Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung müssen wir noch eine Wahl zur Besetzung des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes durchführen und eine neue Schriftführerin
wählen.
Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Nachfolger für den
ausscheidenden Kollegen Michael Hartmann in den Gemeinsamen Ausschuss nach Artikel 53 a des Grundgesetzes den Kollegen Burkhard Lischka zu berufen.
Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Lischka gewählt.
Wir müssen auch eine neue Schriftführerin wählen,
bedauerlicherweise. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, als Nachfolgerin für die Kollegin Irene
Mihalic die Kollegin Tabea Rößner zu wählen. - Auch
dazu kann ich keine größere Bewegung im Plenum feststellen.
({0})
- Na ja, auch die Freude hält sich in Grenzen.
({1})
Es wäre ja auch ganz schön, wenn diese Aufgaben über
einen Zeitraum wahrgenommen würden, für die die
Wahlen normalerweise durchgeführt werden. - Jedenfalls nehmen wir damit diesen Vorschlag offenkundig
zustimmend zur Kenntnis, und damit ist die Kollegin
Tabea Rößner gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren
({2})
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver
Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur zweiten Änderung des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien
Drucksache 18/3234
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes
Drucksache 18/3321
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, wie in solchen Fällen üblich abgewichen werden.
Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der am 7. November 2014 ({5}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von den Abgeordneten HansChristian Ströbele, Luise Amtsberg, Volker Beck
({7}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von
Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern ({8})
Drucksache 18/3039
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ich frage Sie, ob Sie sich damit einverstanden erklä-
ren können. - Das ist offenkundig der Fall. Dann haben
wir das hiermit so vereinbart.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 2015 ({1})
Drucksachen 18/2000, 18/2002
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018
Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826
Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I.12 auf:
Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Drucksachen 18/2809, 18/2823
Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,
Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk.
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir morgen nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 125 Minuten, also gute zwei Stunden,
vorgesehen. - Auch dazu darf ich Einvernehmen feststellen.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({3})
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine
Damen und Herren! Herr Bundesminister Gabriel, wir
haben intensiv über den Wirtschafts- und Energieetat beraten und diskutiert. In der Tat ist in diesem Etat an einigen Stellen einiges besser geworden. Das haben wir
meist sogar einvernehmlich so beschlossen. Im Ganzen
aber, muss ich Ihnen leider sagen, ist dieser Etat eine
Enttäuschung geblieben - mehr Schein als Sein.
({0})
Die Hälfte Ihres Etats ist traditionell an Subventionen
gebunden, und für das vielgelobte Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, kurz: ZIM, wird gerade einmal
ein Drittel dessen verausgabt, was an solchen Subventionen in Ihren Etat eingestellt ist. Insofern muss man sagen: Der Wirtschafts- und Energiehaushalt macht einiges
möglich, davon auch manches Gute, nur wirkliche Wirtschaftspolitik kann man damit nicht machen.
({1})
Wenn ein Staat, Herr Bundesminister, nicht in der
Lage ist, mehr als ein einziges Prozent des Gesamthaushalts für die Erneuerung seiner Wirtschaft einzusetzen,
ist es um diesen Staat nicht gut bestellt.
({2})
Herr Bundesminister, Sie haben vor zwei Tagen ein
Bündnis mit dem Titel „Zukunft der Industrie“ vorgestellt.
({3})
Sie haben in diesem Zusammenhang die Hauptprobleme
der Wirtschaft präzise benannt. Ich will nur ein paar
Stichworte sagen: unbewältigte Energiewende, Fachkräftemangel, zu geringe Investitionstätigkeit, schleppende Digitalisierung. Ich füge hinzu: sehr ungleiche
Standortverteilung zwischen Ost und West. Gemessen an
diesen Herausforderungen, die Sie ja selbst beschrieben
haben, ist der Wirtschaftshaushalt leider ein Beitrag zur
Verschärfung des Problems und kein Beitrag zur Lösung
des Problems. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen
lassen, Herr Minister.
({4})
Der Gründungsaufruf zum Bündnis „Zukunft der Industrie“ ist natürlich wieder einmal ganz gut getextet.
Die Abteilung „Überschriften“ hat geliefert. Die Wirtschaft und besonders der Mittelstand, Herr Minister,
brauchen aber keine neuen Losungen, sondern konkrete
Unterstützung.
({5})
Diesbezüglich herrscht in Ihrem Etat aber leider Fehlanzeige.
({6})
Ich will ein Wort zum Aufreger dieser Woche sagen,
der Frauenquote in Aufsichtsräten großer Unternehmen.
Da muss ich ja vor allem die Union ansprechen, die sich
sehr gegen diesen Schritt gewehrt hat.
({7})
Ich glaube, bei der Union ist das Problem, dass sie immer erst dann bereit ist, Frauen Verantwortung zu übertragen, wenn das Ganze schon voll gegen die Wand geRoland Claus
fahren ist. Ich nehme nur einmal das Beispiel der
bayerischen Hypo-Real-Estate-Bank, wo am Ende eine
Frau den Laden sanieren musste. Ich rufe Ihnen zu: Versuchen Sie doch einmal, vor dem Schaden klug zu werden. Dieser Beitrag könnte hier eine Rolle spielen.
({8})
Als Energieminister, Herr Gabriel, haben Sie natürlich eine Menge Großbaustellen. Ich will nur die Stromtrassen vom windreichen Norden in den energiebedürftigen Süden erwähnen, ein Projekt mit Shakespeare’scher
Ambition: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. - Wir, die Linken, meinen: Besser wäre es gewesen, ein gesamtstaatliches Energiekonzept aufzulegen,
das in erster Linie auf Dezentralität setzt, auf die Stärkung von Stadtwerken, auf die Förderung von erneuerbaren Energien, und zwar dort, wo sie gebraucht werden,
und erst dann die Frage der großen stromintensiven Industrien anzugehen.
({9})
Sie werden mit der Bundesnetzagentur jetzt natürlich
eine große Verantwortung bei der Lösung dieses Problems übernehmen.
Herr Bundesminister, Sie haben hier im Bundestag
häufig über die Verhandlungen zum sogenannten Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, informiert. Die
deutsche Übersetzung lautet ja: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Sie haben sich dafür
starkmachen wollen, die sogenannten Schiedsverfahren,
bei denen drei Richter ohne Widerspruchsmöglichkeit
abschließend allein entscheiden können, erheblich zu
verändern. Nun haben Sie dem Bundestag und anderen
mitgeteilt: Diese Schiedsgerichte lassen sich nicht mehr
rausverhandeln. - Da müssen wir Ihnen eines sagen,
Herr Bundesminister: Wenn diese Schiedsgerichte sich
nicht rausverhandeln lassen, dann darf sich Deutschland
nicht in dieses Abkommen reinverhandeln lassen. Das
wäre die Lösung.
({10})
Herr Bundesminister, Sie sind ja jetzt im Kabinett als
Minister auch für Ostdeutschland zuständig. Ich will Sie
daran erinnern - bei der Einbringung des Etats haben Sie
gerade einmal einen Halbsatz zur Lage in Ostdeutschland zustande gebracht -: Der „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014“,
den wir vor kurzem beraten haben, enthält ja eine ganze
Menge an Analysen zur wirtschaftspolitischen Entwicklung in Ostdeutschland. Sie haben das präzise beschrieben. Allerdings haben Sie bei den Schlussfolgerungen
überhaupt nicht geliefert. Sie sind, was den Osten angeht, so ziemlich ein „Minister folgenlos“.
({11})
Wir haben natürlich mit dem Problem zu kämpfen,
dass seit zehn Jahren, was die wichtigsten wirtschaftspolitischen Indikatoren angeht, keine Angleichung zwischen Ost und West zu beobachten ist. Wir haben einen
verfestigten Niedriglohnsektor. Der Anteil der Zeitarbeiter ist im Osten doppelt so hoch. Wir haben Standortnachteile - Stichwort „Arbeitsproduktivität“ - bei großen Unternehmen und eine hohe Arbeitslosigkeitsrate.
Das alles ist bekannt.
Für die schwarze Null haben Sie sich hinreichend
selbst abgefeiert. Irgendwann ist aber Ihr schlechtes Gewissen durchgebrochen.
({12})
Ausdruck dieses schlechten Gewissens ist die Ankündigung des Bundesfinanzministers, für die Zeit ab 2016
ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm aufzulegen.
({13})
Das war in der Tat eine Nacht-und-Nebel-Aktion, für die
es noch nicht einmal eine Deckung gibt; denn bislang ist
nicht klar, aus welchen Mitteln dieses Programm gespeist werden soll.
({14})
Nun haben wir den Bundeswirtschaftsminister in den
Beratungen natürlich gefragt, was dieses Programm für
den Wirtschaftsetat bedeutet und wie das im Kabinett
beraten wurde. Dabei stellte sich heraus: Das angekündigte 10-Milliarden-Euro-Programm hat im Kabinett
überhaupt keine Rolle gespielt. Das Kabinett war damit
überhaupt noch nicht befasst. - Wenn das nicht Ausdruck Ihres schlechten Gewissens und Ihrer Konzeptionslosigkeit ist, dann frage ich mich, was es dann sein
soll.
({15})
Beim Kartellamt sind Sie erfreulicherweise auf die
Vorschläge der Opposition eingegangen und haben einer
besseren Ausstattung zugestimmt. „Links wirkt“, können wir dazu nur sagen.
Wir sagen Ihnen: Wir brauchen eine zukunftsfähige
Wirtschaftspolitik in diesem Lande.
({16})
Die Linke will eine sozial-ökologische Gerechtigkeitswende in der Wirtschaft und in der ganzen Gesellschaft.
Davon sind wir weit entfernt. Da wollen wir aber hin,
und da lassen wir auch nicht locker.
({17})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lassen Sie mich an diesem schönen
Morgen mit einem Zitat beginnen, das vielen Urhebern
zugesprochen wird: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. - Damit will ich
kurz auf das jüngste Jahresgutachten des Sachverständigenrates eingehen.
Unzweifelhaft ist die wirtschaftliche Dynamik nicht
so hoch wie noch im Frühjahr erwartet. Ursachen hierfür
sind auch nach Ansicht des Sachverständigenrates in erster Linie die geopolitischen Risiken sowie die ungünstige Entwicklung im Euro-Raum und nicht die von den
Arbeitgeberverbänden kritisierte Einführung des Mindestlohns. Insgesamt sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstig und das Wachstum robust. Die
konjunkturellen Frühindikatoren zeigen aufwärts und
der Arbeitskräftebedarf steigt. Wir haben einen stabilen
Arbeitsmarkt mit 43 Millionen Erwerbstätigen. Davon
sind 30,3 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wir haben also allen Grund, optimistisch in die
Zukunft zu schauen.
({0})
Das tun übrigens auch die deutschen Unternehmen, wie
der Anstieg des ifo-Geschäftsklimaindexes beweist.
Optimistisch können wir auch sein, weil der Bund mit
dem Haushalt 2015 nicht nur keine neuen Schulden
macht, sondern der Etat des Bundeswirtschaftsministeriums auch kräftige Impulse für Investitionen und Innovationen vorsieht. Die Mittel für das wichtige und erfolgreiche Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand
werden um 30 Millionen Euro auf nunmehr 543,5 Millionen Euro und die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ um
17 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro angehoben.
Lieber Herr Kollege Claus, auch wenn ich Sie als Kollege im Haushaltsausschuss sehr schätze, muss ich doch
sagen, dass die Untergangsstimmung, die die Linke seit
wenigen Tagen hier verbreitet, völlig unangebracht ist.
({1})
- Andreas, du bist doch gleich dran. - Und wenn Sie
dann noch behaupten, die Linke „würgt“, dann muss ich
sagen: Ich möchte sie nicht an meinem Hals spüren.
Im parlamentarischen Verfahren haben wir mehr als
50 Änderungen vorgenommen und dabei insbesondere
die Innovationsförderung gestärkt, was mir sehr wichtig
ist; denn wie schon der amerikanische Informatiker Alan
Curtis Kay sagte, besteht die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, darin, sie zu erfinden. Besonders hervorheben möchte ich, dass wir im kommenden Jahr für die
Forschungsinfrastruktur 4,5 Millionen Euro mehr ausgeben wollen, als ursprünglich im Entwurf vorgesehen
war. Damit können die Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung und die Forschungsförderung in
Ostdeutschland - Stichwort INNO-KOM-Ost - auf dem
bisherigen Niveau fortgeführt werden.
({2})
Daneben haben wir die Mittel für die Informationsund Kommunikationstechnologien um 3,8 Millionen
Euro erhöht. Denn die Digitalisierung der Wirtschaft ist
eine der zentralen wirtschaftspolitischen Herausforderungen für Deutschland. Von der Mittelerhöhung profitieren gerade auch kleine und mittlere Unternehmen der
gewerblichen Wirtschaft einschließlich des Handwerks.
Sie sollen künftig Gutscheine für externe Beratungsleistungen in den Bereichen IT-Sicherheit, Internetmarketing und digitale Geschäftsprozesse in Anspruch nehmen
können. Außerdem wurden im Personalhaushalt des
Ministeriums die Grundlagen für die Errichtung eines
neuen Referates „Digitale Agenda“ geschaffen.
Darüber hinaus stellen wir - auch das ist mir sehr
wichtig - 5 Millionen Euro für ein Innovationsprogramm zur Verfügung, mit dem der notwendige Strukturwandel der Verteidigungswirtschaft unterstützt wird.
Damit sollen Innovationsvorhaben für zivile Technologien, Produkte oder technische Dienstleistungen gefördert werden. Im Energiebereich stocken wir mit zusätzlichen Mitteln den Forschungsetat zu Energieeffizienz
und erneuerbaren Energien um insgesamt 322 Millionen Euro bis 2017 auf. Das sind in diesem Jahr zunächst
10 Millionen Euro, 2016 sind es 96 Millionen Euro, und
diese Mittel wachsen bis auf 216 Millionen Euro im
Jahre 2017.
Neben der Förderung aus den Einzelplänen, allen voran dem Einzelplan für Wirtschaft und Energie, fördern
wir Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende über
ein anderes Instrument: über den hier altbekannten Energie- und Klimafonds. Hier haben wir einiges getan; denn
wir stellen den Energie- und Klimafonds auf verlässliche
Beine.
Wie machen wir das? Zum einen sind die prognostizierten Einnahmen aus dem europäischen Emissionszertifikatehandel mittlerweile realistisch veranschlagt; das
heißt, es wird für 2015 von einem Jahresdurchschnittspreis von 6,27 Euro pro Tonne CO2 ausgegangen. Zum
anderen wird der 2014 erstmals gezahlte Bundeszuschuss an den Energie- und Klimafonds verstetigt. In
2015 sind dies maximal 781 Millionen Euro. Der Zuschuss wächst bis 2018 auf 836 Millionen Euro auf. Das
stärkt die Einnahmenseite. Beide Maßnahmen führen
dazu, dass die Gesamtfinanzierung des Energie- und Klimafonds gesichert wird.
({3})
Schon in meinen vorangegangenen Reden bin ich auf
die Energieeffizienz eingegangen. Anfang Dezember
dieses Jahres möchte das Kabinett unter anderem einen
Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz verabschieden. Wir werden dann hier im Bundestag darüber diskutieren. Wichtig ist für mich, dass durch öffentliche
Förderung und ordnungspolitische Vorgaben Effizienzmaßnahmen vorangetrieben werden. Ziel muss es sein,
die Wirtschaftlichkeit von Energieeffizienz- und EnerThomas Jurk
giesparmaßnahmen zu erhöhen und bestehende Hürden
abzubauen.
Neben Fördern und Fordern sind aber auch Information und Beratung, wie Energie gespart oder effizient
eingesetzt werden kann, notwendig. Hier sehe ich übrigens noch weiteren Handlungsbedarf. Bestehende Beratungsprogramme müssen treffgenauer und miteinander
verknüpft sein. Wir verfügen bereits über gute Förderinstrumente wie das CO2-Gebäudesanierungsprogramm
und den Energieeffizienzfonds im Energie- und Klimafonds oder das Marktanreizprogramm im Einzelplan des
Ministeriums. Weitere Instrumente sind erforderlich,
während die bestehenden Instrumente ihre Wirksamkeit
nachweisen müssen. Gerade bei der Weiterentwicklung
der bestehenden Programme sehen wir erwartungsvoll
der Evaluierung durch das Bundeswirtschaftsministerium entgegen.
Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick. Wir werden
in den Jahren 2016 bis 2018 insgesamt 10 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen mobilisieren. Für
den Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums hat
dies zur Folge, dass wir uns ab dem Jahre 2016 nicht
mehr mit der Finanzierung des Betreuungsgeldes herumplagen müssen.
({4})
Diese Ausgaben werden dann aus dem Gesamthaushalt
finanziert, und die freiwerdenden Mittel können so direkt für weitere Investitionen genutzt werden.
Natürlich ist für unsere Wirtschaft nicht nur der sinnvolle Einsatz von Sachkapital wichtig, sondern ebenso
die Einführung innovativer, neuer Produkte und Verfahren. Nur so können wir unseren Industrie- und Produktionsstandort langfristig sichern. Damit erschließen wir
weitere Potenziale für neue Arbeitsplätze im Bereich der
industriebezogenen und wissensbasierten Dienstleistungen.
({5})
Die Erfahrung lehrt, dass grundlegende Innovationen
häufig nur deshalb realisiert werden können, weil sie
eine gezielte staatliche Förderung erhalten. Eine zentrale
Aufgabe von Wirtschaftspolitik muss es bleiben, die
Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungs- und Innovationssystems auch künftig sicherzustellen.
({6})
Dieser Aufgabe werde ich mich auch bei den nächsten
Haushaltsberatungen mit großer Freude stellen. Angesichts des positiven Beratungsklimas mit meinen Mitberichterstattern und den Mitarbeitern des Ministeriums
bin ich optimistisch, dass wir dazu einen konstruktiven
Beitrag leisten werden.
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Gabriel, in diesen Tagen wird viel
über Investitionen gesprochen. Die Kritik an Deutschland wegen mangelnder Investitionstätigkeit ist allenthalben sehr groß. Ich teile diese Kritik ausdrücklich,
wenngleich ich im Rahmen der Haushaltswoche hier
auch erwähnen möchte, dass ich es für ein Missverständnis hielte, für höhere und intensivere Investitionen
Schulden machen zu müssen. Das müssen wir nicht, aber
wir müssen mehr investieren; ich glaube, das ist sehr
klar.
({0})
Vor diesem Hintergrund ist es natürlich beachtlich,
dass Sie, Herr Gabriel, Zweierlei getan haben: Sie haben
in diesem Sommer eine Expertenkommission eingesetzt,
die darüber beraten soll, wie wir Investitionen steigern
können - soweit ich unterrichtet bin, geht es sowohl um
die private als auch um die öffentliche Investitionstätigkeit -, und Sie haben einen Reformplan für Deutschland
und Frankreich in Auftrag gegeben. Ich glaube, in dieser
Angelegenheit werden Sie die Öffentlichkeit heute noch
in Paris informieren - und vielleicht ja auch uns schon
hier im Parlament.
Jetzt frage ich Sie: Wie passt das eigentlich damit zusammen, dass Sie in diesem Haushalt 2015 in der
Summe keine zusätzlichen Investitionen tätigen? Das ist
doch einfach nicht zu verstehen.
({1})
Ab 2016 gibt es - das ist relativ kurzfristig vom Finanzminister schnell noch entschieden worden - ein zusätzliches Investitionsprogramm im Umfang von
10 Milliarden Euro. Ich habe es schon gestern hier in
diesem Haus gesagt, und ich wiederhole es noch einmal:
Laut den Zahlen vom Bundesfinanzministerium selbst
bedeutet das gemäß dem Finanzplan weiterhin eine Herabsetzung der Investitionsquote von 10,1 Prozent auf
9,3 Prozent im Jahr 2018. Das kann also definitiv nicht
die Lösung sein.
({2})
Ich bitte Sie, sich in der Großen Koalition nicht hinter
einer neuen, anderen statistischen Aussage zu verstecken. Damit spreche ich noch einmal den Kollegen
Kauder an. Selbst wenn wir die Investitionen etwas anders berechnen, nämlich über die volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung, bedeutet das allenfalls eine Stabilisierung der Investitionsquote.
Warum ich diesen Punkt hier heute noch einmal so
eingehend anspreche: Das passt auch schlicht nicht zu
dem Ergebnis, das Herr Gabriel heute, wenn ich nicht
ganz falsch unterrichtet bin, entgegennehmen muss. Der
von ihm selbst in Auftrag gegebene Reformplan enthält
nämlich die Aussage, Deutschland müsse seine Investitionen in die Infrastruktur bis zum Jahr 2018 auf 20 Milliarden Euro steigern. Man sieht also im Ergebnis: Ihre
eigene finanzpolitische Strategie ist nicht ausreichend.
Man kann nach einem Jahr Regieren auch sagen: Sie ist
schlicht falsch und geht nicht auf.
({3})
Ich komme zu einem zweiten Punkt, zur Energieeffizienz. Es gibt hier europäische Vorgaben. Obwohl wir
häufig nachgefragt haben, gibt es bis zur heutigen Haushaltsdebatte keine belastbaren Aussagen der Regierung
dazu, wie wir die EU-Energieeffizienzrichtlinie umsetzen und materiell untermauern wollen. Ich weiß, dass
Sie uns in Aussicht stellen, diese Frage möglicherweise
ab nächster Woche zu beantworten. Mit Blick auf den
Haushalt 2015 - das ist der zweite Haushalt in dieser Legislaturperiode - stelle ich heute fest: Es geschieht
nichts! Das, was Sie uns hier heute vorlegen, Herr
Gabriel, ist in Bezug auf die Energiewende und auch klimapolitisch wirklich ein ganz schwaches Zeugnis - man
könnte auch sagen: ein Armutszeugnis.
({4})
Dabei könnte man die beiden von mir angesprochenen Punkte relativ einfach zusammenführen; denn um
die Energieeffizienz zu fördern, muss man ein wirksames Investitionsprogramm auflegen. Damit können wir
- wie sagt man im Volksmund so schön? - zwei Fliegen
mit einer Klappe schlagen. Wir können die Energieeffizienz steigern, und wir können die Wertschöpfung steigern. Wenn wir es schlau machen, können wir damit soziale Ziele verbinden, indem wir das Wohnen in schlecht
sanierten Gebäuden günstiger machen. Ich frage mich:
Wie lange wollen Sie noch warten, um diese Vorhaben
entschlossen anzupacken?
Wir Grünen haben Ihnen dazu einen Vorschlag gemacht: Wir wollen die jährliche Sanierungsquote auf
3 Prozent anheben. Wir wollen das KfW-Gebäudesanierungsprogramm aufstocken. Wir wollen einen Energiesparfonds mit einem Gesamtvolumen von 3 Milliarden
Euro auflegen. All diese Maßnahmen ließen sich im
Rahmen des 10-Milliarden-Euro-Programms von Herrn
Schäuble finanzieren. Also: Strengen Sie sich an! Geben
Sie sich einen Ruck, und setzen Sie das endlich um.
({5})
Ein kleiner Hinweis, weil nach mir Herr Mattfeldt als
Vertreter der Koalition sprechen wird: Sie haben in der
Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses 146 Millionen Euro für das KfW-Gebäudesanierungsprogramm
bereitgestellt. Da hatten wir kurz geglaubt, Sie wollten
jetzt wirklich etwas anpacken. Mittlerweile haben wir
festgestellt: Das ist nichts anderes als die Umsetzung alter Förderzusagen. Dahinter steckt keine Zusage neuer
Mittel. Auch da ist wirklich totale Fehlanzeige!
Zum Schluss meiner Rede möchte ich Ihnen, Herr
Gabriel, eine Frage stellen; ich weiß, dass Sie hier und
heute noch Stellung nehmen. Wir haben uns in der ersten
Lesung mit der CETA-Problematik und dem Investitionsschutz sehr genau auseinandergesetzt. Sie selber haben sehr präzise - das hat mich gefreut - dahin gehend
Stellung bezogen, dass es nach Ihrer persönlichen Meinung bei einem Investitionsschutzabkommen nicht darum gehen darf, Gesetze oder die Willensbildung in einem demokratisch gewählten Parlament auszuhebeln,
auch nicht auf indirekte Weise, also kein indirekter
Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt werden darf. Das
sind Ihre Worte.
Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen: Können Sie uns zusagen - das war Ihr damaliges Ziel -, dass
Sie sowohl bei CETA als auch bei TTIP mit Blick auf
die Investitionsschutzabkommen, verbunden mit dem
großen Risiko eines hohen Entschädigungsanspruches
- damit würde indirekt Druck auf die Gebietskörperschaften ausgeübt -, Fortschritte erzielt haben und weitergekommen sind, damit diese Regelung aus den Freihandelsabkommen verschwindet, sowohl aus dem mit
Kanada als auch aus dem mit den USA? Ich bitte Sie um
eine Stellungnahme dazu, ob Sie das einhalten, was Ihren eigenen Zielsetzungen und Ihren eigenen Maßstäben
entspricht.
Schönen Dank.
({6})
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Dass Wirtschaft zu 50 Prozent
Psychologie ist, haben wir alle von Bundeskanzler
Ludwig Erhard gelernt. Dass man aber eine Rezession
auch herbeireden kann - jetzt schaue ich zu den Linken -,
({0})
lernen wir in diesen Tagen, lieber Roland Claus, ganz
deutlich von Ihnen. Deshalb bin ich froh, dass Sie zwar
vielleicht in Thüringen etwas zu sagen haben werden
- zum Leidwesen der Thüringer -, dass Sie aber auf
Bundesebene davon hoffentlich noch weit entfernt sind.
({1})
Als Kaufmann halte ich mich, was die wirtschaftliche
Lage anbelangt, lieber an Zahlen und Fakten. Die Fakten
sprechen eine ganz deutliche Sprache: Der deutsche Arbeitsmarkt zeigt sich weiterhin sehr stabil. Zum Glück
sind für uns in Deutschland eine niedrige Arbeitslosenquote und die hohe Zahl der Erwerbstätigen mittlerweile
fast schon zur Normalität geworden.
Ich sage: Es ist doch schön, dass wir uns längst an
diese Zahlen gewöhnt haben und dass die Verkündung
von neuen Arbeitsmarktzahlen am Ende eines jeden Monats heute nicht mehr die Begeisterungsstürme auslöst,
die es anfangs gab, als die Zahl der Erwerbstätigen stieg
oder - so darf ich sagen - sich die Situation in Deutschland besserte. Deshalb sage ich: Ein Blick in die jüngere
Vergangenheit kann uns nicht schaden.
Erinnern wir uns einfach an die desaströsen Arbeitsmarktzahlen, die 2005 zu verzeichnen waren, als die
erste Große Koalition unter Angela Merkels Führung
ihre Arbeit aufgenommen hat. Seinerzeit hatten wir eine
Arbeitslosenquote von 11,7 Prozent, 5,3 Millionen Arbeitslose, und die Zahl der Erwerbstätigen lag bei lediglich 38,9 Millionen Beschäftigten. Heute haben wir mit
einer Arbeitslosenquote von 6,3 Prozent und 2,7 Millionen Arbeitslosen die Zahlen gegenüber 2005 fast halbiert und, was das Schönste ist, wir haben mit 43 Millionen Erwerbstätigen einen Rekordstand erreicht, der
zeigt, wie wirtschaftlich stark diese Bundesrepublik
Deutschland ist.
({2})
- Auch Schröders Reformen wirken, keine Frage. Deshalb hat die Unionsfraktion ihnen klugerweise zugestimmt. Ich würde mich freuen - diesen Wink darf ich
dem geschätzten Koalitionspartner geben -, wenn Sie
selbstbewusst zu diesen Reformen stehen würden, statt
sich peu à peu davon zu verabschieden.
({3})
Selbst die in diesen Tagen eher kritischen Mitglieder
des Sachverständigenrates prognostizieren einen weiteren Anstieg der Erwerbstätigenzahlen. Ich darf deshalb
sagen, dass diese Regierung weiterhin auf einem richtigen Weg ist.
Seit Mitte der 70er-Jahre in Westdeutschland und natürlich nach dem schwierigen Umbruch nach der deutschen Wiedervereinigung in Ostdeutschland ist die Bewältigung der Arbeitslosigkeit für jede Regierung in
Deutschland die größte Herausforderung gewesen. Es
gab unterschiedlichste Lösungsansätze, von denen einige auch wir entwickelt haben. Viele davon waren nicht
sonderlich erfolgreich.
Erst seit 2005 haben sich die Zahlen enorm verbessert. Es ist eben nicht selbstverständlich - auch und gerade mit Blick auf das europäische Ausland -, dass sich
die Zahlen heute so präsentieren, wie wir sie wahrnehmen. Das war ein gemeinsamer Kraftakt von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und der Politik. Diesen Erfolg haben
wir in Deutschland gemeinsam, alle Bevölkerungsgruppen, erreicht.
In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben ganz besonders die Arbeitnehmer die Zähne zusammengebissen.
Sie haben auf Lohnsteigerungen verzichtet und Kurzarbeit hingenommen. So ist es gelungen, begleitet von klugen politischen Rahmenbedingungen, dass Deutschland
gestärkt aus der Krise hervorgegangen ist. Nur deshalb
stehen wir heute so gut da, meine Damen und Herren.
({4})
Schön ist es doch, dass die Menschen in Deutschland
mit anständigen Lohnzuwächsen am wirtschaftlichen
Aufschwung partizipieren. Gute Lohnabschlüsse und
eine niedrige Inflationsrate ermöglichen Reallohnzuwächse, die wir lange nicht hatten. Die Menschen haben
heute wieder mehr Geld im Portemonnaie. Das zeichnet
diese soziale Marktwirtschaft aus
({5})
und zeigt mir, dass diese soziale Marktwirtschaft in
Deutschland immer noch funktioniert.
Den absoluten Miesmachern aufseiten der Linken
hilft vielleicht der realistische Blick vom Ausland auf
Deutschland. Deutschlands wirtschaftliche Stärke wird
anerkannt, gerade auch, weil sich die konjunkturelle
Lage sowohl in der Welt als auch im Euro-Raum nach
wie vor schwierig darstellt. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen - mein Vater ist ja Franzose -: Die Wirtschaftsdaten von reformbereiten Ländern sind erheblich optimistischer als jene in den
Ländern, die kaum Mut für Veränderungen zeigen.
Das Gutachten des Sachverständigenrates für 2015
- es ist bereits angesprochen worden - geht von einem
Wachstum von „nur“ 1 Prozent aus, wie die Gutachter
schreiben. Ich sage: Auch 1 Prozent ist doch Wachstum,
und zwar auf einem sehr hohen Niveau. Wie anfangs erwähnt, kann man eine Rezession auch herbeireden. Davor möchte ich aber ausdrücklich warnen und unterstütze deshalb die Annahmen der Bundesregierung, die
von einem höheren Wachstum für 2015, nämlich von
1,3 Prozent, ausgeht.
Dass dieser Aufschwung durch die Binnenkonjunktur
getragen wird, merken wir auch. Der private Konsum ist
die wichtigste Stütze der Binnenwirtschaft, und die
Menschen haben jetzt mehr Geld im Portemonnaie. Das
Schöne ist: Sie geben dieses Geld auch aus.
Meine Damen und Herren, Sorge bereitet mir wie sicherlich auch dem gesamten Haus die Situation in Russland und der Ukraine. Auch hierbei möchte ich mich an
Fakten orientieren. Die Fakten lassen nichts anderes zu
als die Unterstützung der Position unserer Bundeskanzlerin, die bei ihrer Rede in Sydney darauf hingewiesen
hat, dass die Ukraine-Krise zu einem Flächenbrand werden könnte.
Putins Handeln oder - vielleicht muss man das eher
sagen - Putins Nichthandeln stellt uns in Europa in der
Tat vor nicht einfache Entscheidungen, die auch wirtschaftliche Auswirkungen haben. Es darf aber nicht sein,
dass wir nach so vielen positiven Erfahrungen zwischen
Russland und Deutschland wieder in eine Konfrontation
zwischen den USA und Europa auf der einen Seite und
Russland auf der anderen Seite hineinlaufen. Ein solches
Blockdenken habe ich weiß Gott lange genug erleben
müssen. Lassen Sie uns auch nicht vergessen, dass neben
allen wirtschaftlichen Beziehungen auch zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Russland und der
EU gewachsen sind, die von großem Vertrauen geprägt
sind, aber in diesen Tagen, übrigens auch in ganz vielen
Familien, auf eine harte Probe gestellt werden. Deshalb
mein Appell - vor allem an Russland -: Lassen Sie uns,
auch im Interesse des russischen Volkes, doch nicht das
zerstören, was wir seit 25 Jahren aufgebaut haben!
Da kommen wir wieder zur Wirtschaft. Sie sprechen
nun heute, Herr Minister Gabriel, das zweite Mal in
dieser Funktion über Ihren Etat. Hinter uns liegen sehr
anstrengende, aber auch konstruktive Beratungen. Ich
möchte deshalb Dank sagen, Ihnen, Ihrem Haus, Ihren
Staatssekretären auf der Regierungsbank, aber natürlich
auch Dank sagen für die gute Zusammenarbeit zwischen
uns Berichterstattern.
({6})
Nach den parlamentarischen Beratungen hat der Etat
des Wirtschaftsministeriums ein Gesamtvolumen von
7,3 Milliarden Euro. Das ist ein leichter Aufwuchs im
Vergleich zum Regierungsentwurf, um circa 183 Millionen Euro, der sich natürlich aus der Notwendigkeit der
Anpassung der Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm ergibt. Gerade dieses Programm sorgt dafür, dass
das Geld auch wirklich dorthin gelangt, wo es nach meinem Dafürhalten hin soll, nämlich zu den Hausbesitzern,
die ihr Heim energetisch sanieren wollen und so einen
effizienten Beitrag zur Energieeinsparung leisten. Als
Nebeneffekt - das müssen wir auch sagen - ist dies natürlich auch ein gutes Konjunkturprogramm für unsere
Handwerker.
Die Energiewende ist das herausragende Projekt dieser Legislatur. Genau deshalb liegt ein Schwerpunkt des
2015er-Haushalts in diesem Bereich.
({7})
Auf Ressortebene ist das Ziel „Energiepolitik aus einer
Hand“ bereits erreicht worden: Sämtliche Energiefragen
sind im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
gebündelt worden. Jetzt müssen wir dafür sorgen, Herr
Minister Gabriel, dass dies auch auf den darunterliegenden Ebenen fortgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik dieser Koalition ist zum großen Teil Mittelstandspolitik.
Deshalb setzen wir unsere finanzielle Förderunterstützung vor allem für den Mittelstand fort. Der Mittelstand
ist und bleibt das Rückgrat unserer Wirtschaft. Dass dies
so bleibt, das war mir und meinem Koalitionsmitberichterstatter Thomas Jurk ein sehr wichtiges Anliegen. Wir
beide waren nicht damit einverstanden - das ist, glaube
ich, ein offenes Geheimnis -, dass im Haushaltsentwurf
einige Ansätze im Bereich der Mittelstandsförderung gekürzt wurden. Deshalb haben wir rund 8 Millionen Euro
für diese Zwecke wieder in die Förderinstrumentarien
für den Mittelstand hereingeholt, und 1 Million Euro haben wir zusätzlich für Investitionen in Fortbildungseinrichtungen, vor allem denjenigen für das Handwerk, zur
Verfügung gestellt.
({8})
Ein Thema, das vielleicht ab und an zu kurz kommt:
Auch die Deutsche Zentrale für Tourismus erhält für
2015 mehr Mittel. Wir haben den Ansatz hierfür auf insgesamt 30 Millionen Euro angehoben, um im Ausland
für unsere schöne Heimat, für den Tourismus bei uns in
Deutschland zu werben. Das hatte ich bereits bei meiner
Rede zur Einbringung des Haushaltes angekündigt; das
haben wir jetzt umgesetzt.
({9})
Wir wollen aber nicht nur im Bereich Tourismus mehr
machen und die mittelständische Wirtschaft dort mit
mehr Geldern unterstützen, sondern auch im Bereich der
Digitalisierung. Hier haben wir in den Haushaltsberatungen knapp 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung
gestellt, so zum Beispiel zur Unterstützung vor allem
kleiner und mittelständischer Betriebe. Diese erhalten
zum Beispiel mit dem Modellvorhaben „go-digital“ Gutscheine für externe Beratungsdienstleistungen im Bereich IT-Sicherheit, Internetmarketing und digitale Geschäftsprozesse - Themen, die in kleinen und
mittelständischen Betrieben häufig unterschätzt werden.
So unterstützt der Bund auch bei diesen wichtigen Themen gerade kleine und mittelständische Unternehmen.
({10})
Jetzt darf ich noch etwas sagen: Wir haben zu Beginn
dieser Legislaturperiode viel Soziales gemacht, wir haben den einen oder anderen sehr ausgabefreudigen Entschluss gefasst. Jetzt müssen wir auch Haushaltskonsolidierung und die Wirtschaft wieder in den Fokus unseres
Handelns rücken. Ich selbst komme aus der Wirtschaft
und weiß, welche Belastungen diese Beschlüsse für die
Wirtschaft mit sich bringen - sie bringen aber auch Gutes für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes; deshalb waren sie zu einem großen Teil richtig. Wir dürfen
aber - diese Bemerkung sei mir gestattet - genauso die
Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht überfordern;
denn es sind die Unternehmen, die den Menschen Arbeit
geben, ihren Lohn zahlen und vor allen Dingen Steuern
entrichten. Wir geben dann diese Steuereinnahmen hoffentlich klug und geschickt aus. Deshalb: Jetzt ist es an
der Zeit, auch an die Wirtschaft zu denken. Lassen Sie
uns also alle gemeinsam die noch vor uns liegenden Herausforderungen zum Beispiel im Bereich der Infrastruktur anpacken und die dort bestehenden Probleme lösen.
Nun werden einige Kollegen sagen: Du hast gar
nichts über Fracking gesagt. - Das ist richtig.
({11})
Und jetzt ist es auch zu spät.
({0})
Dazu werde ich jetzt auch nichts sagen. Darüber werden wir auf kluge Weise in einer der anstehenden Sitzungen beraten.
Ich darf heute dafür werben, diesem Haushalt des
Bundeswirtschaftsministeriums die Zustimmung zu geben.
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist häufig die Logik von Haushaltsdebatten, gerade wenn es um die Wirtschaft geht, dass man ein bisschen in der einen oder anderen Richtung in Extreme
verfällt. Was will ich damit sagen? Ich glaube, dass wir
uns in der Wirtschaftspolitik weder regierungsamtliche
Schönfärberei noch oppositionsmäßige Schwarzmalerei
leisten dürfen. Wir brauchen einen realistischen Blick
darauf, was wirtschaftspolitisch vor uns liegt. Wenn man
es nicht glaubt, dann sollte man vielleicht das Buch von
Marcel Fratzscher, dem DIW-Chef, lesen, der über unser
Land, wie ich finde, in bemerkenswerter Weise deutlich
macht, dass wir wirklich das sind, was wir alle miteinander feststellen, nämlich die Wachstumslokomotive in
Europa, ein starker volkswirtschaftlicher Wachstumskern
in Europa, der über vernünftige Wertschöpfungsketten
verfügt. Wenn man sich daran erinnert, wie es früher, vor
etwa zehn Jahren, war, als über Deutschland als den
kranken Mann Europas gesprochen wurde, muss man sagen: Dass sich das verändert hat, liegt daran, dass Vorgängerregierungen den Mut zu Reformen hatten, den
andere nun offensichtlich unter schwierigeren Bedingungen erst aufbringen müssen. Herr Mattfeldt, ich sage
das mit Hinweis auch auf Frankreich. Wenn Jacques
Chirac und Sarkozy den gleichen Mut zu Reformen gehabt hätten wie beispielsweise die rot-grüne Bundesregierung, würden wir nicht vor solchen Problemen stehen, wie wir sie heute haben.
({0})
Wir können Präsident Hollande nur den Mut und die Unterstützung wünschen, um zu Strukturreformen in seinem Land zu kommen.
({1})
- Sehen Sie das doch nicht einseitig durch die parteipolitische Brille, sondern versuchen Sie einfach, festzustellen: Ja, wir sind ein starkes Land.
Herr Fratzscher hat aber in seinem Buch auch deutlich gemacht, dass es keinen Grund gibt, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Oder wie der Volksmund sagt:
Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie am falschen Körperteil. Tatsache ist: Bei aller Freude über die
Stärke unseres Landes haben wir auch ein paar wunde
Punkte, die es zu bearbeiten gilt. Ein wunder Punkt ist
die Investitionsquote in diesem Land, und zwar sowohl
die private als auch die öffentliche. Deshalb bin ich froh,
dass wir nicht nur mit dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums, sondern mit dem gesamten Bundeshaushalt dafür sorgen, dass die öffentlichen Investitionen
gestärkt werden, und zwar sowohl im Bereich der Mittelstandsförderung und im Bereich der Verkehrsinfrastruktur als auch bei Bildung und Forschung. Nicht nur,
dass wir Schritt für Schritt den Haushalt konsolidieren,
wir investieren auch mehr in Zukunft. Hier sind wir auf
einem guten Weg.
({2})
Das reicht aber nicht. Deshalb ist es richtig und vernünftig, dass wir gerade in der momentanen Phase
- Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat das angemahnt;
Bundesfinanzminister Schäuble hat sich nun auf den
Weg gemacht - zusätzliche Mittel, die sich aus den vorhandenen Spielräumen ergeben, für öffentliche Investitionen nutzen. Wir werden zwar über die Verteilung der
Mittel noch im Einzelnen zu diskutieren haben. Aber aus
wirtschaftspolitischer Sicht ist es wichtig, dass wir die
Mittel nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern sie tatsächlich für investive Maßnahmen einsetzen, beispielsweise für die energetische Gebäudesanierung, die Stärkung der Kommunen
({3})
sowie für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur
und der Breitbandinfrastruktur in diesem Land. Da gehören die Mittel hin. Sie dürfen nicht mit der Gießkanne
verteilt werden.
({4})
Wenn wir über Investitionsquoten reden, dann dürfen
wir nicht nur über die öffentlichen, sondern müssen auch
über die privatwirtschaftlichen Investitionen reden und
darüber, wie die Rahmenbedingungen der Wirtschaft für
Investitionen in Deutschland sind. Ja, wir haben Standortstärken, zum Beispiel die berufliche Erstausbildung in
diesem Land, eine im internationalen Vergleich noch immer gute Infrastruktur, eine Forschungslandschaft, die
sich sehen lassen kann, und sozialen Frieden, der für Investitionssicherheit in diesem Land sorgt. Wir sind ein
starkes Land.
Aber wir haben auch ein paar Schwachstellen. Die zu
bearbeiten, ist Aufgabe aktiver Wirtschaftspolitik. Deshalb bin ich froh, dass Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel im Gegensatz zu manchem Vorgänger
Wirtschaftspolitik nicht nach dem Motto „Wir schauen
der Wirtschaft beim Wachsen zu“ oder - noch schlimmer „Wir schauen ihr beim Schrumpfen zu“ betreibt, sondern
dass er auf aktive Gestaltung der Rahmenbedingungen
setzt,
({5})
Hubertus Heil ({6})
beispielsweise indem er die Energiewende wieder vom
Kopf auf die Füße stellt. Das ist die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe. Wir haben Aufräumarbeiten
zu leisten, damit die Energiewende funktioniert.
({7})
- Das kann ich gerne geben, Herr Kollege Krischer. Sie
haben ja auch noch die Gelegenheit.
Wir haben binnen eines Jahres dafür gesorgt, dass mit
der EEG-Reform nicht nur Planbarkeit in den Ausbau
der erneuerbaren Energien kommt,
({8})
sondern eben auch mehr Kosteneffizienz, damit wir
nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip das Geld verschleudern. Hinzu kommt die Akzeptanz der Energiewende.
({9})
- Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie verstehen von vielem etwas, aber von Wirtschaftspolitik wirklich nichts,
wenn Sie hier so etwas sagen.
({10})
- Hören Sie doch einfach einen Moment zu. Sie haben
nachher noch die Gelegenheit.
Wir haben tatsächlich dafür gesorgt, dass die EEGReform vorangekommen ist, und - was wichtig ist, damit wir auch energieintensive Betriebe in Deutschland
halten können - wir haben binnen eines Jahres den Konflikt mit der EU-Kommission beigelegt, damit die
Grundstoffindustrien in Deutschland bleiben. Ich weiß
nicht, was in dieser Frage passiert wäre, wenn Frau
Göring-Eckardt Wirtschaftsministerin gewesen wäre.
Ich bin froh, dass Sigmar Gabriel das geschafft hat.
({11})
Wir haben aber energiepolitisch noch eine ganze
Menge vor, beispielsweise für mehr Energieeffizienz zu
sorgen.
({12})
Dafür werden am 3. Dezember entsprechende Maßnahmen im Kabinett getroffen. Dazu gehört beispielsweise
die energetische Gebäudesanierung. Wir werden im
kommenden Jahr die Entscheidung über das zukünftige
Strommarktdesign treffen. Wir wollen, dass die Energiewende zum Erfolg geführt wird - für eine saubere, aber
eben auch für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Das sind wir der wirtschaftlichen Entwicklung
und den Menschen in diesem Land schuldig.
({13})
- Das tut Ihnen weh. Das merke ich schon an den Zwischenrufen. Aber es ist so: Wir machen uns auf den Weg.
({14})
Es geht weiterhin darum, Industriepolitik in diesem
Land zu betreiben. Da ist Energiepolitik ein ganz zentraler Bereich. Dazu gehört aber auch das Thema Fachkräftesicherung, an dem wir arbeiten, und nicht zuletzt die
Frage der Akzeptanz von industrieller Wertschöpfung
und von Innovation in diesem Lande. Deshalb ist das angesprochene Bündnis für Industrie in diesem Land, das
Sigmar Gabriel mit Wirtschaft und Gewerkschaften geschlossen hat, ganz wichtig.
Die großen Herausforderungen, vor denen der Industriestandort Deutschland steht, sind die demografische
Entwicklung - Stichwort: Fachkräfte -, die Frage der
Innovation - Stichwort: Digitalisierung, Industrie 4.0 -,
die Frage der Internationalisierung und die Frage der
Rohstoffknappheit und der Energiekosten. Das sind alles
Fragen, die wir nicht alleine beantworten können; vielmehr brauchen wir abgestimmte Maßnahmen zwischen
Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften in diesem Land.
Das sind große Herausforderungen. Deshalb finde ich
es richtig, dass Sigmar Gabriel die Initiative ergriffen
hat. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Herrn Grillo, und
dem IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel außerordentlich dankbar, dass sie mitmachen; denn sie wissen: Es
gibt bei allen Interessenunterschieden, die es zwischen
Arbeitnehmern und Gewerkschaften in diesem Land
gibt, die es auch in der Politik, auch in der Großen
Koalition, gibt, die Notwendigkeit, zu einem neuen Industriekonsens in diesem Land zu kommen. Das ist der
Schulterschluss, den wir für wirtschaftlichen Erfolg in
diesem Land brauchen.
({15})
Schließlich müssen wir etwas für das wirtschaftliche
Rückgrat dieses Landes tun, und das ist der Mittelstand.
Aufgrund meiner begrenzten Redezeit nur ein Hinweis:
Diese Regierung redet nicht über Bürokratieabbau, sie
macht sich auf den Weg. Ich nenne zum Beispiel die
One-in- und die One-out-Regelung.
({16})
- Das kann ich erklären. - Wir sorgen für eine Bürokratiebremse.
({17})
Hubertus Heil ({18})
Es wird für jede neue Regelung eine alte Regelung gestrichen. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich füge
hinzu: Das meiste ist Steuerbürokratie in diesem Land.
Die werden wir uns vornehmen müssen, damit wir diesem Land tatsächlich Investitionsimpulse geben, die übrigens nicht immer Geld kosten müssen, die aber gerade
für die mittelständische Wirtschaft wichtig sind.
Dieser Bundeswirtschaftsminister hat in einem Jahr
dafür gesorgt, dass aus einem verwaisten Haus wieder
ein gestaltendes Schlüsselressort dieser Bundesregierung
geworden ist. Wir werden ihn auf diesem Weg weiter im
Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes unterstützen.
Herzlichen Dank.
({19})
Nun erhält der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Hubertus Heil, ich habe vor kurzem einen sehr schönen Spruch gehört von einem Kollegen der
CDU. Dieser würde auf den Schlusssatz zutreffen, den
Sie gerade gesagt haben: Zu viel Weihrauch schwärzt
selbst den Heiligen.
({0})
Der Heilige sitzt hier.
({1})
Sigmar Gabriel, bei so viel Lob müssen wir aufpassen,
dass du dann nicht auch inhaltlich schwarz wirst - bei so
viel Weihrauch, der da kommt.
({2})
Ich möchte auf Investitionen eingehen, meine Damen
und Herren. Überall ist zu lesen und festzustellen:
Deutschland hat viel zu wenige Investitionen und gefährdet damit das Wachstum. Deshalb stellt sich die
Frage: Haben wir eigentlich auch zu wenig Geld oder
nur zu wenig Investitionen? Deshalb müssen wir
schauen, wie es um das Geld bestellt ist.
Die Frankfurter Rundschau vom 20. November
schreibt mit Verweis auf die Schweizer Bank UBS: Das
Vermögen der Superreichen in Deutschland wuchs - ich
zitiere - um 10 Prozent auf über 2,5 Billionen Dollar. Hierbei handelt es sich um eine Steigerung um 10 Prozent innerhalb eines Jahres. Das heißt, der Vermögenszuwachs in einem Jahr betrug 10 Prozent. Die Frankfurter
Rundschau schreibt weiter:
Mit dieser Summe könnte man alle deutschen Arbeitnehmer zwei Jahre bezahlen oder sieben Jahre
die Ausgaben der Bundesregierung finanzieren.
Meine Damen und Herren, in diesem Lande fehlt es
nicht an Geld, sondern diese Bundesregierung traut sich
nicht, das für Investitionen benötigte Geld dort zu holen,
wo es eigentlich ist. Das ist unser Problem.
({3})
Ein immer größerer Teil des Kuchens geht ausschließlich an die Eigentümer größter Vermögen. In
Deutschland gibt es einen Spruch dazu: Der Teufel
macht immer auf den größten Haufen. Genau das ist das
Problem in diesem Land.
Meine Damen und Herren, wir haben ein massives
Verteilungsproblem in der Bundesrepublik Deutschland.
Dieses Verteilungsproblem wird von dieser Regierung
ignoriert und nicht angegangen. An dieser Stelle möchte
ich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bemühen:
Von 2000 bis 2013 haben wir eine Zunahme der Unternehmens- und Gewinneinkommen von 24 Prozent zu
verzeichnen. Die realen Arbeitnehmerentgelte je Beschäftigten sind im selben Zeitraum um 3,1 Prozent gesunken. Ja, Herr Mattfeldt, Sie haben recht: Die Arbeitnehmer haben die Zähne zusammengebissen. Aber das
Geld ist woanders gelandet. Andere haben das Gegenteil
von Zähnezusammenbeißen gemacht: Diese haben kräftig kassiert und sich gleichzeitig privaten Investitionen
verweigert.
Meine Damen und Herren, die Renten langjährig Versicherter sind zwischen 2000 und 2012 ebenfalls gesunken, real um 19 Prozent im Westen und um 23,4 Prozent
im Osten.
Während sich bei einigen das Geld offensichtlich anhäuft, zerfällt die öffentliche Infrastruktur. Eltern streichen inzwischen die Klassenzimmer ihrer Kinder selbst.
({4})
Jede zweite Betonbrücke in Deutschland ist inzwischen
marode. Es bilden sich Bürgerinitiativen mit dem Ziel,
öffentliche Schwimmbäder weiter zu betreiben, weil den
Kommunen das Geld fehlt. Seit 2003 - und das wissen
Sie, Herr Gabriel - reichen die Bruttoinvestitionen nicht
mehr aus, um die Abschreibungen auszugleichen - ein
Riesenproblem.
Die 10 Milliarden Euro, die noch nicht einmal sicher
sind und über die im Parlament nicht gesprochen wird,
reichen hinten und vorne nicht aus. Mit Ihrer Politik
läuft diese Republik auf der Felge.
({5})
Staat und Unternehmen müssten jährlich allein
103 Milliarden Euro mehr ausgeben, um den Verschleiß
auszugleichen, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Was macht diese Regierung? Wo sind die Initiativen, um das zu beheben? Wie auf einer Fronleichnamsprozession tragen Sie die schwarze Null vor sich
her.
({6})
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Sie
warten auf eine göttliche Vorsehung in dieser Frage. Das
hat ja schon religiöse Züge, was Sie hier machen. Wenn
Sie wirklich etwas bei den Investitionen ändern wollen,
dann kommen Sie nicht darum herum, auf das Vermögen
der Superreichen zuzugreifen.
({7})
Jetzt will ich Ihnen eine Rechnung aufmachen. Allein
der Zuwachs des Vermögens der Superreichen betrug im
letzten Jahr 10 Prozent. Das ist ein Vermögenszuwachs
von 285 Milliarden Dollar - das wird in Dollar ausgedrückt. 5 Prozent Steuern auf das Vermögen, wie wir es
vorschlagen, entsprächen 129 Milliarden Dollar; das wären ungefähr 100 Milliarden Euro. Wenn Sie also die
Forderungen der Linken realisieren würden, hätten Sie
100 Milliarden Euro mehr in Ihrem Staatshaushalt. Dann
hätten Sie die Möglichkeit, den Investitionsstau innerhalb kurzer Zeit zu beseitigen.
Warum machen Sie das eigentlich nicht? Gleichzeitig
würde das kein Problem für die Superreichen bedeuten.
Sie hätten immer noch über 100 Milliarden Euro mehr
auf dem Konto. Glauben Sie, sie würden auf dem Zahnfleisch gehen, wenn sie nur noch 100 Milliarden Euro
mehr statt 200 Milliarden Euro mehr hätten? Nein. Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Diese Regierung ist in dieser Frage nicht nur zahm, sondern auch bescheiden und sogar feige. Die Möglichkeiten, Probleme
zu lösen, hätte sie nämlich; aber sie nutzt sie nicht.
Jetzt wird man mir entgegnen: Es ist vor allen Dingen
der Koalitionspartner, der sich weigert, diese Probleme
anzugehen. - Dann sage ich der CDU/CSU: Sie sind für
den Zustand, den wir in Deutschland bald haben werden,
verantwortlich. - Denn wir leben permanent über unsere
Verhältnisse, weil wir es den Reichen nicht nehmen,
Herr Fuchs. Das ist unser Problem.
({8})
Eine letzte Bemerkung, weil ich nicht mehr viel Zeit
habe. Ich möchte noch einmal auf die geplanten Handelsabkommen wie das TTIP zu sprechen kommen. Wir
waren unterwegs und haben gesehen, was in der Welt los
ist. Eins möchte ich Ihnen schon noch sagen: Es gibt
neue und es gibt alte Studien. Selbst wenn man alte Studien heranzieht und berücksichtigt, was in der Grundwertekommission der SPD diskutiert wird - ({9})
- Da war ich eingeladen
({10})
- ja -, auf euren Vorschlag. Vielleicht warst du es, der
mich eingeladen hat; ich weiß es nicht.
({11})
Ich möchte aus einem Diskussionspapier der Grundwertekommission der SPD zitieren. Dort ist zu lesen:
Das durchschnittliche Wachstum pro Jahr, das man mit
den Handelsabkommen erreichen würde, würde für die
Europäische Union jährlich 0,04 Prozent und für die
USA 0,03 Prozent bedeuten. In dem Text heißt es weiter:
„weniger als jeder Witterungseffekt“.
Meine Damen und Herren, wenn man an die Wachstumswirkungen der Handelsabkommen glaubt, dann
kann man auch den Regenmachern glauben. Deshalb
sollten wir diese Abkommen ablehnen.
Ich danke fürs Zuhören.
({12})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Fuchs für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Worte
von Herrn Ernst hören wir eigentlich jedes Jahr fünf-,
sechs-, siebenmal.
({0})
Lieber Herr Ernst, Sie sollten irgendwann mal irgendwas
anderes sagen. Wir haben das alles schon gehört. Ihre
gesamte Auffassung über die Vermögensteuer sollten Sie
zunächst einmal mit dem Bundesverfassungsgericht abklären. Ich verweise auf den berühmten Halbteilungsgrundsatz. Nehmen Sie ihn doch zur Kenntnis. Es hat
doch keinen Sinn, das immer wieder zu wiederholen.
({1})
Sie wissen, dass das nicht funktioniert.
({2})
Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft ist
in einer ausgesprochen positiven Situation, so positiv,
wie sie viele Jahre nicht gewesen ist. Trotz der schwierigen Situation im Umfeld, trotz des schwierigen Auslandsgeschäftes für die deutschen Unternehmen, trotz
der Situation, die wir in der Ukraine, in Syrien, im Irak
und in vielen Ländern Europas haben, wächst unsere
Wirtschaft weiter, und zwar im nächsten Jahr um
1,2 Prozent.
Ich will diese Zahl verdeutlichen. Was bedeutet
1,2 Prozent Wachstum? Das sind 34 Milliarden Euro zusätzliches Wachstum. Bei Griechenland wären es
10 Prozent Wachstum, bei Portugal wären es 15 Prozent
Wachstum, ja, selbst bei Österreich wären es mehr als
10 Prozent Wachstum, wenn die Wirtschaft in diesen
Ländern in der gleichen Größenordnung wachsen würde.
