit zu geben, in ihrem Land eine
sachliche und vernünftige Politik zu machen. Was in
Griechenland gemacht wird, entscheidet am Ende des
Tages die griechische Regierung, die in Griechenland
gewählt wird. Wir hoffen, dass das für Griechenland gut
ist.
Wir bezweifeln, dass die Linke mit ihrer Politik vorwärts gerichtet ist oder dieses Land weiterbringen wird.
Deswegen sage ich noch einmal: Jede Stimme für die
Linke ist verschwendet.
({3})
Herr Kollege Gysi.
Herr Kahrs, was Sie hier geboten haben, ist derart
kleinkariert, dass ich mich dazu inhaltlich überhaupt
nicht äußern werde.
({0})
Nicht wir sind durch Voreingenommenheit geprägt, sondern Sie.
Aber eines sage ich auch: Wenn in Deutschland wirklich die Gefahr einer Koalition mit einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD besteht, dann weiß Gott nicht
durch die Linke, sondern durch die Union. Wenigstens
das müssten Sie begreifen.
({1})
Nun denn.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Scheuer für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Dehm, Herr Kollege Gysi, es bleibt aber
unterm Strich dabei: In Griechenland gibt es eine Koalition aus Linksextremen und Rechtsextremen.
({0})
Diese Fakten können Sie nicht wegdiskutieren.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie empfangen ja Ihre Anweisungen mittlerweile aus der Thüringer Staatskanzlei.
In einem aktuellen Schreiben aus dieser Staatskanzlei an
die Mitglieder der Fraktion Die Linke heißt es wortwörtlich im Text, es gehöre „zu den solidarischen Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Linken“, heute zuzustimmen;
({2})
das nur mal als kleiner Hinweis dazu, warum sich das so
entwickelt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Währung der Politik ist zuallererst Vertrauen. Dieses Vertrauen hat die griechische
Regierung in den letzten Wochen arg strapaziert. Die
Beiträge der Regierungsmitglieder in Griechenland haben nicht nur dem Ansehen Europas und der Solidarität
in Europa geschadet, sondern widersprechen auch unseren Vorstellungen von politischer Kultur. Deswegen,
meine Damen und Herren, hat sich auch bei uns in der
Bevölkerung eine Stimmung entwickelt, die sich gegen
diese europäische Solidarität richtet.
({3})
Fakt ist auch, dass eine große Mehrheit der Bürgerinnen
und Bürger - wenn sie hier sitzen würde - heute mit
Nein stimmen würde.
({4})
- Herr Kollege Hofreiter, ich versuche gerade, Sachlichkeit in die Debatte zu bringen.
({5})
Lieber Herr Kollege Hofreiter, Ihre Rede war ein guter Versuch, sachlich zu sein. Aber der Kollege Kindler
hat Begriffe wie „dummdreist“ und „überheblich“ verwendet. Das läuft einer Debatte, in der es um europäische Solidarität geht, aus meiner Sicht zuwider.
({6})
Es geht auch darum, unsere heutige Entscheidung zur
Verlängerung des bestehenden Programmes der Stabilitätshilfe den Bürgerinnen und Bürgern mit Fakten unterlegt gut zu erklären. Kollege Brinkhaus hat die Fakten
auf den Tisch gelegt. In dieser Verantwortung müssen
wir heute entscheiden. Jeder hat irgendwo ein - ja - Gefühl, das nicht nur positiv ist. Denn wir müssen uns darauf verlassen, dass die griechische Regierung jetzt liefert.
Aber Wolfgang Schäuble hat es in den letzten Wochen geschafft, eine große Koalition der Stabilitätsländer
in der Euro-Zone zu erreichen. Alle haben sich um unseren Bundesfinanzminister geschart. Danke für diesen
Einsatz, lieber Herr Schäuble,
({7})
und auch für das klare Bekenntnis, was alles zu leisten
ist.
Ja, es geht schlichtweg nur um eine Verlängerung.
Aber diese Verlängerung ist an harte Kriterien und Erwartungen geknüpft. Deswegen hat sich die CSU-Landesgruppe, die in mehreren Sitzungen darüber beraten
hat, die Entscheidung auch nicht leicht gemacht. Bei vielen ist der Geduldsfaden arg unter Spannung; bei einigen
Kollegen ist der Geduldsfaden schon gerissen.
Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, es geht jetzt um Klarheit. Das heißt: kein
Rückfall hinter die schon geleisteten Reformen, keine
Rücknahme von Reformen, ein klares Konzept, ein klarer Zeitplan und klare Ziele mit den europäischen Institutionen, mit der Troika zusammen.
Es ist heute an der Zeit, Ja zu sagen zu einer Verlängerung, aber geknüpft an diesen harten Kriterienkatalog.
Eines ist aber auch ganz klar: Wie in Griechenland politisch kommuniziert wird, ist deren Sache. Uns muss es
um die Stabilität unserer Währung und die Erfüllung der
Reformen, die Griechenland jetzt leisten muss, gehen.
({8})
Für die CSU-Landesgruppe ist der Prüfmaßstab:
({9})
deutsche Solidarität nur gegen griechische Reformen.
Meine Damen und Herren, es folgen drei Schritte - so
würde ich das ausdrücken -: jetzt die Verlängerung gleichzeitig eine Gewährung von zusätzlicher Zeit beim
Nachsitzen -; Ende April der Maßnahmenkatalog mit einem Zeitplan, um das Vorrücken nicht zu gefährden, und
Ende Juni entscheidet das Kollegium über Vorrücken
oder sogar Ausschluss.
Herr Kollege Hofreiter und Herr Kollege Kahrs, wir
reden jetzt nicht über ein drittes Hilfspaket. Ich möchte,
dass erst die Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich die
Einhaltung von Reformkriterien.
({10})
Wenn wir jetzt gleich abstimmen, dann hat das nichts
mit politischer Kommunikation auf nationaler Ebene zu
tun, sondern damit - das hat mir in vielen Minuten dieser
Debatte gefallen -, den Bürgerinnen und Bürgern klarzumachen, dass es um ein gemeinsames Europa in Solidarität geht, aber so, wie der Kollege Schneider es ausgedrückt hat.
Wir haben schon mehrfach abgestimmt. Aber in vorauseilendem Gehorsam, lieber Kollege Schneider und
lieber Kollege Kahrs, macht dieser Deutsche Bundestag
nichts. Wir werden alles genau auf den Prüfstand stellen.
Ende Juni ist die Zeit der Entscheidung, ob es mit Griechenland weitergeht oder nicht. Das ist die letzte
Chance, die wir Griechenland einräumen; das muss jedem klar sein. In diesem Sinne bitte ich um große Zustimmung, damit wir das Signal setzen: kein Rückfall
hinter die geleisteten Reformen, aber ein klarer Fahrplan, um aus der Misere herauszukommen. Andere Länder haben es vorgemacht. Griechen, jetzt müsst ihr liefern!
({11})
Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind hier sicherlich bei einer Reihe von Punkten unterschiedlicher Auffassung. Es ist auch gut so, dass wir das
diskutieren. Aber in einem Punkt sollten wir uns hier alle
- Koalitionsfraktionen und Opposition, Regierungsvertreter und Bundesrat - einig sein: Wir unterstützen keine
Axel Schäfer ({0})
Kampagnen gegen andere Länder. Wir unterstützen das
nicht.
({1})
Wir sind in Europa eine Gemeinschaft, in der Menschen für Menschen und Länder für Länder kritisch, aber
solidarisch einstehen. Ich will Ihnen einmal erläutern,
was das für Deutschland heißt. Ich bin 1952 geboren:
1952 gab es eine Schuldenkonferenz in London, bei der
es um unser Land, die Tragfähigkeit von Belastungen
und mögliche Zukunftschancen ging. Haben uns damals
151 Länder die kalte Schulter gezeigt? 1952 fanden in
Oslo und Helsinki Olympische Spiele statt. Haben uns
193 Länder ausgeschlossen und unseren Athletinnen und
Athleten die Teilnahme verwehrt? 1952 hat erstmals ein
europäisches Parlament seine Arbeit aufgenommen, initiiert von Frankreich und den Beneluxstaaten. Waren wir
ausgeschlossen? 1952 hat die deutsche Bundesregierung
zum ersten Mal den Versuch unternommen, in einem anderen Staat ein Goethe-Institut zu gründen. Wurde das in
Athen abgelehnt? - All diese Fragen sind mit Nein zu
beantworten.
Die Rückkehr Deutschlands in die Völkerfamilie und
die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft waren
nur möglich, weil uns nach dem schrecklichsten aller
Kriege, die von Deutschland und in deutschem Namen
begonnen und geführt worden sind, diejenigen, die überfallen worden sind - Benelux, Frankreich usw. -, die
Hand gereicht und mit uns zusammengearbeitet haben,
ohne alles aufzurechnen und ohne zu sagen: Raus mit
euch! Auf die Knie! - Das kann in Europa niemals unsere Haltung sein, auch nicht gegenüber Griechenland.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt ja
Gott sei Dank in der Diskussion hier in diesem Haus und
in den Fraktionen alle in der europäischen Wirklichkeit
angekommen.
({3})
Ich finde es nicht in Ordnung, wenn der griechische
Ministerpräsident Tsipras sagt: „Wir haben eine Schlacht
gewonnen, aber nicht den Krieg.“ Wer diese Worte
wählt, hat ein zentrales Element europäischer Gemeinschaft nicht verstanden.
({4})
In Europa werden eben keine Schlachten, sondern Verhandlungen miteinander geführt, und es werden schon
gar keine Kriege gegeneinander geführt,
({5})
sondern friedlich auch schwierigste Kompromisse gefunden. Das ist eben der Unterschied; das ist auch der
Unterschied zu dem, was wir in der Ukraine und Russland erleben. Das ist genau der Unterschied, um den es
geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Deshalb muss eine Diskussion darüber, wie wir uns
zu Griechenland positionieren, auch ehrlich und selbstkritisch geführt werden. Ganz klar: Konservative oder
Mitglieder der christdemokratischen Parteifamilie und
Mitglieder der sozialdemokratischen Parteifamilie Pasok
tragen eine zentrale Verantwortung für das, was in diesem Land in den letzten Jahrzehnten schrecklich gelaufen ist,
({7})
was wirklich sehr schlecht gelaufen ist. Wir in der SPD
- das sage ich für meine christdemokratischen Kolleginnen und Kollegen sicherlich mit - haben geglaubt, als
Karamanlis und Papandreou und all die anderen nach der
Militärdiktatur aus Paris, aus Frankfurt und aus New
York wieder nach Athen kamen, dass sie einen demokratischen, funktionierenden Staat aufbauen und in die EU
führen. Funktioniert hat die Aufnahme in die EU. Das
andere - ein handlungsfähiger Staat, der Korruption bekämpft und die Finanzen sichert, eine funktionierende
Verwaltung - hat eben nicht funktioniert. Es ist jetzt die
Verpflichtung, dass dies in Griechenland gelingt.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute darüber diskutieren, hat das auch immer etwas mit Haltung
zu tun. Es gibt kein deutsches Diktat gegenüber Athen.
Es gibt auch keine deutsche Vorherrschaft in Europa. Es
gibt eine Debatte von 19 Staaten in der Euro-Zone.
({9})
Es gibt eine Entscheidung innerhalb von 28 Staaten, bei
der Deutschland wie Griechenland, wie Frankreich und
Ungarn gleichberechtigt ist. Das ist die Basis, auf der wir
dabei arbeiten. Alles andere wird es nicht geben.
Wir werden Verständigung miteinander nur erreichen,
wenn wir auch Verständnis füreinander haben. Ohne das
geht es in solch einer Entscheidung nicht.
Ich sage hier bewusst provokativ nach all den Beschlüssen, die der Deutsche Bundestag seit 2010 getroffen hat, und auch in Richtung meines Vorredners von der
CSU: Der Weg von Kompromissen heißt: Bis hierhin
und dann weiter. Die Drohung mit Ausschluss, mit
Grexit, alles derartige Wording, ist schlicht und einfach
Unsinn, weil das eben nicht nur Griechenland bestrafen
- in Anführungsstrichen - oder zerstören würde, sondern
die Gemeinschaft insgesamt, die Europäische Union zerstören würde. Und das werden wir definitiv nicht machen.
Axel Schäfer ({10})
({11})
Wir können hier über viele Details kritisch diskutieren; es gibt keine letzten Wahrheiten. Es gibt aber
60 Jahre Erfahrungen, die besagen: Außer in der Frage
der Verteidigungsgemeinschaft hat diese europäische
Methode der Kompromisse, des Immer-wieder-miteinander-Redens und Verhandelns und auch des Aufeinander-Zugehens, zum Erfolg geführt und nicht zum Scheitern. Und wir wollen den Erfolg. Wir sind ins Gelingen
verliebt und nicht ins Scheitern, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({12})
Es stimmt: Die Diskussion bei unseren Bürgerinnen
und Bürgern, in all unseren Parteien, ist kritisch. Ich
würde mir aber wie mein Vorredner nicht anmaßen, hier
zu sagen: Wenn alle Bürgerinnen und Bürger, die Interesse an der Sache haben, sich hier versammeln könnten,
würden die jetzt dagegen stimmen. - Ich glaube, der europäische Sinn, der uns in diesem Hause verbindet, ist
allemal tragfähig, Überzeugungsarbeit zu leisten, damit
nicht Stimmungskampagnen in der Bevölkerung, sondern gemeinsam organisierte Diskussionen zum Erfolg
führen. Wir brauchen nur einen einzigen Satz, um das
verständlich zu machen: Es kann Deutschland nicht gut
gehen, wenn es den Ländern um uns herum in der EU
schlecht geht. Das sollte uns gemeinsam leiten.
Vielen Dank.
({13})
Nun erhält der Kollege Klaus-Peter Willsch das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird sich
gleich zeigen, dass ich nicht für die Mehrheit, sondern
für eine Minderheit in meiner Fraktion spreche. Ich bin
dankbar, dass das möglich ist.
Herr Schäfer, bei allem Verständnis für den Versuch,
sich in staatsmännische Pose zu werfen, darf man bei
dem Thema eines nicht vergessen: Wir reden erneut über
Griechenland, das einen Anteil von 2 Prozent an der
Wirtschaftskraft der Euro-Zone hat. Die Probleme, die in
Griechenland bestehen, hängen damit zusammen, dass
Regierungen über Jahrzehnte in verantwortungsloser
Weise missgewirtschaftet und Schulden gemacht haben,
ohne zu fragen, ob es ein Morgen gibt. Das ist das Problem, über das wir uns unterhalten müssen.
({0})
Bemerkenswert war im Rahmen der Diskussionen,
die wir auf dem Weg zu der heutigen Debatte geführt haben, für mich die Aussage von Finanzminister Schäuble:
Wir wissen nicht, wo Griechenland steht. - Das ist auch
nachvollziehbar; denn die Troika ist draußen. Wir bekommen keine neutralen Zahlen mehr. Die Regierung
hat die Troika rausgeschmissen. Die „Institutionen“ will
sie vielleicht wieder reinlassen - es kommt darauf an,
was zählt: ob das zählt, was sie in Brüssel oder Berlin
sagt, oder das, was sie in Athen sagt.
Wir sind damit wieder in der gleichen Lage, in der wir
auch waren, als wir uns fragten, ob Griechenland wohl in
die Euro-Zone hineinkommen kann. Wir waren damals
auf griechische Zahlen angewiesen, von denen wir heute
wissen, dass sie gefälscht waren, grob gefälscht, um sich
den Zugang zur Währungsunion zu erschleichen.
({1})
- Goldman Sachs ist von der griechischen Regierung beauftragt worden.
({2})
Wir waren erneut auf solche Zahlen angewiesen, als
wir über Haushaltsdefizite in Griechenland sprachen und
sich nachher herausstellte, dass nicht 6 oder 8, sondern
15 Prozent Defizit zu verzeichnen war. Nun haben wir
wieder keinen Zugriff auf die Zahlen, aber wir wissen so
einiges, was in den letzten Jahren geschehen ist.
Die Europäische Union und der IWF haben ungefähr
250 Milliarden Euro an Krediten an Griechenland gewährt. Das sind 135 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung Griechenlands. Das sind mehrere Marshallpläne,
um das Thema damit gleich zu erledigen. Wir haben einen Schuldenschnitt, den größten in der Finanzgeschichte, in Höhe von 107 Milliarden Euro gewährt.
Dazu kommt ein Schuldenschnitt von über 40 Milliarden
Euro, der durch Zinserleichterungen und Aufschub von
Tilgungsleistungen zustande gekommen ist.
Griechenland weist heute 320 Milliarden Euro Schulden auf. Das entspricht 180 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung und ist dreimal so viel, wie nach den
Maastricht-Kriterien zulässig ist. Wo ist denn da die
Herrschaft des Rechts in Europa?
Wir haben in Griechenland eine Arbeitslosenquote
von 25 Prozent und eine Jugendarbeitslosenquote von
50 Prozent zu verzeichnen.
Ich wiederhole meinen Vorschlag vom Mai 2010:
Griechenland muss es außerhalb des Euros versuchen.
Die Euro-Zone muss atmen können. Wenn die Abwertung der Währung nicht mehr möglich ist, kann Wettbewerbsfähigkeit nur durch reale Kürzungen von Löhnen
und Preisen erfolgen. Dass das an ein Ende kommt, sehen wir.
Selbst heute, nach dem, was geschehen ist, sind in
Griechenland die Lohnkosten noch doppelt so hoch wie
in Polen und Slowenien, und die Wettbewerbsfähigkeit
liegt darnieder. Es wäre eine Abwertung um mindestens
30 Prozent notwendig, um das zu ändern. Ob eine Regierung aus linksradikalen und rechtsradikalen Populisten
so etwas fertigbringt, zeigt sich, wenn wir uns die Bilder
anschauen, die uns dieser Tage aus Griechenland erreichen.
Ich will Ihnen nicht vorenthalten, dass ein Onlinedienst aktuell Folgendes meldet: Die Reformpläne seien
in Abstimmung mit anderen Euro-Ländern absichtlich
unbestimmt formuliert. Sonst würden sie nicht die notwendige Zustimmung der Parlamente der Euro-Länder
erhalten, sagte Varoufakis im griechischen Fernsehen. Er
bezeichnete dieses Vorgehen als produktive Undeutlichkeit. So viel zu dem, was in Griechenland gesagt wird,
und dem, was hier gesagt wird.
Wir sind in der Fastenzeit. Für Christen ist die Fastenzeit eine Zeit der inneren Einkehr oder gar der Umkehr.
({3})
Wenn man nicht in die richtige Richtung fährt, macht es
keinen Sinn, das Tempo ständig zu erhöhen. Damit entfernt man sich nur weiter vom Ziel. Mein Christentum
spendete mir manchmal Trost, wenn ich mit meiner
Position ein bisschen allein war.
Herr Kollege!
Im zweiten Buch Mose heißt es: „Du sollst dich nicht
der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist …“.
Das habe ich hinreichend berücksichtigt. Herr Präsident,
nun folgt der Schlusssatz für diejenigen, die mit dem
Christentum nichts anfangen können, ein alter Rat aus
Wahlkampfzeiten: Schauen Sie sich Tsipras an, schauen
Sie sich Varoufakis an! Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen?
({0})
Wenn die Antwort darauf Nein lautet, dann stimmen Sie
auch heute mit Nein. Das Elend wird sonst weitergehen.
({1})
Die nächsten Milliardenzahlungen stehen an. Wir werden mit Blick auf den Juni über ein Volumen von
30 Milliarden bis 40 Milliarden Euro diskutieren. Es
wird kein Ende nehmen. Wenn das Wasser an der Oberkante der Unterlippe steht, wird nach neuem, frischem
Geld von uns gerufen werden. Es wird kein Ende nehmen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken
ohne Ende!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Eckhardt Rehberg ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Gysi, wenn man wie Sie Zahlen in den Raum
wirft und darauf hinweist, dass das durchschnittliche
Einkommensniveau in Griechenland um 30 Prozent gesunken ist, dann muss man auch sagen, dass es 2010
knapp über 30 000 Dollar lag und dass das heutige
durchschnittliche Einkommensniveau in Griechenland
dem durchschnittlichen Einkommensniveau in den
neuen Bundesländern entspricht.
({0})
Ja, das muss man miteinander vergleichen; denn wir haben nicht nur Verantwortung für Deutschland wahrzunehmen, sondern auch Verantwortung für Transformationsländer wie Estland, Lettland, Litauen, Polen,
Bulgarien, Rumänien und die Slowakei. Auch dafür stehen wir heute in der Verantwortung.
({1})
Die Griechen haben sich 2009/10 einen schuldenbasierten Wohlstand geleistet, konnten sich an den Finanzmärkten nicht mehr refinanzieren und sind heute auf europäisches Geld angewiesen. Dann finde ich es schon
etwas weit hergeholt, wenn der Finanzminister eines
kleinen europäischen Landes mit einem deutlich geringeren Wohlstands- und Sozialniveau den griechischen
Finanzminister darauf hinweist, dass er dies auch bedenken möchte, und die Antwort lautet: Das ist Ihr Problem;
davon können wir in Griechenland nicht leben. - Solidarität sowie Verständnis füreinander in Europa können
und dürfen keine Einbahnstraße sein.
({2})
Kollege Gysi, ich will Ihnen noch etwas anderes sagen. Sie schwadronieren sehr gerne. Aber Ihr Schwadronieren ist nicht sehr stark von Sachkenntnis geprägt.
({3})
Ich will Ihnen das an einem einzigen Beispiel klarmachen. Griechenland braucht keinen Marshallplan. Griechenland hat einen Marshallplan. Griechenland bekommt die europäischen Fonds zu 95 Prozent als
Zuschuss. Die restlichen 5 Prozent kann es eigenfinanzieren oder durch Darlehen der Europäischen Investitionsbank decken.
Ich will Ihnen etwas zur Schiffbauindustrie sagen.
Kollege Rehberg, bevor Sie zur Schiffbauindustrie
kommen: Lassen Sie eine Zwischenbemerkung der Kollegin Sitte zu, die sich auf eine vorangegangene Bemerkung bezieht?
({0})
Gerne.
Herr Rehberg, ich weiß, dass eine solche Debatte
auch immer eine Zahlenschlacht ist und dass in der damaligen Debatte, in der die Krise in Griechenland schon
einmal besprochen wurde, sehr viele Falschinformationen über die Sozialstandards in Griechenland verbreitet
worden sind. Ich möchte sie an dieser Stelle ausdrücklich korrigieren. Es wird immer wieder behauptet - auch
von der Bild-Zeitung -, die Griechen seien zu faul. Die
tatsächliche Wochenarbeitszeit der Griechen betrug vor
der Krise 44,3 Stunden. In Deutschland lag sie bei
41 Stunden, im EU-Durchschnitt bei 41,7 Stunden.
Haben die Griechen zu viel Urlaub gehabt? Damit
komme ich zu einem weiteren Sozialstandard. Der Urlaubsanspruch griechischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrug vor der Krise 23 Tage, in Deutschland
30 Tage. Damit ist Deutschland europaweit spitze.
({0})
Haben die Griechen Luxusrenten bekommen? Das
durchschnittliche Rentenalter von Männern in Deutschland liegt bei 61,5 Jahren, in Griechenland bei 61,9 Jahren.
Schließlich: Hat man sich denn in Griechenland ein
zu fettes Leben gemacht? Das Lohnniveau der Griechen
betrug 2010 nur 73 Prozent des Durchschnitts der EuroZone. Griechenlands Arbeitskosten lagen damals bei
17,7 Euro pro Stunde, in Deutschland bei 29 Euro.
25 Prozent der Griechen verdienten schon damals im
Monat weniger als 750 Euro.
Frau Kollegin.
Letzte Anmerkung von mir. - Lehrerinnen und Lehrer
verdienen nach 15 Dienstjahren 40 Prozent weniger als
Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland.
Also hören Sie auf, den Griechen, insbesondere der
griechischen Bevölkerung, zu unterstellen, sie hätten
sich auf Kosten anderer vorher bereichert und gesundgestoßen.
({0})
Frau Kollegin, ich würde gerne Ihre Einlassung beantworten, wenn Sie das möchten. Nehmen wir allein
das Thema öffentlicher Dienst in Griechenland. Wenn
wir die Struktur des öffentlichen Dienstes in Griechenland und Deutschland vergleichen, dann stellen wir fest,
dass Griechenland viermal mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst hat als Deutschland.
({0})
Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Griechenland haben nach meiner Kenntnis 14 Monatsgehälter
zum Zeitpunkt 2010 erhalten.
({1})
Es geht um erfolgreiche Politik. Es war sicher eine
Herausforderung, im Jahr 2003 die Agenda 2010 zu initiieren.
({2})
Das hat der SPD und den Grünen nicht gutgetan, das ist
ihnen nicht leichtgefallen. Damals gab es die Konstellation, dass Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundesrat hatte.
Mit diesem Aufschlag mit der Agenda 2010, mit der Politik, die wir in der Großen Koalition von 2005 bis 2009, in
der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 gemacht haben und jetzt wieder in der Großen Koalition
machen, haben wir Folgendes erreicht: das höchste Erwerbsarbeitsniveau in Deutschland, das höchste Wohlstandsniveau,
({3})
keine neuen Schulden, finanzielle Spielräume, um in
Bildung und Forschung zu investieren, in Verkehrsinfrastruktur usw. usf. Frau Kollegin Sitte, das zeigt: Wer sich
anstrengt wie wir in Deutschland, der ist auch erfolgreich.
({4})
Griechenland hat einen Marshallplan. Herr Kollege
Gysi, wenn Sie den Schiffbauern in Bremen, in Kiel, in
Hamburg, in Rostock, in Stralsund und in Wolgast erklären, dass Sie dafür sind, dass in Griechenland Schiffe mit
europäischem Geld gebaut werden, hochsubventioniert,
und dadurch deutsche Schiffbauer Aufträge verlieren,
wenn Sie deutschen Reedern und deutschen Seeleuten
erklären, dass diese subventionierten Schiffe mit subventionierten Charterraten durch die Welt fahren und deswegen deutsche Schiffe keine Aufträge bekommen, dann
wünsche ich viel Vergnügen. Gehen Sie zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der deutschen Seeschifffahrtsunternehmen und der deutschen Werften, und erklären
Sie, dass Sie sich hier dafür eingesetzt haben, dass in
Griechenland mit europäischem Geld subventionierte
Schiffe gebaut werden. Das, was Sie hier vorbringen,
Herr Kollege Gysi, zeugt von keinerlei Sachkenntnis.
({5})
Die ganze Doppelzüngigkeit der Linken wurde deutlich bei der Rede von Herrn Hofreiter. Herr Kollege
Hofreiter, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar, dass Sie
die Karikaturen in der Parteizeitung von Syriza kritisiert
haben. Das ganze Haus hat Beifall geklatscht und hat Ihnen damit zugestimmt. Eine Fraktion hat nicht zugestimmt, die Fraktion Die Linke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, man
muss generell gegen Antisemitismus sein. Nazivergleiche darf man auf keinen Fall zulassen. Ihre Doppelzüngigkeit ist bei der Kritik des Kollegen Hofreiter deutlich
geworden, indem Sie nicht mitgeklatscht haben, wohl
aber das ganze Haus. Das ist eine Doppelzüngigkeit, die
Sie hier gezeigt haben.
({6})
Um es in Erinnerung zu rufen: Wir stimmen hier über
ein bestehendes Reformprogramm ab. Im Dezember haben wir seiner Verlängerung um zwei Monate zugestimmt. Jetzt stimmen wir einer Verlängerung um vier
Monate zu. Dass Geld fließt, ist kein Automatismus. Der
eine oder andere meint, schon heute über ein drittes
Hilfspaket reden zu müssen. Wir werden es zwischen
heute und Juni mit zwei anderen Hürden zu tun haben:
Das MoU wird durch die Troika überprüft werden. Außerdem wird der Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages darüber entscheiden müssen, ob die Auszahlung der ausstehenden Tranche des EFSF-Programms und die Überweisung der SMP-Gewinne vorgenommen werden dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die griechische Regierung hat eine Chance verdient, ja. Aber schon bis zur
Überprüfung dieser Auszahlungen muss die griechische
Regierung beweisen, dass sie den Vertrauensvorschuss
zu Recht erhalten hat. Das heißt, dieses Thema wird sich
nicht bis Juni hinziehen; vielmehr werden wir spätestens
im März/April sehen können, ob die Regierung Tsipras/
Varoufakis es mit ihren Zusagen ernst meint.
({7})
Jeder muss sich vor Augen führen: Das ist die Basis
des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen, dem
die Erklärung der Euro-Gruppe vom 20. Februar 2015
zugrunde liegt. Ich bin Bundesfinanzminister Schäuble
ausdrücklich dankbar, dass er klar gesagt hat, dass der
Antrag der Griechen vom Vortag nicht zustimmungsfähig ist. In der Erklärung, die in weiten Teilen wortgleich
im Antrag des Bundesministeriums der Finanzen enthalten ist, werden an Griechenland keine Zugeständnisse
gemacht. Ganz im Gegenteil: Enthalten ist ein ganz wesentlicher Punkt, der heute in der Debatte noch keine
Rolle gespielt hat: Fast 11 Milliarden Euro aus dem griechischen Bankenrettungsfonds kommen in europäische
Hoheit zurück.
Das Einzige, bei dem ich finde, dass wir ein Zugeständnis gemacht haben - da bin ich aber relativ entspannt und schmerzfrei -, ist, dass wir jetzt nicht mehr
„Troika“, sondern „drei Institutionen“ sagen sollen.
Wolfgang Schäuble hat an diesem Tag - die Zustimmung im Deutschen Bundestag wird das beweisen - viel
für Europa und viel für Deutschland getan. Alles andere
wäre ein Irrweg gewesen. Dieses Dokument vom 20. Februar 2015 ist ein Vertrauensvorschuss, eine Chance für
die neue Regierung. Aber die Botschaft an Tsipras, an
Varoufakis ist: Solidarität ist keine Einbahnstraße.
Herzlichen Dank.
({8})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Thorsten Frei.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
stehen am Ende einer intensiven und auch einer kontrovers geführten Debatte. Uns eint das Ziel, dass wir für
ein starkes Europa kämpfen möchten, das als Friedens-,
als Freiheits- und auch als Wohlstandsprojekt weltweit
und in der Geschichte einzigartig ist. Es ist vollkommen
richtig - es wurde bereits mehrfach gesagt -: Wir akzeptieren die Entscheidung des griechischen Souveräns. Das
tun wir; das haben wir in der Vergangenheit bewiesen,
auch in den letzten Wochen.
Aber es ist auch eine Frage der Gegenseitigkeit, des
Vertrauens, dass man gegebene Zusagen einhält und dass
man das, was man international und zwischenstaatlich
vereinbart hat, nicht einfach und einseitig aufkündigt.
({0})
Wir haben es in der Rede des Bundesfinanzministers
gehört: Das, was wir heute machen, ist die technische
Verlängerung eines hier im Hause bereits beschlossenen
Programmes. Was für uns entscheidend ist: Die Voraussetzungen und Bedingungen bei der Fortsetzung dieses
Programmes werden sich in den nächsten vier Monaten
nicht ändern. Es geht im Kern darum, ein Programm erfolgreich zum Ende bringen zu können. Da sichern wir
der griechischen Regierung und Griechenland unsere
Unterstützung zu, erwarten dann aber, dass das, was in
Brüssel vereinbart ist, in Griechenland nicht nur gesagt,
sondern tatsächlich auch umgesetzt wird.
({1})
Wir werden sehr genau darauf achten, dass man nicht
mit langfristigen Einnahmeerwartungen - Bekämpfung
von Korruption und der Hinterziehung von Steuern -,
nicht mit langfristig zu erzielenden Steuereinnahmen
kurzfristig Ausgaben finanzieren möchte. Das ist nämlich die Politik linker Regierungen. Da ist Griechenland
nicht anders als Deutschland; das können wir dort erleben, wo die Linke Landesregierungen stellt, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({2})
Für uns ist klar: Wir kaufen ein weiteres Mal Zeit.
Wir geben Chance und Unterstützung. Das muss genutzt
werden, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
im Sommer dieses Jahres weitere Schritte gegangen werden können. Das setzt Vertrauen voraus, Vertrauen, das
in den vergangenen vier Wochen geradezu mit Füßen getreten worden ist. Es ist eine Frage dessen, wie man miteinander umgeht. Es ist so, dass 18 Partner Geld und Unterstützung zur Verfügung gestellt haben, dort als eine
Phalanx stehen, während eine Regierung glaubt, eigene
Wahlversprechen mit dem Geld anderer Leute finanzieren zu können. Das werden wir nicht durchgehen lassen.
Das werden wir nicht akzeptieren, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({3})
Jetzt haben wir heute hier in dieser Debatte auch viele
Unterstellungen gehört. Wir haben das Jonglieren mit
falschen Zahlen erlebt. Wir hören immer wieder, dass
die Situation in Griechenland - Sie versuchen, diesen
Eindruck zu erwecken - nicht in Griechenland entstanden sei, sondern dass andere schuld seien: Brüssel, Berlin oder irgendwelche anderen.
({4})
Ich will gern darauf eingehen. Sie haben versucht, das
mit Zahlen zu unterlegen. Das Problem ist nur, lieber
Herr Dehm, dass die Zahlen, die Sie genannt haben,
falsch sind.
({5})
- Doch!
Wir haben heute in Ihrer Kurzintervention ein weiteres Mal - Sie haben es in den vergangenen Wochen
mehrfach gesagt - von einer sozialen Verelendung in
Griechenland gehört.
({6})
Sie haben das mit Zahlen zur Säuglingssterblichkeit gestützt. Ich will Ihnen eines sagen: Die Steigerung der
Säuglingssterblichkeit in Griechenland um 43 Prozent
war nicht ab 2010, sondern zwischen 2008 und 2010.
Danach ist sie zurückgegangen.
({7})
Die Zahl liegt in Griechenland bei 2,9
({8})
und in Deutschland bei 3,3.
({9})
Das sind die Zahlen von Eurostat, lieber Herr Dehm, und
die sollten Sie akzeptieren.
({10})
Das Gleiche gilt für den Blödsinn über die Suizidrate.
Die ist in Griechenland hoch, aber in Deutschland dreimal höher. Auch das sind Zahlen von Eurostat.
({11})
Sie sollten sie akzeptieren.
Wirtschaftlicher Niedergang. Schauen Sie sich doch
die Fakten an!
({12})
2014 gab es ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent. Für
2015 und 2016 ist ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent bzw. 3,6 Prozent prognostiziert. Die Anstrengungen
und das Anpassungsprogramm waren richtig. Das war
gut. Es hat angefangen, zu wirken, bis Links- und
Rechtsradikale in Athen die Regierung übernommen haben
({13})
und die wenigen, die da noch Steuern bezahlt haben, die
Zahlung auch noch zurückgestellt haben, meine sehr
verehrten Damen und Herren. Das ist die Wahrheit.
({14})
Deshalb werden wir darauf achten, dass auch zukünftig die Bestimmungen, die wir in den europäischen Verträgen haben, eingehalten werden. Wir sind solidarisch.
({15})
Um mit den Worten von Günther Oettinger zu sprechen:
Wir sind gutwillig, aber wir sind nicht dumm. Wir sind
entgegenkommend,
({16})
aber wir lassen uns nicht erpressen.
({17})
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Wir wollen
Unterstützung geben, aber wir wollen Unterstützung
verbunden mit Bedingungen und mit Solidarität. Wir
wollen keinen Verstoß gegen Artikel 125 des Vertrages
über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Wir wollen keine Bail-out-Union. Das ist unsere Vision eines guten Europas. Wir wollen Solidarität, aber eine, die von
innen stark und verlässlich ist. Damit bitte ich um die
Zustimmung zum Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, mache ich da-
rauf aufmerksam, dass weit über 100 schriftliche Erklä-
rungen zur Abstimmung vorliegen, die wir wie immer
dem Protokoll beifügen.1)
Es gibt außerdem zwei Wünsche auf Abgabe einer
mündlichen Erklärung zur Abstimmung. Solche Erklä-
1) Anlagen 3 bis 12
Präsident Dr. Norbert Lammert
rungen werden nach unserer Geschäftsordnung in der
Regel vor der Abstimmung abgegeben. Ich lasse diese
beiden mündlichen Erklärungen deswegen zu - unter
ausdrücklichem Hinweis auf das strikte Zeitregime, das
dafür gilt.
Zunächst der Kollege Michael Schlecht, dann die
Kollegin Groth.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich stimme dem Antrag zu, weil ich will,
dass Griechenland Zeit gewinnt, Zeit, in der die neue
griechische Regierung die Chance bekommt, die Diskussionen in Europa und auch in Deutschland weiter voranzutreiben, dass die bisherige Politik, die maßgeblich von
Deutschland über die Troika dem griechischen Volk aufoktroyiert wird, gescheitert ist.
Ich will, dass die griechische Regierung in dieser Diskussion die Chance erhält, bei einem weiteren Programm ab Sommer deutliche Veränderungen durchzusetzen. Vor allen Dingen soll es auch gelingen, dass sich
andere europäische Länder, die ebenfalls unter der Krisenpolitik leiden, die von Deutschland den anderen Ländern aufoktroyiert wird, einreihen. Deswegen stimme
ich zu, dass die griechische Regierung die Chance bekommt, endlich das zu tun, was in den vergangenen Jahren nicht gemacht worden ist, nämlich Reiche und Vermögende viel stärker zur Kasse zu bitten und dafür zu
sorgen, dass sie ihren Beitrag dazu leisten.
({0})
Meine Zustimmung ist keine Zustimmung zu Merkel
und Schäuble.
({1})
Es ist keine Zustimmung zu dem Kurs, der von Deutschland ausgeht und der dem griechischen Volk eine brutale
Austeritätspolitik aufherrscht.
Ich stimme auch deshalb zu, weil ich damit die
Chance eröffnen will, dass der Diskurs in nächster Zeit
verbreitert wird. Es geht nicht nur darum, die Austeritätspolitik zu bekämpfen, sondern es geht vor allen Dingen darum, die deutsche Verantwortung an diesem europapolitischen und griechischen Desaster zu diskutieren.
Deutschland betreibt seit 10, 15 Jahren eine unsolidarische Wirtschaftspolitik. Deutschland betreibt eine
Politik des Lohndumpings. Deutschland hat sich in den
letzten 10 bis 15 Jahren Sondervorteile durch eine aggressive Wirtschaftspolitik herausgeholt, die überhaupt
die Ursache dafür sind, dass es zur Euro-Krise und zur
Verschuldung der anderen Länder, gerade auch in Griechenland, gekommen ist. Diese deutsche Verantwortung
muss viel stärker diskutiert werden. Wir müssen viel
stärker einen europaweiten Druck organisieren, dass wir
hier in Deutschland zu einer Umkehr kommen, dass wir
endlich wieder eine andere Lohnpolitik bekommen, dass
wir die sogenannten Reformen am Arbeitsmarkt, die
Herr Kollege.
- dass wir Leiharbeit abschaffen, dass wir Befristung
abschaffen. All diese Dinge müssen diskutiert werden.
Das will ich möglich machen mit meinem Ja bei dieser
Abstimmung, damit wir hier eine andere Politik organisiert bekommen.
({0})
Wir brauchen am Ende in Deutschland eine Politik,
die dazu führt, dass die Leistungsbilanzüberschüsse, die
spiegelbildlich die Schulden der anderen sind, abgebaut
werden. Wir brauchen darüber hinaus zeitweise Leistungsbilanzdefizite. Nur so kann Europa gerettet werden.
Die Rettung Europas muss ausgehen von einer veränderten deutschen Wirtschaftspolitik, sonst droht uns auf diesem Kontinent ganz Schlimmes.
Ich danke Ihnen.
({1})
Frau Groth.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
({1})
es geht ja nicht schneller, je lauter es im Plenum ist. Deswegen wäre es ganz schön, wenn wir jetzt noch zwei,
drei Minuten Aufmerksamkeit haben. - Bitte schön,
Frau Groth.
Ich werde mich bei der heutigen Abstimmung enthalten,
({0})
da ich deutlich machen möchte, dass ich die grundsätzlichen Forderungen - ({1})
- Können Sie einmal leise sein, Herr Kauder?
({2})
- Doch! Sie verzögern den ganzen Prozess hier.
({3})
Ich möchte schon noch einen Aspekt nennen, der
überhaupt nicht erwähnt worden ist,
({4})
und das ist die Migrationspolitik. Ich war letzte Woche
in Griechenland. Es ist mir sehr wichtig.
({5})
- Nein, Ihnen bleibt wirklich nichts mehr erspart.
Griechenland hat weit über 1 Million Flüchtlinge.
({6})
- Herr Kauder.
({7})
Ich möchte hier den Wunsch der neuen griechischen
Ministerin für Migration kundtun. Sie hat mich gebeten.
({8})
Frau Kollegin, wenn Sie jetzt noch zwei Sätze zu Ihrer Entscheidung zur Abstimmung vortragen wollen,
dann können Sie das gerne tun.
({0})
Zur Übermittlung von Grüßen anderer Regierungen ist
diese Regelung der Geschäftsordnung nicht gedacht.
({1})
Gut. - Ich möchte ein Zeichen setzen und klar sagen,
dass ich die Erpressungsversuche der Troika grundsätzlich ablehne. Ich fand es so unwürdig und schäme mich
teilweise, wie in der Öffentlichkeit, aber auch von einigen Kolleginnen und Kollegen mit Griechenland umgegangen wird. Das dürfen wir nicht zulassen.
({0})
Herr Schäfer hat vorhin die Bild-Zeitung hochgehalten.
Wir müssen alles versuchen. Wir müssen wieder mit
Griechenland, mit der neuen Regierung, zusammenarbeiten, und darum bitte ich Sie.
({1})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung ei-
nes zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundes-
tages auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazi-
lität zugunsten der Hellenischen Republik auf den
Drucksachen 18/4079 und 18/4093. Die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung ver-
langt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir
ein Signal zu geben, wenn die Abstimmungsurnen je-
weils doppelt besetzt sind. - Das scheint der Fall zu sein.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab-
gestimmt haben? - Es sieht so aus, als hätten alle abge-
stimmt; das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ansonsten wünsche ich Ihnen von meiner Seite einen
schönen Tag, auch den Gästen auf der Tribüne.
