Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung
und Bekämpfung des Menschenhandels und zum
Schutz seiner Opfer.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Herr Heiko Maas.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich würde gern über einen Gesetzentwurf berichten, den wir heute im Kabinett beschlossen haben und
der sich mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum
Schutz seiner Opfer befasst.
Menschenhandel ist - das brauche ich, glaube ich,
hier nicht weiter auszuführen - ein großes Problem.
Menschenhandel kennt viele Opfer ganz unterschiedlicher Art und Weise, vor allem Frauen, die als Zwangsprostitutierte missbraucht werden, aber auch Männer, die
vielfach als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden.
Ein weiteres Thema in Europa sind mittlerweile auch
Kinder, die zum Betteln auf die Straße gezwungen werden.
Meine Damen und Herren, wir haben vorgesehen, mit
diesem Gesetzentwurf eine Richtlinie umzusetzen, deren
Umsetzungsfrist bereits im April 2013 abgelaufen ist.
Die Regierungsfraktionen haben in Bezug auf die Bekämpfung des Menschenhandels durchaus weiter gehende Überlegungen. Aber weil die Umsetzungsfrist
schon so lange abgelaufen ist, haben wir uns darauf verständigt, nun die Dinge eins zu eins umzusetzen, bei denen unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf
besteht. Der Gesetzentwurf sieht hierfür eine Veränderung der §§ 232 bis 233 a des Strafgesetzbuches vor.
Wir erweitern zum einen den Katalog der Motive,
aufgrund derer Menschenhandel stattfindet. Bisher waren nur die Zwecke „sexuelle Ausbeutung“ und „Ausbeutung der Arbeitskraft“ geregelt. Dies wird gemäß der
Richtlinie nun ergänzt, indem wir Menschenhandel zur
Ausnutzung von Menschen zu Betteltätigkeiten, Menschenhandel zum Zwecke strafbarer Handlungen oder
- auch das ist ein ganz großes Problem - Menschenhandel zum Zwecke der Entnahme von Organen des Opfers
unter Strafe stellen, und dies ganz explizit. Ich weise darauf hin, dass es beim Organhandel bereits jetzt Regelungen gibt; er ist nämlich als Beihilfe zu Straftaten nach
dem Transplantationsgesetz strafbar. Mit dem, was wir
jetzt ins Strafgesetzbuch schreiben, weiten wir die Strafbarkeit aus, weil nicht nur der Versuch bestraft werden
kann, sondern auch schon Vorbereitungshandlungen
strafrechtlich geahndet werden können.
Der zweite Punkt, der durch unseren Gesetzentwurf
geändert werden soll, ist, dass auch § 233 a des Strafgesetzbuches, also Förderung des Menschenhandels, verändert wird. Es gibt da für qualifizierte Tatbestände eine
erhöhte Mindeststrafe; diese qualifizierten Tatbestände
weiten wir nun aus. Bisher umfasste die erste Qualifikation lediglich Fälle, in denen Kinder Opfer von Menschenhandel geworden waren. In Zukunft soll die Qualifikation auch für Opfer unter 18 Jahren gelten. Eine
höhere Mindeststrafe soll es außerdem nicht nur dann
geben, wenn das Leben des Opfers vorsätzlich gefährdet
worden ist, sondern auch schon dann, wenn es grob fahrlässig gefährdet worden ist.
Das ist der Inhalt des Gesetzentwurfs. Es gibt zwischen den Regierungsfraktionen und dem politischen
Raum aber bereits darüber hinaus Diskussionen, was
noch geändert werden kann. Wir setzen den Gesetzentwurf zwar jetzt schon auf, wollen aber mögliche weiter
gehende Regelungen auch in das Gesetzgebungsverfahren mit einfließen lassen.
Schönen Dank.
Herzlichen Dank. - Der erste Fragesteller ist der Abgeordnete Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, Sie haben es gerade angesprochen - im
Anschreiben der Bundesregierung an den Bundestag ist
es auch aufgeführt -: Lösungen weiterer Problemstellungen sollen noch folgen. Wir als Bundestag interessieren
uns natürlich dafür, an welche Problemstellungen die
Bundesregierung dabei denkt.
Vielleicht können Sie bei dieser Gelegenheit auch
schildern, welche Unterschiede in strafrechtlicher Hinsicht und in Hinsicht auf das Gewerberecht dieser Gesetzentwurf zum Gesetzentwurf aufweist, den die Bundesregierung in der letzten Wahlperiode vorgelegt hat.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Beck. - Der Unterschied zum Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode
besteht im Wesentlichen darin, dass im alten Gesetzentwurf Regelungen hinsichtlich des Gewerberechtes, also
des Prostitutionsgesetzes, enthalten gewesen sind. Das
ist im jetzigen Gesetzentwurf nicht der Fall.
Es gibt allerdings im Ministerium von Kollegin
Schwesig Überlegungen und Vorbereitungen, auch an
dieser Stelle gesetzliche Veränderungen vorzunehmen.
Wir haben uns vor allen Dingen deshalb auf die rein
strafrechtliche Umsetzung der EU-Richtlinie beschränkt,
weil seit Ende der Umsetzungsfrist schon ein längerer
Zeitraum vergangen ist und wir nicht wollen, dass es ein
Vertragsstrafeverfahren gibt. Wir haben der Kommission
auch die Tatsache mitgeteilt, dass der Gesetzentwurf
heute im Kabinett beschlossen worden ist und jetzt das
parlamentarische Gesetzgebungsverfahren aufgesetzt
werden kann, damit es nicht dazu kommt, dass ein Vertragsstrafeverfahren - im Moment ist das Stadium des
Vorverfahrens erreicht - beim Europäischen Gerichtshof
eingeleitet wird.
Bei den Regelungen, die wir jetzt neu fassen wollen,
geht es auch um systematische Veränderungen, vor allen
Dingen darum, dass bisher die Ausbeutung als solche
nicht unter Strafe gestellt wurde, sondern dass die Täter
das Opfer dazu bringen mussten, die Ausbeutung zu dulden. Das ist sehr schwer nachzuweisen und hat zu einer
geringen Verurteilungsquote geführt. Deshalb wollen
wir zukünftig bei der Ausbeutung als solcher objektiv
ansetzen. Diese wird ganz sicher auch einfacher nachzuweisen sein.
Frau Christina Jantz, SPD-Fraktion, ist die nächste
Kollegin, die fragt.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Bundesminister, ich möchte noch einmal auf das Strafgesetzbuch zu sprechen kommen und bitte Sie, die konkreten Änderungen des Strafgesetzbuches, die jetzt im
Gesetzentwurf enthalten sind, darzustellen.
Das tue ich gerne. Wir verändern zum einen den
§ 232 des Strafgesetzbuches. Im § 232 fügen wir unter
Absatz 3 bei den Qualifikationsmerkmalen ein, dass
nicht mehr nur in dem Fall, dass ein Kind Opfer einer
Tat ist, eine erhöhte Mindeststrafe vorgesehen ist, sondern in allen Fällen, in denen die Personen unter 18 Jahren sind. Das Gleiche wird auch in § 233 a - Förderung
des Menschenhandels - geändert. Auch hier weiten wir
den Opferkreis aus, weil wir der Auffassung sind, dass
Personen unter 18 Jahren eine insgesamt höhere Schutzwürdigkeit haben und sie deshalb auch qualifizierte
Strafgesetze zu ihrem Schutz haben müssen.
Im § 232 des Strafgesetzbuches weiten wir außerdem
die Tatbestandsmerkmale in der Form aus, wie es in der
Richtlinie vorgegeben ist. Wir nehmen die Betteltätigkeit mit auf, also Menschenhandel, der betrieben wird,
um insbesondere Kinder auf die Straße zu schicken. Wir
nehmen das Tatbestandsmerkmal des Menschenhandels,
der zur Begehung von mit Strafe bedrohter Handlungen
betrieben wird, mit auf, also dass beispielsweise Menschen verschleppt werden, um an anderen Stellen Einbruchsdiebstähle oder Drogendelikte zu begehen.
Als Drittes führen wir, wie es auch in der Richtlinie
vorgegeben ist, das Tatbestandsmerkmal des Menschenhandels zum Zwecke des Organhandels, also dass Opfer
sich Organe entnehmen lassen müssen - das gibt es leider auch -, explizit ins Strafgesetzbuch ein. Das sind die
konkreten Änderungen, die wir bei den Straftatbeständen
vornehmen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Johannes
Fechner, SPD-Fraktion.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich hätte eine
Frage zu dem Problem, dass es oft nicht zu Verurteilungen von Tätern kommt, weil insbesondere Frauen aus
Angst vor Gewalt keine Aussage im Ermittlungsverfahren bzw. im Strafverfahren machen möchten. Wie sehen
Sie das? Welche Regelungen sind hier, gegebenenfalls
erst in einem weiteren Gesetzentwurf, vorgesehen, um
zu gewährleisten, dass es auch in jenen Strafverfahren zu
Verurteilungen kommt, in denen die Opfer aus Angst vor
Repressalien nicht aussagen möchten?
Das ist zugegebenermaßen ein großes Problem, das
auch dazu führt, dass die Zahl der Verurteilungen nicht
der Zahl der Tathandlungen entspricht, die wir feststellen. Die niedrige Verurteilungsquote hängt damit zusammen, dass der Straftatbestand des Menschenhandels im
Strafgesetzbuch jetzt darauf abstellt, dass der Täter sein
Opfer dazu bringt, im Zuge von Menschenhandel die
Ausnutzung zu dulden, also etwa verschleppt zu werden,
um Straftaten zu begehen, um zu betteln. Das ist außerordentlich schwer nachweisbar. Dafür braucht man die
Aussage der Opfer. Die Opfer sind allerdings aufgrund
des Drucks, der auf sie ausgeübt wird, nur sehr bedingt
aussagebereit.
Deshalb glauben wir, dass mögliche weitergehende
Veränderungen im Gesetzgebungsverfahren darauf abstellen sollten, den Straftatbestand so zu definieren, dass
es weniger darum geht, ob der Täter das Opfer zu irgendeiner Handlung bringt - weil das schwer nachzuweisen ist -, sondern mehr darum, ob Ausbeutung stattfindet, und dass diese einfach nur objektiv nachgewiesen
werden muss. Das macht uns unabhängiger von der Aussage des Opfers. Die Aussage des Opfers wird aber immer eine wichtige Rolle spielen.
Darüber hinaus wird man sich sicherlich auch die
Frage stellen müssen, ob dem Opfer nicht auch eine verbesserte Stellung im strafprozessualen Verfahren eingeräumt werden sollte, um möglicherweise mehr Aussagen
und damit mehr Indizien bzw. Erkenntnisse zu erhalten,
wodurch die Verurteilungsquote deutlich erhöht werden
könnte.
Danke schön. - Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie hatten schon angekündigt, dass es noch weitere Regelungen
geben soll. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung in
diesem Zusammenhang kurzfristig auch noch Regelungen
zur Zwangsprostitution, insbesondere zur Freierstrafbarkeit, und zum Mindestalter nach dem Prostitutionsgesetz
vorlegen wird? Können wir also davon ausgehen, dass es
eine Art Gesamtpaket geben wird?
Es ist richtig, dass zurzeit innerhalb der Bundesregierung mehrere Gesetzgebungsverfahren beraten werden,
die vom Verfahren her zwar unabhängig voneinander
sind, aber sicherlich auch im Zusammenhang mit dem
Thema Menschenhandel stehen. Das Thema Prostitution
ist eines dieser Themen. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Gesichtspunkte. Ich will nur einige Themen
erwähnen, die dort diskutiert werden: Es geht um eine
Erlaubnispflicht, um Anmeldepflichten und um viele andere Dinge, die aber sicherlich noch im politischen
Raum zu klären sein werden.
Ja, wir wollen uns auch damit auseinandersetzen, wie
wir den Aspekt, dass Freier Zwangsprostituierte ausnutzen und damit missbrauchen, in die Bekämpfung des
Menschenhandels miteinbeziehen können. Es gibt dazu
unterschiedliche Überlegungen. Eine Überlegung ist, ob
Freier von Zwangsprostituierten über die Straftatbestände des Menschenhandels als Teilnehmer oder Beihelfer zur Rechenschaft gezogen werden können. Das ist
nicht so ganz einfach, da man rechtlich von einer notwendigen Teilnahme spricht, die per se straflos ist. Die
andere Möglichkeit besteht darin, die Freierstrafbarkeit
selbst im Strafgesetzbuch explizit zu regeln. Das ist eine
Überlegung, mit der wir uns zurzeit auseinandersetzen.
Dazu werden wir sicherlich in einem absehbaren Zeitraum auch entsprechende Vorschläge machen.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Frank
Heinrich, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister, verstehe ich das richtig - einige Aspekte meiner Frage haben Sie eben schon angeschnitten bzw. beantwortet -, dass der Aspekt der Zwangsprostitution aus
Ihrem Bereich herausgenommen worden ist, weil er in
einem anderen Bereich geklärt werden soll? Heißt das
auch, dass die Federführung in diesem Fall an das Ministerium Ihrer Kollegin Frau Schwesig übergeht? Sind die
Maßnahmen, die Sie vorhin in Bezug auf die Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel genannt haben, jene Maßnahmen, die noch einfließen sollen? Gibt es dafür einen Zeitplan? Man hört ja, dass die
vorgelegte Minimallösung nur ein Zwischenschritt ist,
um nach entsprechender Klärung dann auch an diese Bereiche heranzugehen.
Ja, das ist so. Wir bringen den Gesetzesentwurf gezielt jetzt ganz ein, und zwar in der Form, dass wir lediglich die Vorgaben der Richtlinie der Europäischen Union
eins zu eins umsetzen, auch, um um ein Vertragsstrafeverfahren herumzukommen. Ich glaube, dass es bei der
Kommission anerkannt wird, dass der Gesetzentwurf im
Kabinett beschlossen worden ist und jetzt dem parlamentarischen Verfahren zugeleitet werden kann. Die
Kollegin Schwesig ist aktuell dabei, entsprechende Fragen im Zusammenhang mit Prostitution, also eher gewerberechtliche Fragen, zu klären. Über einen Zeitplan
kann ich Ihnen konkret nichts sagen.
Die Frage der Freierstrafbarkeit, die im Strafgesetzbuch geregelt werden muss, wird weiterhin in Federführung des Justizministeriums bearbeitet werden. Es ist
aber sicherlich denkbar, dass man die verschiedenen Bereiche im Gesetzgebungsverfahren zusammenführt. Wir
werden allerdings einen Vorschlag machen, wie die
Freierstrafbarkeit innerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden kann.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete
Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben eben die Frage meiner Kollegin Frau Jantz, welche
konkreten Neuregelungen im Strafgesetzbuch vorgesehen sind, beantwortet. Könnten Sie auch darstellen, wel7698
che Neuregelungen in der Strafprozessordnung vorgesehen sind?
In Bezug auf die Strafprozessordnung ist im Gesetzentwurf ebenfalls eine Regelung vorgesehen, die allerdings lediglich eine Folge der Veränderungen im Strafgesetzbuch ist. Bei den Änderungen in der StPO geht es
um den Bereich der akustischen Wohnraumüberwachung, und zwar § 100 c StPO. Hier ändern wir lediglich
den Verweis auf den Straftatenkatalog, insbesondere auf
die neue Rechtslage gemäß § 233 StGB, der ja um die
Zwecke des Menschenhandels zur Ausnutzung von Betteltätigkeiten, zur Ausnutzung strafbarer Handlungen
und zur Entnahme von Organen erweitert wird, damit
diese Tatmodalitäten bzw. Begehungsformen auch bei
der akustischen Wohnraumüberwachung eine Rolle spielen können. Menschenhandel ist ja, wie wir wissen,
meist Teil der organisierten Kriminalität, zu deren Bekämpfung es auch besonderer Mittel bedarf.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Dirk Wiese,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Im Transplantationsgesetz ist der Organhandel
bereits unter Strafe gestellt. Damit ist doch der Menschenhandel zum Zwecke des Organhandels als Beihilfe
zum Organhandel eigentlich schon strafbar. Könnten Sie
vielleicht ausführen, welche Straftaten im Bereich des
Organhandels, die bisher nicht vom Transplantationsgesetz abgedeckt sind, durch die neuen Regelungen, die
heute auf den Weg gebracht worden sind, aufgegriffen
werden? - Vielen Dank.
Ich habe eben, zumindest kurz, darauf hingewiesen,
dass die Strafbarkeit von Organhandel bereits durch den
Straftatbestand der Beihilfe zum Organhandel im Transplantationsgesetz gegeben ist. Allerdings ist es in diesem
Fall notwendig, dass wir zumindest eine versuchte Tatbegehung nachweisen. Die neuen Regelungen im Strafgesetzbuch sehen konkret vor, dass es möglich sein soll,
bereits bei der Vorbereitungshandlung anzusetzen. Das
heißt, in Zukunft macht sich bereits derjenige strafbar
- das ist nach dem Transplantationsgesetz nicht möglich
gewesen -, der das Opfer im Wissen um Pläne zur Organentnahme beispielsweise anwirbt oder diese befördert, und zwar unabhängig davon, ob es anschließend
auch tatsächlich zu einer Organentnahme kommt. Insofern wird die Strafbarkeit an der Stelle nicht unwesentlich ausgeweitet, was wir aber aufgrund der Bedeutung
dieser Vorgänge als absolut notwendig erachten.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete
Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Danke für die Vorstellung des Gesetzentwurfs. Ich habe eine Frage zu dem,
was danach kommt, auch mit Blick auf die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. Die EU-Richtlinie sieht ja
vor, dass die Sorge auch nach einem Gerichtsverfahren
weitergeht und ein Aufenthalt ermöglicht werden soll.
Dahin gehend meine Frage: Inwieweit wird in der Koalition darüber diskutiert, auch diesen Teil der EU-Richtlinie umzusetzen? Und inwieweit werden Sie Artikel 1 der
EU-Richtlinie berücksichtigen, der ja eine besondere
Berücksichtigung der Geschlechterperspektive fordert?
Ich kann bestätigen, dass wir in der Koalition darüber
reden, welche prozessualen Maßnahmen, auch im Aufenthaltsrecht, notwendig sind, um die Stellung von
Opfern zu verbessern. Allerdings haben wir dazu bisher
keine Entscheidung herbeigeführt. Das ist ja auch einer
der Gründe dafür, warum wir sagen: Wir wollen die
Richtlinie jetzt erst einmal eins zu eins umsetzen.
({0})
Es ist zweifellos richtig, dass in den Verfahren immer
wieder deutlich geworden ist, dass das ein Problem ist.
Es gibt gute Gründe dafür, dort anzusetzen. Das ist innerhalb der Regierung bisher aber nicht entschieden.
Zu der Frage, inwieweit wir sonstige Gesichtspunkte
herausgreifen: Die Richtlinie verpflichtet uns zunächst
einmal nur, die Stellung von Kindern bzw. von Personen
unter 18 Jahren besonders zu berücksichtigen, was wir
durch die Qualifikation dieses Straftatbestandes tun. Es
gibt darüber hinausgehende Hinweise, was die Geschlechterbezogenheit angeht, aber auch sonstige Kriterien. Wir sind der Auffassung, dass diese Gesichtspunkte
über die Strafzumessung im Verfahren bereits Berücksichtigung finden können, und haben uns deshalb darauf
beschränkt, das in den Gesetzentwurf aufzunehmen, was
wir unbedingt umsetzen müssen, weil die Richtlinie das
zwingend vorgibt, nämlich Personen unter 18 Jahren besonders zu schützen.
Ich will einmal einen kleinen Überblick geben: Wir
haben jetzt noch acht Fragesteller - die nehme ich auch
alle dran -: Jörn Wunderlich, Kathrin Vogler, Petra Pau,
Volker Beck, Katja Keul, Volker Ullrich, Sylvia Pantel
und Britta Haßelmann.
({0})
Vizepräsident Peter Hintze
- Sie melden sich noch einmal? - Wir schauen einmal,
wie weit wir kommen. - Es gibt noch eine prophylaktische Meldung von Herrn Beck, weil er jetzt schon weiß,
dass die Frage nicht ordnungsgemäß - - Nein, Spaß beiseite. Ich schreibe Sie einmal auf die Liste, und wenn
wir mit der Zeit hinkommen, dann nehme ich Sie dran.
Jetzt kommt erst der Kollege Jörn Wunderlich von der
Fraktion Die Linke. - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Maas,
Sie sagten gerade, Sie setzten die Richtlinie eins zu eins
um. Ich weiß, dass die Zeit drängt, weil seit Ablauf der
Frist zur Umsetzung schon fast zwei Jahre verstrichen
sind; das hätte schon 2013 umgesetzt werden müssen.
Hat sich denn die Regierung seit 2013 einmal einen
Kopf darüber gemacht, was man außerhalb des Strafrechts, dessen Modalitäten nach Ihren Ausführungen
wenig effektiv sind, im Präventionsbereich machen
kann? Ich denke insbesondere an die Beobachtung von
Entwicklungen im Menschenhandel, also an Artikel 19
der Richtlinie. Wird Artikel 19 der Richtlinie auch umgesetzt? Das war ja damals der Knackpunkt: Der Gesetzentwurf ist hier in dritter Lesung verabschiedet worden,
aber der Bundesrat wandte gerade mit Blick auf Artikel 19 der Richtlinie ein, dass keine Entwicklungsüberwachung vorgesehen war bzw. nicht klar war, wie das
Ganze umgesetzt werden sollte. Dank des Vermittlungsausschusses ist das Ganze dann der Diskontinuität anheimgefallen.
Mit dieser Thematik beschäftigen wir uns ja schon
seit Jahren; das ist nichts Neues. Ich kann aber nicht
nachvollziehen, warum Sie jetzt sagen: Wir setzen das
eins zu eins um.
Wir finden, es ist deshalb eine Eins-zu-eins-Umsetzung, weil wir das, was in der Richtlinie zwingend vorgegeben ist, auch tatsächlich umsetzen,
({0})
zumindest hinsichtlich des strafrechtlichen Teils.
Natürlich haben wir innerhalb der Regierung darüber
geredet, hier gleich einen weitergehenden Gesetzentwurf
vorzulegen. Allerdings hat sich gezeigt, dass das sowohl
hinsichtlich des Strafrechts als auch hinsichtlich der Regelungen zur Prostitution insgesamt, insbesondere also
die gewerberechtlichen Regelungen, nicht so ganz einfach ist.
Wir vertreten ohnehin die Auffassung, dass es bei
dem Thema Menschenhandel systematischen Veränderungsbedarf innerhalb des Strafgesetzbuchs gibt. Deshalb ist das, was wir jetzt vorlegen, nach unserer Auffassung schon eine Eins-zu-eins-Umsetzung, zumindest
hinsichtlich dessen, was wir zwingend umsetzen müssen.
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren besteht die
Möglichkeit, all diese Punkte - auch die, die Sie erwähnt
haben - noch einmal einzubringen. Wir werden ohnehin
weitere Punkte einbringen, insbesondere zur systematischen Veränderung, zumindest auf der Ebene des Strafgesetzbuchs. Das heißt, dass wir die Regelungen zum
Menschenhandel deutlich ändern wollen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Kathrin
Vogler, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. - Herr Minister, das Deutsche Institut
für Menschenrechte hat ja empfohlen, auch das Opferentschädigungsgesetz zu überarbeiten. Nun scheint das
jetzt vorliegende Gesetzgebungsverfahren ja eher minimalinvasiv zu sein. Ich frage Sie, ob die Regierung darüber hinaus über diesen Vorschlag nachdenkt, damit
alle Opfer von Menschenhandel, auch die, bei denen ein
Strafverfahren vielleicht nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte, Zugang zu Unterstützungsleistungen
aus der Opferentschädigung bekommen können.
Das ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen. Allerdings sind wir noch nicht so weit, dass ich Ihnen die Auffassung der Regierung bereits abschließend
vorstellen kann und sagen kann, was wir noch zusätzlich
regeln werden. Darüber hinaus wird im laufenden Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit bestehen, eine
Vielzahl an Punkten, die insbesondere die Stellung der
Opfer, auch im Verfahren, verbessern, einzubringen. Da
sehe ich durchaus noch weiteren Handlungsbedarf.
Danke schön. - Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Petra Pau, Fraktion Die Linke.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich möchte zu
einem Bereich kommen, den Sie vorhin schon bei der
Beantwortung der Frage der Kollegin Brantner erwähnt
haben. Sie haben ausgeführt, dass Sie besonderes Augenmerk auf die minderjährigen Flüchtlinge legen. Ich
wüsste gern, welche Position die Bundesregierung gegenüber der Empfehlung, unter anderem ausgesprochen
vom Deutschen Institut für Menschenrechte, vertritt, die
Zuständigkeit der Altersfeststellung von Flüchtlingen,
die minderjährig sein könnten, auf Jugendämter oder Familiengerichte zu übertragen, das heißt, aus der Kompetenz der Ausländerbehörden, welche ja der Migrationslenkung dienen, herauszunehmen.
Ich kann Ihnen diese Frage nicht genau beantworten.
Mehrere Ressorts sind dabei betroffen. Ich würde Ihnen
gerne anbieten, das schriftlich nachzureichen.
({0})
Das nehmen wir an. - Dann kommt der Kollege
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, eine Vorbemerkung
zum Sach- und Streitstand der Gesetzgebungsverfahren. Sie, Herr Minister, haben gerade gesagt, die Bundesregierung hätte noch keine Position zum Thema Aufenthaltsrecht. Dem ist nicht so. Herr Schröder kann Ihnen
das sicherlich bestätigen. Dem Hause liegt ein Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums mit Drucksachennummer vor. Darin ist in der Tat eine unzureichende Regelung des Aufenthaltsrechts für Menschenhandelsopfer
vorgesehen, weil nach wie vor die Entscheidung von der
Aussage- und Anzeigebereitschaft des Opfers abhängig
gemacht werden soll. In bestimmten Fällen soll dann in
Zukunft über das Gerichtsverfahren ermöglicht werden,
dass der Aufenthalt verlängert wird. Notwendig wäre im
Sinne des Opferschutzes aber etwas anderes, nämlich ein
Aufenthaltsrecht für alle Menschenhandelsopfer. Wir
wissen ja, dass manche Menschenhandelsopfer in
Deutschland nicht aussagen können, weil sie Kinder, Eltern oder Geschwister im Herkunftsland haben, die dort
unter Druck gesetzt werden. Bevor man die Angehörigen nicht geschützt hat, ist dem Menschenhandelsopfer
auch nicht zuzumuten, dass es hier aussagt; denn dies
hätte Repressionen gegenüber den Familienmitgliedern
zur Folge. Wenn man also Menschenhandelsopfer schützen will, muss man ihnen ein Aufenthaltsrecht geben;
denn sie sind Opfer geworden. Das wäre der richtige
Weg.
Ich freue mich, wenn ich Ihre Äußerung hier zumindest so interpretieren kann, dass Sie vom Vorschlag des
Bundesinnenministeriums, dem Sie im Kabinett zugestimmt haben, abweichen und hier noch einmal darüber
reden wollen.
Nun zu meiner Frage: Wenn es Ihnen um die Umsetzung von europäischem Recht geht, warum ignorieren
Sie in Ihrem Gesetzentwurf vollständig die Konvention
des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels?
In dieser werden ein Entschädigungsfonds für die Opfer
und neue rechtliche Möglichkeiten zur Durchsetzung
von Ansprüchen gegenüber Arbeitsausbeutern oder auch
Prostitutionsausbeutern gefordert. Zu all dem lesen wir
in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nichts.
