Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/27/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beginnen die heutige Tagesordnung mit dem Zusatzpunkt 4: Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; Verlängerung der Stabilitätshilfe Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität zugunsten der Hellenischen Republik Drucksachen 18/4079, 18/4093 Über diesen Antrag der Bundesregierung werden wir am Schluss der Debatte namentlich abstimmen. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben jeweils einen Entschließungsantrag angekündigt. Diese werden vermutlich gerade gedruckt und sind dann an den bekannten Stellen einzusehen bzw. mitzunehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die ich als Bundesfinanzminister vom Deutschen Bundestag erbitte, ist eine Entscheidung, die keinem Abgeordneten des Deutschen Bundestages leichtfällt. Es geht - das muss man am Anfang dieser Debatte sagen - um das zweite Hilfsprogramm für Griechenland, zu dem der Deutsche Bundestag am 27. Februar 2012 seine Zustimmung erteilt hat. Es geht darum, die Laufzeit dieses Programmes, das eigentlich Ende vergangenen Jahres abgeschlossen sein sollte, um weitere vier Monate zu verlängern. Wir haben im Dezember zugestimmt, es um zwei Monate zu verlängern. Es geht nicht um neue Milliarden für Griechenland, es geht nicht um irgendwelche Veränderungen in diesem Programm, sondern es geht darum, zusätzliche Zeit zur Verfügung zu stellen, einzuräumen, um dieses Programm erfolgreich abzuschließen. ({0}) Die Diskussion vor und nach der Wahl in Griechenland hat diese Entscheidung nicht einfacher gemacht, auch nicht die Diskussion in den letzten Tagen und Stunden, um auch dies mit aller freundlichen Zurückhaltung zu sagen. Die Ankündigung, dieses Programm nicht erfüllen zu wollen, kein Programm zu brauchen, ist legitim, aber sie macht es nicht leichter, einer Verlängerung des Programmes zuzustimmen. Natürlich muss man, wenn man eine Verlängerung des Programmes will, zunächst einmal sagen, dass man am Programm festhalten will. Dazu hat es einige Wochen intensiver Beratungen und Debatten gegeben. Grundlage des Antrags, den ich an den Deutschen Bundestag gerichtet habe, ist die Erklärung der griechischen Regierung, ohne jede Vorbehalte, ohne jede Einschränkungen dieses Programm erfüllen zu wollen. Das ist das, was Griechenland in der gemeinsamen Erklärung der Euro-Gruppe so akzeptiert hat, die Grundlage für den Antrag ist. Auch daran muss festgehalten werden. Klar ist - auch darüber ist viel in Deutschland, in Griechenland, in Europa diskutiert worden -: Wir sind alles Demokratien. Griechenland hat einen Wahlkampf geführt. Das griechische Volk hat eine klare Wahlentscheidung getroffen. ({1}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dessen, was die Menschen in Deutschland und wir alle, jeder von uns, bei dieser Debatte empfinden, bin ich heute gar nicht so richtig - wie sonst - zu Scherzen aufgelegt, um auch das ganz ruhig zu sagen. ({2}) Griechenland hat in einer erstaunlich schnellen Weise - wir hätten uns das gar nicht vorstellen können - nach dem Wahlergebnis eine neue Regierung gebildet. Diese Regierung hat zunächst Ankündigungen getroffen, von denen sie inzwischen gesagt hat, sie wolle sie nicht umsetzen, sondern sie wolle das Programm erfüllen, am Programm festhalten. Das ist die Erklärung, die wir am 19. Februar nach mühsamen Verhandlungen zustande gebracht haben. Es gab in diesem Programm natürlich immer die Überprüfung - das war in jedem Quartal die gleiche Situation -, ob ein Programmland - in diesem Fall Griechenland; wir haben ja fünf Programme gehabt - das erfüllt hat, was es tun muss. Denn unsere Hilfsprogramme beruhen ja auf dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei gibt es immer die Möglichkeit für die Regierung, mit den drei Institutionen, also dem, was wir „Troika“ zur Abkürzung genannt haben, zu vereinbaren, es ein Stück weit anders zu machen. Aber das ist eine Beurteilung dieser drei Institutionen Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank, Europäische Kommission. Deswegen haben wir natürlich auch gesagt: Griechenland wird jetzt in den kommenden Tagen, Wochen, Monaten Vorschläge machen - es hat eine erste Liste von Vorschlägen am Montag eingereicht -, wie man die Flexibilität im Programm aus griechischer Sicht nutzen will. Dazu müssen die drei Institutionen ihre Einschätzung geben; für die Einschätzung müssen sie genau prüfen. Dann wird sich die Euro-Gruppe damit befassen, und wenn die eine einstimmige Empfehlung gibt, dann werden wir der Auszahlung der noch ausstehenden Tranche zustimmen. Aber zuvor muss der Haushaltsausschuss des Bundestages informiert werden. Wenn er nicht einverstanden ist, wird nicht ausgezahlt, sondern dann wird das Plenum angerufen und darüber entschieden. Wenn es zu einer Änderung des Programms kommen sollte, müsste zuvor der Deutsche Bundestag zustimmen. So sind die Regeln, und an diesen Regeln wird sich auch nichts ändern. ({3}) Griechenland hat sich verpflichtet, keinerlei einseitige Maßnahmen zu ergreifen ohne Abstimmung mit den drei Institutionen - keinerlei einseitige Maßnahmen, die Auswirkungen auf das Programm hätten. Griechenland hat sich verpflichtet, alle Gläubiger gleichmäßig, vollständig und zeitgerecht zu bedienen. Griechenland hat sich - auch das ist angesichts der Diskussionen, die es gab, wichtig - verpflichtet, am Primärüberschuss festzuhalten, der notwendig ist, um die Schuldentragfähigkeit zu erreichen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man muss gelegentlich daran erinnern, warum wir dieses Hilfsprogramm eigentlich brauchen. Griechenland hatte im Jahr 2009 alles Vertrauen bei den internationalen Gläubigern verloren und keinen Zugang mehr zur Finanzierung durch die internationalen Finanzmärkte gehabt. Deswegen haben wir Griechenland geholfen, über diese Schwierigkeit hinwegzukommen. ({4}) - Ja, so ist es, wenn man Geld leihen will. Sie glauben, es sei einfach, mehr Schulden zu machen. Man muss aber erst einmal jemanden finden, der einem Geld leiht, und Griechenland hat niemanden gefunden, der ihm noch Geld leihen wollte, weil man Griechenland nicht vertraut hat. Deswegen haben wir gesagt: Dann helfen wir Griechenland, bis es wieder das Vertrauen der Finanzmärkte gewinnt. Insofern hat das alles auch mit der Bedienung von Bankverbindlichkeiten zu tun. Das ist wahr. Aber ohne dass Bankverbindlichkeiten erfüllt werden, bekommt man keine neuen Mittel zur Verfügung. Das ist gar nicht so kompliziert. Man muss nur den Inhalt begreifen. Deswegen muss Griechenland in die Lage versetzt werden - dafür braucht Griechenland wahrscheinlich viel länger als andere Programmländer -, dass ihm die Finanzmärkte wieder vertrauen und es seine Verpflichtungen ohne fremde Hilfe erfüllen kann. Das nennt man auch Wettbewerbsfähigkeit oder Schuldentragfähigkeit, und der Weg dahin ist für Griechenland weiter als für jedes andere europäische Land. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss in dieser Debatte eines hinzufügen, weil das in den deutschen Medien gelegentlich falsch dargestellt wird. Über die Schwierigkeiten in Griechenland haben wir - auch ich schon oft und schon beim ersten Griechenland-Programm im Frühjahr 2010 gesprochen, und wir sollten das nicht arrogant behandeln. Die Wahrheit ist aber auch, dass die Sozialleistungen, der Lebensstandard, die Löhne und die Mindestlöhne in anderen Ländern der Europäischen Währungsunion niedriger sind - auch heute noch - als in Griechenland. Daran müssen vor allen Dingen diejenigen in Griechenland, die darüber reden, denken, wenn sie die Solidarität anderer einfordern, und sie müssen auch Rücksicht auf das Empfinden in anderen Ländern - ich denke dabei gar nicht an Deutschland; uns geht es besser als anderen - nehmen. ({5}) Es gibt für keines dieser Länder einen bequemen Ausweg aus den Schwierigkeiten. Sanierung ist immer mit Anstrengungen verbunden. Das ist so. Wir helfen Griechenland dabei in einem völlig außergewöhnlichen Maße. Wir sind weiter dazu bereit, aber Griechenland muss das Seine tun. Solidarität hat auch etwas mit Verlässlichkeit, Solidität und gegenseitiger Rücksichtnahme zu tun. ({6}) - Wenn ich mich mit parteieigenen Zeitungen in Deutschland oder in Griechenland beschäftigen würde, dann würde es auch nicht besser. Das hat alles keinen Sinn. Lassen Sie uns die Debatte so ernsthaft führen und unsere Entscheidung so sorgfältig treffen, wie es jedem möglich ist. Mich haben in den letzten Tagen und Stunden viele Kollegen aus meiner Fraktion angesprochen und gesagt, dass sie es bei allem Verständnis nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können, erneut dafür zu stimmen, Griechenland mehr Zeit einzuräumen. Es ist so viel Vertrauen zerstört worden, dass ich das respektiere. Ich pflege darauf immer die Antwort zu geben - und ich bitte auch Sie, einen Moment darüber nachzudenken -: Wir leben im Land von Immanuel Kant, und wir sollten gelegentlich daran denken, wenn wir eine Entscheidung, auch eine Gewissensentscheidung, treffen: Was wäre, wenn alle dieselbe Entscheidung treffen? ({7}) Wir sind in Europa eine Gemeinschaft. Wir - das gilt für uns Deutsche mehr als für alle anderen - werden in diesem 21. Jahrhundert nur dann eine gute Zukunft haben, wenn die europäische Einigung weiter gelingt und wir in Europa zusammenstehen, ({8}) wenn wir uns in Europa in guten und in weniger guten Zeiten aufeinander verlassen können, wenn diejenigen, die es besonders schwer haben, von anderen Solidarität erfahren, und wenn diejenigen, die es gerade besser haben - in wirtschaftlicher Hinsicht haben wir es gerade besser als andere -, anderen Unterstützung gewähren. Das hat uns in den 70 Jahren seit der deutschen Katastrophe all das ermöglicht, was wir erreicht haben. Wir Deutsche sollten alles dafür tun, dass wir Europa zusammenhalten, soweit wir es können, und es zusammenführen - wieder und wieder. Wir können das nicht alleine tun. Wir können es auch nur dann tun, wenn wir unsere Bevölkerung davon überzeugen, dass es auf Dauer funktionieren wird. Deswegen müssen sich auch andere an das halten, was notwendig ist, damit wir gemeinsam auf den rechten Weg kommen. Wir arbeiten gegen die Zweifel an der Stabilisierung unserer europäischen Währung an. Übrigens: Diejenigen, die sagen, die gemeinsame Währung war ein Fehler, mögen bitte bedenken, was in der Welt der globalisierten Wirtschaft bei uns los wäre, wenn wir die europäische Währung nicht hätten. ({9}) Aber natürlich erfordert eine gemeinsame Währung auch, dass sich alle ihrer Verantwortung für diese gemeinsame Währung bewusst sind und sich ihr stellen. Natürlich heißt Solidarität nicht - wir machen das ja nicht für andere, sondern für die Gemeinschaft, die im Interesse jedes Einzelnen liegen sollte -, dass man sich gegenseitig erpressen kann. Vielmehr muss jeder seinen Teil dazu beitragen. ({10}) - Ich habe mir vorgenommen, mich heute von Ihnen nicht provozieren zu lassen, weil es mir zu ernst ist und weil es um zu viel geht. Wir müssen abwägen und dabei berücksichtigen, dass auch alle anderen in Europa die nun anstehenden Entscheidungen mit Schmerzen fällen. Alle meine Kollegen sagen mir, dass es jedem Einzelnen von ihnen wahnsinnig schwerfällt. Das gilt genauso für die Parlamente in den Mitgliedstaaten. Deswegen muss man allen sagen: Wir müssen auf dem Weg bleiben, den Europa in der Welt der sich schnell verändernden globalen wirtschaftlichen Entwicklung eingeschlagen hat; das ist die eigentliche Herausforderung. Wir sind da in den letzten Jahren besser geworden. Die anderen Programmländer wie Irland haben Maßnahmen ergriffen und sind auf einem guten Weg. Gestern haben wir einstimmig zugestimmt, dass wir Portugal helfen, vorzeitig seine Kredite an den IWF zurückzuzahlen. In Frankreich wurden große strukturelle Reformen unter schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen auf den Weg gebracht. Italien ist auf dem Weg, gute und richtige Entscheidungen zu treffen. Die Euro-Zone insgesamt ist auf dem richtigen Weg. Wir müssen nun Kurs halten und unseren Kollegen in Griechenland sagen: Bei allem Respekt vor der Wahlentscheidung der griechischen Wähler kann Griechenland nicht alleine in Europa entscheiden, welcher Weg der richtige Weg ist. ({11}) Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass der Weg, den wir gemeinsam gegangen sind und weitergehen wollen, richtig ist. Aber wir müssen ihn weitergehen. Wenn wir Griechenland Ausnahmen erlauben würden, würden alle anderen nicht mehr die Kraft haben, innenpolitisch das Notwendige durchzusetzen. Auch das muss man bei der Entscheidung mit im Blick haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Angesichts dessen möchte ich den Deutschen Bundestag, jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten, bitten, dem Antrag des Bundesfinanzministers - er ist mir auch nicht leicht gefallen - die Zustimmung nicht zu verweigern, weil wir sonst unserem Volk und unserer Zukunft großen Schaden zufügen würden. Herzlichen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäuble, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Sie haben nur vergessen, zu erwähnen, dass der gesamte Sozialabbau in Europa - und auch eine unfaire Konkurrenz mit der Agenda 2010 in Deutschland - begonnen hat, ({0}) als man sich hier entschieden hat, prekäre Beschäftigung und Lohnsenkungen zu organisieren. ({1}) Sie werden mir aber nun zustimmen. Die Wahlen in Griechenland am 25. Januar waren wirklich bedeutsam. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg stellt eine Partei links von der Sozialdemokratie führend eine Regierung in Griechenland. ({2}) - Das stimmt doch, oder? Haben Sie das Wahlergebnis nicht mitbekommen? ({3}) Die Linksregierung in Griechenland bricht nun mit der gescheiterten Kürzungspolitik. Das verändert Griechenland. Das verändert Europa, und das verändert auch uns. ({4}) Dieser historisch zu nennende Wahlerfolg ist ein deutliches Votum der Griechinnen und Griechen gegen die fast siebenjährige Kürzungspolitik, gegen das Diktat der EU, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, also der Troika, die von der Bundesregierung auch instrumentalisiert wurde. ({5}) In gewisser Weise haben Sie, Herr Schäuble, und auch Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel, ungewollt so zum Wahlerfolg von Syriza beigetragen. ({6}) Denn wozu führte Ihre Politik in Griechenland? Sie müssen das einfach zur Kenntnis nehmen: Einkommensverluste von 30 Prozent, Wirtschaftseinbruch von 25 Prozent, Massenarbeitslosigkeit von 28 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit der Menschen bis 25 Jahre von 60 Prozent, Zusammenbruch des Gesundheitssystems - fast die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger Griechenlands sind nicht mehr versichert -, Anstieg der Staatsschulden - die sollten doch abgebaut werden - von 120 Prozent auf 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das war eine Kamikazepolitik, die Sie dort an den Tag gelegt haben. ({7}) Ich sage Ihnen: Diese Politik ist gescheitert. Mit einer solchen Politik können die Schulden niemals zurückgezahlt werden. Wissen Sie, was mich ärgert? In den Medien, aber auch hier im Parlament wird eines immer ausgelassen: Sie haben doch Bürgschaften für die Schulden der Südländer unterschrieben. Deutschland, das heißt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, haften für 27 Prozent aller Schulden. Das bedeutet bei Griechenland: Wir haften für 60 Milliarden Euro. Wenn Griechenland wirklich pleiteginge, müssten wir die 60 Milliarden Euro bezahlen. Wovon wollen Sie die eigentlich bezahlen? Ich verstehe Ihre ganze Politik des Abbaus nicht. Die hat doch gar keine Logik. Wir müssen Griechenland aufbauen, dann kann es auch seine Schulden zurückzahlen, und unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften nicht mehr. ({8}) Aber eines muss man der Syriza-Regierung lassen: Sie hat sofort die ganze Europäische Union durcheinandergebracht. Da sehen Sie einmal, was eine linke Regierung alles kann. ({9}) - Ich freue mich, die Vorfreude auf Ihren Gesichtern zu sehen, aber hier dauert das noch eine Weile. - Vor allen Dingen hat sich der Zeitgeist geändert. Das ist das Entscheidende. Wirklich, er hat sich geändert. Mit Syriza gibt es die erste Regierung in Europa, ({10}) die diesen Neoliberalismus offen infrage stellt und den Bruch vollziehen will. Syriza zeigt: Es gibt Alternativen zur herrschenden neoliberalen, marktradikalen Politik, die angeblich so alternativlos ist. ({11}) Schauen Sie sich es an. Der Zeitgeist ändert sich in den Medien, in der Wissenschaft, in der Politik. ({12}) - Sie fühlen sich angesprochen, weil Sie die ganze miserable Politik seit sieben Jahren mitgemacht haben. Das ist Ihr Problem. ({13}) Selbst der Internationale Währungsfonds kritisiert die völlig überzogenen Auflagen und bemängelt die völlig unrealistischen Erwartungen über die Erlöse von Privatisierungen von Häfen, Flughäfen und staatlichen Unternehmen. In dieser Woche gab es eine Fernsehdokumentation über die Arbeit der Troika-Beamten, die mit erpresserischen Methoden, ohne jede demokratische Kontrolle die Kürzungsdiktate gegenüber demokratisch gewählten Regierungen durchgesetzt haben. ({14}) Es gibt das Beispiel, als die griechische Regierung gesagt hat: Wir brauchen dafür sechs Monate, dann ginge es viel besser. - Da sagte ein Beamter: Nein, morgen. So ist das gelaufen, und das ist vorbei. Es ist auch höchste Zeit, dass das vorbei ist. ({15}) Ich begrüße übrigens sehr den gemeinsamen Aufruf des DGB und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Darin steht Folgendes: Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren. ({16}) Das ist vom DGB-Vorsitzenden, den Vorsitzenden der IG Metall, IG BCE, IG BAU, Verdi unterschrieben. Darunter finden sich gestandene Gewerkschafter mit SPDParteibuch. Aber, Herr Gabriel, auch Sie sind der Adressat des Appells und hätten dazu einmal Stellung nehmen sollen. ({17}) Aber der Kampf um die Wiederaneignung von Politik gegen das Diktat der Finanzmärkte wird sehr schwer. Wir haben keine Illusionen. Ein Land gegen 18 Länder, dazu noch ein Land, das wirtschaftlich und finanziell schwach ist. Aber die 18 Länder sind sich auch nicht mehr so einig. Die Finanzminister mussten letztlich dem Griechenland-Antrag auf Verlängerung der Kreditvereinbarung mit der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds um vier Monate zustimmen. Schon das ist ein wichtiger Einschnitt. Es gibt keine Beharrung mehr auf drastische Kürzungsmaßnahmen. Angenommen wurde eine Reformliste mit Maßnahmen zum Kampf gegen Steuerflucht und Steuervermeidung. Gerechterweise werden endlich die wirklich Vermögenden und Reichen in Griechenland herangezogen. Es wird ein Kampf gegen Korruption geführt. Weitere Rentenkürzungen wird es nicht geben. ({18}) Es gibt keine weiteren Entlassungen im öffentlichen Dienst, keine neuen Steuererhöhungen für niedrige Einkommen und auch nicht für die Mitte der Gesellschaft. ({19}) Das ist das Ende der Troika-Diktatur. Es wurde auch höchste Zeit, dass sie beendet wurde. ({20}) Auch da gibt es etwas Neues. Bisher saßen die Beamten der Troika in Athen und haben den Griechen gesagt, was sie machen müssen. ({21}) Jetzt fahren führende Mitglieder der griechischen Regierung nach Brüssel und müssen mit den führenden Vertretern der anderen EU-Institutionen sprechen. Es wird wenigstens verhandelt. Auch das ist ein Neubeginn. ({22}) Übrigens, es ist ja völlig albern gewesen, dass sowohl die Union als auch die SPD meinten, dass die Konservativen und die Sozialdemokraten in Griechenland erfolgreich die Korruption bekämpfen könnten, die sie selbst eingeführt hatten. Also, das konnte nicht gut gehen. Syriza trauen wir zu, das wirklich zu schaffen. ({23}) Nun zum Kompromiss. Zu einem Kräfteverhältnis von 1: 18 gehört allerdings auch, dass Athen sich für die nächsten vier Monate verpflichten musste, keine Kürzungen und Reformen zurückzunehmen und auf - ich zitiere wörtlich - „einseitige Veränderungen der Politik und Strukturreformen“ zu verzichten, „die Haushaltsziele, die wirtschaftliche Erholung oder die finanzielle Stabilität negativ beeinflussen“. Das lässt zwar Interpretationen zu, aber es ist ganz klar, dass in dieser Vereinbarung Dinge stehen, die uns nicht gefallen. Ein wichtiges Zugeständnis an Athen ist aber die Sache mit dem Primärüberschuss des Haushalts, das heißt mit dem Geld, das die Griechen erwirtschaften und zurücklegen müssen. Die Zahl hat die Troika bisher immer willkürlich festgelegt. Jetzt muss es angemessen sein. Das ist eine ganz andere Voraussetzung und erweitert die Spielräume. Vor allem hat Griechenland Zeit für Verhandlungen zum Anschlussvertrag gewonnen, der nach dem Willen der Linksregierung eine völlige Abkehr, einen Bruch mit der bisherigen Abbaupolitik beinhalten soll. Sie, Herr Schäuble, waren ein Hardliner. Sie drohten. Sie sagten, Griechenland könne selbst entscheiden, ob es alle Auflagen akzeptiere oder den Austritt aus dem Euro, also den Grexit, bevorzuge. Es ging Ihnen um das Prinzip. ({24}) Sie wollten keinen Millimeter von harten Auflagendiktaten abweichen. Aber Herr Schäuble war auch in der Euro-Gruppe und gegenüber der EU-Kommission nicht mehr unumstritten. Juncker wollte den Kompromiss. Auch Frau Merkel wollte irgendwann den Kompromiss. Der französische Außenminister wollte den Kompromiss. ({25}) Ich habe eine Frage: Wo waren Sie eigentlich, Herr Gabriel? Warum lassen Sie dem Schäuble das alles durchgehen? Was sind Sie eigentlich für ein Koalitionspartner, der sich dagegen nicht einmal öffentlich äußert? ({26}) Die SPD ist wohl noch nicht so weit. Bedenken Sie aber: Die sozialdemokratische Pasok in Griechenland liegt jetzt bei 5 Prozent. Ich wollte nur sagen: Letztlich mussten Sie sich, Herr Schäuble, auf Kompromisse einlassen. Deshalb bekommen Sie jetzt auch Kritik von rechts: von der AfD, von Teilen der CSU, von Teilen Ihrer Abgeordneten. ({27}) - Sie wissen doch noch gar nicht, wie wir abstimmen. Quatschen Sie doch nicht immer nur dummes Zeug. Verstehen Sie? ({28}) Es gibt eine These, die auch die Bild-Zeitung verbreitet: Die deutschen Steuerzahler finanzieren Griechenland. - Das ist der größte Quatsch, den ich je gelesen und gehört habe. 90 Prozent der 240 Milliarden Euro für Griechenland gingen an die Banken und die Gläubiger. Dazu gehörte auch die Deutsche Bank. Dazu gehörten auch französische Banken. 90 Prozent dieser Summe gingen also nicht an die Griechinnen und Griechen; sie haben kaum etwas davon gesehen. Wie soll Griechenland bei diesem Abbau überhaupt jemals die Darlehen zurückzahlen? Darüber scheint sich hier keiner Gedanken zu machen. Es gibt noch etwas: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, unterstützt im Kern die Vorhaben der Syriza-Regierung in Griechenland. Wenigstens das sollte die Union einmal nachdenklich machen. Auf diesen Mann könnten Sie doch einmal hören. ({29}) Ich sage Ihnen jetzt Folgendes: Die Bundesregierung hat Europas Akzeptanz bei vielen Bürgerinnen und Bürgern im Süden Europas zerstört. Was glauben Sie, was mir die Jugendlichen in Griechenland sagen, wenn ich sie nach Europa frage? Deren Antwort kann ich mir sehr gut vorstellen. Diese Jugendlichen haben von Europa vor allem Abbau und Not erlebt. Wir brauchen aber Aufbau. Schulden darf es nur noch für Aufbau, nicht für weiteren Abbau, nicht für Krisen geben. Sonst sind sie nicht bezahlbar. Ich sage es noch einmal, auch aufgrund unserer eigenen Geschichte: Wir brauchen für den Süden Europas einen Marshallplan. In Griechenland muss investiert werden: in Bildung, in Schiffsindustrie und in Tourismus. Dann kommt das Land auch voran. Es geht nicht, die Löhne, die Renten zu kürzen und alles zu verkaufen, wie Sie es vorgeschrieben haben. ({30}) Ich weiß: Es sind schwere Zeiten und harte Auseinandersetzungen, die auch auf die griechische Regierung zukommen. Das Programm der Linksregierung ist aber eine klare Kampfansage an die gescheiterte neoliberale Politik. ({31}) Am Schluss sage ich Ihnen: Wir stimmen dem Antrag Griechenlands auf Verlängerung des Hilfsprogramms um vier Monate mit großer Mehrheit zu. ({32}) Das ist keine Zustimmung zur gescheiterten Sparpolitik. Das ist keine Zustimmung zur Politik der Bundesregierung. ({33}) - Dafür, dass Sie nicht differenzieren können, kann ich ja nichts. Hören Sie zu! ({34}) Aber es ist eine Zustimmung dazu, dass Griechenland eine Atempause und eine Chance für einen Neuanfang bekommt. Das hilft nicht nur Griechenland; es ist auch eine Chance für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa. ({35}) Ich sage noch etwas dazu: Bei einem neuen Hilfspaket, wenn es je käme, hängt unsere Zustimmung oder unsere Ablehnung davon ab, ob es verbunden ist mit weiterem Sozialabbau und mit weiterer Zerstörung oder ob es verbunden ist mit sinnvollen Investitionen, die Griechenland aufbauen, was uns allen nutzt. ({36}) Letztlich - das sage ich Ihnen - geht es auch um eine Chance für unsere Wirtschaft, für unseren linken sozialen Kampf und für ein europäisches Deutschland statt eines deutschen Europa. Danke schön. ({37})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gysi, das waren sehr interessante Pirouetten, die Sie hier gedreht haben. ({0}) Ich war mir nicht so ganz sicher, wo Sie denn enden werden, also ob Sie jetzt zustimmen oder nicht. ({1}) Das war auch lange Zeit unklar, wie man ja verfolgen konnte. Jetzt haben Sie gesagt: Mehrheitlich stimmt die Linksfraktion zu. ({2}) Ich finde erst einmal: Das ist in Ordnung. Wir finden den Antrag der griechischen Regierung auf Verlängerung des bereits beschlossenen und bestehenden Hilfsprogramms um vier Monate in Ordnung. Wir haben hier im Deutschen Bundestag vor etwa zwei Monaten, im Dezember, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit - es war eine öffentliche Debatte am Donnerstag, um 12 Uhr; nur: selbst an den Fernsehern war kaum jemand, weil parallel eine Pressekonferenz übertragen wurde - schon einmal einer Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms für Griechenland, das wir im Jahr 2012 beschlossen haben, im bestehenden Finanzrahmen zugestimmt. Damals hat Ihr Kollege Bartsch gesagt - ich mag ihn ja; ich zitiere das jetzt nur, damit Sie wissen, worüber Sie abstimmen -: ({3}) Ich will für die Linke klar sagen: Wir wollen uns in diese Strategie nicht einbinden lassen. Das ist nicht unsere Politik. ({4}) Kurz vor Schluss sagte er: Wir lehnen ihn ab, - den Kurs weil er im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, werden Sie niemals erleben. ({5}) Ich will Ihnen nur sagen: Worüber Sie heute abstimmen, ist exakt das Gleiche wie im Dezember. ({6}) - Okay, es sind nicht zwei Monate Verlängerung; es sind vier. Wir geben ihnen sogar noch mehr Zeit, und trotzdem - Aber egal. Es scheint mir so zu sein, dass das Adrenalin, das sehr stark in griechischen Politikern drin zu sein scheint - das ist nicht ganz unsere Kultur -, auch bei Ihnen jetzt sehr stark Mitverursacher dieses Wandels ist. Aber okay. ({7}) Ich finde das Horrorbild - so würde ich es fast nennen -, das Sie gezeichnet haben, bemerkenswert: Die Linksfraktion, die Linkspartei führt dieses Land. - Sie haben vergessen, dass es in Griechenland nicht nur die Linksfraktion oder Linkspartei gibt, sondern dass die mit einer rechtspopulistischen, nationalistischen Partei koaliert. ({8}) Der Wähler sei davor, dass uns das blüht, dass in Deutschland die Linkspartei mit der AfD koaliert. ({9}) Aber zur Sache. Herr Minister Schäuble, Sie haben gesagt: Es fällt Ihnen nicht leicht, heute hier diesen Antrag zur Verlängerung zu stellen. - Ich kann das ob der öffentlichen Debatte und der Äußerungen, die insbesondere vom griechischen Finanzminister immer wieder kommen, nachvollziehen. Da fällt es einem schwer, immer wieder für Vernunft zu werben. Es ist eine Frage des Anstands, wie man miteinander umgeht. Ich finde es gut und richtig, dass der Bundestag und die anderen nationalen Parlamente, die hierüber ebenfalls entscheiden müssen, sich nicht von Rhetorik leiten lassen. Anstand scheint immer auch eine Frage der kulturellen Definition zu sein. Ich glaube, wir sind hier sehr rational und geben dem Antrag des griechischen Staates auf eine Verlängerung um vier Monate statt. Es geht um eine Summe von etwa 2 Milliarden Euro, die im bestehenden Programm noch zur Verfügung steht. Es sind also keine zusätzlichen Mittel, sondern sie liegen innerhalb des Finanzrahmens. Bei der Debatte um Griechenland - ich habe meine Rede vom Mai 2010 noch einmal durchgelesen; das Thema beschäftigt uns hier schon eine ganze Weile sind auch viele Fehler gemacht worden. Es sind zwei politische Fehler auch von Deutschland gemacht worden. Der erste Fehler war, dass zu Beginn der Debatte unter Führung von Union und FDP das Thema Schuldenschnitt nicht berücksichtigt wurde. Die SPD hat dem ersten Paket damals nicht zugestimmt. Wir haben uns enthalten und gesagt, dass wir zwar solidarisch sind, aber die Überrollung der Schulden ohne einen Schuldenschnitt für die privaten Gläubiger nicht mitmachen. Es hat sich im Nachhinein gezeigt - Sie sind dann 2012 damit gekommen -, dass es notwendig gewesen wäre. Dann wäre die Schuldenlast niedriger. Jetzt mussten wir Griechenland aus ökonomischen Gründen sehr weit entgegenkommen, weil die Schuldentragfähigkeit nicht gegeben war. Deswegen zahlen sie Carsten Schneider ({10}) fast keine Zinsen mehr. Die Schuldenlast ist das eine, das andere, das Entscheidende, ist: Wie hoch sind eigentlich die Zinsen? Die Zinsen, die Griechenland bezogen auf seine Wirtschaftsleistung zahlt, sind deutlich geringer als die, die zum Beispiel Portugal zahlt, deutlich geringer als die, die Frankreich zahlt. Deutschland als Benchmark-Staat zahlt noch weniger, nämlich 1,8 Prozent im Durchschnitt. Die Griechen zahlen knapp 2 Prozent. Entscheidend ist - das ist der zweite politische Fehler gewesen -, dass die Griechen - das Volk und die Partei für sich selbst annehmen, dass nur sie selbst sich helfen können, dass nicht eine böse Macht von außen - nicht die Troika oder sonst irgendwer - sie in diese Situation gebracht hat; denn Kredite aufgenommen hat immer das jeweilige Land und niemand anderer. ({11}) Der entscheidende Fehler war, dass die damalige Bundesregierung verhindert hat, dass es eine Volksabstimmung über den Antrag von Papandreou, dem damaligen Ministerpräsidenten, gab, über diese Reformmaßnahmen Konsens zu erzielen. Das war der entscheidende politische Fehler, für den wir heute bezahlen. Wir müssen auch klar sagen: Die griechische Regierung hat in den vergangenen Jahren auch Fortschritte gemacht. Die Wirtschaftsleistung ist gesunken. Klar, das ist auch logisch. Wenn sie nur über Kredit finanzieren - es gibt im Englischen die Redewendung „credit bites back“ -, dann kommt irgendwann der Return. Vorgezogener Konsum ohne entsprechende Wirtschaftsleistung dahinter funktioniert nicht. Genau das ist jetzt der Fall. Deswegen werden wir nicht nur heute über diese Verlängerung abstimmen. Wenn die griechische Regierung bereit ist, ihre Situation anzunehmen und die richtigen ökonomischen Antworten zu geben, dann werden wir noch einmal über eine Verlängerung reden müssen; nicht über dieses Programm, sondern über ein neues. Das steht aber heute nicht zur Debatte. Die vom Bundestagspräsidenten angemahnte Abstimmung über die unterlegten ökonomischen Reformen - er nennt das ein MoU, also eine Verabredung dessen, was in der Sozialpolitik und bei den Steuern gemacht wird - ist heute nicht die Grundlage der Entscheidung. Wir entscheiden heute ganz klar über das bisherige Reformprogramm. Es hat in Griechenland eine Wahl gegeben. Das Wahlergebnis ist zu akzeptieren. Wir respektieren es auch, auch wenn uns die Regierung nicht gefällt. Dass das Wahlergebnis Veränderungen mit sich bringen muss, ist auch klar; sonst bräuchten wir nicht zu wählen. Der entscheidende Punkt ist nur: Sollte die griechische Regierung ihre Wahlversprechen, die sie gemacht hat, von den Steuerzahlern anderer Länder, also auch uns, die wir diese Wahl gar nicht durchgeführt haben, finanzieren lassen wollen, dann wird das nicht gehen. Das ist nicht akzeptabel. ({12}) Ich verbinde durchaus eine Hoffnung mit dieser Regierung. Die bisherige Regierung hat die bestehende Situation durch Korruption und vielleicht schlechte Effizienz im Staat selbst geschaffen. Wenn diese Regierung eine Chance verdient hat, dann dazu, dass sie das Steuersystem modernisiert, ({13}) dass sie unsere Hilfe, die wir leisten wollen, auch annimmt, und dass sie für eine gerechtere Besteuerung sorgt. ({14}) Blöderweise hat die neue Regierung eine Veränderung schon vorgenommen, die mich zumindest skeptisch macht. Die internen Kontrollen bei den Steuerbehörden, um zu ermitteln, ob es da Kumpanei mit den Steuerzahlern gibt - so etwas soll vorkommen; in Deutschland ist das schwer vorstellbar, aber es soll da vorgekommen sein -, wurden von der Regierung Samaras auf eine unabhängige Instanz übertragen. Das hat Tsipras bereits geändert; das wird wieder intern gemacht. Das halte ich für sehr schwierig. Auch darüber wird zu reden sein. ({15}) Wir sind sehr für Wachstum, für Hilfen zur Selbsthilfe, auch für mehr soziale Gerechtigkeit. Aber eines muss klar sein: Diejenigen, die in Griechenland viel Geld verdient haben und die über genügend Vermögen verfügen, müssen dafür auch zahlen. ({16}) Das wird für die SPD eine Bedingung sein. Jedem muss klar sein: Die teuerste Lösung - da rede ich nur über finanzielle Aspekte - wäre jetzt der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ({17}) teuer nicht nur für die Griechen, teuer auch für Deutschland, denn wir haben Kredite von über 60 Milliarden Euro vergeben. Es gibt ja viele Ökonomen, die sagen: Die sollen austreten, dann wird das alles gut, dann haben die wieder die Drachme und werden wettbewerbsfähig. Das ist schwierig, wenn man keine Exportwirtschaft hat; das hilft einem relativ wenig, wenn man viel importieren muss. ({18}) Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Wenn sie tatsächlich die Drachme einführen würden, würden die Schulden trotzdem noch in Euro lauten, und bei einer Abwertung um Carsten Schneider ({19}) 50 Prozent würde die Schuldenlast verdoppelt, also überhaupt nicht mehr tragfähig sein. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass alle anderen europäischen Länder die ausgegebenen Kredite wiedersehen würden, ist relativ gering. Deswegen ist das kein Ziel, das die SPD und auch Deutschland verfolgen sollten. Ein wirkliches Wiedererstarken Griechenlands wird es nur im Euro geben - wenn auch die griechische Regierung bereit ist, diesen Weg zu Reformen in ihrem Land, zu eigener Leistungsfähigkeit zu gehen; dabei sollten wir sie unterstützen. Gemacht ist dieser Weg noch nicht. Es liegt jetzt an den Griechen selbst. Wir reichen ihnen dazu die Hand. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Anton Hofreiter ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn griechische Oligarchen ihr Land ausplündern und ihr Geld ins Ausland bringen, dann ist das ein griechisches, aber eben auch ein europäisches Problem. ({0}) Wenn auf der anderen Seite marktradikale Technokraten Griechenland zwingen, seine Energieunternehmen und seine Häfen, die sogar schwarze Zahlen schreiben, zu niedrigsten Preisen zu verkaufen, dann ist das ein Problem in Griechenland; am Ende wird es auch ein europäisches Problem. ({1}) Wenn deutsche und französische Banken hohe Gewinne mit de facto unseriösen Krediten für Griechenland eingefahren haben und für die Risiken am Ende der europäische Steuerzahler haftet, dann ist das natürlich in erster Linie ein Problem für Griechenland, aber es ist am Ende auch ein Problem für Europa. ({2}) Wenn diese Krise von Populisten auf allen Seiten, von Rechtspopulisten, aber auch von manchen Regierungsfraktionen sowie von manchen Medien - wenn man sich anschaut, was heute in der Bild-Zeitung steht ({3}) dazu genutzt wird, auf nationalistische Ressentiments zu setzen, dann ist das nicht mehr nur ein europäisches Problem, dann ist das schlichtweg eine Katastrophe für Europa. ({4}) Die neue griechische Regierung spielt da teilweise eine echt unrühmliche Rolle - mal ganz abgesehen davon, dass man wirklich nicht verschweigen sollte, dass da Rechtspopulisten beteiligt sind, ({5}) wenn auch Rechtspopulisten einer Ausgründung der Nea Dimokratia. Es sind trotzdem Rechtspopulisten, und das sollte man auf keinen Fall verschweigen. Aber man sollte auch nicht verschweigen, was die griechische Regierung betreibt, insbesondere die große Partei Syriza: Die antideutschen Karikaturen und manche Texte in ihrer Parteizeitung sind einfach widerlich und aufs Schärfste zurückzuweisen. ({6}) Man muss natürlich auf der anderen Seite sagen: Manchmal hat man den Eindruck, man erlebte einen großen Theaterdonner. Man hat den Eindruck, Herr Tsipras führte einen Theaterdonner auf, um seine Wähler bei Laune zu halten. Wenn man sich einmal anschaut, was manche aus der CDU/CSU-Fraktion in den letzten Tagen von sich gegeben haben, hat man den Eindruck, dass diese Äußerungen wenig von Sachverstand, sondern vor allem von panischer Angst davor bestimmt waren, dass noch mehr Wähler zur AfD abwandern. Beides ist unverantwortlich! ({7}) Man sollte sich einmal anschauen, um was es in diesem Konflikt wirklich geht. Häufig wird so getan, als gehe es bei diesem Konflikt darum, dass Durchschnittsdeutsche gegen Durchschnittsgriechen stehen. Das ist doch völlig falsch! In Wirklichkeit geht es - sowohl in Griechenland als auch in Europa - um die Partikularinteressen einiger weniger gegen das Allgemeinwohl. ({8}) Es geht in Wirklichkeit, wenn man sich Teile des Rettungspakets anschaut, um die Interessen einiger weniger Großbanken gegen die Interessen der europäischen Steuerzahler. ({9}) In Wirklichkeit geht es um die Interessen einiger weniger Superreicher gegen die Interessen ganz normaler Bürger in Griechenland. Das ist doch der Interessenkon8416 flikt! Hier geht es nicht um nationale Interessen, sondern die Interessenkonflikte sind vollkommen anderer Natur! ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mir bestimmte Umfragen anschaue, sehe ich, dass in Polen, in Frankreich und in Spanien nur noch 40 Prozent der Menschen Vertrauen in Europa haben. In Italien sind es sogar nur noch 27 Prozent. Ich persönlich glaube nicht, dass diese Menschen etwas gegen Solidarität in Europa haben oder dass sie es gerne hätten, dass in Europa wieder Schlagbäume errichtet bzw. Grenzen geschlossen werden. Diese erschreckenden Zahlen sind für mich ein Ausdruck dessen, dass die europäische Politik der vergangenen Jahre gescheitert ist, dass auch die Europapolitik der deutschen Regierung - der Regierung Merkel und Schäuble - in den letzten Jahren in diesem Punkt schlichtweg gescheitert ist. ({11}) Wir benötigen eine Europapolitik, die nicht von der Erkenntnis geleitet wird, dass ein Land nur gewinnen kann, wenn ein anderes verliert. Das funktioniert so nicht. Wir brauchen eine solidarische Europapolitik! ({12}) Wer die europäischen Werte ernst nimmt - für manche sind es die christlichen Werte -, muss ein Interesse daran haben, dass die Armut in Griechenland bekämpft wird und dass es den Menschen in Griechenland in Zukunft wieder besser geht. ({13}) Ich glaube aber, dass wir auch ein ganz großes Eigeninteresse daran haben; denn es wird uns in Deutschland auf Dauer nur dann gut gehen, wenn es den übrigen EUStaaten gut geht. ({14}) Mit Blick darauf, dass wir eine Exportnation sind, frage ich mich: An wen sollen wir denn unsere Güter exportieren? Wir exportieren sie leichter an Länder, die wohlhabend sind, als an Länder, die arm sind. Schauen wir uns doch die Länder in Europa einmal an: Natürlich ist Italien zu klein, um die Globalisierung zu gestalten. Auch Frankreich, Belgien und die Niederlande sind zu klein. Seien wir doch einmal ehrlich: Wenn man sich die Herausforderungen der Globalisierung vor Augen führt, dann sieht man, dass auch Deutschland zu klein ist, um sie zu gestalten. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, dass Europa funktioniert und zusammengehalten wird. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen - insbesondere von der CDU/CSU -, Sie bauen gerne folgenden Popanz auf: Entweder gelten Ihre Regeln, oder es gelten keine Regeln. Sie geben so gerne den harten Zuchtmeister. Schauen wir uns aber einmal die Bilanz seit 2010 - seit den ersten Rettungspaketen - an. Schauen wir einmal, was Ihre Politik und was die Politik Ihrer konservativen Schwesterpartei Nea Dimokratia in Griechenland bewirkt hat: Die Wirtschaftsleistung ist um 20 Prozent eingebrochen, die Schuldenquote dagegen um 25 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist auf 26 Prozent gestiegen. Wäre es angesichts dieser Entwicklung nicht überlegenswert, andere Bedingungen zu stellen? Es geht nicht darum, keine Bedingungen zu stellen, sondern die Fragen lauten: Haben die bisherigen Bedingungen das bewirkt, was wir erreichen wollten? Haben sie bewirkt, dass die Schuldentragfähigkeit verbessert wurde? Haben sie bewirkt, dass Griechenland aus seinen Schwierigkeiten herausgekommen ist? Haben sie bewirkt, dass es den Menschen besser geht? - Nein, sie haben all das nicht bewirkt. Deswegen halten wir es für sehr berechtigt, darüber nachzudenken und dafür zu streiten, dass die Bedingungen so angepasst werden, dass es Griechenland bzw. den Menschen in Griechenland wieder besser geht. ({16}) Ich glaube, wir sollten uns absolut einig sein: Wenn Griechenland wieder wohlhabender ist, besteht die Chance, dass es zumindest einen Teil der Schulden, die es in Europa hat, zurückzahlt. Wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt. Das ist aus moralischer Sicht der richtige Weg; denn wir wollen kein verarmtes Land haben. Es ist fiskalisch gesehen der richtige Weg, weil dadurch die Chance besteht, dass die Kredite zurückgezahlt werden können. Es ist auch sicherheitspolitisch der richtige Weg; denn man muss sich klarmachen, in welcher hochbrisanten Region Griechenland liegt, was in der Nähe von Griechenland passiert. Dann wird deutlich, dass wir ein massives außenpolitisches und sicherheitspolitisches Interesse daran haben, dass Griechenland stabil und im Euro bleibt. Natürlich erwarten wir von der neuen Regierung, dass sie Korruption bekämpft, natürlich erwarten wir von der neuen Regierung, dass sie endlich dafür sorgt, dass ein vernünftiger Staat aufgebaut wird; all das erwarten wir von der neuen Regierung. Aber nachdem die vorherige konservative Regierung fünf Jahre geschlampt hat und Herr Schäuble sehr großzügig mit der CDU-Schwesterpartei war, erwarten wir, dass der neuen Regierung zumindest eine kleine Chance gegeben wird. Wir wissen doch jetzt schon, dass wir in Kürze mit einem dritten Paket rechnen können. Es muss ehrlich und im Interesse Europas darüber geredet werden: Wie stemmen wir dieses dritte Paket? Wie gestalten wir dieses Paket, und zwar so, dass am Ende ein stabiles und ein wohlhabendes Griechenland steht, das seine Schulden zurückzahlen und seine Aufgabe gegenüber den Menschen erfüllen kann?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bitte uns alle, die Debatte in den nächsten Wochen und Monaten in diesem Sinne zu führen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hofreiter, Sie irren, wenn Sie meinen, dass wir hier und heute darüber abstimmen, ob Griechenland im Euro bleibt. Darüber stimmen wir heute nicht ab. Das ist im Übrigen auch nicht die Entscheidung des Deutschen Bundestages. Ob Griechenland im Euro bleibt, das ist einzig und allein die Entscheidung der Griechen. Das muss man an dieser Stelle klarstellen. ({0}) Lassen Sie mich einige Fakten nennen. Griechenland befindet sich in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Diese Wirtschaftskrise ist nicht durch die Troika und nicht durch die Reformpakete verursacht worden, sondern vorher. Ein weiteres Faktum. Die Europäische Union und die europäischen Partner haben Griechenland unter Einsatz hoher Summen von Steuergeldern sehr großzügig geholfen. Die Troika macht nichts anderes, als die Verwendung unserer und auch Ihrer Steuergelder, Herr Gysi, zu überprüfen, und das ist mehr als recht. ({1}) Dritter Fakt. Die jetzt neu gewählte griechische Regierung hat sich in ihren Ankündigungen vom bisherigen Reformkurs verabschiedet. Das ist wahr. Vierter Fakt. Die europäischen Partner haben nicht akzeptiert, dass man die Programme für Griechenland unter den neuen Bedingungen verlängert. Deswegen hat die griechische Regierung am Freitag einen Antrag eingereicht, das Programm unter den im Wesentlichen alten Bedingungen zu verlängern. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Bevor ich auf den vorliegenden Antrag zu sprechen komme, gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen. Wir haben in der Euro-Zone, in unserem Währungsraum, 19 Staaten, und es ist nicht trivial, einen Währungsraum mit 19 Staaten zu organisieren. Deswegen haben wir uns ein Vertragswerk gegeben - mit Verträgen für normale Zeiten und für Krisenzeiten -, das es uns ermöglicht, diese Währungszone ökonomisch und politisch zu managen und zu organisieren. ({2}) Wenn diese Verträge bei jeder Neuwahl innerhalb dieser 19 Staaten von jeder neuen Regierung - und das sind statistisch gesehen zwei oder drei pro Jahr - infrage gestellt werden, dann können wir die Veranstaltung EuroZone beenden. Das geht so nicht. ({3}) Zweite Vorbemerkung. Egal ob im Sportverein, in der Familie, in der Schule oder in der Euro-Zone: Wenn derjenige Recht bekommt, der am lautesten schreit und seine Argumente am aggressivsten vorträgt, dann ist das das Ende jeder Gemeinschaft. ({4}) Nächster Punkt. Es ist richtig, dass die griechische Regierung vom griechischen Souverän gewählt worden ist, und der griechische Souverän hat das Reformprogramm abgewählt. Aber die Menschen, die hier in diesem Saal sitzen, sind auch von ihrem Souverän gewählt, und die Menschen, die in diesem Saal sitzen, lehnen es ab, das Programm der neuen griechischen Regierung zu finanzieren. Genauso wie wir respektieren müssen, was die neue griechische Regierung vorhat, muss die griechische Regierung respektieren, was wir hier entscheiden. Es ist eine Mär, zu behaupten, dass es nur in Griechenland demokratisch gewählte Institutionen gibt. Auch wir sind demokratisch gewählt, und wir sind die Treuhänder der Steuergelder. ({5}) Nächste Vorbemerkung. Wir haben Rettungsschirme über fünf Länder organisiert. Vier von diesen fünf Ländern sind erfolgreich oder sehr erfolgreich. Portugal hat gestern beantragt, Kredite vorzeitig zurückzuzahlen. Das heißt, die Politik der Europäischen Union war nicht ganz so schlecht. Um das einmal mit den Worten aus der heutigen Ausgabe einer Boulevardzeitung auszudrücken: Es hat sich gelohnt, nicht immer Nein zu sagen, sondern auch mal Ja zu sagen. ({6}) Dementsprechend muss man sagen, dass wir nur bei Griechenland Probleme haben. Und wenn wir sagen, dass wir nur bei Griechenland Probleme haben, dann darf man nicht verschweigen, dass es auch bei Griechenland gar nicht so schlecht gelaufen ist - bis zum Dezember. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. ({7}) Nach diesen Vorbemerkungen kommen wir zu dem, was wir heute beantragen: Erster Punkt. Heute wird, wie der Finanzminister sagte, nicht ein neues Programm beantragt. Es wird nicht beantragt, dass es neue Zahlungszusagen gibt, sondern es wird die Verlängerung eines alten Programms beantragt, die es Griechenland erlaubt, dieses Programm ordnungsgemäß abzuschließen. Zweiter Punkt. Wir beschließen heute auch keine Auszahlungen, an nichts und niemanden. Auszahlungen innerhalb dieses Programms werden geleistet, wenn Griechenland die vereinbarten Reformen, die im Memorandum of Understanding vereinbarten Reformen, liefert, wenn die Troika das überprüft hat und wenn die nationalen Parlamente eingebunden wurden. Erst dann gibt es Auszahlungen. Dritter Punkt. Die griechische Regierung hat am Freitag letztendlich zugesagt, dass sie folgende Bedingungen erfüllt - das sind keine neuen Bedingungen, sondern das sind die alten Bedingungen -: Sie hat gesagt, sie setzt den Reformprozess fort; sie hat gesagt, sie arbeitet weiter mit den Institutionen, mit der Troika, zusammen; sie hat gesagt, sie dreht keine Reformen zurück; sie hat gesagt, dass alle Schuldner vollumfänglich und fristgerecht bedient werden, dass es keinen Schuldenschnitt geben wird; sie hat gesagt, dass sie Haushaltsüberschüsse erwirtschaften wird, um die Schuldentragfähigkeit zu verbessern, und sie hat gesagt, dass sie keine Reformen auf den Weg bringen wird, die dieses Haushaltsziel gefährden. Das ist das, was die griechische Regierung zugesagt hat, und wir erwarten von der griechischen Regierung, dass das umgesetzt wird. Ich kann nicht akzeptieren, dass man in Brüssel etwas unterschreibt und dann nach Griechenland zurückkehrt und etwas total anderes behauptet. ({8}) Um diese Reformagenda zu bekräftigen, hat die griechische Regierung am Dienstag eine Liste mit Reformvorhaben vorgelegt. Wir erwarten von der griechischen Regierung, dass diese Liste spezifiziert wird, dass sie konkretisiert wird, dass ein Zeitplan eingereicht wird, dass diese Liste von der Troika überprüft wird, und dass diese Liste dann umgesetzt wird - nicht mehr und nicht weniger. Es wird immer wieder gesagt, wir sollten nicht nur über die EFSF und über die europäischen Institutionen, sondern auch über die EZB reden. Es wird gefragt: Entsteht da in irgendeiner Art und Weise eine unkonditionierte Brückenfinanzierung? Durch unseren heutigen Antrag nicht. Durch das Handeln der EZB? Dazu kann man nur sagen: Die EZB ist unabhängig in ihrer Entscheidung; aber die EZB hat ein Mandat, und das Mandat verbietet Staatsfinanzierung, und wir werden darauf achten, dass dieses Mandat eingehalten wird. ({9}) Ich werde immer wieder gefragt: Wie geht das weiter? Können wir den Griechen vertrauen, dass sie das alles umsetzen? Ehrlich gesagt: Ich kann diese Frage, ob sie das in den nächsten vier Monaten umsetzen werden oder nicht, nicht beantworten. In den letzten Monaten ist viel zu viel passiert, um diese Frage sicher beantworten zu können. Eines ist aber auch richtig: Die Entscheidung über die Verlängerung, die wir heute treffen, ist wichtig, aber nicht entscheidend. Die entscheidende Abstimmung, die entscheidende Entscheidung, die müssen wir im Sommer treffen, wenn es darum geht, Griechenland quasi mittelfristig in die Zukunft zu finanzieren. Unser Bundesfinanzminister - ich weise ausdrücklich darauf hin - hat bereits im Sommer 2013 darauf hingewiesen, dass wir diese Entscheidung im Sommer 2015 treffen müssen. Wie diese Entscheidung ausfällt, das hängt ganz alleine von den Griechen und Griechinnen ab. Sie hängt davon ab, was wir in den nächsten vier Monaten erleben. Ich und der weit überwiegende Teil meiner Fraktion sind der Meinung, dass wir den Griechen die Chance geben müssen, ihre Entscheidung zu treffen, ob sie in der EuroZone bleiben wollen, ob sie weiter mit uns zusammenarbeiten wollen oder ob sie das nicht wollen. Eine letzte Bemerkung. Die Euro-Zone ist eine große Sache. Das ist ein großes Projekt. Ich glaube, wir alle wollen dieses Projekt zum Erfolg führen. Es ist richtig, dass es ganz, ganz schlecht ist, wenn jemand aus diesem Projekt ausscheidet, wenn diese Euro-Zone an der einen oder anderen Stelle bröckelt. Das ist auch sehr, sehr gefährlich. Aber, meine Damen und Herren, noch gefährlicher ist es, wenn diese Euro-Zone von innen zerstört wird. Das wird der Maßstab für unsere zukünftigen Entscheidungen sein. Danke. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Sven Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir im Deutschen Bundestag heute über einen Kompromiss abstimmen. Wir Grüne waren immer dafür, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Deswegen werden wir heute zustimmen. Das ist richtig und notwendig. ({0}) Es war nicht einfach, diesen Kompromiss zu finden. Es gab auf allen Seiten in Europa viel nationales Gepolter, auch von der griechischen Regierung, die zum Teil noch im Wahlkampfmodus war. Es gab aber auch aus Deutschland Gepolter. Ich fand es europäisch unverantwortlich, Herr Schäuble, dass Sie den Brief von Herrn Varoufakis, der die Forderungen der Euro-Gruppe weitSven-Christian Kindler gehend erfüllt hat, so harsch und brüsk zurückgewiesen haben. ({1}) Am dollsten und wirklich skandalösesten fand ich die Art und Weise, in der die CSU, aber auch Teile der CDU, nämlich der AfD-Flügel in der Union, Griechenland in den letzten Wochen gedroht haben, das Land aus dem Euro zu drängen. Das war wirklich europäisch verantwortungslos. ({2}) Ich wundere mich, mit welch einer politischen Naivität und zum Teil Dummdreistigkeit von Teilen der Union über einen möglichen Grexit geredet wird. Toni Hofreiter hat es gesagt: Was das sicherheitspolitisch, ökonomisch und politisch für Europa bedeutet, wird nicht bedacht. Wenn ich mir das Leid, die Armut und die Arbeitslosigkeit in Griechenland vor Augen halte, muss ich sagen: Ich finde es zynisch und überheblich, wie die CSU in den letzten Wochen agiert hat. Sie haben rechtspopulistische Stammtischargumente vorgetragen. Ich finde, dafür sollten Sie sich schämen. Dafür sollten Sie sich heute hier im Deutschen Bundestag entschuldigen. ({3}) Toni Hofreiter hat noch etwas Wichtiges gesagt. Wenn man sich fragt: „Wie kann man dafür sorgen, dass es in Griechenland ein sinnvolles Programm gibt und dass die Schulden im Interesse Europas zurückgezahlt werden?“, dann muss man sich vergegenwärtigen, was in Griechenland passiert ist. Die Schuldenquote ist im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt heute höher als in der Vergangenheit, und das nicht, weil die griechische Regierung nicht gespart hätte. Im Gegenteil, sie hat sehr viel gespart - zum Teil sogar zu viel -, bzw. sie musste zu viel sparen. In der Folge ist die Wirtschaft eingebrochen, unter anderem wegen fehlender Strukturreformen, aber auch wegen der Austeritätspolitik. Das heißt, die Schuldentragfähigkeit hat sich verschlechtert. Gleichzeitig kam es zu großer Armut und hoher Arbeitslosigkeit. Das ist übrigens nicht nur ein Problem Griechenlands, Herr Brinkhaus. Da Sie von dem Erfolgskurs in anderen Ländern gesprochen haben, möchte ich Ihnen sagen: Auch in anderen Ländern gibt es hohe Schuldenstandsquoten, hohe Arbeitslosigkeit und große Armut. Das zeigt doch im Kern, dass der Austeritätskurs, den die Bundesregierung massiv vorangetrieben hat, gescheitert ist. Deswegen brauchen wir dringend einen Kurswechsel. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit und mehr Investitionen in Europa. ({4}) Letzte Woche war ich in Athen, um Gespräche mit der Opposition, der Zentralbank, dem IWF und der neuen griechischen Regierung zu führen. Natürlich muss man feststellen, dass die Regierung zum Teil unerfahren war, ein bisschen naiv in den Verhandlungsprozess in Europa eingetreten ist und, innenpolitisch motiviert, gepoltert hat. ({5}) Trotzdem glaube ich, dass die neue Regierung eine Chance darstellt; das müssen wir, glaube ich, anerkennen. Sie ist eben nicht Teil des alten Klientelsystems von Pasok und ND; denn sie hat gesagt, dass sie im öffentlichen Sektor Reformen durchführen, für eine vernünftige Steuerverwaltung sorgen, hohe Vermögen besteuern und die Korruption bekämpfen will. Daran muss man sie messen. Es ist gut, dass es diese Chance gibt. Ich glaube, wir sollten sie nutzen. Die neue Regierung braucht Zeit. Man sollte sie unterstützen. ({6}) Wichtig ist auch: Wir brauchen andere Formen der Überprüfung. Finanzhilfen darf es zwar nur mit Kontrolle geben, aber so, wie es unter der Troika war, wird es in Zukunft nicht weitergehen. Wir brauchen mittelfristig einen europäischen Währungsfonds, der das Ganze kontrolliert, und wir brauchen eine deutliche demokratische Stärkung und Kontrolle der Troika. So wie bisher kann es nicht weitergehen. ({7}) Klar ist: Das alles wird nicht in vier Monaten abgeschlossen sein. Es müssen jetzt sinnvolle Reformen angegangen werden. Langfristig muss es in Griechenland zu sozialen Verbesserungen kommen, damit die Bevölkerung die Reformen mitträgt. Wir brauchen weitere Maßnahmen und Spielraum im Haushalt, um etwas unternehmen zu können: zur Bekämpfung der Armut und der Arbeitslosigkeit, zur Verbesserung des Gesundheitssystems, aber auch zur Lösung des Hungerproblems, das es in Griechenland zum Teil gibt. Diese Chance müssen wir ergreifen, damit es Griechenland in Zukunft auch in sozialer Hinsicht besser geht. Griechenland braucht mehr Gerechtigkeit. Wir brauchen auch in Europa mehr Gerechtigkeit. Deswegen brauchen wir in den nächsten Monaten einen Kurswechsel in der Europapolitik. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden in der heutigen Debatte darüber, wie wir uns Europa vorstellen. Wir haben in den letzten Jahren hier diskutiert, wie europäische Solidarität geht. Ich glaube, dieser Bundestag hat mit übergroßer Mehrheit die Programme beschlossen, die notwendig waren, um viele Länder - mit jeweils auch unterschiedlichen Problemen - in die Lage zu versetzen, ihre Probleme anzugehen. Genauso war das mit Griechenland. Der Kollege Brinkhaus hat hier ganz richtig erklärt, dass das Problem Griechenlands in der Masse auch ein hausgemachtes ist: Die griechischen Regierungen der Vergangenheit haben dieses Land in eine Katastrophe geführt. Die letzten griechischen Regierungen haben probiert, daran etwas zu ändern; das hat teilweise geklappt und teilweise nicht. Das sind alles Binsenweisheiten - trotzdem muss man sie immer wieder aussprechen -: Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen - auch: wenn wir diesen Euro wollen -, dann muss man als Starker den Schwachen helfen. Ich glaube, das ist hier alles auch unstrittig. Die Frage ist, wie man das macht. Wolfgang Schäuble hat hier noch einmal betont, wie wichtig der europäische Gedanke, wie wichtig europäische Solidarität ist. Dazu gehören aber zwei Seiten: Der, der helfen kann, muss helfen; aber der, dem geholfen wird, muss dann auch seine Hausaufgaben machen, muss dann auch selber vor Ort dafür sorgen, dass die Probleme, die bestehen, behoben werden. ({0}) Egal wer in Griechenland regiert: Wir kämpfen dafür, dass vor Ort Strukturreformen stattfinden. Das macht sich bei uns nicht an irgendeiner Regierung oder an Wahlergebnissen fest, sondern daran, ob dieses Land es irgendwann selber schaffen wird. Dafür braucht man ein funktionierendes Steuersystem. Dazu braucht man zum Beispiel Grundbuchämter. Eine funktionierende Verwaltung ist eine schlichte Notwendigkeit in einer vernünftig geführten Demokratie, ist Voraussetzung dafür, dass ein Land überhaupt wieder nach vorne kommen kann. Da haben sich griechische Regierungen der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert; das wissen wir. Ob die jetzige Regierung es schafft? Ehrlich gesagt, ich hoffe es inständig. ({1}) Diese Hoffnung ist es auch, warum ich bereit bin, heute zuzustimmen, wenn es um eine Verlängerung um vier Monate, nicht mehr und nicht weniger, geht. Dann werden wir uns anschauen, ob die neue Regierung in diesen vier Monaten besser gewesen sein wird, als es die alten vielleicht waren, dann werden wir schauen, ob diese Regierung das, was sie letzten Freitag zugesagt hat, im Ansatz umsetzt. In vier Monaten kann man die Welt nicht verändern, kann man Griechenland nicht verändern; aber man kann zeigen, dass man damit anfängt. Wir werden nämlich ab Mai/Juni hier die Frage diskutieren, ob wir dieser Regierung so weit vertrauen, dass wir ein drittes Hilfsprogramm beschließen werden. Jeder, der heute zustimmt, muss wissen, dass, auch wenn die Griechen ihren Teil tun, ein drittes Hilfsprogramm unabweisbar sein wird. Das dritte Hilfsprogramm, das kommen wird, wird einfach die Fortsetzung der Arbeit sein, die wir angefangen haben. Wenn die griechische Regierung sichtbar Fortschritte macht - und ich traue den europäischen Institutionen zu, das auch positiv zu begleiten -, dann müssen wir aber auch den nächsten Schritt setzen. Das heißt, jeder, der hier heute zustimmt, ist auch in der Pflicht, beim nächsten Mal zuzustimmen ({2}) - immer genau zuhören, bevor man anfängt, zu nölen -, vorausgesetzt die Griechen erledigen ihre Hausaufgaben, bringen ihre Verwaltung, ihren Staat nach vorne. Das eine bedingt immer das andere. ({3}) Niemand darf glauben, dass in vier Monaten alles vorbei ist, alles gut ist, in Griechenland alles wunderbar funktioniert. Das glaubt auch keiner. Wenn die griechische Regierung ihren guten Willen zeigt und erste Erfolge vorweisen kann, werden wir - das hat Wolfgang Schäuble gesagt, das hat Carsten Schneider gesagt, das haben die Grünen gesagt - hier im Deutschen Bundestag auch ein drittes Programm beschließen. Eine Anmerkung sei mir noch gestattet: Ich habe Gregor Gysi eben sehr genau zugehört. Die Linke hat bisher keinem einzigen Griechenland-Programm zugestimmt. Jetzt stimmt sie zu. Die Linke hat bisher jede Regierungstätigkeit in Griechenland verurteilt und sagt jetzt: Die neue Regierung, die von Rechtsradikalen und Linksradikalen gemeinsam gebildet wird, ist das Nonplusultra. Es gab ja sogar Siegesfeiern in der Parteizentrale der Linken. Sie wollen griechische Regierungen mit ihrem jeweiligen Pendant hier im Bundestag zusammenbringen. Ich persönlich möchte mit keiner griechischen Regierung und mit keiner griechischen Partei zusammengebracht oder in Haftung genommen werden. Ich bin froh, wenn ich es mit meiner eigenen Partei kann. ({4}) Ich finde, man muss immer aufpassen, dass man für niemand anderen - für kein anderes Land und schon gar nicht für deren Parteien - die Hand ins Feuer legt. Das, was die Linke hier macht, finde ich schwer mutig. Man bejubelt eine Partei, die man nur in Ansätzen kennt, und sagt: Das ist jetzt der Heilsbringer, und deswegen stimmen wir auf einmal allem zu. ({5}) Herr Bartsch, weil Sie hier eben so gejodelt haben, als Carsten Schneider Sie zitiert hat, möchte ich das auch noch einmal tun, damit man genau weiß, was Sie zum Besten gegeben haben. Sie haben gesagt, Sie würden diesen Kurs und dieses Diktat ablehnen ({6}) - genau, Sie dürfen jetzt klatschen -, weil das im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten sei. Dass Sie dabei mitmachen, würden wir niemals erleben. - Damit, Herr Bartsch, haben Sie gelogen. Sie werden heute mitmachen, ({7}) und das, worüber wir heute abstimmen und was wir heute beschließen, ist im Kern genau das Gleiche, was vor vier Monaten beschlossen worden ist und im zweiten Programm generell steht. ({8}) Das heißt, Sie bemühen sich hier, eine ganz klare Lüge durch viel Theaterdonner zu verbergen. Gregor Gysi kann das. Er kann unterhalten und ist manchmal auch erfreulich lustig. ({9}) Auf der Sachebene ist er im Kern aber leider schwach. Sie sagen, dass die Linksradikalen und die Rechtsradikalen die Lösung für Griechenland sind. Ich hoffe das, ehrlich gesagt, für die Griechen, aber ich weiß es nicht. Ich bin aber, wie bei den vorhergehenden griechischen Regierungen auch, bereit, der jetzigen einen Vertrauensvorschuss zu geben, um mir im Anschluss anzugucken, ob das, was sie macht, im Ergebnis funktioniert. Dafür haben wir jetzt diese vier Monate. Wir stimmen hier heute namentlich aber über das Gleiche ab, worüber wir auch schon vor vier Monaten abgestimmt haben, als wir dieses Programm beschlossen haben. ({10}) Deswegen, Herr Bartsch, haben Sie gelogen, deswegen, Herr Gysi, haben Sie Unrecht. Ideologische Verblendung ist Dummheit und nicht akzeptabel, wenn es darum geht, eine Entscheidung im Deutschen Bundestag zu begründen. Sie stimmen nur deshalb zu, weil Ihnen gerade eine links- und rechtsradikale Regierung gefällt, obwohl Sie in der Vergangenheit auf der Sachebene, die sich überhaupt nicht geändert hat, immer abgelehnt haben. Deswegen fragt man sich doch, was Sie morgens nehmen. Das müssen doch illegale Substanzen sein. ({11}) Im Ergebnis ist das jedenfalls weder schlau noch weiterführend. Das bedient den Populismus, der überall um sich greift. Wer Populismus gepaart mit einer gehörigen Portion Dummheit will, der muss die Linke wählen. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Dehm das Wort.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da besonders bei den Zwischenrufen aus den Reihen der SPD von Rechtsradikalen und Linksradikalen die Rede war, will ich nur sagen: Wenn die Syriza-Regierung stürzen sollte - möglicherweise mit der tätigen Mithilfe von Leuten hier im Raum -, dann werden Sie erleben, was Rechtsradikale sind. Die „Goldene Morgenröte“, eine echt rechtsradikale faschistische Partei, steht bereit. ({0}) Wir reden aber bei Anel über eine Partei, die sich wegen der EU-Politik von ihrer Schwesterpartei, der Nea Dimokratia, abgespalten hatte. Das ist eine Partei, die in kürzester Zeit beschlossen hat - demzufolge gab es auch einige Diskussionen an ihrer Basis -, dass Migrantenkinder sofort die griechische Staatsbürgerschaft erhalten, ({1}) dass die Polizei bei Großdemonstrationen und Sportevents abgerüstet wird und dass eine Humanisierung des Strafvollzugs - auch bei schwersten Straftaten - erfolgt. Ich möchte einmal sehen, dass Rot-Grün oder die Große Koalition das möglich macht, was diese Koalition in wenigen Stunden vereinbart hat. Das ist der Beweis dafür, dass diese Regierung auf dem richtigen Weg ist. ({2}) Tun Sie mir bitte einen Gefallen, Herr Kahrs. Nennen Sie es - Sie können es nennen, wie Sie wollen - bitte nicht Reform und nicht Fortschritt, wenn die Kindersterblichkeitsrate in Griechenland um 43 Prozent zugenommen hat. Nennen Sie es nicht Reform und nicht Fortschritt, wenn das Gesundheitssystem an die Kapitalentwicklung gebunden wird und damit die Zahl der HIVInfektionen um 42 Prozent zugenommen hat. Nennen Sie es nicht Reform und nicht Fortschritt, wenn die Wirtschaft um 25 Prozent eingebrochen ist. Herr Bundesfinanzminister, nennen auch Sie es nicht Reform und nicht Fortschritt, wenn die Schulden in der Zeit der Troika von 239 Milliarden Euro auf 318 Milliarden Euro gestiegen sind. Die Schulden sind durch die segensreiche Diktatur der Troika auch nicht irgendwie reduziert worden. Sie sind gestiegen. Das zeigt, dass Ihre Politik gescheitert ist und dass Griechenland jetzt eine neue Politik braucht. ({3}) Ein allerletzter Punkt. Sie haben erklärt, Herr Kahrs, der Kollege Bartsch habe gesagt, ein Weihnachtsgeld für Spekulanten werde es mit ihm nicht geben. Danach haben Sie in schlecht gespielter Häme hier im Deutschen Bundestag kundgetan, das, was wir heute beschließen würden, sei ein Weihnachtsgeld für Spekulanten, ganz abgesehen davon, dass sich die Jahreszeit geändert hat. Nein, wir stimmen hier und heute nicht über ein Weihnachtsgeld für Spekulanten ab. Der Zeitgeist in Europa hat sich geändert. Auch das Gefühl für Würde, das die neue griechische Regierung den Menschen wiedergegeben hat, hat sich geändert. Seien Sie mir nicht böse: So wie Allende für einen Liter Milch gestanden hat - letzter Satz -, stehe ich hier dafür, dass Griechenland Geld bekommt und jetzt endlich Essensmarken an Arme und Hungernde verteilt werden können. Das ist das Symbol für die Syriza-Regierung. Dafür stehen wir, das ist die Veränderung. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer kurzen Erwiderung, Herr Kollege.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann verstehen, dass der Kollege etwas sauer war, dass seine Redezeit durch Herrn Gysi aufgebraucht worden ist. ({0}) Aber wenn man dann diese Kurzfassung hört, dann weiß man, dass er sich nur durch seine eigenen Vorurteile leiten lässt und nicht auf der Sachebene argumentiert. Wenn man sich die Vertreter dieser rechtsradikalen Partei anschaut, dann fragt man sich, wodurch sie aufgefallen sind: durch antisemitische und homophobe Äußerungen. Das kann man einmal durchdeklinieren. Wenn die Linke glaubt, dass sie mit Antisemiten zusammenarbeiten möchte - das haben Sie in Deutschland übrigens schon einmal gemacht; ({1}) Sie haben schon einmal mit Rechtsradikalen und Antisemiten zusammen demonstriert -, dann zeigt das, wes Geistes Kind die Linke ist. Das zeigt auch, dass Sie weder europäisch noch international sind, sondern genauso kleingeistig und rückwärtsgewandt wie die AfD. Vorurteile, das können Sie. Sachebene, das können Sie nicht. ({2}) Uns geht es darum, den jeweiligen griechischen Regierungen die Möglichkeit zu geben, in ihrem Land eine sachliche und vernünftige Politik zu machen. Was in Griechenland gemacht wird, entscheidet am Ende des Tages die griechische Regierung, die in Griechenland gewählt wird. Wir hoffen, dass das für Griechenland gut ist. Wir bezweifeln, dass die Linke mit ihrer Politik vorwärts gerichtet ist oder dieses Land weiterbringen wird. Deswegen sage ich noch einmal: Jede Stimme für die Linke ist verschwendet. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kahrs, was Sie hier geboten haben, ist derart kleinkariert, dass ich mich dazu inhaltlich überhaupt nicht äußern werde. ({0}) Nicht wir sind durch Voreingenommenheit geprägt, sondern Sie. Aber eines sage ich auch: Wenn in Deutschland wirklich die Gefahr einer Koalition mit einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD besteht, dann weiß Gott nicht durch die Linke, sondern durch die Union. Wenigstens das müssten Sie begreifen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun denn. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Andreas Scheuer für die CDU/CSU-Fraktion.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dehm, Herr Kollege Gysi, es bleibt aber unterm Strich dabei: In Griechenland gibt es eine Koalition aus Linksextremen und Rechtsextremen. ({0}) Diese Fakten können Sie nicht wegdiskutieren. ({1}) Meine Damen und Herren, Sie empfangen ja Ihre Anweisungen mittlerweile aus der Thüringer Staatskanzlei. In einem aktuellen Schreiben aus dieser Staatskanzlei an die Mitglieder der Fraktion Die Linke heißt es wortwörtlich im Text, es gehöre „zu den solidarischen Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Linken“, heute zuzustimmen; ({2}) das nur mal als kleiner Hinweis dazu, warum sich das so entwickelt hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Währung der Politik ist zuallererst Vertrauen. Dieses Vertrauen hat die griechische Regierung in den letzten Wochen arg strapaziert. Die Beiträge der Regierungsmitglieder in Griechenland haben nicht nur dem Ansehen Europas und der Solidarität in Europa geschadet, sondern widersprechen auch unseren Vorstellungen von politischer Kultur. Deswegen, meine Damen und Herren, hat sich auch bei uns in der Bevölkerung eine Stimmung entwickelt, die sich gegen diese europäische Solidarität richtet. ({3}) Fakt ist auch, dass eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger - wenn sie hier sitzen würde - heute mit Nein stimmen würde. ({4}) - Herr Kollege Hofreiter, ich versuche gerade, Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. ({5}) Lieber Herr Kollege Hofreiter, Ihre Rede war ein guter Versuch, sachlich zu sein. Aber der Kollege Kindler hat Begriffe wie „dummdreist“ und „überheblich“ verwendet. Das läuft einer Debatte, in der es um europäische Solidarität geht, aus meiner Sicht zuwider. ({6}) Es geht auch darum, unsere heutige Entscheidung zur Verlängerung des bestehenden Programmes der Stabilitätshilfe den Bürgerinnen und Bürgern mit Fakten unterlegt gut zu erklären. Kollege Brinkhaus hat die Fakten auf den Tisch gelegt. In dieser Verantwortung müssen wir heute entscheiden. Jeder hat irgendwo ein - ja - Gefühl, das nicht nur positiv ist. Denn wir müssen uns darauf verlassen, dass die griechische Regierung jetzt liefert. Aber Wolfgang Schäuble hat es in den letzten Wochen geschafft, eine große Koalition der Stabilitätsländer in der Euro-Zone zu erreichen. Alle haben sich um unseren Bundesfinanzminister geschart. Danke für diesen Einsatz, lieber Herr Schäuble, ({7}) und auch für das klare Bekenntnis, was alles zu leisten ist. Ja, es geht schlichtweg nur um eine Verlängerung. Aber diese Verlängerung ist an harte Kriterien und Erwartungen geknüpft. Deswegen hat sich die CSU-Landesgruppe, die in mehreren Sitzungen darüber beraten hat, die Entscheidung auch nicht leicht gemacht. Bei vielen ist der Geduldsfaden arg unter Spannung; bei einigen Kollegen ist der Geduldsfaden schon gerissen. Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt um Klarheit. Das heißt: kein Rückfall hinter die schon geleisteten Reformen, keine Rücknahme von Reformen, ein klares Konzept, ein klarer Zeitplan und klare Ziele mit den europäischen Institutionen, mit der Troika zusammen. Es ist heute an der Zeit, Ja zu sagen zu einer Verlängerung, aber geknüpft an diesen harten Kriterienkatalog. Eines ist aber auch ganz klar: Wie in Griechenland politisch kommuniziert wird, ist deren Sache. Uns muss es um die Stabilität unserer Währung und die Erfüllung der Reformen, die Griechenland jetzt leisten muss, gehen. ({8}) Für die CSU-Landesgruppe ist der Prüfmaßstab: ({9}) deutsche Solidarität nur gegen griechische Reformen. Meine Damen und Herren, es folgen drei Schritte - so würde ich das ausdrücken -: jetzt die Verlängerung gleichzeitig eine Gewährung von zusätzlicher Zeit beim Nachsitzen -; Ende April der Maßnahmenkatalog mit einem Zeitplan, um das Vorrücken nicht zu gefährden, und Ende Juni entscheidet das Kollegium über Vorrücken oder sogar Ausschluss. Herr Kollege Hofreiter und Herr Kollege Kahrs, wir reden jetzt nicht über ein drittes Hilfspaket. Ich möchte, dass erst die Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich die Einhaltung von Reformkriterien. ({10}) Wenn wir jetzt gleich abstimmen, dann hat das nichts mit politischer Kommunikation auf nationaler Ebene zu tun, sondern damit - das hat mir in vielen Minuten dieser Debatte gefallen -, den Bürgerinnen und Bürgern klarzumachen, dass es um ein gemeinsames Europa in Solidarität geht, aber so, wie der Kollege Schneider es ausgedrückt hat. Wir haben schon mehrfach abgestimmt. Aber in vorauseilendem Gehorsam, lieber Kollege Schneider und lieber Kollege Kahrs, macht dieser Deutsche Bundestag nichts. Wir werden alles genau auf den Prüfstand stellen. Ende Juni ist die Zeit der Entscheidung, ob es mit Griechenland weitergeht oder nicht. Das ist die letzte Chance, die wir Griechenland einräumen; das muss jedem klar sein. In diesem Sinne bitte ich um große Zustimmung, damit wir das Signal setzen: kein Rückfall hinter die geleisteten Reformen, aber ein klarer Fahrplan, um aus der Misere herauszukommen. Andere Länder haben es vorgemacht. Griechen, jetzt müsst ihr liefern! ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind hier sicherlich bei einer Reihe von Punkten unterschiedlicher Auffassung. Es ist auch gut so, dass wir das diskutieren. Aber in einem Punkt sollten wir uns hier alle - Koalitionsfraktionen und Opposition, Regierungsvertreter und Bundesrat - einig sein: Wir unterstützen keine Axel Schäfer ({0}) Kampagnen gegen andere Länder. Wir unterstützen das nicht. ({1}) Wir sind in Europa eine Gemeinschaft, in der Menschen für Menschen und Länder für Länder kritisch, aber solidarisch einstehen. Ich will Ihnen einmal erläutern, was das für Deutschland heißt. Ich bin 1952 geboren: 1952 gab es eine Schuldenkonferenz in London, bei der es um unser Land, die Tragfähigkeit von Belastungen und mögliche Zukunftschancen ging. Haben uns damals 151 Länder die kalte Schulter gezeigt? 1952 fanden in Oslo und Helsinki Olympische Spiele statt. Haben uns 193 Länder ausgeschlossen und unseren Athletinnen und Athleten die Teilnahme verwehrt? 1952 hat erstmals ein europäisches Parlament seine Arbeit aufgenommen, initiiert von Frankreich und den Beneluxstaaten. Waren wir ausgeschlossen? 1952 hat die deutsche Bundesregierung zum ersten Mal den Versuch unternommen, in einem anderen Staat ein Goethe-Institut zu gründen. Wurde das in Athen abgelehnt? - All diese Fragen sind mit Nein zu beantworten. Die Rückkehr Deutschlands in die Völkerfamilie und die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft waren nur möglich, weil uns nach dem schrecklichsten aller Kriege, die von Deutschland und in deutschem Namen begonnen und geführt worden sind, diejenigen, die überfallen worden sind - Benelux, Frankreich usw. -, die Hand gereicht und mit uns zusammengearbeitet haben, ohne alles aufzurechnen und ohne zu sagen: Raus mit euch! Auf die Knie! - Das kann in Europa niemals unsere Haltung sein, auch nicht gegenüber Griechenland. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt ja Gott sei Dank in der Diskussion hier in diesem Haus und in den Fraktionen alle in der europäischen Wirklichkeit angekommen. ({3}) Ich finde es nicht in Ordnung, wenn der griechische Ministerpräsident Tsipras sagt: „Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg.“ Wer diese Worte wählt, hat ein zentrales Element europäischer Gemeinschaft nicht verstanden. ({4}) In Europa werden eben keine Schlachten, sondern Verhandlungen miteinander geführt, und es werden schon gar keine Kriege gegeneinander geführt, ({5}) sondern friedlich auch schwierigste Kompromisse gefunden. Das ist eben der Unterschied; das ist auch der Unterschied zu dem, was wir in der Ukraine und Russland erleben. Das ist genau der Unterschied, um den es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Deshalb muss eine Diskussion darüber, wie wir uns zu Griechenland positionieren, auch ehrlich und selbstkritisch geführt werden. Ganz klar: Konservative oder Mitglieder der christdemokratischen Parteifamilie und Mitglieder der sozialdemokratischen Parteifamilie Pasok tragen eine zentrale Verantwortung für das, was in diesem Land in den letzten Jahrzehnten schrecklich gelaufen ist, ({7}) was wirklich sehr schlecht gelaufen ist. Wir in der SPD - das sage ich für meine christdemokratischen Kolleginnen und Kollegen sicherlich mit - haben geglaubt, als Karamanlis und Papandreou und all die anderen nach der Militärdiktatur aus Paris, aus Frankfurt und aus New York wieder nach Athen kamen, dass sie einen demokratischen, funktionierenden Staat aufbauen und in die EU führen. Funktioniert hat die Aufnahme in die EU. Das andere - ein handlungsfähiger Staat, der Korruption bekämpft und die Finanzen sichert, eine funktionierende Verwaltung - hat eben nicht funktioniert. Es ist jetzt die Verpflichtung, dass dies in Griechenland gelingt. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute darüber diskutieren, hat das auch immer etwas mit Haltung zu tun. Es gibt kein deutsches Diktat gegenüber Athen. Es gibt auch keine deutsche Vorherrschaft in Europa. Es gibt eine Debatte von 19 Staaten in der Euro-Zone. ({9}) Es gibt eine Entscheidung innerhalb von 28 Staaten, bei der Deutschland wie Griechenland, wie Frankreich und Ungarn gleichberechtigt ist. Das ist die Basis, auf der wir dabei arbeiten. Alles andere wird es nicht geben. Wir werden Verständigung miteinander nur erreichen, wenn wir auch Verständnis füreinander haben. Ohne das geht es in solch einer Entscheidung nicht. Ich sage hier bewusst provokativ nach all den Beschlüssen, die der Deutsche Bundestag seit 2010 getroffen hat, und auch in Richtung meines Vorredners von der CSU: Der Weg von Kompromissen heißt: Bis hierhin und dann weiter. Die Drohung mit Ausschluss, mit Grexit, alles derartige Wording, ist schlicht und einfach Unsinn, weil das eben nicht nur Griechenland bestrafen - in Anführungsstrichen - oder zerstören würde, sondern die Gemeinschaft insgesamt, die Europäische Union zerstören würde. Und das werden wir definitiv nicht machen. Axel Schäfer ({10}) ({11}) Wir können hier über viele Details kritisch diskutieren; es gibt keine letzten Wahrheiten. Es gibt aber 60 Jahre Erfahrungen, die besagen: Außer in der Frage der Verteidigungsgemeinschaft hat diese europäische Methode der Kompromisse, des Immer-wieder-miteinander-Redens und Verhandelns und auch des Aufeinander-Zugehens, zum Erfolg geführt und nicht zum Scheitern. Und wir wollen den Erfolg. Wir sind ins Gelingen verliebt und nicht ins Scheitern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Es stimmt: Die Diskussion bei unseren Bürgerinnen und Bürgern, in all unseren Parteien, ist kritisch. Ich würde mir aber wie mein Vorredner nicht anmaßen, hier zu sagen: Wenn alle Bürgerinnen und Bürger, die Interesse an der Sache haben, sich hier versammeln könnten, würden die jetzt dagegen stimmen. - Ich glaube, der europäische Sinn, der uns in diesem Hause verbindet, ist allemal tragfähig, Überzeugungsarbeit zu leisten, damit nicht Stimmungskampagnen in der Bevölkerung, sondern gemeinsam organisierte Diskussionen zum Erfolg führen. Wir brauchen nur einen einzigen Satz, um das verständlich zu machen: Es kann Deutschland nicht gut gehen, wenn es den Ländern um uns herum in der EU schlecht geht. Das sollte uns gemeinsam leiten. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Klaus-Peter Willsch das Wort. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird sich gleich zeigen, dass ich nicht für die Mehrheit, sondern für eine Minderheit in meiner Fraktion spreche. Ich bin dankbar, dass das möglich ist. Herr Schäfer, bei allem Verständnis für den Versuch, sich in staatsmännische Pose zu werfen, darf man bei dem Thema eines nicht vergessen: Wir reden erneut über Griechenland, das einen Anteil von 2 Prozent an der Wirtschaftskraft der Euro-Zone hat. Die Probleme, die in Griechenland bestehen, hängen damit zusammen, dass Regierungen über Jahrzehnte in verantwortungsloser Weise missgewirtschaftet und Schulden gemacht haben, ohne zu fragen, ob es ein Morgen gibt. Das ist das Problem, über das wir uns unterhalten müssen. ({0}) Bemerkenswert war im Rahmen der Diskussionen, die wir auf dem Weg zu der heutigen Debatte geführt haben, für mich die Aussage von Finanzminister Schäuble: Wir wissen nicht, wo Griechenland steht. - Das ist auch nachvollziehbar; denn die Troika ist draußen. Wir bekommen keine neutralen Zahlen mehr. Die Regierung hat die Troika rausgeschmissen. Die „Institutionen“ will sie vielleicht wieder reinlassen - es kommt darauf an, was zählt: ob das zählt, was sie in Brüssel oder Berlin sagt, oder das, was sie in Athen sagt. Wir sind damit wieder in der gleichen Lage, in der wir auch waren, als wir uns fragten, ob Griechenland wohl in die Euro-Zone hineinkommen kann. Wir waren damals auf griechische Zahlen angewiesen, von denen wir heute wissen, dass sie gefälscht waren, grob gefälscht, um sich den Zugang zur Währungsunion zu erschleichen. ({1}) - Goldman Sachs ist von der griechischen Regierung beauftragt worden. ({2}) Wir waren erneut auf solche Zahlen angewiesen, als wir über Haushaltsdefizite in Griechenland sprachen und sich nachher herausstellte, dass nicht 6 oder 8, sondern 15 Prozent Defizit zu verzeichnen war. Nun haben wir wieder keinen Zugriff auf die Zahlen, aber wir wissen so einiges, was in den letzten Jahren geschehen ist. Die Europäische Union und der IWF haben ungefähr 250 Milliarden Euro an Krediten an Griechenland gewährt. Das sind 135 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung Griechenlands. Das sind mehrere Marshallpläne, um das Thema damit gleich zu erledigen. Wir haben einen Schuldenschnitt, den größten in der Finanzgeschichte, in Höhe von 107 Milliarden Euro gewährt. Dazu kommt ein Schuldenschnitt von über 40 Milliarden Euro, der durch Zinserleichterungen und Aufschub von Tilgungsleistungen zustande gekommen ist. Griechenland weist heute 320 Milliarden Euro Schulden auf. Das entspricht 180 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung und ist dreimal so viel, wie nach den Maastricht-Kriterien zulässig ist. Wo ist denn da die Herrschaft des Rechts in Europa? Wir haben in Griechenland eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent und eine Jugendarbeitslosenquote von 50 Prozent zu verzeichnen. Ich wiederhole meinen Vorschlag vom Mai 2010: Griechenland muss es außerhalb des Euros versuchen. Die Euro-Zone muss atmen können. Wenn die Abwertung der Währung nicht mehr möglich ist, kann Wettbewerbsfähigkeit nur durch reale Kürzungen von Löhnen und Preisen erfolgen. Dass das an ein Ende kommt, sehen wir. Selbst heute, nach dem, was geschehen ist, sind in Griechenland die Lohnkosten noch doppelt so hoch wie in Polen und Slowenien, und die Wettbewerbsfähigkeit liegt darnieder. Es wäre eine Abwertung um mindestens 30 Prozent notwendig, um das zu ändern. Ob eine Regierung aus linksradikalen und rechtsradikalen Populisten so etwas fertigbringt, zeigt sich, wenn wir uns die Bilder anschauen, die uns dieser Tage aus Griechenland erreichen. Ich will Ihnen nicht vorenthalten, dass ein Onlinedienst aktuell Folgendes meldet: Die Reformpläne seien in Abstimmung mit anderen Euro-Ländern absichtlich unbestimmt formuliert. Sonst würden sie nicht die notwendige Zustimmung der Parlamente der Euro-Länder erhalten, sagte Varoufakis im griechischen Fernsehen. Er bezeichnete dieses Vorgehen als produktive Undeutlichkeit. So viel zu dem, was in Griechenland gesagt wird, und dem, was hier gesagt wird. Wir sind in der Fastenzeit. Für Christen ist die Fastenzeit eine Zeit der inneren Einkehr oder gar der Umkehr. ({3}) Wenn man nicht in die richtige Richtung fährt, macht es keinen Sinn, das Tempo ständig zu erhöhen. Damit entfernt man sich nur weiter vom Ziel. Mein Christentum spendete mir manchmal Trost, wenn ich mit meiner Position ein bisschen allein war.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im zweiten Buch Mose heißt es: „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist …“. Das habe ich hinreichend berücksichtigt. Herr Präsident, nun folgt der Schlusssatz für diejenigen, die mit dem Christentum nichts anfangen können, ein alter Rat aus Wahlkampfzeiten: Schauen Sie sich Tsipras an, schauen Sie sich Varoufakis an! Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen? ({0}) Wenn die Antwort darauf Nein lautet, dann stimmen Sie auch heute mit Nein. Das Elend wird sonst weitergehen. ({1}) Die nächsten Milliardenzahlungen stehen an. Wir werden mit Blick auf den Juni über ein Volumen von 30 Milliarden bis 40 Milliarden Euro diskutieren. Es wird kein Ende nehmen. Wenn das Wasser an der Oberkante der Unterlippe steht, wird nach neuem, frischem Geld von uns gerufen werden. Es wird kein Ende nehmen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eckhardt Rehberg ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Gysi, wenn man wie Sie Zahlen in den Raum wirft und darauf hinweist, dass das durchschnittliche Einkommensniveau in Griechenland um 30 Prozent gesunken ist, dann muss man auch sagen, dass es 2010 knapp über 30 000 Dollar lag und dass das heutige durchschnittliche Einkommensniveau in Griechenland dem durchschnittlichen Einkommensniveau in den neuen Bundesländern entspricht. ({0}) Ja, das muss man miteinander vergleichen; denn wir haben nicht nur Verantwortung für Deutschland wahrzunehmen, sondern auch Verantwortung für Transformationsländer wie Estland, Lettland, Litauen, Polen, Bulgarien, Rumänien und die Slowakei. Auch dafür stehen wir heute in der Verantwortung. ({1}) Die Griechen haben sich 2009/10 einen schuldenbasierten Wohlstand geleistet, konnten sich an den Finanzmärkten nicht mehr refinanzieren und sind heute auf europäisches Geld angewiesen. Dann finde ich es schon etwas weit hergeholt, wenn der Finanzminister eines kleinen europäischen Landes mit einem deutlich geringeren Wohlstands- und Sozialniveau den griechischen Finanzminister darauf hinweist, dass er dies auch bedenken möchte, und die Antwort lautet: Das ist Ihr Problem; davon können wir in Griechenland nicht leben. - Solidarität sowie Verständnis füreinander in Europa können und dürfen keine Einbahnstraße sein. ({2}) Kollege Gysi, ich will Ihnen noch etwas anderes sagen. Sie schwadronieren sehr gerne. Aber Ihr Schwadronieren ist nicht sehr stark von Sachkenntnis geprägt. ({3}) Ich will Ihnen das an einem einzigen Beispiel klarmachen. Griechenland braucht keinen Marshallplan. Griechenland hat einen Marshallplan. Griechenland bekommt die europäischen Fonds zu 95 Prozent als Zuschuss. Die restlichen 5 Prozent kann es eigenfinanzieren oder durch Darlehen der Europäischen Investitionsbank decken. Ich will Ihnen etwas zur Schiffbauindustrie sagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rehberg, bevor Sie zur Schiffbauindustrie kommen: Lassen Sie eine Zwischenbemerkung der Kollegin Sitte zu, die sich auf eine vorangegangene Bemerkung bezieht? ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Rehberg, ich weiß, dass eine solche Debatte auch immer eine Zahlenschlacht ist und dass in der damaligen Debatte, in der die Krise in Griechenland schon einmal besprochen wurde, sehr viele Falschinformationen über die Sozialstandards in Griechenland verbreitet worden sind. Ich möchte sie an dieser Stelle ausdrücklich korrigieren. Es wird immer wieder behauptet - auch von der Bild-Zeitung -, die Griechen seien zu faul. Die tatsächliche Wochenarbeitszeit der Griechen betrug vor der Krise 44,3 Stunden. In Deutschland lag sie bei 41 Stunden, im EU-Durchschnitt bei 41,7 Stunden. Haben die Griechen zu viel Urlaub gehabt? Damit komme ich zu einem weiteren Sozialstandard. Der Urlaubsanspruch griechischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrug vor der Krise 23 Tage, in Deutschland 30 Tage. Damit ist Deutschland europaweit spitze. ({0}) Haben die Griechen Luxusrenten bekommen? Das durchschnittliche Rentenalter von Männern in Deutschland liegt bei 61,5 Jahren, in Griechenland bei 61,9 Jahren. Schließlich: Hat man sich denn in Griechenland ein zu fettes Leben gemacht? Das Lohnniveau der Griechen betrug 2010 nur 73 Prozent des Durchschnitts der EuroZone. Griechenlands Arbeitskosten lagen damals bei 17,7 Euro pro Stunde, in Deutschland bei 29 Euro. 25 Prozent der Griechen verdienten schon damals im Monat weniger als 750 Euro.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Letzte Anmerkung von mir. - Lehrerinnen und Lehrer verdienen nach 15 Dienstjahren 40 Prozent weniger als Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland. Also hören Sie auf, den Griechen, insbesondere der griechischen Bevölkerung, zu unterstellen, sie hätten sich auf Kosten anderer vorher bereichert und gesundgestoßen. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich würde gerne Ihre Einlassung beantworten, wenn Sie das möchten. Nehmen wir allein das Thema öffentlicher Dienst in Griechenland. Wenn wir die Struktur des öffentlichen Dienstes in Griechenland und Deutschland vergleichen, dann stellen wir fest, dass Griechenland viermal mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst hat als Deutschland. ({0}) Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Griechenland haben nach meiner Kenntnis 14 Monatsgehälter zum Zeitpunkt 2010 erhalten. ({1}) Es geht um erfolgreiche Politik. Es war sicher eine Herausforderung, im Jahr 2003 die Agenda 2010 zu initiieren. ({2}) Das hat der SPD und den Grünen nicht gutgetan, das ist ihnen nicht leichtgefallen. Damals gab es die Konstellation, dass Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundesrat hatte. Mit diesem Aufschlag mit der Agenda 2010, mit der Politik, die wir in der Großen Koalition von 2005 bis 2009, in der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 gemacht haben und jetzt wieder in der Großen Koalition machen, haben wir Folgendes erreicht: das höchste Erwerbsarbeitsniveau in Deutschland, das höchste Wohlstandsniveau, ({3}) keine neuen Schulden, finanzielle Spielräume, um in Bildung und Forschung zu investieren, in Verkehrsinfrastruktur usw. usf. Frau Kollegin Sitte, das zeigt: Wer sich anstrengt wie wir in Deutschland, der ist auch erfolgreich. ({4}) Griechenland hat einen Marshallplan. Herr Kollege Gysi, wenn Sie den Schiffbauern in Bremen, in Kiel, in Hamburg, in Rostock, in Stralsund und in Wolgast erklären, dass Sie dafür sind, dass in Griechenland Schiffe mit europäischem Geld gebaut werden, hochsubventioniert, und dadurch deutsche Schiffbauer Aufträge verlieren, wenn Sie deutschen Reedern und deutschen Seeleuten erklären, dass diese subventionierten Schiffe mit subventionierten Charterraten durch die Welt fahren und deswegen deutsche Schiffe keine Aufträge bekommen, dann wünsche ich viel Vergnügen. Gehen Sie zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der deutschen Seeschifffahrtsunternehmen und der deutschen Werften, und erklären Sie, dass Sie sich hier dafür eingesetzt haben, dass in Griechenland mit europäischem Geld subventionierte Schiffe gebaut werden. Das, was Sie hier vorbringen, Herr Kollege Gysi, zeugt von keinerlei Sachkenntnis. ({5}) Die ganze Doppelzüngigkeit der Linken wurde deutlich bei der Rede von Herrn Hofreiter. Herr Kollege Hofreiter, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar, dass Sie die Karikaturen in der Parteizeitung von Syriza kritisiert haben. Das ganze Haus hat Beifall geklatscht und hat Ihnen damit zugestimmt. Eine Fraktion hat nicht zugestimmt, die Fraktion Die Linke. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, man muss generell gegen Antisemitismus sein. Nazivergleiche darf man auf keinen Fall zulassen. Ihre Doppelzüngigkeit ist bei der Kritik des Kollegen Hofreiter deutlich geworden, indem Sie nicht mitgeklatscht haben, wohl aber das ganze Haus. Das ist eine Doppelzüngigkeit, die Sie hier gezeigt haben. ({6}) Um es in Erinnerung zu rufen: Wir stimmen hier über ein bestehendes Reformprogramm ab. Im Dezember haben wir seiner Verlängerung um zwei Monate zugestimmt. Jetzt stimmen wir einer Verlängerung um vier Monate zu. Dass Geld fließt, ist kein Automatismus. Der eine oder andere meint, schon heute über ein drittes Hilfspaket reden zu müssen. Wir werden es zwischen heute und Juni mit zwei anderen Hürden zu tun haben: Das MoU wird durch die Troika überprüft werden. Außerdem wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages darüber entscheiden müssen, ob die Auszahlung der ausstehenden Tranche des EFSF-Programms und die Überweisung der SMP-Gewinne vorgenommen werden dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die griechische Regierung hat eine Chance verdient, ja. Aber schon bis zur Überprüfung dieser Auszahlungen muss die griechische Regierung beweisen, dass sie den Vertrauensvorschuss zu Recht erhalten hat. Das heißt, dieses Thema wird sich nicht bis Juni hinziehen; vielmehr werden wir spätestens im März/April sehen können, ob die Regierung Tsipras/ Varoufakis es mit ihren Zusagen ernst meint. ({7}) Jeder muss sich vor Augen führen: Das ist die Basis des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen, dem die Erklärung der Euro-Gruppe vom 20. Februar 2015 zugrunde liegt. Ich bin Bundesfinanzminister Schäuble ausdrücklich dankbar, dass er klar gesagt hat, dass der Antrag der Griechen vom Vortag nicht zustimmungsfähig ist. In der Erklärung, die in weiten Teilen wortgleich im Antrag des Bundesministeriums der Finanzen enthalten ist, werden an Griechenland keine Zugeständnisse gemacht. Ganz im Gegenteil: Enthalten ist ein ganz wesentlicher Punkt, der heute in der Debatte noch keine Rolle gespielt hat: Fast 11 Milliarden Euro aus dem griechischen Bankenrettungsfonds kommen in europäische Hoheit zurück. Das Einzige, bei dem ich finde, dass wir ein Zugeständnis gemacht haben - da bin ich aber relativ entspannt und schmerzfrei -, ist, dass wir jetzt nicht mehr „Troika“, sondern „drei Institutionen“ sagen sollen. Wolfgang Schäuble hat an diesem Tag - die Zustimmung im Deutschen Bundestag wird das beweisen - viel für Europa und viel für Deutschland getan. Alles andere wäre ein Irrweg gewesen. Dieses Dokument vom 20. Februar 2015 ist ein Vertrauensvorschuss, eine Chance für die neue Regierung. Aber die Botschaft an Tsipras, an Varoufakis ist: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen am Ende einer intensiven und auch einer kontrovers geführten Debatte. Uns eint das Ziel, dass wir für ein starkes Europa kämpfen möchten, das als Friedens-, als Freiheits- und auch als Wohlstandsprojekt weltweit und in der Geschichte einzigartig ist. Es ist vollkommen richtig - es wurde bereits mehrfach gesagt -: Wir akzeptieren die Entscheidung des griechischen Souveräns. Das tun wir; das haben wir in der Vergangenheit bewiesen, auch in den letzten Wochen. Aber es ist auch eine Frage der Gegenseitigkeit, des Vertrauens, dass man gegebene Zusagen einhält und dass man das, was man international und zwischenstaatlich vereinbart hat, nicht einfach und einseitig aufkündigt. ({0}) Wir haben es in der Rede des Bundesfinanzministers gehört: Das, was wir heute machen, ist die technische Verlängerung eines hier im Hause bereits beschlossenen Programmes. Was für uns entscheidend ist: Die Voraussetzungen und Bedingungen bei der Fortsetzung dieses Programmes werden sich in den nächsten vier Monaten nicht ändern. Es geht im Kern darum, ein Programm erfolgreich zum Ende bringen zu können. Da sichern wir der griechischen Regierung und Griechenland unsere Unterstützung zu, erwarten dann aber, dass das, was in Brüssel vereinbart ist, in Griechenland nicht nur gesagt, sondern tatsächlich auch umgesetzt wird. ({1}) Wir werden sehr genau darauf achten, dass man nicht mit langfristigen Einnahmeerwartungen - Bekämpfung von Korruption und der Hinterziehung von Steuern -, nicht mit langfristig zu erzielenden Steuereinnahmen kurzfristig Ausgaben finanzieren möchte. Das ist nämlich die Politik linker Regierungen. Da ist Griechenland nicht anders als Deutschland; das können wir dort erleben, wo die Linke Landesregierungen stellt, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Für uns ist klar: Wir kaufen ein weiteres Mal Zeit. Wir geben Chance und Unterstützung. Das muss genutzt werden, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass im Sommer dieses Jahres weitere Schritte gegangen werden können. Das setzt Vertrauen voraus, Vertrauen, das in den vergangenen vier Wochen geradezu mit Füßen getreten worden ist. Es ist eine Frage dessen, wie man miteinander umgeht. Es ist so, dass 18 Partner Geld und Unterstützung zur Verfügung gestellt haben, dort als eine Phalanx stehen, während eine Regierung glaubt, eigene Wahlversprechen mit dem Geld anderer Leute finanzieren zu können. Das werden wir nicht durchgehen lassen. Das werden wir nicht akzeptieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Jetzt haben wir heute hier in dieser Debatte auch viele Unterstellungen gehört. Wir haben das Jonglieren mit falschen Zahlen erlebt. Wir hören immer wieder, dass die Situation in Griechenland - Sie versuchen, diesen Eindruck zu erwecken - nicht in Griechenland entstanden sei, sondern dass andere schuld seien: Brüssel, Berlin oder irgendwelche anderen. ({4}) Ich will gern darauf eingehen. Sie haben versucht, das mit Zahlen zu unterlegen. Das Problem ist nur, lieber Herr Dehm, dass die Zahlen, die Sie genannt haben, falsch sind. ({5}) - Doch! Wir haben heute in Ihrer Kurzintervention ein weiteres Mal - Sie haben es in den vergangenen Wochen mehrfach gesagt - von einer sozialen Verelendung in Griechenland gehört. ({6}) Sie haben das mit Zahlen zur Säuglingssterblichkeit gestützt. Ich will Ihnen eines sagen: Die Steigerung der Säuglingssterblichkeit in Griechenland um 43 Prozent war nicht ab 2010, sondern zwischen 2008 und 2010. Danach ist sie zurückgegangen. ({7}) Die Zahl liegt in Griechenland bei 2,9 ({8}) und in Deutschland bei 3,3. ({9}) Das sind die Zahlen von Eurostat, lieber Herr Dehm, und die sollten Sie akzeptieren. ({10}) Das Gleiche gilt für den Blödsinn über die Suizidrate. Die ist in Griechenland hoch, aber in Deutschland dreimal höher. Auch das sind Zahlen von Eurostat. ({11}) Sie sollten sie akzeptieren. Wirtschaftlicher Niedergang. Schauen Sie sich doch die Fakten an! ({12}) 2014 gab es ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent. Für 2015 und 2016 ist ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent bzw. 3,6 Prozent prognostiziert. Die Anstrengungen und das Anpassungsprogramm waren richtig. Das war gut. Es hat angefangen, zu wirken, bis Links- und Rechtsradikale in Athen die Regierung übernommen haben ({13}) und die wenigen, die da noch Steuern bezahlt haben, die Zahlung auch noch zurückgestellt haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist die Wahrheit. ({14}) Deshalb werden wir darauf achten, dass auch zukünftig die Bestimmungen, die wir in den europäischen Verträgen haben, eingehalten werden. Wir sind solidarisch. ({15}) Um mit den Worten von Günther Oettinger zu sprechen: Wir sind gutwillig, aber wir sind nicht dumm. Wir sind entgegenkommend, ({16}) aber wir lassen uns nicht erpressen. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Wir wollen Unterstützung geben, aber wir wollen Unterstützung verbunden mit Bedingungen und mit Solidarität. Wir wollen keinen Verstoß gegen Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Wir wollen keine Bail-out-Union. Das ist unsere Vision eines guten Europas. Wir wollen Solidarität, aber eine, die von innen stark und verlässlich ist. Damit bitte ich um die Zustimmung zum Antrag des Bundesministeriums der Finanzen. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, mache ich da- rauf aufmerksam, dass weit über 100 schriftliche Erklä- rungen zur Abstimmung vorliegen, die wir wie immer dem Protokoll beifügen.1) Es gibt außerdem zwei Wünsche auf Abgabe einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung. Solche Erklä- 1) Anlagen 3 bis 12 Präsident Dr. Norbert Lammert rungen werden nach unserer Geschäftsordnung in der Regel vor der Abstimmung abgegeben. Ich lasse diese beiden mündlichen Erklärungen deswegen zu - unter ausdrücklichem Hinweis auf das strikte Zeitregime, das dafür gilt. Zunächst der Kollege Michael Schlecht, dann die Kollegin Groth. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich stimme dem Antrag zu, weil ich will, dass Griechenland Zeit gewinnt, Zeit, in der die neue griechische Regierung die Chance bekommt, die Diskussionen in Europa und auch in Deutschland weiter voranzutreiben, dass die bisherige Politik, die maßgeblich von Deutschland über die Troika dem griechischen Volk aufoktroyiert wird, gescheitert ist. Ich will, dass die griechische Regierung in dieser Diskussion die Chance erhält, bei einem weiteren Programm ab Sommer deutliche Veränderungen durchzusetzen. Vor allen Dingen soll es auch gelingen, dass sich andere europäische Länder, die ebenfalls unter der Krisenpolitik leiden, die von Deutschland den anderen Ländern aufoktroyiert wird, einreihen. Deswegen stimme ich zu, dass die griechische Regierung die Chance bekommt, endlich das zu tun, was in den vergangenen Jahren nicht gemacht worden ist, nämlich Reiche und Vermögende viel stärker zur Kasse zu bitten und dafür zu sorgen, dass sie ihren Beitrag dazu leisten. ({0}) Meine Zustimmung ist keine Zustimmung zu Merkel und Schäuble. ({1}) Es ist keine Zustimmung zu dem Kurs, der von Deutschland ausgeht und der dem griechischen Volk eine brutale Austeritätspolitik aufherrscht. Ich stimme auch deshalb zu, weil ich damit die Chance eröffnen will, dass der Diskurs in nächster Zeit verbreitert wird. Es geht nicht nur darum, die Austeritätspolitik zu bekämpfen, sondern es geht vor allen Dingen darum, die deutsche Verantwortung an diesem europapolitischen und griechischen Desaster zu diskutieren. Deutschland betreibt seit 10, 15 Jahren eine unsolidarische Wirtschaftspolitik. Deutschland betreibt eine Politik des Lohndumpings. Deutschland hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren Sondervorteile durch eine aggressive Wirtschaftspolitik herausgeholt, die überhaupt die Ursache dafür sind, dass es zur Euro-Krise und zur Verschuldung der anderen Länder, gerade auch in Griechenland, gekommen ist. Diese deutsche Verantwortung muss viel stärker diskutiert werden. Wir müssen viel stärker einen europaweiten Druck organisieren, dass wir hier in Deutschland zu einer Umkehr kommen, dass wir endlich wieder eine andere Lohnpolitik bekommen, dass wir die sogenannten Reformen am Arbeitsmarkt, die