Wir fahren mit den Abstimmungen fort und kommen
nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge,
zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4146. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Dafür ist die Linke. Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist abgelehnt bei Zustimmung der Linken und Ableh-
nung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4141. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zu-
stimmung von Bündnis 90/Die Grünen, Ablehnung von
CDU/CSU und SPD sowie bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke.
Ich bitte die Kollegen - ich meine das ernst; das be-
trifft alle Seiten des Hauses -, sich entweder zu setzen
oder den Saal zu verlassen und Gespräche nach draußen
zu verlagern, sofern sie an der folgenden Debatte nicht
teilnehmen wollen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 5 und 6 auf:
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen
Drucksache 18/4090
Überweisung/Beschlussfassung
1) Ergebnis Seite 8434 D
Vizepräsidentin Claudia Roth
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta
Krellmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Interessengeleitetes Gutachten zu Investorenschutz zurückweisen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina
Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsultationsergebnisse beherzigen - Klageprivilegien zurückweisen
Drucksachen 18/3729, 18/3747, 18/3862
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege
Klaus Ernst für die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute abermals eine Debatte über die Handelsabkommen; das wird sicherlich nicht die letzte sein.
Warum? Wir wollen endlich eine deutsche Übersetzung
des CETA-Vertragstextes. Sie liegt immer noch nicht
vor. Wir wollen klargestellt haben, dass der Deutsche
Bundestag bei der Ratifizierung aller Abkommen einbezogen wird. Das ist nach wie vor unklar. Wir wollen
keine vorläufige Anwendung der Abkommen. Vor allen
Dingen wünschen wir uns, meine Damen und Herren,
endlich einmal Klarheit, wie nun eigentlich die Position
der SPD in dieser Frage ist.
({0})
Sind Sie nun gegen private Schiedsgerichte, oder sind
Sie dafür? Unterzeichnen Sie die Abkommen auch dann,
wenn Schiedsverfahren beinhaltet sind? Was ist eigentlich die Position des Wirtschaftsministers in dieser
Frage? Noch im Herbst letzten Jahres - ich möchte das
zitieren - erklärte er:
Wenn die Amerikaner erklären, wir wollen ein Investitionsschutzabkommen, das in der Lage wäre,
deutsches Recht auszuhebeln, dann gibt es ein solches Freihandelsabkommen nicht.
Selbstverständlich hebeln Schiedsgerichte nationales
Recht aus. Nur Unternehmen können vor Schiedsgerichten klagen. Der normale Bürger hat diese Möglichkeit
nicht. Die Unternehmen können Schadensersatz in Milliardenhöhe fordern. Eigentlich müsste aufgrund dieser
Aussage die Haltung der sozialdemokratischen Partei,
auch die Haltung des Ministers klar sein. Sie müsste lauten: Ich stimme keinem Abkommen zu, in dem Investorenschutzabkommen enthalten sind. - Das haben Sie
auch auf Ihrem Konvent beschlossen.
({1})
Nun höre ich, meine Damen und Herren, aus Davos
- darüber bin ich wirklich erschüttert und enttäuscht -,
dass dort von unserem Wirtschaftsminister die Aussage
getroffen wurde, in Deutschland sei die Debatte zu den
Handelsabkommen deshalb so schwierig, weil die Deutschen - ich zitiere - „reich und hysterisch“ seien.
({2})
Meine Damen und Herren, was ist das denn? Wo ist
denn der Herr Pfeiffer? - Da unten sitzt er. Das ist ja fast
Ihr Niveau.
({3})
Ich muss sagen: Ich hätte mir nie vorstellen können,
dass ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister auf
diesen Zug aufspringt und von einer „Empörungsindustrie“ spricht. Es tut mir leid, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Wirtschaftsminister unseres Landes nicht mehr die Vorbehalte der Bevölkerung
aufgreift und nicht mehr ihre Interessen vertritt. Er ist inzwischen der Treiber von CETA und TTIP, und das ist
nicht in Ordnung.
({4})
Statt klar und deutlich Nein zu den Schiedsgerichten
zu sagen, haben Sie nun eine neue Idee entwickelt: Internationale Handelsgerichtshöfe sollen die Probleme lösen; das ist eine nette Idee. Frau Malmström hat auch
schon gesagt: Das wird so schnell nicht gehen. - Jeder
weiß, dass sie in der Praxis bei TTIP und CETA keine
Rolle spielen werden; denn es dauert eine Weile, bis man
einen internationalen Handelsgerichtshof eingerichtet
hat. Bevor wir einen solchen internationalen Handelsgerichtshof haben, wird sogar der Flughafen in Berlin fertig.
({5})
Hören Sie also auf, Nebelkerzen zu werfen!
Petra Pinzler von der Zeit schreibt zu Recht - ich
möchte das zitieren; das ist eigentlich eine Frage an den
Wirtschaftsminister -:
Ist es wirklich nötig, dass so viele Leute auf einmal
so viel Energie auf die Reform eines Systems verwenden, das Sie bis vor Kurzem beim Umgang mit
Kanada oder den USA eigentlich überflüssig fanden? Ein klares Nein könnte so viel einfacher sein.
Dieses klare Nein erwarten wir auch von Ihnen, meine
Damen und Herren.
({6})
Glaubwürdig wären Sie nur, wenn Sie klar und unmissverständlich sagen würden: Private Schiedsgerichte
wird es mit uns nicht geben! Wir werden weder das real
existierende CETA ratifizieren noch die TTIP-Verhandlungen auf der Basis des existierenden VerhandlungsKlaus Ernst
mandats fortsetzen, in dem die Einsetzung von Schiedsgerichten vorgesehen ist. - Auf solche Aussagen käme
es an, aber genau um diese Aussagen drücken Sie sich.
Es ist alles schwammig. Sie sagen, dass Deutschland
dem Abkommen zustimmen wird, wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Das ist eine besonders witzige Aussage; denn Fakt ist, dass selbst Ihr Parteifreund
Bernd Lange, Vorsitzender des EU-Handelsausschusses,
davor warnt, dass es im Europäischen Parlament gar
keine Mehrheit für den vorliegenden CETA-Text geben
könnte. Obwohl die eigenen Leute und auch das Europäische Parlament möglicherweise nicht zustimmen
werden, sagen Sie: Wir stimmen nur zu, wenn alle anderen zustimmen. - Aber es stimmen nicht alle anderen zu!
Ein Nein wäre also gerechtfertigt. Die Österreicher leisten massiven Widerstand. Der Senat in Frankreich hat
eine entsprechende Resolution beschlossen. In vielen anderen Ländern der Welt wird diese Diskussion sehr kritisch geführt. Aber Sie werfen hier Nebelkerzen, indem
Sie behaupten: Die anderen stimmen zu.
Eine weitere Nebelkerze - das ist sehr bemerkenswert ist das Argument: Wenn wir uns nicht beteiligen, wenn
wir nicht mitmachen, dann setzen die anderen, die Chinesen und die Amerikaner, die Standards. - Mein Gott,
was ist denn das für Panikmache!
({7})
- Das ist pure Panikmache, und ich sage Ihnen auch, warum.
({8})
Im europäischen Wirtschaftsraum leben 500 Millionen Menschen. Glauben Sie wirklich, dass die Asiaten
und die Amerikaner mit uns keinen Handel mehr treiben
wollen, wenn wir uns nicht an diesen Verfahren beteiligen? Haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen
- wenn Sie schon dazwischenrufen -, dass wir auch
ohne Abkommen Handel mit ihnen treiben? Sie verschließen sich vor der Realität; das ist doch der Punkt.
({9})
Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung der Kollegin Haßelmann?
Ja, freilich.
Das habe ich mir gedacht.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Ernst, vielen Dank für die Möglichkeit einer kurzen Intervention. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich mit mir einig darüber sind, dass es eine Unverschämtheit ist, dass
der Minister Gabriel heute bei dieser Debatte, Freitag,
um 11.20 Uhr, nicht anwesend ist, obwohl jeder weiß,
was für ein bedeutendes Thema das ist.
({0})
Ich werde jetzt - obwohl wir, Linke und Grüne, im
Saal objektiv eine Mehrheit haben - keinen Minister herbeizitieren; denn dann würde die Sitzung unterbrochen,
ein Hammelsprung durchgeführt und eine Mehrheit organisiert werden. Zum einen ist festzuhalten: Bei der
heutigen Debatte sind die Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD hier im Plenarsaal eindeutig in der Minderheit.
Das muss man deutlich feststellen.
({1})
Zum Zweiten ist es eine Unverschämtheit, dass
Gabriel heute nicht da ist, aber öffentlich und auch gegenüber seiner Partei immer wieder so tut, als sei es für
ihn ein wichtiges Thema. Das sehen Sie doch sicher
auch so.
({2})
Auch ich hätte mir gewünscht, dass der Minister an
dieser Sitzung teilnimmt, zumal es in dieser Debatte um
seine Aussagen geht, die zurzeit in der Öffentlichkeit
kursieren.
({0})
Ich habe seine Aussagen als sehr unglücklich empfunden; ich sage das einmal mit aller Vorsicht. Ich kann darin den Versuch erkennen, die Leute, die sich wirklich
sehr aktiv gegen diese Handelsabkommen stellen, als ein
bisschen hysterisch oder nicht ganz sauber und ihren Widerstand gegen TTIP als Teil der Empörungsindustrie
darzustellen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass der
Minister hier anwesend ist.
({1})
Ich möchte das Thema, bei dem ich vorhin war, noch
einmal aufgreifen, weil das wirklich sehr wichtig ist.
Entstehen in Deutschland und in Europa wirklich Riesenprobleme, wenn wir bei diesem Abkommen nicht dabei sind? Ich glaube das nicht. Wir werden weiter nach
Amerika liefern, weil unsere Produkte dort auch dann
verkauft werden, wenn die Standards bei uns höher sind,
und wir werden weiterhin Produkte von anderen kaufen,
wenn sie den bei uns gültigen, vernünftigen Standards
entsprechen, sonst nicht. Auf keinen Fall wird ein Arbeitsplatz in Deutschland gefährdet, wenn wir uns hier
nicht beteiligen.
({2})
Im Übrigen geht es bei diesem Abkommen nicht um
die Absicherung guter Standards, sondern es geht um die
Absenkung von Standards. Es geht um Deregulierung
und um Liberalisierung. Die Verhandlungsmandate und
die Texte zeigen dies. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel
dafür geben. Bei CETA kann man lesen - ich zitiere -:
Das Abkommen soll von vornherein im Prinzip möglichst viele Verpflichtungen zur vollständigen Liberalisierung auch von Umweltprodukten und Dienstleistungen enthalten. - Da geht es doch nicht um verbesserte
Standards. In CETA lese ich etwas von regulatorischer
Kooperation. Damit ist gemeint, dass kein Gesetz und
keine Verbraucherschutzregelung mehr von einem Parlament erlassen werden kann, ohne dass auch der Handelspartner damit einverstanden ist. Eine größere Entmachtung deutscher und europäischer Parlamente kann ich
mir gar nicht vorstellen.
({3})
Ein Positionspapier der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung - darauf möchte ich noch eingehen weist darauf hin, dass selbst die gegenseitige Anerkennung von technischen Standards in den USA und bei uns
sehr problematisch ist, so zum Beispiel bei den unterschiedlichen Regelungen für die Zulassung von Atemschutzmasken. Ich kann Ihnen dieses Detail nicht ersparen, weil der Teufel im Detail steckt. Dort heißt es - ich
zitiere wörtlich -:
Würden jedoch US-amerikanische Masken ohne
Drittprüfung in der EU in Verkehr gebracht und
Verwender die fehlende Drittprüfung auf Dichtheit
nicht erkennen können, kann dies tödliche Folgen
nach sich ziehen.
So weit diese Institution.
Wer keine Schiedsgerichte will, muss CETA ablehnen, weil er sie sonst, bei einem Abkommen mit den
USA, nicht mehr loswird.
({4})
Deshalb wollen wir eine klare Haltung. Haben Sie eigentlich einmal den Film The Fog - Nebel des Grauens
gesehen?
({5})
Genau diese Nebelkerzen werfen Sie und Ihr Wirtschaftsminister in diesem Hause. Hören Sie auf mit diesem Grauen! Machen Sie im Interesse der Bürger eine
andere Politik!
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({6})
Vielen Dank, Kollege Ernst.
Ich darf Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen, „Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; Verlängerung der Stabilitätshilfe“, bekannt machen: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 542 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 32,
Enthaltungen 13. Der Antrag ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 541
nein: 32
enthalten: 13
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Vizepräsidentin Claudia Roth
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({8})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Ronja Schmitt ({11})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({13})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({15})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({16})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({17})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({18})
Sabine Weiss ({19})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({21})
Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({23})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({24})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Vizepräsidentin Claudia Roth
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({25})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({26})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({27})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({30})
Matthias Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Carsten Schneider ({33})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({34})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff
({35})
Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Petra Pau
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({36})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({37})
Volker Beck ({38})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({39})
Christian Kühn ({40})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({41})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Thomas Bareiß
Veronika Bellmann
Wolfgang Bosbach
Thomas Dörflinger
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Olav Gutting
Uda Heller
Dr. Egon Jüttner
Paul Lehrieder
Dr. Carsten Linnemann
Hans-Georg von der Marwitz
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Peter Ramsauer
Albert Rupprecht
Carola Stauche
Christian Freiherr von Stetten
Stephan Stracke
Marian Wendt
Kai Whittaker
Dagmar G. Wöhrl
Emmi Zeulner
DIE LINKE
Christine Buchholz
Inge Höger
Ulla Jelpke
Enthalten
CDU/CSU
Ursula Groden-Kranich
Wilfried Lorenz
Ulrich Petzold
DIE LINKE
Sevim Dağdelen
Nicole Gohlke
Heike Hänsel
Sabine Leidig
Niema Movassat
Norbert Müller ({42})
Dr. Alexander S. Neu
Dr. Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Vizepräsidentin Claudia Roth
Nächster Redner in der Debatte ist Andreas Lämmel
für die CDU/CSU-Fraktion.
({43})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Ernst, nach der Debatte über die
Griechenland-Hilfen sind die Handelsabkommen TTIP
mit den Vereinigten Staaten und CETA mit Kanada
durchaus wichtige Themen. Wie Sie diese Abkommen
hier behandeln und in den Dreck treten, das ist wirklich
exemplarisch. Zum einen haben Sie gar nicht zum Antrag gesprochen.
({0})
Der Antrag ist ja quasi nur ein Vehikel, um jeden Freitag
entweder um 11 Uhr, um 13 Uhr oder um 15 Uhr hier
eine Debatte vom Zaun zu brechen, in der Sie immer das
Gleiche erzählen.
({1})
Es gibt nicht ein einziges neues Argument, das Sie heute
hier gebracht haben.
({2})
Sie führen hier sozusagen Ihren Privatkrieg mit dem
Wirtschaftsminister. Ich empfehle Ihnen: Laden Sie ihn
doch einmal zu einer Tasse Kaffee ein. Setzen Sie sich in
die Cafeteria; da können Sie sich mit ihm persönlich eine
Stunde darüber unterhalten. Aber Sie müssen doch nicht
jede Woche das Plenum damit befassen, dass Sie nun
wissen wollen, welche Meinung der Wirtschaftsminister
dazu hat.
({3})
Außerdem hat der Wirtschaftsminister von diesem
Pult aus mehrfach alle Ihre Fragen ausführlich beantwortet.
({4})
Er hat deutlich gemacht, dass Sie mit dem, was Sie der
Öffentlichkeit immer wieder gebetsmühlenartig weiszumachen versuchen, auf dem Holzweg sind. Es wird deutlich - das zeigt sich bei den Linken in den letzten Monaten immer mehr -: Es geht Ihnen überhaupt nicht mehr
darum, eine sachliche Auseinandersetzung über politische Themen zu führen,
({5})
sondern Sie sind eigentlich nur noch da, um auf billigste
Art und Weise zu hetzen, statt sich wirklich mit den Themen zu befassen.
({6})
Das Schlimme an der Sache ist, dass Sie mit den Debatten, die Sie hier anstoßen, Organisationen wie Pegida genau den Stoff liefern, den sie brauchen.
({7})
Herr Kollege Lämmel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Lenkert von der
Linken?
({0})
Das muss nicht unbedingt sein.
({0})
Nicht unbedingt? Ja oder nein?
Nein.
Jetzt zu Herrn Ernst. Vielleicht darf ich etwas zu Ihrem Antrag sagen, da Sie ja nicht in der Lage waren,
auch nur einen Satz dazu zu sagen.
({0})
Sie fordern in Ihrem Antrag, CETA zu verhindern. Man
muss CETA aus Ihrer Sicht sogar verhindern. Sie stellen
in dem Antrag Behauptungen auf, die jeglicher Grundlage entbehren. Sie wissen selbst ganz genau, wie der
Verhandlungsprozess bei CETA abgelaufen ist,
({1})
nämlich genauso, wie er bei TTIP abläuft. Die Europäische Union hat das Mandat, auch das deutsche Mandat
- das ist in den europäischen Verträgen niedergelegt -,
und die Europäische Kommission hat gemeinsam mit
den Mitgliedstaaten ein Abkommen ausgehandelt. Das
ist fertig. Das ist erst einmal ein ganz normaler Vorgang.
Das ist bei der Gesetzgebung in diesem Hohen Hause
nicht anders. Ein Gesetzentwurf wird bis zum Referentenentwurf erarbeitet, um ihn dann in die politische Diskussion einzubringen.
In Ihrem Antrag suggerieren Sie, das sei Geheimhaltung und die bösen Menschen wollten gar nicht, dass das
bekannt wird, weil es davon noch gar keine deutsche
Fassung gebe. Ja, das stimmt: Es gibt noch keine deutsche Fassung. Aber Sie wissen ganz genau, warum es sie
noch nicht gibt:
({2})
weil im Moment die sogenannte Rechtsförmlichkeitsprüfung läuft. Das heißt, die Juristen aller Seiten müssen
sich jetzt auf einen einheitlichen Text einigen, der keine
Interpretationsspielräume mehr zulässt. Dann wird dieses Vertragswerk in alle europäischen Sprachen übersetzt; das wissen Sie ganz genau.
({3})
- Genau. - Dann kommt die öffentliche Debatte in allen
Mitgliedstaaten.
({4})
Herr Ernst, das unterschlagen Sie einfach. Sie suggerieren der Öffentlichkeit, dass diese Abkommen in dunklen
Kammern verhandelt und dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit ratifiziert werden. Das ist eine glatte Lüge;
das wissen Sie.
({5})
Herr Lämmel?
Nein, der Herr Ernst hat genug Zeit gehabt. Er hätte ja
selber auf seinen Antrag eingehen können. Ich möchte
keine Zwischenfrage mehr.
({0})
Ich frage Sie ja nur ganz freundlich. Also nein? - Gut.
Wenn die deutsche Fassung vorliegt - nicht die, die
die Linksfraktion selbst angefertigt hat; Ihre Interpretationstexte möchte ich nicht unbedingt zur Grundlage der
Diskussion machen -, findet die politische Diskussion
hier im Hohen Hause statt. Dann wird sich der Minister
ebenso wie alle Fraktionen äußern. Er wird aber nicht
fiktiv im Nebel herumstochern, wie Sie es hier die ganze
Zeit versuchen.
({0})
Meine Damen und Herren, dann wird die Frage zu
klären sein - sie ist für diese Handelsabkommen eine
sehr wichtige Frage -: Sind das sogenannte gemischte
Abkommen - ein gemischtes Abkommen muss von jedem einzelnen Mitgliedstaat ratifiziert werden -, oder
sind es keine gemischten Abkommen? Im Zusammenhang mit TTIP hat der ehemalige Handelskommissar
deutlich gemacht, er wolle diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Na gut,
darüber kann man natürlich geteilter Meinung sein. Aber
irgendjemand muss ja, wenn das strittig ist, letztendlich
die Feststellung treffen, ob es ein gemischtes Abkommen ist oder nicht.
({1})
Es ist also genügend Zeit, genügend Spielraum, um
über diese Abkommen hier im Deutschen Bundestag zu
debattieren. Danach, meine Damen und Herren, folgt
dann der Ratifizierungsprozess. Das ist das, was Sie im
Prinzip der Öffentlichkeit verschweigen. Das ist einfach
fahrlässig von Ihnen, Herr Ernst; das wissen Sie selbst
ganz genau.
Noch einmal zu CETA. Herr Ernst, Sie waren als Mitglied der Delegation des Wirtschaftsausschusses in Kanada.
({2})
Sie wissen ganz genau, was die Unternehmen, was mittelständische, was kleine Unternehmen zu dem Thema
CETA sagen, nämlich dass sie dieses Abkommen dringend brauchen.
({3})
- Fragen Sie mal Ihren Kollegen Ernst; er war dabei.
({4})
Sinn ist - auch das wissen Sie -: Die verschiedenen
Regelungen in diesem CETA-Abkommen sind die modernsten Formen des Handelsrechts, die im Moment in
Abkommen niedergelegt sind. Sie nehmen immer das
NAFTA-Abkommen zur Grundlage und verweisen darauf, was Mexiko und die USA für schlechte Abkommen
geschlossen hätten. Meine Damen und Herren, das
NAFTA-Abkommen wurde vor 20 Jahren geschlossen.
Wir sind viel weiter, mit allen Bestimmungen.
({5})
Man kann natürlich über die Frage des Investorenschutzes diskutieren. Aber auch hier muss man ganz klar
sagen: Das, was Kanada und die Europäische Union verhandelt haben, das ist im Moment noch gar nicht in der
Welt.
({6})
Das versuchen Sie ganz einfach zu verschweigen.
({7})
- Gut, Frau Künast, genau. Aber ich will nicht den englischen Text interpretieren müssen, sondern ich will einen
amtlichen deutschen Text haben; das ist der Unterschied.
Ich will zusammenfassen: Herr Ernst, zu Ihrem Antrag haben Sie nicht gesprochen. Wir lehnen ihn ab. Unsere Fraktion steht ganz klar zum Verhandlungsprozess
CETA. Ich denke, der Wirtschaftsminister hat seine
Position hier mehrfach dargelegt. Noch einmal, auch für
die breite Öffentlichkeit: CETA ist kein Abkommen, das
irgendwo am grünen Tisch oder in finsteren Lokalen verhandelt wird,
({8})
sondern ein Abkommen, über das in den nächsten Monaten in breiter Öffentlichkeit in epischer Breite diskutiert
werden wird.
({9})
Dann wird letztendlich die politische Entscheidung darüber getroffen, ob dieses Abkommen ratifiziert werden
kann oder nicht.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. - Ich gebe das
Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Klaus
Ernst.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Lämmel, ich wollte
Sie eigentlich nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Herr Ohoven, Vorsitzender des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft - für die Sie
sich ja immer so starkmachen -, dieses Abkommen ablehnt; er will es in dieser Form gar nicht.
({0})
Also, es ist schon merkwürdig, dass Sie sich zum selbsternannten Sprecher des Mittelstands machen, dieser aber
gar nicht mehr hinter Ihnen steht.
Zweitens. Sie sagen, ich hätte zu meinem Antrag, den
ich zu begründen hatte, nicht gesprochen; es wäre auch
nichts Neues gewesen. - Ich habe ihn begründet. Ich
würde Sie bitten, das im Protokoll nachzulesen; dann
kommen Sie zu einer anderen Einschätzung.
Wir haben zum ersten Mal - wir hatten die Auseinandersetzung schon mehrmals - die Schwierigkeiten und
Konsequenzen und Probleme eines regulatorischen Rates, also einer regulatorischen Kommission angesprochen. Leider haben Sie dazu überhaupt nichts gesagt. Sehen Sie denn nicht auch das Problem, dass, wenn hier in
den Parlamenten in Europa - oder auch in den Regierungen, und zwar durch Verordnungen - bestimmte Regulierungen zugunsten der Menschen gemacht werden - im
Umweltschutz, im Verbraucherschutz, in sonstigen Bereichen -, die sozusagen gar nicht mehr wirken, weil sie
letztendlich vom Vertragspartner abgesegnet werden
müssen? Sehen Sie da nicht auch eine wirkliche Entmachtung dessen, was in den Parlamenten noch entschieden und noch besprochen werden kann? Ich hätte
mir gewünscht, dass Sie neben dem, was Sie uns immer
vorwerfen - Lügen, Fahrlässigkeit und so; das ist ja
nichts Neues, das kenne ich ja von Ihnen; ich bin Ihnen
inzwischen auch gar nicht mehr böse, weil ich weiß: Sie
können nicht anders -, einfach einmal auf einen inhaltlichen Punkt eingegangen wären.
Ich stelle fest, dass die langen Redezeiten, die die Koalition hat, dazu verwendet werden, dass man zwei Stunden irgendwie allgemein auf den anderen einschlägt,
ohne einmal einen Satz zum Antrag oder zu meiner Rede
zu bringen.
({1})
Herr Lämmel, da muss ich Sie einmal loben: Das kriegen wir nicht hin - nicht nur, weil wir es nicht können,
sondern auch, weil wir nicht über so lange Redezeiten
verfügen.
({2})
Herr Lämmel, wollen Sie anfangen? - Bitte.
Erstens. Sie haben Herrn Ohoven, den Präsidenten
des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, als alleinigen Repräsentanten des Mittelstandes herangezogen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist die Folge, wenn
man einen Herrn Gysi in dessen Beirat beruft. Dann
kommt man zu solchen Auffassungen.
({0})
Zweitens. Ich wäre auf einige Punkte in Ihrem Antrag
sehr gerne inhaltlich eingegangen, wenn Sie Ihren Antrag eingebracht hätten. Sie haben aber nicht zu Ihrem
Antrag gesprochen.
({1})
Insofern habe ich versucht, noch einmal darzustellen,
dass die Art, mit der Sie mit den Themen CETA und
TTIP umgehen, absurd ist und dem Thema überhaupt
nicht gerecht wird.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. - Die nächste
Rednerin in der Debatte ist Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Lämmel, das, was Sie hier
im Parlament und leider auch im Ausschuss regelmäßig
vortragen, ist schon irgendwie traurig vorhersehbar.
({0})
Von Ihnen kommt immer wieder dieselbe Leier: Warum
müssen wir dieses Thema diskutieren? Was gibt es dazu
zu sagen?
Erst am Mittwoch, in der Obleuterunde im Ausschuss, gab es von Ihnen wieder eine grandiose Vorstellung dieses Prinzips. Sie haben dort nämlich mit dem
Argument: „Welche Themen gibt es denn da zu diskutieren? Da gibt es doch nichts Neues!“, versucht, zu verhindern, dass wir eine öffentliche Anhörung zum Investitionsschutz in TTIP durchführen. Diese parlamentarische
Arbeitsverweigerung kennen wir schon von Ihnen.
Ich finde aber, es ist traurig, dass jetzt anscheinend
auch die Bundesregierung die Strategie gewählt hat, ein
Problem, das sie mit inhaltlichen Argumenten nicht lösen kann, besser zu ignorieren. Anders kann ich mir die
doch etwas magere Präsenz der Bundesregierung hier
heute in dieser Kernzeitdebatte nicht erklären.
({1})
Ich kann Ihnen von den Regierungsfraktionen und
von der Bundesregierung sagen: Diese Strategie wird
nicht aufgehen. Herr Lämmel, die Strategie, die Sie hier
im Bundestag immer wieder verfolgen, wird auch nicht
funktionieren. Sie haben hier jetzt elf Minuten lang gesprochen,
({2})
ohne ein einziges inhaltliches Wort zum Thema Investitionsschutz zu sagen.
({3})
Wir haben auch im Wirtschaftsausschuss noch nie einen einzigen inhaltlichen Vorschlag von Ihnen dazu gehört, wie Sie mit den Schiedsgerichten in TTIP oder in
CETA umgehen wollen. Sie sagen immer: Das muss jemand anderes entscheiden. Das müssen wir klären, wenn
der Ratifizierungsprozess startet. - Damit verweigern
Sie, dass Sie als Bundesregierung und als regierungstragende Fraktionen die Aufgabe haben, diese Handelsabkommen mitzugestalten, indem Sie eigene Argumente
vorbringen, wie der Investitionsschutz in TTIP und in
CETA aussehen sollte.
({4})
Dazu haben wir von Ihnen aber noch nie ein einziges
Wort gehört. Diese Chance haben Sie heute wieder verpasst.
({5})
Das ist einfach traurig und wirklich - ich kann mich hier
nur wiederholen - parlamentarische Arbeitsverweigerung.
({6})
Ich muss sagen: Im Gegensatz zu Ihnen hat Herr
Gabriel Vorschläge gemacht. Gemeinsam mit einigen sozialdemokratischen Kollegen hat er am Wochenende ein
Papier vorgestellt, in dem er Vorschläge für CETA
gemacht und etwas verklausuliert von „and beyond“
gesprochen hat. Wir müssen jetzt schauen, was „and
beyond“ in diesem Text zu CETA bedeutet. Immerhin
hat Herr Gabriel jetzt aber ein Papier vorgestellt.
Über dieses Papier hätte ich heute gerne mit Herrn
Gabriel gesprochen, weil ich einige Fragen an ihn dazu
habe, die ich heute - das muss ich ganz ehrlich sagen gerne von ihm oder von Frau Zypries - Sie können ja
auch reden - beantwortet bekommen hätte.
({7})
Ich wollte Sie für das, was in dem Papier steht, eigentlich auch loben. Am Wichtigsten finde ich die Aussage in Ihrem Papier, dass die SPD anscheinend erkannt
hat, dass es nicht der richtige Weg ist, Investitionsstreitigkeiten über bilaterale Handelsabkommen zu lösen. Sie
haben sich zum ersten Mal für eine multilaterale Lösung
ausgesprochen.
Diesen Weg hätte die Bundesregierung schon lange
gehen können; darauf hätten Sie sich schon früher verständigen können. Ich kann nur sagen: Besser spät als
nie. Einen solchen Umgang mit der Zivilgesellschaft
können Sie wirklich pflegen, und diesen Dialog können
Sie mit uns führen. Das ist ein guter Punkt in dem Papier, das Herr Gabriel vorgestellt hat.
Bei den Details zu den Schiedsgerichten, über die Sie
in dem Papier ansonsten schreiben - Berufungsinstanzen
bei den Schiedsgerichten, Interessenkonflikte von
Schiedsrichtern vermindern, Schutz des staatlichen Regulierungsrechtes -, greifen Sie, wie ich finde, zum ersten Mal wichtige Punkte auf, die wir Grüne in den
Debatten des Deutschen Bundestages schon oft angesprochen haben. Herr Lämmel, wir haben uns dezidiert
mit den Schiedsgerichten in TTIP und in CETA auseinandergesetzt und gesagt: Das kann in CETA und in
TTIP so nicht funktionieren. Deswegen brauchen wir
eine andere Debatte. - Sie als Bundesregierung greifen
das zum ersten Mal auf und sagen, wir hätten recht gehabt. Darüber freuen wir uns. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Regierungsfraktion bei so einem kontroversen Thema auf die Opposition zugeht. Das kann ich
anerkennen. Deshalb möchte ich hier mit Ihnen gerne einen konstruktiven Dialog über diese Vorschläge führen.
Wenn Herr Gabriel da wäre, wäre das einfacher.
({8})
Auch wenn Sie jetzt in dem genannten Papier nicht
alles zu 100 Prozent von dem festhalten, was wir Grünen
vielleicht verhandelt hätten, wünsche ich mir - dabei
würde ich Sie auch unterstützen -, dass Sie diese Vorschläge im Rahmen des CETA-Abkommens verhandeln.
Nur genau an dieser Stelle - ich hatte eben an den Titel
des Papiers erinnert: „Improvements to CETA and beyond“ - ist eben die große Unklarheit des Papiers. Es
wird als Verbesserungsvorschlag für CETA verkauft. Die
einzigen Fragen, die in dem Papier unklar bleiben, sind:
Welche Verbesserungsvorschläge wollen Sie denn tatsächlich in CETA umsetzen, welche wollen Sie in TTIP
umsetzen? Wo haben Sie überhaupt noch Möglichkeiten,
etwas zu verändern?
Wir sind mittlerweile in der Rechtsförmlichkeitsprüfung von CETA. Frau Malmström hat auf der SPD-Konferenz am Montag noch einmal gesagt, sie sei nicht bereit, über CETA noch einmal nachzuverhandeln. Aber
Herr Gabriel hat auf derselben Konferenz - ich weiß
nicht, ob das vor oder nach Frau Malmström war - diese
Eckpunkte auch für CETA noch einmal vorgestellt. Deswegen sind die dringenden Fragen, die Sie als Bundesregierung hier im Parlament beantworten müssen - ich
hoffe, dass Sie das in der Debatte auch noch tun -: Was
davon werden Sie in CETA noch verändern? Was davon
ist jetzt Ihre Verhandlungsagenda für TTIP? Teilt die gesamte Bundesregierung - bislang ist das ja das Positionspapier eines einzelnen Ministers - eigentlich die Position
von Herrn Gabriel? Was werden Sie machen, wenn Sie
das Abkommen nicht mehr nachverhandeln können?
Ich finde es absurd und schizophren, dass Sie auf der
einen Seite sagen, wir hätten mit unserer fachlichen Kritik an den Regelungen zu Schiedsgerichten in CETA
recht, dass Sie aber auf der anderen Seite erklären: Gut,
wir sind etwas spät zu dieser Erkenntnis gekommen.
Jetzt ist der Verhandlungsprozess leider abgeschlossen.
Wir stimmen aber trotzdem zu. - Das ist nicht glaubwürdig. Da müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern schon
reinen Wein einschenken und sagen, was Sie tun werden.
({9})
Wir haben in unserem Antrag - das werden auch Sie
vielleicht gemerkt haben - ziemlich viele Punkte aufgegriffen - wir hatten sie schon vorher aufgeschrieben -,
die Herr Gabriel in seinem Positionspapier skizziert hat.
Es wäre doch eine schöne Brücke für Sie, zu sagen: Der
Antrag, den die Grünen ins Verfahren eingebracht haben,
beschreibt die Position von Herrn Gabriel. - Deswegen
müsste es doch für die SPD sehr einfach sein, sich an
dieser Stelle unserem Antrag anzuschließen. Dann hätten
wir mit den Linken gegebenenfalls eine Mehrheit dafür,
eine vernünftige Reformagenda für CETA und TTIP zu
formulieren. Wenn das nicht klappt, dann sagen wir am
Ende Nein. - Ich glaube, darauf könnte man sich im Parlament einigen, wenn die CDU nicht wäre. Aber es gibt
ja auch eine Mehrheit außerhalb der CDU.
({10})
Vielen Dank, Katharina Dröge. - Nächster Redner in
der Debatte ist Dirk Becker für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe jetzt mehrfach die Frage gehört, wer hier
wohl welche Strategie verfolgen mag. Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben eine Strategie. Unsere Strategie ist
- das ist auch unsere Überzeugung -, dass in der globalisierten Welt, in der wir leben, der freie Handel unverzichtbar ist. Er braucht Grenzen, er braucht einen Rahmen, er braucht Regeln. Diese wollen wir über
Handelsabkommen schaffen. Das geht nicht mit einem
kategorischen Nein. Das geht mit Gestaltungswillen.
Diesen wollen wir hier unter Beweis stellen.
({0})
Herr Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Haßelmann?
Nein, im Moment nicht.
({0})
Dann gebe ich Ihnen das Wort zu einem Antrag zur
Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich höre schon an der Tonlage, Dirk Becker: Wir brauchen von Ihnen keine Belehrungen.
Das geht an die Linken.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass es eine Unverschämtheit ist, dass der Minister nicht hier ist und
dass die Regierungsfraktionen so schlecht vertreten sind.
Daraus ist nichts gefolgt. Deshalb beantrage ich, an dieser Stelle jetzt den Minister herbeizuzitieren.
({0})
Es ist eine Unverschämtheit: Die Linken sind hier
stark vertreten, auch die Grünen sind stark vertreten. Das
ist ein öffentliches Thema. Ich habe die beiden Geschäftsführer der Koalitionsfraktionen darauf hingewiesen, wie schlecht sie vertreten sind. Daraus ist nichts gefolgt. Auf der einen Seite sitzen 11 Abgeordnete und auf
der anderen Seite 15. Der Minister ist nicht anwesend.
Dafür erklärt er uns jede Woche über die Presse, was los
ist und was er für eine Auffassung zu CETA und TTIP
hat. Ich finde, das müssen sich die Oppositionsfraktionen im Parlament nicht bieten lassen.
({1})
Vielen Dank, Frau Haßelmann, ich stelle diesen Antrag jetzt zur Abstimmung.
({0})
Was ist mit meiner Redezeit?
Ihre Redezeit geht nicht verloren.
({0})
- Ja, das ist erlaubt.
({1})
- Moment. Jetzt lassen Sie mich hier mal präsidieren.
({2})
- Gut. Ich mache das jetzt so. - Wer ist dagegen?
({3})
- Gut, Sie stellen es strittig. - Wann kommt der Minister? Kommt er noch während der Debatte? - Wie ich
höre, ja.
({4})
- Dann unterbrechen wir die Sitzung, bis der Minister
eintrifft.
({5})
Ich begrüße recht herzlich den Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel.
({6})
Wir führen die Debatte fort. Das Wort hat Dirk
Becker.
({7})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich freue mich, Herr
Minister, dass Sie extra zu meiner Rede dann doch noch
erschienen sind.
({0})
- Das weiß ich.
({1})
Ich möchte noch einmal kurz auf das hinweisen, was
ich zuvor gesagt hatte. Die Frage war: Welche Strategie
verfolgen die Parteien eigentlich beim Thema Freihandel? Mir ist es noch einmal wichtig, deutlich zu machen,
dass wir in dieser neuen globalisierten Welt Regeln finden müssen, die den freien Handel organisieren, die
Leitplanken geben. Aber der freie Handel ist in dieser
Welt unverzichtbar - auch für uns in Deutschland.
({2})
Von daher wollen wir Freihandelsabkommen, wie wir
sie mit vielen Ländern geschlossen haben. Wir wollen
Handelsabkommen, die dann am Ende des Tages natürlich auch den Menschen in Europa und in Deutschland
dienen. So gehen wir auch an die Gestaltung künftiger
Abkommen heran.
Es ist ganz wichtig, dass man sich jetzt hier nicht
grundsätzlich hinstellt und den vielen jungen Menschen,
die da oben auf der Tribüne sitzen und sich vielleicht
auch fragen, was wir hier eigentlich diskutieren, den
Eindruck vermittelt, dass wir jetzt aktuell vor Entscheidungen - ({3})
- Die Ehre hatte ich auch noch nicht: Die Frau Bundeskanzlerin kommt auch extra zu meiner Rede. Vielen
Dank.
({4})
Da sehen Sie einmal, wie wichtig Sie sind.
Vielleicht kriegen wir das Kabinett ja noch vollständig zusammen, wenn das so weitergeht.
Eines ist mir auch noch einmal für die Debatte wichtig: Wir reden zum einen über ein Handelsabkommen
mit Kanada. Das heißt CETA. Dieses Handelsabkommen ist ausverhandelt, jahrelang. Wir sind jetzt dabei,
den Text abzugleichen, zu übersetzen. Die Entscheidung
in diesem Bundestag wird voraussichtlich 2016 anstehen, und wir müssen uns ernsthaft überlegen, ob wir jetzt
jede Woche hier solche Schaudebatten mit dem gleichen
Inhalt wollen.
({0})
Sie erwecken den Eindruck, wir hätten nichts Besseres
zu tun.
({1})
Wichtig ist es aber, auf die Verhandlungen, die aktuell
laufen, nämlich auf TTIP, zu gucken und jetzt die Anforderungen an diese laufenden Verhandlungen zu formulieren. Meine Damen und Herren, das tut die Partei, das
tut die SPD, und das tut auch der Parteivorsitzende. Und
es ist eben angesprochen worden, Frau Dröge, dass Sie
gern mit ihm darüber reden möchten,
({2})
was er dort mit den sozialdemokratischen Regierungsund Parteichefs verhandelt hat. Das hat er in der Tat dort
zunächst einmal in dieser Funktion getan, und wir haben
dazu im Willy-Brandt-Haus eine Veranstaltung gemacht.
Ich lade Sie in Zukunft auch gern ein, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen.
({3})
Es war eine Veranstaltung, die progressiv auch für uns
neue Anforderungen an Handelsabkommen beschrieben
hat.
Ich will eines ganz klar sagen: Anders als bei CETA
haben wir bei TTIP den vollständigen Gestaltungsspielraum. Der Parteivorsitzende der SPD hat in Madrid - das
hat ja sogar Eingang in den Antrag der Linkspartei gefunden - die strittigen Dinge zu Papier gebracht und hat
gesagt, wie Alternativen aussehen könnten. Das ist es
eben, dass wir sagen: Wir wollen öffentliche, transparente Verfahren. Ja, es ist so, Herr Lämmel - jetzt ist er
nicht mehr hier
({4})
- wie auch immer -, dass in der Vergangenheit die
Transparenz dieser Verhandlungen nicht hergestellt war.
Wir danken Frau Malmström, dass sie jetzt hier bei den
TTIP-Verhandlungen auch alles unmittelbar der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Man soll nicht immer nur
die Vergangenheit kritisieren, sondern es in der Zukunft
besser machen. Das wollen wir, und so führen wir auch
die weiteren Verhandlungen.
({5})
Dazu zählt auch, dass wir künftig weg wollen von privatwirtschaftlichen Geheimgerichten hin zu einer ordentlichen Gerichtsbarkeit, zu Handelshöfen, um hier
auch alle Ängste und Befürchtungen, die da gekommen
sind, aufzugreifen.
Dann noch eines - das ist mittlerweile mein Eindruck
gerade mit Blick auf die Linkspartei -: Wir kennen die
Befürchtungen der Menschen, die es ja gibt, die wir auch
ernst nehmen. Wir versuchen, diese Befürchtungen aufzunehmen und diese Dinge in den weiteren Verhandlungen zum Besseren zu wenden. Sie versuchen, daraus
politisches Kapital zu schlagen und diese Ängste und
Befürchtungen zu schüren. Das geht nicht, Herr Ernst.