Ich hatte bei Ihren Ausführungen ein bisschen den
Eindruck: Wir haben zwar noch keine Position, aber wir
haben schon einmal eine Drucksache produziert. - Denn
das, was Sie da im Strafrecht machen, ist im Wesentlichen unstreitig. Man könnte sich allenfalls darüber unterhalten, ob so wirklich neues Recht und neue Strafbarkeiten produziert werden oder nicht einfach nur das noch
einmal ausgesprochen wird, was andernorts im Strafgesetzbuch und im Nebenstrafrecht ohnehin schon geregelt
ist.
Können Sie mir sagen: Was planen Sie beim Opferschutz und bei der Durchsetzung von entgangenen
Arbeitsentgelten im Hinblick auf das, was auch die
Europaratskonvention gegen Menschenhandel von 2005
- schon neun Jahre her - von uns als nationalem Gesetzgeber fordert?
Ich habe eine Frage gestellt. Ansonsten habe ich versucht, richtigzustellen, worüber wir falsch unterrichtet
wurden.
({0})
Ein kurzer Blick in die Geschäftsordnung zeigt: Der
Präsident hat immer recht. In diesem Fall hat er besonders recht.
({0})
Bitte, Herr Minister.
Herr Beck, wenn Sie ausführen, dass das alles in der
Sache unstreitig ist, ist das ja schon einmal gut. Ich habe
darauf hingewiesen - ich mache auch gar keinen Hehl
daraus -, dass wir diesen Gesetzentwurf natürlich vor allen Dingen deshalb einbringen, um ein Signal an die
Europäische Kommission zu senden und einem Vertragsstrafeverfahren zu entgehen.
({0})
- Nein, es geht nicht um die Drucksache, sondern es
geht darum, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie
im April 2013 abgelaufen ist.
({1})
Ich bin im Übrigen nicht der Auffassung, dass in diesem Haus in dieser Frage auf breiter Ebene Dissens
herrscht. Es gibt in einzelnen Fragen sicherlich unterschiedliche Auffassungen oder unterschiedliche Ansichten über die Wege, die beschrieben werden, auch was
den Umfang der Regelungen angeht, die man außerhalb
des Strafgesetzbuches noch treffen muss. Aber das, was
wir hier vorlegen, entspricht dem, was uns die Richtlinie
zwingend vorschreibt. Bei dem, was darüber hinaus zu
regeln sein wird, geht es, zumindest aus Sicht des Justizministeriums,
({2})
um systematische Veränderungen im Hinblick auf die
Paragrafen, die es im Strafgesetzbuch zum Menschenhandel gibt. Auch dazu werden wir im weiteren GesetzBundesminister Heiko Maas
gebungsverfahren einen entsprechenden Vorschlag machen.
({3})
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Katja
Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Herr Maas, Sie hatten vorhin angekündigt, dass Sie den Tatbestand in § 232 Absatz 1 des
Strafgesetzbuches so verändern wollen, dass eine Aussage des Opfers für eine Verurteilung gegebenenfalls
nicht mehr erforderlich sein wird. Ich frage mich, wie
das gehen soll. Was haben Sie hier vor? Wollen Sie die
Formulierung „Ausnutzung einer Zwangslage“ streichen? Ich würde gerne wissen, wie das bewerkstelligt
werden soll. Außerdem frage ich Sie: Wenn es dann nur
noch um die objektive Ausbeutung geht, welche Regelung spielt dann das neue Mindestlohngesetz?
Die Aussage des Opfers wird im Strafverfahren auch
zukünftig von zentraler Bedeutung bleiben. Deshalb gibt
es ja auch Verbesserungen im Aufenthaltsrecht, bei denen es um genau dieses Thema geht - auch wenn sie
Herrn Beck nicht weit genug gehen. Wir wollen durch
eine entsprechende Fassung des Tatbestands im Strafgesetzbuch auch dafür sorgen, dass die Verurteilungsquote
erhöht wird.
Wir haben, auch im Gespräch mit vielen Praktikern,
festgestellt, dass es aufgrund der derzeitigen Formulierung des Tatbestands, dass der Täter das Opfer dazu
bringen muss, die Ausbeutung zu dulden, außerordentlich schwierig ist, den geforderten Nachweis zu führen,
wenn man keine explizite Aussage des Opfers hat.
({0})
Wenn man einen Straftatbestand schafft, nach dem die
Ausbeutung als solche, also die objektiv vorhandene
Ausbeutung, unter Strafe gestellt wird, ist die Aussage
des Opfers nach wie vor hilfreich und sinnvoll. Aber der
objektive Beweis ist deutlich einfacher zu erbringen, als
wenn man den Beweis erbringen muss, dass ein Täter in
der Weise auf ein Opfer eingewirkt hat, dass es seine
Ausbeutung erduldet. Mit diesem Thema wollen wir uns
auch im weiteren Verlauf dieses Gesetzgebungsverfahrens beschäftigen.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Dr. Volker
Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister,
die Bekämpfung des Menschenhandels und der Schutz
der Opfer setzen die Aufdeckung von kriminellen Strukturen voraus. Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund
zwei Dinge fragen:
Erstens. Werden Sie das Familienministerium im
Rahmen der Ressortabstimmung dazu drängen, dass das
eingeschränkte Weisungsrecht im Rahmen des Prostitutionsgesetzes abgeschafft wird?
Zweitens. Wie steht die Bundesregierung zur Wiedereinführung von Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten, um kriminelle Strukturen in diesem Bereich zu
entdecken und damit Straftaten zu verhüten und aufzuklären?
({0})
Das Ministerium von Frau Schwesig brauchen wir zu
überhaupt nichts zu drängen, weil es außerordentlich aktiv ist. Es hat bereits Vorschläge dazu gemacht hat, die
zurzeit in den Regierungsfraktionen diskutiert werden.
Ich bin mir sicher, dass es hier zu einem zügigen und
konstruktiven Abschluss kommen wird.
Was die Vorratsdatenspeicherung angeht, hat sich die
Bundesregierung darauf verständigt, gegenüber der
Kommission die Auffassung zu vertreten, dass sich die
Kommission aufgrund der Rechtsunsicherheit, die es in
Europa nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 8. April des letzten Jahres gibt - in einigen Ländern
wurde gegen die dortigen nationalen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung Klage erhoben; in Österreich beispielsweise ist das entsprechende Gesetz vom dortigen
Verfassungsgerichtshof schon einkassiert worden -, auf
europäischer Ebene dazu positionieren muss. Das werde
ich mit dem Kollegen de Maizière demnächst noch einmal gegenüber der Kommission thematisieren. Danach
wird die Bundesregierung sicherlich auch eine Entscheidung darüber zu treffen haben, wie es mit der Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Allerdings halten wir es für
notwendig, dass eine Klärung auf europäischer Ebene
herbeigeführt wird.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Sylvia
Pantel, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, damit der Prostitutionsmarkt in Deutschland, was
Menschenhandel und kriminelle Machenschaften betrifft, nicht mehr so lukrativ ist und eingeschränkt wird?
Es geht hier auch um die Frage, inwieweit Freier von
Zwangsprostituierten strafrechtlich verfolgt werden können. Wir werden entsprechende Maßnahmen auf den
Weg bringen, um die Zwangsprostitution, die nach den
kriminalistischen Erfahrungen in der Regel mit Men7702
schenhandel einhergeht, im Rahmen der Ermittlungsmöglichkeiten der Behörden deutlich besser bekämpfen
zu können.
Die Prostitution an sich ist Thema von gewerberechtlichen Überlegungen, die zurzeit im Ministerium von
Frau Schwesig angestellt werden. Einige Punkte habe
ich bereits genannt, insbesondere, stärker mit Erlaubnispflichten gegenüber denjenigen zu arbeiten, die Prostitutionsstätten führen. Hier wird sicherlich auch zu fragen
sein, ob diejenigen, die ein solches Gewerbe angemeldet
haben, nicht stärker kontrolliert werden müssen. Dabei
wird es dann auch darum gehen, ob sie - in Anführungszeichen - die dafür notwendige „Zuverlässigkeit“ haben
und ob möglicherweise einschlägige Straftaten im Milieu nachzuweisen sind, was dazu führen könnte, entsprechende Genehmigungen zu versagen.
Ich glaube, all das sind Maßnahmen, mit denen den
Missständen, die es im Bereich der Prostitution gibt, effektiv begegnet werden kann.
Danke schön. - Die letzte Frage an den Minister in
dieser Runde: Frau Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die
Grünen.
Vielen Dank. - Erstens. Herr Maas, nach dem, was
Sie ausgeführt haben, halte ich Ihre Aussage, dass die
Richtlinie eins zu eins umgesetzt wird, für falsch; denn
Sie haben in den Antworten auf die verschiedenen Fragen der Fragestellerinnen und Fragesteller deutlich gemacht, dass die Richtlinie nicht eins zu eins umgesetzt
wird.
Zweitens. Mich interessiert, warum Sie mit einem
solchen Thema in die Regierungsbefragung gehen, obwohl eigentlich alle relevanten und hochsensiblen Bereiche ausgeklammert werden. Insbesondere das Aufenthaltsrecht und strafrechtlich relevante Fragen werden im
Gesetzentwurf überhaupt nicht berührt. In Bezug auf die
Handlungsfähigkeit ist das aus meiner Sicht ein absolutes Placebo; denn sehr viel Strittiges in der Koalition
bleibt ausgeklammert. Also: Warum gehen Sie damit in
die Regierungsbefragung?
Im Zusammenhang mit der Frage der Eins-zu-EinsUmsetzung will ich noch einmal darauf hinweisen, dass
es die Auffassung der Bundesregierung ist, dass wir
diese Richtlinie eins zu eins umsetzen, insbesondere die
strafrechtlichen Maßgaben dieser Richtlinie. Deshalb
kann man mit diesem Gesetzentwurf, wie ich finde,
durchaus in eine Regierungsbefragung gehen.
Es ist eben schon einmal angesprochen worden, dass
in den Erwägungsgründen der Richtlinie darauf hingewiesen wird, dass auch das Geschlecht, eine Schwangerschaft, der Gesundheitszustand oder eine Behinderung
besondere Berücksichtigung finden sollen. Allerdings ist
in der Richtlinie genau geregelt, dass insbesondere hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit einer Person den Mitgliedstaaten lediglich zwingend vorgegeben wird, bei
Kindern bzw. Personen unter 18 Jahren entsprechende
Qualifikationsmerkmale auch im Strafgesetzbuch auszulegen.
Es gibt einen weiteren Punkt, bei dem man möglicherweise die Frage stellen könnte: Ist diese Vorgabe
nicht vollständig umgesetzt? In der Richtlinie wird nämlich verlangt, dass etwa Menschenhandel in Ausübung
eines Amtes ein erschwerender Umstand ist, der sich in
der Bestrafung niederschlagen muss. Auch da sind wir
der Auffassung, dass die Richtlinie die Aufnahme einer
solchen expliziten Regelung nicht zwingend vorgibt.
Aufgrund der Strafzumessungsregelung in § 46 des
Strafgesetzbuches können wir die berufliche Stellung,
also die Eigenschaft eines Amtsträgers, strafwirkend berücksichtigen. Deshalb sind wir, um das noch einmal zu
sagen, der Auffassung, dass wir das, was die Richtlinie
zwingend vorgibt, in dem Gesetzentwurf umsetzen.
({0})
- Für uns ist der Unterschied nicht so zwingend.
({1})
Das kann dann vielleicht in der Debatte, wenn der Gesetzentwurf eingebracht wird, weiter erörtert werden. Gibt es sonstige Fragen zu Themen der heutigen Kabinettssitzung oder sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - An die Bundesregierung folgende Frage: Beabsichtigen Sie, das gerade erst
in Kraft getretene Mindestlohngesetz in den ersten drei
Monaten dieses Jahres im Hinblick auf die Pflicht des
Nachweises der Arbeitszeit bei Minijobbern und Minijobberinnen wieder zu ändern?
Zumindest kann ich Ihnen sagen, dass mir von einer
Absicht, gesetzliche Änderungen vorzunehmen, nichts
bekannt ist. Es ist richtig, dass es in den letzten Tagen
- darüber ist berichtet worden - Klagen wegen angeblich zu bürokratischer Vorgänge gegeben hat. Ich weiß,
dass man sich das im Ministerium von Frau Nahles noch
einmal angesehen hat. Mir ist allerdings nicht bekannt,
dass das zu gesetzgeberischen Konsequenzen führen
wird.
Ich bitte Sie aber, die Details gegebenenfalls noch
einmal bei den zuständigen Kollegen in Erfahrung zu
bringen. Ich kann nicht bestätigen, dass gesetzliche Änderungen geplant sind.
({0})
Der Abgeordnete Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen,
stellt die nächste Frage an die Bundesregierung.
Herr Minister, meine Frage geht in eine andere Richtung. Es geht um die Ratifizierung der Handelsverträge
zwischen Europa und den afrikanischen AKP-Staaten.
Ich habe im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nachgefragt, wann die Ratifizierung dieser Verträge im Parlament durchgeführt
wird. Darauf habe ich schriftlich die Antwort bekommen: Sie wird hier überhaupt nicht durchgeführt, sondern das wird im Kabinett beschlossen. Ich wollte dann
vom Ministerium wissen, wie es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Das BMZ hat sich da auf eine Studie Ihres
Hauses berufen. Daraufhin habe ich in Ihrem Hause
nachgefragt, ob ich dieses Studie haben könnte, und die
lapidare Antwort war: Eine solche Studie gibt es nicht.
Jetzt frage ich Sie: Wie ist es möglich, dass sich das
BMZ auf Studien beruft, die in Ihrem Haus angeblich erstellt worden sind, die es aber nicht gibt? Wie gedenken
Sie diese EPA-Verträge zu ratifizieren? Soll das tatsächlich nur eine Sache der Minister sein, oder kommt das
hier ins Haus?
Wenn das BMZ mitgeteilt hat, dass die Ratifizierung
durch Kabinettsbeschluss erfolgt, dann kann ich dem
nichts hinzufügen. Ich kann Ihnen, da ich das Schreiben
vom Kollegen Müller nicht kenne, nicht sagen, auf welche Studie er sich bezieht.
Wenn Sie mir die Unterlagen zur Verfügung stellen,
bin ich gerne bereit, Ihnen diese Frage im Nachgang
schriftlich zu beantworten und zu klären, wie es zu einem solchen Missverständnis kommen konnte, wenn es
denn eines ist.
({0})
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Koenigs,
Bündnis 90/Die Grünen.
Ich habe eine Frage an den Bundesminister der Justiz:
Hat das Kabinett in seiner heutigen Sitzung die gesetzliche Grundlage für das Deutsche Institut für Menschenrechte beschlossen, die Sie schon für Oktober versprochen hatten?
Nein.
Noch eine Frage von Frau Haßelmann, Bündnis 90/
Die Grünen.
Kurz eine Frage zum gleichen Thema: Herr Maas,
was hindert Sie daran, die für Oktober versprochene und
anvisierte gesetzliche Regelung zum Deutschen Institut
für Menschenrechte endlich dem Deutschen Bundestag
vorzulegen?
Wir haben dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt,
({0})
den wir für geeignet halten, die Stellung des Deutschen
Instituts für Menschenrechte ausreichend zu regeln und
die notwendige gesetzliche Grundlage zu schaffen. Dieser Gesetzentwurf befindet sich in der Ressortabstimmung - das ist alles allgemein bekannt -, und wir bemühen uns darum, diesen Gesetzentwurf auch zügig zur
Verabschiedung zu bringen.
Frau Abgeordnete Künast, Bündnis 90/Die Grünen,
und danach noch einmal Herr Beck.
Herr Minister, was das Stichwort „zügig“ angeht, gibt
es einen gewissen Zeitdruck, weil in wenigen Wochen,
glaube ich, Deutschland im UN-Menschenrechtsrat den
Vorsitz übernimmt.
({0})
- Wir haben ihn schon? Dann ist es noch schlimmer. Denn es ist ungeheuer blamabel, dass wir, wenn wir
Nicht-Rechtsstaaten, Diktaturen und Länder, in denen
massiv Menschenrechte verletzt werden, dazu anhalten
wollen, Strukturen aufzubauen, selber nicht dazu in der
Lage sind, weil diese Entscheidung offenbar ungeheuer
überraschend kommt. Woran scheitert es bisher, dass Ihr
Entwurf, den auch ich gerne kennen würde, noch nicht
zur Abstimmung vorliegt? Haben Sie zu viele Regelungen hineingeschrieben, die rechtlich gar nicht nötig
sind?
In der Presse wird berichtet, dass es in Wahrheit eine
Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, Frau Steinbach,
sei, die einfach nicht einsehen wolle, dass es ein Menschenrechtsinstitut geben müsse, das gegen Menschenrechtsverletzungen auf deutschem Territorium vorgeht.
Ist dem so? Dann wäre die Frage, wie Sie sich materiell
einigen wollen.
({1})
Ich würde gerne wissen, worum der Streit geht und mit
wem in der Koalition er geführt wird.
Das ist eine Diskussion, die wir innerhalb der Regierung führen.
({0})
Dass diese Diskussion natürlich auch in den Fraktionen
geführt wird, ist auch für Sie keine Überraschung. Ich
gehe davon aus, dass wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, das eine rechtliche Grundlage für ein ausreichend ausgestattetes Menschenrechtsinstitut schafft.
({1})
Nächste Frage: Abgeordneter Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Teilt das Bundesjustizministerium meine Rechtsauffassung - Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz:
Es heißt übrigens Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz, Herr Abgeordneter.
Zumindest das können Sie uns frei sagen.
Ja, immerhin.
Teilt der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz die Rechtsauffassung, dass zur Beibehaltung
des A-Status nach den Pariser Kriterien dieses Menschenrechtsinstitut erstens unabhängig sein muss und
zweitens die Begutachtung von Menschenrechtsfragen
im In- und Ausland frei vornehmen können muss?
Ja.
({0})
Die nächste Fragestellerin ist Frau Höger, Fraktion
Die Linke.
Vielen Dank für die Möglichkeit einer Nachfrage. Sie wissen, dass der A-Status für das Deutsche Institut
für Menschenrechte im Grunde schon im Oktober letzten
Jahres aberkannt werden sollte und dass es eine Verlängerung gab. Im Ausschuss für Menschenrechte wird jedes Mal gesagt: Wir einigen uns. - Jetzt konnten wir der
Presse entnehmen, dass Sie sich doch nicht einigen. Was
gedenken Sie zu tun, damit Deutschland in diesem sehr
wichtigen Bereich eine führende Rolle wahrnimmt?
Wir werden alles dafür tun, dass wir uns in dieser
Frage einigen und eine gesetzliche Grundlage für das Institut schaffen, und zwar eine, die notwendig ist, um den
A-Status zu erhalten.
Danke schön. - Ich beende jetzt die Befragung der
Bundesregierung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksachen 18/3811, 18/3829
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
dringliche Frage der Abgeordneten Katja Keul auf
Drucksache 18/3829 auf:
Hat der Bundessicherheitsrat in seiner letzten Sitzung ein
generelles Ausfuhrverbot für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien beschlossen, wie die Zeitung
Bild am Sonntag vom 25. Januar 2015 berichtete, und sind
auch bereits genehmigte, aber noch nicht ausgeführte Rüstungsgüter von dieser Entscheidung erfasst?
Diese Frage richtet sich an den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Uwe Beckmeyer bereit.
Herr Präsident, schönen Dank. - Liebe Frau Keul, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim und unterliegen nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Auskunftspflichtig ist die Bundesregierung nach dieser Rechtsprechung lediglich bei Fragen zu positiv beschiedenen
Rüstungsexportanträgen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 21. Oktober 2014; das Aktenzeichen erspare ich
mir.
Mögen Sie eine Nachfrage stellen, Frau Abgeordnete
Keul? - Bitte schön.
Vielen Dank für diese Nichtantwort. - Ich gebe zu,
dass dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts für uns
Parlamentarier nicht in jeder Hinsicht erfreulich war.
Das Bundesverfassungsgericht hat aber auf jeden Fall
klargestellt, dass die Frage, ob genehmigt worden ist
oder nicht, beantwortet werden muss. Deswegen frage
ich nach den bereits genehmigten Rüstungsexporten
nach Saudi-Arabien. Sind in der in Rede stehenden Sitzung erteilte Genehmigungen aufgehoben oder widerrufen worden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Ich will auf Ihre Frage wie folgt antworten: Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag gemäß Koalitionsvertrag unverzüglich, das heißt in der Regel innerhalb
von zwei Wochen, über abschließende Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates. Abschließende Genehmigungsentscheidungen werden dem Bundestag insofern zeitnah mitgeteilt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, wenn Sie mögen.
Verstehe ich richtig, dass die Beantwortung meiner
Frage spätestens in vierzehn Tagen schriftlich vorliegen
wird? - Ich frage auch, ob bei dieser Entscheidung die
Auspeitschung des Bloggers in Saudi-Arabien eine Rolle
gespielt hat und ob das Aufschieben der Genehmigungen
so lange aufrechterhalten bleibt, bis Saudi-Arabien von
solchen martialischen Strafen Abstand nimmt.
Frau Abgeordnete, Sie beziehen sich in Ihrer Frage
auf die Bild am Sonntag, in der es heißt: „Merkel stoppt
Waffen-Deals mit den Scheichs“. Dort ist des Weiteren
zu lesen: Die Minister der Großen Koalition sind „zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Wer was ausplaudert, macht sich strafbar“. Ich hoffe nicht, dass Sie mich
zu einer Straftat anstiften wollen.
Ich darf hinzufügen, dass die Bundesregierung weiterhin eine restriktive Rüstungskontrollpolitik verfolgt.
Nach dem Gemeinsamen Standpunkt der EU betreffend
Rüstungsausfuhren vom Dezember 2008, den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung zum Rüstungsexport generell und dem Vertrag über den Waffenhandel
ist die klare Positionierung der Bundesregierung unverändert. Wir haben in den Politischen Grundsätzen der
Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern klar zum Ausdruck gebracht:
Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.
Danke schön. - Die nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Höger, Fraktion Die Linke.
({0})
- Das geht immer nach der Reihenfolge der Wortmeldungen. Sie kommen noch dran.
Ich stelle noch einmal klar: Erstens. Jeder kommt
dran. Zweitens. Die Reihenfolge ist nach jetzigem Stand:
Frau Höger, Frau Haßelmann, Herr Beck, Frau Vogler
und Herr Koenigs. Es dürfen sich aber noch andere melden. Wir sind nun in der Fragestunde, die ihre eigenen
Regeln hat. Die Fragestellerin hat zwei Zusatzfragen.
Diese hat sie gestellt. Nun kommen die anderen. Wir
machen das alles ganz ruhig.
Frau Abgeordnete Höger, Fraktion Die Linke, bitte.
Ich habe eine Nachfrage: Sie haben eben die Rüstungsexportrichtlinien zitiert. Die haben Sie bisher nicht
daran gehindert, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
zu verbieten. Ein solches Verbot wäre erstmalig der Fall.
Wir haben diese Information aus den Medien; aber Sie
wollen nicht sagen, ob es wirklich so ist oder nicht.
Wir fordern ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten in diese Region und auch an Länder, die, so wie
Saudi-Arabien, Menschenrechte generell missachten. Es
stellt sich angesichts der Behauptung der Zeitung Bild
am Sonntag schon die Frage: Ist nur ein Antrag auf Genehmigung ausgesetzt, oder sind alle Anträge ausgesetzt? Es gilt, der Informationspflicht gegenüber den Abgeordneten nachzukommen, damit wir nicht der BildZeitung auf den Leim gehen.
Herr Staatssekretär.
Es gibt klare Spielregeln hier im Parlament. Insofern
werden positive Genehmigungsentscheidungen aus dem
Bundessicherheitsrat dem Parlament unverzüglich, das
heißt in der Regel innerhalb von 14 Tagen, mitgeteilt.
Dabei bleibt es.
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Meine Frage an Sie, Herr Staatssekretär: Können Sie mir bestätigen, dass im ersten Halbjahr
2014 von Deutschland aus Rüstungsgüter im Wert vom
65,9 Millionen Euro geliefert worden sind?
Auf Anhieb kann ich das nicht bestätigen, aber ich
werde es prüfen.
({0})
Es besteht der Wunsch, dass Sie das zeitnah der Kollegin Haßelmann zukommen lassen.
Nächster Fragesteller zu diesem Komplex ist Herr
Abgeordneter Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, die Formulierung „zeitnah“ bezieht sich natürlich darauf, dass die Bundesregierung die
Pflicht hat, uns proaktiv zeitnah zu unterrichten. Wenn
der Vorgang bereits abgeschlossen ist und das Parlament
Sie in Ausschüssen oder hier im Plenum im Rahmen der
Fragestunde befragt, sind Sie selbstverständlich gegenüber dem Parlament auskunftspflichtig. Strafbar machen
Sie sich hier ohnehin nicht, weil Sie Indemnität für Ihr
hier gesprochenes Wort genießen.
Deshalb frage ich Sie noch einmal im Sinne der Frage
von Frau Keul: Gab es bei der letzten Bundessicherheitsratssitzung einen Vorgang, aufgrund dessen die Bundesregierung beabsichtigt, das Parlament zeitnah zu unterrichten, und wenn ja, welcher Art war dieser Vorgang?
Lieber Herr Kollege Beck, Sie können mich noch so
sehr locken, aber meine Antwort steht und ist eindeutig.
Die Bundesregierung nimmt zu Fragen und zu Medienberichten, die die Zuständigkeit des BSR oder Einzelfälle von Rüstungsexporten betreffen, wie auch die Vorgängerregierung aktuell keine Stellung.
({0})
Die nächste Fragestellerin dazu ist Frau Abgeordnete
Vogler, Fraktion Die Linke.
Da Sie uns zu Einzelfallentscheidungen des Bundessicherheitsrates keine Auskunft geben wollen, möchte
ich eine etwas grundsätzlichere Frage stellen. Vor einiger Zeit hat die Bundesregierung uns hier den Umsetzungsbericht zum Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ für die vergangenen vier Jahre vorgelegt. In diesem
Umsetzungsbericht spielen Rüstungsexporte keine Rolle.
Meine Fraktion hat nichtsdestotrotz nachgefragt, ob die
Bundesregierung Erkenntnisse darüber hat, ob in Länder, in denen sie Maßnahmen ziviler Krisenprävention
und Konfliktbearbeitung betreibt, gleichwohl Rüstungsgüter in den vergangenen Jahren geliefert worden sind.
Das wollte uns die Bundesregierung nicht ausführlich
beantworten. Wären Sie in der Lage, uns einen solchen
Bericht nachzuliefern?
Ich werde Ihre Frage aufgreifen und prüfen, weshalb
das nicht passiert ist. Ich vermute, dass es dafür gute
Gründe gab. Ich werde diese Gründe erforschen, und Sie
werden von mir einen Bericht bekommen.
Danke schön. - Nächster Fragesteller: Abgeordneter
Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, es ist zu den Feierlichkeiten anlässlich des Regierungswechsels in Saudi-Arabien ja der
Exbundespräsident geschickt worden. Zweifellos hat er
dort auch über so schwierige Fragen wie Rüstungsexporte und Menschenrechte gesprochen. Hat das Wirtschaftsministerium ihn vorbereitet?
Lieber Herr Abgeordneter, wenn ich es richtig weiß,
fanden dort nicht nur ein Regierungswechsel, sondern
auch Trauerfeierlichkeiten statt, bei denen Herr Exbundespräsident Wulff die Bundesrepublik Deutschland vertreten hat. Insofern mussten wir ihn auf dieses Thema
nicht vorbereiten.
Danke schön. - Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich habe dazu ebenfalls noch eine
dringende Nachfrage. Ich weiß aus einer Antwort der
Bundesregierung, dass die Bundesregierung unter anderem mit Saudi-Arabien ein Sicherheitsabkommen geschlossen hat; das brauchen Sie mir also gar nicht zu
verraten. Mich interessiert: Enthält dieses Abkommen
Menschenrechtsklauseln, also Klauseln, die sichern,
dass die Menschenrechte gewahrt werden? Um es noch
konkreter zu machen: Wie will die Bundesregierung ausschließen, dass Hilfen bei der Ausbildung auch dazu
führen und benutzt werden, dass öffentliche Hinrichtungen oder öffentliche Auspeitschungen in Saudi-Arabien
auch in Zukunft durchgeführt werden können?