Not found (Gast)

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- dass wir Leiharbeit abschaffen, dass wir Befristung abschaffen. All diese Dinge müssen diskutiert werden. Das will ich möglich machen mit meinem Ja bei dieser Abstimmung, damit wir hier eine andere Politik organisiert bekommen. ({0}) Wir brauchen am Ende in Deutschland eine Politik, die dazu führt, dass die Leistungsbilanzüberschüsse, die spiegelbildlich die Schulden der anderen sind, abgebaut werden. Wir brauchen darüber hinaus zeitweise Leistungsbilanzdefizite. Nur so kann Europa gerettet werden. Die Rettung Europas muss ausgehen von einer veränderten deutschen Wirtschaftspolitik, sonst droht uns auf diesem Kontinent ganz Schlimmes. Ich danke Ihnen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Groth. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ({1}) es geht ja nicht schneller, je lauter es im Plenum ist. Deswegen wäre es ganz schön, wenn wir jetzt noch zwei, drei Minuten Aufmerksamkeit haben. - Bitte schön, Frau Groth.

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich werde mich bei der heutigen Abstimmung enthalten, ({0}) da ich deutlich machen möchte, dass ich die grundsätzlichen Forderungen - ({1}) - Können Sie einmal leise sein, Herr Kauder? ({2}) - Doch! Sie verzögern den ganzen Prozess hier. ({3}) Ich möchte schon noch einen Aspekt nennen, der überhaupt nicht erwähnt worden ist, ({4}) und das ist die Migrationspolitik. Ich war letzte Woche in Griechenland. Es ist mir sehr wichtig. ({5}) - Nein, Ihnen bleibt wirklich nichts mehr erspart. Griechenland hat weit über 1 Million Flüchtlinge. ({6}) - Herr Kauder. ({7}) Ich möchte hier den Wunsch der neuen griechischen Ministerin für Migration kundtun. Sie hat mich gebeten. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, wenn Sie jetzt noch zwei Sätze zu Ihrer Entscheidung zur Abstimmung vortragen wollen, dann können Sie das gerne tun. ({0}) Zur Übermittlung von Grüßen anderer Regierungen ist diese Regelung der Geschäftsordnung nicht gedacht. ({1})

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut. - Ich möchte ein Zeichen setzen und klar sagen, dass ich die Erpressungsversuche der Troika grundsätzlich ablehne. Ich fand es so unwürdig und schäme mich teilweise, wie in der Öffentlichkeit, aber auch von einigen Kolleginnen und Kollegen mit Griechenland umgegangen wird. Das dürfen wir nicht zulassen. ({0}) Herr Schäfer hat vorhin die Bild-Zeitung hochgehalten. Wir müssen alles versuchen. Wir müssen wieder mit Griechenland, mit der neuen Regierung, zusammenarbeiten, und darum bitte ich Sie. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung ei- nes zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundes- tages auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazi- lität zugunsten der Hellenischen Republik auf den Drucksachen 18/4079 und 18/4093. Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung ver- langt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir ein Signal zu geben, wenn die Abstimmungsurnen je- weils doppelt besetzt sind. - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab- gestimmt haben? - Es sieht so aus, als hätten alle abge- stimmt; das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ansonsten wünsche ich Ihnen von meiner Seite einen schönen Tag, auch den Gästen auf der Tribüne. Wir fahren mit den Abstimmungen fort und kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4146. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Dafür ist die Linke. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung der Linken und Ableh- nung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4141. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zu- stimmung von Bündnis 90/Die Grünen, Ablehnung von CDU/CSU und SPD sowie bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich bitte die Kollegen - ich meine das ernst; das be- trifft alle Seiten des Hauses -, sich entweder zu setzen oder den Saal zu verlassen und Gespräche nach draußen zu verlagern, sofern sie an der folgenden Debatte nicht teilnehmen wollen. Ich rufe die Zusatzpunkte 5 und 6 auf: ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen Drucksache 18/4090 Überweisung/Beschlussfassung 1) Ergebnis Seite 8434 D Vizepräsidentin Claudia Roth ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Interessengeleitetes Gutachten zu Investorenschutz zurückweisen - zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsultationsergebnisse beherzigen - Klageprivilegien zurückweisen Drucksachen 18/3729, 18/3747, 18/3862 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege Klaus Ernst für die Linke. ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute abermals eine Debatte über die Handelsabkommen; das wird sicherlich nicht die letzte sein. Warum? Wir wollen endlich eine deutsche Übersetzung des CETA-Vertragstextes. Sie liegt immer noch nicht vor. Wir wollen klargestellt haben, dass der Deutsche Bundestag bei der Ratifizierung aller Abkommen einbezogen wird. Das ist nach wie vor unklar. Wir wollen keine vorläufige Anwendung der Abkommen. Vor allen Dingen wünschen wir uns, meine Damen und Herren, endlich einmal Klarheit, wie nun eigentlich die Position der SPD in dieser Frage ist. ({0}) Sind Sie nun gegen private Schiedsgerichte, oder sind Sie dafür? Unterzeichnen Sie die Abkommen auch dann, wenn Schiedsverfahren beinhaltet sind? Was ist eigentlich die Position des Wirtschaftsministers in dieser Frage? Noch im Herbst letzten Jahres - ich möchte das zitieren - erklärte er: Wenn die Amerikaner erklären, wir wollen ein Investitionsschutzabkommen, das in der Lage wäre, deutsches Recht auszuhebeln, dann gibt es ein solches Freihandelsabkommen nicht. Selbstverständlich hebeln Schiedsgerichte nationales Recht aus. Nur Unternehmen können vor Schiedsgerichten klagen. Der normale Bürger hat diese Möglichkeit nicht. Die Unternehmen können Schadensersatz in Milliardenhöhe fordern. Eigentlich müsste aufgrund dieser Aussage die Haltung der sozialdemokratischen Partei, auch die Haltung des Ministers klar sein. Sie müsste lauten: Ich stimme keinem Abkommen zu, in dem Investorenschutzabkommen enthalten sind. - Das haben Sie auch auf Ihrem Konvent beschlossen. ({1}) Nun höre ich, meine Damen und Herren, aus Davos - darüber bin ich wirklich erschüttert und enttäuscht -, dass dort von unserem Wirtschaftsminister die Aussage getroffen wurde, in Deutschland sei die Debatte zu den Handelsabkommen deshalb so schwierig, weil die Deutschen - ich zitiere - „reich und hysterisch“ seien. ({2}) Meine Damen und Herren, was ist das denn? Wo ist denn der Herr Pfeiffer? - Da unten sitzt er. Das ist ja fast Ihr Niveau. ({3}) Ich muss sagen: Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister auf diesen Zug aufspringt und von einer „Empörungsindustrie“ spricht. Es tut mir leid, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Wirtschaftsminister unseres Landes nicht mehr die Vorbehalte der Bevölkerung aufgreift und nicht mehr ihre Interessen vertritt. Er ist inzwischen der Treiber von CETA und TTIP, und das ist nicht in Ordnung. ({4}) Statt klar und deutlich Nein zu den Schiedsgerichten zu sagen, haben Sie nun eine neue Idee entwickelt: Internationale Handelsgerichtshöfe sollen die Probleme lösen; das ist eine nette Idee. Frau Malmström hat auch schon gesagt: Das wird so schnell nicht gehen. - Jeder weiß, dass sie in der Praxis bei TTIP und CETA keine Rolle spielen werden; denn es dauert eine Weile, bis man einen internationalen Handelsgerichtshof eingerichtet hat. Bevor wir einen solchen internationalen Handelsgerichtshof haben, wird sogar der Flughafen in Berlin fertig. ({5}) Hören Sie also auf, Nebelkerzen zu werfen! Petra Pinzler von der Zeit schreibt zu Recht - ich möchte das zitieren; das ist eigentlich eine Frage an den Wirtschaftsminister -: Ist es wirklich nötig, dass so viele Leute auf einmal so viel Energie auf die Reform eines Systems verwenden, das Sie bis vor Kurzem beim Umgang mit Kanada oder den USA eigentlich überflüssig fanden? Ein klares Nein könnte so viel einfacher sein. Dieses klare Nein erwarten wir auch von Ihnen, meine Damen und Herren. ({6}) Glaubwürdig wären Sie nur, wenn Sie klar und unmissverständlich sagen würden: Private Schiedsgerichte wird es mit uns nicht geben! Wir werden weder das real existierende CETA ratifizieren noch die TTIP-Verhandlungen auf der Basis des existierenden VerhandlungsKlaus Ernst mandats fortsetzen, in dem die Einsetzung von Schiedsgerichten vorgesehen ist. - Auf solche Aussagen käme es an, aber genau um diese Aussagen drücken Sie sich. Es ist alles schwammig. Sie sagen, dass Deutschland dem Abkommen zustimmen wird, wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Das ist eine besonders witzige Aussage; denn Fakt ist, dass selbst Ihr Parteifreund Bernd Lange, Vorsitzender des EU-Handelsausschusses, davor warnt, dass es im Europäischen Parlament gar keine Mehrheit für den vorliegenden CETA-Text geben könnte. Obwohl die eigenen Leute und auch das Europäische Parlament möglicherweise nicht zustimmen werden, sagen Sie: Wir stimmen nur zu, wenn alle anderen zustimmen. - Aber es stimmen nicht alle anderen zu! Ein Nein wäre also gerechtfertigt. Die Österreicher leisten massiven Widerstand. Der Senat in Frankreich hat eine entsprechende Resolution beschlossen. In vielen anderen Ländern der Welt wird diese Diskussion sehr kritisch geführt. Aber Sie werfen hier Nebelkerzen, indem Sie behaupten: Die anderen stimmen zu. Eine weitere Nebelkerze - das ist sehr bemerkenswert ist das Argument: Wenn wir uns nicht beteiligen, wenn wir nicht mitmachen, dann setzen die anderen, die Chinesen und die Amerikaner, die Standards. - Mein Gott, was ist denn das für Panikmache! ({7}) - Das ist pure Panikmache, und ich sage Ihnen auch, warum. ({8}) Im europäischen Wirtschaftsraum leben 500 Millionen Menschen. Glauben Sie wirklich, dass die Asiaten und die Amerikaner mit uns keinen Handel mehr treiben wollen, wenn wir uns nicht an diesen Verfahren beteiligen? Haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen - wenn Sie schon dazwischenrufen -, dass wir auch ohne Abkommen Handel mit ihnen treiben? Sie verschließen sich vor der Realität; das ist doch der Punkt. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung der Kollegin Haßelmann?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, freilich.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das habe ich mir gedacht.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Ernst, vielen Dank für die Möglichkeit einer kurzen Intervention. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich mit mir einig darüber sind, dass es eine Unverschämtheit ist, dass der Minister Gabriel heute bei dieser Debatte, Freitag, um 11.20 Uhr, nicht anwesend ist, obwohl jeder weiß, was für ein bedeutendes Thema das ist. ({0}) Ich werde jetzt - obwohl wir, Linke und Grüne, im Saal objektiv eine Mehrheit haben - keinen Minister herbeizitieren; denn dann würde die Sitzung unterbrochen, ein Hammelsprung durchgeführt und eine Mehrheit organisiert werden. Zum einen ist festzuhalten: Bei der heutigen Debatte sind die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD hier im Plenarsaal eindeutig in der Minderheit. Das muss man deutlich feststellen. ({1}) Zum Zweiten ist es eine Unverschämtheit, dass Gabriel heute nicht da ist, aber öffentlich und auch gegenüber seiner Partei immer wieder so tut, als sei es für ihn ein wichtiges Thema. Das sehen Sie doch sicher auch so. ({2})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auch ich hätte mir gewünscht, dass der Minister an dieser Sitzung teilnimmt, zumal es in dieser Debatte um seine Aussagen geht, die zurzeit in der Öffentlichkeit kursieren. ({0}) Ich habe seine Aussagen als sehr unglücklich empfunden; ich sage das einmal mit aller Vorsicht. Ich kann darin den Versuch erkennen, die Leute, die sich wirklich sehr aktiv gegen diese Handelsabkommen stellen, als ein bisschen hysterisch oder nicht ganz sauber und ihren Widerstand gegen TTIP als Teil der Empörungsindustrie darzustellen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass der Minister hier anwesend ist. ({1}) Ich möchte das Thema, bei dem ich vorhin war, noch einmal aufgreifen, weil das wirklich sehr wichtig ist. Entstehen in Deutschland und in Europa wirklich Riesenprobleme, wenn wir bei diesem Abkommen nicht dabei sind? Ich glaube das nicht. Wir werden weiter nach Amerika liefern, weil unsere Produkte dort auch dann verkauft werden, wenn die Standards bei uns höher sind, und wir werden weiterhin Produkte von anderen kaufen, wenn sie den bei uns gültigen, vernünftigen Standards entsprechen, sonst nicht. Auf keinen Fall wird ein Arbeitsplatz in Deutschland gefährdet, wenn wir uns hier nicht beteiligen. ({2}) Im Übrigen geht es bei diesem Abkommen nicht um die Absicherung guter Standards, sondern es geht um die Absenkung von Standards. Es geht um Deregulierung und um Liberalisierung. Die Verhandlungsmandate und die Texte zeigen dies. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel dafür geben. Bei CETA kann man lesen - ich zitiere -: Das Abkommen soll von vornherein im Prinzip möglichst viele Verpflichtungen zur vollständigen Liberalisierung auch von Umweltprodukten und Dienstleistungen enthalten. - Da geht es doch nicht um verbesserte Standards. In CETA lese ich etwas von regulatorischer Kooperation. Damit ist gemeint, dass kein Gesetz und keine Verbraucherschutzregelung mehr von einem Parlament erlassen werden kann, ohne dass auch der Handelspartner damit einverstanden ist. Eine größere Entmachtung deutscher und europäischer Parlamente kann ich mir gar nicht vorstellen. ({3}) Ein Positionspapier der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung - darauf möchte ich noch eingehen weist darauf hin, dass selbst die gegenseitige Anerkennung von technischen Standards in den USA und bei uns sehr problematisch ist, so zum Beispiel bei den unterschiedlichen Regelungen für die Zulassung von Atemschutzmasken. Ich kann Ihnen dieses Detail nicht ersparen, weil der Teufel im Detail steckt. Dort heißt es - ich zitiere wörtlich -: Würden jedoch US-amerikanische Masken ohne Drittprüfung in der EU in Verkehr gebracht und Verwender die fehlende Drittprüfung auf Dichtheit nicht erkennen können, kann dies tödliche Folgen nach sich ziehen. So weit diese Institution. Wer keine Schiedsgerichte will, muss CETA ablehnen, weil er sie sonst, bei einem Abkommen mit den USA, nicht mehr loswird. ({4}) Deshalb wollen wir eine klare Haltung. Haben Sie eigentlich einmal den Film The Fog - Nebel des Grauens gesehen? ({5}) Genau diese Nebelkerzen werfen Sie und Ihr Wirtschaftsminister in diesem Hause. Hören Sie auf mit diesem Grauen! Machen Sie im Interesse der Bürger eine andere Politik! Ich danke Ihnen für das Zuhören. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Ernst. Ich darf Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, „Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; Verlängerung der Stabilitätshilfe“, bekannt machen: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 542 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 32, Enthaltungen 13. Der Antrag ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 541 nein: 32 enthalten: 13 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({3}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({4}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Vizepräsidentin Claudia Roth Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({5}) Reiner Meier Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Anita Schäfer ({8}) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({9}) Gabriele Schmidt ({10}) Ronja Schmitt ({11}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({12}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({13}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({14}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl ({15}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({16}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({17}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({18}) Sabine Weiss ({19}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({20}) Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({21}) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({22}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({23}) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({24}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Vizepräsidentin Claudia Roth Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({25}) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({26}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({27}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({28}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({29}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({30}) Matthias Schmidt ({31}) Dagmar Schmidt ({32}) Carsten Schneider ({33}) Ursula Schulte Swen Schulz ({34}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff ({35}) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Eva Bulling-Schröter Roland Claus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Thomas Lutze Cornelia Möhring Thomas Nord Petra Pau Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Harald Weinberg Birgit Wöllert Sabine Zimmermann ({36}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({37}) Volker Beck ({38}) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({39}) Christian Kühn ({40}) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({41}) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Thomas Bareiß Veronika Bellmann Wolfgang Bosbach Thomas Dörflinger Jutta Eckenbach Hermann Färber Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Olav Gutting Uda Heller Dr. Egon Jüttner Paul Lehrieder Dr. Carsten Linnemann Hans-Georg von der Marwitz Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Peter Ramsauer Albert Rupprecht Carola Stauche Christian Freiherr von Stetten Stephan Stracke Marian Wendt Kai Whittaker Dagmar G. Wöhrl Emmi Zeulner DIE LINKE Christine Buchholz Inge Höger Ulla Jelpke Enthalten CDU/CSU Ursula Groden-Kranich Wilfried Lorenz Ulrich Petzold DIE LINKE Sevim Dağdelen Nicole Gohlke Heike Hänsel Sabine Leidig Niema Movassat Norbert Müller ({42}) Dr. Alexander S. Neu Dr. Sahra Wagenknecht Katrin Werner Vizepräsidentin Claudia Roth Nächster Redner in der Debatte ist Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. ({43})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ernst, nach der Debatte über die Griechenland-Hilfen sind die Handelsabkommen TTIP mit den Vereinigten Staaten und CETA mit Kanada durchaus wichtige Themen. Wie Sie diese Abkommen hier behandeln und in den Dreck treten, das ist wirklich exemplarisch. Zum einen haben Sie gar nicht zum Antrag gesprochen. ({0}) Der Antrag ist ja quasi nur ein Vehikel, um jeden Freitag entweder um 11 Uhr, um 13 Uhr oder um 15 Uhr hier eine Debatte vom Zaun zu brechen, in der Sie immer das Gleiche erzählen. ({1}) Es gibt nicht ein einziges neues Argument, das Sie heute hier gebracht haben. ({2}) Sie führen hier sozusagen Ihren Privatkrieg mit dem Wirtschaftsminister. Ich empfehle Ihnen: Laden Sie ihn doch einmal zu einer Tasse Kaffee ein. Setzen Sie sich in die Cafeteria; da können Sie sich mit ihm persönlich eine Stunde darüber unterhalten. Aber Sie müssen doch nicht jede Woche das Plenum damit befassen, dass Sie nun wissen wollen, welche Meinung der Wirtschaftsminister dazu hat. ({3}) Außerdem hat der Wirtschaftsminister von diesem Pult aus mehrfach alle Ihre Fragen ausführlich beantwortet. ({4}) Er hat deutlich gemacht, dass Sie mit dem, was Sie der Öffentlichkeit immer wieder gebetsmühlenartig weiszumachen versuchen, auf dem Holzweg sind. Es wird deutlich - das zeigt sich bei den Linken in den letzten Monaten immer mehr -: Es geht Ihnen überhaupt nicht mehr darum, eine sachliche Auseinandersetzung über politische Themen zu führen, ({5}) sondern Sie sind eigentlich nur noch da, um auf billigste Art und Weise zu hetzen, statt sich wirklich mit den Themen zu befassen. ({6}) Das Schlimme an der Sache ist, dass Sie mit den Debatten, die Sie hier anstoßen, Organisationen wie Pegida genau den Stoff liefern, den sie brauchen. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Lämmel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Lenkert von der Linken? ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das muss nicht unbedingt sein. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nicht unbedingt? Ja oder nein?

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Jetzt zu Herrn Ernst. Vielleicht darf ich etwas zu Ihrem Antrag sagen, da Sie ja nicht in der Lage waren, auch nur einen Satz dazu zu sagen. ({0}) Sie fordern in Ihrem Antrag, CETA zu verhindern. Man muss CETA aus Ihrer Sicht sogar verhindern. Sie stellen in dem Antrag Behauptungen auf, die jeglicher Grundlage entbehren. Sie wissen selbst ganz genau, wie der Verhandlungsprozess bei CETA abgelaufen ist, ({1}) nämlich genauso, wie er bei TTIP abläuft. Die Europäische Union hat das Mandat, auch das deutsche Mandat - das ist in den europäischen Verträgen niedergelegt -, und die Europäische Kommission hat gemeinsam mit den Mitgliedstaaten ein Abkommen ausgehandelt. Das ist fertig. Das ist erst einmal ein ganz normaler Vorgang. Das ist bei der Gesetzgebung in diesem Hohen Hause nicht anders. Ein Gesetzentwurf wird bis zum Referentenentwurf erarbeitet, um ihn dann in die politische Diskussion einzubringen. In Ihrem Antrag suggerieren Sie, das sei Geheimhaltung und die bösen Menschen wollten gar nicht, dass das bekannt wird, weil es davon noch gar keine deutsche Fassung gebe. Ja, das stimmt: Es gibt noch keine deutsche Fassung. Aber Sie wissen ganz genau, warum es sie noch nicht gibt: ({2}) weil im Moment die sogenannte Rechtsförmlichkeitsprüfung läuft. Das heißt, die Juristen aller Seiten müssen sich jetzt auf einen einheitlichen Text einigen, der keine Interpretationsspielräume mehr zulässt. Dann wird dieses Vertragswerk in alle europäischen Sprachen übersetzt; das wissen Sie ganz genau. ({3}) - Genau. - Dann kommt die öffentliche Debatte in allen Mitgliedstaaten. ({4}) Herr Ernst, das unterschlagen Sie einfach. Sie suggerieren der Öffentlichkeit, dass diese Abkommen in dunklen Kammern verhandelt und dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit ratifiziert werden. Das ist eine glatte Lüge; das wissen Sie. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lämmel?

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, der Herr Ernst hat genug Zeit gehabt. Er hätte ja selber auf seinen Antrag eingehen können. Ich möchte keine Zwischenfrage mehr. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich frage Sie ja nur ganz freundlich. Also nein? - Gut.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die deutsche Fassung vorliegt - nicht die, die die Linksfraktion selbst angefertigt hat; Ihre Interpretationstexte möchte ich nicht unbedingt zur Grundlage der Diskussion machen -, findet die politische Diskussion hier im Hohen Hause statt. Dann wird sich der Minister ebenso wie alle Fraktionen äußern. Er wird aber nicht fiktiv im Nebel herumstochern, wie Sie es hier die ganze Zeit versuchen. ({0}) Meine Damen und Herren, dann wird die Frage zu klären sein - sie ist für diese Handelsabkommen eine sehr wichtige Frage -: Sind das sogenannte gemischte Abkommen - ein gemischtes Abkommen muss von jedem einzelnen Mitgliedstaat ratifiziert werden -, oder sind es keine gemischten Abkommen? Im Zusammenhang mit TTIP hat der ehemalige Handelskommissar deutlich gemacht, er wolle diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Na gut, darüber kann man natürlich geteilter Meinung sein. Aber irgendjemand muss ja, wenn das strittig ist, letztendlich die Feststellung treffen, ob es ein gemischtes Abkommen ist oder nicht. ({1}) Es ist also genügend Zeit, genügend Spielraum, um über diese Abkommen hier im Deutschen Bundestag zu debattieren. Danach, meine Damen und Herren, folgt dann der Ratifizierungsprozess. Das ist das, was Sie im Prinzip der Öffentlichkeit verschweigen. Das ist einfach fahrlässig von Ihnen, Herr Ernst; das wissen Sie selbst ganz genau. Noch einmal zu CETA. Herr Ernst, Sie waren als Mitglied der Delegation des Wirtschaftsausschusses in Kanada. ({2}) Sie wissen ganz genau, was die Unternehmen, was mittelständische, was kleine Unternehmen zu dem Thema CETA sagen, nämlich dass sie dieses Abkommen dringend brauchen. ({3}) - Fragen Sie mal Ihren Kollegen Ernst; er war dabei. ({4}) Sinn ist - auch das wissen Sie -: Die verschiedenen Regelungen in diesem CETA-Abkommen sind die modernsten Formen des Handelsrechts, die im Moment in Abkommen niedergelegt sind. Sie nehmen immer das NAFTA-Abkommen zur Grundlage und verweisen darauf, was Mexiko und die USA für schlechte Abkommen geschlossen hätten. Meine Damen und Herren, das NAFTA-Abkommen wurde vor 20 Jahren geschlossen. Wir sind viel weiter, mit allen Bestimmungen. ({5}) Man kann natürlich über die Frage des Investorenschutzes diskutieren. Aber auch hier muss man ganz klar sagen: Das, was Kanada und die Europäische Union verhandelt haben, das ist im Moment noch gar nicht in der Welt. ({6}) Das versuchen Sie ganz einfach zu verschweigen. ({7}) - Gut, Frau Künast, genau. Aber ich will nicht den englischen Text interpretieren müssen, sondern ich will einen amtlichen deutschen Text haben; das ist der Unterschied. Ich will zusammenfassen: Herr Ernst, zu Ihrem Antrag haben Sie nicht gesprochen. Wir lehnen ihn ab. Unsere Fraktion steht ganz klar zum Verhandlungsprozess CETA. Ich denke, der Wirtschaftsminister hat seine Position hier mehrfach dargelegt. Noch einmal, auch für die breite Öffentlichkeit: CETA ist kein Abkommen, das irgendwo am grünen Tisch oder in finsteren Lokalen verhandelt wird, ({8}) sondern ein Abkommen, über das in den nächsten Monaten in breiter Öffentlichkeit in epischer Breite diskutiert werden wird. ({9}) Dann wird letztendlich die politische Entscheidung darüber getroffen, ob dieses Abkommen ratifiziert werden kann oder nicht. Vielen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. - Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Klaus Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Lämmel, ich wollte Sie eigentlich nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Herr Ohoven, Vorsitzender des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft - für die Sie sich ja immer so starkmachen -, dieses Abkommen ablehnt; er will es in dieser Form gar nicht. ({0}) Also, es ist schon merkwürdig, dass Sie sich zum selbsternannten Sprecher des Mittelstands machen, dieser aber gar nicht mehr hinter Ihnen steht. Zweitens. Sie sagen, ich hätte zu meinem Antrag, den ich zu begründen hatte, nicht gesprochen; es wäre auch nichts Neues gewesen. - Ich habe ihn begründet. Ich würde Sie bitten, das im Protokoll nachzulesen; dann kommen Sie zu einer anderen Einschätzung. Wir haben zum ersten Mal - wir hatten die Auseinandersetzung schon mehrmals - die Schwierigkeiten und Konsequenzen und Probleme eines regulatorischen Rates, also einer regulatorischen Kommission angesprochen. Leider haben Sie dazu überhaupt nichts gesagt. Sehen Sie denn nicht auch das Problem, dass, wenn hier in den Parlamenten in Europa - oder auch in den Regierungen, und zwar durch Verordnungen - bestimmte Regulierungen zugunsten der Menschen gemacht werden - im Umweltschutz, im Verbraucherschutz, in sonstigen Bereichen -, die sozusagen gar nicht mehr wirken, weil sie letztendlich vom Vertragspartner abgesegnet werden müssen? Sehen Sie da nicht auch eine wirkliche Entmachtung dessen, was in den Parlamenten noch entschieden und noch besprochen werden kann? Ich hätte mir gewünscht, dass Sie neben dem, was Sie uns immer vorwerfen - Lügen, Fahrlässigkeit und so; das ist ja nichts Neues, das kenne ich ja von Ihnen; ich bin Ihnen inzwischen auch gar nicht mehr böse, weil ich weiß: Sie können nicht anders -, einfach einmal auf einen inhaltlichen Punkt eingegangen wären. Ich stelle fest, dass die langen Redezeiten, die die Koalition hat, dazu verwendet werden, dass man zwei Stunden irgendwie allgemein auf den anderen einschlägt, ohne einmal einen Satz zum Antrag oder zu meiner Rede zu bringen. ({1}) Herr Lämmel, da muss ich Sie einmal loben: Das kriegen wir nicht hin - nicht nur, weil wir es nicht können, sondern auch, weil wir nicht über so lange Redezeiten verfügen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lämmel, wollen Sie anfangen? - Bitte.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Sie haben Herrn Ohoven, den Präsidenten des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, als alleinigen Repräsentanten des Mittelstandes herangezogen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist die Folge, wenn man einen Herrn Gysi in dessen Beirat beruft. Dann kommt man zu solchen Auffassungen. ({0}) Zweitens. Ich wäre auf einige Punkte in Ihrem Antrag sehr gerne inhaltlich eingegangen, wenn Sie Ihren Antrag eingebracht hätten. Sie haben aber nicht zu Ihrem Antrag gesprochen. ({1}) Insofern habe ich versucht, noch einmal darzustellen, dass die Art, mit der Sie mit den Themen CETA und TTIP umgehen, absurd ist und dem Thema überhaupt nicht gerecht wird. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. - Die nächste Rednerin in der Debatte ist Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Lämmel, das, was Sie hier im Parlament und leider auch im Ausschuss regelmäßig vortragen, ist schon irgendwie traurig vorhersehbar. ({0}) Von Ihnen kommt immer wieder dieselbe Leier: Warum müssen wir dieses Thema diskutieren? Was gibt es dazu zu sagen? Erst am Mittwoch, in der Obleuterunde im Ausschuss, gab es von Ihnen wieder eine grandiose Vorstellung dieses Prinzips. Sie haben dort nämlich mit dem Argument: „Welche Themen gibt es denn da zu diskutieren? Da gibt es doch nichts Neues!“, versucht, zu verhindern, dass wir eine öffentliche Anhörung zum Investitionsschutz in TTIP durchführen. Diese parlamentarische Arbeitsverweigerung kennen wir schon von Ihnen. Ich finde aber, es ist traurig, dass jetzt anscheinend auch die Bundesregierung die Strategie gewählt hat, ein Problem, das sie mit inhaltlichen Argumenten nicht lösen kann, besser zu ignorieren. Anders kann ich mir die doch etwas magere Präsenz der Bundesregierung hier heute in dieser Kernzeitdebatte nicht erklären. ({1}) Ich kann Ihnen von den Regierungsfraktionen und von der Bundesregierung sagen: Diese Strategie wird nicht aufgehen. Herr Lämmel, die Strategie, die Sie hier im Bundestag immer wieder verfolgen, wird auch nicht funktionieren. Sie haben hier jetzt elf Minuten lang gesprochen, ({2}) ohne ein einziges inhaltliches Wort zum Thema Investitionsschutz zu sagen. ({3}) Wir haben auch im Wirtschaftsausschuss noch nie einen einzigen inhaltlichen Vorschlag von Ihnen dazu gehört, wie Sie mit den Schiedsgerichten in TTIP oder in CETA umgehen wollen. Sie sagen immer: Das muss jemand anderes entscheiden. Das müssen wir klären, wenn der Ratifizierungsprozess startet. - Damit verweigern Sie, dass Sie als Bundesregierung und als regierungstragende Fraktionen die Aufgabe haben, diese Handelsabkommen mitzugestalten, indem Sie eigene Argumente vorbringen, wie der Investitionsschutz in TTIP und in CETA aussehen sollte. ({4}) Dazu haben wir von Ihnen aber noch nie ein einziges Wort gehört. Diese Chance haben Sie heute wieder verpasst. ({5}) Das ist einfach traurig und wirklich - ich kann mich hier nur wiederholen - parlamentarische Arbeitsverweigerung. ({6}) Ich muss sagen: Im Gegensatz zu Ihnen hat Herr Gabriel Vorschläge gemacht. Gemeinsam mit einigen sozialdemokratischen Kollegen hat er am Wochenende ein Papier vorgestellt, in dem er Vorschläge für CETA gemacht und etwas verklausuliert von „and beyond“ gesprochen hat. Wir müssen jetzt schauen, was „and beyond“ in diesem Text zu CETA bedeutet. Immerhin hat Herr Gabriel jetzt aber ein Papier vorgestellt. Über dieses Papier hätte ich heute gerne mit Herrn Gabriel gesprochen, weil ich einige Fragen an ihn dazu habe, die ich heute - das muss ich ganz ehrlich sagen gerne von ihm oder von Frau Zypries - Sie können ja auch reden - beantwortet bekommen hätte. ({7}) Ich wollte Sie für das, was in dem Papier steht, eigentlich auch loben. Am Wichtigsten finde ich die Aussage in Ihrem Papier, dass die SPD anscheinend erkannt hat, dass es nicht der richtige Weg ist, Investitionsstreitigkeiten über bilaterale Handelsabkommen zu lösen. Sie haben sich zum ersten Mal für eine multilaterale Lösung ausgesprochen. Diesen Weg hätte die Bundesregierung schon lange gehen können; darauf hätten Sie sich schon früher verständigen können. Ich kann nur sagen: Besser spät als nie. Einen solchen Umgang mit der Zivilgesellschaft können Sie wirklich pflegen, und diesen Dialog können Sie mit uns führen. Das ist ein guter Punkt in dem Papier, das Herr Gabriel vorgestellt hat. Bei den Details zu den Schiedsgerichten, über die Sie in dem Papier ansonsten schreiben - Berufungsinstanzen bei den Schiedsgerichten, Interessenkonflikte von Schiedsrichtern vermindern, Schutz des staatlichen Regulierungsrechtes -, greifen Sie, wie ich finde, zum ersten Mal wichtige Punkte auf, die wir Grüne in den Debatten des Deutschen Bundestages schon oft angesprochen haben. Herr Lämmel, wir haben uns dezidiert mit den Schiedsgerichten in TTIP und in CETA auseinandergesetzt und gesagt: Das kann in CETA und in TTIP so nicht funktionieren. Deswegen brauchen wir eine andere Debatte. - Sie als Bundesregierung greifen das zum ersten Mal auf und sagen, wir hätten recht gehabt. Darüber freuen wir uns. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Regierungsfraktion bei so einem kontroversen Thema auf die Opposition zugeht. Das kann ich anerkennen. Deshalb möchte ich hier mit Ihnen gerne einen konstruktiven Dialog über diese Vorschläge führen. Wenn Herr Gabriel da wäre, wäre das einfacher. ({8}) Auch wenn Sie jetzt in dem genannten Papier nicht alles zu 100 Prozent von dem festhalten, was wir Grünen vielleicht verhandelt hätten, wünsche ich mir - dabei würde ich Sie auch unterstützen -, dass Sie diese Vorschläge im Rahmen des CETA-Abkommens verhandeln. Nur genau an dieser Stelle - ich hatte eben an den Titel des Papiers erinnert: „Improvements to CETA and beyond“ - ist eben die große Unklarheit des Papiers. Es wird als Verbesserungsvorschlag für CETA verkauft. Die einzigen Fragen, die in dem Papier unklar bleiben, sind: Welche Verbesserungsvorschläge wollen Sie denn tatsächlich in CETA umsetzen, welche wollen Sie in TTIP umsetzen? Wo haben Sie überhaupt noch Möglichkeiten, etwas zu verändern? Wir sind mittlerweile in der Rechtsförmlichkeitsprüfung von CETA. Frau Malmström hat auf der SPD-Konferenz am Montag noch einmal gesagt, sie sei nicht bereit, über CETA noch einmal nachzuverhandeln. Aber Herr Gabriel hat auf derselben Konferenz - ich weiß nicht, ob das vor oder nach Frau Malmström war - diese Eckpunkte auch für CETA noch einmal vorgestellt. Deswegen sind die dringenden Fragen, die Sie als Bundesregierung hier im Parlament beantworten müssen - ich hoffe, dass Sie das in der Debatte auch noch tun -: Was davon werden Sie in CETA noch verändern? Was davon ist jetzt Ihre Verhandlungsagenda für TTIP? Teilt die gesamte Bundesregierung - bislang ist das ja das Positionspapier eines einzelnen Ministers - eigentlich die Position von Herrn Gabriel? Was werden Sie machen, wenn Sie das Abkommen nicht mehr nachverhandeln können? Ich finde es absurd und schizophren, dass Sie auf der einen Seite sagen, wir hätten mit unserer fachlichen Kritik an den Regelungen zu Schiedsgerichten in CETA recht, dass Sie aber auf der anderen Seite erklären: Gut, wir sind etwas spät zu dieser Erkenntnis gekommen. Jetzt ist der Verhandlungsprozess leider abgeschlossen. Wir stimmen aber trotzdem zu. - Das ist nicht glaubwürdig. Da müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern schon reinen Wein einschenken und sagen, was Sie tun werden. ({9}) Wir haben in unserem Antrag - das werden auch Sie vielleicht gemerkt haben - ziemlich viele Punkte aufgegriffen - wir hatten sie schon vorher aufgeschrieben -, die Herr Gabriel in seinem Positionspapier skizziert hat. Es wäre doch eine schöne Brücke für Sie, zu sagen: Der Antrag, den die Grünen ins Verfahren eingebracht haben, beschreibt die Position von Herrn Gabriel. - Deswegen müsste es doch für die SPD sehr einfach sein, sich an dieser Stelle unserem Antrag anzuschließen. Dann hätten wir mit den Linken gegebenenfalls eine Mehrheit dafür, eine vernünftige Reformagenda für CETA und TTIP zu formulieren. Wenn das nicht klappt, dann sagen wir am Ende Nein. - Ich glaube, darauf könnte man sich im Parlament einigen, wenn die CDU nicht wäre. Aber es gibt ja auch eine Mehrheit außerhalb der CDU. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katharina Dröge. - Nächster Redner in der Debatte ist Dirk Becker für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe jetzt mehrfach die Frage gehört, wer hier wohl welche Strategie verfolgen mag. Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben eine Strategie. Unsere Strategie ist - das ist auch unsere Überzeugung -, dass in der globalisierten Welt, in der wir leben, der freie Handel unverzichtbar ist. Er braucht Grenzen, er braucht einen Rahmen, er braucht Regeln. Diese wollen wir über Handelsabkommen schaffen. Das geht nicht mit einem kategorischen Nein. Das geht mit Gestaltungswillen. Diesen wollen wir hier unter Beweis stellen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann?

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, im Moment nicht. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dann gebe ich Ihnen das Wort zu einem Antrag zur Geschäftsordnung.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre schon an der Tonlage, Dirk Becker: Wir brauchen von Ihnen keine Belehrungen.