({6})
Grundsätzlich, meine Damen und Herren - ich habe
das eben schon gesagt -, konzentrieren wir uns jetzt auf
die weiteren Verhandlungen zu TTIP.
Herr Becker, erlauben Sie eine Bemerkung oder
Frage von Frau Dröge?
Gut,
({0})
weil Sie es sind, Frau Dröge.
Oi, was geht denn da ab?
Die Präsidentin muss nicht alles wissen.
Da haben Sie recht.
Ich fühle mich außerordentlich geschmeichelt, dass
ich Ihnen die Frage stellen darf. Ich hatte es in meiner
Rede eben schon angesprochen, und auch Sie haben das
Papier „Improvements to CETA and beyond“ erwähnt.
Weil die Überschrift übersetzt „Verbesserungen für
CETA“ heißt, frage ich Sie: Welche von diesen Vorschlägen beabsichtigen Herr Gabriel, die Bundesregierung und Sie als Regierungsfraktion konkret bei CETA
umzusetzen?
({0})
Oder war der Titel „Improvements to CETA and
beyond“ nur eine Nebelkerze, die davon ablenken sollte,
dass Sie für CETA eigentlich gar nichts mehr nachverhandeln können?
({1})
Frau Dröge, ich weiß nicht, zum wievielten Mal Sie
diese Frage hier stellen.
({0})
Der Bundeswirtschaftsminister hat diese Frage hier
schon mehrfach beantwortet.
Erstens. Die Verhandlungen zu CETA sind abgeschlossen. Ich habe Ihnen den konsolidierten Ergebnistext der unterschiedlichen Verhandlungsrunden zu
CETA mitgebracht. Den hat Ihre Fraktion wie alle anderen Fraktionen auch am 13. Januar 2010 bekommen; da
waren Sie, glaube ich, noch nicht Bundestagsabgeordnete. Keine Fraktion hat dazu irgendeinen Antrag gestellt,
({1})
keine, auch meine nicht, obwohl wir damals in der Opposition waren. Denn es hat keinen interessiert.
({2})
Das Interesse an CETA ist aufgekommen, als TTIP
den Menschen ins Bewusstsein kam und die Blaupausendebatte aufkam.
({3})
- Ja, man kann später klüger werden. Aber wenn Verhandlungen abgeschlossen sind, ist es ein bisschen zu
spät. Dann muss man im Vorfeld wachsamer sein.
({4})
- Wenn Sie auch eine Zwischenfrage stellen wollen,
Frau Künast, dann können Sie sich melden.
({5})
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Der vorliegende
Verhandlungstext wird - das wurde schon gesagt - jetzt
rechtsförmlich geprüft und übersetzt. Der Minister hat
selbstverständlich zugesagt - er selber verhandelt allerdings nicht mit den Kanadiern; das macht nun einmal die
EU-Kommission -, im Rahmen des Verfahrens alles zu
tun, um die Punkte, die uns wichtig sind, zu ändern. Das
muss man aber erst mit seinen Partnern abstimmen, und
das macht man im Allgemeinen nicht auf dem Marktplatz oder in der Bild-Zeitung, sondern man prüft jetzt,
in welchem Rahmen was möglich ist.
Auch wenn Sie noch zehnmal fragen: Das ist die
rechtliche Situation, wie sie für uns gegenwärtig besteht.
Erst wenn der Deutsche Bundestag mit dem endgültig
abgeschlossenen Vertragswerk konfrontiert wird und darüber abstimmen muss, werden wir wissen, was bei den
Verhandlungen herausgekommen ist. Damit müssen Sie
sich erst einmal zufrieden geben.
({6})
Herr Kollege, es gibt noch eine Zwischenfrage des
Kollegen Lenkert. Gestatten Sie diese? - Nein, gut.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können
zwar das Paket wieder aufmachen, aber gerade bei Ihnen
ist es doch so: Egal, was wir verändern, Sie werden immer einen Grund finden, dagegen zu sein.
({0})
Denn Sie sind grundsätzlich gegen TTIP, und Ihnen geht
es an dieser Stelle nur deshalb darum, CETA zu verhindern, weil Sie diese Blaupausendebatte führen.
Eines ist sicher: Es wird in vielen Kapiteln Ähnlichkeiten geben, aber gerade auch die Amerikaner wissen
um die Debatte zum Thema Schiedsgerichtsbarkeit hier
in Europa.
({1})
Ich habe Anfang der Woche mit Kollegen der SPÖ
gesprochen. In Österreich ist die Situation eindeutig
- Sie haben bereits darauf hingewiesen -: Man sieht gerade das Thema Schiedsgerichtsbarkeit hochkritisch,
und zwar in fast allen Parteien. Die österreichischen
Kollegen haben mir ganz klar gesagt: Die Amerikaner
haben ein großes Interesse, das Handelsabkommen abzuschließen und sind auch bereit, sich auf Debatten mit
uns einzulassen.
Debattieren, reden, verhandeln - das ist der Weg.
Denn wir müssen einen erfolgreichen und offenen Handel gewährleisten. Darum werben wir weiterhin progressiv. Wir wollen die Handelsabkommen im Interesse der
Menschen gestalten. Wer sie ablehnt, lässt im Endeffekt
die Menschen und ihre Interessen im Stich.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Nächster Redner in der Debatte: Mark Hauptmann für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Geschätzte Zuschauer auf den Tribünen!
Sie erleben gerade eine hitzige Debatte an einem Freitagmittag. Das ist beileibe nicht jeden Freitagmittag in
diesem Hause so.
({0})
Fühlen Sie sich von daher eingeladen, zu sehen, dass unsere Demokratie mit allen Oppositionsrechten gut funktioniert und dass wir hitzig und engagiert über das heute
anstehende Thema sprechen.
({1})
Bei aller Hitzigkeit sollten wir allerdings nicht vergessen, welche Chance das Jahr 2015 mit sich bringt.
2015 ist nämlich das Jahr, in dem wir mit CETA und
TTIP die Chance haben, globale Standards nach europäischem Vorbild zu schaffen. Herr Ernst, Sie wissen ganz
genau, dass die Konkurrenz nicht schläft. Da muss man
nur nach Asien schauen. Aktuell verhandelt nämlich Kanada, über das wir heute sprechen, mit den USA, Japan
und neun weiteren asiatischen Staaten über das TPP-Abkommen, das transpazifische Abkommen.
TPP würde 37 Prozent der weltweiten Produktion und
26 Prozent des weltweiten Handels umfassen. TPP
würde damit natürlich auch neue Standards setzen. Eine
pauschale Verweigerungsstrategie, wie Sie sie hier fahren, führt letztendlich doch nur dazu, dass die Standards
für den Handel, den wir natürlich auch in Zukunft in
Europa treiben, in Asien festgelegt werden und dass wir
mit unseren hohen europäischen Standards außen vor
bleiben. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.
({2})
Deswegen sprechen wir uns für eine aktive Teilnahme
am Zustandekommen von CETA aus.
Nun stellt sich die Frage: Warum Kanada? Kanada ist
für Deutschland und Europa ein bedeutender Partner; es
ist der zweitgrößte Flächenstaat der Welt und die elftgrößte Volkswirtschaft. Kanada ist unser G-7-Partner
und eine der führenden Handelsnationen.
({3})
Das kanadische Pro-Kopf-Einkommen beträgt 52 000 USDollar. Das ist übrigens weit mehr als der europäische
Durchschnitt von 35 000 US-Dollar.
Dass wir eine Chance sehen, die Beziehungen zwischen Kanada und Europa über das CETA-Abkommen
zu verbessern, versteht man, wenn man sich das aktuelle
Handelsvolumen anschaut. Das Handelsvolumen zwischen Kanada und der EU betrug 2014 68 Milliarden
Euro. Die EU bzw. die EU-Staaten haben mit Investitionen in Höhe von 260 Milliarden Euro schon enormen
Vorschub geleistet. Die Vorteile, die das CETA-Abkommen mit sich bringt, sind unglaublich vielschichtig und
relativ einfach - selbst für Sie ({4})
erkennbar: erstens die Intensivierung des Warenaustausches, zweitens die Beseitigung von rund 98 Prozent der
Importzölle und drittens die Vereinfachung von Direktinvestitionen und des Marktzugangs vor Ort.
Dass die Debatte über CETA allerdings von Vorurteilen beherrscht wird, hat der Kollege Becker gerade sehr
schön erläutert. Als nämlich die Verhandlungen mit Kanada 2009 aufgenommen wurden, waren selbst Sie, die
Sie ja sonst nicht dafür bekannt sind, ruhig zu sein, komplett ruhig und haben geschwiegen. Sie haben mit Ihrem
polemischen Kurs erst angefangen, als 2013 die Verhandlungen über TTIP begannen und es über TTIP einen
öffentlichen Meinungsdiskurs gab.
Aktuell verhandelt die Europäische Kommission mit
21 weiteren Staaten oder regionalen Wirtschaftsgemeinschaften. Keine der anderen Verhandlungen scheint Sie
zu interessieren. Daran sieht man, wessen Geistes Kind
Sie sind. Sie haben ja auch keine sachliche Kritik geäußert und keine Verbesserungsvorschläge vorgelegt. Sie
verfallen in alte antiamerikanische bzw. antinordamerikanische Reflexe.
({5})
Sie verunglimpfen CETA und TTIP als WirtschaftsNATO. Das zeigt sehr schön, wessen Geistes Kind Sie
sind.
({6})
Sehr geehrte Kollegin Dröge von den Grünen, dass
Sie gegen CETA sind, ist für uns von der Union natürlich überhaupt keine Überraschung. Sie sind ja prinzipiell gegen alles, was irgendwie Fortschritt bedeuten
würde.
({7})
Sind Sie gegen zukünftige Verkehrsinfrastruktur? Ja, Sie
sind dagegen. Sind Sie gegen Olympia in Bayern, Frau
Künast? Ja, Sie sind dagegen. Wenn es darum geht, mit
CETA und TTIP globale Standards im 21. Jahrhundert
zu setzen, dann sind Sie natürlich auch dagegen.
({8})
Ich habe einen kleinen Vorschlag bezüglich der Namensgebung Ihrer Partei. Seit der Koalition in Thüringen können Sie „Bündnis 90“ aus dem Parteinamen streichen.
({9})
Nennen Sie sich „Die Grünen/Ihre Dagegenpartei“.
({10})
Das wird letztendlich dem Anspruch gerecht, den Sie
hier in Berlin aktuell vertreten.
Herr Hauptmann, dazu sage ich jetzt nichts. Ich frage
Sie, ob Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung des Kollegen Lenkert zulassen.
Nein. Ich halte es wie der Kollege Becker.
({0})
- Herr Ernst, Sie hatten doch Ihre Chance an diesem
Pult. Aber Sie haben sie nicht genutzt. Sie haben noch
nicht einmal zu Ihrem eigenen Antrag gesprochen.
({1})
Von daher: Wir brauchen an dieser Stelle keine weiteren
Polemisierungen.
({2})
Wir möchten allerdings auf Ihre Argumente eingehen,
({3})
nämlich welche Auswirkungen CETA für den Mittelstand mit sich bringt. Keine andere Wirtschaftsnation hat
wie Deutschland 1 500 Hidden Champions, also mittelständische Weltmarktführer. Für diese Mittelständler ergeben sich durch CETA und auch durch TTIP besondere
Vorteile, weil sich diese kleinen Mittelständler nicht wie
Großunternehmen Dependancen im Ausland, zum Beispiel in Kanada, leisten können; sie sind vielmehr darauf
angewiesen, dass sie keine Mehrkosten durch Doppelzertifizierungen haben, dass sie also nur einmal auf der
Basis von einheitlichen Standards zertifizieren müssen,
um auf dem transatlantischen Markt erfolgreich sein zu
können.
Unsere deutschen Unternehmen sind vielfach in den
Sektoren aktiv, die durch CETA besonders profitieren:
({4})
Fahrzeugproduktion, Maschinenbau, Pharmaindustrie,
Elektroindustrie - Produkte all dieser Branchen haben
2014 rund 70 Prozent der deutschen Exporte nach Kanada ausgemacht. Hier sehen wir, wie gesagt, die
enorme Chance, die sich für den Mittelstand bei uns in
Deutschland durch CETA ergibt.
Jetzt gehe ich auf den von Ihnen angesprochenen
Punkt ein, der die Schiedsgerichte betrifft. Ambitionierte
Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP schaffen
nicht nur Wachstum und Beschäftigung aufseiten beider
Handelspartner, Freihandelspolitik ist immer auch Friedenspolitik.
({5})
Dieser Frieden wird eigentlich nur durch Ihre permanente Dagegenopposition gestört.
({6})
- Frau Künast, hören Sie doch zu.
({7})
Sie haben vergessen, dass Deutschland bereits 86 Abkommen über Schlichtungsverfahren zwischen Staat und
Investoren unterzeichnet hat. Ausgehend von all diesen
86 unterzeichneten Abkommen ist es nur zu zwei Verfahren gegen Deutschland gekommen. Bisher musste
Deutschland keine Schadenszahlungen leisten. Wenn
man sich dann auch noch die Details anschaut, dann
sieht man, dass bei den Schiedsgerichtsurteilen nur in
31 Prozent der Fälle den Investoren eine Entschädigung
zugesprochen wurde. Das heißt, in 70 Prozent der Fälle
bekommen die Investoren gar keine Entschädigung. Das
verschweigen Sie natürlich in Ihrer Argumentation.
({8})
Wir müssen sehen, dass internationale Schiedsgerichte ein bewährtes Instrument des Welthandels sind.
Wir haben natürlich auch erkannt, dass es bei den Regelungen zu den Schiedsgerichten Veränderungen geben
muss, gerade im Bereich der Transparenz. Der UNSchiedsgerichtshof hat 2014 neue Transparenzregeln erlassen. Klageschrift, Anhörungen und Urteil sind öffentlich einsehbar. Mit der geplanten Unterzeichnung der
Mauritius-Konvention sollen die neuen Transparenzregeln auch für die Schiedsgerichtsverfahren vor 2014
gelten. Das heißt, die Transparenzregeln werden sogar
auf alte Fälle übertragen.
({9})
Die CDU/CSU-Fraktion hat im Bundestag den Vorschlag unterbreitet, dass von deutscher Seite auch Bundesrichter als Richter bei den Schiedsgerichtsverfahren
anerkannt werden könnten.
Ich möchte zusammenfassen: Sie führen seitens der
Linken an, dass Sie mit einer Absenkung der Umwelt-,
Sozial- und Verbraucherstandards rechnen. Wir sagen:
Sie verwechseln die Angleichung der Standards mit einer Herabsetzung. Abgesehen davon überrascht es mich
doch schon sehr, dass Sie auf der einen Seite permanent
die Europäische Kommission, Europa und alles, was aus
Brüssel kommt, kritisieren, sich aber hier in dieser Debatte permanent auf die hohen europäischen Standards
berufen und mahnen, dass wir sie verteidigen sollten.
Was wollen Sie eigentlich? Ihre Argumentation ist
schlicht nicht schlüssig.
({10})
Wir wollen von unserer Seite dafür Sorge tragen, unsere
hohen Standards zu exportieren, anstatt sie abzuschaffen.
({11})
Deswegen möchte ich abschließend zusammenfassend sagen, dass wir 2015 die einmalige Chance haben,
auf der Basis gemeinsamer Werte langfristige wirtschaftliche Kooperationen zu schaffen. Wir generieren damit
Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze.
({12})
Noch bestimmen wir die Regeln, aber Asien schläft
nicht. Wir wissen nicht, wie lange die Tür zum europäisch-kanadischen oder zum europäisch-amerikanischen Markt in dieser Form offensteht. Lassen Sie uns
doch die Chance nutzen, bevor sich die Tür schließt,
diese gemeinsamen Standards hochzuhalten, unsere hohen europäischen Standards in diese Debatte einzubringen. Wir sollten nicht der Versuchung nachgeben, die
Abkommen vorschnell abzulehnen, weil das die Gefahr
birgt, dass wir in Zukunft transpazifische Standards auch
hier in Europa übernehmen müssen.
({13})
Insofern ist Ihr Antrag in dieser Debatte schlicht abzulehnen. Wir bitten, vernünftig zu sein und die mit
CETA verbundenen Chancen zu nutzen, damit wir den
globalen Wirtschaftsstandard in Zukunft erfolgreich gestalten können.
Herzlichen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege Hauptmann. - Braucht die
randalierende Abteilung bei der CDU/CSU Hilfe? Bricht
da gleich etwas auseinander?
({0})
Wenn Sie Unterstützung brauchen, sorge ich gerne dafür.
Nächster Redner in der Debatte: Alexander Ulrich für
die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Lämmel, Sie haben sich etwa elf Minuten darüber
ausgebreitet, warum wir die Themen „CETA“ und
„TTIP“ im Bundestag schon wieder behandeln, ohne einen Satz über die Inhalte dieser Abkommen zu sagen.
({0})
Sie werden sich damit abfinden müssen, dass dieses
Thema noch sehr oft hier im Bundestag auf der Tagesordnung steht. Der beste Beweis dafür ist doch das, was
am heutigen Tag deutlich wurde, nämlich dass alle - die
Europäische Bürgerinitiative, die Gewerkschaften, die
Umweltverbände, die Verbraucherschützer bis hin zu
den Bierbrauern und zur Diakonie - große Bedenken haben. Diese Bedenken werden von Ihnen aber nicht wahrgenommen. Jede Debatte, die das aufzeigt, ist gut für
uns.
({1})
Dank der Grünen muss Herr Gabriel jetzt seine Post
hier im Bundestag bearbeiten. - Herr Gabriel, Sie haben
natürlich ein großes Problem. Sie haben mit dem SPDParteikonvent große Hoffnungen geweckt und müssen
jetzt feststellen, dass Sie mit komplett leeren Händen dastehen.
({2})
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder bekommen Sie
auf europäischer Ebene nichts durch, oder Sie stehen
nicht hinter dem, was Ihr SPD-Parteikonvent beschlossen hat.
({3})
Ersteres wäre vielleicht noch erklärbar. Dann müssen Sie
aber wenigstens einmal den Versuch unternehmen, eine
Änderung vorzunehmen. Wäre Letzteres der Fall, wäre
es schon tragisch.
Ich glaube, im Kern geht es bei TTIP und CETA darum, ob es in Zukunft noch ein Primat der Politik gibt
({4})
oder ob Wirtschaftsinteressen, Großkonzerne und Banken darüber bestimmen, was die Politik noch zu entscheiden hat.
({5})
Das können wir nicht akzeptieren, und deshalb brauchen
wir diese Debatte. Die Vereinbarungen zu privaten
Schiedsgerichten müssen aus den Abkommen herausgenommen werden. Alles andere wäre für die SPD ein Kotau vor den globalisierten Interessen der Wirtschaft, aber
kein Dienst an den Menschen.
({6})
Herr Gabriel, Sie haben in Davos gesagt - das war
wirklich unsäglich -, die Interessenslage in Deutschland
sei so, weil Deutschland reich und hysterisch sei. Als
Wirtschaftsminister haben Sie hier nicht den Eid geleistet, die Interessen der Wirtschaft umzusetzen, sondern
Sie haben den Eid geleistet, die Interessen der Bevölkerung zu schützen.
({7})
Solche Aussagen wie die, dass die Kritik an oder die
Angst vor TTIP oder CETA darin ihren Grund hat, dass
man in Deutschland reich oder hysterisch sei, passen
dazu nicht. Ganz im Gegenteil: Die Menschen haben
Angst um den Verbraucherschutz, um soziale Standards
und um Umweltstandards. Daran müssten eigentlich
auch Sie als Wirtschaftsminister ein Interesse haben.
({8})
Infratest hat vor wenigen Tagen eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass 60 Prozent der Bevölkerung in diesem Land der Auffassung sind, dass es um
die Demokratie schlecht bestellt sei und dass es offensichtlich nur noch um Wirtschaftsinteressen gehe. Ich
habe leider auch in der heutigen Debatte festgestellt,
dass SPD und CDU/CSU fest daran arbeiten, dass aus
diesen 60 Prozent 100 Prozent werden. Denn bei TTIP
und CETA geht es nur um wirtschaftliche Interessen,
aber nicht um andere, und die Demokratie soll hintenanstehen.
Herr Becker, Sie haben hier auch noch gesagt: Obwohl die Verhandlungen intransparent, geheim und un8448
demokratisch waren, sei das Ganze ausverhandelt, und
wir hätten darüber nichts mehr zu bestimmen. Welches
Demokratieverständnis haben Sie denn als Abgeordneter,
({9})
wenn Sie am Schluss von Verhandlungen, an denen Sie
nicht beteiligt gewesen sind, sagen: „Wir müssen das
jetzt einfach fressen“?
({10})
So ist Demokratie nicht zu verstehen. Sie haben den
Auftrag, am Schluss einer Verhandlung Ja oder Nein zu
sagen, und Sie haben nicht den Auftrag, das Ergebnis
von Geheimverhandlungen einfach zu akzeptieren. Wir
lehnen CETA, so wie es jetzt ausgehandelt ist, ab.
({11})
Herr Hoffmann, der DGB-Vorsitzende, hat am Anfang der Woche auf einer Konferenz Ihrer Partei deutlich
gesagt:
({12})
Wir brauchen keine Schiedsgerichte. Und: In dieser
Form ist CETA abzulehnen.
({13})
Wenn die SPD schon nicht den Linken nachlaufen
möchte, dann sollte sie wenigstens einmal auf die Gewerkschaften hören. Sonst beruft sie sich ja auch immer
auf die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften wollen
diese Verträge nicht. Deshalb lehnen sie sie auch ab.
Herr Gabriel, ich glaube, es wird jetzt wirklich Zeit,
dass Sie nicht permanent Pirouetten drehen, sondern
endlich mal klar Schiff machen. Sind Sie bereit, CETA
zu unterschreiben, wie es jetzt auf dem Tisch liegt?
Wenn Sie das machen, ist es ein Bruch gegenüber dem
SPD-Parteikonvent, und die vielen Millionen Menschen
in diesem Land wissen: Diesem Wirtschaftsminister
brauchen wir dann nicht mehr trauen.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. - Nächste Rednerin in der Debatte: Andrea Wicklein für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen und vor dem Fernseher zu Hause! Sie sehen:
CETA und TTIP werden von vielen Menschen in unserem Land diskutiert, auch hier im Bundestag. Die Menschen mischen sich ein, sie demonstrieren, sie wenden
sich mit ihren Fragen und Sorgen an uns, und sie holen
die europäische Handelspolitik endlich aus den vertraulichen Zirkeln heraus.
({0})
Das alles sind für mich positive Zeichen. Sie zeugen von
einer aktiven Bürgergesellschaft, von der Forderung, bei
wichtigen Entscheidungen für unser Land, für Europa
beteiligt zu werden, mit dabei zu sein.
Dieses Engagement zeigt vor allem auch, dass für die
Menschen unsere Errungenschaften - die hohen Standards, die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parlamente
oder der erreichte Verbraucherschutz - sehr wichtig sind.
Das sind übrigens auch die Errungenschaften eines europäischen Binnenmarkts, der in den letzten Jahrzehnten in
Europa entstanden ist. Diese Errungenschaften dürfen
natürlich nicht zur Disposition stehen.
Ich muss hier noch einmal ganz klar sagen: Die EU
plant keinen gemeinsamen Binnenmarkt mit Kanada
oder den USA. Die EU-Kommission hat den Auftrag, einen Vertrag für ein Handelsabkommen vorzulegen, so
wie es gerade mit Südkorea oder mit Singapur erfolgt ist
und mit vielen anderen Ländern in der Vergangenheit
auch schon.
Ich finde die öffentliche Debatte zu den Freihandelsabkommen sehr wichtig und wertvoll, wenn sie auf der
Grundlage von sachlichen Argumenten und Inhalten erfolgt.
({1})
Viel zu lange wurden Freihandelsabkommen einfach nur
verhandelt und beschlossen, ohne dass die Öffentlichkeit
miteinbezogen wurde. Und das ist auch eine berechtigte
Kritik. Ich habe aber den Eindruck, dass unter der neuen
Handelskommissarin Malmström ein neuer Wind weht
und sie sich zu mehr Transparenz verpflichtet fühlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
bei aller berechtigten Kritik an der Geheimniskrämerei
der Vergangenheit und auch an einzelnen Punkten - im
Kern geht es doch heute um folgende Frage: Wollen wir
Europäerinnen und Europäer die Handelsregeln in der
globalen Welt mit unseren Werten, Standards und Normen mitgestalten, oder überlassen wir das anderen Wirtschaftsräumen und leben dann mit deren Regeln?
Beim Freihandelsabkommen mit Kanada sehe ich für
deutsche Unternehmen große Chancen. Kanadas Wirtschaft steht vor enormen Herausforderungen. Der Rohstoffsektor muss sich neue Märkte erschließen und die
hierfür erforderlichen Infrastrukturen schaffen. Unter anderem ist der Ausbau des Öl- und Gaspipelinenetzes geplant. Gerade im Energiesektor könnten unsere Unternehmen durch Aufträge in Kanada sehr profitieren.
Dazu kommt, dass sich Kanada und die EU sehr nahe
sind, nicht nur kulturell, sondern auch, was die sozialen
und industriellen Standards betrifft. Übrigens wird das
CETA-Abkommen in Kanada von einer übergroßen
Mehrheit positiv gesehen.
({2})
Für uns steht aber dennoch fest: Bei den Investitionsschutzregeln muss es noch Verbesserungen geben. Und
dafür sehe ich auch gute Chancen. Das belegen die intensiven Bemühungen des Bundeswirtschaftsministers
Sigmar Gabriel, der gemeinsam mit sechs europäischen
Handelsministern Vorschläge für ein modernisiertes Investitionsschutzsystem vorgelegt hat; wir haben heute
schon darüber gesprochen.
({3})
Auch die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
im EU-Parlament, auf deren Stimmen es bei der Verabschiedung des Vertrages ankommt, werden alles dafür
tun, dass es bei der derzeit laufenden Rechtsförmlichkeitsprüfung noch Veränderungen geben wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel ist es doch, den
Freihandel so zu gestalten, dass wir alle davon profitieren.
({4})
Gerade für uns als Exportnation ist es immens wichtig,
Handelshemmnisse abzubauen, ohne Standards zu gefährden. Immerhin generieren wir 40 Prozent unseres
Wohlstandes durch internationalen Handel. Jeder vierte
Arbeitsplatz hängt am Export.
({5})
Herr Kollege Ernst, lieber Klaus,
({6})
Sie waren doch bei der Reise des Wirtschaftsausschusses
nach Kanada dabei.
({7})
Wir haben vor Ort sehr intensive Gespräche mit Unternehmen geführt.
({8})
Die Unternehmen haben uns ganz klar gesagt, wie wichtig es für sie ist, dass Normen und Zertifikate angeglichen werden, dass Zölle beseitigt werden, um Aufwand
und Kosten zu sparen.
Die kanadische Firma Bombardier, die in Deutschland circa 9 000 Mitarbeiter an neun Standorten beschäftigt, erhofft sich durch CETA die Vereinfachung des Personalaustausches und natürlich auch die Vereinfachung
der Zertifizierungsverfahren, die derzeit sage und
schreibe 18 bis 24 Monate dauern.
Aber gerade auch kleine und mittelständische Unternehmen könnten vom Abbau der Handelshemmnisse
profitieren. Ich habe mit kleinen Unternehmen gesprochen, die auf Erleichterungen in den Handelsbeziehungen zu Kanada setzen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, der Unterschied zwischen uns besteht darin, dass
wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch
die Chancen von Freihandel sehen und deshalb um positive Veränderungen in CETA ringen. Unser Ziel muss
doch ein Mehrwert für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger sein. Keine andere Partei hat bisher
einen ähnlich breiten Diskussionsprozess geführt wie die
SPD.
({9})
Deshalb ist aus meiner Sicht eine pauschale Ablehnung
des CETA-Verhandlungsergebnisses, wie Sie es in Ihrem
Antrag fordern, nicht akzeptabel. Deshalb können wir
diesem Antrag auch nicht zustimmen.
Außerdem ist jetzt nach dem öffentlichen Konsultationsverfahren erst einmal die EU-Kommission am
Zuge, mit Kanada Veränderungen des Rohtextes abzustimmen. Die Kritik, insbesondere aus Deutschland, ist
dort angekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind ein selbstbewusstes Parlament, und wir werden uns deshalb auch
selbstbewusst mit dem Vertragstext, wenn er vorliegt,
auseinandersetzen und am Ende verantwortlich die richtigen Entscheidungen treffen. Das gilt im Übrigen auch
für das Europäische Parlament.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen herzlichen Dank. - Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer nach vorne. Wir müssen kurz die
Reihenfolge der Redner klären.
So, in der Rednerliste ist ein bisschen getauscht worden, und es gibt einen Verzicht der Kollegin Dr. Scheer.
Wir freuen uns ganz besonders, dass wir jetzt den
Wirtschaftsminister hören. Sigmar Gabriel hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin, ich dachte, ich hätte noch ein bisschen Zeit, den interessanten Beiträgen zuzuhören.
Jetzt geht’s los, Sigmar.
Ja, vielen Dank. - Zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich vorhin nicht da war. Ich hatte die
Antragsteller gefragt, ob sie Wert auf meine Anwesenheit legen. Die Antwort war: Im Prinzip immer, aber in
diesem Fall könne ich gegen Zahlung eines Bieres ruhig
rausgehen. - Das war ein bisschen spaßhaft gemeint.
Dann haben die Grünen beantragt, dass ich da sein muss.
Ich hätte sie natürlich auch fragen müssen. Aber dass ihr
von den Linken, obwohl ihr mir Dispens gegeben habt,
dem Antrag der Grünen zugestimmt habt, bedeutet:
Dieter, du kriegst kein Bier von mir.
({0})
Trotzdem: Entschuldigung, ich hätte auch Sie von der
grünen Fraktion fragen müssen.
({1})
- Das mache ich mit Ihnen gerne auch unabhängig von
Anwesenheitsfragen, wenn Sie das möchten.
Jetzt aber zum Ernst der Sache; es geht ja um ein
wichtiges Thema. Ich wundere mich ein bisschen über
die Frage, wie wir bei CETA mit dem Investitionsschutz
umgehen, weil ich Ihnen das hier schon ein paarmal in
einer, wie ich finde, ganz munteren Debatte erläutert
habe. Wir brauchen Investitionsschutz und haben eine
klare Vorstellung, wie er in Zukunft aussehen soll. Ich
habe mich zuerst auf die alte Bundesregierung, auf
CDU/CSU und FDP berufen, die nicht zu Unrecht gesagt hat: Eigentlich brauchen wir bei Abkommen zwischen Ländern mit entwickelten Rechtssystemen solche
Sonderregeln nicht. - Aber es gibt drei Argumente, die
dagegensprechen.
Erstens. Ich weiß nicht, ob wir einen deutschen Mittelständler, der ein Investitionsproblem in Alabama hat,
vor das dortige Amtsgericht schicken wollen,
({2})
wo der Richter vor Ort gewählt wird, ob wir kleinen oder
mittelständischen Unternehmen den Weg durch die amerikanischen Instanzen zumuten wollen.
({3})
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er pleite ist, bevor
er recht bekommen hat.
({4})
Zweitens. Es geht um Verhandlungen zwischen
Europa und den Vereinigten Staaten. Deutschland hat
selbst innerhalb Europas erhebliche Schwierigkeiten,
den Investitionsschutz auf dem nationalen Rechtsweg
zum Beispiel in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien
nach dortigem Recht durchzusetzen. Man muss den
Blick der Kanadier und der US-Amerikaner auf die
Rechtssysteme in Europa schon verstehen.
Drittes Argument, und das ist das entscheidende. Wir
wollen kein ganz normales Freihandelsabkommen
schließen, sondern stehen doch vor der Situation, dass es
nicht zum eigentlich von uns gewünschten Abkommen
der Welthandelsorganisation kommt, die eigentlich dafür
da ist, die „golden standards“ des Freihandels zu setzen,
weil insbesondere die Schwellenländer dies blockieren.
Der Versuch ist, jetzt mit den Vereinigten Staaten Standards für einen sich dramatisch verändernden Welthandel zu setzen. Bei dem Standard, den wir setzen, werden
wir auf das Thema Investitionsschutz nicht verzichten
können, weil dieser Standard von uns nach Möglichkeit
bei späteren Handelsabkommen zum Beispiel mit China,
mit Staaten in Asien und anderen Staaten durchgesetzt
werden soll, bei denen selbst die Linken wohl nicht der
Meinung sind - das kann ich mir nicht vorstellen -, dort
bräuchte man keinen Investitionsschutz. Insofern werden wir uns über die Frage unterhalten müssen: Wie
muss ein moderner Investitionsschutz aussehen?
Aus meiner Sicht muss ein Investitionsschutz so aussehen, dass er nicht privatwirtschaftlich organisiert ist,
sondern öffentlich-rechtlich.
({5})
Ich bin der Meinung, dass wir Berufsrichter brauchen,
die an eine öffentlich-rechtliche Berufung gebunden
sind, dass das Gericht transparent zu tagen hat, dass die
Kläger, wenn sie verlieren, die Kosten des Verfahrens zu
tragen haben und dass es Bußgelder geben muss, wenn
jemand missbräuchlich klagt. Im Übrigen finde ich, dass
sich ein Kläger entscheiden muss, ob er nun vor dem
staatlichen Gericht oder vor dem Schiedsgericht klagt,
und er nicht zwischen beiden hin- und herwechseln
kann. Außerdem brauchen wir eine Berufungsinstanz.
Eigentlich muss die Debatte in Richtung eines richtigen
Handelsgerichtshofes gehen. Das ist das, was wir mit
sechs Handelsministern - zugegebenermaßen Sozialdemokraten - vereinbart haben, was wir vorschlagen.
Jetzt zu der Frage: Wieweit schaffen wir das bei
CETA? Die Antwort darauf habe ich Ihnen beim letzten
Mal im Bundestag gegeben: Sie werden in einem abschließend verhandelten Abkommen keine vollständige
Umsetzung der Forderungen hinkriegen.
({6})
Ich weiß gar nicht, warum Sie mich das dreimal fragen.
({7})
Sie können in meinen Reden nachlesen, dass ich Ihnen
schon gesagt habe: Das werden wir nicht schaffen. Aber
wir werden jeden Schritt unternehmen, auf diesem Weg
selbst bei CETA voranzukommen. Ein Kollege von der
Union hat auf die Mauritius-Konvention hingewiesen,
mit der wir bei bestehenden Abkommen weitaus mehr
Transparenz schaffen. Das zeigt doch, in welche Richtung wir gehen.
({8})
Machen Sie daraus doch nicht immer eine Debatte
über die Frage des Untergangs des Abendlandes. Ich
frage mich, ob Sie von der Linken eigentlich genauso
gegen das Freihandelsabkommen wären, wenn wir über
ein Freihandelsabkommen mit Russland sprächen. Das
würde mich interessieren.
({9})
- Nein, passen Sie auf. Sie werden gleich merken, dass
das nicht billig ist.
({10})
Denn Freihandel hat etwas mit der Chance auf Frieden
und Zusammenarbeit zu tun.
Ich habe nicht ohne Grund in Davos gesagt - die
deutsche Bundeskanzlerin hat das auch gemacht; dafür
bin ich ihr sehr dankbar gewesen -: Wenn wir über den
Tag nach Beendigung des Konfliktes in der Ukraine reden, sollten wir Russland ein Angebot machen. Wir sollten den Vorschlag aufgreifen, den der russische Präsident selbst - wenn ich mich recht erinnere, hier im
Deutschen Bundestag - eingebracht hat, nämlich einer
Freihandelszone zwischen Wladiwostok und Lissabon.
Für uns wäre das dann eine Freihandelszone von Wladiwostok über Lissabon bis New York. Es ist egal, wie herum man das sieht.
Das hat übrigens nicht nur etwas mit Ökonomie zu
tun. Es hat auch mit der Frage zu tun, wie wir durch
Wohlstand und Kooperation Frieden stabilisieren. Ich
weiß, dass das heute bei der Lage, die wir in der Ukraine
haben, undenkbar erscheint. Ich kann da nur an Willy
Brandt erinnern. Weil Sie so oft auf Sozialdemokraten
abheben, habe ich mich immer gefragt, wann Sie endlich
in die SPD eintreten werden. Sie zitieren ja Parteitagsbeschlüsse der SPD und machen sich als Mitglied der Linken Sorgen um die SPD. Das begrüße ich. Ich hoffe, Sie
kommen irgendwann zu uns, wenn Sie merken, dass wir
das besser machen als Sie.
({11})
Meine Kollegen haben gesagt, dass wir nicht jeden nehmen sollen.
({12})
Sie glauben gar nicht, wie gut wir uns kennen. Ich bin
aber Sozialdemokrat. Deswegen habe ich ein emanzipatorisches Weltbild und denke immer, dass Aufklärung
bei allen hilft.
Ich meine das ganz ernst: Wir haben die Entspannungspolitik in Deutschland am dunkelsten Punkt, beim
dunkelsten Kapitel des Kalten Krieges begonnen, als
Staaten des Warschauer Vertrages in die Tschechoslowakei einmarschiert sind. Da hat Willy Brandt über die
Frage nachgedacht: Wie kommen wir trotzdem mit unseren östlichen Nachbarn voran? Das war übrigens die Voraussetzung dafür, dass wir am Ende die deutsche Einheit schaffen konnten. Deswegen sage ich: Selbst am
dunkelsten Punkt eines Konfliktes, der den Krieg zurück
nach Europa gebracht hat, muss man auch darüber nachdenken, was die Perspektive ist. Denn Russland braucht
Europa, und wir brauchen Russland. Auch die Amerikaner werden Russland brauchen.
Der Grund, warum ich dafür bin, in Sachen TTIP nicht
ständig Angst zu verbreiten, ist: Es wird keine Absenkung
von Standards geben, und es wird kein Aushebeln der Gesundheits-, Verbraucherschutz- und Sozialstandards geben. Auch wird es keine Privatgerichtsbarkeit geben,
welche die Parlamente einschränkt. Lassen Sie uns doch
einmal selbstbewusst über die Rolle Europas in der Zukunft reden, über die Rolle Europas in 10 oder 20 Jahren. Dabei geht es auch um China. Wir diskutieren
darüber, dass dieses Jahrhundert ein asiatisches Jahrhundert wird. Das wird es auch sein, weil dort die Bevölkerung wächst und auch die Wirtschaft. Wir in Europa hingegen schrumpfen.
Wenn wir - und zwar in Verantwortung für diejenigen, die nach uns kommen, für unsere Kinder - die Balance halten wollen, müssen wir doch Partner suchen.
Das müssen wir machen, wenn wir in dieser veränderten
Welt noch eine Stimme haben wollen. Die ersten Partner
- trotz aller Probleme, die wir gelegentlich mit amerikanischer Politik haben - sind die Vereinigten Staaten von
Amerika und Kanada. Das ist so, weil uns mit denen kulturell, sozial und ökonomisch - trotz aller Probleme mit
denen: trotz Irakkrieg und trotz der Geheimdienste mehr verbindet als mit jeder anderen Region der Welt,
meine Damen und Herren.
({13})
Der zweite Partner muss wieder Russland werden.
Nur wenn wir beide Partnerschaften haben, werden wir
in dieser völlig veränderten Welt die Balance halten können.
Europa hat doch etwas anzubieten. Wir haben zum
Beispiel die Erfahrung anzubieten, dass wir - obwohl
das, in geschichtlichen Kategorien gesehen, erst kurze
Zeit her ist - nach Kriegen mit Franzosen, Polen und anderen Frieden, Wohlstand und Stabilität geschaffen haben. Wir haben ein Modell, in dem Demokratie und Freiheit ökonomischen Erfolg bringen. Übrigens schaffen
wir es auch - mehr als jede andere Nation der Welt - industriellen Erfolg und ökologische Verantwortung zusammenzubringen. Wir haben in der Welt doch etwas
anzubieten!
Wir wollen mit dem Freihandelsabkommen neue
Standards setzen. Auch mit den Vereinigten Staaten werden wir nicht all das hinkriegen, was wir uns im Deutschen Bundestag wünschen. Es wird aber besser sein als
jedes Freihandelsabkommen, das die Vereinigten Staaten
mit China schließen. Deswegen geht es doch nicht um
die Frage, ob wir ein Freihandelsabkommen haben werden, sondern nur darum, ob wir es selbst gestalten oder
ob wir uns in Zukunft anderen Standards anpassen müssen.
({14})
Ich möchte auch etwas zu den Kritikern sagen. Die
Kritiker haben uns weitergebracht.
({15})
Sie haben uns auf drohende Gefahren aufmerksam gemacht. Die Kritiker sind also ein wichtiger Bestandteil
dieser Debatte.
({16})
Es wäre allerdings gut, wenn die Kritiker merken würden, dass sie mit ihrer Kritik Erfolg hatten.
({17})
Es wird keine Importe von gentechnisch veränderten
Lebensmitteln nach Europa geben. Es wird übrigens
auch nicht das berühmte Chlorhühnchen geben; wobei
ich mir nicht so sicher bin, ob die Hühnchen, die wir in
Deutschland mit Antibiotika füttern, wirklich gesünder
sind, als die, die mit Chlor desinfiziert werden.
({18})
Vielleicht ist es am besten, man macht beides nicht.
({19})
- Renate, dann weißt du mehr als ich.
Ich wiederhole: Die Kritiker haben uns weitergebracht. Die Debatte über das „right to regulate“, über die
Rolle der demokratisch gewählten Parlamente bei den
Entscheidungen, ist natürlich von entscheidender Bedeutung. Wenn wir wollen, dass die Handelsarchitektur der
Welt durch das Freihandelsabkommen beeinflusst wird,
dann werden wir diese Frage eindeutig klären müssen,
und ich glaube, dass wir das gut schaffen. Natürlich arbeitet die Bundesregierung dabei mit vielen anderen zusammen.