Herr Abgeordneter, die deutsche Bundesregierung hat
in der jüngsten Vergangenheit, aber auch zuvor im Allgemeinen bei Fällen von eklatanten Menschenrechtsverletzungen, unter anderem in Saudi-Arabien, immer ihre
Stimme erhoben, und sie hat in dieser Frage auch ihre
Besorgnis über diesen Umstand deutlich zum Ausdruck
gebracht. Das werden wir auch in Zukunft tun.
Gleichwohl ist die gesamte Region eine, der man besondere Aufmerksamkeit widmen muss. Denn das
Thema, das Sie eben beschrieben und erfragt haben, ist
eines; aber es gibt darüber hinaus noch einen weitaus
größeren Kreis von Sicherheitsproblemen, die uns insgesamt nicht unbeeinträchtigt und nicht unaufmerksam
werden lassen dürfen. Denken Sie allein an das Atomprogramm der Iraner oder an das, was ISIS dort zurzeit
treibt. Wir werden genau schauen, was im Bereich des
Bürgerkrieges und des Friedensprozesses generell stattfindet. Wir haben es dort also mit einer Region mit einer
besonders explosiven Mischung zu tun, und diese besonders explosive Mischung müssen wir schon im Auge behalten. Da spielt Saudi-Arabien eine nicht zu unterschätzende Rolle.
({0})
- Haben Sie eine Frage?
({1})
- Gut, okay. Danke schön.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, Ihr Vizekanzler und Wirtschaftsminister plant eine Reise nach Saudi-Arabien. Meine
Frage lautet: Wie bereiten Sie sich darauf vor im Hinblick auf die Menschenrechtsfragen, die es anzusprechen
gilt, nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit und den
Journalisten hier in Deutschland, sondern auch in SaudiArabien selbst? Erachten Sie es nicht für ein bisschen
scheinheilig, wenn hier in Deutschland die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien beklagt wird? Wir empören uns alle zu Recht über den aktuellen Fall eines
Bloggers, und gleichzeitig pflegen wir Wirtschaftsbeziehungen, indem wir Rüstungsexporte nach wie vor nicht
ausschließen.
Liebe Frau Abgeordnete, wir haben eine klare Werteorientierung in unserer Außenpolitik und auch in unserer
Wirtschaftspolitik. Selbstverständlich bereitet sich auch
der Herr Minister entsprechend auf diese Reise vor. Das
wird passieren; darauf können Sie Gift nehmen. Der
Minister wird - das hat er auch schon öffentlich angekündigt - auch diese Fragestellung ansprechen. Da seien
Sie ganz sicher. Dazu ist er in der Lage und auch willens.
({0})
Schönen Dank. - Wir waren fast schon am Ende, aber
bitte, Herr Kollege.
Knapp vorbei ist auch daneben. - Sie haben gesagt:
Positive Entscheidungen im Bundessicherheitsrat werden dann zeitnah, in aller Regel binnen 14 Tagen, dem
Parlament mitgeteilt. Habe ich Sie da richtig verstanden?
Wenn das der Fall ist und Sie sagen: „Jetzt kann ich nicht
darüber reden“ und die Entscheidung getroffen worden
ist, kann es keine positive Entscheidung gewesen sein;
denn die könnte ja zeitnah dem Parlament mitgeteilt
werden. Insofern kann es sich nur um eine negative Entscheidung handeln, die dem Parlament dann nicht mitgeteilt wird. Insofern dürfte die Meldung, die in der Bild
am Sonntag stand, korrekt sein, dass nämlich tatsächlich
ein Verbot von Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien
entschieden worden ist. Gehe ich da fehl in der Annahme?
Ich kommentiere Ihre Feststellungen nicht.
({0})
Jetzt kommen wir zu den mündlichen Fragen auf
Drucksache 18/3811 in der üblichen Reihenfolge.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Lange bereit.
Die Frage 1 des Abgeordneten Andrej Hunko wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Tom Koenigs
auf:
Kann die Bundesregierung garantieren, dass sie, wie von
den Mitgliedern der Regierung ({0})
Vizepräsident Peter Hintze
und Mitgliedern der Koalition ({1}) angekündigt, rechtzeitig vor März 2015 eine gesetzliche Grundlage für das Deutsche Institut für Menschenrechte e. V.,
DIMR, schaffen wird, die die Unabhängigkeit des Instituts
wahrt und den Verlust des A-Status des DIMR verhindert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort
zur Antwort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vor wenigen Minuten
hat der Kollege Koenigs in der Befragung der Bundesregierung diese Frage eigentlich schon gestellt. Ich weiß
nicht, ob Sie damit einverstanden sind, Herr Präsident,
wenn ich mich den Ausführungen meines Ministers anschließe. Aber ich bin auch gern bereit, das hier zu wiederholen.
Herr Abgeordneter, sind Sie damit einverstanden?
({0})
- Wir nehmen das als Einverständnis, und jetzt kommt
gleich die erste Nachfrage des Abgeordneten Koenigs.
Bitte schön.
In der vorigen Sitzung des Menschenrechtsausschusses hat der jetzige Vorsitzende des Menschenrechtsrats
der Vereinten Nationen in Genf, der Botschafter Rücker,
darauf hingewiesen, wie wichtig es auch für das Prestige
der Bundesrepublik Deutschland ist, diese gesetzliche
Grundlage für das Menschenrechtsinstitut zeitnah zu
schaffen. Wenn Sie den Terminplan für ein Gesetzgebungsverfahren, das ja dafür notwendig ist, bedenken:
Wie wollen Sie das bis zur März-Sitzung des Ausschusses mit Blick auf die Pariser Prinzipien noch schaffen?
Wir sind guter Hoffnung, dass die Gespräche mit den
Koalitionsfraktionen und innerhalb der Bundesregierung
rechtzeitig zum Abschluss kommen, sodass wir die entsprechenden Fristen einhalten.
({0})
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Koenigs?
Ja. - Werden Sie das dann notfalls auch im Eilverfahren zu machen versuchen?
Herr Kollege, mir ist ein Eilverfahren in dem Zusammenhang nicht bekannt.
({0})
Nachfrage von Frau Abgeordneten Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Lange, ich muss
da nachhaken. Sie waren lange genug im Parlament.
Jetzt sind Sie Staatssekretär. Sie wissen, dass der MärzTermin bei einem normalen Beratungsverfahren - mit
ganz normalen Ausschusssitzungen, möglichen Anhörungen etc. zu einem Gesetzentwurf - schon jetzt kaum
noch zu halten ist. Von daher erscheint mir Ihre Antwort
hier doch eher als eine Ausrede. Wir haben den Termindruck für die Sitzung - Herr Koenigs hat es gerade beschrieben -, wir haben keinen Gesetzentwurf, und wir
wissen, dass es massiven Streit innerhalb der Großen
Koalition gibt; so dachten wir zumindest bisher. Aber
anscheinend ist dieser Streit ja bis ins Kabinett getragen
worden; sonst würde ja eine Einlassung von Frau
Steinbach Sie im Kabinett nicht daran hindern, einen
Gesetzentwurf vorzulegen. Oder sehe ich das falsch?
Frau Kollegin, ich glaube, dass wir, wenn sich Opposition und Bundesregierung darin einig sind, dass wir
den A-Status erhalten wollen - der Koalitionsvertrag
sieht das auch vor -, die Fristen einhalten können.
({0})
Nächste Fragestellerin: Abgeordnete Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Ich will einmal etwas aus unserer gestrigen Fraktionssitzung verraten, nämlich dass wir den Parlamentspräsidenten, Herrn Lammert, dort hatten und mit ihm über genau diese Fragestunden und so geredet haben. Er hat uns
aufgefordert, auch mal aufzustehen und uns zu beschweren, wenn auf Fragen keine Antworten gegeben werden.
Ich würde mal gern eine Antwort auf die Frage haben,
wo eigentlich jetzt das Problem liegt, Herr Lange. Sie
haben gesagt, Sie bezögen sich auf die Antwort des
Ministers - das verstehe ich ja -, aber die habe ich schon
materiell nicht verstanden. Worüber gibt es eigentlich
Streit, und wo ist das Problem? Ich würde auch gern wissen, zwischen wem. Hat das Justizministerium, das einen Vorschlag gemacht hat, der wahrscheinlich das Notwendige umfasst, Streit mit dem Innenressort oder mit
dem Kanzleramt oder mit wem? Oder trifft es zu, dass es
Streit mit anderen gibt, also dass es eigentlich kein Problem bei der Ressortabstimmung ist, sondern dass es
Druck innerhalb der Koalition gibt, zum Beispiel von
Frau Steinbach, die diesen Gesetzentwurf nicht will?
Dann würde ich aber sagen: Es kann nicht sein, dass dadurch die parlamentarische Beratung aufgehalten wird.
Frau Steinbach könnte sich ja dann in die Beratung einbringen. Wir hätten dann aber trotz alledem endlich die
Möglichkeit, in einem geordneten Verfahren ohne Aufgabe von Minderheitenrechten und Parlamentsrechten
das Ganze rechtzeitig zu entscheiden. Sagen Sie bitte
nicht wieder: „Ich gehe fest davon aus, dass wir uns einigen werden“, denn das ist eine Nichtantwort.
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, wir antworten immer nach bestem
Wissen und Gewissen, und so tue ich das hier auch. Der
Bundesminister hat vorhin ausgeführt, dass wir zu dem
Thema eine Koalitionsarbeitsgruppe eingesetzt haben,
und die Bundesregierung kann keine Auskunft dazu geben, da die Koalitionsarbeitsgruppe noch nicht zu einem
Ergebnis gekommen ist. Aber - und hier kann ich mich
wiederholen - wir gehen davon aus, dass das noch rechtzeitig geschieht. Wir dringen auch darauf.
({0})
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Volker
Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, da Sie die Einigung noch nicht
verkünden können, jedoch der Hoffnung voll sind, wie
Sie uns ständig beteuern, würde ich trotzdem gern etwas
über den Sach- und Streitstand in der Koalition und in
der Bundesregierung erfahren. Können Sie uns sagen,
zwischen welchen Positionen oder zu welchen Punkten
es Dissense gibt und welche Vorschläge es in dieser Debatte für diese Dissense gibt? Es kann ja nicht sein, dass
es irgendwie einen Streit gibt, aber keinen Streitgegenstand. Nehmen Sie sich die Worte von Herrn Lammert
zu Herzen und antworten Sie in der Sache und nicht mit
einer Ausweichformel.
Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nur noch einmal
sagen, dass die Bundesregierung keine Auskunft dazu
geben kann, was die Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe angeht, die sich mit dem Thema beschäftigt.
({0})
Darauf habe ich hingewiesen, und der Minister hat vorhin in der Regierungsbefragung gesagt, dass wir in der
Ressortabstimmung sind. Beides findet statt.
({1})
- So ist es. Deshalb habe ich die Antworten so gewählt,
wie ich sie gewählt habe.
Frau Haßelmann, wollen Sie noch eine Frage stellen,
dann brauchen Sie nicht zu rufen? - Bitte, stellen Sie sie
einfach noch einmal geordnet.
Wir können das schon gut sortieren, Herr Lange. Sie
brauchen sich um uns keine Sorgen zu machen. Wir fragen die Bundesregierung in einer Fragestunde, und ich
weiß, dass sie in der Regel - so antwortet uns immer das
Arbeitsministerium - nichts sagt zu der Frage der Diskussion in den Arbeitsgruppen der Koalitionen. Das ist
auch okay.
Ich frage Sie aber danach, was Sie daran hindert, als
Kabinett einen Gesetzentwurf vorzulegen. In der Sache
ist es unstreitig, wie blamabel es wäre, wenn wir keine
gesetzliche Grundlage für das Deutsche Institut für Menschenrechte hätten. Diese Frage haben Sie zum wiederholten Male nicht beantwortet. Mich interessiert die Koalitionsarbeitsgruppe nicht. Ich will wissen, was Sie im
Kabinett daran hindert, hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen.
({0})
Herr Staatssekretär.
Auch wenn es etwas langweilig ist,
({0})
ich kann Ihnen nun einmal nicht weiterhelfen. Ich kann
Ihnen nur sagen, dass wir in intensiven Diskussionen mit
den Koalitionsfraktionen sind. Sie wissen, dass die Gesetzgebungskompetenz bei der Legislative liegt und das
Verfahren schon deshalb in der Hand der Fraktionen liegen wird. Wir legen unseren Entwurf auf der einen Seite
den anderen Ressorts vor. Darauf hat der Minister hinge7710
wiesen. Diese Ressortabstimmung läuft. Auf der anderen
Seite legen wir ihn den Koalitionsfraktionen vor.
({1})
- Das ist wahr.
Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 3 und 4
der Abgeordneten Sabine Zimmermann und die Frage 5
des Abgeordneten Harald Petzold werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 6 und 7 des
Abgeordneten Markus Kurth werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die
Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Friedrich Ostendorff
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks bereit.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Volker Beck
auf:
Welche Deradikalisierungsprogramme für gewaltbereite
Islamistinnen und Islamisten werden nach Kenntnis der Bundesregierung gefördert, bitte mit Angabe der Trägerschaft, der
etwaigen Beteiligung muslimischer Seelsorgerinnen und Seelsorger und der bereitgestellten Mittel, und inwiefern werden
diese Mittel - wie derzeit in Frankreich ({0}) - im
laufenden Jahr aufgestockt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage zu den Deradikalisierungsprogrammen gern wie folgt: Diese Programme
für gewaltbereite Islamisten liegen in erster Linie - das
ist bekannt - in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Es gibt aber eine enge und gute Zusammenarbeit
der Bundesregierung mit den Bundesländern.
Es gibt Maßnahmen des Bundesinnenministeriums,
die ich der Vollständigkeit halber ebenfalls - Sie hatten
ja nach allen Programmen gefragt, von denen die Bundesregierung Kenntnis hat - kurz erwähnen möchte. Das
Bundesministerium des Innern hat 2012 eine „Beratungsstelle Radikalisierung“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingerichtet, die als erste Anlaufstelle für Angehörige und für das soziale Umfeld von
sich radikalisierenden Personen dient. Das BMI fördert
auch einige Träger, die Beratungsangebote vorhalten.
({0})
Die Bundeszentrale für politische Bildung leistet in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Arbeit.
Der Ansatz unseres Hauses, des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, mit dem neuen
Bundesprogramm ist im Themenfeld „Islamismus“ ein
breit angelegter Ansatz, der die jugendpolitische Sichtweise einbezieht und einen Schwerpunkt des Programms
eben auch auf die Radikalisierungsprävention legt. Mit
der Aufstockung der Mittel des Programms - das war
Gegenstand der Haushaltsberatungen - um 10 Millionen
Euro stehen dieses Jahr 40,5 Millionen Euro zur Verfügung.
({1})
- Nein, insgesamt. Ich habe gesagt, mit der Aufstockung
der Mittel des Programms „Demokratie leben!“ stehen
insgesamt 40,5 Millionen Euro zur Verfügung.
19 Projekte, Herr Kollege Beck, befassen sich mit demokratiefeindlichen islamistischen Phänomenen und
missbräuchlichen Instrumentalisierungen des Islam zu
ideologischen Konflikten. Da Sie konkret nach den Projekten und deren Finanzierung gefragt haben, habe ich
eine Auflistung vorbereitet, die ich Ihnen gerne schriftlich zukommen lassen würde; denn es würde den Rahmen sprengen, diese Maßnahmen aufzuzählen.
Eine Reihe dieser Projekte plant, in und mit Moscheegemeinden gemeinsam zu arbeiten. Wie gesagt: Wir unterstützen die Bundesländer zusätzlich über die Aufstockung der Mittel.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Vielleicht möchte das Bundesinnenministerium noch
ergänzend antworten; denn es ist eine Frage an die Bundesregierung gewesen. Wenn die Frage abschließend beantwortet worden ist, dann würde ich gerne meine zwei
Nachfragen stellen.
Die Bundesregierung entscheidet, wer antwortet.
({0})
Es kann ein Ressort die Beantwortung einer Frage
durchaus einem anderen Ressort übertragen. So habe ich
eben die Staatssekretärin verstanden.
({1})
- Ja, das ist in der Fragestunde zulässig. Die Bundesregierung entscheidet jedenfalls selbst, wer für sie welche
Frage beantwortet. Da es keinen anderen Vertreter der
Bundesregierung gibt, der antworten möchte, haben Sie
jetzt die Möglichkeit zur Nachfrage.
Dann hoffe ich, dass die schriftliche Nachbeantwortung für beide Ressorts erfolgt, damit wir wissen, welche
Projekte in diesem Bereich aus welchen Haushaltstiteln
finanziert werden.
Meine Nachfrage: Glauben Sie wirklich, dass die in
der Bereinigungssitzung erfolgte Aufstockung um zweimal 5 Millionen Euro - 5 Millionen für Ihr Haus und
dann 5 Millionen für das BMI - ausreichend ist angesichts der Tatsache, dass dieses Jahr in Frankreich, wie
in der Frage angesprochen, die Mittel allein für den Bereich der Deradikalisierung im Bereich der Justiz um
50 Millionen Euro aufgestockt wurden? Sollten wir hier
nicht größere Anstrengungen unternehmen - wir haben
erst dieses Jahr angefangen, uns mit diesem Thema zu
befassen -, da wir die Berichte des Verfassungsschutzes
über die große Zahl der islamistischen Terroristen, die
nach Syrien und Irak ausgereist sind und die in beängstigend hoher Zahl aus dem Terrorkampf zurückkehren,
kennen?
Vielen Dank, Herr Kollege Beck, für Ihre Nachfrage. In der Tat ist die Radikalisierung im Zusammenhang mit
Salafismus und mit gewaltbereitem Islamismus ein
wichtiges Themenfeld, wenn es darum geht, Programme
aufzustellen, die unsere Demokratie stärken. Deswegen
heißt unser Programm auch „Demokratie leben!“.
Unser Haus hat es sehr begrüßt, dass wir in unserem
Ressort zusätzlich 10 Millionen Euro - und nicht nur
5 Millionen Euro - für dieses Programm haben. Wir haben uns gemeinsam mit den Ländern und Kommunen
darauf verständigt, diese Programme zu verstärken.
Angesichts der aktuellen Situation ist es notwendig,
dass sowohl Bund als auch Länder und Kommunen dahin gehend Überlegungen anstellen, wie man all diese
Programme und insbesondere auch den präventiven Bereich weiter stärken kann. Ich denke, dass wir da sowohl
innerhalb der Ressorts als auch gemeinsam mit allen im
Bundestag vertretenen Fraktionen Entscheidungen treffen werden, die zur Stärkung dieses Programmbereichs
beitragen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Selbstverständlich. - Die wiederholte Betonung von
„weiter verstärken“ halte ich für einen Euphemismus.
Wir müssen uns eingestehen, dass wir in der Fläche fast
nichts haben. Ich sehe drei Ansatzpunkte, wo man unmittelbar beginnen könnte. Das ist erstens der Bereich
der Schule und zweitens der Bereich der Justiz. Außerdem kann man drittens partnerschaftlich und gemeinsam
mit islamischen Organisationen - Moscheevereinen und
dergleichen - versuchen, das Umfeld mithilfe entsprechender demokratiefördernder Maßnahmen aufzurollen
und an der Stelle präventiv tätig zu sein.
Wie sieht die Strategie der Bundesregierung aus, und
was ist gemeinsam mit den Ländern geplant? Es geht
nicht, dass Sie eine Sache und die Länder eine andere
Sache machen und Sie das nicht miteinander abstimmen.
Es bedarf einer Gesamtstrategie zur Prävention. Wir
müssen in die Puschen kommen. Es handelt sich hierbei
schließlich um eine gefährliche Situation, in der wir
nicht tatenlos bleiben dürfen.
Herr Kollege Beck, das sprechen Sie völlig zu Recht
an. Aus diesen Gründen führen wir schon seit längerem
sehr gute Gespräche mit den Bundesländern und den
Kommunen, in denen einzelne Projekte gefördert werden.
Da Sie grundsätzlich großes Interesse an unserer Arbeit haben, wissen Sie sicherlich, dass es im Familienministerium das neue Programm „Demokratie leben!“ gibt.
Wir finanzieren damit nachhaltige Strukturen, indem wir
beispielsweise den Ländern über die Demokratiezentren
zur landesweiten Koordinierung mobiler Opfer- und
Ausstiegsberatung Gelder über einen Zeitraum von fünf
Jahren zur Verfügung stellen. Damit widmen wir uns
nachhaltig der Strukturförderung. Die Länder sind gemeinsam mit uns gut aufgestellt. Die Strukturen sind
wichtig, damit nachhaltige präventive Arbeit geleistet
werden kann.
Zusätzlich gibt es Geld für die Projektförderung. Das
ist insbesondere in Bezug auf den Salafismus und den
gewaltbereiten Islamismus wichtig; darauf bezog sich
auch Ihre Frage. Wir betreten hier nämlich in der Tat
Neuland. Darum müssen wir zusätzlich zur Strukturverbesserung gemeinsam mit den Ländern und Kommunen
Projekte erarbeiten.
Sie haben in Ihrer Fragestellung explizit die Schulen
erwähnt. Hier liegt jedoch die alleinige Verantwortung
insbesondere für die Ausführung bei den Bundesländern.
({0})
Damit ist die Beantwortung der Frage 10 abgeschlossen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Gesundheit. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach
bereit.
Wir kommen zur Frage 11 der Abgeordneten Kathrin
Vogler:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine
angeblich zwischen dem 6. Januar 2015 und dem 9. Januar
2015 vorgenommene Änderung des Bundesmantelvertrags Ärzte, BMV-Ä, die zum 1. Januar 2015 Gültigkeit haben soll,
und wie bewertet die Bundesregierung die von einem Bürger
in einem Schreiben vom 9. Januar 2015 an das Bundesversicherungsamt, das nachrichtlich auch an den Bundesminister
für Gesundheit, Hermann Gröhe, sowie an die Fragestellerin
Vizepräsident Peter Hintze
verschickt wurde, geäußerten Zweifel an der Beachtung der
satzungsrechtlichen Regularien?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin, aufgrund des
Sachzusammenhangs würde ich gern die Fragen 11 und
12 zusammen beantworten. Ist das in Ordnung?
({0})
Ich bin einverstanden. Ich weise nur darauf hin, dass
es vier Nachfragen gibt.
Das ist mir klar.
Es soll sich nur jeder geistig und emotional darauf
vorbereiten können.
Dann rufe ich auch die Frage 12 der Abgeordneten
Kathrin Vogler auf:
Wie viele gesetzlich Versicherte sind nach den Erkenntnissen der Bundesregierung bislang nicht im Besitz einer elektronischen Gesundheitskarte, und welche Veränderungen ergeben sich aus der in diesem Jahr vorgenommenen Änderung
des BMV-Ä für diese Versicherten gegenüber der am 5. Dezember 2014 von der Bundesregierung erteilten Antwort auf
meine schriftliche Frage 80 auf Bundestagsdrucksache 18/
3519?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ich möchte Frau Kollegin Vogler wie folgt antworten:
Nach Auskunft des GKV-Spitzenverbands ist die letzte
Änderung des Bundesmantelvertrages - Ärzte am 1. Januar 2015 in Kraft getreten. Änderungen zwischen dem
6. und 9. Januar 2015, wie Sie es in Ihrer Frage thematisiert haben, hat es nicht gegeben.
Nach der dem Bundesministerium für Gesundheit offiziell vorliegenden Fassung der Änderung des Bundesmantelvertrags - Ärzte, die am 1. Januar 2015 in Kraft
getreten ist und entsprechend am 5. Januar 2015 im
Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, lautet der infrage stehende neue § 19 Absatz 2 des Bundesmantelvertrags - Ärzte wie folgt:
Wird von der Krankenkasse anstelle der elektronischen Gesundheitskarte im Einzelfall ein Anspruchsnachweis zur Inanspruchnahme von Leistungen ausgegeben, muss dieser die Angaben
gemäß § 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SGB V enthalten. Die Krankenkasse darf einen Anspruchsnachweis nach Satz 1 nur im Ausnahmefall zur
Überbrückung von Übergangszeiten bis der Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte erhält
… ausstellen. Der Anspruchsnachweis ist entsprechend zu befristen. Die Krankenkasse ist verpflichtet, ungültige elektronische Gesundheitskarten einzuziehen.
So weit der Text.
Mitte 2014 waren mehr als 97 Prozent der Versicherten im Besitz einer elektronischen Gesundheitskarte.
Aktuellere Zahlen liegen der Bundesregierung nicht vor.
Bei der Änderung des § 19 Absatz 2 des Bundesmantelvertrags - Ärzte handelt es sich um eine Konkretisierung der bisherigen Regelung. Gegenüber der in der
Antwort der Bundesregierung auf Ihre schriftliche
Frage 80 auf Bundestagsdrucksache 18/3519 dargestellten bisherigen bundesmantelvertraglichen Regelung
wird damit die Ausstellung eines Anspruchsnachweises
zur Inanspruchnahme von Leistungen auf die Überbrückung von Übergangszeiten beschränkt, bis der Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte erhält.
Schönen Dank. - Die erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre genaue
Auskunft, was wann wie in Kraft getreten ist und veröffentlicht wurde. - Der Bundesmantelvertrag wird zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem
GKV-Spitzenverband ausgehandelt. Die Bundesregierung ist die Aufsichtsbehörde. Ich wüsste gerne - Sie haben meine Frage kurz vor der Veränderung nach altem
Sachstand beantwortet -, ob das BMG frühzeitig über
die geplanten Veränderungen informiert worden ist oder
ob Sie im Nachhinein, also erst nach dem 1. Januar
2015, davon erfahren haben oder ob Sie vielleicht als
Reaktion auf meine Nachfragen hier im Bundestag sogar
den Anstoß dazu gegeben haben. Das ist meine erste
Frage.
Die zweite Frage ist, ob eine solche Änderung nicht in
geeigneter Form den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten sowie den gesetzlich Versicherten rechtzeitig bekannt gemacht werden muss, weil es beide Gruppen intensiv betrifft, insbesondere diejenigen Versicherten, die
bisher noch keine elektronische Gesundheitskarte besitzen.
Dann hat die Bundesregierung auf meine schriftliche
Frage vom Dezember 2014 geantwortet, dass auch bei
Vorlage dieses papiergebundenen Anspruchsnachweises
ein vollumfänglicher Leistungsanspruch besteht. Ich
frage, ob Sie es vor diesem Hintergrund für akzeptabel
und vertragskonform halten, wenn Patientinnen und Patienten mir berichten, dass sie in einigen Arztpraxen entweder komplett zurückgewiesen werden, wenn sie einen
solchen Ausweis vorlegen, mit der Begründung, ein solcher papiergebundener Nachweis mache zu viel bürokratische Arbeit, oder sie gezwungen werden, zu unterschreiben, dass sie bereit sind, privat zu zahlen?
Meine vierte Nachfrage: Die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern - - Stellen wir eigentlich jede Frage einzeln?
Da schon drei Fragen gestellt wurden, können Sie die
vierte Frage auch noch stellen, wenn Sie wollen.
Nein.
Sollen wir erst einmal eine Pause machen? - Zuerst
werden diese drei Fragen beantwortet. Dann haben Sie
noch eine gut. - Frau Staatssekretärin Fischbach.