Dass eine reife Volkswirtschaft wie die deutsche in einer
Krisensituation so wächst, ist ausgesprochen positiv.
Dies zeigt, wie robust unsere Wirtschaft ist, wie robust
die Binnenkonjunktur ist und dass wir wettbewerbsfähige Unternehmen haben.
Davon profitieren wir alle: Davon profitieren die
Menschen; davon profitieren die Unternehmen. Davon
profitiert allerdings auch der Staat, und deswegen sind
wir überhaupt in der Lage, bei niedrigster Inflation einen
solch ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wie es heute
der Fall ist. Nach 46 Jahren haben wir es endlich mal
wieder geschafft, einen Haushalt auszugleichen. Ich bin
dem Bundesfinanzminister, aber auch allen Haushältern
dankbar, die das ermöglicht haben. Das ist eine tolle
Leistung. Wenn das Gleiche in anderen europäischen
Ländern gemacht würde, würde es uns allen wesentlich
besser gehen.
({3})
Das ist ein Zeichen, dass das, was wir machen, funktioniert. Wir sollten darum kämpfen, dass das in ganz
Europa so gehandhabt wird.
Meine Damen und Herren, die Lage ist positiv. Die
Arbeitsmarktsituation ist so positiv wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Aber das ist kein Automatismus.
Wir können uns darauf nicht ausruhen. Wir dürfen nicht
glauben, dass uns das geschenkt wird. Die Situation hat
sich wirklich verändert. Während Ende der 1990erJahre, Anfang dieses Jahrtausends die Wirtschaft in aller
Regel darüber geklagt hat, dass die Löhne zu hoch sind
und dass Deutschland deswegen nicht wettbewerbsfähig
ist, so muss man jetzt feststellen, dass sich die Diskussion komplett auf andere Bereiche verlagert hat.
Da geht es um die Energiepolitik; da geht es aber
auch um eine gut ausgebaute Infrastruktur. Deswegen ist
es vollkommen richtig, dass die Bundesregierung gesagt
hat: Gerade der Breitbandausbau für das Internet in ganz
Deutschland, im Land, auf der Fläche, ist dringend notwendig und muss vorangetrieben werden. - Dass dafür
Gelder in die Hand genommen werden müssen, weiß jeder von uns; das ist klar. Aber das geht auch in andere
Bereiche hinein: Luftverkehr, Bahnverkehr etc. All das
muss besser ausgebaut werden; denn ein Land wie
Deutschland braucht eine vernünftige Infrastruktur. Daran sollten wir weiter arbeiten.
Wir haben ein weiteres großes Problem - da liegt eine
zentrale Aufgabe für dieses Parlament -, und das ist
die demografische Entwicklung. Ich nenne nur zwei,
drei Zahlen. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland
600 000 Ausbildungsverträge im Handwerk unterschrieben. Wir werden im Jahr 2015 überhaupt nur noch
500 000 Schulabgänger haben. Das heißt, da wird es
eine gewaltige Lücke geben. In meinem Wahlkreis haben wir immerhin noch 365 offene Ausbildungsstellen
im Handwerk.
Dieser Rückgang wird zu einem Facharbeitermangel
und zu einem Wettlauf um Facharbeiter führen. Das sind
Dinge, die wir in der nächsten Zeit, Herr Minister, etwas
intensiver adressieren müssen. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, wie wir der Wirtschaft hierbei helfen
können; denn wir konkurrieren mit anderen Standorten
überall in der Welt. Wenn in Deutschland keine qualifizierten Arbeitnehmer mehr zu bekommen sind, dann
kann es uns sehr schnell passieren, dass die Firmen dahin abwandern, wo die Arbeitnehmer sind.
Deswegen bin ich auch froh, dass wir uns sehr intensiv mit dem Außenhandel beschäftigen. Die Bundeskanzlerin hat gestern vollkommen zu Recht sehr nachdrücklich
zum Ausdruck gebracht, dass TTIP vorangebracht werden muss. Wenn ich immer die Unkenrufe von allen
möglichen Leuten höre, wie schlimm und fürchterlich
das Ganze sein würde, kann ich nur sagen: Ich habe in
der letzten Woche auf der Asien-Pazifik-Konferenz der
deutschen Wirtschaft feststellen können, wie notwendig
die Freihandelsabkommen sind.
({4})
Jeder hat uns klargemacht, dass das dringend ist.
Wenn man nur einmal die letzten fünf Jahre betrachtet ich bin ja so ein alter Außenhändler
({5})
und habe mich zeit meines Lebens mit Außenhandel beschäftigt, meine Damen und Herren -, dann hat man in
den 31 größten Nationen, mit denen wir Handel betreiben, 860 neue Handelshemmnisse festzustellen. Beim
Aufbau von Handelshemmnissen liegt Russland an erster Stelle. An zweiter Stelle liegt China. An dritter Stelle
liegt Indien. Indien hat beispielsweise kurzerhand den
Pkw-Importzoll von 75 Prozent auf 100 Prozent angehoben. All das ist in den letzten fünf Jahren passiert. An
vielen Stellen sind Handelshemmnisse neu aufgebaut
worden. Das schadet der deutschen Wirtschaft natürlich
ganz erheblich.
Deswegen ist es notwendig, dass wir so schnell wie
möglich daran weiterarbeiten. Die Doha-Runde ist schon
lange zum Stillstand gekommen. Seit über zehn Jahren
hat sich nichts bewegt. Ich hoffe, dass der neue Präsident
jetzt endlich mehr Schwung hineinbringt. Die Zeichen,
die dadurch gesetzt wurden, dass Froman jetzt mit Indien verhandelt hat, sind positiv, und es könnte sein, dass
sich da etwas bewegt. Aber noch viel mehr würde sich
bewegen, wenn es uns gelingen würde, TTIP so schnell
wie möglich abzuschließen.
Was ist eigentlich der zentrale Grund dafür, dass TTIP
für uns so wichtig ist? Meine Damen und Herren, mit
diesem Abkommen werden Normen und Standards für
den transatlantischen Raum gesetzt. Unsere Normen
werden mit denen der Amerikaner abgeglichen und
gleichgesetzt. Die Amerikaner - das hat man uns in Vietnam sehr nachdrücklich beigebracht, Herr Minister verhandeln auch sehr intensiv über TPP. Das ist das
Trans-Pacific Partnership Agreement. Wenn das zuerst
fertig ist, dann werden Normen zwischen den Pazifikstaaten und den Amerikanern gesetzt, und dann können
wir uns darauf verlassen, dass sie diese natürlich in die
Verhandlungen mit uns über TTIP einbringen müssen,
weil sie keine zwei verschiedenen Normensysteme - eines für den pazifischen und eines für den atlantischen
Raum - haben können. Wenn das passiert, dass zuerst
die transpazifischen Normen festgelegt werden, dann bedeutet das für uns, dass wir denen sozusagen nachlaufen
müssen. Mir ist es andersherum lieber, nämlich dass die
uns nachlaufen.
({6})
Deswegen finde ich es sehr positiv, dass Frau
Malmström uns mitgeteilt hat, dass die Verhandlungen
- in großer Transparenz; dafür bin ich unbedingt - so
schnell wie möglich fortgesetzt werden sollen.
({7})
Ich habe auch noch die Hoffnung, dass das schneller
gehen könnte, und zwar deswegen schneller gehen
könnte, weil in den USA jetzt in beiden Häusern die Republikaner das Sagen haben, die traditionell deutlich
freihandelsfreudiger sind, als es die Demokraten nun
einmal sind.
({8})
Insofern sollten wir alles daransetzen - das ist eine der
wichtigsten Aufgaben, Herr Minister, der nächsten Zeit -,
dieses Abkommen weiter nach vorne zu bringen.
Gerade der Mittelstand ist auf Freihandel angewiesen.
Seine Unternehmen haben keine großen Rechtsabteilungen, die sich mit nichts anderem beschäftigen, als zu
schauen, in welchem Land welche Regeln gelten; das
kann sich der normale Mittelständler nicht leisten. Wenn
wir es aber schaffen können, die Situation so darzustellen, dass er es kann, dann sollten wir das tun.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Bereich, in
dem es dringend notwendig ist, etwas zu tun, ist der Investitionsbereich. Ich bin froh, dass der Bundesfinanzminister weitere 10 Milliarden Euro zur Verfügung stellt,
({9})
die wir in den nächsten drei Jahren investieren werden.
({10})
Ich bin froh, dass im nächsten Haushalt festgelegt wird,
wohin das Geld fließt. Das ist notwendig.
({11})
Je mehr Investitionen wir haben, desto größer ist die
Chance, dass Deutschland den Wachstumspfad weiter
verfolgen kann.
Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Investitionen nicht nur im öffentlichen Sektor, sondern auch im
privaten Sektor, im Unternehmenssektor, erfolgen. Dafür
müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass
an den Standort Deutschland geglaubt wird und dass
möglichst viel in Deutschland investiert wird.
In Deutschland haben wir in den letzten Jahren die
höchsten Forschungsetats überhaupt; aber wir geben erst
2,94 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung aus. Ich nenne mal die Zahlen anderer Länder:
Südkorea investiert 4 Prozent und das wachstumsschwache Japan 3,4 Prozent. Wir sind da also noch nicht an der
Spitze. Das kann noch deutlich mehr werden. Wir sollten
daran arbeiten.
Wir brauchen in Deutschland gute Bedingungen für
Existenzgründer, für Risiko- und auch für Beteiligungskapital. Wir haben zurzeit 4,43 Millionen Selbstständige. Die Zahl klingt besonders gut; aber es ist nicht so,
als wäre Deutschland das Gründerland der Europäischen
Union oder gar der Welt - nein!
Wenn man sich einmal überlegt, welche großen Unternehmen mit Weltgeltung in Deutschland vor dem
Zweiten Weltkrieg gegründet wurden und welche danach, dann stellt man fest, dass es in Deutschland eigentlich nur ein einziges nach dem Zweiten Weltkrieg gegründetes Unternehmen gibt, das Weltgeltung erlangt
hat, nämlich SAP. Wir sollten einmal darüber nachdenken, warum das bei uns so ist. In den USA sieht es anders aus. Ich nenne einfach nur Microsoft, Apple, Cisco
Systems, Intel, Dell, Facebook, Google; all das sind Unternehmen mit Weltgeltung, die nach dem Zweiten Weltkrieg, zum Teil in den letzten 20 Jahren, entstanden sind.
Ich meine, es muss schon einen Gedanken wert sein, warum das bei uns so schleppend vorangeht.
({12})
Das Risiko- und Beteiligungskapital spielt da bestimmt eine Rolle. Ich zitiere jemanden:
Wenn im Silicon Valley … 15 Milliarden Euro Venture Capital … zur Verfügung gestellt werden, dann
ist das, was wir in Deutschland zu bieten haben,
eher auf der Ebene homöopathischer Dosen.
Das Zitat stammt von Herrn Gabriel; da sitzt er.
Wir sollten dafür sorgen, dass sich der Einsatz von
Venture Capital in Deutschland lohnen kann. Da kann es
nicht sein, dass Steuerbegünstigungen für Gewinne aus
der Veräußerung von Streubesitzanteilen - die Begünstigungen sind im Prinzip dafür da, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden - aktuell wieder zur Diskussion gestellt werden;
({13})
denn dann wird da nicht investiert. Wir brauchen aber
gerade diese Investitionen in kleine, in junge Unternehmen; das ist notwendig.
({14})
Lieber Kollege Mattfeldt, ich habe noch drei Minuten
Redezeit, und deswegen werde ich noch ein bisschen zur
Energiepolitik sagen. Wir brauchen eine konsistente
Energiepolitik -
Einen Moment mal! Können wir einen Zeitabgleich
machen? Wo sollen die drei Minuten herkommen?
({0})
Wir brauchen eine konsistente Energiepolitik, die
dazu führt, dass wir sicher, zuverlässig und zu jeder Zeit
preiswert Energie zur Verfügung stellen können, die
selbstverständlich ökologisch sein sollte. - Prima, ich
kriege noch Redezeit.
Nein, nein. Nach Ablauf der Redezeit gibt es auch
keine Zwischenfragen.
({0})
Dann kann ich nur sagen: Wir werden an dieser Energiepolitik intensiv arbeiten.
Na also!
Ich gehe davon aus, dass wir das gemeinsam schaffen.
Vielen Dank.
({0})
Nun hat der Kollege Schlecht um eine Kurzintervention gebeten.
Herr Dr. Fuchs, Sie haben am Anfang Ihrer Rede ausgeführt, dass eine Vermögensteuer in Deutschland verfassungswidrig sei. Ich will Sie darauf hinweisen, dass
das eine alte Mär ist bzw. eine Schutzbehauptung von
Leuten, die befürchten, dass sie zur Steuerzahlung herangezogen werden.
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
besagt, dass zum Beispiel der sogenannte Halbteilungsgrundsatz, mit dem jahrelang argumentiert worden ist,
nicht gilt und dass er im Grunde genommen nie als Leitlinie für staatliches Handeln zu interpretieren war. Es
gibt also klare Vorgaben vonseiten des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Vermögensbesteuerung alleine
in den Händen der Politik liegt.
Bevor ich hier im Bundestag mein Mandat erworben
habe, war ich Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung
von Verdi
({0})
und habe renommierte Staatsrechtler beauftragt, Gutachten zu diesem Thema anzufertigen. Aus diesen Gutachten ging immer eindeutig hervor, dass die Politik die
Vermögensbesteuerung völlig frei gestalten kann. Vielleicht können Sie das in Zukunft einmal zur Kenntnis
nehmen und in Ihrer Argumentation berücksichtigen;
auch wenn Einzelne, möglicherweise auch Sie, eine Vermögensbesteuerung befürchten.
Danke schön.
Zur Erwiderung Herr Kollege Fuchs.
Erstens. Wir alle hier im Haus wissen - vielleicht die
Linke nicht; davon gehe ich aus -, dass eine Vermögensbesteuerung von Unternehmensbesitz, automatisch, weil
es sich um eine Substanzbesteuerung handelt, dazu führt,
dass die Unternehmen weniger investieren.
({0})
Das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, das sollten
Sie aber zur Kenntnis nehmen.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Halbteilungsgrundsatz aufgestellt. Den müssen Sie zur
Kenntnis nehmen, ob Sie das wollen oder nicht.
({1})
Es hat gesagt: Wenn jemand 50 Prozent Steuern zahlt,
dann ist das genug.
({2})
Auch ich bin der Meinung, dass damit genügend Steuer
erhoben ist. Ob Sie wollen oder nicht: Das müssen Sie
leider zur Kenntnis nehmen.
({3})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katharina Dröge für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel! Herr
Kollege Heil, ich bin noch neu im Bundestag. Deswegen
habe ich vielleicht noch die eine oder andere Illusion. So
habe ich mich tatsächlich gefragt, warum wir Grünen eigentlich immer die Einzigen sind, die Frauen in wirt6618
schaftspolitische Debatten schicken, auch in diese Debatte.
({0})
Durch Ihren Kommentar heute über Frau GöringEckardt habe ich allerdings einiges gelernt. Ich habe verstanden, was für ein Problem Sie und auch Ihre Partei
mit dem Thema „Frauen und Wirtschaftspolitik“ leider
immer noch haben.
({1})
Ich habe verstanden, warum Sie im Koalitionsausschuss
so ein Problem mit der Frauenquote in der Wirtschaft
hatten. Ich kann Ihnen nur raten: Tauschen Sie sich mit
Frau Göring-Eckardt über Wirtschaftspolitik aus. Angesichts Ihrer Rede habe ich den Eindruck: Da können Sie
noch das eine oder andere lernen.
({2})
Jetzt zu Ihnen, Herr Minister Gabriel. Auch von Ihnen
bin ich ein kleines bisschen enttäuscht - nicht, dass Sie
etwas für die Ansicht von Herrn Heil in Bezug auf die
Frauenquote könnten -: Sie haben leider Ihren Platz auf
der Redeliste mit Herrn Heil getauscht. Ich hatte eigentlich gehofft, Sie würden vor mir reden; denn es macht
mehr Spaß, Ihnen zu antworten als Herrn Heil.
({3})
Sie hätten vielleicht auch die eine oder andere Frage von
Frau Hajduk beantworten können.
({4})
- Die Sache spreche ich gerade an.
Herr Gabriel, Frau Hajduk hat Ihnen die eine oder andere Frage zum Freihandelsabkommen TTIP gestellt und
zu Ihrer Position in Bezug auf die Schiedsgerichte. Bei
der letzten Debatte, die wir hier zu TTIP und CETA geführt haben, haben Sie dem Parlament einiges versprochen. Sie lassen die Welt nun aber etwas im Unklaren
darüber, welche Position Sie vertreten. Wenn Sie vor mir
gesprochen hätten, wäre ich jetzt schlauer.
({5})
- Sie wissen es auch nicht, oder? - Ich hätte gerne gewusst, ob Herr Gabriel es geschafft hat, die Schiedsgerichte aus CETA herauszustreichen. Das wäre auch für
Ihre Partei interessant; denn Sie haben ja einen entsprechenden Parteitagsbeschluss gefasst, in dem drinsteht:
Rote Linien bei Schiedsgerichten im CETA.
({6})
Jetzt hat es Herr Gabriel anscheinend nicht geschafft,
die Schiedsgerichte aus CETA herauszuverhandeln.
({7})
Die relevante Frage für Sie von der SPD ist doch jetzt:
Wie gehen Sie mit Ihrem Parteitagsbeschluss um? Was
machen Sie denn jetzt, wenn es doch Schiedsgerichte im
CETA gibt? Es interessiert mich, was Herr Gabriel dazu
sagen wird. Sie haben ja gleich in Ihrer Rede 20 Minuten
Zeit, um darauf zu antworten.
({8})
Jetzt aber zu Ihrem Haushalt; das ist ja das eigentliche
Thema der Debatte. Herr Gabriel, ich muss Ihnen sagen:
Bei Ihrem Haushalt habe ich ein Déjà-vu. Ich habe Ihnen
schon öfter in Debatten gesagt, dass Sie mit Ihren Analysen durchaus richtig liegen. Das sehe ich auch hier bei
der Wirtschaftspolitik. Ich will durchaus anerkennen,
dass Sie sich darüber bewusst sind, dass mangelnde Investitionen in Deutschland ein Problem sind und dass die
europäische Wirtschaftspolitik gerade in einer Krise
steckt. Nur, mit dem Handeln klappt das irgendwie nicht
bei Ihnen. Sie schließen Bündnisse, Sie schreiben Konzepte, Sie gründen Kommissionen - das ist zwar alles
super, aber gute Analysen ersetzen eben noch keine gute
Politik. Ich muss sagen: Von guter Politik ist in Ihrem
Haushalt einfach nichts zu erkennen, trotz entsprechender Analysen und Rhetorik.
({9})
Nun frage ich mich - das ist vielleicht für Sie nicht
schön zu hören -: Wie fühlt man sich als Wirtschaftsminister, wenn man zwar in der Analyse immer richtig
lag, dann aber ausgerechnet der Finanzminister von der
CDU/CSU, der immer gesagt hat, für Investitionen sei
kein Geld vorhanden, auf einmal damit um die Ecke
kommt und im Haushalt 10 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellt? Wenn Sie das, was Sie analysiert haben, ernst nehmen, dann können Sie mit diesen
10 Milliarden Euro, die Herr Schäuble im Haushalt vorsieht, auf keinen Fall zufrieden sein. Denn diese 10 Milliarden Euro gibt es erst ab dem Jahr 2016 - das heißt,
sie wirken im nächsten Jahr noch nicht -, und sie werden
außerdem auf drei Jahre verteilt. Das ist kein ernsthaftes
Konzept für die Lage, in der wir uns aktuell befinden.
({10})
Ich möchte das nur noch einmal verdeutlichen. Wir
sprechen in Europa mittlerweile von einer ganzen verlorenen Generation, von jungen Erwachsenen, die seit fast
einem Jahrzehnt damit kämpfen, dass es in ihren Ländern keine Jobs für sie gibt, unabhängig davon, welche
Ausbildung sie gemacht haben und wie gut sie qualifiziert sind. Sie finden einfach nichts. Das sind Menschen,
die so alt sind wie ich und immer noch bei ihren Eltern
wohnen müssen. Ich hoffe, meine Eltern hören das jetzt
nicht oder verstehen es zumindest nicht falsch.
({11})
Aber es ist doch nicht schön, wenn man in diesem Alter
noch bei seinen Eltern wohnen muss.
({12})
Diese Situation darf es eigentlich nicht geben. Junge
Leute haben doch irgendwann auch ein Recht auf eine
eigene Wohnung und eine eigene Familie. Es klingt jetzt
vielleicht witzig, aber wir tragen dafür Verantwortung.
Auch hier in Deutschland tragen wir Verantwortung dafür, wie die Wirtschaftspolitik in Europa aussieht. Wir
müssen etwas gegen ungesund hohe Leistungsbilanzüberschüsse und zu geringe Investitionen unternehmen,
und die neuen Mittel für Investitionen - also die 10 Milliarden Euro verteilt auf drei Jahre - können wirklich
nicht die Antwort auf die Krise sein.
({13})
Vielleicht noch ein anderer Vergleich: 10 Milliarden
Euro, das ist etwa das Doppelte dessen, worauf uns das
Unternehmen Vattenfall gerade für den Atomausstieg
verklagt. Die Risiken, die wir mit dem Atomausstieg vor
internationalen Schiedsgerichten eingehen, betragen
nämlich 4,7 Milliarden Euro.
({14})
Das heißt, die Hälfte dessen, was wir möglicherweise für
Infrastruktur und Bildung ausgeben - wir wissen ja noch
nicht genau, wofür die Bundesregierung dieses Geld
ausgeben will -, haben wir jetzt als Risiken, weil es
diese internationalen Schiedsgerichte gibt. Aber genau
diese Schiedsgerichte wollen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, ja unbedingt in TTIP und
CETA aufnehmen. Die Vereinbarung zu den Schiedsgerichten bekommt Herr Gabriel anscheinend nicht aus den
Verträgen heraus.
Deshalb stellt sich schon die Frage, auch an Herrn
Schäuble als Finanzminister: Welche Risiken gehen Sie
da eigentlich ein, und das angesichts der Tatsache, dass
wir hier um jede Milliarde Euro streiten und dass Sie
kein Geld für den Breitbandausbau und für die Infrastruktur haben? Stattdessen sagen Sie so locker: Wir
nehmen diese Schiedsgerichte jetzt in verschiedenste
Handelsverträge auf. - So riskieren Sie dann, dass uns
internationale Konzerne auf Milliardenzahlungen verklagen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn Ihr Haushalt
so üppig gestrickt ist, Herr Schäuble, dann können Sie
tatsächlich noch etwas mehr Geld in die Hand nehmen,
und zwar für notwendige Investitionen.
({15})
Das Wort erhält nun der Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel.
({0})
Frau Kollegin Dröge, manchmal finden es auch Eltern
nötig, dass die Kinder endlich ausziehen.
({0})
Dass die Kinder noch bei den Eltern wohnen, ist nicht
nur bedauerlich für die Kinder, sondern manchmal auch
für die Eltern.
Ich wollte Ihnen, Frau Kollegin Dröge, aber noch einmal sagen, warum ich mich auf der Rednerliste habe
nach hinten setzen lassen. Ich wollte Ihrem Kollegen
Krischer, der ja immer spannende Reden hält, einmal die
Möglichkeit geben, dass ich auf ihn antworten kann;
denn dies ist die Stunde des Parlaments. Nun haben Sie
aber mit Herrn Krischer getauscht
({1})
und konnten daher nicht nach mir sprechen.
Die Haushaltsdebatte ist die Stunde des Parlaments,
und da ist es angemessen, dass Ministerinnen und Minister dem Parlament auf ihre Debatte antworten und nicht
vorweggehen. Das ist die Idee einer Haushaltsdebatte.
({2})
Ich bin ja auch schon einige Jahre Parlamentarier, und es
ist, wie ich finde, doch ganz spannend, wenn Sie als Abgeordnete etwas sagen und ein Minister wie ich muss
hinterher antworten.
({3})
Aber wenn man es, wie Ihr Kollege Krischer, lieber hat,
sicher zu sein, dass ihm keiner mehr antworten kann,
dann ist das kein Zeichen eines ausgesprochen großen
Selbstbewusstseins, meine Damen und Herren.
({4})
Nun zur Beantwortung Ihrer Fragen, Frau Kollegin
Hajduk und Frau Kollegin Dröge.
({5})
- Ich dachte, ich soll Ihre Fragen beantworten. Ich mache das gerne.
Frau Kollegin Dröge, die Antwort auf Ihre Frage, was
CETA angeht, habe ich Ihnen doch schon im Ausschuss
gegeben. Da haben Sie und die Kollegin Hajduk mich
doch schon einmal gefragt: Wie sieht es aus? Kriegen
Sie die Investitionsschutzklauseln aus dem Abkommen
raus? - Ich habe damals im Parlament wie auch noch
einmal im Haushaltsauschuss gesagt, dass ich davon
ausgehe, dass das mehr als schwierig ist und vermutlich
nicht klappen wird. Denn das Abkommen ist ausverhandelt.
Wir bemühen uns jetzt, die Investitionsschutzklauseln, die in CETA, dem europäisch-kanadischen Abkommen, enthalten sind, noch zu verbessern. Ich habe Ihnen
übrigens nicht nur gesagt, sondern auch geschrieben,
was der Gutachter dazu sagt; diesen können Sie übrigens
einladen. Er sagt, dass der Investitionsschutz im europäisch-kanadischen Abkommen so schwach sei, dass er
jedem kanadischen Unternehmen empfehlen würde, vor
der deutschen Gerichtsbarkeit zu klagen, weil die Aussicht, dort Entschädigungen zugesprochen zu bekommen
- vorausgesetzt, es gab einen entsprechenden entschädigungswürdigen Eingriff beispielsweise durch ein Gesetz -, wesentlich höher sei als vor einem Schiedsgericht.
Der Grund dafür ist, dass Kanada mit Schiedsgerichtsverfahren mit den Vereinigten Staaten schlechte
Erfahrungen gemacht hat und deshalb ein Interesse Kanadas bestand, diese Verfahren deutlich einzuschränken.
Das alles wissen Sie. Das alles steht im Gutachten. Es ist
überhaupt kein Problem für mich, zu wiederholen, dass
wir im Hinblick auf CETA am Ende vor der Frage stehen, ob unser Unwohlsein und die Kritik an dem
„Schweizer Käse“ des Investitionsschutzes - der Gutachter hat es so bezeichnet; so schwach findet er es - dafür ausreichen, dass Deutschland als alleiniges Land in
Europa den gesamten Prozess anhalten kann.
Sie werden sich als grüne Fraktion fragen müssen,
wie Sie als europäisch-orientierte Partei, die Sie ja sind,
mit Ihrer Position umgehen, wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Ich sage Ihnen: Deutschland wird
dem dann auch zustimmen. Das geht gar nicht anders.
({6})
Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk dazu eine
Zwischenfrage stellen?
Selbstverständlich.
Herr Minister, ich möchte da einmal nachfragen. Es
ist richtig, dass wir darüber bereits mehrfach gesprochen
haben. Ich finde aber, dass es das Kapitel Investitionsschutz aufgrund seiner Bedeutung wert ist, diskutiert zu
werden. Das hier ist also keine Schauveranstaltung, sondern eine sehr ernste Debatte. Sie wissen auch, welchen
Resonanzboden das in der Bevölkerung hat. Im Übrigen
ist das, was wir machen, nicht parteigebunden, sondern
es herrscht eine allgemeine Verunsicherung.
Sie haben damals im Ausschuss geantwortet, dass es
ganz schwer sei, Mitstreiter zu finden. Sie haben auch
gesagt, dass sich das besonders auf CETA bezieht. Ich
habe das so verstanden, dass es bei TTIP noch viel offener wird. Deswegen habe ich dahin gehend noch Nachfragen.
Sie haben im Ausschuss und öffentlich zu verstehen
gegeben, dass Sie davon überzeugt sind, dass solche Regelungen gar nicht nötig sind. Da die Meinung der deutschen Regierung mit Blick auf die Bewertung eines solchen Abkommens aber nicht unwesentlich ist, möchte
ich Sie fragen: Warum und aufgrund welcher Erkenntnis
sind Sie so sicher, dass Entschädigungsansprüche, die
sich aus mediativen Schiedsgerichtsverfahren ergeben,
definitiv keinen indirekten Druck auf Gebietskörperschaften ausüben können?
Es geht bei dieser Thematik nicht immer nur um die
Bundesrepublik. Es kann auch um eine Kommune gehen. In dem Fall würden sich internationale Großunternehmen und die Rechtsabteilung einer Kommune vor internationalen Schiedsgerichten gegenüberstehen. Warum
sind Sie so sicher, dass das, was Sie als Maßstab gesetzt
haben - kein Druck auf souveräne Entscheidungen nicht doch entsteht und dass sich die Schiedsgerichte
schwächer auswirken als der ordentliche Rechtsweg in
Deutschland? Da reicht mir kein gutachterliches Zitat.
Da muss doch eine Prüfung in Ihrem Haus stattgefunden
haben.
({0})
Antwort Nummer eins ist, dass wir in der Tat der festen Überzeugung sind, dass der Gutachter recht hat. Wir
reden jetzt über das Abkommen zwischen Kanada und
Europa und nicht über ein noch nicht existierendes Abkommen mit den USA. Der dort vorgesehene Investitionsschutz ist außerordentlich schwach. Der Gutachter
hat daher mit seiner Beurteilung recht.
Die Antwort Nummer zwei auf die Frage, wie die
Kommunen von CETA und dem Abkommen mit den
USA betroffen sind: Die öffentliche Daseinsvorsorge
- darauf beziehen sich ja die Sorgen der Kommunen ist von diesem Freihandelsabkommen ausgenommen.
Das heißt, der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge,
bei dem ja viele Sorgen haben, der Druck zur Privatisierung und zu einer weiteren Liberalisierung werde steigen, ist weder Bestandteil von CETA noch Bestandteil
des Abkommens mit den USA. Es ist vorgesehen, die öffentliche Daseinsvorsorge von den Verhandlungen mit
den Vereinigten Staaten auszunehmen.
({0})
- Ich bin sicher, dass unser Begriff von öffentlicher Daseinsvorsorge von diesem Abkommen ausgenommen
bleibt.
({1})
- Der deutsche Begriff, Herr Krischer, „öffentliche Daseinsvorsorge“ ist in Deutschland nichts Umstrittenes.
Dazu gehören Krankenhäuser, dazu gehört die Abwasserbeseitigung.
({2})
Eine Kommune darf übrigens privatisieren; aber sie wird
durch ein Freihandelsabkommen nicht dazu gezwungen,
es zu tun.
({3})
In der Öffentlichkeit wird so getan - Frau Hajduk, ich
meine nicht Sie persönlich, sondern andere -, als würde
ein Freihandelsabkommen in Deutschland oder in Europa
bestehende Gesetze verändern. Das ist bei keinem Freihandelsabkommen der Welt der Fall. Deutschland hat
130 Investitionsschutzabkommen geschlossen - übrigens
nicht unbedingt immer mit dem besten Investitionsschutz.
In all diesen Ländern gibt es amerikanische Konzerne.
Kein einziger dieser amerikanischen Konzerne hat versucht, über ein Schiedsgericht sozusagen deutsche Gesetze zu verändern. Es gibt gar keine Erfahrung, die den
Eindruck rechtfertigt, das könnte passieren.
({4})
- Mit Fragen ist es so: Wenn man eine Frage gestellt bekommt, muss man antworten, Herr Krischer. Deswegen
möchten Sie ja lieber nach mir reden und nicht vor mir.
Frau Hajduk, bereits die alte Bundesregierung hat in
Bezug auf die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten gesagt, dass sie ein Investitionsschutzabkommen
zwischen zwei entwickelten Rechtssystemen wie den
Vereinigten Staaten und Europa eigentlich nicht für notwendig hält. Die Antwort der Amerikaner ist relativ einfach - die der Europäer auch -: Es geht nicht um
Deutschland, sondern um Länder wie Rumänien und
Bulgarien, mit denen es amerikanische Investoren in Europa ebenfalls zu tun haben und bei denen auch Deutschland Schwierigkeiten hat, den Investitionsschutz für
seine Unternehmen sicherzustellen.
({5})
Es gibt ja durchaus Streitverfahren in erheblichem
Umfang über deutsche Investitionen in Mitgliedstaaten
der Europäischen Union, von denen wir nicht den Eindruck haben, dass sie mit dem Wettbewerbsrecht in der
EU oder mit den Regeln der WTO in Einklang zu bringen seien. Deswegen, finde ich, müssen wir als Deutsche
aufpassen, dass wir bei diesem Thema keine nationale
Bauchnabelschau betreiben. Ich bin deshalb dafür, dass
wir das alles öffentlich und in Ruhe debattieren.
Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, dass wir
beim kanadisch-europäischen Abkommen noch Verbesserungen erreichen werden. Aber der Rest Europas hält
die deutsche Debatte über das kanadisch-europäische
Abkommen für - wie soll ich das einmal freundlich ausdrücken? - bemerkenswert. Wir werden doch am Ende
vor der Frage stehen, ob die Sorgen, die wir haben und
die von keiner Regierung, die am Ende in den europäischen Räten abstimmen muss, geteilt werden, berechtigt
sind. Dabei ist es egal, ob Sozialdemokraten, ob Konservative oder ob Grüne wie in Schweden in der Regierung
sind; die schwedische Regierung ist absolut dafür, das zu
machen.
({6})
- Nein, Frau Kollegin, ich habe mit der niederländischen
Kollegin gesprochen. Sie ist der Überzeugung, dass man
CETA verabschieden muss.
Die Niederländer sind, weil sie uns Deutschen entgegenkommen wollen, so freundlich, zu sagen: Wir schauen
einmal, ob wir noch etwas verändern können. - Aber den
Glauben, wir hätten es im Kreuz, gegen den Rest Europas den Investitionsschutz komplett wieder aus den Verhandlungen herauszunehmen, den habe ich nicht.
({7})
- Das habe ich Ihnen schon beim letzten Mal im Parlament und auch im Ausschuss gesagt. Im Gegensatz zu
Ihnen finde ich, dass man darüber eine ganz rationale
und gelassene Debatte führen kann, weil das Abkommen
ein gutes Abkommen ist und wir noch einige Verbesserungen erreichen werden.
Sie als Grüne würden, wären Sie in der Regierung,
nicht auf die Idee kommen - da bin ich ganz sicher -,
Europa wegen dieses Abkommens anzuhalten. Ich
glaube nicht, dass Ihre Außen- und Europapolitiker das
machen würden. Auch wir werden es nicht machen.
({8})
- Nein, wir verhandeln weiter über CETA.
({9})
Herr Krischer, ich habe gar kein Problem damit, ausschließlich darüber zu reden. Wir reden mit unseren Kollegen über weitere Verbesserungen beim Investitionsschutz, auch beim europäisch-kanadischen Abkommen.
Ihre Frage und die Frage Ihrer Kollegin war aber, ob wir
den komplett herausbekommen. Meine Antwort ist:
Nein. Das habe ich Ihnen im Ausschuss gesagt, das habe
ich hier im Parlament gesagt, und das werde ich auch
meiner Partei sagen, die in Teilen eine andere Auffassung hat.
({10})
- Dazu brauchte man keine Klarstellung, weil ich Ihnen
das schon im Ausschuss gesagt habe. Dass Sie offensichtlich selbst keinen Weg wissen, wie man es herausbekommen könnte, zeigt sich daran, dass Sie ständig der
Aussage ausweichen, wie Sie sich gegenüber Ihren Partnern in Europa aufstellen wollen.
Herr Minister, Sie hatten freundlicherweise angeboten, dass Sie anstelle der vorbereiteten Rede dieses ja offenkundig wichtige Thema intensiv behandeln wollen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der Kollege Ernst würde gerne eine Frage stellen und
die Kollegin Dröge auch.
({0})
Dann unternehmen wir jetzt einmal den Versuch, die Regierungsbefragung in die Parlamentsdebatte zu integrieren, wenn Sie damit einverstanden sind.
({1})
Darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?
Aber gerne.
Bitte schön.
Drei Fragen hätte ich, Herr Minister.
({0})
- Das sind relativ kurze Fragen.
Erstens. Sie haben gerade Rumänien angesprochen.
Dass dort ein Investorenschutz notwendig wäre, ist Ihnen bekannt. In Rumänien leitet ein Mineralwasserhersteller zurzeit ein Schiedsverfahren ein, weil von der Regierung zugesagte Investitionen gekürzt wurden. Diese
Investitionen wurden allerdings gekürzt, weil Rumänien
jetzt Mitglied der Europäischen Union ist und diese Subventionen nicht den Regeln der Europäischen Union entsprechen. Die Politik, die wir in der Europäischen Union
betreiben, führt also dazu, dass die rumänische Regierung jetzt ein Schiedsverfahren am Hals hat, von dem sie
noch nicht weiß, wie es ausgeht.
Zweitens. Sie haben gerade gesagt, dass der Rest Europas eine andere Position vertritt. Ich glaube, man muss
überprüfen, wer das ist. Ich weiß, dass die Bürger in sehr
vielen Ländern eine ganz andere Auffassung haben als
diejenigen, mit denen Sie vielleicht sprechen.
({1})
In diesen Ländern findet dieselbe Debatte statt wie in
Deutschland. Wenn wir über den „Rest Europas“ reden,
müssen wir, glaube ich, auch die Frage klären, warum
die Europäische Union ein Bürgerbegehren ablehnt, mit
dem der Einfluss der Bürger hinsichtlich dieser Fragen
ein wenig manifestiert werden könnte. Das ist Fakt: Die
Europäische Union lehnt dieses Bürgerbegehren ab.
Drittens. Sie haben gesagt, die öffentliche Daseinsvorsorge sei ausgenommen. Sie haben in diesem Zusammenhang auch vom Abwasser geredet. Das CETAAbkommen beinhaltet ausdrücklich - das habe ich überprüft - das Problem des Abwassers, das die Kommunen
betrifft, nämlich im Anhang II. Es gibt zwei verschiedene Anhänge: Der eine beschäftigt sich mit dem Thema
Wasser, der andere mit dem Thema Abwasser. Das Abwasser ist also drin. Momentan wird die Daseinsvorsorge in diesen Abkommen also keinesfalls so definiert,
wie Sie das vielleicht möchten.
Ein letzter Punkt: der Parteitagsbeschluss. Ich habe
den Eindruck, dass wir zurzeit etwas Merkwürdiges erleben: Wir haben einen Parteitagsbeschluss Ihrer Partei.
Den Inhalt dieses Beschlusses haben wir hier zur Abstimmung gestellt. Sie haben nicht zugestimmt, sondern
gesagt: Das machen wir alles schon. - Jetzt stellen wir
aber fest, dass es offensichtlich in eine andere Richtung
geht. Offensichtlich läuft es auf eine Zustimmung zu
diesen Abkommen hinaus, obwohl man den Investorenschutz nicht herausbekommen hat.
({2})
Täuscht mich der Eindruck, oder täuscht er mich nicht?
Natürlich täuscht er Sie. - Erstens. Sie haben sich damals ja gerade nicht getraut, den Antrag zur Abstimmung zu stellen. Das hätte ich sehr begrüßt; aber das haben Sie sich nicht getraut, weil der Antrag am Anfang
- dieser Text wurde gemeinsam mit den Gewerkschaften
verabschiedet - die Freihandelsabkommen als etwas
Richtiges bezeichnet. Sie haben sich nicht getraut, diesen Antrag hier zur Abstimmung zu stellen, weil er am
Anfang eine positive Beurteilung von Freihandelsabkommen enthält. Deswegen haben Sie sich das damals
nicht getraut. Das ist Ihr Problem, nicht meins.
({0})
- Lesen Sie einmal Ihre Anträge nach. Ich habe halt ein
ganz gutes Gedächtnis.
Zweitens. Beim Thema Daseinsvorsorge bzw. Abwasser, das Sie angesprochen haben, geht es um folgende Frage: Darf es einen Marktzugang für kanadische
Unternehmen in Deutschland und umgekehrt geben?
Das wird dort geregelt. Dort wird nicht geregelt, dass es
einen irgendwie gearteten Zwang zur Privatisierung gibt.
Das Recht der Kommunen, zu sagen: „Wir wollen die
Abwasserbeseitigung oder die Wasserversorgung in unserer Hoheit behalten“, wird davon überhaupt nicht tangiert.
({1})
Ständig wird der Versuch unternommen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
({2})
Unsere Unternehmen, auch unsere Wasserversorgungsunternehmen, haben im Zweifel ein Interesse,
Marktzugangsmöglichkeiten in anderen Teilen der Welt
zu bekommen. Im Gegenzug sagen wir: Wenn bei uns
jemand die Abwasserbeseitigung oder Wasserversorgung privatisiert - das gibt es in Deutschland durchaus,
und zwar auf freiwilliger Basis, ohne Zwang -, dann
muss es auch möglich sein, dass sich Unternehmen aus
anderen Ländern darum bewerben, wie das übrigens
heute in der Europäischen Union schon der Fall ist.
Gucken Sie sich einmal an, wo in Deutschland Lyonnaise des Eaux oder Générale des Eaux in den letzten
Jahren überall tätig waren. Ich will gar nicht bewerten,
ob das gut oder schlecht ist. Es geht lediglich darum:
Wenn sich eine Kommune das Recht herausnimmt,
selbst zu entscheiden, was sie mit ihrer Wasserversorgung und Abwasserentsorgung tut, dann darf keine Diskriminierung ausländischer Unternehmen erfolgen. Das
ist Gegenstand von Freihandelsabkommen. Sie versuchen, den Eindruck zu erzeugen - vielleicht haben Sie
diesen Eindruck ja auch -, dass es einen Zwang zur Privatisierung gibt, dass Kommunen unter Druck gesetzt
werden und dass jemand klagen könnte, wenn eine
Kommune sagt: Ich privatisiere aber nicht. - Das ist absoluter Unfug. Das steht da nirgendwo drin.
({3})
Mit meinem Hinweis darauf, dass die Amerikaner
nicht nur Interesse an Deutschland haben, sondern ein
Abkommen mit Europa schließen, wollte ich deutlich
machen, dass wir als Deutsche erhebliche Schwierigkeiten mit einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union
haben, weil diese ihre Gesetze, sagen wir einmal, in
höchst kreativer Form, wenn es zu wechselnden politischen Mehrheiten kommt, so ändern, dass deutsche Investoren, obwohl sie schon investiert haben, ihre Investition nicht zu Ende führen können. Das verstößt gegen
die Regeln des europäischen Binnenmarktes. Wir versuchen, das nicht über Schiedsgerichte zu lösen. Manchmal aber ist ein Schiedsgericht am Ende die einzige
Möglichkeit, sich zu vergleichen; auch das gehört dazu.
Darauf wollte ich hinweisen.
Ich bitte darum, dass wir so vorgehen, wie es die Kollegin Hajduk tut. Wir müssen versuchen, rational abzuschichten: Wo gibt es berechtigte Sorgen, und wie können wir sie beheben? Wir dürfen aber nicht so tun, als
würden unsere gesetzlichen Standards durch Freihandelsabkommen mit Investitionsschutz bedroht. Seit es
Investitionsschutzabkommen gibt - Deutschland hat,
wie gesagt, schon 130 solcher Abkommen geschlossen -,
ist so etwas nicht eingetreten.
Jetzt will ich noch etwas zu der Asien-Debatte sagen.
Wissen Sie - das ist auch an den Kollegen Ernst gerichtet -, es geht nicht um die Frage, wie viel Prozent Wirtschaftswachstum dadurch entstehen. Ich halte das alles
für Voodoo-Ökonomie, sowohl die Aussagen derer, die
ein gigantisches Wirtschaftswachstum prognostizieren,
als auch derer, die sagen, dass das nur zu ganz wenig
Wachstum führen wird; denn kein Mensch kann vorhersagen, wie sich das entwickelt. Aber eines ist klar: Koppeln wir uns zum Beispiel von den asiatischen Ländern
ab, wenn diese Freihandelsabkommen schließen, auch
mit den USA, sind wir als Europäer außen vor. Dann allerdings ist das für eine Exportnation wie Deutschland
eine mittlere Katastrophe. Darum geht es doch.
({4})
Wir waren gerade zusammen dort. Diese Länder sagen: Das 21. Jahrhundert ist ein pazifisches - eigentlich
meinen sie: ein asiatisches - Jahrhundert. - Ich vermute,
da ist etwas dran. Jetzt geht es um die Frage: Haben wir
als Europäer, als Deutsche eigentlich noch Anschluss an
diese Region, oder sagen wir: „Wir sind uns selbst genug“? Das ist die eigentliche Debatte, die wir führen
müssen. Wer an sozialen, ökologischen und Nachhaltigkeitsstandards im Welthandel interessiert ist, dem muss
doch klar sein, dass wir diese eher mit den Vereinigten
Staaten hinbekommen als mit China. Wenn die Vereinigten Staaten eines Tages ein Abkommen mit China schließen, dann werden wir uns diesen Standards anpassen
müssen.
Europa wird möglicherweise das letzte Mal die
Chance haben, in einem Abkommen zwischen den beiden derzeit noch größten Handelsregionen der Welt
Standards für den Welthandel zu beschließen. Sie werden nicht so sein, dass Linke, Sozialdemokraten, Grüne
und vielleicht auch Konservative dann sagen: Jetzt ist alles in Ordnung. - Sie werden nicht optimal in unserem
politischen Sinne sein. Aber sie werden allemal besser
sein als alles, was Amerika und China aufschreiben würden. Es geht um die Frage: Müssen wir uns bzw. müssen
sich unsere Kinder diesen Handelsabkommen anpassen,
oder haben wir die Chance, gemeinsam mit den Amerikanern Standards zu vereinbaren, denen sich andere anpassen müssen? Das ist die politische Frage, um die es
geht.
({5})
Noch einmal: Jeder von uns, der hier sitzt, weiß doch,
dass sich Veränderungen zum Besseren Schritt für
Schritt ergeben. Wir werden keine Handelsabkommen
schließen, die für alle, die hier im Parlament sitzen, und
für die gesamte Öffentlichkeit optimal sind. Wir müssen
es aber schaffen, in unserem Land eine aufgeklärte Diskussion zu führen. Monatelang hat Deutschland über ein
Chlorhuhn debattiert,
({6})
das gar nicht Gegenstand dieses Handelsabkommens ist.
({7})
Es wird so getan, als könnten diesem Handelsabkommen
zufolge gentechnisch veränderte Nahrungsmittel nach
Europa geschickt werden, obwohl selbst EU-Kommissar
Herr De Gucht nachweisen kann, dass dies nicht Gegenstand des Handelsabkommens ist.
Besuchen Sie einmal Opel in Rüsselsheim. Wenn Sie
dort sind, sehen Sie: Im Eingangsbereich steht ein kleines Auto. Man versucht gerade, es in die USA zu exportieren. Am Beispiel dieses Autos hat Opel einmal geschildert, was sie alles ändern müssen - vom Blinker
über die Scheinwerfer, die Frontlänge und die Decke bis
hin zur Heckklappe -, um dieses kleine Auto in den Ver6624
einigten Staaten verkaufen zu können. Ich glaube, die
Veränderung der Fertigungslinie, um das möglich zu machen, kostet 150 Millionen Euro. Das ist das Thema,
über das wir reden!
Mein dringender Rat an uns alle ist, dass wir das nicht
im Klein-Klein debattieren, sondern dass wir uns darüber im Klaren sind, dass, wenn wir uns von den Weltmärkten abkoppeln, dies am Ende viele Hunderttausend
Menschen in Deutschland ihren Job kosten wird - nicht
die im öffentlichen Dienst und nicht die, die im Parlament sitzen; aber Facharbeiter und Angestellte in
Deutschland werden das am Ende bezahlen müssen.
({8})
Herr Minister, darf denn die Frau Dröge jetzt noch
ihre Zwischenfrage stellen?
Ja.
Herr Minister, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage noch zulassen. - Ich hatte mich eben noch zu der
Debatte über die Schiedsgerichte gemeldet, weil auch
ich, ähnlich wie Sie, ein gutes Gedächtnis habe.
Am 25. September 2014 haben wir hier im Parlament
miteinander über CETA und die Schiedsgerichte diskutiert. Damals lag Ihr Gutachten schon vor; wir hatten das
gelesen. Unser Gegengutachten liegt ebenfalls vor - Sie
haben das hoffentlich auch gelesen -, weshalb wir weiterhin der Meinung sind, dass es hochproblematisch ist,
wenn Schiedsgerichte Teil von CETA sind.
Aber ich habe eine konkrete Frage an Sie. Darauf sind
Sie bei Ihrer Antwort auf die Zwischenfrage von Frau
Hajduk auch nicht eingegangen, sondern Sie haben nur
den Anschein erweckt, als würde das, was Sie hier im
Parlament erzählen, in einer zusammenhängenden und
logischen Reihenfolge stehen. In der angesprochenen
Debatte haben Sie aber gesagt:
Insofern sind die Dinge, die wir mit dem DGB verabredet haben, für mich in der Tat verbindliche
Leitlinien …
Das haben Sie hier im Parlament gesagt: „verbindliche
Leitlinien“. Wenn man diese verbindlichen Leitlinien
liest, findet man darin:
In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren
… abzulehnen.
Auch das haben Sie am 25. September 2014 hier im Parlament versprochen.
Damals gab es Ihr Rechtsgutachten schon, und Sie haben nicht gesagt, dass Sie der Ansicht sind, dass nur
vielleicht noch einzelne Teile nachzuverhandeln sind,
was Sie im Moment in Brüssel tun, wie ich wahrnehme,
und nicht über das gesamte ISDS zu verhandeln ist. Sie
haben auch nicht so klar, wie Sie das jetzt getan haben,
gesagt, dass die SPD CETA am Ende zustimmen wird,
wenn ISDS Teil des Abkommens ist, sondern Sie haben
den Anschein erweckt - so muss ich Ihr Zitat verstehen -,
dass Sie CETA ablehnen werden, wenn ISDS nicht herausgenommen wird.
Deswegen ist meine konkrete Frage an Sie: Ist das
jetzt verbindlich? Gilt das, was Sie uns am 25. September 2014 im Deutschen Bundestag gesagt haben, nicht
mehr?
Bei meiner zweiten Frage geht es um die öffentliche
Daseinsvorsorge. Sie haben jetzt gesagt, sie sei nicht
mehr Bestandteil von TTIP. Wenn man sich das TTIPMandat aber durchliest, dann sieht man, dass nur die
Public Utilities aus den Verhandlungen ausgeklammert
werden. Gemäß der Definition von Public Utilities geht
es nur um die öffentliche Daseinsvorsorge, die nicht im
Wettbewerb mit Kommerziellen steht. Es geht hier also
im Kern um die Polizei, die Justiz und die öffentliche
Verwaltung.
Unsere europäische Definition von öffentlicher Daseinsvorsorge entspricht eben nicht dieser Definition von
Public Utilities. Im TTIP-Mandat ist diesbezüglich keine
Klarstellung vorgenommen worden, weshalb nach unserer Rechtsauffassung ein großer Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht aus den TTIP-Verhandlungen ausgeklammert ist.
Meine Frage an Sie ist: Wie kommen Sie zu Ihrer
Rechtsauffassung?
({0})
Erstens ging es bei der Debatte mit dem Kollegen
Ernst um das europäisch-kanadische Abkommen. Darüber haben wir eben geredet.
({0})
- Ich habe auf die Frage von Herrn Claus geantwortet,
Frau Kollegin.
({1})
- Ernst. Dass ich euch immer verwechsle!
({2})
Ich hoffe, es ist für keinen von Ihnen ein Problem. - Ich
habe auf die Frage des Kollegen Ernst geantwortet, der
über das europäisch-kanadische Abkommen geredet hat.
Zu TTIP gibt es noch gar keine Verhandlungsergebnisse.
In der Tat bin ich der festen Überzeugung, dass es bei
TTIP um Marktzugänge gehen wird und nicht um den
Zwang zur Privatisierung im Bereich der öffentlichen
Daseinsvorsorge. Das haben uns die Verhandler, die in
Brüssel für die Europäische Union verhandeln, übrigens
auch mehrfach bestätigt. Deswegen sehe ich keinen
Grund, meine Auffassung dazu zu ändern.
Zweitens. Sie haben völlig korrekt zitiert, dass das
Leitlinien für mein Handeln sind. Was tue ich also? Ich
versuche, zu klären, was von den 14 Punkten, die darin
stehen, umsetzbar ist und was nicht. Am Ende muss man
sich dann entscheiden, ob die Dinge, die man nicht geschafft hat, im Vergleich zu den Dingen, die man geschafft hat, so schwerwiegend sind, dass man das ganze
Abkommen ablehnen muss, oder ob man glaubt, dass
das, was man durchsetzen konnte, ausreicht, um zu
rechtfertigen, dass man das Abkommen, obwohl man
vielleicht nicht alles hinbekommen hat, nicht ablehnt.
Ich glaube, dass diese Lehre in Ihrer Partei schon längst
gezogen wurde.
({3})
- Ich wollte nicht auf Herrn Kretschmann abheben. Ich
glaube, dass das bei den Grünen alle so sehen. - Es ist
absolut klar: Wir versuchen, so zu verhandeln, dass die
Gefahren durch den Investitionsschutz, die Frau Hajduk
beschrieben hat, nicht eintreten. Ich glaube, dass wir das
auch schaffen. Bei den Verhandlungen zu CETA ist das
viel einfacher als bei TTIP. Bei den Verhandlungen zu
TTIP ist das noch offen. Bei CETA sind die jetzigen Regelungen schon schwach. Wir werden versuchen, dieses
Abkommen noch besser zu machen: durch Regeln zu
Appellationsgerichten, durch die Frage, wie die Richter
berufen werden, durch die Entscheidung, dass man nur
den einen oder den anderen Weg gehen kann und nicht,
nachdem man auf nationaler Ebene gescheitert ist, noch
ein Schiedsgericht anrufen kann.
Mein Eindruck ist, dass in Europa schon jetzt nicht
viele bereit sind, in dieser Frage, selbst bei den Verbesserungen, mitzumachen. Dann werden Sie und wir entscheiden müssen - auch meine Partei wird darüber entscheiden müssen -, ob Sie glauben, ein europäischkanadisches Abkommen, bei dem es nicht gelungen ist,
den gesamten Investitionsschutz herauszunehmen, stoppen zu müssen, weil Sie der Überzeugung sind, dass
deutsche Sorgen wichtiger sind als das, was der Rest
Europas für sich und seine wirtschaftliche Entwicklung
für sinnvoll und nötig hält. Dabei rate ich zu etwas weniger deutscher Nabelschau. Das ist mein Rat an uns alle.
Deswegen bin ich bei dem, was ich tue, mit mir im Reinen.
Ich hätte übrigens auf die Frage Ihrer Kollegin
Hajduk viel einfacher antworten können. Sie hat mich
nämlich nur gefragt, ob ich etwas dafür tue, der Gefahr,
dass ein Parlament erpresst wird, entgegenzutreten. Ich
hätte sagen können: Natürlich tun wir das. - Ich hätte allen konkreten Aussagen zu CETA und TTIP aus dem
Weg gehen können. Glauben Sie mir: Ich bin sprachlich
und auch sprecherisch dazu in der Lage.
Ich habe das absichtlich nicht gemacht, weil ich dafür
bin, dass wir rational über diese Fragen reden, und weil
ich es richtig finde, dass das Parlament, Frau Hajduk, darüber debattiert. Aber bitte seien Sie sachbezogen, und
halten Sie sich an Tatsachen! Wir reden über keine Kleinigkeit. Wenn wir das hier falsch machen, dann werden
uns unsere Kinder und Enkel aufgrund unserer ängstlichen und ideologischen Debatte in Deutschland verfluchen; das sage ich Ihnen.
({4})
Frau Kollegin, Sie haben noch eine Frage gestellt. Sie
haben gefragt, warum die 10 Milliarden Euro - auch
Frau Hajduk hat das freundlich angesprochen -, die Herr
Schäuble zur Verfügung stellt, nichts bringen. Darauf
will ich Ihnen antworten: Unter anderem führt dieses
Geld dazu, dass wir am 3. Dezember dieses Jahres im
Kabinett ein Energieeffizienzprogramm beschließen
können, mit dem endlich das Thema Energieeffizienz
klar aufgegriffen wird, und dass wir allein bis 2018 für
diesen Bereich zusätzlich rund 1,2 Milliarden Euro erhalten.
({5})
- Für die nächsten Jahre stehen dafür im Haushalt des
Finanzministers 7 Milliarden Euro bereit. Darin steht,
wie ich glaube, eine sehr allgemeine Bemerkung dazu,
für welche Bereiche das Geld genutzt werden soll. Unter
anderem steht darin, glaube ich, das Thema Energieeffizienz. Ich habe Ihrer Kollegin Hajduk im Haushaltsausschuss wahrheitsgemäß gesagt, dass ich beim Tagesordnungspunkt Bereinigungssitzung noch nicht in der Lage
war, Ihnen dazu abschließend etwas zu sagen. Die Koalition hat sich vor zwei Tagen über dieses Thema verständigt. Gott sei Dank, Frau Hajduk - darüber sollten wir
uns freuen -, bietet das 10-Milliarden-Euro-Programm
die Möglichkeit, endlich mehr für Energieeffizienz zu
tun.