Ich finde die Debatte wichtig. Sie hat uns weitergebracht, auch mich persönlich, und zwar in unterschiedlicher Hinsicht. Aber ich bin dagegen, dass wir diese Diskussion weiterhin so angstbesetzt führen. Es könnte eine
ganz selbstbewusste europäische Debatte sein. Wir
könnten eine Menge durchsetzen. Die Welt verändert
sich, und wir in Europa dürfen nicht so tun, als ob wir in
der zukünftigen Welt nur mit uns selber klarkämen. Das
ist doch nicht so. Wir reden immer darüber, dass wir Zuwanderung und Kooperation brauchen. Deutschland ist
das Land, das mehr als alle anderen vom Freihandel lebt.
Deswegen werden wir uns verdammt noch mal anstrengen müssen, eine Regelung zu finden. Ich finde, wir sind
auf einem ausgesprochen guten Weg.
Vielen Dank.
({20})
Vielen Dank, Sigmar Gabriel. - Nächste Rednerin:
Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, schön, dass Sie doch noch gekommen sind. Sie
haben in Ihrer Rede mindestens zweimal gesagt: „Wenn
wir die Handelsarchitektur der Welt gestalten wollen …“
Daran will ich anknüpfen; denn das löst bei mir bzw. bei
uns Sorgen aus. Dahinter steckt nämlich die Idee - so
haben Sie es gesagt -: Wenn einige Länder den Fortgang
der WTO-Verhandlungen blockieren, dann versuchen
wir es eben an einer anderen Stelle. Aber ich bin der
Meinung: Hier ist Vorsicht geboten. Das lässt mich aufhorchen, weil ich nicht will, dass „versuchen“ heißt, dass
die Interessen der WTO, die nicht von allen Mitgliedern
getragen werden, der Welt an anderer Stelle mittels
TTIP, CETA oder anderen bilateralen Abkommen aufgedrückt werden. Ich halte das, was hier passiert, inhaltlich
für falsch und für undemokratisch.
({0})
Halten wir fest: Bei den Verhandlungen innerhalb der
WTO geht es nicht weiter. Ich habe auch verstanden, warum und wer sich benachteiligt fühlt, ich glaube, zu
Recht. Nun versucht man es an anderer Stelle. Dann
wäre die Frage: Wie und wo versucht man es? Wäre es
nicht besser, einen multilateralen Ansatz zu wählen
({1})
und festzustellen, dass auch die UN ihre Zuständigkeiten
haben - von Sozialpakt bis Wirtschaftswachstum und
nachhaltige Entwicklung -, statt bilaterale Abkommen,
fast wie Diktate, mit einzelnen Staaten für den Rest des
Marktes zu schaffen? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen.
({2})
Ich sage Ihnen ganz klar: Es ist nicht so, wie manche
das hier behaupten, dass wir gar keine Freihandelsabkommen wollen. Auch ich finde es sinnvoll, dass man
TÜV-Untersuchungen nicht doppelt und dreifach macht,
({3})
dass man nicht zwischen roten und orangefarbenen
Rücklichtern unterscheidet.
({4})
Darum geht es doch gar nicht. Es geht auch nicht um das
Chlorhühnchen.
({5})
- Darum geht es in meiner Kritik nicht.
({6})
Setzen Sie doch die entsprechenden Regelungen um!
Wenn Sie all diese Punkte aufgeschrieben hätten, wären
sie schon längst verabschiedet und ratifiziert.
Es geht nicht nur um Chlorhühnchen, um dieses arme
possierliche Tierchen, das hier immer bemüht wird.
({7})
- Sie müssen richtig lesen. - Es geht darum, dass hier
eine Aushöhlung stattfindet, dass in Zukunft jede politische Maßnahme Schadenersatz auslösen kann, dass in
Zukunft Regeln und Gesetze gemacht werden, indem
man vorher im Geheimen noch die USA als Vierten im
Bunde - neben den Mitgliedstaaten, dem Europäischem
Parlament und der Europäischen Kommission - mitverhandeln lässt. Das ist kein demokratisches Verfahren.
Das ist der Kern.
({8})
Frau Künast, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Herrn Hauptmann?
Bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, ich interpretiere
Ihre Aussage so, dass Sie zugeben, dass bei Rückspiegeln und verschiedenen anderen Themen es vorteilhaft
sein kann, solche Abkommen abzuschließen.
({0})
Wir begrüßen diesen Schritt. Weil es bezüglich der
Chlorhühnchen anscheinend unterschiedliche Auffassungen gibt, will ich Sie ganz klar fragen: Haben die
Partei Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion, die auf
der Fraktionsebene dieses Hauses große Aufsteller aufgebaut hat und gegen TTIP Sturm gelaufen ist, das
Chlorhühnchen durch die halbe Republik getragen, ja
oder nein?
({1})
Haben Sie dieses Thema nicht bewusst genutzt, um die
Menschen in die Irre zu führen? Das Bundesgesundheitsamt hat hinterher festgestellt, dass das völliger
Blödsinn war. Haben Sie das gemacht, oder haben Sie
das nicht gemacht?
Sehr geehrter Herr Hauptmann, ich habe gerade gesagt, dass es längst nicht mehr nur um das Chlorhühnchen, dieses arme, possierliche Tierchen, geht. Natürlich
ging es auch darum. Wir haben aber eines gelernt: Die
allergrößte Gefahr liegt nicht in der gegenseitigen Anerkennung von Umweltschutz-, Verbraucherschutz- und
Gesundheitsstandards, sondern in einem ganz anderen
Bereich. Es geht um die Privilegierung von Investoren
gegenüber allen anderen.
({0})
Es geht zum Beispiel darum, dass es einen breitgefassten
Begriff der indirekten Enteignung gibt. Sie konnten damals und Sie können heute lesen, worauf wir uns konzentrieren.
Ich sage Ihnen: Es geht im Kern nicht um die Frage,
welche Standards wir heute anerkennen, sondern um die
Frage, dass in Zukunft jede politische Maßnahme zu einer schadenersatzauslösenden Enteignung stilisiert werden kann. Das kann nicht sein.
({1})
Am Ende müssen wir noch bezahlen, wenn wir Pestizidminimierungsstrategien verfolgen. Es geht um Geheimhaltung.
({2})
Es geht um die Frage, ob Rechtswege und Umgehungsmöglichkeiten vorgesehen sind, die man nicht akzeptieren kann.
Das empfinden nicht nur wir so. Keine Geringere als
die neue Präsidentin des Bundesgerichtshofs hat in ihrer
Antrittsrede gesagt, dass im Zusammenhang mit dem
Freihandelsabkommen vermeintlich beschwichtigend
gesagt werde, darin vorgesehene Schiedsverfahren sollten erst nach Erschöpfung des staatlichen Rechtswegs
zum Tragen kommen. Sie hat gefragt: Wer soll in Zukunft eigentlich wen kontrollieren, und wie soll das
Schiedsgericht zusammengesetzt werden? Sie hat auch
gesagt, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass
wir damit willentlich und wissentlich Bereiche aufgeben, die bislang zu den Kernaufgaben der Herstellung
staatlicher Ordnung gehörten,
({3})
und dass wir gute Antworten haben sollten, um mit den
absehbaren Folgen umgehen zu können. Auf diesen Bereich beziehen wir uns heute mit diesem Antrag. Aber
wir stellen gerne auch weitere Anträge.
Herr Gabriel hat am 25. September 2014 in diesem
Haus gesagt, Investitionsschutz in CETA und TTIP sei
nicht erforderlich. Zwischen entwickelten Rechtssystemen wie Kanada und der EU brauche man keinen völkerrechtlichen Investitionsschutz.
({4})
Ich will darauf, auf den Kern des Problems, näher eingehen. Darüber haben heute nicht viele geredet; viele haben nur die Opposition beschimpft. Ich habe eigentlich
immer gedacht, Kern des demokratischen Rechtsstaats
Deutschland sei das Parlament, in dem es denklogisch
immer eine Opposition gibt, die auch fürs Fragenstellen
bezahlt wird. Deshalb sage ich es noch einmal: Die regulatorische Kooperation in Verbindung und Verschränkung mit einer Schiedsgerichtsbarkeit, einer Art Paralleljustiz, ist das Problem. Wir und die EU müssen uns
fragen, welches Zeichen wir setzen wollen. Wir sagen
immer, dass wir mit anderen Rechtsstaatsdialoge führen
und wissen, was ein Rechtsstaat ist. Das, was da geplant
ist, hat aber nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, sondern ist ein Zurück in die Geheimpolitik vergangener
Jahrhunderte.
({5})
Dabei geht es nicht nur um die Öffentlichkeit und
Überprüfbarkeit von Verfahren oder gesetzliche Richter.
Ich stelle mir auch die Frage: Welche rechtliche, welche
verfassungsrechtliche Basis und welche Gedanken liegen diesem Abkommen eigentlich zugrunde? Warum
dürfen Investoren auf entgangenen Profit klagen? Warum darf eigentlich nicht der Verbraucherzentrale Bundesverband wegen Nichteinhaltung der Verbraucherrechte klagen? Warum darf Greenpeace nicht bei
Umweltfragen klagen?
({6})
Und warum darf Foodwatch nicht klagen, weil im Bereich der Lebensmittel etwas schlecht geregelt ist? Warum dürfen BUND, NABU und wie sie alle heißen, nicht
klagen?
Welchem Rechtsverständnis folgen Sie? Schauen Sie
sich doch einmal das Grundgesetz oder das europäische
Recht an! Es ist ja nicht so, dass Artikel 1 des Grundgesetzes mit dem Satz: „Gewinnerwartung und wirtschaftliches Handeln sind unantastbar“ anfängt
({7})
- mein Grundgesetz zumindest fängt nicht so an -, sondern da stehen bis Artikel 14 des Grundgesetzes - Eigentum - verschiedene Rechte, zum Beispiel die Staatszielbestimmung Umweltschutz und das Recht auf
Gesundheit und körperliche Unversehrtheit.
({8})
Durch das Bundesverfassungsgericht ist auch das Datenschutzgrundrecht normiert, und dann kommt Artikel 14
des Grundgesetzes. Ich frage Sie: Warum darf der eine
klagen, warum darf er einen Extraweg gehen, und warum bekommt er Schadensersatz, und alle anderen dürfen nicht klagen? Wenn Sie das bilateral vereinbaren,
dann reduzieren Sie nicht nur das Niveau von Rechtsstaat, Grundrechten usw., sondern dann bringen Sie uns
auch politisch in eine Schieflage, und zwar als weltweit
schlechtes Vorbild.
({9})
Ich will jetzt einen durchaus positiven Satz über
Herrn Gabriel sagen.
({10})
- Ja. - Sie haben, wie ich finde, ein bisschen viel darum
herumgeredet, sozusagen auf der Stimmungsebene und
colorandi causa.
({11})
Aber jetzt zu Ihrem inhaltlichen Punkt. - Ich habe noch
eine Minute, oder?
Eine Minute, ja.
Herr Gabriel, es ist gut, dass Sie einen internationalen
Gerichtshof ins Gespräch gebracht haben. Die Frage ist
nicht nur, ob es Durchsetzungschancen gibt, sondern
auch - Frau Dröge hat ja gesagt, dass wir gerne mit Ihnen darüber diskutieren -: Welcher Intention folgt das?
Ich finde, man muss über die Frage: „Dürfen nur die einen klagen oder auch andere?“ diskutieren, weil sonst
die Wertigkeit, was die verschiedenen Rechte betrifft,
schief ist. Ich frage mich auch: Wo wird er angesiedelt?
Die WTO ist schon neben die UN gesetzt worden, weil
man unter dem Dach der UN nicht weitermachen wollte,
da man sich unter Druck gesetzt fühlte. Vielleicht gehört
auch ein solcher internationaler Gerichtshof unter das
Dach der UN, weil man nur so sicherstellen kann, dass
alle Rechte berücksichtigt werden.
({0})
Uns, meine Damen und Herren, geht es an dieser
Stelle durchaus um Freihandelsabkommen. Ich könnte
mir allerdings schönere vorstellen. Warum machen wir
eigentlich kein Freihandelsabkommen, das versucht,
Innovation, Kreativität, erneuerbare Energien und CO2Einsparung zum Kern des gemeinsamen transatlantischen Handels zu machen? Das wäre doch etwas! Es
geht also längst nicht mehr allein um das Huhn,
({1})
sondern um die Frage, ob wir bilateral weltweite Standards setzen wollen, die undemokratisch sind und zu Privilegien für Einzelne führen. Genau deshalb werden wir
bei beiden Abkommen, bei TTIP und CETA, immer engagiert sein. Wir sind ein Rollenmodell. Dieses Rollenmodell muss lauten: Alle Rechte werden realisiert, und
wir führen keine undemokratischen Prinzipien ein.
({2})
Vielen Dank, Renate Künast. - Nächster Redner in
der Debatte: Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Für die Fraktion.
({0})
Liebe Frau Künast, sollte ich noch einmal direkt nach
Ihnen reden, dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ein
bisschen langsamer sprechen würden. Das Tempo hatte
nicht unbedingt mit dem Gehalt Ihrer Rede zu tun.
({1})
Ein bisschen langsamer und ein bisschen gehaltvoller
wäre es besser, weil man sich dann besser mit dem Gesagten auseinandersetzen kann.
({2})
- Frau Künast, ich bin kein Mann, der über Diskriminierung klagt.
({3})
Frau Präsidentin, können wir das nicht abstellen? Das
ist ja furchtbar.
({4})
Reden Sie einfach.
Dieses Gequäke von der linken Seite ist schwer zu ertragen.
({0})
Frau Künast, ich will etwas zu den Investitionsschutzabkommen sagen,
({1})
weil Sie sich darauf besonders fokussiert haben. Der
Kollege Hauptmann ist schon auf die Einwendungen
bzw. die Eingaben zu TTIP, also zum amerikanischen
Freihandelsabkommen, eingegangen. Es gab
150 000 Kettenbriefe - Dinge, die Sie und andere im
vorpolitischen Raum angeleiert haben.
({2})
Das alles ist legitim. Aber man sollte nicht so tun, als sei
hier eine Volksbewegung entstanden; denn nur rund
5 000 von ihnen sind inhaltlich seriös und gehaltvoll. Sie
werden abgearbeitet und Eingang in die Beratungsgrundlage finden, die den Mitgliedstaaten von der EUKommission vorgelegt wird.
Es ist keineswegs so - das wissen Sie genau -, dass
irgendjemand hier im Saal will, dass Regelungen zum
Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, unterwandert werden. Sie
wissen, dass das nicht der Fall ist, behaupten das aber
wider besseres Wissen, um parteipolitisch Punkte zu machen.
Es gibt beim Thema Investitionsschutz Regelungsbedarf gerade mit Blick auf kleinere mittelständische Unternehmen, die sich eben keine Riesenrechtsabteilung
leisten können, um alle Ecken des Rechtssystems in den
jeweiligen Investitionsländern auszuleuchten. Sie brauchen eine Möglichkeit, auf relativ unproblematische Art
und Weise Recht zu bekommen und ihre Dinge zu regeln, wenn das der Wunsch beider Partner ist.
Sie wissen, dass gerade vor amerikanischen Gerichten
im Ernstfall sieben- bis achtstellige Prozesskosten zusammenkommen. Sie wissen, dass die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen im Zuge solcher Prozesse nicht immer gewährleistet ist - es muss vieles offengelegt
werden - und dass der Ausgang eines solchen Prozesses
bei einer Laienjury wesentlich unberechenbarer ist als
vor professionellen Wirtschaftskammern, wie es sie in
anderen Ländern gibt. Investitionsschutzabkommen stellen sicher, dass Länder weiter attraktiv sind für ausländische Investoren. Deshalb sind wir prinzipiell der Auffassung, dass bei Wahrung rechtsstaatlicher Verfahren
solchen freiwilligen Regelungen nichts entgegensteht.
Deutschland hat Investitionsschutzregelungen vor
rund 50 Jahren erfunden und mit rund 130 Staaten solche Verträge abgeschlossen, darunter auch mit anderen
EU-Mitgliedern. Bisher hat es auf dieser Basis ganze
drei Klagen gegen Deutschland gegeben. Hier wird also
ein Popanz aufgebaut,
({3})
um ihn dann zu bekämpfen, der überhaupt nichts mit der
Wirklichkeit zu tun hat. Im Übrigen war keine dieser
drei Klagen erfolgreich.
Die weltweit aktivsten Kläger auf der Basis von Investitionsschutzabkommen sind übrigens nicht, wie so
häufig unterstellt wird, die Amerikaner, sondern die Europäer. So stammen die Kläger in 53 Prozent aller bekannten Verfahren aus der Europäischen Union; nur in
22 Prozent der Fälle gehen die Klagen auf amerikanische Kläger zurück. Derzeit laufen vor dem Schiedsgericht in Washington, dem ICSID, mehrere Klagen von
europäischen Ökostromunternehmen gegen Spanien und
Tschechien wegen der Kürzung der dortigen Ökostromförderung. Sicherlich wird niemand in diesem Zusammenhang behaupten wollen, dass etwa die Stadtwerke
München, die zu den Klägern gehören, die Demokratie
in Spanien abschaffen wollen.
Der Mythos, dass die Staaten im Rahmen von
Schiedsgerichtverfahren zumeist die Verlierer sind, wird
ebenfalls durch die Statistik widerlegt. Von den
274 ISDS-Fällen, die weltweit bis Ende 2013 abgeschlossen wurden, konnten die Staaten 43 Prozent für
sich entscheiden; in weniger als einem Drittel der Fälle
- 31 Prozent - wurde zugunsten der klagenden Investoren entschieden.
Die viel zitierte Causa Vattenfall passt überhaupt
nicht in diesen Zusammenhang. Dieser Fall zeigt gerade,
dass es Unternehmen bereits jetzt - ohne TTIP, ohne das
europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen möglich ist, einen Staat zu verklagen; denn dort gilt natürlich auch das Rechtsstaatsgebot.
({4})
Es ist also dringend notwendig, hier mehr Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen. Dazu hat der Minister
einen hervorragenden Beitrag geleistet. Ich habe mich
wirklich selten so gefreut über eine Rede. Wenn wir den
SPD-Werbeblock einmal ausblenden - den muss ich ja
nicht super finden -, war das eine Rede, bei der ich hundertprozentig dahinterstehe. Es ist richtig, dass wir als
eine Nation, die wie kaum eine andere vom freien Handel in der Welt lebt, uns diesen Fragen nüchtern, sachlich
und möglichst auch gemeinsam stellen müssen, um unser Land, unser Vaterland nach vorne zu bringen und unserer Industrie zu helfen, sich in diesem Umfeld zu bewähren und gute Ausgangspositionen vorzufinden.
Ich will noch kurz einige Zahlen nennen, auch auf die
Gefahr hin, dass ich Sie ermüde; aber bisher sind die
Zahlen offenbar noch nicht tief genug bei Ihnen eingedrungen, als dass es richtig wäre, den volkswirtschaftlichen Vorlesungsblock fallen zu lassen. Das Handelsvolumen mit dem Nicht-EU-Ausland hat sich allein
zwischen 1999 und 2010 verdoppelt. Der Anteil der EU
am weltweiten Exportgeschäft für Waren beträgt 15 Prozent - der Chinas nur 12 Prozent, der der USA 11 Prozent -, für Dienstleistungen 25 Prozent. Wieder zum
Vergleich: Der Anteil der USA beträgt hier 19 Prozent,
der von China 6 Prozent und der von Japan und Indien
jeweils 4 Prozent. Der Wert der Ausfuhren an Waren und
Dienstleistungen der 28 EU-Mitgliedstaaten betrug im
Jahr 2012 4,5 Billionen Euro. Die Direktinvestitionen
der EU im Ausland betrugen im Jahr 2012 5 Billionen
Euro.
Deutschland profitiert als größte Volkswirtschaft in
der EU und drittgrößter Exporteur weltweilt in besonderem Maße von dieser Entwicklung. Der Anteil unserer
Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt, also unsere
Exportquote, liegt bei rund 51 Prozent. Die deutschen
Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen betrugen im
Jahr 2013 1,4 Billionen Euro.
Diese Zahlen habe ich einfach einmal genannt, um Ihnen deutlich zu machen, welch herausragende Bedeutung der freie Welthandel für uns als Handelsnation hat.
Davon hängen unzählige Arbeitsplätze ab. Hiermit spielt
man nicht, und man fährt auch keine billigen Kampagnen auf Nebenkriegsschauplätzen, sondern man stellt
sich gemeinsam der Verantwortung für das Land. Dazu
sind alle herzlich eingeladen.
Wenn wir uns jetzt noch einmal den Austausch von
Waren und Dienstleistungen zwischen Europa und den
USA anschauen, dann sehen wir: Wir tauschen täglich
Dienstleistungen im Wert von 2 Milliarden Euro aus; das
Handelsvolumen beträgt jährlich 140 Milliarden Euro.
Die USA sind damit Deutschlands wichtigster Handelspartner außerhalb der EU.
Der Kollege Hauptmann hat genau wie der Kollege
Lämmel schon darauf hingewiesen, dass wir uns darüber
im Klaren sein müssen, dass wir auf Grundlage unserer
atlantischen Freundschaft und Partnerschaft das, was uns
wichtig ist, jetzt in einem sehr viel größeren Umfang
zum Maßstab für den Welthandel machen können. Es ist
den Schweiß der Edlen wert, dass wir uns dafür einsetzen und uns nicht von anderen Regionen der Welt überholen und abhängen lassen.
Wenn es um den Verbraucherschutz, den Arbeitsschutz und den Umweltschutz geht, dann kann man auf
internationaler Ebene manchmal über vieles gar nicht reden, weil nicht die gleiche Sprache gesprochen wird und
anderswo ganz andere Standards herrschen. Oftmals
herrscht der Grundsatz „race to the bottom“. Ein solches
Herunterregulieren wollen wir nicht. Wenn wir uns klug
anstellen, dann können wir jetzt gemeinsam mit unseren
transatlantischen Partnern Standards für sehr viele Konsumenten und Handeltreibende setzen, die nachher auch
für den Rest der Welt Maßstab und wegweisend sein
werden.
Wir tun das doch auch schon seit Jahren. Gemeinsam
mit unseren Partnern, mit denen wir unproblematische
Beziehungen haben, versuchen wir in Form von Freihandelsabkommen, Dinge festzuklopfen - Abschaffung von
Zöllen, Angleichung von technischen Vorschriften -, die
es uns erleichtern, Handel zu treiben. Dies soll uns zugleich ermöglichen, uns auf gemeinsame Standards zu
einigen. Es ist sehr viel einfacher, mit unseren Partnern
hier auf ein ordentliches Maß an Übereinstimmung zu
kommen und damit etwas Gutes für die Wirtschaft zu
tun, als mit Ländern aus einem anderen Kulturkreis.
Ich bitte alle im Haus, dieses Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu behandeln. Bei diesem Thema
geht es um die Zukunft unserer Kinder, und es ist entscheidend für die Antwort auf folgende Fragen: Wie
können wir in der Welt Einkommen erzielen? Wie kann
unsere Wirtschaft performen? Wie kann sie in der Welt
erfolgreich sein?
Wenn wir als Welthandelsnation weiter erfolgreich
bleiben und dabei gewährleisten wollen, dass wir die Regeln in diesem Spiel entscheidend mitbestimmen, dann
brauchen wir Partner, die ähnlich denken wie wir. Diese
finden wir auf der anderen Seite des Atlantiks. Deshalb
lautet mein Appell an Sie alle: Helfen Sie mit, das alles
noch zu verbessern! Stellen Sie das nicht prinzipiell infrage, sondern arbeiten Sie mit daran, dass wir sowohl
mit Kanada als auch mit den USA ein ordentliches Freihandelsabkommen hinbekommen!
Danke für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Jetzt erteile ich noch einmal dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister, lieber Sigmar! Wir alle wissen: Es geht
nicht um die Rückspiegel und auch nicht um die Blinklichter. Sie werden sehr oft als Grund angeführt, weshalb
wir Freihandelsabkommen bräuchten. Wer schon einmal
in einer Automobilfabrik war, der weiß, dass kein Auto
auf dem Band aussieht wie das vorherige. Es gibt andere
Sitze, andere Farben und auch andere Rückspiegel. Das
ist also wirklich ein vorgeschobenes Argument.
({0})
Es geht um etwas vollkommen anderes - da liegt die
Gefahr bei diesem Abkommen -:
Erstens. Wer setzt die Standards? Sind das die Parlamente, die Regierungen? Oder gibt es regulatorische
Räte, die künftig unter Ausschluss der Parlamente, unter
Ausschluss von demokratisch gewählten Vertretern
Standards setzen?
({1})
- Jetzt hören Sie doch einmal zu. Das würde Sie in diesem Falle bilden.
({2})
Wer also setzt die Standards? Die große Gefahr ist
- Sigmar, du weißt es -, dass die Standards eben nicht
von den demokratisch gewählten Vertretern, sondern
von den regulatorischen Räten gesetzt werden.
Zweitens. Bei den Schiedsgerichten war die Position:
Eigentlich wollen wir sie nicht. Aber jetzt ist die Frage:
Kommen sie, oder kommen sie nicht? Die Frage, ob es
eine Handelsgerichtsbarkeit gibt, ist schön und nett; das
brauche ich nicht zu wiederholen. Aber wir wissen doch
genau, dass es bei CETA und TTIP keine Rolle mehr
spielt.
Wenn das so ist, dann bleibe ich dabei: Wenn wir in
dem CETA-Abkommen die Einführung von Schiedsgerichten nicht verhindern, mit welchem Argument wollen
wir den Amerikanern sagen: „Nein, bei dem Abkommen
mit den Kanadiern haben wir diese Regelung zwar aufgenommen, aber bei euch machen wir das nicht“? Das
hat auch ein amerikanischer Geschäftsmann in einer Veranstaltung zu diesem Thema - ich war dabei - selbst gesagt: Wenn diese Regelung mit den Kanadiern möglich
ist, dann wollen auch wir sie.
Das bedeutet im Klartext: Wenn wir im CETA-Abkommen die Einführung von Schiedsgerichten nicht ablehnen - die Einrichtung eines Handelsgerichtshofes
wäre eine Alternative gewesen -, dann werden diese
Schiedsgerichte auch in TTIP übernommen. Das wollen
wir nicht. Das ist der entscheidende Punkt.
({3})
- Aber ihr bekommt das vielleicht nicht.
Der nächste Punkt, auf den ich eingehen will, ist die
Angst vor Vereinbarungen, die die Kanadier und die
Amerikaner mit den Asiaten treffen. Von Ihnen ist das
Argument gekommen, wir dürften diese Debatte nicht
angstbesetzt führen. Diese Debatte wird aber angstbesetzt
geführt. Schließlich sagen Sie: Die anderen machen ein
Abkommen ohne uns. - Ich sage Ihnen: Ja und? Glaubt
ihr wirklich, dass die Amerikaner keinen Daimler, keinen
Porsche oder kein anderes deutsches Auto mehr wollen,
bloß weil sie mit den Chinesen ein Abkommen geschlossen haben? Das glaubt doch kein Mensch.
({4})
Wir werden unsere Produkte und unsere Maschinen,
die auf unserer wirklich ausgezeichneten Infrastruktur
basieren, trotzdem vermarkten können, auch wenn die
Chinesen mit den Amerikanern ein Abkommen schließen. Warum auch nicht? Es wird für uns sogar leichter.
Wenn in diesen Ländern die Regulierungen einfacher
sind, dann heißt das für unsere Lieferungen in diese Länder, dass wir die hohen Standards, die wir in der Bundesrepublik und in Europa wollen, nicht aufzugeben brauchen.
Wenn diese Länder aber ihre Waren zu uns liefern
wollen, dann sagen wir: Wir haben bestimmte Standards.
Wir wollen zum Beispiel, dass bei der Verbindung vom
Traktor zum Hänger die Welle verkleidet ist, sodass man
sich daran nicht verletzen kann. Wir wollen zum Beispiel - das habe ich vorhin angeführt -, dass unsere
Schutzkleidung bestimmten Standards unterliegt. In
Amerika sind die Standards für Schutzkleidung anders,
vielleicht nicht schlechter, aber anders. Deshalb sind sie
nicht eins zu eins übertragbar.
Ich sage Ihnen: Wenn wir diese Debatte angstbesetzt
führen wollen, dann müssen wir sagen: Die anderen machen ein Abkommen, und wir sind nicht dabei. - Wenn
wir sie aber im Interesse der Bürger führen wollen, dann
müssen wir sagen: Wir wollen unsere Standards nicht
aufgeben, weil sie zum Nutzen der Bürger sind. - Deshalb müssen wir bei dem, was da passiert, aufpassen.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Barthel, SPD.
({0})
Herr Kollege Ernst, die Verteidigung unserer Standards ist aller Ehren wert. Aber in der Globalisierung
müssen wir eben dafür sorgen, dass diese Standards
weltweit anerkannt und durchgesetzt werden. Unter anderem deswegen führen wir Verhandlungen über Handelsbeziehungen.
Der Anlass, warum wir heute hierüber reden, ist der
Antrag der Linken. Er strotzt genauso wie die Reden, die
wir hier gehört haben, vor Widersprüchen.
({0})
Erster Widerspruch: Auf der ersten Seite Ihres Antrags steht:
Folglich sind der … CETA-Vertragstext und die
mehr als 1.000 Seiten langen Anhänge für eine detaillierte parlamentarische Prüfung bis heute kaum
nutzbar.
Auf der nächsten Seite schreiben Sie dann detailliert Ihre
Auslegung zu dem, was angeblich in dem Vertrag steht,
und kritisieren das.
({1})
Sie belegen das sogar mit Fundstellen. Das passt nicht
zusammen.
Zweiter Widerspruch: Die Überschrift Ihres Antrags
lautet: „CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen“. Damit
bedienen Sie die allgemeine Ablehnungsfront. Aber
dann gibt es in Ihrem Antrag einen wichtigen qualitativen Fortschritt, den Sie gemacht haben; denn Sie lehnen
CETA nicht mehr rundweg ab, sondern Sie geben uns
vier Forderungen mit auf den Weg, die weitgehend unstrittig sind.
({2})
Denn keiner würde sich hierhinstellen und sagen: Wir
sind gegen eine Übersetzung, wir wollen Schiedsgerichtsverfahren so einführen, wie sie vorgeschlagen wurden, oder wir sind nicht für ein gemischtes Abkommen. Das ist doch wunderbar; das kann man nur begrüßen.
Herzlich willkommen im Klub!
Aber an anderer Stelle - bei der Überschrift usw. verstricken Sie sich, wie gesagt, in Widersprüche. Ich
finde deshalb, dass nicht die Sozialdemokratie und die
Koalition Klärungsbedarf haben, sondern Sie von der
Linken müssen einmal klären, was Sie eigentlich wollen.
({3})
Das bezieht sich auch auf die Frage, wie es denn weitergehen soll. Sie schreiben auf Seite 2 Ihres Antrags:
Die laufende Rechtsförmlichkeitsprüfung des
CETA-Vertragstextes wäre aktiv zu nutzen, um die
umfangreichen Probleme durch detaillierte Nachbesserungen am Text einzubringen und mit anderen
EU-Mitgliedsstaaten durchzusetzen.
Genau das versucht Sigmar Gabriel die ganze Zeit, und
dafür kämpft die Sozialdemokratie die ganze Zeit.
({4})
Aber wenn Sie auf der anderen Seite schon vorher sagen, dass Sie das alles ablehnen, aus welchem Grund
sollte sich die EU-Kommission dann auch nur einen
Zentimeter bewegen?
({5})
Natürlich verteidigt sie jetzt erst mal das Abkommen, so
wie sie es ausgehandelt hat. Und nur dann, wenn wir zusagen, in die Debatte einzusteigen, haben wir doch überhaupt eine Chance, dass sich die Kommission an irgendeiner Stelle bewegt. Denn wenn wir vorher schon sagen,
dass wir sowieso dagegen sind, dann braucht sie sich
auch nicht mehr zu bewegen. Und dann knallt es halt.
({6})
Deswegen bitte ich Sie, sich insgesamt davon zu befreien, die Debatte auf die Schiedsgerichtsbarkeitsfrage
zu verengen. Da ist noch viel mehr Stoff drin, auch aus
Sicht der Zivilgesellschaft, der Kommunen, der Gewerkschaften - Stichworte „Daseinsvorsorge“, „einklagbare
Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“. In
Klammern: Wie soll das eigentlich ohne eine international anerkannte Schiedsgerichtsbarkeit gehen?
Themen gibt es also genug. Aber den Eindruck zu erwecken, als sei alles erledigt und gut, wenn es keine
Schiedsgerichtsbarkeit, keine ISDS gibt,
({7})
das kann es doch nicht sein. Wir brauchen eine Gestaltungs- und keine Angstdebatte. Aber leider verfallen Sie
immer wieder in eine solche. Herr Ernst, Ihre Reden passen leider auch nicht zu dem, was Sie aufschreiben. Und
das, was Sie aufschreiben, passt in sich nicht zusammen.
Deswegen müssen Sie sich bewegen und nicht in erster
Linie wir uns.
({8})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Ingbert Liebing, CDU/CSU.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Antrag, den Sie, Kolleginnen und
Kollegen von der Linksfraktion, vorgelegt haben, enthält
aus meiner Sicht selbst die Begründung dafür, weshalb
er unpassend ist. Sie schreiben in Ihrem Antrag:
Eine deutsche Übersetzung des vollständigen Textes ist erst nach Abschluss der Rechtsförmlichkeitsprüfung für das daran anschließende Ratifizierungsverfahren vorgesehen und wird so erst Ende 2015
vorliegen. Folglich sind der 521-seitige CETA-Vertragstext und die mehr als 1.000 Seiten langen Anhänge für eine detailliert parlamentarische Prüfung
bis heute kaum nutzbar.
({0})
Aber Sie legen schon heute einen Antrag vor, in dem
Sie fordern, das Ganze abzulehnen, obwohl die Unterlagen noch nicht einmal übersetzt sind und noch nicht für
eine parlamentarische Beratung zur Verfügung stehen.
({1})
Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen.
Entweder sind Sie grundsätzlich dagegen; dann können
Sie sich jede parlamentarische Beratung sparen und
brauchen nicht mehr zu verhandeln oder über irgendetwas zu reden. Dann bleibt es dabei: Sie sind dagegen
- das nehmen wir zur Kenntnis -, und wir diskutieren
sachlich. Oder Sie sagen, Sie wollen parlamentarische
Beratungen und Diskussionen, aber dann dürfen Sie
nicht gleich zu Beginn einen solchen Antrag vorlegen, in
dem Sie schon heute Ihre Ablehnung dokumentieren.
Das passt alles nicht zusammen.
({2})
Die deutsche Übersetzung wird bis Ende dieses Jahres vorliegen. Danach findet die Ratsbefassung statt, und
auch das Europäische Parlament wird sich damit befassen. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Zusammenhang - und zwar unabhängig davon, ob es förmlich ein
gemischtes Abkommen mit Zustimmungspflicht ist oder
nicht - ausreichend Zeit haben werden, uns hier im Parlament mit den Vertragstexten, wenn sie denn vorliegen,
zu befassen. Wir wollen uns diese Zeit für ernsthafte Debatten, für Prüfungen der Ergebnisse der Verhandlungen
und für die Diskussion in und mit der Öffentlichkeit nehmen. Das muss sein. Diese Zeit nehmen wir uns ordnungsgemäß.
Aber wir führen diese Diskussion erst einmal mit dem
grundsätzlich positiven Bekenntnis, dass wir einen
freien und fairen Handel wollen. Gerade wir Deutsche
profitieren als Exportnation davon ganz besonders; dies
ist von den Rednern der Koalition und von Bundeswirtschaftsminister Gabriel heute ja auch eindrucksvoll dokumentiert worden. Deswegen verdammen wir eben
nicht gleich alles, sondern sehen auch die Chancen. Wir
wissen, dass freier Handel auch faire Bedingungen
braucht. Auch dafür soll dieses Abkommen sorgen.
Aber nun gibt es sicherlich auch viele Besorgnisse
nach dem Motto „Was verändert sich durch derartige
Abkommen?“. Wir nehmen diese Besorgnisse ernst.
Ich möchte zum Abschluss der Debatte einen bestimmten Teil der kritischen Diskussionen betrachten,
nämlich die Diskussionen, die in den Kommunen stattfinden. Wir stellen quer durch die Republik fest, dass
sich Kreistage und Stadtvertretungen mit diesem Handelsabkommen befassen. Manchmal wundert man sich
zwar, wer dabei alles sehr schnell zum Experten für
Welthandel wird, aber wir stellen fest, dass es Besorgnisse gibt, gerade hinsichtlich der Frage: Welche Auswirkungen hat dies für die kommunale Betätigung vor
Ort?
Diese Frage ist durchaus berechtigt. Warum? Andere
Länder kennen diese Form von kommunaler Selbstverwaltung - ein Erfolgsmodell in Deutschland - leider
nicht. Sie kennen nicht die positiven Erfahrungen von
Kommunen, die Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge für die Gesellschaft erbringen. Eine Vielzahl von
Resolutionen erreichen uns, in denen gefragt wird: Gerät
die kommunale Selbstverwaltung in Gefahr? Können
wir noch vor Ort entscheiden? - Das sind die Fragen, die
uns gestellt werden. Darauf müssen wir Antworten geben.
Auch die kommunalen Spitzenverbände und der Verband Kommunaler Unternehmen haben dies thematisiert
und uns ihre Position mitgeteilt. Sie stellen folgende Fragen: Bleibt die kommunale Organisationshoheit erhalten, oder wird sie durch diese Handelsabkommen beeinflusst? Gibt es Auswirkungen auf Ausschreibungs- und
Beschaffungswesen? Bleibt unser hohes Niveau bei den
Umwelt- und Gesundheitsstandards erhalten? Diese Fragen sind berechtigt. Nicht berechtigt ist aber einseitige
Panikmache, mit der schon vorher pauschal festgestellt
wird, dass all dies jetzt in Gefahr gerät, abgeschafft wird,
als ob CETA quasi die Demokratie aushebeln würde.
Diese Panikmache ist, wie gesagt, unberechtigt.
({3})
Die Sorgen der Kommunen, die in den vielen Resolutionen zum Ausdruck kommen, nehmen wir ernst. Dies
wird sicherlich auch Thema in den parlamentarischen
Beratungen werden.
Die Ziele der kommunalen Verbände teile ich ausdrücklich. Die Rechte unserer verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung dürfen nicht
beeinträchtigt werden. Sie werden es auch nicht. Nach
all dem, was uns auf dem Tisch liegt und was wir von
der Bundesregierung, vom Wirtschaftsministerium an
Informationen bekommen haben, kann man sagen
- auch der Bundeswirtschaftsminister weist immer wieder darauf hin -, dass diese Besorgnisse ungerechtfertigt
sind. Wir müssen uns damit beschäftigen, aber wir können erklären, dass diese Kernbereiche kommunaler
Selbstverwaltung nicht berührt werden.
CETA verpflichtet nicht zu neuen Privatisierungen
oder zu Liberalisierungen. All das, was in diese Richtung behauptet wird, sind Märchen. Aber für alle Bereiche, die nach unserem Recht schon liberalisiert sind, bekommen nach diesem Abkommen die Unternehmen aus
Kanada, die sich hier beteiligen wollen, die gleichen
Rechte wie die Unternehmen aus Deutschland oder aus
anderen europäischen Ländern, zum Beispiel britische,
französische oder dänische Unternehmen. Wer wollte
bestreiten, dass das sinnvoll ist?
CETA enthält auch keine Einschränkung der Kommunen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Betätigung über
das geltende Recht hinaus. Dies gilt genauso für die Inhouse-Vergabe. Was heute nach deutschem und europäischem Recht möglich ist, wird durch dieses Abkommen
nicht berührt. Insofern sind auch hier die Besorgnisse
ohne Grund.
CETA schließt auch Rekommunalisierungen nicht
aus. Ein gängiges Argument, wonach die Kommunen
nicht mehr frei darüber entscheiden könnten, ist falsch.
Dort, wo sie nach deutschem Recht frei entscheiden können, werden sie das auch künftig tun können. Das ist uns
und auch mir persönlich sehr wichtig.
Herr Kollege Liebing, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich finde, wir haben diese Debatte lange genug geführt. Jetzt sollten wir am Freitagmittag auch einmal
zum Ende kommen.
({0})
Ich nenne auch das Stichwort Sparkassenwesen. Das
Sparkassenwesen gibt es in anderen Ländern in dieser
Form nicht. Natürlich kommt dann die Frage: Hat das
Auswirkungen auf diese spezielle Form des kommunalen Bankenwesens, auf die Sparkassen? Auch hier sind
die Besorgnisse ernst zu nehmen. Aber wir können versichern: CETA wird keine negativen Auswirkungen auf
das Sparkassenwesen haben. CETA verändert auch nicht
das öffentliche Ausschreibungswesen. Die Kommunen
legen ihre Ausschreibungsbedingungen weiterhin selber
fest.
Es gibt teilweise schon sehr abstruse Behauptungen in
den Diskussionen. Ich habe das selber in Schleswig-Holstein in einer Kreistagsdebatte einmal erlebt, in der behauptet wurde, ein kanadisches Unternehmen könne
jetzt, wenn es bei einer Ausschreibung verloren habe,
seinen entgangenen Gewinn bei einem Schiedsgericht
einklagen.
({1})
- So ein Quatsch. Ganz genau. - Nichts anderes als
Quatsch ist das. Denn nur bei einem Verstoß gegen geltendes Recht ist es möglich, Schadensersatz einzuklagen. Und wer wollte bestreiten, dass das nicht sinnvoll
wäre! Nach nationalem Recht ist es eine Selbstverständlichkeit, dass dann, wenn gegen Recht und Gesetz verstoßen wird, Schadensersatz fällig ist.
({2})
Es läuft aber nicht nach dem Motto „Ich bewerbe mich
bei einer Ausschreibung und setze darauf, dass ich nicht
den Zuschlag bekomme, und dann klage ich den entgangenen Gewinn ein!“ ab. Das zu behaupten, ist wirklich
Quatsch. Die Wirklichkeit ist eine andere.