Frau Kollegin Vogler, die Entscheidung des GKVSpitzenverbandes, der KBV und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung ist nicht erst im Dezember gefallen, sondern im August. Es war klar, dass wir ein
Datum haben werden, an dem die elektronische Gesundheitskarte eingeführt wird. Das wollten wir politisch auf
den Weg bringen. Das ist auch nicht vom Himmel gefallen. Insofern war allen klar, dass der 1. Januar 2015 der
Stichtag ist, ab dem die Karte gilt.
Viele Krankenkassen - ich kenne keine, die es nicht
getan hat - haben ihre Versicherten angeschrieben und
im Vorlauf schon sehr deutlich gemacht: Kommen Sie,
Sie haben noch nicht die gültige Fassung. Wir müssen es
umstellen. - Ich weiß, dass zum Beispiel Gehbehinderte,
die den Weg zur Krankenkasse nicht gehen konnten, die
Möglichkeit hatten, diese Karte auch ohne Foto zu erhalten. Es ist also Aufklärungsarbeit geleistet worden. Sie
mussten nicht mit Ihrer Anfrage dafür sorgen, dass wir
uns schlau gemacht haben. Es war der Öffentlichkeit bekannt. Wie gesagt: 97 Prozent der Versicherten haben
diese Karte.
Können Sie die zweite Frage noch einmal wiederholen? Ich bin ein bisschen durcheinandergekommen.
Stellen Sie einfach noch einmal Ihre zweite Frage.
Das waren schon zwei Fragen, auf die Sie geantwortet
haben.
Die dritte.
Sie haben vergessen, mir zu sagen, wann die Bundesregierung von dieser konkreten Veränderung, über die
wir gesprochen haben, erfahren hat und in Kenntnis gesetzt worden ist.
Die dritte Frage war, ob die Bundesregierung es für
akzeptabel und vertragskonform hält, wenn Patientinnen
und Patienten bei Ärztinnen und Ärzten auf den Hinweis
stoßen, dass sie auf Grundlage des papiergebundenen
Nachweises nicht behandelt werden, obwohl das doch
eigentlich möglich ist.
Nachdem die eGK schon über einen längeren Zeitraum in der Diskussion war, ist mit dem Beschluss der
Spitzenverbände deutlich geworden, dass die Einführung zum 1. Januar 2015 erfolgt. Das heißt, mit dem Beschluss im August war uns das Datum bekannt. Wir wollen, dass die elektronische Gesundheitskarte endlich das
wird, was sie sein kann und sein soll, nämlich eine Hilfe
und Unterstützung für die Versicherten und auch für diejenigen, die die Versicherten behandeln.
Der Fall, den Sie nennen, dass Patienten, die jetzt mit
einem Papiernachweis in die Praxis kommen, nicht behandelt werden, entspricht nicht der gesetzlichen Grundlage. Es ist klar, dass in Ausnahmefällen, wenn die elektronische Gesundheitskarte nicht vorliegt, auf Grundlage
eines Papiernachweises behandelt werden muss. Wenn
die elektronische Gesundheitskarte oder der Nachweis
der Krankenkasse allerdings nicht nachgereicht wird, ist
der Arzt in der Lage und ermächtigt, eine Privatrechnung zu stellen.
Jetzt haben Sie noch eine Zusatzfrage, die vierte.
Bitte.
Ich will gerne nachfragen, ob die Bundesregierung
vielleicht erwägt, gegenüber der Öffentlichkeit klarzustellen, dass Ärztinnen und Ärzte alle Patientinnen und
Patienten, auch chronisch kranke, die anstatt der elektronischen Gesundheitskarte einen papiergebundenen Anspruchsnachweis vorlegen, genauso behandeln müssen
und ihnen genauso die benötigten Medikamente auch für
längere Zeiträume verschreiben müssen und dass sie
- auch diese Befürchtung haben Ärztinnen und Ärzte
mir gegenüber geäußert - keine Angst vor Regressforderungen vonseiten der Krankenkassen haben müssen, also
bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, die
anstatt der Karte einen papiergebundenen Anspruchsnachweis vorlegen, keine Unterschiede machen müssen?
Das ist auch mit der Änderung des Manteltarifvertrags deutlich geworden, in dem nun steht, dass es eine
Überbrückungsphase gibt, in der ein Papiernachweis
gelten muss. Es ist eindeutig, dass damit alle Leistungen
zur Verfügung gestellt werden, die auch sonst von der
gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung gestellt werden müssen.
Schönen Dank. - Die Frage 13 der Abgeordneten
Bärbel Höhn wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Für die Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Herbert
Behrens, Fraktion Die Linke, auf:
Was tut die Bundesregierung, um dem in der geplanten
Hafenrichtlinie der Europäischen Union, EU, namens Port Package III enthaltenen Angriff auf das Streikrecht, wie es im
Kapitel 8.6 des ursprünglichen Entwurfs der Europäischen
Kommission mit den sogenannten Notfallmaßnahmen vorgesehen ist, entgegenzuwirken und diese zu entfernen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage zum Port Package III des
Kollegen Herbert Behrens beantworte ich wie folgt: Es
wird davon ausgegangen, dass sich die mündliche Anfrage auf den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines
Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste
und für die finanzielle Transparenz der Häfen bezieht.
Die Bundesregierung hat diese Frage bereits in ihrer
Antwort auf Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion
Die Linke, Drucksache 18/1711, beantwortet. Ich zitiere:
Die Bundesregierung wird sich nicht für die Streichung des Artikels 8 Nummer 6 einsetzen. Die Notfallmaßnahmen … dienen der Aufrechterhaltung
des Hafenbetriebs, dem gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt wurden.
Die Notfallmaßnahme kann in Form einer Direktvergabe erfolgen, bei der ein Dienst für einen Zeitraum von
bis zu zwei Jahren einem anderen Anbieter zugewiesen
wird. Die Bundesregierung kann darin keine Einschränkung des Streikrechts erkennen.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Behrens?
Die hätte ich schon.
Bitte schön.
Zumindest steht die Aussage der Bundesregierung im
Gegensatz zur Aussage der Gewerkschaft Verdi, die für
die Beschäftigten an deutschen Seehäfen zuständig ist.
Sie sagen eindeutig: Es sind Notfallmaßnahmen, die
nichts mit dem Streikrecht zu tun haben, sondern der
Aufrechterhaltung des normalen Betriebes dienen. Es ist
in gewisser Weise mit anderen Streiks vergleichbar, wie
wir sie beispielsweise bei der Bahn hatten, bei denen es
theoretisch möglich gewesen wäre, die Belegschaft auszutauschen. Sie sagen explizit, dass das Streikrecht dadurch nicht infrage gestellt wird. Haben Sie von einem
Verfassungsrechtler den Umstand prüfen lassen, inwieweit das wirklich der Fall ist, ob also nicht doch die Koalitionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz festgelegt ist, dadurch beeinträchtigt wird?
Herr Staatssekretär.
Wir bleiben bei unserer Rechtsauffassung. Dass wir
nicht immer mit Verdi einverstanden sind, das liegt in
der Natur der Sache.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Abgeordneter
Behrens? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Herbert
Behrens auf:
Was tut die Bundesregierung, um die von den Bundesratsvertretungen der norddeutschen Küstenländer gewünschte
Herausnahme der Lotsendienste, der Schlepper, der Festmacher, der Baggerei und der Schiffsentsorgungsdienste aus der
geplanten Hafenrichtlinie der EU herbeizuführen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Ich beantworte die Frage
wie folgt: Die Bundesregierung hat diese Frage bereits in
ihren Antworten zu den Fragen 2 und 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1711
weitestgehend beantwortet. Trotzdem nehme ich Stellung zu den einzelnen Berufsgruppen.
Zu den Lotsendiensten. Nach Artikel 11 a des aktuellen Verordnungsentwurfs können die Mitgliedstaaten beschließen, Kapitel II „Marktzugang“ und die Übergangsbestimmung des Artikels 24 nicht auf Lotsendienste
anzuwenden. Das in Deutschland bestehende Lotsensystem kann unverändert fortgeführt werden, wie von
Deutschland in der Ratsarbeitsgruppe verlangt.
Ich komme zur Gruppe der Schlepper und Festmacher. Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom
20. September 2013, Drucksache 439/13, nicht gefordert, das Schleppen und die Festmacher aus dem Regelungsbereich der Verordnung zu entfernen.
Zur Baggerei. Wie von Deutschland in der Ratsarbeitsgruppe gewünscht, wurde die Ausbaggerung im
derzeitigen Verordnungsentwurf aus Artikel 1 Nummer 2 „Gegenstand und Geltungsbereich“ gestrichen.
Nach Artikel 1 Nummer 2 a ist lediglich Artikel 12
Nummer 2 „Getrennte Buchführung bei öffentlicher Finanzierung“ auf die Ausbaggerung anzuwenden.
Ich komme zu den Schiffsentsorgungsdiensten. Eine
vollständige Streichung des Bereichs Sammeln von
Schiffsabfällen und Ladungsrückständen aus dem Verordnungsentwurf konnte aufgrund fehlender Unterstützung anderer Mitgliedstaaten bislang nicht erreicht werden. Die EU-Kommission stellte jedoch klar, dass sich
die Regelung nur auf das Sammeln, nicht jedoch auf die
Entsorgung der Abfälle und Ladungsrückstände an Land
bezieht, die in der Richtlinie 2000/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November
2000 über Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle
und Ladungsrückstände geregelt ist.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage?
Wir haben eine neue EU-Verkehrskommissarin. Frau
Bulc hat gestern bei ihrer Vorstellung im Verkehrsausschuss deutlich gemacht, dass sie sehr stark daran interessiert ist, eine wettbewerbsorientierte Verkehrspolitik
zu betreiben. Daher meine Nachfrage: Hat es bezüglich
Port Package III Gespräche gegeben? Plant Frau Bulc in
diesem Zusammenhang eine eigene Initiative?
Eine eigene Initiative von Frau Bulc in diesem Zusammenhang ist mir nicht bekannt. Es gibt allerdings
eine Reihe von Gesprächen und Verhandlungen, um dieses sogenannte Port Package III zum Abschluss zu bringen. Die Bundesregierung konnte sich sehr erfolgreich
in fast allen Punkten durchsetzen. Wir haben den anderen Mitgliedstaaten signalisiert, dass wir auf der
Grundlage des jetzt gefundenen Kompromisses Port
Package III passieren lassen können.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Behrens? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie hatten angekündigt, dass sich
der ganze Vorgang auf der Zielgeraden befindet. Haben
Sie eine Vorstellung davon, auf welche zeitlichen Abläufe wir uns einstellen müssen?
Das ist in Europa nicht immer ganz einfach darzustellen, weil die Beratungen ein sehr komplizierter Prozess
sind. Aber ich gehe davon aus, dass wir noch in diesem
Jahr zu einem Abschluss kommen.
Herzlichen Dank.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Matthias
Gastel auf:
Was spricht aus Sicht der Bundesregierung für die Vorgabe des Bundes, die Rheintalbahn zwischen Offenburg und
Riegel, wie im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen, auf eine
Maximalgeschwindigkeit von 250 km/h auszubauen, und wie
würde sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine Maximalgeschwindigkeit von 230 km/h auf die Fahrplangestaltung
sowie auf die Baukosten auswirken?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich gebe folgende
Antwort: Diese Vorgabe ist Inhalt des geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Im Ergebnis der letzten
Bewertung des Vorhabens „Ausbaustrecke/Neubaustrecke Karlsruhe-Offenburg-Basel“ erhöhen sich die
Betriebsleistungen des Schienenpersonenverkehrs insgesamt im Zielnetz auf knapp 2 Millionen Zugkilometer
pro Jahr. Durch die Trassierung auf eine Maximalgeschwindigkeit von 250 km/h wird ein Reisezeitnutzen
generiert, der diesen erheblichen Zuwachs und die damit
positive gesamtwirtschaftliche Bewertung des Vorhabens ermöglicht.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Gastel?
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Antwort.
Können Sie mir sagen, wie viele und in welcher Länge
Überholgleise für eine Höchstgeschwindigkeit von
250 km/h im Vergleich zu einer Höchstgeschwindigkeit
von 230 km/h notwendig sind?
Das ist eine sehr fachspezifische Frage. Wir haben auf
diesem Abschnitt noch nicht einmal alle Planfeststellungsverfahren eröffnet. Ich werde also kaum in der
Lage sein, Ihnen diese Frage korrekt zu beantworten.
Aber ich werde mir die Mühe machen, bei der Bahn
nachzufragen. Ich werde Ihnen das Ergebnis schriftlich
nachreichen.
Haben Sie noch eine Nachfrage dazu? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 17 des Abgeordneten
Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Entspricht der geplante Tiefbahnhof in Stuttgart nach
Kenntnis der Bundesregierung gemäß der Definition der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, EBO, einem Haltepunkt
- Definition: „Haltepunkte sind Bahnanlagen ohne Weichen,
wo Züge planmäßig halten, beginnen oder enden dürfen“ oder einer Haltestelle - Definition: „Haltestellen sind Abzweigstellen oder Anschlussstellen, die mit einem Haltepunkt
örtlich verbunden sind“ -, und in welchen anderen deutschen
Landeshauptstädten stellt die wichtigste Bahnanlage mit den
meisten ein- und aussteigenden Fahrgästen nach der formalen
Definition nach Kenntnis der Bundesregierung noch eine Haltestelle oder einen Haltepunkt dar?
Herr Kollege Gastel, ich gebe Ihnen folgende Antwort:
Da die geplante Anlage in Stuttgart Weichen benötigt,
handelt es sich um einen Bahnhof gemäß § 4 Absatz 2
EBO. Der Bundesregierung ist keine Landeshauptstadt
in Deutschland bekannt, die nicht über einen Bahnhof
gemäß der oben genannten Definition verfügt.
({0})
Möchten Sie dazu eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordneter Gastel?
Ja, dazu muss ich eine Zusatzfrage stellen. - Herr
Staatssekretär Ferlemann, Sie sagen: Es handelt sich um
einen Bahnhof nach § 4 EBO. Wie erklären Sie sich,
dass in der Anhörung zum Planfeststellungsverfahren für
den Abschnitt 1.3 - das ist die vorgesehene Flughafenanbindung - die Vorhabensträgerin zigfach ausdrücklich gesagt hat - ich war selber dabei; es steht auch im
Protokoll -, es würde kein Bahnhof geplant, sondern
eine Station? Jetzt ist „Station“ in der Eisenbahn-Bauund Betriebsordnung aber gar nicht definiert. Deswegen
habe ich diese Frage gestellt. Wie erklären Sie sich, dass
seitens der Vorhabensträgerin, der Deutschen Bahn, die
das Projekt realisieren möchte, negiert wird, dass ein
Bahnhof gebaut wird?
Ich kann aus Ihrer Frage nicht genau ermitteln, welchen Bahnhof Sie jetzt meinen? Den unter dem Flughafen oder den Hauptbahnhof?
Ich meine den geplanten - in Anführungszeichen Hauptbahnhof, den Tiefbahnhof Stuttgart Stadtmitte.
Dazu habe ich Ihnen ja eine Antwort gegeben.
Ja, aber ich habe eine Nachfrage gestellt: Wie erklären Sie sich, dass die Deutsche Bahn, Vorhabensträgerin,
im Planfeststellungsverfahren negiert hat, dass es sich
um einen Bahnhof handeln würde?
Das ist mir nicht bekannt.
Sie haben noch eine Nachfrage? - Nein. Aber Frau
Haßelmann hat eine. Bitte.
Herr Präsident! Ich möchte erst einmal sagen, dass ich
die Art der Beantwortung als Unverschämtheit empfinde. Ich würde mir wünschen, dass Herr Ferlemann
auch mal darauf hingewiesen würde. Ich mache das hiermit jetzt einmal.
Ich finde, dass mein Kollege eine ganz präzise Frage
gestellt hat, Herr Ferlemann. Wir streiten mit Ihrem
Ministerium eh schon seit geraumer Zeit über Art, Umfang und Zeit, die Sie sich für die Beantwortung parlamentarischer Fragen nehmen. Sie schränken unser Fragerecht ein. Das ist nicht nur unserer Fraktion bekannt,
sondern mittlerweile auch der Bundesregierung und dem
Bundestagspräsidenten.
Nun zu meiner Frage: Ich bitte Sie, uns jetzt zu erläutern - Sie sind ja der zuständige Staatssekretär; da können wir im Parlament, glaube ich, diese Erwartung formulieren -, was bahnpolitisch der Unterschied zwischen
einer Station und einem Bahnhof ist.
Damit wir das ganz korrekt machen, wie Sie das erwarten, werde ich Ihnen das schriftlich beantworten.
({0})
- Ich habe die Frage doch beantwortet.
Das interessiert mich, Herr Präsident. Das ist der zuständige Staatssekretär dafür. Und wenn man so eine
Frage nicht beantworten kann, bin ich wirklich erschrocken über die Kompetenz.
Die Frage ist hochkomplex und kompliziert, und deswegen werde ich sie fachtechnisch ganz genau und korrekt beantworten, damit Sie damit dann auch arbeiten
können.
({0})
Ich darf friedenstiftend einmal darauf hinweisen, dass
der Kollege Gastel selbst darauf hingewiesen hat, dass
der Begriff „Station“ in allen einschlägigen Vorschriften
seiner Kenntnis nach gar kein Terminus technicus ist. Insofern ist es vielleicht gut, wenn das noch einmal in
Ruhe geklärt wird.
Der Kollege Gastel möchte seine zweite Zusatzfrage
jetzt doch stellen.
Wenn Sie ohnehin noch mal nachhaken, hätte ich
gerne auch eine Antwort darauf, ob in diesem geplanten
Bahnhof, diesem Haltepunkt oder dieser Station - was
auch immer das dann sein soll - auch das Beginnen, das
Enden, das Ausweichen und das Wenden von Zügen
möglich ist, weil das nämlich auch Bestandteil dieser
Definition in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
ist.
Ich habe es ja gesagt: Das ist ein komplizierter Sachverhalt, den die Kollegin Haßelmann so nicht erfassen
konnte. Deswegen wird das umfassend beantwortet. Sie
haben jetzt schon so viele Zusatzfragen gestellt.
({0})
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es extra zu diesem Thema, von Herrn Gastel beantragt, eine Anhörung
im Verkehrsausschuss gibt, in der alle diese Fragen von
denen, die für die Planung verantwortlich sind, detailliert
beantwortet werden müssen. Diese werden wir durchführen.
({1})
Ich darf trotzdem bitten, dass wir versuchen - ({0})
- Also, ich finde es immer richtig, wenn ein Vertreter der
Bundesregierung bei komplizierten technischen Sachverhalten sagt: Ich gehe der Sache gründlich nach und
werde die technischen Sachverhalte klären.
({1})
Das hat er hier vorgetragen.
({2})
Ich finde, das können wir dann auch so akzeptieren.
({3})
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter bereit.
Die Frage 18 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 19 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl:
Welche Konsequenzen wird das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, BMUB,
aus den vom Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem
seit letzter Woche rechtskräftigen Urteil ({4}) zum Zwischenlager
Brunsbüttel für nötig erachteten Untersuchungs- bzw. Nachweismaßstäben beim Schutz vor Flugzeugabstürzen und panzerbrechenden Waffen für sich daraus implizit ergebenden
aufsichtlichen Handlungsbedarf bezüglich auch im Rahmen
der Aufsicht entsprechend neu anzulegender Untersuchungsbzw. Nachweismaßstäbe bei den noch laufenden Atomkraftwerken ziehen - bitte mit Begründung -, und welches Vorgehen plant das BMUB hierfür - falls möglich, bitte mit Angabe
von Meilensteinen oder Ähnlichem, der Zeitschiene etc.?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Kotting-Uhl, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das
nunmehr rechtskräftige Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig hat nur auf das Zwischenlager Brunsbüttel unmittelbare rechtliche Auswirkungen. Bei der
Genehmigungserteilung im Jahre 2003 gab es aus Sicht
des Gerichts ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit in
Bezug auf Einwirkungen Dritter, insbesondere Terrorangriffe. Das Gericht hat aber keinen Zweifel an der Sicherheit des Zwischenlagers Brunsbüttel geäußert.
Die atomrechtliche Duldungsanordnung der zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde des Landes Schleswig-Holstein vom 16. Januar 2015 stellt die Rechtsgrundlage für die weitere rechtmäßige Aufbewahrung
der neun im Zwischenlager Brunsbüttel befindlichen
Castoren bis zur Erteilung einer Genehmigung sicher.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hat
keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf Genehmigungen anderer Zwischenlager. Das gilt genauso
für alle anderen bestandskräftigen atomrechtlich genehmigten kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen.
Der in der Rechtsprechung anerkannte Beurteilungsspielraum der Exekutive bei der Risikoermittlung und
-bewertung, die von den Gerichten nur beschränkt überprüft werden kann, hat im Bereich des Schutzes gegen
Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter
eine besondere Bedeutung, da die Behörden hier auf der
Basis prognostischer Einschätzungen zur Sicherheitslage
Festlegungen zu erforderlichen Lastannahmen und
Schutzmaßnahmen treffen müssen.
Das gesamte untergesetzliche Regelwerk zum Schutz
gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen
Dritter wird regelmäßig sowie anlassbezogen bei Vorliegen neuer Erkenntnisse evaluiert. Ändert sich die Erkenntnislage, werden die bestehenden Maßnahmen auf
den Prüfstand gestellt und führen gegebenenfalls zu einer Nachrüstung, so wie es im Jahr 2011 für die Zwischenlager der Fall war.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete
Kotting-Uhl?
Ja, vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin. Die Antwort bezog sich jetzt nicht ganz
haarscharf auf das, was ich gefragt hatte. Ich hatte ausdrücklich nicht nach den sich unmittelbar ergebenden
Handlungsaufträgen, sondern nach den sich implizit ergebenden Handlungsaufträgen gefragt. Denn es ist ja
nicht nur theoretisch durchaus vorstellbar, dass weitere
Klagen folgen. Diese Klage war erfolgreich. Das heißt,
das Zwischenlager Brunsbüttel ist im Moment genehmi7718
gungslos. Es ist ein genehmigungsloser Zustand, der im
Moment nur mithilfe einer Duldung überbrückt werden
kann. Wenn es bei weiteren Klagen genauso gehandhabt
wird, wenn also die Unterlagen, die eigentlich nachweisen könnten, dass die Sicherheit besteht, nicht vorgelegt
werden können, dann bekommen wir in Deutschland riesige Probleme, nicht nur hinsichtlich der Zwischenlager,
sondern auch hinsichtlich der Atomkraftwerke, die, soweit ich informiert bin, gegen Flugzeugabstürze nicht
einmal so ausgelegt sind wie die Zwischenlager.
Gibt es Überlegungen oder Planungen im BMUB, wie
diese Unterlagen, die den Gerichten 2003 und anschließend nicht zur Verfügung gestellt wurden - daraus folgte
das Bewertungsdefizit -, in die Verhandlungen eingebracht werden können?
Ich komme ganz konkret auf Ihre Frage zurück. Ja,
vor diesem Hintergrund lassen wir prüfen, wie geheimhaltungsbedürftige Unterlagen unter Wahrung des Geheimschutzes zukünftig angemessen in verwaltungsgerichtliche Verfahren eingebracht werden können. Sie
wissen, das BfS hat die Unterlagen geprüft, konnte aber
aus Geheimschutzgründen nicht alles zur Verfügung
stellen. Deswegen lassen wir prüfen, welche Möglichkeiten es hier gibt.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete KottingUhl?
Gerne, Herr Präsident. - Ich habe eine ganz kurze Zusatzfrage. Geht das BMUB davon aus, dass diese Unterlagen, die bisher nicht zur Verfügung gestellt wurden,
bei Zurverfügungstellung dazu führen, dass die Sicherheit des Zwischenlagers Brunsbüttel erkannt und bestätigt werden kann?
Die Sicherheit als solche stand nie infrage, und wir
ziehen sie auch nicht in Zweifel.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn bereit.
Die Frage 20 des Abgeordneten Movassat wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 21 der Abgeordneten Heike
Hänsel, Fraktion Die Linke:
Mit welchen Geldern wurde die Studie „Mögliche Auswirkungen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, TTIP, auf Entwicklungs- und Schwellenländer“ des
wirtschaftsliberalen ifo-Instituts, München, unterstützt, und
wie verhält sich die Bundesregierung zur Kritik von Fachorganisationen, nach der in dem von Bundesminister Dr. Gerd
Müller als „unabhängige Diskussionsbasis“ bezeichneten Papier nicht auf das entwicklungspolitisch relevante Problem
der Ungleichverteilung in Entwicklungsstaaten eingegangen
wird, die als Produktzulieferer an die USA und die EU fungieren ({0})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Hänsel,
diese Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
durch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an
der Universität München gemeinsam mit dem Institut für
Angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen erstellt.
Diese Studie wurde aus Barmitteln des Bundeshaushaltes finanziert, und zwar aus dem Einzelplan 23 bzw., um
es genau zu sagen, aus Kapitel 2305. Die Titelnummer
- ich sehe, Sie schreiben mit - ist 54401, und der Titel
lautet „Forschung, Untersuchungen und Ähnliches“.
Hauptanliegen der Studie ist es, die Auswirkungen
dieser Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft auf die wirtschaftliche Entwicklung von
Schwellen- und Entwicklungsländern zu untersuchen
und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Das
wurde insbesondere im Rahmen von neun Fallstudien
anhand sehr unterschiedlicher Länder ermittelt. Es ging
dabei um die Länder Brasilien, Mexiko, Marokko, Kenia, Elfenbeinküste, Südafrika, Türkei, Bangladesch und
Indonesien. Die Forscher haben gezielt versucht, der Unterschiedlichkeit von Schwellen- und Entwicklungsländern gerecht zu werden und diese Heterogenität in der
Studie wissenschaftlich abzubilden. Wir werden die Ergebnisse dieser Studie in unserem Haus intensiv prüfen
und die Handlungsempfehlungen weiter verfolgen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? Bitte schön.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, nun zur politischen Diskussion. Die Bundesregierung hat ja immer
wieder beteuert, sollte der Abschluss von TTIP für die
Länder des Südens bzw. für die Entwicklungsländer negative Handelsfolgen, Einkommenseinbußen usw. mit
sich bringen, dann sollte TTIP in dieser Form nicht beschlossen bzw. dann müsste der Abschluss von TTIP
überdacht werden. Prompt liegt uns jetzt eine von Ihnen
in Auftrag gegebene Studie vor, die zu dem Ergebnis
kommt, dass TTIP den Ländern des Südens eigentlich
nur beste Aussichten eröffnet. Da möchte ich Sie gerne
fragen: Wie bewerten Sie eigentlich die zahlreichen anderen Studien zu diesem Thema?
Es ist immer ganz gut, wenn man mehrere Studien
hat, die man bei der Beurteilung zugrunde legt. Das gilt
auch für die darin gemachten Grundannahmen. So heißt
es in dieser von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie zum
Beispiel, TTIP habe für Europa und die USA generell
positive Einkommenseffekte, und dadurch würde auch
die Nachfrage in den Ländern des Südens gesteigert; die
Handelsumlenkungseffekte hingegen werden marginalisiert. Andere Studien kommen da zu ganz anderen
Ergebnissen. So ist zum Beispiel im Hinblick auf Nordafrika von einer Handelsumlenkung bzw. einem Rückgang des Handels in Höhe von 5 Prozent die Rede und,
um eine letzte Zahl zu nennen, von einem Rückgang des
BIP für ganz Lateinamerika um 2,8 Prozent. Das führt in
den nächsten zehn Jahren zu Verlusten von über 20 Milliarden Euro. Wie reagieren Sie auf Studien, die zu solchen Ergebnissen kommen?