({6})
- Mensch, Herr Krischer, Sie hätten doch vor mir reden
können. Dann hätte ich Ihnen auch noch geantwortet.
Dazu hatten Sie keinen Mumm. Nun machen Sie nicht
ständig Zwischenrufe.
({7})
Frau Hajduk, ich finde, Sie haben vorhin eine absolut
zutreffende Bemerkung gemacht. Sie haben gesagt: Das
ist ein klassisches Investitionsprogramm. - Genau so ist
es. Mit den Mitteln von Herrn Schäuble für die Energieeffizienz hebeln wir erhebliche private Investitionen.
({8})
- Was heißt, wir wachen langsam auf? Das ist nun wirklich keine ganz neue Erfindung: Das am besten laufende
Programm in der Konjunkturkrise war das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Das hat damals auch die Große
Koalition gemacht.
({9})
Frau Hajduk, die Wahrheit ist doch, dass die Unionsfraktion und die FDP bereits in der letzten Legislaturperiode versucht haben,
({10})
dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm hinzubekommen,
({11})
und dass die Länder aufgrund der zu erwartenden Steuerausfälle erklärt haben, dass sie nicht mitmachen würden. Das ist doch die Wahrheit.
({12})
- Ich finde, es ist gar nicht so schlimm, im Parlament die
Wahrheit zu sagen, Frau Hajduk. Das kann man gefahrlos machen.
({13})
- Nein. Der Punkt ist doch, dass auch die rot-grün regierten Länder das damals abgelehnt haben. Auch die
Grünen haben es abgelehnt.
({14})
Wir machen es jetzt dadurch möglich, dass wir einen
Vorschlag haben, wie wir in diesem Fall die steuerliche
Absetzbarkeit von Gebäudesanierungsprogrammen für
die Länder und Kommunen kostenneutral gestalten können. Darauf bezieht sich unser Vorschlag. Deswegen
hoffen wir, dass wir mit Unterstützung der Grünen und
der Sozialdemokraten im Bundesrat eine Mehrheit für
dieses Programm bekommen. Die Möglichkeit, das zu
tun, hat uns Herr Schäuble gegeben. Sie haben gesagt, es
sei schlimm, dass der für Investitionen zuständige Wirtschaftsminister es dem Finanzminister überlässt, das
Geld dafür aufzutreiben. Das ist aber, ehrlich gesagt,
sein Job, und ich bin ihm dafür dankbar, dass er ihn gut
erledigt hat.
({15})
Deswegen werden wir beim Energieeffizienzprogramm
endlich etwas machen.
Das größte Investitionsprogramm ist übrigens, dass
diese Bundesregierung die Absicht hat - und wir wollen
das jetzt noch etwas verstärken -, bis zum Ende der
Wahlperiode die Städte und Gemeinden um insgesamt
10 Milliarden Euro zu entlasten. 4,5 Milliarden Euro haben wir in diesem Jahr erreicht, übrigens durch die Verabredung der letzten Bundesregierung im Vermittlungsausschuss. Nachts um vier, als alle müde waren - Grüne
und FDP waren schon nach Hause gegangen -, haben
Herr Kauder und ich gesagt: Jetzt machen wir es. - So ist
das im Vermittlungsausschuss: Wer zu früh müde wird,
verliert.
({16})
- Das hat ja keiner gehört, Herr Kauder. - Dadurch haben wir eine Entlastung um 4,5 Milliarden Euro erreicht.
Jetzt wollen wir bis zum Ende der Wahlperiode mit
dem Teilhabegesetz noch einmal das Gleiche schaffen.
Das ist das größte Investitionsprogramm, das man
durchführen kann. Denn mehr als 50 Prozent der öffentlichen Investitionen werden durch die Städte und Gemeinden aufgebracht, und sie können das häufig nicht
mehr, weil ihre Finanzkraft nicht ausreicht. Diese Regierung verbessert die Finanzkraft der Kommunen. Das ist
ein Investitionsprogramm.
({17})
Ich hoffe übrigens sehr, dass sich Bund und Länder in
der Debatte über die Flüchtlingshilfe darauf einigen, die
Kommunen weiter zu unterstützen; denn ich habe Angst
davor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen sonst mit anderen öffentlichen Aufgaben, zum Beispiel Sanierungsvorhaben für Schulen, Kindergärten, Freibäder und anderes, in Konflikt gerät. Den politischen Sprengstoff
dürfen wir nicht zulassen. Es darf nicht sein, dass wir die
Kommunen mit den Flüchtlingsfragen alleine lassen und
es am Ende zu solchen Konstellationen kommt.
({18})
Denn wir werden in Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen. Das tun wir bereits, und ich hoffe, dass sich
Bund und Länder in dem Punkt einigen, weil wir nicht
nach dem Motto „Den Letzten beißen die Hunde“ handeln dürfen.
({19})
Weil wir über viele Themen gesprochen und auch viel
über TTIP diskutiert haben, bin ich noch nicht zum
Haushalt des Wirtschaftsministeriums gekommen. Ich
will nur noch einmal bestätigen, was Herr Fuchs und andere bereits gesagt haben. Wir hatten im letzten Jahr
0,1 Prozent Wachstum. Im Jahr davor waren es 0,4 Prozent. Jetzt haben wir 1,2 Prozent Wachstum. Da kann
man wirklich nicht behaupten, wir seien auf dem Weg in
die Krise.
Wir haben 325 000 neue Arbeitsplätze in diesem Jahr,
übrigens fast alle sozialversicherungspflichtig. Wir haben den Höchststand bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erreicht. Wir haben zum ersten Mal
seit langer Zeit - wir beide streiten immer darüber, Herr
Schlecht - steigende Reallöhne. Das hat etwas mit den
Tarifabschlüssen zu tun, aber auch mit dem Mindestlohn.
({20})
Ich finde übrigens, dass die Bundeskanzlerin gestern
einen ganz wichtigen Satz gesagt hat.
({21})
- Nein, mehrere Sätze. - Sie hat zum Beispiel gesagt,
Frau Kollegin Lötzsch: Nichts rechtfertigt die AggresBundesminister Sigmar Gabriel
sion gegenüber der Ukraine und das Annektieren der
Krim. - Aber niemand von Ihnen hat geklatscht. Ich
habe das genau gesehen. Man muss ja nicht immer klatschen, wenn die Regierungschefin einer anderen Fraktion redet, aber bei der Aussage wäre es gut gewesen,
wenn Sie mitgeklatscht hätten.
({22})
Sie hat gestern auch gesagt: Man darf nicht Wirtschafts- und Sozialpolitik gegeneinander ausspielen. Das finde ich richtig. Der Mindestlohn ist doch kein
Wahlgeschenk, wie es manche darstellen. Wir wollen,
dass Leute, die den ganzen Tag arbeiten gehen, nicht am
Ende des Monats zum Sozialamt gehen müssen. Einer,
der arbeiten geht, muss mehr haben als einer, der nicht
arbeiten geht.
({23})
Das ist der Sinn des Mindestlohns. Das ist kein Wahlgeschenk. Das ist eine hart erarbeitete Leistung.
Auch in der Debatte über die Rente geht es nicht um
ein Wahlgeschenk. Es gibt keine Rente mit 63. Es gibt
eine Rente nach 45 Versicherungsjahren. Dann darf man
mit 63 ohne Abschläge gehen. Bei manchen von denen,
die das kritisieren, würde ich mir wünschen, sie müssten
selbst nach dieser langen Zeit der Erwerbstätigkeit mit
der Rente klarkommen, die die Menschen, die so lange
gearbeitet haben, heute im Schnitt bekommen.
({24})
Ein bisschen mehr Demut gegenüber denen, die in diesem Land arbeiten und dafür manchmal nicht allzu viel
Geld bekommen, würde ich mir in der Diskussion wünschen; denn dieses Land lebt von dem Versprechen: Wer
sich anstrengt, der hat etwas davon. - Das ist der Grund,
warum Deutschland seit 1945 diesen Aufschwung genommen hat. Das ist der Grund: Leistung soll sich nicht
nur für einige wenige, sondern für alle lohnen. „Wohlstand für alle“ war Erhards Credo, und das ist der Grund,
warum wir die beiden Dinge nicht auseinanderrücken
können.
Übrigens: Auch die Frauenquote ist doch keine Belastung für die Wirtschaft.
({25})
Jedes Jahr gibt es unter den jungen Frauen mehr und
bessere Schulabschlüsse, und jedes Jahr gibt es unter den
jungen Frauen mehr und bessere Studienabschlüsse.
Trotzdem tauchen diese Frauen in den Spitzenstellungen
der Wirtschaft nicht auf. Das ist nicht nur ungerecht;
selbst der größte Chauvi
({26})
muss doch erkennen, dass es ökonomischer Wahnsinn
ist, auf die gut ausgebildeten Frauen in den Spitzenstellungen von Staat und Gesellschaft in diesem Land zu
verzichten.
({27})
Der Sinn der Frauenquote ist doch nicht, ein paar
Frauen in Spitzenpositionen zu bekommen, sondern der
Sinn der Frauenquote ist, dass in den Führungsetagen
der deutschen Wirtschaft die Alltags- und Lebensrealität,
die Berufswege von Frauen endlich in den Blick genommen werden,
({28})
weil Männer diese anders beurteilen als Frauen und weil
Frauen möglicherweise - das ist die Hoffnung bei der
Frauenquote - dann in ihren Unternehmen dafür sorgen,
dass der Berufs- und Karriereweg von Frauen - im
Zweifel mit Kindern und Familie - eine bessere Begleitung erfährt, als das unter dem Blickwinkel der Männer
der Fall ist.
({29})
Das ist der Sinn der Frauenquote. Sie wird der Wirtschaft helfen, sie wird dem Land helfen. Wir können
doch nicht über Fachkräftemangel reden, aber nichts dagegen tun, dass junge, gut ausgebildete Frauen ihren Berufs- und Karriereweg nicht machen können.
({30})
Deswegen ist die Frauenquote keine Belastung, sondern
ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung.
Ich glaube deshalb, dass wir mit all dem, was wir tun,
dem folgen sollten, was die Kanzlerin gestern in ihrer
Rede gesagt hat: Wir dürfen Wirtschaft und soziale Fragen in Deutschland nicht gegeneinanderstellen, sondern
müssen sie miteinander verbinden.
Trotzdem steht Deutschland vor großen Herausforderungen: in der Energiepolitik, bei den Fachkräften, in der
Investitionspolitik. Übrigens: Auch wenn wir 3 Prozent
Wirtschaftswachstum hätten, müssten wir etwas dagegen
tun, dass die energieintensive Industrie das Land verlässt
- durch Desinvestitionen -, weil wir zu hohe Energiekosten für diesen Bereich haben. Es darf uns aber nicht
egal sein, ob die Grundstoffindustrie in unserem Land
weiter existieren kann; denn sie ist verantwortlich für
zentrale Wertschöpfungsketten in diesem Land. Wenn
jetzt selbst angeblich aufgeklärte Magazine in Deutschland von einer schützenden Hand reden, die wir über
Stahlkocher halten würden, will ich sagen: Das sind Arbeitsplätze, die da sind, damit wir dort das Geld verdienen, das wir brauchen, um es auch in Ökologie und
Soziales investieren zu können. Darum geht es in
Deutschland.
({31})
Herr Minister - 6628
Ich komme zum Schluss. - Ich bedanke mich für Ihre
Geduld. Ich wollte wenigstens am Ende noch den Eindruck vermitteln, dass es nicht so ist, dass ich glaube, alles sei gut, sondern ich meine, dass wir eine Menge Herausforderungen vor uns haben und es keineswegs so ist,
dass wir die alle schon bewältigt hätten. Aber es macht
halt auch keinen Sinn, das Land irgendwie in die Krise
hineinzureden, und es macht keinen Sinn, zu glauben,
wenn man auf den deutschen Bauchnabel schaut, könnte
man sich irgendwie noch vernünftig bewegen in einer
sich völlig verändernden Welt.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({0})
Bevor der Kollege Schlecht, der sich an der dazu vorgesehenen Stelle bereits aufgebaut hat, das Wort erhält,
will ich noch eine geschäftsleitende Bemerkung machen:
Ich habe natürlich gesehen, dass es zwischendurch noch
weitere Wünsche zu Zwischenfragen gab. Wir haben
aber - wie ich finde, vernünftigerweise - die Gelegenheit genutzt, Fragen, die uns besonders beschäftigen,
unabhängig von der Vorbereitung des Ministers in den
Mittelpunkt dieser unmittelbaren parlamentarischen
Aussprache zu stellen - mit dem Effekt, dass die Redezeit des Ministers mehr als verdoppelt worden ist.
({0})
- Ich fand das ja auch sehr vernünftig; wir haben nur
vorher einen Beschluss zur Dauer der Debatte gefasst,
der mit dieser unserer eigenen Handhabung natürlich in
einen immer stärkeren Konflikt geraten ist. Deswegen
bitte ich um Verständnis dafür, dass ich mit Rücksicht
auf andere Tagesordnungspunkte, die heute über den Tag
erledigt werden müssen, irgendwann darauf verzichtet
habe, den Minister um die Genehmigung weiterer Zwischenfragen zu bitten. Ich fürchte, er hätte dem stattgegeben,
({1})
was mit Blick auf unsere weitere Tagesordnung dann
schwierig geworden wäre. Das wollte ich nur zur Unterrichtung sagen. Ich glaube, anders, als einen Mittelweg
zu suchen, können wir vernünftigerweise nicht verfahren.
Herr Kollege Schlecht, jetzt haben Sie das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gabriel, dass Sie zum Schluss das Erhard’sche
Zitat vom Wohlstand für alle zustimmend - so habe ich
das jedenfalls verstanden - vorgetragen haben, finde ich
sehr mutig; denn gerade in den letzten zehn, zwanzig
Jahren ist diese Devise des ehemaligen Bundeskanzlers
- gerade beginnend mit der von SPD und Grünen geführten Regierung - so mit Füßen getreten worden wie
noch nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte.
({0})
Wir haben eine Auseinanderentwicklung zu beklagen. In
den letzten zehn, zwanzig Jahren ging es eben nicht um
Wohlstand für alle, sondern es gab die Entwicklung, dass
die Reallöhne des Einzelnen heute im Durchschnitt immer noch unter dem Niveau des Jahres 2000 liegen,
während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit, die
Gewinneinkommen um 20, 30 oder sogar 40 Prozent
nach oben geschnellt sind. Dass hier nicht Wohlstand für
alle geschaffen wurde, ist offensichtlich. Insofern ist es
schon zynisch, wenn Sie dieses Zitat hier weitertragen.
({1})
Die dramatische Auseinanderentwicklung bei den
Einkommensverhältnissen ist einer der Gründe, weshalb
wir in Deutschland eine labile wirtschaftliche Situation
haben.
({2})
Viele haben hier gesagt, die wirtschaftliche Situation sei
ganz gut und es hätte viel schlimmer kommen können.
Wenn wir die Quartalswerte zur Kenntnis nehmen, kommen wir nicht umhin, zu konstatieren, dass wir in
Deutschland in ökonomischer Hinsicht auf Messers
Schneide stehen. Wir hatten bereits im zweiten Quartal
einen leichten Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung - minus 0,1 Prozent - zu verzeichnen. Im dritten
Quartal gab es eine leichte Korrektur nach oben, nämlich
plus 0,1 Prozent. Wie es im vierten Quartal in Anbetracht verschiedenster - zum Teil kritischer, zum Teil positiver - Indikatoren laufen wird, ist in der Tat eine offene Frage.
Vor diesem Hintergrund ist eine grundlegende Korrektur der Wirtschaftspolitik in Deutschland notwendig.
Diese muss darin bestehen, die Binnennachfrage endlich
wieder deutlich zu stärken. Wir müssen wieder - genauso wie Erhard es zum Ausdruck gebracht hat; da
fängt es an - Wohlstand für alle schaffen. Es muss dabei
vor allen Dingen um den Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten gehen. Auf diesen müssen wir wieder
viel stärker setzen.
({3})
Wir Linke wollen eine massive Steigerung der Löhne.
Die Löhne sind um gut 18 Prozent hinter dem zurückgeblieben, was in den letzten 15 Jahren möglich gewesen
wäre. Wir wollen wieder die Rahmenbedingungen für
eine offensive Tarifpolitik schaffen. Dafür müssen solche
Knüppel wie Leiharbeit, Befristung und Werkverträge,
die den Gewerkschaften zwischen die Beine geworfen
wurden, weg. Dann wird es in Tarifrunden wieder möglich sein, ganz andere und viel deutlichere Lohnsteigerungen zu erzielen. Das ist das Hauptcredo unserer linken Wirtschaftspolitik.
({4})
Wenn es schon in den Tarifrunden des nächsten Jahres
möglich wäre, anständige Lohnerhöhungen von 4 oder
5 Prozent zu erzielen - das wäre aus meiner Sicht absolut notwendig -, dann gäbe es allein aufgrund dieser
Lohnerhöhungen Impulse im Umfang von über 10 Milliarden Euro. Wenn wir dann noch einen vernünftigen
Mindestlohn von mindestens 10 Euro einführen würden,
und zwar ohne diese Löcher, diese Ausnahmen, über die
wir hier weidlich diskutiert haben, dann würden wir einen Nachfrageeffekt in Deutschland erzielen, der noch
einmal bei annähernd 20 Milliarden Euro liegen würde.
Wenn wir darüber hinaus Hartz-IV-Beziehern 500 Euro
- das ist das Mindeste, was man sich überhaupt vorstellen kann - unter Wegfall diverser Sanktionen zahlen
würden, hätten wir noch einmal einen Impuls im Umfang von 10 Milliarden bis 15 Milliarden Euro bei der
Binnennachfrage zu verzeichnen, und zwar zum Wohle
der betreffenden Menschen als auch der ökonomischen
Entwicklung in Deutschland; denn die Menschen, die
unter solch niedrigen Einkommen leiden, geben ihr Geld
dann wirklich aus.
Wir brauchen über diese Dinge hinaus natürlich auch
- das kann ich jetzt nur kurz ausführen; es ist darüber
viel referiert worden - hier in Deutschland endlich deutlich mehr Investitionen. Ein Zitat des DIW-Präsidenten
Herrn Fratzscher lautet:
Seit 1999 hat Deutschland einen Investitionsrückstand von … einer Billion Euro aufgebaut und dadurch erhebliche Wachstumschancen verpasst. Wir
gefährden damit die Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsstandort …
usw. An diesem Zitat des DIW-Präsidenten, der hier vorhin schon so wohlwollend zitiert worden ist, erkennt
man, was in Deutschland zu tun ist.
Wir fordern, dass in Deutschland jährlich mindestens
50 Milliarden Euro mehr in die verschiedenen Bereiche
der Infrastruktur investiert werden. Es gäbe auch eine Finanzierungsmöglichkeit jenseits von Schulden. Man
müsste endlich Reiche und Vermögende richtig besteuern. Wir sind für die Millionärsteuer, wir wollen eine
Wiedereinführung der Vermögensteuer. Alle, die mehr
als 1 Million Euro Vermögen haben - möglicherweise
Herr Fuchs, ich weiß es nicht -, sollen 5 Prozent Steuern
auf ihr Vermögen zahlen. Dann hätten wir mehr als
80 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und könnten
wirklich großdimensionierte, sinnvolle Investitionsprogramme auflegen, ohne uns großartig neu verschulden
zu müssen. Das ist das, was wir wollen. Aber ich weiß:
Die Regierung - Herr Gabriel ist nicht mehr da - scheut
davor zurück,
({5})
weil sie zu feige ist, die Reichen in Deutschland anzugehen. Wer diese Feigheit weiterhin praktiziert, versündigt
sich an den Interessen dieses Landes.
Danke schön.
({6})
Danke, Herr Kollege Schlecht. - Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen im Saal und liebe
Gäste auf der Tribüne!
Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Den Menschen in Deutschland geht es gut wie lange nicht. Ich
würde sogar sagen: Den allermeisten geht es so gut, wie
es ihnen noch nie in Deutschland gegangen ist. Ich muss
schon sagen: Wenn man hört, was der Kollege Claus, die
Frau Wagenknecht, der Herr Ernst oder jetzt gerade
- nomen est omen - der Herr Schlecht hier erzählen,
dann muss ich sagen: Mit Verlaub, das ist Stuss, absoluter Stuss.
({0})
Es ist eine Mischung von Halbwahrheiten, von ökonomischem Schwachsinn und von Verdrehung von Daten
und Fakten.
({1})
Sie haben gerade wieder mehrfach gesagt, die Reichen würden zu wenig besteuert, die Armen zu viel und
es gebe Gerechtigkeitslücken. Es werden hier Stimmungen gemacht und Dinge suggeriert, die hinten und vorne
nicht zusammenpassen.
({2})
Ich sage Ihnen jetzt einmal, wer 2013 wie viel zur
größten direkten Steuer, der Einkommensteuer, beigetragen hat. Das Aufkommen betrug rund 200 Milliarden
Euro. Das oberste 1 Prozent der Steuerzahler hat 19,8 Prozent der 200 Milliarden bezahlt, also fast 40 Milliarden
Euro. Die oberen 10 Prozent haben 50,7 Prozent bezahlt,
die oberen 20 Prozent 67,4 Prozent und die oberen
50 Prozent 92,5 Prozent.
({3})
Das heißt natürlich umgekehrt: Die untersten 50 Prozent
haben 7,5 Prozent bezahlt, und die untersten 20 Prozent
haben 0,1 Prozent der Einkommensteuer bezahlt.
Herr Kollege Pfeiffer, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Schlecht?
({0})
- Bemerkungen gibt es auch. Das sieht die Geschäftsordnung vor.
Ich erlaube es gerne.
Herr Pfeiffer, diese wunderbare Rechnerei der Steuerbelastung kennt man ja sattsam, aber sie anzuführen,
zeugte schon immer von einer sehr ausgeprägten intellektuellen Leistung; denn es ist doch überhaupt kein
Wunder in einem Land - ich habe es doch gerade eben
lang und breit dargelegt; Sie haben offensichtlich nicht
zugehört -, in dem seit dem Jahr 2000 die Einkommensentwicklung von Reich und Arm so stark auseinandergeht: Auf der einen Seite werden die Reichen immer reicher, sodass sie gar nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld
lassen sollen. Auf der anderen Seite aber wird die Armut
immer größer. Es gibt unter denjenigen, die von Armut
betroffen sind, viele Leute, die heute 10 oder 20 Prozent
weniger als im Jahr 2000 verdienen. Dass diese Menschen natürlich zum Teil überhaupt keine Steuern mehr
bezahlen, ist doch nur logisch, weil sie gar kein Geld haben oder nur so wenig, dass das deutlich unter den zu
versteuernden Größen liegt. Insofern kommen dabei solche wunderbaren Zahlen heraus. Dass Sie damit dem geneigten Publikum quasi die Krokodilstränen in die Augen treiben wollen ob der außerordentlichen Belastung
der Reichen, ist schon abenteuerlich.
({0})
Wir können gerne noch ein wenig bei den Daten und
Fakten verweilen. Tatsache ist, dass im vergangenen
Jahr 200 Milliarden Euro Steuern auf das Einkommen
gezahlt wurden, und zwar von denjenigen, die gearbeitet
haben. - Sie können ruhig noch stehen bleiben. Ich bin
noch lange nicht fertig mit der Beantwortung Ihrer
Frage.
Ich sage, wie lange er stehen bleibt.
Wie Sie dann dazu kommen, zu behaupten, das sei
nicht repräsentativ,
({0})
das müssen Sie mir schon einmal erklären.
Schauen Sie sich doch einmal die Reallohnzuwächse
in diesem Jahr an. Schauen Sie sich doch einmal die
Lohnabschlüsse an. Schauen Sie sich dabei auch an, welche Umverteilungs- und Ausgleichsmechanismen zum
Beispiel mit der Bemessungsgrenze wir in der Sozialversicherung haben. Schauen Sie sich außerdem an, wie
zwischen den Bundesländern im Gesundheitsbereich, im
Pflegebereich, bei der Rentenversicherung und auf anderen Feldern verteilt wird.
({1})
Dass Sie angesichts dessen behaupten, in Deutschland
würde die Schere auseinandergehen, ist wirklich abwegig.
An dieser Stelle fühle ich mich an unsere BolivienReise erinnert, Herr Schlecht - Kollege Barthel und Kollege Krischer waren ja, glaube ich, dabei -, als Sie den
Bolivianern erklärt haben, dass die Mehrheit der Deutschen ihr Wohnzimmer auch mit Bananenkisten einrichte. Das war selbst dem Kollegen Barthel zu viel.
({2})
Was Sie da erzählen, das hat mit der Realität in diesem
Land wirklich nichts zu tun.
({3})
- Doch. Du warst auch dabei.
({4})
Kollege Barthel hat jedenfalls gesagt, jetzt reiche es, das
sei selbst ihm zu viel. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist er
nicht verdächtig.
Den Menschen geht es also gut. Die Einkommen steigen. Die Menschen sind Gott sei Dank gesund. Außerdem nimmt die Lebenserwartung zu. Nicht nur den Menschen geht es gut, sondern auch die deutsche Wirtschaft
ist in einer robusten Verfassung. 43 Millionen Menschen
sind in Lohn und Brot. Die meisten davon sind in keinen
prekären Beschäftigungsverhältnissen, sondern in sozialversicherungspflichtigen Verhältnissen. Im Jahr 2005
waren es 27 Millionen Menschen. Jetzt sind wir bei über
30 Millionen Menschen. In nicht einmal zehn Jahren ist
also die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter
um 4 Millionen Menschen angestiegen. Diese Entwicklung fand trotz der demografischen Entwicklung und den
damit verbundenen großen Herausforderungen statt.
({5})
Seit Oktober vergangenen Jahres sind es rund 479 000
Menschen mehr. Es sind also fast eine halbe Million
Menschen mehr in Lohn und Brot, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wie gerade diskutiert.
Deshalb können wir uns auch etwas leisten.
Gerade in den letzten Minuten wurden die aktuellen
Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben. Entgegen den Erwartungen ist die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Arbeitslosigkeit ist ja das Gegenstück zur Beschäftigung,
wobei die Beschäftigung noch viel wichtiger ist. Wenn
verkündet würde, dass zwar die Arbeitslosigkeit zurückginge, aber die Beschäftigung konstant bliebe oder gar
auch zurückginge, dann wäre das keine gute Nachricht.
Die Beschäftigung ist aber ausgeweitet worden. Und zugleich ist die Arbeitslosenzahl zurückgegangen auf
2,71 Millionen Menschen. Das ist die niedrigste Arbeitslosenzahl, die wir in Gesamtdeutschland seit 1990 hatten.
({6})
Darüber hinaus haben wir - das ist nach meiner Erinnerung vorhin bereits von Frau Dröge angesprochen
worden - für unsere Jugend die besten Perspektiven, die
wir jemals in Deutschland hatten. Schauen Sie sich einmal die Jugendarbeitslosigkeit oder die Zahl der Ausbildungsplätze an. Auch da hat sich die Entwicklung völlig
umgekehrt. Während wir vor zehn Jahren in diesem
Haus noch über planwirtschaftliche Ausbildungsabgaben diskutiert haben, die wir Gott sei Dank nie eingeführt haben, haben wir heute eher einen Mangel, und
zwar an Bewerbern, nicht an Ausbildungsplätzen. Im
Handwerk, im Dienstleistungsbereich und im Handel
können heute bereits viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Das heißt, wir haben ganz andere Probleme als die, die uns hier zum Teil suggeriert werden.
Auch der Export läuft nach wie vor hervorragend. In
diesem Jahr haben wir in mehreren Monaten Waren im
Wert von über 100 Milliarden Euro exportiert. Wir werden dieses Jahr wohl einen neuen Exportrekord aufstellen.
Wir in Deutschland sind es doch, die weltweit das
größte Interesse daran haben, dass der Freihandel fair
und offen stattfindet. Wir in Deutschland haben deshalb
das größte Interesse an Freihandelsabkommen, die den
Handel regeln. Wir in Deutschland wollen dabei vor allem den Freihandel regeln, nicht aber alle möglichen Lebensumstände der Menschen in den verschiedenen Ländern. Es geht also um Freihandel und darum, ob wir
unsere Produkte und Dienstleistungen in der Welt auch
weiterhin uneingeschränkt verkaufen können.
({7})
Bei den heutigen Haushaltsberatungen geht es um
Konsolidieren und Wachsen. Sparen, Neuverschuldung
beenden, Einstieg in den Schuldenabbau - das ist doch
das Beste, was wir für uns selber, aber vor allem auch für
unsere Kinder tun können. Bekanntlich sind ja die
Schulden von heute die Steuern von morgen. Wenn wir
es angesichts unserer demografischen Entwicklung
schaffen, keine neuen Schulden zu machen, sogar Schulden abzubauen, dann schaffen wir für morgen und für
übermorgen Freiräume. Und trotzdem sind wir in der
Lage, zu investieren. Auch dies ist ja vorhin angesprochen worden.
Die Zinsen werden sicher nicht immer so niedrig bleiben, wie sie im Moment sind. 0,1 Prozentpunkte mehr an
Zinsen bedeuten für den Bundeshaushalt im Moment pro
Jahr Mehrausgaben in Höhe von ungefähr 1 Milliarde
Euro. Das heißt, 1 Prozentpunkt macht 10 Milliarden
Euro aus. Wer sich das vor Augen führt, der weiß, dass
es gut ist, in Zeiten, in denen der Zins niedrig ist und die
Steuereinnahmen sprudeln, die Neuverschuldung zu beenden und Schulden abzubauen; denn auch dies schafft
Freiräume in der Zukunft. Sparen und Konsolidieren
sind deshalb kein Widerspruch zu Wachstum, sondern es
sind zwei Seiten derselben Medaille.
Aber selbstverständlich ist nicht alles gut. Wer nicht
immer besser wird, hört auf, gut zu sein. Deshalb investieren wir in diesem Haushalt in Forschung und Entwicklung und damit in die Zukunft.
({8})
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben wir in absoluten Zahlen so viel in Forschung
und Entwicklung investiert, wie im Haushalt für das
nächste Jahr vorgesehen. Die entsprechenden Zahlen
waren noch nie so hoch, auch wenn es noch Luft nach
oben gibt; Kollege Fuchs hat es vorhin angesprochen.
Aber die 3 Prozent Steigerung, die wir uns vorgenommen haben, erreichen wir. Ich möchte das an drei Beispielen erläutern: Wir investieren in den Mittelstand, wir
investieren in die Energieforschung, und wir investieren
in die Luft- und Raumfahrt.
Der deutsche Mittelstand ist bekanntlich Innovationsmotor und Rückgrat unserer Wirtschaft. Über 1 500
deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer in ihrem
Segment. Neun von zehn der Spitzenunternehmer sind
Mittelständler. Jeder Mittelständler in Deutschland
bringt in aller Regel alle zwei Jahre eine Innovation auf
den Markt; in den anderen europäischen Ländern ist dies
nur alle drei oder vier Jahre der Fall. Das kommt nicht
von ungefähr. Ich glaube nicht, dass wir so viel intelligenter sind als der Rest Europas. Vielmehr hängt das von
den Rahmenbedingungen ab.
Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, die es ermöglichen, dass gerade mittelständische Unternehmen
in Forschung und Entwicklung, in die Marktreife, in das
An-den-Markt-Bringen ihrer Produkte und Dienstleistungen investieren. In diesem Zusammenhang ist zum
Beispiel das ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm
Mittelstand, zu erwähnen. Herr Jurk hat es eingangs bereits angesprochen: Wir erhöhen die Mittel für dieses
Programm um 30 Millionen Euro auf 543 Millionen
Euro. Das heißt, die Mittel für dieses Programm befinden sich auf sehr hohem Niveau; seit Jahren liegen sie
bei über 500 Millionen Euro. Wir investieren in Unternehmensgründungen. Wir investieren in Wagniskapital.
Wir geben im nächsten Jahr also über 650 Millionen
Euro allein für Innovationen im deutschen Mittelstand
aus.
({9})
So schaffen wir auch zukünftig Arbeitsplätze, neue Produkte und Dienstleistungen.
Zur Energieforschung. Im Jahr 2000 haben wir in
Deutschland gerade einmal 300 Millionen Euro in die
Energieforschung investiert. Seit dem Jahr 2005, seit die
Union die Regierung führt, in wechselnden Konstellationen, wurden die Energieforschungsausgaben kontinuierlich erhöht. Die Energieeffizienz wurde schon angesprochen. Die Forschungsausgaben im Bereich
Energieeffizienz wurden in den letzten Jahren verzehnfacht,
({10})
im Bereich der erneuerbaren Energien verfünffacht, auch
im Bereich der Speichertechnologien. Ich nenne Ihnen
die Zahlen: Wir geben in 2015 über 900 Millionen Euro,
nämlich 925 Millionen Euro, für Energieforschung aus ({11})
das Dreifache dessen, was wir vor zehn Jahren ausgegeben haben. In der Planung haben wir für 2016 über
1 Milliarde Euro und für 2017 über 1,1 Milliarden Euro
vorgesehen. So schaffen wir auch mit Forschung und
Entwicklung Innovationen gerade in dem wichtigen Feld
der Energie, sodass wir auch dort an der Spitze bleiben.
Zum Thema Luft- und Raumfahrt. Es geht dort nicht
nur um Grundlagenforschung und Erkenntnis; nein, es
geht dort auch um sehr konkrete Dinge. Es geht quasi
vom All in den Alltag. Luft- und Raumfahrt fasziniert
auch, wie wir in den letzten Wochen im Zusammenhang
mit dem deutschen Astronauten gesehen haben, Frau
Zypries, der wirklich die Massen in Deutschland mobilisiert hat - so kann man sagen - und deutlich gemacht
hat, was hier in Deutschland möglich ist.
({12})
- Ich weiß: Er kommt aus Künzelsau, und Christian von
Stetten ist mit ihm zur Schule gegangen. Trotzdem hat er
es ins All geschafft. Herzlichen Glückwunsch an alle
Beteiligten!
({13})
Auch bei der Mission „Rosetta“ beispielsweise geht
es nicht nur um reinen Erkenntnisgewinn. Nein, all diese
Aktivitäten schlagen sich ganz konkret dann auch im
Alltag nieder. Es gäbe heute keine Klimaforschung,
Waldbrände könnten nicht frühzeitig erkannt werden,
wenn wir nicht Programme wie „Copernicus“ hätten.
Auch die Ergebnisse der Versuche, die Alexander Gerst
durchgeführt hat, fließen direkt in die medizinische Forschung zum Muskel- und Knochenabbau ein.
Herr Kollege, Sie denken an die Redezeit?
Ich denke an die Redezeit,
Dann ist ja gut.
- leider schon die ganze Zeit. Wenn Sie mich nicht
aufhalten würden, wäre ich noch schneller fertig.
Moment, Moment!
Aber ich komme gleich zum Schluss.
Ihre Kollegen bekommen dann weniger Redezeit.
Das Stichwort „Erdbeobachtung“ will ich im Zusammenhang von Forschung und Alltag noch nennen.
Im dritten Feld, bei der Luft- und Raumfahrt - damit
schließe ich -, werden in die Technologieforschung
160 Millionen Euro investiert. Ins nationale Weltraumprogramm werden 270 Millionen Euro und ins internationale Weltraumprogramm, sozusagen in die Zusammenarbeit, 630 Millionen Euro investiert. Das ist über
1 Milliarde Euro für diesen Bereich. Das ist gut angelegtes Geld, damit wir auch in Zukunft an der Spitze mitspielen können, in Zukunft noch besser werden, als wir
es heute schon sind, und auch 2020, 2030 sagen können:
Jawohl, Deutschland spielt an der Spitze mit. - Dafür legen wir mit diesem Bundeshaushalt die Grundlage. Wir
säen also, damit die Pflanzen wachsen und wir dann die
Früchte ernten können.
Vielen Dank.
({0})
Danke, Herr Kollege.
Ich unterbreche, wenn die Redezeit radikal überschritten wird. Das war der Fall. Deswegen werde ich einem Ihrer Kollegen jetzt etwas Redezeit abziehen müssen; tut mir leid.
({0})
- Das war nicht eine Minute. Ich habe die Uhr hier, Herr
Pfeiffer.
({1})
- Danke, Herr Kauder.
Nächster Redner: Oliver Krischer für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesminister Gabriel, ich fand es gut, dass wir
hier einmal eine Debatte über TTIP, über CETA, über
Freihandelsabkommen geführt haben und herausgearbeitet haben, dass Sie - ich habe das in der Klarheit noch
nicht gehört; ich glaube, das war auch öffentlich nicht
klar - CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada,
mit Investitionsschutz zustimmen werden. Das hat sich
gelohnt; denn Sie haben das klipp und klar gesagt. Es ist
gut, dass das hier von Ihnen klargestellt worden ist.
({0})
Es ist kein Geheimnis, dass wir da eine andere Auffassung haben.
({1})
Ich bin einmal gespannt darauf, was die Sozialdemokratie, die dazu ja etwas Konträres beschlossen hat, in
Zukunft dazu sagen wird. Da stehen uns sicherlich noch
interessante Debatten bevor.
({2})
Wenn Sie das nicht innerhalb Ihrer Partei hinbekommen,
dann ist es ja gut, wenn wir es hier im Plenum schaffen,
die Position klarzumachen.
({3})
Herr Gabriel, Sie haben hier 40 Minuten geredet; der
Präsident hat das bestätigt. Das ist völlig in Ordnung. Ich
würde mir wünschen, Sie kämen einmal zur Fragestunde
und beantworteten dort die Fragen, anstatt Ihre Staatssekretäre vorzuschicken, die vom Blatt ablesen und die
Fragen anderweitig beantworten. Da sollten Sie sich einmal stellen; den Mut sollten Sie haben. Das wäre Parlamentarismus.
({4})
Sie haben zwar 40 Minuten über TTIP und viele andere Dinge gesprochen - Sie haben auch etwas zur Energiepolitik gesagt -, aber Sie haben nicht ein einziges Mal
- Zeit dafür wäre durchaus gewesen - das Wort „Klimaschutz“ erwähnt; das kommt bei Ihnen gar nicht vor.
({5})
Das haben Sie überhaupt nicht im Kopf. Ich sage Ihnen
auch, warum: Sie werden das Klimaschutzziel 2020 krachend verfehlen.
({6})
Das ist die Bilanz von mehreren Regierungen Merkel, an
denen Sie zweimal - als Umweltminister und als Wirtschaftsminister - beteiligt waren. Das ist Ihre Bilanz,
wenn dieses Klimaschutzziel verfehlt wird.
({7})
Der Öffentlichkeit ist eines klar - es ist gut, dass das
deutlich geworden ist -: Wir kommen nicht drumherum,
etwas beim Kohlekraftwerkspark zu tun. Wir müssen
endlich die ältesten Kohlekraftwerke aus Adenauers Zeiten vom Netz nehmen, wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen. Da habe ich in den letzten Wochen etwas
erlebt, was ich bei Sigmar Gabriel gar nicht kannte:
Viermal hat er in drei Wochen seine Position verändert.
Heute war vielleicht nicht die Gelegenheit, es zu erklären; aber draußen ist Ihre Position nicht deutlich geworden, und auch ich habe es nicht verstanden, wie jetzt
22 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden sollen - wobei das eigene Ministerium sagt, es
müsste mindestens doppelt so viel sein, und wissenschaftliche Gutachten besagen, es müsste dreimal so viel
sein. Dazu kommt nichts. Wird es da ein Gesetz geben?
Wird es eine freiwillige Selbstverpflichtung geben? All das wissen wir nicht. Dabei ist es erforderlich, dass
wir beim fossilen Kraftwerkspark endlich etwas machen.
Dazu würde ich mir - wo auch immer - eine Klarstellung wünschen.
({8})
Es mag ja sein - wahrscheinlich ist es auch so -, dass
Ihnen der Klimaschutz egal ist, dass das nicht Ihr Thema
ist, dass Sie sagen: Komm, ich bin Sozi, ich bin für qualmende Schlote; das ist mein Ziel, das ist das, wovon ich
erzähle. - Aber das ist nicht zukunftsfähig. Welches
Signal sendet ein Wirtschaftsminister, eine Bundesregierung aus dem Energiewendeland Deutschland, wenn hier
hochmoderne Gaskraftwerke abgeschaltet werden und
Investoren ernsthaft überlegen, sie zu demontieren und
im Ausland wieder aufzubauen? - Nachdem Sie schon
die erneuerbaren Energien abgebaut und abgerissen haben, machen Sie das jetzt auch noch mit der Effizienztechnologie. Das kann doch nicht sein. Da werden wir
alles dagegensetzen.
({9})
Noch etwas. Wir reden ja heute über den Haushalt. Da
habe ich gehört: Herr Schäuble legt 2016 ein 10-Milliarden-Euro-Programm auf. Ich frage mich die ganze Zeit:
Warum kommt das nicht mit diesem Haushalt? Warum,
bitte schön, kommt dieses Investitionsprogramm nicht
sofort, wenn Sie es für erforderlich erachten? - Es kann
doch nicht sein, dass Sie etwas für die Zukunft ankündigen, dass Sie ungedeckte Schecks liefern, an die sich
nächstes Jahr keiner mehr erinnert, und das Geld am
Ende bei der CSU in Bayern landet und in Umgehungsstraßen investiert wird anstatt in Energieeffizienz, Gebäudesanierung und Effizienztechnologien für die deutsche Wirtschaft. Da sollten Sie jetzt die Fakten schaffen
und nicht ungedeckte Schecks für die Zukunft ausstellen, meine Damen und Herren.
({10})
Wir haben es hier heute mehrfach von den Kollegen,
die dazu geredet haben, gehört: Da gibt es jetzt einen
Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz und ein Aktionsprogramm Klimaschutz 2020. All das sind nur Worthülsen; das ist nur beschriebenes Papier. Am Ende ist die
Wahrheit im Haushalt. Da muss man eines feststellen:
Sie sind auf dem gleichen Niveau wie Ihr Amtsvorgänger. Sie haben die gleichen Mittel, die gleichen Programme im Haushalt wie Philipp Rösler - nichts mehr.
Da ist die Große Koalition nach einem Jahr angekommen. Das ist nicht zukunftsgerecht. Das ist ein Rück6634
schritt in die Vergangenheit. Das hilft uns beim Klimaschutz nicht weiter.
({11})
Das bringt die deutsche Wirtschaft nicht voran. Das ist
an der Stelle nicht in Ordnung.
({12})
Denken Sie an die Redezeit.
Letzter Satz, Frau Präsidentin.
Nein, stopp, Herr Krischer! - Erlauben Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Jurk?
({0})
- 20 Sekunden.
({1})
- Wir können jetzt gerne mal die Geschäftsführer nach
vorne holen, wenn Sie mögen.
({2})
So, Herr Jurk.
Ich hoffe, Herr Krischer freut sich, wenn ich durch
meine Frage jetzt auch seine Redezeit verlängere.
Zu meiner Frage. Sie haben eben Herrn Rösler bemüht. Ich kann mich erinnern: Als Schwarz-Gelb an der
Regierung war, bestand große Unsicherheit darüber, was
aus all den Energieprogrammen wird, die aus dem EKF
gespeist werden; denn durch die sinkenden Einnahmen
aus dem Zertifikatehandel und der fehlenden Brennelementesteuer ist ja ein Teil der Basis weggebrochen. Wären Sie bereit, mir zuzustimmen, dass wir mit dem in
diesem Haushalt vorgesehenen Bundeszuschuss dafür
sorgen werden, dass eine solide Basis für die Finanzierung der energetischen Programme gelegt wird? Das
kann man mit dem, was Herr Rösler gemacht hat, nun
wirklich nicht vergleichen.
Herr Jurk, ich danke Ihnen für diese Frage, mit der
Sie lediglich bestätigen, dass Sie die Mittel aus dem
Bundeshaushalt nehmen. Der blödsinnige EKF hat seine
Funktion doch völlig verloren. Das haben wir als Grüne
schon damals kritisiert.
({0})
Trotz des Eindrucks, den Sie durch das, was Sie erzählen, erwecken: Sie setzen in der Summe keinen einzigen Euro mehr ein.
({1})
Im Gegenteil: Die Mittel für die Programme werden reduziert, und das Marktanreizprogramm wird verkleinert.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, mit der Sie auf dem
Niveau von Philipp Rösler angekommen sind.
({2})
Ihre Versprechen sind lediglich ungedeckte Schecks für
die Zukunft.
Sie haben die Planungs- und Investitionssicherheit
angesprochen. Es ist doch ein Irrsinn, dass Sie Programme ankündigen, aber niemand weiß, ob sie 2016
auch realisiert werden. Ich sage Ihnen, was das für einen
Effekt hat: Wenn ich überlege, mein Gebäude zu sanieren, dann mache ich 2015 nichts, sondern ich warte auf
das Programm, das Sie für 2016 angekündigt haben. Das
heißt: Im Ergebnis wird es 2015 sogar noch einen Absturz bei den Investitionen geben. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Das ist das Ergebnis
Ihrer Politik. Mit Ihren folgenlosen Ankündigungen und
nicht substanziellen, ungedeckten Schecks ziehen Sie
am Ende alles runter. Sie machen die Investitionen kaputt. Das müssen Sie sich - tut mir leid - ins Stammbuch
schreiben lassen.
({3})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Rückfrage des Kollegen Jurk?
Ja, aber selbstverständlich.
Gut.
Kollege Krischer, Sie sitzen nicht im Haushaltsausschuss. Würden Sie mir recht geben, dass wir beispielsweise die Mittel für die Forschung für erneuerbare Energien und Energieeffizienz erhöht haben? Würden Sie
zugeben, dass wir im Vorausblick auf den Nationalen
Aktionsplan bereits eine Vielzahl neuer Energieeffizienzmaßnahmen angekündigt
({0})
haben, die wir selbstverständlich auch einpreisen werden?
({1})
- Gehen Sie davon aus, dass sich die Bundesregierung
an das hält, was das Kabinett beschließt.
({2})
- Sie lachen immer darüber.
({3})
Ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir bei der Übertragung von Programmen des Bundesumweltministeriums, insbesondere beim UAP, dafür gesorgt haben, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
jetzt im Bundeswirtschaftsministerium tätig sind, aus der
sachgrundlosen Befristung herausgenommen und in
feste Beschäftigungsverhältnisse übernommen wurden.
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Haushalt.
Würden Sie wenigstens das zur Kenntnis nehmen?
Das ist ja alles schön und gut, Herr Kollege Jurk, was
Sie hier aufzählen. Aber Sie haben selber gesagt, Sie haben „angekündigt“.
({0})
Ich habe nichts davon gehört, dass klar ist, wie viel in
die Gebäudesanierung investiert wird. Aus der Union
werden ganz andere Vorstellungen laut: Sie will das
Geld in neue Straßen investieren. Da bin ich sehr gespannt.
({1})
Ich bin auch sehr gespannt, ob das Geld am Ende überhaupt fließen wird, ob es auch frisches Geld geben wird.
Das alles werden wir sehen. Das führt am Ende nur zu
Attentismus.
Was die Ankündigungen angeht: Der Wirtschaftsminister hat in den letzten Wochen einen richtig schönen
Eiertanz vorgeführt. Erst hat er gesagt: Wir müssen im
Bereich Kohlekraftwerke etwas tun. Plötzlich war das
alles nicht mehr wahr, und es wurde dementiert. Dann
wurde gesagt: Wir machen ein Programm. Dann wurde
verhandelt. Jetzt hat er auf einmal alle, die überhaupt gefragt haben, ob man im Bereich Kohlekraftwerke etwas
machen muss, für dumm erklärt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das zeigt nur: Diese Koalition ist in einer fossilen
Endlosschleife.
({0})
Sie gehen die Herausforderungen nicht an. Sie investieren nicht in die Zukunft. Das ist nicht zukunftsfähig. Das
bringt uns nicht nach vorne. Das ist nicht das, was unser
Land, was Europa braucht.
Danke schön.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Krischer. - Nächster Redner in der Debatte, Dr. Peter Ramsauer für die CSU/
CDU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der vergangenen Woche hatte ich Besuch
von einer Reihe ausländischer Führungskräfte aus der
Wirtschaft. Eine der zentralen Fragen an mich war: Was
tut Deutschland gegen die verheerende Rezession, in die
es jetzt hineinschlittert? Ich dachte mir: Das ist das typische Bild, das mancherorts von der Lage in Deutschland
gezeichnet wird. Lieber Herr Krischer, Ihre Rede eben
war so ein verheerender Beitrag, eine gespenstische
Rede, die genau dieses verzerrte Bild von Deutschland
fördert.
({0})
Deswegen kann man nicht oft genug sagen: Schauen
Sie sich die Realität an. Die Zahlen sind alle genannt
worden. Auch wenn die Wachstumserwartungen nicht
ganz so hoch sind, wie wir sie nach dem Frühjahrsgutachten dieses Jahres noch erwartet hatten: Tatsache ist,
dass wir weiterhin Wachstum haben und Deutschland
damit Wachstums- und Wirtschaftslokomotive in Europa
bleibt und auch darüber hinaus für die weltwirtschaftliche Entwicklung von erheblicher Bedeutung ist.
({1})
Allerdings muss man auch sehen, dass dies gerade in
der jetzigen Lage durch einen fast ungewöhnlich günstigen
Ölpreis begünstigt wird. Manche sagen, er sei ein süßes
Gift, aber im Endeffekt wirkt der niedrige Ölpreis natürlich
als ein gewaltiges Konjunkturprogramm, wenn man sich
einmal vorstellt, dass eine Ölpreissenkung von 10 Dollar
pro Barrel eine Verschiebung von circa 0,5 Prozent des
Weltsozialprodukts von den erdölfördernden zu den erdölverbrauchenden Ländern ergibt. Daran sieht man,
welch gewaltige fördernde Wirkung dies für die Konjunktur hat.
Wenn man sich dessen bewusst ist, dann wird auch
klar, dass wir aus eigener Kraft heraus, aus unserer originären Wirtschaftspolitik heraus alles dafür tun müssen,
dass wir wirtschaftlich stabil bleiben. Ein wesentliches
Stichwort in dieser Debatte dazu lautet: Förderung von
Investitionen. Darauf hat auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingehend hingewiesen.
Noch einmal zur Erinnerung, wo wir einmal waren:
1998 hatte der Bundeshaushalt eine Investitionsquote
von 12,5 Prozent. Wir waren im vergangenen Jahr, 2013,
auf einem historischen Tiefstand von 8,1 Prozent, werden in diesem Jahr bei 8,6 Prozent liegen, und in den
kommenden Jahren - positive Tendenz - steigt sie auf
8,8 Prozent.
Nun zu den 10 Milliarden Euro, von denen 7 Milliarden Euro in den kommenden Jahren - 2016, 2017 und
2018 - effektiv zur Verfügung stehen. Wenn man diese
Mittel dazurechnet, so kommen wir solide auf Investitionsquoten von über 9 Prozent, und damit gehen wir
den entscheidenden, richtigen Weg, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({2})
Ich fände es auch zielführend, darüber nachzudenken,
ob man diese 7 Milliarden Euro nicht ausschließlich in
direkte Investitionen steckt, sondern sie auch zum Teil
dazu verwendet, investitions- und wachstumsfördernde
Steuererleichterungen zu gewähren. Dazu gibt es eine
Reihe von Stichpunkten. Ich bin ein entschlossener Verfechter der Abschaffung der kalten Progression.
({3})
Dafür gibt es viele Gründe, aber ich nenne nur mal einen
Grund dafür: Im sozialen Bereich passen wir beispielsweise die Grundsicherung in jedem Jahr der Entwicklung der Einkommen an. Im steuerlichen Bereich tun wir
genau dies nicht, und das führt zur kalten Progression.
Wenn man das Ganze einmal infinitesimal denkt, dann
wird das eines Tages dazu führen, dass wir einen direkten Übergang von der Grundsicherung in den Spitzensteuersatz bekommen. Also: Weg mit der kalten Progression, damit sich das auch entspricht.
Von der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung wurde bereits gesprochen. Wir hatten
damals in der schwarz-gelben Koalition ein Konzept zur
steuerlichen Förderung bereits fertig. Danke, Herr Bundeswirtschaftsminister, dass Sie darauf hingewiesen haben, woran es gescheitert ist. In meinen Augen ist die
steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung etwas, was dem ganzen Projekt noch einmal einen
gewaltigen Schub geben würde, da die steuerliche Förderung jenseits der KfW-Programme im Einzelfall viel,
viel passgenauer ist.
Eine Reihe weiterer steuerlicher Entlastungen wäre
zu überlegen. Ich persönlich halte beispielsweise die
Luftverkehrsteuer nach wie vor für ein völlig falsches
Instrument. Sie gehört abgeschafft.
({4})
- Danke, Herr Kollege Tiefensee. Wir ziehen hier wirklich an einem Strang. - Die Luftverkehrsteuer benachteiligt die deutsche Luftverkehrswirtschaft einseitig gegenüber allen anderen Wettbewerbern weltweit.
Da wir gerade bei Steuern sind: Sie ist zwar keine
Bundessteuer, aber die Erbschaftsteuer gehört regionalisiert. Was die Ausgestaltung anbelangt, gehört sie den
Ländern anheimgestellt. Das wäre ein wirksames und
gutes Mittel für den Steuerföderalismus.
Ich möchte noch ein Wort zum Thema Exportpolitik
verlieren. Wir alle wissen, wie sehr die deutsche Wirtschaft vom Export abhängig ist. Die Belastungen und
Verbote, die wir der deutschen Exportwirtschaft auferlegen, nehmen eher zu, als dass wir sie Stück für Stück zurückführen. Ich möchte dazu ein paar Beispiele aus der
allerjüngsten Zeit nennen:
Ich halte es für einen schweren Fehler, wenn wir den
Export von deutschen Kohlekraftwerksanlagen quasi unterbinden, indem keine Exportkreditgarantien gegeben
werden oder dem Export ähnliche Erschwernisse bereitet
werden.
({5})
Gestern hatten wir im Wirtschaftsausschuss eine Delegation von südafrikanischen Kolleginnen und Kollegen zu Gast. Wir haben über die dortige Energiepolitik
und auch über die eigene gesprochen. Sie haben uns
dazu zwei Mitteilungen gemacht:
Sie haben erstens gesagt: Unsere Energieversorgung
in Südafrika beruht zu 85 Prozent auf der Basis von
Kohleverstromung. Daher müssen wir in Südafrika nach
und nach unsere 40 bis 50 Jahre alten Kohlekraftwerke
dringend erneuern. - Wenn wir die sehr guten deutschen
Kohlekraftwerke nicht mehr exportieren lassen mit der
Begründung, wir könnten damit irgendwo in der Welt
CO2-Emissionen unterbinden, dann begehen wir damit
einen schweren Denkfehler.
({6})
Die Kollegen haben uns zweitens erklärt: In dem Fall
holen wir uns unsere Kohlekraftwerke von anderen Lieferanten außerhalb Deutschlands, obwohl wir wissen,
dass sie wesentlich schlechtere Effizienzgrade haben. Damit wäre eine Joint Implementation auf diesem Gebiet geradezu auf den Kopf gestellt.
({7})
Wir dürfen keine Erschwernisse im Exportbereich zulassen.
Sie haben uns weiterhin gesagt, dass sie in Südafrika
derzeit nur ein Kernkraftwerk haben und weitere acht
bauen werden.
({8})
Damit sind wir beim nächsten Thema. Ich halte es für
einen schweren Fehler der deutschen Exportpolitik,
wenn wir, weil wir bis 2022 selbst aus der Kernenergie
aussteigen, in besserwisserischer, belehrender Art und
Weise keine Kernkraftwerkstechnik mehr exportieren
lassen.
({9})
Denn auch wenn wir unsere Exportwirtschaft mit einem
Verbot belegen, werden Länder wie in diesem Fall Südafrika zusätzliche Kernkraftwerke bauen.
({10})
Die wehrtechnische Industrie gehört auch zu diesem
Thema. Über das Freihandelsabkommen sowie über die
Wirtschaftssanktionen, unter denen auch die deutsche
Wirtschaft leidet, ist bereits eingehend gesprochen worden. Nur so viel: Ich halte Wirtschaftssanktionen gegen
wen auch immer für ein völlig untaugliches Mittel der
Politik. Wirtschaftssanktionen müssen immer daran gemessen werden, was sie politisch und wirtschaftlich für
beide Seiten wirklich bedeuten, und das ist nichts Gutes.
Ich habe die Diskussion bezüglich des Zeitbudgets
eingehend verfolgt. Ich bedanke mich sehr für die
Gnade, dass bei mir nicht gekürzt worden ist.
Sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit.
Der arme Kollege Lämmel ist der Letzte, und den beißen in der Regel die Hunde.
({0})
Ich fasse in meinen letzten 49 Sekunden eine Reihe
von Beispielen zusammen, an denen wir trotz guter Konjunkturdaten weiterarbeiten müssen. Wenn man einmal
zusammenfasst, was aus allen Ecken und Enden zu hören ist, stellt man fest, dass wir in Deutschland schon
eine sehr ausgeprägte Neinsagermentalität haben: Nein
zur Kernkraft, Nein zu Kohlestrom, Nein zu Fracking,
Nein zu Windkraft in manchen Ländern,
({1})
Nein zur CCS-Technologie, Nein zu neuen Stromtrassen, Nein zu Energiespeichern, Nein zu den Exporten,
von denen ich gesprochen habe, Nein zu Freihandelsabkommen, Nein zu Großprojekten usw. usf.