So können wir als Fazit feststellen, dass der Antrag
der Linken in der Sache falsch ist. Er kommt auch zur
Unzeit, weil wir uns ja später - dann, wenn alle Unterlagen vorliegen - ausführlich hier im Parlament mit diesem Abkommen beschäftigen werden.
({3})
Die sorgfältige Beratung ist sichergestellt. Dafür werden
wir auch sorgen.
Herzlichen Dank.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/4090. Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD hingegen wünschen Überweisung - federführend an den Ausschuss für Wirtschaft
und Energie und mitberatend an den Finanzausschuss
sowie an den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union.
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die Überweisung dieses Antrags? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die
Überweisung beschlossen, und zwar mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Das heißt,
wir stimmen heute nicht in der Sache über den Antrag
auf Drucksache 18/4090 ab.
Zusatzpunkt 6. Wir kommen jetzt zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/3862. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3729 mit dem Titel „Interessengeleitetes Gutachten zu Investorenschutz zurückweisen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen mit
den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/3747 mit dem Titel „Konsultationsergebnisse beherzigen - Klageprivilegien zurückweisen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kleinanlegerschutzgesetzes
Drucksache 18/3994
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Michael Meister für die
Bundesregierung das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wozu benötigen wir ein Kleinanlegerschutzgesetz? Das
ergibt sich meines Erachtens durch zwei wesentliche
Faktoren. Dazu gehören erstens die Vorfälle am Grauen
Kapitalmarkt, die in der Vergangenheit zu einem massiven Schaden der Kleinanleger geführt und gezeigt haben, mit welchen Risiken solche Anlagen gerade für
Kleinanleger verbunden sind. Große Medienaufmerksamkeit hat zum Beispiel der Fall Prokon gefunden, ein
Windkraftunternehmen, das im Mai vergangenen Jahres
in Insolvenz gegangen ist, wodurch immerhin
75 000 Genussrechteinhaber mit Verlusten rechnen müssen. Sie hatten Genussrechte in einem Gesamtvolumen
von 1,4 Milliarden Euro gezeichnet.
Die Problematik, die an diesem Beispiel deutlich
wird, wird durch ein zweites Phänomen verschärft, nämlich durch ein massives Niedrigzinsumfeld, das vielen
Anlegern, die ihr Geld in sichere Spareinlagen anlegen,
zu geringe Renditen bietet, sodass sich diese Anleger
ohne ausreichende Informationen und ohne ein entsprechendes Risikobewusstsein für Anlagen mit höheren
Renditen entscheiden und dabei übersehen, dass diese
auch mit einem höheren Risiko verbunden sind. Das Bedauerliche daran ist, dass es eine ganze Reihe von Anlageberatern gibt, die nicht auf das zusätzliche Risiko hinweisen, sondern gezielt versuchen, das Risiko gegenüber
ihren potenziellen Anlegern auszublenden.
Vor dem Hintergrund dieser beiden Entwicklungen
sind wir der Meinung, dass in diesem Kontext höhere
Anforderungen an die Transparenz notwendig sind, und
zwar speziell für Angebote aus dem sogenannten Grauen
Kapitalmarkt. Das war für die Bundesregierung Anlass,
diesen Gesetzentwurf vorzulegen.
Herr Kollege Maas, ich darf mich ganz herzlich für
die gute Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Bundesminister der Finanzen bedanken. Wir sind gemeinsam bei diesem Vorhaben federführend. Unser Ziel ist
es, deutlich zu machen, wer aus der Sicht des Anlegers
ein seriöser Anbieter ist. Da wir nicht davon ausgehen,
dass wir die menschliche Natur ändern können, wird es
sicherlich auch weiterhin seriöse und weniger seriöse
Anbieter geben. Entscheidend ist, den potenziellen Anlegern klarzumachen, mit wem sie es zu tun haben und auf
welches Geschäft sie sich einlassen würden.
Wir versuchen mit dem Gesetzentwurf, eine Balance
zwischen der notwendigen Regulierung, um das Ziel der
Information des Verbrauchers bzw. des Anlegers zu erreichen, und der Eigenverantwortung des Anlegers zu
schaffen. Wir wollen nicht, dass der Staat dem Verbraucher die Anlageentscheidung aus der Hand nimmt. Wenn
er dank einer ausreichenden Transparenz die nötigen Informationen bekommen hat, soll er auf dieser Basis
seine Entscheidung treffen.
Wir haben fünf wesentliche Vorschläge formuliert:
Erstens wollen wir die Aufsichtsbefugnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stärken, insbesondere dann, wenn es um Produktinnovationen geht,
und wir wollen ihr bei Rechtsverstößen die Möglichkeit
einräumen, solche Produkte entweder zu verbieten oder
zumindest deren Vermarktung zu beschränken. Wir hoffen, dass wir damit zu mehr Qualität bei den Produkten
kommen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Finanzdienstleistungsaufsicht keine Einzelfälle betrachtet.
Vielmehr muss die Anlegerschaft insgesamt durch bestimmte Produkte gefährdet sein. Es geht also um den
kollektiven Verbraucherschutz und nicht um den Verbraucherschutz im Einzelfall. Nach meiner Auffassung
sind die Gerichte zuständig, wenn es darum geht, Einzelfälle aufzuarbeiten.
Der zweite Punkt ist, dass wir eine Prospektpflicht für
Vermögensanlagen einführen, speziell für Nachrangdarlehen und Beteiligungsdarlehen. Der Fachterminus lautet hier partiarische Darlehen und vergleichbare Anlagen. Dabei sind wir allerdings nicht weltfremd. Wir
wollen zwar im Hinblick auf unser Ziel, mehr Transparenz und Information zu schaffen, eine Prospektpflicht
einführen. Aber wir sind der Meinung, dass wir etwa bei
Genossenschaften, an die schon das Genossenschaftsrecht strenge Anforderungen stellt, eine Ausnahme von
der Prospektpflicht erlauben können. Des Weiteren wollen wir eine solche Ausnahme erlauben, wenn es um soziale und gemeinnützige Zwecke geht. Es muss aber sichergestellt werden, dass es ausschließlich um soziale
und gemeinnützige Zwecke geht, hinter denen sich keine
Renditeerwartungen verbergen dürfen.
({0})
Deshalb soll der Zinssatz gedeckelt sein, um klarzumachen, dass Soziales und Gemeinnütziges und nicht die
Renditeerwartungen der Anleger im Vordergrund stehen.
Des Weiteren denken wir angesichts der Entwicklungen im Internet über Ausnahmen nach, wenn es um eine
sogenannte Schwarmfinanzierung, das Crowdinvesting,
geht. Auch hier werden rechtliche Anforderungen benötigt. Aber wir müssen die Marktentwicklung genau beobachten. Wir wollen nach einer gewissen Zeit schauen,
ob sich die Parameter, die wir dort setzen, um Ausnahmen von der Prospektpflicht zu genehmigen, bewähren.
Diese Parameter dürfen Neuentwicklungen auf dem
Markt nicht unterbinden und müssen gleichzeitig den
Anlegerschutz in hinreichendem Maße sicherstellen. Ich
hoffe, dass es hier gelingt, zu vernünftigen Rechtssetzungen zu kommen.
Der dritte Punkt ist, dass wir in Zukunft Mindestlaufzeiten der Anlagen von 24 Monaten und Kündigungsfristen von 12 Monaten einfordern werden. Wir wollen
damit einen doppelten Schutz erreichen. Zum einen wollen wir die Anleger so schützen, dass sie bei der Anlageentscheidung wissen, ob sie sich zu jedem Zeitpunkt
- genauso wie bei einem Sparbuch - ihr Geld auszahlen
lassen können oder ob es sich um eine mittel- bzw. längerfristig orientierte Anlage handelt. Zum anderen wollen wir verhindern, dass ein Anleger, der erkennt, dass es
eine Gefährdung gibt, um seine Anlage fürchten muss,
weil plötzlich andere Anleger ihr Geld abziehen. Wir
hoffen, dass durch die oben genannten Zeiten eine doppelte Schutzwirkung für die Anleger entsteht.
Der vierte Punkt ist, dass dem Anleger transparent gemacht werden muss, ob es eine Verbindung zwischen
denjenigen, die Produkte vertreiben, und denjenigen, die
Produkte auflegen, gibt. Solche Vernetzungen und Verquickungen müssen offengelegt werden. Das ist ein weiterer Ansatz.
Der fünfte Punkt betrifft die Begrenzung von Werbung für Vermögensanlagen im öffentlichen Raum, in
audiovisuellen Medien und im Rundfunk. Wir sind uns
bewusst, dass wir uns hier sehr scharf an der Grenze zur
Presse- und Rundfunkfreiheit bewegen. Dennoch sind
wir der Meinung, dass zu differenzieren ist, ob für Vermögensanlagen vor einem aufgeklärten Publikum geworben wird - dann lässt sich in diesem Kontext durchaus vertreten, dass in einem gewissen Umfang geworben
wird - oder ob die Werbung völlig kontextfrei erfolgt.
Dann haben wir erhebliche Zweifel. Weil wir hier Neuland betreten, Herr Maas, haben wir vereinbart, diesen
Bereich nach einer gewissen Zeit zu evaluieren.
Ich hoffe, dass wir für diesen Gesetzentwurf Unterstützung bekommen und ein neues Niveau des Verbraucherschutzes in Deutschland im Bereich des Grauen Kapitalmarkts erreichen.
Vielen Dank.
({1})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Susanna Karawanskij.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben es gerade gehört: Viele Menschen haben für die
private Altersvorsorge in sogenannte Genussrechte oder
Nachrangdarlehen investiert. Prokon ist ein trauriges
Beispiel, das seinen Niederschlag in der Presse gefunden
hat. In diesem Fall mussten Bürgerinnen und Bürger
große Verluste erleiden. Spätestens seit dieser Pleite ist
der Begriff des Grauen Kapitalmarkts in aller Munde.
Hochriskante, intransparente Finanzprodukte in diesem
weitestgehend immer noch unregulierten Markt bescherten große Verluste. Das Beispiel zeigt, dass der Graue
Kapitalmarkt nun endlich wirksam reguliert werden
muss und vor allen Dingen Kleinanlegerinnen und
Kleinanleger an der Stelle geschützt werden müssen.
Machen wir uns nichts vor: Bislang ist der finanzielle
Verbraucherschutz in Deutschland immer noch in den
Kinderschuhen.
({0})
Wir Linke haben im März 2014 konkrete Vorschläge
in einem eigenen Antrag unterbreitet. Zwei Monate später gab es dann ein unverbindliches Maßnahmenpaket.
Nun, ein knappes Jahr später, wird der Gesetzentwurf
vorgelegt. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass der
Schutz von Kleinanlegern dann doch nicht so pressiert
hat. Aber wir begrüßen die Stoßrichtung, dass gerade
Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht so viel
Geld haben und kleine Summen anlegen möchten, geschützt werden.
Wir finden es auch gut, dass die Finanzaufsicht, die
BaFin, insbesondere wenn man die unseriösen Anbieter
vor Augen hat, von nun an leichter auch Vertriebsverbote verhängen darf. Noch besser wäre es allerdings,
wenn die BaFin entsprechende Verkaufsprojekte nicht
nur nach formalen Kriterien prüfen würde, sondern auch
inhaltlich prüfen würde, ob so ein Geschäftsmodell tragfähig ist. Wir würden es auch begrüßen, wenn die Aufsichtsrechte der BaFin dahin gehend erweitert würden,
dass diese über das Recht bzw. die Pflicht zur kollektiven Rechtsdurchsetzung verfügt und damit Sammelklagen einreichen und Verjährungen hemmen könnte.
Zukünftig werden besagte Nachrangdarlehen einer
Regulierung unterworfen. Das haben wir bereits vor einem Jahr gefordert. Es ist schön, dass wir das in dem jetzigen Gesetzentwurf wiederfinden und Umgehungsmöglichkeiten bzw. Lücken geschlossen werden. Damit
wurde ein wichtiger Schritt zur Regulierung des Grauen
Kapitalmarkts getan.
({1})
Aber genau dieser Punkt wirft bei näherer Betrachtung einige Fragen auf, gerade bei den sozialen, gemeinnützigen Initiativen oder der Crowdinvesting-Szene;
denn diese Projekte, die teilweise auf einer Schwarmfinanzierung basieren, sammeln oft Geld über Direktkredite oder Nachrangdarlehen ein. Initiativen wie Mietshäuser, Dorfläden oder Kitas sehen nunmehr die Gefahr,
dass ihnen der Saft abgedreht wird, wenn sie beispielsweise einen Verkaufsprospekt für Vermögensanlagen,
der nicht selten 50 000 Euro kostet, erstellen müssen und
damit das eigentliche Budget, das man in das Projekt investieren möchte, aufgefressen wird.
Hier ist sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt. Zum einen müssen wir den Grauen Kapitalmarkt regulieren,
zum anderen möchten wir Linken natürlich solchen Projekten der solidarischen Ökonomie, wirklich sozialen,
ökologisch nachhaltigen und gemeinnützigen Projekten
nicht den Garaus machen. Die Ausnahmeregelungen, die
bisher getroffen worden sind, sind ganz gut. Man muss
allerdings auch schauen, dass keine Nischen übrig bleiben, die schlecht reguliert sind und die unseriöse Anbieter dann nutzen.
({2})
Ich möchte noch auf einen Widerspruch hinweisen,
den wir in den bevorstehenden Diskussionen lösen müssen. Einige gemeinnützige Projekte, die sich über Nachrangdarlehen finanzieren und sich bewusst von Banken
abgrenzen wollen und erklären, dass bei ihnen das Anlegergeld besser aufgehoben ist, werben oft trotzdem mit
einer guten Verzinsung. Zugleich werden vor allem die
gemeinnützigen, ideellen Non-Profit-Ziele in den Vordergrund gerückt. Hier muss meines Erachtens noch geklärt werden, was tatsächlich im Zentrum steht, der Gemeinnutz oder die Konkurrenz zu den Banken.
Es ist nicht klar, warum solche Projekte überhaupt
Renditen bieten sollten und warum sie sich nicht von
den Angeboten des freien Marktes abgrenzen. Es stellt
sich doch die Frage, warum eine Dorfbücherei, eine Kita
oder ein Mietprojekt überhaupt Renditen erwirtschaften
sollte.
Man könnte das treffender beispielsweise mit dem
Etikett versehen: Spende mit eventueller Rückzahlung.
Das wäre zumindest ehrlicher; denn ideelle Gründe und
Profitinteressen streben meines Erachtens auseinander
und lassen sich nicht miteinander vereinbaren.
({3})
Man könnte im Hinblick auf gemeinnützige Projekte
beispielsweise über einen „Prospekt light“ nachdenken,
um deren Belastungen zu verringern, sodass man ihnen
nicht den Garaus macht.
Letztendlich brauchen wir - das habe ich schon betont, als wir unseren Antrag vorgestellt haben - ein Umdenken: Die Finanzprodukte sollten nicht erst dann reguliert werden, wenn sie auf dem Markt sind. Wir brauchen
vielmehr eine Umkehr in der Verfahrensweise, eine präventive Regulierung: Finanzprodukte sollten erst auf den
Markt kommen dürfen, wenn sie von so etwas wie einem
Finanz-TÜV begutachtet worden sind. So wären letztendlich auch die Kleinanleger wirksam geschützt.
Lassen Sie uns diese Fragen und diese Probleme auch
bei den weiteren Diskussionen und der Anhörung offen
diskutieren. Wir wollen die Kleinanleger und die, die soziale, gemeinnützige, ideelle Projekte fördern wollen,
vor unseriösen Anbietern schützen.
Frau Kollegin Karawanskij, erlauben Sie mir den
Hinweis, dass Ihr letzter Satz angesichts der Redezeit ein
guter Schlusssatz gewesen wäre.
Und wir wollen solchen Projekten nicht den Garaus
machen.
({0})
Jetzt hat das Wort für die Bundesregierung der Bundesminister Heiko Maas.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wer heute für das Alter vorsorgt oder das Ersparte ganz einfach nur anlegt, der setzt mitunter viel
aufs Spiel; denn heute kann der Lebensstandard von
morgen von einer einzigen Anlageentscheidung abhängen. Es ist mittlerweile so, dass eine Unzahl von Akteuren und immer neuen Produkten es für Anleger immer
schwieriger machen, die Übersicht zu behalten. Viele
sind mittlerweile sehr unsicher, welchen Weg sie einschlagen sollen, sei es im Hinblick auf eine Anlageform,
sei es im Hinblick auf die Altersvorsorge. Deswegen
wollen wir insbesondere den Kleinanlegern mit diesem
Gesetz Orientierung geben: erstens mit mehr Transparenz, zweitens mit Schutz vor Irreführung und drittens
mit einer verbesserten Aufsicht über all die Anbieter.
Meine Damen und Herren, welche Folgen Fehlinvestitionen haben können, das hat uns der schon angesprochene Fall Prokon ganz besonders vor Augen geführt. In
einer der größten Insolvenzen unserer Geschichte - man
muss sich das einmal vorstellen - müssen 75 000 Käufer
von Genussrechten um die Hälfte ihrer Anlagen fürchten, um Anlagen in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden
Euro. Das konnten und wollten wir nicht weiter tatenlos
hinnehmen. Deshalb ist es gut, dass wir heute im Bundestag über einen Gesetzentwurf beraten, mit dem wir
ein neues Koordinatensystem für diesen Markt schaffen
können. Das ist möglich geworden - da will ich den
Dank gern an das Bundesfinanzministerium zurückgeben -, weil der Bereich Verbraucherschutz, die in
unserem Ministerium Zuständigen und Herr Meister im
Finanzministerium sehr gut und konzentriert zusammengearbeitet haben. Dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön!
({0})
Kleinanleger brauchen für ihre eigene Entscheidung
- auch Herr Meister hat das gesagt - vor allen Dingen
auf dem Grauen Kapitalmarkt mehr Informationen, als
es sie bisher gibt. Im Moment haben wir einen völlig unzureichenden Zustand. Dort, wo das Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher besonders hoch war, gab es
ganz besonders wenig Transparenz, und das darf nicht
sein. Auch mit diesem Gesetz wollen wir diesem Missverhältnis ein Ende setzen.
Der Fall Prokon hat uns auch gezeigt, wo wir ansetzen müssen. Der Graue Kapitalmarkt - diese Erfahrung
hat man nicht nur im Fall Prokon gemacht - ist tatsächlich eher etwas für professionelle Anlageberatung. Wer
auf dem Grauen Kapitalmarkt anlegen will, muss über
eine Vielzahl von Kenntnissen verfügen. Es reicht nicht,
nur den Wirtschaftsteil einer Zeitung zu lesen. Auf jeden
Fall sind Produkte des Grauen Kapitalmarkts nichts für
Plakatwerbung in Bussen oder Bahnen. Womöglich sollen dort mit Kaffee to go in der einen Hand und einem
Smartphone in der anderen Hand Anlageentscheidungen
getroffen werden. Die Werbung für ein lukratives
Finanzprodukt, mit dem man die Energiewende voranbringen kann, wie es bei Prokon der Fall gewesen ist, hat
viele dazu verleitet, Investitionen zu tätigen, die sie
überhaupt nicht einschätzen konnten. Wir alle erinnern
uns noch an das Atomzeichen, das nach und nach in ein
Windrad überging. Das ist kommunikations- und marketingtechnisch alles sehr gut gewesen; bedauerlicherweise
war es die Anlage substanziell nicht.
Meine Damen und Herren, und auch, wie schon erwähnt, bei den Prospekten werden wir genauer hinschauen. Auch da haben wir im Fall Prokon viele Erfahrungen sammeln können. Er hat uns gezeigt, dass das
Gesetz eine Lücke hat, die Tausende mittlerweile teuer
zu stehen gekommen ist. Diese Prospekte müssen künftig sehr viel aussagekräftiger sein - Herr Meister hat darauf hingewiesen -, insbesondere weil wir die Anbieter
verpflichten, auch zum Beispiel auf personelle Verflechtungen und mögliche Risiken besser hinzuweisen. So
zwingen wir den Grauen Kapitalmarkt zu mehr Transparenz und damit auch zu mehr Verbraucherschutz.
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetz soll auch
die Aufsicht über den Finanzmarkt noch einmal verbessert werden. Wir wollen schneller gegen schwarze
Schafe, die auffällig geworden sind, vorgehen können.
Deshalb stärken wir die Kompetenzen der BaFin. Sie
wird sich in Zukunft verstärkt auch für die Interessen der
Kleinanleger einsetzen können, Warnungen veröffentlichen oder, wenn es nötig ist, einzelne Finanzprodukte
auch ganz vom Markt nehmen.
Die neuen Regeln sind nur ein Baustein der Verbraucherschutzpolitik. Wir wollen, dass Kleinanleger sich
selbst vor Fehltritten besser schützen können. Dafür
brauchen sie mehr Transparenz und mehr Informationen,
aber dafür werden sie in Zukunft auch von sogenannten
Finanzmarktwächtern unterstützt. Damit geben wir ihnen für entsprechende Anlageentscheidungen einen
Kompass an die Hand, den es bisher noch nicht gegeben
hat.
Unter der Leitung der Verbraucherzentrale Bundesverband agieren demnächst fünf sachlich, fachlich spezialisierte Verbraucherzentralen als Finanzmarktwächter.
Sie beobachten, analysieren ständig die Märkte, und
dort, wo sie Fehlentwicklungen erkennen, können sie die
Behörden, aber auch den Gesetzgeber darauf hinweisen
und so die Voraussetzung dafür schaffen, dass Abhilfe,
wenn sie denn geleistet werden muss, auch in Angriff
genommen werden kann.
Verbraucherinnen und Verbraucher haben einen Anspruch auf gründliche Informationen, damit sie selbstbestimmt vernünftige Entscheidungen treffen können. Sie
sollen sich ein vollständiges Bild von den Chancen und
Risiken, von Nutzen und Kosten ihrer Anlagen machen
können. Das nutzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern; das nutzt aber auch der Nachhaltigkeit des Marktes. Es schützt den Einzelnen vor finanziellen Verlusten,
und es sichert auch die Fairness, ohne die auch ein Finanzmarkt nicht funktionieren kann, zumindest nicht
nachhaltig, und für all das brauchen wir dieses Gesetz.
Auch ich bitte dafür um Ihre Zustimmung.
Schönen Dank.
({1})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass wir ein Gesetz vorliegen haben, das versucht, die Marktbedingungen fairer zu gestalten, insbesondere in den Bereichen, wo es bisher große Lücken
gab. Wir unterstützen, dass jetzt die Finanzaufsichtsbehörde BaFin bestimmte Angebote untersagen kann. Das
ist eine langjährige Forderung von uns; denn es ist notwendig, dass eine Aufsichtsbehörde dann, wenn etwas
schiefläuft, eingreifen kann; dafür haben wir sie ja.
Wir finden es auch richtig, dass man diesen Punkt angeht: Manchmal kann es aufgrund von Interessenverquickungen bei den Anbietern bestimmter Vermögensanlagen so sein, dass das Projekt zwar insgesamt sinnvoll
aussieht, auch eigentlich gar nicht schlecht ist, man als
Anleger aber trotzdem nichts bekommt, in die Röhre
schaut, weil die Rendite an bestimmte Gruppen, die sich
das untereinander aufteilen, abgezweigt wird. Es ist richtig, dass da etwas getan wird.
Genau dasselbe gilt im Grundsatz auch im Bereich
Werbung. Wir sehen das in anderen Ländern. Es ist richtig, dass Aufsichtsbehörden auch da agieren können und
dass man in der Werbung nicht irgendein Bild verbreiten
kann, das nachher mit der Sachlage und mit der Zielgruppe nichts zu tun hat.
Trotzdem muss ich zwei Bereiche ansprechen, bei denen wir nicht zufrieden sind. Das eine ist die Frage: Warum schließen Sie diese Lücke eigentlich erst jetzt? Das
kann ich Ihnen nicht ganz ersparen. Wir haben schon
2007 bei der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie
MiFID gesagt: Der Graue Kapitalmarkt braucht eine Regelung. Wir haben uns 2009 auf Initiative der Grünen in
einer Anhörung gemeinsam damit beschäftigt und die
Lücken identifiziert. Es gab in der letzten Legislaturperiode zwei Gesetze - 2011 das Gesetz zur Novellierung
des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts und das AIFM-Umsetzungsgesetz -, bei denen
wir diese Fragen schon auf dem Tisch hatten. Warum
braucht es erst immer neue Skandale, bis wir endlich tätig werden? Ich finde, es ist notwendig, faire Marktbedingungen zu schaffen und nicht erst abzuwarten.
({0})
Die zweite Frage ist: Passt eigentlich das, was im Gesetz steht, für die Wirklichkeit insgesamt? Unsere Meinung ist: Wir brauchen einen sinnvollen Verbraucherschutz, der der wirtschaftlichen Realität in unserem
Land entspricht. Das heißt, so wie wir bei den Versicherungen eine unterschiedliche Regelsetzung für den großen Allianz-Konzern auf der einen Seite und einen kleinen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit auf der
anderen Seite haben, so können wir in Bereichen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel in einer
Energiegenossenschaft zusammentun, nicht dasselbe Regelwerk haben wie für große Fondsgesellschaften.
({1})
An dieser Stelle ist es notwendig, zum einen im Gesetzentwurf, zum anderen darüber hinaus nachzulegen.
Mit Blick auf den Gesetzentwurf - Sie haben schon
erste Schritte in diese Richtung gemacht und die Kritik
aufgegriffen, dass man bei der Prospektpflicht AusnahDr. Gerhard Schick
men schaffen muss - müssen wir über einzelne Regelungen gemeinsam nachdenken. Das eine ist: Wie hoch setzen wir die Grenze bei der Ausnahme? Ich glaube, dass
wir - das hat der Bundesrat unterstützt - mit 1 Million
Euro zu kurz greifen. Die normalen Investitionskosten
beispielsweise für eine Windanlage, eine Solaranlage
oder ein größeres Wohnprojekt liegen bei über 1 Million
Euro. Damit ist dem Gedanken, den wir alle haben, dass
wir eine sinnvolle Ausnahme machen, noch nicht in der
richtigen Weise Rechnung getragen.
Das Zweite betrifft die Werbung. Uns allen ist schon
aufgefallen, dass wir noch einmal gemeinsam darüber
reden müssen, Werbung im heutigen Zeitalter auf die
Presse zu konzentrieren und im Fernsehen und Internet
anders zu behandeln.
Es gibt aber Punkte, die nicht im Gesetzentwurf stehen. Darauf will ich noch einmal hinweisen, weil es für
uns ganz wichtig ist. Wir bekommen die Rückmeldung
von vielen guten Initiativen, dass es in der Verwaltungspraxis bei der Definition, was ein öffentliches Angebot
ist, und auch der Umsetzung des Kapitalanlagegesetzbuches, das wir gemeinsam verabschiedet haben, noch etwas hakt. Ich fände es gut, wenn kleine Initiativen in der
Verwaltungspraxis angemessen berücksichtigt würden.
({2})
Ich will noch eine Kritik aufgreifen, die an uns herangetragen wird und die wir ernst nehmen müssen. Die
Kritik an der Prospektpflicht lautet: Der Prospekt ist zum
einen teuer und deswegen für kleinere Initiativen nicht
tragbar. Es ist richtig, dass wir Ausnahmen machen und
schauen, wie wir die guten Informationen anders sicherstellen können. Zum anderen bringt der Prospekt so, wie
er heute ist - diese Kritik ist ebenfalls zu berücksichtigen -,
den Kunden gar nichts. Diese Kritik müssen wir ernst
nehmen; denn es geht nicht um Schutz, der in vielen Papierbergen zum Ausdruck kommt, sondern um faire
Marktbedingungen für alle Beteiligten. Ich glaube, dass
es eine Möglichkeit gibt, in Richtung Standardisierung
zu gehen. Andere Länder machen uns das vor. Wenn wir
es schaffen, gemeinsam für faire Marktbedingungen in
den verschiedenen Teilen des Marktes zu sorgen, die
auch das bürgerschaftliche Engagement und alternative
Formen des Wirtschaftens unterstützen, dann sind wir,
glaube ich, auf einem guten Weg.
Für Bündnis 90/Die Grünen sage ich: Wir wollen
nicht nur, dass diesen keine Hürden in den Weg gelegt
werden, sondern wir wollen, dass der Ansatz einer solidarischen Ökonomie, einer Gemeinwohlökonomie in
unserem Land wachsen und gedeihen kann. Es sind gute
Initiativen. Deswegen hoffe ich, dass wir gute Lösungen
finden und den Gesetzentwurf, der viele richtige Punkte
hat und viele Punkte von uns aufgreift, an entscheidenden Stellen noch einmal nachbessern.
Vielen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Radwan,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Wir debattieren heute das Kleinanlegerschutzgesetz. Es wurden schon die Firma Prokon und der sogenannte Skandal genannt. Ich möchte da die Äußerungen
von Herrn Schick ein Stück weit ergänzen. Sie haben gesagt: Man wartet immer auf die Skandale, und dann wird
man tätig. - Ich glaube, wir dürfen heute nicht den Eindruck erwecken, dass dank dieses Gesetzes zukünftig sogenannte Skandale und entsprechende Vorkommnisse
nicht mehr vorkommen.
Die grundsätzliche Frage beim Verbraucherschutz
lautet: Was kann Politik leisten, wo ist der Verbraucher
eigenverantwortlich für sein Handeln und wo nicht? Gerade beim Verbraucherschutz gibt es immer einen Zwiespalt, einen Interessenkonflikt: Wir wollen auf der einen
Seite die verfügbaren Informationen für den Verbraucher
nutzbar machen und dafür sorgen, dass er sie versteht.
Da möchte ich schon festhalten, dass inzwischen selbst
die Verbraucherschutzverbände im Bereich der Finanzdienstleistungen sagen: Die eine oder andere gut gemeinte politische Initiative hat eigentlich gar nicht dazu
geführt, dass der Verbraucher die Informationen, die er
bekommt, versteht und damit umgehen kann. - Das ist
etwas, was Rechtsanwälte und Juristen möglicherweise
durchaus durchdeklinieren können, was aber dem Verbraucher selber nicht nützt. Das ist, wenn das die Verbraucherschutzverbände schon selber sagen, eine Prüfung für den Verbraucherschutz.
Auf der anderen Seite hören wir regelmäßig die
Frage: Führt es zu Bürokratie, zu einem Aufwand, der
die Finanzprodukte und -dienstleistungen in diesem Bereich unnötig verteuert? Genau in diesem Spannungsfeld
bewegen wir uns. Wir sollten hier weiß Gott nicht den
Eindruck erwecken, dass zukünftig solche Skandale wie
bei Prokon komplett ausgeschlossen sind. Ich bin nicht
bereit, hier den Verbraucher aus seiner Eigenverantwortung zu entlassen.
({0})
Nichtsdestotrotz brauchen wir Transparenz bei den
Renditen, bei den Chancen, bei den Risiken, bei Interessenkonflikten. Die BaFin - es wurde angesprochen kann hier zukünftig verstärkt tätig werden. - All das sind
Punkte, die wir bei diesem Gesetzgebungsverfahren zu
diskutieren haben.
Folgende Punkte werden mir jetzt in der Diskussion
wichtig sein: Auf der einen Seite müssen wir Gleiches
gleich behandeln, auf der anderen Seite Ungleiches ungleich behandeln; wir müssen entsprechende Vorgaben
machen. Mit „Gleiches gleich behandeln“ meine ich,
dass die Politik nicht Wettbewerbsvorteile für bestimmte
Produkte schaffen sollte, die dem Kunden angeboten
werden. Es gibt allgemeine Anlageprodukte, es gibt Ak8466
tien, es gibt regulierte Produkte, und wir müssen schon
darauf achten, dass die Politik keine Präferenz für die
eine oder andere Richtung zeigt. Wir brauchen in diesem
Bereich keine politische Marktsegmentierung, sondern
es muss ein Level Playing Field geben. Auch bei der Finanzierung der Aufsicht müssen alle gleich behandelt
werden, damit Wettbewerbsgleichheit besteht.
Auf der anderen Seite - das hat mein Vorredner angesprochen - müssen wir in der Politik dort, wo unterschiedliche Strukturen bestehen, den Mut haben, sie unterschiedlich zu behandeln. Staatssekretär Meister hat
bereits das Thema Genossenschaften angesprochen. Die
Genossenschaften in Deutschland und Europa haben
eine lange Tradition. Ein solches Vorkommnis wie bei
Prokon sollte uns jetzt nicht dazu verleiten, automatisch
zu glauben: Hinter jeder Energiegenossenschaft - Sie
haben das Beispiel Energiegenossenschaften genannt verbirgt sich eigentlich eine Geldsammelstelle, die entsprechende Risiken birgt. - Da brauchen wir den Mut zu
einer entsprechenden Differenzierung bei den Strukturen.
Das Gleiche gilt für zukunftsgerichtete Investitionen,
für das Crowdfunding. Crowdfunding ist etwas, was neu
entsteht. Herr Schick - nicht erschrecken! -, ich bin
durchaus der Meinung, dass wir da gemeinsame Punkte
finden werden; das hat sich in Ihrer Rede angedeutet.
Das eine Thema ist, beim Crowdfunding erst ab einem
Limit von 1 Million Euro die Prospektpflicht herbeizuführen. Darüber sollte man nachdenken.
Wenn wir Start-ups und Business Angels in Deutschland fördern wollen, die in Unternehmen des Mittelstands investieren, sollten wir auch darüber nachdenken,
ob wir wirklich regelmäßig einen Medienbruch herbeiführen wollen, indem wir ein Werbeverbot im Netz herbeiführen.
Letztendlich geht es auch darum: Muss derjenige, der
sich im Internet betätigt, nachher vor Ort eine Unterschrift leisten oder nicht? Ich bin der Meinung: Wir wollen das Internet nutzen und das Crowdfunding in
Deutschland etablieren und stärken. Darum brauchen
wir auch eine Regelung, die die Nutzung dieses Mediums unterstützt.
({1})
Es wurde bereits angesprochen: Auch wenn das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, steht es uns gut an,
die Bundesratsentscheidung zu berücksichtigen und zu
werten. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir
in Europa ein Level Playing Field haben. Wir brauchen
kein Gold Plating, keine Verschärfungen in Deutschland.
Darauf werden wir im Gesetzgebungsverfahren achten.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Der Kollege Dr. Carsten Sieling spricht jetzt für die
SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem
Kleinanlegerschutzgesetz machen wir einen guten weiteren Schritt, um den finanziellen Verbraucherschutz zu
stärken und gleichzeitig die Auswirkungen der Finanzmarktkrise zu adressieren. Es geht nämlich um beides.
So gesehen handelt es sich hier eigentlich um einen weiteren Baustein eines größeren Pakets. Es wurden einerseits Regulierungen für Spareinlagen, Wertpapiere und
Fonds vorgenommen, andererseits wurde bereits vieles
beim Verbraucherschutz getan. Von Minister Heiko
Maas ist schon das Thema Finanzmarktwächter erwähnt
worden. Es gibt aber auch weitere Aktivitäten im Bereich der Finanzberatung und der Honorarberatung sowie bei vielen anderen Dingen. Es handelt sich also um
ein ganzes Paket, zu dem dies ein weiterer ganz zentraler
und wichtiger Baustein ist, der im Übrigen in diesem Zusammenhang die kleinen Anleger - man kann auch sagen: die Sparerinnen und Sparer - ansprechen und ihnen
Sicherheit und Perspektive geben soll.
Ich will besonders hervorheben, dass wir insofern einen großen Schritt vorangekommen sind, als die BaFin
jetzt auch die Aufgaben des Verbraucherschutzes wahrnimmt. Die Kollegen Radwan und Schick haben davon
gesprochen, Prokon habe dazu geführt, dass jetzt dieses
Gesetz kommt. Prokon hat, glaube ich, die Öffentlichkeit noch einmal wachgerüttelt; das stimmt. Dieses Gesetz bzw. das gesamte Vorhaben ist aber ein Bestandteil
des Koalitionsvertrages. Nicht der Skandal war Auslöser, sondern eine Wahl, die gut und nützlich war, führte
dazu, dass wir jetzt eine Regierung haben, die den finanziellen Verbraucherschutz ernst nimmt und stark macht.
Da arbeiten das Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz sowie das Finanzministerium zusammen, meine Damen und Herren.
({0})
Es war immer ein SPD-Anliegen, das zu machen. Ich
will übrigens ganz offen sagen: Beim Thema „Aufsicht
durch die BaFin“ könnten wir uns durchaus mehr vorstellen. Ich will darauf hinweisen, dass es ursprünglich
das Vorhaben gab, die Aufsicht geschlossen und gemeinsam durchzuführen. Wir haben nach wie vor eine gespaltene Aufsicht dahin gehend, dass freie Finanzvermittler
über die Handelskammern und andere Institutionen beaufsichtigt werden. Das ist nicht zufriedenstellend.
Finanzminister Schäuble hatte in der letzten Legislaturperiode auch etwas Einheitliches vorgeschlagen. Es gab
einmal - einige mögen sich noch erinnern - einen Wirtschaftsminister Brüderle, der das sozusagen umgedreht
hat. Auch das könnte man noch anfassen. Darauf will ich
hier nur hinweisen. Das wäre jedenfalls auch ein wichtiger und richtiger Schritt.
({1})
Wir haben - das ist hier, glaube ich, deutlich geworden - eine große Übereinstimmung, dass wir in den
bevorstehenden parlamentarischen Beratungen - wir befinden uns jetzt in der ersten Lesung - eine Reihe von
Dingen anfassen müssen, sodass Bürgeraktivitäten, aber
auch unternehmerische Initiativen durch den Verbraucherschutz nicht geschwächt werden. Das ist nicht das
Ziel des Verbraucherschutzes. Ich glaube, dass dieser
Verbraucherschutz - so wie er angelegt ist - gut ist. Wir
werden ihn auch nicht abschwächen; wir werden darauf
schauen, ihn zu erweitern. Im Koalitionsvertrag steht übrigens auch, dass wir ihn erweitern wollen. Wir wollen
genossenschaftliche Aktivitäten verstärken und dafür
sorgen, dass Wohninitiativen, die sich zusammentun, die
entsprechenden Möglichkeiten haben. Wir wollen dafür
sorgen, dass sich Energiegenossenschaften, Dorfläden
und andere entwickeln können. Richtigerweise ist hier
auch das Thema der sogenannten Schwarmfinanzierung
benannt worden.
Ich finde es vernünftig, dass wir uns in der parlamentarischen Beratung - auch aufgrund der Anregung des
Bundesrates - noch weitere Gedanken machen werden,
wie wir Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Verbraucherschutz in das richtige Gleichgewicht bringen. Ich
bin ganz optimistisch, dass wir - mit einem starken Verbraucherschutz; das will ich sehr unterstreichen - zu einem guten Ergebnis kommen. Vielleicht wird es dazu
hier im Parlament auch eine einheitliche Orientierung
geben. Ich glaube, das wäre eine gute Botschaft für alle
Menschen in diesem Lande und auch dafür, dass jetzt gegen entglittene Finanzmärkte und natürlich auch gegen
solche Unternehmen wie Prokon durchgegriffen wird.
So etwas soll es zukünftig - auch wenn man nie etwas
hundertprozentig ausschließen kann - möglichst nicht
mehr geben. Wir schaffen hier aber einen ordentlichen
Rahmen. Das ist doch ein gutes Wort zum Freitag.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit
({2})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident, vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir haben seit 2008 - das habe ich gerade
noch einmal nachgelesen - 40 Maßnahmen und Gesetze
zur Regulierung und zur Stabilisierung der Finanzmärkte
beschlossen, insbesondere zum Schutz der Menschen,
die am Ende die Zeche bezahlen. Insofern bin ich, sind
wir sehr dankbar, dass uns - Herr Maas hat das eben vorgetragen, der Parlamentarische Staatssekretär Meister
hat das im Detail ergänzt - endlich der Entwurf eines
Gesetzes vorliegt, durch das die Kleinanleger, die am
Grauen Kapitalmarkt investieren, geschützt werden.
Was heißt Kleinanlegerschutz? Es geht um Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld machen
sollen, oder überlegen, wie sie eine vernünftige Verzinsung erzielen und sagen: Jetzt versuchen wir mal mit irgendwelchen innovativen Produkten vielleicht etwas für
die Alterssicherung, vielleicht etwas für die Verzinsung
zu erreichen. - Und insofern sind wir dankbar, dass auch
der Graue Kapitalmarkt nunmehr reguliert ist.
Herr Schick hat darauf hingewiesen: Wir müssen in
der parlamentarischen Beratung einige Balanceakte vollführen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Genossenschaften weiterhin ermöglichen bzw. innovative Produkte, alternative Projekte, wie Wohnprojekte, die sich
entwickelt haben, nicht zerstören. Diese Entwicklung ist
übrigens eine Reaktion auf die Finanzkrise. Das ist eine
Gelegenheit, sich bei den 80 Millionen Menschen in
Deutschland Geld zu beschaffen. Gleichzeitig müssen
wir Menschen in die Lage versetzen, darüber zu entscheiden, wo sie ihr Geld investieren.
Es gilt der alte Satz: Kaufe kein Produkt, das du nicht
verstehst! Die Menschen, die die Debatte hier von der
Tribüne oder von zu Hause aus verfolgen, sollen die Botschaft mitnehmen: Wenn man Geld anlegt, dann muss
man wissen, was man tut. Wenn 10 oder 15 Prozent Rendite versprochen werden, dann ist relativ sicher, dass das
Produkt ein entsprechendes Risiko birgt. Insofern müssen wir einerseits gemeinsam darauf achten, dass wir
Aufklärung und Produktinformation ermöglichen - das
ist ein ganz wesentlicher Block -, andererseits müssen
wir es den Menschen selbst überlassen, Entscheidungen
zu treffen.