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das geht an die Linken.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass es eine Unverschämtheit ist, dass der Minister nicht hier ist und dass die Regierungsfraktionen so schlecht vertreten sind. Daraus ist nichts gefolgt. Deshalb beantrage ich, an dieser Stelle jetzt den Minister herbeizuzitieren. ({0}) Es ist eine Unverschämtheit: Die Linken sind hier stark vertreten, auch die Grünen sind stark vertreten. Das ist ein öffentliches Thema. Ich habe die beiden Geschäftsführer der Koalitionsfraktionen darauf hingewiesen, wie schlecht sie vertreten sind. Daraus ist nichts gefolgt. Auf der einen Seite sitzen 11 Abgeordnete und auf der anderen Seite 15. Der Minister ist nicht anwesend. Dafür erklärt er uns jede Woche über die Presse, was los ist und was er für eine Auffassung zu CETA und TTIP hat. Ich finde, das müssen sich die Oppositionsfraktionen im Parlament nicht bieten lassen. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Haßelmann, ich stelle diesen Antrag jetzt zur Abstimmung. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was ist mit meiner Redezeit?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ihre Redezeit geht nicht verloren. ({0}) - Ja, das ist erlaubt. ({1}) - Moment. Jetzt lassen Sie mich hier mal präsidieren. ({2}) - Gut. Ich mache das jetzt so. - Wer ist dagegen? ({3}) - Gut, Sie stellen es strittig. - Wann kommt der Minister? Kommt er noch während der Debatte? - Wie ich höre, ja. ({4}) - Dann unterbrechen wir die Sitzung, bis der Minister eintrifft. ({5}) Ich begrüße recht herzlich den Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. ({6}) Wir führen die Debatte fort. Das Wort hat Dirk Becker. ({7})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich freue mich, Herr Minister, dass Sie extra zu meiner Rede dann doch noch erschienen sind. ({0}) - Das weiß ich. ({1}) Ich möchte noch einmal kurz auf das hinweisen, was ich zuvor gesagt hatte. Die Frage war: Welche Strategie verfolgen die Parteien eigentlich beim Thema Freihandel? Mir ist es noch einmal wichtig, deutlich zu machen, dass wir in dieser neuen globalisierten Welt Regeln finden müssen, die den freien Handel organisieren, die Leitplanken geben. Aber der freie Handel ist in dieser Welt unverzichtbar - auch für uns in Deutschland. ({2}) Von daher wollen wir Freihandelsabkommen, wie wir sie mit vielen Ländern geschlossen haben. Wir wollen Handelsabkommen, die dann am Ende des Tages natürlich auch den Menschen in Europa und in Deutschland dienen. So gehen wir auch an die Gestaltung künftiger Abkommen heran. Es ist ganz wichtig, dass man sich jetzt hier nicht grundsätzlich hinstellt und den vielen jungen Menschen, die da oben auf der Tribüne sitzen und sich vielleicht auch fragen, was wir hier eigentlich diskutieren, den Eindruck vermittelt, dass wir jetzt aktuell vor Entscheidungen - ({3}) - Die Ehre hatte ich auch noch nicht: Die Frau Bundeskanzlerin kommt auch extra zu meiner Rede. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Da sehen Sie einmal, wie wichtig Sie sind.

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht kriegen wir das Kabinett ja noch vollständig zusammen, wenn das so weitergeht. Eines ist mir auch noch einmal für die Debatte wichtig: Wir reden zum einen über ein Handelsabkommen mit Kanada. Das heißt CETA. Dieses Handelsabkommen ist ausverhandelt, jahrelang. Wir sind jetzt dabei, den Text abzugleichen, zu übersetzen. Die Entscheidung in diesem Bundestag wird voraussichtlich 2016 anstehen, und wir müssen uns ernsthaft überlegen, ob wir jetzt jede Woche hier solche Schaudebatten mit dem gleichen Inhalt wollen. ({0}) Sie erwecken den Eindruck, wir hätten nichts Besseres zu tun. ({1}) Wichtig ist es aber, auf die Verhandlungen, die aktuell laufen, nämlich auf TTIP, zu gucken und jetzt die Anforderungen an diese laufenden Verhandlungen zu formulieren. Meine Damen und Herren, das tut die Partei, das tut die SPD, und das tut auch der Parteivorsitzende. Und es ist eben angesprochen worden, Frau Dröge, dass Sie gern mit ihm darüber reden möchten, ({2}) was er dort mit den sozialdemokratischen Regierungsund Parteichefs verhandelt hat. Das hat er in der Tat dort zunächst einmal in dieser Funktion getan, und wir haben dazu im Willy-Brandt-Haus eine Veranstaltung gemacht. Ich lade Sie in Zukunft auch gern ein, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. ({3}) Es war eine Veranstaltung, die progressiv auch für uns neue Anforderungen an Handelsabkommen beschrieben hat. Ich will eines ganz klar sagen: Anders als bei CETA haben wir bei TTIP den vollständigen Gestaltungsspielraum. Der Parteivorsitzende der SPD hat in Madrid - das hat ja sogar Eingang in den Antrag der Linkspartei gefunden - die strittigen Dinge zu Papier gebracht und hat gesagt, wie Alternativen aussehen könnten. Das ist es eben, dass wir sagen: Wir wollen öffentliche, transparente Verfahren. Ja, es ist so, Herr Lämmel - jetzt ist er nicht mehr hier ({4}) - wie auch immer -, dass in der Vergangenheit die Transparenz dieser Verhandlungen nicht hergestellt war. Wir danken Frau Malmström, dass sie jetzt hier bei den TTIP-Verhandlungen auch alles unmittelbar der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Man soll nicht immer nur die Vergangenheit kritisieren, sondern es in der Zukunft besser machen. Das wollen wir, und so führen wir auch die weiteren Verhandlungen. ({5}) Dazu zählt auch, dass wir künftig weg wollen von privatwirtschaftlichen Geheimgerichten hin zu einer ordentlichen Gerichtsbarkeit, zu Handelshöfen, um hier auch alle Ängste und Befürchtungen, die da gekommen sind, aufzugreifen. Dann noch eines - das ist mittlerweile mein Eindruck gerade mit Blick auf die Linkspartei -: Wir kennen die Befürchtungen der Menschen, die es ja gibt, die wir auch ernst nehmen. Wir versuchen, diese Befürchtungen aufzunehmen und diese Dinge in den weiteren Verhandlungen zum Besseren zu wenden. Sie versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen und diese Ängste und Befürchtungen zu schüren. Das geht nicht, Herr Ernst. ({6}) Grundsätzlich, meine Damen und Herren - ich habe das eben schon gesagt -, konzentrieren wir uns jetzt auf die weiteren Verhandlungen zu TTIP.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Becker, erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage von Frau Dröge?

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, ({0}) weil Sie es sind, Frau Dröge.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Oi, was geht denn da ab?

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Präsidentin muss nicht alles wissen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Da haben Sie recht.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich fühle mich außerordentlich geschmeichelt, dass ich Ihnen die Frage stellen darf. Ich hatte es in meiner Rede eben schon angesprochen, und auch Sie haben das Papier „Improvements to CETA and beyond“ erwähnt. Weil die Überschrift übersetzt „Verbesserungen für CETA“ heißt, frage ich Sie: Welche von diesen Vorschlägen beabsichtigen Herr Gabriel, die Bundesregierung und Sie als Regierungsfraktion konkret bei CETA umzusetzen? ({0}) Oder war der Titel „Improvements to CETA and beyond“ nur eine Nebelkerze, die davon ablenken sollte, dass Sie für CETA eigentlich gar nichts mehr nachverhandeln können? ({1})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dröge, ich weiß nicht, zum wievielten Mal Sie diese Frage hier stellen. ({0}) Der Bundeswirtschaftsminister hat diese Frage hier schon mehrfach beantwortet. Erstens. Die Verhandlungen zu CETA sind abgeschlossen. Ich habe Ihnen den konsolidierten Ergebnistext der unterschiedlichen Verhandlungsrunden zu CETA mitgebracht. Den hat Ihre Fraktion wie alle anderen Fraktionen auch am 13. Januar 2010 bekommen; da waren Sie, glaube ich, noch nicht Bundestagsabgeordnete. Keine Fraktion hat dazu irgendeinen Antrag gestellt, ({1}) keine, auch meine nicht, obwohl wir damals in der Opposition waren. Denn es hat keinen interessiert. ({2}) Das Interesse an CETA ist aufgekommen, als TTIP den Menschen ins Bewusstsein kam und die Blaupausendebatte aufkam. ({3}) - Ja, man kann später klüger werden. Aber wenn Verhandlungen abgeschlossen sind, ist es ein bisschen zu spät. Dann muss man im Vorfeld wachsamer sein. ({4}) - Wenn Sie auch eine Zwischenfrage stellen wollen, Frau Künast, dann können Sie sich melden. ({5}) Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Der vorliegende Verhandlungstext wird - das wurde schon gesagt - jetzt rechtsförmlich geprüft und übersetzt. Der Minister hat selbstverständlich zugesagt - er selber verhandelt allerdings nicht mit den Kanadiern; das macht nun einmal die EU-Kommission -, im Rahmen des Verfahrens alles zu tun, um die Punkte, die uns wichtig sind, zu ändern. Das muss man aber erst mit seinen Partnern abstimmen, und das macht man im Allgemeinen nicht auf dem Marktplatz oder in der Bild-Zeitung, sondern man prüft jetzt, in welchem Rahmen was möglich ist. Auch wenn Sie noch zehnmal fragen: Das ist die rechtliche Situation, wie sie für uns gegenwärtig besteht. Erst wenn der Deutsche Bundestag mit dem endgültig abgeschlossenen Vertragswerk konfrontiert wird und darüber abstimmen muss, werden wir wissen, was bei den Verhandlungen herausgekommen ist. Damit müssen Sie sich erst einmal zufrieden geben. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, es gibt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert. Gestatten Sie diese? - Nein, gut. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können zwar das Paket wieder aufmachen, aber gerade bei Ihnen ist es doch so: Egal, was wir verändern, Sie werden immer einen Grund finden, dagegen zu sein. ({0}) Denn Sie sind grundsätzlich gegen TTIP, und Ihnen geht es an dieser Stelle nur deshalb darum, CETA zu verhindern, weil Sie diese Blaupausendebatte führen. Eines ist sicher: Es wird in vielen Kapiteln Ähnlichkeiten geben, aber gerade auch die Amerikaner wissen um die Debatte zum Thema Schiedsgerichtsbarkeit hier in Europa. ({1}) Ich habe Anfang der Woche mit Kollegen der SPÖ gesprochen. In Österreich ist die Situation eindeutig - Sie haben bereits darauf hingewiesen -: Man sieht gerade das Thema Schiedsgerichtsbarkeit hochkritisch, und zwar in fast allen Parteien. Die österreichischen Kollegen haben mir ganz klar gesagt: Die Amerikaner haben ein großes Interesse, das Handelsabkommen abzuschließen und sind auch bereit, sich auf Debatten mit uns einzulassen. Debattieren, reden, verhandeln - das ist der Weg. Denn wir müssen einen erfolgreichen und offenen Handel gewährleisten. Darum werben wir weiterhin progressiv. Wir wollen die Handelsabkommen im Interesse der Menschen gestalten. Wer sie ablehnt, lässt im Endeffekt die Menschen und ihre Interessen im Stich. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Nächster Redner in der Debatte: Mark Hauptmann für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuschauer auf den Tribünen! Sie erleben gerade eine hitzige Debatte an einem Freitagmittag. Das ist beileibe nicht jeden Freitagmittag in diesem Hause so. ({0}) Fühlen Sie sich von daher eingeladen, zu sehen, dass unsere Demokratie mit allen Oppositionsrechten gut funktioniert und dass wir hitzig und engagiert über das heute anstehende Thema sprechen. ({1}) Bei aller Hitzigkeit sollten wir allerdings nicht vergessen, welche Chance das Jahr 2015 mit sich bringt. 2015 ist nämlich das Jahr, in dem wir mit CETA und TTIP die Chance haben, globale Standards nach europäischem Vorbild zu schaffen. Herr Ernst, Sie wissen ganz genau, dass die Konkurrenz nicht schläft. Da muss man nur nach Asien schauen. Aktuell verhandelt nämlich Kanada, über das wir heute sprechen, mit den USA, Japan und neun weiteren asiatischen Staaten über das TPP-Abkommen, das transpazifische Abkommen. TPP würde 37 Prozent der weltweiten Produktion und 26 Prozent des weltweiten Handels umfassen. TPP würde damit natürlich auch neue Standards setzen. Eine pauschale Verweigerungsstrategie, wie Sie sie hier fahren, führt letztendlich doch nur dazu, dass die Standards für den Handel, den wir natürlich auch in Zukunft in Europa treiben, in Asien festgelegt werden und dass wir mit unseren hohen europäischen Standards außen vor bleiben. Das kann nicht in unserem Interesse liegen. ({2}) Deswegen sprechen wir uns für eine aktive Teilnahme am Zustandekommen von CETA aus. Nun stellt sich die Frage: Warum Kanada? Kanada ist für Deutschland und Europa ein bedeutender Partner; es ist der zweitgrößte Flächenstaat der Welt und die elftgrößte Volkswirtschaft. Kanada ist unser G-7-Partner und eine der führenden Handelsnationen. ({3}) Das kanadische Pro-Kopf-Einkommen beträgt 52 000 USDollar. Das ist übrigens weit mehr als der europäische Durchschnitt von 35 000 US-Dollar. Dass wir eine Chance sehen, die Beziehungen zwischen Kanada und Europa über das CETA-Abkommen zu verbessern, versteht man, wenn man sich das aktuelle Handelsvolumen anschaut. Das Handelsvolumen zwischen Kanada und der EU betrug 2014 68 Milliarden Euro. Die EU bzw. die EU-Staaten haben mit Investitionen in Höhe von 260 Milliarden Euro schon enormen Vorschub geleistet. Die Vorteile, die das CETA-Abkommen mit sich bringt, sind unglaublich vielschichtig und relativ einfach - selbst für Sie ({4}) erkennbar: erstens die Intensivierung des Warenaustausches, zweitens die Beseitigung von rund 98 Prozent der Importzölle und drittens die Vereinfachung von Direktinvestitionen und des Marktzugangs vor Ort. Dass die Debatte über CETA allerdings von Vorurteilen beherrscht wird, hat der Kollege Becker gerade sehr schön erläutert. Als nämlich die Verhandlungen mit Kanada 2009 aufgenommen wurden, waren selbst Sie, die Sie ja sonst nicht dafür bekannt sind, ruhig zu sein, komplett ruhig und haben geschwiegen. Sie haben mit Ihrem polemischen Kurs erst angefangen, als 2013 die Verhandlungen über TTIP begannen und es über TTIP einen öffentlichen Meinungsdiskurs gab. Aktuell verhandelt die Europäische Kommission mit 21 weiteren Staaten oder regionalen Wirtschaftsgemeinschaften. Keine der anderen Verhandlungen scheint Sie zu interessieren. Daran sieht man, wessen Geistes Kind Sie sind. Sie haben ja auch keine sachliche Kritik geäußert und keine Verbesserungsvorschläge vorgelegt. Sie verfallen in alte antiamerikanische bzw. antinordamerikanische Reflexe. ({5}) Sie verunglimpfen CETA und TTIP als WirtschaftsNATO. Das zeigt sehr schön, wessen Geistes Kind Sie sind. ({6}) Sehr geehrte Kollegin Dröge von den Grünen, dass Sie gegen CETA sind, ist für uns von der Union natürlich überhaupt keine Überraschung. Sie sind ja prinzipiell gegen alles, was irgendwie Fortschritt bedeuten würde. ({7}) Sind Sie gegen zukünftige Verkehrsinfrastruktur? Ja, Sie sind dagegen. Sind Sie gegen Olympia in Bayern, Frau Künast? Ja, Sie sind dagegen. Wenn es darum geht, mit CETA und TTIP globale Standards im 21. Jahrhundert zu setzen, dann sind Sie natürlich auch dagegen. ({8}) Ich habe einen kleinen Vorschlag bezüglich der Namensgebung Ihrer Partei. Seit der Koalition in Thüringen können Sie „Bündnis 90“ aus dem Parteinamen streichen. ({9}) Nennen Sie sich „Die Grünen/Ihre Dagegenpartei“. ({10}) Das wird letztendlich dem Anspruch gerecht, den Sie hier in Berlin aktuell vertreten.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Hauptmann, dazu sage ich jetzt nichts. Ich frage Sie, ob Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung des Kollegen Lenkert zulassen.