({2})
Jetzt rufen gerade die Richtigen, die personifizierten und
in Partei- und Fraktionsform gegossenen Professionsneinsager.
({3})
Mit dauernder Neinsagerei machen wir in Deutschland keinen Staat. Deswegen wünsche ich mir ein gesamtwirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Ja in
Deutschland, damit wir alles tun können, was der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes dient. Wir sollten alles
unterlassen, was dem entgegensteht.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ramsauer. - Letzter
Redner in der Debatte, den nicht die Hunde beißen:
Andreas Lämmel für die CSU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich vermute, es gilt noch die Regel, nach der
Haustiere hier nicht erlaubt sind.
Ja.
Sonst würde ich das nächste Mal meine Katze mitbringen.
Meine Damen und Herren, bei der heutigen Debatte
über den Haushalt bleibt mir nur noch die Funktion, alles
ein bisschen zusammenzukehren und die Diskussion
wieder darauf zu fokussieren, worum es eigentlich geht.
Immer, wenn man sich einen Haushaltsentwurf anschaut, muss man die Grundsatzfrage stellen: Nützt der
Haushaltsentwurf, so wie er aufgestellt worden ist, der
weiteren Entwicklung der Konjunktur, oder nützt er diesem Ziel nicht?
({0})
- Das ist Ihre Sicht, Herr Krischer, aber Sie werden sicherlich nach dieser Rede überzeugt sein, dass er doch
dem Ziel der Stützung der Konjunktur nützt.
Die Förderung von Investitionen ist im Haushalt klar
festgelegt, und sie ist sogar auf das im Koalitionsvertrag
festgelegte Niveau erhöht worden. Die Förderung von F
und E ist heute schon lange und breit dargelegt worden.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt in der Strategie der
Bundesrepublik Deutschland. Damit wird ein klares Zeichen für den weiteren Aufbau der Mittel bei Forschung
und Technologie gesetzt.
Die Förderung der Außenwirtschaft ist ebenfalls ein
sehr wichtiger Punkt. Deutschland ist ein exportorientiertes Land. Deswegen ist natürlich freier Handel sehr
wichtig. Insofern fand ich die Diskussion um TTIP und
CETA sehr interessant und danke dem Wirtschaftsminis6638
ter, dass er hier noch einmal klar Position bezogen hat.
Wir stehen zu diesen Abkommen.
Herr Krischer und Frau Dröge, Sie schüren ja mit gut
gesetzten Worten immer wieder Zweifel an diesen Abkommen.
({1})
Das eigentlich Schlimme ist das, was Sie auf der Straße
veranstalten, nicht die Diskussion hier; denn hier kann
man die Argumente austauschen. Aber das, was Sie auf
der Straße veranstalten, wenn Sie Ihre Vorfeldtrupps
({2})
zum Unterschriftensammeln durch die Fußgängerzonen
ziehen lassen,
({3})
gemeinsam mit den Leuten der Linken,
({4})
und dort die Leute nicht einmal ansatzweise über TTIP
oder CETA aufklären, sondern einfach versuchen, sie
zum Unterschreiben zu nötigen, ist genau das, was Sie
wieder einholen wird.
({5})
Die Grünen bleiben damit bei ihrer Linie, zu allem Nein
zu sagen, was die Entwicklung Deutschlands voranbringen könnte.
({6})
Das ist genau der Punkt. Es hat sich ja auch bei den
Wahlen gezeigt, dass das die Bürger einfach nicht mehr
wollen. Ich meine, Sie werden mit Ihrer tollen Koalition
in Thüringen, die Sie da jetzt anbahnen, sicherlich in der
Wählergunst weiter sinken.
({7})
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Haushaltsentwurf im Hinblick auf das Thema Außenwirtschaft angeschaut hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen:
Wir haben eine Exportinitiative Erneuerbare Energien.
Wir haben eine Exportinitiative Energieeffizienz. Wir
haben eine Exportinitiative Umwelttechnologie, und wir
haben eine Exportinitiative Gesundheitswirtschaft gestartet. Das alles sind Felder, auf denen wir versuchen,
dem deutschen Mittelstand Möglichkeiten zu geben, sich
Geschäftsfelder in der Welt zu erschließen. Genau das ist
der Weg. Hier müssen wir unsere Aktivitäten ausbauen.
Dazu brauchen wir freien Handel.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind öffentlich-private
Partnerschaften im Bereich der Außenwirtschaft. Ich
nenne hier als Beispiel die Büros der AHKs. Wir sind in
54 Ländern mit diesen Büros vertreten. Diese sind Anlaufpunkte für die deutsche Wirtschaft in allen Teilen der
Welt, um Geschäftsanbahnungen voranzubringen. Wir
müssen uns in den nächsten Jahren natürlich überlegen,
wie dieses Netz der Auslandsbüros erweitert und ergänzt
werden kann; denn wir müssen auf die veränderten Gegebenheiten in der Welt reagieren. In 22 Ländern haben
wir außerdem Delegiertenbüros, die ein weiteres Standbein der deutschen Außenwirtschaft sind.
Im Bereich der Außenwirtschaft haben wir - Kollege
Ramsauer hat in seiner Rede gerade darauf hingewiesen - auch selbst für Restriktionen gesorgt. Zu nennen
sind hier die Frage der Rüstungsexporte, die Frage der
Exporte von Dual-Use-Gütern und natürlich auch die
Sanktionen gegen Russland. Als sächsischer Abgeordneter muss ich in diesem Zusammenhang Folgendes sagen:
Vielleicht sind die Sanktionen gegen Russland für die
deutsche Wirtschaft insgesamt kein großes Problem, für
Sachsen entwickeln sich diese Sanktionen aber zunehmend zu einem wirtschaftlichen Problem. Wir brauchen
ganz einfach einen Mechanismus, um die Sanktionen
letztendlich auch zurückführen zu können, um wieder
Handelsbeziehungen mit Russland aufnehmen zu können.
({8})
Abschließend will ich einen Bereich ansprechen, der
heute ganz entschieden zu kurz gekommen ist. Es geht
um das Thema Tourismus. Im Tourismus sind in
Deutschland 2,9 Millionen Menschen beschäftigt. Das
sind mehr Beschäftigte als in der deutschen Automobilindustrie, im Bereich der Mikroelektronik oder in anderen Branchen, die öfter im Fokus stehen. 4,4 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts werden durch den Tourismus erwirtschaftet. Gerade die Tourismuswirtschaft wurde in
den letzten Jahren mit vielen Regulierungen und Einengungen überzogen, die sich vor allen Dingen kostenmäßig niederschlagen. Die Einführung des Mindestlohns
zum 1. Januar 2015 stellt für den Tourismus eine weitere
Belastungsprobe dar.
Meine Damen und Herren, ich denke, das Thema
Tourismus kommt in unserer politischen Diskussion hier
zu wenig zur Geltung. Dieser Wirtschaftszweig ist ortsgebunden. Er kann nicht nach China oder Amerika abwandern. Meistens handelt es sich um kleine oder mittelständische Unternehmer, die das touristische Leben
gestalten. Die im Tourismus Beschäftigten sind Dienstleister. Die Tourismusbranche ist also eine Dienstleistungsbranche, und die Dienstleistungsbranchen sind die
Branchen der Zukunft. Das heißt, auch die Tourismusbranche ist eine Zukunftsbranche.
({9})
Der Bund hat im Bereich Tourismus nicht allzu viele
Zuständigkeiten. Vor allem die Länder sind gefragt,
wenn es darum geht, die touristische Infrastruktur zu unterstützen bzw. die Tourismuswirtschaft insgesamt zu
unterstützen. Wir können nur über die Deutsche Zentrale
für Tourismus im Ausland Marketing für unser Land betreiben, damit mehr Gäste nach Deutschland kommen,
damit die Betten, die Restaurants und die Museen gefüllt
werden und die Taxifahrer die Touristen fahren können.
Zur touristischen Kette gehören nämlich nicht nur Beherbergungsbetriebe und Gaststätten. Nach dem Hochwasser 2002 konnten wir in Dresden ganz klar sehen,
wer alles am Tourismus partizipiert. Wenn keine Gäste
kommen, dann steht die Hälfte der Dienstleistungswirtschaft still. Das muss man sich immer vergegenwärtigen.
({10})
Deswegen werbe ich dafür, dass die Tourismuswirtschaft auch in der politischen Diskussion eine höhere
Bedeutung bekommt und man sich ihrer Probleme annimmt. Oftmals geht man leichtfertig über dieses Thema
hinweg. Ein Beispiel dafür ist die Internetseite, die
Berlin zu den hygienischen Zuständen in Gaststätten gemacht hat, ohne zu differenzieren. Manch einem Gastronomiebetrieb wurde dadurch letztendlich die Existenzgrundlage entzogen. Man muss also sensibel vorgehen.
Wir müssen uns mit den Problemen der Touristikbranche
beschäftigen.
Es ist gut, dass im Haushalt mehr Mittel für das Marketing im Ausland eingestellt werden. Das wird sich in
den nächsten Jahren sicherlich niederschlagen; wir werden in den nächsten Jahren sicherlich mehr Gäste in
Deutschland begrüßen können.
({11})
Insoweit kann ich Sie alle nur animieren - das gilt vor
allem für die Grünen -, dem Haushalt zuzustimmen. Das
ist ein guter Haushalt. Es wird nicht lange dauern, bis
wir die nächsten Haushaltsdiskussionen führen, dann
über den Haushalt 2016.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. - Damit schließe
ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie,
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 09 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/
CSU und SPD und Ablehnung der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Swen Schulz,
Anette Hübinger, Roland Claus und Ekin Deligöz.
Zum Einzelplan 30 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die
Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache mit Roland Claus für die
Linken.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich will zunächst das Privileg des ersten Redners nutzen, um zu versuchen, darzustellen, welchen Platz dieser Haushalt im Gesamtetat
einnimmt. Wir haben es hier nämlich mit einem ganz besonderen Haushalt, der eine gewisse Einzigartigkeit aufweist, zu tun. Bevor ich mich in die Details des Etats begebe, will ich das darstellen.
Im Vergleich zu allen anderen Etats des Bundes ist
dies ein Haushalt, in dessen Programmtiteln relativ wenig zu verwalten und sehr, sehr viel zu verteilen ist.
Wenn man so will, ist Frau Ministerin Wanka damit eine
Art ganzjährige Weihnachtsfrau.
({0})
Aber: Genau das ist das Problem dieses Ministeriums.
Denn Sie verwechseln, und zwar regelmäßig, das Verteilen finanzieller Wohltaten mit den angestrebten Effekten
Ihrer Ausgaben. Da haben Sie ein erhebliches Missverhältnis zu beklagen.
({1})
- Ja, wir werden nachher wieder hören, dass Sie die Ausgabensteigerungen hervorheben. Selbstverständlich gibt
es, zumindest nach meinem Wissen, niemanden im
Deutschen Bundestag, der sich nicht dafür einsetzte,
mehr Geld für eine bessere Bildung in den Haushalt einzustellen. Das ist nun einmal Konsens.
({2})
Aber das Problem dabei ist, dass Sie nicht vergleichen, was wirklich dabei herauskommt, wenn Sie die
Aufwendungen erhöhten. Weil diese Erkenntnis bisher
noch nicht bei Ihnen fruchtet, muss ich leider folgenden
Vergleich wiederholen, Frau Bundesministerin: Gemessen wurden die Bienen nicht an ihren Flugkilometern,
sondern an dem Honig, den sie nach Hause brachten. In
dieser Hinsicht haben Sie ein Defizit zu beklagen.
({3})
Leider ist das Ergebnis Ihrer Bildungspolitik, dass die
soziale Spaltung der Gesellschaft über den ungleichen
Zugang zu Bildung und Studium regelrecht reproduziert
wird. Das belegen OECD-Studien, und das wissen wir
aus eigenen Erkenntnissen. Aber das muss uns doch zu
denken geben. Bei einem solchen Zustand kann man es
nicht belassen wollen, meine Damen und Herren.
({4})
Wenn ich mir dann noch den Zustand der frühkindlichen Bildung und den Zustand der Kindertagesstätten im
Westen und im Süden dieses Landes anschaue
({5})
- da jammert es ja regelrecht den Hund samt Hütte -,
muss ich sagen: Es wäre ein Anspruch, zu sagen: Lassen
Sie uns doch wenigstens einmal die Kitalandschaft im
Westen auf Ostniveau bringen. Aber davon sind wir weit
entfernt.
Die Linke schlägt Ihnen eine große BAföG-Reform
vor. Sie wird eine Menge Geld kosten. Wir wollen 4 Milliarden Euro mehr ins System bringen, um tatsächlich
mehr Menschen den Zugang zu einem Studium zu ermöglichen. Dafür wollen wir gerne auf das Deutschlandstipendium verzichten.
({6})
Wir betonen an dieser Stelle: Markenzeichen linker
Haushaltspolitik sind nicht neue Schulden, sondern gerechte Steuersätze, meine Damen und Herren.
({7})
Wir schlagen Ihnen auch eine besondere Hochschulförderung in strukturschwachen Regionen vor, von der
vor allem ostdeutsche Hochschulen und Universitäten
profitieren würden. Man könnte so auch wirtschaftliche
und soziale Nachteile wirklich ausgleichen.
Frau Ministerin, ich muss Sie noch auf ein ganz spezielles, gravierendes Problem von vielen Problemen in
Ihrem Haushalt hinweisen: Im Bundesministerium für
Bildung und Forschung sind 18 externe Mitarbeiter vom
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt beschäftigt.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt empfängt als Projektträger sehr häufig Zuwendungen des
Bundesministeriums. Wir haben es hier nach unserem
Verständnis also mit einem klassischen Interessenkonflikt zu tun, da die gleichen Leute, die die Mittel bekommen, im Ministerium möglicherweise mit darüber entscheiden, wie sie vergeben werden. Diesen Zustand
wollen wir nicht hinnehmen.
({8})
Wir haben das als Linke kritisiert; darüber sind Sie hinweggegangen. Inzwischen gibt es aber auch eine Ihnen
sehr bekannte kritische Sicht des Bundesrechnungshofes. Wenn Sie schon die Opposition nicht ernstnehmen
wollen: Eine solche Ignoranz gegenüber dem Bundesrechnungshof ist beispiellos und nicht zu akzeptieren.
({9})
Frau Bundesministerin, Sie haben sich nun auch zu
dem Nacht-und-Nebel-Sonderprogramm, den Investitionen in Höhe von 10 Milliarden Euro, geäußert. Sie sind
von der Welt gefragt worden - das ist am 25. November
2014 erschienen -: „Für welche Investitionen plädieren
Sie?“ Ihre Antwort war:
… ich freue mich, dass neben der Infrastruktur auch
Bildung und Forschung
- jetzt kommt es genannt worden sind.
Was heißt denn das: „genannt worden sind“? Das heißt
doch: Ein Gönner hat das verkündet; es hat keine Kabinettsberatung vor der Veröffentlichung gegeben. Das ist
doch nun wirklich Haushaltspolitik nach Gutsherrenart.
({10})
Es ist „genannt worden“. Sie haben an dieser Entscheidung also offenbar überhaupt nicht mitwirken können.
Außerdem verweisen wir Sie darauf, dass bislang noch
kein Wort zur Gegenfinanzierung dieses Programms gesagt worden ist.
({11})
- Ja, natürlich, das habe ich Ihnen ja gerade erklärt. Oder
muss ich das wiederholen, weil Sie es noch immer nicht
verstanden haben? Markenzeichen linker Haushaltspolitik sind nicht neue Schulden, sondern gerechte Steuern.
({12})
Sie wollten Deutschlands Zukunft gestalten. Angekommen sind Sie bei der schwarzen Null. Zukunftsfähigkeit sieht anders aus.
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege Claus. - Nächste Rednerin
in dieser Debatte ist Anette Hübinger für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin Wanka!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine verehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Am Ende des vergangenen Monats ist mir ein Kommentar in der Presse aufgefallen. Der Titel lautete - ich zitiere -: „Deutschland
muss in Europa ein Vorbild sein“. In diesem Kommentar
wurde sehr überzeugend dargestellt, warum man an der
schwarzen Null, an der Konsolidierung des Haushaltes,
festhalten muss und dieses Ziel nicht einfach aufgeben
sollte, wenn es eine kleine Konjunkturdelle gibt. Ich bin
stolz, dass wir für 2015 einen ausgeglichenen Haushalt
vorlegen können und auch beschließen werden.
({0})
Sparen ist aber kein Selbstzweck. Mit dem Bundeshaushalt 2015 treten wir deshalb auch den Beweis dafür
an, dass man finanzielle Konsolidierung und Zukunftsinvestitionen sehr wohl miteinander verbinden kann und
auch muss. Der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist dafür das beste Beispiel. Wir beAnette Hübinger
raten heute abschließend über die schwarze Null, aber
auch über einen Rekordetat dieses Ministeriums, der
2015 fast 15,3 Milliarden Euro umfassen wird. Hinzu
kommt, dass diese Rekordinvestition keine Eintagsfliege
ist. Vielmehr ist der Bildungs- und Forschungsetat in den
letzten Jahren immer maßgeblich angestiegen. Von 2005
bis heute haben wir ihn sogar verdoppelt.
({1})
Auch die Große Koalition wird diese Entwicklung weiterführen. Ich glaube, dass wir uns in der Großen Koalition am Ende dieser Legislaturperiode sehr gerne daran
messen lassen werden, ob wir das erreicht haben oder
nicht.
Das Ministerium für Bildung und Forschung hat auch
dieses Mal einen Haushaltsentwurf vorgelegt, in dem inhaltliche Kontinuität und neue thematische Akzentsetzungen gleichermaßen berücksichtigt sind. An dieser
Stelle ein großes Dankeschön an Ministerin Wanka und
die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium für diese sehr gute Arbeit in den vergangenen Jahren!
({2})
Die richtigen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen in
Bildung und Forschung und die finanzielle Verlässlichkeit in diesem Bereich haben dazu geführt, dass
Deutschland in Bildungsfragen stark aufgeholt hat, für
seine duale Berufsausbildung beneidet wird und in der
Forschung zur internationalen Spitze gehört - eine Entwicklung, die weltweit aufmerksam verfolgt wird.
({3})
Auf diesen Erfolgen sollten wir uns nicht ausruhen. Das
heißt aber nicht, dass wir jedes Jahr das Rad neu erfinden müssen.
Neu ist allerdings, dass der Bund die BAföG-Kosten
der Länder auf Dauer übernehmen wird. Das sind für die
Länder Einsparungen in einer Höhe von ungefähr
1,2 Milliarden Euro jährlich. Die Länder haben versprochen, dieses Geld im Bildungsbereich zu investieren.
Darauf werden wir achten.
Neu ist auch das gemeinsame Bund-Länder-Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, das der
Bund mit 45 Millionen Euro finanziert. Ziel dieses Programms ist die nachhaltige Verbesserung der Lehrerausbildung, von der Profilierung und Optimierung der
Strukturen der Lehrerbildung an den Hochschulen bis
hin zur Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf
die Anforderungen der Heterogenität und der Inklusion.
Da dies ein guter Haushaltsentwurf ist, haben wir im
Detail genau hingeschaut, wo wir nachsteuern wollen
und können. Erhöht haben wir in Zusammenarbeit mit
den Fachpolitikern der Koalition zum Beispiel die Titel
für berufliche Bildung, insbesondere für die Berufsorientierung.
({4})
Wir geben hierfür 12 Millionen Euro mehr und erhöhen
damit den Titel auf 77 Millionen Euro. Erhöht haben wir
aber auch den Titel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, weil wir dort einen Mehrbedarf für Renovierungen sehen, aber auch einen Mehrbedarf, um diese
Ausbildungsstätten zu Kompetenzzentren in der beruflichen Ausbildung weiterzuentwickeln. 10 Millionen Euro
zusätzlich ist eine stolze Summe.
({5})
Diese Erhöhungen zeigen, dass wir in der Koalition die
berufliche duale Ausbildung genauso wertschätzen und
ihr genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie der akademischen Bildung.
Auch Themen wie Alphabetisierung, Forschung an
Fachhochschulen oder die Stärkung von Forschungsaktivitäten im Bereich der vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten finden Sie im Koalitionsvertrag.
Die Umschichtungen zugunsten dieser Bereiche zeigen,
dass die CDU/CSU, aber auch die SPD die Umsetzung
des Koalitionsvertrages sehr ernst nehmen. Er ist die
Leitlinie unseres Handelns.
({6})
Oft geht es auch gar nicht um ganz große Summen.
Ich will Ihnen dies an einem Beispiel verdeutlichen. Wir
haben für das „Haus der kleinen Forscher“ 1 Million
Euro zusätzlich bereitgestellt. Mit dem „Haus der kleinen Forscher“ sollen die Neugier der Kinder und das Interesse für naturwissenschaftliche Vorgänge geweckt
werden. Wir wollen diesen Bildungsansatz verstetigen.
Deswegen wird dieses Programm für Kinder im Grundschulalter fortgesetzt und mit 2 Millionen Euro jährlich
unterstützt.
({7})
Wenn ich schon über kleinere Veränderungen in einem Milliardenhaushalt spreche, möchte ich auch darauf
hinweisen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ein
Ministerium die Veränderungen, die die Mitglieder des
Haushaltsausschusses in Kooperation mit den Fachpolitikern beschlossen haben, fortführt. Vielmehr beschließen wir immer nur den Haushaltsplan für das kommende
Jahr. Hier muss ich das BMBF loben: Die Änderungen
sind zumeist vollumfänglich fortgeführt worden, sodass
wir nicht immer wieder von vorne anfangen müssen und
neue Akzente setzen können.
({8})
Die Änderungsanträge von 2014 bis 2015 ziehen, wenn
man sie bis zum Ende der Legislaturperiode hochrechnet, eine Festschreibung von 370 Millionen Euro nach
sich. Ich kann mir vorstellen, dass auch in den folgenden
Jahren die Fachpolitiker oder auch die Haushaltspolitiker noch einige Wünsche haben.
({9})
Jeder umgeschichtete Euro wurde durch eine seriöse
Gegenfinanzierung innerhalb des Haushalts gedeckt.
Auch da unterscheiden wir uns in unserem Anspruch etwas von den lieben Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die Grünen
fordern Umschichtungen in Höhe von insgesamt
1,5 Milliarden Euro; davon sind 230 Millionen Euro gegenfinanziert.
({10})
Die Linke setzt dem die Krone auf; von 6,6 Milliarden
Euro an Umschichtungen sind 810 Millionen Euro gegenfinanziert. Seriöse Haushaltspolitik zum Wohle von
Bildung und Forschung sieht meiner Ansicht nach etwas
anders aus.
({11})
Allein mit Fantasie an diese Sache heranzugehen ist,
denke ich, nicht der richtige Weg. Ich möchte Ihnen aber
zugestehen, dass Sie, insbesondere auf der linken Seite,
ohnehin eine ganz andere Politik wollen.
Aber zurück zur Realität. Der Blick auf den Haushalt
2015 zeigt, dass es für die Koalition immer noch oberste
Priorität hat, dass der Bereich Bildung und Forschung an
erster Stelle steht. Ich glaube, wenn wir in künftigen
Haushalten Spielräume haben, kann man für die Zukunft
unseres Landes und unserer Kinder am allerbesten in
diesen Bereich investieren.
({12})
Zum Schluss darf ich mich noch ganz herzlich bei den
Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern bedanken. Ich danke insbesondere unserem Hauptberichterstatter Swen Schulz für das kollegiale Miteinander und
seine optimale Führung dieser Haushaltsverhandlungen.
({13})
Ich darf mich aber auch bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Ministeriums und in den Fraktionen bedanken; denn es ist nicht einfach, nächtelang über einem
Haushalt zu brüten. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hübinger. - Nächste
Rednerin in der Debatte ist Ekin Deligöz für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin, am Dienstag waren wir zur Einweihung des neuen Gebäudes Ihres Ministeriums eingeladen. Ich gratuliere auch in unserem Namen zu diesem
Gebäude. Es ist sehr innovativ, zumindest in energetischer Hinsicht. Darüber freue ich mich als Grüne ganz
besonders, und ich hoffe, dass sich das Innovative auch
auf Ihre Politik niederschlägt, die uns in Zukunft aus Ihrem Hause erwartet.
Mit Blick auf Ihren Haushalt hört das Feiern aber
wieder auf. Ich hätte mir etwas mehr gewünscht. Frau
Hübinger, Sie haben behauptet, wir hätten Forderungen
gestellt, deren Finanzierung nicht gedeckt ist. Sie wissen
es besser. Sie wissen, dass wir einen Antrag vorgelegt
haben, mit dem wir bei den ökologisch schädlichen Subventionen angesetzt haben. Wir haben damit beispielhaft
dargelegt, wo man einsparen und wo man investieren
kann. Bei uns war jeder Cent gedeckt. Ihre Behauptung
lassen wir so nicht stehen. Ich lasse das für meine Fraktion nicht gelten.
({0})
Das Jahr 2014 haben Sie mit der Ankündigung von
9 Milliarden Euro Investitionen in Bildung und Forschung begonnen. Das klingt gut. Allein mir fehlt der
Glaube; denn - damit kommen wir zum Kern - dieser
Bundeshaushalt ist auf Sand gebaut. Warum? Sie setzen
auf gute Steuereinnahmen und darauf, dass die Konjunktur weiter anhält. Sie setzen auf niedrige Arbeitslosigkeit
und niedrige Zinsen. Wenn aber die Steuereinnahmen
nur um einen Hauch sinken und zum Beispiel einen halben Prozentpunkt geringer ausfallen, dann klafft in Ihrem Haushalt schon eine Lücke von 14 Milliarden Euro.
Sie werden sich daran messen lassen müssen, ob es Ihnen gelingt, in zwei Jahren endlich eine BAföG-Erhöhung durchzusetzen und die versprochenen 9 Milliarden
Euro auch tatsächlich in dieser Höhe zu investieren. Zurzeit reden wir nur von Versprechen, aber nicht von der
tatsächlichen Umsetzung.
({1})
Schon jetzt muss dieser Haushalt eine große Last tragen. Sie haben unter den vielen Einzelplänen die größte
globale Minderausgabe mit fast einer halben Milliarde
Euro auferlegt bekommen, obwohl der Minister, die
Kanzlerin und Sie selber wahrscheinlich auch gleich
wieder immer behaupten, Bildungsinvestitionen seien
wahre Zukunftsinvestitionen. Vorne bringen Sie das
Geld zur Tür herein, aber hinten holen Sie es durchs
Fenster wieder heraus. Sie tricksen und machen leere
Versprechungen.
({2})
Ärgerlich ist auch, dass das Bildungsministerium wegen des unsinnigen Betreuungsgeldes sparen muss. Sie
haben zwar den Gesamtansatz für das Betreuungsgeld in
der Bereinigungssitzung um 100 Millionen Euro gesenkt. Aber statt die GMA im gleichen Maße zu verringern, hat der Finanzminister die GMA im Bildungsetat
um weitere 70 Millionen Euro erhöht. Rechte Hand,
linke Hand - Sie tricksen, meine Damen und Herren. Sie
reden hier von Innovation und heraus kommen Sparmaßnahmen im Bildungsetat, also genau dort, wo Investitionen stattfinden müssten.
({3})
Was mir wirklich Bauchschmerzen macht, Frau Ministerin - da haben wir offensichtlich einen Dissens, den
ich hier auch benenne -, sind die Kosten für den Rückbau bzw. die Stilllegung atomarer Forschungsanlagen.
Als Haushälterin mache ich mir wirklich Sorgen darüber, wie die explodierenden Kosten diesen Haushalt
von Jahr zu Jahr stärker belasten werden. Als Grüne bin
ich überzeugt davon, dass es richtig ist, gegen kerntechnische Anlagen, gegen Atomforschung anzugehen. Da
haben wir einen Dissens. Sie sagen nämlich noch immer,
die Forschung an der Kernfusion, die Forschung an der
Atomenergie sei Zukunftsforschung.
({4})
Ich sage Ihnen: Das ist rückständige Forschung, das ist
Festhalten an Dinosauriertechnologien.
({5})
Wir hier in Deutschland, wir können anders; Innovation
geht anders.
({6})
Die Bundesregierung will Atommüll aus dem Forschungszentrum Jülich in die USA abschieben. Ich sehe
das kritisch und sage Ihnen auch, warum. Sie behaupten,
das sei Forschungsmüll. Das ist aber falsch. Fakt ist,
dass in diesem Reaktor jahrzehntelang kommerziell
Strom erzeugt und durch den Verkauf auch Geld verdient
wurde.
({7})
Daher handelt es sich nicht um Forschungsmüll. Damit
gilt das Gesetz, dass Wiederaufbereitung im Ausland
- seit 2005 - verboten ist. Damit haben wir die Verantwortung, eine Lösung in Deutschland zu finden, und damit sind Sie dazu verpflichtet, nach dieser Lösung zu suchen.
({8})
Wir können nicht sagen: „Aus den Augen, aus dem
Sinn“, sondern müssen uns dieser Verantwortung stellen.
Sie müssen sich dieser Verantwortung stellen. Ducken
Sie sich da bitte nicht weg!
({9})
Ich finde übrigens, dass die Stilllegung von Forschungsreaktoren gar nicht in diesen Haushalt gehört.
Eigentlich gehören diese Aufwendungen in einen anderen Haushalt, nämlich in den Haushalt eines Ressorts,
wo tatsächlich Wissen und Know-how im Umgang mit
Atommüll vorhanden sind: in das BMU. In Anbetracht
der Tatsache, was da auf uns zukommt, könnten wir auch
über das Finanzministerium direkt reden; besser wäre
meines Erachtens aber das BMU. Fakt ist doch: An erster Stelle muss die Sicherheit stehen. Ich glaube, allein
deswegen sollte das Bildungsministerium in seinem eigenen Interesse mit daran arbeiten, dass diese Aufgabe
nicht in diesem Haushalt verbleibt, sondern in einen anderen Haushalt wandert.
({10})
Abschließend bedanke ich mich bei unserem Hauptberichterstatter Swen Schulz; er hat das sehr gut gemacht. Ich danke zudem allen Berichterstattern und auch
dem Ministerium, dass sie gute Ideen übernommen haben. Ich bin als Politikerin schon immer überzeugt gewesen, dass sich gute Ideen durchsetzen. Als wir unsere
Anträge eingebracht haben, dass die Kürzungen im Bereich der beruflichen Bildung zurückgenommen werden
sollen, hat die Koalition noch dagegen gestimmt. Sie
wurden eines Besseren belehrt.
({11})
Gute Argumente setzen sich eben durch; am Ende zählt
das Ziel. Wenn die Ideen von den Grünen kommen,
umso besser.
Ich freue mich auch, dass wir jetzt eine Aufwertung
im Bereich der Friedensforschung und der Fachhochschulen haben; auch das sind lange erhobene Forderungen der Grünen. Wir bleiben zuverlässige Partner, wenn
es um Bildung und Forschung geht. Eines unterscheidet
uns von Ihnen: Wir tricksen nicht.
Danke.
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Deligöz. - Nächster Redner in der Debatte: Swen Schulz für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegin
Deligöz, eigentlich hatten Sie so einen schönen Schluss
gefunden - das war so versöhnlich -; doch dann kam das
mit dem Tricksen. Wir sollten uns da gegenseitig ein
bisschen auf den Stand der Dinge bringen: Dieser Haushalt ist seriös ausfinanziert. Wir haben das in sehr intensiven Haushaltsberatungen sichergestellt.
({0})
Das hat eine ganze Menge Arbeit gemacht, mehr, als
man von außen erkennen kann. Darum will ich mich in
meiner Funktion als Hauptberichterstatter bei meinen Berichterstatterkolleginnen und -kollegen auch noch einmal
ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Vor
allem aber richtet sich mein Dank an die fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros,
Swen Schulz ({1})
in den Fraktionen, natürlich auch im Ministerium, die
uns Berichterstatter dabei unterstützt haben. Ohne sie
wäre das alles nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank
von uns allen!
({2})
Neulich habe ich hier im Plenum davon gesprochen,
dass Ministerin Wanka sicher jeden Tag dem Himmel für
die SPD dankt; denn wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschung im Vergleich zur schwarz-gelben
Finanzplanung deutlich erhöht. Heute will ich das erweitern. Frau Ministerin, Sie werden sich bestimmt glücklich schätzen, dass Sie mit einem so engagierten Parlament zusammenarbeiten; denn wir Parlamentarier haben
es geschafft, den guten Regierungsentwurf noch ein
Stück weit zu verbessern.
({3})
Insgesamt sind es 25 Änderungen geworden. Manche
wie die zusätzliche Million beim „Haus der kleinen Forscher“, von der Frau Hübinger sprach, sind klein, aber
fein. Manche sind ein wenig größer.
Ich habe gestern die Debatte der ersten Lesung im
September dieses Jahres nachgelesen. Was damals vonseiten der Koalitionsfraktionen an Themen angesprochen wurde, haben wir in den Haushaltsberatungen
Punkt für Punkt abgearbeitet. Wir können heute klar sagen: Die Koalition hat Wort gehalten, und der Deutsche
Bundestag macht einen Unterschied.
({4})
Im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Redezeit kann ich nicht auf alle Bereiche eingehen, die wir
berücksichtigt haben. Lassen Sie mich daher einige herausgreifen, ohne mir das als Mangel an Wertschätzung
für die anderen Themen auszulegen. Sie können sicher
sein, dass wir alle Fragen intensiv erörtert haben.
In den Beratungen sind von verschiedenen Abgeordneten - auch von der Opposition - Hinweise gekommen,
dass wir die berufliche Bildung noch stärker betonen
müssen. Das haben wir getan. 22 Millionen im Jahr 2015
und 55 Millionen Euro in den folgenden Jahren stellen
wir mehr zur Verfügung, um 20 000 zusätzliche Plätze
für die Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern sowie überbetriebliche Berufsbildungsstätten zu finanzieren. Das ist ein starkes Signal in Richtung beruflicher Bildung.
({5})
Wir werden in den nächsten Jahren noch mehr für die
berufliche Bildung tun. Dazu gehört auch das MeisterBAföG. Beim Schüler- und Studierenden-BAföG haben
wir vorgelegt. Nun müssen wir für die beruflich Qualifizierten nachlegen. Diese Fachkräfte sind uns nicht weniger wichtig. Wir werden das mit einer entsprechenden finanziellen Verstärkung unterlegen.
({6})
Wir haben in den parlamentarischen Beratungen noch
etwas für die Produktions-, Arbeits- und Dienstleistungsforschung draufgelegt. Das ist nicht nur für die
Wirtschaft, sondern auch für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ein wichtiges Feld. Alle reden über die Industrie 4.0. Die Wirtschaftswelt und die Arbeitsplätze
verändern sich massiv. Wir wollen die Umbrüche stärker
erforschen und die Folgen positiv gestalten. Es ist uns
wichtig, gemeinsam mit der Wissenschaft, der Wirtschaft und den Gewerkschaften zu Konzepten zu kommen, damit wir im Wettbewerb Schritt halten und gleichzeitig gute Arbeit schaffen. Der Wandel darf nicht
zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.
({7})
Ein weiterer Schwerpunkt sind die Alphabetisierung
und die Grundbildung. Auch da haben wir den Ansatz
erhöht. Wir liegen nun beim Doppelten des Jahres 2013.
Es geht dabei nicht um Nobelpreise und Hightech. Trotzdem ist das sehr wichtig. Gemeinsam mit dem Staatssekretär Müller habe ich neulich eine Veranstaltung zu diesem Thema besucht. Es ist wirklich beeindruckend, von
den erwachsenen Menschen, die alphabetisiert werden,
und den Projekten zu lernen, was Alphabetisierung für
gesellschaftliche Teilhabe und Chancen individuell bedeutet. Mit relativ wenig Geld können wir da wirklich
eine Menge bewirken.
({8})
Das Ministerium entwickelt gemeinsam mit den Ländern
das Konzept für eine ganze Alphabetisierungsdekade.
Der Bundestag wird das mit gutem Rat und Unterstützung begleiten. Wir wissen: Jeder Bürger, dem wir damit
auf seinem Lebensweg helfen, stellt einen großen Erfolg
für uns alle dar.
({9})
Wir haben noch viel mehr gemacht, für die digitalen
Medien in der Bildung, die Friedensforschung, die kleinen Fächer, die Stärkung Deutschlands im europäischen
Forschungs- und Bildungsraum, die Forschung an den
Fachhochschulen, die Gesundheitsforschung und die Kitas.
Ich will nun zu dem einzigen Punkt kommen, an dem
es in der Koalition ein Stück weit gehakt hat. Ich will das
hier offen ansprechen. Das muss man nicht verschweigen. Schließlich bleiben wir auch in der Koalition unterschiedliche Parteien; das ist gut so. Ich meine das Ganztagsschulbegleitprogramm. Wir von der SPD sind der
Auffassung, dass sich der Bund trotz der Zuständigkeit
der Länder für die Schulen aus diesem erfolgreichen
Programm nicht ganz herausziehen sollte.
({10})
Die Union will nur die Forschung weiter finanzieren,
nicht aber das Beratungsnetzwerk und den bundesweiten
Ganztagsschulkongress. Obwohl die Union hier sehr
klar ist und ihre respektablen Gründe hat, ist sie uns für
das Jahr 2015 so weit entgegengekommen, dass wir eine
Swen Schulz ({11})
nochmalige und letztmalige Finanzierung vonseiten des
Bundes vorsehen. Wir setzen nun darauf, dass die Länder die Zeit nutzen und künftig eine andere Lösung finden.
({12})
Insgesamt hat der Haushaltsausschuss, wie gesagt,
25 Änderungsanträge beschlossen. Wir mussten auch
eine Gegenfinanzierung für unsere Ausgabenwünsche
vorsehen. Nur mehr Geld zu fordern, wäre allzu leicht
gewesen. Wir haben Positionen gefunden, in denen die
Ausgaben nicht in der geplanten Höhe umsetzbar sind,
etwa beim Deutschlandstipendium, beim Haus der Zukunft und bei einigen Investitionsvorhaben. Unsere
Anträge wurden auch von der Opposition im Haushaltsausschuss überwiegend angenommen oder mit einer freundlichen Enthaltung bedacht. Es gab nur wenige
Ablehnungen. Ganz schlecht können unsere Änderungen
also nicht gewesen sein.
Ich will noch darauf hinweisen, dass die Zusammenarbeit mit Frau Hübinger sehr zielführend und verlässlich ist.
({13})
Auch mit den beiden Oppositionsberichterstattern ist es
sehr konstruktiv und angenehm. Ich weiß jetzt zwar
nicht, ob euch das hilft, wenn ich das hier so sage;
({14})
aber ihr müsst jetzt mit diesem Lob klarkommen.
({15})
Wir schauen auch über das Jahr 2015 hinaus. Die
deutsche Bildungs- und Forschungspolitik hat in den
letzten gut 15 Jahren über die verschiedenen Regierungen hinweg - Rot-Grün, Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb lange Linien entwickelt, und wir setzen noch einmal ordentlich eins drauf und entwickeln diese langen Linien
weiter. Wir verlängern den Hochschulpakt, wir verlängern den Pakt für Forschung und Innovation, wir übernehmen das BAföG komplett und stärken es, und wir
führen die Exzellenzinitiative verändert weiter. Das ergibt ein erhebliches Haushaltsvolumen in den nächsten
Jahren, das ich hier lieber nicht näher beziffern will;
sonst bekommen ein paar Haushälter Schweißausbrüche.
Es wird noch besser: Mit dem Investitionspaket für
2016 bis 2018 entfällt schon einmal die Umlage für das
Betreuungsgeld. Das sind über 100 Millionen Euro jährlich.
({16})
Ich sage dazu: Endlich haben wir das erreicht. Mich hat
die ganze Zeit geärgert, dass der Bildungshaushalt mit
diesem unsinnigen Betreuungsgeld belastet wird. Damit
ist jetzt Schluss.
({17})
Hinzu kommen in den nächsten Jahren je über
300 Millionen Euro zusätzliche freie Mittel. Dann stellt
sich auch noch die Frage, was wir mit den weiteren Mitteln für Investitionen machen werden. Das werden wir in
den nächsten Monaten erörtern.
Das sind schon ordentliche Perspektiven. Ich würde
jetzt gerne noch erläutern, was wir auf Vorschlag der
SPD mit dem Geld machen wollen, aber ich darf nicht.
Die Präsidentin leuchtet schon.
({18})
- Sie leuchtet mir den Weg.
Auch mir tut es leid. Es ist zwar bald Weihnachten,
aber es geht nicht. Bitte kommen Sie zum Ende.
Mein Fazit: Wir haben einen guten, einen Rekordhaushalt 2015 heute hier zur Abstimmung vorliegen. Ab
der nächsten Woche machen wir uns dann an den noch
besseren Haushalt für die nächsten Jahre.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich kann auch nichts
dafür, dass die Reden immer so kurz sind. Aber Sie wissen: Wir haben noch einen langen Tag vor uns, und wir
hängen unglaublich. Bisher haben Sie sich in dieser Debatte überpünktlich an die Redezeiten gehalten.
Ich begrüße meinen Kollegen Hintze auf der Tribüne.
Schönen guten Tag, Herr Kollege!
Ich fahre fort in der Rednerliste und erteile Frau Bundesministerin Professor Johanna Wanka das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren seit Dienstag in zweiter Lesung
den Haushalt für das Jahr 2015. In fast allen Redebeiträgen ist von der schwarzen Null und davon, keine neuen
Schulden mehr zu machen, geredet worden. Das ist ein
Kraftakt. Seit Jahrzehnten ist das nicht mehr gelungen.
Sie können sich vorstellen, dass es natürlich nicht nur
bei uns, sondern in vielen Ressorts Wünsche gibt. Trotz
der schwarzen Null und der Tatsache, dass keine neuen
Schulden aufgenommen werden, hat der Einzelplan des
BMBF, über den wir gerade reden, eine Steigerung von
diesem Jahr auf das nächste um 8,7 Prozent erfahren.
({0})
Das bedeutet erfolgreiche Konsolidierung und auch erfolgreiche Schwerpunktsetzung. Frau Deligöz, Sie wissen es besser, und ich habe es schon oft gesagt: Diese
Steigerung ist netto, also unter Abzug der globalen Minderausgabe. Das ist das Geld, das zusätzlich hinzukommt, rund 1,2 Milliarden Euro.
({1})
Insgesamt umfasst der Haushalt des BMBF 15,3 Milliarden Euro. Damit steigt er zum neunten Mal in Folge.
Seit 2005, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, sind
die Haushaltsmittel jedes Jahr gestiegen.
Nun kann man meinen, dass Bildung und Forschung
überall auf der Welt wichtig sind. Schauen Sie sich einmal in Europa um. Schauen Sie sich einmal an, welche
Länder in Europa nicht gekürzt haben. Ich will jetzt gar
nicht von Griechenland reden, wo die Mittel um 40 Prozent gekürzt worden sind. Ich will auch nicht von Großbritannien reden. Es gibt kaum Länder - in Norwegen
und in Schweden ist es noch so ähnlich -, die die Mittel
gehalten oder gar erhöht haben.
Das heißt, das ist nicht trivial. Es ist eine große Leistung, diese Schwerpunktsetzung in der Bundesrepublik
Deutschland so konsequent durchgehalten zu haben. Das
muss uns erst einmal einer nachmachen.
({2})
Jetzt stellt sich die Frage, was die Opposition macht.
Es liegen Änderungsvorschläge von Bündnis 90/Die
Grünen vor. Natürlich legt die Opposition Änderungsvorschläge vor. Änderungsvorschläge machen aber auch
eigene Leute.
({3})
Diese Änderungsvorschläge umfassen ein Volumen
von 1,2 Milliarden Euro. Das ist noch einmal so viel wie
die von uns vorgesehene Steigerung. Nur mal so zur
Orientierung, um das ein bisschen einzuordnen: Der Betrag in Höhe von 1,2 Milliarden Euro ist der Betrag, um
den Sie in Ihrer Regierungszeit auf Bundesebene in sieben Jahren den BMBF-Haushalt gesteigert haben. Diese
Steigerung fordern Sie nun für ein Jahr. Ich denke, an
dieser Stelle wird sehr deutlich, wie Taten und Worte
auseinanderklaffen.
({4})
Die Linke will natürlich nicht nur 2,4 Milliarden Euro
mehr. Das hätte auch niemand gedacht. Die Linke will
auch nicht 3 Milliarden Euro oder 5 Milliarden Euro,
sondern 7 Milliarden Euro mehr, die die Linke einschließlich unserer Steigerungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro mit ihren Änderungsanträgen insgesamt beantragt.
({5})
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass Sie
in dem Bundesland, in dem Sie Einfluss haben, in dem
Sie Mitglied der Regierung sind, wenigstens dafür sorgen würden, wofür Sie in den vergangenen Jahren nicht
gesorgt haben, nämlich dass das Geld, das vom Bund
kommt und in dieses Land fließt, bei den Hochschulen
und den Studierenden ankommt. Das wünsche ich mir.
({6})
Es ist klar: Oppositionsarbeit hat ihre eigenen Regeln.
Ich war selbst auch einmal in der Opposition. Das ist
völlig klar. Bei Forschung und Bildung brauchen wir
meines Erachtens aber etwas anderes. Hierbei brauchen
wir Verlässlichkeit und einen langen Atem.
Deswegen ist ein ausgeglichener Haushalt die beste
Basis dafür, dass wir auch in Zukunft Spielräume für
diesen Bereich gewinnen und darüber diskutieren, was
wir mit diesen 10 Milliarden Euro machen. Das ist der
Unterschied.
Ich glaube, Sie möchten gerne Politik für den Augenblick und für den Beifall. Wir wollen eine Politik der
Verantwortung. Diese muss einen langen Atem haben.
Das zeigt dieser Haushalt. Das zeigt auch die Steigerungsrate in dieser Legislaturperiode im BMBF-Haushalt in der vorliegenden Fassung. Mindestens 25 Prozent
werden in dieser Legislaturperiode hinzukommen.
({7})
Herr Claus, ich kann die Bemerkung überhaupt nicht
nachvollziehen, wir seien den Nachweis schuldig geblieben, was mit den dem BMBF zur Verfügung gestellten
Mitteln gemacht wurde. Sehen wir einmal von den Evaluationen ab, die wir zu allen unseren Programmen machen, um einen Überblick über die Auswirkungen unserer Programme zu gewinnen. Der Beleg ist doch unsere
Stellung in der Wissenschafts- und Forschungsszene.
Wir sind international spitze. Bei Innovationsrankings
sind wir ganz weit vorn. Das ist der Beleg dafür, dass
das, was gemacht wurde, richtig und wichtig ist.
Es geht nicht nur darum, dass man mehr Geld ausgibt,
sondern auch darum, wie man es ausgibt. Derzeit sind
wir in der Situation, dass Studierende und Forscher aus
der ganzen Welt zu uns kommen und wir richtig gute
Spitzenforscher bekommen. Das haben wir auch durch
Strategien erreicht.
Deswegen sage ich, dass ich stolz darauf bin, dass wir
im Jahr 2014 als erstes europäisches Land eine Strategie
für den europäischen Forschungsraum entwickelt haben.
Dabei wurde auch berücksichtigt, wie Deutschland das
sieht und was Deutschland macht. Wenn heute der neue
Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation
zu mir kommt, dann werden wir darüber reden, wie man
eine Stärkung Europas insgesamt erreichen kann. Wir
sind in Deutschland gut. Das nützt uns aber nur, wenn
wir als europäischer Bereich glänzen in Konkurrenz zu
den anderen Standorten auf der Welt.
({8})
Von dem Geld, das in den vergangenen Jahren in diesen Haushalt geflossen ist, ist ganz viel da angekommen,
wo Bildung und Forschung betrieben werden, nämlich in
den Ländern, und zwar über den Pakt für Forschung und
Innovation, über den Hochschulpakt und über die Exzellenzinitiative.
Jetzt machen wir aber etwas, was es zuvor noch nicht
gab. Ab dem 1. Januar zahlt der Bund das BAföG komplett. Wo da ein Schattenhaushalt sein soll oder wo man
da sozusagen einen Türken gebaut hat - -. Das meine
ich jetzt nicht in Richtung von Herr Mutlu. Nicht, dass
Sie gleich einen Schreck bekommen.
({9})
- Nein. Sie schauten so kritisch; deswegen habe ich an
Sie gedacht.
({10})
- Wir beide, ja. - Entschuldigung! Ich habe nach einer
Vokabel gesucht, die das, was Frau Deligöz angesprochen hat, ausdrückt.
({11})
- „Tricksen“, ja, tricksen. Ich kam nicht darauf.
Was ein Trick daran sein soll, dass der Bund ab 1. Januar 2015 - das ist in etwas mehr als einem Monat vollständig die Mittel für das BAföG zur Verfügung
stellt, das müssen Sie mir einmal erklären. Das ist hartes
Geld.
({12})
Was man mit dem zusätzlich zur Verfügung stehenden
Geld alles machen kann! Wir haben es ins Gesetz geschrieben: Dieses Geld ist insbesondere für die Hochschulen gedacht. Wir alle wissen, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen trotz der vielen Gelder, die der
Bund gegeben hat, nicht gestiegen ist. Rein theoretisch
könnte die Grundfinanzierung aller Hochschulen - der
ganz großen in München oder in Berlin und der ganz
kleinen - ab dem 1. Januar 2015, also fast ab sofort, dauerhaft um 5 Prozent steigen. Es gilt, dieses Geld richtig
einzusetzen. Dieses Geld kann für die Finanzierung unbefristeter Stellen verwendet werden. Es ist ein geeignetes Instrument zur Lösung des Problems, wissenschaftlichen Nachwuchs zu finden. Dieses Instrument liegt auf
dem Tisch der Länder.
({13})
Meine Damen und Herren, Henry Ford sagte einmal:
Was ein Land ausmacht, entscheidet sich nicht erst in
den Forschungslaboren und in den Fabrikhallen, sondern
in den Schulen. - Wir setzen früher an: in der Kita.
({14})
Das „Haus der kleinen Forscher“ gibt es seit einer Reihe
von Jahren. Wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen vorgenommen, 80 Prozent aller Kinderbetreuungseinrichtungen mit dieser Initiative zu erreichen. Erreicht
haben wir jetzt schon die vierten Klassen der Grundschulen. Außerdem unterstützen wir die Eltern der Schüler, die sich für diese Initiative interessieren. Dass wir
mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern ein wirklich gutes System aufgebaut haben, ist etwas, worauf wir stolz
sein können. Das, was wir aufgebaut haben, wird ja auch
wertgeschätzt.
({15})
Mehr Schulklassen zu erreichen, ist unser nächster
Schritt. Dreh- und Angelpunkt in den Schulen sind natürlich die Lehrer, deren Qualität, deren Geschick. Wir
haben viele positive Nachrichten über die Wertschätzung
der Lehrer durch die Kinder. Der Bund gibt ab dem
nächsten Jahr ohne Kofinanzierung 500 Millionen Euro
aus - die nötigen Ausschreibungen laufen jetzt schon;
Entscheidungen werden bereits getroffen -, damit die
Lehrerbildung in den Ländern - sie tragen ja die Hauptlast; Lehrerbildung ist ihre Aufgabe - ermöglicht, dass
Neues ausprobiert werden kann, dass die Qualität gesteigert werden kann, dass man sich auf die neuen Herausforderungen einstellen kann.
Die Problemlage bei der beruflichen Bildung kennen
wir alle. Das Entscheidende dabei ist für mich nicht ein
neues Programm, sondern flächendeckend etwas zustande zu bringen. Das heißt, präventiv, also nicht erst,
wenn jemand 35 ist und keinerlei Abschluss hat, und individuell, auf den Einzelnen und seine Fähigkeiten ausgerichtet, zu beraten. Das ist mit den Summen, die wir in
unserem Etat haben, nicht leistbar. Ich bin sehr froh, dass
wir, mein Ministerium, das Arbeitsministerium und die
Bundesagentur für Arbeit, uns verständigt haben und in
den nächsten Jahren über 1 Milliarde Euro für die Berufseinstiegsbegleitung, für die Unterstützung der Bildungsketten einsetzen. Ich freue mich auch, dass die Titelansätze in unserem Haushalt über das, was Sie sich
gewünscht haben, hinaus ein Stück weit erhöht worden
sind. Das macht die ganze Sache rund.
({16})
Maßnahmen zur Alphabetisierung habe ich selbst vor
Ort ganz intensiv erlebt. Ich habe Menschen kennengelernt, die sich getraut haben, daran teilzunehmen, und
Menschen, die es dann auch geschafft haben. In diesem
Zusammenhang kommt es vor allen Dingen darauf an,
die richtigen Instrumente einzusetzen. Niedersachsen
stand in diesem Bereich immer - es gab keine Hilfe vom
Bund - 1 Million Euro pro Jahr zur Verfügung. Erreicht
haben wir damit 50 bis 60 Prozent. Wir müssen mehr erreichen. Deswegen brauchen wir große Instrumente. Das
Ganze muss man durch entsprechende Werbemaßnahmen begleiten, wie sie in dieser Kampagne angelegt
sind. Es geht darum, möglichst viele zu erreichen, und
vor allen Dingen darum, zu ermutigen.
Damit kommen wir zum Thema Bildungsgerechtigkeit. Was heißt das für den Hochschulpakt? Ich habe
heute vermisst - Sie wissen ja alle, dass wir es geregelt
haben -, dass gefragt wird: Was ist denn mit den steigenden Studierendenzahlen? Eigentlich ist der Hochschulpakt ein Paket, in dem aufgrund der Prognose festgelegt
ist, wie viel der Bund zahlt - Schluss! In den vergangenen Jahren wurde die Summe, die der Bund zahlt, immer
wieder angehoben, wenn es mehr Studierende gab. Wir
haben seit gestern die neue Studierendenprognose. Wir
zahlen in 2015 200 Millionen Euro mehr, als geplant
war. Das heißt, wir reagieren darauf und zahlen für jeden
Studenten, der zusätzlich an den Hochschulen ist, den
entsprechenden Betrag. 200 Millionen Euro, das ist eine
beträchtliche Summe.
({17})
Ein paar letzte Bemerkungen, und zwar zu Forschung
und Entwicklung. Dass wir viel Geld für Forschung und
Entwicklung ausgegeben haben, hat auch bewirkt, und
zwar durch kluge Konstrukte, dass die Wirtschaft mehr
ausgegeben hat und wir das Ziel „3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Entwicklung“ fast erreicht haben.
Das Herzstück oder Kernstück der Forschungsförderungsphilosophie des Bundes ist die Hightech-Strategie.
Dazu vielleicht zwei Einsprengsel:
Ich denke, es ist ganz klar, dass für uns alle, CDU und
CSU, Werterhaltung, nachhaltiges Wirtschaften, Klimaschutz Herzensangelegenheiten sind. Deswegen haben
wir in diesem Jahr in einem intensiven Agendaprozess
überlegt: Wie machen wir das Forschungsprogramm für
nachhaltige Entwicklung noch stärker? Was machen wir
in den nächsten Jahren? Dieser lange Prozess unter Beteiligung der Zivilgesellschaft, der Verbände - wer auch
immer sich beteiligen wollte, konnte das tun - läuft im
Rahmen der Hightech-Strategie ab Januar mit neuem
Drive.
Sie haben die Bilder von der „Sonne“ gesehen. Die
startet jetzt im Dezember in den Pazifischen Ozean. Und
was macht sie dort?
({18})
- Herr Röspel, haben Sie es nicht verstanden? Das
Schiff!
({19})
- Ja. Wir waren damit eine Woche lang im Morgenmagazin. Das haben alle mitbekommen. - Was macht das
Forschungsschiff „Sonne“ im Pazifischen Ozean? Man
kümmert sich nicht darum: Wo sind vielleicht Rohstoffe,
die wir in Deutschland brauchen? Man kümmert sich um
grundlegende Fragen der Menschheit. Man kümmert
sich um Fragen des Klimawandels: Wie entsteht das
Klima da? Wie kann man Tsunamis verhindern? Wir
können mit entsprechenden Geräten jetzt in Tiefen vordringen, in denen wir noch nie waren, und können sehen,
was auf dem Meeresboden passiert und welche Auswirkungen das hat. - Das ist ein wichtiger Punkt der Hightech-Strategie.
Auf einen zweiten Punkt möchte ich an dieser Stelle
nur kurz eingehen. Barack Obama hat eine Analyse zu
der Frage in Auftrag gegeben: Warum sind die Deutschen so gut? Warum sind die im Innovationsranking vor
uns? Warum packen die das? - In der Analyse, die man
ihm vorgelegt hat, wurde deutlich herausgearbeitet, dass
Deutschland dadurch stark ist, dass Deutschland in der
Lage ist, sich in den alten Industrien durch Innovationen
immer wieder international wettbewerbsfähig zu halten.
Wir sind nicht der Weltmeister im Einreißen und darin,
alles völlig neu zu machen, sondern wir haben diese
Innovationskraft in den Industrien.
Im Bereich Produktion geht es jetzt um die Digitalisierung. Diesen Wettbewerbsschub schaffen wir, müssen
wir schaffen. Aber dazu braucht es auch staatliche Förderung. Das von Herrn Schulz schon angesprochene
Programm bedeutet Forschung für Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen. Es geht auch um die
Arbeitsbedingungen, die die Sozialpartner vereinbaren.
1 Milliarde Euro ist dafür vorgesehen. Das Programm
läuft zum Teil schon und startet, was den Bereich Arbeit
anbetrifft, im nächsten Jahr.