Auch spekulative Anlagen - das will ich ausdrücklich
sagen - müssen möglich sein. Wenn jemand der Meinung ist, er möchte 500 Euro spekulativ in ein Start-upUnternehmen investieren - und die Investition in dieses
kleine Unternehmen ist mit einem hohen Risiko verbunden -, dann soll er das tun. Wir müssen nur darauf achten, dass der Kleinanleger weiß, was er tut, und dass insbesondere derjenige, der die Entscheidung trifft, nicht in
existenzielle Schwierigkeiten gerät; denn dafür müsste
dann wieder die Solidargemeinschaft zahlen.
({0})
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Schick, dass Sie in
einem sehr sachlichen und zielführenden Beitrag das
Thema Millionengrenze angesprochen haben. Auf europäischer Ebene - in England, Frankreich und anderen
Ländern - scheint sich in dem angesprochenen Segment
eine Fünf-Millionen-Grenze als Maßstab zu etablieren.
Wir müssen prüfen, ob wir den Standort Deutschland
möglicherweise schädigen bzw. bestimmte Innovationen
schwieriger machen, wenn wir die Grenze zu tief ansetzen. Wenn wir die Grenze aber erhöhen, dann müssen
wir darauf achten, dass derjenige, der investiert, nicht zu
viel investiert. Auch das ist - so vermute ich - weitestgehend Konsens.
Es gibt viele - ich gehöre auch dazu -, die uns raten,
sehr genau zu überlegen, ob das scharfe Schwert eines
Werbeverbots wirklich das angemessene Mittel ist. Man
muss wissen: Für die meisten innovativen Finanzprodukte ist ein Werbe- oder Akquiseverbot, also ein Vertriebsverbot, am Ende eigentlich ein Produktverbot.
Wenn ein Crowdinvestor nicht die Chance hat, im Internet bei potenziellen Investoren dafür zu werben, dass sie
sich mit 100, 200 oder 300 Euro beteiligen, dann ist das
schlecht, weil er die Menschen auf anderem Wege nicht
erreichen kann.
Wir müssen gut überlegen, ob das, was die Verleger
im Bereich der Printmedien erreicht haben, wirklich hinreichend ist. Ich halte es für eine gewisse Ungleichbehandlung, wenn wir bestimmte Werbung im Printbereich
zulassen, aber in anderen Medien, beispielsweise im Bereich Fernsehen oder Radio, komplett verbieten. Das ist
im Übrigen ein neuer Ansatz in der Bundesrepublik
Deutschland. Bisher haben wir uns mit Werbeverboten
- wie ich finde, aus gutem Grund; wenn wir den Bereich
des Kinder- und Jugendschutzes und gesundheitsschädliche Produkte einmal außen vor lassen - sehr schwer getan. Insofern sollten wir intensiv miteinander darüber beraten, was der angemessene Weg ist, um die Verbraucher
zu schützen.
Richtig ist, dass die BaFin tätig wird. Richtig ist, dass
wir Produkte verbieten müssen. Richtig ist auch, dass
der Verbraucher auf bestimmte Produkte Zugriff haben
muss. Aber ich möchte am Ende nicht erleben, dass man
für innovative Bürgeraktivitäten und -projekte kein Geld
bekommt. Das war - wenn ich das sagen darf, Frau Kollegin Karawanskij von den Linken - ein grundsätzlicher
Fehler in Ihrem Beitrag. Das Ziel mag uns einen, aber
wer glaubt, dass man bei einer Verzinsung von 0 Prozent
Investoren findet, der irrt. Nicht nur für die bösen
Finanzinvestoren, sondern auch für die Verbraucher gilt:
Wer 500 oder 1 000 Euro investiert, der möchte wenigstens eine kleine Rendite erzielen.
Wenn wir die Projekte erhalten wollen, dann müssen
wir auf Transparenz und Regulierung achten. Wir müssen darauf achten, dass die Produkte geprüft werden und
dass die Finanzwächter ihren Job machen können. Der
Bürger soll entscheiden können, aber es soll am Ende
nicht um die Existenz gehen. Wir brauchen nicht noch
mehr Menschen, die in Insolvenz geraten. Davon haben
wir mittlerweile viel zu viele. Das betrifft übrigens insbesondere junge Menschen und junge Familien. Da ist
ein Leasingvertrag manchmal genauso gefährlich wie
ein Produkt vom Grauen Kapitalmarkt. Deshalb ist das
ein umfassendes Thema.
Ich freue mich auf die Beratung und bin sicher: Am
Ende steht mehr Verbraucherschutz. Am Ende setzt die
Koalition um, was im Koalitionsvertrag steht. Wir wollen gemeinsam versuchen, Transparenz und eine bessere
Aufklärung der Menschen zu erreichen, damit möglichst
niemand in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, der eigentlich sinnvoll investieren wollte.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3994 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung
der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ({0})
Drucksache 18/4087
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinen Widerspruch höre oder sehe, ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung dem Bundesminister Heiko Maas.
({2})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die schrecklichen Ereignisse der
letzten Wochen haben erneut gezeigt: Terrorismus tötet,
und er trifft seine Opfer überall und ohne Unterschied in Paris, in Kopenhagen, in Syrien, in Libyen. Er tötet
Christen, Juden und - das sollten wir nicht vergessen nicht zuletzt auch Muslime.
Diese Vorgänge zeigen: Wir müssen dort, wo wir besseren Schutz gewährleisten können, ihn bieten. Wir müssen den Menschen helfen, die ganz besonders unter dem
Terror leiden. Ganz konkret bedeutet dies - das ist der
erste Punkt, um den es heute geht -: Europa darf nicht
zum Exporteur junger Terroristen werden, und Europa
- das ist der zweite Punkt - darf auch nicht zum Finanzier des Terrors werden.
Die Zahl junger Menschen, die in Krisengebiete reisen, um sich dort terroristischen Vereinigungen wie etwa
dem „Islamischen Staat“ anzuschließen, steigt. Das ist
nicht nur eine Bedrohung für die Zielländer. Wir müssen
damit rechnen - die Erfahrungen zeigen uns das -, dass
die jungen Männer - ganz überwiegend sind es Männer dort weiter verrohen und zu erfahrenen Gewalttätern
werden und bei einer Rückkehr nach Deutschland - darum geht es; davon sind uns nicht wenige Fälle bereits
bekannt - zu einer Gefahr für unsere freie Gesellschaft
werden. Auch die Familien vieler Betroffenen erwarten
in dieser Situation das Eingreifen des Staates; denn sie
wollen ihre Söhne nicht an den Terror verlieren. Wenn
selbst muslimische Gemeinden uns auffordern, an dieser
Stelle auch gesetzgeberisch tätig zu werden, dann sollte
uns das schon zu denken geben.
Unser Gesetzentwurf sieht deshalb vor, die Ausreise
unter Strafe zu stellen, wenn jemand das Land verlassen
will, um an Terrorcamps teilzunehmen oder sich an terroristischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Es gibt
einen klaren Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit
- das ist im Übrigen auch eine Folge höchstrichterlicher
Rechtsprechung in Deutschland -: die Ausreise oder deren Versuch und vor allen Dingen deren terroristischer
Zweck. Diesen Reisezweck nachzuweisen, ist weniger
schwierig, als mancher glaubt und mancher in den Raum
stellt. Wir kennen mittlerweile viele Fälle, in denen sich
verzweifelte Familien, verzweifelte Angehörige, Freundinnen und Freunde bei Polizei und Ermittlungsbehörden gemeldet haben, weil die Betroffenen, die sich
aufgemacht haben, auszureisen und teilzunehmen an
Kampfhandlungen, etwa des IS, sich eindeutig verabschiedet haben. Es geht nicht um geheime Taten, sondern diejenigen, die das tun, bekennen sich ganz offen
dazu. Deshalb wird es auch möglich sein, in solchen Fällen den Zweck der Reise nachzuweisen, was erforderlich
ist, um bestrafen zu können. Meine Damen und Herren,
diese Vorschrift wird greifen.
Der zweite Punkt dieses Gesetzentwurfes betrifft die
Finanzierung des Terrorismus. Dafür werden wir einen
eigenen Straftatbestand schaffen. Auch bei kleinsten Beträgen, die in die Unterstützung des Terrorismus fließen,
werden wir in Zukunft - das konnten wir in der Vergangenheit nicht - lückenlos mit den Mitteln des Strafrechts
vorgehen. Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit.
Bedauerlicherweise finanziert sich der Terrorismus weltweit mittlerweile über Geldquellen auf allen Kontinenten. Wir dürfen das nicht zulassen. Wir dürfen vor allen
Dingen nicht zulassen, dass mit Geld aus Deutschland
Terror und Gewalt in anderen Teilen der Welt finanziert
werden. Auch dafür setzen wir diesen Gesetzentwurf
heute auf die Tagesordnung.
({0})
Meine Damen und Herren, es wird in der Debatte sicherlich darauf hingewiesen werden, dass es immer viel
Aktionismus gibt, wenn Anschläge geschehen.
({1})
Ich will gar nicht sagen, dass diese Klage immer unberechtigt war. Aber der Gesetzentwurf, der Ihnen heute
vorliegt, ist wirklich keine hastige Reaktion auf die
jüngsten Anschläge. Das ist ganz einfach schon daran zu
erkennen, dass dieser Gesetzentwurf innerhalb der Bundesregierung schon viel länger beraten wird, nämlich
seit September des letzten Jahres, und zwar aus dem einfachen Grund, dass wir eine internationale Verpflichtung
umsetzen.
Im vergangenen Jahr hat der UN-Sicherheitsrat die
Staaten aufgefordert, ihr Strafrecht anzupassen, um zu
verhindern, dass fremde Kämpfer, Foreign Fighters, an
terroristischen Aktivitäten wie in Syrien teilnehmen. Für
Deutschland hat sich dabei gezeigt: Wir erfüllen bereits
jetzt fast sämtliche Vorgaben, die die Vereinten Nationen
normiert haben. Nur an einer einzigen Stelle war eine
Ergänzung erforderlich. Diese Ergänzung nehmen wir
jetzt mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf vor.
Meine Damen und Herren, es gibt keine Ergänzung
oder Verschärfung des Strafrechts, ohne dass es einen
besonderen Vorlauf gegeben hat. Die Foreign Fighters,
also im Wesentlichen junge Männer, die sich von Europa
nach Syrien oder in den Nordirak aufmachen, um dort an
Kampfhandlungen des IS teilzunehmen, sind eine Entwicklung, die es vor zwei oder drei Jahren, zumindest in
diesem Zusammenhang und so organisiert, nicht gegeben hat. Mit diesem Gesetzentwurf reagieren wir also
auf eine Entwicklung, die noch nicht so alt ist und die
wir nicht sich selbst überlassen können. Deshalb ist das
kein Aktionismus.
Auch der neue Straftatbestand zur Verhinderung der
Terrorismusfinanzierung geht auf eine internationale
Empfehlung zurück. Auch dies ist ein Thema, an dem
wir schon viel länger arbeiten. Wir folgen hier einem Rat
der OECD. Dort gibt es die sogenannte Financial Action
Task Force, die uns aufgefordert hat, endlich die Strafverfolgung bei Terrorismusfinanzierung, und zwar unabhängig von den Beträgen, also auch bei Kleinstbeträgen,
möglich zu machen. Herr Schäuble und ich haben der
OECD schon im letzten Jahr in einem Brief zugesagt,
dass wir diese Aufforderung umsetzen werden. Das tun
wir jetzt, und zwar in § 89 c StGB.
Meine Damen und Herren, das Strafrecht ist ein wichtiges Instrument, wenn es darum geht, terroristische Gewalt zu verhindern. Aber es ist nicht das einzige. Wir
dürfen es auch nicht dabei belassen. Wir müssen uns fragen: Was treibt junge Menschen, die in Freiheit und
Frieden aufgewachsen sind und die Segnungen der
freien Gesellschaften in Europa genossen haben, dazu,
sich brutalen Terroristen anzuschließen? Ist es die Suche
nach dem ultimativen Kick? Ist es religiöser Fanatismus? Ist es Rache für echte oder vermeintliche Demütigungen? Was ist es?
Bei der Suche nach den Antworten dürfen wir nicht
nachlassen. Wir müssen alles tun, um die Radikalisierung junger Muslime zu verhindern und dafür zu sorgen,
dass wir neue Straftatbestände gar nicht erst anwenden
müssen. Dabei sind alle gefordert: wir, die Politik, aber
auch die muslimischen Gemeinden und ihre Repräsentanten. Gemeinsam müssen wir nicht nur die Köpfe der
Menschen erreichen, um dem etwas entgegenzusetzen,
sondern auch ihre Herzen, damit letztlich jeder erkennt:
Der Terrorismus ist ein Irrweg. Er führt niemals ins Paradies, sondern immer nur ins Unglück.
Schönen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Halina Wawzyniak.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Bei dem, was Sie mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vorgelegt
haben, bin ich geneigt, jetzt fünf Minuten über Sinn und
Zweck des Strafgesetzbuches, über den Unterschied zwischen Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht, über den
Unterschied zwischen Tat- und Täterstrafrecht sowie
über das Schuldprinzip zu reden. Mir scheint, da gibt es
erheblichen Nachholbedarf.
({0})
Mit dem Strafrecht sollen vor allem begangene Straftaten verfolgt und aufgeklärt werden, nicht aber Verhaltensweisen, die eine Vorbereitungshandlung einer Vorbereitungshandlung sind.
({1})
Mit dem Strafrecht soll eine konkrete Tat bestraft werden und nicht primär die Motivation des Täters oder der
Täterin. Soweit eine konkrete Gefahr noch gar nicht eingetreten ist für ein konkretes Rechtsgut, sondern erst
eine abstrakte Gefahr besteht, sind die Gefahrenabwehrbehörden zuständig und nicht das Strafrecht.
({2})
Was aber machen Sie mit diesem Gesetzentwurf? Alle
diese Grundsätze verletzen Sie:
Sie wollen mit dem neuen § 89 a Absatz 2 StGB die
Ausreise und den Versuch der Ausreise in einen Staat, in
dem sich ein sogenanntes Terrorcamp befindet, unter
Strafe stellen, wenn - und darauf kommt es an - die Absicht zur Begehung einer terroristischen Gewalttat besteht.
Mit § 89 c StGB wollen Sie einen neuen, einheitlichen Tatbestand der Terrorismusfinanzierung schaffen.
Das hört sich erst mal ganz logisch an - für die Bekämpfung des Terrorismus sind wir hier alle -; tatsächlich ist
das, was Sie vorgelegt haben, aber genau das, was Sie,
wie Sie glücklicherweise öffentlich immer gesagt haben,
nicht wollen. Sie opfern weiter ein Stück Freiheit, Sie
opfern weiter ein Stück Rechtsstaat - und das völlig
überflüssigerweise.
({3})
Jetzt lasse ich einmal dahingestellt, ob es überhaupt in
die Kompetenz des UN-Sicherheitsrates fällt, den Staaten in dieser Art und Weise Vorgaben für das Strafrecht
zu machen.
Aber ich will jetzt auf diesen komischen Ausreisetatbestand eingehen. Der lautet - noch mal -: ein Versuch
der Ausreise in einen Staat, in dem sich ein Terrorcamp
befindet, wenn - das ist entscheidend - die Absicht der
Begehung einer terroristischen Straftat besteht. - Jetzt
frage ich mich, wie Sie das konkret feststellen wollen.
Für die Strafbarkeit soll notwendig sein, dass die Absicht der Begehung einer terroristischen Gewalttat besteht. Erst wenn diese Absicht nachgewiesen ist, können
Sie überhaupt ein Straf- oder Ermittlungsverfahren einleiten. Es gibt jetzt, ehrlich gesagt, nur zwei Möglichkeiten:
Entweder: Jede Person, die in ein solches Land ausreisen will, wird irgendwie kontrolliert, wird danach gefragt, ob sie vielleicht die Absicht hat, eine terroristische
Straftat zu begehen. Ein solcher Generalverdacht für alle
Menschen, die in solche Länder ausreisen wollen, bindet
Kapazitäten, die in anderen Bereichen viel sinnvoller
eingesetzt würden.
Wenn Sie das nicht wollen - was ich durchaus nachvollziehen kann -, gibt es noch Variante zwei: dass Behörden im Vorfeld - also vor dem Grenzübertritt - wissen, dass Menschen in der Absicht, eine Straftat zu
begehen, ausreisen wollen. Natürlich - auch da sind wir
uns alle einig - gilt es, das zu verhindern. Aber wenn das
vorher, lange vorher, bekannt ist, dann muss man doch
überhaupt nicht warten, bis die Personen ausreisen wollen. Es gibt nämlich, ehrlich gesagt, überhaupt keine
Schutzlücke. Es ist nun wahrlich nicht so, dass ich eine
Freundin von § 89 a wäre - erst recht bin ich keine
Freundin der §§ 129 a und 129 b, im Gegenteil -; aber
ich nehme erstens zur Kenntnis, dass es sie gibt, und ich
will darauf hinweisen, dass diese Paragrafen in den beiden vorliegenden Evaluierungen des Sicherheitsgesetzes
sehr heftig umstritten waren. Wenn es aber - was ich zur
Kenntnis nehmen muss - so ist, dass es diese Paragrafen
gibt, dann ist doch schon jetzt die vollendete Ausreise
mit der Absicht, im Ausland eine terroristische Straftat
zu begehen, als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in jedem Fall über die Beihilfe strafbar, und es
ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand, der
ausreist, vorher unter den Straftatbestand des bisherigen
§ 89 a fällt.
Ich glaube, es geht tatsächlich um etwas anderes. Der
Herr Innenminister treibt Sie in aktionistischer Art und
Weise dazu, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Doch
das, was Sie vorschlagen, schadet dem Rechtsstaat. Ich
will darauf hinweisen, dass Sie mit diesem Gesetz Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht einfach miteinander
vermischen. Über § 112 a der Strafprozessordnung wird
mit Ihrer Änderung bei Wiederholungsgefahr jetzt ohne
Vorliegen sonstiger Haftgründe wie Flucht- oder Verdunklungsgefahr die Anordnung von Untersuchungshaft
möglich, und das über einen Zeitraum, der im polizeilichen Unterbindungsgewahrsam eben nicht möglich
wäre.
Die Normierung dieser neuen Straftatbestände ist
nicht notwendig. Die Regelung kann deshalb nicht angemessen und auch nicht verhältnismäßig sein. Deswegen
kann ich sagen: Am besten ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück. Er wird auch durch eine Anhörung und
eine zweite und dritte Lesung nicht besser.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Ansgar Heveling für
die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut 20 Minuten lang und so professionell gemacht,
dass einem allein dieser Umstand kalte Schauer über den
Rücken jagt. Ein jeder hier im Saal ist nur wenige Mausklicks von diesem schrecklichen Video entfernt. Es demonstriert den Triumph des Unmenschlichen und ist
gleichzeitig auch Propaganda für den Terror.
Wenn man die grausamsten Passagen dieses Videos
erreicht hat, die Passagen, die einem das Blut in den
Adern gefrieren lassen, fragt man sich mit maßlosem
Entsetzen, wie so etwas Bestialisches und Unmenschliches wie das Video der Ermordung, der grausamen Verbrennung eines Menschen überhaupt eine werbende und
attraktive Wirkung entfalten und Menschen dazu bewegen kann, sich den Tätern anzuschließen. Offensichtlich
kann so etwas diese Wirkung aber entfalten.
Der Terror - insbesondere der des Nahen Ostens - ist
in unserer Welt gut vernetzt und schafft es damit mitten
ins Herz unserer freien und offenen Gesellschaft.
({0})
Hassprediger erreichen über das Internet gerade junge
Menschen gut, schnell und direkt. Extremisten versuchen vornehmlich, Jugendliche zu erreichen und zu instrumentalisieren; denn sie sind verführbar.
Damit stellt uns der Terror auch hier in Deutschland
vor schwerwiegende Herausforderungen. Es ist keine
leichte Aufgabe, gleichzeitig wehrhafte Demokratie zu
sein und Freiheitsrechte zu wahren. Dabei muss eines
aber klar sein: Wer uns ins Herz unserer Freiheit trifft,
wer den freiheitlichen Rechtsstaat bekämpft, dem sollten
und werden wir mit aller Härte begegnen.
({1})
Das schärfste Instrument, das dem Rechtsstaat dabei
zur Verfügung steht, ist das Strafrecht. Dazu gehören
eine konsequente Strafverfolgung, die ausreichende
Ausstattung des Staates mit effizienten Mitteln für die
Strafverfolgung und damit für die Durchsetzung des
staatlichen Gewaltmonopols sowie präventive Maßnahmen, die verhindern helfen, dass zumeist junge Menschen zu Gotteskriegern werden und in weiter Ferne und
auch hier in Deutschland Angst und Schrecken, Terror
und Tod verbreiten.
Mit der Änderung des Personalausweisgesetzes, die
derzeit im Deutschen Bundestag beraten wird, und mit
dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren
staatsgefährdenden Gewalttaten gehen wir daher einen
wichtigen und richtigen Schritt in der Terrorismusbekämpfung. Es ist gut, dass die Bundesregierung diesen
Gesetzentwurf vorgelegt hat, der zum Ziel hat, Reisen zu
terroristischen Zwecken zu unterbinden und die Terrorismusfinanzierung zu bekämpfen.
({2})
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, auf einer vollkommen
neuen Grundlage basiert. Die Rechtsquelle bildet eine
Entscheidung der Weltgemeinschaft. Das Besondere daran ist aber, dass hier am Ende eines langwierigen völkerrechtlichen Ratifikationsprozesses keine UN-Konvention, sondern eine Entscheidung des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen umgesetzt wird.
Weniger als ein Jahr ist es her, dass der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen die Resolution 2178 über ausländische terroristische Kämpfer einstimmig verabschiedet
hat. Das zeigt: Auch die Weltgemeinschaft reagiert mit
neuen und schnellen Instrumenten auf bisher unbekannte
Bedrohungslagen. Die meisten Forderungen der UN-Resolution entsprechen bereits jetzt dem geltenden Recht in
Deutschland. Deshalb gibt es an dieser Stelle auch nur
bei einzelnen Punkten einen Anpassungsbedarf.
Zum einen ist eine Ergänzung des bestehenden Instrumentariums zur Strafbarkeit der Vorbereitung einer
schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89 a
des Strafgesetzbuches notwendig. Künftig wird es eine
Straftat sein, Deutschland zu verlassen, um sich an
schweren Gewalttaten im Ausland zu beteiligen oder
sich für die Teilnahme an schweren Gewalttaten ausbilden zu lassen oder selbst dafür auszubilden.
Die Fragen im Zusammenhang mit der Absicht, also
dem Vorsatz, sind im Übrigen keine Besonderheit dieser
strafrechtlichen Vorschrift. Auch im allgemeinen Strafrecht muss man auslegen, was sich im Inneren des Täters
abspielt.
({3})
Dazu gibt es Indizien. Insofern ist das, was mit „Absicht“ gemeint ist, etwas ganz Normales im Strafrecht
und überhaupt gar keine Besonderheit. Es ist Aufgabe
der Strafverfolgungsbehörden, die entsprechenden Beweise und Indizien vorzulegen.
Zum anderen wird mit der Einführung eines neuen
§ 89 c des Strafgesetzbuches ein eigenständiger Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung geschaffen. Damit
wird die Finanzierung des Terrorismus erstmals in einer
einheitlichen Vorschrift strafrechtlich erfasst und im Anwendungsbereich gegenüber bestehenden Vorschriften
dahin gehend erweitert, dass die Finanzierung terroristischer Straftaten in Zukunft allgemein unter Strafe gestellt wird und eine Erheblichkeitsschwelle, wie sie bisher im Strafgesetzbuch verzeichnet ist, nicht mehr
bestehen wird.
Die Anpassungen sind richtig, und sie stehen im Einklang mit dem, was die Weltgemeinschaft als Mindestanforderung von allen Staaten verlangt. Es stellt sich
aber die Frage, ob dieses Minimum ausreicht; denn es ist
nach dem Grundgesetz nun einmal Aufgabe des Staates,
die Bevölkerung vor Bedrohungen zu schützen. Deshalb
müssen wir überlegen, welche Maßnahmen unter Beachtung des grundgesetzlichen Rahmens dafür notwendig
sind. Es wird wohl kaum jemand abstreiten können: Angesichts der weltweiten Vernetzung bringt der internationale Terrorismus derzeit bisher unbekannte Bedrohungslagen hervor.
Das alles sollte uns vielleicht doch über das Thema
Sympathiewerbung noch einmal neu nachdenken lassen.
Sympathie ist ein zentrales Element in der Rekrutierung
neuer Dschihadisten. Auch darauf sollte unser Strafrecht
eine passende Antwort geben können.
({4})
Ohne Frage: Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für
eine zulässige Strafbarkeit von Sympathiewerbung sind
eng. Die restriktive Auslegung durch die Rechtsprechung mag im Jahr 2002 der Grund dafür gewesen sein,
das Werben in § 129 a StGB auf das Werben von Mitgliedern und Unterstützern zu beschränken.
({5})
Mit der rasanten Entwicklung der sozialen Medien,
die für eine rasche Verbreitung terroristischer Inhalte wie
nie zuvor sorgen, bedarf es jedoch vielleicht einer neuen,
zeitgemäßen Bewertung der Sachverhalte. Wer heute mit
allen dafür zur Verfügung stehenden Mitteln für eine terroristische Vereinigung wirbt, bereitet den Nährboden
für terroristische Gewalt.
({6})
Lassen Sie mich ein Beispiel aus Frankfurt in Hessen
anführen. Dort haben radikalislamische Salafisten - das
haben sie auch in anderen Städten der Bundesrepublik
Deutschland getan - versucht, vor Schulen Kämpfer zu
rekrutieren. Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit
wurden Aktionsstände aufgebaut und Ausgaben des Korans an Schüler verteilt, um mit den Schülern ins Gespräch zu kommen.
({7})
Bei vier Schülern seien die Salafisten in Frankfurt so erfolgreich gewesen, dass diese sich inzwischen auf den
Weg in den heiligen Krieg gemacht hätten. Auch hierauf
müssen wir mit dem Strafrecht die passenden Antworten
geben.
Ein wichtiger und zentraler Punkt bei der Terrorismusbekämpfung - Bundesminister Maas hat es angesprochen - ist im Übrigen auch die Prävention. Hier
müssen wir die Gefahr der Radikalisierung, gerade auch
von Häftlingen in Justizvollzugsanstalten, in den Blick
nehmen. Mindestens zwei der Attentäter von Paris haben
sich offensichtlich im Gefängnis kennengelernt und dort
radikalisiert. Auch in Deutschland ist ein entsprechender
Trend zu beobachten. Auch hier scheint Handeln geboten zu sein. Die Justizvollzugsanstalten dürfen nicht zu
Schmieden zur Rekrutierung von religiösen Fanatikern
und für Radikalisierung werden.
Da sind natürlich vor allem die Länder gefragt. Allerdings sollten wir die Länder mit dieser Aufgabe nicht allein lassen und Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen unterstützen. Hessen beispielsweise hat
bereits gute Erfahrungen mit Präventionsinstitutionen
gemacht, die wir uns bundesweit zunutze machen könnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesicht
des Terrors wandelt sich stetig und stellt den freiheitlichen Rechtsstaat immer wieder vor neue Herausforderungen. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt im Einklang mit der Weltgemeinschaft bestehende Lücken im
deutschen Terrorismusstrafrecht. Die Herausforderung
besteht jedoch nicht nur darin, Lücken zu schließen, sondern darin, effektive und zeitgemäße Strafrechtsinstrumente für den Staat bereitzuhalten. Dafür kann der
vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt sein, er ist aber sicherlich bei weitem nicht der letzte.
Herzlichen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Christian
Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Justizminister Maas, der Gesetzentwurf, den Sie
hier vorgelegt haben, ist nun wirklich kein Ruhmesblatt.
Denn Sie machen damit ja nicht, wie Sie behaupten,
Deutschland sicherer. Das Einzige, was Sie damit vielleicht erreichen, ist, dass informierte tatsächliche islamistische Kämpfer, die in das Kampfgebiet ausreisen
wollen, in Zukunft damit etwas zurückhaltender sein
werden, sich im Internet zu brüsten oder das anzukündigen. Und gerade diejenigen soll ja dieser Gesetzentwurf
treffen.
Sie haben aber mit keinem Wort dargelegt - auch der
Kollege Heveling hat sich da keine Mühe gegeben -,
was denn jetzt schon möglich ist bzw. wo es tatsächlich
eine Lücke gibt. Sie haben einfach unterstellt, dass es
eine Lücke gibt.
Es gibt entsprechende Forderungen der Weltgemeinschaft, und auch Herr Maas hat darauf hingewiesen, dass
man sich darüber beschwert hat, dass Leute einfach ausreisen können, um sich bei ISIS oder IS an einem heiligen Krieg von unheimlicher Grausamkeit zu beteiligen.
Aber das ist geradezu der klassische Fall der Unterstützung einer oder der Mitgliedschaft in einer inländischen
bzw. ausländischen terroristischen Vereinigung. Dafür
braucht man keine neue Bestimmung. Wir haben schon
eine breite Phalanx von Möglichkeiten.
({0})
Wir haben ja Gesetze, über deren Sinnhaftigkeit und
Anwendung man in der Tat streiten kann. Und es sind ja
schon vor einigen Jahren die §§ 89 a und b StGB hinzugefügt worden. Aber Sie haben hier mit keinem Wort erwähnt, wo denn jetzt eigentlich die Lücke ist und welche
Evaluation dazu geführt hat, dass man sagt: Drei oder
fünf Leute konnten aufgrund der Lücke nicht bestraft
werden.
Nein, Sie haben uns ein Gesetz beschert, das völlig
unbestimmt und unklar ist und den Rechtsanwendern,
Polizei und Justiz, große Probleme bereiten wird.
({1})
Was ist zum Beispiel das „Unternehmen einer Ausreise“? Denn es soll ja bereits das Unternehmen strafbar
sein. Heißt das, dass Sie jemanden, der sich ins Taxi
setzt und zum Flughafen fährt, bereits festnehmen können, weil er den Tatbestand des Unternehmens erfüllt?
Ist es die Ankunft auf dem Flughafen? Ist es das Einchecken? Ist es das Pass-Vorzeigen? Ist es das Einsteigen ins
Flugzeug? Ist es erst das Verlassen des Landes? - Dann
wäre er aber weg.
({2})
Also: Wann tritt der Tatbestand des Unternehmens einer Ausreise ein? Sie haben sich um die Beantwortung
dieser Frage herumgemogelt. In der Gesetzesbegründung schreiben Sie zum Tatbestand der Finanzierung
von Terrorismus, dass man das nicht zu eng auslegen
darf, sondern weit auslegen muss; dabei verweisen Sie
im Gesetz auch auf alltägliche Geldzuwendungen. Wenn
zum Beispiel eine Oma ihrem Enkel Geld gibt, von dem
sie vielleicht weiß, dass er in die Moschee geht und unter
Umständen so etwas vorhat, ist das - also wenn einem
möglichen Täter Geld gegeben wird - dann schon die
Unterstützung einer Reise zu terroristischen Zwecken?
Sie haben in die Begründung - in die Begründung! geschrieben, dass man das eng auslegen muss. Aber
beim Tatbestand findet sich davon nichts. Das heißt, es
ist überhaupt nicht klar, wie eine ausufernde Anwendung
verhindert werden soll.
Sie versuchen hier die Vorverlegung der Strafbarkeit.
Das ist mit unserem Grundgesetz und unserer rechtlichen und strafrechtlichen Dogmatik nicht in Einklang zu
bringen.
Sie schaffen hier quasi ein Gesinnungsstrafrecht. Sie
wollen die Absicht einer Person bestrafen, der in irgendeiner Weise geholfen wird. Ganz abgesehen davon, dass
es dabei ungeheure Beweisschwierigkeiten geben wird,
vernachlässigen Sie dabei - darauf ist schon hingewiesen worden -, dass in Deutschland Täter- und Tatstrafrecht gilt. Sie verlassen diese dogmatische Linie und
übersehen, dass nur begangenes Unrecht in Deutschland
bestraft werden soll. Was hier begangenes Unrecht sein
soll, das strafbar ist, bleibt völlig unklar. Das heißt, Sie
lassen die Rechtsanwender im Stich. Deshalb können
wir nur sagen: Ein solches Ad-hoc-Gesetz, das das Bestimmtheitsgebot verletzt, halten wir verfassungsrechtlich mindestens für zweifelhaft, wenn nicht gar für verfassungswidrig. Dem werden und können wir nicht
zustimmen.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johannes
Fechner für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir alle haben mit großer Bestürzung die brutalen Anschläge in Paris erlebt, und wir sind erschüttert, wenn wir die grausamen Kriegsbilder aus Syrien, dem Irak oder von
anderswo in den Nachrichten sehen. Selbstverständlich
ist es unsere Aufgabe als Politik, dem Anspruch der Bevölkerung auf Sicherheit nachzukommen. Dabei dürfen
wir aber nicht den Fehler machen - das machen wir auch
nicht mit diesem Gesetz -, überzureagieren und in gesetzgeberischen Aktionismus zu verfallen. Das bedeutet
konkret, dass wir nur dort Straftatbestände neu schaffen
oder verschärfen, wo, wie in diesem Fall, tatsächlich
Strafbarkeitslücken bestehen. Dem kommen wir mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf nach. Ich bin dem Justizminister ausdrücklich dankbar, dass er keine überzogenen Gesetzesverschärfungen vorgelegt hat, sondern
mit Besonnenheit, insbesondere der UN-Resolution
nachkommend, diesen Gesetzentwurf erstellt hat.
Wenn leider auch aus Deutschland junge Menschen
ausreisen, um sich in Terrorcamps ausbilden zu lassen,
dann müssen wir schon deren Ausreise verhindern, damit sie eben nicht wie die Pariser Attentäter in Terrorcamps gehen oder im Ausland Verbrechen begehen können. Deshalb ist es richtig, dass sich zukünftig strafbar
macht, wer mit terroristischer Motivation ausreist, also
mit der Absicht, zur Ausbildung ein Terrorcamp zu besuchen oder Kampfhandlungen zu begehen. Die angesprochenen Beweisschwierigkeiten gibt es nicht. Es handelt sich um eine Personengruppe, die offensichtlich
sehr mitteilungsbedürftig ist, etwa in sozialen Netzwerken. Insofern ist der Nachweis der geplanten Ausreise
und des Zwecks der Ausreise möglich. Im Übrigen ist ja
bekanntlich im Strafrecht eine Handlung, die einen bestimmten Zweck hat, unter Strafe gestellt.
Des Weiteren müssen wir den Terrororganisationen
die Finanzgrundlage entziehen. Deshalb ist es richtig,
dass wir dafür einen eigenen Straftatbestand einführen
und die Terrorismusfinanzierung auch bei kleineren Zuwendungen unter Strafe stellen. Weiter gehende Maßnahmen sind aus meiner Sicht nicht geboten. Insbesondere die Wiedereinführung des Straftatbestands der
Sympathiewerbung halte ich nicht für erforderlich.
({0})
Sicher werden viele, insbesondere junge Männer,
über das Internet geworben. Wer aber Mitglieder anwirbt, etwa für den IS, oder wer dessen Symbole zeigt,
der macht sich schon heute strafbar. Wir haben ein sehr
weitgehendes Strafrecht in diesem Bereich. Deswegen
war es richtig, dass Rot-Grün damals diese Vorschrift
abgeschafft hat, zu der es so gut wie keine Verurteilungen gab. Wir brauchen keinen Straftatbestand der Sympathiewerbung in Deutschland.
({1})
Wenn die Opposition nun schimpft, dass über das Ziel
hinausgeschossen würde, darf ich mich zumindest ein
bisschen wundern. Es war auf der einen Seite zu lesen,
dass wir über das Ziel hinausschießen, auf der anderen
Seite, dass wir nur Symbolpolitik betreiben würden. Ich
finde, da geht die Linie etwas auseinander. Im Übrigen
- auch das sei der Opposition gesagt - setzen wir mit
diesem Gesetzentwurf Vorgaben bzw. Vorschläge der
Vereinten Nationen und der OECD um. Das sind Organisationen, die auch Sie ja eigentlich schätzen. In welcher
Gesellschaft wären wir, wenn wir diese Vorschläge nicht
umsetzen würden?
Herr Kollege Fechner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Ja.
Herr Kollege, es ist jetzt schon mehrfach behauptet
worden, dass das durch die UN-Resolution vorgeschrieben worden ist. Haben Sie sich die einmal angeschaut?
In Bezug auf die „foreign fighters“ wird diese Maßnahme vorgeschlagen.
Ja, aber ohne Berücksichtigung dessen, welche Gesetze wir haben. Die Vereinten Nationen machen Vorschläge. Aber das haben wir ja bereits. Sie müssten doch
einmal belegen, inwiefern die Vorgaben der UN-Resolution in Deutschland nicht verwirklicht sind, wo noch
eine Lücke ist.
Das betrifft diese beiden Punkte. Viele andere Punkte
haben wir schon. Ich habe schon gesagt, dass wir ein
sehr weitgehendes Strafgesetzbuch haben. Deswegen
müssen wir sehr zurückhaltend sein, was Verschärfungen angeht.
({0})
- Wunderbar.
({1})
Nehmen wir als Große Koalition gerne an. Herzlichen
Dank!
({2})
Wir haben uns das detailliert angeschaut. Bei diesen
beiden Punkten - Terrorismusfinanzierung und Ausreise gibt es geringfügige Strafbarkeitslücken, die wir hiermit
schließen.
Ich finde, wenn wir die Vereinten Nationen ernst nehmen und wenn die genannten Organisationen zu konkreten Vorschlägen zum Kampf gegen den Terrorismus auffordern, dann sollten wir diese Vorschläge auch
umsetzen.
Zu guter Letzt möchte ich in dieser Rede festhalten,
dass die schärfsten Gesetze natürlich nichts bringen,
wenn bei der Polizei die technische Ausstattung nicht
vorhanden ist oder wenn bei den Ermittlungsbehörden
zu wenig Personal vorhanden ist. Deswegen war es richtig - wir als SPD haben uns in den letzten Haushaltsberatungen dafür eingesetzt -, dass neue Stellen beim
Generalbundesanwalt für die Terrorismusbekämpfung
geschaffen werden und dass es bei der Bundespolizei für
Material und Fahrzeuge 20 Millionen Euro mehr gibt
und 400 neue Stellen eingerichtet werden.
({3})
- Das wäre mir neu.
({4})
Ich glaube, das sind ganz wichtige Maßnahmen, und
ich finde, dass wir maßvoll und besonnen reagieren und
dabei den Terrorismus effektiv bekämpfen. Dazu ist das
vorliegende Gesetz ein ganz wichtiger Beitrag.
Herzlichen Dank.
({5})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU.
({0})
Danke. - Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir am Ende der Debatte, das eine oder andere Stichwort aus den bisherigen Reden aufzugreifen,
um es ein bisschen zu kommentieren und zu verfeinern.
Zunächst noch einige Sätze zum Umfang der Regelung. Wir haben eine Hausaufgabe aufbekommen - so
will ich es einmal nennen - aus der UN-Resolution 2178, die zwei Zielrichtungen hat. Die eine Zielrichtung betrifft die Sicherstellung der Strafbarkeit der
Reise oder des Versuchs einer Reise, wenn diese Reise
erfolgt, um terroristische Handlungen zu begehen, sie zu
planen, sie vorzubereiten, sich daran zu beteiligen oder
Terroristen auszubilden oder sich als Terrorist ausbilden
zu lassen.
Dazu haben Sie, Kollege Ströbele, gefragt, inwieweit
wir dort aktuell Strafbarkeitslücken haben. Der Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, wie wir ihn heute schon formuliert haben, erfordert eine konkrete Unterstützungshandlung. Die ist bei
der Reisetätigkeit eben noch nicht erfolgt. Wenn wir
warten, bis die betreffende Person außer Landes ist, ist
es zu spät.
({0})
Die zweite Zielrichtung bezieht sich auf die Erhöhung
der Mindeststrafbarkeit für die Terrorismusfinanzierung,
verbunden mit dem Verzicht auf die Erheblichkeitsschwelle. Das sind die Hausaufgaben, und wir können
konstatieren: Ja, es wird geliefert.
({1})
Aber, meine Damen, meine Herren, ich gestatte mir
trotzdem die Frage: Ist das nicht eine Minimallösung,
die wir im Moment haben? Denn angesichts des weltweiten Terrors, angesichts seiner Grausamkeit - Kollege
Heveling hat sie vorhin geschildert - traue ich mich
schon, die Frage zu stellen: Hätten wir nicht mehr regeln
können?
({2})
Ob man mehr regeln kann und mehr regeln muss, ist abhängig von der Frage: Ist denn mehr erforderlich?
Da komme ich zur Sympathiewerbung; denn die ist
aktuell nicht strafbar. Es ist vorhin angeklungen: Der
§ 129 a versteht den Begriff des Werbens so, dass das
bloße Befürworten, das bloße Eintreten für eine bestimmte Ideologie oder der Aufruf zum Dschihad eben
nicht strafbar sind.
Meine Damen, meine Herren, vergegenwärtigen wir
uns, dass aktuell im Namen von bestimmten Ideologien
weltweit Menschen massakriert, vergewaltigt, enthauptet und verbrannt werden.
Da komme ich zum Stichwort „Aktionismus“, weil es
vorhin ja auch hieß: Die Regelung ist doch nicht notwendig; wir verlagern das viel zu weit vor. - Dazu will ich
sagen: Es gibt ja die Institution des abstrakten Gefährdungsdelikts.
Der Rechtsstaat hat schon auch die Aufgabe, durch
die Rechtsordnung und durch Strafgesetze ganz klar zu
zeigen, was er missbilligt, und er hat auch die Aufgabe,
ganz klar zu zeigen, welche Handlungen in einer Gesellschaft keinen Platz haben. Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf.
({3})
Weil es mir am Herzen liegt, möchte ich noch kurz
auf die Bedenken der Bundesdatenschutzbeauftragten
eingehen, die sie in einem Schreiben formuliert hat, das
Ihnen sicherlich vorliegt. Frau Voßhoff hat Bedenken
wegen der mittelbaren datenschutzrechtlichen Auswirkungen - so schreibt sie es - und begründet das mit folgender Erklärung - den Satz will ich kurz zitieren -: So
kann unter Umständen schon derjenige in den Anschein
der Terrorismusfinanzierung geraten, der bei einem Terrorverdächtigen einen Gebrauchtwagen kauft. - Das
geht ein bisschen in die Richtung, Kollege Ströbele, die
Sie vorhin beschrieben haben, wenn zum Beispiel eine
Oma ihrem Enkel Geld gibt, ohne zu wissen, was er damit macht.