Frau Hänsel, die von uns in Auftrag gegebene Studie
untersucht gleichermaßen die Chancen und Risiken dieses Handelsabkommens. Welche Auswirkungen ein solches Handelsabkommen auf die Entwicklungs- und
Schwellenländer haben wird, hängt natürlich von seiner
Ausgestaltung und von der Wirtschaftsstruktur in den jeweiligen Staaten ab. Im Rahmen dieser Studie wurden
Expertengespräche und quantitative Studien ausgewertet, und es wurden die genannten Fallstudien erarbeitet.
Daraus wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet: solche, die im Rahmen der Verhandlungen über dieses Abkommen berücksichtigt werden sollten, und solche, die
im Hinblick auf Maßnahmen, die unabhängig von diesem Handelsabkommen sind, von Bedeutung sind.
Die weiteren Studien, die Sie angesprochen haben,
sind uns durchaus bekannt. Ich darf an dieser Stelle auf
eine für mich hilfreiche Übersicht hinweisen. Es gibt
eine kurze Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik
vom August letzten Jahres, die sich in Form eines Überblicks mit den vorhandenen Studien befasst, auch mit
den Vorstudien des von uns beauftragten ifo-Instituts.
Ich will darauf hinweisen, dass wir bei der Ausschreibung dieser Studie ein Interessenbekundungsverfahren
durchgeführt haben. Wir haben uns dabei an eine Vielzahl von Instituten, die wir um die Abgabe einer Interessenbekundung gebeten haben, gerichtet.
Noch eine Frage?
Ja.
Bitte.
Ich kann Ihnen die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages empfehlen
- wir haben sie angefordert -, die da deutlich konservativer ist. Was die Länder des Südens betrifft, sieht man die
große Gefahr, dass sie durch diese große Freihandelszone ein Stück weit abgehängt werden.
Ein ganz großes Problem ist die soziale Ungleichheit;
wie Entwicklungsminister Müller heute Morgen betont
hat, soll dieses Thema ja ein Schwerpunkt der Arbeit der
Bundesregierung sein. Auch hier stellt sich die Frage, ob
die sozialen Ungleichheiten zwischen den Ländern und
innerhalb der Länder durch eine so große Freihandelszone weltweit verschärft werden.
In der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie wird
gerade mit der verstärkten Nachfrage unter anderem
nach Rohstoffen und Zuliefererprodukten argumentiert.
In diesen Bereichen findet innerhalb der Wertschöpfungskette aber am wenigsten Wertschöpfung statt. Von
daher wird die soziale Ungleichheit noch einmal verschärft, wenn genau diese Rolle der Länder des Südens
dadurch manifestiert wird.
Deshalb lautet meine Nachfrage: Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass es deutlich progressivere und im Sinne
der Länder des Südens ausgestaltete Studien gibt, die
sich die Bundesregierung zu eigen machen kann? Gegebenenfalls könnten Sie auch eine neue Studie in Auftrag
geben, die die Sachlage „TTIP und Länder des Südens“
vielleicht mit mehr Einblick in die großen Zusammenhänge bewertet.
Frau Kollegin Hänsel, wir machen uns keine Studien
zu eigen, sondern wir untersuchen, wie wir jetzt in diesen Verhandlungsprozess gehen müssen, damit am Ende
entwicklungsförderliche Ergebnisse stehen.
Die Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, enthält
keineswegs eine oberflächliche Argumentation in Bezug
auf dieses Handelsabkommen. Es ist gerade zu untersuchen, was ein sinnvoller Inhalt in Bezug auf Entwicklungs- und Schwellenländer sein kann, und ich will hier
erneut auf die bereits angeführte Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik hinweisen, die einleitend zitiert:
Zahlreiche Autoren setzen sich mit den erwarteten
Wirkungen
- gemeint ist: des Abkommens auseinander. Da ihre Annahmen darüber jedoch
stark divergieren, kommen sie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Von daher wäre es völlig verkehrt, jetzt mit einseitigen Annahmen eine Diskussion über mögliche Auswirkungen zu führen, sondern wir müssen die Diskussion
umdrehen und fragen: Welche Auswirkungen wollen wir
erreichen, welche wollen wir verhindern, und wie müssen wir dann dieses Abkommen inhaltlich gestalten? Genau dazu weist die Studie, die wir in Auftrag gegeben
haben, eine Reihe von Handlungsempfehlungen auf. Mit
Blick auf die Zeit will ich das jetzt nicht im Einzelnen
vortragen, aber ich kann Ihnen gerne die komplette Studie oder auch eine Kurzfassung zur Verfügung stellen.
Vielen Dank. - Die Gelegenheit zu einer Nachfrage
hat jetzt der Kollege Thomas Viesehon, CDU/CSUFraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
können Sie neben der Beantwortung der Fragen zu den
Auswirkungen der Gutachten auch etwas zur Ratifizie-
rung des TTIP insgesamt sagen?
Thomas Silberhorn, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Das Ratifikationsverfahren für dieses Abkommen
wird vom Inhalt abhängen. Wenn sowohl Zuständig-
keitsbereiche der Europäischen Union als auch der Mit-
gliedstaaten betroffen sind, womit wir rechnen müssen,
dann liegt ein sogenanntes gemischtes Abkommen vor,
das doppelt ratifiziert werden muss - sowohl durch die
Organe der Europäischen Union als auch durch die Mit-
gliedstaaten nach ihren jeweiligen verfassungsrechtli-
chen Vorschriften. Insofern ist hier die Lage anders als
bei dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der Euro-
päischen Union mit Westafrika, das der Kollege Kekeritz
vorhin angesprochen hat, bei dem keine Ratifizierung
durch den Deutschen Bundestag erforderlich ist.
Ich will gerne anfügen, dass die Behauptung, dass wir
uns auf eine Studie bezogen hätten, die es gar nicht gibt,
nicht zutrifft. Herr Kollege Kekeritz hat am 20. Novem-
ber 2014 ein Schreiben von unserem Hause erhalten. Ich
habe es unterzeichnet; es liegt hier vor. Darin beziehe
ich mich nicht auf eine Studie, sondern auf eine - ich
zitiere - „ausführliche verfassungsrechtliche Prüfung“
durch das Bundesministerium der Justiz und für Ver-
braucherschutz, durch das Bundesministerium des In-
nern und durch das Bundesministerium der Finanzen.
Diese Prüfung hat stattgefunden, und darauf habe ich
mich bezogen.
Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldun-
gen zu diesem Komplex.
Die Frage 22 des Kollegen Uwe Kekeritz wird
schriftlich beantwortet.1)
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beant-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer zur Verfügung.
Die Frage 23 des Kollegen Uwe Kekeritz wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 24 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Wären deutsche Energieversorgungsunternehmen aus
Sicht der Bundesregierung von einem mithilfe britischer
Staatsbeihilfe geförderten Bau und Betrieb eines Atomkraft-
werks Hinkley Point C wettbewerblich betroffen oder nicht
1) Die Antwort wird in einem späteren Plenarprotokoll abgedruckt.
({0}), und wird sich die Bundesregierung
der angekündigten Klage der österreichischen Bundesregierung, die nach Medienberichten voraussichtlich von
Luxemburg unterstützt werden wird ({1}), gegen die Entscheidung der kurz danach aus
dem Amt geschiedenen Europäischen Kommission, die britischen Beihilfepläne zuzulassen, vom 8. Oktober 2014 anschließen bzw. eine entsprechende eigene Klage einreichen?
Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die nichtvertrauliche Fassung des Genehmigungsbeschlusses ist am 21. Januar 2015 von der
EU-Kommission veröffentlicht worden und wird derzeit
von der Bundesregierung unter rechtlichen und fachlichen Gesichtspunkten geprüft. Eine Aussage über eine
mögliche Klage oder einen etwaigen Beitritt zur Klage
ist daher derzeit nicht möglich.
Angesichts der sehr begrenzten Stromleitungskapazitäten zwischen dem Vereinigten Königreich und dem
EU-Festland und der Tatsache, dass das neue Kraftwerk
stillzulegende Altanlagen ersetzen soll, gehen wir davon
aus, dass mögliche wettbewerbliche Effekte von Stromlieferungen aus dem AKW Hinkley Point C auf den
deutschen Markt vergleichsweise gering sein dürften.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben die Gelegenheit
zur Nachfrage. Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
zum ersten Teil Ihrer Antwort: Die Fakten liegen ja nun
seit langem auf dem Tisch. Ich glaube nicht, dass Sie
vorher von nichts wussten und erst durch das Schreiben
der Kommission informiert werden mussten. Ich frage
mich tatsächlich, was eigentlich so lange geprüft werden
muss.
Frau Hendricks war hier vor etlichen Monaten spontan in der Lage, zu sagen: Ja, da müsste man klagen. Österreich konnte sehr schnell sagen, dass es eine Klage
erwägt. Inzwischen hat sich das Land dazu entschlossen.
Luxemburg ist inzwischen entschlossen, dieser Klage
von Österreich beizutreten. Was muss die deutsche Bundesregierung so lange prüfen? Ich habe den Eindruck,
dass dahinter entweder Unwilligkeit steckt, oder, was ich
aber gar nicht zu glauben wage, erkennbare Defizite.
Ich muss sowohl Ihre erste als auch Ihre zweite Feststellung zurückweisen. Eine Frage darin kann ich insofern erkennen, dass Sie mich fragen, warum wir so lange
für die Prüfung brauchen. Der Genehmigungsbeschluss,
den wir online auf der Homepage der Kommission am
21. Januar dieses Jahres gefunden haben, ist jetzt von
uns auszuwerten. Eine andere Informationsquelle hatten
wir zu diesem Zeitpunkt offiziell nicht. Das bedeutet:
Wir werden diesen Genehmigungsbeschluss, der jetzt
veröffentlicht worden ist, unter rechtlichen und fachlichen Gesichtspunkten prüfen; das führte ich bereits aus.
Dann werden wir uns dazu entsprechend verhalten.
Sie haben noch einmal die Gelegenheit, zu fragen.
Bitte schön.
Gut. Dann bin ich sehr gespannt. - Ich möchte zu dem
Teil der Frage und Ihrer Antwort kommen, was das für
die Energieversorgungsunternehmen in Deutschland
heißt. Sie haben im Oktober 2014 einen Brief der Stadtwerke Schwäbisch Hall bekommen. Das liegt bei mir in
Baden-Württemberg, weshalb das für mich von besonderem Interesse ist.
Ich zitiere einen Satz, der dem widerspricht, was Sie
eben sagten:
Diese Entscheidung fördert nicht nur einen gravierenden Kartellverstoß, sondern verzerrt den Wettbewerb in Mitteleuropa ganz gravierend, weil dieses
Erzeugerkonsortium in Großbritannien in der Lage
wäre, grundsätzlich alle Strompreise, die sich an
den Börsen bilden, aufgrund der Garantievergütung
durch den britischen Staat zu unterbieten.
Im Anschluss daran möchte ich noch etwas aus dem
Schreiben von Schwäbisch Hall wiedergeben. Als er
noch Energiekommissar war, war Günther Oettinger bei
der Bausparkasse in Schwäbisch Hall zu einem Vortrag
und wurde natürlich gefragt, wie er diesen ganzen Vorgang um Hinkley Point bewertet. Dann steht hier:
Kommissar Günther Oettinger hat sehr umfassend
geantwortet und im Kern erklärt, dass dann, wenn
z. B. das Unterhaus der britischen Regierung einstimmig ein derartiges Projekt beschließt, diese nationale Entscheidung auf der europäischen Ebene
zu respektieren sei und dass dann gegebenenfalls
kartellrechtliche Aspekte dahinter zurückstehen
müssten.
Teilt das BMWi diesen Ansatz?
Ich will darauf indirekt antworten, verehrte Kollegin.
In einer Anhörung im Europäischen Parlament hat der
damalige Wettbewerbskommissar Almunia erläutert,
dass nach den zur Prüfung vorgelegten Verträgen Entscheidungen zum nationalen Energiemix letztendlich in
der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen und daher
von der Kommission nicht zu kommentieren sind. Das
ist die Haltung der Kommission, zumindest die des
Wettbewerbskommissars.
Ich darf Sie daran erinnern, dass wir uns national dagegen gewehrt haben und auch aktuell dagegen wehren,
dass uns Mitglieder der Kommission Fragen hinsichtlich
unseres eigenen Energiemixes stellen. Auch dem muss
man an dieser Stelle Rechnung tragen.
Die Motivation von Österreich kann ich momentan
nicht offiziell bewerten. Die Ankündigung einer entsprechenden Klage - es ist nämlich noch keine Klage eingereicht worden, und von den Überlegungen Luxemburgs
habe ich nicht offiziell, sondern nur aus der Presse erfahren - ist sicherlich vor der Situation zu sehen, dass Österreich befürchtet, dass an den Grenzen Österreichs
möglicherweise weitere Atomkraftwerke gebaut werden.
Das ist, denke ich, die Motivation der Republik Österreich, sich in dieser Angelegenheit so einzulassen, wie
sie es getan hat.
({0})
- Nein, wir steigen aus der Atomkraft aus. Das wissen
Sie. 2022 ist damit in Deutschland Schluss.
Jetzt bitte keine weiteren Zwiegespräche mehr. - Gelegenheit zur Nachfrage hat jetzt die Kollegin Britta
Haßelmann. Ich darf darum bitten, dass sich zukünftig
alle an die Redezeit halten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Beckmeyer,
meine Nachfrage zu Hinkley Point und der Beihilfeentscheidung richtet sich an Ihr Haus. Sie haben gerade
zum wiederholten Male gesagt, eine Aussage über die
Klage sei nicht möglich. Eigentlich täuscht doch die
Bundesregierung damit die Öffentlichkeit und suggeriert, wir seien immer noch dabei, zu prüfen, ob wir uns
einer Nichtigkeitsklage gegen diese Beihilfeentscheidung anschließen.
Ihr Wirtschaftsminister hat doch längst entschieden.
So zumindest muss ich seine Aussage vom 6. November
2014 interpretieren. Ich zitiere:
Auch wird ab 2023 genau zu beobachten sein, welche Auswirkungen die Inbetriebnahme der beiden
neuen Reaktoren auf den europäischen Strombinnenmarkt haben wird.
Das heißt - so kann man es übersetzen -, Sie haben sich
als Bundesregierung längst entschieden, nicht zu klagen,
suggerieren aber der Öffentlichkeit weiterhin, Sie seien
dabei, zu prüfen, ob Sie sich der Nichtigkeitsklage gegen
diese Beihilfeentscheidung zum Bau eines neuen Atomkraftwerkes, obwohl wir aus der Atomkraft ausgestiegen
sind, anschließen.
Verehrte Kollegin, ich kann Ihren Vorhalt nicht bestätigen.
({0})
Wir prüfen diesen Sachverhalt, nachdem wir offiziell die
Entscheidung der Kommission bzw. den Genehmigungsbeschluss vor fünf, sechs Tagen erhalten haben, und wir
werden uns auf Grundlage dieses Genehmigungsbeschlusses fachlich und rechtlich dazu einlassen.
({1})
- Das tut mir leid, aber das ist der Text möglicherweise
eines Briefes, den ich momentan nicht bestätigen kann.
({2})
Sie zitieren aus der Presse.
({3})
Ich sage Ihnen offiziell für die Bundesregierung, dass
wir uns rechtlich und fachlich mit diesem Genehmigungsbeschluss befassen und dann zu einer Entscheidung kommen werden, ob wir eventuell selbst Klage erheben oder einer etwaigen Klage beitreten. Dies ist aber
zurzeit nicht möglich und auch nicht entschieden.
Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Nachfragen
zu diesem Themenbereich.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Oliver
Krischer werden schriftlich beantwortet.
Ich darf mich bei Staatssekretär Beckmeyer bedanken.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der
Staatsminister Michael Roth zur Verfügung. Die Frage 27
des Abgeordneten Omid Nouripour, die Frage 28 des Abgeordneten Manuel Sarrazin und die Fragen 29 und 30 der
Abgeordneten Britta Haßelmann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 31 der Kollegin Heike Hänsel,
Fraktion Die Linke:
Inwieweit betrachtet die Bundesregierung die Aufstockung von zusätzlichen 68 000 Soldaten zur Verstärkung des
Kampfpotenzials der Armee an der ostukrainischen Front
({0}) und die Rede
des Präsidenten Petro Poroschenko beim Weltwirtschaftsforum in Davos, in der er unter anderem Russland die Besetzung von 7 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets vorwarf,
als einen Beitrag zur politischen Konfliktlösung und Stabilisierung des Friedens in der Ukraine ({1})?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sie wissen, Frau
Kollegin Hänsel, dass sich die Bundesregierung unermüdlich um eine politische und diplomatische Konfliktlösung bemüht und dass wir daran arbeiten, eine friedliche Lösung zu erreichen. Wir sind derzeit leider noch
sehr weit davon entfernt.
Grundlage für eine solche Friedenslösung ist für uns
nach wie vor die Minsker Vereinbarung. Wir wollen unbedingt an der Minsker Vereinbarung festhalten; wir
wollen nicht dahinter zurückfallen.
Ob wir einen Schritt in die richtige Richtung weiterkommen, liegt natürlich vor allem in den Händen der
Konfliktparteien. Alle Seiten müssen ihren Beitrag zur
Deeskalation leisten. Wir können für die ukrainische Regierung bestätigen, dass sie sich bislang maßgeblich für
die Umsetzung der Minsker Vereinbarung eingesetzt und
sich zu schwierigen Entscheidungen durchgerungen hat.
Diese anerkennen wir ausdrücklich. Ich will an die gesonderte Waffenruhe, an das sogenannte Regime der
Stille vom 9. Dezember, erinnern.
Anders bewertet die Bundesregierung die Haltung der
russischen Regierung. Wir sind uns mit allen Partnerinnen und Partnern in der Europäischen Union einig, dass
das bislang größte Hindernis für eine politische Konfliktlösung in der Verweigerungshaltung der eindeutig
von Russland unterstützten Separatisten liegt. Der
jüngste traurige Beleg dafür ist der menschenverachtende Raketenangriff auf ein Wohngebiet in Mariupol
am vergangenen Samstag. Nach Erkenntnissen der
OSZE ging dieser Angriff von separatistisch kontrolliertem Gebiet aus.
Auch die Ankündigung des Separatistenführers
Sachartschenko vom 23. Januar, die Minsker Gespräche
im Rahmen der Kontaktgruppe abzubrechen und das Separatistengebiet durch eine neue Offensive bis an die
Grenzen der Gebiete Donezk und Lugansk auszuweiten,
ist ein Schlag in das Gesicht all derer, die sich, so wie
wir und die Europäische Union, um eine diplomatische
Lösung bemühen.
Trotzdem: Wir müssen im Gespräch bleiben. Sie wissen: Es gibt verschiedenste Angebote, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Dem Ziel, eine friedliche
Lösung zu erreichen, bleiben wir nach wie vor verpflichtet.
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben jetzt die Gelegenheit
zur Nachfrage.
Danke schön. - Herr Staatsminister, ich hatte eigentlich gefragt, wie Sie sich zu der Mobilmachung von
68 000 Soldaten durch die ukrainische Regierung positionieren. Dazu haben Sie aber keinen Satz gesagt. Angesichts dieser auch sehr einseitigen Positionierung weiß
ich nicht, ob die Bundesregierung geeignet ist, zu einer
Konfliktlösung beizutragen; denn nicht die russische Armee hat Mariupol beschossen. Wenn Sie sagen: „Russland hält sich nicht an das Minsker Abkommen“ und im
gleichen Satz sagen, dass die Rebellen Mariupol beschossen hätten, dann frage ich mich, wie Sie zu dieser
Einschätzung kommen. Es ist ja nicht die russische Armee gewesen, die da geschossen hat.
Nun zu meiner Zusatzfrage. Es gibt 500 Millionen
Euro Kreditmittel seitens der Bundesregierung für die
Ukraine. Sie sagten in einer Antwort, dass Sie davon
ausgehen, dass die ukrainische Regierung diese Mittel
vorrangig für den Wiederaufbau und die soziale Entwicklung verwendet. Können Sie sicherstellen, dass kein
Geld davon für den Krieg verwendet wird, wenn nun so
viel Geld für die Mobilmachung ausgegeben wird?
Ich weiß nicht, wie Sie zu Ihrer Wahrnehmung kommen, wir seien einseitig. Immerhin sind bis jetzt alle Gespräche im sogenannten Normandie-Format unter Beteiligung Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der
Ukraine auf ausdrücklichen Wunsch beider Konfliktparteien zustande gekommen. Sowohl der ukrainische Präsident als auch die russische Führung haben uns auf
Grundlage dieses Formats um Vermittlung gebeten.
Wir sind mitnichten einseitig. Selbstverständlich
drängen wir beide Seiten zur Erfüllung dessen, was sie
schon längst im Rahmen des Minsker Abkommens zugesagt haben. Wir drängen die ukrainische Regierung weiterhin, den Reformprozess zu beschleunigen, zu dezentralisieren und den nationalen Dialog noch engagierter
zu führen. Aber wir müssen die Maßstäbe wahren. Ich
habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, dass derzeit
aggressive Gewalt in erster Linie von den von Russland
unterstützten Separatisten ausgeht. Dem habe ich nichts
weiter hinzuzufügen.
Da Sie mich nach der Position bzw. der Bewertung
der Bundesregierung -
Herr Staatsminister, darf ich Sie bitten, sich an die
Zeit zu halten?
Aber natürlich. Dann lasse ich das.
Eine Nachfrage.
Danke schön. - Meine Zusatzfrage bezüglich der Verwendung der 500 Millionen Euro Kredithilfe ist ebenfalls nicht beantwortet worden. Auch zur Mobilmachung
von 68 000 Soldaten, auf die sich meine ursprüngliche
Frage bezieht, haben Sie nichts gesagt. Ich kann also
nicht davon ausgehen, dass meine Fragen beantwortet
werden. Trotzdem probiere ich es noch einmal mit meiner zweiten Nachfrage bezüglich der einseitigen Bewertung. Ist denn der Bundesregierung - das hat der Focus
gemeldet - ein Schreiben des russischen Präsidenten
Wladimir Putin an Präsident Poroschenko vom 16. Januar 2015 bekannt, in dem er konkrete Vorschläge zum
Abzug schwerer Militärtechnik aus dem Donbass macht,
sowie die Tatsache, dass der ukrainische Präsident bis
heute nicht darauf eingegangen ist, sämtliche Vorschläge
abgelehnt bzw. keinerlei Gegenvorschläge gemacht hat
und erneut mit den Kampfhandlungen begonnen hat?
Der Rückzug des schweren Geräts, Frau Kollegin,
war das Ergebnis der vor kurzem geführten Gespräche
der Außenminister - die kürzlich zusammengekommen
sind -, in denen sich beide Seiten hierauf verständigt haben. Selbstverständlich erwarten wir von allen Beteiligten, dass dies umgesetzt wird. Sie wissen aber genauso,
dass die Separatisten weiterhin mit schweren Waffen
ausgerüstet werden.
Im Übrigen ist Ihnen sicherlich bekannt, dass die
Bundesregierung immer wieder darauf hingewiesen hat,
dass die Verhängung des Kriegszustandes durch die
Ukraine sicherlich nicht zur Deeskalation beigetragen
hat. Sie werden mich jedoch nicht daran hindern können,
deutlich zu machen, wo die Hauptverantwortung liegt:
Die Hauptverantwortung liegt insbesondere bei den Separatisten, von denen aggressive Gewalt ausgeht.
Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Hans-Christian Ströbele:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung im Einzelnen dazu, wohin die von ihr im letzten Jahr an die Kurden im
Nordirak gelieferten Waffen gelangt sind, und wie will die
Bundesregierung sicherstellen, insbesondere im Hinblick auf
eine mögliche Mitverantwortung durch die Lieferung der
Waffen und Berichte, dass Kritiker der kurdischen Autonomieregierung vom Geheimdienst der Autonomieregierung
oder Privatmilizen in Geheimgefängnisse gebracht und dort
gefoltert wurden ({0}), dass diese Waffen nicht für
solche Zwecke oder in Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen kurdischen Gruppen - Peschmerga und PKK eingesetzt werden?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Ströbele, Sie wissen,
dass die militärische Ausrüstungshilfe - das sind nicht in
erster Linie Waffen, sondern das sind auch Güter wie
Schutzausrüstung, Sanitätsausstattung, Feldküchen - in
Arbil dem Peschmerga-Ministerium und damit der Regierung der Region Kurdistan-Irak übergeben werden.
Diese Regierung hat sich in einer sogenannten Endverbleibserklärung zu verpflichten - sie hat diese Erklärung
zu unterzeichnen -, dass die gelieferte militärische Ausrüstung nicht an Dritte weitergegeben wird. Bislang liegen der Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse vor,
dass dieser Endverbleibserklärung zuwidergehandelt
wird.
Im Übrigen - auch das zeigen die Bilder und die
Nachrichten aus den Medien - benötigen die Peschmerga die gelieferte Ausrüstung dringend, um täglich
Angriffe von ISIS auf einer über 1 000 Kilometer langen
Front abzuwehren und ISIS zurückzudrängen, etwa im
Sindschar-Gebirge. Die gelieferte Ausrüstung wird nach
uns vorliegenden Informationen im Gefecht eingesetzt,
und die Munition wurde bislang zum Großteil verbraucht.
Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatsminister, ich habe eigentlich gefragt, wo
jeweils die gelieferten Waffen - nach den Hilfsgütern
habe ich Sie und auch die Bundesregierung nicht gefragt
- geblieben sind. Können Sie ausschließen, dass diese
Waffen - mir geht es um die Waffen, also MILAN-Raketen, Gewehre und was auch immer - auch zu anderen,
zum Beispiel zu kurdischen Truppen, gekommen sind?
Sie weisen zutreffend darauf hin, dass da Kämpfe
stattfinden. Geben Sie mir recht, dass eine Hauptlast des
Kampfes gegen ISIS bzw. IS auch von der PKK getragen
wird, also einer kurdischen Gruppe, wie wir wissen, und
zwar sowohl im Nordirak als auch in Nordsyrien?
Ich kann aufgrund Ihrer Zusatzfrage meine erste Antwort gerne präzisieren, Herr Kollege Ströbele. Wir leiten
die Waffen an die Regierung der Region Kurdistan-Irak
weiter. Wie diese Waffen dann von der kurdischen Regierung konkret eingesetzt werden, liegt natürlich im Ermessen des Militärs und richtet sich nach den militärischen Notwendigkeiten. In diese Frage sind wir nicht
eingebunden.
Worin wir aber eingebunden sind, ist die Verpflichtung der Regierung durch die Endverbleibserklärung.
Wir haben bislang keinen Anlass, daran zu zweifeln,
dass die Waffen, so wie es die Endverbleibserklärung besagt, ausschließlich von der legitimierten Regierung
bzw. von ihren Militäreinheiten verwendet werden.
Herr Kollege Ströbele.
Das beruhigt mich überhaupt nicht, weil Sie zur PKK
aus Gründen, die ich nachvollziehen, aber nicht billigen
kann, keinerlei Aussagen machen. Sie wissen, dass die
PKK der wichtigste militärische Faktor bei der Abwehr
des IS im Nordirak gewesen ist. Außerdem ist die PKK
der mit Abstand wichtigste Faktor in Nordsyrien bei der
weitgehenden Befreiung von Kobane. Dazu nehmen Sie
überhaupt keine Stellung. Haben die nun die deutschen
Waffen, ja oder nein?
Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass die von uns gelieferten
Waffen wie auch die sonstigen Güter an die Regierung
der Region Kurdistan-Irak weitergegeben werden. Diese
Regierung trägt die Verantwortung dafür, dass diese
Waffen nur an die Militäreinheiten gehen, die sich im
Verantwortungsbereich dieser Regierung befinden. Wir
legen großen Wert darauf - wir nehmen da auch die Regierung in die Pflicht -, dass das genau so gemacht wird.
Wir haben bislang keinen Anlass, zu vermuten, dass die
Waffen in die falschen Hände geraten sind.