({20})
Meine Damen und Herren, das waren nur wenige Beispiele, die zeigen, dass es uns nicht nur gelingt, mehr
Geld in diesen Bereich zu geben, sondern dass es uns
auch gelingt, auf die großen Herausforderungen ehrliche
und tragfähige Antworten zu finden, und darauf bin ich
stolz.
({21})
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Nächste Rednerin in
der Debatte: Dr. Rosemarie Hein für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, in dieser Woche waren wir Gäste bei
der Eröffnung Ihres neuen Gebäudes, eines sehr schönen
Gebäudes. Nach den Reden konnten wir ein Kunstwerk
bestaunen, das an der Treppe präsentiert wurde. Aus
dem Treppengeländer stieg weißer Rauch auf. Weißer
Rauch gilt als Zeichen dafür, dass ein Problem gelöst
worden ist. Doch für weißen Rauch gibt es in diesem
Haushalt, finde ich, keinen Grund.
Ja, der Haushalt für Bildung und Forschung steigt insgesamt um etwa 1,2 Milliarden Euro. Aber mehr als die
Hälfte davon entfällt auf die Übernahme der BAföGAusgaben durch den Bund. Zudem enthält der Einzelplan 30 eine saftige globale Minderausgabe von immerhin 478 Millionen Euro. Globale Minderausgaben bringt
man immer dann aus, wenn man sparen muss, sich aber
nicht entscheiden kann, wo. Damit stehen wichtige Vorhaben theoretisch auf einer potenziellen Kürzungsliste.
Niemand weiß, wo gekürzt wird. Ich nenne das eine
Luftnummer. Nur ist noch nicht klar, wo der Ballon
platzt.
({0})
Nun kommt es: Wenn man jetzt die zusätzlich übernommenen BAföG-Mittel und die globale Minderausgabe addiert, dann kommt eine Summe von etwas mehr
als 1,2 Milliarden Euro heraus, also ziemlich genau das,
was Sie als Erhöhung verbuchen wollen. Ein Mehr für
Bildung sieht aber anders aus.
({1})
Statt kräftig in die Bildung zu investieren, haben Sie eigentlich nur die globale Minderausgabe erhöht.
Nun haben wir sehr wohl zur Kenntnis genommen,
dass im Zuge der Haushaltsverhandlungen noch einmal
umverteilt wurde: 8 Millionen Euro streichen Sie beim
Deutschlandstipendium, anderswo kommen 3 Millionen
Euro dazu, dort 2 Millionen, da 6 Millionen - immer
schöne runde Summen. So richtig weiß man nicht, wie
sich die runden Summen ergeben. So fülle ich immer
meine Weihnachtstüten, wenn am Ende noch Süßigkeiten übrig sind.
({2})
Das hat doch nichts mit einer sinnvollen und bewussten
Prioritätensetzung zu tun. Mir erschließt sich das nicht.
Nun erwarten Sie sicher, dass die Länder das beim
BAföG eingesparte Geld in die Bildung stecken; aber
Sie können es eben nicht mehr beeinflussen, weil Sie in
vielen Bildungsfragen nichts zu melden haben.
({3})
Im Gegenzug bleiben aber wichtige Bildungsaufgaben
des Bundes auf der Strecke. So wird zum Beispiel trotz
steigender Bedarfe weniger für die Aufstiegsfortbildung
eingeplant. Das ist ein Rechtsanspruch, wird mir Kollege
Rossmann gleich wieder vorhalten.
({4})
Doch wenn man das Geld, das man hier braucht und
auch ausgeben will, gar nicht einplant, dann muss man
es erwirtschaften, und das über andere Haushaltstitel.
Das führt wiederum zu einer Erhöhung der globalen
Minderausgabe, weil das Geld ja irgendwo herkommen
muss. Es ist also eine versteckte Minderausgabe. Das ist
weder transparent noch, Frau Hübinger, seriös.
({5})
Nehmen wir den Bereich der Berufsorientierung. Da
stocken Sie nun zwar die Mittel auf;
({6})
doch die zusätzlichen 100 Euro für Schüler an Förderschulen mit besonderem Förderbedarf sollen gänzlich
aus einem Berufsorientierungsprogramm, das Sie zurzeit
überarbeiten, gestrichen werden. Bezeichnend ist die Begründung, die ich auf meine schriftliche Einzelfrage hin
vom Staatssekretär Müller erhielt: Künftig sollten die
Schüler mit besonderem Förderbedarf nicht mehr in Förderschulen unterrichtet werden, sondern in Regelschulen, also inklusiv; da brauche man die Förderung nicht
mehr.
({7})
- Nein, das ist nicht die Idee der Inklusion. Da müssen
Sie sich einfach mal kundig machen. Aber wenn Sie so
über die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte
von Menschen mit Behinderung reden, dann wundert
mich nicht, dass wir bei der inklusiven Bildung nicht
weiterkommen.
({8})
Sie meinen, dass der Koalitionsvertrag die Leitlinie
für das eigene Handeln ist. Aber was wird zum Beispiel
aus der Ausbildungsgarantie? Sie ist mit keiner einzigen
belastbaren Zahl im Haushalt verankert. Oder was ist mit
der digitalen Bildung?
({9})
Was haben Sie unternommen, um mit den Ländern irgendetwas zu vereinbaren? Wie wollen Sie bei Lernmittelfreiheit die digitalen Lernmittel finanzieren? - Wenn
Sie etwas gemeinsam mit den Ländern machen, gehe ich
doch davon aus, dass der Bund da auch Geld reinsteckt;
aber ich finde nichts.
({10})
Also ist das alles nur heiße Luft mit Zwiebackstaub; das
hätte zumindest meine Oma dazu gesagt.
({11})
- Ich finde, Sie sind sehr unsachlich. Vielleicht gucken
Sie sich einfach mal das an, was Sie in den letzten Monaten und Wochen so intensiv ausgehandelt haben.
({12})
- Das habe ich getan.
({13})
- Richtig: Dazu habe ich nichts gefunden. Sie können es
mir ja nachher zeigen.
({14})
Nein, Ihr Haushalt ist wahrlich kein Grund, zu jubeln
und weißen Rauch aufsteigen zu lassen.
({15})
Sie müssen jetzt schauen, wo die 478 Millionen Euro
herkommen sollen. Ich will Ihnen zwei Vorschläge machen - zumindest ein bisschen könnten Sie damit einsparen -: Verzichten Sie doch auf den Export der hochradioaktiven Brennelemente in die USA!
({16})
Nehmen Sie dazu einfach unseren Änderungsantrag an.
Streichen Sie das Deutschlandstipendium ganz!
({17})
Wenn man es zusammenrechnet, kommt man auf eine
Ersparnis von etwas mehr als 100 Millionen Euro. Ich
finde, das ist ein guter Anfang.
Vielen Dank.
({18})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Hein. - Nächster
Redner in der Debatte: Hubertus Heil für die SPD.
({0})
Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Frau Dr. Hein, ich war in der letzten Legislaturperiode,
wie Sie das jetzt sind, in der Opposition. Ich habe dabei
eines gelernt: Ein Angriff auf die Regierung ist nur dann
passend, wenn man auch die Größe hat, zuzugeben, was
die Regierung alles geleistet hat. Das macht eine souveräne Opposition aus.
({0})
Dann tritt auch das, was Sie wirklich zu sagen haben,
deutlicher hervor.
({1})
Das haben Sie aber nicht geschafft. Der Eindruck, dass
Sie in Ihrer Rede ein Zerrbild gezeichnet haben, ist nicht
ganz von der Hand zu weisen.
({2})
Viele der Fragen, die Sie gestellt haben, sind einfach
zu beantworten. Zum Thema „Digitale Bildung“ wird
die Kollegin Esken gleich etwas sagen. Ich will Sie nur
auf eines hinweisen: Diese Große Koalition - das hätten
Sie auch einmal erwähnen können - hat binnen eines
Jahres mehr bewegt als die Vorgängerregierung in vier
Jahren. Ich will Ihnen das anhand einzelner Zahlen dieses Haushaltes belegen.
({3})
Dies ist ein Rekordetat; das hat die Ministerin zu
Recht erwähnt. Das BMBF hat einen Etat von 15,3 Milliarden Euro, und es wird noch mehr. Durch die Entscheidungen, die diese Große Koalition im ersten Jahr
getroffen hat, mobilisieren wir für den Zeitraum von
2015 bis 2023 zusätzliche Bundesmittel in Höhe von
rund 31 Milliarden Euro.
Ich will Ihnen die Zahlen nennen bzw. aufschlüsseln.
Durch die 100-prozentige Übernahme des BAföG geben
wir - wenn Sie den Zeitraum bis 2023 hochrechnen 10,5 Milliarden Euro zusätzlich für Hochschulen, Schulen und - auch das ist möglich - für frühkindliche Förderung.
({4})
Sie als Opposition könnten zumindest anerkennen,
dass das ein Riesenschritt ist.
({5})
Dass das nicht genug ist, das können Sie immer sagen;
aber so zu tun, als würden wir im Bereich Bildung sogar
noch kürzen, das ist nicht ganz redlich, Frau Dr. Hein.
({6})
Wir sind übereingekommen, im Rahmen des Hochschulpakts bis 2023 zusätzlich 14,1 Milliarden Euro zu
mobilisieren. Auch das ist eine stramme Leistung. Ich
finde das richtig.
({7})
Wir stellen für die Programmpauschalen bis 2020 weitere 2,03 Milliarden Euro und für den Pakt für Forschung und Innovation 3,87 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind zusammen rund 31 Milliarden Euro. Sie
können also nicht so tun, als würden wir in diesem Bereich kürzen. Sie können gerne sagen: Das ist immer
noch nicht genug - Ihnen ist an dieser Stelle ja nie etwas
genug -, aber zeichnen Sie bitte kein Zerrbild nach dem
Motto „Die kürzen bei Bildung“. Das ist nicht die Wahrheit.
({8})
Die Bilanz nach einem Jahr stellt sich so dar: Wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir 6 Milliarden
Euro für Bildung und 3 Milliarden Euro für Forschung
auf den Weg gebracht. Wenn der Bundesrat und die
MPK dem Ganzen zustimmen, ist das ab 1. Januar auch
gesetzgeberisch auf der Schiene. Durch die Übernahme
des BAföG investieren wir jährlich 1,17 Milliarden Euro
in gute Bildung.
({9})
Wir haben den Hochschulpakt und den Pakt für Forschung und Innovation auf den Weg gebracht.
Hubertus Heil ({10})
Worauf ich sehr stolz bin: Es ist uns in diesem einen
Jahr gelungen, Projekte auf den Weg zu bringen, die gar
nicht im Koalitionsvertrag stehen.
({11})
Das betrifft die BAföG-Erhöhung, durch die ab 2016 immerhin 825 Millionen Euro jährlich mehr für Chancengleichheit mobilisiert werden.
({12})
Damit gibt es 110 000 zusätzliche Anspruchsberechtigte
und Geförderte im Bereich des BAföG. Herr Gehring,
man kann immer darüber streiten, ob es ein Jahr zu spät
ist.
({13})
Sie wissen, ich wünsche mir, es wäre gestern gewesen;
das ist doch nicht die Frage. Wenn die Opposition einmal anerkennen würde, was wir geschafft haben und
dass wir damit einen wesentlichen Schritt in Richtung
mehr Chancengleichheit gemacht haben, dann wäre das
ein Zeichen von Größe und Souveränität.
({14})
Wir haben in diesem Jahr - was nicht trivial ist - miteinander den Artikel 91 b Grundgesetz auf den Weg gebracht. Das ermöglicht Formen der Kooperation, die es
- ich betone das - im Bereich Wissenschaft und Forschung nie zuvor gegeben hat.
({15})
- Gar keine Frage, wenn wir eine absolute Mehrheit gehabt hätten - mit euch hätten wir die Zweidrittelmehrheit
im Parlament gehabt -, dann hätten wir das Kooperationsverbot für die Schule auch noch gekippt.
({16})
Das fällt aber unter das Motto „Hätte, hätte, Fahrradkette“. Ihr habt uns nicht zur absoluten Mehrheit verholfen und euch nicht besonders stark dafür gemacht, dass
wir eine Zweidrittelmehrheit hinbekommen. Auf gut
Deutsch: Lieber kleine Schritte, als große Worte, lieber
Kollege Mutlu.
({17})
Das, was wir, die Große Koalition, für die Wissenschaft
und Forschung erreicht haben, kann sich sehen lassen.
({18})
Frau Ministerin, für den Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung gilt das alte deutsche Sprichwort:
Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der
falschen Körperseite.
Das habe ich ja noch nie gehört.
Ja, das ist doch so, oder?
Ja, aber ich habe es noch nie gehört.
({0})
Claudia, Verzeihung, Frau Präsidentin, vorhin hat der
Kollege Schulz behauptet, Sie würden jetzt leuchten. Ich
finde: Sie leuchten immer. Das wollte ich auch noch sagen.
Oh!
({0})
Ja, ist doch so. Strahlen, das ist der richtige Begriff.
Aber jenseits des Strahlens muss man auch handeln.
Wir haben dafür zu sorgen, dass wir trotz aller Erfolge, die wir haben, in den nächsten Jahren die Weichen
richtig stellen.
Ich behaupte, das Jahr 2015/16 gibt Gelegenheit für
zentrale Weichenstellungen. Ich möchte mich in diesem
Bereich auf drei Punkte beziehen. Eines wurde bereits
gesagt: Mit diesem Haushalt mobilisieren wir mehr für
die berufliche Bildung. Aber wenn es richtig ist, dass sie
der Kern unseres Systems der beruflichen Ausbildung
und ein Erfolgsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land ist, ein System, das vor allem jungen Menschen eine Chance gibt, zu einem selbstbestimmten Leben zu finden, dann haben wir im nächsten
Jahr mindestens drei Dinge zu bewegen:
Erstens - das haben wir auf dem Schirm - die Allianz
für Aus- und Weiterbildung. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft sowie dem Arbeits- und
dem Bildungsministerium geht es darum, die Ausbildungsgarantie von einer Überschrift zur Realität werden
zu lassen, auch die Wirtschaft für zusätzliche Ausbildungsplätze in die Pflicht zu nehmen und den benachteiligten jungen Menschen über assistierte Ausbildung
ebenfalls eine Chance zu geben.
({0})
Zweitens. Swen Schulz sprach es an: Wir brauchen
die Novelle beim Meister-BAföG. Das ist Aufstiegsförderung, und ich kann mir nicht verkneifen, zu sagen: Es
ist nicht sinnvoll - das ist an den Präsidenten der Hoch6652
Hubertus Heil ({1})
schulrektorenkonferenz gerichtet -, Debatten von vorgestern über Studiengebühren zu führen. Wenn es um
Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung geht, dann finde ich es sinnvoller, einmal langfristiger darüber zu sprechen, ob wir nicht die Meistergebühren in diesem Land senken oder sie irgendwann ganz
streichen. Das wäre Gleichwertigkeit von beruflicher
und akademischer Bildung.
({2})
Drittens. Wir haben uns auch um die Qualität und die
Modernität der beruflichen Ausbildung zu kümmern.
Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist eine große
Aufgabe. Ich möchte an dieser Stelle einmal ganz grundsätzlich sagen: Ich empfinde diesen lähmenden Widerspruch zwischen dem Vorwurf des Akademisierungswahns auf der einen Seite und einer Geringschätzung der
beruflichen Bildung auf der anderen Seite als etwas, was
uns nicht wirklich weiterhilft. Wir brauchen in Deutschland beides: ordentliche Berufsausbildung, Fachkräfte,
sowie akademische Bildung. Diese dürfen wir nicht gegeneinander ausspielen.
({3})
Durchlässigkeit ist das Gebot der Stunde.
Das heißt auch, dass wir im Hochschulbereich weitergehen müssen. Vor allem müssen wir die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus in der
Zukunft verbessern. Wir haben zu wenige Dauerstellen,
zu viel Unklarheit für junge Leute in diesem Bereich und
zu viele Befristungen.
Wir werden als Koalition - das haben wir uns vorgenommen - das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren - mit Augenmaß, gar keine Frage; aber wir werden
es novellieren, um den Missbrauch von Befristungen im
akademischen Bereich zurückzudrängen.
({4})
Ich sage aber auch: Wir brauchen Mittel für eine Personaloffensive an den Hochschulen, damit junge Menschen, die bereits eine gute Hochschulausbildung haben,
im Wissenschaftsbetrieb Karriereperspektiven haben,
damit sie nicht alle ins Ausland gehen, sondern, im Gegenteil, die klügsten Köpfe der Welt auch an unsere
Hochschulen in Deutschland kommen.
({5})
Außerdem werden wir die Exzellenzinitiative fortsetzen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir werden
darüber in der Koalition mit den Ländern zu sprechen
haben. Last, but not least: Wir setzen einen Schwerpunkt
im Bereich Innovation und Forschung. Für uns ist es
ganz wichtig - ich denke, das trägt uns auch in der Koalition -, dass wir technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt befördern und nach vorne bringen, aber
immer auch dafür sorgen, dass aus technischem Fortschritt gesellschaftlicher Fortschritt wird.
({6})
Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Dabei geht
es um IT-Sicherheit und Standardisierung, es geht aber
auch um die Humanisierung der Arbeit und um die
Frage, welche Grundlage wir schaffen, damit Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreich bleibt.
Damit leisten die Bildungs-, die Wissenschafts- und die
Forschungspolitik ihren Beitrag zu wirtschaftlichem Erfolg, aber eben auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit in
diesem Land.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank, Hubertus Heil. - Nächste Rednerin in
der Debatte ist Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Hubertus Heil hat etwas zur Souveränität der Opposition gesagt. Ich will mal sagen: Zur Souveränität von Regierungsfraktionen sollte gehören, auf
Lobhudeleien an Stellen zu verzichten, an denen sie
nicht angemessen sind.
({0})
Ich finde, der Haushalt für 2015 hat viele verpasste Chancen. Das betrifft insbesondere auch den Einzelplan 30;
dazu werde ich gleich kommen.
({1})
Frau Ministerin Wanka hat auch, wie wir es die ganze
Woche erleben durften, die „mausgraue Null“ bejubelt.
Dazu muss man sagen: Fakt ist doch, dass die schwarzrote Koalition ihre Schulden versteckt und das Geld
nicht mehr bei der Bank leiht, sondern sie greift in die
Rentenkasse, sie bedient sich beim Gesundheitsfonds
und fährt bei der Infrastruktur auf Verschleiß. Ihre Null,
welche Farbe man ihr auch immer geben möchte, ist
doch letztendlich nur Augenwischerei, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
({2})
Die Risiken und Lasten werden in die Zukunft geschoben und fallen damit den Jüngeren auf die Füße,
also genau denen, deren Anliegen schon heute im Haushalt für das kommende Jahr und ganz besonders im Einzelplan 30 - Bildung, Wissenschaft und Forschung - zu
wenig Berücksichtigung finden. Das hat nichts mit einem soliden Haushalt zu tun. Das finden wir zukunftsvergessen.
({3})
Erst am Dienstag hat die OECD die Bundesregierung
vehement aufgefordert, endlich mehr zu investieren und
wachstumsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Ganz
konkret nimmt die OECD den Bildungsbereich von der
Kita bis hin zu den Hochschulen in den Blick. Ich finde,
das sind sehr vernünftige und vorausschauende Anregungen, die wir von der OECD bekommen.
({4})
Aber man muss sich fragen: Wo findet sich die Umsetzung dieser Anregungen im Etat von Frau Wanka für
das kommende Jahr?
Wir haben in der letzten Sitzungswoche zwei zentrale
Gesetzgebungsverfahren aus dem Zuständigkeitsbereich
dieses Ministeriums zum Abschluss gebracht: die
BAföG-Novellierung und die Grundgesetzänderung zum
Kooperationsverbot; beides ist bereits angesprochen
worden. Aus unserer Sicht wurden bei beiden ganz zentrale Chancen vertan.
({5})
Wir machen nicht denselben Fehler wie die Kollegen
von Union und SPD. Wir wollen nicht, dass die Studierenden zwei weitere Jahre im Regen stehen und auf die
längst überfällige BAföG-Erhöhung warten müssen. Wir
haben es schon im Gesetzgebungsverfahren zur BAföGNovellierung deutlich gemacht, wir haben hier auch namentlich darüber abstimmen lassen, und wir haben es
auch im Haushaltsverfahren ganz klar dokumentiert,
dass wir es mit der BAföG-Erhöhung zum kommenden
Semester ernst meinen und dass man das selbstverständlich solide finanzieren kann. Wir wollen nicht - das bekräftigen wir auch hier -, dass die Studierenden die
Opfer der mausgrauen Null werden.
({6})
Wir wollen, dass das BAföG zum Leben und Lernen
reicht. Wenn die BAföG-Erhöhung, wie angekündigt, im
Herbst 2016 endlich kommt, dann haben die Studis in
Deutschland sechs Jahre lang auf eine Erhöhung gewartet. In dieser Zeit sind bekanntlich die Mieten, die Lebenshaltungskosten, der Preis für Kaffee in der Mensa
und die Kopierkosten gestiegen. Alle Kosten sind gestiegen. Es muss daher doch ganz klar sein, dass die
BAföG-Erhöhung zumindest die Inflation ausgleichen
muss. Deshalb sagen wir: Wir wollen eine Erhöhung um
10 Prozent und nicht um die 7 Prozent, die jetzt geplant
sind. Wir sagen auch ganz klar: Wir wollen diese Erhöhung jetzt.
({7})
Ich möchte noch zu einem Punkt kommen, der mir
besonders am Herzen liegt. Wir Grüne haben in diesen
Haushaltsverhandlungen einen Schwerpunkt auf die Unterstützung von Flüchtlingen gelegt. Warum das angesichts der internationalen Krisen besonders notwendig
ist, liegt sicherlich auf der Hand. Wir wollen insgesamt
1 Milliarde Euro zusätzlich im Inland wie im Ausland
zur Verfügung stellen. Warum Union und SPD Flüchtlingen den Weg zum BAföG unnötig schwer machen, können wir überhaupt nicht nachvollziehen.
({8})
Wir brauchen endlich eine Politik, die alle Talente
und alle Fähigkeiten fördert. Dazu gehören natürlich die
Talente von Flüchtlingen, die zu uns kommen. Deshalb
ist es für uns völlig unverständlich, dass Flüchtlinge nun
nach 3 Monaten arbeiten können sollen, aber 15 Monate
warten müssen, bis sie BAföG beantragen dürfen. Es ist
aus unserer Sicht sehr ärgerlich, dass das im Rahmen der
BAföG-Reform nicht ausgeräumt wurde.
({9})
Nicht nur das BAföG wurde in der letzten Sitzungswoche novelliert; auch das Grundgesetz wurde geändert.
Leider bleibt das Kooperationsverbot für die schulische
Bildung bestehen. Das ist aus unserer Sicht ein ganz großes Übel, das uns noch auf die Füße fallen wird. Ich
habe eben schon auf die Anregungen der OECD hingewiesen. Ein Ganztagsschulprogramm, wie wir es zwischen 2004 und 2010 hatten, wäre doch in der jetzigen
Situation genau das Richtige für die Bildung und auch
für die Konjunktur. Wir finden: So etwas hätte auch in
den Haushalt ab 2015 gehört.
({10})
Wir werden nicht müde, zu kritisieren, dass der Koalition beim Thema Kooperationsverbot auf halber Strecke
die Luft ausgegangen ist.
Im Bereich der Wissenschaft gibt es ab dem 1. Januar
2015 einen neuen Aktionsradius für den Bund. Es gibt
aber offensichtlich keine neuen Ideen und kein Geld.
Das ist doch mehr als befremdlich. Mit großem Brimborium werden das Grundgesetz geändert und neue Kooperationsmöglichkeiten an der Stelle geschaffen. Was aber
macht die Große Koalition mit ihren neuen Möglichkeiten? Was will sie damit anfangen? Man weiß es nicht.
({11})
Wir finden das nicht ausreichend. Das ist keine zukunftstaugliche Politik. Insgesamt sehen wir, dass die Haushaltspolitik der Großen Koalition versagt, insbesondere
da, wo es um die jüngere Generation geht, nämlich im
Einzelplan 30. Deshalb können wir dem so nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({12})
Haben Sie das gesehen? Auf die Minute!
Ja, das will ich ausdrücklich loben. Auf die Sekunde
genau. Gutes Beispiel! - Als nächster Redner hat
Dr. Wolfgang Stefinger das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Deutschlands Zukunft gestalten“, so lautet
der Titel des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU
und SPD. Deutschlands Zukunft gestalten: Wo wird das
deutlicher als im Bildungs- und Forschungsbereich?
Wenn wir uns die Aufgaben des Bildungs- und Forschungsministeriums ansehen, wenn wir uns den vorliegenden Haushalt ansehen, wenn Sie, wie ich, viel vor
Ort unterwegs sind, Forschungseinrichtungen besuchen,
mit Unternehmensgründern sprechen, dann wird deutlich: Wir gestalten Deutschlands Zukunft, und es ist eine
gute Zukunft.
({0})
Deutschland steht als Forschungs- und Innovationsstandort ganz oben. Trotz Finanz- und Wirtschaftskrise
hat Deutschland die Ausgaben für Bildung und Forschung von Jahr zu Jahr gesteigert. Andere EU-Länder
haben die Ausgaben in diesem Bereich teilweise massiv
gekürzt.
({1})
Der Haushaltsplan 2015 weist, was die Neuverschuldung angeht, nicht nur eine schwarze Null auf, sondern
er beinhaltet mit 15,3 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung auch die bislang höchste Summe für diesen
Bereich in der Geschichte der Bundesrepublik. Damit legen wir den Grundstein für Innovationen, Wirtschaftswachstum, Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze.
({2})
Die Anstrengungen der letzten Jahre haben sich gelohnt. Das zeigt ein Blick auf zahlreiche internationale
Rankings. Von den zehn forschungsstärksten Unternehmen in Europa kommen fünf aus Deutschland. Die Zahl
der in Forschung und Entwicklung tätigen Menschen ist
seit 2005 trotz Wirtschafts- und Finanzkrise auf über
580 000 gestiegen. Das ist ein Plus von 114 000. Beim
Export von forschungsintensiven Gütern gehört Deutschland mit einem Anteil von rund 12 Prozent am Welthandelsvolumen zu den Spitzenreitern. Und: Wir sind einmal mehr Nobelpreisnation. Es ist ein Wissenschaftler
einer unserer großen Forschungseinrichtungen, nämlich
vom Max-Planck-Institut, der den Nobelpreis für Chemie erhalten hat.
({3})
Das alles zeigt, dass wir auf einem sehr guten Weg
sind, aber auch, dass wir nicht nachlassen dürfen. Daher
haben wir mit einer ganzen Reihe von strukturellen Reforminitiativen eine neue Dynamik in unser Wissenschafts- und Innovationssystem gebracht. Seit 2006 läuft
die Hightech-Strategie der Bundesregierung, die wir zu
einer umfassenden und ressortübergreifenden Innovationsstrategie weiterentwickeln. Hier werden die Themenfelder in den Blick genommen, die für unsere
Gesellschaft sowie für Wachstum und Wohlstand von
besonderer Bedeutung sind: digitale Wirtschaft und Gesellschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Energie, innovative Arbeitswelt, gesundes Leben, intelligente Mobilität und Sicherheit.
Wir alle nutzen das Internet, sind mobil erreichbar,
sprechen über die digitale Wirtschaft und Gesellschaft,
Produktionsprozesse der Zukunft. Das stellt uns selbstverständlich auch vor neue Herausforderungen, was die
Sicherheit von Daten und Betriebssystemen angeht. Daher fördert das BMBF Kompetenzzentren auf dem Gebiet der IT-Sicherheit. Mit Erfolg: Drei Kompetenzzentren haben vor wenigen Wochen den ersten, zweiten und
dritten Platz im Wettbewerb um den 5. Deutschen IT-Sicherheitspreis belegt.
({4})
Ausgezeichnet werden hier innovative Konzepte und
Lösungen zur IT-Sicherheit, zur Kryptografie, zur System- und Netzsicherheit sowie zur Abwehr von Cyberangriffen. Sie sehen also: Auch im digitalen Bereich gestalten wir Deutschlands Zukunft.
Mit dem Pakt für Forschung und Innovation fördern
wir Erfindungen. So wird die außeruniversitäre Forschung bei der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft und
der Leibniz-Gesellschaft weiter gestärkt. Für 2015 ist ein
Mittelaufwuchs von 5 Prozent und ab 2016 eine jährliche Etatsteigerung von 3 Prozent vorgesehen.
({5})
- Darüber sind wir alle sehr glücklich. Vielen Dank,
Herr Kollege. - Diese Steigerung trägt der Bund alleine,
ohne Länder und trotz ausgeglichenem Haushalt.
({6})
Wir führen außerdem die Exzellenzinitiative fort und unterstützen den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Bei all den wichtigen Maßnahmen für die Wissenschaft, für die Studenten und für die Forschung dürfen
wir die gleichwertige Säule unseres Bildungssystems,
die berufliche Bildung, nicht vergessen. Unsere duale
Berufsausbildung ist ein Erfolgsmodell und Exportschlager. Für uns hat die berufliche Bildung einen hohen Stellenwert. Daher wurden - das ist schon angesprochen
worden - die Haushaltstitel „Überbetriebliche Berufsbildungsstätten“ und „Maßnahmen zur Verbesserung der
Berufsorientierung“ gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsentwurf um 10 Millionen Euro bzw. 12 Millionen
Euro erhöht;
({7})
denn wir sind uns bewusst, dass es Jugendliche gibt, die
durch eine unzureichende Berufsberatung eventuell einen für sie unpassenden Ausbildungsweg einschlagen,
und wir wollen einem Ausbildungs- bzw. Studienabbruch vorbeugen. Die ergebnisoffene Berufs- und Studienorientierung und der Ausbau von Beratungs- und
Berufsbildungsangeboten für Studienaussteiger und -umsteiger leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.
({8})
Wir müssen junge Leute wieder zu einer dualen Ausbildung motivieren. Hierzu müssen wir aber auch die
Chancen und Wege aufzeigen, die es gibt, und es gibt
viele Wege. Einen Beitrag leisten Werbekampagnen,
zum Beispiel vom Handwerk und von Verbänden, aber
auch unser Paket „Chance Beruf“. In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch das Thema Durchlässigkeit eine wichtige Rolle; denn ein junger Mensch stellt
sich natürlich die Frage: Welche Chance habe ich denn
mit meiner Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt, was verdiene ich und habe ich die Möglichkeit, mich weiterzuqualifizieren? Für uns gilt: Es gibt keinen Abschluss
ohne Anschluss.
({9})
Ich durfte letzte Woche an der Hochschule München
vor Handwerksmeistern sprechen. Dort kam vom Friseur, über den Bäcker und Elektrotechniker bis zum
Goldschmied der erste Jahrgang des Bachelorstudiengangs Unternehmensführung zusammen. Die Jüngste
war Mitte 20, der Älteste Mitte 40, hochmotivierte
Leute, teils mit eigenem Betrieb, teils im elterlichen Betrieb, teils im Angestelltenverhältnis tätig. Sie wollen
sich berufsbegleitend weiterbilden, ihren Betrieb voranbringen und leisten damit einen wichtigen Beitrag für
unser Land.
({10})
Daran zeigt sich: Wer sich in unserem Land ein Ziel gesetzt hat, fleißig ist, lernen will und sich engagiert, der
bekommt auch eine Möglichkeit und Unterstützung.
Im Handwerk eröffnen sich gerade für junge Menschen in unserem Land, auch für junge Menschen mit
Migrationshintergrund, sehr viele Chancen, weil das
Handwerk und die vielen anderen Ausbildungsbetriebe
jungen Menschen Chancen geben. Die Ausbildungsbereitschaft unserer kleinen und mittelständischen Betriebe
ist ungebrochen hoch. Dafür von dieser Stelle ein herzlicher Dank!
({11})
Das Handwerk ist aber auch auf unsere Unterstützung
angewiesen. Wir müssen unseren deutschen Meisterbrief
auf EU-Ebene verteidigen.
({12})
Er ist und bleibt ein unverkennbares Qualitätssiegel für
handwerkliche Qualität und hat eine besondere Bedeutung für die duale Ausbildung. Hierfür bitte ich Sie alle
um Ihre Unterstützung.
({13})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
aber auch auf diejenigen schauen, die ohne Abschluss
die Schule verlassen. In diesem Bereich haben wir einiges erreicht: Die Quote der Schulabbrecher liegt bei unter 6 Prozent - es waren einmal 12 Prozent -, aber auch
das darf uns nicht zufriedenstellen. Einen großen Anteil
am Bildungserfolg hat natürlich der Schüler selbst,
({14})
aber auch der Lehrer. Lehrerbildung ist Ländersache; das
wissen Sie. Das Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, das wir uns insgesamt 500 Millionen Euro
kosten lassen - im nächsten Jahr werden es davon
45 Millionen Euro sein -, ist schon angesprochen worden.
Sie sehen insgesamt: Die berufliche Bildung liegt uns
ebenso am Herzen wie die akademische Bildung und die
Forschung. Mit Verlaub, das war aber auch klar; denn für
Deutschlands Zukunft brauchen wir hervorragend qualifizierte Leute in allen Bereichen.
({15})
Sie sehen: Wir investieren stark in Bildung und Forschung und haben unseren Haushalt in Ordnung. In unserem Land gibt es viele motivierte und engagierte Menschen, die mit Fleiß, Ehrlichkeit und Willensstärke unser
Land weiter nach vorne bringen. Gemeinsam mit ihnen
gestalten wir Deutschlands Zukunft.
Vielen Dank.
({16})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat der Kollege
Willi Brase das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ministerin
Wanka hat dargestellt, wie stark die Innovationsfähigkeit
Deutschlands ausgeprägt ist. Dabei geht es, wenn wir
einmal den industriellen Teil nehmen, um das Zusammenspiel von Ingenieuren, Meistern und Facharbeitern.
Dieses Zusammenspiel zu bewahren und zu stärken, ist
eine hochlöbliche, eine wichtige Aufgabe zur Gestaltung
der Zukunft unseres Landes.
({0})
Dies findet nicht im luftleeren Raum, sondern in
Abteilungen, in Forschungseinrichtungen und in Betriebsteilen statt. Weil die Weiterentwicklung auch mit
Digitalisierung, neuen Werkstoffen und neuen Produktionsverfahren zu tun hat, war es wichtig, dass wir gesagt
haben: Wir wollen die Dienstleistungs- und Arbeitsfor6656
schung weiter voranbringen. - Ich bin unseren Haushältern dankbar, dass es gelungen ist, 6 Millionen Euro
draufzusatteln. So erreichen wir das Ziel, das Sie, Frau
Wanka, neulich formuliert haben: Bis 2020 wollen wir
für diesen Bereich 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Da es hier um Arbeitsbedingungen, neue Arbeitsformen, neue Werkstoffe, neue Verfahren und die Humanisierung der Arbeit geht, glaube ich: Es ist wichtig, dass
wir hier weitere 6 Millionen Euro draufsatteln.
({1})
Wir wollen, dass die Anträge zu Forschungsvorhaben,
die erarbeitet und auf den Weg gebracht werden, gründlich geprüft und schnell umgesetzt werden. Es kann
nicht sein, dass das zur Verfügung stehende Geld nicht
abgerufen wird. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass
Deutschland industriell auch weiterhin so stark ist, müssen wir auf diesem Pfad voranschreiten.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte - auch
er ist schon erwähnt worden -, ist die Alphabetisierung
bzw. das Problem, dass es in unserem Land Menschen
gibt, die nicht lesen und schreiben können. Dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung in Teilbereichen
Fachkräfte brauchen, ist allein schon ein Grund, zu sagen: Ja, wir nehmen mehr Geld in die Hand, um diesen
Menschen eine Chance zu geben. - Auch in diesem Fall
stellen wir 6 Millionen Euro mehr bereit.
Es geht dabei letztendlich um die Menschen selbst.
Die Menschen müssen die Chance haben, Dinge zu erkennen. Es geht also nicht nur darum, dass dies für uns
als Gesellschaft und möglicherweise auch für Wirtschaft
und Industrie wichtig ist, sondern es geht auch darum,
dass die Menschen unterstützt werden. Deshalb halten
wir es für richtig, an dieser Stelle 6 Millionen Euro zur
Verfügung zu stellen. Wir sagen: Das ist ein vernünftiger
Weg.
({2})
Wir haben in den Koalitionsverhandlungen entschieden, die berufliche Bildung weiter voranzubringen. Seit
mehreren Jahren versuchen wir, den jungen Leuten
rechtzeitig ein Stück Orientierungshilfe zu geben, im
Rahmen der Berufsorientierung, auch schon in der achten Klasse. Dies weiten wir jetzt auf alle Schulformen
und alle Schultypen aus. Das ist nicht nur der absolut
richtige Weg, sondern in gewisser Weise auch wachstumsfördernd. Junge Menschen, die ein Stück weit selbst
entscheiden können - auf der Grundlage von Potenzialanalysen in der Schule oder von Praktika in Unternehmen, im Dienstleistungsbereich oder im öffentlichen
Dienst -, werden wir nicht in den Übergangsmaßnahmen
finden, sondern in Ausbildung, in Ausbildung nach Landesrecht und hoffentlich beim richtigen Studium an einer
Hochschule; dann gibt es auch weniger Abbrecher. Deshalb ist es richtig, dass wir hier um 12 Millionen Euro
aufstocken.
({3})
Klar ist doch auch: Wenn wir bei der Orientierung die
richtigen Weichen stellen und jedem deutlich machen,
welche Perspektiven und Fähigkeiten er oder sie hat,
dann wird der Einzelne vernünftig unterstützt. Das ist
nicht nur wachstumsfördernd, sondern damit tun wir
auch etwas sehr Sinnvolles für die jungen Menschen.
Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns fragen: Wie
ist die Situation bei den überbetrieblichen Bildungsstätten des Handwerks und der Industrie- und Handelskammern? Wenn wir sie zu Kompetenzzentren ausweiten, erhöht dies die Qualität. Es stärkt auch das Ansehen von
Ingenieuren, Meistern und Facharbeitern in den Betrieben, in den Handwerksbetrieben und in den Industriebetrieben. Es ist richtig, dass wir hier 10 Millionen Euro
draufgesattelt haben. Wenn es sein muss, müssen wir
hier auch in den nächsten Jahren etwas tun, sehr geehrten Damen und Herren.
({4})
Zusammengefasst: Mein Dank gilt unseren Haushältern, dass sie diesen Weg mitgegangen sind, sodass wir
den jungen Leuten eine Chance geben können. Das ist
für die jungen Leute gut, aber es ist auch für unsere Gesellschaft und für unsere Industrie gut.
Glück auf!
({5})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat der Kollege
Dr. Thomas Feist das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute hier so
viele junge Menschen sind, die sehen, wie sehr wir uns
mit dem Thema Bildung und Forschung beschäftigen.
Das ist nicht nur unser Thema, sondern das ist vor allen
Dingen unser Thema für euch.
({0})
- Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Kollege.
({1})
- Sie haben wohl zu wenig Redezeit, Herr Mutlu.
({2})
Es ist eigentlich schade, dass Ihre Fraktion Sie nicht hier
vorne hinstellt, wenn Sie etwas Wichtiges zu sagen haben. Quatschen Sie aber nicht dazwischen, sondern hören Sie einfach einmal zu, so wie die jungen Menschen
das dort oben auch machen.
({3})
Wir werden heute zum neunten Mal in Folge einen
Haushalt mit Aufwüchsen beschließen. Mit etwas über
15 Milliarden Euro ist er der bisher größte im Bereich
Bildung und Forschung. Das ist nicht nur ein guter Tag
für Sie, Frau Ministerin, für die Haushälter und für das
Parlament, sondern das ist auch ein guter Tag für
Deutschland.
({4})
Wir haben darüber gesprochen, dass das Bild
Deutschlands in der Welt vorwiegend dadurch geprägt
wird, dass die akademische und die berufliche Bildung
bei uns Hand in Hand gehen. In diesem Bereich haben
wir die Mittel etwas erhöht, weil das wichtig ist. Das gilt
gerade für die berufliche Bildung, aber auch im akademischen Bereich unternehmen wir zusätzliche großartige
Anstrengungen.
Im Rahmen des Hochschulpakts werden wir 200 Millionen Euro mehr für die zusätzlichen Studienanfänger
ausgeben, und wir werden die BAföG-Finanzierung ab
dem nächsten Jahr alleine übernehmen. Gerade die Wissenschaft in Deutschland profitiert von dem steigenden
Interesse von Hochleistungsnachwuchswissenschaftlern
aus der ganzen Welt. Deshalb ist es wichtig, dass wir
schauen, was bei uns in der beruflichen Bildung passiert.
Deswegen setzen wir mit diesem Haushalt ganz besondere Akzente in den Bereichen Berufsorientierung und
überbetriebliche Einrichtungen.
({5})
Weil die besten politischen Entscheidungen durch
Gutachten gedeckt sind,
({6})
kann ich in Bezug auf unseren Haushalt auch einmal aus
dem Gutachten der Expertenkommission Forschung und
Innovation zitieren, das aus dem Februar dieses Jahres
stammt, also sehr aktuell ist. Dort lesen wir - ich zitiere -:
Das deutsche Produktions- und Innovationsmodell
basiert vor allem im industriellen Bereich auf einer
spezifischen Verbindung von hochqualifizierten …
Absolventen aus dem Hochschulsystem mit hervorragend ausgebildeten Facharbeitern aus dem dualen
Bildungssystem.
Um diese Stärke in Zukunft nicht zu gefährden, gilt
es, die Investitionen in die Erhaltung und Weiterentwicklung der Attraktivität der Berufsbildung
fortzuführen. … Die bildungspolitische Zielsetzung
sollte sich weniger an Akademikerquoten, sondern
mehr an einem optimalen Bildungsmix und flexiblen individuellen Bildungsbiografien orientieren.
({7})
Genau das tun wir, genau das bildet sich auch in diesem
Haushalt ab.
Ich möchte noch auf eine weitere Haushaltsposition
zu sprechen kommen, die bisher noch keine wichtige
Rolle gespielt hat, aber auch von der Ministerin angesprochen worden ist. Es ist wichtig, dass wir uns diesen
Bereich noch einmal anschauen. Es geht um das verstärkte Engagement der BAs bei der Berufseinstiegsbegleitung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Dies ist gut.
({8})
Noch besser wäre es, wenn wir das System der Berufseinstiegsbegleitung in Richtung einer assistierten Ausbildung erweitern würden, die sich eben nicht zuerst an
den Regularien, sondern an den Bildungsbiografien und
Lebenswirklichkeiten junger Menschen orientiert.
({9})
Ab dem nächsten Jahr werden wir die BAföG-Finanzierung komplett übernehmen. Das bedeutet natürlich einen zusätzlichen finanziellen Handlungsspielraum für
die Länder, die diesen nutzen müssen, um mehr in die
Bildung und in die Wissenschaft zu investieren. Es geht
um eine ganze Menge Geld. 1,2 Milliarden Euro pro
Jahr übernehmen wir als Bund dann zusätzlich - Geld,
das dann den Ländern zur Verfügung steht.
Ich will Ihnen einmal ein schönes Beispiel aus Sachsen nennen - nicht nur, weil ich aus Sachsen komme,
sondern auch, weil wir dort eine wirklich gute Politik
machen. Das tun wir jetzt übrigens auch in einer Großen
Koalition, und wir werden das schon ordentlich hinbekommen.
In dem dortigen Koalitionsvertrag steht der Passus:
Wir werden uns für eine flächendeckende Berufs- und
Studienorientierung einsetzen, die die Gymnasien umfasst. - Es ist richtig, so etwas im Koalitionsvertrag zu
vereinbaren.
({10})
Genauso wichtig ist es, dass wir sagen: Wenn wir
vom Bund eine flächendeckende Berufs- und Studienorientierung einführen wollen und dafür Geld - das haben
wir gemacht, nämlich 12 Millionen Euro mehr - zur Verfügung stellen, dann sollten wir möglichst Anreize
schaffen, dass die Länder, deren ursprüngliche Aufgabe
das ist, diese Aufgabe übernehmen, während wir
schauen, wie wir sie als Bund dabei unterstützen. Dafür
werden wir uns in der nächsten Zeit einsetzen.
Es ist hier über Berufsorientierung gesprochen worden. Gut, ich habe drei Kinder, aber man sollte nicht nur
von eigenen Erlebnissen reden und davon, wie schwer es
ist, aus der Unübersichtlichkeit von Berufsbildern, vor
allen Dingen auch bei Studiengängen - es gibt mehrere
Zehntausend Bachelorstudiengänge -, das Passende zu
finden. Deswegen müssen wir in diesem Bereich etwas
tun. Dazu gibt es ein aktuelles Gutachten von Allensbach, in dem die Vorstellungen junger Leute zur Berufsorientierung untersucht wurden.
Weil etwas Fachkenntnis nicht schaden kann, möchte
ich Ihnen das gerne zu Gehör bringen. 44 Prozent der
Schüler fühlen sich laut dieser Studie über berufliche
Möglichkeiten nicht ausreichend informiert. Nur knapp
ein Drittel hat konkrete Vorstellungen zur beruflichen
Zukunft, 20 Prozent haben gar keine Vorstellung.
54 Prozent der Schüler an Sekundarschulen wissen
nicht, welche Berufe gute Zukunftsaussichten haben.
Neben Defiziten in der Berufsorientierung haben
62 Prozent der Gymnasiasten einen gefühlten Mangel
- dahinter steckt meistens mehr - an Studienorientierung. Nur 25 Prozent der Schüler holen sich Informatio6658
nen bei der Agentur für Arbeit. Davon schätzt nur ein
Drittel diese Informationen als hilfreich ein. Deswegen
ist es richtig, dass wir die Berufs- und Studienorientierung finanzieren. Wir haben mit diesem Haushalt den
Anfang gemacht. Das werden wir in den nächsten Jahren
fortsetzen.
({11})
Im Übrigen ist die duale berufliche Bildung ein sehr
gelungenes Beispiel für eine private und öffentliche
Partnerschaft; denn wir sollten auch die Leistungen der
Unternehmen nicht ganz vergessen. Neben dem, was wir
hier im Bund und in den Ländern für die berufliche Ausbildung machen, sollte auch einmal die Rolle der Unternehmen gewürdigt werden. Man muss sich vorstellen:
16 000 Euro kostet ein Azubi. Dieses Geld muss man
erst einmal aufbringen. Die Investitionen der Unternehmen in die Ausbildung liegen momentan bei 24 Milliarden Euro pro Jahr. Auch das sollte uns einen großen
Dank in diese Richtung wert sein.
({12})
Abschließend möchte ich den Blick nach außen richten. Nur wenn wir hier in Deutschland mit einem ausgewogenen Mix an akademischer und beruflicher Bildung
erfolgreich sein werden, werden wir das Überzeugungspotenzial dafür haben, dass auch andere Länder in Europa und in der Welt diesen Weg einschlagen. Deswegen
will ich Ihnen zum Schluss zwei Beispiele aus Ländern
nennen, in denen dieses System auf den Weg gebracht
wurde oder schon funktioniert. Das eine Beispiel bezieht
sich auf ein Land in der Nähe, das andere auf ein weiter
entferntes Land.
Das erste Beispiel ist Georgien, ein Land, das durch
ein Assoziierungsabkommen näher an die Europäische
Union rückt. Georgien geht es nicht in erster Linie um
Geld, sondern das Land will von uns lernen. Es teilt unsere Werte. Das heißt für dieses Land, dass ihm die duale
Bildung etwas wert sein muss. Ich weiß, dass gerade in
der Regierung gefragt wird: Wie kann man dafür die gesetzlichen Grundlagen schaffen? Wie können wir diese
Entwicklung durch Berufsforschung akademisch begleiten? Dafür braucht das Land natürlich die Hochschulen.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit der richtigen
Unterstützung in diesen Bereichen dafür sorgen werden,
dass durch die duale berufliche Bildung in diesen europäischen Ländern oder in den Ländern, die näher an uns
heranrücken wollen, die Jugendarbeitslosigkeit drastisch
verringert und die Zukunftsfähigkeit von ganz Europa
gesichert wird.
({13})
Das zweite Beispiel, das ich gerne nennen möchte, ist
ein weiter entferntes Land: Ecuador. Die Deutsche
Schule Quito mit 1 600 Schülern, eine der größten deutschen Auslandsschulen, hat vor einigen Jahren mit einer
dualen beruflichen Bildung angefangen, angeschlossen
an das Schulsystem. Der Leiter der Schule war mit diesem Modell so erfolgreich - es geht schließlich auch um
das Image von beruflicher Bildung; das müssen wir uns
klarmachen; die meisten Leute studieren, weil sie meinen, die duale Bildung hat in unserem Land keinen richtigen Stellenwert -, dass die Regierung diesen Lehrer
nach seiner Pensionierung als Berater beschäftigt hat.
Inzwischen hat dieses Land die gesetzlichen Voraussetzungen für eine duale Ausbildung nach deutschem
Vorbild geschaffen. Pro Jahr werden 120 000 junge
Menschen ausgebildet. Das ist eine nachhaltige Entwicklungspolitik, die wir damit für die Welt leisten.
Wenn wir in Deutschland weiter daran festhalten, werden wir sehr erfolgreich sein.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Saskia
Esken das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf einen kleinen, zunächst unscheinbar wirkenden Haushaltsansatz eingehe, über den ich mich ganz besonders
gefreut habe, möchte ich mich bei all denen bedanken,
die in den vergangenen Wochen diesen Haushalt entworfen und ihn in zahlreichen Sitzungen teils bis in die
Nacht hinein beraten haben. Sie alle haben wirklich hervorragende Arbeit geleistet.
({0})
Worüber ich mich gemeinsam mit meinem Berichterstatterkollegen Sven Volmering besonders gefreut habe,
ist ein kleiner, erster Haushaltsansatz zur Förderung von
OER. Ausgesprochen heißt das: Open Educational Resources; auf Deutsch sprechen wir von freien Lehr- und
Lernmaterialien. Im Haushaltsjahr 2015 sollen für ihre
Förderung 2 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Das
finde ich großartig.
„Open“ bzw. „frei“ heißen diese Lehr- und Lernmaterialien nicht etwa, weil sie kostenlos oder gar umsonst zu
erstellen wären - dann bräuchten wir keine Haushaltsmittel dafür -, nein, der Begriff „Openness“ oder „Freiheit“ bezieht sich auf den freien Zugang, den jeder zu
den Lehr- und Lernmaterialien haben soll. Dazu kommt
eine möglichst freie Lizenzierung, die es Lernenden und
Lehrenden ermöglicht, die Materialien zu verändern und
sie weiterzugeben.
Was bedeuten solche freien Lehr- und Lernmaterialien für unser schulisches und außerschulisches Bildungssystem, insbesondere dann, wenn sie in digitaler
Form vorliegen und entsprechend eingesetzt werden
können? Für Lehrkräfte eröffnen OER und digitale Medien die Möglichkeit, Lehr- und Lernmaterialien so
auszuwählen und anzupassen, dass sie den eigenen ErSaskia Esken
fahrungen und Vorlieben, der besonderen Unterrichtssituation und den besonderen Bedürfnissen der Lernenden
entsprechen. Wenn Lehrkräfte das heute auf der Grundlage von geschlossen lizenzierten Materialien tun, dann
arbeiten sie in einer problematischen rechtlichen Grauzone und unter der ständigen Angst vor der Abmahnung.
Für Lernende in Bildungseinrichtungen bedeuten OER
und digitale Lernmedien aktivere Lernprozesse. Sie erlauben das Lernen nach individuellen Zugängen und Bedürfnissen, auch im Sinne der Inklusion. Außerdem ist
das vernetzte Lernen im Austausch mit anderen gerade
für junge Menschen besonders motivierend, weil das
Lernen damit dort stattfindet, wo sie zu Hause sind.
Für frei Lernende ist der offene und für den Endnutzer möglichst kostenfreie Zugang zu OER ein großer
Gewinn; denn er ermöglicht Menschen das lebensbegleitende Lernen, die durch ihre familiäre Situation, durch
eingeschränkte Mobilität oder durch andere Gründe am
Besuch einer Bildungseinrichtung gehindert sind. Dies
gilt sowohl für die berufliche Weiterbildung als auch für
die Weiterbildung nach Bedarf und Interesse, nach Lust
und Laune. Dieser ungehinderte Zugang zu Bildung und
Wissen ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft,
nicht nur für das Bildungssystem.
({1})
Für die traditionellen Hersteller von Bildungsmaterialien bedeuten OER nicht etwa eine Kampfansage. Das
möchte ich sehr deutlich machen. Nach meiner Wahrnehmung können - anders als auf der Grundlage von geschlossen lizenzierten Inhalten - gerade mit OER die
wertvolle Arbeit, die Erfahrung und die Qualität, die die
Schulbuchverlage heute in unser Bildungssystem einbringen, auch in Zukunft genutzt werden. Es wird den
Verlagen, aber auch weiteren Akteuren auch weiterhin
möglich sein, aus vorhandenen Inhalten auf der einen
Seite und Bildungsstandards und Bildungsplänen auf der
anderen Seite gute, praxistaugliche Unterrichtskonzepte
zu entwickeln und zu verkaufen; denn solche Unterrichtskonzepte werden auch weiterhin gebraucht.
Für die Qualität der Bildungsmaterialien kann die Offenheit einen Quantensprung bedeuten, weil gerade die
vernetzte Erzeugung, Nutzung und Weiterentwicklung
von solchen Lernmaterialien auf offenen Plattformen die
Qualität fördert und deren Sicherung erleichtert. Schon
die Möglichkeit der stetigen Weiterentwicklung und Anpassung an die Anforderungen des Bildungsbetriebs
stellt einen großen Vorteil zum analogen gebundenen
Schulbuch dar.
Die wesentlichen Vorteile von OER liegen also auf
der einen Seite im offenen Zugang für alle und auf der
anderen Seite in der stetigen Weiterentwicklung und
Qualitätsverbesserung der Materialien. Deshalb sind die
2 Millionen Euro für OER im Bundeshaushalt 2015 vielleicht zunächst unscheinbar, aber ein wichtiger Schritt
für die Bildung und, wie ich finde, ein gutes Signal sowohl an die, die sich derzeit überwiegend ehrenamtlich
mit OER beschäftigen, als auch an die, die heute schon
mit dem Erzeugen von Bildungsmaterialien ihr Geld verdienen.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Rainer
Spiering das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist jetzt gut ein Jahr
her, dass ich das letzte Mal vor einer Berufsschulklasse
gestanden habe. Lassen Sie mich dem Ausdruck geben,
was ich in diesem Jahr hier erlebt habe. Wir Berufsschullehrer hatten häufig den Eindruck, dass wir der Teil der
Bildung sind, der seinen Job macht und tapfer vor sich
hin arbeitet, aber von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird. Lassen Sie mich sagen, dass ich heute
sehr froh und sehr glücklich bin, weil in meiner Wahrnehmung in diesem Land unglaublich viel passiert. So
wie ich das in diesem Jahr erlebt habe, steht Berufsbildung im Fokus der Diskussion, es bewegt sich, es berührt Deutschland, und Deutschland ist berührt und bewegt sich. Dafür möchte ich dem Hohen Haus erst
einmal herzlich danken.
({0})
Frau Wanka hat eine Studie für den Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Amerika angesprochen, in der
gefragt wurde, worauf sich die Innovationsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft gründet: Industrie, Mittelstand,
Handwerk. Ich ergänze einmal, was Frau Ministerin gesagt hat: Ja, das sind die Facharbeiter, die Ingenieure und
das dazu gehörende Umfeld; aber da drunter sind die Basics, und die Basics sind die deutsche Berufsausbildung,
sie macht es erst möglich, dass diese Innovationskraft
überhaupt vorhanden ist. Ich finde, um dieses System
lohnt es sich jeden Tag zu streiten und zu kämpfen, und
das tun wir in diesem Haus. Das finde ich vorbildlich.
({1})
Hier ist die Ausbildungsgarantie angesprochen worden. Nun ist eine Garantie in einem System wie in
Deutschland, wo die Berufsausbildung Teil des Arbeitsmarktes ist, nicht Ausdruck eines staatlichen Dirigismus
- ich hoffe, dass jede und jeder das versteht; ich hoffe
auch, dass jede und jeder nicht dorthin möchte, dass wir
staatlichen Dirigismus bekommen -, vielmehr kann das
immer nur eine Frage von Angebot und Förderung sein.
({2})
Da sind wir beim Pakt für Ausbildung auf dem absolut
richtigen Weg. Die assistierte Ausbildung ist angesprochen worden, die Berufsorientierung ist angesprochen
worden. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Bogen
schließen: Wir haben in diesem Hohen Hause teilweise
die etwas unselige Diskussion „Akademisierung kontra
duales System“ geführt. Welch Unsinn! Das eine bedingt
das andere, das eine ist nur mit dem anderen möglich.
Ich weise noch einmal mit großer Freude darauf hin: Es
gibt kein vergleichbares Schulsystem weltweit, wo ein
Absolvent durch das Berufsbildungssystem gleiten und,
wenn er denn fleißig ist und genügend gefördert wird,
als Hochschulprofessor enden kann. Das gibt es sonst
nirgendwo.