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich halte es wie der Kollege Becker. ({0}) - Herr Ernst, Sie hatten doch Ihre Chance an diesem Pult. Aber Sie haben sie nicht genutzt. Sie haben noch nicht einmal zu Ihrem eigenen Antrag gesprochen. ({1}) Von daher: Wir brauchen an dieser Stelle keine weiteren Polemisierungen. ({2}) Wir möchten allerdings auf Ihre Argumente eingehen, ({3}) nämlich welche Auswirkungen CETA für den Mittelstand mit sich bringt. Keine andere Wirtschaftsnation hat wie Deutschland 1 500 Hidden Champions, also mittelständische Weltmarktführer. Für diese Mittelständler ergeben sich durch CETA und auch durch TTIP besondere Vorteile, weil sich diese kleinen Mittelständler nicht wie Großunternehmen Dependancen im Ausland, zum Beispiel in Kanada, leisten können; sie sind vielmehr darauf angewiesen, dass sie keine Mehrkosten durch Doppelzertifizierungen haben, dass sie also nur einmal auf der Basis von einheitlichen Standards zertifizieren müssen, um auf dem transatlantischen Markt erfolgreich sein zu können. Unsere deutschen Unternehmen sind vielfach in den Sektoren aktiv, die durch CETA besonders profitieren: ({4}) Fahrzeugproduktion, Maschinenbau, Pharmaindustrie, Elektroindustrie - Produkte all dieser Branchen haben 2014 rund 70 Prozent der deutschen Exporte nach Kanada ausgemacht. Hier sehen wir, wie gesagt, die enorme Chance, die sich für den Mittelstand bei uns in Deutschland durch CETA ergibt. Jetzt gehe ich auf den von Ihnen angesprochenen Punkt ein, der die Schiedsgerichte betrifft. Ambitionierte Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP schaffen nicht nur Wachstum und Beschäftigung aufseiten beider Handelspartner, Freihandelspolitik ist immer auch Friedenspolitik. ({5}) Dieser Frieden wird eigentlich nur durch Ihre permanente Dagegenopposition gestört. ({6}) - Frau Künast, hören Sie doch zu. ({7}) Sie haben vergessen, dass Deutschland bereits 86 Abkommen über Schlichtungsverfahren zwischen Staat und Investoren unterzeichnet hat. Ausgehend von all diesen 86 unterzeichneten Abkommen ist es nur zu zwei Verfahren gegen Deutschland gekommen. Bisher musste Deutschland keine Schadenszahlungen leisten. Wenn man sich dann auch noch die Details anschaut, dann sieht man, dass bei den Schiedsgerichtsurteilen nur in 31 Prozent der Fälle den Investoren eine Entschädigung zugesprochen wurde. Das heißt, in 70 Prozent der Fälle bekommen die Investoren gar keine Entschädigung. Das verschweigen Sie natürlich in Ihrer Argumentation. ({8}) Wir müssen sehen, dass internationale Schiedsgerichte ein bewährtes Instrument des Welthandels sind. Wir haben natürlich auch erkannt, dass es bei den Regelungen zu den Schiedsgerichten Veränderungen geben muss, gerade im Bereich der Transparenz. Der UNSchiedsgerichtshof hat 2014 neue Transparenzregeln erlassen. Klageschrift, Anhörungen und Urteil sind öffentlich einsehbar. Mit der geplanten Unterzeichnung der Mauritius-Konvention sollen die neuen Transparenzregeln auch für die Schiedsgerichtsverfahren vor 2014 gelten. Das heißt, die Transparenzregeln werden sogar auf alte Fälle übertragen. ({9}) Die CDU/CSU-Fraktion hat im Bundestag den Vorschlag unterbreitet, dass von deutscher Seite auch Bundesrichter als Richter bei den Schiedsgerichtsverfahren anerkannt werden könnten. Ich möchte zusammenfassen: Sie führen seitens der Linken an, dass Sie mit einer Absenkung der Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards rechnen. Wir sagen: Sie verwechseln die Angleichung der Standards mit einer Herabsetzung. Abgesehen davon überrascht es mich doch schon sehr, dass Sie auf der einen Seite permanent die Europäische Kommission, Europa und alles, was aus Brüssel kommt, kritisieren, sich aber hier in dieser Debatte permanent auf die hohen europäischen Standards berufen und mahnen, dass wir sie verteidigen sollten. Was wollen Sie eigentlich? Ihre Argumentation ist schlicht nicht schlüssig. ({10}) Wir wollen von unserer Seite dafür Sorge tragen, unsere hohen Standards zu exportieren, anstatt sie abzuschaffen. ({11}) Deswegen möchte ich abschließend zusammenfassend sagen, dass wir 2015 die einmalige Chance haben, auf der Basis gemeinsamer Werte langfristige wirtschaftliche Kooperationen zu schaffen. Wir generieren damit Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze. ({12}) Noch bestimmen wir die Regeln, aber Asien schläft nicht. Wir wissen nicht, wie lange die Tür zum europäisch-kanadischen oder zum europäisch-amerikanischen Markt in dieser Form offensteht. Lassen Sie uns doch die Chance nutzen, bevor sich die Tür schließt, diese gemeinsamen Standards hochzuhalten, unsere hohen europäischen Standards in diese Debatte einzubringen. Wir sollten nicht der Versuchung nachgeben, die Abkommen vorschnell abzulehnen, weil das die Gefahr birgt, dass wir in Zukunft transpazifische Standards auch hier in Europa übernehmen müssen. ({13}) Insofern ist Ihr Antrag in dieser Debatte schlicht abzulehnen. Wir bitten, vernünftig zu sein und die mit CETA verbundenen Chancen zu nutzen, damit wir den globalen Wirtschaftsstandard in Zukunft erfolgreich gestalten können. Herzlichen Dank. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Hauptmann. - Braucht die randalierende Abteilung bei der CDU/CSU Hilfe? Bricht da gleich etwas auseinander? ({0}) Wenn Sie Unterstützung brauchen, sorge ich gerne dafür. Nächster Redner in der Debatte: Alexander Ulrich für die Linke. ({1})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lämmel, Sie haben sich etwa elf Minuten darüber ausgebreitet, warum wir die Themen „CETA“ und „TTIP“ im Bundestag schon wieder behandeln, ohne einen Satz über die Inhalte dieser Abkommen zu sagen. ({0}) Sie werden sich damit abfinden müssen, dass dieses Thema noch sehr oft hier im Bundestag auf der Tagesordnung steht. Der beste Beweis dafür ist doch das, was am heutigen Tag deutlich wurde, nämlich dass alle - die Europäische Bürgerinitiative, die Gewerkschaften, die Umweltverbände, die Verbraucherschützer bis hin zu den Bierbrauern und zur Diakonie - große Bedenken haben. Diese Bedenken werden von Ihnen aber nicht wahrgenommen. Jede Debatte, die das aufzeigt, ist gut für uns. ({1}) Dank der Grünen muss Herr Gabriel jetzt seine Post hier im Bundestag bearbeiten. - Herr Gabriel, Sie haben natürlich ein großes Problem. Sie haben mit dem SPDParteikonvent große Hoffnungen geweckt und müssen jetzt feststellen, dass Sie mit komplett leeren Händen dastehen. ({2}) Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder bekommen Sie auf europäischer Ebene nichts durch, oder Sie stehen nicht hinter dem, was Ihr SPD-Parteikonvent beschlossen hat. ({3}) Ersteres wäre vielleicht noch erklärbar. Dann müssen Sie aber wenigstens einmal den Versuch unternehmen, eine Änderung vorzunehmen. Wäre Letzteres der Fall, wäre es schon tragisch. Ich glaube, im Kern geht es bei TTIP und CETA darum, ob es in Zukunft noch ein Primat der Politik gibt ({4}) oder ob Wirtschaftsinteressen, Großkonzerne und Banken darüber bestimmen, was die Politik noch zu entscheiden hat. ({5}) Das können wir nicht akzeptieren, und deshalb brauchen wir diese Debatte. Die Vereinbarungen zu privaten Schiedsgerichten müssen aus den Abkommen herausgenommen werden. Alles andere wäre für die SPD ein Kotau vor den globalisierten Interessen der Wirtschaft, aber kein Dienst an den Menschen. ({6}) Herr Gabriel, Sie haben in Davos gesagt - das war wirklich unsäglich -, die Interessenslage in Deutschland sei so, weil Deutschland reich und hysterisch sei. Als Wirtschaftsminister haben Sie hier nicht den Eid geleistet, die Interessen der Wirtschaft umzusetzen, sondern Sie haben den Eid geleistet, die Interessen der Bevölkerung zu schützen. ({7}) Solche Aussagen wie die, dass die Kritik an oder die Angst vor TTIP oder CETA darin ihren Grund hat, dass man in Deutschland reich oder hysterisch sei, passen dazu nicht. Ganz im Gegenteil: Die Menschen haben Angst um den Verbraucherschutz, um soziale Standards und um Umweltstandards. Daran müssten eigentlich auch Sie als Wirtschaftsminister ein Interesse haben. ({8}) Infratest hat vor wenigen Tagen eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass 60 Prozent der Bevölkerung in diesem Land der Auffassung sind, dass es um die Demokratie schlecht bestellt sei und dass es offensichtlich nur noch um Wirtschaftsinteressen gehe. Ich habe leider auch in der heutigen Debatte festgestellt, dass SPD und CDU/CSU fest daran arbeiten, dass aus diesen 60 Prozent 100 Prozent werden. Denn bei TTIP und CETA geht es nur um wirtschaftliche Interessen, aber nicht um andere, und die Demokratie soll hintenanstehen. Herr Becker, Sie haben hier auch noch gesagt: Obwohl die Verhandlungen intransparent, geheim und un8448 demokratisch waren, sei das Ganze ausverhandelt, und wir hätten darüber nichts mehr zu bestimmen. Welches Demokratieverständnis haben Sie denn als Abgeordneter, ({9}) wenn Sie am Schluss von Verhandlungen, an denen Sie nicht beteiligt gewesen sind, sagen: „Wir müssen das jetzt einfach fressen“? ({10}) So ist Demokratie nicht zu verstehen. Sie haben den Auftrag, am Schluss einer Verhandlung Ja oder Nein zu sagen, und Sie haben nicht den Auftrag, das Ergebnis von Geheimverhandlungen einfach zu akzeptieren. Wir lehnen CETA, so wie es jetzt ausgehandelt ist, ab. ({11}) Herr Hoffmann, der DGB-Vorsitzende, hat am Anfang der Woche auf einer Konferenz Ihrer Partei deutlich gesagt: ({12}) Wir brauchen keine Schiedsgerichte. Und: In dieser Form ist CETA abzulehnen. ({13}) Wenn die SPD schon nicht den Linken nachlaufen möchte, dann sollte sie wenigstens einmal auf die Gewerkschaften hören. Sonst beruft sie sich ja auch immer auf die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften wollen diese Verträge nicht. Deshalb lehnen sie sie auch ab. Herr Gabriel, ich glaube, es wird jetzt wirklich Zeit, dass Sie nicht permanent Pirouetten drehen, sondern endlich mal klar Schiff machen. Sind Sie bereit, CETA zu unterschreiben, wie es jetzt auf dem Tisch liegt? Wenn Sie das machen, ist es ein Bruch gegenüber dem SPD-Parteikonvent, und die vielen Millionen Menschen in diesem Land wissen: Diesem Wirtschaftsminister brauchen wir dann nicht mehr trauen. Vielen Dank. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. - Nächste Rednerin in der Debatte: Andrea Wicklein für die SPD. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen und vor dem Fernseher zu Hause! Sie sehen: CETA und TTIP werden von vielen Menschen in unserem Land diskutiert, auch hier im Bundestag. Die Menschen mischen sich ein, sie demonstrieren, sie wenden sich mit ihren Fragen und Sorgen an uns, und sie holen die europäische Handelspolitik endlich aus den vertraulichen Zirkeln heraus. ({0}) Das alles sind für mich positive Zeichen. Sie zeugen von einer aktiven Bürgergesellschaft, von der Forderung, bei wichtigen Entscheidungen für unser Land, für Europa beteiligt zu werden, mit dabei zu sein. Dieses Engagement zeigt vor allem auch, dass für die Menschen unsere Errungenschaften - die hohen Standards, die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parlamente oder der erreichte Verbraucherschutz - sehr wichtig sind. Das sind übrigens auch die Errungenschaften eines europäischen Binnenmarkts, der in den letzten Jahrzehnten in Europa entstanden ist. Diese Errungenschaften dürfen natürlich nicht zur Disposition stehen. Ich muss hier noch einmal ganz klar sagen: Die EU plant keinen gemeinsamen Binnenmarkt mit Kanada oder den USA. Die EU-Kommission hat den Auftrag, einen Vertrag für ein Handelsabkommen vorzulegen, so wie es gerade mit Südkorea oder mit Singapur erfolgt ist und mit vielen anderen Ländern in der Vergangenheit auch schon. Ich finde die öffentliche Debatte zu den Freihandelsabkommen sehr wichtig und wertvoll, wenn sie auf der Grundlage von sachlichen Argumenten und Inhalten erfolgt. ({1}) Viel zu lange wurden Freihandelsabkommen einfach nur verhandelt und beschlossen, ohne dass die Öffentlichkeit miteinbezogen wurde. Und das ist auch eine berechtigte Kritik. Ich habe aber den Eindruck, dass unter der neuen Handelskommissarin Malmström ein neuer Wind weht und sie sich zu mehr Transparenz verpflichtet fühlt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bei aller berechtigten Kritik an der Geheimniskrämerei der Vergangenheit und auch an einzelnen Punkten - im Kern geht es doch heute um folgende Frage: Wollen wir Europäerinnen und Europäer die Handelsregeln in der globalen Welt mit unseren Werten, Standards und Normen mitgestalten, oder überlassen wir das anderen Wirtschaftsräumen und leben dann mit deren Regeln? Beim Freihandelsabkommen mit Kanada sehe ich für deutsche Unternehmen große Chancen. Kanadas Wirtschaft steht vor enormen Herausforderungen. Der Rohstoffsektor muss sich neue Märkte erschließen und die hierfür erforderlichen Infrastrukturen schaffen. Unter anderem ist der Ausbau des Öl- und Gaspipelinenetzes geplant. Gerade im Energiesektor könnten unsere Unternehmen durch Aufträge in Kanada sehr profitieren. Dazu kommt, dass sich Kanada und die EU sehr nahe sind, nicht nur kulturell, sondern auch, was die sozialen und industriellen Standards betrifft. Übrigens wird das CETA-Abkommen in Kanada von einer übergroßen Mehrheit positiv gesehen. ({2}) Für uns steht aber dennoch fest: Bei den Investitionsschutzregeln muss es noch Verbesserungen geben. Und dafür sehe ich auch gute Chancen. Das belegen die intensiven Bemühungen des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel, der gemeinsam mit sechs europäischen Handelsministern Vorschläge für ein modernisiertes Investitionsschutzsystem vorgelegt hat; wir haben heute schon darüber gesprochen. ({3}) Auch die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im EU-Parlament, auf deren Stimmen es bei der Verabschiedung des Vertrages ankommt, werden alles dafür tun, dass es bei der derzeit laufenden Rechtsförmlichkeitsprüfung noch Veränderungen geben wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel ist es doch, den Freihandel so zu gestalten, dass wir alle davon profitieren. ({4}) Gerade für uns als Exportnation ist es immens wichtig, Handelshemmnisse abzubauen, ohne Standards zu gefährden. Immerhin generieren wir 40 Prozent unseres Wohlstandes durch internationalen Handel. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt am Export. ({5}) Herr Kollege Ernst, lieber Klaus, ({6}) Sie waren doch bei der Reise des Wirtschaftsausschusses nach Kanada dabei. ({7}) Wir haben vor Ort sehr intensive Gespräche mit Unternehmen geführt. ({8}) Die Unternehmen haben uns ganz klar gesagt, wie wichtig es für sie ist, dass Normen und Zertifikate angeglichen werden, dass Zölle beseitigt werden, um Aufwand und Kosten zu sparen. Die kanadische Firma Bombardier, die in Deutschland circa 9 000 Mitarbeiter an neun Standorten beschäftigt, erhofft sich durch CETA die Vereinfachung des Personalaustausches und natürlich auch die Vereinfachung der Zertifizierungsverfahren, die derzeit sage und schreibe 18 bis 24 Monate dauern. Aber gerade auch kleine und mittelständische Unternehmen könnten vom Abbau der Handelshemmnisse profitieren. Ich habe mit kleinen Unternehmen gesprochen, die auf Erleichterungen in den Handelsbeziehungen zu Kanada setzen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, der Unterschied zwischen uns besteht darin, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch die Chancen von Freihandel sehen und deshalb um positive Veränderungen in CETA ringen. Unser Ziel muss doch ein Mehrwert für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger sein. Keine andere Partei hat bisher einen ähnlich breiten Diskussionsprozess geführt wie die SPD. ({9}) Deshalb ist aus meiner Sicht eine pauschale Ablehnung des CETA-Verhandlungsergebnisses, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, nicht akzeptabel. Deshalb können wir diesem Antrag auch nicht zustimmen. Außerdem ist jetzt nach dem öffentlichen Konsultationsverfahren erst einmal die EU-Kommission am Zuge, mit Kanada Veränderungen des Rohtextes abzustimmen. Die Kritik, insbesondere aus Deutschland, ist dort angekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind ein selbstbewusstes Parlament, und wir werden uns deshalb auch selbstbewusst mit dem Vertragstext, wenn er vorliegt, auseinandersetzen und am Ende verantwortlich die richtigen Entscheidungen treffen. Das gilt im Übrigen auch für das Europäische Parlament. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank. - Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer nach vorne. Wir müssen kurz die Reihenfolge der Redner klären. So, in der Rednerliste ist ein bisschen getauscht worden, und es gibt einen Verzicht der Kollegin Dr. Scheer. Wir freuen uns ganz besonders, dass wir jetzt den Wirtschaftsminister hören. Sigmar Gabriel hat das Wort. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin, ich dachte, ich hätte noch ein bisschen Zeit, den interessanten Beiträgen zuzuhören.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt geht’s los, Sigmar.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ja, vielen Dank. - Zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich vorhin nicht da war. Ich hatte die Antragsteller gefragt, ob sie Wert auf meine Anwesenheit legen. Die Antwort war: Im Prinzip immer, aber in diesem Fall könne ich gegen Zahlung eines Bieres ruhig rausgehen. - Das war ein bisschen spaßhaft gemeint. Dann haben die Grünen beantragt, dass ich da sein muss. Ich hätte sie natürlich auch fragen müssen. Aber dass ihr von den Linken, obwohl ihr mir Dispens gegeben habt, dem Antrag der Grünen zugestimmt habt, bedeutet: Dieter, du kriegst kein Bier von mir. ({0}) Trotzdem: Entschuldigung, ich hätte auch Sie von der grünen Fraktion fragen müssen. ({1}) - Das mache ich mit Ihnen gerne auch unabhängig von Anwesenheitsfragen, wenn Sie das möchten. Jetzt aber zum Ernst der Sache; es geht ja um ein wichtiges Thema. Ich wundere mich ein bisschen über die Frage, wie wir bei CETA mit dem Investitionsschutz umgehen, weil ich Ihnen das hier schon ein paarmal in einer, wie ich finde, ganz munteren Debatte erläutert habe. Wir brauchen Investitionsschutz und haben eine klare Vorstellung, wie er in Zukunft aussehen soll. Ich habe mich zuerst auf die alte Bundesregierung, auf CDU/CSU und FDP berufen, die nicht zu Unrecht gesagt hat: Eigentlich brauchen wir bei Abkommen zwischen Ländern mit entwickelten Rechtssystemen solche Sonderregeln nicht. - Aber es gibt drei Argumente, die dagegensprechen. Erstens. Ich weiß nicht, ob wir einen deutschen Mittelständler, der ein Investitionsproblem in Alabama hat, vor das dortige Amtsgericht schicken wollen, ({2}) wo der Richter vor Ort gewählt wird, ob wir kleinen oder mittelständischen Unternehmen den Weg durch die amerikanischen Instanzen zumuten wollen. ({3}) Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er pleite ist, bevor er recht bekommen hat. ({4}) Zweitens. Es geht um Verhandlungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Deutschland hat selbst innerhalb Europas erhebliche Schwierigkeiten, den Investitionsschutz auf dem nationalen Rechtsweg zum Beispiel in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien nach dortigem Recht durchzusetzen. Man muss den Blick der Kanadier und der US-Amerikaner auf die Rechtssysteme in Europa schon verstehen. Drittes Argument, und das ist das entscheidende. Wir wollen kein ganz normales Freihandelsabkommen schließen, sondern stehen doch vor der Situation, dass es nicht zum eigentlich von uns gewünschten Abkommen der Welthandelsorganisation kommt, die eigentlich dafür da ist, die „golden standards“ des Freihandels zu setzen, weil insbesondere die Schwellenländer dies blockieren. Der Versuch ist, jetzt mit den Vereinigten Staaten Standards für einen sich dramatisch verändernden Welthandel zu setzen. Bei dem Standard, den wir setzen, werden wir auf das Thema Investitionsschutz nicht verzichten können, weil dieser Standard von uns nach Möglichkeit bei späteren Handelsabkommen zum Beispiel mit China, mit Staaten in Asien und anderen Staaten durchgesetzt werden soll, bei denen selbst die Linken wohl nicht der Meinung sind - das kann ich mir nicht vorstellen -, dort bräuchte man keinen Investitionsschutz. Insofern werden wir uns über die Frage unterhalten müssen: Wie muss ein moderner Investitionsschutz aussehen? Aus meiner Sicht muss ein Investitionsschutz so aussehen, dass er nicht privatwirtschaftlich organisiert ist, sondern öffentlich-rechtlich. ({5}) Ich bin der Meinung, dass wir Berufsrichter brauchen, die an eine öffentlich-rechtliche Berufung gebunden sind, dass das Gericht transparent zu tagen hat, dass die Kläger, wenn sie verlieren, die Kosten des Verfahrens zu tragen haben und dass es Bußgelder geben muss, wenn jemand missbräuchlich klagt. Im Übrigen finde ich, dass sich ein Kläger entscheiden muss, ob er nun vor dem staatlichen Gericht oder vor dem Schiedsgericht klagt, und er nicht zwischen beiden hin- und herwechseln kann. Außerdem brauchen wir eine Berufungsinstanz. Eigentlich muss die Debatte in Richtung eines richtigen Handelsgerichtshofes gehen. Das ist das, was wir mit sechs Handelsministern - zugegebenermaßen Sozialdemokraten - vereinbart haben, was wir vorschlagen. Jetzt zu der Frage: Wieweit schaffen wir das bei CETA? Die Antwort darauf habe ich Ihnen beim letzten Mal im Bundestag gegeben: Sie werden in einem abschließend verhandelten Abkommen keine vollständige Umsetzung der Forderungen hinkriegen. ({6}) Ich weiß gar nicht, warum Sie mich das dreimal fragen. ({7}) Sie können in meinen Reden nachlesen, dass ich Ihnen schon gesagt habe: Das werden wir nicht schaffen. Aber wir werden jeden Schritt unternehmen, auf diesem Weg selbst bei CETA voranzukommen. Ein Kollege von der Union hat auf die Mauritius-Konvention hingewiesen, mit der wir bei bestehenden Abkommen weitaus mehr Transparenz schaffen. Das zeigt doch, in welche Richtung wir gehen. ({8}) Machen Sie daraus doch nicht immer eine Debatte über die Frage des Untergangs des Abendlandes. Ich frage mich, ob Sie von der Linken eigentlich genauso gegen das Freihandelsabkommen wären, wenn wir über ein Freihandelsabkommen mit Russland sprächen. Das würde mich interessieren. ({9}) - Nein, passen Sie auf. Sie werden gleich merken, dass das nicht billig ist. ({10}) Denn Freihandel hat etwas mit der Chance auf Frieden und Zusammenarbeit zu tun. Ich habe nicht ohne Grund in Davos gesagt - die deutsche Bundeskanzlerin hat das auch gemacht; dafür bin ich ihr sehr dankbar gewesen -: Wenn wir über den Tag nach Beendigung des Konfliktes in der Ukraine reden, sollten wir Russland ein Angebot machen. Wir sollten den Vorschlag aufgreifen, den der russische Präsident selbst - wenn ich mich recht erinnere, hier im Deutschen Bundestag - eingebracht hat, nämlich einer Freihandelszone zwischen Wladiwostok und Lissabon. Für uns wäre das dann eine Freihandelszone von Wladiwostok über Lissabon bis New York. Es ist egal, wie herum man das sieht. Das hat übrigens nicht nur etwas mit Ökonomie zu tun. Es hat auch mit der Frage zu tun, wie wir durch Wohlstand und Kooperation Frieden stabilisieren. Ich weiß, dass das heute bei der Lage, die wir in der Ukraine haben, undenkbar erscheint. Ich kann da nur an Willy Brandt erinnern. Weil Sie so oft auf Sozialdemokraten abheben, habe ich mich immer gefragt, wann Sie endlich in die SPD eintreten werden. Sie zitieren ja Parteitagsbeschlüsse der SPD und machen sich als Mitglied der Linken Sorgen um die SPD. Das begrüße ich. Ich hoffe, Sie kommen irgendwann zu uns, wenn Sie merken, dass wir das besser machen als Sie. ({11}) Meine Kollegen haben gesagt, dass wir nicht jeden nehmen sollen. ({12}) Sie glauben gar nicht, wie gut wir uns kennen. Ich bin aber Sozialdemokrat. Deswegen habe ich ein emanzipatorisches Weltbild und denke immer, dass Aufklärung bei allen hilft. Ich meine das ganz ernst: Wir haben die Entspannungspolitik in Deutschland am dunkelsten Punkt, beim dunkelsten Kapitel des Kalten Krieges begonnen, als Staaten des Warschauer Vertrages in die Tschechoslowakei einmarschiert sind. Da hat Willy Brandt über die Frage nachgedacht: Wie kommen wir trotzdem mit unseren östlichen Nachbarn voran? Das war übrigens die Voraussetzung dafür, dass wir am Ende die deutsche Einheit schaffen konnten. Deswegen sage ich: Selbst am dunkelsten Punkt eines Konfliktes, der den Krieg zurück nach Europa gebracht hat, muss man auch darüber nachdenken, was die Perspektive ist. Denn Russland braucht Europa, und wir brauchen Russland. Auch die Amerikaner werden Russland brauchen. Der Grund, warum ich dafür bin, in Sachen TTIP nicht ständig Angst zu verbreiten, ist: Es wird keine Absenkung von Standards geben, und es wird kein Aushebeln der Gesundheits-, Verbraucherschutz- und Sozialstandards geben. Auch wird es keine Privatgerichtsbarkeit geben, welche die Parlamente einschränkt. Lassen Sie uns doch einmal selbstbewusst über die Rolle Europas in der Zukunft reden, über die Rolle Europas in 10 oder 20 Jahren. Dabei geht es auch um China. Wir diskutieren darüber, dass dieses Jahrhundert ein asiatisches Jahrhundert wird. Das wird es auch sein, weil dort die Bevölkerung wächst und auch die Wirtschaft. Wir in Europa hingegen schrumpfen. Wenn wir - und zwar in Verantwortung für diejenigen, die nach uns kommen, für unsere Kinder - die Balance halten wollen, müssen wir doch Partner suchen. Das müssen wir machen, wenn wir in dieser veränderten Welt noch eine Stimme haben wollen. Die ersten Partner - trotz aller Probleme, die wir gelegentlich mit amerikanischer Politik haben - sind die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Das ist so, weil uns mit denen kulturell, sozial und ökonomisch - trotz aller Probleme mit denen: trotz Irakkrieg und trotz der Geheimdienste mehr verbindet als mit jeder anderen Region der Welt, meine Damen und Herren. ({13}) Der zweite Partner muss wieder Russland werden. Nur wenn wir beide Partnerschaften haben, werden wir in dieser völlig veränderten Welt die Balance halten können. Europa hat doch etwas anzubieten. Wir haben zum Beispiel die Erfahrung anzubieten, dass wir - obwohl das, in geschichtlichen Kategorien gesehen, erst kurze Zeit her ist - nach Kriegen mit Franzosen, Polen und anderen Frieden, Wohlstand und Stabilität geschaffen haben. Wir haben ein Modell, in dem Demokratie und Freiheit ökonomischen Erfolg bringen. Übrigens schaffen wir es auch - mehr als jede andere Nation der Welt - industriellen Erfolg und ökologische Verantwortung zusammenzubringen. Wir haben in der Welt doch etwas anzubieten! Wir wollen mit dem Freihandelsabkommen neue Standards setzen. Auch mit den Vereinigten Staaten werden wir nicht all das hinkriegen, was wir uns im Deutschen Bundestag wünschen. Es wird aber besser sein als jedes Freihandelsabkommen, das die Vereinigten Staaten mit China schließen. Deswegen geht es doch nicht um die Frage, ob wir ein Freihandelsabkommen haben werden, sondern nur darum, ob wir es selbst gestalten oder ob wir uns in Zukunft anderen Standards anpassen müssen. ({14}) Ich möchte auch etwas zu den Kritikern sagen. Die Kritiker haben uns weitergebracht. ({15}) Sie haben uns auf drohende Gefahren aufmerksam gemacht. Die Kritiker sind also ein wichtiger Bestandteil dieser Debatte. ({16}) Es wäre allerdings gut, wenn die Kritiker merken würden, dass sie mit ihrer Kritik Erfolg hatten. ({17}) Es wird keine Importe von gentechnisch veränderten Lebensmitteln nach Europa geben. Es wird übrigens auch nicht das berühmte Chlorhühnchen geben; wobei ich mir nicht so sicher bin, ob die Hühnchen, die wir in Deutschland mit Antibiotika füttern, wirklich gesünder sind, als die, die mit Chlor desinfiziert werden. ({18}) Vielleicht ist es am besten, man macht beides nicht. ({19}) - Renate, dann weißt du mehr als ich. Ich wiederhole: Die Kritiker haben uns weitergebracht. Die Debatte über das „right to regulate“, über die Rolle der demokratisch gewählten Parlamente bei den Entscheidungen, ist natürlich von entscheidender Bedeutung. Wenn wir wollen, dass die Handelsarchitektur der Welt durch das Freihandelsabkommen beeinflusst wird, dann werden wir diese Frage eindeutig klären müssen, und ich glaube, dass wir das gut schaffen. Natürlich arbeitet die Bundesregierung dabei mit vielen anderen zusammen. Ich finde die Debatte wichtig. Sie hat uns weitergebracht, auch mich persönlich, und zwar in unterschiedlicher Hinsicht. Aber ich bin dagegen, dass wir diese Diskussion weiterhin so angstbesetzt führen. Es könnte eine ganz selbstbewusste europäische Debatte sein. Wir könnten eine Menge durchsetzen. Die Welt verändert sich, und wir in Europa dürfen nicht so tun, als ob wir in der zukünftigen Welt nur mit uns selber klarkämen. Das ist doch nicht so. Wir reden immer darüber, dass wir Zuwanderung und Kooperation brauchen. Deutschland ist das Land, das mehr als alle anderen vom Freihandel lebt. Deswegen werden wir uns verdammt noch mal anstrengen müssen, eine Regelung zu finden. Ich finde, wir sind auf einem ausgesprochen guten Weg. Vielen Dank. ({20})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sigmar Gabriel. - Nächste Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, schön, dass Sie doch noch gekommen sind. Sie haben in Ihrer Rede mindestens zweimal gesagt: „Wenn wir die Handelsarchitektur der Welt gestalten wollen …“ Daran will ich anknüpfen; denn das löst bei mir bzw. bei uns Sorgen aus. Dahinter steckt nämlich die Idee - so haben Sie es gesagt -: Wenn einige Länder den Fortgang der WTO-Verhandlungen blockieren, dann versuchen wir es eben an einer anderen Stelle. Aber ich bin der Meinung: Hier ist Vorsicht geboten. Das lässt mich aufhorchen, weil ich nicht will, dass „versuchen“ heißt, dass die Interessen der WTO, die nicht von allen Mitgliedern getragen werden, der Welt an anderer Stelle mittels TTIP, CETA oder anderen bilateralen Abkommen aufgedrückt werden. Ich halte das, was hier passiert, inhaltlich für falsch und für undemokratisch. ({0}) Halten wir fest: Bei den Verhandlungen innerhalb der WTO geht es nicht weiter. Ich habe auch verstanden, warum und wer sich benachteiligt fühlt, ich glaube, zu Recht. Nun versucht man es an anderer Stelle. Dann wäre die Frage: Wie und wo versucht man es? Wäre es nicht besser, einen multilateralen Ansatz zu wählen ({1}) und festzustellen, dass auch die UN ihre Zuständigkeiten haben - von Sozialpakt bis Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung -, statt bilaterale Abkommen, fast wie Diktate, mit einzelnen Staaten für den Rest des Marktes zu schaffen? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen. ({2}) Ich sage Ihnen ganz klar: Es ist nicht so, wie manche das hier behaupten, dass wir gar keine Freihandelsabkommen wollen. Auch ich finde es sinnvoll, dass man TÜV-Untersuchungen nicht doppelt und dreifach macht, ({3}) dass man nicht zwischen roten und orangefarbenen Rücklichtern unterscheidet. ({4}) Darum geht es doch gar nicht. Es geht auch nicht um das Chlorhühnchen. ({5}) - Darum geht es in meiner Kritik nicht. ({6}) Setzen Sie doch die entsprechenden Regelungen um! Wenn Sie all diese Punkte aufgeschrieben hätten, wären sie schon längst verabschiedet und ratifiziert. Es geht nicht nur um Chlorhühnchen, um dieses arme possierliche Tierchen, das hier immer bemüht wird. ({7}) - Sie müssen richtig lesen. - Es geht darum, dass hier eine Aushöhlung stattfindet, dass in Zukunft jede politische Maßnahme Schadenersatz auslösen kann, dass in Zukunft Regeln und Gesetze gemacht werden, indem man vorher im Geheimen noch die USA als Vierten im Bunde - neben den Mitgliedstaaten, dem Europäischem Parlament und der Europäischen Kommission - mitverhandeln lässt. Das ist kein demokratisches Verfahren. Das ist der Kern. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Künast, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Herrn Hauptmann?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, ich interpretiere Ihre Aussage so, dass Sie zugeben, dass bei Rückspiegeln und verschiedenen anderen Themen es vorteilhaft sein kann, solche Abkommen abzuschließen. ({0}) Wir begrüßen diesen Schritt. Weil es bezüglich der Chlorhühnchen anscheinend unterschiedliche Auffassungen gibt, will ich Sie ganz klar fragen: Haben die Partei Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion, die auf der Fraktionsebene dieses Hauses große Aufsteller aufgebaut hat und gegen TTIP Sturm gelaufen ist, das Chlorhühnchen durch die halbe Republik getragen, ja oder nein? ({1}) Haben Sie dieses Thema nicht bewusst genutzt, um die Menschen in die Irre zu führen? Das Bundesgesundheitsamt hat hinterher festgestellt, dass das völliger Blödsinn war. Haben Sie das gemacht, oder haben Sie das nicht gemacht?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Hauptmann, ich habe gerade gesagt, dass es längst nicht mehr nur um das Chlorhühnchen, dieses arme, possierliche Tierchen, geht. Natürlich ging es auch darum. Wir haben aber eines gelernt: Die allergrößte Gefahr liegt nicht in der gegenseitigen Anerkennung von Umweltschutz-, Verbraucherschutz- und Gesundheitsstandards, sondern in einem ganz anderen Bereich. Es geht um die Privilegierung von Investoren gegenüber allen anderen. ({0}) Es geht zum Beispiel darum, dass es einen breitgefassten Begriff der indirekten Enteignung gibt. Sie konnten damals und Sie können heute lesen, worauf wir uns konzentrieren. Ich sage Ihnen: Es geht im Kern nicht um die Frage, welche Standards wir heute anerkennen, sondern um die Frage, dass in Zukunft jede politische Maßnahme zu einer schadenersatzauslösenden Enteignung stilisiert werden kann. Das kann nicht sein. ({1}) Am Ende müssen wir noch bezahlen, wenn wir Pestizidminimierungsstrategien verfolgen. Es geht um Geheimhaltung. ({2}) Es geht um die Frage, ob Rechtswege und Umgehungsmöglichkeiten vorgesehen sind, die man nicht akzeptieren kann. Das empfinden nicht nur wir so. Keine Geringere als die neue Präsidentin des Bundesgerichtshofs hat in ihrer Antrittsrede gesagt, dass im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen vermeintlich beschwichtigend gesagt werde, darin vorgesehene Schiedsverfahren sollten erst nach Erschöpfung des staatlichen Rechtswegs zum Tragen kommen. Sie hat gefragt: Wer soll in Zukunft eigentlich wen kontrollieren, und wie soll das Schiedsgericht zusammengesetzt werden? Sie hat auch gesagt, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass wir damit willentlich und wissentlich Bereiche aufgeben, die bislang zu den Kernaufgaben der Herstellung staatlicher Ordnung gehörten, ({3}) und dass wir gute Antworten haben sollten, um mit den absehbaren Folgen umgehen zu können. Auf diesen Bereich beziehen wir uns heute mit diesem Antrag. Aber wir stellen gerne auch weitere Anträge. Herr Gabriel hat am 25. September 2014 in diesem Haus gesagt, Investitionsschutz in CETA und TTIP sei nicht erforderlich. Zwischen entwickelten Rechtssystemen wie Kanada und der EU brauche man keinen völkerrechtlichen Investitionsschutz. ({4}) Ich will darauf, auf den Kern des Problems, näher eingehen. Darüber haben heute nicht viele geredet; viele haben nur die Opposition beschimpft. Ich habe eigentlich immer gedacht, Kern des demokratischen Rechtsstaats Deutschland sei das Parlament, in dem es denklogisch immer eine Opposition gibt, die auch fürs Fragenstellen bezahlt wird. Deshalb sage ich es noch einmal: Die regulatorische Kooperation in Verbindung und Verschränkung mit einer Schiedsgerichtsbarkeit, einer Art Paralleljustiz, ist das Problem. Wir und die EU müssen uns fragen, welches Zeichen wir setzen wollen. Wir sagen immer, dass wir mit anderen Rechtsstaatsdialoge führen und wissen, was ein Rechtsstaat ist. Das, was da geplant ist, hat aber nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, sondern ist ein Zurück in die Geheimpolitik vergangener Jahrhunderte. ({5}) Dabei geht es nicht nur um die Öffentlichkeit und Überprüfbarkeit von Verfahren oder gesetzliche Richter. Ich stelle mir auch die Frage: Welche rechtliche, welche verfassungsrechtliche Basis und welche Gedanken liegen diesem Abkommen eigentlich zugrunde? Warum dürfen Investoren auf entgangenen Profit klagen? Warum darf eigentlich nicht der Verbraucherzentrale Bundesverband wegen Nichteinhaltung der Verbraucherrechte klagen? Warum darf Greenpeace nicht bei Umweltfragen klagen? ({6}) Und warum darf Foodwatch nicht klagen, weil im Bereich der Lebensmittel etwas schlecht geregelt ist? Warum dürfen BUND, NABU und wie sie alle heißen, nicht klagen? Welchem Rechtsverständnis folgen Sie? Schauen Sie sich doch einmal das Grundgesetz oder das europäische Recht an! Es ist ja nicht so, dass Artikel 1 des Grundgesetzes mit dem Satz: „Gewinnerwartung und wirtschaftliches Handeln sind unantastbar“ anfängt ({7}) - mein Grundgesetz zumindest fängt nicht so an -, sondern da stehen bis Artikel 14 des Grundgesetzes - Eigentum - verschiedene Rechte, zum Beispiel die Staatszielbestimmung Umweltschutz und das Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit. ({8}) Durch das Bundesverfassungsgericht ist auch das Datenschutzgrundrecht normiert, und dann kommt Artikel 14 des Grundgesetzes. Ich frage Sie: Warum darf der eine klagen, warum darf er einen Extraweg gehen, und warum bekommt er Schadensersatz, und alle anderen dürfen nicht klagen? Wenn Sie das bilateral vereinbaren, dann reduzieren Sie nicht nur das Niveau von Rechtsstaat, Grundrechten usw., sondern dann bringen Sie uns auch politisch in eine Schieflage, und zwar als weltweit schlechtes Vorbild. ({9}) Ich will jetzt einen durchaus positiven Satz über Herrn Gabriel sagen. ({10}) - Ja. - Sie haben, wie ich finde, ein bisschen viel darum herumgeredet, sozusagen auf der Stimmungsebene und colorandi causa. ({11}) Aber jetzt zu Ihrem inhaltlichen Punkt. - Ich habe noch eine Minute, oder?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Eine Minute, ja.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gabriel, es ist gut, dass Sie einen internationalen Gerichtshof ins Gespräch gebracht haben. Die Frage ist nicht nur, ob es Durchsetzungschancen gibt, sondern auch - Frau Dröge hat ja gesagt, dass wir gerne mit Ihnen darüber diskutieren -: Welcher Intention folgt das? Ich finde, man muss über die Frage: „Dürfen nur die einen klagen oder auch andere?“ diskutieren, weil sonst die Wertigkeit, was die verschiedenen Rechte betrifft, schief ist. Ich frage mich auch: Wo wird er angesiedelt? Die WTO ist schon neben die UN gesetzt worden, weil man unter dem Dach der UN nicht weitermachen wollte, da man sich unter Druck gesetzt fühlte. Vielleicht gehört auch ein solcher internationaler Gerichtshof unter das Dach der UN, weil man nur so sicherstellen kann, dass alle Rechte berücksichtigt werden. ({0}) Uns, meine Damen und Herren, geht es an dieser Stelle durchaus um Freihandelsabkommen. Ich könnte mir allerdings schönere vorstellen. Warum machen wir eigentlich kein Freihandelsabkommen, das versucht, Innovation, Kreativität, erneuerbare Energien und CO2Einsparung zum Kern des gemeinsamen transatlantischen Handels zu machen? Das wäre doch etwas! Es geht also längst nicht mehr allein um das Huhn, ({1}) sondern um die Frage, ob wir bilateral weltweite Standards setzen wollen, die undemokratisch sind und zu Privilegien für Einzelne führen. Genau deshalb werden wir bei beiden Abkommen, bei TTIP und CETA, immer engagiert sein. Wir sind ein Rollenmodell. Dieses Rollenmodell muss lauten: Alle Rechte werden realisiert, und wir führen keine undemokratischen Prinzipien ein. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Renate Künast. - Nächster Redner in der Debatte: Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für die Fraktion. ({0}) Liebe Frau Künast, sollte ich noch einmal direkt nach Ihnen reden, dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ein bisschen langsamer sprechen würden. Das Tempo hatte nicht unbedingt mit dem Gehalt Ihrer Rede zu tun. ({1}) Ein bisschen langsamer und ein bisschen gehaltvoller wäre es besser, weil man sich dann besser mit dem Gesagten auseinandersetzen kann. ({2}) - Frau Künast, ich bin kein Mann, der über Diskriminierung klagt. ({3}) Frau Präsidentin, können wir das nicht abstellen? Das ist ja furchtbar. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Reden Sie einfach.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieses Gequäke von der linken Seite ist schwer zu ertragen. ({0}) Frau Künast, ich will etwas zu den Investitionsschutzabkommen sagen, ({1}) weil Sie sich darauf besonders fokussiert haben. Der Kollege Hauptmann ist schon auf die Einwendungen bzw. die Eingaben zu TTIP, also zum amerikanischen Freihandelsabkommen, eingegangen. Es gab 150 000 Kettenbriefe - Dinge, die Sie und andere im vorpolitischen Raum angeleiert haben. ({2}) Das alles ist legitim. Aber man sollte nicht so tun, als sei hier eine Volksbewegung entstanden; denn nur rund 5 000 von ihnen sind inhaltlich seriös und gehaltvoll. Sie werden abgearbeitet und Eingang in die Beratungsgrundlage finden, die den Mitgliedstaaten von der EUKommission vorgelegt wird. Es ist keineswegs so - das wissen Sie genau -, dass irgendjemand hier im Saal will, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, unterwandert werden. Sie wissen, dass das nicht der Fall ist, behaupten das aber wider besseres Wissen, um parteipolitisch Punkte zu machen. Es gibt beim Thema Investitionsschutz Regelungsbedarf gerade mit Blick auf kleinere mittelständische Unternehmen, die sich eben keine Riesenrechtsabteilung leisten können, um alle Ecken des Rechtssystems in den jeweiligen Investitionsländern auszuleuchten. Sie brauchen eine Möglichkeit, auf relativ unproblematische Art und Weise Recht zu bekommen und ihre Dinge zu regeln, wenn das der Wunsch beider Partner ist. Sie wissen, dass gerade vor amerikanischen Gerichten im Ernstfall sieben- bis achtstellige Prozesskosten zusammenkommen. Sie wissen, dass die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen im Zuge solcher Prozesse nicht immer gewährleistet ist - es muss vieles offengelegt werden - und dass der Ausgang eines solchen Prozesses bei einer Laienjury wesentlich unberechenbarer ist als vor professionellen Wirtschaftskammern, wie es sie in anderen Ländern gibt. Investitionsschutzabkommen stellen sicher, dass Länder weiter attraktiv sind für ausländische Investoren. Deshalb sind wir prinzipiell der Auffassung, dass bei Wahrung rechtsstaatlicher Verfahren solchen freiwilligen Regelungen nichts entgegensteht. Deutschland hat Investitionsschutzregelungen vor rund 50 Jahren erfunden und mit rund 130 Staaten solche Verträge abgeschlossen, darunter auch mit anderen EU-Mitgliedern. Bisher hat es auf dieser Basis ganze drei Klagen gegen Deutschland gegeben. Hier wird also ein Popanz aufgebaut, ({3}) um ihn dann zu bekämpfen, der überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Im Übrigen war keine dieser drei Klagen erfolgreich. Die weltweit aktivsten Kläger auf der Basis von Investitionsschutzabkommen sind übrigens nicht, wie so häufig unterstellt wird, die Amerikaner, sondern die Europäer. So stammen die Kläger in 53 Prozent aller bekannten Verfahren aus der Europäischen Union; nur in 22 Prozent der Fälle gehen die Klagen auf amerikanische Kläger zurück. Derzeit laufen vor dem Schiedsgericht in Washington, dem ICSID, mehrere Klagen von europäischen Ökostromunternehmen gegen Spanien und Tschechien wegen der Kürzung der dortigen Ökostromförderung. Sicherlich wird niemand in diesem Zusammenhang behaupten wollen, dass etwa die Stadtwerke München, die zu den Klägern gehören, die Demokratie in Spanien abschaffen wollen. Der Mythos, dass die Staaten im Rahmen von Schiedsgerichtverfahren zumeist die Verlierer sind, wird ebenfalls durch die Statistik widerlegt. Von den 274 ISDS-Fällen, die weltweit bis Ende 2013 abgeschlossen wurden, konnten die Staaten 43 Prozent für sich entscheiden; in weniger als einem Drittel der Fälle - 31 Prozent - wurde zugunsten der klagenden Investoren entschieden. Die viel zitierte Causa Vattenfall passt überhaupt nicht in diesen Zusammenhang. Dieser Fall zeigt gerade, dass es Unternehmen bereits jetzt - ohne TTIP, ohne das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen möglich ist, einen Staat zu verklagen; denn dort gilt natürlich auch das Rechtsstaatsgebot. ({4}) Es ist also dringend notwendig, hier mehr Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen. Dazu hat der Minister einen hervorragenden Beitrag geleistet. Ich habe mich wirklich selten so gefreut über eine Rede. Wenn wir den SPD-Werbeblock einmal ausblenden - den muss ich ja nicht super finden -, war das eine Rede, bei der ich hundertprozentig dahinterstehe. Es ist richtig, dass wir als eine Nation, die wie kaum eine andere vom freien Handel in der Welt lebt, uns diesen Fragen nüchtern, sachlich und möglichst auch gemeinsam stellen müssen, um unser Land, unser Vaterland nach vorne zu bringen und unserer Industrie zu helfen, sich in diesem Umfeld zu bewähren und gute Ausgangspositionen vorzufinden. Ich will noch kurz einige Zahlen nennen, auch auf die Gefahr hin, dass ich Sie ermüde; aber bisher sind die Zahlen offenbar noch nicht tief genug bei Ihnen eingedrungen, als dass es richtig wäre, den volkswirtschaftlichen Vorlesungsblock fallen zu lassen. Das Handelsvolumen mit dem Nicht-EU-Ausland hat sich allein zwischen 1999 und 2010 verdoppelt. Der Anteil der EU am weltweiten Exportgeschäft für Waren beträgt 15 Prozent - der Chinas nur 12 Prozent, der der USA 11 Prozent -, für Dienstleistungen 25 Prozent. Wieder zum Vergleich: Der Anteil der USA beträgt hier 19 Prozent, der von China 6 Prozent und der von Japan und Indien jeweils 4 Prozent. Der Wert der Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen der 28 EU-Mitgliedstaaten betrug im Jahr 2012 4,5 Billionen Euro. Die Direktinvestitionen der EU im Ausland betrugen im Jahr 2012 5 Billionen Euro. Deutschland profitiert als größte Volkswirtschaft in der EU und drittgrößter Exporteur weltweilt in besonderem Maße von dieser Entwicklung. Der Anteil unserer Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt, also unsere Exportquote, liegt bei rund 51 Prozent. Die deutschen Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen betrugen im Jahr 2013 1,4 Billionen Euro. Diese Zahlen habe ich einfach einmal genannt, um Ihnen deutlich zu machen, welch herausragende Bedeutung der freie Welthandel für uns als Handelsnation hat. Davon hängen unzählige Arbeitsplätze ab. Hiermit spielt man nicht, und man fährt auch keine billigen Kampagnen auf Nebenkriegsschauplätzen, sondern man stellt sich gemeinsam der Verantwortung für das Land. Dazu sind alle herzlich eingeladen. Wenn wir uns jetzt noch einmal den Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Europa und den USA anschauen, dann sehen wir: Wir tauschen täglich Dienstleistungen im Wert von 2 Milliarden Euro aus; das Handelsvolumen beträgt jährlich 140 Milliarden Euro. Die USA sind damit Deutschlands wichtigster Handelspartner außerhalb der EU. Der Kollege Hauptmann hat genau wie der Kollege Lämmel schon darauf hingewiesen, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass wir auf Grundlage unserer atlantischen Freundschaft und Partnerschaft das, was uns wichtig ist, jetzt in einem sehr viel größeren Umfang zum Maßstab für den Welthandel machen können. Es ist den Schweiß der Edlen wert, dass wir uns dafür einsetzen und uns nicht von anderen Regionen der Welt überholen und abhängen lassen. Wenn es um den Verbraucherschutz, den Arbeitsschutz und den Umweltschutz geht, dann kann man auf internationaler Ebene manchmal über vieles gar nicht reden, weil nicht die gleiche Sprache gesprochen wird und anderswo ganz andere Standards herrschen. Oftmals herrscht der Grundsatz „race to the bottom“. Ein solches Herunterregulieren wollen wir nicht. Wenn wir uns klug anstellen, dann können wir jetzt gemeinsam mit unseren transatlantischen Partnern Standards für sehr viele Konsumenten und Handeltreibende setzen, die nachher auch für den Rest der Welt Maßstab und wegweisend sein werden. Wir tun das doch auch schon seit Jahren. Gemeinsam mit unseren Partnern, mit denen wir unproblematische Beziehungen haben, versuchen wir in Form von Freihandelsabkommen, Dinge festzuklopfen - Abschaffung von Zöllen, Angleichung von technischen Vorschriften -, die es uns erleichtern, Handel zu treiben. Dies soll uns zugleich ermöglichen, uns auf gemeinsame Standards zu einigen. Es ist sehr viel einfacher, mit unseren Partnern hier auf ein ordentliches Maß an Übereinstimmung zu kommen und damit etwas Gutes für die Wirtschaft zu tun, als mit Ländern aus einem anderen Kulturkreis. Ich bitte alle im Haus, dieses Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu behandeln. Bei diesem Thema geht es um die Zukunft unserer Kinder, und es ist entscheidend für die Antwort auf folgende Fragen: Wie können wir in der Welt Einkommen erzielen? Wie kann unsere Wirtschaft performen? Wie kann sie in der Welt erfolgreich sein? Wenn wir als Welthandelsnation weiter erfolgreich bleiben und dabei gewährleisten wollen, dass wir die Regeln in diesem Spiel entscheidend mitbestimmen, dann brauchen wir Partner, die ähnlich denken wie wir. Diese finden wir auf der anderen Seite des Atlantiks. Deshalb lautet mein Appell an Sie alle: Helfen Sie mit, das alles noch zu verbessern! Stellen Sie das nicht prinzipiell infrage, sondern arbeiten Sie mit daran, dass wir sowohl mit Kanada als auch mit den USA ein ordentliches Freihandelsabkommen hinbekommen! Danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Jetzt erteile ich noch einmal dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister, lieber Sigmar! Wir alle wissen: Es geht nicht um die Rückspiegel und auch nicht um die Blinklichter. Sie werden sehr oft als Grund angeführt, weshalb wir Freihandelsabkommen bräuchten. Wer schon einmal in einer Automobilfabrik war, der weiß, dass kein Auto auf dem Band aussieht wie das vorherige. Es gibt andere Sitze, andere Farben und auch andere Rückspiegel. Das ist also wirklich ein vorgeschobenes Argument. ({0}) Es geht um etwas vollkommen anderes - da liegt die Gefahr bei diesem Abkommen -: Erstens. Wer setzt die Standards? Sind das die Parlamente, die Regierungen? Oder gibt es regulatorische Räte, die künftig unter Ausschluss der Parlamente, unter Ausschluss von demokratisch gewählten Vertretern Standards setzen? ({1}) - Jetzt hören Sie doch einmal zu. Das würde Sie in diesem Falle bilden. ({2}) Wer also setzt die Standards? Die große Gefahr ist - Sigmar, du weißt es -, dass die Standards eben nicht von den demokratisch gewählten Vertretern, sondern von den regulatorischen Räten gesetzt werden. Zweitens. Bei den Schiedsgerichten war die Position: Eigentlich wollen wir sie nicht. Aber jetzt ist die Frage: Kommen sie, oder kommen sie nicht? Die Frage, ob es eine Handelsgerichtsbarkeit gibt, ist schön und nett; das brauche ich nicht zu wiederholen. Aber wir wissen doch genau, dass es bei CETA und TTIP keine Rolle mehr spielt. Wenn das so ist, dann bleibe ich dabei: Wenn wir in dem CETA-Abkommen die Einführung von Schiedsgerichten nicht verhindern, mit welchem Argument wollen wir den Amerikanern sagen: „Nein, bei dem Abkommen mit den Kanadiern haben wir diese Regelung zwar aufgenommen, aber bei euch machen wir das nicht“? Das hat auch ein amerikanischer Geschäftsmann in einer Veranstaltung zu diesem Thema - ich war dabei - selbst gesagt: Wenn diese Regelung mit den Kanadiern möglich ist, dann wollen auch wir sie. Das bedeutet im Klartext: Wenn wir im CETA-Abkommen die Einführung von Schiedsgerichten nicht ablehnen - die Einrichtung eines Handelsgerichtshofes wäre eine Alternative gewesen -, dann werden diese Schiedsgerichte auch in TTIP übernommen. Das wollen wir nicht. Das ist der entscheidende Punkt. ({3}) - Aber ihr bekommt das vielleicht nicht. Der nächste Punkt, auf den ich eingehen will, ist die Angst vor Vereinbarungen, die die Kanadier und die Amerikaner mit den Asiaten treffen. Von Ihnen ist das Argument gekommen, wir dürften diese Debatte nicht angstbesetzt führen. Diese Debatte wird aber angstbesetzt geführt. Schließlich sagen Sie: Die anderen machen ein Abkommen ohne uns. - Ich sage Ihnen: Ja und? Glaubt ihr wirklich, dass die Amerikaner keinen Daimler, keinen Porsche oder kein anderes deutsches Auto mehr wollen, bloß weil sie mit den Chinesen ein Abkommen geschlossen haben? Das glaubt doch kein Mensch. ({4}) Wir werden unsere Produkte und unsere Maschinen, die auf unserer wirklich ausgezeichneten Infrastruktur basieren, trotzdem vermarkten können, auch wenn die Chinesen mit den Amerikanern ein Abkommen schließen. Warum auch nicht? Es wird für uns sogar leichter. Wenn in diesen Ländern die Regulierungen einfacher sind, dann heißt das für unsere Lieferungen in diese Länder, dass wir die hohen Standards, die wir in der Bundesrepublik und in Europa wollen, nicht aufzugeben brauchen. Wenn diese Länder aber ihre Waren zu uns liefern wollen, dann sagen wir: Wir haben bestimmte Standards. Wir wollen zum Beispiel, dass bei der Verbindung vom Traktor zum Hänger die Welle verkleidet ist, sodass man sich daran nicht verletzen kann. Wir wollen zum Beispiel - das habe ich vorhin angeführt -, dass unsere Schutzkleidung bestimmten Standards unterliegt. In Amerika sind die Standards für Schutzkleidung anders, vielleicht nicht schlechter, aber anders. Deshalb sind sie nicht eins zu eins übertragbar. Ich sage Ihnen: Wenn wir diese Debatte angstbesetzt führen wollen, dann müssen wir sagen: Die anderen machen ein Abkommen, und wir sind nicht dabei. - Wenn wir sie aber im Interesse der Bürger führen wollen, dann müssen wir sagen: Wir wollen unsere Standards nicht aufgeben, weil sie zum Nutzen der Bürger sind. - Deshalb müssen wir bei dem, was da passiert, aufpassen. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Barthel, SPD. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ernst, die Verteidigung unserer Standards ist aller Ehren wert. Aber in der Globalisierung müssen wir eben dafür sorgen, dass diese Standards weltweit anerkannt und durchgesetzt werden. Unter anderem deswegen führen wir Verhandlungen über Handelsbeziehungen. Der Anlass, warum wir heute hierüber reden, ist der Antrag der Linken. Er strotzt genauso wie die Reden, die wir hier gehört haben, vor Widersprüchen. ({0}) Erster Widerspruch: Auf der ersten Seite Ihres Antrags steht: Folglich sind der … CETA-Vertragstext und die mehr als 1.000 Seiten langen Anhänge für eine detaillierte parlamentarische Prüfung bis heute kaum nutzbar. Auf der nächsten Seite schreiben Sie dann detailliert Ihre Auslegung zu dem, was angeblich in dem Vertrag steht, und kritisieren das. ({1}) Sie belegen das sogar mit Fundstellen. Das passt nicht zusammen. Zweiter Widerspruch: Die Überschrift Ihres Antrags lautet: „CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen“. Damit bedienen Sie die allgemeine Ablehnungsfront. Aber dann gibt es in Ihrem Antrag einen wichtigen qualitativen Fortschritt, den Sie gemacht haben; denn Sie lehnen CETA nicht mehr rundweg ab, sondern Sie geben uns vier Forderungen mit auf den Weg, die weitgehend unstrittig sind. ({2}) Denn keiner würde sich hierhinstellen und sagen: Wir sind gegen eine Übersetzung, wir wollen Schiedsgerichtsverfahren so einführen, wie sie vorgeschlagen wurden, oder wir sind nicht für ein gemischtes Abkommen. Das ist doch wunderbar; das kann man nur begrüßen. Herzlich willkommen im Klub! Aber an anderer Stelle - bei der Überschrift usw. verstricken Sie sich, wie gesagt, in Widersprüche. Ich finde deshalb, dass nicht die Sozialdemokratie und die Koalition Klärungsbedarf haben, sondern Sie von der Linken müssen einmal klären, was Sie eigentlich wollen. ({3}) Das bezieht sich auch auf die Frage, wie es denn weitergehen soll. Sie schreiben auf Seite 2 Ihres Antrags: Die laufende Rechtsförmlichkeitsprüfung des CETA-Vertragstextes wäre aktiv zu nutzen, um die umfangreichen Probleme durch detaillierte Nachbesserungen am Text einzubringen und mit anderen EU-Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Genau das versucht Sigmar Gabriel die ganze Zeit, und dafür kämpft die Sozialdemokratie die ganze Zeit. ({4}) Aber wenn Sie auf der anderen Seite schon vorher sagen, dass Sie das alles ablehnen, aus welchem Grund sollte sich die EU-Kommission dann auch nur einen Zentimeter bewegen? ({5}) Natürlich verteidigt sie jetzt erst mal das Abkommen, so wie sie es ausgehandelt hat. Und nur dann, wenn wir zusagen, in die Debatte einzusteigen, haben wir doch überhaupt eine Chance, dass sich die Kommission an irgendeiner Stelle bewegt. Denn wenn wir vorher schon sagen, dass wir sowieso dagegen sind, dann braucht sie sich auch nicht mehr zu bewegen. Und dann knallt es halt. ({6}) Deswegen bitte ich Sie, sich insgesamt davon zu befreien, die Debatte auf die Schiedsgerichtsbarkeitsfrage zu verengen. Da ist noch viel mehr Stoff drin, auch aus Sicht der Zivilgesellschaft, der Kommunen, der Gewerkschaften - Stichworte „Daseinsvorsorge“, „einklagbare Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“. In Klammern: Wie soll das eigentlich ohne eine international anerkannte Schiedsgerichtsbarkeit gehen? Themen gibt es also genug. Aber den Eindruck zu erwecken, als sei alles erledigt und gut, wenn es keine Schiedsgerichtsbarkeit, keine ISDS gibt, ({7}) das kann es doch nicht sein. Wir brauchen eine Gestaltungs- und keine Angstdebatte. Aber leider verfallen Sie immer wieder in eine solche. Herr Ernst, Ihre Reden passen leider auch nicht zu dem, was Sie aufschreiben. Und das, was Sie aufschreiben, passt in sich nicht zusammen. Deswegen müssen Sie sich bewegen und nicht in erster Linie wir uns. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Ingbert Liebing, CDU/CSU. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, vorgelegt haben, enthält aus meiner Sicht selbst die Begründung dafür, weshalb er unpassend ist. Sie schreiben in Ihrem Antrag: Eine deutsche Übersetzung des vollständigen Textes ist erst nach Abschluss der Rechtsförmlichkeitsprüfung für das daran anschließende Ratifizierungsverfahren vorgesehen und wird so erst Ende 2015 vorliegen. Folglich sind der 521-seitige CETA-Vertragstext und die mehr als 1.000 Seiten langen Anhänge für eine detailliert parlamentarische Prüfung bis heute kaum nutzbar. ({0}) Aber Sie legen schon heute einen Antrag vor, in dem Sie fordern, das Ganze abzulehnen, obwohl die Unterlagen noch nicht einmal übersetzt sind und noch nicht für eine parlamentarische Beratung zur Verfügung stehen. ({1}) Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen. Entweder sind Sie grundsätzlich dagegen; dann können Sie sich jede parlamentarische Beratung sparen und brauchen nicht mehr zu verhandeln oder über irgendetwas zu reden. Dann bleibt es dabei: Sie sind dagegen - das nehmen wir zur Kenntnis -, und wir diskutieren sachlich. Oder Sie sagen, Sie wollen parlamentarische Beratungen und Diskussionen, aber dann dürfen Sie nicht gleich zu Beginn einen solchen Antrag vorlegen, in dem Sie schon heute Ihre Ablehnung dokumentieren. Das passt alles nicht zusammen. ({2}) Die deutsche Übersetzung wird bis Ende dieses Jahres vorliegen. Danach findet die Ratsbefassung statt, und auch das Europäische Parlament wird sich damit befassen. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Zusammenhang - und zwar unabhängig davon, ob es förmlich ein gemischtes Abkommen mit Zustimmungspflicht ist oder nicht - ausreichend Zeit haben werden, uns hier im Parlament mit den Vertragstexten, wenn sie denn vorliegen, zu befassen. Wir wollen uns diese Zeit für ernsthafte Debatten, für Prüfungen der Ergebnisse der Verhandlungen und für die Diskussion in und mit der Öffentlichkeit nehmen. Das muss sein. Diese Zeit nehmen wir uns ordnungsgemäß. Aber wir führen diese Diskussion erst einmal mit dem grundsätzlich positiven Bekenntnis, dass wir einen freien und fairen Handel wollen. Gerade wir Deutsche profitieren als Exportnation davon ganz besonders; dies ist von den Rednern der Koalition und von Bundeswirtschaftsminister Gabriel heute ja auch eindrucksvoll dokumentiert worden. Deswegen verdammen wir eben nicht gleich alles, sondern sehen auch die Chancen. Wir wissen, dass freier Handel auch faire Bedingungen braucht. Auch dafür soll dieses Abkommen sorgen. Aber nun gibt es sicherlich auch viele Besorgnisse nach dem Motto „Was verändert sich durch derartige Abkommen?“. Wir nehmen diese Besorgnisse ernst. Ich möchte zum Abschluss der Debatte einen bestimmten Teil der kritischen Diskussionen betrachten, nämlich die Diskussionen, die in den Kommunen stattfinden. Wir stellen quer durch die Republik fest, dass sich Kreistage und Stadtvertretungen mit diesem Handelsabkommen befassen. Manchmal wundert man sich zwar, wer dabei alles sehr schnell zum Experten für Welthandel wird, aber wir stellen fest, dass es Besorgnisse gibt, gerade hinsichtlich der Frage: Welche Auswirkungen hat dies für die kommunale Betätigung vor Ort? Diese Frage ist durchaus berechtigt. Warum? Andere Länder kennen diese Form von kommunaler Selbstverwaltung - ein Erfolgsmodell in Deutschland - leider nicht. Sie kennen nicht die positiven Erfahrungen von Kommunen, die Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge für die Gesellschaft erbringen. Eine Vielzahl von Resolutionen erreichen uns, in denen gefragt wird: Gerät die kommunale Selbstverwaltung in Gefahr? Können wir noch vor Ort entscheiden? - Das sind die Fragen, die uns gestellt werden. Darauf müssen wir Antworten geben. Auch die kommunalen Spitzenverbände und der Verband Kommunaler Unternehmen haben dies thematisiert und uns ihre Position mitgeteilt. Sie stellen folgende Fragen: Bleibt die kommunale Organisationshoheit erhalten, oder wird sie durch diese Handelsabkommen beeinflusst? Gibt es Auswirkungen auf Ausschreibungs- und Beschaffungswesen? Bleibt unser hohes Niveau bei den Umwelt- und Gesundheitsstandards erhalten? Diese Fragen sind berechtigt. Nicht berechtigt ist aber einseitige Panikmache, mit der schon vorher pauschal festgestellt wird, dass all dies jetzt in Gefahr gerät, abgeschafft wird, als ob CETA quasi die Demokratie aushebeln würde. Diese Panikmache ist, wie gesagt, unberechtigt. ({3}) Die Sorgen der Kommunen, die in den vielen Resolutionen zum Ausdruck kommen, nehmen wir ernst. Dies wird sicherlich auch Thema in den parlamentarischen Beratungen werden. Die Ziele der kommunalen Verbände teile ich ausdrücklich. Die Rechte unserer verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung dürfen nicht beeinträchtigt werden. Sie werden es auch nicht. Nach all dem, was uns auf dem Tisch liegt und was wir von der Bundesregierung, vom Wirtschaftsministerium an Informationen bekommen haben, kann man sagen - auch der Bundeswirtschaftsminister weist immer wieder darauf hin -, dass diese Besorgnisse ungerechtfertigt sind. Wir müssen uns damit beschäftigen, aber wir können erklären, dass diese Kernbereiche kommunaler Selbstverwaltung nicht berührt werden. CETA verpflichtet nicht zu neuen Privatisierungen oder zu Liberalisierungen. All das, was in diese Richtung behauptet wird, sind Märchen. Aber für alle Bereiche, die nach unserem Recht schon liberalisiert sind, bekommen nach diesem Abkommen die Unternehmen aus Kanada, die sich hier beteiligen wollen, die gleichen Rechte wie die Unternehmen aus Deutschland oder aus anderen europäischen Ländern, zum Beispiel britische, französische oder dänische Unternehmen. Wer wollte bestreiten, dass das sinnvoll ist? CETA enthält auch keine Einschränkung der Kommunen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Betätigung über das geltende Recht hinaus. Dies gilt genauso für die Inhouse-Vergabe. Was heute nach deutschem und europäischem Recht möglich ist, wird durch dieses Abkommen nicht berührt. Insofern sind auch hier die Besorgnisse ohne Grund. CETA schließt auch Rekommunalisierungen nicht aus. Ein gängiges Argument, wonach die Kommunen nicht mehr frei darüber entscheiden könnten, ist falsch. Dort, wo sie nach deutschem Recht frei entscheiden können, werden sie das auch künftig tun können. Das ist uns und auch mir persönlich sehr wichtig.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Liebing, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich finde, wir haben diese Debatte lange genug geführt. Jetzt sollten wir am Freitagmittag auch einmal zum Ende kommen. ({0}) Ich nenne auch das Stichwort Sparkassenwesen. Das Sparkassenwesen gibt es in anderen Ländern in dieser Form nicht. Natürlich kommt dann die Frage: Hat das Auswirkungen auf diese spezielle Form des kommunalen Bankenwesens, auf die Sparkassen? Auch hier sind die Besorgnisse ernst zu nehmen. Aber wir können versichern: CETA wird keine negativen Auswirkungen auf das Sparkassenwesen haben. CETA verändert auch nicht das öffentliche Ausschreibungswesen. Die Kommunen legen ihre Ausschreibungsbedingungen weiterhin selber fest. Es gibt teilweise schon sehr abstruse Behauptungen in den Diskussionen. Ich habe das selber in Schleswig-Holstein in einer Kreistagsdebatte einmal erlebt, in der behauptet wurde, ein kanadisches Unternehmen könne jetzt, wenn es bei einer Ausschreibung verloren habe, seinen entgangenen Gewinn bei einem Schiedsgericht einklagen. ({1}) - So ein Quatsch. Ganz genau. - Nichts anderes als Quatsch ist das. Denn nur bei einem Verstoß gegen geltendes Recht ist es möglich, Schadensersatz einzuklagen. Und wer wollte bestreiten, dass das nicht sinnvoll wäre! Nach nationalem Recht ist es eine Selbstverständlichkeit, dass dann, wenn gegen Recht und Gesetz verstoßen wird, Schadensersatz fällig ist. ({2}) Es läuft aber nicht nach dem Motto „Ich bewerbe mich bei einer Ausschreibung und setze darauf, dass ich nicht den Zuschlag bekomme, und dann klage ich den entgangenen Gewinn ein!“ ab. Das zu behaupten, ist wirklich Quatsch. Die Wirklichkeit ist eine andere. So können wir als Fazit feststellen, dass der Antrag der Linken in der Sache falsch ist. Er kommt auch zur Unzeit, weil wir uns ja später - dann, wenn alle Unterlagen vorliegen - ausführlich hier im Parlament mit diesem Abkommen beschäftigen werden. ({3}) Die sorgfältige Beratung ist sichergestellt. Dafür werden wir auch sorgen. Herzlichen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4090. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD hingegen wünschen Überweisung - federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitberatend an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung dieses Antrags? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Überweisung beschlossen, und zwar mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Das heißt, wir stimmen heute nicht in der Sache über den Antrag auf Drucksache 18/4090 ab. Zusatzpunkt 6. Wir kommen jetzt zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/3862. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3729 mit dem Titel „Interessengeleitetes Gutachten zu Investorenschutz zurückweisen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3747 mit dem Titel „Konsultationsergebnisse beherzigen - Klageprivilegien zurückweisen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kleinanlegerschutzgesetzes Drucksache 18/3994 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Michael Meister für die Bundesregierung das Wort. ({1})

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wozu benötigen wir ein Kleinanlegerschutzgesetz? Das ergibt sich meines Erachtens durch zwei wesentliche Faktoren. Dazu gehören erstens die Vorfälle am Grauen Kapitalmarkt, die in der Vergangenheit zu einem massiven Schaden der Kleinanleger geführt und gezeigt haben, mit welchen Risiken solche Anlagen gerade für Kleinanleger verbunden sind. Große Medienaufmerksamkeit hat zum Beispiel der Fall Prokon gefunden, ein Windkraftunternehmen, das im Mai vergangenen Jahres in Insolvenz gegangen ist, wodurch immerhin 75 000 Genussrechteinhaber mit Verlusten rechnen müssen. Sie hatten Genussrechte in einem Gesamtvolumen von 1,4 Milliarden Euro gezeichnet. Die Problematik, die an diesem Beispiel deutlich wird, wird durch ein zweites Phänomen verschärft, nämlich durch ein massives Niedrigzinsumfeld, das vielen Anlegern, die ihr Geld in sichere Spareinlagen anlegen, zu geringe Renditen bietet, sodass sich diese Anleger ohne ausreichende Informationen und ohne ein entsprechendes Risikobewusstsein für Anlagen mit höheren Renditen entscheiden und dabei übersehen, dass diese auch mit einem höheren Risiko verbunden sind. Das Bedauerliche daran ist, dass es eine ganze Reihe von Anlageberatern gibt, die nicht auf das zusätzliche Risiko hinweisen, sondern gezielt versuchen, das Risiko gegenüber ihren potenziellen Anlegern auszublenden. Vor dem Hintergrund dieser beiden Entwicklungen sind wir der Meinung, dass in diesem Kontext höhere Anforderungen an die Transparenz notwendig sind, und zwar speziell für Angebote aus dem sogenannten Grauen Kapitalmarkt. Das war für die Bundesregierung Anlass, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Herr Kollege Maas, ich darf mich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Bundesminister der Finanzen bedanken. Wir sind gemeinsam bei diesem Vorhaben federführend. Unser Ziel ist es, deutlich zu machen, wer aus der Sicht des Anlegers ein seriöser Anbieter ist. Da wir nicht davon ausgehen, dass wir die menschliche Natur ändern können, wird es sicherlich auch weiterhin seriöse und weniger seriöse Anbieter geben. Entscheidend ist, den potenziellen Anlegern klarzumachen, mit wem sie es zu tun haben und auf welches Geschäft sie sich einlassen würden. Wir versuchen mit dem Gesetzentwurf, eine Balance zwischen der notwendigen Regulierung, um das Ziel der Information des Verbrauchers bzw. des Anlegers zu erreichen, und der Eigenverantwortung des Anlegers zu schaffen. Wir wollen nicht, dass der Staat dem Verbraucher die Anlageentscheidung aus der Hand nimmt. Wenn er dank einer ausreichenden Transparenz die nötigen Informationen bekommen hat, soll er auf dieser Basis seine Entscheidung treffen. Wir haben fünf wesentliche Vorschläge formuliert: Erstens wollen wir die Aufsichtsbefugnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stärken, insbesondere dann, wenn es um Produktinnovationen geht, und wir wollen ihr bei Rechtsverstößen die Möglichkeit einräumen, solche Produkte entweder zu verbieten oder zumindest deren Vermarktung zu beschränken. Wir hoffen, dass wir damit zu mehr Qualität bei den Produkten kommen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Finanzdienstleistungsaufsicht keine Einzelfälle betrachtet. Vielmehr muss die Anlegerschaft insgesamt durch bestimmte Produkte gefährdet sein. Es geht also um den kollektiven Verbraucherschutz und nicht um den Verbraucherschutz im Einzelfall. Nach meiner Auffassung sind die Gerichte zuständig, wenn es darum geht, Einzelfälle aufzuarbeiten. Der zweite Punkt ist, dass wir eine Prospektpflicht für Vermögensanlagen einführen, speziell für Nachrangdarlehen und Beteiligungsdarlehen. Der Fachterminus lautet hier partiarische Darlehen und vergleichbare Anlagen. Dabei sind wir allerdings nicht weltfremd. Wir wollen zwar im Hinblick auf unser Ziel, mehr Transparenz und Information zu schaffen, eine Prospektpflicht einführen. Aber wir sind der Meinung, dass wir etwa bei Genossenschaften, an die schon das Genossenschaftsrecht strenge Anforderungen stellt, eine Ausnahme von der Prospektpflicht erlauben können. Des Weiteren wollen wir eine solche Ausnahme erlauben, wenn es um soziale und gemeinnützige Zwecke geht. Es muss aber sichergestellt werden, dass es ausschließlich um soziale und gemeinnützige Zwecke geht, hinter denen sich keine Renditeerwartungen verbergen dürfen. ({0}) Deshalb soll der Zinssatz gedeckelt sein, um klarzumachen, dass Soziales und Gemeinnütziges und nicht die Renditeerwartungen der Anleger im Vordergrund stehen. Des Weiteren denken wir angesichts der Entwicklungen im Internet über Ausnahmen nach, wenn es um eine sogenannte Schwarmfinanzierung, das Crowdinvesting, geht. Auch hier werden rechtliche Anforderungen benötigt. Aber wir müssen die Marktentwicklung genau beobachten. Wir wollen nach einer gewissen Zeit schauen, ob sich die Parameter, die wir dort setzen, um Ausnahmen von der Prospektpflicht zu genehmigen, bewähren. Diese Parameter dürfen Neuentwicklungen auf dem Markt nicht unterbinden und müssen gleichzeitig den Anlegerschutz in hinreichendem Maße sicherstellen. Ich hoffe, dass es hier gelingt, zu vernünftigen Rechtssetzungen zu kommen. Der dritte Punkt ist, dass wir in Zukunft Mindestlaufzeiten der Anlagen von 24 Monaten und Kündigungsfristen von 12 Monaten einfordern werden. Wir wollen damit einen doppelten Schutz erreichen. Zum einen wollen wir die Anleger so schützen, dass sie bei der Anlageentscheidung wissen, ob sie sich zu jedem Zeitpunkt - genauso wie bei einem Sparbuch - ihr Geld auszahlen lassen können oder ob es sich um eine mittel- bzw. längerfristig orientierte Anlage handelt. Zum anderen wollen wir verhindern, dass ein Anleger, der erkennt, dass es eine Gefährdung gibt, um seine Anlage fürchten muss, weil plötzlich andere Anleger ihr Geld abziehen. Wir hoffen, dass durch die oben genannten Zeiten eine doppelte Schutzwirkung für die Anleger entsteht. Der vierte Punkt ist, dass dem Anleger transparent gemacht werden muss, ob es eine Verbindung zwischen denjenigen, die Produkte vertreiben, und denjenigen, die Produkte auflegen, gibt. Solche Vernetzungen und Verquickungen müssen offengelegt werden. Das ist ein weiterer Ansatz. Der fünfte Punkt betrifft die Begrenzung von Werbung für Vermögensanlagen im öffentlichen Raum, in audiovisuellen Medien und im Rundfunk. Wir sind uns bewusst, dass wir uns hier sehr scharf an der Grenze zur Presse- und Rundfunkfreiheit bewegen. Dennoch sind wir der Meinung, dass zu differenzieren ist, ob für Vermögensanlagen vor einem aufgeklärten Publikum geworben wird - dann lässt sich in diesem Kontext durchaus vertreten, dass in einem gewissen Umfang geworben wird - oder ob die Werbung völlig kontextfrei erfolgt. Dann haben wir erhebliche Zweifel. Weil wir hier Neuland betreten, Herr Maas, haben wir vereinbart, diesen Bereich nach einer gewissen Zeit zu evaluieren. Ich hoffe, dass wir für diesen Gesetzentwurf Unterstützung bekommen und ein neues Niveau des Verbraucherschutzes in Deutschland im Bereich des Grauen Kapitalmarkts erreichen. Vielen Dank. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Susanna Karawanskij. ({0})

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade gehört: Viele Menschen haben für die private Altersvorsorge in sogenannte Genussrechte oder Nachrangdarlehen investiert. Prokon ist ein trauriges Beispiel, das seinen Niederschlag in der Presse gefunden hat. In diesem Fall mussten Bürgerinnen und Bürger große Verluste erleiden. Spätestens seit dieser Pleite ist der Begriff des Grauen Kapitalmarkts in aller Munde. Hochriskante, intransparente Finanzprodukte in diesem weitestgehend immer noch unregulierten Markt bescherten große Verluste. Das Beispiel zeigt, dass der Graue Kapitalmarkt nun endlich wirksam reguliert werden muss und vor allen Dingen Kleinanlegerinnen und Kleinanleger an der Stelle geschützt werden müssen. Machen wir uns nichts vor: Bislang ist der finanzielle Verbraucherschutz in Deutschland immer noch in den Kinderschuhen. ({0}) Wir Linke haben im März 2014 konkrete Vorschläge in einem eigenen Antrag unterbreitet. Zwei Monate später gab es dann ein unverbindliches Maßnahmenpaket. Nun, ein knappes Jahr später, wird der Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass der Schutz von Kleinanlegern dann doch nicht so pressiert hat. Aber wir begrüßen die Stoßrichtung, dass gerade Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht so viel Geld haben und kleine Summen anlegen möchten, geschützt werden. Wir finden es auch gut, dass die Finanzaufsicht, die BaFin, insbesondere wenn man die unseriösen Anbieter vor Augen hat, von nun an leichter auch Vertriebsverbote verhängen darf. Noch besser wäre es allerdings, wenn die BaFin entsprechende Verkaufsprojekte nicht nur nach formalen Kriterien prüfen würde, sondern auch inhaltlich prüfen würde, ob so ein Geschäftsmodell tragfähig ist. Wir würden es auch begrüßen, wenn die Aufsichtsrechte der BaFin dahin gehend erweitert würden, dass diese über das Recht bzw. die Pflicht zur kollektiven Rechtsdurchsetzung verfügt und damit Sammelklagen einreichen und Verjährungen hemmen könnte. Zukünftig werden besagte Nachrangdarlehen einer Regulierung unterworfen. Das haben wir bereits vor einem Jahr gefordert. Es ist schön, dass wir das in dem jetzigen Gesetzentwurf wiederfinden und Umgehungsmöglichkeiten bzw. Lücken geschlossen werden. Damit wurde ein wichtiger Schritt zur Regulierung des Grauen Kapitalmarkts getan. ({1}) Aber genau dieser Punkt wirft bei näherer Betrachtung einige Fragen auf, gerade bei den sozialen, gemeinnützigen Initiativen oder der Crowdinvesting-Szene; denn diese Projekte, die teilweise auf einer Schwarmfinanzierung basieren, sammeln oft Geld über Direktkredite oder Nachrangdarlehen ein. Initiativen wie Mietshäuser, Dorfläden oder Kitas sehen nunmehr die Gefahr, dass ihnen der Saft abgedreht wird, wenn sie beispielsweise einen Verkaufsprospekt für Vermögensanlagen, der nicht selten 50 000 Euro kostet, erstellen müssen und damit das eigentliche Budget, das man in das Projekt investieren möchte, aufgefressen wird. Hier ist sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt. Zum einen müssen wir den Grauen Kapitalmarkt regulieren, zum anderen möchten wir Linken natürlich solchen Projekten der solidarischen Ökonomie, wirklich sozialen, ökologisch nachhaltigen und gemeinnützigen Projekten nicht den Garaus machen. Die Ausnahmeregelungen, die bisher getroffen worden sind, sind ganz gut. Man muss allerdings auch schauen, dass keine Nischen übrig bleiben, die schlecht reguliert sind und die unseriöse Anbieter dann nutzen. ({2}) Ich möchte noch auf einen Widerspruch hinweisen, den wir in den bevorstehenden Diskussionen lösen müssen. Einige gemeinnützige Projekte, die sich über Nachrangdarlehen finanzieren und sich bewusst von Banken abgrenzen wollen und erklären, dass bei ihnen das Anlegergeld besser aufgehoben ist, werben oft trotzdem mit einer guten Verzinsung. Zugleich werden vor allem die gemeinnützigen, ideellen Non-Profit-Ziele in den Vordergrund gerückt. Hier muss meines Erachtens noch geklärt werden, was tatsächlich im Zentrum steht, der Gemeinnutz oder die Konkurrenz zu den Banken. Es ist nicht klar, warum solche Projekte überhaupt Renditen bieten sollten und warum sie sich nicht von den Angeboten des freien Marktes abgrenzen. Es stellt sich doch die Frage, warum eine Dorfbücherei, eine Kita oder ein Mietprojekt überhaupt Renditen erwirtschaften sollte. Man könnte das treffender beispielsweise mit dem Etikett versehen: Spende mit eventueller Rückzahlung. Das wäre zumindest ehrlicher; denn ideelle Gründe und Profitinteressen streben meines Erachtens auseinander und lassen sich nicht miteinander vereinbaren. ({3}) Man könnte im Hinblick auf gemeinnützige Projekte beispielsweise über einen „Prospekt light“ nachdenken, um deren Belastungen zu verringern, sodass man ihnen nicht den Garaus macht. Letztendlich brauchen wir - das habe ich schon betont, als wir unseren Antrag vorgestellt haben - ein Umdenken: Die Finanzprodukte sollten nicht erst dann reguliert werden, wenn sie auf dem Markt sind. Wir brauchen vielmehr eine Umkehr in der Verfahrensweise, eine präventive Regulierung: Finanzprodukte sollten erst auf den Markt kommen dürfen, wenn sie von so etwas wie einem Finanz-TÜV begutachtet worden sind. So wären letztendlich auch die Kleinanleger wirksam geschützt. Lassen Sie uns diese Fragen und diese Probleme auch bei den weiteren Diskussionen und der Anhörung offen diskutieren. Wir wollen die Kleinanleger und die, die soziale, gemeinnützige, ideelle Projekte fördern wollen, vor unseriösen Anbietern schützen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Karawanskij, erlauben Sie mir den Hinweis, dass Ihr letzter Satz angesichts der Redezeit ein guter Schlusssatz gewesen wäre.