({0})
Das ist unser Erkenntnisstand.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, die Kollegin
Hänsel hat noch eine Nachfrage. Bitte schön, Frau
Hänsel.
Danke schön. - Herr Staatsminister, Sie haben mehrfach auf die Endverbleibserklärung hingewiesen. Dazu
muss man wirklich sagen: Das ist langsam eigentlich ein
völlig inakzeptabler Beweis. Man macht sich ja schon
lächerlich, wenn man die Endverbleibserklärung erwähnt. Das ist ein Papier, das unterschrieben wird.
Sie erwähnen auch, dass Sie offizielle Endverbleibserklärungen vonseiten der US-Behörden für Sig-SauerPistolen haben. Diese Pistolen sind illegalerweise in
Kolumbien gelandet. Ferner berufen Sie sich auf Endverbleibserklärungen vonseiten Mexikos. Dennoch sind
etwa in der mexikanischen Provinz Guerrero deutsche
Waffen im Zusammenhang mit dem Verschwinden der
43 Studenten sichergestellt worden. Sie können uns doch
nicht immer wieder erzählen: Es gibt da eine Endverbleibserklärung. - Fühlen Sie sich da nicht eigentlich
selbst langsam ein bisschen lächerlich?
Ich fühle mich überhaupt nicht lächerlich. Sie wissen,
dass wir hier einen Konflikt haben, den wir offen austragen müssen, und diesen Konflikt tragen wir mit Ihnen
aus.
Wir sind dafür - wir wissen um die Schwierigkeiten
und auch um die Risiken -, dass in dieser ganz besonderen Situation nicht nur Hilfsgüter, sondern auch Waffen
an die Regierung der Region Kurdistan-Irak geliefert
werden, und das ist uns nicht leichtgefallen. Wir verfügen über das Instrument der Endverbleibserklärung, und
diese Verpflichtung ist die dortige Regierung eingegangen; sie hat die entsprechende Erklärung unterzeichnet.
Auch wenn sie Ihnen nicht viel wert sein mag, ist sie das
richtige Mittel. Wir achten sehr genau auf die Einhaltung.
Wir gehen im Übrigen, Frau Kollegin Hänsel, jeder
Kritik, jeder Nachfrage und jedem Verdacht, dass die Erklärung nicht befolgt worden sei, sehr aufmerksam nach.
Vielen Dank. - Die Frage 33 der Kollegin Dağdelen
wird schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amts, und deshalb bedanke ich mich beim
Staatsminister Roth für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter
Krings zur Verfügung.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Die Frage 34 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 35 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Aufträge erteilten Bundesbehörden vor allem zwischen den Jahren 2001 und 2006 der damals gegen die Hamburger linke Szene eingesetzten verdeckten Ermittlerin - bzw.
„Beamtin für Lageaufklärung“, BfL - „Iris Schneider“ des
Hamburger Landeskriminalamtes, welche unter anderem für
den Generalbundesanwalt derweil mindestens zweimal tätig
war, unter anderem im November 2003 während einer RazziaDurchsuchung im dortigen Radiosender FSK, die das Bundesverfassungsgericht am 10. Oktober 2010 ({0}) als verfassungswidrig beurteilte ({1}), und welche durch „Iris Schneider“
während solcher verdeckten Einsätze im Auftrag von Bundesoder Länderbehörden erhobenen vor allem personenbeziehbaren Daten übermittelte sie direkt oder indirekt - etwa via
Hamburger Sicherheitsbehörden - an Bundesbehörden wie
etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Ströbele, das Bundeskriminalamt war vom Generalbundesanwalt im Zeitraum vom
Oktober 2002 bis April 2004 mit polizeilichen Ermittlungen beauftragt, bei denen ein verdeckter Ermittler des
Landeskriminalamtes Hamburg eingesetzt wurde. Der
Einsatz des verdeckten Ermittlers erfolgte unter Führung
durch einen VE-Führer des Landeskriminalamtes Hamburg. Weiterhin war das Landeskriminalamt SchleswigHolstein vom Generalbundesanwalt im Zeitraum von
2004 bis 2006 mit polizeilichen Ermittlungen beauftragt,
bei denen ebenfalls verdeckt ermittelt wurde. Aufgrund
bereits bestehender Zugänge durch seine vorausgegangene Tätigkeit als Beschaffer für Lageinformationen bestand der konkrete Auftrag des verdeckten Ermittlers
darin, Kontakt und Informationen zu Personen zu gewinnen, die als Kontaktpersonen für flüchtige Beschuldigte
infrage kommen, um so neue Fahndungsansätze erlangen zu können. Durch den Einsatz des verdeckten Ermittlers konnten jedoch keine relevanten Informationen
gewonnen werden.
In dem Zeitraum des VE-Einsatzes von Oktober 2002
bis April 2004 ergaben sich nach Kenntnis des Bundeskriminalamtes drei zunächst für relevant erachtete Personenkontakte, über die auch dann berichtet wurde.
In den vorliegenden Einsatzberichten werden zwar
weitere Personen, denen der VE im Rahmen seines Einsatzes begegnet ist, namentlich genannt; über die bloße
namentliche Erwähnung hinaus erfolgt jedoch keine
weitere Berichterstattung zu diesen Personen. Ich verweise insoweit auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke vom 15. Januar 2015; ich
kann Ihnen bei Bedarf auch gern noch die Drucksachennummer sagen.
Seitens des Bundeskriminalamtes ist keine Übermittlung der durch den verdeckten Ermittler erhobenen personenbezogenen Daten an Nachrichtendienste des Bundes oder der Länder erfolgt.
Der Bundesregierung ist die weitere Beantwortung
der Frage im Rahmen der Fragestunde aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich. Die weitere Antwort der
Bundesregierung muss als „Verschlusssache - Geheim“
eingestuft werden. Diese Teilantwort kann bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages - Sie kennen das Verfahren - nach Maßgabe der Geheimschutzordnung eingesehen werden. Das ist sozusagen der
kleinere Teil der Antwort. Diesen Teil kann ich Ihnen
heute hier nicht geben, Herr Kollege.
Vielen Dank. - Herr Kollege Ströbele.
Ich finde es nett, dass Sie immer von dem verdeckten
Ermittler reden. Reden wir von derselben Person, „Iris
Schneider“?
Wir reden nicht über Personen. Wenn ich eine maskuline Form verwende, kann es eine Frau oder ein Mann
sein.
({0})
- Eindeutig muss man es ja ausdrücken.
Aber jetzt keine Zwiegespräche, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Der Kollege Ströbele hat jetzt das
Wort. Bitte schön.
Ich frage jetzt nach „Iris Schneider“ - das habe ich
auch in meiner Frage gefragt -, nämlich: War sie in irgendeiner Form an der Razzia in dem Radiosender im
November 2003 beteiligt, von der das Bundesverfassungsgericht später festgestellt hat, dass sie verfassungswidrig gewesen ist? Wenn es stimmt, dass sie dabei war,
dann hat sie zu einer verfassungswidrigen Aktion der
Bundesanwaltschaft beigetragen.
Weder hatte die verdeckte Ermittlungsperson - um es
vielleicht etwas korrekter auszudrücken;
({0})
ich gehe davon aus, dass wir über die gleiche Person
sprechen - den Auftrag, bei diesem Radiosender tätig zu
werden - das ist schon einmal angesprochen worden -,
noch hatten die Behörden offenbar Kenntnis von der Tätigkeit dort. Insoweit kann ich die Frage beantworten.
Herr Kollege Ströbele, noch eine weitere Nachfrage?
Ja. - Heißt das, dass sie im Rahmen dieser Aktion, die
zu der Durchsuchung geführt hat, die verfassungswidrig
gewesen ist, wie wir inzwischen wissen, gar nicht beteiligt gewesen ist?
Ich habe gesagt, dass sozusagen der Auftrag, dort zu
arbeiten, nicht von den Behörden kam und dort auch die
Kenntnis wohl nicht vorhanden war. Insofern würde ich
die Schlussfolgerung, die Sie jetzt ziehen, persönlich
auch ziehen; allerdings bin ich etwas vorsichtiger, weil
ich die Information im Ergebnis nicht habe; aber es ist
jedenfalls naheliegend. Wenn sie dort nicht im Auftrag
und nicht einmal mit Wissen der Behörden gearbeitet
hat, ist jedenfalls für mich an der Stelle heute und hier
schwer erkennbar, wie sie in diese Aktion involviert gewesen sein sollte.
Vielen Dank.
Wir kommen dann zur Frage 36 des Kollegen Volker
Beck:
Welche Schritte wurden bisher unternommen, um den Verbleib der Hamas auf der europäischen Liste terroristischer
Vereinigungen innerhalb der Übergangsfrist von drei Monaten
auf Tatsachen zu stützen, die in Entscheidungen zuständiger
nationaler Behörden geprüft und bestätigt wurden, und welche Aktivitäten hat die Bundesregierung hierzu inzwischen
unternommen?
Die Beantwortung nimmt wieder der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Krings vor. Bitte.
Gern. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Kollege Beck, der Rat der Europäischen Union hat
am 14. Januar dieses Jahres Einlegung von Rechtsmitteln beim Europäischen Gerichtshof gegen das Urteil des
Europäischen Gerichts erster Instanz vom 17. Dezember
2014 zur Aufhebung der Listung der Hamas beschlossen. Dies wurde durch die EU-Außenminister auf der
Sitzung des Rates für Außenbeziehungen am 19. Januar
2015 in Brüssel bestätigt. Die Frist für die Einlegung
von Rechtsmitteln beträgt zwei Monate. Deutschland hat
sich wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten für die Einlegung von Rechtsmitteln ausgesprochen. Durch das
Rechtsmittel ist die Entscheidung des Europäischen Gerichts zunächst nicht zu vollziehen. Die zweite Instanz,
die über diese Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zu entscheiden hat, ist der Europäische Gerichtshof.
Die Bundesregierung hielte eine Entlistung von Hamas für ein grundfalsches Signal und wird daher den Rat
mit all ihren Möglichkeiten dabei unterstützen, neue Informationen vorzulegen, um die Begründung der Listung auf anerkannte Beweise zu stützen und damit gerichtsfest zu machen. Auch andere EU-Mitgliedstaaten
liefern weitere Informationen. Die Bundesregierung
steht in dieser Frage in engem Kontakt mit ihren Partnern.
Derzeit werden dem Rat Gerichtsentscheidungen der
Staaten zur Verfügung gestellt, die den Charakter der
Hamas entsprechend beschreiben. Diese sollten nach der
europäischen Rechtsprechung geeignet sein, die Begründung einer Listung der Hamas weiter zu untermauern.
Darunter fallen auch zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, in denen es um das aufrechterhaltene Verbot von Spendensammelorganisationen für die
Hamas geht.
Herr Kollege Beck.
Das begrüße ich außerordentlich. Ich glaube, wir sind
uns darin einig, dass erstens die Hamas eine Terrororganisation ist und man zweitens auch die Feinde des
Rechtsstaates und der Demokratie rechtsstaatlich bekämpfen muss. Daher müssen wir die Rüge des Europäischen Gerichtshofs in ihrem formalen Teil ernst nehmen.
Deshalb wollte ich wissen, welche Tatsachen die Bundesregierung der Europäischen Kommission an die Hand
geben wird, die den Anforderungen des Urteils entsprechen, nämlich Entscheidungen zuständiger nationaler
Behörden, die geprüft und bestätigt wurden. Das Problem ist: Einerseits können wir aus den bekannten Geheimschutzgründen keine Geheimdienstinformationen
vorlegen. Andererseits reicht es nicht aus, Presseberichte
und URLs aus dem Internet zur Beweisbekräftigung vorzutragen.
Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Ich weise noch
einmal auf die beiden genannten Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts hin, die in einem öffentlichen - zumindest gerichtlichen - Verfahren getroffen
wurden und sehr gut als Informationen eingebracht werden können. Ich weiß nicht, inwieweit dort Geheimschutztatbestände erfüllt waren. Diese Informationen
sind von einer Behörde eingebracht und von einem Gericht überprüft worden. Diese Entscheidungen werden
zurzeit aufbereitet. Im Verbund mit anderen Entscheidungen haben wir durchaus Grund für die Aussicht, dass
dies Erfolg haben wird.
Ich bin nicht sicher, ob das für dieses konkrete Verfahren ausreicht; aber im Übrigen wird zurzeit die Verfahrensordnung des Gerichts in erster Instanz überarbeitet. Da geht es auch um neue Regeln zur Behandlung
vertraulicher Dokumente. Daran krankt es offenbar im
europäischen Verfahren noch etwas. Wenn es um die
Einführung vertraulicher Dokumente in Gerichtsverhandlungen geht, dann sind wir nationalstaatlich offenbar etwas weiter.
Vielen Dank. - Herr Kollege Beck, noch eine Nachfrage?
Vielleicht können Sie uns dies sagen: Geht es bei den
Tatsachen, die die Bundesregierung beisteuert, nur um
die Gegenstände aus den beiden Gerichtsentscheidungen, die Sie zitiert haben, oder wird die Bundesregierung
weitere Tatsachen, die durch nationale Behörden geprüft
und bestätigt wurden, vorlegen? Wenn ja, welche? Wenn Sie diese Antworten in Ihrem Haus nicht vorbereitet haben, dann dürfen Sie mir gern schriftlich nachberichten.
Wir schauen natürlich breit gefächert, welche Informationen hier geeignet sind. Insbesondere gilt das für
die beiden Gerichtsentscheidungen. Ich gehe davon aus,
dass auch andere Informationen dahin gehend gesichtet
werden, ob es relevante Dinge gibt. Konkret bekannt
sind mir diese beiden Gerichtsentscheidungen. Wenn Sie
mögen, können wir gern nachsehen, inwieweit wir noch
über andere Informationen berichten können.
({0})
Vielen Dank. - Wir kommen zum Ende der Fragestunde, da die Frage 37 des Abgeordneten Hubertus
Zdebel, die Frage 38 des Abgeordneten Andrej Hunko,
die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu
und die Fragen 40 und 41 der Abgeordneten Erika
Steinbach schriftlich beantwortet werden.
Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zum EZB-Anleihekaufprogramm
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Gerhard Schick, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Aufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank,
das letzte Woche beschlossen wurde, ist in seiner Dimension einzigartig. Es ist vielleicht die wichtigste wirtschaftspolitische Entscheidung unserer Zeit. Man hat es
in den Medien gemerkt; denn es gab einen riesigen Umfang der Debatte. Auch viele von uns haben sich dazu
geäußert.
Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir
meinen, dass auch hier darüber diskutiert werden muss.
Wir haben uns zunächst gewundert, warum Sie einer
vereinbarten Debatte nicht zugestimmt haben. Wir haben
uns dann aber nicht mehr gewundert; denn die Debatte
ist für Sie natürlich unangenehm. Ich will auch sagen,
warum das so ist.
Die Lage in der Euro-Zone ist schwierig. Wir haben
in vielen Ländern Massenarbeitslosigkeit. Manche Länder sind in einer Deflation, also in einer gefährlichen
wirtschaftlichen Lage. Die Inflationsraten sind unter die
Nulllinie gesunken. Das bedeutet: Die Europäische Zentralbank, die das Ziel einer Inflation von 2 Prozent verfolgt, muss dringend etwas tun, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren will.
In dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten. Die
eine Möglichkeit ist, dass nur die Europäische Zentralbank handelt, dass also nur geldpolitische Maßnahmen
ergriffen werden. Das passiert gerade. Natürlich hat dies,
wie viele Ökonomen zu Recht sagen, problematische
Nebenwirkungen. Wir sehen schon jetzt, dass die Aktienkurse in die Höhe gehen. Das hat unerwünschte Verteilungswirkungen und schafft neue Blasen; denn es ist
natürlich keine nachhaltige Wertsteigerung. Wir sehen,
dass die Währungsrelationen, am Schweizer Franken
deutlich sichtbar, Unruhe in die Wirtschaft bringen. All
das sind gefährliche Nebenwirkungen.
Man muss sich daher fragen: Was ist eigentlich die
Alternative? Die Alternative ist - das schlagen auch wir
von Bündnis 90/Die Grünen vor -, dass man die Last der
Stabilisierung der europäischen Wirtschaft nicht allein
der Europäischen Zentralbank aufbürdet, sondern dass
auch die Regierungen in Europa ihren Teil zur Stabilisierung beitragen. Das könnte dadurch erreicht werden,
dass private und vor allem öffentliche Investitionen gezielt angeregt werden.
({0})
Aber das passiert nicht. Die Bundesregierung beharrt darauf, eine kurzsichtige Sparpolitik in Europa durchzusetzen. Sie freut sich über symbolische Effekte. Damit
bleibt die Last bei der Europäischen Zentralbank, verbunden mit den unerwünschten Nebenwirkungen, die
wir nicht hätten, wenn es ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen geldpolitischen Maßnahmen und dem, was die
Regierungen tun, gäbe.
Man muss all diejenigen, die unzufrieden sind und
sich über die Politik der Europäischen Zentralbank ärgern, auffordern, ihre Protestbriefe nicht nach Frankfurt,
sondern nach Berlin an das Bundeskanzleramt zu schicken;
({1})
denn da werden Maßnahmen blockiert, die die notwendigen öffentlichen Investitionen in Europa voranbringen
könnten. Diese Investitionen könnten Druck von der Europäischen Zentralbank nehmen; sie müsste weniger tun.
Dann könnten wir eine Politik betreiben, mit der vor allem die Verteilungs- und die sozialen Probleme in Angriff genommen werden, und unsere Zukunft entsprechend gestalten.
Geldpolitische Maßnahmen wirken diffus, mit unerwünschten Verteilungswirkungen. Daraus entstehen
nicht unbedingt reale Investitionen. Wir schlagen einen
Green New Deal vor, eine Strategie, mit der Investitionen der öffentlichen Hand und auch der privaten Wirtschaft gezielt angeregt werden. Damit können wir wichtige Zukunftsprobleme wie den Klimawandel in Angriff
nehmen, die Digitalisierung unserer Wirtschaft voranbringen und für die Zukunft vorsorgen. Genau das blockieren Sie. Das wäre aber die richtige Lösung.
({2})
Schauen Sie sich doch die Lage an. Es gibt mit dem
Juncker-Plan eine richtige Initiative auf europäischer
Ebene. Dies ist grundsätzlich die richtige Idee. Die Bundesregierung hingegen verfolgt ein Sammelsurium von
Projekten ohne klare Entwicklungsrichtung. Teilweise
handelt es sich um irgendwelche Autobahnneubauten,
anstatt einmal richtig zu sanieren. Außerdem gibt es
keine Finanzierungszusagen aus Berlin. So wird es natürlich nichts mit den Investitionen in Europa.
({3})
Was Sie machen, ist so schofel, so wohlfeil, so billig.
Bei der Kritik aus Ihren Reihen hat sich der Kollege
Michelbach am meisten verstiegen, indem er den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, der Ihre Fehler
ausputzen muss, als Fehlbesetzung bezeichnet hat. Ich
hoffe, Sie entschuldigen sich in dieser Debatte für diese
Entgleisung, Herr Kollege.
({4})
Es ist schofel, die zweite Reihe kritisieren zu lassen.
Die Regierung ist eigentlich froh über die jetzige Situation; denn Ihre symbolischen Erfolge in der Haushaltspolitik haben Sie nur dem zu verdanken, was die Europäische Zentralbank in Frankfurt macht. Seit Ausbruch
der europäischen Finanzkrise hat Deutschland aufgrund
niedriger Zinsen 130 Milliarden Euro eingespart. Das ist
die Grundlage dessen, was Sie feiern. Seien Sie ehrlich
und stehen Sie wenigstens dazu! Blockieren Sie nicht
wichtige Zukunftsprojekte in Europa, wie Sie es heute
tun!
Danke schön.
({5})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung spricht jetzt
der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter.
({0})
Charmante Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Thema der Aktuellen Stunde, beantragt
von Bündnis 90/Die Grünen, ist die Position der Bundesregierung zu den aktuellen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank. Dazu hat mein Vorredner relativ wenig beigetragen. Damit ihm klar wird, worum es geht,
will ich deutlich sagen: Für die Bundesregierung ist die
Europäische Zentralbank, in der Tradition der Deutschen
Bundesbank fortentwickelt, die unabhängige geldpolitische Institution, die für die Stabilität unserer Währung in
Deutschland und innerhalb der Euro-Zone sorgen soll,
dies mit Erfolg in den vergangenen Jahren getan hat und
sicher auch in Zukunft tun wird. Das ist unsere grundsätzliche Auffassung.
({0})
Wenn eine Fraktion des Deutschen Bundestages eine
Entscheidung der Europäischen Zentralbank diskutieren
möchte, ist das ihr gutes Recht. Die Bundesregierung
hält aber an ihrer bisherigen Position fest, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank ein hohes Gut ist. Unabhängigkeit endet nicht bei der Frage, ob man einer Entscheidung der Institution zustimmt oder nicht; sie ist
umfassend zu respektieren.
({1})
Zusammenfassend kann ich sagen: Wir respektieren
die Entscheidung, die sich auf Artikel 18 Absatz 1 der
EZB-Satzung stützt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, zerren die Unabhängigkeit der Zentralbank an den Rand des Zulässigen. Die Bundesregierung wird Ihnen dabei nicht folgen.
({2})
Herr Kollege Schick, da Sie wie ich ein DiplomVolkswirt sind, haben Sie nicht nur Unrichtiges gesagt,
sondern auch auf die Verantwortungsteilung zwischen
Geldpolitik und Fiskalpolitik hingewiesen. Das fand ich
richtig. Es ist eine Binsenweisheit, dass man eine gute
Geldpolitik für eine nachhaltige Wirtschafts- und
Wachstumspolitik braucht. Man braucht auch eine anständige Fiskalpolitik und eine Politik für mehr Wettbewerbsfähigkeit in Europa. Das ist genau das Motiv des
Jahreswirtschaftsberichts, den wir heute im Bundeskabinett besprochen haben. Wir brauchen mehr Investitionen
in die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland. Das ist Ziel
der Politik der Bundesregierung. Das Gleiche brauchen
wir in Europa. Dazu bedarf es Gott sei Dank keiner Ermahnung durch die Opposition; denn das ist die erklärte
Politik dieser Koalition.
({3})
Wir sehen Investitionen als den Schlüssel für mehr
Wettbewerbsfähigkeit. Nur wenn eine Volkswirtschaft
investiert, wird sie auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben.
({4})
Deswegen haben wir unsere Investitionen in den vergangenen Jahren gesteigert, insbesondere in den Bereichen
Bildung und Forschung. Wir wollen der Innovationsmotor des Wachstums in Europa sein. Die Hightech-Strategie und die Industrie 4.0 spielen daher eine zentrale
Rolle in unseren investitions- und wirtschaftspolitischen
Bemühungen.
Wir wollen selbstverständlich nicht nur in die digitale
Infrastruktur, sondern auch in die Verkehrsinfrastruktur
investieren. Dafür wollen wir in Deutschland in Zukunft
stärker privates Kapital mobilisieren. Privat und Staat
können gemeinsam für eine leistungsfähige Infrastruktur
Sorge tragen.
({5})
- Herr Kollege Schick, die Telekommunikationsinfrastruktur ist ausschließlich mit privaten Geldern finanziert worden. Sie können doch nicht behaupten, dass privat finanzierte Infrastruktur nicht leistungsfähig ist.
({6})
Ich kenne kaum ein leistungsfähigeres Telekommunikationsnetz als das der Bundesrepublik Deutschland, das
durch privates Kapital finanziert wurde. Das sollten Sie
sich einmal hinter Ihre Ohren schreiben.
({7})
- Das heißt nicht, dass es keine Lücken gibt. Aber wir
arbeiten daran. Das private Kapital ist da sehr mobil.
Was ich noch erwähnen möchte, Herr Kollege Schick,
ist Ihre Unverfrorenheit, mit der Sie darüber hinweggehen, dass die Bundesregierung eine derjenigen Regierungen in Europa war, die mit als erste und nachhaltig
den Vorschlag von Jean-Claude Juncker, dem neuen Präsidenten der Europäischen Kommission, für mehr Investitionen in Europa unterstützt hat.
({8})
Wir stehen ausdrücklich an der Seite von Jean-Claude
Juncker, der mit seiner Initiative weitaus mehr als
300 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen in und
für Europa mobilisieren will. Dies ist die Politik der
Bundesregierung. Das haben wir in der Vergangenheit
unterstützt, und das werden wir auch zukünftig unterstützen. Das muss in aller Klarheit einmal gesagt werden.
({9})
Wenn es darum geht, die Initiative von Jean-Claude
Juncker auf breitere Schultern zu stellen, sind alle
28 Staaten der Europäischen Union herzlich eingeladen,
da mitzumachen. Solange das nicht so ist, werden wir
mithilfe der KfW in zweiter Linie über den Juncker-Plan
hinaus europäische Investitionen unterstützen. Am deutschen Einsatz für mehr Wachstum und mehr Wohlstand
in Europa wird unser europäisches Projekt keinesfalls
scheitern. Das ist hier in aller Klarheit festzuhalten.
({10}):
Wenn das Klarheit ist!)
In diesem Kontext möchte ich gerne darauf hinweisen, dass wir viel in nationaler Verantwortung machen
können; die Europäer nennen das „National Ownership“.
Der Jahreswirtschaftsbericht hat in diesem Zusammenhang beispielsweise ein investitionsfreundliches Vergaberecht und eine digitale Wettbewerbsstruktur angeführt.
Das werden wir engagiert verfolgen.
Aber wir werden auch unsere auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Finanzpolitik in Deutschland und für Europa
weiterverfolgen. Investitionen und Wachstum zur Unterstützung einer vernünftigen Geldpolitik wird es nur geben, wenn die öffentlichen Haushalte in Ordnung sind.
Das muss heute einmal in aller Klarheit vor dem Deutschen Bundestag festgestellt werden.
({11})
Ich will alle, die vom EZB-Präsidenten ansonsten nur
wenig hören, noch einmal daran erinnern, dass er uns
aufgefordert hat, an dem Kurs für nachhaltige Finanzen
in Europa festzuhalten. Er hat die europäischen Staaten
- Deutschland, aber auch andere Staaten - aufgefordert,
mehr für ihr Wachstum in nationaler Verantwortung zu
tun. Die europäische Geldpolitik, Herr Kollege Schick,
ist kein Ersatz für nationale Reformen. Wer etwas anderes glaubt, irrt.
({12})
Wenn Sie dieser irrigen Auffassung sind, weisen wir das
zurück. Das ist nicht die Auffassung der Bundesregierung. Wir wissen, dass wir für mehr Wachstum in Europa auch mehr tun müssen.
({13})
Wir werden auch mehr tun, soweit wir dazu gemeinsam
mit den europäischen Partnern in der Lage sind. Das ist
unsere Politik, und daran werden wir nichts ändern.
({14})
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen hat offensichtlich übersehen, dass wir mit unserem Kurs auch bei der
Investitionsbereitschaft in und für Europa Spielräume
geschaffen haben. Wir haben gegenüber unserer bisherigen nationalen Haushaltsplanung 10 Milliarden Euro zu7730
sätzlich für Infrastrukturinvestitionen, für wachstumsförderliche Investitionen bereitgestellt.
({15})
Wir werden dem Deutschen Bundestag zeitnah entsprechende Überlegungen hierzu vorlegen. Ordentliches Haushalten und mehr Investitionen gehören zusammen.
Schauen Sie sich doch einmal um: Da, wo die Defizite
hoch sind, sind die Investitionen niedrig. Da, wo die Defizite niedrig sind, hat man Spielräume für mehr Investitionen. - Das ist verantwortliche Politik für Deutschland.
Das ist verantwortliche Politik in Europa.