({3})
Beim BAföG gibt es - das ist mir aufgefallen; ich
habe aufmerksam zugehört - eigentlich nur eine Gruppierung - Dr. Feist ergänzt diese Gruppierung der Sozialdemokraten -,
({4})
die die Frage des Meister-BAföGs nach wie vor für ungeklärt hält. Es ist wirklich fragwürdig, dass eine Gruppe
junger Menschen, die sich mit hohem Engagement fortbewegt, eigenes Geld in die Hand nehmen muss, vieles
in Kauf nehmen muss, während ein Großteil der Jugendlichen in den Genuss von BAföG kommt. Deswegen
bitte ich dieses Haus inständig, bei der Diskussion um
die Berufsbildung das Meister-BAföG mit in den Fokus
zu nehmen, damit unsere jungen Meisterinnen und
Meister eine gute Zukunft haben.
({5})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Von Galileo
Galilei stammt der Ausspruch: Und sie bewegt sich
doch. - Ich sage im Hinblick auf unser Berufsbildungssystem: Es bewegt sich immer, und das ist auch gut so.
({6})
Ganz herzlichen Dank, auch für diese klare Unter-
streichung der Bedeutung der beruflichen Bildung!
Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 30 - Bundesministerium für Bildung und For-
schung - in der Ausschussfassung. Dazu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/3308 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Koali-
tion. Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt.
Ich lasse nun über den Einzelplan in der Ausschuss-
fassung abstimmen. Wer stimmt dafür? - Die Koalition.
Wer stimmt dagegen? - Die Opposition. Enthaltungen? -
Das ist nicht der Fall. Damit ist der Einzelplan 30 mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III. a bis f so-
wie die Zusatzpunkte 1 a und b auf:
III. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern
Drucksache 18/3160
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften zur
Durchsetzung des Verbraucherschutzes
Drucksache 18/3253
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes
Drucksache 18/3254
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 10. Juni 2013 zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Regierung des
Staates Israel andererseits ({3})
Drucksache 18/3255
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4})
Auswärtiger Ausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter
Drucksache 18/3170
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern
Drucksache 18/3277
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
ZP 1 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena
Baerbock, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
zweiten Änderung des Gesetzes für den
Ausbau erneuerbarer Energien
Drucksache 18/3234
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
Drucksache 18/3321
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV. a bis f auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV. a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energieund Klimafonds“
Drucksachen 18/2443, 18/2658
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsauschusses ({9})
Drucksache 18/3199
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3199, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen
18/2443 und 18/2658 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? Die Opposition. Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten IV. b
bis f, zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt IV. b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 115 zu Petitionen
Drucksache 18/3172
Wer stimmt dafür? - Alle, soweit ich das sehen kann.
Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich? Auch niemand. Dann ist die Sammelübersicht 115 einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt IV. c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 116 zu Petitionen
Drucksache 18/3173
Wer stimmt dafür? - Die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Die Linke. Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die
Grünen. Damit ist die Sammelübersicht 116 mit den
Stimmen der Koalition gegen Stimmen der Linken bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.
Tagesordnungspunkt IV. d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 117 zu Petitionen
Drucksache 18/3174
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 117 einstimmig angenommen worden.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 118 zu Petitionen
Drucksache 18/3175
Wer stimmt dafür? - Koalition und Linke. Wer stimmt
dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? Niemand. Damit ist die Sammelübersicht 118 mit den
Stimmen der Koalition und der Linken bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt IV. f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 119 zu Petitionen
Drucksache 18/3176
Wer stimmt dafür? - Die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Die Opposition. Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die
Sammelübersicht 119 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen jetzt die
Haushaltsberatungen fort. Dazu rufe ich den Tagesordnungspunkt I. 14 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Drucksachen 18/2811, 18/2823
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Ekin
Deligöz, Axel Fischer, Ewald Schurer und Dr. Gesine
Lötzsch.
Zu dem Einzelplan 11 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Außerdem hat die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir morgen, nach der Schlussabstimmung, abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der
Aussprache hat die Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
({2})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Am
1. Januar 2015 ist das Hartz-IV-Gesetz zehn Jahre in
Kraft. Das ist wirklich kein Grund zum Feiern.
({0})
Der anerkannte Armutsforscher Christoph Butterwegge
zieht den Schluss - ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren -,
dass es sich bei Hartz IV um ein zutiefst inhumanes
System … handelt, das Menschen entrechtet, erniedrigt und entmündigt.
({1})
Sowohl die von Hartz IV unmittelbar Betroffenen
wie auch ihre Angehörigen und die mit ihnen in
einer „Bedarfsgemeinschaft“ zusammenlebenden
Personen werden stigmatisiert …, sozial ausgegrenzt und isoliert.
Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe in unserem
Land, die so intensiv überwacht, kontrolliert und sanktioniert wird wie die Bezieher von Hartz IV. Wir, die
Linke, finden: Diese Politik der Nulltoleranz gegen Arbeitslose muss endlich beendet werden.
({2})
Übrigens habe ich eine interessante Veranstaltung
entdeckt. Die Evangelische und die Katholische Akademie laden gemeinsam mit der Humboldt-Universität im
Januar zu einer Diskussion mit dem Titel „Doppelte
Standards in der Unternehmensführung. Ist Heuchelei
vermeidbar?“ ein. Ich schlage Ihnen vor: Ersetzen Sie
einfach das Wort „Unternehmensführung“ durch „Politik“, und stellen Sie die Frage: Doppelte Standards in der
Politik. Ist Heuchelei vermeidbar?
({3})
Ich will nur ein Beispiel für doppelte Standards in der
Politik benennen. Daimler Benz und die Deutsche Telekom waren nicht in der Lage, vertragsgemäß die LkwMaut einzuführen. Deshalb fehlen uns 6 Milliarden Euro
in der Kasse. Bis heute sind diese Schulden nicht beglichen. Trotzdem ist die Bundesregierung der Meinung,
dass der neue milliardenschwere Mautvertrag nicht ausgeschrieben werden musste; vielmehr sollen diese beiden Unternehmen das fortführen.
Können Sie, meine Damen und Herren, sich solche
Standards in einem beliebigen Jobcenter vorstellen?
Nein, natürlich nicht. Wer dort einen Termin verpasst,
muss sofort mit Sanktionen rechnen, aber Daimler und
Telekom schulden uns 6 Milliarden Euro und werden
mit einem neuen Vertrag belohnt. Das ist nicht in Ordnung. Diese doppelten Standards müssen endlich beendet werden.
({4})
Zehn Jahre nachdem Hartz IV eingeführt wurde und
wir in Deutschland den größten Niedriglohnsektor Europas haben, gilt ab 1. Januar 2015 endlich der Mindestlohn. Ich sage absichtlich nicht, dass ab 1. Januar überall
der Mindestlohn gezahlt wird. Es gibt einfach zu viele
Möglichkeiten, den Mindestlohn zu umgehen. Um das
zu verhindern, brauchen wir mehr und effektive Kontrollen.
Doch dafür hat die Bundesregierung leider unzureichend vorgesorgt.
({5})
600 Planstellen sind bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die auch für die Überwachung des Mindestlohns
zuständig ist, unbesetzt. Das sind 10 Prozent all dieser
Stellen. Erst 2017 soll sich die Personalausstattung verbessern. Bis dahin sollen in Ausbildung befindliche
Nachwuchskräfte aushelfen. Der Bundesrechnungshof
hat schon Kritik angemeldet. Ich zitiere:
Der Nachweis der Mindestlohnunterschreitung bei
der Auftragsvergabe an ({6}) Subunternehmer gestaltet sich zunehmend schwieriger.
Um hier erfolgreich kontrollieren zu können, bedarf
es eingehender Kenntnisse der erforderlichen Prüfungs- und Ermittlungsmaßnahmen.
Die Konsequenz wird sein: Viele Niedriglöhner werden noch lange auf ihren Mindestlohn warten müssen.
Ich frage mich: Ist die unzureichende Kontrolle nur Ausdruck von mangelnder handwerklicher Fähigkeit, oder
ist es etwa doch ein Geschenk an die Arbeitgeber, die
keinen Mindestlohn zahlen wollen?
({7})
- Es ist sehr schön, dass Sie dazwischenrufen: „Quatsch!
Der ist unabdingbar!“ - Es gibt jeden Tag insbesondere
aus Ihren Reihen neue Infragestellungen und neue Vorstellungen dazu, wie man den Mindestlohn umgehen
kann. Ich finde, wenn Sie in einem Zwischenruf sagen:
„Der Mindestlohn ist unabdingbar“, dann sorgen Sie
verdammt noch mal dafür, dass er wirklich überall
durchgesetzt wird und alle diese Schlupflöcher endlich
geschlossen werden.
({8})
Abschließend will ich noch etwas zur Altersarmut sagen. Das Statistische Bundesamt hat uns mitgeteilt, dass
Armut immer mehr ältere Menschen in Deutschland betrifft. Fast jeder siebte Ältere im Westen unseres Landes
war 2013 von Armut bedroht. Im Osten - einschließlich
Berlin - gilt zwar „nur“ jeder achte Rentner als armutsgefährdet. Dafür ist das Armutsrisiko bei der Gesamtbevölkerung wesentlich größer als im Westen. Jeder Fünfte
lebt jetzt schon an der Armutsschwelle.
Die Aussichten werden nicht besser. Im Gegenteil:
Heute gehen viele Menschen in Rente, die nach der Wiedervereinigung ihre Arbeit verloren hatten und sich von
einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur anderen hangeln mussten. Entsprechend sieht die Rente aus. Die Bekämpfung der Altersarmut ist das Gebot der Stunde. Ich
finde, das muss man intensiv anpacken, und hier, Frau
Nahles, haben Sie noch nichts getan.
({9})
Wer glaubt, dass mit der Rente ab 63 und der Mütterrente die zunehmende Altersarmut bekämpft wird, der
hat sich geirrt. Deshalb müssen wir dieses Problem viel
ernsthafter angehen. Es ist doch dramatisch, wie viele
Rentnerinnen und Rentner Grundsicherung beantragen
müssen. Traurige Spitzenreiter bei der Beantragung der
Grundsicherung sind Städte wie Hamburg und Bremen.
Hamburg - die Stadt der Millionäre und die Stadt mit der
meisten Grundsicherung. Darin zeigt sich, wie gespalten
unsere Gesellschaft ist. Nur durch eine gerechte Besteuerung, durch eine Besteuerung der wirklich Superreichen können wir dieses Problem endlich lösen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({10})
Als nächste Rednerin spricht die Bundesministerin
Andrea Nahles.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einzelplan 11 ist Teil eines Haushaltes,
der ohne Neuverschuldung auskommt und - das füge ich
hinzu - ohne Sozialkürzungen. Das zu erreichen, ist
wahrlich außergewöhnlich, und wir haben es geschafft.
Darüber können wir uns freuen.
({0})
Nicht nur der Bundeshaushalt gibt Anlass zur Freude;
denn auch die Haushalte der Sozialversicherungen sind
solide aufgestellt. Erst letzte Woche hat das der Rentenversicherungsbericht gezeigt. Die Deutsche Rentenversicherung weist eine Rekordrücklage von 33,5 Milliarden Euro aus.
({1})
Sogar bei sinkenden Beitragssätzen ist die Rücklage in
den vergangenen Jahren stetig aufgewachsen. Diese gute
Finanzlage ermöglicht uns eine Beitragssatzsenkung um
0,2 Prozentpunkte ab dem 1. Januar 2015. Das ist gut;
denn es entlastet die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. Das ist auch ein
gutes Signal in der aktuellen konjunkturellen Situation.
({2})
Die Zahlen zeigen auch: Das Anfang Juli in Kraft getretene Rentenpaket, von dem über 10 Millionen Menschen in Deutschland profitieren, ist verlässlich finanziert. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Rentenversicherung danken, dass sie die Mütterrente so zügig und ohne Fehler umgesetzt haben. Das war eine Herkulesaufgabe. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Herzlichen Dank dafür.
({3})
Trotz aller Unkenrufe wird auch die Rente mit 63 umgesetzt. Die Kosten und auch die Zahl derjenigen, die Anträge stellen, bewegen sich vollkommen in dem von uns
erwarteten Rahmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundlegend für die
gute Finanzlage der Sozialkassen ist vor allem eins: die
gute Beschäftigung. Wenn wir im Jahresvergleich einen
Zuwachs um rund eine halbe Million Beschäftigte aufzuweisen haben, bringt das Mehreinnahmen für die sozialen Sicherungssysteme von sage und schreibe 5 Milliarden Euro und, wenn man den Soli hinzurechnet,
Steuermehreinnahmen von 3 Milliarden Euro. Deswegen ist unser wichtigstes Ziel für die kommenden Jahre,
das hohe Beschäftigungsniveau zu halten.
({4})
Das muss das zentrale Ziel unseres Aufgabenbereiches
sein.
Mit 43 Millionen Erwerbstätigen schreiben wir ein
Allzeithoch. Wir haben mittlerweile bei der Erwerbstätigenquote im europäischen Vergleich eine Spitzenposition; vor zehn Jahren lagen wir ganz unten. Frau
Lötzsch, das zeigen eben auch die Entwicklungen der
letzten zehn Jahre, die auch durch die Reformen, die wir
hier durchgeführt haben, mit ausgelöst und befördert
worden sind, und dazu stehen wir auch. Das ist eine
positive Entwicklung. Da wollen wir unser Licht nicht
unter den Scheffel stellen.
({5})
Es gibt ein großes Thema in diesem Land; das ist die
Fachkräftesicherung. Wir haben in der letzten Woche zusammen mit den Arbeitgeberverbänden, den Gewerkschaften und der Bundesagentur für Arbeit eine „Partnerschaft für Fachkräfte“ ins Leben gerufen. Natürlich
sind alle bereits aktiv und engagiert. Wir haben uns aber
verabredet, im nächsten Jahr eine gemeinsame Offensive
zu starten. Wir wollen alle Stränge, die da sind, zu einem
starken Tau zusammendrehen, so dass noch mehr Zugkraft entsteht, vor allem für folgende Gruppen:
Erstens: für Frauen. Die Beschäftigungsquote ist in
diesem Bereich ganz gut, 73 Prozent. Aber leider: Wenn
man genauer hinschaut, stellt man fest, dass über 80 Prozent derer, die in Teilzeit arbeiten, Frauen sind. Das
heißt, hier geht es eher darum, die Arbeitsstundenzahl
der Frauen zu erhöhen, so wie sie es wünschen. Das wollen sie. Genügend Untersuchungen belegen: Frauen wollen mehr Stunden arbeiten, wenn sie in Arbeit sind.
Zweitens: für Ältere. Wir haben in diesem Bereich
Riesenfortschritte erreicht; das weist übrigens auch der
Rentenversicherungsbericht aus. Aber es ist immer noch
deutlich zu sehen, dass es bei den 60- bis 64-Jährigen
und den noch Älteren einen großen Knick gibt. Deswegen dürfen wir unsere Anstrengungen an dieser Stelle
nicht einstellen. Im Gegenteil: Wir müssen sie weiter vorantreiben.
Das wird auch Thema auf dem Integrationsgipfel
nächste Woche sein; meine Kollegin Aydan Özoğuz sehe
ich hier vorne. Es geht sowohl um die Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land, die häufiger als
Menschen ohne Migrationshintergrund ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung sind, als auch um Menschen, die derzeit aus dem Ausland zu uns kommen.
Viele von ihnen arbeiten gar nicht oder unterhalb ihrer
Qualifikation.
Diese beiden Punkte stellen bei der Fachkräftesicherung eine ganz entscheidende Ressource dar, ein Potenzial, das wir heben wollen.
({6})
Wir werden nicht nachlassen, an einer Stelle, wo viele
stolpern, Vorschläge zu machen und Initiativen zu ergreifen: beim Übergang von Schule in Ausbildung. Hier
haben wir initiiert - das ist noch im Aufbau -, Jugendberufsagenturen aufzubauen - gute Beispiele dafür sind
bereits realisiert, zum Beispiel in Hamburg oder in
Mainz -; das muss weitergehen. Warum? Weil viele,
vielleicht durch die Schule frustriert, nicht genügend
Schwung mitnehmen, um eine duale Ausbildung durchzuziehen. Deswegen haben wir ein ESF-Programm zur
Berufseinstiegsbegleitung entwickelt. Wir haben es bereits beantragt, und es wurde genehmigt.
Hier liegen wirklich Chancen; denn bis 2019 haben
wir mit einem Gesamtvolumen von 1 Milliarde Euro die
Möglichkeit, 115 000 junge Menschen zu unterstützen
und an 2 500 Schulen mit der Betreuung der Jugendlichen zu beginnen und sie auch im ersten halben Jahr ihrer Ausbildung weiter zu begleiten. Das halte ich für einen wesentlichen Schritt, um auch für schwächere
Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland den
Übergang von Schule in Ausbildung erfolgreich zu organisieren.
({7})
Tatsächlich ist die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht automatisch auch eine Erfolgsgeschichte für
Langzeitarbeitslose. Wir haben über viele Jahre gehofft,
dass ein Arbeitsmarkt, der gut aufnahmefähig ist, vielen,
die länger arbeitslos sind, als Chance dienen kann. Das
gab es sicherlich auch, aber insgesamt kommen wir seit
einigen Jahren von der Zahl von 1 Million Langzeitarbeitslosen, von diesem Sockel nicht herunter. Ich habe
deswegen vor wenigen Wochen im Ausschuss für Arbeit
und Soziales ein Konzept vorgelegt. Kern sind zwei
wichtige Erkenntnisse:
Die eine Erkenntnis lautet: Es gibt nicht die Langzeitarbeitslosen. Es gibt verschiedene Gruppen. Es sind Alleinerziehende. Es sind Ältere. Es sind Leute ohne Ausbildung, zum Teil auch funktionale Analphabeten. Es
sind Menschen, deren Gesundheit beeinträchtigt ist. Oft
kommen auch mehrere Probleme zusammen.
Die andere Erkenntnis oder Erfahrung lautet: Am besten lassen sich Erfolge erzielen, wenn wir nah an die
Einzelnen herankommen. Man muss dabei an ein gutes
Profiling oder an ein Paket von maßgeschneiderten Hilfen denken. Vor allem brauchen wir eine richtige Prioritätensetzung in den Jobcentern. Dieses Thema muss
wirklich mit Priorität behandelt werden.
({8})
Genau an diesen Punkten setzt das Konzept an, einmal über das ESF-Programm für Langzeitarbeitslose. Es
geht darum, auf der einen Seite Arbeitgeber zu akquirieren und auf der anderen Seite Arbeitnehmer zu begleiten, wenn sie denn in einen Job kommen. Was wir festBundesministerin Andrea Nahles
gestellt haben, ist, dass leider viele, die nach langer Zeit
der Arbeitslosigkeit wieder in einem Job begonnen haben, abbrechen.
Ein weiterer Teil des Konzepts ist die bessere Betreuung in Aktivierungszentren; so nennen wir das. Das
meine ich mit der Priorität, und zwar überall. Ich lade
übrigens auch die Optionskommunen ausdrücklich ein,
sich an diesem Konzept der Aktivierungszentren zu beteiligen. Das wollen wir umsetzen.
Dann haben wir auch etwas Neues vorgeschlagen,
nämlich ein BMAS-Programm zur sozialen Teilhabe;
denn einige dieser Langzeitarbeitslosen sind sehr weit
vom ersten Arbeitsmarkt entfernt. Wir müssen auch an
dieser Stelle ganz ehrlich sein. Es braucht für diese Menschen andere, niedrigschwelligere Angebote. Wir haben
das Programm deswegen bewusst „soziale Teilhabe“ genannt. Es geht in diesem Zusammenhang um einen
Lohnkostenzuschuss von bis zu 100 Prozent, um diesen
Menschen über einige Jahre eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen.
Ich verstehe dieses Konzept auch als Einladung zum
Dialog. Wir werden den Dialog mit den Verbänden, mit
den Kommunen, den Städten und Gemeinden, mit den
Kirchen in den nächsten Wochen vorantreiben. Es ist
aber natürlich auch eine Einladung an Sie: Lassen Sie
uns gemeinsam weiter nach den besten Wegen suchen!
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Fachkräfte; ich habe es schon angesprochen. 37 Prozent der
Unternehmen in Deutschland fürchten einen Fachkräftemangel. Derweil suchen rund 180 000 Schwerbehinderte
einen Arbeitsplatz. 59 Prozent davon haben einen Hochschulabschluss oder haben einen Beruf gelernt. Sie erfüllen also sämtliche Anforderungen an die Qualifikation.
Da passt etwas nicht zusammen. Umso irritierender ist,
dass diejenigen Unternehmen, die tatsächlich Schwerbehinderte beschäftigen, von guten bis sehr guten Erfahrungen berichten.
Es kommt am deutschen Arbeitsmarkt offensichtlich
etwas vor, was ich nicht hinnehmen möchte. Die Behinderung wird anscheinend wie unter einem Brennglas gesehen. Vieles macht einen Menschen aus, doch wir sehen
vor allem den Aspekt der Behinderung - und den dann
ganz riesig. Dabei geraten das Können und das Potenzial, das die Leute mitbringen, leider völlig aus dem
Blick. Das kann so nicht bleiben.
Es muss angesichts der guten Zahlen, die wir haben,
und der Fachkräftesituation möglich sein, echte Inklusion am Arbeitsmarkt zu schaffen. Es muss unser Ehrgeiz sein, in den nächsten Jahren hier einen qualitativen
Schritt nach vorn zu machen.
({10})
Wir werden deswegen den Nationalen Aktionsplan
weiter aktualisieren - selbstverständlich mit den Menschen mit Behinderung und ihren Verbänden. Wir werden das Behindertengleichstellungsgesetz weiterentwickeln, um sprachliche Hürden oder auch Barrieren
baulicher Art weiter zu reduzieren. Natürlich packen wir
auch das Bundesteilhabegesetz an. Bis 2016 wird das
Gesetz vorliegen; das ist meine Planung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Aspekt
der Selbstbestimmung aufmerksam machen. Unser ganzes Bemühen ist es, den Menschen mit Behinderungen
einfach mehr selbstbestimmtes Leben in diesem Land zu
garantieren und dafür die nötigen Voraussetzungen zu
schaffen. Ich bin mir sicher, dass wir uns darüber einig
sind, dass wir da weiter vorankommen wollen.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss
möchte ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses,
insbesondere unseren Berichterstattern und unserer Gesamtberichterstatterin Ekin Deligöz, ganz herzlich für
die Zusammenarbeit danken. Das ist gut gelaufen; die
Arbeit hat sich gelohnt. In diesem Sinne wünsche ich
uns eine gute Beratung.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat der Kollege
Markus Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Minister Nahles, als Sie die Gesamtbewertung Ihres Einzelplans vorgenommen haben, erinnerten Sie
mich doch ein wenig an die Kapelle auf der „Titanic“:
Sie trompeten laut zur Beruhigung der Menschen. Sie
wollen vergessen machen, dass gerade dem größten
Zweig der Sozialversicherung Ungemach droht. Sie wissen aber schon, dass die Rentenfinanzen ab heute nur
noch in eine Richtung gehen, nämlich abwärts.
Meine Damen und Herren, heute ist ein historischer
Tag. Nie zuvor in der Geschichte der Rentenversicherung - mutmaßlich nie wieder zu unseren Lebzeiten war die Rücklage so hoch wie am heutigen Tag. Ab morgen werden die Dezemberrenten überwiesen. Und da
gönnen Sie sich von der Großen Koalition jetzt so etwas
wie einen Tanz auf dem Vulkan; ich nehme an, die nachfolgenden Redner werden das auch noch tun. Aber ich
sage Ihnen: Der Gipfel, auf dem Sie sich wähnen, ist
gleichzeitig der Scheitelpunkt: Ab heute lassen Sie die
Reserve der Rentenversicherung gnadenlos und unerbittlich leerlaufen; Monat für Monat, Jahr für Jahr schwindet die entbehrungsreich aufgebaute Rücklage der Versicherten. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik.
({0})
Im Jahr 2018 sind laut aktuellem Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung nur noch 0,4 Monatsausgaben übrig. Danach wird den Steuerzahlern, den
Beitragszahlern, den Rentnerinnen und Rentnern die
Rechnung präsentiert, und diese wird heftig ausfallen:
Satte 10 Milliarden Euro sind dann Jahr für Jahr aufzubringen.
Nein, es gibt kaum ein besseres Beispiel, um zu zeigen, dass Sie sich Ihre schwarze Null schlichtweg ergaunern.
({1})
Sie ergaunern sie sich durch die Verschiebung von Lasten in die Sozialsysteme - wie bei der Mütterrente, die
Sie mit Steuermitteln hätten finanzieren müssen - und
durch die Verschiebung von Lasten in die Zukunft.
Das Politikfeld der Alterssicherung gibt aber auch einen Einblick in die unanständigen Bewegungsgesetze
der Großen Koalition. Es lässt sich sehr gut studieren,
warum eine Große Koalition - um es in Anlehnung an
Müntefering zu sagen - großer Mist ist. Das erste Bewegungsgesetz ist: Gibst du mir dein Geschenk, gebe ich
dir mein Geschenk. - Das ist beim Rentenpaket zu beobachten gewesen.
Das zweite Bewegungsgesetz lautet - wir beobachten
es in diesen Tagen bei den Verhandlungen über die
Flexi-Rente -: Gönnst du mir nicht das Schwarze unterm
Fingernagel, gönne ich dir auch nicht das Schwarze unterm Fingernagel. - Das Ergebnis sind Bewegungslosigkeit und Stillstand.
({2})
Meine Damen und Herren, die Diskussion um die
Rente mit 63 - das zeigt sich jetzt - hat durchaus verbrannte Erde hinterlassen. Es scheint keine ehrliche Diskussion über einen flexiblen Renteneintritt mehr möglich zu sein. Aber es ist und bleibt doch wahr: Wer
verhindern will, dass die Rente mit 67 eine verkappte
Rentenkürzung darstellt, muss besonderen Gruppen am
Arbeitsmarkt flexible Übergänge in die Rente ermöglichen, und das notfalls auch vor dem 63. Lebensjahr.
({3})
Dies gilt insbesondere - das können Sie ruhig zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren von der Union für Schwerbehinderte, Langzeitarbeitslose, Menschen
mit Erwerbsminderung und leistungsgeminderte Personen. Alle verfügbaren Zahlen zeigen - wir haben jüngst
erst eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet -, dass es hier die größten Probleme gibt. Aber was
machen Sie, was macht das Arbeitsministerium? - Business as usual, Augen zu und durch! Besondere, mit
Haushaltsmitteln unterlegte Anstrengungen für die Beschäftigung Älterer sind nicht zu erkennen. Frau Nahles,
im Prinzip setzen Sie an dieser Stelle - jedenfalls nach
meinem Dafürhalten - die Politik Ihrer Vorgängerin,
Frau von der Leyen, schlichtweg fort.
({4})
Die Rentenübergänge sind nur eine Zukunftsaufgabe,
an der diese Regierung erkennbar scheitern wird. Das
Gesamtniveau der Alterssicherung muss Anlass zur
Sorge geben. Auch hier lohnt ein Blick in den aktuellen
Rentenversicherungsbericht und in die Antworten der
Bundesregierung auf meine schriftlichen Fragen. Sie
prognostizieren ein Gesamtversorgungsniveau von
50,6 Prozent in 2030, davon wird aber ein erklecklicher
Anteil durch die Riester-Rente abgedeckt. Wenn man
sich aber ansieht, wie viele Menschen in eine vollständig
geförderte Riester-Versicherung einzahlen, dann wird einem schwummerig.
35 Millionen Versicherte werden vom sinkenden Rentenniveau betroffen sein. Gerade einmal 6,4 Millionen
Versicherte, also weniger als ein Fünftel, sparen so viel,
dass sie die volle Zulage bekommen. Die übrigen sparen
entweder gar nicht, nehmen nur einen Teil der Förderung
in Anspruch oder stellen ihre Versicherungen beitragsfrei, weil sie nicht sparen können.
Im Ergebnis heißt das: Für mehr als vier Fünftel der
Rentenversicherten trifft die Prognose der Bundesregierung zum Versorgungsniveau nicht zu. Mehr noch: Auch
für das übrige Fünftel, das voll spart, wird die Zusage in
Bezug auf das Versorgungsniveau nicht zutreffen, weil
die Renditeannahmen zu optimistisch und die Verwaltungskosten höher sind, als angenommen.
({5})
Es wäre eine wichtige Aufgabe, hier für Wahrheit und
Klarheit zu sorgen; denn die gesamte Konstruktion des
Dreisäulenmodells wankt, wenn sich dieser Trend fortsetzt.
({6})
Mit Blick auf Ihre Politik stelle ich fest: Es ist beinahe
tragisch, welche Lähmung bei der Alterssicherung droht.
Müntefering hat gesagt „Opposition ist Mist“ - das trifft
manchmal zu, aber nicht immer. Ich füge jedoch hinzu:
Eine Große Koalition ist eigentlich immer „Großer
Mist“.
Danke.
({7})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat der Kollege
Axel Fischer das Wort.
({0})
Lieber Kollege Kurth, Sie sollten sich hier nicht so
aufblasen.
({0})
Axel E. Fischer ({1})
Ich kann mich noch daran erinnern: 2005 war die Rentenkasse auf Notkredite angewiesen. Seitdem - die Frau
Ministerin hat darauf hingewiesen - geht es bergauf. Seit
die Grünen nicht mehr in der Bundesregierung sind,
läuft es in Deutschland. Das muss man ganz klar sagen.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Haushalt 2015 für den Bereich Arbeit und Soziales,
den wir heute debattieren, ist ein rundum gelungenes
Werk. Die ohnehin bereits ausgewogene Vorlage der
Bundesregierung vom Sommer dieses Jahres haben wir
einerseits an veränderte Rahmenbedingungen angepasst, andererseits haben wir wichtige eigene Akzente
gesetzt, zum Beispiel bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik oder mit der Ausstattung der Geschäftsstelle der Mindestlohnkommission.
Mit einem Volumen von 125,5 Milliarden Euro - das
sind fast 42 Prozent des Gesamtetats - sollen die Ausgaben für Arbeit und Soziales um 3,6 Milliarden Euro
- das entspricht knapp 3 Prozent - über denen des Vorjahres liegen. Mit diesen moderaten Steigerungen leisten
wir einen erheblichen Beitrag für einen Bundeshaushalt
ohne neue Schulden. Mit Wolfgang Schäuble als Finanzminister wird der Bund 2015 erstmals seit 1969 keine
Kredite zur Deckung der Ausgaben aufnehmen müssen.
({3})
Damals war übrigens Franz Josef Strauß Finanzminister
einer christlich-sozialdemokratischen Koalition, also einer Koalition, wie wir sie jetzt wieder haben. Damit
schließen wir den bereits eingeschlagenen Konsolidierungspfad für die Bundesfinanzen erfolgreich ab.
Die sogenannte schwarze Null erreichen wir trotz eingetrübter Konjunkturaussichten, trotz gestiegener Arbeitsmarktausgaben, trotz erheblich steigender Hilfen
des Bundes für die Kommunen und trotz erheblicher
Ausweitung der Leistungen für die Rentner. Dank einer
über die Jahre hinweg auf Wachstum durch Investitionen, auf sparsames Haushalten und weniger auf Umverteilung ausgerichteten Politik haben wir heute eine
solide finanzielle Basis für eine zukunftsorientierte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
({4})
Die Wirtschaft entwickelt sich zwar etwas schwächer,
aber der Arbeitsmarkt zeigt sich - und das trotz der Ereignisse in der Ukraine oder im Nahen und Mittleren Osten - sehr robust. Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind weiter gestiegen. Mit
rund 43 Millionen Erwerbstätigen und mehr als 30 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen in Deutschland brechen wir ständig neue Rekorde.
(Zuruf des Abg. Markus Kurth ({5})
Für das neue Jahr erwarten wir eine weiter sinkende
Arbeitslosigkeit - mit dann weniger als 2,7 Millionen
Arbeitslosen.
({6})
Ich kann mich noch an 5 Millionen und mehr Arbeitslose
erinnern. Zwar hat sich die Anzahl der Arbeitslosen besser entwickelt, als wir es noch vor einigen Jahren erwartet haben, aber diese Entwicklung hat sich bislang leider
nicht in einer entsprechend gesunkenen Anzahl an Bedarfsgemeinschaften oder Ausgaben für Langzeitarbeitslose niedergeschlagen.
({7})
Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren
die Ausgaben für Hartz IV, also das Arbeitslosengeld II,
für 2015 auf 20,1 Milliarden Euro erhöht. Zwar ist die
Zahl der Langzeitarbeitslosen von 2007 bis heute von
1,7 Millionen auf etwa 1 Million zurückgegangen, aber
wir können und wollen uns nicht damit abfinden, dass
die insgesamt positive Entwicklung am Arbeitsmarkt an
diesem Teil der Arbeitslosen heute fast spurlos vorbeigeht. Deshalb bleiben die Ausgaben im Titel für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und die Verwaltungskosten hinsichtlich des SGB II mit 8 Milliarden Euro
unverändert hoch.
Ausgabenreste aus den letzten Haushalten in Höhe
von 350 Millionen Euro erweitern den arbeitsmarktpolitischen Spielraum. Wir finanzieren hieraus unter anderem anteilig das neue ESF-Langzeitarbeitslosenprogramm mit einem Volumen von 224 Millionen Euro
sowie das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ mit 75 Millionen Euro in 2015.
Darüber hinaus haben wir unsere Spielräume genutzt, um auch für langzeitarbeitslose Jugendliche weitere Förderungsperspektiven zu eröffnen; der Kollege
Schiewerling wird in seiner Rede noch darauf eingehen.
Denn unabhängig vom Alter der Langzeitarbeitslosen
und vom jeweiligen Programm ist es wichtig, konkret an
den Vermittlungshemmnissen im Einzelfall anzusetzen.
Egal ob alleinerziehend, fehlender Abschluss, fehlende
Sprachkenntnisse, fehlender Arbeitswille oder Drogenabhängigkeit - wir wollen alle unsere Mitbürger in die
Lage versetzen, an der Arbeitswelt teilzuhaben und ein
selbstbestimmtes Leben in Arbeit zu führen, meine Damen und Herren.
({8})
Dazu müssen wir aber neue Wege finden, neue Instrumente erproben und neue Strukturen schaffen. Wichtig
ist, insbesondere den Kern von rund 150 000 Schwervermittelbaren anzugehen. Hierbei ist besonders Kreativität
gefragt: neue Wege erkunden und Neues ausprobieren,
um die Vermittlungshemmnisse zu beseitigen, Stichwort: Passiv-Aktiv-Tausch. Klar, dass hier alle an einem
Axel E. Fischer ({9})
Strang ziehen müssen: Bund, Länder, Kommunen, Unternehmen und auch die Bundesagentur.
Erste Erfahrungen mit Modellprojekten wie „Perspektive in Betrieben“ zeigen, wie auch arbeitsmarktferne Grundsicherungsempfänger Stück für Stück Integrationsfortschritte erzielen können. Wir werden hier
weitere Modellprojekte auf den Weg bringen. Aber klar
ist auch: Wir werden für spürbare Verbesserungen, insbesondere mit Blick auf die Vielzahl an Menschen mit
mehreren Vermittlungshemmnissen - die Frau Ministerin wies bereits darauf hin -, sicherlich einen langen
Atem brauchen, und wir werden auch darauf achten
müssen, dass die Kosten für diese Programme nicht wegen möglicher Mitnahmeeffekte aus dem Ruder laufen.
Meine Damen und Herren, eine Grundvoraussetzung
für erfolgreiche Vermittlung in Arbeit sind motivierte
und fachlich gut ausgebildete Vermittler.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer zu?
Wenn sie möchte, gern. Wenn die Uhr stehen bleibt,
ist das kein Problem.
Ja, das ist jetzt schon geschehen; keine Sorge.
Herr Fischer, Sie haben gerade auf den Passiv-AktivTransfer hingewiesen und deutlich gemacht, dass alle an
einem Strang ziehen müssen. Kann ich Ihren Worten entnehmen, dass sich die CDU/CSU-Fraktion zukünftig für
den Passiv-Aktiv-Transfer einsetzen wird und dass der
Fehler, den das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit von Frau Nahles beinhaltet, nämlich
dass dieser Passiv-Aktiv-Transfer nicht vorgesehen ist,
korrigiert wird, und zwar mit Ihrer Hilfe, Herr Fischer?
({0})
Sie können davon ausgehen, dass wir, so wie ich es
beschrieben habe, verschiedene Modellprojekte auf den
Weg bringen.
({0})
- Das hat mit Ausweichen überhaupt nichts zu tun. - Wir
müssen neue Wege gehen und diese selbstverständlich
innerhalb der Koalition beraten. Ich garantiere Ihnen
nicht, dass das, was Sie darunter verstehen, passieren
wird. Ich garantiere Ihnen aber, dass die Grundsätze der
Koalition in diesem Bereich zum Tragen kommen. Ob
das Ihnen dann gefällt oder nicht, wird uns im Zweifel
egal sein. Wir werden es inhaltlich beraten. Denn uns ist
wichtig, dass den Menschen geholfen wird, und nicht,
dass die Ideologie, die Sie verbreiten, unbedingt durchgesetzt werden muss. Bei uns stehen die Menschen im
Mittelpunkt.
({1})
Im ersten Halbjahr 2014 haben die Kommunen in
Deutschland Überschüsse in Höhe von 5,3 Milliarden
Euro erwirtschaftet - in einem halben Jahr wohlgemerkt.
Wesentlich für diese vergleichsweise komfortable Finanzsituation ist die massive Entlastung der Kommunen
in den vergangenen Jahren durch den Bund, und zwar
insbesondere durch die Übernahme der Kosten der Unterkunft und der Hilfe zum Lebensunterhalt.
Bis zum Inkrafttreten des für 2018 vorgesehenen
Bundesteilhabegesetzes legen wir jährlich 1 Milliarde
Euro obendrauf. Für das Jahr 2015 beträgt die hierdurch
entstandene Entlastung 5,4 Milliarden Euro. 4,9 Milliarden Euro sind dafür allein im Einzelplan 11 vorgesehen.
500 Millionen Euro kommen über die Umsatzsteuerbeteiligung der Kommunen noch hinzu.
Mit diesen Überschüssen sind viele Kommunen wieder in der Lage, langfristig zu planen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das freut uns und zeigt deutlich,
wie wichtig uns die Selbstorganisation und Selbstverwaltung der Bürger vor Ort ist und wie groß wir Subsidiarität schreiben.
({2})
Ich persönlich verbinde diesen großen Erfolg für die
kommunale Selbstverwaltung auch mit dem Namen unseres langjährigen Kollegen Peter Götz, der wie kaum
ein anderer über Jahrzehnte hinweg mit Herzblut für auskömmliche Kommunalfinanzen gekämpft hat.
({3})
Mit dem Rentenpaket, also mit Mütterrente und Rente
mit 63, ist die Große Koalition fulminant in diese Legislaturperiode gestartet.
({4})
Beide Rentenleistungen erfreuen sich übrigens größter
Beliebtheit. So steigen die beitragsfinanzierten Leistungen der Rentenversicherung im kommenden Jahr um
etwa 10 Milliarden Euro an. Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2015 für die Rentenversicherung, die Grundsicherung im Alter und im Falle von Erwerbsminderung
steigen moderat von 88,4 auf 90,2 Milliarden Euro, also
um knapp 2 Milliarden Euro. Die Absenkung des Rentenbeitrags um 0,2 Prozentpunkte auf 18,7 Prozent im
kommenden Jahr entlastet den Bundeshaushalt um rund
500 Millionen Euro. Die Rentenzuschüsse sind derzeit
solide finanziert. Der in 2018 auf rund 101 Milliarden
Euro absehbar steigende Bundeszuschuss ist in den kommenden Jahren finanzierbar.
Bei aller Freude über die derzeitige Finanzierbarkeit
von Mütterrente und Rente mit 63 aus den Rücklagen
der gesetzlichen Rentenversicherung dürfen wir die Belastbarkeit der arbeitenden Generation und unserer WirtAxel E. Fischer ({5})
schaft nicht überstrapazieren. Denn für alle sozialpolitischen Maßnahmen gilt, dass sie nur in der Höhe
finanzierbar sind, wie die Leistungen vom aktiven Teil
der Bevölkerung erbracht werden.
In diesem Zusammenhang ein kleines Gedankenspiel:
1970 lag die Lebenserwartung bei durchschnittlich gut
70 Jahren. Heute liegt sie mit gut 80 Jahren mehr als
10 Jahre höher. Das bedeutet, dass die Menschen heute
10 Jahre länger leben als 1970. Für die meisten ist dies
ein Gewinn an Lebensqualität. 1970 lag das gesetzliche
Renteneintrittsalter bei 65 Jahren. Wenn Menschen heute
mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen, dann gewinnen sie
gegenüber früheren Rentnern bei kürzeren Lebensarbeitszeiten 12 Jahre Rentnerdasein dazu. Insofern verdeutlicht die Einführung der abschlagsfreien Rente mit
63 für langjährig Beschäftigte auch die soziale Komponente der Rentenpolitik dieser Bundesregierung.
Aber so respektabel es ist, wenn Menschen möglichst
früh aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden wollen:
Wir dürfen die Kehrseite nicht vergessen: steigende Rentenausgaben, sinkende Renteneinnahmen und vor allem
ein sinkendes Arbeitskräftepotenzial. Der demografisch
bedingte zunehmende Fachkräftemangel verschärft sich
damit weiter. Insofern darf es nicht verwundern, wenn
Unternehmen mittlerweile beginnen, gutes Personal zu
horten.
Meine Damen und Herren, während Südosteuropas
Jugend teilweise verzweifelt nach Ausbildungsplätzen
sucht, suchen Ausbildungsbetriebe bei uns händeringend
geeigneten Nachwuchs. Derzeit ringen Europas Arbeitsvermittlungen und Arbeitsverwaltungen um eine einheitliche Strategie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Unter Leitung von BA-Chef Weise treffen sich die
Verantwortlichen Anfang Dezember in Rom, um Erfahrungen auszutauschen und europaweit zu gemeinsamen,
praktikablen Lösungen zu kommen; denn die Absenkung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein Anliegen von allen. Ich denke, Herr Weise wird uns am 3. Dezember
2014 im Haushaltsausschuss darüber berichten können.
Wir jedenfalls wollen weiterhin - auch über 2015 hinaus - jungen Menschen Perspektiven weisen und ihnen
die Hand reichen für einen gelungenen Einstieg in ein erfülltes Arbeitsleben. Denn auf ihrer Persönlichkeit und
ihrer Tatkraft fußt die Zukunft unserer Wirtschaft, unserer Sozialsysteme und unserer Gesellschaft in einem alternden Europa. Dabei bezieht sich „alternd“ nicht nur
auf die Demografie, sondern beschreibt auch eine Geisteshaltung; denn wir müssen, wie Papst Franziskus am
Dienstag vor dem Europarat in Straßburg sagte, in Europa jene geistige Jugend wiederfinden, die „es fruchtbar
und bedeutend gemacht hat“.
Abschließend bleibt mir nur noch, allen recht herzlich
für die gute Zusammenarbeit zu danken: für das Ministerium Frau Nahles, der Hauptberichterstatterin Ekin
Deligöz, Frau Lötzsch und Herrn Schurer sowie dem
Kollegen Schiewerling und der ganzen Arbeitsgruppe.
Ich glaube, wir haben einen Etat vorgelegt, dem man
ohne Probleme zustimmen kann.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Als nächster Redner hat der Kollege Ewald Schurer
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dort, wo der
Kollege aufgehört hat, möchte ich gleich weitermachen.
Die Frau Ministerin ist sicherlich bei mir, wenn ich mich
persönlich und auch im Namen der Haushälterinnen und
Haushälter bei Herrn Bald bedanke, einem exzellenten
Fachmann im BMAS,
({0})
der über Jahre hinweg führend dazu beigetragen hat, dieses Haus so gut aufzustellen.
Der Dank an die Kolleginnen und Kollegen ist gerade
ausgesprochen worden. Diesen Dank möchte ich wiederholen. Er geht auch an die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der Unionsfraktion - die Politiker der SPDFraktion sind sowieso spitze; das weiß jeder -, die mit
großer Fachkenntnis diesen Haushalt mit entwickelt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn der
Kollege Markus Kurth eine der großen Katastrophen der
modernen Schifffahrt bemühen muss, um hier die Auswirkungen der Rentenpolitik darzustellen, ist das schon
ein trauriges Beispiel und macht die fachlichen Defizite
der Grünenfraktion in diesem Bereich klar.
({1})
Die Anleihen kommen ja immer von der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft. Diese Bausätze tragen Sie ja in
jeder Debatte vor. Zu mehr reicht es bei Ihnen nicht.
({2})
Ich muss Ihnen dazu sagen - auch wenn Sie sich hier
bis aufs Äußerste echauffieren -: Was Sie beschrieben
haben, hat mit dem, was wir hier machen, nichts zu tun.
Wir machen berechenbare, ordnungspolitisch saubere
Haushaltspolitik im Bereich Rente und Arbeit und stemmen einen Haushalt über 125,5 Milliarden Euro. Das ist
ganz großes Kino im Bereich des Haushaltswesens des
Bundes. Das ist der Anteil von 42 Prozent, die der Kollege vor mir bereits genannt hat. Das lässt sich mit solch
einer Schiffskatastrophe nicht vergleichen. Wir machen
hier berechenbare Politik für die Menschen in Rente und
Arbeit.
({3})
Ich muss auch noch etwas anderes sagen - Herr
Kurth, hören Sie doch einmal zu; die Nachhilfe ist bei
Ihnen gerade richtig -:
({4})
Die Finanzierung unseres Rentensystems hängt in der
Zukunft - das ist Volkswirtschaft; das ist auch für Sie
ganz wichtig ({5})
vom Grad der Beschäftigung und vom Fortschritt der
Produktivität unserer Volkswirtschaft ab.
({6})
Wenn wir das weiterhin so gut hinbekommen wie
Schwarz-Rot zurzeit, haben wir allen Grund, sagen zu
können: In den nächsten 10, 20 Jahren halten wir unsere
Sozialsysteme sauber und berechenbar. Dann müssen
wir keinen billigen Vergleich ziehen; dann müssen wir
keinen Vergleich ziehen mit einer humanitären Katastrophe, bei der Tausende von Menschen ihr Leben gelassen
haben. Das war ein ganz schwacher Einstieg. Da können
Sie noch so schreien; das macht es nicht besser.
({7})
- Jetzt hören Sie doch einmal zu.
({8})
- Sie haben doch schon reden dürfen. Beim nächsten
Mal dürfen Sie wieder reden.
({9})
- Herr Kurth, das war inhaltlich keine gute Leistung. Sie
müssen nicht gleich total ausrasten, wenn Sie mit Fakten
konfrontiert werden. - Das ist kein gutes Benehmen,
Frau Präsidentin.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist eine lebendige Debatte. Das ist gut; deshalb habe ich bisher auch
nicht eingegriffen. Das werde ich auch nicht, solange es
eine sachliche Auseinandersetzung ist.
({0})
Zum Mindestlohn: Mich hat der letzte Bericht der sogenannten Sachverständigen ein bisschen verunsichert.
Ich dachte, ich bin im falschen Film,
({0})
weil die Sachverständigen plötzlich versucht haben, mit
esoterischen Mitteln - glauben, fühlen, tasten - die Wirtschaftslage bei uns zu analysieren. Ich muss ehrlich sagen: Das fand ich gar nicht lustig, weil ich von den Wirtschaftsweisen eine seriöse ökonomische Analyse
erwarte. Ich erwarte Herleitungen, die wichtig sind, damit wir eine gute Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik machen können.
({1})
Das, was von den Sachverständigen kam, folgte mir zu
sehr dem Prinzip Glauben. Ein Appendix lautete: Ja, es
gibt Sozialreformen - Mindestlohn und Rentenpaket -,
und die machen wir automatisch verantwortlich für die
leichten Konjunktureinbrüche im zweiten und dritten
Quartal. - So ein Quatsch.
({2})
Ich will Sachverständige, die ich ernst nehmen kann,
die nach ökonomischen und handwerklich sauberen
Prinzipien etwas herleiten, mit dem wir in der Politik gut
arbeiten können. Daher war ich ein Stück weit enttäuscht. Hinter dieser Enttäuschung steckt die Vermutung, dass das nicht nur esoterische Versatzstücke waren,
sondern dass dies die Denkweise der Wirtschaftsweisen
widerspiegelt, die noch zu sehr im Denkmuster der letzten 20 Jahre - neoliberale Wirtschaftsphilosophie - verharrt. Es gibt aber neue Philosophien. Auch der IWF sagt
heute: Wir müssen bei uns die Nachfrage und die Sozialsysteme stärken, aber alles auf ökonomisch vernünftige
Weise, seriös finanziert. Ich glaube, hier besteht Nachholbedarf, den wir in dieser Parlamentsdebatte gegenüber diesem doch sehr elitären Kreis, der für die deutsche Volkswirtschaft und damit auch für die Politik
bedeutend ist, anmahnen dürfen.
({3})
Ich will auf einen Bereich eingehen, den mein Kollege schon angesprochen hat. - Danke, Axel Fischer! Für mich ist, bei den vielen Hundert Haushaltstiteln, die
wir ansprechen könnten, ganz wichtig, dass wir dem
Mindestlohn eine Mindestlohnkommission zur Seite
stellen, dass wir eine Geschäftsstelle mit dazugehörigem
Personal stellen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanzieren.
({4})
Diesbezüglich gilt mein ganz großer Dank den Freunden
von der Union. So sind wir in der Lage, in den nächsten
ein, zwei Jahren zu evaluieren: Welche Wirkungen wird
der Mindestlohn am Arbeitsmarkt entfalten? Wie wird er
sich auf Steuern und Sozialsysteme auswirken? Und wie
wird er sich auf die Tarifverhandlungen auswirken? Bei
den Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen geht es
um Sekundärwirkungen. Wird die Lohnuntergrenze
künftig nicht mehr unter 8,50 Euro liegen, sondern ein
Stück oder deutlich darüber? Deswegen sind für mich
die Mindestlohnkommission und die Geschäftsstelle von
sehr großer Bedeutung.
Herr Kollege Schurer, lassen Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Pothmer zu?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Schurer, Sie werden mir sicher zustimmen, dass die Wirksamkeit des Mindestlohns entscheidend von der Frage abhängt, ob die Einhaltung des Mindestlohns gut kontrolliert werden kann und gut
kontrolliert wird. Seit heute wissen wir - die Gewerkschaften haben dazu eine große Pressekonferenz durchgeführt -, dass es eine neue Verordnung geben wird, der
auch die Arbeitsministerin Nahles zugestimmt hat. Diese
neue Verordnung wird dazu führen, so die Aussage der
großen Gewerkschaften, dass die Schlupflöcher deutlich
größer werden, weil die Kontrolle nicht in dem erforderlichen Umfang möglich sein wird. Können Sie mir einmal erklären, welchen Sinn diese Verordnung hat?
Schließlich haben Sie gerade gesagt, dass der Mindestlohn und damit auch die Kontrolle der Einhaltung des
Mindestlohns eine große Bedeutung hat.
Es ist wahr, dass über diese Verordnung aktuell debattiert wird. Das ist einmal ein guter Beitrag vonseiten der
grünen Freunde.
({0})
Darüber, wie die Verordnung wirken wird, ist noch zu
debattieren. Diese Diskussion wird mit den Gewerkschaften zu führen sein.
Tatsache ist, dass das Mindestlohngesetz schon im
Koalitionsvertrag so angelegt ist, dass wir versuchen, die
Umsetzung und die Kontrolle auch durch neue Stellen
beim Zoll zu gewährleisten. Ich gebe Ihnen recht, dass
das nicht von heute auf morgen bzw. innerhalb eines Jahres in vollem Umfang möglich ist. Wir müssen sukzessive eine Struktur schaffen, um die Umsetzung des Mindestlohns künftig zu gewährleisten; auch da gebe ich
Ihnen recht.
({1})
Ich vermute, hier besteht zwischen uns Konsens. Auch
das ist ja mal eine schöne Geschichte.
({2})
Frau Präsidentin, ich will zur Entlastung der Kommunen kommen. Ich denke, wenn wir über den Haushalt für
Arbeit und Soziales diskutieren, müssen wir auch erwähnen - das ist wichtig -, dass es eine große, berechtigte
Erwartungshaltung der Kommunen gibt, im Sozialbereich entlastet zu werden. Für das Bundesteilhabegesetz
reichen wir ab 2018 die vollen 5 Milliarden Euro aus, bis
dahin jeweils 1 Milliarde Euro jährlich; auch das ist
schon ein kleines Stück Entlastung. Künftig findet eine
100-prozentige Übernahme der Kosten für die Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter statt. Dadurch kommt es bis 2018 zu einer Entlastung - auch da
sollten meine grünen Freunde zuhören - in Höhe von
insgesamt 25 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltige
Entlastung, die den Kommunen wirklich weiterhelfen
wird.
Auch im Zuge der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes werden erste Beträge fließen. Meine Fraktion bzw. meine Partei hat unter anderem angeregt - wir
werden darüber noch diskutieren -, weitere Entlastungen
der Kommunen auf den Weg zu bringen. Das ist in finanzieller Hinsicht nicht leicht. Aber wir wissen, dass
wir auf dem Gebiet von Migration, Flucht und Asyl noch
mehr leisten müssen, auch vonseiten des Bundes. Das
betrifft aber nicht nur den Bereich Arbeit und Soziales,
sondern von dieser Querschnittsaufgabe werden verschiedene Ministerien betroffen sein.
({3})
Ich hoffe, dass wir uns innerhalb der Koalition einigen
werden. Weitere Entlastungen der Kommunen werden
sicherlich mit den im Hinblick auf den Städtebau geplanten Maßnahmen verbunden sein, Stichwort „Soziale
Stadt“. Hinzu kommen 6 Milliarden Euro für Kinderkrippen, Kitas, Schulen, Hochschulen und BAföG-Leistungen. All das spielt bei der Entlastung der Kommunen
eine Rolle - nicht alles unmittelbar, aber teilweise mittelbar.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass wir unsere Bemühungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosen durch entsprechende Modelle verstärken wollen.
({4})
Zu diesem Thema wird mein Kollege Ralf Kapschack
sprechen; er wird die sozialdemokratische Programmatik
insgesamt darstellen. Ich wünsche mir, dass wir auch
weiterhin sehr sachliche Dialoge führen, Herr Kurth, und
über die echten Probleme im Bereich Arbeit und Sozia6672
les in diesem Land sprechen, ohne Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen.
Herzlichen Dank für das Zuhören.
({5})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin spricht Sabine
Zimmermann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegin Nahles, Sie sagten vorhin,
dass Sie stolz auf die Reformen der Agenda 2010 sind
und dass Sie stolz darauf sind, mit 43 Millionen Erwerbstätigen so viel Beschäftigung wie noch nie erreicht
zu haben. - Vielleicht, Frau Nahles, können Sie mir zuhören; dann wissen Sie auch, wovon ich rede.
Ich sage Ihnen einmal aus Sicht einer Gewerkschafterin, wie ich diese Reformen empfinde - Sie sind ja auch
Gewerkschafterin; aber ich bin vielleicht ein bisschen
näher an der Basis als Sie -: Wir haben in den letzten
Jahren einen enormen Wandel auf dem Arbeitsmarkt erlebt. Es gibt 1,2 Millionen Aufstocker, 800 000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, 2,5 Millionen Zweitjobber
- Menschen, die von ihrem ersten Job allein nicht leben
können und deshalb einen zweiten Job haben -, 5 Millionen Minijobberinnen und Minijobber
({0})
- hören Sie mir zu -, 889 000 minijobbende Rentner und
Rentnerinnen, 500 000 Rentnerinnen und Rentner, die
die Grundsicherung im Alter brauchen, und fast 2 Millionen Kinder, die in Armut leben. Das ist das Ergebnis
Ihrer Reformen der Agenda 2010. Nehmen Sie das endlich einmal zur Kenntnis, meine Damen und Herren!
({1})
Ich habe einen Kollegen in Zwickau. Er ist Leiharbeiter und alleinerziehender Vater, ist in der Automobilindustrie bzw. in der Zuliefererindustrie im Dreischichtsystem tätig und hat nebenbei zwei Minijobs, damit er
seine Tochter ernähren und überhaupt über die Runden
kommen kann. Wenn ich zu ihm sage: „Die Bundesregierung sagt doch, es gibt 43 Millionen Jobs“, antwortet
er mir: Ja, ich allein habe drei davon. - Es kann doch
nicht sein, dass er sich nicht einmal um seine Tochter
kümmern kann, weil er rund um die Uhr arbeitet!
({2})
Zum Thema Langzeiterwerbslosigkeit ist zu sagen: Jeder dritte Erwerbslose ist mehr als ein Jahr
lang arbeitslos. 1 Million Langzeitarbeitslose haben in
Deutschland schon lange keine Aussicht mehr auf einen
Job.
({3})
Von guter Arbeit wollen wir hier gar nicht reden. Und
was tun Sie? Sie wollen für eine bessere Arbeitsmarktpolitik keinen zusätzlichen Cent in die Hand nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, als Sie
noch in der Opposition waren, haben Sie den arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag der Vorgängerregierung
von Union und FDP sehr heftig kritisiert. Heute sitzen
Sie auf der Regierungsbank und heben für alles den
Arm. Ich verstehe das nicht. Wo bleiben hier Ihre sozialdemokratischen Wurzeln?