Ich bin über das Argument von Frau Voßhoff durchaus verwundert. Denn das ist heute wie schon seit Jahrzehnten strafrechtliche Realität in jedem Ermittlungsverfahren. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wenn ich
von einem Privatmann oder von einem Gebrauchtwagenhändler ein Fahrzeug kaufe, gegen den wegen des
Verdachts auf Hehlerei ermittelt wird, dann wird selbstverständlich auch geprüft, ob das Fahrzeug, das ich erworben habe, Hehlerware ist. Wenn sich das bestätigt,
dann wird, zum Beispiel weil der Kaufpreis 30 oder
40 Prozent unter dem Marktwert lag, auch aufgrund der
Preisgestaltung geprüft, ob ich unter Umständen billigend in Kauf genommen habe, Hehlerware zu erwerben.
Das ist die Realität.
Ein weiterer Punkt ist wichtig, Kollege Ströbele. Er
entkräftet das Beispiel, das Sie vorhin angeführt haben.
Der Gesetzentwurf erfordert einen Vorsatz. Er verlangt
nämlich, dass die Geldleistung in dem Wissen erfolgen
muss, dass damit Terrorismus finanziert wird. Die Hürde
ist also durchaus hoch. Der von Ihnen genannte Fall
würde demnach schon herausfallen.
Des Weiteren wurde gefragt, wie der Zweck der Reise
konkretisiert werden soll und wie man das nachweisen
will. Auch Frau Voßhoff äußert Bedenken wegen der
Speicherung der Telekommunikationsdaten. Meine Damen und Herren, Sie wissen, was jetzt kommt. In diesem
Punkt sind wir uns noch nicht ganz einig. Aber wenn
man sich die Augen und Ohren zuhält, darf man sich
meiner Meinung nach nicht darüber beschweren, dass
man weder etwas sieht noch etwas hört. Das heißt, wenn
wir Terrorismus effektiv bekämpfen wollen, dann müssen wir uns ehrlich machen und auch offen über die
Frage diskutieren, wie wir im Bereich der Speicherung
von Verbindungsdaten Verbesserungen erreichen können. Sonst konstruieren wir einen Tiger, der vielleicht
auf dem Papier gut aussieht, aber keine Zähne hat und
nicht beißen kann.
({4})
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema Prävention sagen. Ein guter Rechtsstaat kümmert sich nicht
nur um gesetzliche Formulierungen bzw. darum, was er
strafrechtlich verbieten will, sondern er darf auch die
Prävention nicht aus dem Blick verlieren. Was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, sollten wir uns die Zeit
nehmen, parallel dazu zu überlegen, wie wir im präventiven Bereich zu Verbesserungen kommen können.
Diese Woche hat die hessische Justizministerin unsere
Arbeitsgruppe besucht und von dem Projekt „Violence
Prevention Network“ im Bundesland Hessen berichtet.
Dort wurden Fachstellen mit Beratern eingerichtet, an
die sich Angehörige wenden können, wenn sie merken,
dass sich ein Familienmitglied radikalisiert. Wir sollten
unbedingt darüber nachdenken, ob es nicht die Möglichkeit gibt, ein solches Projekt bundesweit aus der Taufe
zu heben.
Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass es Diskussionen um die Finanzierung gibt. Aber ich glaube,
wenn wir die Terrorismusbekämpfung wirklich abrunden wollen, dann muss auch die Prävention eine Rolle
spielen.
Meine Damen, meine Herren, ich freue mich auf die
weiteren Beratungen und auf die Anhörung und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
({5})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/4087 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Dazu sehe ich keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 sowie den Tagesordnungspunkt 21 auf:
ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Tom
Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen
Instituts für Menschenrechte ({1})
Drucksache 18/4089
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
21 Beratung des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechtsförderung stärken - Gesetzliche Grundlage für Deutsches Institut für
Menschenrechte schaffen
Drucksachen 18/2618, 18/4113
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinerlei Widerspruch höre, ist das so beschlossen.
Ich eröffne damit die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Tom Koenigs von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Deutsche Institut für Menschenrechte arbeitet seit 15 Jahren gut.
({0})
Der Bundesjustizminister Heiko Maas hat am zweiten
Berliner Menschenrechtstag im September vergangenen
Jahres über das DIMRG gesagt: Es arbeitet kritisch, unbequem und, wenn nötig, auch lautstark. - Ich würde
hinzufügen: Es arbeitet sachlich, professionell und nah
dran, nah dran an den Opfern von Menschenrechtsverletzungen, an den Menschenrechtsverteidigern, den Menschenrechten im In- und Ausland, am Menschenrechtsrat
in Genf und der Zivilgesellschaft hier, die ich auf der
Tribüne begrüße.
({1})
15 Jahre gut gearbeitet, das heißt: Wir wollen, dass
das so weitergeht, allerdings auf gesetzlicher Grundlage;
denn das Koordinationsgremium der nationalen Menschenrechtsinstitute hat Prinzipien beschlossen, die Pariser Prinzipien, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen übernommen hat, die einen gesetzlichen
Status erfordern, um die Unabhängigkeit dieses Instituts
zu garantieren. So ist das Institut zunächst im Jahr 2000
provisorisch akkreditiert worden, es wurde gesagt: Das
Institut erhält den A-Status - im Zweifel für das Institut 2008 wurde aber angemahnt, eine gesetzliche Regelung
zu schaffen. Fünf Jahre später gab es noch immer keine
gesetzliche Regelung, obwohl wir sie schon beantragt
hatten. 2013 hat man sich entschuldigt: In Deutschland
war Wahl. Im Oktober 2014 kam die letzte Mahnung. In
einem Brief des Justizministers wurde gebeten, dies
noch einmal zu vertagen. Das ICC hat das bis zum März
vertagt. Die Sitzung findet vom 16. März bis 20. März
dieses Jahres statt.
Am 14. September vorigen Jahres haben wir einen
Antrag eingebracht, der zum Ziel hat, eine entsprechende gesetzliche Grundlage herzustellen. Fünf Monate
bzw. zehn Sitzungswochen hat die Koalitionsmehrheit
das verschoben - zehn Sitzungswochen lang. Sechs Geschäftsordnungsdebatten haben wir geführt. Immer hieß
es: Haben Sie Geduld, haben Sie Vertrauen. - Die Geduld ist zu Ende. Das Vertrauen haben wir nicht mehr.
({2})
Wir haben nun einen Gesetzentwurf eingebracht, der, abgesehen von der Jahreszahl, im Vergleich zum Referentenentwurf des Bundesjustizministers keine einzige Änderung enthält. Jetzt fragen wir uns natürlich, nachdem
überhaupt nicht sachlich argumentiert wurde, warum
nichts geschehen ist.
Dann gibt es die Diskussion, da sagt mir jemand: Der
Vereinscharakter ist das Problem. - Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat aber 15 Jahre gut gearbeitet,
und seine Unabhängigkeit ist gerade durch den Vereinscharakter gewährleistet. Das sagen nicht nur das Forum
Menschenrechte und das Institut selber, sondern auch
der Deutsche Richterbund und die Bundesrechtsanwaltskammer, die uns deswegen geschrieben haben.
({3})
Der zweite Kritikpunkt lautet, dass sich dieses Institut
nicht so sehr mit innerdeutschen Angelegenheiten befassen soll. Die Pariser Prinzipien besagen aber nun ganz
explizit, dass sich die nationalen Menschenrechtsinstitute mit den inneren Angelegenheiten befassen sollen
und die Regierungen auf Fälle von Menschenrechtsverletzungen im jeweiligen Land aufmerksam machen sollen.
({4})
Wenn nun das Argument angeführt wird, damit solle sich
das Institut nicht befassen, dann ist das genau das, was
die Pariser Prinzipien verhindern wollen, nämlich die
Einflussnahme vonseiten der Politik oder von anderer
Seite. Das sollte man nicht tun.
({5})
Wenn ich mich nun frage, was los ist, dann blicke ich
auf das Kabinett. Der Bundesjustizminister hat sich geäußert. Herr Steinmeier wird in Genf blamiert. Am
Dienstag will er dort reden. Herr Gröhe ist einer der Väter des Instituts. Deswegen haben wir ihn auch gefeiert.
Wir haben zwei Regierungsbefragungen und Fragestunden zu diesem Thema gehabt, aber keine Antwort
kam. Präsident Lammert hat dann die Auskünfte zusammengefasst und gesagt - ich zitiere -:
Aus den Auskünften ergibt sich eigentlich konkludent, dass das Thema, wenn es der Regierung so
wichtig ist, … in einer der beiden nächsten Kabinettssitzungen behandelt werden muss.
Das wurde es aber nicht. Ich sage konkludent: Dann ist
es der Regierung nicht so wichtig.
({6})
Wenn ich jetzt auf die Regierungsfraktionen blicke,
dann stelle ich fest: Die CDU überlässt das Thema, übrigens das gesamte Menschenrechtsthema, der Kampfgruppe Steinbach,
({7})
verstärkt durch den Pegida-Versteher Vaatz. Der ist in einer Sitzung mit dem Forum Menschenrechte geradezu
ausgeflippt, sodass Frau Steinbach dann sagen musste:
Arnold, mach doch mal ruhig.
({8})
Wenn die CDU, die das Wort „christlich“ im Namen
trägt und die die westlichen Werte immer hochhält, die
Menschenrechte von ihrem rechten Rand vertreten lässt,
dann viel Vergnügen mit der AfD.
({9})
Herrn Kauder, Herrn Tauber, der Fraktion der CDU/
CSU bedeutet das Deutsche Institut für Menschenrechte
nichts und das Thema Menschenrechte auch nicht.
({10})
- Ja, Sie ärgern sich, aber es ist so, Herr Vorsitzender.
({11})
Wenn Sie die Menschenrechte vom rechten Rand vertreten lassen, dann kommt genau das heraus.
({12})
Herr Kollege Koenigs, der Kollege Ullrich hätte noch
eine Zwischenfrage.
Bitte sehr, bevor ich zur SPD komme, die Zwischenfrage.
({0})
Vielen Dank. - Herr Kollege Koenigs, Sie haben gerade gesagt, dass der Kollege Peter Tauber von Menschenrechten nichts hielte.
({0})
Wie kommen Sie auf diese absurde Behauptung, und
woher haben Sie dieses Zitat?
Ich habe konkludent geschlossen, wie es der Präsident
des Bundestages vorgegeben hat.
({0})
Wenn sich diese Partei und die Fraktion von ihrem rechten Rand vertreten lassen, und zwar der Fraktionsvorsitzende und der Generalsekretär, dann kann es doch nur so
sein, dass sie das Thema nicht interessiert.
({1})
Jetzt zur stolzen Volkspartei SPD. Wenn die
Dobrindt-Maut, die von niemandem gewollt wird, außer
von einer kleinen, radikalen Minderheit, zur Abstimmung steht, dann werden Sie alle auf die Knie gehen und
zustimmen, weil sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist.
Die gesetzliche Grundlage für das DIMR zu schaffen,
steht aber auch im Koalitionsvertrag. In diesem Fall setzen Sie sich aber gegen eine kleine, radikale Minderheit
nicht durch - trotz Koalitionsvertrag. Ich frage mit der
Bundeskanzlerin: Wie viel kleiner will sich die SPD eigentlich noch machen?
({2})
Herr Kollege Vaatz, Sie erhalten die Gelegenheit zu
einer Kurzintervention.
Herr Kollege Koenigs, Sie haben mich persönlich angesprochen. Ich möchte zu den subjektiven Unterstellungen, die Sie mir gegenüber haben fallen lassen, nichts
weiter sagen. Aber eines möchte ich doch hinzufügen:
Im Gegensatz zu mir haben Sie niemals den Entzug von
fundamentalen Menschenrechten am eigenen Leib verspürt.
({0})
Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Frau Steinbach
hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koenigs,
was Sie hier eben gemacht haben, ist eine glatte Unverschämtheit. Sie sind nicht der einzige Mensch auf der
Welt, der für Menschenrechte ist,
({0})
zumal Sie in Ihren jüngeren Jahren einmal einem blutrünstigen Regime Millionenbeträge gespendet haben.
Trotzdem sind Sie ein halbwegs anständiger Mensch geworden. Sprechen Sie anderen nicht den Anstand ab,
dass sie sich für Menschenrechte einsetzen! Das dürfen
Sie hier nicht machen. Sie können es zwar machen, aber
Sie diskreditieren sich damit selbst. Ich habe Sie einmal
eigentlich für einen vernünftigen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung gehalten. Aber die Überheblichkeit, mit der Sie hier sprechen, lassen wir uns als
Union nicht gefallen.
({1})
Wir wollen als CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit
unserem Partner, der SPD, das Deutsche Institut für
Menschenrechte stärken. Da haben wir noch einige Gespräche vor uns, die wir gemeinsam auf den Weg bringen. Wir sind in Verhandlungen und werden sie auch
fortführen. Ich bin überzeugt: Wir kommen zu einem guten Ergebnis.
Dieses Institut ist seinerzeit mit Stimmen aller in diesem Hause ins Leben gerufen worden. Meine Fraktion
- wir „Menschenrechtsfeinde der CDU/CSU-Fraktion“,
wenn Sie es wissen wollen - war auch dabei. Aber die
Anforderungen, die an dieses Institut gestellt werden,
sind nicht in vollem Umfang gemäß den Pariser Prinzipien. Es fehlt formal an einer gesetzlichen Grundlage. Es
mangelt aber auch an einem weiteren wesentlichen Kriterium, an der notwendigen Breite der gesellschaftlichen
Basis.
Dennoch erhielt dieses Institut im Jahr 2001 durch
den Akkreditierungsausschuss des ICC - einem Zusammenschluss der nationalen Menschenrechtsinstitutionen erstaunlicherweise den A-Status, der eigentlich eine
volle Übereinstimmung mit den Pariser Prinzipien voraussetzt. Im Nachgang wurden dann Forderungen erhoben, das zu heilen. Zu dem Zeitpunkt, als diese Forderungen erhoben wurden, 2008, hatte dieses Institut ganze
14 Mitglieder. Auch heute scheint mir die angesprochene Breite noch nicht so zu sein, wie es nach unserem
Dafürhalten erforderlich ist.
Wir wollen als CDU/CSU-Fraktion dem Deutschen
Institut für Menschenrechte eine Grundlage schaffen, die
den Pariser Prinzipien voll und ganz entspricht.
({2})
Dieses Institut wirbt seit geraumer Zeit mit Nachdruck
für eine Beibehaltung seiner bestehenden Vereinsstruktur. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat sich diese Haltung bislang zu eigen gemacht. Eine solche Lösung halten wir nicht für
verfassungskonform; das sind unsere Bedenken. Der
Gesetzgeber darf nach Artikel 9 des Grundgesetzes eingetragenen Vereinen keine dauerhafte Regelung zur gesetzlichen Vorgabe machen, da so die Mitgliederversammlung des Vereins in ihrer Gestaltungsfreiheit
eingeschränkt würde. Da müssen wir sehen, wie wir einen Weg finden, die Inhalte und die Form kompatibel zu
machen.
({3})
Um dieses Problem zu vermeiden, haben wir eine andere Rechtsform vorgeschlagen. Vielleicht gibt es aber
auch noch andere Wege, die Dinge zu lösen; das will ich
gar nicht ausschließen.
Das dänische Menschenrechtsinstitut ist übrigens an
das Außenministerium angegliedert, ohne dass dies
durch das ICC kritisiert worden wäre. In Frankreich untersteht das Menschenrechtsinstitut dem Premierminister. Eine formale Angliederung an ein Ministerium bedeutet also prinzipiell keine unzulässige Einschränkung
der Unabhängigkeit des Instituts im Sinne der Pariser
Prinzipien.
({4})
Sonst dürfte das dänische Institut ja nicht den A-Status
haben; schließlich ist es dort beim Außenministerium
angesiedelt.
Wir schlagen das Auswärtige Amt deshalb vor, weil
dort bereits der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung angesiedelt ist. Somit könnte auch die Kompetenz im Bereich der Menschenrechte dort zusammengeführt, gebündelt werden.
({5})
Aber wir sind darauf nicht festgelegt. Grundsätzlich
wäre es für uns auch vorstellbar, das Institut an den
Deutschen Bundestag, an das Bundeskanzleramt oder
auch an ein anderes Ministerium anzugliedern. Da ist
eine Bandbreite vorhanden, über die man sich unterhalten kann.
Im Übrigen sind wir der Auffassung, dass man die
Menschenrechtssituation in Deutschland nur zutreffend
bewerten und konstruktiv kritisieren kann, wenn man die
nationale Situation mit der internationalen in eine Beziehung setzt. Das entspricht im Übrigen durchaus der Satzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Dort
heißt es in § 2 Ziffer 1:
Der Verein soll … über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland informieren …
Man hat in der Satzung gleich zu Beginn festgelegt, dass
beides zusammengehört, und so ist es ja auch.
Uns ist wichtig: Wir wollen die erforderliche Unabhängigkeit der Institution im Gesetz ausdrücklich festschreiben. Kein Mensch will dieses Institut bevormunden; niemand, auch wir nicht.
({6})
Die Basis der Mitglieder muss pluralistisch zusammengesetzt sein, sodass sich die Breite der Zivilgesellschaft
am Ende dort auch wiederfinden kann. Das Verfahren
für die Aufnahme in diesen Kreis muss auch transparent
sein und transparent gestaltet werden.
({7})
Im Einrichtungsbeschluss für das Institut, den alle
Fraktionen im Jahr 2000 mitgetragen haben, heißt es
wörtlich:
Die anwendungsorientierte Ausrichtung des Instituts befähigt es u. a., Vertreter von Politik und Gesellschaft in Menschenrechtsfragen zu beraten und
Handlungsstrategien zu empfehlen. Dies kann eigeninitiativ oder auf Anforderung geschehen.
Mancher regt sich darüber auf, dass wir sagen: Auch
die Bundesregierung kann dort Aufträge erteilen, wenn
sie etwas wissen möchte. - Das entspricht voll unseren
eigenen Vorstellungen.
Noch eine Bemerkung zum Schluss. Die Statusübersicht des ICC, das übrigens keine völkerrechtlich anerkannte Organisation ist - entgegen dem, was man landauf, landab leider viel zu häufig lesen kann; entgegen
dem, was rechtlich, formal vorhanden ist -, sondern lediglich ein Zusammenschluss nationaler Menschenrechtsinstitutionen, zeigt, dass der Status am Ende keinerlei Rückschlüsse auf die Menschenrechtslage in dem
betreffenden Land zulässt.
({8})
So sind zum Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Institutionen Afghanistans, Nigerias, Venezuelas, Aserbaidschans und Russlands, um nur einige Beispiele zu nennen, mit dem A-Status akkreditiert.
Nigeria! „Boko Haram“, sage ich da nur.
({9})
Das macht doch deutlich, dass die Situation eines Landes bezogen auf die Menschenrechte nicht am Status
eines Instituts zu messen ist. Die Institutionen von Österreich, Belgien, Schweden und Norwegen haben den
B-Status, und die Institution der Schweiz hat den C-Status.
Über den Erhalt des deutschen A-Status entscheiden
aktuell übrigens
({10})
Vertreter der nationalen Menschenrechtsinstitutionen aus
Kanada, aus Palästina, aus Mauretanien und aus Frankreich. Man könnte natürlich ironisch sagen, dass damit
faktisch die Hamas die Arbeit unseres Deutschen Instituts für Menschenrechte bewertet, und das will ich gar
nicht weiter kommentieren.
({11})
Wir streben nach wie vor eine zeitnahe Einigung an
und sind gesprächsbereit. Wir wollen das Institut auf
eine gute, sichere Grundlage, auf der es frei arbeiten
kann, stellen.
Danke schön.
({12})
Als nächste Rednerin hat Annette Groth von der Linken das Wort.
({0})
Verehrte Frau Steinbach, als Erstes möchte ich Sie
fragen: Wie lange wollen Sie denn noch verhandeln?
Wir verhandeln doch schon so lange,
({0})
und nie haben wir die Gelegenheit, diesen Antrag im
Menschenrechtsausschuss zu beraten, weil er von der
Regierungskoalition immer von der Tagesordnung genommen wird. Letzten Mittwoch war das das letzte Mal
der Fall.
Ich begreife es nicht. Uns rennt die Zeit davon; das
wissen Sie doch genauso gut wie ich. März ist der Termin - Herr Koenigs hat das alles sehr gut dargelegt -,
und wenn bis dahin das DIMR nicht auf eine gesetzliche
Grundlage gestellt ist, verlieren wir den A-Status. Das
wäre doch eine Schande, wo Deutschland doch gerade
den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat hat.
Ich will einmal aus einer Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zitieren:
Deutschland hat in menschenrechtspolitischen
Kreisen ein hohes Ansehen. Gelingt es nicht, eine
gesetzliche Grundlage für das Institut zu schaffen,
die seine Unabhängigkeit sichert, erfolgt die Rückstufung auf den B-Status. Nicht nur das DIMR,
auch die Bundesrepublik Deutschland - insbesondere vor dem Hintergrund, dass Deutschland im Januar d. J. den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat
übernommen hat - würde damit einen großen Reputationsverlust erleiden.
Ich denke, wir alle haben kein Interesse daran, diese
große Blamage auf uns zu nehmen. Geben Sie sich doch
bitte einen Ruck, liebe Kollegin Steinbach, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dem Antrag der Grünen,
der aus Ihrem Hause kommt, liebe SPD, zuzustimmen!
({1})
Ich möchte noch einen Takt zu A- und B-Status sagen. Immerhin 70 nationale Menschenrechtsinstitutionen weltweit haben den A-Status. Sie haben eben Nigeria angesprochen. Auch ich habe etwas gestutzt. Es ist
ein Institut, das eine unglaublich wichtige und gute Menschenrechtsarbeit in Nigeria leistet, in einem Land - Sie
haben es richtig gesagt -, wo Boko Haram Leute ermordet usw. usf. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Menschenrechtsinstitute, die den B-Status haben, wie Honduras, Bangladesch, Tschad und Algerien. Den B-Status
in der Schweiz habe ich auch gesehen. Für mich heißt
das, dass es auch dort gesetzliche Unregelmäßigkeiten
gibt. Der Status eines Menschenrechtsinstituts ist also
nicht gleichzusetzen mit der Lage der Menschenrechte in
den Ländern. Das muss man einmal klar sagen.
({2})
Ich verstehe auch nicht, warum Sie krampfhaft suchen, wo das DIMR angegliedert werden kann: Auswärtiges Amt, Bundestag oder Bundeskanzleramt. Ich sehe
darin keinen Sinn. Es muss unabhängig sein und eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Dann soll dieses
Institut bitte schön ohne Störungen aus der Politik weiter
arbeiten. Ich fürchte, dass es durch eine Anbindung an
das Auswärtige Amt oder anderswo die Unabhängigkeit
verlieren würde.
Es wird sehr häufig angeprangert oder kritisiert, dass
das DIMR sich eventuell zu sehr mit den Menschenrechtsverletzungen in Deutschland befasst. Dafür ist es
auch da. Wir können es doch nicht schönreden, wenn bei
uns Menschenrechtsverletzungen in Flüchtlingsheimen,
in Gefängnissen, in Pflegeheimen usw. usf. passieren.
({3})
Das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Dies steht auch in
den Pariser Prinzipien.
Noch einmal: Ich hoffe, dass Sie sich alle einen Ruck
geben und wir die kurze Frist, die uns noch bleibt, nutzen, um das DIMR auf eine gesetzliche Grundlage zu
stellen und seine Unabhängigkeit zu wahren.
Danke schön.
({4})
Als nächster Redner spricht Frank Schwabe.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Deutsche Institut für Menschenrechte genießt
höchstes Vertrauen von allen Institutionen in Deutschland, von Nichtregierungsorganisationen, von Verbänden aller Art, den Kirchen, aber auch von den Regierungsstellen, in dem, was es national tut, und zwar genau
so, wie es ist. Es genießt höchsten internationalen Respekt und hat die höchstmögliche internationale Reputation, ebenfalls genau so, wie es ist. Diese Reputation zu
gefährden, wäre ein menschenrechtspolitischer Frevel
und würde der Bundesrepublik Deutschland einen, wie
ich finde, nicht zu verantwortenden außenpolitischen
Schaden zufügen.
({0})
Mir fehlte die Fantasie, dass wir das am Ende fertigbringen könnten. Ich gehe davon aus, dass es in einer LastMinute-Aktion noch gelingt, den A-Status zu retten.
Hier im Hause gab es - das ist gerade deutlich gemacht worden - im Jahr 2000 für dieses Institut eine
breite politische Mehrheit über alle Fraktionen hinweg.
Ich gehe im Übrigen davon aus, dass diese breite politische Mehrheit auch jetzt in diesem Hause, vielleicht
nicht am Freitagnachmittag, grundsätzlich da sein
müsste.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte untersucht
zuvörderst die Menschenrechtslage im Inland. Genau
das ist die einem Menschenrechtsinstitut innewohnende
Logik. Erst dadurch wird es im Übrigen möglich, das,
was im internationalen Kontext an Menschenrechtsverletzungen stattfindet, wirksam zu kritisieren. Das Institut
muss selbst entscheiden, wo es den Finger in die Wunde
legt, was es in Deutschland untersucht. Selbst wenn oder
- man muss es vielleicht sogar andersherum sagen - gerade weil uns das manchmal nicht gefällt, muss das so
sein. Deswegen ist für uns, die Sozialdemokratie, vollkommen klar, dass der Vereinsstatus die richtige Lösung
ist und es dabei auch bleiben muss.
({1})
Wo stehen wir jetzt eigentlich? Es ist gerade umfänglich berichtet worden. Es gibt ein Überprüfungsgremium, das von den Vereinten Nationen eingesetzt ist,
und dieses fordert nun einmal eine gesetzliche oder verfassungsmäßige Grundlage. Wir wissen schon lange,
dass die Klärung dieser Frage ansteht. Es gibt dafür eine
Galgenfrist bis zum 16. März. Wenn wir die Frage bis
dann nicht klären, wird uns der sogenannte A-Status entzogen und damit zentrale Mitwirkungsrechte in den Gremien des UN-Menschenrechtsrats.
Es gibt dazu eine jahrelange Debatte in diesem Hause,
auch in vorherigen Koalitionen. Im Übrigen gibt es einen Koalitionsvertrag, bei dem ich davon ausgehe, dass
er eingehalten wird. Im Koalitionsvertrag heißt es:
Das Deutsche Institut für Menschenrechte soll eine
stabile Grundlage auf der Basis der „Pariser Prinzipien“ erhalten.
Das UN-Gremium selbst, von dem wir gerade geredet
haben, sagt, dass alle Pariser Prinzipien eingehalten werden - außer die gesetzliche Grundlage. Deswegen ist eigentlich relativ klar, was zu tun ist. Ich danke dem Bundesjustizminister dafür, dass er sich im Sinne des
Koalitionsvertrages auf den Weg gemacht hat, fleißig
war und einen Vorschlag vorgelegt hat, den die Grünen
abgeschrieben haben. Es ist aber auch nicht so kompliziert, weil es am Ende darum geht, ein gut funktionierendes Institut schlichtweg auf eine gesetzliche Grundlage
zu stellen. Wahrscheinlich hätten wir alle den Gesetzentwurf ganz gut selbst formulieren können.
({2})
Die gesamte versammelte Öffentlichkeit unterstützt
im Übrigen diesen Vorschlag;
({3})
ich kenne niemanden in der Öffentlichkeit, der ihn nicht
unterstützt. Es gibt ein Dutzend Briefe von allen Möglichen an alle Möglichen - über 60 Organisationen, darunter die 52 Mitgliedsorganisationen des Forums Menschenrechte. Deswegen kann ich ein Argument wirklich
nicht verstehen: dass das Institut nicht die Breite der Gesellschaft abbilden würde. Ich habe niemanden aus der
Breite der Gesellschaft gehört, der das Institut, so wie es
gerade konstituiert ist, kritisiert. Insofern kann ich das
Argument nicht nachvollziehen.
Wir haben Briefe von der EKD, von der Evangelischen Kirche in Deutschland, den deutschen Bischöfen,
dem Deutschen Roten Kreuz, dem Deutschen Behindertenrat, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Richterbund und dem Forum Menschenrechte
bekommen. Ich will nur aus dem Brief des Deutschen
Roten Kreuzes zitieren. Dort wird formuliert: Eine gesetzliche Grundlage ist die letzte verbliebene Voraussetzung für den Erhalt des sogenannten A-Status des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Auch hieran wird
bemessen, welchen Stellenwert Deutschland der Wahrung der Menschenrechte im In- und Ausland einräumt.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Rudolf Seiters.
({4})
Ich könnte auch ACAT, Aktion der Christen für die
Abschaffung der Folter, zitieren - ein kleiner, wichtiger
Verein, der sich in großer Sorge an den Bundestagspräsidenten gewandt hat, und zwar auf der Grundlage eines
christlichen Menschenbildes.
Wir haben schon den Vorsitz im Menschenrechtsrat
der Vereinten Nationen übernommen; auch das ist schon
angesprochen worden. Ich mag mir wirklich die Blamage nicht vorstellen, wenn wir während dieses Vorsitzes im Menschenrechtsrat den A-Status verlieren würden. Das wäre jedenfalls ein gefundenes Fressen für
genau die Länder, die sich den Menschenrechten eben
nicht verschworen haben; sie sind gerade zum Teil aufgezählt worden. Genau diese Länder würden sich darüber freuen, wenn wir diese Blamage erleiden würden.
Deshalb appelliere ich an alle miteinander in diesem
Haus - an die Bundesregierung und an uns selbst -, dies
zu verhindern, schon allein, weil wir aus Gründen der
Staatsräson allen Schaden von Deutschland mit seiner
außenpolitischen Rolle abwenden müssen.
({5})
Ich habe Dinara Yunus vor Augen; andere sind ja
auch Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung
des Europarats. Dinara Yunus ist die Tochter von Leyla
und Arif Yunus, die gerade in Aserbaidschan im Gefängnis sitzen. Man kann an den Vereinten Nationen vieles
kritisieren, etwa dass Saudi-Arabien im Menschenrechtsrat ist; aber es sind nun einmal die Vereinten Nationen. Folgendes Argument verstehe ich jedoch nicht:
Weil Aserbaidschan den A-Status hat und das wahr8482
scheinlich auch problematisch ist, sollten wir uns selbst
schwächen, indem wir uns, wenn wir nur noch den BStatus haben, nicht mehr äußern können, nicht mehr dem
Vertrauen von Dinara Yunus und anderen gerecht werden können? Das kann ich nicht nachvollziehen. Diese
Selbstbeschneidung ist falsch. Sie muss verhindert werden. Ich hoffe, dass wir den Schaden abwenden und
noch zu einer kurzfristigen Lösung kommen.
({6})
Als nächster Redner hat Dr. Fabritius von der CDU/
CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie es mich vorwegnehmen: Die Bewahrung und Förderung der Menschenrechte ist eine unserer vornehmsten
Aufgaben. Die Idee universeller, unteilbarer und unveräußerlicher Menschenrechte ist eine unserer größten Errungenschaften. Dass Sie, Herr Kollege Koenigs, der
Union sinngemäß ein distantes Verhältnis zu Menschenrechten unterstellen, ist eine bodenlose Frechheit.
({0})
Dort, wo Menschenrechte tatsächlich zur Geltung
kommen, haben sie ein nie dagewesenes Maß an Freiheit
und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen, aber auch
Vertrauen und Sicherheit geschaffen. Auch wenn - oder
gerade weil - das Schutzniveau der Menschenrechte in
unserem Land sehr hoch ist, bleibt es für uns eine Selbstverständlichkeit, ihre Einhaltung auch weiterhin zu sichern und, wo nötig, Verbesserungen vorzunehmen.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte wurde gegründet, um an dieser Aufgabe mitzuwirken. Seine Arbeit ist von hohem Wert für die Menschen in unserem
Land und darüber hinaus. Gerade deshalb ist es für uns
wichtig, das Institut auf eine stabile Grundlage auf Basis
der Pariser Prinzipien zu stellen. Daher haben wir das
auch genau so und nicht anders im Koalitionsvertrag
festgehalten.
({1})
Die Pariser Prinzipien fordern vor allem ein - ich zitiere - „in einem Dokument mit Verfassungs- oder Gesetzesrang klar festgelegtes Mandat, in dem ihre Zusammensetzung und ihr Zuständigkeitsbereich im einzelnen
beschrieben sind“. Notwendig sind weiter die gesetzlich
festgeschriebene Unabhängigkeit des Instituts sowie ich zitiere erneut - „Garantien für die pluralistische Vertretung der an der Förderung und am Schutz der Menschenrechte beteiligten gesellschaftlichen Kräfte ({2})“.
Die Pariser Prinzipien sagen uns auch ganz genau,
was dieses nationale Institut soll. Es hat unter anderem
die Aufgabe - Zitat - „in beratender Eigenschaft der Regierung, dem Parlament und jedem anderen zuständigen
Organ entweder auf Ersuchen der betreffenden Behörden oder in Ausübung ihrer Befugnis, von Amts wegen
tätig zu werden, Ansichten, Empfehlungen, Vorschläge
und Berichte zu allen die Förderung und den Schutz der
Menschenrechte betreffenden Fragen vorzulegen“. Genau das wollen wir.
Menschenrechtsinstituten, die derartige Kriterien erfüllen, wird der A-Status verliehen. Natürlich sollte es
auch das Ziel Deutschlands sein, diesen Status, den unser Institut schon seit 15 Jahren hat, weiterhin zu erhalten. Schließlich gehen mit diesem Status unter anderem
erweiterte Partizipationsrechte des Instituts im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einher - mehr
aber nicht.
Es ist ein Fehler, von der Klassifizierung eines Instituts auf die Menschenrechtslage in dessen Land zu
schließen. Die Kollegin Steinbach hat es bereits angesprochen. Auch Länder mit einer, vorsichtig formuliert,
eher bescheidenen Reputation, was die Wahrung von
Menschenrechten anbelangt, präsentieren Institute, die
mit diesem A-Status akkreditiert sind. Es sind schon Namen genannt worden: Mexiko, Aserbaidschan, Russland. Wenn sogar Länder wie Kamerun und Uganda den
A-Status verliehen bekommen,
({3})
dann ist dieser Status weder eine unmittelbare menschenrechtliche Referenz noch ein Ziel, dem man alles
andere zulasten einer genauen Regelung bedingungslos
unterordnen sollte.
({4})
Uns ist es wichtiger, das Deutsche Institut genau den
Pariser Prinzipien entsprechend aufzustellen - auch
wenn das noch ein paar Wochen dauert -, weil ein Ministerialentwurf in der parlamentarischen Wirklichkeit
zwar eine gute Diskussionsgrundlage sein kann, das Argumentieren und Kämpfen um die beste Lösung aber
mitnichten entbehrlich macht.
Bei Beurteilung der Statusfrage und deren Dringlichkeit sollte man sich auch anschauen, auf welche Weise
die Institutionen ihren jeweiligen Status zugesprochen
bekommen; auch das wurde bereits angesprochen. Dieser Status wird mitnichten von den Vereinten Nationen
verliehen, wie das auch heute ein paarmal falsch behauptet wurde. Das entscheiden die Institute nämlich selbst,
genauer gesagt die Mitglieder des ICC, einem Zusammenschluss der nationalen Menschenrechtsinstitutionen
mit A-Status. Stimmberechtigt sind laut Statut des ICC
nur die Länder mit A-Status. Russland, Aserbaidschan
und Uganda gehören also zu den Auserwählten, die über
diesen Status entscheiden.
Es gibt übrigens - auch das ist sehr interessant - eine
Reihe von Ländern, die einen ähnlich hohen Menschenrechtsstandard aufweisen wie Deutschland und deren InDr. Bernd Fabritius
stitute dennoch nicht mit dem A-Status akkreditiert sind.
Österreich hat nur einen B-Status, die Schweiz gar einen
C-Status. Einen eingehenden Vergleich der Schweiz mit
Aserbaidschan, Russland oder Uganda und ihrer jeweiligen Reputation im Bereich der Menschenrechte erspare
ich Ihnen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich sage es nochmals: Wir
wollen den A-Status erhalten,
({6})
damit unser deutsches Institut seinen vollen Handlungsspielraum behält und seine wichtige Arbeit weiterhin im
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zur Geltung
bringen kann. Wir wollen eine klare und den Pariser
Prinzipien entsprechende Struktur. Wir wollen ein Institut, das in seiner Arbeit unabhängig ist und dessen
Finanzierung klar und deutlich geregelt ist. Wir wollen
übrigens wirkliche Unabhängigkeit und verwechseln
diese nicht mit Einseitigkeit. Genau deswegen wollen
wir in den Gremien des Instituts die gesamte Bandbreite
unserer Gesellschaft gespiegelt sehen, wie es in den Pariser Prinzipien gefordert wird.
Das Institut soll seine Aufgabe mit einem klaren und
geschärften Blick nach Deutschland wahrnehmen, dabei
aber schon alleine aus Gründen der Vergleichbarkeit die
Augen vor der Situation in aller Welt nicht verschließen.
Das alles leistet Ihr Gesetzesentwurf, meine Damen und
Herren von den Grünen, nicht. Sie schreiben schon am
Anfang Ihres Entwurfes die Rechtsform eines eingetragenen Vereins fest
({7})
- ich komme noch dazu - und verkennen, dass aufgrund
der in Deutschland geltenden und mit Verfassungsrang
ausgestatteten Vereinsfreiheit die gewünschten Inhalte
so überhaupt nicht gesetzlich geregelt werden können.
Regelungsinhalte, wie die Pariser Prinzipien sie erfordern, sind in Vereinen der Entscheidung der Vereinsmitglieder in Mitgliederversammlungen vorbehalten und
können von diesen immer wieder geändert und nicht
etwa durch den Gesetzgeber verbindlich vorgegeben
werden; schon gar nicht in einem konkreten Einzelfall.
({8})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koenigs zu?
Aber gerne.
Herr Kollege, Sie haben am Anfang Ihrer Rede gesagt, dass der Vereinsstatus verfassungsrechtlich problematisch sei.
Genau.
Ist Ihnen bekannt, dass das Deutsche Rote Kreuz e. V.
auch eine gesetzliche Grundlage hat?
Selbstverständlich, lieber Herr Kollege. Das Deutsche
Rote Kreuz ist zwar ein Verein,
({0})
für den ein DRK-Gesetz verabschiedet wurde. Bei genauer Betrachtung erkennen Sie und auch der Kollege
Schwabe aber sehr schnell, dass darin keinesfalls Regelungen enthalten sind, die mit der für unser Institut geplanten stabilen Grundlage auch nur am Rande vergleichbar sind. Wir reden beim DRK-Gesetz von einem
sogenannten „Drei-Paragrafen-Finanzierungsgesetz“ - das
den Pariser Prinzipien überhaupt nicht entsprechen muss -,
in dem grob die Aufgaben umrissen, eine Finanzierung
angesprochen und der Zeichenschutz - das rote Kreuz
auf weißem Grund - geregelt sind; mehr nicht. So ein
Gesetz können Sie gerne haben.
({1})
Für eine vereinsrechtliche Lösung benötigen wir
überhaupt kein Gesetz, weil unser BGB, das Bürgerliche
Gesetzbuch, für Vereine bereits eine klare und ausreichende Rechtsgrundlage bietet.
Was Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf erreichen wollen, ist bestenfalls ein Feigenblatt, aber keine
stabile gesetzliche Grundlage. Eine solche wollen wir
aber unbedingt für unser Institut. Genau dafür laufen die
Gespräche in der Koalition. Ich bin zuversichtlich, dass
wir bald zu einer guten Lösung kommen,
({2})
die den Vorgaben der Pariser Prinzipien voll und ganz
entspricht.
Danke schön.
({3})
Als nächster Redner hat Johannes Fechner von der
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! In der Tat leistet das
Deutsche Institut für Menschenrechte seit über 15 Jahren
wichtige Arbeit. Es liefert umfassende Berichte und wird
von vielen gesellschaftlichen Organisationen geschätzt
und respektiert. Dabei räume ich ein, dass die Berichte
oft kritisch sind und ich nicht jeden Satz unterschreiben
würde; aber immer - und das ist ja die Aufgabe des Instituts - sind es fundierte und lesenswerte Beiträge zu
aktuellen Menschenrechtsthemen.
Gerade weil wir im Rahmen der Außenpolitik im
Ausland von vielen Staaten die Einhaltung der Menschenrechte fordern, wäre es eine große Blamage, wenn
ausgerechnet wir selbst den A-Status verlieren und das
Institut in die zweite Menschenrechtsliga absteigen
würde.
({0})
Lassen Sie uns diese Blamage alle gemeinsam verhindern.
Die SPD macht sich alles andere als klein, Herr Kollege Koenigs.
({1})
Wenn Sie wüssten, zu welchen Tageszeiten und wie intensiv wir mit unseren Freunden von der Union hierüber
verhandelt haben, dann wüssten Sie, dass wir schon eine
Menge verhindert haben,
({2})
insbesondere das Modell der öffentlich-rechtlichen Anstalt.
Wir brauchen also ein Gesetz, das die staatliche Unabhängigkeit des Instituts garantiert. Ich finde, zu Recht
hat der Deutsche Bundestag im Jahr 2000 das Deutsche
Institut für Menschenrechte als Verein gegründet, und
zwar mit Zustimmung aller Fraktionen im Bundestag.
({3})
Wenn nun die Tätigkeit des Instituts von den Verbänden
allseits gelobt wird, warum sollen wir dann diese Struktur, die sich in den letzten 15 Jahren bewährt hat, ändern?