({16})
Herr Kollege Schick, Sie können sich hier aufregen,
wie Sie wollen; Tatsache ist auch: Für mehr Investitionen in und für Europa zählt auch die Stabilität des Bankensektors. Deshalb bedanke ich mich beim deutschen
Gesetzgeber, dass er beherzt, zeitnah und umfassend die
notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung der Bankenunion für Deutschland ergriffen hat. Nur wenn wir ein
stabiles Banken- und Finanzsystem haben, haben wir
auch die stabilen Rahmenbedingungen für Investitionen
in Wachstum in Deutschland und Wachstum in Europa.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen,
wer für Geldpolitik verantwortlich ist. Wir wissen aber
auch, wer für Wachstum und Wohlstand verantwortlich
ist. Die Bundesregierung wird das Notwendige dafür
tun.
({17})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege
Michael Schlecht, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich finde, das war schon eine sehr abenteuerliche Vorstellung. Eines muss man deutlich sagen: Egal was man
von der EZB hält - ich gehöre zu denen, die dort vieles
sehr kritisch sehen -; aber das intellektuelle Niveau der
EZB ist um Dimensionen höher als das der deutschen
Bundesregierung, zumindest in Gestalt dieses Parlamentarischen Staatssekretärs.
({0})
Die EZB hat nämlich eines begriffen: Wir haben in Europa, auch in Deutschland, ein ganz gravierendes Problem, die Deflation. Sie haben kein einziges Wort über
die Gefahr der Deflation gesagt, sondern nur Ihre verhängnisvolle Politik apologetisch beschönigt. Das ist
wirklich ein starkes Stück.
({1})
Deflation bedeutet tendenziell sinkende Preise. In dieser Logik sind wir schon, zumindest in einigen Ländern.
Selbst wenn wir Öl herausrechnen, sind wir in vielen
Länder unter der 1-Prozent-Marke. Konsumenten und
Unternehmen schieben ihre Käufe und Investitionen auf,
in der Hoffnung, die Dinge später billiger kaufen zu können. Dies lässt die Wirtschaft einbrechen und verschärft
die Misere.
({2})
Schauen Sie einmal nach Japan. Japan befindet sich seit
mittlerweile 30 Jahren in einer deflationären Dauerkrise.
Es ist ganz schwer, aus einer solchen Situation herauszufinden.
Die Inflationsrate in der Euro-Zone ist in den letzten
zwei Jahren von 2 Prozent auf minus 0,2 Prozent gesunken. Die Gründe dafür sind klar: Die Konjunktur in der
Euro-Zone ist viel zu schwach, weil die Staaten auf unterschiedliche Weise zu Kürzungen verdonnert wurden.
Private Haushalte leiden unter Arbeitslosigkeit und
Lohnkürzung. Wo sollte da die Nachfrage herkommen,
die den Unternehmen höhere Umsätze beschert und ihnen Preissteigerungen zumindest auf dem Niveau von
2 Prozent erlaubt, was der von der EZB definierten
Zielinflationsrate entspräche? Das sind die entscheidenden Probleme, die wir bekämpfen müssen.
({3})
Die Hoffnung der EZB war: Die Zinsen fallen, wenn
sie Geld in den Markt schmeißt; dann schwimmen die
Banken im Geld und die Nachfrage springt an, und alles
wird gut. - Das wird leider nicht eintreten. Der Effekt,
den wir momentan erleben und weiter erleben werden,
ist: Die Geldflut sorgt für steigende Aktienkurse, was ein
paar Spekulanten und ein paar Banken noch reicher machen wird. Zu einem allgemeinen Anstieg der Nachfrage
wird das nicht führen. Denn wer nimmt schon Kredite in
Zeiten einer europaweit so schwierigen wirtschaftlichen
Entwicklung auf?
({4})
Wir haben ja jetzt schon Minizinsen.
Die Deflationsgefahr ist eine Folge des Kürzungsdiktats. Man sieht das am ausgeprägtesten an Griechenland.
Dort ist in den letzten Jahren der Konsum um, sage und
schreibe, ein Viertel heruntergeknüppelt worden, maßgeblich durch Interventionen der deutschen Bundesregierung. Die Folge ist, dass die Deflation in Griechenland am ausgeprägtesten ist.
An diesen Diktaten hat im Übrigen die EZB kräftig
mitgewirkt. Als Teil der Troika setzte sie Kürzungen
durch, die den Rückgang der Inflation überhaupt erst
verursacht haben. Jetzt wirft sie Milliarden auf den
Markt, um genau das, was sie mit herbeigeführt hat, zu
bekämpfen. Die EZB ist faktisch Brandstifter und FeuerMichael Schlecht
löscher zugleich. Allerdings löscht sie das Feuer mit heißer Luft. Vielleicht muss man eines Tages sagen: Sie
löscht das Feuer mit Benzin. - Es ist wirklich ein Skandal, dass das geschieht.
({5})
EZB-Chef Mario Draghi tritt dafür ein, dass die Welt mit
Milliarden geflutet wird, und gleichzeitig fordert er weiterhin die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und Lohnsenkungen. All das wird das Problem der Deflation, das
er vorgibt zu bekämpfen, nur noch weiter verschärfen.
Das nenne ich eine vollkommen irre Politik.
Wir brauchen in Europa endlich ein Ende dieser Kürzungspolitik. Die Griechen haben jetzt für einen grundlegenden Politikwechsel gestimmt. Wir sollten den auch
unterstützen.
({6})
Ausgehend von Griechenland muss es endlich in Europa
eine andere Politik geben, auch hier in Deutschland.
({7})
Die EZB sollte mit ihrem Geld lieber europaweite Investitionsprogramme finanzieren, anstatt es Banken und
Spekulanten in den Rachen zu werfen. Vor allem in
Deutschland brauchen wir endlich wieder deutlich steigende Löhne auf breiter Front. Dass der Durchschnittsverdiener trotz aller leichten Verbesserungen der letzten
Jahre preisbereinigt heute immer noch 3 Prozent weniger Lohn hat als im Jahre 2000, macht deutlich, dass
auch in Deutschland vieles im Argen liegt und hier sehr
schlechte Verteilungsverhältnisse herrschen.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort der Kollege Carsten Schneider.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass der Kollege Schlecht von der Linkspartei eben
Griechenland und den Politikwechsel, der dort stattgefunden hat, angeführt hat, finde ich angesichts der Koalitionskonstellation mit Rechtspopulisten und Linkspopulisten schon bemerkenswert. Ich glaube, dass es da eine
Einigkeit gibt: Ihr Ziel ist eine Renationalisierung der
Politik und nicht eine Europäisierung. Das zeigt sich in
Griechenland gerade sehr deutlich, wenn ich mir diese
Koalitionspartner angucke.
({0})
Wissen Sie, die EZB hat in den vergangenen Jahren
immer wieder die Kohlen aus dem Feuer geholt, wenn es
darum ging, den Euro zu stabilisieren und die Europäische Union und die Euro-Zone am Laufen zu halten. Da
gab es viel Kritik aus Deutschland, viel Kritik, die meines Erachtens unberechtigt war; denn die EZB war die
einzige Institution, die gesichert hat, dass die Spekulationen an den Finanzmärkten gegen die Staaten gestoppt
wurden. Das ist der große Erfolg, der sich auch in sinkenden Zinsen oder günstigen Refinanzierungen niedergeschlagen hat.
({1})
Herr Kollege Schick hat zu Recht darauf hingewiesen: Die lockere Geldpolitik, die die EZB jetzt vollzieht,
ist mit Gefahren verbunden, mit Vermögenspreisblasen.
Das ist vollkommen klar. Wir haben die Null-ZinsGrenze erreicht. Die EZB macht Geldpolitik nicht nur
für Deutschland, sondern für den gesamten Euro-Raum.
Man muss klar feststellen, dass sie ihr Inflationsziel, das
bei knapp unter 2 Prozent liegt, verfehlt. Wenn man sich
die Inflationserwartungen für einen Zeitraum von fünf
Jahren anguckt, dann stellt man fest: Sie liegen bei unter
1 Prozent. Die EZB muss also handeln, und ich finde es
richtig, dass sie handelt. Nicht zu handeln, wäre keine
Option gewesen.
Wenn Sie sich die Bilanzsumme der EZB genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass sie bereits 2012 ein
Volumen von 3 Billionen Euro hatte; das ist die Zielmarke, die Herr Draghi bzw. der EZB-Rat wieder ausgegeben haben. Derzeit beläuft sich die Bilanzsumme auf
2 Billionen Euro. Sie wäre gesunken, wenn es die Entscheidung für das Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen nicht gegeben hätte. Die Bilanzsumme der EZB
wäre weiter gefallen und dem Markt würde Liquidität
entzogen werden; denn die geldpolitischen Maßnahmen
- Abkürzung LTRO -, den Banken günstige Kredite zu
geben, damit sie das Geld verleihen, laufen aus. Die
Banken geben das Geld freiwillig zurück; sie nutzen es
gar nicht.
Der entscheidende Punkt ist: Wir haben den Bankensektor sehr stark reguliert - der Kollege Staatssekretär
hat zu Recht darauf hingewiesen -, und im Gegenzug erwarten wir, dass er jetzt seine Aufgabe erfüllt. Die Aufgabe ist, Kredite durch die Einlagen der Sparer zu finanzieren, damit investiert wird. Das ist die Kernaufgabe,
und ich erwarte, dass die Banken dieser Aufgabe nachkommen.
({2})
Wenn man sich die Debatte in Deutschland, die Aufmacher der Zeitungen und die Kommentare, die teilweise abgegeben werden, so anguckt, fragt man sich
schon, in welchem Land man lebt. Wenn es nur noch darum geht, den Sparer und die geringeren Zinsen, die er
erhält, in den Mittelpunkt zu stellen, wenn es nur noch
darum geht, dies als Gefahr an die Wand zu malen, dann
frage ich mich schon: Wo ist eigentlich die Hoffnung in
die Zukunft, die dieses Land einmal ausgemacht hat?
Eine Medaille hat ja immer zwei Seiten. Natürlich bekommt der Sparer weniger Zinsen für sein angelegtes
Geld; das ist klar. Aber er profitiert von einer sehr niedrigen Inflationsrate; das gehört zur Wahrheit dazu. 6 Pro7732
Carsten Schneider ({3})
zent Zinsen bei 5 Prozent Inflation sind auch nicht besser als 1 Prozent Zinsen bei einer viel niedrigeren
Inflation. Der entscheidende Punkt ist doch - das ist die
andere Seite der Medaille -, dass die Investitionen verdammt günstig sind, dass es nie so billig war, ein Unternehmen zu gründen und in Wachstum zu investieren,
dass es für Familien noch nie so günstig war, den Traum
vom Einfamilienhaus oder einer Eigentumswohnung zu
finanzieren.
({4})
Das sind die Chancen, die in dieser Entwicklung liegen.
Ich finde, wir als Politiker müssen diese Chancen betonen. Wir dürfen nicht nur die Gefahren an die Wand malen.
({5})
Lassen Sie mich auf einen zweiten Punkt eingehen.
Es stellt sich die Frage - Herr Schick oder Herr
Kampeter haben darauf hingewiesen -: Welche Aufgabe
hat eigentlich die Finanzpolitik? Natürlich kann die EZB
nur eines machen, nämlich Geldpolitik; das ist ihre Aufgabe. Genauso wenig, wie ich erwarte, dass die Bundesregierung die Politik der EZB kommentiert, erwarte ich,
dass die EZB die Politik von nationalen Regierungen
kommentiert. Von daher hat mich schon sehr gewundert,
dass sich der Bundesbankpräsident zum Wahlergebnis in
Griechenland geäußert hat; aber das ist ein anderes
Thema.
Was ist also unsere Aufgabe als Nationalstaat? Wir
müssen alles dafür tun, dass die Investitionen in Deutschland steigen. Die privaten Investitionen sind niedrig, insbesondere im Unternehmenssektor. Die Aktienkurse
wurden genannt. Aber nicht nur die Kurse, sondern vor
allen Dingen die Dividenden spielen eine Rolle. Dass die
DAX-Konzerne die Gewinne zum Großteil ausschütten,
anstatt sie zu reinvestieren, zeigt mir, dass sie nicht gerade Hoffnung in gute Produkte und künftige Märkte haben. Das macht mir Sorgen. Ich finde, sie müssen investieren und ihren Kapitalstock langfristig erweitern. Sie
müssen in Innovationen investieren und dadurch dafür
sorgen, dass wir langfristig gute Produkte haben.
Wir werden in den nächsten Wochen hier im Bundestag über den Haushalt 2016 und vielleicht sogar über einen Nachtragshaushalt 2015 zu entscheiden haben. Ein
Schwerpunkt wird sein, dass wir die staatlichen Investitionen deutlich verstärken; Herr Kampeter hat auf die
10 Milliarden Euro, die wir investieren wollen - das ist
die Untergrenze -, hingewiesen. Wir werden sinnvolle
staatliche Investitionen auch zur Erhaltung unseres Kapitalstocks auf den Weg bringen. Das wird dazu führen,
dass die Nachfrage nach Gütern aus anderen Ländern
steigt. Das ist unser Beitrag, den wir hier leisten können.
({6})
Wir müssen den Weg noch weiter in Richtung einer
gemeinsamen Steuerpolitik gehen. Es geht dabei nicht
nur um Steuerdumping von Unternehmen in Europa,
dass es wettbewerbsfähige Steuersätze sind, sondern
auch um Investitionen und gerechte Unternehmenssteuern. Jedes Unternehmen sollte dort besteuert werden, wo
es seinen Umsatz macht. Dann sind wir, glaube ich, gemeinsam auf einem guten Weg.
Herr Kollege Schneider.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Wir wollen die Unterstützung, die uns die EZB zukommen lässt,
nutzen, um nach vorne zu kommen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle
Stunde beschäftigt sich mit der „Haltung der Bundesregierung“ zu den Maßnahmen der EZB. Dazu hat der
Staatssekretär Steffen Kampeter eigentlich schon alles
Notwendige gesagt. Ich habe großes Verständnis dafür,
dass die Bundesregierung die Entscheidungen der EZB
nicht kommentiert, sondern großen Wert auf die Unabhängigkeit der EZB legt. Ich spreche auch nicht für die
Bundesregierung, sondern für meine Fraktion,
({0})
und auch wir legen großen Wert auf die Unabhängigkeit
der EZB.
({1})
Ich gehe davon aus, dass die EZB innerhalb ihres
Mandates über ihre geldpolitischen Maßnahmen unabhängig entscheidet. Es ist unbestritten, dass man kritisch
nachfragen kann; das ist gar keine Frage. Ich bin überzeugt, die eine oder andere Maßnahme wird auch noch
deutschen Verfassungsrichtern zur Beurteilung vorgelegt
werden;
({2})
dazu besteht durchaus Anlass. Ich gehe aber davon aus
- ich respektiere ihre Entscheidungen auch -, dass die
EZB im Rahmen ihres Mandats handelt und ihrer geldpolitischen Verantwortung gerecht wird.
Interessanter wird die politische Debatte, wenn man
die Neben- und Folgewirkungen der geldpolitischen
Maßnahmen für die nationalen Haushalte und die FiskalNorbert Barthle
politik in Europa in den Blick nimmt. Das ist doch die
eigentlich spannende Frage. An diesem Punkt hören wir
von den Grünen und den Linken sehr schnell: Jetzt, da es
billiges Geld gibt, muss man mehr investieren. - Hinzugefügt wird dabei nicht: natürlich zulasten neuer Schulden. Woher soll das Geld denn sonst kommen? Sie müssen den Menschen draußen ehrlicherweise sagen, dass
Sie neue Schulden machen wollen, um mehr investieren
zu können.
({3})
Das wollen wir nicht. Wir halten an unserer Linie
fest: Wir schaffen uns die notwendigen Investitionsspielräume für die Zukunft - 10 Milliarden Euro sind geplant; 5 Milliarden Euro stehen schon im Koalitionsvertrag - durch entsprechend konsolidierte Haushalte.
({4})
Wir sorgen für die Zukunft vor, indem wir uns die notwendigen Spielräume erwirtschaften. Das unterscheidet
uns fundamental von der linken Seite des Hauses.
Etwas anderes - das ist es, was mir eigentlich Sorgen
macht -: Diese EZB-Entscheidung, die Tatsache, dass
jetzt billiges Geld zur Verfügung steht, trägt offensichtlich dazu bei, dass einige Länder in der Euro-Zone nicht
mehr die Notwendigkeit sehen, Strukturreformen und
Haushaltskonsolidierung weiter voranzutreiben, sondern beim billigen Geld zugreifen. Diese Gefahr darf
man nicht unterschätzen. Ich setze darauf, dass unsere
Bundesregierung in den entsprechenden internationalen
Verhandlungen großen Wert darauf legt, dass die Maßstäbe und Regeln des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakts und auch die nachfolgenden Vereinbarungen - Six-Pack, Two-Pack, Fiskalvertrag und alles
andere, was in der Folge entstand - eingehalten werden.
Man hört schon jetzt Signale, vor allem aus den Programmländern, die darauf schließen lassen, dass man
sich mit den bisherigen Bemühungen womöglich zufriedengibt und nicht mehr weiter reformieren will.
Wir haben einen Reformstau, nicht nur in den Programmländern, sondern auch in Italien und Frankreich.
An dieser Stelle möchte ich aber hinzufügen, dass in Italien bereits tiefgreifende Reformen auf den Weg gebracht wurden. Was den Arbeitsmarkt anbelangt, muss
zwar noch einiges umgesetzt werden, aber Italien ist auf
einem guten Weg. Ich hoffe sehr, dass Frankreich nachzieht.
({5})
Das Einhalten der verabredeten Regeln - das gilt für
alle Regeln, die wir verabredet haben - ist notwendig,
um die Glaubwürdigkeit der Politik in ganz Europa aufrechtzuerhalten. Wir haben das Problem, dass in vielen
Ländern eine Glaubwürdigkeitskrise entstanden ist, und
zwar insbesondere in Bezug auf die europäische Politik.
Deshalb sollten wir aufhören, europäische Institutionen
schlechtzureden. Wir sollten gut über Europa reden.
({6})
Das nützt uns allen. Das nützt Europa, und das nützt den
einzelnen Ländern, die derzeit noch Probleme haben.
({7})
Griechenland ist schon angesprochen worden. Dazu
noch eine kurze Bemerkung: Ich wundere mich schon
über die Debatte, die dort geführt wird. Es wird immer
über einen Schuldenschnitt geredet. Für uns ist Folgendes vollkommen klar:
Erstens. Das zweite Griechenland-Hilfsprogramm
muss eingehalten und bis Ende Februar abgeschlossen
werden, ohne irgendwelche Änderungen an den Vereinbarungen.
Zweitens. Eine Schuldenschnittdebatte hat überhaupt
keine Substanz; denn Griechenland hat, da die Zins- und
Tilgungszahlungen ausgesetzt sind, derzeit nur ganz geringe Belastungen. Was würde sich an den Haushaltsbelastungen ändern, wenn man einen Schuldenschnitt vereinbaren würde? Gar nichts. Das würde allenfalls neue
Spielräume für neue Schulden eröffnen, und das wäre
Gift für die Weiterentwicklung von Griechenland. Deshalb ist diese Debatte so unsinnig.
Danke.
({8})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt der Kollege Dr. Diether Dehm.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Kollegen! Herr Schneider, ich
meine, Herr Schröder hat mit seiner Hartz-IV-Politik gewisse Anteile daran, dass wir hier als stärkste Oppositionspartei sitzen. Frau Merkel hat bestimmt auch gewisse Anteile an der Stärke von Syriza und dem
Wahlerfolg vom Sonntag. Die europäische Arbeiterbewegung ist Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.
({0})
Aber wofür die Arbeiter, soweit sie Kleinsparer sind,
keinen Grund zum Dank haben, sind Ihre Nullzinsen auf
den Konten. Das war allein im letzten Jahr eine Enteignung in Höhe von 23 Milliarden Euro.
({1})
Das kann nicht einmal von der Inflation gegengezeichnet
werden.
Draghi kauft nun für 60 Milliarden Euro marode
Staatsanleihen auf, und das im Monat.
({2})
Die Steuerzahler wären geschont worden, wenn Sie in
den letzten fünf Jahren ein einziges Mal auf uns gehört
hätten. Als wir damals den Schuldenschnitt gefordert haben, befanden sich diese Schrottpapiere zu 92 Prozent
noch in der Hand von Hedgefonds und Großbanken.
Diese hätten dann für ihre Gier bezahlt. Heute, wenn andere vom Schuldenschnitt sprechen - in Brüssel übrigens auch andere als wir -, sind diese Papiere nicht mehr
in der Hand derer, die vor fünf Jahren dafür geblutet hätten, sondern zu 88 Prozent in der Hand der Steuerzahler.
Auf diesen Unterschied muss man hinweisen. Sie hätten
damals auf uns hören sollen. Wir haben das fünf Jahre
lang immer wieder gesagt.
Durch die Troika und die jahrzehntelange Vorarbeit
der beiden Schwesterparteien der Großen Koalition - ich
sage nur als Stichwort: Steuerschonung der Milliardäre sind 230 000 Betriebe in die Pleite getrieben worden, die
Investitionen um fast 70 Prozent und die Wirtschaftskraft um 25 Prozent gedrosselt worden. Die Schulden
sind seither noch angestiegen. Diese Politik ist, wie ich
finde, am Sonntag völlig zu Recht überzeugend abgewählt worden.
({3})
Jetzt gibt es drei Alternativen. Alle drei kosten den
Steuerzahler übrigens ungefähr gleich viel.
Erstens. Sie treiben Griechenland in den Staatsbankrott in der Hoffnung, dass die europäische Linke scheitert und Spanien und Portugal eingeschüchtert werden.
Die insgesamt rund 245 Milliarden Euro, die geflossen
sind, von denen Deutschland mit 55 Milliarden Euro
haftet, wären dann im Schornstein. Ich nenne das Wahnsinn.
Zweitens. Sie treiben Griechenland in Richtung
Staatsbankrott, um Neuwahlen zu erzwingen. Ultrarechts, die „Goldene Morgenröte“, wäre dann wahrscheinlich einer der Nutznießer. Aber das birgt das Risiko, dass sich plötzlich China oder Russland als
Überbrückungsfinanziers mit erheblichen Optionen in
einem EU-Land anbieten würden. Dann zahlt zwar auch
der deutsche Steuerzahler, die Annuitäten und Refundierungen kämen aber nicht in die EU, sondern würden
nach China oder Russland gehen. Wir werden ja immer
als Putin-Versteher dargestellt. Daran würden aber Sie
die Schuld tragen.
({4})
Drittens. Sie machen einen Schuldenschnitt, wie ihn
Alexis Tsipras fordert, im Übrigen mit Frischgeld.
({5})
Das wäre nicht teurer als die erste Alternative, aber dann
bestünde zumindest eine Hoffnung auf Rückzahlung.
Denken Sie an die Londoner Schuldenkonferenz von
1953! Damals wurde Deutschland ein Teil seiner Kriegsschulden erlassen. Denken Sie an den Marshallplan, denken Sie an den Geist des Marshallplans, der sich von
dem von Versailles erheblich unterschied.
Wir Linken werden oft gefragt, warum wir bei Griechenland so emotional sind. Lassen Sie mich das sehr
persönlich beantworten. Mein Vater wurde als 17-jähriger Junge aus einer antifaschistischen SPD-Familie in
Frankfurt gerissen und musste als Panzerfahrer in Griechenland auf Partisanen schießen und ihre Dörfer zerstören. Er hat mir oft davon erzählt. „Zum Glück musste ich
niemandem dabei in die Augen blicken“, hat er mir gesagt. Zeit seines Lebens wollte er nach Griechenland
fahren und sich irgendwo entschuldigen. Leider ist er
mit 48 Jahren zu früh gestorben.
Darum bin ich nach Athen gefahren und habe dort gesprochen, gesungen und auf Kundgebungen mit meinem
Freund Alexis Tsipras meines Vaters Geschichte erzählt
und mich entschuldigt für die Verbrechen der Wehrmacht und für die NS-Zwangsanleihen in Höhe von
476 Millionen Reichsmark - das wären heute etwa
70 Milliarden Euro -, die bis heute nicht zurückgezahlt
wurden. Ich habe mich auch für die Bild-Zeitung und deren Aussagen wie „faule Griechen“ sowie für so manche
Entgleisung deutscher Politiker an diesem Pult entschuldigt.
({6})
Warum gehört Griechenland zu den wenigen Ländern, die keine Reparationszahlungen bekommen haben? Das fragt Manolis Glezos auf Weltnetz.tv, der als
Partisan einst die Nazifahne von der Akropolis geholt
hat. Das fragt der weltberühmte Komponist Mikis
Theodorakis, zu dessen Alexis Sorbas viele von uns
schon getanzt haben. Besonders im 70. Jahr der Befreiung Europas vom Nazi-Faschismus, der eine kapitalistische Herrschaftsform war, können wir niemandem diese
Frage ersparen. Wir sind bei Griechenland in der Pflicht,
und sei es nur bei dessen Kindern.
({7})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Kollege Schlecht von der Linksfraktion hat
vorhin das intellektuelle Niveau beklagt. Ich denke, dass
Sie dieser Debatte mit dieser Wertung nicht gerecht werden, außer Sie meinen vielleicht die Beiträge aus Ihrer
eigenen Fraktion,
({0})
und zwar deshalb, weil sie mit der Wirklichkeit so wenig
zu tun haben.
Vor diesem Hintergrund will ich daran erinnern:
Wenn wir in der Vergangenheit über die EZB-Politik diskutiert haben - das tun wir ja mitnichten das erste Mal -,
war sich meine Fraktion, auch als wir noch nicht mit der
Union zusammen regiert haben, in zwei Punkten mit
dem größten Teil dieses Hauses einig, nämlich erstens
darin, dass die Unabhängigkeit der EZB ein hohes Gut
ist, das von uns allen respektiert wird, und zweitens darin, dass die EZB in der Vergangenheit viele Dinge getan
hat, die sie möglicherweise nicht ganz freiwillig gemacht hat. Es war schlicht und ergreifend so, dass, was
den großen Tanker Europa mit seinen 28 Staaten angeht,
die notwendigen Schritte, die auf die Euro- und Finanzkrise hätten folgen müssen - nicht nur im Hinblick auf
die Geldwertstabilität, sondern auch und vor allen Dingen mit Blick auf die Strukturreformen, die erfolgen
mussten, und die Ankurbelung der Finanz- und Wirtschaftspolitik -, nicht so schnell gegangen worden sind,
wie es notwendig gewesen wäre. Wir alle können uns bei
der EZB dafür bedanken, dass sie hier in großer europäischer Verantwortung immer wieder mit eingesprungen
ist.
({1})
Das ist nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist die Gewährleistung der Geldwertstabilität. Aber es ist so, wie
verschiedene Kollegen schon gesagt haben: Die Geldwertstabilität ist die eine Seite. Die andere Seite ist die
politische Verantwortung. Ja, auch der Deutsche Bundestag und auch die Bundesregierung haben sich in der
Vergangenheit auf europäischer Ebene sehr wohl zu Reformen bekannt und versucht, sie anzustoßen. Auch wir
müssen mehr Verantwortung übernehmen, wenn es um
das Thema Bildung und um die Ankurbelung der Wirtschaft geht. Das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit im
Süden Europas ist nicht hinzunehmen. Das müssen Sie
uns aber nicht sagen. Dazu hat der Deutsche Bundestag
mit unseren Stimmen schon längst Beschlüsse gefasst.
Ja, es ist richtig, dass sich die Dinge in Europa nicht
sehr schnell in die richtige Richtung bewegen; das sehen
auch wir. Europa ist eben ein Tanker. Wer von der Küste
kommt, der weiß: Ein großer Tanker kann nicht mal so
eben umgelenkt werden. Aber wichtig ist: Wir haben gemeinsam den richtigen Kurs eingeschlagen. Wir brauchen aber auch die anderen europäischen Partner, die
diesen Kurs gemeinsam mit uns einschlagen wollen.