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Und wir wollen solchen Projekten nicht den Garaus machen. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt hat das Wort für die Bundesregierung der Bundesminister Heiko Maas. ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer heute für das Alter vorsorgt oder das Ersparte ganz einfach nur anlegt, der setzt mitunter viel aufs Spiel; denn heute kann der Lebensstandard von morgen von einer einzigen Anlageentscheidung abhängen. Es ist mittlerweile so, dass eine Unzahl von Akteuren und immer neuen Produkten es für Anleger immer schwieriger machen, die Übersicht zu behalten. Viele sind mittlerweile sehr unsicher, welchen Weg sie einschlagen sollen, sei es im Hinblick auf eine Anlageform, sei es im Hinblick auf die Altersvorsorge. Deswegen wollen wir insbesondere den Kleinanlegern mit diesem Gesetz Orientierung geben: erstens mit mehr Transparenz, zweitens mit Schutz vor Irreführung und drittens mit einer verbesserten Aufsicht über all die Anbieter. Meine Damen und Herren, welche Folgen Fehlinvestitionen haben können, das hat uns der schon angesprochene Fall Prokon ganz besonders vor Augen geführt. In einer der größten Insolvenzen unserer Geschichte - man muss sich das einmal vorstellen - müssen 75 000 Käufer von Genussrechten um die Hälfte ihrer Anlagen fürchten, um Anlagen in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden Euro. Das konnten und wollten wir nicht weiter tatenlos hinnehmen. Deshalb ist es gut, dass wir heute im Bundestag über einen Gesetzentwurf beraten, mit dem wir ein neues Koordinatensystem für diesen Markt schaffen können. Das ist möglich geworden - da will ich den Dank gern an das Bundesfinanzministerium zurückgeben -, weil der Bereich Verbraucherschutz, die in unserem Ministerium Zuständigen und Herr Meister im Finanzministerium sehr gut und konzentriert zusammengearbeitet haben. Dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön! ({0}) Kleinanleger brauchen für ihre eigene Entscheidung - auch Herr Meister hat das gesagt - vor allen Dingen auf dem Grauen Kapitalmarkt mehr Informationen, als es sie bisher gibt. Im Moment haben wir einen völlig unzureichenden Zustand. Dort, wo das Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher besonders hoch war, gab es ganz besonders wenig Transparenz, und das darf nicht sein. Auch mit diesem Gesetz wollen wir diesem Missverhältnis ein Ende setzen. Der Fall Prokon hat uns auch gezeigt, wo wir ansetzen müssen. Der Graue Kapitalmarkt - diese Erfahrung hat man nicht nur im Fall Prokon gemacht - ist tatsächlich eher etwas für professionelle Anlageberatung. Wer auf dem Grauen Kapitalmarkt anlegen will, muss über eine Vielzahl von Kenntnissen verfügen. Es reicht nicht, nur den Wirtschaftsteil einer Zeitung zu lesen. Auf jeden Fall sind Produkte des Grauen Kapitalmarkts nichts für Plakatwerbung in Bussen oder Bahnen. Womöglich sollen dort mit Kaffee to go in der einen Hand und einem Smartphone in der anderen Hand Anlageentscheidungen getroffen werden. Die Werbung für ein lukratives Finanzprodukt, mit dem man die Energiewende voranbringen kann, wie es bei Prokon der Fall gewesen ist, hat viele dazu verleitet, Investitionen zu tätigen, die sie überhaupt nicht einschätzen konnten. Wir alle erinnern uns noch an das Atomzeichen, das nach und nach in ein Windrad überging. Das ist kommunikations- und marketingtechnisch alles sehr gut gewesen; bedauerlicherweise war es die Anlage substanziell nicht. Meine Damen und Herren, und auch, wie schon erwähnt, bei den Prospekten werden wir genauer hinschauen. Auch da haben wir im Fall Prokon viele Erfahrungen sammeln können. Er hat uns gezeigt, dass das Gesetz eine Lücke hat, die Tausende mittlerweile teuer zu stehen gekommen ist. Diese Prospekte müssen künftig sehr viel aussagekräftiger sein - Herr Meister hat darauf hingewiesen -, insbesondere weil wir die Anbieter verpflichten, auch zum Beispiel auf personelle Verflechtungen und mögliche Risiken besser hinzuweisen. So zwingen wir den Grauen Kapitalmarkt zu mehr Transparenz und damit auch zu mehr Verbraucherschutz. Meine Damen und Herren, mit dem Gesetz soll auch die Aufsicht über den Finanzmarkt noch einmal verbessert werden. Wir wollen schneller gegen schwarze Schafe, die auffällig geworden sind, vorgehen können. Deshalb stärken wir die Kompetenzen der BaFin. Sie wird sich in Zukunft verstärkt auch für die Interessen der Kleinanleger einsetzen können, Warnungen veröffentlichen oder, wenn es nötig ist, einzelne Finanzprodukte auch ganz vom Markt nehmen. Die neuen Regeln sind nur ein Baustein der Verbraucherschutzpolitik. Wir wollen, dass Kleinanleger sich selbst vor Fehltritten besser schützen können. Dafür brauchen sie mehr Transparenz und mehr Informationen, aber dafür werden sie in Zukunft auch von sogenannten Finanzmarktwächtern unterstützt. Damit geben wir ihnen für entsprechende Anlageentscheidungen einen Kompass an die Hand, den es bisher noch nicht gegeben hat. Unter der Leitung der Verbraucherzentrale Bundesverband agieren demnächst fünf sachlich, fachlich spezialisierte Verbraucherzentralen als Finanzmarktwächter. Sie beobachten, analysieren ständig die Märkte, und dort, wo sie Fehlentwicklungen erkennen, können sie die Behörden, aber auch den Gesetzgeber darauf hinweisen und so die Voraussetzung dafür schaffen, dass Abhilfe, wenn sie denn geleistet werden muss, auch in Angriff genommen werden kann. Verbraucherinnen und Verbraucher haben einen Anspruch auf gründliche Informationen, damit sie selbstbestimmt vernünftige Entscheidungen treffen können. Sie sollen sich ein vollständiges Bild von den Chancen und Risiken, von Nutzen und Kosten ihrer Anlagen machen können. Das nutzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern; das nutzt aber auch der Nachhaltigkeit des Marktes. Es schützt den Einzelnen vor finanziellen Verlusten, und es sichert auch die Fairness, ohne die auch ein Finanzmarkt nicht funktionieren kann, zumindest nicht nachhaltig, und für all das brauchen wir dieses Gesetz. Auch ich bitte dafür um Ihre Zustimmung. Schönen Dank. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir ein Gesetz vorliegen haben, das versucht, die Marktbedingungen fairer zu gestalten, insbesondere in den Bereichen, wo es bisher große Lücken gab. Wir unterstützen, dass jetzt die Finanzaufsichtsbehörde BaFin bestimmte Angebote untersagen kann. Das ist eine langjährige Forderung von uns; denn es ist notwendig, dass eine Aufsichtsbehörde dann, wenn etwas schiefläuft, eingreifen kann; dafür haben wir sie ja. Wir finden es auch richtig, dass man diesen Punkt angeht: Manchmal kann es aufgrund von Interessenverquickungen bei den Anbietern bestimmter Vermögensanlagen so sein, dass das Projekt zwar insgesamt sinnvoll aussieht, auch eigentlich gar nicht schlecht ist, man als Anleger aber trotzdem nichts bekommt, in die Röhre schaut, weil die Rendite an bestimmte Gruppen, die sich das untereinander aufteilen, abgezweigt wird. Es ist richtig, dass da etwas getan wird. Genau dasselbe gilt im Grundsatz auch im Bereich Werbung. Wir sehen das in anderen Ländern. Es ist richtig, dass Aufsichtsbehörden auch da agieren können und dass man in der Werbung nicht irgendein Bild verbreiten kann, das nachher mit der Sachlage und mit der Zielgruppe nichts zu tun hat. Trotzdem muss ich zwei Bereiche ansprechen, bei denen wir nicht zufrieden sind. Das eine ist die Frage: Warum schließen Sie diese Lücke eigentlich erst jetzt? Das kann ich Ihnen nicht ganz ersparen. Wir haben schon 2007 bei der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie MiFID gesagt: Der Graue Kapitalmarkt braucht eine Regelung. Wir haben uns 2009 auf Initiative der Grünen in einer Anhörung gemeinsam damit beschäftigt und die Lücken identifiziert. Es gab in der letzten Legislaturperiode zwei Gesetze - 2011 das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts und das AIFM-Umsetzungsgesetz -, bei denen wir diese Fragen schon auf dem Tisch hatten. Warum braucht es erst immer neue Skandale, bis wir endlich tätig werden? Ich finde, es ist notwendig, faire Marktbedingungen zu schaffen und nicht erst abzuwarten. ({0}) Die zweite Frage ist: Passt eigentlich das, was im Gesetz steht, für die Wirklichkeit insgesamt? Unsere Meinung ist: Wir brauchen einen sinnvollen Verbraucherschutz, der der wirtschaftlichen Realität in unserem Land entspricht. Das heißt, so wie wir bei den Versicherungen eine unterschiedliche Regelsetzung für den großen Allianz-Konzern auf der einen Seite und einen kleinen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit auf der anderen Seite haben, so können wir in Bereichen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel in einer Energiegenossenschaft zusammentun, nicht dasselbe Regelwerk haben wie für große Fondsgesellschaften. ({1}) An dieser Stelle ist es notwendig, zum einen im Gesetzentwurf, zum anderen darüber hinaus nachzulegen. Mit Blick auf den Gesetzentwurf - Sie haben schon erste Schritte in diese Richtung gemacht und die Kritik aufgegriffen, dass man bei der Prospektpflicht AusnahDr. Gerhard Schick men schaffen muss - müssen wir über einzelne Regelungen gemeinsam nachdenken. Das eine ist: Wie hoch setzen wir die Grenze bei der Ausnahme? Ich glaube, dass wir - das hat der Bundesrat unterstützt - mit 1 Million Euro zu kurz greifen. Die normalen Investitionskosten beispielsweise für eine Windanlage, eine Solaranlage oder ein größeres Wohnprojekt liegen bei über 1 Million Euro. Damit ist dem Gedanken, den wir alle haben, dass wir eine sinnvolle Ausnahme machen, noch nicht in der richtigen Weise Rechnung getragen. Das Zweite betrifft die Werbung. Uns allen ist schon aufgefallen, dass wir noch einmal gemeinsam darüber reden müssen, Werbung im heutigen Zeitalter auf die Presse zu konzentrieren und im Fernsehen und Internet anders zu behandeln. Es gibt aber Punkte, die nicht im Gesetzentwurf stehen. Darauf will ich noch einmal hinweisen, weil es für uns ganz wichtig ist. Wir bekommen die Rückmeldung von vielen guten Initiativen, dass es in der Verwaltungspraxis bei der Definition, was ein öffentliches Angebot ist, und auch der Umsetzung des Kapitalanlagegesetzbuches, das wir gemeinsam verabschiedet haben, noch etwas hakt. Ich fände es gut, wenn kleine Initiativen in der Verwaltungspraxis angemessen berücksichtigt würden. ({2}) Ich will noch eine Kritik aufgreifen, die an uns herangetragen wird und die wir ernst nehmen müssen. Die Kritik an der Prospektpflicht lautet: Der Prospekt ist zum einen teuer und deswegen für kleinere Initiativen nicht tragbar. Es ist richtig, dass wir Ausnahmen machen und schauen, wie wir die guten Informationen anders sicherstellen können. Zum anderen bringt der Prospekt so, wie er heute ist - diese Kritik ist ebenfalls zu berücksichtigen -, den Kunden gar nichts. Diese Kritik müssen wir ernst nehmen; denn es geht nicht um Schutz, der in vielen Papierbergen zum Ausdruck kommt, sondern um faire Marktbedingungen für alle Beteiligten. Ich glaube, dass es eine Möglichkeit gibt, in Richtung Standardisierung zu gehen. Andere Länder machen uns das vor. Wenn wir es schaffen, gemeinsam für faire Marktbedingungen in den verschiedenen Teilen des Marktes zu sorgen, die auch das bürgerschaftliche Engagement und alternative Formen des Wirtschaftens unterstützen, dann sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg. Für Bündnis 90/Die Grünen sage ich: Wir wollen nicht nur, dass diesen keine Hürden in den Weg gelegt werden, sondern wir wollen, dass der Ansatz einer solidarischen Ökonomie, einer Gemeinwohlökonomie in unserem Land wachsen und gedeihen kann. Es sind gute Initiativen. Deswegen hoffe ich, dass wir gute Lösungen finden und den Gesetzentwurf, der viele richtige Punkte hat und viele Punkte von uns aufgreift, an entscheidenden Stellen noch einmal nachbessern. Vielen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Wir debattieren heute das Kleinanlegerschutzgesetz. Es wurden schon die Firma Prokon und der sogenannte Skandal genannt. Ich möchte da die Äußerungen von Herrn Schick ein Stück weit ergänzen. Sie haben gesagt: Man wartet immer auf die Skandale, und dann wird man tätig. - Ich glaube, wir dürfen heute nicht den Eindruck erwecken, dass dank dieses Gesetzes zukünftig sogenannte Skandale und entsprechende Vorkommnisse nicht mehr vorkommen. Die grundsätzliche Frage beim Verbraucherschutz lautet: Was kann Politik leisten, wo ist der Verbraucher eigenverantwortlich für sein Handeln und wo nicht? Gerade beim Verbraucherschutz gibt es immer einen Zwiespalt, einen Interessenkonflikt: Wir wollen auf der einen Seite die verfügbaren Informationen für den Verbraucher nutzbar machen und dafür sorgen, dass er sie versteht. Da möchte ich schon festhalten, dass inzwischen selbst die Verbraucherschutzverbände im Bereich der Finanzdienstleistungen sagen: Die eine oder andere gut gemeinte politische Initiative hat eigentlich gar nicht dazu geführt, dass der Verbraucher die Informationen, die er bekommt, versteht und damit umgehen kann. - Das ist etwas, was Rechtsanwälte und Juristen möglicherweise durchaus durchdeklinieren können, was aber dem Verbraucher selber nicht nützt. Das ist, wenn das die Verbraucherschutzverbände schon selber sagen, eine Prüfung für den Verbraucherschutz. Auf der anderen Seite hören wir regelmäßig die Frage: Führt es zu Bürokratie, zu einem Aufwand, der die Finanzprodukte und -dienstleistungen in diesem Bereich unnötig verteuert? Genau in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Wir sollten hier weiß Gott nicht den Eindruck erwecken, dass zukünftig solche Skandale wie bei Prokon komplett ausgeschlossen sind. Ich bin nicht bereit, hier den Verbraucher aus seiner Eigenverantwortung zu entlassen. ({0}) Nichtsdestotrotz brauchen wir Transparenz bei den Renditen, bei den Chancen, bei den Risiken, bei Interessenkonflikten. Die BaFin - es wurde angesprochen kann hier zukünftig verstärkt tätig werden. - All das sind Punkte, die wir bei diesem Gesetzgebungsverfahren zu diskutieren haben. Folgende Punkte werden mir jetzt in der Diskussion wichtig sein: Auf der einen Seite müssen wir Gleiches gleich behandeln, auf der anderen Seite Ungleiches ungleich behandeln; wir müssen entsprechende Vorgaben machen. Mit „Gleiches gleich behandeln“ meine ich, dass die Politik nicht Wettbewerbsvorteile für bestimmte Produkte schaffen sollte, die dem Kunden angeboten werden. Es gibt allgemeine Anlageprodukte, es gibt Ak8466 tien, es gibt regulierte Produkte, und wir müssen schon darauf achten, dass die Politik keine Präferenz für die eine oder andere Richtung zeigt. Wir brauchen in diesem Bereich keine politische Marktsegmentierung, sondern es muss ein Level Playing Field geben. Auch bei der Finanzierung der Aufsicht müssen alle gleich behandelt werden, damit Wettbewerbsgleichheit besteht. Auf der anderen Seite - das hat mein Vorredner angesprochen - müssen wir in der Politik dort, wo unterschiedliche Strukturen bestehen, den Mut haben, sie unterschiedlich zu behandeln. Staatssekretär Meister hat bereits das Thema Genossenschaften angesprochen. Die Genossenschaften in Deutschland und Europa haben eine lange Tradition. Ein solches Vorkommnis wie bei Prokon sollte uns jetzt nicht dazu verleiten, automatisch zu glauben: Hinter jeder Energiegenossenschaft - Sie haben das Beispiel Energiegenossenschaften genannt verbirgt sich eigentlich eine Geldsammelstelle, die entsprechende Risiken birgt. - Da brauchen wir den Mut zu einer entsprechenden Differenzierung bei den Strukturen. Das Gleiche gilt für zukunftsgerichtete Investitionen, für das Crowdfunding. Crowdfunding ist etwas, was neu entsteht. Herr Schick - nicht erschrecken! -, ich bin durchaus der Meinung, dass wir da gemeinsame Punkte finden werden; das hat sich in Ihrer Rede angedeutet. Das eine Thema ist, beim Crowdfunding erst ab einem Limit von 1 Million Euro die Prospektpflicht herbeizuführen. Darüber sollte man nachdenken. Wenn wir Start-ups und Business Angels in Deutschland fördern wollen, die in Unternehmen des Mittelstands investieren, sollten wir auch darüber nachdenken, ob wir wirklich regelmäßig einen Medienbruch herbeiführen wollen, indem wir ein Werbeverbot im Netz herbeiführen. Letztendlich geht es auch darum: Muss derjenige, der sich im Internet betätigt, nachher vor Ort eine Unterschrift leisten oder nicht? Ich bin der Meinung: Wir wollen das Internet nutzen und das Crowdfunding in Deutschland etablieren und stärken. Darum brauchen wir auch eine Regelung, die die Nutzung dieses Mediums unterstützt. ({1}) Es wurde bereits angesprochen: Auch wenn das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, steht es uns gut an, die Bundesratsentscheidung zu berücksichtigen und zu werten. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir in Europa ein Level Playing Field haben. Wir brauchen kein Gold Plating, keine Verschärfungen in Deutschland. Darauf werden wir im Gesetzgebungsverfahren achten. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Dr. Carsten Sieling spricht jetzt für die SPD. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz machen wir einen guten weiteren Schritt, um den finanziellen Verbraucherschutz zu stärken und gleichzeitig die Auswirkungen der Finanzmarktkrise zu adressieren. Es geht nämlich um beides. So gesehen handelt es sich hier eigentlich um einen weiteren Baustein eines größeren Pakets. Es wurden einerseits Regulierungen für Spareinlagen, Wertpapiere und Fonds vorgenommen, andererseits wurde bereits vieles beim Verbraucherschutz getan. Von Minister Heiko Maas ist schon das Thema Finanzmarktwächter erwähnt worden. Es gibt aber auch weitere Aktivitäten im Bereich der Finanzberatung und der Honorarberatung sowie bei vielen anderen Dingen. Es handelt sich also um ein ganzes Paket, zu dem dies ein weiterer ganz zentraler und wichtiger Baustein ist, der im Übrigen in diesem Zusammenhang die kleinen Anleger - man kann auch sagen: die Sparerinnen und Sparer - ansprechen und ihnen Sicherheit und Perspektive geben soll. Ich will besonders hervorheben, dass wir insofern einen großen Schritt vorangekommen sind, als die BaFin jetzt auch die Aufgaben des Verbraucherschutzes wahrnimmt. Die Kollegen Radwan und Schick haben davon gesprochen, Prokon habe dazu geführt, dass jetzt dieses Gesetz kommt. Prokon hat, glaube ich, die Öffentlichkeit noch einmal wachgerüttelt; das stimmt. Dieses Gesetz bzw. das gesamte Vorhaben ist aber ein Bestandteil des Koalitionsvertrages. Nicht der Skandal war Auslöser, sondern eine Wahl, die gut und nützlich war, führte dazu, dass wir jetzt eine Regierung haben, die den finanziellen Verbraucherschutz ernst nimmt und stark macht. Da arbeiten das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie das Finanzministerium zusammen, meine Damen und Herren. ({0}) Es war immer ein SPD-Anliegen, das zu machen. Ich will übrigens ganz offen sagen: Beim Thema „Aufsicht durch die BaFin“ könnten wir uns durchaus mehr vorstellen. Ich will darauf hinweisen, dass es ursprünglich das Vorhaben gab, die Aufsicht geschlossen und gemeinsam durchzuführen. Wir haben nach wie vor eine gespaltene Aufsicht dahin gehend, dass freie Finanzvermittler über die Handelskammern und andere Institutionen beaufsichtigt werden. Das ist nicht zufriedenstellend. Finanzminister Schäuble hatte in der letzten Legislaturperiode auch etwas Einheitliches vorgeschlagen. Es gab einmal - einige mögen sich noch erinnern - einen Wirtschaftsminister Brüderle, der das sozusagen umgedreht hat. Auch das könnte man noch anfassen. Darauf will ich hier nur hinweisen. Das wäre jedenfalls auch ein wichtiger und richtiger Schritt. ({1}) Wir haben - das ist hier, glaube ich, deutlich geworden - eine große Übereinstimmung, dass wir in den bevorstehenden parlamentarischen Beratungen - wir befinden uns jetzt in der ersten Lesung - eine Reihe von Dingen anfassen müssen, sodass Bürgeraktivitäten, aber auch unternehmerische Initiativen durch den Verbraucherschutz nicht geschwächt werden. Das ist nicht das Ziel des Verbraucherschutzes. Ich glaube, dass dieser Verbraucherschutz - so wie er angelegt ist - gut ist. Wir werden ihn auch nicht abschwächen; wir werden darauf schauen, ihn zu erweitern. Im Koalitionsvertrag steht übrigens auch, dass wir ihn erweitern wollen. Wir wollen genossenschaftliche Aktivitäten verstärken und dafür sorgen, dass Wohninitiativen, die sich zusammentun, die entsprechenden Möglichkeiten haben. Wir wollen dafür sorgen, dass sich Energiegenossenschaften, Dorfläden und andere entwickeln können. Richtigerweise ist hier auch das Thema der sogenannten Schwarmfinanzierung benannt worden. Ich finde es vernünftig, dass wir uns in der parlamentarischen Beratung - auch aufgrund der Anregung des Bundesrates - noch weitere Gedanken machen werden, wie wir Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Verbraucherschutz in das richtige Gleichgewicht bringen. Ich bin ganz optimistisch, dass wir - mit einem starken Verbraucherschutz; das will ich sehr unterstreichen - zu einem guten Ergebnis kommen. Vielleicht wird es dazu hier im Parlament auch eine einheitliche Orientierung geben. Ich glaube, das wäre eine gute Botschaft für alle Menschen in diesem Lande und auch dafür, dass jetzt gegen entglittene Finanzmärkte und natürlich auch gegen solche Unternehmen wie Prokon durchgegriffen wird. So etwas soll es zukünftig - auch wenn man nie etwas hundertprozentig ausschließen kann - möglichst nicht mehr geben. Wir schaffen hier aber einen ordentlichen Rahmen. Das ist doch ein gutes Wort zum Freitag. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben seit 2008 - das habe ich gerade noch einmal nachgelesen - 40 Maßnahmen und Gesetze zur Regulierung und zur Stabilisierung der Finanzmärkte beschlossen, insbesondere zum Schutz der Menschen, die am Ende die Zeche bezahlen. Insofern bin ich, sind wir sehr dankbar, dass uns - Herr Maas hat das eben vorgetragen, der Parlamentarische Staatssekretär Meister hat das im Detail ergänzt - endlich der Entwurf eines Gesetzes vorliegt, durch das die Kleinanleger, die am Grauen Kapitalmarkt investieren, geschützt werden. Was heißt Kleinanlegerschutz? Es geht um Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld machen sollen, oder überlegen, wie sie eine vernünftige Verzinsung erzielen und sagen: Jetzt versuchen wir mal mit irgendwelchen innovativen Produkten vielleicht etwas für die Alterssicherung, vielleicht etwas für die Verzinsung zu erreichen. - Und insofern sind wir dankbar, dass auch der Graue Kapitalmarkt nunmehr reguliert ist. Herr Schick hat darauf hingewiesen: Wir müssen in der parlamentarischen Beratung einige Balanceakte vollführen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Genossenschaften weiterhin ermöglichen bzw. innovative Produkte, alternative Projekte, wie Wohnprojekte, die sich entwickelt haben, nicht zerstören. Diese Entwicklung ist übrigens eine Reaktion auf die Finanzkrise. Das ist eine Gelegenheit, sich bei den 80 Millionen Menschen in Deutschland Geld zu beschaffen. Gleichzeitig müssen wir Menschen in die Lage versetzen, darüber zu entscheiden, wo sie ihr Geld investieren. Es gilt der alte Satz: Kaufe kein Produkt, das du nicht verstehst! Die Menschen, die die Debatte hier von der Tribüne oder von zu Hause aus verfolgen, sollen die Botschaft mitnehmen: Wenn man Geld anlegt, dann muss man wissen, was man tut. Wenn 10 oder 15 Prozent Rendite versprochen werden, dann ist relativ sicher, dass das Produkt ein entsprechendes Risiko birgt. Insofern müssen wir einerseits gemeinsam darauf achten, dass wir Aufklärung und Produktinformation ermöglichen - das ist ein ganz wesentlicher Block -, andererseits müssen wir es den Menschen selbst überlassen, Entscheidungen zu treffen. Auch spekulative Anlagen - das will ich ausdrücklich sagen - müssen möglich sein. Wenn jemand der Meinung ist, er möchte 500 Euro spekulativ in ein Start-upUnternehmen investieren - und die Investition in dieses kleine Unternehmen ist mit einem hohen Risiko verbunden -, dann soll er das tun. Wir müssen nur darauf achten, dass der Kleinanleger weiß, was er tut, und dass insbesondere derjenige, der die Entscheidung trifft, nicht in existenzielle Schwierigkeiten gerät; denn dafür müsste dann wieder die Solidargemeinschaft zahlen. ({0}) Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Schick, dass Sie in einem sehr sachlichen und zielführenden Beitrag das Thema Millionengrenze angesprochen haben. Auf europäischer Ebene - in England, Frankreich und anderen Ländern - scheint sich in dem angesprochenen Segment eine Fünf-Millionen-Grenze als Maßstab zu etablieren. Wir müssen prüfen, ob wir den Standort Deutschland möglicherweise schädigen bzw. bestimmte Innovationen schwieriger machen, wenn wir die Grenze zu tief ansetzen. Wenn wir die Grenze aber erhöhen, dann müssen wir darauf achten, dass derjenige, der investiert, nicht zu viel investiert. Auch das ist - so vermute ich - weitestgehend Konsens. Es gibt viele - ich gehöre auch dazu -, die uns raten, sehr genau zu überlegen, ob das scharfe Schwert eines Werbeverbots wirklich das angemessene Mittel ist. Man muss wissen: Für die meisten innovativen Finanzprodukte ist ein Werbe- oder Akquiseverbot, also ein Vertriebsverbot, am Ende eigentlich ein Produktverbot. Wenn ein Crowdinvestor nicht die Chance hat, im Internet bei potenziellen Investoren dafür zu werben, dass sie sich mit 100, 200 oder 300 Euro beteiligen, dann ist das schlecht, weil er die Menschen auf anderem Wege nicht erreichen kann. Wir müssen gut überlegen, ob das, was die Verleger im Bereich der Printmedien erreicht haben, wirklich hinreichend ist. Ich halte es für eine gewisse Ungleichbehandlung, wenn wir bestimmte Werbung im Printbereich zulassen, aber in anderen Medien, beispielsweise im Bereich Fernsehen oder Radio, komplett verbieten. Das ist im Übrigen ein neuer Ansatz in der Bundesrepublik Deutschland. Bisher haben wir uns mit Werbeverboten - wie ich finde, aus gutem Grund; wenn wir den Bereich des Kinder- und Jugendschutzes und gesundheitsschädliche Produkte einmal außen vor lassen - sehr schwer getan. Insofern sollten wir intensiv miteinander darüber beraten, was der angemessene Weg ist, um die Verbraucher zu schützen. Richtig ist, dass die BaFin tätig wird. Richtig ist, dass wir Produkte verbieten müssen. Richtig ist auch, dass der Verbraucher auf bestimmte Produkte Zugriff haben muss. Aber ich möchte am Ende nicht erleben, dass man für innovative Bürgeraktivitäten und -projekte kein Geld bekommt. Das war - wenn ich das sagen darf, Frau Kollegin Karawanskij von den Linken - ein grundsätzlicher Fehler in Ihrem Beitrag. Das Ziel mag uns einen, aber wer glaubt, dass man bei einer Verzinsung von 0 Prozent Investoren findet, der irrt. Nicht nur für die bösen Finanzinvestoren, sondern auch für die Verbraucher gilt: Wer 500 oder 1 000 Euro investiert, der möchte wenigstens eine kleine Rendite erzielen. Wenn wir die Projekte erhalten wollen, dann müssen wir auf Transparenz und Regulierung achten. Wir müssen darauf achten, dass die Produkte geprüft werden und dass die Finanzwächter ihren Job machen können. Der Bürger soll entscheiden können, aber es soll am Ende nicht um die Existenz gehen. Wir brauchen nicht noch mehr Menschen, die in Insolvenz geraten. Davon haben wir mittlerweile viel zu viele. Das betrifft übrigens insbesondere junge Menschen und junge Familien. Da ist ein Leasingvertrag manchmal genauso gefährlich wie ein Produkt vom Grauen Kapitalmarkt. Deshalb ist das ein umfassendes Thema. Ich freue mich auf die Beratung und bin sicher: Am Ende steht mehr Verbraucherschutz. Am Ende setzt die Koalition um, was im Koalitionsvertrag steht. Wir wollen gemeinsam versuchen, Transparenz und eine bessere Aufklärung der Menschen zu erreichen, damit möglichst niemand in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, der eigentlich sinnvoll investieren wollte. Herzlichen Dank. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3994 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ({0}) Drucksache 18/4087 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich keinen Widerspruch höre oder sehe, ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung dem Bundesminister Heiko Maas. ({2})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schrecklichen Ereignisse der letzten Wochen haben erneut gezeigt: Terrorismus tötet, und er trifft seine Opfer überall und ohne Unterschied in Paris, in Kopenhagen, in Syrien, in Libyen. Er tötet Christen, Juden und - das sollten wir nicht vergessen nicht zuletzt auch Muslime. Diese Vorgänge zeigen: Wir müssen dort, wo wir besseren Schutz gewährleisten können, ihn bieten. Wir müssen den Menschen helfen, die ganz besonders unter dem Terror leiden. Ganz konkret bedeutet dies - das ist der erste Punkt, um den es heute geht -: Europa darf nicht zum Exporteur junger Terroristen werden, und Europa - das ist der zweite Punkt - darf auch nicht zum Finanzier des Terrors werden. Die Zahl junger Menschen, die in Krisengebiete reisen, um sich dort terroristischen Vereinigungen wie etwa dem „Islamischen Staat“ anzuschließen, steigt. Das ist nicht nur eine Bedrohung für die Zielländer. Wir müssen damit rechnen - die Erfahrungen zeigen uns das -, dass die jungen Männer - ganz überwiegend sind es Männer dort weiter verrohen und zu erfahrenen Gewalttätern werden und bei einer Rückkehr nach Deutschland - darum geht es; davon sind uns nicht wenige Fälle bereits bekannt - zu einer Gefahr für unsere freie Gesellschaft werden. Auch die Familien vieler Betroffenen erwarten in dieser Situation das Eingreifen des Staates; denn sie wollen ihre Söhne nicht an den Terror verlieren. Wenn selbst muslimische Gemeinden uns auffordern, an dieser Stelle auch gesetzgeberisch tätig zu werden, dann sollte uns das schon zu denken geben. Unser Gesetzentwurf sieht deshalb vor, die Ausreise unter Strafe zu stellen, wenn jemand das Land verlassen will, um an Terrorcamps teilzunehmen oder sich an terroristischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Es gibt einen klaren Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit - das ist im Übrigen auch eine Folge höchstrichterlicher Rechtsprechung in Deutschland -: die Ausreise oder deren Versuch und vor allen Dingen deren terroristischer Zweck. Diesen Reisezweck nachzuweisen, ist weniger schwierig, als mancher glaubt und mancher in den Raum stellt. Wir kennen mittlerweile viele Fälle, in denen sich verzweifelte Familien, verzweifelte Angehörige, Freundinnen und Freunde bei Polizei und Ermittlungsbehörden gemeldet haben, weil die Betroffenen, die sich aufgemacht haben, auszureisen und teilzunehmen an Kampfhandlungen, etwa des IS, sich eindeutig verabschiedet haben. Es geht nicht um geheime Taten, sondern diejenigen, die das tun, bekennen sich ganz offen dazu. Deshalb wird es auch möglich sein, in solchen Fällen den Zweck der Reise nachzuweisen, was erforderlich ist, um bestrafen zu können. Meine Damen und Herren, diese Vorschrift wird greifen. Der zweite Punkt dieses Gesetzentwurfes betrifft die Finanzierung des Terrorismus. Dafür werden wir einen eigenen Straftatbestand schaffen. Auch bei kleinsten Beträgen, die in die Unterstützung des Terrorismus fließen, werden wir in Zukunft - das konnten wir in der Vergangenheit nicht - lückenlos mit den Mitteln des Strafrechts vorgehen. Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit. Bedauerlicherweise finanziert sich der Terrorismus weltweit mittlerweile über Geldquellen auf allen Kontinenten. Wir dürfen das nicht zulassen. Wir dürfen vor allen Dingen nicht zulassen, dass mit Geld aus Deutschland Terror und Gewalt in anderen Teilen der Welt finanziert werden. Auch dafür setzen wir diesen Gesetzentwurf heute auf die Tagesordnung. ({0}) Meine Damen und Herren, es wird in der Debatte sicherlich darauf hingewiesen werden, dass es immer viel Aktionismus gibt, wenn Anschläge geschehen. ({1}) Ich will gar nicht sagen, dass diese Klage immer unberechtigt war. Aber der Gesetzentwurf, der Ihnen heute vorliegt, ist wirklich keine hastige Reaktion auf die jüngsten Anschläge. Das ist ganz einfach schon daran zu erkennen, dass dieser Gesetzentwurf innerhalb der Bundesregierung schon viel länger beraten wird, nämlich seit September des letzten Jahres, und zwar aus dem einfachen Grund, dass wir eine internationale Verpflichtung umsetzen. Im vergangenen Jahr hat der UN-Sicherheitsrat die Staaten aufgefordert, ihr Strafrecht anzupassen, um zu verhindern, dass fremde Kämpfer, Foreign Fighters, an terroristischen Aktivitäten wie in Syrien teilnehmen. Für Deutschland hat sich dabei gezeigt: Wir erfüllen bereits jetzt fast sämtliche Vorgaben, die die Vereinten Nationen normiert haben. Nur an einer einzigen Stelle war eine Ergänzung erforderlich. Diese Ergänzung nehmen wir jetzt mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf vor. Meine Damen und Herren, es gibt keine Ergänzung oder Verschärfung des Strafrechts, ohne dass es einen besonderen Vorlauf gegeben hat. Die Foreign Fighters, also im Wesentlichen junge Männer, die sich von Europa nach Syrien oder in den Nordirak aufmachen, um dort an Kampfhandlungen des IS teilzunehmen, sind eine Entwicklung, die es vor zwei oder drei Jahren, zumindest in diesem Zusammenhang und so organisiert, nicht gegeben hat. Mit diesem Gesetzentwurf reagieren wir also auf eine Entwicklung, die noch nicht so alt ist und die wir nicht sich selbst überlassen können. Deshalb ist das kein Aktionismus. Auch der neue Straftatbestand zur Verhinderung der Terrorismusfinanzierung geht auf eine internationale Empfehlung zurück. Auch dies ist ein Thema, an dem wir schon viel länger arbeiten. Wir folgen hier einem Rat der OECD. Dort gibt es die sogenannte Financial Action Task Force, die uns aufgefordert hat, endlich die Strafverfolgung bei Terrorismusfinanzierung, und zwar unabhängig von den Beträgen, also auch bei Kleinstbeträgen, möglich zu machen. Herr Schäuble und ich haben der OECD schon im letzten Jahr in einem Brief zugesagt, dass wir diese Aufforderung umsetzen werden. Das tun wir jetzt, und zwar in § 89 c StGB. Meine Damen und Herren, das Strafrecht ist ein wichtiges Instrument, wenn es darum geht, terroristische Gewalt zu verhindern. Aber es ist nicht das einzige. Wir dürfen es auch nicht dabei belassen. Wir müssen uns fragen: Was treibt junge Menschen, die in Freiheit und Frieden aufgewachsen sind und die Segnungen der freien Gesellschaften in Europa genossen haben, dazu, sich brutalen Terroristen anzuschließen? Ist es die Suche nach dem ultimativen Kick? Ist es religiöser Fanatismus? Ist es Rache für echte oder vermeintliche Demütigungen? Was ist es? Bei der Suche nach den Antworten dürfen wir nicht nachlassen. Wir müssen alles tun, um die Radikalisierung junger Muslime zu verhindern und dafür zu sorgen, dass wir neue Straftatbestände gar nicht erst anwenden müssen. Dabei sind alle gefordert: wir, die Politik, aber auch die muslimischen Gemeinden und ihre Repräsentanten. Gemeinsam müssen wir nicht nur die Köpfe der Menschen erreichen, um dem etwas entgegenzusetzen, sondern auch ihre Herzen, damit letztlich jeder erkennt: Der Terrorismus ist ein Irrweg. Er führt niemals ins Paradies, sondern immer nur ins Unglück. Schönen Dank. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Halina Wawzyniak. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei dem, was Sie mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vorgelegt haben, bin ich geneigt, jetzt fünf Minuten über Sinn und Zweck des Strafgesetzbuches, über den Unterschied zwischen Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht, über den Unterschied zwischen Tat- und Täterstrafrecht sowie über das Schuldprinzip zu reden. Mir scheint, da gibt es erheblichen Nachholbedarf. ({0}) Mit dem Strafrecht sollen vor allem begangene Straftaten verfolgt und aufgeklärt werden, nicht aber Verhaltensweisen, die eine Vorbereitungshandlung einer Vorbereitungshandlung sind. ({1}) Mit dem Strafrecht soll eine konkrete Tat bestraft werden und nicht primär die Motivation des Täters oder der Täterin. Soweit eine konkrete Gefahr noch gar nicht eingetreten ist für ein konkretes Rechtsgut, sondern erst eine abstrakte Gefahr besteht, sind die Gefahrenabwehrbehörden zuständig und nicht das Strafrecht. ({2}) Was aber machen Sie mit diesem Gesetzentwurf? Alle diese Grundsätze verletzen Sie: Sie wollen mit dem neuen § 89 a Absatz 2 StGB die Ausreise und den Versuch der Ausreise in einen Staat, in dem sich ein sogenanntes Terrorcamp befindet, unter Strafe stellen, wenn - und darauf kommt es an - die Absicht zur Begehung einer terroristischen Gewalttat besteht. Mit § 89 c StGB wollen Sie einen neuen, einheitlichen Tatbestand der Terrorismusfinanzierung schaffen. Das hört sich erst mal ganz logisch an - für die Bekämpfung des Terrorismus sind wir hier alle -; tatsächlich ist das, was Sie vorgelegt haben, aber genau das, was Sie, wie Sie glücklicherweise öffentlich immer gesagt haben, nicht wollen. Sie opfern weiter ein Stück Freiheit, Sie opfern weiter ein Stück Rechtsstaat - und das völlig überflüssigerweise. ({3}) Jetzt lasse ich einmal dahingestellt, ob es überhaupt in die Kompetenz des UN-Sicherheitsrates fällt, den Staaten in dieser Art und Weise Vorgaben für das Strafrecht zu machen. Aber ich will jetzt auf diesen komischen Ausreisetatbestand eingehen. Der lautet - noch mal -: ein Versuch der Ausreise in einen Staat, in dem sich ein Terrorcamp befindet, wenn - das ist entscheidend - die Absicht der Begehung einer terroristischen Straftat besteht. - Jetzt frage ich mich, wie Sie das konkret feststellen wollen. Für die Strafbarkeit soll notwendig sein, dass die Absicht der Begehung einer terroristischen Gewalttat besteht. Erst wenn diese Absicht nachgewiesen ist, können Sie überhaupt ein Straf- oder Ermittlungsverfahren einleiten. Es gibt jetzt, ehrlich gesagt, nur zwei Möglichkeiten: Entweder: Jede Person, die in ein solches Land ausreisen will, wird irgendwie kontrolliert, wird danach gefragt, ob sie vielleicht die Absicht hat, eine terroristische Straftat zu begehen. Ein solcher Generalverdacht für alle Menschen, die in solche Länder ausreisen wollen, bindet Kapazitäten, die in anderen Bereichen viel sinnvoller eingesetzt würden. Wenn Sie das nicht wollen - was ich durchaus nachvollziehen kann -, gibt es noch Variante zwei: dass Behörden im Vorfeld - also vor dem Grenzübertritt - wissen, dass Menschen in der Absicht, eine Straftat zu begehen, ausreisen wollen. Natürlich - auch da sind wir uns alle einig - gilt es, das zu verhindern. Aber wenn das vorher, lange vorher, bekannt ist, dann muss man doch überhaupt nicht warten, bis die Personen ausreisen wollen. Es gibt nämlich, ehrlich gesagt, überhaupt keine Schutzlücke. Es ist nun wahrlich nicht so, dass ich eine Freundin von § 89 a wäre - erst recht bin ich keine Freundin der §§ 129 a und 129 b, im Gegenteil -; aber ich nehme erstens zur Kenntnis, dass es sie gibt, und ich will darauf hinweisen, dass diese Paragrafen in den beiden vorliegenden Evaluierungen des Sicherheitsgesetzes sehr heftig umstritten waren. Wenn es aber - was ich zur Kenntnis nehmen muss - so ist, dass es diese Paragrafen gibt, dann ist doch schon jetzt die vollendete Ausreise mit der Absicht, im Ausland eine terroristische Straftat zu begehen, als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in jedem Fall über die Beihilfe strafbar, und es ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand, der ausreist, vorher unter den Straftatbestand des bisherigen § 89 a fällt. Ich glaube, es geht tatsächlich um etwas anderes. Der Herr Innenminister treibt Sie in aktionistischer Art und Weise dazu, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Doch das, was Sie vorschlagen, schadet dem Rechtsstaat. Ich will darauf hinweisen, dass Sie mit diesem Gesetz Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht einfach miteinander vermischen. Über § 112 a der Strafprozessordnung wird mit Ihrer Änderung bei Wiederholungsgefahr jetzt ohne Vorliegen sonstiger Haftgründe wie Flucht- oder Verdunklungsgefahr die Anordnung von Untersuchungshaft möglich, und das über einen Zeitraum, der im polizeilichen Unterbindungsgewahrsam eben nicht möglich wäre. Die Normierung dieser neuen Straftatbestände ist nicht notwendig. Die Regelung kann deshalb nicht angemessen und auch nicht verhältnismäßig sein. Deswegen kann ich sagen: Am besten ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück. Er wird auch durch eine Anhörung und eine zweite und dritte Lesung nicht besser. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Ansgar Heveling für die CDU/CSU. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut 20 Minuten lang und so professionell gemacht, dass einem allein dieser Umstand kalte Schauer über den Rücken jagt. Ein jeder hier im Saal ist nur wenige Mausklicks von diesem schrecklichen Video entfernt. Es demonstriert den Triumph des Unmenschlichen und ist gleichzeitig auch Propaganda für den Terror. Wenn man die grausamsten Passagen dieses Videos erreicht hat, die Passagen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, fragt man sich mit maßlosem Entsetzen, wie so etwas Bestialisches und Unmenschliches wie das Video der Ermordung, der grausamen Verbrennung eines Menschen überhaupt eine werbende und attraktive Wirkung entfalten und Menschen dazu bewegen kann, sich den Tätern anzuschließen. Offensichtlich kann so etwas diese Wirkung aber entfalten. Der Terror - insbesondere der des Nahen Ostens - ist in unserer Welt gut vernetzt und schafft es damit mitten ins Herz unserer freien und offenen Gesellschaft. ({0}) Hassprediger erreichen über das Internet gerade junge Menschen gut, schnell und direkt. Extremisten versuchen vornehmlich, Jugendliche zu erreichen und zu instrumentalisieren; denn sie sind verführbar. Damit stellt uns der Terror auch hier in Deutschland vor schwerwiegende Herausforderungen. Es ist keine leichte Aufgabe, gleichzeitig wehrhafte Demokratie zu sein und Freiheitsrechte zu wahren. Dabei muss eines aber klar sein: Wer uns ins Herz unserer Freiheit trifft, wer den freiheitlichen Rechtsstaat bekämpft, dem sollten und werden wir mit aller Härte begegnen. ({1}) Das schärfste Instrument, das dem Rechtsstaat dabei zur Verfügung steht, ist das Strafrecht. Dazu gehören eine konsequente Strafverfolgung, die ausreichende Ausstattung des Staates mit effizienten Mitteln für die Strafverfolgung und damit für die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols sowie präventive Maßnahmen, die verhindern helfen, dass zumeist junge Menschen zu Gotteskriegern werden und in weiter Ferne und auch hier in Deutschland Angst und Schrecken, Terror und Tod verbreiten. Mit der Änderung des Personalausweisgesetzes, die derzeit im Deutschen Bundestag beraten wird, und mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten gehen wir daher einen wichtigen und richtigen Schritt in der Terrorismusbekämpfung. Es ist gut, dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der zum Ziel hat, Reisen zu terroristischen Zwecken zu unterbinden und die Terrorismusfinanzierung zu bekämpfen. ({2}) Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, auf einer vollkommen neuen Grundlage basiert. Die Rechtsquelle bildet eine Entscheidung der Weltgemeinschaft. Das Besondere daran ist aber, dass hier am Ende eines langwierigen völkerrechtlichen Ratifikationsprozesses keine UN-Konvention, sondern eine Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umgesetzt wird. Weniger als ein Jahr ist es her, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 2178 über ausländische terroristische Kämpfer einstimmig verabschiedet hat. Das zeigt: Auch die Weltgemeinschaft reagiert mit neuen und schnellen Instrumenten auf bisher unbekannte Bedrohungslagen. Die meisten Forderungen der UN-Resolution entsprechen bereits jetzt dem geltenden Recht in Deutschland. Deshalb gibt es an dieser Stelle auch nur bei einzelnen Punkten einen Anpassungsbedarf. Zum einen ist eine Ergänzung des bestehenden Instrumentariums zur Strafbarkeit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89 a des Strafgesetzbuches notwendig. Künftig wird es eine Straftat sein, Deutschland zu verlassen, um sich an schweren Gewalttaten im Ausland zu beteiligen oder sich für die Teilnahme an schweren Gewalttaten ausbilden zu lassen oder selbst dafür auszubilden. Die Fragen im Zusammenhang mit der Absicht, also dem Vorsatz, sind im Übrigen keine Besonderheit dieser strafrechtlichen Vorschrift. Auch im allgemeinen Strafrecht muss man auslegen, was sich im Inneren des Täters abspielt. ({3}) Dazu gibt es Indizien. Insofern ist das, was mit „Absicht“ gemeint ist, etwas ganz Normales im Strafrecht und überhaupt gar keine Besonderheit. Es ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die entsprechenden Beweise und Indizien vorzulegen. Zum anderen wird mit der Einführung eines neuen § 89 c des Strafgesetzbuches ein eigenständiger Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung geschaffen. Damit wird die Finanzierung des Terrorismus erstmals in einer einheitlichen Vorschrift strafrechtlich erfasst und im Anwendungsbereich gegenüber bestehenden Vorschriften dahin gehend erweitert, dass die Finanzierung terroristischer Straftaten in Zukunft allgemein unter Strafe gestellt wird und eine Erheblichkeitsschwelle, wie sie bisher im Strafgesetzbuch verzeichnet ist, nicht mehr bestehen wird. Die Anpassungen sind richtig, und sie stehen im Einklang mit dem, was die Weltgemeinschaft als Mindestanforderung von allen Staaten verlangt. Es stellt sich aber die Frage, ob dieses Minimum ausreicht; denn es ist nach dem Grundgesetz nun einmal Aufgabe des Staates, die Bevölkerung vor Bedrohungen zu schützen. Deshalb müssen wir überlegen, welche Maßnahmen unter Beachtung des grundgesetzlichen Rahmens dafür notwendig sind. Es wird wohl kaum jemand abstreiten können: Angesichts der weltweiten Vernetzung bringt der internationale Terrorismus derzeit bisher unbekannte Bedrohungslagen hervor. Das alles sollte uns vielleicht doch über das Thema Sympathiewerbung noch einmal neu nachdenken lassen. Sympathie ist ein zentrales Element in der Rekrutierung neuer Dschihadisten. Auch darauf sollte unser Strafrecht eine passende Antwort geben können. ({4}) Ohne Frage: Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine zulässige Strafbarkeit von Sympathiewerbung sind eng. Die restriktive Auslegung durch die Rechtsprechung mag im Jahr 2002 der Grund dafür gewesen sein, das Werben in § 129 a StGB auf das Werben von Mitgliedern und Unterstützern zu beschränken. ({5}) Mit der rasanten Entwicklung der sozialen Medien, die für eine rasche Verbreitung terroristischer Inhalte wie nie zuvor sorgen, bedarf es jedoch vielleicht einer neuen, zeitgemäßen Bewertung der Sachverhalte. Wer heute mit allen dafür zur Verfügung stehenden Mitteln für eine terroristische Vereinigung wirbt, bereitet den Nährboden für terroristische Gewalt. ({6}) Lassen Sie mich ein Beispiel aus Frankfurt in Hessen anführen. Dort haben radikalislamische Salafisten - das haben sie auch in anderen Städten der Bundesrepublik Deutschland getan - versucht, vor Schulen Kämpfer zu rekrutieren. Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit wurden Aktionsstände aufgebaut und Ausgaben des Korans an Schüler verteilt, um mit den Schülern ins Gespräch zu kommen. ({7}) Bei vier Schülern seien die Salafisten in Frankfurt so erfolgreich gewesen, dass diese sich inzwischen auf den Weg in den heiligen Krieg gemacht hätten. Auch hierauf müssen wir mit dem Strafrecht die passenden Antworten geben. Ein wichtiger und zentraler Punkt bei der Terrorismusbekämpfung - Bundesminister Maas hat es angesprochen - ist im Übrigen auch die Prävention. Hier müssen wir die Gefahr der Radikalisierung, gerade auch von Häftlingen in Justizvollzugsanstalten, in den Blick nehmen. Mindestens zwei der Attentäter von Paris haben sich offensichtlich im Gefängnis kennengelernt und dort radikalisiert. Auch in Deutschland ist ein entsprechender Trend zu beobachten. Auch hier scheint Handeln geboten zu sein. Die Justizvollzugsanstalten dürfen nicht zu Schmieden zur Rekrutierung von religiösen Fanatikern und für Radikalisierung werden. Da sind natürlich vor allem die Länder gefragt. Allerdings sollten wir die Länder mit dieser Aufgabe nicht allein lassen und Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen unterstützen. Hessen beispielsweise hat bereits gute Erfahrungen mit Präventionsinstitutionen gemacht, die wir uns bundesweit zunutze machen könnten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesicht des Terrors wandelt sich stetig und stellt den freiheitlichen Rechtsstaat immer wieder vor neue Herausforderungen. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt im Einklang mit der Weltgemeinschaft bestehende Lücken im deutschen Terrorismusstrafrecht. Die Herausforderung besteht jedoch nicht nur darin, Lücken zu schließen, sondern darin, effektive und zeitgemäße Strafrechtsinstrumente für den Staat bereitzuhalten. Dafür kann der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt sein, er ist aber sicherlich bei weitem nicht der letzte. Herzlichen Dank. ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Justizminister Maas, der Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, ist nun wirklich kein Ruhmesblatt. Denn Sie machen damit ja nicht, wie Sie behaupten, Deutschland sicherer. Das Einzige, was Sie damit vielleicht erreichen, ist, dass informierte tatsächliche islamistische Kämpfer, die in das Kampfgebiet ausreisen wollen, in Zukunft damit etwas zurückhaltender sein werden, sich im Internet zu brüsten oder das anzukündigen. Und gerade diejenigen soll ja dieser Gesetzentwurf treffen. Sie haben aber mit keinem Wort dargelegt - auch der Kollege Heveling hat sich da keine Mühe gegeben -, was denn jetzt schon möglich ist bzw. wo es tatsächlich eine Lücke gibt. Sie haben einfach unterstellt, dass es eine Lücke gibt. Es gibt entsprechende Forderungen der Weltgemeinschaft, und auch Herr Maas hat darauf hingewiesen, dass man sich darüber beschwert hat, dass Leute einfach ausreisen können, um sich bei ISIS oder IS an einem heiligen Krieg von unheimlicher Grausamkeit zu beteiligen. Aber das ist geradezu der klassische Fall der Unterstützung einer oder der Mitgliedschaft in einer inländischen bzw. ausländischen terroristischen Vereinigung. Dafür braucht man keine neue Bestimmung. Wir haben schon eine breite Phalanx von Möglichkeiten. ({0}) Wir haben ja Gesetze, über deren Sinnhaftigkeit und Anwendung man in der Tat streiten kann. Und es sind ja schon vor einigen Jahren die §§ 89 a und b StGB hinzugefügt worden. Aber Sie haben hier mit keinem Wort erwähnt, wo denn jetzt eigentlich die Lücke ist und welche Evaluation dazu geführt hat, dass man sagt: Drei oder fünf Leute konnten aufgrund der Lücke nicht bestraft werden. Nein, Sie haben uns ein Gesetz beschert, das völlig unbestimmt und unklar ist und den Rechtsanwendern, Polizei und Justiz, große Probleme bereiten wird. ({1}) Was ist zum Beispiel das „Unternehmen einer Ausreise“? Denn es soll ja bereits das Unternehmen strafbar sein. Heißt das, dass Sie jemanden, der sich ins Taxi setzt und zum Flughafen fährt, bereits festnehmen können, weil er den Tatbestand des Unternehmens erfüllt? Ist es die Ankunft auf dem Flughafen? Ist es das Einchecken? Ist es das Pass-Vorzeigen? Ist es das Einsteigen ins Flugzeug? Ist es erst das Verlassen des Landes? - Dann wäre er aber weg. ({2}) Also: Wann tritt der Tatbestand des Unternehmens einer Ausreise ein? Sie haben sich um die Beantwortung dieser Frage herumgemogelt. In der Gesetzesbegründung schreiben Sie zum Tatbestand der Finanzierung von Terrorismus, dass man das nicht zu eng auslegen darf, sondern weit auslegen muss; dabei verweisen Sie im Gesetz auch auf alltägliche Geldzuwendungen. Wenn zum Beispiel eine Oma ihrem Enkel Geld gibt, von dem sie vielleicht weiß, dass er in die Moschee geht und unter Umständen so etwas vorhat, ist das - also wenn einem möglichen Täter Geld gegeben wird - dann schon die Unterstützung einer Reise zu terroristischen Zwecken? Sie haben in die Begründung - in die Begründung! geschrieben, dass man das eng auslegen muss. Aber beim Tatbestand findet sich davon nichts. Das heißt, es ist überhaupt nicht klar, wie eine ausufernde Anwendung verhindert werden soll. Sie versuchen hier die Vorverlegung der Strafbarkeit. Das ist mit unserem Grundgesetz und unserer rechtlichen und strafrechtlichen Dogmatik nicht in Einklang zu bringen. Sie schaffen hier quasi ein Gesinnungsstrafrecht. Sie wollen die Absicht einer Person bestrafen, der in irgendeiner Weise geholfen wird. Ganz abgesehen davon, dass es dabei ungeheure Beweisschwierigkeiten geben wird, vernachlässigen Sie dabei - darauf ist schon hingewiesen worden -, dass in Deutschland Täter- und Tatstrafrecht gilt. Sie verlassen diese dogmatische Linie und übersehen, dass nur begangenes Unrecht in Deutschland bestraft werden soll. Was hier begangenes Unrecht sein soll, das strafbar ist, bleibt völlig unklar. Das heißt, Sie lassen die Rechtsanwender im Stich. Deshalb können wir nur sagen: Ein solches Ad-hoc-Gesetz, das das Bestimmtheitsgebot verletzt, halten wir verfassungsrechtlich mindestens für zweifelhaft, wenn nicht gar für verfassungswidrig. Dem werden und können wir nicht zustimmen. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner für die SPD. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir alle haben mit großer Bestürzung die brutalen Anschläge in Paris erlebt, und wir sind erschüttert, wenn wir die grausamen Kriegsbilder aus Syrien, dem Irak oder von anderswo in den Nachrichten sehen. Selbstverständlich ist es unsere Aufgabe als Politik, dem Anspruch der Bevölkerung auf Sicherheit nachzukommen. Dabei dürfen wir aber nicht den Fehler machen - das machen wir auch nicht mit diesem Gesetz -, überzureagieren und in gesetzgeberischen Aktionismus zu verfallen. Das bedeutet konkret, dass wir nur dort Straftatbestände neu schaffen oder verschärfen, wo, wie in diesem Fall, tatsächlich Strafbarkeitslücken bestehen. Dem kommen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach. Ich bin dem Justizminister ausdrücklich dankbar, dass er keine überzogenen Gesetzesverschärfungen vorgelegt hat, sondern mit Besonnenheit, insbesondere der UN-Resolution nachkommend, diesen Gesetzentwurf erstellt hat. Wenn leider auch aus Deutschland junge Menschen ausreisen, um sich in Terrorcamps ausbilden zu lassen, dann müssen wir schon deren Ausreise verhindern, damit sie eben nicht wie die Pariser Attentäter in Terrorcamps gehen oder im Ausland Verbrechen begehen können. Deshalb ist es richtig, dass sich zukünftig strafbar macht, wer mit terroristischer Motivation ausreist, also mit der Absicht, zur Ausbildung ein Terrorcamp zu besuchen oder Kampfhandlungen zu begehen. Die angesprochenen Beweisschwierigkeiten gibt es nicht. Es handelt sich um eine Personengruppe, die offensichtlich sehr mitteilungsbedürftig ist, etwa in sozialen Netzwerken. Insofern ist der Nachweis der geplanten Ausreise und des Zwecks der Ausreise möglich. Im Übrigen ist ja bekanntlich im Strafrecht eine Handlung, die einen bestimmten Zweck hat, unter Strafe gestellt. Des Weiteren müssen wir den Terrororganisationen die Finanzgrundlage entziehen. Deshalb ist es richtig, dass wir dafür einen eigenen Straftatbestand einführen und die Terrorismusfinanzierung auch bei kleineren Zuwendungen unter Strafe stellen. Weiter gehende Maßnahmen sind aus meiner Sicht nicht geboten. Insbesondere die Wiedereinführung des Straftatbestands der Sympathiewerbung halte ich nicht für erforderlich. ({0}) Sicher werden viele, insbesondere junge Männer, über das Internet geworben. Wer aber Mitglieder anwirbt, etwa für den IS, oder wer dessen Symbole zeigt, der macht sich schon heute strafbar. Wir haben ein sehr weitgehendes Strafrecht in diesem Bereich. Deswegen war es richtig, dass Rot-Grün damals diese Vorschrift abgeschafft hat, zu der es so gut wie keine Verurteilungen gab. Wir brauchen keinen Straftatbestand der Sympathiewerbung in Deutschland. ({1}) Wenn die Opposition nun schimpft, dass über das Ziel hinausgeschossen würde, darf ich mich zumindest ein bisschen wundern. Es war auf der einen Seite zu lesen, dass wir über das Ziel hinausschießen, auf der anderen Seite, dass wir nur Symbolpolitik betreiben würden. Ich finde, da geht die Linie etwas auseinander. Im Übrigen - auch das sei der Opposition gesagt - setzen wir mit diesem Gesetzentwurf Vorgaben bzw. Vorschläge der Vereinten Nationen und der OECD um. Das sind Organisationen, die auch Sie ja eigentlich schätzen. In welcher Gesellschaft wären wir, wenn wir diese Vorschläge nicht umsetzen würden?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Fechner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, es ist jetzt schon mehrfach behauptet worden, dass das durch die UN-Resolution vorgeschrieben worden ist. Haben Sie sich die einmal angeschaut?