({4})
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen:
2010 betrug der Etat für aktive Arbeitsmarktpolitik im
Bereich Hartz IV noch 6,6 Milliarden Euro. Nun soll er
bei 3,9 Milliarden Euro liegen. Das ist ein Minus von
40 Prozent bei einem Rückgang der Langzeiterwerbslosigkeit um 7 Prozent. Das passt doch nicht zusammen.
Das ist die pure Ignoranz dieser Regierung. Da sagen
wir: Das ist auch unsozial.
({5})
Ich will Ihnen einmal vorlesen - Sie werden sicherlich auch viele Briefe bekommen -, wie es den langzeiterwerbslosen Menschen in unserem Land geht - ich
zitiere eine Frau aus Berlin -: Ich sehe keine Zukunftsperspektive mehr für mich, und ich kann so nicht leben,
wie es jetzt für mich vorgesehen ist. Ich gleite mehr und
mehr in eine Depression, bin weit entfernt von dem
Menschen, der ich einmal war. Ich bin seelisch nicht
mehr gesund. Es ist ein Zustand, den man schwer beschreiben kann.
Eine Frau aus dem Vogtland schrieb: Für morgen
habe ich eine Einladung ins Jobcenter zu meiner Arbeitsvermittlerin. Der Termin ist wichtig. Wenn ich nicht hingehe, gibt’s Sanktionen. Alles wird ablaufen wie immer:
die Abfrage, wo ich mich wann beworben habe, sie wird
mit mir gemeinsam in der Jobbörse suchen, dann darf
ich wieder gehen. Ich fühle mich alleingelassen, obwohl
ich viele kenne, denen es so geht wie mir. Das sind ehemalige Arbeitskollegen, aber auch meine drei Studentenfreundinnen von früher. Alle wollen arbeiten.
Meine Damen und Herren, und was tun Sie? Sie feiern hier zwei Schmalspurprogramme, die Sie jetzt für
43 000 Menschen installieren wollen. „Hoffnungslos unterfinanziert“, hat der Paritätische Wohlfahrtsverband
dazu gesagt. Mehr gibt es dazu auch wirklich nicht zu
sagen.
Ihr Haushalt ist ein Nein zu mehr guten Weiterbildungsmaßnahmen, ein Nein zu guter öffentlich geförderter Beschäftigung und ein Nein zu besserer Vermittlung
von Langzeiterwerbslosen in den Jobcentern.
({6})
Sie halten auch daran fest, dass Langzeiterwerbslose
in den ersten sechs Monaten einer Neubeschäftigung
vom Mindestlohn auszunehmen sind. Ich frage Sie: Sind
Sabine Zimmermann ({7})
das Menschen zweiter Klasse? Hören Sie endlich auf,
die Langzeiterwerbslosen zu diskriminieren!
({8})
Wir Linke fordern, den Etat für die Arbeitsmarktpolitik
an die tatsächliche Arbeitslosigkeit anzupassen.
Auch die Armut wollen Sie nicht bekämpfen.
Hartz IV hat Millionen von Menschen in die Armut getrieben. Darunter sind 1,6 Millionen Kinder in den Bedarfsgemeinschaften, und Sie tun nichts, um diese skandalösen Auswüchse der Agenda 2010 zu überwinden.
Nicht einmal den Regelsatz wollen Sie erhöhen, obwohl
Ihnen das Bundesverfassungsgericht dies vor kurzem
erst anders gesagt hat.
Wir unterstützen das breite Bündnis von Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, das eine Neuberechnung des Regelsatzes fordert.
Gemeinsam wollen wir ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle.
({9})
Sagen Sie jetzt nicht, meine Damen und Herren der
Großen Koalition, dafür sei kein Geld da. Die Schweizer
Bank UBS hat gerade den Reichtumsbericht vorgelegt.
Danach leben in Deutschland nach den USA die zweitmeisten Multimillionäre. 19 000 Superreiche gibt es bei
uns, die jeweils mindestens 23 Millionen Euro besitzen.
Das ist insgesamt das Vierfache unseres Haushaltes im
Bund. Mit Ihrer Steuerpolitik schonen Sie diese Herrschaften aber, und Sie sehen zu, wie die Schere zwischen
Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Sie spalten das Land, und das ist unverantwortlich.
({10})
Ich komme zum Schluss, obwohl ich noch sehr viel
sagen könnte, zum Beispiel zum Mindestlohn, der jetzt
eingeführt wird. Sie nennen ihn Mindestlohn; wir sagen
Flickenteppich dazu. Kontrollieren können Sie ihn nicht,
weil Sie das dafür nötige Geld gar nicht einstellen.
Abschließend möchte ich noch unsere Ministerin
Nahles aus dem Jahr 2010 zitieren. Da war sie noch
nicht Arbeitsministerin. Sie sagten damals zum Haushalt
der schwarz-gelben Regierung: Die Maßnahmen sind
„extrem feige, weil die Verursacher der Krise geschont
und Bedürftige rasiert werden“. Leider ist der heute vorliegende Haushalt keinen Deut besser. Die Linke wird
ihn ablehnen, weil er unsozial ist.
Danke schön.
({11})
Als nächster Redner spricht Karl Schiewerling.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen des Haushalts der Bundesarbeitsministerin finden in - europäisch
und weltweit - wirtschaftlich spannenden Zeiten statt,
übrigens mit einem hohen Potenzial an volkswirtschaftlichen Fehlprognosen. Eine dieser Fehlprognosen ist,
dass sich auf dem Arbeitsmarkt schon seit langem eine
negative Entwicklung hätte bemerkbar machen müssen.
Fast hysterisch haben manche ständig auf die Arbeitslosenzahlen geschaut, um zu sehen, wann sie denn endlich
steigen. Tatsächlich sinken sie. Tatsächlich haben wir einen Aufwuchs an Beschäftigung: 500 000 zusätzliche
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Liebe Frau Zimmermann, wenn diese Beschäftigungsverhältnisse alle so katastrophal wären, wie Sie sie
beschreiben, dann hätten wir nicht diesen Aufwuchs im
Bereich der Sozialversicherung. Glauben Sie denn, Minijobs machen Mehreinnahmen von 33 Milliarden Euro
in der Sozialversicherung aus?
({0})
Ihre regelmäßig wiederkehrende Darstellung der angeblich katastrophalen Situation in Deutschland ist durch
nichts, aber auch gar nichts gedeckt. Auch uns machen
die Langzeitarbeitslosen - dazu sage ich gleich etwas große Sorgen; überhaupt keine Frage. Aber hier ständig
den Eindruck zu erwecken, als herrschte in Deutschland
das nackte Elend, widerspricht völlig dem Gefühl der
Menschen und widerspricht auch völlig der Realität.
({1})
Herr Schiewerling, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Frau Zimmermann zu?
Ja, einmal.
Vielen Dank, lieber Kollege Schiewerling. - Nehmen
Sie zur Kenntnis, dass die Zahlen, die ich gebracht habe,
keine Zahlen der Linken oder von mir sind, sondern
Zahlen des Statistischen Bundesamtes? Nehmen Sie
auch zur Kenntnis, dass ich nicht gesagt habe, dass die
Lage katastrophal ist, sondern dass ich nur beschrieben
habe, wie viele Millionen Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten, wie viele Millionen Menschen auf Grundsicherung angewiesen sind und wie viele Millionen
Menschen bei uns in Deutschland in Armut leben?
({0})
Erstens. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Zahlen
vom Statistischen Bundesamt sind. Zweitens. Ich nehme
allerdings auch zur Kenntnis, dass Sie diese Zahlen des
Statistischen Bundesamtes permanent so drehen und
wenden, dass der Eindruck einer flächendeckenden Katastrophe entsteht. Daran können Sie nichts ändern, auch
nicht durch die Art, wie Sie gerade Ihre Frage gestellt
haben.
({0})
Meine Damen und Herren, die Entwicklungen auf
dem Arbeitsmarkt sind positiv. Vor zehn Jahren war
Deutschland der kranke Mann in Europa; die Frau Bundesarbeitsministerin hat in ihrer Rede vorhin darauf hingewiesen. Heute sind wir die Lokomotive. Daran haben
viele ihren Anteil, auch die Agenda 2010. Ohne die Flexibilisierung hätten wir das nicht geschafft. Diese
Agenda wurde unter Gerhard Schröder auf den Weg gebracht, und ohne die umsichtige Finanz-, Wirtschaftsund Sozialpolitik unserer Bundeskanzlerin Angela
Merkel würden wir nicht da stehen, wo wir heute stehen.
({1})
Sie von den Linken können es drehen und wenden,
wie Sie wollen, und das SGB II so oft angreifen, wie Sie
wollen.
({2})
Ich sage Ihnen: Das SGB II ist geschaffen worden, um
vor absoluter Armut zu bewahren. Das SGB II ist geschaffen worden, um eine Grundsicherung zu schaffen,
damit die Menschen nicht ins Bodenlose fallen. Das
SGB II hat auch dazu geführt, dass wir im Bereich der
Arbeitsmarktpolitik neue Wege gehen konnten, die vorher nicht möglich waren.
({3})
Ich glaube, dass Ihre Analyse falsch ist. Allerdings
- das ist richtig - haben wir schon in der letzten, christlich-liberalen, Koalition und in nahtloser Fortsetzung in
der jetzigen Koalition dem Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt, wo einige glaubten, sie könnten durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes mit allem und jedem in
Wildwestmanier umgehen und Arbeitsverhältnisse nach
Belieben gestalten, einen Riegel vorgeschoben. Deswegen haben wir so viele Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen. Das fing in der christlich-liberalen Koalition
an. Es sei übrigens in Demut erwähnt: Alle Branchen bis
auf eine einzige Ausnahme wurden unter CDU-Kanzlern
in das Entsendegesetz aufgenommen.
({4})
Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir wollen
keine Dumpinglöhne, und wir wollen diese Verwerfungen am Arbeitsmarkt nicht.
({5})
Dazu gehört auch, dass wir Mitte dieses Jahres das
Tarifvertragsgesetz geändert haben und dass wir das
Mindestlohngesetz gemacht haben. Das war ein wichtiger und richtiger Schritt, den wir hier gegangen sind.
Wir haben einmalig einen Mindestlohn von 8,50 Euro
gesetzlich beschlossen. Danach wird die Mindestlohnkommission über die Höhe des Mindestlohns entscheiden. Sie hat den Auftrag, die Gesamtentwicklung zu
beobachten und zu bewerten und entsprechende Vorschläge für die Zukunft zu machen. Deswegen bin ich
den Haushältern und dem Haushaltausschuss dankbar,
dass sie dazu beigetragen haben, dass die Mindestlohnkommission kein Gremium von Frühstücksdirektoren
wird, sondern so ausgestattet ist, dass sie tatsächlich ihren Auftrag erfüllen kann. Denn die zukünftige Entwicklung des Mindestlohns gehört dahin, wo wir sie vorgesehen haben, nämlich in die Hand der Tarifpartner.
({6})
Ein Thema, das hier des Öfteren angesprochen wurde,
ist die Kontrolle der Schwarzarbeit. Es ist zwar richtig,
dass es 600 nichtbesetzte Stellen gibt. Das liegt aber
nicht daran, dass diese Stellen nicht besetzt werden sollen, sondern daran, dass zukünftige Zollbeamte nicht wie
Birnen am Baum wachsen. Sie müssen zunächst einmal
ausgebildet und qualifiziert werden. Sie müssen am Arbeitsmarkt gewonnen und dann auch eingestellt werden.
Mit diesem Haushalt haben wir die Voraussetzungen geschaffen, dass wir sie einstellen können.
Das zeigt, dass diese Bundesregierung keineswegs
Mindestlöhne unterlaufen will, wie es heute dargestellt
wurde. Sie will sie auch vernünftig kontrollieren. Allerdings können wir nicht für jeden Betrieb zwei Mitarbeiter vom Zoll abstellen, um zu gewährleisten, dass niemand eine falsche Zahl in den Ordner schreibt. Dann
hätten wir uns manches andere in der Geschichte
Deutschlands sparen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen
guten Entwicklungen machen aber auch wir uns große
Sorgen um die Situation der Langzeitarbeitslosen. Insofern treffen wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen
der SPD, mit denen wir gemeinsam mit der Bundesarbeitsministerin an dieser Aufgabe arbeiten. Ich verstehe
auch die Sorgen, die die Fraktionen der Grünen und der
Linken vorbringen. Auch uns ist es nicht egal, wie es mit
der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit weitergeht.
Auch uns treibt um, dass Menschen es so schwer haben,
den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden.
Deswegen ist es gut, dass wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente, mit denen wir helfen können, immer
wieder neu überprüfen und überarbeiten. Dazu gehört
auch, dass wir Brücken bauen und einen Hilfeweg einschlagen müssen, der für einen längeren Zeitraum als auf
ein halbes Jahr Hilfe angelegt ist. Die Förderung muss
über viele Jahre gehen, um Menschen, die sich besonders schwertun, treppenartig, sukzessive an den ersten
Arbeitsmarkt heranzuführen.
({7})
Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, den Frau
Bundesarbeitsministerin vorhin mit Blick auf die Behinderten angesprochen hat. Ich möchte das auch auf die
Langzeitarbeitslosen beziehen. Ich glaube, es ist an der
Zeit, dass wir in den Jobcentern, in den Unternehmen
und in unserer Gesellschaft den Blick nicht länger darauf
richten, was Menschen alles nicht können, sondern daKarl Schiewerling
rauf, was sie alles können. Wir müssen bei ihren Stärken
und Begabungen ansetzen, um sie weiterzuentwickeln.
Denn ich glaube, dass manches, was sich als Defizit darstellt, abgearbeitet, beseitigt und zu etwas Positivem entwickelt werden kann.
({8})
Was uns und mich besonders umtreibt, ist die Lebenssituation der Langzeitarbeitslosen, aber vor allen Dingen
auch der jungen Menschen, die aus Haushalten kommen,
deren Eltern und Großeltern schon lange von Sozialhilfe
leben. Wir machen die Erfahrung, dass diese jungen
Menschen von niemandem erreicht werden. Sie werden
nicht von den Jobcentern erreicht. Sie tauchen in der
Schule ab. Sie sind nicht durch sozialstaatliche Institutionen zu erreichen. Sie sind aber da, und sie werden,
wenn wir ihnen nicht konsequent helfen, denselben Weg
nehmen wie ihre Eltern.
({9})
Wir müssen dagegen angehen. Sie leben in Lebenszusammenhängen, in denen sie das, was sie erleben, für die
ganze Wirklichkeit halten.
Aber, meine Damen und Herren, diese jungen Menschen haben genauso Begabungen und Fähigkeiten wie
die Kinder aus anderen Haushalten. Sie haben genau wie
diese Fähigkeiten, die entwickelt werden müssen. Denn
wir können auf keinen verzichten.
({10})
Wir brauchen sie.
Es gibt genügend Initiativen, die mit großem Erfolg
daran arbeiten. Ich kenne eine Initiative, die es geschafft
hat, junge Menschen, auf die keiner einen Pfifferling gegeben hätte, nach zwanzig Jahren konsequenter Arbeit
zur Fachhochschulreife zu bringen. Wissen Sie, diesen
Blickwinkel zu schärfen und hier die Angebote zu entwickeln, das halten wir für einen wichtigen Teil. Deswegen
bin ich den Haushältern, insbesondere unseren beiden
Berichterstattern Axel Fischer und Ewald Schurer, mit
tatkräftiger Unterstützung vieler in manchen Einrichtungen unserer Bundesregierung, dankbar, dass es gelungen
ist, in diesem Bundeshaushalt die Möglichkeit für Modellprojekte für diese jungen Menschen zu eröffnen. Ich
hoffe sehr, dass wir im kommenden Jahr damit anfangen
können. Das ist der Weg, den wir dringend benötigen,
um gerade dort, wo niemand mehr herankommt und wo
niemand mehr erreicht wird, diesen jungen Menschen zu
helfen.
({11})
Im Mittelpunkt steht dabei, meine Damen und Herren, das, was uns als Union in der Arbeitsmarktpolitik
umtreibt: Es darf keiner verloren gehen. - Das ist nicht
nur eine Frage des Geldes,
({12})
das ist auch eine Frage des Klimas, das wir miteinander
schaffen. Ich kann nur sagen: Ich glaube, dass wir da
miteinander auf einem Weg sind oder uns auf diesen begeben, der deswegen erfolgreich sein kann - und ich
hoffe, auch erfolgreich ist -, weil wir zwei Rahmenbedingungen haben, die uns diesen Weg erleichtern: auf
der einen Seite eine gute Wirtschafts- und Beschäftigungslage, auf der anderen Seite die Nachfrage nach
Fachkräften. Ich kann die deutsche Wirtschaft und alle
anderen nur auffordern, den Blick bitte mit uns gemeinsam auf dieses Potenzial von jungen Menschen, auf das
Potenzial derjenigen zu richten, die keine Berufsausbildung haben, obwohl sie 25 Jahre und älter sind, und mit
uns gemeinsam diesen jungen Menschen eine neue berufliche Perspektive zu öffnen. Wir kommen in dieser
Frage nicht weiter mit Ideologie, sondern nur, indem wir
jeden Einzelnen in den Blick nehmen und jedem Einzelnen eine Chance geben. Ich sage Ihnen: Das ist ein wichtiges Anliegen der Union, und dafür werden wir uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und mit der
Bundesarbeitsministerin einsetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letzten Satz sagen, zum Bereich der Rentenpolitik. - Herr
Kollege Kurth, das reizt mich doch;
({13})
das ist Ihnen in herausragender Weise gelungen. - Nein,
diese Rentenpolitik ist nicht verantwortungslos, sondern
wir würdigen durch einen weiteren Rentenpunkt die Erziehungsleistung von Menschen - Frauen in erster Linie -, die dafür gesorgt haben, alles darangesetzt haben,
dass die Kinder geboren und erzogen wurden, die heute
dafür sorgen, dass es diese Wirtschaft überhaupt so gibt,
wie es sie gibt.
({14})
Dieser Rentenpunkt, meine Damen und Herren, ist nicht
allein beitragsfinanziert, dieser Punkt ist auch steuerfinanziert; da sind erhebliche Steuern eingeflossen.
({15})
Wir haben nämlich in diesem Zusammenhang beschlossen, dass wir ab 2017/2018 eigens dafür 2 Milliarden
Euro zusätzlich in die Rentenkasse fließen lassen werden, weil das notwendig ist, um damit eine Gesamtfinanzierung auf Dauer gesehen verantwortungsvoll sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, mit uns wird es keine verantwortungslose Rentenpolitik geben. Wir haben den
Blick auf die junge Generation gerichtet. Wir werden
auch weiter daran arbeiten, dass die Übergänge in die
Rente gut gestaltet werden. Wir werden mithelfen, dass
Menschen so lang wie möglich erwerbstätig sein können, weil wir auf keinen verzichten können bei der Aufgabe, dieses Land gemeinsam zukunftsfähig zu machen.
Dafür steht dieser Haushalt, dafür steht diese Regierung,
und dafür werden wir uns einsetzen.
Herzlichen Dank.
({16})
Vielen Dank. - Jetzt hat das Wort Ekin Deligöz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Schiewerling, was Sie über die Chancen
von Kindern gesagt haben - dass wir kein Kind fallen
lassen dürfen -, hat mir, ehrlich gesagt, gut gefallen. Ich
erkenne an: Für Sie ist das wirklich ein Fortschritt. - Für
uns ist das seit zwanzig Jahren Programm.
({0})
Die Frage ist allerdings, ob Sie das, was Sie hier gesagt
haben, auch wirklich verinnerlicht haben, ob das mehr
ist als warme Worte, ob Sie das in Ihrer Politik umsetzen.
({1})
Da, muss ich gestehen, fehlt mir noch ein bisschen was
in Ihrer Politik.
Natürlich schließe ich mich aber zunächst hier als
Hauptberichterstatterin dem Dank an die Kollegen Berichterstatter, an das Haus, an Ihre Mitarbeiter, Frau
Nahles, an. Die Beratungen liefen extrem gut und auch
in einer guten Atmosphäre. Wir haben viele Stunden getagt. Nicht umsonst reden wir hier über den größten Einzelhaushalt. Das heißt aber nicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass wir in allem einer Meinung waren. Das
darf nicht missverstanden werden.
Eines müssen wir aber alle gemeinsam wahrnehmen:
Die Belastungen in diesem Einzelplan werden in den
kommenden Jahren beträchtlich sein. Wir mussten noch
während der Haushaltsplanungen 1,2 Milliarden Euro
für ALG II und KdU draufpacken, weil die Titel schlicht
und einfach zu niedrig berechnet waren. Ähnliches gilt
auch für die Rente. Da hat mein Kollege Kurth schlicht
und einfach recht.
({2})
Sie reden davon, was 2018 kommt. Aber er spricht aus,
was wir alle wissen und worin wir ihn bestätigen müssen: Die Kosten werden laut den Prognosen noch steigen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Sie werden mit
Wucht an uns herangetragen. Das wird unseren Handlungsspielraum in der Sozialpolitik extrem schmälern.
Das ist übrigens der Grund, warum wir von den Grünen
der Meinung sind, dass wir hier keinen Cent zu verschwenden haben und uns auf die wichtigen sozialpolitischen Aufgaben konzentrieren müssen.
({3})
Eine der wichtigsten Aufgaben in diesem reichen
Land ist nun einmal die Bekämpfung der Armut. Wenn
es um Armut im Alter geht, warten wir noch immer auf
Antworten von Ihnen. Der Regelsatz bleibt unangemessen niedrig. Zu den Regelungen betreffend die Erwerbsminderungsrente und die Grundsicherung im Alter hören
wir von Ihnen nichts. Die Lebensleistungsrente ist verschollen. Selbst von dem Schulsozialarbeitsprogramm
zur Chancengerechtigkeit von Kindern, das einmal in
unserem Haushalt war, ist nichts mehr zu sehen und zu
hören. Herr Schiewerling, deshalb habe ich vorhin gesagt, dass Sie nicht nur reden sollen, sondern auch handeln müssen. Das muss seinen Niederschlag auch im
Haushaltsplan finden; es reicht nicht, es in der Haushaltsrede zu erwähnen.
({4})
Kommen wir zur Langzeitarbeitslosigkeit. Ja, das ist
ein brennender Punkt, den wir stärker in den Fokus nehmen müssen; das ist richtig. Aber was Sie vorgelegt haben, Frau Nahles, ist nichts anderes als Kosmetik. Sie
machen uns etwas vor. Faktisch richten Sie bestehende
Mittel einfach nur neu aus. Programme lösen Programme ab. De facto kommen keine neuen Mittel dazu.
Wir bleiben bei dem, was sowieso schon vorhanden ist,
benennen es nur anders; so bleibt die Wirkung begrenzt:
Sie wollen 43 000 Menschen erreichen, und das bei
1 Million Langzeitarbeitslosen, von denen wiederum
rund 200 000 bis 300 000 gravierende Zugangshemmnisse zum regulären Arbeitsmarkt haben. Sie visieren
gerade einmal einen Bruchteil des tatsächlichen Problems an. Hier sollten Sie aber etwas ambitionierter herangehen. Hier geht es darum, etwas zu bewegen, was
dieses Land dringend braucht.
({5})
Sie müssen hier zugeben, dass Sie den Aktiv-PassivTransfer nicht wollen.
({6})
Ich weiß, dass die Kollegen von CDU/CSU und SPD
hier durchaus Sympathien zeigen.
({7})
Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und bald
auch Hessen marschieren voraus und sagen: Das ist etwas, was wir wirklich angehen müssen. - Aber Sie sind
nicht willens. Lassen Sie uns doch wenigstens auf Bundesebene ein Pilotprojekt starten, um zu schauen, ob es
funktioniert oder nicht. Seien Sie mutig! Das, was die
Bundesländer an guten Erfahrungen machen, können wir
übernehmen, und darauf können wir uns auch verlassen.
Wenn wir positive Veränderungen nicht nur für einige
wenige, sondern für viele erreichen wollen, müssen wir
an dieser Stelle mutiger voranschreiten.
({8})
Wenig Klarheit herrscht übrigens auch bei den Eingliederungsmitteln und den Verwaltungskosten. Hier
verhält es sich ein wenig so wie in dem Film Und täglich
grüßt das Murmeltier. Da wird schon wieder - wie in all
den Vorjahren - Geld in Richtung Verwaltung umgeschichtet. Das übt Druck auf die Eingliederungstitel
aus. Wir brauchen hier im Sinne von Haushaltsklarheit
und -wahrheit eine bessere Struktur, um das besser nachvollziehen zu können.
Noch ein Thema, das noch nicht zur Sprache kam:
Flüchtlinge. Die Arbeitsagenturen sind noch nicht darauf
vorbereitet, was da auf uns zukommt. Dabei hätten wir
jetzt die Chance, vorbereitet diese Thematik anzugehen,
statt der Entwicklung hinterherzurennen. Wir von den
Grünen haben dazu einen Antrag vorgelegt, in dem wir
ganz viele Beispiele aufgezeigt haben, wie das in diesem
Bereich durchdekliniert werden kann. Darauf können
Sie sich gerne berufen, wenn es darum geht, in diesem
Bereich aktiv zu sein.
({9})
Ja, es ist gut, dass es die Mindestlohnkommission
samt Geschäftsstelle gibt. Es ist schade, dass es dafür
keine neuen Mittel gab. So mussten wir die Finanzierung
durch wenig überzeugende Umschichtungen ermöglichen, damit diese eingerichtet werden konnte. Ich wünsche Frau Rothe von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin gutes Gelingen dabei; denn von der
Arbeit und von den Ergebnissen wird viel Kulturwandel
in diesem Land abhängen.
Zum Schluss erlauben Sie mir, Frau Präsidentin, noch
einen Appell, den man leider schon wieder anbringen
muss. Es geht um den Fonds zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Behindertenhilfe und Kinderpsychiatrien.
Ich glaube, ich spreche im Namen aller Berichterstatter
des Einzelplans 11, wenn ich die Länder eindringlich
auffordere, in diesem Bereich aktiver ihren Beitrag zu
leisten.
({10})
Bei vielen Titeln können wir verstehen, dass die Länder
andere Interessen haben; hier fehlt mir jegliches Verständnis. Wir sind gemeinsam verantwortlich. Deshalb
muss jedes Land, jeder für sich einen Beitrag dazu leisten. Das sind wir den Opfern schuldig. Da gibt es keine
Entschuldigung.
({11})
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Ralf
Kapschack das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! In Deutschland haben so viele Menschen einen Job wie nie zuvor. Das stimmt. Es stimmt
natürlich auch, dass die pure Zahl noch nicht so ganz
viel über die Qualität dieser Arbeitsplätze aussagt.
({0})
- Ja, zugegeben. - Aber man muss trotzdem zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur Teilzeit- und befristete Arbeitsverhältnisse geschaffen worden sind, sondern auch
jede Menge sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs.
Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
({1})
Wir werden mit dem gesetzlichen Mindestlohn dafür
sorgen, dass deutlich mehr Menschen von ihrer Arbeit
auch leben können.
({2})
Wir werden durch neue Regeln die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Ich bin gestern Abend mit der U-Bahn zu meiner
Wohnung gefahren.
({3})
- Lassen Sie mich den Gedanken eben zu Ende führen. Im U-Bahnhof war ein Werbebanner, auf dem mich ein
junger Mann anschaute. Auf seiner Brust war eine Aufschrift mit dem Text: „Habt ihr uns vergessen?“ Es ging
um neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose.
({4})
- Ja. Ich habe mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft relativ wenig am Hut, aber die Frage, die da gestellt wird, muss man doch beantworten können. - Die
Frage kann ich gut beantworten: Nein, wir haben niemanden vergessen, erst recht nicht die Langzeitarbeitslosen.
({5})
Ich finde, dieser Haushalt - auch wenn Sie anderer
Meinung sind - ist ein Beleg dafür; denn mit den Programmen, die die Ministerin ausführlich erläutert hat,
wird klar: Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
ist für diese Regierung und insbesondere für die Sozialdemokraten ein ganz besonderes Thema, ein zentrales
Anliegen.
({6})
Die beiden Programme „Chancen eröffnen - soziale
Teilhabe sichern. Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit“ und „Perspektiven in Betrieben“ sind
Schritte in die richtige Richtung. Intensive Betreuung ist
das A und O bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen.
({7})
- Ich habe Sie nicht vergessen.
Herr Kollege Kapschack, gestatten Sie denn die Zwischenfrage?
Ja, gut.
Bitte schön.
Herr Kapschack, es tut mir leid, aber die Präsidentin
hat immer nur nach rechts geschaut, nicht nach links.
Ich habe hier eine Statistik, die zu dem Thema passt,
nachdem wir schon den ganzen Tag darüber geredet haben, wie toll es ist, dass so viele Beschäftigungsverhältnisse geschaffen wurden. Nach dieser Statistik wurden in
den letzten zehn Jahren 1 Million neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, aber leider ist es nicht so, dass
man sagen könnte, dass alle etwas davon gehabt haben.
Wie gesagt: 1 Million mehr insgesamt. Aber die Zahl der
normal Beschäftigten ist in dem gleichen Zeitraum um
2,4 Millionen gesunken. Das heißt, es wurden zwar
1 Million Beschäftigungsverhältnisse mehr geschaffen,
aber die Normalarbeitsverhältnisse verzeichnen ein Minus von 2,4 Millionen. Bei den atypisch Beschäftigten
gibt es ein Plus von 3,3 Millionen, bei den befristet Beschäftigten ein Plus von 600 000, bei den Teilzeitbeschäftigten ein Plus von 2,4 Millionen, bei den geringfügig Beschäftigten ein Plus von 1,8 Millionen, bei den
Leiharbeitnehmern gibt es ein Plus von 700 000. Ist Ihnen das bekannt, und was sagen Sie dazu?
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. - Bitte schön,
Herr Kapschack.
Natürlich ist mir das bekannt. Das ändert aber nichts
an meiner Einschätzung, dass die Zahl sozialversicherungspflichtiger Vollzeitarbeitsplätze zugenommen hat.
Nichts anderes habe ich gesagt.
({0})
Ich möchte auf das Thema Langzeitarbeitslosigkeit
zurückkommen. Eine intensive Betreuung - ich habe es
angesprochen - ist das A und O, wenn man Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen will. Gerade
in dieser Woche ist das sehr anschaulich und sehr positiv
in der Wirtschaftswoche beschrieben worden; dabei ist
die Wirtschaftswoche alles andere als ein Zentralorgan
der deutschen Sozialdemokratie.
Die Opposition sagt, das sei nicht genug. Da sind wir
gar nicht so weit auseinander. Ich komme aus dem Ruhrgebiet - das wissen manche -, und da fallen - das wissen
manche immer noch nicht - keine Briketts vom Himmel.
Das Ruhrgebiet ist auch nicht das Armenhaus der Nation. Das wird deutlich, wenn man sich die Wirtschaftsleistung pro Kopf anschaut. Richtig ist aber, dass es erhebliche Probleme am Arbeitsmarkt gibt. Diese
Probleme haben mit dem Strukturwandel zu tun. Wenn
man sich die Arbeitslosenquote unter dem Blickwinkel
des SGB II anschaut, dann stellt man fest, dass von den
15 Städten mit der höchsten Arbeitslosenquote ungefähr
fünf bis sechs Städte, also etwa ein Drittel, im Ruhrgebiet liegen. Diese Probleme gibt es aber nicht nur im
Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Teilen der Republik. Diese Probleme gibt es in Bremerhaven genauso
wie in Pirmasens und in Frankfurt an der Oder.
Ich werbe hier - das Thema ist schon ein paarmal angesprochen worden - für einen neuen Weg, der zusätzliche Möglichkeiten eröffnen wird. Lassen Sie uns da, wo
wir Verantwortung tragen, parteiübergreifend dafür sorgen, dass stärker Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert
wird.
({1})
Auf Fachebene wird das als Passiv-Aktiv-Tausch diskutiert. Gelder, die bislang für passive Leistungen, also für
Hartz IV oder Kosten der Unterkunft, ausgegeben werden, sollen für die Schaffung von Beschäftigung in den
Bereichen verwendet werden, in denen das sinnvoll und
notwendig ist. Dafür werbe ich vor allem bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, weil ja bekannt ist,
dass der Bundesfinanzminister diesen Ansatz noch nicht
so richtig überzeugend findet. Deshalb, und nur deshalb
können wir diese Idee zurzeit bundesweit noch nicht umsetzen.
Das ist eine Idee von Kommunen, Sozialverbänden
und anderen, die in den vergangenen Jahren immer wieder auf den Tisch gelegt worden ist, zuletzt von meinen
ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Es geht um einen völlig anderen Ansatz als bisher. Es geht darum, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren - darum geht
es -, und darum, die begrenzten Mittel besser einzusetzen: im Interesse der Menschen, im Interesse der Sozialkassen und auch im Interesse der Kommunen.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir
zumindest ein paar Modellprojekte in den besonders betroffenen Regionen auf den Weg bringen. Ich bin sicher,
es lohnt sich.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt Stephan Stracke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesagentur für Arbeit hat heute die Arbeitslosenzahlen für den Monat November auf den Tisch
gelegt. Danach ist der Arbeitsmarkt in Deutschland weiter robust. Trotz der wirtschaftlichen Unsicherheiten finden sich keinerlei Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt.
Wir haben derzeit fast 43 Millionen Erwerbstätige dank
der hervorragenden Wirtschaftsleistung und unserer Unternehmen, die hier Treffliches leisten. Gegenüber 2005
stellt das eine Halbierung der Arbeitslosenquote dar.
Bayern hat es vorgemacht. Der Arbeitsmarkt im Freistaat ist Monat für Monat Klassenbester in Deutschland.
Die Arbeitslosenquote in Bayern beträgt derzeit lediglich 3,4 Prozent gegenüber 6,3 Prozent im Bundesdurchschnitt. Das kommt nicht von ungefähr. Das hat damit zu
tun, dass wir von Anfang an Wert darauf gelegt haben,
erstens keine neuen Schulden zu machen und zweitens
Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Genau das tun
wir jetzt auch auf Bundesebene beim Haushalt: Endlich
gibt es die schwarze Null. Das ist die Antwort für die
junge Generation.
Gleichzeitig richten wir den Blick nach vorn. Wir
treiben nicht nur das voran, was wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, nämlich Investitionen in Höhe von
23 Milliarden Euro, sondern darüber hinaus wollen wir
in den nächsten Jahren zusätzlich 10 Milliarden Euro für
eine bessere Infrastruktur, insbesondere für Straßen und
den Breitbandausbau, ausgeben.
Wir haben in Deutschland einen starken Sozialstaat.
Das System der sozialen Sicherung in Deutschland weist
insgesamt ein Volumen von rund 800 Milliarden Euro
aus. Die Sozialleistungsquote liegt bei etwa 30 Prozent.
Ich kenne kein europäisches Land, das in diesem Bereich vergleichbar gut wie Deutschland aufgestellt ist.
({0})
- Außer natürlich Bayern. Bayern ist bei all diesen Themen natürlich immer vorbildlich, Frau Kollegin. Schön,
dass Sie das vonseiten der Linken anerkennen. Das mag
Ihnen auch Zuspruch geben für das, was Sie unter anderem in Thüringen vorhaben.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sozialstaat in Deutschland funktioniert. Die Menschen sind gegen die zentralen Risiken gut abgesichert. Die Schwachen können sich auf die Starken verlassen, und auch die
Gutsituierten helfen denen, die weniger haben. Auch das
Ausmaß der Umverteilung in Deutschland ist im internationalen Vergleich groß; das hat der Sachverständigenrat
in seinem jüngsten Jahresgutachten noch einmal glasklar
beschrieben.
Entscheidend, gerade für den kleinen Mann, ist der
Beitragssatz. Der Beitragssatz ist die Steuer des kleinen
Mannes. Deswegen war es immer Unionspolitik, den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag möglichst unter 40 Prozent zu halten. In den letzten Jahren haben wir es geschafft, gerade was den Rentenbeitrag angeht, eine
Entlastung von über 12 Milliarden Euro zustande zu
bringen.
({2})
Das ist eine riesige Leistung. Mehr Geld in den Taschen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem
Land, das ist etwas, was damit zu tun hat, dass die Rahmenbedingungen in diesem Land hervorragend sind. Dafür hat diese Bundesregierung in den letzten neun Jahren
trefflich gesorgt.
({3})
Sinkende Rentenbeiträge, steigende Renten, volle
Rücklagen mit 33,5 Milliarden Euro und die Tatsache,
dass die Potenziale der älteren Beschäftigten auf dem
Arbeitsmarkt wieder deutlich mehr geschätzt werden,
das sind die Erfolge unserer schwarz-rot geführten Bundesregierung.
({4})
Das zeigt: Wir machen Politik für die Menschen, die bei
den Menschen auch ankommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
Rentenpaket haben wir zentrale Punkte beschlossen, insbesondere was die Mütterrente angeht. Ich möchte hier
einmal mit der Mär aufräumen, dass die Mütterrente gegenwärtig nicht steuermittelfinanziert sei.
({5})
Das Gegenteil ist richtig. Die derzeitigen Rentenzahlungen sind, was die Kindererziehungszeiten angeht, natürlich zur Gänze steuermittelfinanziert. Insofern ist das
genau der richtige Ansatz. Wir haben auch in der Sachverständigenanhörung noch einmal herausgearbeitet,
dass seit den 90er-Jahren rund 100 Milliarden Euro mehr
an Steuermitteln aufgrund der Kindererziehungszeiten
ins System geflossen sind, als derzeit tatsächlich gebraucht werden.
({6})
Insofern ist die Mütterrente natürlich nachhaltig finanziert.
({7})
- Herr Kurth, da nutzt es auch nichts, wenn Sie dazwischenrufen.
Wir müssen allerdings, was die arbeitsmarktpolitischen Instrumente angeht, aufpassen, dass wir keine
neuen Anreize schaffen, gerade was die gut Qualifizierten in diesem Land angeht, früher in Rente zu gehen.
Deswegen: Ich sehe nicht, dass wir weitere Anreize
schaffen sollten im Hinblick auf eine Reduzierung der
Altersgrenze von 63. Wir sind dabei, uns im Rahmen einer Arbeitsgruppe zu überlegen, wie wir flexibles Arbeiten bis zum Erreichen der Rentenaltersgrenze und auch
danach attraktiver machen können.
Auch hier darf ich darauf hinweisen, dass wir schon
einiges erreicht haben, insbesondere, dass heutzutage ein
Arbeitsverhältnis rechtssicher fortgesetzt werden kann,
wenn man das Renteneintrittsalter erreicht hat. Das gewährleistet ein viel höheres Maß an Flexibilität. Diejenigen, die nach Erreichen der Rentenaltersgrenze weiterarbeiten, stocken durch ihre Sozialversicherungsbeiträge
nicht nur ihre Rente auf, sondern sie bekommen auch
noch einen Zuschlag in Höhe von 6 Prozent. Das ist et6680
was, was wir deutlicher bekannt machen sollten, gerade
aufgrund der Zinslage in diesem Land.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
den Mindestlohn als einen Mindestschutz für Beschäftigte eingeführt. Dabei ging es uns vor allem darum, eine
starke Mindestlohnkommission zu haben, die tatsächlich
darauf achtet, dass Beschäftigung in diesem Land nicht
behindert wird. Deswegen ist es gut, dass wir in diesen
Haushaltsberatungen die finanziellen und personellen
Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir nun
eine Geschäfts- und Informationsstelle haben, die arbeiten kann und genau den gesetzgeberischen Auftrag,
nämlich Evaluation vorzunehmen, erfüllen kann. Insofern ein herzliches Dankeschön an die Haushälter der
Fraktionen, dass dies möglich war und dass wir den gesetzgeberischen Willen entsprechend umsetzen können.
Wir setzen uns gleichzeitig für eine zeitnahe Evaluation des Mindestlohns ein. Deswegen haben wir das
BMAS gebeten, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu beauftragen, um möglichst schnell Erkenntnisse zu gewinnen, wie der Mindestlohn ab dem
1. Januar 2015 tatsächlich wirkt.
Beim Mindestlohn geht es immer auch um die Frage
der Entbürokratisierung und der Kontrolle.
({9})
Natürlich ist Kontrolle im Rahmen des Mindestlohns unabdingbar. Aber wir müssen uns auch immer wieder vor
Augen führen, dass wir den administrativen Aufwand
auf ein erträgliches Maß begrenzen müssen. Deswegen
haben wir als Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass beispielsweise Dokumentationspflichten im Sinne größerer Flexibilität den spezifischen Bedürfnissen der Praxis angepasst werden können. Deswegen haben wir eine Verordnungsermächtigung an das
Arbeitsministerium und das Finanzministerium erteilt.
Hier sind schon gute Veränderungen auf den Weg gebracht worden. Wir sollten die Spielräume für Entbürokratisierung bei diesem Thema in der Tat nutzen.
Ein wichtiges Thema, das uns in Zukunft beschäftigen wird, ist die Tarifeinheit. Hier gilt der Grundsatz: ein
Betrieb - ein Tarifvertrag. Dieser hat sich über die Jahrzehnte hinweg bewährt. Er verhindert auch, dass einzelne Berufsgruppen ihre Schlüsselposition nutzen, um
eigene Interessen gegenüber den Interessen der Gesamtbelegschaft vorrangig durchzusetzen. Das gefährdet
nämlich nicht nur den Betriebsfrieden, sondern belastet
insgesamt auch die Wirtschaft. Deswegen werden wir
den Grundsatz der Tarifeinheit schärfen.
({10})
Dazu wollen wir eine Tarifkollisionsregelung auf den
Weg bringen.
Wir werden nicht das Streikrecht regeln - das bleibt
den Gerichten überlassen -, aber wir setzen zwei Anhaltspunkte: zum einen das Mehrheitsprinzip - das ist
am nächsten an der Verfassung - und nicht etwa das
Günstigkeits- oder Spezialitätsprinzip. Zum anderen
überlegen wir, das betriebsbezogen zu machen. So wäre
die Eingriffstiefe insgesamt am geringsten, und das führt
dazu, dass wir den verfassungsrechtlich möglichen Pfad,
der zugegebenermaßen ein schmaler ist, meines Erachtens einhalten können.
Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein
ganz zentrales Thema. Hier sind wir erfolgreich gewesen. In Bayern beispielsweise ist es den Jobcentern gelungen, viele marktnahe Kunden, aber auch solche mit
Vermittlungshemmnissen in Arbeit zu bringen. Dabei
muss es in erster Linie darum gehen, die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen aufrechtzuerhalten oder
wiederherzustellen bzw. der Entstehung von Vermittlungshemmnissen entgegenzuwirken. Dazu bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes. Passgenaue Maßnahmen
und umfassende Betreuung setzen auch ausreichende finanzielle Mittel der Jobcenter voraus. Wir haben gezeigt, was der richtige Weg ist, in Bayern beispielsweise
mit den Projekten „TANDEM“ für Nürnberg und Fürth
oder „KAJAK“. Diesen Weg sollten wir weitergehen.
Wir sind in diesem Jahr im Rahmen der Sozialpolitik
erfolgreich gewesen. Wir stehen für eine Sozialpolitik
mit Augenmaß: Belohnung der Lebensleistung der heute
Älteren, aber auch Verantwortung für die kommenden
Generationen und gleichzeitig Abkehr von der Politik
der Schuldenfinanzierung. Das zeichnet diese Bundesregierung aus. In dem Sinne wollen wir auch die nächsten
Jahre gemeinsam weitermachen. Ich bitte um Unterstützung hierfür.
Herzliches Dankeschön!
({11})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja
Mast, SPD-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Frau Präsidentin! Wir diskutieren hier den Einzelplan 11.
Der Einzelplan 11 ist der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
({0})
und aus meiner Sicht der größte Zukunftsetat des Gesamthaushalts und damit auch dieser Bundesregierung.
({1})
Haushaltspolitik ist auch immer Politik in materieller
Form. Bei den Haushaltsberatungen spielen natürlich
auch immer die politischen Schwerpunkte eine Rolle.
Wir hatten in den Haushaltsberatungen jetzt mehrere
Fragen zu Verordnungen der Bundesregierung zur Arbeitszeiterfassung im Rahmen der Mindestlohngesetzgebung. Für den Haushalt wichtig ist zuerst einmal, dass es
den Mindestlohn gibt. Er kommt, und er gilt im Grundsatz ab 1. Januar 2015 - und mit einer Brücke für alle anderen zwei Jahre später.
Zur Mindestlohnverordnung will ich etwas vorschlagen, nachdem es viele Nachfragen und kontroverse Debatten hierzu im Plenum gegeben hat. Dabei ging es unter anderem um die Arbeitszeiterfassung für Menschen,
die nicht im Betrieb arbeiten, sondern mobil unterwegs
sind, zum Beispiel Zeitungszusteller. In der Verordnung
ist festgehalten, dass geregelt werden soll, wie die Zeitung in einem Gebiet zugestellt wird und wie viel Zeit
man im Schnitt braucht. Dann ist es eigentlich nur noch
wichtig, zu sagen, an welchen Tagen man Zeitungen ausgetragen hat. Jetzt ist aber die Frage: Was passiert eigentlich, wenn einmal schlechtes Wetter ist oder Schnee
liegt? - Das Problem ist dann, dass die Arbeitszeit ein
bisschen länger sein kann. Alle, die wie ich schon einmal
in ihrem Leben Zeitungen ausgetragen haben, wissen genau, wovon ich gerade rede.
({2})
Dafür gibt es ein ganz praktikables Verfahren: Wenn
man die Zeitungen erhält, wird ein Zettel mitgeliefert,
auf dem man gegebenenfalls einträgt, dass man länger
gebraucht hat. Damit ist die Arbeitszeit erfasst.
({3})
Wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales sind fachlich hochinteressierte Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen. Wir haben ja das Recht der Selbstbefassung.
Insofern schlage ich vor: Lassen Sie uns doch in der
nächsten oder übernächsten Sitzung mit dieser Verordnung selbst befassen und die Fachfragen klären. Dann
können wir uns immer noch politisch darüber streiten,
ob sie Missbrauch ermöglicht oder nicht.
({4})
Frau Kollegin Mast, könnten Sie jetzt im Zuge der
Selbstbefassung entscheiden, ob die Kollegin Pothmer
Ihnen eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung machen kann?
Eigentlich bin ich jetzt gerade nur auf die eben gestellte Zwischenfrage der Kollegin Pothmer eingegangen. Deshalb würde ich vorschlagen, das im Rahmen einer Kurzintervention am Ende der Rede zu machen.
({0})
Ich will zu meinem eigentlichen Punkt zurückkommen: Ich will über den Zukunftsetat sprechen, den wir
hier haben. Bei diesem Zukunftsetat geht es aus meiner
Sicht um eine der zentralsten Fragen für die Bundesrepublik Deutschland. Aus meiner Sicht ist die wichtigste
Frage im Hinblick auf die Sicherheit der sozialen Sicherungssysteme und unseren Wohlstand: Schaffen wir es,
unser Fachkräftepotenzial in Zukunft zu sichern? Ich
komme aus Baden-Württemberg; da hat man eine besondere Sicht, denn es gibt dort schon viele Betriebe, die
händeringend nach Fachkräften suchen. Ich finde es
wichtig, zu schauen: Gibt es denn in diesem Haushalt
Antworten auf diese zentrale Zukunftsfrage? Wenn ich
mir den Haushalt anschaue, dann finde ich darin ziemlich viele Antworten.
Es gibt zum Beispiel die Antwort, dass wir für die Integration junger Menschen zusätzlich 530 Millionen
Euro in die Hand nehmen, um Berufseinstiegsbegleiter
zu finanzieren. Das sind Menschen, die Jugendliche
schon in der Schule, ab Klasse sieben, begleiten und
schließlich gleichsam als Brücke noch in den ersten
sechs Monaten der Ausbildung. Das halte ich für ein
ganz wichtiges Instrument, um gerade den Jugendlichen
zu helfen, die heute bei der dualen Ausbildung vielleicht
durch den Rost fallen.
({1})
Es ist deshalb eine wichtige Antwort auf die Frage der
Sicherung der Fachkräfte der Zukunft.
Wir diskutieren gerade im Bund ein Bündnis für Ausund Weiterbildung. Fast alle Maßnahmen, die da diskutiert werden, liegen im Verantwortungsbereich des Bundesarbeitsministeriums. Auch da geht es um Zukunftsfragen junger Menschen.
Wir diskutieren heute noch mit unserem Koalitionspartner die Frage nach flexiblen Übergängen in die
Rente. Ich freue mich schon darauf, dass wir das nachher
diskutieren. Für uns von der SPD ist dabei nämlich eine
Frage ganz zentral: Wie schafft man es, dass Fachkräfte,
die heute oft vor dem Renteneintrittsalter aufhören, zu
arbeiten, dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung stehen? Deswegen haben wir auch den Vorschlag zur Einführung eines Arbeitssicherungsgeldes gemacht. Wir
wollen damit ermöglichen, dass jemand nicht Arbeitslosengeld bezieht und dann direkt in Rente geht oder vielleicht in den Arbeitslosengeld-II-Bezug fällt. Da bauen
wir in Zukunft eine Brücke in die Erwerbstätigkeit.
({2})
Frau Kollegin Mast, Ihre Redezeit ist jetzt entschieden abgelaufen.
Für mich ist es deshalb ein wichtiger Punkt, dass uns
klar ist: Wenn wir über den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums reden, dann reden wir über Zukunft, über
Fachkräftesicherung und darüber, wie wir Menschen
eine Erwerbstätigkeit ermöglichen und wie wir ihnen damit Sicherheit im Alltag gewähren.
Vielen Dank.
({0})
Der nächste Redner ist der Kollege Mark Helfrich,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwölf Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Vor
neun Jahren erreichte die Zahl der Arbeitslosen mit
5,2 Millionen den höchsten Stand seit 1933. Und vor
fünf Jahren erlitten wir den stärksten wirtschaftlichen
Einbruch der Nachkriegszeit. Heute hingegen wird
Deutschland als ökonomischer Superstar Europas gefeiert. Es ist einer Studie eines Karriereportals zufolge das
attraktivste nicht englischsprachige Land der Welt für
ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({0})
Deutschland wird mehr und mehr zu einer europäischen Traumfabrik, und das nicht ohne Grund. Wir haben
eine stabile wirtschaftliche Lage mit fast 43 Millionen Erwerbstätigen und über 30 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Das ist der höchste Beschäftigungstand in der Geschichte der Bundesrepublik.
Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?
Das tue ich nicht. Ich bin mir sicher: Ihre Frage wird
sich im Verlauf meiner Rede erübrigen. Wenn nicht,
dann können Sie immer noch eine Kurzintervention machen, lieber Kollege Birkwald.
Wunderbar. Danke.
Aktuelle Schlagzeilen wie „Der Arbeitsmarkt
brummt“, „Der Beschäftigungsmotor läuft rund“, „Die
Arbeitslosigkeit sinkt auf Rekordwert“ lassen sogar die
Herzen der Haushälter höher schlagen; denn ein stabiler
Arbeitsmarkt ist eine Grundvoraussetzung für ausgeglichene Haushalte und damit für nachhaltig gesunde
Staatsfinanzen.
({0})
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales, über den wir heute beraten, hat einen Umfang
von 125,5 Milliarden Euro, das sind beachtliche 42 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes. Er wird - und man
kann es gar nicht häufig genug sagen - nach 45 Jahren
der erste Haushalt ohne neue Schulden sein.
({1})
Die schwarze Null ist eine historische Leistung. Die
lassen wir uns nicht kaputtreden. Wir schaffen damit
mittel- und langfristig neue Handlungsspielräume für
uns und für zukünftige Generationen, ohne Lasten einseitig in die Zukunft zu verlagern.
Wir stehen gegenüber kommenden Generationen in
der Pflicht. Ihre Chancen heute zu verfrühstücken, wäre
unverantwortlich. In diesem Sinne ist die schwarze Null
auch gelebte Verantwortung. Sie ist Markenzeichen der
Bundesregierung unter Angela Merkel und der von ihr
geführten Großen Koalition.
Unsere gute Wirtschafts- und Haushaltslage darf nicht
den Blick auf die vor uns liegenden politischen Herausforderungen verstellen.
({2})
Die aktuellen Krisen innerhalb Europas und außerhalb
Europas machen auch der deutschen Wirtschaft zu
schaffen. Daher müssen wir darauf achten, dass wir nicht
Verunsicherung schüren und Vertrauen zerstören; denn
die Politik legt mit diesem Vertrauen die Grundlagen für
eine florierende wirtschaftliche Entwicklung.
Vertrauen ist die wichtigste Ressource unserer Volkswirtschaft. Schon Ludwig Erhard wusste: „Die Hälfte
der Wirtschaftspolitik ist Psychologie.“ Wir müssen Mittelstand und Industrie, die Herz und Rückgrat unserer
Wirtschaft sind, langfristig verlässliche Rahmenbedingungen bieten. Dazu gehört eben auch, dass wir Herz
und Rückgrat mit weiteren Belastungen verschonen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei aktuelle
Ereignisse aufgreifen. Wir haben in den letzten Wochen
erlebt, wie Spartengewerkschaften Tarifkonflikte über
ein erträgliches Maß hinaus zugespitzt haben. Weite
Teile des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft waren
von Folgen dieser Arbeitskämpfe betroffen. Millionen
Bürgerinnen und Bürger waren die Leidtragenden.
({3})
Auch dadurch geht Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen verloren. Das kann nicht in unserem Sinne
sein.
Klar ist und bleibt: Das Streikrecht ist unantastbar.
Aber es ist kein Freibrief. Die Unternehmen müssen sich
darauf verlassen können, dass Tarifverträge, die mit der
Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgehandelt worden sind, auch Bestand haben und nicht
von kleineren Gewerkschaften umgangen werden können. Für das von der Bundesregierung geplante Gesetz
zur Tarifeinheit gibt es also sehr gute Gründe.
({4})
Wir leben in einer Zeit des demografischen Wandels.
In unserer Gesellschaft wird die Zahl der Einwohner geringer und ihr Alter im Durchschnitt höher. Im Ergebnis
steigen die Rentenbezugszeiten. Bis zum Jahr 2020 wird
sich eine Fachkräftelücke von 1,3 Millionen ergeben.
Berechnungen zufolge werden bis 2030 8 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Die Zahl der Arbeitskräfte wird insgesamt um ein Viertel schrumpfen. All das sind alarmierende Zahlen. Diese Entwicklung müssen wir in den
Fokus rücken.
Ein wirkliches Zeichen können wir mit der FlexiRente setzen. Angesichts des kontinuierlichen Anstiegs
der Lebenserwartung muss Schluss damit sein, dass
Menschen durch Gesetz oder Tarifverträge gegen ihren
Willen in den Ruhestand geschickt werden.
Wenn Menschen länger leben, verschiebt sich eben
auch der Beginn des Altseins. Man ist mit 60, 63 oder 65
nicht automatisch alt. Ganz im Gegenteil: Es ist wichtig,
dass wir die älteren Menschen in ihrem Tatendrang nicht
stoppen. Immer mehr Deutsche wollen länger arbeiten.
In kaum einem anderen Land hat die Erwerbsbeteiligung
der Älteren so sehr zugenommen; das ist kürzlich auch
noch einmal durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt worden.
Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?
Wer so hartnäckig bittet - sehr gerne, Herr Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Es ist jetzt auch
eine andere als vorhin.
({0})
Sie haben gerade einen wichtigen Satz gesagt. Sie sagten, dass Sie dagegen seien, dass Menschen gegen ihren
Willen in den Ruhestand geschickt werden. Nun haben
wir das Thema Zwangsverrentung. Das heißt, Hartz-IVBetroffene, die 63 Jahre alt sind, werden seit 2008 auch
gegen ihren Willen von den Jobcentern in Rente geschickt und erhalten dann häufig sehr kleine Renten mit
sehr hohen Abschlägen, sodass sie gezwungen sind, Sozialhilfe zu beantragen, weil es die Grundsicherung im
Alter ja erst ab dem 65. Geburtstag gibt.
Zwangsverrentung bedeutet, dass sie nur 2 600 Euro
Schonvermögen haben dürfen und gegebenenfalls auch
ihre Kinder in Regress genommen werden. Ich halte die
Zwangsverrentung für unwürdig. Sie gehört abgeschafft.
({1})
Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, dass in der
Arbeitsgruppe, die die Koalition derzeit zu verschiedenen Themen des Altersübergangs eingerichtet hat und in
der auch dieses Thema auf der Tagesordnung steht, vonseiten der Union der Vorschlag kommen wird, dass die
Zwangsverrentung in Zukunft abgeschafft werden wird?
Das würde die Opposition sehr begrüßen.
({2})
Ich kann natürlich nicht den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe vorgreifen, Kollege Birkwald. Auch Sie
wissen, dass es sich grundsätzlich um zwei unterschiedliche Sachverhalte handelt, auch wenn sie begrifflich
nah beieinanderliegen. Aber gerade Ihnen traue ich zu,
dass Sie das sehr genau unterscheiden können. Damit
würde ich meine Antwort an dieser Stelle beenden
({0})
und zu meinen Ausführungen zurückkehren wollen.
({1})
Bereits heute arbeitet rund ein Viertel der Ruheständler. Mehr als zwei Drittel dieser Menschen geben dafür
auch nichtökonomische Gründe an. Es geht darum,
Freude an der Arbeit zu haben, die eigenen geistigen Fähigkeiten auszubauen und zu erhalten und darum, Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Das sind die Beweggründe, warum Menschen gern länger arbeiten.