Richtig ist auch, dass wir in der Großen Koalition auf
nationaler Ebene gemeinsam den Beitrag dazu leisten,
den wir leisten können. Dafür gibt es Beispiele. Dazu gehören nicht nur die im Koalitionsvertrag verabredeten
5 Milliarden Euro für die Infrastruktur, sondern dazu gehört auch das 10-Milliarden-Euro-Paket, das jetzt hinzukommt und über das wir hier zeitnah diskutieren werden.
Natürlich werden wir in Deutschland öffentliche Investitionen anstoßen; das ist dringend erforderlich. Dadurch
sollen Arbeitsplätze geschaffen werden, und dadurch
soll die Wirtschaft angeregt werden, zu investieren.
Richtig ist auch - darauf hat mein Kollege schon zu
Recht hingewiesen, auch der Kollege Norbert Barthle -,
dass die aktuelle Zinssituation es allen leichtmacht. Jetzt
müssen aber alle Akteure ihrer Verantwortung gerecht
werden. Natürlich ist die aktuelle Zinssituation für die
Sparer nicht angenehm. Aber jede Medaille hat zwei
Seiten. Es ist ja nicht so, dass wir - absichtlich, mutwillig, um die Sparer zu ärgern - diesen Kurs gewählt hätten. Tatsache ist, dass die Sparer derzeit nur geringe Zinsen bekommen; ja, das ist richtig. Aber richtig ist auch,
dass es darum klug ist, die Binnennachfrage zu steigern.
Der Jahreswirtschaftsbericht, über den wir in dieser Woche noch diskutieren werden, macht deutlich, dass wir
dabei in Deutschland auf einem guten Weg sind. Damit
wollen wir Motor in Europa sein und bleiben, und wir
wollen natürlich auch unserer Verantwortung dafür gerecht werden, dass diese Schritte in Europa analog weiter fortgesetzt werden.
Daran arbeiten wir in diesem Haus gemeinsam - zumindest alle außer den Linken. Ich hoffe, dass Sie von
den Linken Ihre bloßen Reden, in denen Sie alles
schlechtmachen und schlechte Stimmung verbreiten,
hier nicht weiter fortsetzen; denn das hat mit der Realität
nichts zu tun und bringt uns nicht einmal ansatzweise
voran.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen
Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich respektiere ja Ihr antifaschistisches Bekenntnis, lieber
Kollege Dehm, aber ich hätte mir, ehrlich gesagt, gewünscht, dass Sie auch klar etwas zu den „Unabhängigen Griechen“ sagen. Man kann hier nämlich nicht gegen Pegida demonstrieren, was ich ausdrücklich
begrüße, und gleichzeitig in Griechenland eine Regierung mit Rechtspopulisten bilden. Das geht nicht!
({0})
Ich glaube aber, dass wir uns in dieser Aktuellen
Stunde in erster Linie mit der doppelten Moral der Bundesregierung auseinandersetzen sollten. Natürlich kritisieren Sie die Europäische Zentralbank nicht direkt. Sie
lassen sie aus der zweiten Reihe Ihrer Fraktion heraus
kritisieren - genauso wie Sie aus der zweiten Reihe Ihrer
Fraktion heraus eine Diskussion über einen möglichen
Austritt Griechenlands aus dem Euro angestoßen haben.
Das ist das Problem: auf der einen Seite so zu tun und
auf der anderen Seite nicht für Klarheit zu sorgen.
({1})
Das hat etwas damit zu tun, dass Sie spüren, dass Ihre
Politik in Europa, in der Euro-Zone in eine Sackgasse
geraten ist.
Man konnte das schon beim G-20-Gipfel in Brisbane
sehen, wo es um die Weltwirtschaft ging. Deutschland
war bezogen auf die Frage, wie in der künftigen Wirtschaftspolitik mit den Problemen in den Schwellenländern umzugehen ist, völlig isoliert. Das Ergebnis hieß
19 gegen 1. In einer Situation, in der die G 20 erklärt haben, sie wollen Wachstum stimulieren und das globale
Bruttoinlandsprodukt in den kommenden Jahren um
2 Billionen Dollar anheben, haben Sie es fertiggebracht,
dass Herr Schäuble für Deutschland gesagt hat: Wir ge7736
ben ab 2016 12 Milliarden Euro über drei Jahre verteilt
zusätzlich aus. - Das ist für die größte Volkswirtschaft in
der Euro-Zone lächerlich und nichts anderes als das Bemänteln des Nichtstuns. Sie sagen, sie wollten investieren, Herr Kampeter, aber Sie tun es einfach nicht.
({2})
Deswegen sind die Anwürfe aus der zweiten Reihe
gegenüber der EZB nicht gerechtfertigt. Es ist die Aufgabe der EZB, für Geldwertstabilität zu sorgen. Wenn es
in der Euro-Zone eine Deflationsgefahr gibt - wir liegen
bei minus 0,2 Prozent -, dann muss die Europäische
Zentralbank handeln, um einer Deflation vorzubeugen.
Eine Aufgabe der deutschen Bundesregierung unter dieser Bundeskanzlerin ist es, eine vernünftige, stabilitätsorientierte Geldpolitik der Zentralbank mit einer vernünftigen Wirtschaftspolitik zu kombinieren. Die EZB
muss ein Stück weit auch deshalb handeln, weil die Bundesregierung sich genau dieser Wirtschaftspolitik verweigert.
({3})
Sie weigern sich auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass
durch Ihre Sparpolitik nicht gespart wird. Die Schulden
Griechenlands betragen heute 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit sind sie gegenüber 2009 deutlich
gestiegen; damals lagen sie bei 112 Prozent. Bei Spanien
waren es 2009 54 Prozent, heute, nach Jahren des Sparens, sind es 99 Prozent. Bei Portugal waren es 84 Prozent, nun sind es 127 Prozent. Wann begreifen Sie, dass
man nur mit Ausgabenkürzungen nicht aus einer Wirtschaftskrise herauskommt?
({4})
Sie sagen, das alles seien die Krisenländer, nach dem
Motto: Wir sind es nicht; das sind die, die es nicht können. - Vergleichen Sie doch einmal die Situation in der
Euro-Zone mit der in den USA! Der Abbau des strukturellen Haushaltsdefizits in den USA verlief doppelt so
schnell wie hier. Das reale Inlandsprodukt stieg dort gegenüber 2009 um 10 Prozent; in der Euro-Zone waren es
nur plus 4 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist in den
USA nur halb so hoch wie in der Euro-Zone. Wie haben
die USA das geschafft? Mit der lockeren Geldpolitik, die
von Ihnen aus der zweiten Reihe massiv hinterfragt und
kritisiert wird. Das ist der Unterschied.
({5})
Ich will noch eines hinzufügen. Frau Merkel hat in
Davos gesagt: Die Entscheidung der EZB darf nicht davon ablenken, dass vernünftige Rahmenbedingungen für
Wachstum notwendig sind. - Die Frage ist doch eigentlich: Warum tun Sie es nicht?
({6})
Warum gehen Sie nicht den Weg eines europäischen
Green New Deals? Warum investieren Sie nicht in Infrastruktur? Warum investieren Sie nicht in mehr Bildung?
Hören Sie auf, uns zu erzählen, dafür müsse man sich
verschulden! Dieses Argument ist in Zeiten niedriger
Zinsen schon fragwürdig. Man muss sich dafür nicht
verschulden. Man kann doch die Zeiten niedriger Zinsen
und niedriger Ölpreise endlich einmal dafür nutzen, Subventionen abzubauen.
({7})
Bei den 100 größten Unternehmen im FAZ-Index, die
eine Rekordsumme an Dividenden ausschütten, wird ein
Drittel der Betriebsgewinne ausgeschüttet und nicht investiert.
({8})
Warum halten Sie dann daran fest, dass Kapitalgewinne
mit der Abgeltungsteuer noch immer nur mit 25 Prozent
versteuert werden? Es wäre Zeit, mit dieser Subvention
Schluss zu machen.
({9})
In Zeiten niedriger Ölpreise machen sich die asiatischen Staaten daran, ihre Mineralölsteuersubventionen
abzubauen. Warum halten Sie in einer solchen Situation
krampfhaft daran fest, das Mineralölsteuerprivileg für
die chemische Industrie aufrechtzuerhalten?
Herr Kollege Trittin, denken Sie an die Zeit.
Da liegen doch die Gelder, die man bräuchte, um in
Deutschland zu Wachstum und Beschäftigung zu kommen. Deutschland könnte eine Lokomotive für ganz Europa sein, aus der Krise herauszukommen, wenn Sie Ihre
Politik ändern und investieren statt sparen würden.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Klein,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich halte die Diskussion schon für sehr erstaunlich. Dass diese eigentlich ganz sachliche, wirtschaftspolitische und theoretische Diskussion zu derartig breit
angelegter Polemisierung genutzt wird, ist schon erstaunlich. Auch die Erfindung des Wortes „Schuldenschnitt mit Frischgeld“ ist genauso erstaunlich und eigentlich auch ein bisschen verräterisch.
({0})
Es geht darum, Entscheidungen der unabhängig entscheidenden EZB zu diskutieren, gegebenenfalls zu
kommentieren, wobei dabei an sich gar nicht so überwältigend viel Neues festzustellen ist. Natürlich ist es
richtig, über die Arbeit der EZB auch kritisch zu reden.
Natürlich darf es keine monetäre Staatsfinanzierung geben. Das ist der EZB verboten. Aber im Rahmen ihrer
Aufgaben und zur Erreichung ihrer Ziele darf und muss
die EZB am Markt auftreten, also konkret auch am Sekundärmarkt für Staatsanleihen. Die Warnungen, die
man hier und da hört oder die aus der Bundesbank kommen, sind durchaus berechtigt, dass nämlich dieses Auftreten am Markt selbstverständlich nicht in monetäre
Staatsfinanzierung abgleiten darf.
({1})
Das passiert aber auch nicht. Das, was wir gegenwärtig sehen, ist aus meiner Sicht weder qualitativ noch
quantitativ wirklich etwas Neues. Zum Thema Qualität:
2012 hat die EZB angekündigt, im Rahmen des OMTProgramms, wenn es denn die Stabilität erfordere, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB hat
damit die Angst aus dem Markt genommen. Ordnungspolitisch sicherlich ein Stück fragwürdig, aber die
Märkte wurden beruhigt. Kein einziger Euro im Rahmen
dieses OMT-Programms musste ausgegeben werden.
Man kann natürlich sagen: Genauso ordnungspolitisch
fragwürdig war 2008 die Ankündigung der Bundesregierung, die Sparguthaben unbegrenzt zu sichern.
Jetzt geht es darum, auf dem Sekundärmarkt begrenzt
Staatsanleihen zu kaufen. Dies hat die EZB im Rahmen
ihrer Unabhängigkeit als das geeignete Mittel angesehen, um der Deflationsgefahr entgegenzutreten, und hat
sich jetzt dafür entschieden. Natürlich ist es richtig, gerade in Deutschland mit unserer Geschichte über Inflationsgefahr nachzudenken und sie im Auge zu behalten.
Aber gegenwärtig wird in der Wissenschaft eher darüber
diskutiert, ob die EZB mit den von ihr geplanten Aufkäufen überhaupt eine Wirkung erzielt.
Gegenwärtig haben wir keine Inflationsgefahr; vielmehr ist in den letzten drei Jahren die Inflationsrate in
Europa von 3 Prozent auf circa 0 Prozent zurückgegangen. Das heißt, empirisch müssen wir gegenwärtig weniger vor Inflationsgefahren warnen, sondern wir können
feststellen: Das ist aus der Sicht der EZB das richtige
Mittel, um Deflationsgefahren entgegenzuwirken.
Aber nicht nur qualitativ, sondern vor allen Dingen
quantitativ fällt es in der EZB-Bilanz gar nicht so besonders auf, wenn es zur Umsetzung dieses Programms
kommt. Bereits 2012 lag die EZB-Bilanzsumme deutlich
über 3 000 Milliarden Euro. Heute hat die EZB nur noch
2 000 Milliarden Euro in ihrer Bilanz. Jetzt geht es in
dem Programm der EZB um 1 140 Milliarden Euro. Das
heißt, nach Ausführung dieses Programms wird die
EZB-Bilanzsumme in etwa so hoch sein wie bereits
Mitte 2012. Seit 2012 hat die EZB ihre Bilanzsumme
drastisch reduziert, in einer Zeit, in der gleichzeitig alle
anderen relevanten Notenbanken ihre Bilanzsumme jeweils erheblich ausgeweitet haben. Deswegen ist es
falsch, der EZB jetzt eine inflationäre Gesinnung zu unterstellen.
({2})
Es gibt also keinen Anlass, an der Solidität der EZB
zu zweifeln. Sie macht ihre Arbeit, und wir machen unsere Arbeit. Denn das, was wir als Bundesrepublik
Deutschland, als Staat tun können, ist erstens, für Investitionen zu sorgen und den Juncker-Plan zu unterstützen.
Das tun wir. Und noch wichtiger ist: Wir sorgen für Stabilität.
({3})
Denn auf der Basis von Stabilität entwickeln sich Vertrauen und Investitionsbereitschaft. Insofern, meine Damen und Herren, ist die deutsche Haushaltspolitik die
beste Konjunkturpolitik für ganz Europa.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort Cansel Kiziltepe.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass
Kollege Klein seine eigene Fraktion überzeugen will
({0})
und sie auch zur Räson ruft, wenn Inflationsgefahren geschürt werden. Danke noch einmal, Herr Kollege Klein.
({1})
Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank am
vergangenen Donnerstag, für 60 Milliarden Euro monatlich Staatsanleihen zu kaufen, hat im Vorfeld tatsächlich
zu bizarren Szenarien geführt. Es war vom Untergang
des Abendlandes, vom monetären Sozialismus und von
einer Draghi-Diktatur die Rede. Aber ich muss diese
Hoffnung enttäuschen: Es gibt keinen Untergang, keinen
Sozialismus und keine Diktatur, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({2})
Doch die Geldpolitik alleine wird die Krise im EuroRaum keinesfalls lösen können.
({3})
Die EU-Staaten müssen Maßnahmen ergreifen und die
Geldpolitik wirtschaftspolitisch flankieren. Ansonsten
werden wir alle enttäuscht werden, wenn diese geldpolitischen Maßnahmen verpuffen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Da sich vieles an der Person von Mario Draghi entzündet, möchte ich kurz an das Jahr 2012 erinnern, als
ebenjener EZB-Präsident mit einer Rede und seiner Zusicherung, alles Mögliche zu tun, um den Euro zu retten,
maßgeblich zur Beruhigung des Euro-Raums beigetragen hat, und das ist auch gut so.
({4})
Aber die Krise im Euro-Raum war mit dieser Ankündigung keineswegs überwunden, und sie ist es auch
heute nicht, wie wir an den makroökonomischen Zahlen
sehen. Alle Krisenländer liegen mit ihrer gesamtwirtschaftlichen Produktion noch unter dem Vorkrisenniveau. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, ist immens hoch. Deshalb brauchen wir
dringend wirtschaftliches Wachstum, denn ohne wirtschaftliche Prosperität werden wir die Krise nicht überwinden.
Die Kombination aus unerbittlicher Sparpolitik und
harten Strukturreformen hat in den vergangenen Jahren
eben nicht zum gewünschten und dringend notwendigen
Wachstumsprozess geführt. Nein, diese Politik hat dazu
geführt, dass wir aktuell mit einer Deflationsgefahr im
Euro-Raum, aber auch mit einer dauerhaften Rezession
in den Südländern konfrontiert sind.
Die EZB versucht mit ihrer Politik, ihr Inflationsziel
zu erreichen und gegen die Krise vorzugehen; das ist
auch richtig. Sie erfüllt ihr Mandat, das Inflationsziel zu
erreichen. Ich freue mich, dass alle Fraktionen dieses
Hohen Hauses damit einverstanden sind. Während sogar
IWF und OECD eine expansivere Geldpolitik fordern,
erzählen uns deutsche Ökonomen leider weiterhin Unsinn. Nebenbei bemerkt ist die Entscheidung zugunsten
des Anleihekaufprogramms nicht die alleinige Entscheidung des EZB-Präsidenten Draghi, sondern eine gemeinsame Entscheidung des EZB-Rates. Die EZB tut im
Rahmen ihrer Möglichkeiten das, was sie tun kann. Das
ist besser, als abzuwarten und auf Sicht zu fahren.
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die USamerikanische Fed mit ihrer Politik sehr erfolgreich ist.
Aber auch dort wird die Geldpolitik wirtschaftspolitisch
flankiert. In den USA wird dadurch im Ergebnis mehr
Wachstum generiert. Dabei ist die Arbeitslosigkeit nicht
so unerträglich hoch wie in Europa und insbesondere in
den südeuropäischen Ländern.
Die Zinsen hat die EZB bereits auf null gesenkt. Wir
sehen aber, dass dadurch nicht so viele Investitionen angeregt werden konnten. Das hängt damit zusammen,
dass die Rahmenbedingungen nicht so sind, wie sie sein
sollten, und dass Unsicherheit herrscht. Deshalb brauchen wir eine Korrektur der europäischen Finanzpolitik.
In Deutschland tun wir in dieser Hinsicht schon einiges.
Wir Sozialdemokraten haben beispielsweise das 10-Milliarden-Euro-Programm durchgesetzt. Das geht in die
richtige Richtung. Aber wir müssen als größte Volkswirtschaft in Europa noch mehr leisten. Das werden wir
auch tun. Das Motto der Sozialdemokraten lautet: europäisch denken und europäisch handeln.
({5})
Wenn es uns nicht gelingt, den Menschen in Europa
eine Zukunftsperspektive aufzuzeigen, dann wird es
schwierig. Wir sind als politisch Verantwortliche, aber
auch als Europäer gefordert. Wie gesagt, mit dem 10-Milliarden-Euro-Programm gehen wir in die richtige Richtung. Die Stärkung der Kaufkraft und die Förderung von
Investitionen werden nur mit einer nachhaltigen Investitionsoffensive gelingen; dafür treten wir als SPD ein.
Wir wollen die EZB im Kampf gegen die Krise nicht alleinlassen und den anderen europäischen Ländern ein
Wachstum aus der Krise heraus ermöglichen, damit wir
uns gemeinsam von der Krise befreien und damit es den
Menschen in Europa besser geht. Deshalb lasst uns weiter europäisch denken und europäisch handeln.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die EZB hat zweifellos eine garantierte
Unabhängigkeit. Aber einen Freibrief hat sie natürlich
nicht. Ein Mandat zur monetären Staatsfinanzierung hat
sie nicht; das ist nicht Grundlage des Vertrags. Es ist
Aufgabe des Parlaments, die gleichen Fragen wie der
Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Weidmann,
betreffend die Stabilitätsgrundsätze der Deutschen Bundesbank zu stellen. Die Deutsche Bundesbank hat für
uns noch immer die höchste Glaubwürdigkeit. Wir dürfen sie nicht im Regen stehen lassen.
({0})
Zunächst zu den Fakten. Am vergangenen Donnerstag hat EZB-Präsident Draghi einen massiven Aufkauf
von Staatsanleihen angekündigt. Innerhalb von 19 Monaten wird die EZB Staatsanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro pro Monat aufkaufen, sodass sie insgesamt
weitere 1,1 Billionen Euro in die Märkte pumpt. Die
EZB möchte auf diese Weise die geringe Inflation im
Euro-Raum auf die Zielmarke von 2 Prozent bringen,
was als Preisstabilität definiert ist. Gleichzeitig will die
EZB die Kreditvergabe der Banken gerade in Südeuropa
ankurbeln.
Wir müssen uns natürlich die Frage stellen, ob diese
beiden Ziele grundsätzlich richtig sind und ob die ergriffenen Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt zielführend
sind. Unser Ziel muss doch sein, die Banken durch Regulierung - diese betreiben wir intensiv - zu stärken.
Wir dürfen keine Politik betreiben, die Banken aufgrund
von Überliquidität dazu bringt, extreme Risiken einzugehen. Das sind die Grundsätze unserer Finanzmarktkonzeption.
({1})
Man kann sicher unterschiedliche Meinungen dazu
haben, ob die Staatsanleihekäufe aktuell zielführend und
jetzt auch notwendig sind. Ich persönlich bin der Auffassung: nein. Es ist richtig, dass Draghi als Chef der EZB
mit seinem „whatever it takes“ uns Zeit gekauft hat. Das
Problem ist, wie wir sehen, aber damit nicht gelöst.
({2})
Deswegen müssen wir darüber reden, was die beste
Problemlösung ist. Da hilft kein Schönreden und kein
Bauen von Luftschlössern, wie das hier Herr Dr. Schick
und Herr Trittin gemacht haben.
({3})
Hier muss natürlich der Grundsatz gelten: keine Leistung ohne Gegenleistung. Die Grünen geißeln das Sparen.
Wollen Sie noch mehr Schulden in den Staatsschuldenländern machen? Wollen Sie noch mehr Haftungsrisiken
für Deutschland?
({4})
Ihre finanzpolitischen Vorstellungen sind absolut kontraproduktiv, sie sind geradezu absurd. Sie reden einer
Schuldenunion das Wort, und das wollen wir nicht.
({5})
Zugegeben: Die Inflationsrate ist gegenwärtig sehr
niedrig. Betrachtet man jedoch die Kerninflationsrate,
also wenn man die Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, dann zeigt sich schon ein gänzlich anderes
Bild. Der niedrige Ölpreis wirkt doch momentan schon
wie ein kostenloses Konjunkturpaket. Von der Gefahr einer sich selbst verstärkenden Deflation im Euro-Raum
kann nach meiner Ansicht aktuell keine Rede sein.
({6})
Man darf nicht vergessen: Die geringen Inflationsraten sind zum großen Teil auf die notwendigen Anpassungsprozesse in den Krisenländern zurückzuführen.
Die Krisenländer müssen preiswerter werden, um wieder
wettbewerbsfähig zu werden. Das ist für die betroffenen
Länder sicherlich nicht einfach, sondern das ist schmerzhaft, aber ich muss Ihnen sagen: Da hilft doch gar nichts
anderes. Die Probleme können Sie nicht lösen, indem
Sie noch mehr Geld in die Pipeline einspeisen. Es muss
vielmehr vor Ort mit Reformanstrengungen Stabilität erzielt werden. Nur so wird ein Schuh daraus, nur das ist
der Erfolgsweg.
({7})
Deswegen bitte ich Sie, immer die zwei Seiten der
Medaille zu betrachten. Die eine Seite betrifft die Vermögensverluste für unsere Sparer bei der Altersvorsorge,
auf der anderen Seite müssen wir natürlich den anderen
Ländern helfen. Das muss aber immer auf der Basis von
Leistung gegen Gegenleistung passieren. Es kann keinen
Automatismus geben.
Ich kämpfe für einen stabilen Euro. Zum Euro-System muss aber Vertrauen gehören. Die EZB muss Vertrauen schaffen. Darum geht es. Wenn wir diese Dinge
gemeinsam bearbeiten, dann ist das der beste Weg zum
Erfolg, den wir für die Zukunft benötigen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Bettina Kudla, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lassen Sie mich als letzte Rednerin dieser
Debatte nochmals auf die wichtigsten Punkte dieser Aktuellen Stunde eingehen. Es war viel von Unabhängigkeit und Aufgaben der EZB die Rede. Ich habe festgestellt: In Ihrer Eingangsrede haben Sie, Herr Dr. Schick,
diese Aufgaben doch ziemlich vermengt. Ich halte es für
problematisch, wenn wir uns nicht an die europäischen
Spielregeln halten.
Da hilft ein einfacher Blick in Artikel 282 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dort
heißt es über das Europäische System der Zentralbanken:
({0}) Das ESZB wird von den Beschlussorganen der
Europäischen Zentralbank geleitet. Sein vorrangiges Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten.
Unbeschadet dieses Zieles
- also quasi an zweiter Stelle unterstützt es die allgemeine Wirtschaftspolitik in
der Union, um zur Verwirklichung ihrer Ziele beizutragen.
… Die Europäische Zentralbank besitzt Rechtspersönlichkeit. Sie allein ist befugt, die Ausgabe des
Euro zu genehmigen. Sie ist in der Ausübung ihrer
Befugnisse und der Verwaltung ihrer Mittel unabhängig.
Erfahrungsgemäß sind unabhängige Zentralbanken
besser in der Lage, den Geldwert zu sichern. Diese Unabhängigkeit garantiert, dass eine Zentralbank ihre Aufgaben und ihre Pflichten ohne Einflussnahme der Politik
ausüben kann. Das ist ganz wesentlich.
({1})
Die Unabhängigkeit des Euro-Systems ist in mehrfacher Hinsicht gewährleistet:
Einmal institutionell: Es ist durch ein umfassendes
Verbot nationalen und supranationalen Stellen untersagt,
der EZB oder den nationalen Zentralbanken Weisungen
zu erteilen.
({2})
Zum anderen funktional: Es wählt frei und eigenverantwortlich die Strategien und Maßnahmen, um seine
Ziele, vornehmlich die Preisstabilität, zu erreichen. Es
gilt die finanzielle Unabhängigkeit, und es gilt die personelle Unabhängigkeit.
Die Bundesregierung respektiert diese Haltung und
hält sich an die Regeln der europäischen Verträge. Bezüglich des angekündigten Anleihekaufprogramms muss
allerdings erst noch ein Rechtsakt der EZB erfolgen, in
dem gewisse Haftungsklauseln festgelegt werden, vergleiche die Schlussanträge des Generalanwalts vom
14. Januar 2015 im OMT-Verfahren vor dem EuGH.
Des Weiteren möchte ich auf die Begründung des
Programms - die drohende Deflationsspirale zu stoppen - und auf die Wirtschaftspolitik eingehen.
Die Gefahr einer Deflation, also einer gefährlichen
Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen, bei
der dann auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zurückgeht, wird vonseiten der Deutschen Bundesbank als
gering angesehen. Die derzeit niedrigen Inflationsraten
werden von zwei Faktoren getrieben: zum einen von
dem Anpassungsprogramm und zum anderen - Herr
Dr. Michelbach hat es erwähnt - von den niedrigen Ölpreisen, die quasi als Konjunkturprogramm wirken. Bisher gibt es zumindest in Deutschland keine Anzeichen
für sinkende Preise und Löhne. Im Gegenteil, es sind
Preissteigerungstendenzen erkennbar, zum Beispiel
durch die Einführung des Mindestlohns. Allerdings dürfen wir den Blickwinkel nicht nur auf Deutschland richten; es geht hier schließlich um den gesamten EuroRaum.
({3})
Zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder kann es durchaus notwendig sein, dass die Preise etwas nach unten gehen. Allerdings darf es nicht zu einer
regelrechten Deflationsspirale führen.
Was die Wirtschaftspolitik betrifft, so unterstützt die
EZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union. Wir
müssen Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit in den
einzelnen Staaten fördern. Aber die Maßnahmen, die
strukturellen Anpassungen, können die einzelnen Staaten nur selbst ergreifen. Jede Volkswirtschaft braucht unter Umständen viele Jahre, um wettbewerbsfähig zu werden. Sanierungsprozesse brauchen Geduld. Wir sollten
nicht bei jeder Entscheidung der EZB gleich das Gesamte infrage stellen. Das würde dazu führen, dass wir
die europäischen Regeln kaputtreden, dass wir den Euro
schlechtreden. Wir müssen uns klar an die Regeln halten. Die EZB kann nicht die Strukturprobleme der einzelnen Staaten lösen, sondern nur die Nationalstaaten
selbst können dies erreichen.
({4})
Vielen Dank. - Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. Januar 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.