({4})
Ich finde, es ist geradezu logisch, die Vereinsstruktur
beizubehalten. Deshalb war es richtig, dass in dem Gesetzentwurf des Justizministers vorgesehen war, das Institut als Verein fortzuführen. In der Ressortabstimmung
hatten alle Minister keine Einwände und haben zugestimmt. Ich war überrascht und habe kein Verständnis
dafür, dass dieser Gesetzentwurf im Kanzleramt gestoppt wurde.
({5})
Der Vorschlag der Union, eine Anstalt des öffentlichen Rechts im Auswärtigen Amt einzurichten, hilft
nicht. Ich glaube, das wäre der direkte Weg in den Entzug des A-Status; denn dann wäre das Institut der Fachund auch der Rechtsaufsicht unterworfen. Damit wäre es
nicht mehr unabhängig, was der Fall sein muss, wenn
wir die Pariser Prinzipien einhalten wollen.
({6})
Hinzu kommt, dass wir für die von Ihnen gewünschte
Schwerpunktverlagerung hin zur Auslandsbeobachtung
der Menschenrechtssituation, was sicherlich eine wichtige Aufgabe ist, andere Stellen haben, zum Beispiel den
Menschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt. Das
Deutsche Institut für Menschenrechte soll ja gerade nicht
nur die Menschenrechtssituation im Ausland beobachten, sondern seinen Schwerpunkt auf die Beobachtung
der Menschenrechtssituation in Deutschland legen.
({7})
Ich habe auch Zweifel, ob das Deutsche Institut für
Menschenrechte, wie es heute aufgestellt ist, personell
überhaupt in der Lage wäre, die von Ihnen gewünschten
weiteren Aufgaben, was die Prüfung der Menschenrechtssituation im Ausland angeht, zu übernehmen. Sie
müssten Vorschläge unterbreiten, wie Sie das Personal
aufstocken wollen.
Insbesondere nicht nachvollziehen kann ich den Einwand, dass hier ein Verstoß gegen das Vereinsrecht vorliegen soll - mal ganz abgesehen davon, dass das seit
15 Jahren problemlos funktioniert -; denn im Gesetzentwurf heißt es ausdrücklich, dass der Verein die deutsche
nationale Menschenrechtsinstitution ist,
({8})
wenn und solange der Verein die gesetzlich vorgegebenen Aufgaben wahrnimmt und die pluralistischen Vereinsstrukturen einhält. Das heißt, der Verein ist grundsätzlich frei. Er kann machen, was er möchte. Die
Mitgliederversammlung kann beschließen, was sie will.
Natürlich besteht das Risiko, dass Zuschüsse entzogen
werden, wenn sich der Verein von den vom Gesetzgeber
vorgesehenen Aufgaben abwendet. Aber ein Verstoß gegen die Vereinsfreiheit liegt hier auf keinen Fall vor.
({9})
Gerade weil wir von vielen Diktaturen in der Welt die
Einhaltung von Menschenrechten fordern und gerade
weil das Institut eine wichtige Funktion hat und von den
Verbänden allseits geschätzt wird, wäre der Verlust des
A-Status eine riesige Blamage für Deutschland. Ich apDr. Johannes Fechner
pelliere deshalb an die Union, die Blockade aufzugeben
- wir haben nicht mehr viel Zeit - und in den jetzt anstehenden Beratungen den Weg freizumachen für eine gesetzliche Grundlage für eine Institution, die seit vielen
Jahren hervorragend arbeitet, die wertvolle Arbeit leistet, als staatlich unabhängiger Verein. Liebe Frau
Steinbach, lassen Sie uns in diesem Punkt konservativ
sein: Bewahren wir Bewährtes.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/4089 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt, den Tagesordnungspunkt 20, auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni
2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie
2006/43/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates ({0})
Drucksache 18/4050
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Lange für die Bundesregierung das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn es um das Bilanzrecht geht, dann leiten
uns zwei große Ziele: erstens Transparenz für die interessierte Öffentlichkeit dort, wo es darauf ankommt, und
zweitens Abbau von unnötiger Bürokratie zur Entlastung
der Unternehmen. Mit dem Gesetzentwurf, der Ihnen
jetzt vorliegt, wollen wir die überarbeitete EU-Bilanzrichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Wir nehmen dieses Vorhaben zum Anlass, um, wie im Koalitionsvertrag
vereinbart, Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger
von unnötiger Bürokratie weiter zu entlasten.
Dazu nutzen wir die Spielräume, die die Richtlinie
uns bietet. Denn wir wollen die Erleichterungen bei der
Rechnungslegung möglichst vielen Unternehmen zukommen lassen. Wir erhöhen deshalb die Schwellenwerte, wie lange ein Unternehmen noch als klein gilt, um
20 Prozent. Damit schöpfen wir den Spielraum vollständig aus. Das wird rund 7 000 deutschen Mittelständlern
zugutekommen. Als kleine Unternehmen müssen sie
dann beispielsweise weniger Angaben in ihren Jahresabschlüssen machen, keinen Lagebericht aufstellen und
den Jahresabschluss auch nicht zwingend von einem Abschlussprüfer prüfen lassen. Wir entlasten kleine Unternehmen außerdem durch weitere Vereinfachungen bei
der Rechnungslegung. So streichen wir etwa die Pflicht,
bestimmte Angaben im Jahresabschluss zu machen.
Der Gesetzentwurf ändert im Übrigen das Handelsbilanzrecht, um mehr Transparenz zu schaffen. Die Vorgaben für Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse wollen wir harmonisieren und damit deren Vergleichbarkeit
erhöhen. Wir können dabei auf das 2009 grundlegend
modernisierte deutsche Bilanzrecht aufbauen.
Meine Damen und Herren, Erleichterungen bei der
Rechnungslegung schaffen wir aber nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für mehr als 2 000 Kleinstgenossenschaften. In den vergangenen Jahren haben sich
Genossenschaften als wichtige Rechtsform bürgerschaftlichen Engagements entwickelt. Dorfleben, Wohnprojekte oder die Förderung erneuerbarer Energie - all dies
wird heute auch in Form von Genossenschaften betrieben. Dieses Engagement wollen wir fördern und stärken.
Deshalb wollen wir mit diesem Gesetz in einem ersten
Schritt kleine Genossenschaften von unnötiger Bürokratie bei der Rechnungslegung entlasten.
Mit diesem Gesetzentwurf werden wir auch ein neues
Element in das Handelsbilanzrecht einführen. In Zukunft
sollen bestimmte große Rohstoffunternehmen offenlegen müssen, ob sie Geld an staatliche Stellen zahlen.
Dies soll für große Unternehmen gelten, die beispielsweise Öl, Gas oder Kohle fördern. Diese Regelung soll
vor allem rohstoffreichen Entwicklungs- und Schwellenländern helfen. Mehr Transparenz soll Korruption verhindern und für eine bessere Regierungsführung in diesen Ländern sorgen. Deutschland und die Europäische
Union insgesamt stehen damit an der Seite der USA und
Kanadas. Diese Länder haben für ihre Rohstoffunternehmen bereits vergleichbare Berichtspflichten eingeführt.
Wir haben uns bei diesem Gesetzentwurf darauf konzentriert, die EU-Bilanzrichtlinie umzusetzen. Ich weiß
sehr wohl, dass es noch andere Reformwünsche gibt.
Aber es gibt auch eine klare Vorgabe, bis wann wir diese
Richtlinie umzusetzen haben - um genau zu sein: bis
zum 20. Juli dieses Jahres. Deshalb sollten wir diesen
Gesetzentwurf jetzt zügig beraten, damit wir die Vorgabe
einhalten, vor allen aber, damit die Entlastungen für die
kleinen Unternehmen möglichst rasch in Kraft treten
können. Meine Damen und Herren, ich bitte um Unterstützung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Richard
Pitterle von der Linken das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In welches Unternehmen würden Sie
lieber investieren: in eines mit guten oder in eines mit
schlechten Zahlen? Doch wohl sicher in das mit den guten Zahlen. Ärgerlich nur, wenn diese guten Zahlen gar
nicht stimmen und Ihr Geld am Ende futsch ist, weil ein
Wirtschaftsprüfungsunternehmen geschönte Zahlen abgesegnet hat. Ich werde Ihnen gleich noch erklären, was
das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun hat.
Grundsätzlich soll mit dem heutigen Entwurf die EUBilanzrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden.
Im Großen und Ganzen geht es dabei darum, die Rechnungslegung von Unternehmen in der Europäischen
Union zu harmonisieren und teilweise auch zu vereinfachen, indem Standards vereinheitlicht werden. Von der
Maschinenbaufirma im Ländle über die kleine Whiskybrennerei in den schottischen Highlands bis hin zum
europaweit tätigen Großkonzern, künftig sollen alle Unternehmen auf der weiten Wiese des europäischen Binnenmarktes nach denselben Regeln spielen, insbesondere was ihre Jahresabschlussrechnungen angeht.
Damit sind wir schon bei einem springenden Punkt
und den eingangs erwähnten geschönten Zahlen: Denn
wenn man sich schon mit EU-konformen Regelungen zu
Jahresabschlüssen der Unternehmen in Deutschland beschäftigt, dann muss man sich dringend auch mit den immer wieder zutagetretenden Mängeln bei der Kontrolle
dieser Jahresabschlüsse durch die Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer auseinandersetzen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, hier haben
Sie nach wie vor Scheuklappen auf. Ich will es Ihnen
kurz erklären: Die Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer kontrollieren die Jahresabschlüsse und sitzen somit an einer Schlüsselstelle, wenn es um die Einschätzung des tatsächlichen wirtschaftlichen Zustands
eines Unternehmens geht. Hier liegt ein Problem: Die
Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer müssen
einerseits bei ihrer Tätigkeit objektiv sein, werden - paradoxerweise - andererseits aber von denen bezahlt, deren Rechnungen sie prüfen müssen und von denen sie
sich Folgeaufträge erhoffen oder versprechen. Vorsichtig
gesagt: Eine Interessenkollision liegt hier nicht fern, und
es besteht die Gefahr der Kungelei.
Schlecht ist auch, dass enorm viel Macht in wenigen
Händen liegt: Weltweit dominieren nämlich die sogenannten Big Four; das sind die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG, Ernst & Young, PricewaterhouseCoopers und Deloitte, die schon des Häufigeren
für Negativschlagzeilen gesorgt haben.
Nehmen wir einmal die Finanzkrise: Eine der Ursachen der Krise war, dass die Jahresabschlüsse verschiedener Banken von diesen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nur sehr mangelhaft geprüft wurden und
geschönte Zahlen am Ende zu einem Riesencrash geführt haben. Das sind leider keine Einzelfälle. Immer
wieder gibt es Kritik wegen der hier herrschenden Interessenkonflikte und daraus resultierenden Mängeln bei
der Prüfung. Ganz nebenbei: PricewaterhouseCoopers
zum Beispiel hat auch bei Steuerumgehungsmodellen
der Luxemburg-Leaks-Affäre kräftig mitgeholfen, Riesensummen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler am Fiskus vorbeizuschleusen. - Sehr vertrauenerweckend, nicht wahr?
Das größte Problem ist, dass es keine unabhängige
Aufsicht über die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfungsunternehmen gibt. Sowohl die Wirtschaftsprüferkammer
als auch die Abschlussprüferaufsichtskommission kranken an der Verquickung eigentlich streng zu trennender
Interessen. Immer wieder wurde das hier zuständige
Bundeswirtschaftsministerium darauf hingewiesen;
trotzdem hat die Bundesregierung seit Jahr und Tag
nichts unternommen, um für Abhilfe zu sorgen.
({0})
Auch die Antworten der Bundesregierung auf zwei kürzlich ergangene Anfragen der Linken zeugen vor allem
von Realitätsverweigerung. Angeblich sei alles in Ordnung, Interessenkonflikte gebe es nicht. Da kann ich nur
sagen: Wer’s glaubt, wird selig.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Die bestehenden Interessenkonflikte im Bereich der Wirtschaftsprüfung müssen abgestellt und die Unabhängigkeit der
Prüferinnen und Prüfer von den auftraggebenden Unternehmen sichergestellt werden. Es darf nicht sein, dass
wir uns nur mit der Harmonisierung der Zahlen der Jahresabschlüsse beschäftigen - da werden wir uns, glaube
ich, sehr schnell einig -, wir dürfen auch die Aufsicht
über diese Zahlen nicht aus dem Blick verlieren. Die
Linke wird dafür sorgen, dass dies nicht geschieht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Professor
Dr. Hirte von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer! Das Bilanzrecht steht nicht gerade auf
der Hitliste unserer Themen. Wir sind die Letzten am
Freitagnachmittag, und der Saal ist nicht mehr besonders
gefüllt. Das ist ziemlich traurig. Deshalb möchte ich eingangs sagen - fast würde ich sagen: vor allen Dingen
auch für die Zuhörer -, worum es bei Bilanzen eigentlich
geht. Herr Pitterle hat das im Übrigen auch schon ganz
ähnlich getan.
In erster Linie geht es darum, den Wert eines Unternehmens zu ermitteln und darzustellen; denn wir müssen
wissen, wie viel ein Unternehmen wert ist, um feststellen
zu können, ob es etwas an die Gesellschafter und die Arbeitnehmer ausschütten kann. Außerdem müssen wir
dies wissen, wenn die Anteile dieser Unternehmen gehandelt werden. Bei Aktiengesellschaften geht es in erster Linie um die Frage: Was ist die Aktie wert?
Früher haben wir hier - ich sage es einmal so - Erbsenzählerei betrieben. Wir haben alle Einzelteile addiert
- die Maschinen, die Schornsteine und die Grundstücke und gesagt: Das ist der Unternehmenswert. Nach dem
Bilanzrecht geht man auch heute noch so vor. Allerdings
wissen wir, dass der Unternehmenswert deutlich höher
ist als die Summe der Einzelteile. Deshalb nehmen wir
heute im Bilanzrecht selbstgeschaffene immaterielle
Vermögensgegenstände zur Kenntnis und beziehen die
Forschungs- und Entwicklungskosten ein. Das alles ist
richtig, weil es Teil einer - ich sage dies ganz bewusst Nachhaltigkeitsstrategie ist, zu der wir im Bilanzrecht
auch noch weitere Vorstöße erwarten. In diesem Zusammenhang - darüber diskutieren wir gerade - ist auch auf
die CSR-Richtlinie auf europäischer Ebene - die Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie - hinzuweisen,
die das einbeziehen wird.
Wichtig ist aber die Vergleichbarkeit der Werte, da
solche Unternehmensanteile auch grenzüberschreitend
gehandelt werden. Deshalb gibt es hierfür einen europäischen Rechtsrahmen - bislang in Form von zwei Richtlinien. Die eine regelt den Einzelabschluss, die andere
regelt den Konzernabschluss. Dieser Rechtsrahmen wird
in der schon angesprochenen EU-Bilanzrichtlinie zusammengefasst und ist aufgrund der Vergleichbarkeit
wichtig, und wir gehen bei manchen Punkten sogar noch
über die bestehenden internationalen Rechnungslegungsstandards für die Vergleichbarkeit hinaus.
Diese Zusammenfassung ist der Kern des Gesetzentwurfs; denn wir müssen die Richtlinie in deutsches
Recht umsetzen. Deshalb enthält der Gesetzentwurf
- dies muss man auch sagen - auch viele technische und
sprachliche Details.
Politisch wichtiger aber ist die Ausnutzung der Wahlmöglichkeiten und der Spielräume, die die Richtlinie eröffnet. Dazu hat Staatssekretär Lange ja schon einiges
gesagt. Wir wollen die Schwellenwerte des § 267 HGB
anheben, die der Abgrenzung von kleinen, mittelgroßen
und großen Kapitalgesellschaften dienen. Hinter diesen
Schwellenwerten stehen unterschiedlich intensive Prüfungsmaßstäbe und Offenlegungsstrategien. Das bedeutet: Dahinter stehen auch Kosten.
Man muss deutlich sagen: Wir brauchen Transparenz,
aber sie ist nicht umsonst zu haben. Bei einem großen
börsennotierten Unternehmen gehen die Jahresabschlusskosten in die Millionen. Herr Pitterle, es ist richtig, dass Sie richtige Zahlen und die Unabhängigkeit des
Abschlussprüfers wollen, aber wir müssen abwägen zwischen den Kosten, die das Ermitteln der richtigen Zahlen
auslöst, und dem Gewinn des Unternehmens, der für das
Ermitteln genau dieser richtigen Zahlen geschmälert
wird.
({0})
Unsere Abwägung geht hier einen Schritt weiter in die
richtige Richtung. Wenn die gesamten erwirtschafteten
Gewinne eines Unternehmens für die Eigenkontrolle
verwendet werden, dann ist das Unternehmen tot.
({1})
Wir heben deshalb die Schwellenwerte auf das EUweit höchstzulässige Maß an. Das bedeutet, wie gesagt,
eine deutliche Kostenersparnis. Für kleine Kapitalgesellschaften wird die Bilanzsumme von knapp 5 auf 6 Millionen Euro und die Umsatzgrenze von 9,7 auf 12 Millionen Euro angehoben. Für mittelgroße und große
Kapitalgesellschaften erhöht sich die Bilanzsumme von
19 auf 20 Millionen Euro, und die Umsatzerlöse steigen
auf 40 Millionen Euro.
Für Kleinstkapitalgesellschaften gibt es, so meint
man, eine Gegenentwicklung. Allerdings ist das meines
Erachtens eine sachliche Richtigstellung. Bestimmte
vermögensverwaltende Kapitalgesellschaften, in denen
es durchaus auch zu Missbrauch kommen kann, erhalten
- das ist ganz in Ihrem Sinne - keine Prüfungserleichterungen. Insgesamt - das sollte man deutlich sagen - geht
es für den deutschen Mittelstand um eine Kostenersparnis von circa 90 Millionen Euro. Vielen Dank für den
Vorschlag.
({2})
Im Zusammenhang mit diesen Zahlen gibt es eine
ganze Reihe von technischen Einzelheiten. Bestimmte
Angabepflichten - darauf möchte ich hinweisen - werden für die kleinen Kapitalgesellschaften entfallen. Umgekehrt gesagt - damit sind wir wieder bei der größeren
Richtigkeit von Zahlen, aber auch bei den damit verbundenen Kosten -: Für die großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften werden weitere Angabepflichten eingeführt. Wir steigern in diesem Punkt die Transparenz.
Deshalb müssen wir bei den kleinen Kapitalgesellschaften, die uns am Herzen liegen, die Angabepflichten ein
bisschen verringern.
Ich möchte eine Querbemerkung dazu machen, weil
wir das im Moment diskutieren: Stichwort „Frauenquote“. Wir wollen die Angaben im Zusammenhang mit
der Frauenquote in den Lagebericht aufnehmen. Ich
selbst habe das vor einiger Zeit vorgeschlagen und halte
das für richtig. Man muss auch hier dazusagen: Das löst
gewaltige Kosten aus. Aber wir müssen eben genau
diese Abwägung vornehmen. An dieser Stelle zeigt sich,
dass wir im Wege des politischen Prozesses versuchen,
ein richtiges Maß zwischen diesen Kosten und dem Informationszugewinn zu erreichen.
Was ist sonst noch? Die Transparenz bei den Kapitalgesellschaften & Co. - das ist die GmbH und Co. - wird
erhöht. Dadurch wird die Vergleichbarkeit mit der Kapitalgesellschaft verbessert. Für diejenigen, die sich ein
bisschen mit Bilanzrecht beschäftigt haben: Die Angaben unter dem Strich - das sind die sogenannten Eventu8488
alverbindlichkeiten - werden in den Anhang verschoben.
Was den Konzernabschluss angeht, bleibt die phasengleiche Gewinnvereinnahmung zulässig. Das bedeutet,
ein Gewinn kann auf der Obergesellschaftsebene schon
zu dem Zeitpunkt vereinnahmt werden, wenn dieser auf
der Untergesellschaftsebene eingegangen ist, obwohl er
eigentlich erst im nächsten Jahr verzeichnet wird. Aber
aus Gläubigerschutzgründen wird dort eine Ausschüttungssperre vorgesehen. Ob das möglicherweise gesellschaftsrechtlichen Folgeanpassungsbedarf nach sich
zieht, wird man sehen müssen.
Von der Einführung neuer Berichtspflichten für den
Rohstoffsektor aus Gründen der Korruptionsvermeidung
haben wir schon gehört. Meine Kollegin Launert wird
das wahrscheinlich gleich ein bisschen intensiver ansprechen.
Kein Gesetzentwurf ohne Verbesserungsmöglichkeiten, auch wenn mir bewusst ist, dass das Verfahren relativ schnell gehen soll. Da möchte ich nur drei Punkte ansprechen.
Erstens. Der Begriff der Umsatzerlöse soll, zurückgehend auf die Richtlinie, neu definiert werden. Dabei soll
einerseits die Umsatzsteuer ausgeklammert werden, andererseits aber - das ist hier entscheidend - die bisherige
Beschränkung auf die für die gewöhnliche Geschäftstätigkeit typischen Umsätze fallen gelassen werden.
Daran, dass das wirklich die Vergleichbarkeit in der
Zahlenabfolge und der Zeitfolge fördert, habe ich gewisse Zweifel, obwohl ich sehe, dass die Richtlinie genau dies so vorgibt. Darüber, ob man hier möglicherweise eine höhere Transparenz im Sinne eines
Vergleichs zwischen dem, was aus der normalen Geschäftstätigkeit in Abgrenzung von den anderen Umsätzen erzielt wird, erreichen kann, sollten wir reden.
Zweitens. Man wird weiter darüber nachdenken müssen, ob man bei den Offenlegungsanforderungen im
Rahmen der von der Richtlinie vorgegebenen Wahlrechte für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen
nicht noch etwas nachsteuern kann. Bei aller Sympathie
für Transparenz: Es ist ganz sicher nicht im Sinne deutscher Unternehmen, wenn man auf der ganzen Welt mit
einem Mausklick - so ist es im Augenblick - durch Abrufen der Daten des elektronischen Bundesanzeigers
sämtliche Angaben des Lageberichtes nachverfolgen
kann.
Dabei geht es nicht nur um die gerade schon zitierten
Daten zur Geschlechterparität oder Gleichbehandlung,
die vielleicht in irgendeiner Form aufgenommen werden,
sondern es geht vor allen Dingen darum, dass der Lagebericht zukunftsorientierte Daten umfasst und damit
letztlich auch die Geschäftsidee des Unternehmens in
sehr großer Weise offenlegt. Darüber, ob das wirklich in
der Weise offengelegt werden muss, wie wir das im Augenblick im Entwurf vorsehen, werden wir reden müssen.
Drittens. Tochtergesellschaften sind unter bestimmten
Voraussetzungen von der Pflicht zur Aufstellung eines
Einzelabschlusses befreit, wenn sie in den Konzernabschluss ihrer Mutter einbezogen sind. Eine der Voraussetzungen ist, dass die Mutter die Verluste der Tochter
übernimmt. Hier könnte man den Text des Gesetzentwurfes so lesen, dass es dabei möglicherweise zu einer
Verschärfung gegenüber dem geltenden Recht kommt.
Ich habe Zweifel, ob das so gewollt ist und ob es, wenn
es so gewollt sein sollte, den hiervon betroffenen Unternehmen wirklich dient.
Das alles wollen wir gemeinsam beraten. Ich freue
mich auf die gemeinsamen Beratungen.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Gambke
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte verbliebene Kolleginnen
und Kollegen am späten Freitagnachmittag!
({0})
Liebe Besucherinnen und Besucher! Ich bin Herrn Professor Hirte ausdrücklich dankbar für seine einleitenden
Worte, in denen er darauf aufmerksam gemacht hat, dass
wir bei einem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Bilanzrichtlinie wohl kein spannendes, aber ein sehr wichtiges Thema zu erwarten haben. Und ich muss sagen:
Nach dem Vortrag des Staatssekretärs Lange konnten
wir eigentlich auch fast gar nichts Wichtiges erwarten.
Er hat sich zwar auf einen wichtigen Aspekt, aber auch
nur auf einen Teilaspekt, nämlich das Thema Bürokratie,
konzentriert.
Wir haben ja heute Morgen viel von Europa gehört.
Gemeinsame Grundlagen für eine europäische Wirtschaftsordnung haben eine ganz große Bedeutung für
uns; denn sie schaffen eine größere Transparenz bei der
Beurteilung und Bewertung von Wirtschaftsunternehmen in Europa - ebenso in Griechenland wie in allen anderen Ländern. Insofern hat eine solche Bilanzrichtlinie
eine sehr große Bedeutung.
Denken wir zum Beispiel daran, dass wir uns in
Europa seit zehn Jahren bemühen, eine gemeinsame
konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage
zu schaffen, es aber immer wieder heißt, dass wir das
nicht tun können, weil die Rechnungslegungsvorschriften in den einzelnen EU-Ländern so unterschiedlich
sind, also ein Unternehmen in Frankreich anders bilanziert als eins in Deutschland oder Portugal oder Griechenland. Im Hinblick auf die Schaffung einer solchen
gemeinsamen Basis hätte ich mir auch von unserer nationalen Seite mehr Initiative gewünscht, als sich nur daDr. Thomas Gambke
rum zu sorgen, möglichst schnell - der Termin ist natürlich vorgegeben - die EU-Bilanzrichtlinie umzusetzen.
Das heißt, wir werden mit Sicherheit im Zuge der Beratungen dieses Gesetzentwurfs noch einmal prüfen, an
welchen Stellen weitere Änderungen notwendig sind,
um eine gemeinsame Basis zu schaffen, die wir in Europa dringend brauchen, oder um zum Beispiel einem
schädlichen Steuerwettbewerb - davon reden im Moment ja viele - einen Riegel vorzuschieben. Eine solche
Maßnahme hat also eine große Bedeutung in Richtung
Europa.
Eine zweite Maßnahme mit großer Bedeutung - die
ist ein bisschen untergegangen; auch weil sie von
Deutschland in Brüssel eher gebremst als gefördert
wurde - sind länderbezogene Offenlegungspflichten.
Worum geht es denn bei den jetzt geforderten Offenlegungspflichten im Rohstoffsektor? Es geht darum, dass,
wie wir wissen, zwar viele Konzerne in anderen Ländern
Geld bezahlen, damit sie bestimmte Rohstoffe ausbeuten
können, aber nicht so, wie wir uns das vorstellen, also
nicht an den Staat, der damit in die Lage versetzt würde,
öffentliche Daseinsvorsorge zu betreiben, sondern an
korrupte Beamte. Genau das will Europa nicht. Übrigens
waren wir in Deutschland in diesem Punkt leider keine
Förderer, sondern eher Bremser. Ich freue mich sehr,
dass wir diese länderbezogenen Offenlegungspflichten
für Rohstoffe nun endlich auch in Deutschland umsetzen.
({1})
Der dritte wichtige Punkt ist die Bürokratie. Richtig,
wir freuen uns über die Entlastung von Kleinstgenossenschaften, von kleinen Kapitalgesellschaften. Das ist
schon detailliert ausgeführt worden. Dazu hat auch
Staatssekretär Lange Ausführungen gemacht. Wir müssen aber natürlich auch die andere Seite sehen. Rohstoffintensive Industrien - der Normenkontrollrat hat das angemerkt - werden mit zusätzlichen Kosten in Höhe von
jährlich 29 Millionen Euro und einem Einmalaufwand in
Höhe von 110 Millionen Euro belastet. Da schreckt man
erst mal zurück. Der Normenkontrollrat hat in seinen abschließenden Bemerkungen geschrieben, dass man sich
das sorgfältig anschauen muss.
Mir ist dabei Folgendes aufgefallen: Es gibt zwar einen erheblichen Aufwand aufseiten der Unternehmen,
aber es gibt - so ist es angegeben - keinerlei Aufwand
bei staatlichen Stellen. Gestern war ich im Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsministerium. Da haben
wir darüber geredet, welche Daten alle an den Staat geliefert werden. Aber - das sage ich mit Blick auf meine
eigene unternehmerische Vergangenheit - niemand sieht
sich die an. Genau das steht in diesem Gesetzentwurf:
29 Millionen Euro Aufwand - aber kein Aufwand bei
den Verwaltungen. Was passiert also? Lochen, abheften
und vergessen. Genau das wird aber gerade durch die
Richtlinie nicht bezweckt. Es geht vielmehr darum, eine
Kontrolle sicherzustellen.
Übrigens beträgt das zu verhängende Ordnungsgeld
maximal 50 000 Euro. Man sollte sich da einmal vor Augen führen, dass zum Beispiel in Papua-Neuguinea für
die Ausbeutung einer Goldmine mehrere Millionen an
Schmiergeldern bezahlt werden. Da mag es sein, dass
ein Unternehmen nicht berichtet und lieber 50 000 Euro
zahlt, um sich damit der Berichtspflicht zu entledigen.
Auch da müssen wir noch einmal genau hinschauen.
Meine Damen und Herren, es ist also kein Gesetz, bei
dem man so einfach zur Tagesordnung übergehen kann.
Sicher ist, dass wir das Verfahren jetzt erst einmal kritisch begleiten und das Gesetz im Hinblick auf den Termin auch durchbringen werden. Wenn ich hier in die
Runde schaue, dann muss ich aber sagen: Es kann nicht
nur Aufgabe der Juristen sein, das zu tun,
({2})
sondern wir müssen auch ein Stück weit unsere Wirtschafts- und Finanzkompetenz einbringen, damit wir daraus wirklich ein ordentliches Gesetz machen. Vor allen
Dingen müssen wir dabei auch noch die nächsten
Schritte definieren, um bei allen drei Aspekten - Europa,
Offenlegungspflichten und Bürokratieabbau - weiterzukommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dr. Launert
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ja, es ist ungewöhnlich, dass eine Frau redet, aber da Sie sich ja sonst auch
immer für die Frauenstärkung einsetzen, sollten Sie das,
denke ich, begrüßen und eine Frau auch mit „Frau“ anreden.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf enthält auf 100 Seiten zahlreiche
Änderungen im HGB, im Aktiengesetz, im GmbH-Gesetz, im Publizitätsgesetz usw. Man kann also sagen: ein
Rundumschlag quer durch die unternehmerische Gesetzeslandschaft. Hintergrund ist die Umsetzung der EUBilanzrichtlinie.
Seit nunmehr fast 30 Jahren hat es sich Europa zur
Aufgabe gemacht, durch den Abbau von Handelshemmnissen grenzüberschreitend Geschäfte zu fördern und
Märkte in Europa zusammenwachsen zu lassen. Ein
wichtiges Mittel hierfür ist die Rechtsangleichung. Die
EU-Richtlinie, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen, hat genau das zum Ziel. Es soll zu einer
Rechtsangleichung bei Jahres- und Konzernabschlüssen
kommen. Bezweckt ist eine Harmonisierung im Bereich
der Rechnungslegung. Dadurch möchte man zum einen
eine höhere Vergleichbarkeit erreichen, zum anderen
aber auch eine Stärkung des Vertrauens.
Man glaubt es nicht, aber auch europäische Unternehmen sind an Korruption beteiligt. Insofern ist es wichtig
- das wurde in dem vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt -, dass man gezielt bei der Rechnungslegung ansetzt und so versucht, Korruption zu bekämpfen. Das
machen wir; das geschieht durch die Einführung einer
Berichtspflicht für große Unternehmen und Unternehmen im öffentlichen Interesse im Bereich der Rohstoffindustrie und der Primärwaldforstwirtschaft.
Es ist geplant, dass künftig jedes Jahr ein Bericht zu
erstellen ist, in dem aufgeführt ist, welche Gelder an öffentliche bzw. staatliche Stellen gezahlt werden. Denn
leider muss, wie schon angesprochen, in manchen Ländern der Welt Geld an die Verwaltung bezahlt werden,
damit überhaupt etwas passiert. Durch diese Regelung,
die ich begrüße, kann man Transparenz fördern und Korruption bekämpfen.
Allerdings ist bei zu viel Transparenz auch Vorsicht
geboten.
Ich bedaure, dass man in einem Punkt den Spielraum
der Richtlinie im vorliegenden Entwurf noch nicht genutzt hat. Da geht es um die in Deutschland derzeit verpflichtende Offenlegung des Lageberichts. In Deutschland ist dies nicht nur für kapitalmarktorientierte
Unternehmen, sondern auch für zahlreiche mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen verpflichtend. Man muss sagen: Wenn der Lagebericht so veröffentlicht werden muss, dass Konkurrenten durch einen
Klick online die Unternehmenszahlen und Entwicklungsperspektiven sehen können, ist das ein entscheidender Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen.
({1})
Vor diesem Hintergrund würde ich mir wünschen, dass
wir den Spielraum, den die Richtlinie an dieser Stelle
bietet, ausnutzen - Frankreich hat zum Beispiel eine andere Regelung - und die Veröffentlichung des Lageberichts nur bei kapitalmarktorientierten Unternehmen verlangen.
({2})
- Ich kann sagen: Die Amerikaner haben sowieso einen
riesigen Wettbewerbsvorteil, weil die dortigen Unternehmen noch nicht einmal ihre Geschäftszahlen veröffentlichen müssen. Insofern: Setzen wir uns wenigstens für
unsere deutschen Unternehmen ein.
({3})
Eine der größeren Errungenschaften ist natürlich
- das ist schon mehrfach angesprochen worden - die
Anhebung der Schwellenwerte. Das betrifft die Frage:
Wann ist ein Unternehmen, eine Kapitalgesellschaft
klein, wann mittelgroß, wann groß? Das ist natürlich
ganz erheblich. Wir nutzen hier den Spielraum der
Richtlinie. Wir setzen das hoch; die Zahlen sind schon
genannt worden. Die Bilanzsumme für ein kleines Unternehmen soll von derzeit knapp 5 Millionen Euro auf
6 Millionen Euro erhöht werden; der Schwellenwert bei
den Umsatzerlösen, der derzeit bei knapp 10 Millionen
Euro liegt, soll auf 12 Millionen Euro aufgestockt werden.
Wir erhöhen hier also die entsprechenden Schwellenwerte um ungefähr 20 Prozent und nutzen damit den
Spielraum, den uns die Richtlinie bietet, voll aus. Das ist
positiv, weil dadurch viele Unternehmen in Deutschland
künftig kleine Kapitalgesellschaften sind und nicht mehr
mittelgroße. Das bedeutet für viele Unternehmen Entlastung bei der Bürokratie, auch Geldersparnis. Ich denke,
das wollen wir doch alle, oder? Letztlich wissen wir alle,
dass die mittelständischen Unternehmen die tragende
Säule unserer Gesellschaft sind; sie schaffen immerhin
zwei Drittel aller Arbeitsplätze.
Insofern freut es mich ganz besonders, dass wir aus
Europa, also aufgrund einer EU-Richtlinie, einmal so
richtig schöne Anhaltspunkte für eine Entbürokratisierung haben.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat nun Metin Hakverdi von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Bevor ich beginne, möchte ich von dieser Stelle aus dem
Geburtstagskind Christian Lange, dem Parlamentarischen Staatssekretär, alles Gute zum Geburtstag wünschen. Ich wünsche ein schönes Wochenende. Feiere
gut!
({0})
In der Sache haben wir schon viel Richtiges gehört.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Umsetzungsgesetzes soll die EU-Bilanzrichtlinie aus dem Juni 2013 umgesetzt werden. Wir sind bei der Umsetzung in nationales Recht unter Zeitdruck; das wurde hier schon gesagt.
Bis zum 20. Juli dieses Jahres muss die Richtlinie umgesetzt worden sein.
Mit dieser Richtlinie wird eine weitere Harmonisierung des Rechtsrahmens der Rechnungslegung im europäischen Binnenmarkt vorgenommen. Die Umsetzung
erfordert, dass zahlreiche Gesetze, insbesondere das Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch, geändert werden. Mit dieser Gesetzesänderung wird den kleinen und
mittelständischen Unternehmen in unserem Land das
Leben erleichtert.
Ein wesentlicher Baustein dieser Gesetzesänderung
ist die Anhebung von Schwellenwerten bei der Klassifizierung der Größenklassen nach Handelsrecht. Die Kapitalgesellschaften werden im Handelsgesetzbuch nach
Größenklassen, nämlich in kleine, mittelgroße und große
Unternehmen, unterteilt. Die Eingruppierung als kleine,
mittelgroße oder große Kapitalgesellschaft hat Auswirkungen auf den bürokratischen Aufwand, der bei Aufstellung und Prüfung der Bilanz zu beachten ist. Vereinfacht gesagt: Die Anforderungen an die Aufstellung und
Prüfung der Bilanzen nehmen zu, je höher die Kapitalgesellschaft eingruppiert wird.
Angehoben werden die Schwellenwerte - das ist hier
schon gesagt worden - für diese Eingruppierung in die
drei Größenklassen hinsichtlich der Merkmale Bilanzsumme und Umsatzerlöse. Für kleine Kapitalgesellschaften wird der Schwellenwert bei der Bilanzsumme
von 4,84 Millionen Euro auf 6 Millionen Euro erhöht,
für mittelgroße Kapitalgesellschaften auf 20 Millionen
Euro. Die Schwellenwerte für das Merkmal Umsatzerlöse
werden für kleine Kapitalgesellschaften von 9,68 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro erhöht und für mittelgroße Kapitalgesellschaften auf 40 Millionen Euro.
Die Schwellenwerte für die Befreiung von den Konzernrechnungslegungspflichten werden ebenfalls angehoben. Das Merkmal Bilanzsumme wird dort auf
20 Millionen bzw. 24 Millionen Euro erhöht, das Merkmal Umsatzerlöse auf 40 Millionen bzw. 48 Millionen
Euro.
Diese Anhebung der Schwellenwerte führt im Ergebnis dazu, dass circa 7 000 Unternehmen, die bisher als
mittelgroß eingestuft wurden, nunmehr als kleine Kapitalgesellschaften gelten. Für diese Unternehmen bedeutet das eine erhebliche Entlastung. Zum Beispiel müssen
kleine Kapitalgesellschaften - das ist hier ebenfalls bereits gesagt worden - ihren Jahresabschluss anders als
mittelgroße Kapitalgesellschaften nicht extern von einem Wirtschaftsprüfer prüfen lassen. Das ist eine große
Erleichterung. Im Übrigen sind auch die Offenlegungspflichten kleiner Kapitalgesellschaften generell geringer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung von
Schwellenwerten beschränkt sich also nicht bloß auf die
Änderung von Zahlenwerten. Es handelt sich um eine
handfeste Mittelstandsförderung. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen werden hinsichtlich ihrer
Bilanzierungspflichten signifikant entlastet.
({1})
Der Mittelstand, also die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind tragende Säulen unserer Wirtschaft. Wirtschaftspolitik - ob nun auf europäischer
Ebene oder auf Bundesebene - muss bei der Gesetzgebung besonders auf die Interessen des Mittelstandes achten. Die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes hängt
maßgeblich vom Erfolg unserer kleinen und mittelständischen Unternehmen ab.
Der bürokratische Aufwand, der den Unternehmen im
Allgemeinen und den kleinen und mittelständischen Unternehmen im Besonderen aufgebürdet wird, muss in einem angemessenen Verhältnis zum bezweckten Ziel stehen. In diesem Sinne ist der vorhandene Rechtsrahmen
immer wieder zu evaluieren und gegebenenfalls auch anzupassen.
Abschließend will ich auf eine sehr wichtige Neuerung hinweisen, die hier auch schon angesprochen
wurde. Dabei geht es um die Korruptionsbekämpfung
innerhalb der Europäischen Union. Unternehmen aus
Europa beziehen Mineralien, Öl oder Holz zumeist aus
Entwicklungs- und Schwellenländern. Für den Abbau
dieser Rohstoffe werden an die jeweiligen Regierungen
Zahlungen geleistet, und zwar in Form von Steuern,
Konzessionsabgaben oder Lizenzabgaben. In einigen
dieser Länder versickern diese Einnahmen jedoch durch
Korruption und Steuerflucht oder werden sogar zur Finanzierung von militärischen Konflikten genutzt. Das
führt dazu, dass der vorhandene Rohstoffreichtum der
Bevölkerung des jeweiligen Landes nicht zugutekommt.
Durch diese Richtlinie wird - das ist im Entwurf des
Umsetzungsgesetzes berücksichtigt worden - eine Informationspflicht für Unternehmen geschaffen, die im Bereich der Mineralgewinnung - das sind vor allem die Bereiche Erdöl- und Erdgasförderung sowie Bergbau tätig sind. Nach Angaben des Bundesministeriums für
Justiz und Verbraucherschutz sind in Deutschland circa
60 Unternehmen betroffen. Die betroffenen Unternehmen müssen einen jährlichen Zahlungsbericht erstellen.
Darin sind Zahlungen ab 100 000 Euro aufzuführen, die
an staatliche Stellen geleistet wurden. Der Zahlungsbericht ist nach Staaten zu gliedern und projektbezogen zu
prüfen.
Durch diese Offenlegungspflicht werden den Menschen in den ressourcenreichen Ländern Informationen
zur Verfügung gestellt, mit denen sie vor Ort Korruption
aufdecken können. Sie können aber auch die Regierung
dazu verpflichten, die Einnahmen aus dem Geschäft mit
den Rohstoffen für Entwicklungsförderung einzusetzen.
Zumindest müssen die jeweiligen Stellen erklären können, was mit dem Geld aus dem Rohstoffhandel passiert
ist.
Das Gesetz wird langfristig gute Regierungsführung
und verantwortungsvolles wirtschaftliches Handeln von
Unternehmen in Entwicklungsländern fördern. Mit dem
Umsetzungsgesetz wird damit auch ein wichtiger Beitrag in der Entwicklungshilfepolitik geleistet.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Herzlichen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Ich will aber auch im Namen des Hauses ausdrücklich
dem Parlamentarischen Staatssekretär ganz herzlich zum
Geburtstag gratulieren. Es tut mir leid, dass ich das vorhin versäumt habe. Umso herzlicher ist der Glückwunsch gemeint. Ich hoffe, Sie können den Rest des Tages mit Freunden und mit der Familie feiern.
({0})
Damit das auch möglich ist, machen wir jetzt Schluss.
Zuvor müssen wir aber noch eine Sache abarbeiten.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4050 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu
gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist das so
beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. März 2015, 13.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende
und dir, lieber Christian, eine richtig schöne, gute Feier.