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Bezug auf die „foreign fighters“ wird diese Maßnahme vorgeschlagen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, aber ohne Berücksichtigung dessen, welche Gesetze wir haben. Die Vereinten Nationen machen Vorschläge. Aber das haben wir ja bereits. Sie müssten doch einmal belegen, inwiefern die Vorgaben der UN-Resolution in Deutschland nicht verwirklicht sind, wo noch eine Lücke ist.

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das betrifft diese beiden Punkte. Viele andere Punkte haben wir schon. Ich habe schon gesagt, dass wir ein sehr weitgehendes Strafgesetzbuch haben. Deswegen müssen wir sehr zurückhaltend sein, was Verschärfungen angeht. ({0}) - Wunderbar. ({1}) Nehmen wir als Große Koalition gerne an. Herzlichen Dank! ({2}) Wir haben uns das detailliert angeschaut. Bei diesen beiden Punkten - Terrorismusfinanzierung und Ausreise gibt es geringfügige Strafbarkeitslücken, die wir hiermit schließen. Ich finde, wenn wir die Vereinten Nationen ernst nehmen und wenn die genannten Organisationen zu konkreten Vorschlägen zum Kampf gegen den Terrorismus auffordern, dann sollten wir diese Vorschläge auch umsetzen. Zu guter Letzt möchte ich in dieser Rede festhalten, dass die schärfsten Gesetze natürlich nichts bringen, wenn bei der Polizei die technische Ausstattung nicht vorhanden ist oder wenn bei den Ermittlungsbehörden zu wenig Personal vorhanden ist. Deswegen war es richtig - wir als SPD haben uns in den letzten Haushaltsberatungen dafür eingesetzt -, dass neue Stellen beim Generalbundesanwalt für die Terrorismusbekämpfung geschaffen werden und dass es bei der Bundespolizei für Material und Fahrzeuge 20 Millionen Euro mehr gibt und 400 neue Stellen eingerichtet werden. ({3}) - Das wäre mir neu. ({4}) Ich glaube, das sind ganz wichtige Maßnahmen, und ich finde, dass wir maßvoll und besonnen reagieren und dabei den Terrorismus effektiv bekämpfen. Dazu ist das vorliegende Gesetz ein ganz wichtiger Beitrag. Herzlichen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke. - Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir am Ende der Debatte, das eine oder andere Stichwort aus den bisherigen Reden aufzugreifen, um es ein bisschen zu kommentieren und zu verfeinern. Zunächst noch einige Sätze zum Umfang der Regelung. Wir haben eine Hausaufgabe aufbekommen - so will ich es einmal nennen - aus der UN-Resolution 2178, die zwei Zielrichtungen hat. Die eine Zielrichtung betrifft die Sicherstellung der Strafbarkeit der Reise oder des Versuchs einer Reise, wenn diese Reise erfolgt, um terroristische Handlungen zu begehen, sie zu planen, sie vorzubereiten, sich daran zu beteiligen oder Terroristen auszubilden oder sich als Terrorist ausbilden zu lassen. Dazu haben Sie, Kollege Ströbele, gefragt, inwieweit wir dort aktuell Strafbarkeitslücken haben. Der Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, wie wir ihn heute schon formuliert haben, erfordert eine konkrete Unterstützungshandlung. Die ist bei der Reisetätigkeit eben noch nicht erfolgt. Wenn wir warten, bis die betreffende Person außer Landes ist, ist es zu spät. ({0}) Die zweite Zielrichtung bezieht sich auf die Erhöhung der Mindeststrafbarkeit für die Terrorismusfinanzierung, verbunden mit dem Verzicht auf die Erheblichkeitsschwelle. Das sind die Hausaufgaben, und wir können konstatieren: Ja, es wird geliefert. ({1}) Aber, meine Damen, meine Herren, ich gestatte mir trotzdem die Frage: Ist das nicht eine Minimallösung, die wir im Moment haben? Denn angesichts des weltweiten Terrors, angesichts seiner Grausamkeit - Kollege Heveling hat sie vorhin geschildert - traue ich mich schon, die Frage zu stellen: Hätten wir nicht mehr regeln können? ({2}) Ob man mehr regeln kann und mehr regeln muss, ist abhängig von der Frage: Ist denn mehr erforderlich? Da komme ich zur Sympathiewerbung; denn die ist aktuell nicht strafbar. Es ist vorhin angeklungen: Der § 129 a versteht den Begriff des Werbens so, dass das bloße Befürworten, das bloße Eintreten für eine bestimmte Ideologie oder der Aufruf zum Dschihad eben nicht strafbar sind. Meine Damen, meine Herren, vergegenwärtigen wir uns, dass aktuell im Namen von bestimmten Ideologien weltweit Menschen massakriert, vergewaltigt, enthauptet und verbrannt werden. Da komme ich zum Stichwort „Aktionismus“, weil es vorhin ja auch hieß: Die Regelung ist doch nicht notwendig; wir verlagern das viel zu weit vor. - Dazu will ich sagen: Es gibt ja die Institution des abstrakten Gefährdungsdelikts. Der Rechtsstaat hat schon auch die Aufgabe, durch die Rechtsordnung und durch Strafgesetze ganz klar zu zeigen, was er missbilligt, und er hat auch die Aufgabe, ganz klar zu zeigen, welche Handlungen in einer Gesellschaft keinen Platz haben. Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf. ({3}) Weil es mir am Herzen liegt, möchte ich noch kurz auf die Bedenken der Bundesdatenschutzbeauftragten eingehen, die sie in einem Schreiben formuliert hat, das Ihnen sicherlich vorliegt. Frau Voßhoff hat Bedenken wegen der mittelbaren datenschutzrechtlichen Auswirkungen - so schreibt sie es - und begründet das mit folgender Erklärung - den Satz will ich kurz zitieren -: So kann unter Umständen schon derjenige in den Anschein der Terrorismusfinanzierung geraten, der bei einem Terrorverdächtigen einen Gebrauchtwagen kauft. - Das geht ein bisschen in die Richtung, Kollege Ströbele, die Sie vorhin beschrieben haben, wenn zum Beispiel eine Oma ihrem Enkel Geld gibt, ohne zu wissen, was er damit macht. Ich bin über das Argument von Frau Voßhoff durchaus verwundert. Denn das ist heute wie schon seit Jahrzehnten strafrechtliche Realität in jedem Ermittlungsverfahren. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wenn ich von einem Privatmann oder von einem Gebrauchtwagenhändler ein Fahrzeug kaufe, gegen den wegen des Verdachts auf Hehlerei ermittelt wird, dann wird selbstverständlich auch geprüft, ob das Fahrzeug, das ich erworben habe, Hehlerware ist. Wenn sich das bestätigt, dann wird, zum Beispiel weil der Kaufpreis 30 oder 40 Prozent unter dem Marktwert lag, auch aufgrund der Preisgestaltung geprüft, ob ich unter Umständen billigend in Kauf genommen habe, Hehlerware zu erwerben. Das ist die Realität. Ein weiterer Punkt ist wichtig, Kollege Ströbele. Er entkräftet das Beispiel, das Sie vorhin angeführt haben. Der Gesetzentwurf erfordert einen Vorsatz. Er verlangt nämlich, dass die Geldleistung in dem Wissen erfolgen muss, dass damit Terrorismus finanziert wird. Die Hürde ist also durchaus hoch. Der von Ihnen genannte Fall würde demnach schon herausfallen. Des Weiteren wurde gefragt, wie der Zweck der Reise konkretisiert werden soll und wie man das nachweisen will. Auch Frau Voßhoff äußert Bedenken wegen der Speicherung der Telekommunikationsdaten. Meine Damen und Herren, Sie wissen, was jetzt kommt. In diesem Punkt sind wir uns noch nicht ganz einig. Aber wenn man sich die Augen und Ohren zuhält, darf man sich meiner Meinung nach nicht darüber beschweren, dass man weder etwas sieht noch etwas hört. Das heißt, wenn wir Terrorismus effektiv bekämpfen wollen, dann müssen wir uns ehrlich machen und auch offen über die Frage diskutieren, wie wir im Bereich der Speicherung von Verbindungsdaten Verbesserungen erreichen können. Sonst konstruieren wir einen Tiger, der vielleicht auf dem Papier gut aussieht, aber keine Zähne hat und nicht beißen kann. ({4}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema Prävention sagen. Ein guter Rechtsstaat kümmert sich nicht nur um gesetzliche Formulierungen bzw. darum, was er strafrechtlich verbieten will, sondern er darf auch die Prävention nicht aus dem Blick verlieren. Was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, sollten wir uns die Zeit nehmen, parallel dazu zu überlegen, wie wir im präventiven Bereich zu Verbesserungen kommen können. Diese Woche hat die hessische Justizministerin unsere Arbeitsgruppe besucht und von dem Projekt „Violence Prevention Network“ im Bundesland Hessen berichtet. Dort wurden Fachstellen mit Beratern eingerichtet, an die sich Angehörige wenden können, wenn sie merken, dass sich ein Familienmitglied radikalisiert. Wir sollten unbedingt darüber nachdenken, ob es nicht die Möglichkeit gibt, ein solches Projekt bundesweit aus der Taufe zu heben. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass es Diskussionen um die Finanzierung gibt. Aber ich glaube, wenn wir die Terrorismusbekämpfung wirklich abrunden wollen, dann muss auch die Prävention eine Rolle spielen. Meine Damen, meine Herren, ich freue mich auf die weiteren Beratungen und auf die Anhörung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/4087 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Dazu sehe ich keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 sowie den Tagesordnungspunkt 21 auf: ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte ({1}) Drucksache 18/4089 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 21 Beratung des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechtsförderung stärken - Gesetzliche Grundlage für Deutsches Institut für Menschenrechte schaffen Drucksachen 18/2618, 18/4113 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich keinerlei Widerspruch höre, ist das so beschlossen. Ich eröffne damit die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Tom Koenigs von Bündnis 90/Die Grünen.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Deutsche Institut für Menschenrechte arbeitet seit 15 Jahren gut. ({0}) Der Bundesjustizminister Heiko Maas hat am zweiten Berliner Menschenrechtstag im September vergangenen Jahres über das DIMRG gesagt: Es arbeitet kritisch, unbequem und, wenn nötig, auch lautstark. - Ich würde hinzufügen: Es arbeitet sachlich, professionell und nah dran, nah dran an den Opfern von Menschenrechtsverletzungen, an den Menschenrechtsverteidigern, den Menschenrechten im In- und Ausland, am Menschenrechtsrat in Genf und der Zivilgesellschaft hier, die ich auf der Tribüne begrüße. ({1}) 15 Jahre gut gearbeitet, das heißt: Wir wollen, dass das so weitergeht, allerdings auf gesetzlicher Grundlage; denn das Koordinationsgremium der nationalen Menschenrechtsinstitute hat Prinzipien beschlossen, die Pariser Prinzipien, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen übernommen hat, die einen gesetzlichen Status erfordern, um die Unabhängigkeit dieses Instituts zu garantieren. So ist das Institut zunächst im Jahr 2000 provisorisch akkreditiert worden, es wurde gesagt: Das Institut erhält den A-Status - im Zweifel für das Institut 2008 wurde aber angemahnt, eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Fünf Jahre später gab es noch immer keine gesetzliche Regelung, obwohl wir sie schon beantragt hatten. 2013 hat man sich entschuldigt: In Deutschland war Wahl. Im Oktober 2014 kam die letzte Mahnung. In einem Brief des Justizministers wurde gebeten, dies noch einmal zu vertagen. Das ICC hat das bis zum März vertagt. Die Sitzung findet vom 16. März bis 20. März dieses Jahres statt. Am 14. September vorigen Jahres haben wir einen Antrag eingebracht, der zum Ziel hat, eine entsprechende gesetzliche Grundlage herzustellen. Fünf Monate bzw. zehn Sitzungswochen hat die Koalitionsmehrheit das verschoben - zehn Sitzungswochen lang. Sechs Geschäftsordnungsdebatten haben wir geführt. Immer hieß es: Haben Sie Geduld, haben Sie Vertrauen. - Die Geduld ist zu Ende. Das Vertrauen haben wir nicht mehr. ({2}) Wir haben nun einen Gesetzentwurf eingebracht, der, abgesehen von der Jahreszahl, im Vergleich zum Referentenentwurf des Bundesjustizministers keine einzige Änderung enthält. Jetzt fragen wir uns natürlich, nachdem überhaupt nicht sachlich argumentiert wurde, warum nichts geschehen ist. Dann gibt es die Diskussion, da sagt mir jemand: Der Vereinscharakter ist das Problem. - Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat aber 15 Jahre gut gearbeitet, und seine Unabhängigkeit ist gerade durch den Vereinscharakter gewährleistet. Das sagen nicht nur das Forum Menschenrechte und das Institut selber, sondern auch der Deutsche Richterbund und die Bundesrechtsanwaltskammer, die uns deswegen geschrieben haben. ({3}) Der zweite Kritikpunkt lautet, dass sich dieses Institut nicht so sehr mit innerdeutschen Angelegenheiten befassen soll. Die Pariser Prinzipien besagen aber nun ganz explizit, dass sich die nationalen Menschenrechtsinstitute mit den inneren Angelegenheiten befassen sollen und die Regierungen auf Fälle von Menschenrechtsverletzungen im jeweiligen Land aufmerksam machen sollen. ({4}) Wenn nun das Argument angeführt wird, damit solle sich das Institut nicht befassen, dann ist das genau das, was die Pariser Prinzipien verhindern wollen, nämlich die Einflussnahme vonseiten der Politik oder von anderer Seite. Das sollte man nicht tun. ({5}) Wenn ich mich nun frage, was los ist, dann blicke ich auf das Kabinett. Der Bundesjustizminister hat sich geäußert. Herr Steinmeier wird in Genf blamiert. Am Dienstag will er dort reden. Herr Gröhe ist einer der Väter des Instituts. Deswegen haben wir ihn auch gefeiert. Wir haben zwei Regierungsbefragungen und Fragestunden zu diesem Thema gehabt, aber keine Antwort kam. Präsident Lammert hat dann die Auskünfte zusammengefasst und gesagt - ich zitiere -: Aus den Auskünften ergibt sich eigentlich konkludent, dass das Thema, wenn es der Regierung so wichtig ist, … in einer der beiden nächsten Kabinettssitzungen behandelt werden muss. Das wurde es aber nicht. Ich sage konkludent: Dann ist es der Regierung nicht so wichtig. ({6}) Wenn ich jetzt auf die Regierungsfraktionen blicke, dann stelle ich fest: Die CDU überlässt das Thema, übrigens das gesamte Menschenrechtsthema, der Kampfgruppe Steinbach, ({7}) verstärkt durch den Pegida-Versteher Vaatz. Der ist in einer Sitzung mit dem Forum Menschenrechte geradezu ausgeflippt, sodass Frau Steinbach dann sagen musste: Arnold, mach doch mal ruhig. ({8}) Wenn die CDU, die das Wort „christlich“ im Namen trägt und die die westlichen Werte immer hochhält, die Menschenrechte von ihrem rechten Rand vertreten lässt, dann viel Vergnügen mit der AfD. ({9}) Herrn Kauder, Herrn Tauber, der Fraktion der CDU/ CSU bedeutet das Deutsche Institut für Menschenrechte nichts und das Thema Menschenrechte auch nicht. ({10}) - Ja, Sie ärgern sich, aber es ist so, Herr Vorsitzender. ({11}) Wenn Sie die Menschenrechte vom rechten Rand vertreten lassen, dann kommt genau das heraus. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Koenigs, der Kollege Ullrich hätte noch eine Zwischenfrage.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte sehr, bevor ich zur SPD komme, die Zwischenfrage. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Kollege Koenigs, Sie haben gerade gesagt, dass der Kollege Peter Tauber von Menschenrechten nichts hielte. ({0}) Wie kommen Sie auf diese absurde Behauptung, und woher haben Sie dieses Zitat?

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe konkludent geschlossen, wie es der Präsident des Bundestages vorgegeben hat. ({0}) Wenn sich diese Partei und die Fraktion von ihrem rechten Rand vertreten lassen, und zwar der Fraktionsvorsitzende und der Generalsekretär, dann kann es doch nur so sein, dass sie das Thema nicht interessiert. ({1}) Jetzt zur stolzen Volkspartei SPD. Wenn die Dobrindt-Maut, die von niemandem gewollt wird, außer von einer kleinen, radikalen Minderheit, zur Abstimmung steht, dann werden Sie alle auf die Knie gehen und zustimmen, weil sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Die gesetzliche Grundlage für das DIMR zu schaffen, steht aber auch im Koalitionsvertrag. In diesem Fall setzen Sie sich aber gegen eine kleine, radikale Minderheit nicht durch - trotz Koalitionsvertrag. Ich frage mit der Bundeskanzlerin: Wie viel kleiner will sich die SPD eigentlich noch machen? ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Vaatz, Sie erhalten die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koenigs, Sie haben mich persönlich angesprochen. Ich möchte zu den subjektiven Unterstellungen, die Sie mir gegenüber haben fallen lassen, nichts weiter sagen. Aber eines möchte ich doch hinzufügen: Im Gegensatz zu mir haben Sie niemals den Entzug von fundamentalen Menschenrechten am eigenen Leib verspürt. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Frau Steinbach hat das Wort. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koenigs, was Sie hier eben gemacht haben, ist eine glatte Unverschämtheit. Sie sind nicht der einzige Mensch auf der Welt, der für Menschenrechte ist, ({0}) zumal Sie in Ihren jüngeren Jahren einmal einem blutrünstigen Regime Millionenbeträge gespendet haben. Trotzdem sind Sie ein halbwegs anständiger Mensch geworden. Sprechen Sie anderen nicht den Anstand ab, dass sie sich für Menschenrechte einsetzen! Das dürfen Sie hier nicht machen. Sie können es zwar machen, aber Sie diskreditieren sich damit selbst. Ich habe Sie einmal eigentlich für einen vernünftigen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung gehalten. Aber die Überheblichkeit, mit der Sie hier sprechen, lassen wir uns als Union nicht gefallen. ({1}) Wir wollen als CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit unserem Partner, der SPD, das Deutsche Institut für Menschenrechte stärken. Da haben wir noch einige Gespräche vor uns, die wir gemeinsam auf den Weg bringen. Wir sind in Verhandlungen und werden sie auch fortführen. Ich bin überzeugt: Wir kommen zu einem guten Ergebnis. Dieses Institut ist seinerzeit mit Stimmen aller in diesem Hause ins Leben gerufen worden. Meine Fraktion - wir „Menschenrechtsfeinde der CDU/CSU-Fraktion“, wenn Sie es wissen wollen - war auch dabei. Aber die Anforderungen, die an dieses Institut gestellt werden, sind nicht in vollem Umfang gemäß den Pariser Prinzipien. Es fehlt formal an einer gesetzlichen Grundlage. Es mangelt aber auch an einem weiteren wesentlichen Kriterium, an der notwendigen Breite der gesellschaftlichen Basis. Dennoch erhielt dieses Institut im Jahr 2001 durch den Akkreditierungsausschuss des ICC - einem Zusammenschluss der nationalen Menschenrechtsinstitutionen erstaunlicherweise den A-Status, der eigentlich eine volle Übereinstimmung mit den Pariser Prinzipien voraussetzt. Im Nachgang wurden dann Forderungen erhoben, das zu heilen. Zu dem Zeitpunkt, als diese Forderungen erhoben wurden, 2008, hatte dieses Institut ganze 14 Mitglieder. Auch heute scheint mir die angesprochene Breite noch nicht so zu sein, wie es nach unserem Dafürhalten erforderlich ist. Wir wollen als CDU/CSU-Fraktion dem Deutschen Institut für Menschenrechte eine Grundlage schaffen, die den Pariser Prinzipien voll und ganz entspricht. ({2}) Dieses Institut wirbt seit geraumer Zeit mit Nachdruck für eine Beibehaltung seiner bestehenden Vereinsstruktur. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat sich diese Haltung bislang zu eigen gemacht. Eine solche Lösung halten wir nicht für verfassungskonform; das sind unsere Bedenken. Der Gesetzgeber darf nach Artikel 9 des Grundgesetzes eingetragenen Vereinen keine dauerhafte Regelung zur gesetzlichen Vorgabe machen, da so die Mitgliederversammlung des Vereins in ihrer Gestaltungsfreiheit eingeschränkt würde. Da müssen wir sehen, wie wir einen Weg finden, die Inhalte und die Form kompatibel zu machen. ({3}) Um dieses Problem zu vermeiden, haben wir eine andere Rechtsform vorgeschlagen. Vielleicht gibt es aber auch noch andere Wege, die Dinge zu lösen; das will ich gar nicht ausschließen. Das dänische Menschenrechtsinstitut ist übrigens an das Außenministerium angegliedert, ohne dass dies durch das ICC kritisiert worden wäre. In Frankreich untersteht das Menschenrechtsinstitut dem Premierminister. Eine formale Angliederung an ein Ministerium bedeutet also prinzipiell keine unzulässige Einschränkung der Unabhängigkeit des Instituts im Sinne der Pariser Prinzipien. ({4}) Sonst dürfte das dänische Institut ja nicht den A-Status haben; schließlich ist es dort beim Außenministerium angesiedelt. Wir schlagen das Auswärtige Amt deshalb vor, weil dort bereits der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung angesiedelt ist. Somit könnte auch die Kompetenz im Bereich der Menschenrechte dort zusammengeführt, gebündelt werden. ({5}) Aber wir sind darauf nicht festgelegt. Grundsätzlich wäre es für uns auch vorstellbar, das Institut an den Deutschen Bundestag, an das Bundeskanzleramt oder auch an ein anderes Ministerium anzugliedern. Da ist eine Bandbreite vorhanden, über die man sich unterhalten kann. Im Übrigen sind wir der Auffassung, dass man die Menschenrechtssituation in Deutschland nur zutreffend bewerten und konstruktiv kritisieren kann, wenn man die nationale Situation mit der internationalen in eine Beziehung setzt. Das entspricht im Übrigen durchaus der Satzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Dort heißt es in § 2 Ziffer 1: Der Verein soll … über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland informieren … Man hat in der Satzung gleich zu Beginn festgelegt, dass beides zusammengehört, und so ist es ja auch. Uns ist wichtig: Wir wollen die erforderliche Unabhängigkeit der Institution im Gesetz ausdrücklich festschreiben. Kein Mensch will dieses Institut bevormunden; niemand, auch wir nicht. ({6}) Die Basis der Mitglieder muss pluralistisch zusammengesetzt sein, sodass sich die Breite der Zivilgesellschaft am Ende dort auch wiederfinden kann. Das Verfahren für die Aufnahme in diesen Kreis muss auch transparent sein und transparent gestaltet werden. ({7}) Im Einrichtungsbeschluss für das Institut, den alle Fraktionen im Jahr 2000 mitgetragen haben, heißt es wörtlich: Die anwendungsorientierte Ausrichtung des Instituts befähigt es u. a., Vertreter von Politik und Gesellschaft in Menschenrechtsfragen zu beraten und Handlungsstrategien zu empfehlen. Dies kann eigeninitiativ oder auf Anforderung geschehen. Mancher regt sich darüber auf, dass wir sagen: Auch die Bundesregierung kann dort Aufträge erteilen, wenn sie etwas wissen möchte. - Das entspricht voll unseren eigenen Vorstellungen. Noch eine Bemerkung zum Schluss. Die Statusübersicht des ICC, das übrigens keine völkerrechtlich anerkannte Organisation ist - entgegen dem, was man landauf, landab leider viel zu häufig lesen kann; entgegen dem, was rechtlich, formal vorhanden ist -, sondern lediglich ein Zusammenschluss nationaler Menschenrechtsinstitutionen, zeigt, dass der Status am Ende keinerlei Rückschlüsse auf die Menschenrechtslage in dem betreffenden Land zulässt. ({8}) So sind zum Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Institutionen Afghanistans, Nigerias, Venezuelas, Aserbaidschans und Russlands, um nur einige Beispiele zu nennen, mit dem A-Status akkreditiert. Nigeria! „Boko Haram“, sage ich da nur. ({9}) Das macht doch deutlich, dass die Situation eines Landes bezogen auf die Menschenrechte nicht am Status eines Instituts zu messen ist. Die Institutionen von Österreich, Belgien, Schweden und Norwegen haben den B-Status, und die Institution der Schweiz hat den C-Status. Über den Erhalt des deutschen A-Status entscheiden aktuell übrigens ({10}) Vertreter der nationalen Menschenrechtsinstitutionen aus Kanada, aus Palästina, aus Mauretanien und aus Frankreich. Man könnte natürlich ironisch sagen, dass damit faktisch die Hamas die Arbeit unseres Deutschen Instituts für Menschenrechte bewertet, und das will ich gar nicht weiter kommentieren. ({11}) Wir streben nach wie vor eine zeitnahe Einigung an und sind gesprächsbereit. Wir wollen das Institut auf eine gute, sichere Grundlage, auf der es frei arbeiten kann, stellen. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Annette Groth von der Linken das Wort. ({0})

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Steinbach, als Erstes möchte ich Sie fragen: Wie lange wollen Sie denn noch verhandeln? Wir verhandeln doch schon so lange, ({0}) und nie haben wir die Gelegenheit, diesen Antrag im Menschenrechtsausschuss zu beraten, weil er von der Regierungskoalition immer von der Tagesordnung genommen wird. Letzten Mittwoch war das das letzte Mal der Fall. Ich begreife es nicht. Uns rennt die Zeit davon; das wissen Sie doch genauso gut wie ich. März ist der Termin - Herr Koenigs hat das alles sehr gut dargelegt -, und wenn bis dahin das DIMR nicht auf eine gesetzliche Grundlage gestellt ist, verlieren wir den A-Status. Das wäre doch eine Schande, wo Deutschland doch gerade den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat hat. Ich will einmal aus einer Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zitieren: Deutschland hat in menschenrechtspolitischen Kreisen ein hohes Ansehen. Gelingt es nicht, eine gesetzliche Grundlage für das Institut zu schaffen, die seine Unabhängigkeit sichert, erfolgt die Rückstufung auf den B-Status. Nicht nur das DIMR, auch die Bundesrepublik Deutschland - insbesondere vor dem Hintergrund, dass Deutschland im Januar d. J. den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat übernommen hat - würde damit einen großen Reputationsverlust erleiden. Ich denke, wir alle haben kein Interesse daran, diese große Blamage auf uns zu nehmen. Geben Sie sich doch bitte einen Ruck, liebe Kollegin Steinbach, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dem Antrag der Grünen, der aus Ihrem Hause kommt, liebe SPD, zuzustimmen! ({1}) Ich möchte noch einen Takt zu A- und B-Status sagen. Immerhin 70 nationale Menschenrechtsinstitutionen weltweit haben den A-Status. Sie haben eben Nigeria angesprochen. Auch ich habe etwas gestutzt. Es ist ein Institut, das eine unglaublich wichtige und gute Menschenrechtsarbeit in Nigeria leistet, in einem Land - Sie haben es richtig gesagt -, wo Boko Haram Leute ermordet usw. usf. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Menschenrechtsinstitute, die den B-Status haben, wie Honduras, Bangladesch, Tschad und Algerien. Den B-Status in der Schweiz habe ich auch gesehen. Für mich heißt das, dass es auch dort gesetzliche Unregelmäßigkeiten gibt. Der Status eines Menschenrechtsinstituts ist also nicht gleichzusetzen mit der Lage der Menschenrechte in den Ländern. Das muss man einmal klar sagen. ({2}) Ich verstehe auch nicht, warum Sie krampfhaft suchen, wo das DIMR angegliedert werden kann: Auswärtiges Amt, Bundestag oder Bundeskanzleramt. Ich sehe darin keinen Sinn. Es muss unabhängig sein und eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Dann soll dieses Institut bitte schön ohne Störungen aus der Politik weiter arbeiten. Ich fürchte, dass es durch eine Anbindung an das Auswärtige Amt oder anderswo die Unabhängigkeit verlieren würde. Es wird sehr häufig angeprangert oder kritisiert, dass das DIMR sich eventuell zu sehr mit den Menschenrechtsverletzungen in Deutschland befasst. Dafür ist es auch da. Wir können es doch nicht schönreden, wenn bei uns Menschenrechtsverletzungen in Flüchtlingsheimen, in Gefängnissen, in Pflegeheimen usw. usf. passieren. ({3}) Das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Dies steht auch in den Pariser Prinzipien. Noch einmal: Ich hoffe, dass Sie sich alle einen Ruck geben und wir die kurze Frist, die uns noch bleibt, nutzen, um das DIMR auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und seine Unabhängigkeit zu wahren. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Frank Schwabe. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Deutsche Institut für Menschenrechte genießt höchstes Vertrauen von allen Institutionen in Deutschland, von Nichtregierungsorganisationen, von Verbänden aller Art, den Kirchen, aber auch von den Regierungsstellen, in dem, was es national tut, und zwar genau so, wie es ist. Es genießt höchsten internationalen Respekt und hat die höchstmögliche internationale Reputation, ebenfalls genau so, wie es ist. Diese Reputation zu gefährden, wäre ein menschenrechtspolitischer Frevel und würde der Bundesrepublik Deutschland einen, wie ich finde, nicht zu verantwortenden außenpolitischen Schaden zufügen. ({0}) Mir fehlte die Fantasie, dass wir das am Ende fertigbringen könnten. Ich gehe davon aus, dass es in einer LastMinute-Aktion noch gelingt, den A-Status zu retten. Hier im Hause gab es - das ist gerade deutlich gemacht worden - im Jahr 2000 für dieses Institut eine breite politische Mehrheit über alle Fraktionen hinweg. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass diese breite politische Mehrheit auch jetzt in diesem Hause, vielleicht nicht am Freitagnachmittag, grundsätzlich da sein müsste. Das Deutsche Institut für Menschenrechte untersucht zuvörderst die Menschenrechtslage im Inland. Genau das ist die einem Menschenrechtsinstitut innewohnende Logik. Erst dadurch wird es im Übrigen möglich, das, was im internationalen Kontext an Menschenrechtsverletzungen stattfindet, wirksam zu kritisieren. Das Institut muss selbst entscheiden, wo es den Finger in die Wunde legt, was es in Deutschland untersucht. Selbst wenn oder - man muss es vielleicht sogar andersherum sagen - gerade weil uns das manchmal nicht gefällt, muss das so sein. Deswegen ist für uns, die Sozialdemokratie, vollkommen klar, dass der Vereinsstatus die richtige Lösung ist und es dabei auch bleiben muss. ({1}) Wo stehen wir jetzt eigentlich? Es ist gerade umfänglich berichtet worden. Es gibt ein Überprüfungsgremium, das von den Vereinten Nationen eingesetzt ist, und dieses fordert nun einmal eine gesetzliche oder verfassungsmäßige Grundlage. Wir wissen schon lange, dass die Klärung dieser Frage ansteht. Es gibt dafür eine Galgenfrist bis zum 16. März. Wenn wir die Frage bis dann nicht klären, wird uns der sogenannte A-Status entzogen und damit zentrale Mitwirkungsrechte in den Gremien des UN-Menschenrechtsrats. Es gibt dazu eine jahrelange Debatte in diesem Hause, auch in vorherigen Koalitionen. Im Übrigen gibt es einen Koalitionsvertrag, bei dem ich davon ausgehe, dass er eingehalten wird. Im Koalitionsvertrag heißt es: Das Deutsche Institut für Menschenrechte soll eine stabile Grundlage auf der Basis der „Pariser Prinzipien“ erhalten. Das UN-Gremium selbst, von dem wir gerade geredet haben, sagt, dass alle Pariser Prinzipien eingehalten werden - außer die gesetzliche Grundlage. Deswegen ist eigentlich relativ klar, was zu tun ist. Ich danke dem Bundesjustizminister dafür, dass er sich im Sinne des Koalitionsvertrages auf den Weg gemacht hat, fleißig war und einen Vorschlag vorgelegt hat, den die Grünen abgeschrieben haben. Es ist aber auch nicht so kompliziert, weil es am Ende darum geht, ein gut funktionierendes Institut schlichtweg auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Wahrscheinlich hätten wir alle den Gesetzentwurf ganz gut selbst formulieren können. ({2}) Die gesamte versammelte Öffentlichkeit unterstützt im Übrigen diesen Vorschlag; ({3}) ich kenne niemanden in der Öffentlichkeit, der ihn nicht unterstützt. Es gibt ein Dutzend Briefe von allen Möglichen an alle Möglichen - über 60 Organisationen, darunter die 52 Mitgliedsorganisationen des Forums Menschenrechte. Deswegen kann ich ein Argument wirklich nicht verstehen: dass das Institut nicht die Breite der Gesellschaft abbilden würde. Ich habe niemanden aus der Breite der Gesellschaft gehört, der das Institut, so wie es gerade konstituiert ist, kritisiert. Insofern kann ich das Argument nicht nachvollziehen. Wir haben Briefe von der EKD, von der Evangelischen Kirche in Deutschland, den deutschen Bischöfen, dem Deutschen Roten Kreuz, dem Deutschen Behindertenrat, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Richterbund und dem Forum Menschenrechte bekommen. Ich will nur aus dem Brief des Deutschen Roten Kreuzes zitieren. Dort wird formuliert: Eine gesetzliche Grundlage ist die letzte verbliebene Voraussetzung für den Erhalt des sogenannten A-Status des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Auch hieran wird bemessen, welchen Stellenwert Deutschland der Wahrung der Menschenrechte im In- und Ausland einräumt. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Rudolf Seiters. ({4}) Ich könnte auch ACAT, Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter, zitieren - ein kleiner, wichtiger Verein, der sich in großer Sorge an den Bundestagspräsidenten gewandt hat, und zwar auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes. Wir haben schon den Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen übernommen; auch das ist schon angesprochen worden. Ich mag mir wirklich die Blamage nicht vorstellen, wenn wir während dieses Vorsitzes im Menschenrechtsrat den A-Status verlieren würden. Das wäre jedenfalls ein gefundenes Fressen für genau die Länder, die sich den Menschenrechten eben nicht verschworen haben; sie sind gerade zum Teil aufgezählt worden. Genau diese Länder würden sich darüber freuen, wenn wir diese Blamage erleiden würden. Deshalb appelliere ich an alle miteinander in diesem Haus - an die Bundesregierung und an uns selbst -, dies zu verhindern, schon allein, weil wir aus Gründen der Staatsräson allen Schaden von Deutschland mit seiner außenpolitischen Rolle abwenden müssen. ({5}) Ich habe Dinara Yunus vor Augen; andere sind ja auch Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Dinara Yunus ist die Tochter von Leyla und Arif Yunus, die gerade in Aserbaidschan im Gefängnis sitzen. Man kann an den Vereinten Nationen vieles kritisieren, etwa dass Saudi-Arabien im Menschenrechtsrat ist; aber es sind nun einmal die Vereinten Nationen. Folgendes Argument verstehe ich jedoch nicht: Weil Aserbaidschan den A-Status hat und das wahr8482 scheinlich auch problematisch ist, sollten wir uns selbst schwächen, indem wir uns, wenn wir nur noch den BStatus haben, nicht mehr äußern können, nicht mehr dem Vertrauen von Dinara Yunus und anderen gerecht werden können? Das kann ich nicht nachvollziehen. Diese Selbstbeschneidung ist falsch. Sie muss verhindert werden. Ich hoffe, dass wir den Schaden abwenden und noch zu einer kurzfristigen Lösung kommen. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dr. Fabritius von der CDU/ CSU das Wort. ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie es mich vorwegnehmen: Die Bewahrung und Förderung der Menschenrechte ist eine unserer vornehmsten Aufgaben. Die Idee universeller, unteilbarer und unveräußerlicher Menschenrechte ist eine unserer größten Errungenschaften. Dass Sie, Herr Kollege Koenigs, der Union sinngemäß ein distantes Verhältnis zu Menschenrechten unterstellen, ist eine bodenlose Frechheit. ({0}) Dort, wo Menschenrechte tatsächlich zur Geltung kommen, haben sie ein nie dagewesenes Maß an Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen, aber auch Vertrauen und Sicherheit geschaffen. Auch wenn - oder gerade weil - das Schutzniveau der Menschenrechte in unserem Land sehr hoch ist, bleibt es für uns eine Selbstverständlichkeit, ihre Einhaltung auch weiterhin zu sichern und, wo nötig, Verbesserungen vorzunehmen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte wurde gegründet, um an dieser Aufgabe mitzuwirken. Seine Arbeit ist von hohem Wert für die Menschen in unserem Land und darüber hinaus. Gerade deshalb ist es für uns wichtig, das Institut auf eine stabile Grundlage auf Basis der Pariser Prinzipien zu stellen. Daher haben wir das auch genau so und nicht anders im Koalitionsvertrag festgehalten. ({1}) Die Pariser Prinzipien fordern vor allem ein - ich zitiere - „in einem Dokument mit Verfassungs- oder Gesetzesrang klar festgelegtes Mandat, in dem ihre Zusammensetzung und ihr Zuständigkeitsbereich im einzelnen beschrieben sind“. Notwendig sind weiter die gesetzlich festgeschriebene Unabhängigkeit des Instituts sowie ich zitiere erneut - „Garantien für die pluralistische Vertretung der an der Förderung und am Schutz der Menschenrechte beteiligten gesellschaftlichen Kräfte ({2})“. Die Pariser Prinzipien sagen uns auch ganz genau, was dieses nationale Institut soll. Es hat unter anderem die Aufgabe - Zitat - „in beratender Eigenschaft der Regierung, dem Parlament und jedem anderen zuständigen Organ entweder auf Ersuchen der betreffenden Behörden oder in Ausübung ihrer Befugnis, von Amts wegen tätig zu werden, Ansichten, Empfehlungen, Vorschläge und Berichte zu allen die Förderung und den Schutz der Menschenrechte betreffenden Fragen vorzulegen“. Genau das wollen wir. Menschenrechtsinstituten, die derartige Kriterien erfüllen, wird der A-Status verliehen. Natürlich sollte es auch das Ziel Deutschlands sein, diesen Status, den unser Institut schon seit 15 Jahren hat, weiterhin zu erhalten. Schließlich gehen mit diesem Status unter anderem erweiterte Partizipationsrechte des Instituts im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einher - mehr aber nicht. Es ist ein Fehler, von der Klassifizierung eines Instituts auf die Menschenrechtslage in dessen Land zu schließen. Die Kollegin Steinbach hat es bereits angesprochen. Auch Länder mit einer, vorsichtig formuliert, eher bescheidenen Reputation, was die Wahrung von Menschenrechten anbelangt, präsentieren Institute, die mit diesem A-Status akkreditiert sind. Es sind schon Namen genannt worden: Mexiko, Aserbaidschan, Russland. Wenn sogar Länder wie Kamerun und Uganda den A-Status verliehen bekommen, ({3}) dann ist dieser Status weder eine unmittelbare menschenrechtliche Referenz noch ein Ziel, dem man alles andere zulasten einer genauen Regelung bedingungslos unterordnen sollte. ({4}) Uns ist es wichtiger, das Deutsche Institut genau den Pariser Prinzipien entsprechend aufzustellen - auch wenn das noch ein paar Wochen dauert -, weil ein Ministerialentwurf in der parlamentarischen Wirklichkeit zwar eine gute Diskussionsgrundlage sein kann, das Argumentieren und Kämpfen um die beste Lösung aber mitnichten entbehrlich macht. Bei Beurteilung der Statusfrage und deren Dringlichkeit sollte man sich auch anschauen, auf welche Weise die Institutionen ihren jeweiligen Status zugesprochen bekommen; auch das wurde bereits angesprochen. Dieser Status wird mitnichten von den Vereinten Nationen verliehen, wie das auch heute ein paarmal falsch behauptet wurde. Das entscheiden die Institute nämlich selbst, genauer gesagt die Mitglieder des ICC, einem Zusammenschluss der nationalen Menschenrechtsinstitutionen mit A-Status. Stimmberechtigt sind laut Statut des ICC nur die Länder mit A-Status. Russland, Aserbaidschan und Uganda gehören also zu den Auserwählten, die über diesen Status entscheiden. Es gibt übrigens - auch das ist sehr interessant - eine Reihe von Ländern, die einen ähnlich hohen Menschenrechtsstandard aufweisen wie Deutschland und deren InDr. Bernd Fabritius stitute dennoch nicht mit dem A-Status akkreditiert sind. Österreich hat nur einen B-Status, die Schweiz gar einen C-Status. Einen eingehenden Vergleich der Schweiz mit Aserbaidschan, Russland oder Uganda und ihrer jeweiligen Reputation im Bereich der Menschenrechte erspare ich Ihnen. ({5}) Meine Damen und Herren, ich sage es nochmals: Wir wollen den A-Status erhalten, ({6}) damit unser deutsches Institut seinen vollen Handlungsspielraum behält und seine wichtige Arbeit weiterhin im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zur Geltung bringen kann. Wir wollen eine klare und den Pariser Prinzipien entsprechende Struktur. Wir wollen ein Institut, das in seiner Arbeit unabhängig ist und dessen Finanzierung klar und deutlich geregelt ist. Wir wollen übrigens wirkliche Unabhängigkeit und verwechseln diese nicht mit Einseitigkeit. Genau deswegen wollen wir in den Gremien des Instituts die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft gespiegelt sehen, wie es in den Pariser Prinzipien gefordert wird. Das Institut soll seine Aufgabe mit einem klaren und geschärften Blick nach Deutschland wahrnehmen, dabei aber schon alleine aus Gründen der Vergleichbarkeit die Augen vor der Situation in aller Welt nicht verschließen. Das alles leistet Ihr Gesetzesentwurf, meine Damen und Herren von den Grünen, nicht. Sie schreiben schon am Anfang Ihres Entwurfes die Rechtsform eines eingetragenen Vereins fest ({7}) - ich komme noch dazu - und verkennen, dass aufgrund der in Deutschland geltenden und mit Verfassungsrang ausgestatteten Vereinsfreiheit die gewünschten Inhalte so überhaupt nicht gesetzlich geregelt werden können. Regelungsinhalte, wie die Pariser Prinzipien sie erfordern, sind in Vereinen der Entscheidung der Vereinsmitglieder in Mitgliederversammlungen vorbehalten und können von diesen immer wieder geändert und nicht etwa durch den Gesetzgeber verbindlich vorgegeben werden; schon gar nicht in einem konkreten Einzelfall. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koenigs zu?

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben am Anfang Ihrer Rede gesagt, dass der Vereinsstatus verfassungsrechtlich problematisch sei.

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist Ihnen bekannt, dass das Deutsche Rote Kreuz e. V. auch eine gesetzliche Grundlage hat?

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, lieber Herr Kollege. Das Deutsche Rote Kreuz ist zwar ein Verein, ({0}) für den ein DRK-Gesetz verabschiedet wurde. Bei genauer Betrachtung erkennen Sie und auch der Kollege Schwabe aber sehr schnell, dass darin keinesfalls Regelungen enthalten sind, die mit der für unser Institut geplanten stabilen Grundlage auch nur am Rande vergleichbar sind. Wir reden beim DRK-Gesetz von einem sogenannten „Drei-Paragrafen-Finanzierungsgesetz“ - das den Pariser Prinzipien überhaupt nicht entsprechen muss -, in dem grob die Aufgaben umrissen, eine Finanzierung angesprochen und der Zeichenschutz - das rote Kreuz auf weißem Grund - geregelt sind; mehr nicht. So ein Gesetz können Sie gerne haben. ({1}) Für eine vereinsrechtliche Lösung benötigen wir überhaupt kein Gesetz, weil unser BGB, das Bürgerliche Gesetzbuch, für Vereine bereits eine klare und ausreichende Rechtsgrundlage bietet. Was Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf erreichen wollen, ist bestenfalls ein Feigenblatt, aber keine stabile gesetzliche Grundlage. Eine solche wollen wir aber unbedingt für unser Institut. Genau dafür laufen die Gespräche in der Koalition. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald zu einer guten Lösung kommen, ({2}) die den Vorgaben der Pariser Prinzipien voll und ganz entspricht. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Johannes Fechner von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! In der Tat leistet das Deutsche Institut für Menschenrechte seit über 15 Jahren wichtige Arbeit. Es liefert umfassende Berichte und wird von vielen gesellschaftlichen Organisationen geschätzt und respektiert. Dabei räume ich ein, dass die Berichte oft kritisch sind und ich nicht jeden Satz unterschreiben würde; aber immer - und das ist ja die Aufgabe des Instituts - sind es fundierte und lesenswerte Beiträge zu aktuellen Menschenrechtsthemen. Gerade weil wir im Rahmen der Außenpolitik im Ausland von vielen Staaten die Einhaltung der Menschenrechte fordern, wäre es eine große Blamage, wenn ausgerechnet wir selbst den A-Status verlieren und das Institut in die zweite Menschenrechtsliga absteigen würde. ({0}) Lassen Sie uns diese Blamage alle gemeinsam verhindern. Die SPD macht sich alles andere als klein, Herr Kollege Koenigs. ({1}) Wenn Sie wüssten, zu welchen Tageszeiten und wie intensiv wir mit unseren Freunden von der Union hierüber verhandelt haben, dann wüssten Sie, dass wir schon eine Menge verhindert haben, ({2}) insbesondere das Modell der öffentlich-rechtlichen Anstalt. Wir brauchen also ein Gesetz, das die staatliche Unabhängigkeit des Instituts garantiert. Ich finde, zu Recht hat der Deutsche Bundestag im Jahr 2000 das Deutsche Institut für Menschenrechte als Verein gegründet, und zwar mit Zustimmung aller Fraktionen im Bundestag. ({3}) Wenn nun die Tätigkeit des Instituts von den Verbänden allseits gelobt wird, warum sollen wir dann diese Struktur, die sich in den letzten 15 Jahren bewährt hat, ändern? ({4}) Ich finde, es ist geradezu logisch, die Vereinsstruktur beizubehalten. Deshalb war es richtig, dass in dem Gesetzentwurf des Justizministers vorgesehen war, das Institut als Verein fortzuführen. In der Ressortabstimmung hatten alle Minister keine Einwände und haben zugestimmt. Ich war überrascht und habe kein Verständnis dafür, dass dieser Gesetzentwurf im Kanzleramt gestoppt wurde. ({5}) Der Vorschlag der Union, eine Anstalt des öffentlichen Rechts im Auswärtigen Amt einzurichten, hilft nicht. Ich glaube, das wäre der direkte Weg in den Entzug des A-Status; denn dann wäre das Institut der Fachund auch der Rechtsaufsicht unterworfen. Damit wäre es nicht mehr unabhängig, was der Fall sein muss, wenn wir die Pariser Prinzipien einhalten wollen. ({6}) Hinzu kommt, dass wir für die von Ihnen gewünschte Schwerpunktverlagerung hin zur Auslandsbeobachtung der Menschenrechtssituation, was sicherlich eine wichtige Aufgabe ist, andere Stellen haben, zum Beispiel den Menschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte soll ja gerade nicht nur die Menschenrechtssituation im Ausland beobachten, sondern seinen Schwerpunkt auf die Beobachtung der Menschenrechtssituation in Deutschland legen. ({7}) Ich habe auch Zweifel, ob das Deutsche Institut für Menschenrechte, wie es heute aufgestellt ist, personell überhaupt in der Lage wäre, die von Ihnen gewünschten weiteren Aufgaben, was die Prüfung der Menschenrechtssituation im Ausland angeht, zu übernehmen. Sie müssten Vorschläge unterbreiten, wie Sie das Personal aufstocken wollen. Insbesondere nicht nachvollziehen kann ich den Einwand, dass hier ein Verstoß gegen das Vereinsrecht vorliegen soll - mal ganz abgesehen davon, dass das seit 15 Jahren problemlos funktioniert -; denn im Gesetzentwurf heißt es ausdrücklich, dass der Verein die deutsche nationale Menschenrechtsinstitution ist, ({8}) wenn und solange der Verein die gesetzlich vorgegebenen Aufgaben wahrnimmt und die pluralistischen Vereinsstrukturen einhält. Das heißt, der Verein ist grundsätzlich frei. Er kann machen, was er möchte. Die Mitgliederversammlung kann beschließen, was sie will. Natürlich besteht das Risiko, dass Zuschüsse entzogen werden, wenn sich der Verein von den vom Gesetzgeber vorgesehenen Aufgaben abwendet. Aber ein Verstoß gegen die Vereinsfreiheit liegt hier auf keinen Fall vor. ({9}) Gerade weil wir von vielen Diktaturen in der Welt die Einhaltung von Menschenrechten fordern und gerade weil das Institut eine wichtige Funktion hat und von den Verbänden allseits geschätzt wird, wäre der Verlust des A-Status eine riesige Blamage für Deutschland. Ich apDr. Johannes Fechner pelliere deshalb an die Union, die Blockade aufzugeben - wir haben nicht mehr viel Zeit - und in den jetzt anstehenden Beratungen den Weg freizumachen für eine gesetzliche Grundlage für eine Institution, die seit vielen Jahren hervorragend arbeitet, die wertvolle Arbeit leistet, als staatlich unabhängiger Verein. Liebe Frau Steinbach, lassen Sie uns in diesem Punkt konservativ sein: Bewahren wir Bewährtes. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/4089 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt, den Tagesordnungspunkt 20, auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates ({0}) Drucksache 18/4050 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange für die Bundesregierung das Wort. ({2})

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es um das Bilanzrecht geht, dann leiten uns zwei große Ziele: erstens Transparenz für die interessierte Öffentlichkeit dort, wo es darauf ankommt, und zweitens Abbau von unnötiger Bürokratie zur Entlastung der Unternehmen. Mit dem Gesetzentwurf, der Ihnen jetzt vorliegt, wollen wir die überarbeitete EU-Bilanzrichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Wir nehmen dieses Vorhaben zum Anlass, um, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger von unnötiger Bürokratie weiter zu entlasten. Dazu nutzen wir die Spielräume, die die Richtlinie uns bietet. Denn wir wollen die Erleichterungen bei der Rechnungslegung möglichst vielen Unternehmen zukommen lassen. Wir erhöhen deshalb die Schwellenwerte, wie lange ein Unternehmen noch als klein gilt, um 20 Prozent. Damit schöpfen wir den Spielraum vollständig aus. Das wird rund 7 000 deutschen Mittelständlern zugutekommen. Als kleine Unternehmen müssen sie dann beispielsweise weniger Angaben in ihren Jahresabschlüssen machen, keinen Lagebericht aufstellen und den Jahresabschluss auch nicht zwingend von einem Abschlussprüfer prüfen lassen. Wir entlasten kleine Unternehmen außerdem durch weitere Vereinfachungen bei der Rechnungslegung. So streichen wir etwa die Pflicht, bestimmte Angaben im Jahresabschluss zu machen. Der Gesetzentwurf ändert im Übrigen das Handelsbilanzrecht, um mehr Transparenz zu schaffen. Die Vorgaben für Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse wollen wir harmonisieren und damit deren Vergleichbarkeit erhöhen. Wir können dabei auf das 2009 grundlegend modernisierte deutsche Bilanzrecht aufbauen. Meine Damen und Herren, Erleichterungen bei der Rechnungslegung schaffen wir aber nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für mehr als 2 000 Kleinstgenossenschaften. In den vergangenen Jahren haben sich Genossenschaften als wichtige Rechtsform bürgerschaftlichen Engagements entwickelt. Dorfleben, Wohnprojekte oder die Förderung erneuerbarer Energie - all dies wird heute auch in Form von Genossenschaften betrieben. Dieses Engagement wollen wir fördern und stärken. Deshalb wollen wir mit diesem Gesetz in einem ersten Schritt kleine Genossenschaften von unnötiger Bürokratie bei der Rechnungslegung entlasten. Mit diesem Gesetzentwurf werden wir auch ein neues Element in das Handelsbilanzrecht einführen. In Zukunft sollen bestimmte große Rohstoffunternehmen offenlegen müssen, ob sie Geld an staatliche Stellen zahlen. Dies soll für große Unternehmen gelten, die beispielsweise Öl, Gas oder Kohle fördern. Diese Regelung soll vor allem rohstoffreichen Entwicklungs- und Schwellenländern helfen. Mehr Transparenz soll Korruption verhindern und für eine bessere Regierungsführung in diesen Ländern sorgen. Deutschland und die Europäische Union insgesamt stehen damit an der Seite der USA und Kanadas. Diese Länder haben für ihre Rohstoffunternehmen bereits vergleichbare Berichtspflichten eingeführt. Wir haben uns bei diesem Gesetzentwurf darauf konzentriert, die EU-Bilanzrichtlinie umzusetzen. Ich weiß sehr wohl, dass es noch andere Reformwünsche gibt. Aber es gibt auch eine klare Vorgabe, bis wann wir diese Richtlinie umzusetzen haben - um genau zu sein: bis zum 20. Juli dieses Jahres. Deshalb sollten wir diesen Gesetzentwurf jetzt zügig beraten, damit wir die Vorgabe einhalten, vor allen aber, damit die Entlastungen für die kleinen Unternehmen möglichst rasch in Kraft treten können. Meine Damen und Herren, ich bitte um Unterstützung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Richard Pitterle von der Linken das Wort. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In welches Unternehmen würden Sie lieber investieren: in eines mit guten oder in eines mit schlechten Zahlen? Doch wohl sicher in das mit den guten Zahlen. Ärgerlich nur, wenn diese guten Zahlen gar nicht stimmen und Ihr Geld am Ende futsch ist, weil ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen geschönte Zahlen abgesegnet hat. Ich werde Ihnen gleich noch erklären, was das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun hat. Grundsätzlich soll mit dem heutigen Entwurf die EUBilanzrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Im Großen und Ganzen geht es dabei darum, die Rechnungslegung von Unternehmen in der Europäischen Union zu harmonisieren und teilweise auch zu vereinfachen, indem Standards vereinheitlicht werden. Von der Maschinenbaufirma im Ländle über die kleine Whiskybrennerei in den schottischen Highlands bis hin zum europaweit tätigen Großkonzern, künftig sollen alle Unternehmen auf der weiten Wiese des europäischen Binnenmarktes nach denselben Regeln spielen, insbesondere was ihre Jahresabschlussrechnungen angeht. Damit sind wir schon bei einem springenden Punkt und den eingangs erwähnten geschönten Zahlen: Denn wenn man sich schon mit EU-konformen Regelungen zu Jahresabschlüssen der Unternehmen in Deutschland beschäftigt, dann muss man sich dringend auch mit den immer wieder zutagetretenden Mängeln bei der Kontrolle dieser Jahresabschlüsse durch die Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer auseinandersetzen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, hier haben Sie nach wie vor Scheuklappen auf. Ich will es Ihnen kurz erklären: Die Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer kontrollieren die Jahresabschlüsse und sitzen somit an einer Schlüsselstelle, wenn es um die Einschätzung des tatsächlichen wirtschaftlichen Zustands eines Unternehmens geht. Hier liegt ein Problem: Die Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer müssen einerseits bei ihrer Tätigkeit objektiv sein, werden - paradoxerweise - andererseits aber von denen bezahlt, deren Rechnungen sie prüfen müssen und von denen sie sich Folgeaufträge erhoffen oder versprechen. Vorsichtig gesagt: Eine Interessenkollision liegt hier nicht fern, und es besteht die Gefahr der Kungelei. Schlecht ist auch, dass enorm viel Macht in wenigen Händen liegt: Weltweit dominieren nämlich die sogenannten Big Four; das sind die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG, Ernst & Young, PricewaterhouseCoopers und Deloitte, die schon des Häufigeren für Negativschlagzeilen gesorgt haben. Nehmen wir einmal die Finanzkrise: Eine der Ursachen der Krise war, dass die Jahresabschlüsse verschiedener Banken von diesen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nur sehr mangelhaft geprüft wurden und geschönte Zahlen am Ende zu einem Riesencrash geführt haben. Das sind leider keine Einzelfälle. Immer wieder gibt es Kritik wegen der hier herrschenden Interessenkonflikte und daraus resultierenden Mängeln bei der Prüfung. Ganz nebenbei: PricewaterhouseCoopers zum Beispiel hat auch bei Steuerumgehungsmodellen der Luxemburg-Leaks-Affäre kräftig mitgeholfen, Riesensummen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler am Fiskus vorbeizuschleusen. - Sehr vertrauenerweckend, nicht wahr? Das größte Problem ist, dass es keine unabhängige Aufsicht über die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfungsunternehmen gibt. Sowohl die Wirtschaftsprüferkammer als auch die Abschlussprüferaufsichtskommission kranken an der Verquickung eigentlich streng zu trennender Interessen. Immer wieder wurde das hier zuständige Bundeswirtschaftsministerium darauf hingewiesen; trotzdem hat die Bundesregierung seit Jahr und Tag nichts unternommen, um für Abhilfe zu sorgen. ({0}) Auch die Antworten der Bundesregierung auf zwei kürzlich ergangene Anfragen der Linken zeugen vor allem von Realitätsverweigerung. Angeblich sei alles in Ordnung, Interessenkonflikte gebe es nicht. Da kann ich nur sagen: Wer’s glaubt, wird selig. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Die bestehenden Interessenkonflikte im Bereich der Wirtschaftsprüfung müssen abgestellt und die Unabhängigkeit der Prüferinnen und Prüfer von den auftraggebenden Unternehmen sichergestellt werden. Es darf nicht sein, dass wir uns nur mit der Harmonisierung der Zahlen der Jahresabschlüsse beschäftigen - da werden wir uns, glaube ich, sehr schnell einig -, wir dürfen auch die Aufsicht über diese Zahlen nicht aus dem Blick verlieren. Die Linke wird dafür sorgen, dass dies nicht geschieht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Professor Dr. Hirte von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Das Bilanzrecht steht nicht gerade auf der Hitliste unserer Themen. Wir sind die Letzten am Freitagnachmittag, und der Saal ist nicht mehr besonders gefüllt. Das ist ziemlich traurig. Deshalb möchte ich eingangs sagen - fast würde ich sagen: vor allen Dingen auch für die Zuhörer -, worum es bei Bilanzen eigentlich geht. Herr Pitterle hat das im Übrigen auch schon ganz ähnlich getan. In erster Linie geht es darum, den Wert eines Unternehmens zu ermitteln und darzustellen; denn wir müssen wissen, wie viel ein Unternehmen wert ist, um feststellen zu können, ob es etwas an die Gesellschafter und die Arbeitnehmer ausschütten kann. Außerdem müssen wir dies wissen, wenn die Anteile dieser Unternehmen gehandelt werden. Bei Aktiengesellschaften geht es in erster Linie um die Frage: Was ist die Aktie wert? Früher haben wir hier - ich sage es einmal so - Erbsenzählerei betrieben. Wir haben alle Einzelteile addiert - die Maschinen, die Schornsteine und die Grundstücke und gesagt: Das ist der Unternehmenswert. Nach dem Bilanzrecht geht man auch heute noch so vor. Allerdings wissen wir, dass der Unternehmenswert deutlich höher ist als die Summe der Einzelteile. Deshalb nehmen wir heute im Bilanzrecht selbstgeschaffene immaterielle Vermögensgegenstände zur Kenntnis und beziehen die Forschungs- und Entwicklungskosten ein. Das alles ist richtig, weil es Teil einer - ich sage dies ganz bewusst Nachhaltigkeitsstrategie ist, zu der wir im Bilanzrecht auch noch weitere Vorstöße erwarten. In diesem Zusammenhang - darüber diskutieren wir gerade - ist auch auf die CSR-Richtlinie auf europäischer Ebene - die Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie - hinzuweisen, die das einbeziehen wird. Wichtig ist aber die Vergleichbarkeit der Werte, da solche Unternehmensanteile auch grenzüberschreitend gehandelt werden. Deshalb gibt es hierfür einen europäischen Rechtsrahmen - bislang in Form von zwei Richtlinien. Die eine regelt den Einzelabschluss, die andere regelt den Konzernabschluss. Dieser Rechtsrahmen wird in der schon angesprochenen EU-Bilanzrichtlinie zusammengefasst und ist aufgrund der Vergleichbarkeit wichtig, und wir gehen bei manchen Punkten sogar noch über die bestehenden internationalen Rechnungslegungsstandards für die Vergleichbarkeit hinaus. Diese Zusammenfassung ist der Kern des Gesetzentwurfs; denn wir müssen die Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Deshalb enthält der Gesetzentwurf - dies muss man auch sagen - auch viele technische und sprachliche Details. Politisch wichtiger aber ist die Ausnutzung der Wahlmöglichkeiten und der Spielräume, die die Richtlinie eröffnet. Dazu hat Staatssekretär Lange ja schon einiges gesagt. Wir wollen die Schwellenwerte des § 267 HGB anheben, die der Abgrenzung von kleinen, mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften dienen. Hinter diesen Schwellenwerten stehen unterschiedlich intensive Prüfungsmaßstäbe und Offenlegungsstrategien. Das bedeutet: Dahinter stehen auch Kosten. Man muss deutlich sagen: Wir brauchen Transparenz, aber sie ist nicht umsonst zu haben. Bei einem großen börsennotierten Unternehmen gehen die Jahresabschlusskosten in die Millionen. Herr Pitterle, es ist richtig, dass Sie richtige Zahlen und die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers wollen, aber wir müssen abwägen zwischen den Kosten, die das Ermitteln der richtigen Zahlen auslöst, und dem Gewinn des Unternehmens, der für das Ermitteln genau dieser richtigen Zahlen geschmälert wird. ({0}) Unsere Abwägung geht hier einen Schritt weiter in die richtige Richtung. Wenn die gesamten erwirtschafteten Gewinne eines Unternehmens für die Eigenkontrolle verwendet werden, dann ist das Unternehmen tot. ({1}) Wir heben deshalb die Schwellenwerte auf das EUweit höchstzulässige Maß an. Das bedeutet, wie gesagt, eine deutliche Kostenersparnis. Für kleine Kapitalgesellschaften wird die Bilanzsumme von knapp 5 auf 6 Millionen Euro und die Umsatzgrenze von 9,7 auf 12 Millionen Euro angehoben. Für mittelgroße und große Kapitalgesellschaften erhöht sich die Bilanzsumme von 19 auf 20 Millionen Euro, und die Umsatzerlöse steigen auf 40 Millionen Euro. Für Kleinstkapitalgesellschaften gibt es, so meint man, eine Gegenentwicklung. Allerdings ist das meines Erachtens eine sachliche Richtigstellung. Bestimmte vermögensverwaltende Kapitalgesellschaften, in denen es durchaus auch zu Missbrauch kommen kann, erhalten - das ist ganz in Ihrem Sinne - keine Prüfungserleichterungen. Insgesamt - das sollte man deutlich sagen - geht es für den deutschen Mittelstand um eine Kostenersparnis von circa 90 Millionen Euro. Vielen Dank für den Vorschlag. ({2}) Im Zusammenhang mit diesen Zahlen gibt es eine ganze Reihe von technischen Einzelheiten. Bestimmte Angabepflichten - darauf möchte ich hinweisen - werden für die kleinen Kapitalgesellschaften entfallen. Umgekehrt gesagt - damit sind wir wieder bei der größeren Richtigkeit von Zahlen, aber auch bei den damit verbundenen Kosten -: Für die großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften werden weitere Angabepflichten eingeführt. Wir steigern in diesem Punkt die Transparenz. Deshalb müssen wir bei den kleinen Kapitalgesellschaften, die uns am Herzen liegen, die Angabepflichten ein bisschen verringern. Ich möchte eine Querbemerkung dazu machen, weil wir das im Moment diskutieren: Stichwort „Frauenquote“. Wir wollen die Angaben im Zusammenhang mit der Frauenquote in den Lagebericht aufnehmen. Ich selbst habe das vor einiger Zeit vorgeschlagen und halte das für richtig. Man muss auch hier dazusagen: Das löst gewaltige Kosten aus. Aber wir müssen eben genau diese Abwägung vornehmen. An dieser Stelle zeigt sich, dass wir im Wege des politischen Prozesses versuchen, ein richtiges Maß zwischen diesen Kosten und dem Informationszugewinn zu erreichen. Was ist sonst noch? Die Transparenz bei den Kapitalgesellschaften & Co. - das ist die GmbH und Co. - wird erhöht. Dadurch wird die Vergleichbarkeit mit der Kapitalgesellschaft verbessert. Für diejenigen, die sich ein bisschen mit Bilanzrecht beschäftigt haben: Die Angaben unter dem Strich - das sind die sogenannten Eventu8488 alverbindlichkeiten - werden in den Anhang verschoben. Was den Konzernabschluss angeht, bleibt die phasengleiche Gewinnvereinnahmung zulässig. Das bedeutet, ein Gewinn kann auf der Obergesellschaftsebene schon zu dem Zeitpunkt vereinnahmt werden, wenn dieser auf der Untergesellschaftsebene eingegangen ist, obwohl er eigentlich erst im nächsten Jahr verzeichnet wird. Aber aus Gläubigerschutzgründen wird dort eine Ausschüttungssperre vorgesehen. Ob das möglicherweise gesellschaftsrechtlichen Folgeanpassungsbedarf nach sich zieht, wird man sehen müssen. Von der Einführung neuer Berichtspflichten für den Rohstoffsektor aus Gründen der Korruptionsvermeidung haben wir schon gehört. Meine Kollegin Launert wird das wahrscheinlich gleich ein bisschen intensiver ansprechen. Kein Gesetzentwurf ohne Verbesserungsmöglichkeiten, auch wenn mir bewusst ist, dass das Verfahren relativ schnell gehen soll. Da möchte ich nur drei Punkte ansprechen. Erstens. Der Begriff der Umsatzerlöse soll, zurückgehend auf die Richtlinie, neu definiert werden. Dabei soll einerseits die Umsatzsteuer ausgeklammert werden, andererseits aber - das ist hier entscheidend - die bisherige Beschränkung auf die für die gewöhnliche Geschäftstätigkeit typischen Umsätze fallen gelassen werden. Daran, dass das wirklich die Vergleichbarkeit in der Zahlenabfolge und der Zeitfolge fördert, habe ich gewisse Zweifel, obwohl ich sehe, dass die Richtlinie genau dies so vorgibt. Darüber, ob man hier möglicherweise eine höhere Transparenz im Sinne eines Vergleichs zwischen dem, was aus der normalen Geschäftstätigkeit in Abgrenzung von den anderen Umsätzen erzielt wird, erreichen kann, sollten wir reden. Zweitens. Man wird weiter darüber nachdenken müssen, ob man bei den Offenlegungsanforderungen im Rahmen der von der Richtlinie vorgegebenen Wahlrechte für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen nicht noch etwas nachsteuern kann. Bei aller Sympathie für Transparenz: Es ist ganz sicher nicht im Sinne deutscher Unternehmen, wenn man auf der ganzen Welt mit einem Mausklick - so ist es im Augenblick - durch Abrufen der Daten des elektronischen Bundesanzeigers sämtliche Angaben des Lageberichtes nachverfolgen kann. Dabei geht es nicht nur um die gerade schon zitierten Daten zur Geschlechterparität oder Gleichbehandlung, die vielleicht in irgendeiner Form aufgenommen werden, sondern es geht vor allen Dingen darum, dass der Lagebericht zukunftsorientierte Daten umfasst und damit letztlich auch die Geschäftsidee des Unternehmens in sehr großer Weise offenlegt. Darüber, ob das wirklich in der Weise offengelegt werden muss, wie wir das im Augenblick im Entwurf vorsehen, werden wir reden müssen. Drittens. Tochtergesellschaften sind unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht zur Aufstellung eines Einzelabschlusses befreit, wenn sie in den Konzernabschluss ihrer Mutter einbezogen sind. Eine der Voraussetzungen ist, dass die Mutter die Verluste der Tochter übernimmt. Hier könnte man den Text des Gesetzentwurfes so lesen, dass es dabei möglicherweise zu einer Verschärfung gegenüber dem geltenden Recht kommt. Ich habe Zweifel, ob das so gewollt ist und ob es, wenn es so gewollt sein sollte, den hiervon betroffenen Unternehmen wirklich dient. Das alles wollen wir gemeinsam beraten. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Gambke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte verbliebene Kolleginnen und Kollegen am späten Freitagnachmittag! ({0}) Liebe Besucherinnen und Besucher! Ich bin Herrn Professor Hirte ausdrücklich dankbar für seine einleitenden Worte, in denen er darauf aufmerksam gemacht hat, dass wir bei einem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Bilanzrichtlinie wohl kein spannendes, aber ein sehr wichtiges Thema zu erwarten haben. Und ich muss sagen: Nach dem Vortrag des Staatssekretärs Lange konnten wir eigentlich auch fast gar nichts Wichtiges erwarten. Er hat sich zwar auf einen wichtigen Aspekt, aber auch nur auf einen Teilaspekt, nämlich das Thema Bürokratie, konzentriert. Wir haben ja heute Morgen viel von Europa gehört. Gemeinsame Grundlagen für eine europäische Wirtschaftsordnung haben eine ganz große Bedeutung für uns; denn sie schaffen eine größere Transparenz bei der Beurteilung und Bewertung von Wirtschaftsunternehmen in Europa - ebenso in Griechenland wie in allen anderen Ländern. Insofern hat eine solche Bilanzrichtlinie eine sehr große Bedeutung. Denken wir zum Beispiel daran, dass wir uns in Europa seit zehn Jahren bemühen, eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage zu schaffen, es aber immer wieder heißt, dass wir das nicht tun können, weil die Rechnungslegungsvorschriften in den einzelnen EU-Ländern so unterschiedlich sind, also ein Unternehmen in Frankreich anders bilanziert als eins in Deutschland oder Portugal oder Griechenland. Im Hinblick auf die Schaffung einer solchen gemeinsamen Basis hätte ich mir auch von unserer nationalen Seite mehr Initiative gewünscht, als sich nur daDr. Thomas Gambke rum zu sorgen, möglichst schnell - der Termin ist natürlich vorgegeben - die EU-Bilanzrichtlinie umzusetzen. Das heißt, wir werden mit Sicherheit im Zuge der Beratungen dieses Gesetzentwurfs noch einmal prüfen, an welchen Stellen weitere Änderungen notwendig sind, um eine gemeinsame Basis zu schaffen, die wir in Europa dringend brauchen, oder um zum Beispiel einem schädlichen Steuerwettbewerb - davon reden im Moment ja viele - einen Riegel vorzuschieben. Eine solche Maßnahme hat also eine große Bedeutung in Richtung Europa. Eine zweite Maßnahme mit großer Bedeutung - die ist ein bisschen untergegangen; auch weil sie von Deutschland in Brüssel eher gebremst als gefördert wurde - sind länderbezogene Offenlegungspflichten. Worum geht es denn bei den jetzt geforderten Offenlegungspflichten im Rohstoffsektor? Es geht darum, dass, wie wir wissen, zwar viele Konzerne in anderen Ländern Geld bezahlen, damit sie bestimmte Rohstoffe ausbeuten können, aber nicht so, wie wir uns das vorstellen, also nicht an den Staat, der damit in die Lage versetzt würde, öffentliche Daseinsvorsorge zu betreiben, sondern an korrupte Beamte. Genau das will Europa nicht. Übrigens waren wir in Deutschland in diesem Punkt leider keine Förderer, sondern eher Bremser. Ich freue mich sehr, dass wir diese länderbezogenen Offenlegungspflichten für Rohstoffe nun endlich auch in Deutschland umsetzen. ({1}) Der dritte wichtige Punkt ist die Bürokratie. Richtig, wir freuen uns über die Entlastung von Kleinstgenossenschaften, von kleinen Kapitalgesellschaften. Das ist schon detailliert ausgeführt worden. Dazu hat auch Staatssekretär Lange Ausführungen gemacht. Wir müssen aber natürlich auch die andere Seite sehen. Rohstoffintensive Industrien - der Normenkontrollrat hat das angemerkt - werden mit zusätzlichen Kosten in Höhe von jährlich 29 Millionen Euro und einem Einmalaufwand in Höhe von 110 Millionen Euro belastet. Da schreckt man erst mal zurück. Der Normenkontrollrat hat in seinen abschließenden Bemerkungen geschrieben, dass man sich das sorgfältig anschauen muss. Mir ist dabei Folgendes aufgefallen: Es gibt zwar einen erheblichen Aufwand aufseiten der Unternehmen, aber es gibt - so ist es angegeben - keinerlei Aufwand bei staatlichen Stellen. Gestern war ich im Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsministerium. Da haben wir darüber geredet, welche Daten alle an den Staat geliefert werden. Aber - das sage ich mit Blick auf meine eigene unternehmerische Vergangenheit - niemand sieht sich die an. Genau das steht in diesem Gesetzentwurf: 29 Millionen Euro Aufwand - aber kein Aufwand bei den Verwaltungen. Was passiert also? Lochen, abheften und vergessen. Genau das wird aber gerade durch die Richtlinie nicht bezweckt. Es geht vielmehr darum, eine Kontrolle sicherzustellen. Übrigens beträgt das zu verhängende Ordnungsgeld maximal 50 000 Euro. Man sollte sich da einmal vor Augen führen, dass zum Beispiel in Papua-Neuguinea für die Ausbeutung einer Goldmine mehrere Millionen an Schmiergeldern bezahlt werden. Da mag es sein, dass ein Unternehmen nicht berichtet und lieber 50 000 Euro zahlt, um sich damit der Berichtspflicht zu entledigen. Auch da müssen wir noch einmal genau hinschauen. Meine Damen und Herren, es ist also kein Gesetz, bei dem man so einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Sicher ist, dass wir das Verfahren jetzt erst einmal kritisch begleiten und das Gesetz im Hinblick auf den Termin auch durchbringen werden. Wenn ich hier in die Runde schaue, dann muss ich aber sagen: Es kann nicht nur Aufgabe der Juristen sein, das zu tun, ({2}) sondern wir müssen auch ein Stück weit unsere Wirtschafts- und Finanzkompetenz einbringen, damit wir daraus wirklich ein ordentliches Gesetz machen. Vor allen Dingen müssen wir dabei auch noch die nächsten Schritte definieren, um bei allen drei Aspekten - Europa, Offenlegungspflichten und Bürokratieabbau - weiterzukommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dr. Launert von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ja, es ist ungewöhnlich, dass eine Frau redet, aber da Sie sich ja sonst auch immer für die Frauenstärkung einsetzen, sollten Sie das, denke ich, begrüßen und eine Frau auch mit „Frau“ anreden. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf enthält auf 100 Seiten zahlreiche Änderungen im HGB, im Aktiengesetz, im GmbH-Gesetz, im Publizitätsgesetz usw. Man kann also sagen: ein Rundumschlag quer durch die unternehmerische Gesetzeslandschaft. Hintergrund ist die Umsetzung der EUBilanzrichtlinie. Seit nunmehr fast 30 Jahren hat es sich Europa zur Aufgabe gemacht, durch den Abbau von Handelshemmnissen grenzüberschreitend Geschäfte zu fördern und Märkte in Europa zusammenwachsen zu lassen. Ein wichtiges Mittel hierfür ist die Rechtsangleichung. Die EU-Richtlinie, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen, hat genau das zum Ziel. Es soll zu einer Rechtsangleichung bei Jahres- und Konzernabschlüssen kommen. Bezweckt ist eine Harmonisierung im Bereich der Rechnungslegung. Dadurch möchte man zum einen eine höhere Vergleichbarkeit erreichen, zum anderen aber auch eine Stärkung des Vertrauens. Man glaubt es nicht, aber auch europäische Unternehmen sind an Korruption beteiligt. Insofern ist es wichtig - das wurde in dem vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt -, dass man gezielt bei der Rechnungslegung ansetzt und so versucht, Korruption zu bekämpfen. Das machen wir; das geschieht durch die Einführung einer Berichtspflicht für große Unternehmen und Unternehmen im öffentlichen Interesse im Bereich der Rohstoffindustrie und der Primärwaldforstwirtschaft. Es ist geplant, dass künftig jedes Jahr ein Bericht zu erstellen ist, in dem aufgeführt ist, welche Gelder an öffentliche bzw. staatliche Stellen gezahlt werden. Denn leider muss, wie schon angesprochen, in manchen Ländern der Welt Geld an die Verwaltung bezahlt werden, damit überhaupt etwas passiert. Durch diese Regelung, die ich begrüße, kann man Transparenz fördern und Korruption bekämpfen. Allerdings ist bei zu viel Transparenz auch Vorsicht geboten. Ich bedaure, dass man in einem Punkt den Spielraum der Richtlinie im vorliegenden Entwurf noch nicht genutzt hat. Da geht es um die in Deutschland derzeit verpflichtende Offenlegung des Lageberichts. In Deutschland ist dies nicht nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen, sondern auch für zahlreiche mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen verpflichtend. Man muss sagen: Wenn der Lagebericht so veröffentlicht werden muss, dass Konkurrenten durch einen Klick online die Unternehmenszahlen und Entwicklungsperspektiven sehen können, ist das ein entscheidender Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen. ({1}) Vor diesem Hintergrund würde ich mir wünschen, dass wir den Spielraum, den die Richtlinie an dieser Stelle bietet, ausnutzen - Frankreich hat zum Beispiel eine andere Regelung - und die Veröffentlichung des Lageberichts nur bei kapitalmarktorientierten Unternehmen verlangen. ({2}) - Ich kann sagen: Die Amerikaner haben sowieso einen riesigen Wettbewerbsvorteil, weil die dortigen Unternehmen noch nicht einmal ihre Geschäftszahlen veröffentlichen müssen. Insofern: Setzen wir uns wenigstens für unsere deutschen Unternehmen ein. ({3}) Eine der größeren Errungenschaften ist natürlich - das ist schon mehrfach angesprochen worden - die Anhebung der Schwellenwerte. Das betrifft die Frage: Wann ist ein Unternehmen, eine Kapitalgesellschaft klein, wann mittelgroß, wann groß? Das ist natürlich ganz erheblich. Wir nutzen hier den Spielraum der Richtlinie. Wir setzen das hoch; die Zahlen sind schon genannt worden. Die Bilanzsumme für ein kleines Unternehmen soll von derzeit knapp 5 Millionen Euro auf 6 Millionen Euro erhöht werden; der Schwellenwert bei den Umsatzerlösen, der derzeit bei knapp 10 Millionen Euro liegt, soll auf 12 Millionen Euro aufgestockt werden. Wir erhöhen hier also die entsprechenden Schwellenwerte um ungefähr 20 Prozent und nutzen damit den Spielraum, den uns die Richtlinie bietet, voll aus. Das ist positiv, weil dadurch viele Unternehmen in Deutschland künftig kleine Kapitalgesellschaften sind und nicht mehr mittelgroße. Das bedeutet für viele Unternehmen Entlastung bei der Bürokratie, auch Geldersparnis. Ich denke, das wollen wir doch alle, oder? Letztlich wissen wir alle, dass die mittelständischen Unternehmen die tragende Säule unserer Gesellschaft sind; sie schaffen immerhin zwei Drittel aller Arbeitsplätze. Insofern freut es mich ganz besonders, dass wir aus Europa, also aufgrund einer EU-Richtlinie, einmal so richtig schöne Anhaltspunkte für eine Entbürokratisierung haben. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun Metin Hakverdi von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Metin Hakverdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004289, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich beginne, möchte ich von dieser Stelle aus dem Geburtstagskind Christian Lange, dem Parlamentarischen Staatssekretär, alles Gute zum Geburtstag wünschen. Ich wünsche ein schönes Wochenende. Feiere gut! ({0}) In der Sache haben wir schon viel Richtiges gehört. Mit dem vorliegenden Entwurf eines Umsetzungsgesetzes soll die EU-Bilanzrichtlinie aus dem Juni 2013 umgesetzt werden. Wir sind bei der Umsetzung in nationales Recht unter Zeitdruck; das wurde hier schon gesagt. Bis zum 20. Juli dieses Jahres muss die Richtlinie umgesetzt worden sein. Mit dieser Richtlinie wird eine weitere Harmonisierung des Rechtsrahmens der Rechnungslegung im europäischen Binnenmarkt vorgenommen. Die Umsetzung erfordert, dass zahlreiche Gesetze, insbesondere das Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch, geändert werden. Mit dieser Gesetzesänderung wird den kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserem Land das Leben erleichtert. Ein wesentlicher Baustein dieser Gesetzesänderung ist die Anhebung von Schwellenwerten bei der Klassifizierung der Größenklassen nach Handelsrecht. Die Kapitalgesellschaften werden im Handelsgesetzbuch nach Größenklassen, nämlich in kleine, mittelgroße und große Unternehmen, unterteilt. Die Eingruppierung als kleine, mittelgroße oder große Kapitalgesellschaft hat Auswirkungen auf den bürokratischen Aufwand, der bei Aufstellung und Prüfung der Bilanz zu beachten ist. Vereinfacht gesagt: Die Anforderungen an die Aufstellung und Prüfung der Bilanzen nehmen zu, je höher die Kapitalgesellschaft eingruppiert wird. Angehoben werden die Schwellenwerte - das ist hier schon gesagt worden - für diese Eingruppierung in die drei Größenklassen hinsichtlich der Merkmale Bilanzsumme und Umsatzerlöse. Für kleine Kapitalgesellschaften wird der Schwellenwert bei der Bilanzsumme von 4,84 Millionen Euro auf 6 Millionen Euro erhöht, für mittelgroße Kapitalgesellschaften auf 20 Millionen Euro. Die Schwellenwerte für das Merkmal Umsatzerlöse werden für kleine Kapitalgesellschaften von 9,68 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro erhöht und für mittelgroße Kapitalgesellschaften auf 40 Millionen Euro. Die Schwellenwerte für die Befreiung von den Konzernrechnungslegungspflichten werden ebenfalls angehoben. Das Merkmal Bilanzsumme wird dort auf 20 Millionen bzw. 24 Millionen Euro erhöht, das Merkmal Umsatzerlöse auf 40 Millionen bzw. 48 Millionen Euro. Diese Anhebung der Schwellenwerte führt im Ergebnis dazu, dass circa 7 000 Unternehmen, die bisher als mittelgroß eingestuft wurden, nunmehr als kleine Kapitalgesellschaften gelten. Für diese Unternehmen bedeutet das eine erhebliche Entlastung. Zum Beispiel müssen kleine Kapitalgesellschaften - das ist hier ebenfalls bereits gesagt worden - ihren Jahresabschluss anders als mittelgroße Kapitalgesellschaften nicht extern von einem Wirtschaftsprüfer prüfen lassen. Das ist eine große Erleichterung. Im Übrigen sind auch die Offenlegungspflichten kleiner Kapitalgesellschaften generell geringer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung von Schwellenwerten beschränkt sich also nicht bloß auf die Änderung von Zahlenwerten. Es handelt sich um eine handfeste Mittelstandsförderung. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen werden hinsichtlich ihrer Bilanzierungspflichten signifikant entlastet. ({1}) Der Mittelstand, also die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind tragende Säulen unserer Wirtschaft. Wirtschaftspolitik - ob nun auf europäischer Ebene oder auf Bundesebene - muss bei der Gesetzgebung besonders auf die Interessen des Mittelstandes achten. Die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes hängt maßgeblich vom Erfolg unserer kleinen und mittelständischen Unternehmen ab. Der bürokratische Aufwand, der den Unternehmen im Allgemeinen und den kleinen und mittelständischen Unternehmen im Besonderen aufgebürdet wird, muss in einem angemessenen Verhältnis zum bezweckten Ziel stehen. In diesem Sinne ist der vorhandene Rechtsrahmen immer wieder zu evaluieren und gegebenenfalls auch anzupassen. Abschließend will ich auf eine sehr wichtige Neuerung hinweisen, die hier auch schon angesprochen wurde. Dabei geht es um die Korruptionsbekämpfung innerhalb der Europäischen Union. Unternehmen aus Europa beziehen Mineralien, Öl oder Holz zumeist aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Für den Abbau dieser Rohstoffe werden an die jeweiligen Regierungen Zahlungen geleistet, und zwar in Form von Steuern, Konzessionsabgaben oder Lizenzabgaben. In einigen dieser Länder versickern diese Einnahmen jedoch durch Korruption und Steuerflucht oder werden sogar zur Finanzierung von militärischen Konflikten genutzt. Das führt dazu, dass der vorhandene Rohstoffreichtum der Bevölkerung des jeweiligen Landes nicht zugutekommt. Durch diese Richtlinie wird - das ist im Entwurf des Umsetzungsgesetzes berücksichtigt worden - eine Informationspflicht für Unternehmen geschaffen, die im Bereich der Mineralgewinnung - das sind vor allem die Bereiche Erdöl- und Erdgasförderung sowie Bergbau tätig sind. Nach Angaben des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz sind in Deutschland circa 60 Unternehmen betroffen. Die betroffenen Unternehmen müssen einen jährlichen Zahlungsbericht erstellen. Darin sind Zahlungen ab 100 000 Euro aufzuführen, die an staatliche Stellen geleistet wurden. Der Zahlungsbericht ist nach Staaten zu gliedern und projektbezogen zu prüfen. Durch diese Offenlegungspflicht werden den Menschen in den ressourcenreichen Ländern Informationen zur Verfügung gestellt, mit denen sie vor Ort Korruption aufdecken können. Sie können aber auch die Regierung dazu verpflichten, die Einnahmen aus dem Geschäft mit den Rohstoffen für Entwicklungsförderung einzusetzen. Zumindest müssen die jeweiligen Stellen erklären können, was mit dem Geld aus dem Rohstoffhandel passiert ist. Das Gesetz wird langfristig gute Regierungsführung und verantwortungsvolles wirtschaftliches Handeln von Unternehmen in Entwicklungsländern fördern. Mit dem Umsetzungsgesetz wird damit auch ein wichtiger Beitrag in der Entwicklungshilfepolitik geleistet. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herzlichen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Ich will aber auch im Namen des Hauses ausdrücklich dem Parlamentarischen Staatssekretär ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. Es tut mir leid, dass ich das vorhin versäumt habe. Umso herzlicher ist der Glückwunsch gemeint. Ich hoffe, Sie können den Rest des Tages mit Freunden und mit der Familie feiern. ({0}) Damit das auch möglich ist, machen wir jetzt Schluss. Zuvor müssen wir aber noch eine Sache abarbeiten. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4050 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. März 2015, 13.00 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende und dir, lieber Christian, eine richtig schöne, gute Feier.