({2})
Fast 40 Prozent der 55- bis 70-Jährigen können sich
vorstellen, nach Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand
weiter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das ist
jüngst, Anfang November, auch durch den Bundesinnenminister und das Bundesinstitut für Bevölkerungsentwicklung vorgestellt worden.
Vor diesem Hintergrund bekommt die derzeit intensiv
geführte Diskussion um das Thema „weitere Rentenreform und Einstieg in die Rente ab 60“ natürlich eine
ganz besondere Dynamik. Ich sage an dieser Stelle auch,
dass ich das vor dem Hintergrund dessen, was ich gerade
geschildert habe, nicht nachvollziehen kann. Aus meiner
Sicht und aus Sicht der CDU/CSU geht diese Diskussion
in die falsche Richtung.
Eine weitere vorsätzliche Verkleinerung unserer Arbeitskräftebasis kann nicht die Antwort an die Wirtschaft
auf den zunehmenden Fachkräftemangel sein. Damit
lässt sich kein Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.
Meine Damen und Herren, immer weniger Menschen
in Deutschland sind ohne Arbeit. Die Zahl der Arbeitslosen ist mit 2,7 Millionen auf einem Rekordtief. Im Oktober waren bei der Bundesagentur für Arbeit mehr als
eine halbe Million freie Arbeitsstellen gemeldet. Damit
haben immer mehr Menschen realistische Chancen auf
einen Arbeitsplatz.
Trotz der niedrigen Arbeitslosenzahlen bleibt die Zahl
der Langzeiterwerbslosen hoch, deshalb senken wir auch
nicht die Mittel für die Betreuung und Eingliederung.
Vielmehr stellen wir pro Jahr zusätzlich 350 Millionen
Euro zur Verfügung. Nur mal ein Vergleich, den man auf
sich wirken lassen möge: Im Jahr 2006 standen für die
Betreuung und Eingliederung arbeitsloser Menschen
dieselben Finanzmittel zur Verfügung wie heute für rund
2,7 Millionen Arbeitslose. Ich denke, das spricht eine
eindeutige Sprache.
({3})
Es ist richtig, diese Mittel nicht zu kürzen, weil es
eine besonders schwierige Aufgabe ist, die verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit, um die es jetzt geht, zu senken.
Es gibt aber keinen Grund, dass wir das Lied, das die
Opposition bei diesem Thema immer wieder gerne anstimmt, in Moll mitsingen.
Wir stellen viel Geld für zwei neue Bundesprogramme zur Verfügung; darüber ist geredet worden. Wir
werden über 1,3 Milliarden Euro aus dem Eingliederungstitel und aus dem Europäischen Sozialfonds bereitstellen. Ich gehe an dieser Stelle nicht weiter darauf ein,
weil bereits alles gesagt wurde. Es geht um Langzeitarbeitslose ohne Berufsschulabschluss bzw. um Langzeitarbeitslose, die sehr arbeitsmarktfern sind und dann
in eine öffentlich finanzierte Beschäftigung hineinkommen. Das ist gut, weil diese Menschen somit soziale
Teilhabe im Erwerbsleben erfahren. Das ist eine sehr
wichtige Aufgabe funktionierender Sozialpolitik.
Das System insgesamt funktioniert; davon bin ich fest
überzeugt. Um es mit den weisen Worten des Chefs der
Bundesagentur für Arbeit zu sagen: Das Programm des
Förderns und Forderns ist das beste, das wir je hatten. Nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann.
Deswegen legen wir mit dem Einzelplan 11 heute bzw.
am morgigen Freitag die Grundlagen für richtige und solide finanzierte Maßnahmen, damit dieses Programm
noch ein Stück besser werden kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in
einer nie dagewesenen widersprüchlichen Situation. In
Zeiten wirtschaftlicher Stärke und eines florierenden Arbeitsmarktes stehen wir vor großen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Herausforderungen. Ich behaupte, es sind
die größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte;
ich habe ausgeführt, woran ich das festmache. Lassen
Sie uns diese Herausforderung ohne Denkverbote angehen und gemeinsam neue Wege beschreiten.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. Sie waren der
letzte Redner zum Einzelplan 11.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3305 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich lasse jetzt über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 11 ist mit
den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten
Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike Gottschalck und
Ekin Deligöz.
Zum Einzelplan 17 liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über
die wir morgen nach der Schlussabstimmung abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin! Zuallererst möchte ich
mich als Hauptberichterstatter natürlich bei meinen Mitberichterstattern Ulrike Gottschalck von der SPD, Ekin
Deligöz von den Grünen und Alois Rainer von der
Union bedanken. Ich glaube, wir haben in den letzten
Wochen eine gute, sachorientierte und faire Zusammenarbeit gehabt, die meines Erachtens vorbildhaft für den
politischen Raum ist.
({0})
Ich möchte es ebenfalls nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass wir eine Sache gemeinsam geschafft haben, über die ich mich sehr freue: Wir werden alle Bildungszentren des Bundes einschließlich Sondershausen
erhalten können, und zwar mit Personal. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, was ich hier noch einmal unterstreichen möchte. Wir haben das Geld. Wir haben eine
Konzeption. Das Ministerium muss das jetzt umsetzen.
Dann können wir uns im nächsten Jahr über die Ergebnisse unterhalten.
({1})
Allerdings ist das Ganze an einem anderen Punkt, den
ich jetzt ansprechen möchte, nicht so gut gelaufen. Damit meine ich das Programm „Demokratie leben!“, also
das Programm, aus dem wir die Initiativen gegen
Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit finanzieren. Der Regierungsentwurf sah dafür ungefähr 30 Millionen Euro vor. Wir haben diese Summe in
den Haushaltsverhandlungen auf 40 Millionen Euro erhöht. Trotzdem reicht das Geld nicht aus. Die Linke hat
50 Millionen Euro vorgeschlagen. Das ist auch die
Summe, mit der die SPD im Wahlkampf aufgetreten ist.
Wir haben das Ziel nicht erreicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus aktuellem Anlass sage ich: Wir beschäftigen uns hier schon lange mit
den Themen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Wir werden uns leider auch noch länger damit beschäftigen müssen. Der NSU-Skandal hat gezeigt,
über welche Dimensionen, welche Ausmaße wir hier
sprechen. Die Empfehlungen der Untersuchungsausschüsse sind ganz klar: Wir müssen mehr tun, damit die
Zivilgesellschaft gestärkt wird, um gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit vorzugehen. Das heißt aber auch:
Wir brauchen mehr Geld dafür.
({2})
Leider hat sich in Deutschland seit einigen Monaten
die Stimmung dramatisch verändert. Das hat etwas mit
den steigenden Asylbewerberzahlen zu tun, mit den
Flüchtlingen, die wir aus den Bürgerkriegsländern aufnehmen. Der gemeinsame Aufmarsch von Hooligans
und Nazis in Köln hat das ins öffentliche Bewusstsein
gerückt. Aber nicht nur dort, sondern auch bei mir im
Wahlkreis finden immer öfter Veranstaltungen statt, bei
denen sich Bürgerinnen und Bürger in meines Erachtens
erschreckender Weise über Flüchtlinge äußern. Die Zahl
der Demonstrationen gegen Flüchtlinge nimmt zu, und
die Bürgerinnen und Bürger, ob bewusst oder unbewusst, nehmen daran teil, Seite an Seite mit Nazis. Am
Montag dieser Woche waren es 6 000 Demonstranten in
Dresden. Dieser Aufmarsch erinnert sehr an die größten
Naziaufmärsche Europas, die in Dresden stattgefunden
haben. Sachsens Innenminister Ulbig hat vor drei Tagen
eine Sondereinheit der Polizei gegen kriminelle Asylbewerber vorgeschlagen. Damit ist uns in dieser Situation
überhaupt nicht geholfen. Damit wird noch Öl ins Feuer
gegossen.
({3})
Allerdings muss ich sagen: Dazu muss man nicht Innenminister sein. Ich habe gerade bei Spiegel Online gelesen, dass Kollege Grass vorgeschlagen hat, man sollte
über Zwangseinquartierungen von Flüchtlingen in deutschen Wohnstuben nachdenken. Ich muss ganz ehrlich
sagen: Das ist eine Art der Panikmache, die niemandem
weiterhilft. Aber der Kollege Grass ist ja hin und wieder
auch für Skandale bekannt.
Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Da Herr Ulbig
auf die Kriminalitätsrate unter Asylbewerbern hingewiesen hat, möchte ich auf folgende Statistik hinweisen: In
Deutschland gab es bis Ende September 7 753 politisch
motivierte Straftaten von rechts, darunter 358 Gewaltdelikte mit 275 Verletzten. Es gab im Übrigen nur drei
Haftbefehle. Allein in diesem Jahr gab es 23 Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und 194 Kundgebungen
bzw. Demonstrationen, wie ich sie gerade am Beispiel
von Dresden beschrieben habe. Da gibt es natürlich einen Zusammenhang. Dass das eine das andere irgendwie
bedingt, liegt ja auf der Hand. Zum Beispiel gab es in
Plauen allein im September dieses Jahres sieben Angriffe gegen Flüchtlinge. Einer der Flüchtlinge erlitt so
schwere Schnitt- und Stichverletzungen, dass er zehn
Tage stationär behandelt werden musste. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so etwas passiert in Sachsen, einem Bundesland, in dem der Anteil von Menschen mit
Migrationshintergrund nicht einmal 2,5 Prozent beträgt.
Das muss man sich einmal überlegen. Das ist nicht bloß
irre, was dort passiert, das ist einfach gefährlich.
({4})
Man muss sich einmal fragen, was in diesem Bundesland passiert, wenn der Bundesdurchschnitt von 8 Prozent erreicht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt in unserer
Verantwortung, etwas zur Prävention beizutragen, und
zwar jetzt und nicht erst, wenn es für die Prävention zu
spät ist, wenn Justiz und Polizei eingreifen müssen.
({5})
Deshalb sind die Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus und Rassismus - die mobilen Beratungsteams,
die Opferberatung - so wichtig für uns; sie entstehen aus
der Zivilgesellschaft heraus. Diese Projekte und Initiativen brauchen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage;
und wenn das anders nicht geht, brauchen wir notfalls
ein Gesetz dafür.
({6})
Derzeit geben wir für diese Projekte und Initiativen
auf Bundesebene 40 Millionen Euro aus. Das entspricht
pro Einwohner 50 Cent im Jahr. Ich finde, diese Präventionsarbeit sollte uns mehr wert sein.
({7})
Ich glaube, 1 Euro pro Einwohner kann man pro Jahr für
diese Präventionsarbeit durchaus bezahlen.
({8})
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich
für eine Erhöhung auf mindestens 70 Millionen Euro
ausgesprochen.
Noch ein Satz zum Schluss: Der Verfassungsschutz,
der beim NSU-Skandal erbärmlich versagt hat, bekommt
dieses Jahr 231 Millionen Euro. Das ist ein Aufwuchs
von 21 Millionen Euro.
({9})
Wenn man wenigstens diesen Aufwuchs von 21 Millionen Euro in die Präventionsarbeit gesteckt hätte, dann
wäre die Zivilgesellschaft gestärkt worden. Dort wäre
das Geld wesentlich besser angelegt als beim Verfassungsschutz.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung erhält jetzt
das Wort die Bundesministerin Manuela Schwesig.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Der Haushalt 2015 ist
Basis, ist ein wichtiger Baustein einer modernen Gesellschaftspolitik, einer modernen Gesellschaftspolitik, wie
ich sie vor einem Jahr bei meinem Amtsantritt angekündigt habe. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die auf
Solidarität basiert, auf dem Zusammenhalt der Generationen. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die auf Freiheit basiert, auf der Freiheit für Frauen und Männer, in unserem Land ihren Lebensentwurf zu leben und dabei
unterstützt zu werden. Einer modernen Gesellschaftspolitik, die natürlich auch auf Gerechtigkeit basiert, vor
allem darauf, dass Frauen und Männer in unserem Land
gleichberechtigt sind.
Wie sieht es aus mit dieser Gerechtigkeit? Wir haben
in unserem Grundgesetz verankert - dieses Grundgesetz
haben wir in diesem Jahr gebührend gefeiert -, dass
Männer und Frauen gleichberechtigt leben; aber 75 Prozent der Frauen sagen: Das ist für uns nicht Realität. Warum sagen 75 Prozent der Frauen: „Die Lebenswirklichkeit sieht für uns anders aus, als sie im Grundgesetz
verbrieft ist“? Das liegt daran, dass die Frauen spüren,
dass sie in der Arbeitswelt benachteiligt sind. Sie erleben, dass sie schlechtere Löhne bekommen als die Männer, sie erleben, dass die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie immer noch schwierig ist und es oft an ihnen
hängt, und sie erleben, dass sie schlechte Aufstiegschancen haben, obwohl gerade die junge Generation der
Frauen besser ausgebildet ist denn je.
Dass wir mit moderner Gesellschaftspolitik dafür sorgen, dass diese Solidarität, diese Freiheit und diese Gerechtigkeit in unserem Land gelebt werden, ist eine
wichtige Aufgabe der Großen Koalition. Deshalb freue
ich mich darüber - das wissen Sie sicherlich -, dass wir
uns in dieser Woche im Koalitionsausschuss entschieden
haben, dass der Gesetzentwurf, den ich gemeinsam mit
Heiko Maas zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen
und Männern in Führungspositionen vorgelegt habe,
kommt. Das ist mit Blick auf diese moderne Gesellschaftspolitik ein wichtiger Gesetzentwurf. Ich bin froh,
dass die verbindliche Frauenquote kommt.
({0})
Ich bin sehr froh, dass sich diejenigen, die für SPD
und Union an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen haben, schon damals Gedanken darüber gemacht
haben, wie das gehen kann: Wir brauchen klare Vorgaben, damit es gelingt, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, verbunden mit Spielräumen, die die
Unternehmen haben müssen. Deshalb ist es gut, dass der
Gesetzentwurf für die größten Unternehmen mit den
größten Gremien, mit den größten Aufsichtsräten in unserem Land eine klare, feste Vorgabe von mindestens
30 Prozent vorsieht - ohne Ausnahmen; das war mir immer wichtig.
Liebe Abgeordnete der Grünen, Sie reden immer von
einem „Quötchen“. Wenn Sie das als „Quötchen“ ansehen, dann sind Ihre Vorschläge nichts; denn Ihre Vorschläge sehen Ausnahmen vor. Die sieht unser Gesetzentwurf nicht vor. Insofern, finde ich, ist das ein sehr
guter Gesetzentwurf. Aber ich will mich mit Ihnen nicht
darüber streiten, weil ich weiß, dass Sie dieses Vorhaben
im Grunde Ihres Herzens unterstützen. Ich freue mich,
dass es dafür eine so breite Unterstützung in diesem
Haus gibt.
({1})
Wir geben einer Vielzahl von Unternehmen, über
3 000 Unternehmen, die Möglichkeit, sich auf den Weg
zu machen und sich selbst Zielvorgaben zu setzen, allerdings nach klaren Regeln, nämlich nach den Regeln, sich
verbindlich festzulegen, dies umzusetzen und darüber zu
berichten.
Ich freue mich sehr, dass wir uns einig sind, dass der
öffentliche Bereich der Wirtschaft nicht hinterherhinken
darf. Das sind gute Vorschläge, die wir zukünftig gemeinsam beraten können. Ich bin sicher, dass wir damit
einen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten. Einen
Kulturwandel, den wir dringend brauchen, einen Kulturwandel dahin gehend, dass Frauen mehr Möglichkeiten
bekommen, ihre Potenziale zu entfalten, dass Frauen
schlicht und einfach gerecht behandelt werden und dass
sie in der Arbeitswelt die gleichen Chancen wie Männer
haben, wenn sie gut qualifiziert sind. Wir haben diese
gut qualifizierten Frauen. Das ist das Signal an die
Frauen in unserem Land: Wir machen uns auf den Weg
hin zu mehr Gerechtigkeit für die Frauen in unserem
Land.
({2})
Gut ist auch, dass dieses Gesetz nicht die schwarze
Null gefährdet. Im Gegenteil, dieses Gesetz wird dazu
führen, dass Wirtschaft und öffentlicher Bereich noch erfolgreicher werden. Damit stärken wir den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. Diesen Erfolg brauchen wir.
Denn es sind ja nicht abstrakte Unternehmen, die dafür
Sorge tragen, dass wir hier über die Verteilung von Geld
reden, sondern es sind die Frauen und Männer in unserem Land, die tagtäglich arbeiten gehen, ob als kluge,
verantwortungsvolle Unternehmerinnen oder Unternehmer, ob als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer.
Diese Menschen sind die Leistungsträger in unserem
Land. Sie gehen arbeiten und sorgen mit ihren Steuern
und Sozialversicherungsbeiträgen dafür, dass unser Sozialsystem getragen wird und wir heute einen Haushalt
vorliegen haben, mit dem wir wichtige Vorhaben in unserer Gesellschaft voranbringen können.
Es ist wichtig, dass wir diese Frauen und Männer unterstützen, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Im Etat des Familienministeriums sind allein für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie 5,5 Milliarden Euro veranschlagt, für das
Elterngeld und das neue Elterngeld Plus. Es ist wichtig,
dass die neue Generation Vereinbarkeit ihr Lebensmodell leben kann.
Viele Frauen und Männer in unserem Land sagen: Ich
will beides. Ich möchte meinen Job machen; ich möchte
dafür Zeit haben und darin gut sein. Aber ich möchte
auch Zeit für meine Familie haben. - Frauen in unserem
Land haben oft das Gefühl, dass es nie für beides reicht.
Im Job wird ihnen gesagt: Du musst möglichst rund um
die Uhr präsent sein. Wenn du zu viel Zeit mit deiner Familie verbringst, dann reicht die Zeit nicht für den Job. Von der Familie kommt die Frage: Wann bist du eigentlich wieder zu Hause? - Diesen Druck spüren die
Frauen. Diesen Druck spüren aber auch die jungen Väter
in unserem Land. Sie sagen nämlich: Ich will nicht erst
zum Gute-Nacht-Kuss zu Hause sein, sondern ich will
auch Zeit für meine Familie haben. - Deshalb ist es gut,
dass die Große Koalition mit dem neuen Elterngeld Plus
das Lebensmodell unterstützt, dass Mütter und Väter
Zeit für beides, für den Job und für die Familie, haben
und sich diese Zeit partnerschaftlich teilen. Das ist moderne Gesellschaftspolitik. Es ist aber auch eine Frage
der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass Mütter und Väter Chancen im Job, aber auch Zeit für die Familie haben.
({3})
Wir denken auch an die Familien, deren Kinder vielleicht schon längst aus dem Haus sind, denen sich dafür
aber die Frage stellt: Wie geht es mit pflegebedürftigen
Angehörigen weiter? Viele Menschen erleben beides.
Zum einen haben sie eine Erziehungsverantwortung für
die Kinder, zum anderen stellt sich ihnen die Frage: Was
ist mit meinem pflegebedürftigen Vater? Wie bekomme
ich das unter einen Hut, wenn ich arbeiten muss? Auch
dies lastet oft auf den Schultern der Frauen. Deshalb
freue ich mich sehr, dass wir die Basis für eine bessere
Vereinbarkeit von Beruf und Familie schaffen, auch mit
pflegebedürftigen Angehörigen.
Das Elterngeld Plus, das ich eben vorgestellt habe,
wird diesen Freitag im Bundesrat verabschiedet und auf
den Weg gebracht. Den neuen Gesetzentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf werden
wir in der nächsten Woche beraten. Durch die Pflegereform haben wir dafür die finanziellen Voraussetzungen
geschaffen. Es wird zukünftig möglich sein, im Akutfall
eine kurze Auszeit für Phasen der Pflege in der Familie
zu nehmen oder auch in eine längere Pflege- und Familienpflegezeit zu gehen, und zwar mit finanzieller Unterstützung. Das ist ein wichtiges Signal der Großen Koalition: Wir lassen Familien mit pflegebedürftigen
Angehörigen nicht im Stich, sondern unterstützen sie.
Auch das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.
({4})
Die moderne Gesellschaftspolitik setzt auch auf den
Zusammenhalt der Generationen, auf die Solidarität. Ein
Erfolgsprojekt für gelebte Solidarität sind die Mehrgenerationenhäuser in unserem Land. Jedes Mehrgenerationenhaus lebt die Idee vom Zusammenhalt der Generationen. Dort sind zum Beispiel Kitas. Dort sind auch Omas
und Opas, die vorlesen und Zeit mit Kindern verbringen,
die vielleicht nicht ihre eigenen Enkelkinder sind, aber
in ihrem Stadtteil leben und deren Eltern froh sind, dass
sie unterstützt werden, weil die eigenen Großeltern der
Kinder vielleicht 300 Kilometer weit entfernt wohnen.
Es gibt hier viele tolle Projekte, zum Beispiel auch für
Familien, die eine Entlastung brauchen, weil sie demenziell erkrankte Angehörige haben.
Sie alle kennen die Mehrgenerationenhäuser und haben sich für sie starkgemacht. Deshalb sage ich ein Dankeschön an die Fachpolitiker, aber auch an die Haushaltspolitiker, die sich dafür eingesetzt haben, dass es
jetzt Planungssicherheit für diese Mehrgenerationenhäuser gibt. 16 Millionen Euro sind für 2015 verankert, und
es gibt den wegweisenden Beschluss des Haushaltsausschusses, diesen Ansatz zu verstetigen. Das ist ein wichtiges Signal an die Generationen, aber vor allem auch an
die Ehrenamtlichen in diesen Mehrgenerationenhäusern.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!
({5})
Meine Damen und Herren, moderne Gesellschaftspolitik heißt auch Freiheit, zum Beispiel Freiheit für unsere Jugend, die nicht von der Schule und durch Erwartungen der Gesellschaft erdrückt werden darf, sondern
Freiräume erhalten muss, wie wir alle sie als Jugendliche
hatten. Gelegentlich sehnen wir uns heute vielleicht nach
dieser Zeit zurück. Deshalb bin ich Ihnen sehr dankbar,
dass wir die Kinder- und Jugendarbeit besser unterstützen, dass wir die Mittel dafür weiter aufstocken und dass
wir vor allem die Jugendmigrationsdienste in diesem
Haushalt besserstellen, weil sie dazu beitragen, dass
Vielfalt in unserem Land gelebt wird und dass junge Migrantinnen und Migranten in unserem Land gut aufwachsen. Das ist ein wichtiges Signal für die Jugend in
unserem Land.
({6})
Ich bin auch dankbar dafür, dass in diesem Etat weiterhin über 100 Millionen Euro für das wichtige Bundesprogramm „Integration und Sprache“ bereitstehen. Die
Bekämpfung von Kinderarmut ist wichtig. Dazu gehört,
dass die Eltern eine Arbeit haben und gut dafür bezahlt
werden. Dazu gehört aber auch, dass die Kinder - auch
bereits in den Kitas - unabhängig vom sozialen Status
der Eltern Chancen auf Bildung bekommen und gefördert werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit der
Sprachförderung in den Kitas den Grundstein dafür legen, dass die Kinder in unserem Land gut aufwachsen.
Auch das ist ein Signal des Haushalts 2015, das an die
Kinder in unserem Land geht.
({7})
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, eine
moderne Gesellschaft braucht die Freiheit, dass Menschen in unser Land kommen und hier groß werden und
leben können, ohne Angst davor zu haben, dass sie diskriminiert werden, angegriffen werden oder sogar Gewalt erleben, weil sie eine andere Hautfarbe haben, aus
einer anderen Kultur stammen, einer anderen Religion
angehören oder eine andere sexuelle Identität haben. In
den letzten Wochen und Monaten haben wir gesehen
- Herr Leutert hat darauf hingewiesen -, dass zum Beispiel der Antisemitismus in unserem Land wächst, dass
wir Probleme mit dem radikalen Salafismus haben und
dass mittlerweile Familien bei der Polizei anrufen und
sagen: Ich habe die Sorge, dass mein Kind auswandert
und sich dem IS-Terror anschließt. - Das ist ganz konkrete Realität. Deswegen ist es richtig, dass wir neben
der Bekämpfung von Rechtsextremismus präventiv ge6688
gen diese neuen Formen der Radikalisierung arbeiten.
Natürlich müssen gewaltbereite Dschihadisten und Terroristen von den Sicherheitsbehörden und der Justiz verfolgt werden.
Aber es geht um mehr. Es geht auch darum, dass alle
Demokratinnen und Demokraten durch Angriffe auf unsere Demokratie und unsere offene Gesellschaft herausgefordert sind, Zeichen zu setzen. Deshalb brauchen wir
nicht nur eine sicherheitspolitische Antwort, sondern
auch eine präventive gesellschaftspolitische Antwort.
({8})
Wie kann das gehen? Wir haben das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, das am 1. Januar 2015 startet. Mit diesem Bundesprogramm werden wir unter Beteiligung von Jugendlichen auf kommunaler Ebene und
auch auf Landesebene Demokratiezentren und präventive Projekte fördern, die heute schon erfolgreich sind,
aber unter zwei Punkten leiden: Sie haben keine Planungssicherheit und oft keine ausreichenden finanziellen
Mittel vor Ort. Deshalb ist es gut, dass wir mit dem
neuen Bundesprogramm eine längerfristige Finanzierung auf den Weg bringen und eine Verstetigung erreichen. Der Bundestag hat entschieden, dieses Bundesprogramm um 10 Millionen Euro aufzustocken. Das finde
ich richtig, weil inzwischen neue radikale Formen hinzukommen, für deren Bekämpfung wir nicht Gelder aus
der Arbeit gegen Rechtsextremismus herausziehen können. Nein, das Geld muss on top kommen, sodass wir
gegen alle radikalen Formen in unserem Land angehen
können.
Herr Leutert, Sie haben recht: Es kann immer mehr
sein. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Vor mehreren
Jahren hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dieses
Programm aufzustocken. Leider ist dann einige Zeit nichts
passiert. Umso mehr freue ich mich, dass der Deutsche
Bundestag jetzt fraktionsübergreifend sagt: Wir wollen
unseren Beschluss umsetzen und stocken dieses Bundesprogramm auf. - Ich als Ministerin stehe bereit, die
Maßnahmen dieses Programms mit meinen Leuten und
mit Vertretern der Zivilgesellschaft umzusetzen. Mehr
geht immer; gar keine Frage. Aber diese 10 Millionen
Euro sind ein wichtiges Signal für die Menschen, die vor
Ort Gesicht zeigen. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich; denn ohne Freiheit ist moderne Gesellschaftspolitik
nichts.
({9})
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Nächste Rednerin für
Bündnis 90/Die Grünen ist Dr. Franziska Brantner.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Uns liegt der
Entwurf eines Haushalts vor, bei dem wir uns fragen
müssen: Welchen Fußabdruck hinterlassen Sie, wenn es
um Bildungsgerechtigkeit geht, wenn es um eine Stärkung der Alleinerziehenden geht, wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht? Ziehen wir einmal ein
Resümee aus den Ankündigungen und dem, was erreicht
wurde.
Wir wissen alle, dass es für Bildungsgerechtigkeit
zentral ist, dass die Qualität in der Kindertagesbetreuung
bundesweit gleichermaßen steigt. Sie bauen hier auf ein
solides schwarz-gelbes Erbe auf: 5,4 Milliarden Euro
wurden unter Schwarz-Gelb in den Ausbau investiert.
Doch jetzt, wo es an das Eingemachte geht, nämlich um
die Frage: „Wie entlasten wir die Erzieherinnen und Erzieher, die so gute Arbeit leisten?“, da geht Ihnen die
Luft aus. Nach großen Ankündigungen vonseiten der
Ministerin sind von dem Milliardenmärchen noch
550 Millionen Euro für drei Jahre übrig geblieben, und
das erst ab 2016. Für 2015 ist kein zusätzliches Geld
vorgesehen. Die Bertelsmann-Stiftung hat berechnet,
dass Bund, Länder und Kommunen zusammen jährlich
eigentlich 5 Milliarden Euro zusätzlich investieren
müssten, um eine angemessene Zahl von Erzieherinnen
und Erziehern für unsere Kitas zu ermöglichen. Was bieten Sie den Ländern und Kommunen an? Eine Arbeitsgruppe.
({0})
In der letzten Woche sagte Frau Schwesig: 1,5 Milliarden Euro mehr sollen aus dem von Herrn Schäuble angekündigten 10-Milliarden-Euro-Paket in den Ausbau der
Hortbetreuung an den Schulen fließen. Wir drücken Ihnen wirklich die Daumen und hoffen, dass wir nicht ein
Déjà-vu wie bei den Geldern zur Erhöhung der Kitaqualität erleben.
({1})
Das Betreuungsgeld dagegen schluckt weiterhin
900 Millionen Euro im Haushalt, die woanders gut aufgehoben wären.
({2})
Zum Glück ist der Ansatz etwas gekürzt worden, da die
Eltern diese Leistung nicht so annehmen, wie Sie es erwartet haben.
({3})
Das spricht eigentlich für sich und macht deutlich, dass
die Wahlfreiheit an dieser Stelle dazu führt, dass die Eltern das Betreuungsgeld nicht wählen.
({4})
Zu denken gibt uns auch, was heute in der Süddeutschen Zeitung über Bayern zu lesen ist, Herr Lehrieder:
52 Prozent der bayerischen Kleinkinder gehen in eine
Krippe; für 73 Prozent zahlt der Freistaat zugleich noch
Betreuungsgeld.
({5})
Ich weiß natürlich, dass in Bayern einer immer mehr ins
Gewicht fällt, sodass aus 100 Prozent in Bayern 125 Prozent werden. Aber es ist schon seltsam, dass Sie in Bayern auf mehr als 100 Prozent Kinder kommen.
({6})
In Bayern erhält jeder zum Ende des Elterngeldbezugs automatisch einen Antrag für das Betreuungsgeld
zugeschickt. Bei der Meldung zum Anspruchsende,
wenn das Kind in eine Kita geht, wird anscheinend nicht
mehr ganz so genau hingeschaut. Anders kann man sich
den Unterschied nicht erklären.
Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehrieder? - Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Kollegin, Sie haben gerade ausgeführt, dass
Bayern 125 Prozent der Kinder fördert. Das würden wir
gerne tun; aber das ist in Bayern gar nicht nötig. Stimmen Sie mir zu, dass nach diesem Rechenmodell, wenn
50 Prozent der Kinder eine Kita besuchen und für
70 Prozent der verbleibenden 50 Prozent Betreuungsgeld gezahlt wird, insgesamt etwa 70 bis 80 Prozent eine
Förderung erhalten? Die 70 Prozent beziehen sich nämlich auf die verbleibenden 50 Prozent, nur um die mathematischen Grundrechenarten für Sie etwas aufzufrischen, Frau Kollegin. Stimmen Sie mir zu, dass das
einen Prozentsatz ergibt, der unter 100 Prozent liegen
dürfte?
Es wäre schön, wenn es so wäre, Herr Lehrieder.
Dann würden wir alle uns wahrscheinlich nicht wundern, und dann würde auch keine Zeitung darüber berichten. Es ist aber anders, nämlich dass 52 Prozent
insgesamt in die Kita gehen und für 73 Prozent der Kinder insgesamt Betreuungsgeld gezahlt wird. Das ergibt
125 Prozent.
({0})
- Das können wir gerne noch einmal besprechen. Aber
den Zahlen zufolge scheint es dort Überschneidungen zu
geben.
({1})
Ich bin froh - Frau Schwesig, Sie haben es gerade erwähnt -, dass es möglich war, dass ein Teil der freigewordenen Mittel jetzt in Beratungsnetzwerke gegen
Rechtsextremismus und Modellprojekte gegen islamische Radikalisierung fließt. Wir Grünen als Bundestagsfraktion haben schon seit Jahren gefordert, dass
die Mittel dafür erhöht werden. Schade ist aber, dass
90 Millionen Euro aus diesem Einzelplan in Schäubles
Schatzkästchen geflossen sind und deshalb nicht für
diese Inhalte zur Verfügung stehen.
({2})
Zu einem Thema in diesem Haushalt gibt es noch
nicht einmal konkrete Ankündigungen. Das ist die beschämende Kinderarmut in unserem Land. Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Kinderarmut
nimmt wieder zu. Während die Zahl von 2007 bis 2012
gesunken ist, ist sie seit 2012 wieder gestiegen. Insgesamt beziehen heute 15,7 Prozent der unter 15-Jährigen
Hartz-IV-Leistungen. Das betrifft 1,64 Millionen Jungen
und Mädchen, und das in einem so reichen Land wie
Deutschland.
Auch deswegen wird es Zeit, endlich Konsequenzen
aus der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen zu ziehen. Sie sind eine große Große Koalition. Nehmen Sie doch diese Herausforderung an und
gehen Sie die tiefgreifenden Reformen an, die man mit
einer knappen Mehrheit vielleicht nicht hinbekommt!
Nutzen Sie diese Chance! Die Erkenntnisse sind doch
bekannt. Wir haben kein Erkenntnisproblem. Das Problem ist, dass es jetzt von Ihnen abhängt, endlich für Gerechtigkeit zu sorgen. Unser Ziel muss es doch sein, dass
Kinder gefördert werden und nicht der Trauschein.
({3})
Doch was machen Sie? Sie verstecken Reförmchen in
großen Steuergesetzen, statt das Thema Kinderarmut zur
Diskussion zu bringen. In Ihrem Entwurf eines Gesetzes
zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex
der Union finden sich dafür gute Ansätze, wenn man
zum Beispiel den Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende erhöhen würde. Das ist aber leider Fehlanzeige.
Was Sie in dem Gesetzentwurf regeln, ist die Freistellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die
Kinder haben oder Angehörige pflegen, für die Notfallbetreuung, die zumindest mit bis zu 600 Euro gefördert
wird. Das begrüßen wir. Wir glauben aber, dass auch das
nur die Hälfte des Weges ist, weil Selbstständige davon
nicht profitieren. Notwendig ist eine Regelung sowohl
für Geringverdienende als auch für Selbstständige. Deswegen wollen wir, dass auch in Zukunft die Betreuungskosten wieder als Werbungskosten geltend gemacht werden können.
({4})
Wir reden viel über Zeit für Familien und Stress der
Eltern. Deswegen begrüßen wir, dass es mit dem Elterngeld Plus eine neue Regelung gibt. Wir müssen aber
überprüfen, inwieweit diese Regelung auch Alleinerzie6690
henden helfen wird. Allein und mit Kind wird es schwierig sein, den engen Korridor von 25 bis 30 Wochenstunden Arbeitszeit zu erreichen, um zusätzliche vier Monate
Elterngeld zu erhalten. Es kann nicht sein, dass gerade
jenen, den Alleinerziehenden, diese vier Monate fehlen,
und jene, die eh zu zweit sind, sie zusätzlich bekommen.
Ich glaube, wir müssen wirklich genau schauen, wie sich
das Gesetz auswirkt.
({5})
Kein Geld für die Qualität in der Kindertagesbetreuung, die Beibehaltung des Betreuungsgeldes, eine Leerstelle bei der steigenden Kinderarmut, verpasste Chancen, um Alleinerziehende zu stärken, kleine Schritte
beim Elterngeld Plus und kleine Einsichten beim Thema
Rechtsextremismus und Islamismus - unser Resümee
ist: Dieser Haushaltsentwurf ist vor allem eines: eine
rote Null.
({6})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Herr Kollege Alois
Rainer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir blicken auf sehr konstruktive Gespräche und Beratungen zum Bundeshaushalt 2015 zurück.
Gerne möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei
meinen Mitberichterstatterkolleginnen und -kollegen,
Herrn Leutert, und auch beim Ministerium, Frau Ministerin, sehr herzlich für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken.
({0})
- Ich habe niemanden vergessen. - Dank der hervorragenden Arbeit unseres Bundesfinanzministers
Dr. Wolfgang Schäuble, aber auch dank der sehr guten
minutiösen Aufarbeitung in den Beratungen zum Bundeshaushalt ist es uns gelungen, für das kommende Jahr
einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Gerade das ist für die jungen Menschen in unserem Land
ein richtiges und wichtiges Zeichen; denn wer ehrliche
Politik will, darf nicht ständig über seine Verhältnisse leben. Unsere Politik steht für Kontinuität, Verlässlichkeit
und auch Nachhaltigkeit.
({1})
Dass man trotz Haushaltskonsolidierung eine gute Politik machen kann, zeigt der vorliegende Haushaltsentwurf für das Jahr 2015. Doch geht es nicht nur um das
Erreichen der sogenannten schwarzen Null. Diese ist für
den Moment gut, richtig und wichtig. Viel entscheidender ist jedoch, dass wir daran nachhaltig festhalten.
Meine Damen und Herren, unsere Familienpolitik ist
eine Politik der Verantwortung. Dass wir diese übernehmen, zeigen wir unverkennbar im Einzelplan 17, im
Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. So haben wir den Etat des Einzelplans 17 von 7,9 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf
8,5 Milliarden Euro für 2015 angehoben. Das entspricht
einer Erhöhung gegenüber dem Vorjahr von etwa
600 Millionen Euro. Schon diese Aufstockung macht
deutlich, wie wichtig uns die Menschen und insbesondere die Familien in unserem Land sind. Um vor Augen
zu führen, über welche Summen wir eigentlich sprechen,
möchte ich Ihnen den Etat aus dem letzten Jahr ins Gedächtnis rufen: Im Jahr 2013 hatten wir einen Gesamtetat von 6,8 Milliarden Euro. Ausgehend von dieser
Summe haben wir den Familienhaushalt um 1,7 Milliarden Euro auf 8,5 Milliarden Euro angehoben. Das ist ein
Indiz dafür, dass hier vernünftige Politik gemacht wird,
die frei ist von übereifrigem Aktionismus und übereifrigem Populismus.
Den wesentlichen Anteil im Einzelplan 17 macht das
Elterngeld aus - darüber ist schon gesprochen worden -,
das wir bereits im letzten Haushalt um 470 Millionen
Euro auf 5,4 Milliarden Euro angehoben haben. Für das
Jahr 2015 haben wir den Ansatz um weitere 180 Millionen Euro auf etwa 5,6 Milliarden Euro erhöht. Damit ist
und bleibt das Elterngeld das zentrale Instrument unserer
Verantwortung gegenüber den Familien in Deutschland.
({2})
Darüber hinaus wurde mit dem Elterngeld Plus eine zusätzliche Gestaltungskomponente geschaffen, die eine
wesentliche Unterstützung für Familien nach der Geburt
eines Kindes ermöglicht. Mit der Flexibilisierung der Elternzeit ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Zeit für die
Familie getan. Dass das Geld gut investiert ist, belegen
die aktuellen Zahlen.
Als Vertreter der CSU ist es mir natürlich eine Herzensangelegenheit, das Betreuungsgeld anzusprechen.
({3})
Ich möchte gleich zum Antrag der Grünen kommen. Ich
kann nicht nachvollziehen, dass Sie so sehr darauf beharren, die Kinder schon im Kleinkindalter von ihren Eltern wegzuziehen.
({4})
Die Wahrheit ist doch, dass Kinder in den ersten drei
Jahren die Bindung zu ihren Eltern brauchen. Dies belegen im Übrigen viele wissenschaftliche Studien.
({5})
Weiter sagen Sie, dass Eltern durch das Betreuungsgeld
vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden.
({6})
- In Ihrem Antrag steht: Eltern werden durch das Betreuungsgeld vom Arbeitsmarkt ferngehalten. - Das
habe nicht ich, sondern das haben Sie geschrieben.
Wir schaffen Wahlmöglichkeiten für junge Familien.
Das ist soziale Gerechtigkeit. Wenn in Bayern 50 Prozent der Kinder in die Kindertagesstätte bzw. die Krippe
gehen, ist das gut. Die Eltern dieser Kinder haben diese
Möglichkeit gewählt; das ist in Ordnung. Wir wollen das
nicht verbieten. Aber es ist genauso in Ordnung, das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Dafür stehen wir,
und dafür werden wir weiterhin stehen.
({7})
Erst kürzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, habe ich auf Ihrer Internetseite gelesen, dass Familien mehr Zeit füreinander haben sollen. Darin stimme
ich Ihnen voll und ganz zu. Familien brauchen nicht weniger, sondern mehr Zeit füreinander. Das Betreuungsgeld gibt ihnen ein Stück weit mehr Zeit füreinander,
wenn sie es denn wollen. Wenn sie es nicht wollen, können sie die andere Möglichkeit wählen. Sie widersprechen sich in Ihrem Antrag. Auf der einen Seite wollen
Sie mehr Zeit für die Familien. Auf der anderen Seite
sollen die Kinder am besten ganz flott nach der Geburt
von Dritten betreut werden. Wir unterstützen die jungen
Familien. Das ist unser Verständnis von Fairness und
Gerechtigkeit.
Wie heißt es so schön: Wenn etwas gut ist, machen
wir mehr davon. - Genau das tun wir. Der Ansatz für das
Betreuungsgeld wurde von 515 Millionen auf 900 Millionen Euro angehoben.
({8})
Damit gehen wir auf die Erhöhung der Familienleistung
von 100 auf 150 Euro im Monat ein.
Da wir schon von Betreuung sprechen, nutze ich in
diesem Zusammenhang gerne die Überleitung zum Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Nach der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011
durchlief die Behörde eine umfassende Umstrukturierung. Mit den ursprünglichen Aufgaben betreffend die
Anerkennung von Kriegsdienstverweigerung und die
Durchführung des Zivildienstes administriert das Bundesamt mittlerweile 28 wichtige Aufgaben für die Menschen in unserem Land, zum Beispiel das im März 2013
gestartete Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Dieses
bietet hilfesuchenden Frauen erstmals die Möglichkeit,
sich bundesweit zu jeder Zeit, 24 Stunden, und anonym
Hilfe zu holen.
({9})
Oder die vertrauliche Geburt. Hier werden aktiv Leben
gerettet. Seit der Einführung zum 1. Mai dieses Jahres
wurden 54 Geburten gemeldet. Weitere Aufgaben sind
der Bundesfreiwilligendienst mit entsprechender pädagogischer Begleitung, die Mehrgenerationenhäuser, zu
denen ich später noch mehr sagen werde, der Fonds für
Opfer der Heimerziehung in West und Ost, die Geschäftsstelle der Conterganstiftung, die mit 155 Millionen Euro ausgestattet ist, und vieles mehr. - Mit dieser
Vielfältigkeit hat sich die Behörde, die einst als Abbaubehörde betitelt wurde, zu einer etablierten Stütze des
Bundesfamilienministeriums entwickelt. So ist es nur
folgerichtig, dass wir mit der personellen Stabilisierung
des Bundesamtes die Rahmenbedingungen dazu geschaffen haben, dass die gute Arbeit auch künftig fortgesetzt werden kann. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ganz herzlich bei meiner Kollegin Ulli
Gottschalck bedanken, die mit dafür gesorgt hat, dass
wir das geschafft haben.
({10})
An dieser Stelle möchte ich auch noch die 17 Bildungszentren in Deutschland ansprechen. Aufgrund eines Gutachtens der Prognos AG vom Februar 2014 wurden die Kapazitäten dem Bedarf angepasst. Hieraus
ergaben sich jährliche Einsparungen von 5,5 Millionen
Euro ab dem Jahr 2017. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass man Bildung nicht nur wirtschaftlich betrachten sollte; vielmehr sehe ich Bildung auch als Aufgabe
des Staates. Daher finde ich es richtig, dass wir diese
auch weiter in der Obhut des BAFzA und der staatlichen
Bildungszentren gelassen haben.
Ich finde es hervorragend, dass wir den Jugendmigrationsdienst mit 1 Million Euro mehr stärken können. Die
Ministerin hat hier schon darüber gesprochen. Der Titel
wurde auf 42,6 Millionen Euro angehoben - in der jetzigen Zeit eine notwendige Maßnahme.
({11})
Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich noch
ein Thema ansprechen, das ich bereits mehrfach ansprach und das ein Herzensthema von mir ist. Ich freue
mich zum einen besonders, dass wir die Finanzierung
der Mehrgenerationenhäuser nach dem Wegfall der ESFMittel im Haushalt 2015 berücksichtigen konnten; zum
anderen freue ich mich darüber, dass wir mit einem
Maßgabebeschluss im Haushaltausschuss die dauerhafte
Beteiligung des Bundes an dem überaus erfolgreichen
Konzept der Mehrgenerationenhäuser sicherstellen
konnten.
({12})
Die Mehrgenerationenhäuser - ich konnte mir in verschiedenen Häusern der Republik ein Bild vor Ort machen - leisten durch ihre Vielzahl und Vielfalt ein generationenübergreifendes Angebot für Jung und Alt.
Dadurch werden die Potenziale aller Generationen im
Querschnitt unserer Gesellschaft gefördert. Integration
und Inklusion werden in den Mehrgenerationenhäusern
gelebt und großgeschrieben. Von daher, liebe Frau Kollegin Deligöz, habe ich es nicht verstanden, dass Sie und
die Fraktion der Grünen dem Maßgabebeschluss zum
Erhalt der Mehrgenerationenhäuser im Haushaltsausschuss nicht zugestimmt,
({13})
sondern sich enthalten haben. Ich gehe einfach einmal
davon aus, dass Sie noch nicht die Möglichkeit hatten,
sich eines der 447 geförderten MGHs anzuschauen; denn
dann hätten auch Sie mit Sicherheit wie ich gesehen,
welche hervorragende Arbeit hier geleistet wird.
({14})
Natürlich ist die Summe der Wünsche immer größer
als die Summe an Geld, die vorhanden ist. Dennoch wollen die Menschen keine neuen Schulden. Sie wollen eine
Politik, wie ich schon eingangs sagte, die nachhaltig einen maßgeblichen Beitrag für die wirtschaftliche Situation in Deutschland leistet. Wir sind mit diesem Haushalt
ein Vorbild für andere Länder in Europa und der Welt;
denn dieser Haushalt ohne neue Schulden ist generationengerecht und für die Zukunft unserer Menschen gut.
Vielen herzlichen Dank.
({15})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli
Gottschalck, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lange, manchmal auch sehr lange Haushaltsverhandlungen liegen hinter uns. Ich muss aber sagen: Der
Einsatz hat sich gelohnt. Jedenfalls mit unserem Etat
können wir sehr zufrieden sein; denn im Gegensatz zu
dem Bild, das die Kollegin von den Grünen gezeichnet
hat, haben wir doch ordentliche Akzente zugunsten
wichtiger Gesellschaftsaufgaben gesetzt.
({0})
Der Einzelplan sieht einen Aufwuchs um etwas mehr
als eine halbe Milliarde Euro vor. Dies ist im Wesentlichen auf höhere Ausgaben beim Elterngeld zurückzuführen. Ja, das Elterngeld ist uns lieb, aber auch teuer.
Trotzdem muss ich sagen: Es bringt etwas, und das ist
genau das, was wir wollten. Die Trends, die sich abzeichnen, nämlich dass mehr Väter Elterngeld beziehen
und Frauen besser verdienen, sind genau die von uns gewollten Effekte zum Wohle der Familien. Deshalb können wir sagen: Ja, es ist teuer, aber es ist auch sehr gut.
({1})
Das neue Elterngeld Plus, welches jungen Eltern ermöglicht, in Teilzeit zu gehen, und zwar beiden Elternteilen,
wird dies nochmals beflügeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist wirklich eine moderne Familienpolitik einer modernen
Ministerin. Dafür ein herzliches Dankeschön. Sie verstehen Ihr Handwerk. Danke schön, Frau Ministerin.
({2})
An dieser Stelle will ich meinen Dank und vor allen
Dingen einen herzlichen Glückwunsch aussprechen zum
großen Erfolg der Frauenquote. Gerade die Querschüsse
der vergangenen Tage haben noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig die Frauenquote ist, um diese Männerdominanz zu durchbrechen.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurück zum
Haushalt. Ich komme auf die Bereinigungssitzung zu
sprechen, in der uns einiges gelungen ist.
Die Mehrgenerationenhäuser sind insbesondere ein
Anliegen meines Kollegen Alois Rainer. Wir sind uns da
sehr einig. Auch die Linke hat dem zugestimmt. Wir
wollen, dass die Mehrgenerationenhäuser, die ihre Aufgabe wirklich auf hervorragende Art und Weise erfüllen,
weiter existieren können. Deshalb ist es gut, dass wir mit
großer Mehrheit diesen Beschluss gefasst haben, zumal
die Häuser Planungssicherheit für das Jahr 2016 brauchen. Insofern wäre ein späterer Beschluss zu spät gewesen. Deswegen ist dieser Maßgabebeschluss gefasst worden.
({4})
Ein sehr großer Erfolg der Bereinigungssitzung sind
zusätzliche 10 Millionen Euro für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Mit
10 Millionen Euro mehr stehen nun insgesamt 40,5 Millionen Euro zur Verfügung. Ich finde, damit sind wir
schon ganz ordentlich aufgestellt, um präventiv gegen
rechtsextreme, salafistische, antisemitische oder andere
menschenfeindliche Auswüchse vorgehen zu können.
Kollege Leutert, natürlich wünsche auch ich mir immer mehr. Man muss aber immer den kompletten Haushalt im Blick haben und darauf achten, dass nichts aus
dem Ruder läuft. Wir haben 10 Millionen Euro gefordert
und gehofft, 5 Millionen Euro zu bekommen. Letztlich
haben wir uns auf 10 Millionen Euro geeinigt. Ich
denke, das ist ein ganz guter Erfolg. Das ist auch wichtig
für die lokalen Bündnisse vor Ort.
({5})
Die Programme müssen schnell auf den Weg gebracht
werden. Die Ministerin steht gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses in den Startlöchern, um das neue Programm „Demokratie leben“ voranzutreiben. Ich bin mir sicher, dass das zügig
umgesetzt wird und dass das Geld bei den Bündnissen
ankommen wird.
Mit 1 Million Euro mehr stärken wir die Jugendmigrationsdienste. Auch das ist eine wichtige und gute Entscheidung, mit der wir es geschafft haben, bei den Jugendmigrationsdiensten draufzusatteln. Diese leisten
eine extrem wichtige Arbeit. Es gibt über 400 Jugendmigrationsdienste, die junge Migrantinnen und Migranten
im Alter von 12 bis 27 Jahren freundlich empfangen und
diese bei ihrem Integrationsprozess aktiv unterstützen.
Deshalb ist diese Arbeit wichtig.
Ich habe mir die Jugendmigrationsdienste in Kassel
angeschaut, die eine wirklich hervorragende Arbeit leisten. Gerade in diesen Zeiten ist es besonders wichtig,
dass auch die Kommunen dabei sehr unterstützt werden,
weil sie den jungen Menschen Wege aufzeigen und aufUlrike Gottschalck
passen, dass keiner von den jungen Menschen, die hier
ankommen, auf der Strecke verloren geht. Ich denke, das
ist gut investiertes Geld. Davon profitiert auch unsere
gesamte Gesellschaft.
({6})
Beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben - das hat Alois Rainer vorhin bereits angesprochen - konnten wir die Streichung von 112 kwVermerken - für Nichthaushälter möchte ich darauf hinweisen, dass das für „künftig wegfallend“ steht - erreichen. Damit haben wir eine zukunftssichere Personalpolitik im BAFzA gesichert.
Das BAFzA, die ehemalige Zivildienstbehörde, war
einmal als Teilabbaubehörde geplant. Deshalb sind bei
ihr so viele kw-Vermerke ausgebracht. In der Zwischenzeit wurde jedoch eine Aufgabe nach der anderen an das
BAFzA übertragen. Inzwischen hat das BAFzA 28 Aufgaben zu erfüllen. Das BAFzA ist verantwortlich für das
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das Verfahren für
die vertrauliche Geburt und den Fonds für die Opfer der
Heimerziehung in Ost und West. Das BAFzA erfüllt also
sehr viele Aufgaben. Bisher waren 25 Prozent der dortigen Arbeitsplätze befristet.
Ich denke, es ist richtig, dass wir dafür gesorgt haben,
dass wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herrscht,
konkret auf unserem eigenen Arbeitsmarkt. Deshalb bin
ich sehr froh, dass uns das gemeinsam gelungen ist.
({7})
An dieser Stelle will ich mich ausdrücklich auch beim
Unionshaushälter Alois Rainer bedanken;
({8})
denn ohne die gute Zusammenarbeit hätten wir die ganzen Leistungsverbesserungen nicht auf den Weg gebracht. Auch die Arbeit mit Ekin Deligöz und dem Kollegen Leutert ist sehr gut verlaufen, wenn auch nicht
immer so übereinstimmend wie vielleicht mit den Unionshaushältern.
Ich habe bereits gestern in der Generaldebatte ausgeführt, wie schwierig es für Familien ist, den ganz normalen Alltagswahnsinn unter einen Hut zu bekommen. Jede
Familie ist anders. Deshalb müssen wir dafür sorgen,
dass Familien die Unterstützung bekommen, die zu ihren
eigenen Vorstellungen passt. Wichtige Initiativen haben
wir schon auf den Weg gebracht. Aber zum Beispiel der
Vorschlag von Manuela Schwesig im Hinblick auf Familienarbeitszeit sollte weiter vertieft beraten werden. Wir
müssen dafür sorgen, dass der Kitaausbau nicht stoppt.
Investitionen in Verkehrswege sind sehr wichtig; aber
Investitionen für unsere Kinder sind genauso wichtig.
Deswegen kündige ich als Haushälterin schon einmal an,
dass ich schon Wert darauf lege, dass in dem 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, das wir beschlossen
haben, auch Gelder für den Kitaausbau, für die frühkindliche Bildung enthalten sind.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss will ich sagen: Ich bedanke mich für die diesjährigen Haushaltsverhandlungen. Ich denke, wir können
sehr zufrieden sein. Ich bedanke mich für das nette Miteinander bei meinen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern, bei Manuela Schwesig und ihrem ganzen
Haus.
Herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt
das Wort Norbert Müller.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ministerin Schwesig! Liebe Gäste
auf den Besuchertribünen, die zu dieser etwas familienunfreundlichen Zeit heute Nachmittag in den Deutschen
Bundestag gekommen sind!
({0})
- Schauen Sie einmal, wie viele Kitas in Deutschland
bereits zwischen 16 und 17 Uhr schließen. Betroffen davon sind die, die kleine Kinder haben.
In der ersten Beratung zum Bundeshaushalt 2015
sprach an dieser Stelle noch meine Kollegin Diana
Golze. Frau Golze ist, wie Sie wissen, inzwischen als
Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und
Familie in die rot-rote Regierung Dietmar Woidkes eingetreten und wird dort mit der ihr eigenen Leidenschaft
weiter gegen Armut und soziale Benachteiligung von
Kindern und Jugendlichen kämpfen.
({1})
Ich finde es bedauerlich, dass Sie, Frau Ministerin
Schwesig, und die Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion - bei der CDU/CSU sind jugend- und familienpolitisch ohnehin kaum Fortschrittliches und auch keine
moderne Gesellschaftspolitik zu erwarten - die Kritik an
den falschen Weichenstellungen des Bundeshaushaltes
vollständig ignorieren, dass Sie zum Stichwort „Betreuungsgeld“, zu der Kritik daran, die Sie selbst einmal vorgetragen haben - ich erinnere an das SPD-Wahlprogramm -, und zu moderner Gesellschaftspolitik, die Sie
im SPD-Bundestagswahlprogramm sehr präzise skizziert haben, hier gar nichts mehr sagen; vielmehr suchen
Sie sich neue Themen aus.
({2})
Frau Ministerin Schwesig, wenn ich Ihren Haushalt
und das besagte SPD-Wahlprogramm nebeneinanderlege, stellt sich mir folgende Frage: Wie ertragen Sie es
eigentlich, hier eine Politik vertreten zu müssen, Stichwort „Betreuungsgeld“, die Ihren Überzeugungen doch
eigentlich weitgehend widersprechen müsste, und sich
sozusagen als Sahnehäubchen von Ihrem Koalitionspart6694
Norbert Müller ({3})
ner in der Öffentlichkeit demütigen zu lassen, wie wir es
diese Woche erleben konnten?
Unabhängig vom Haushalt finde ich es ein Stück weit
enttäuschend, wie profillos sich die SPD hier trotz hoffnungsvoller Programmatik gibt. Ich habe als Landtagsabgeordneter in einer rot-roten Koalition in Brandenburg
eine andere SPD-Familien-, -Jugend- und -Frauenpolitik
kennengelernt. Und ja: Eine Koalition ist immer von
Kompromissen geprägt. Aber ein Kompromiss, bei dem
man am Ende das Gegenteil dessen macht, was man
einst versprochen hat, ist eben kein Kompromiss.
({4})
Ihre 1 Milliarde Euro - oder besser: 900 Millionen
Euro -, die Sie als Belohnungsprämie für den Verzicht
auf die Inanspruchnahme eines Rechtsanspruches hier
wieder in den Haushalt eingestellt haben, steht für den
größten familienpolitischen Sündenfall der Sozialdemokratie in dieser Legislaturperiode. Es ist nicht einmal erkennbar, dass Sie an diesem sozial-, bildungs- und familienpolitischen Unfug namens Betreuungsgeld noch
ernsthaft Kritik vorbringen, sondern Sie machen fast das
Gegenteil.
Gerade weil Sie aber offenbar nicht bereit sind, die
babylonische Gefangenschaft der Koalition mit der
CDU/CSU hier zu verlassen, werden Sie sich auch weitere Kritik gefallen lassen müssen, und zwar zu Punkten,
zu denen Sie in Ihrer Rede nichts gesagt haben, die jedoch angeblich Schwerpunkte in dieser Wahlperiode
sein sollen.
In Ihrer Rede auf dem 15. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag haben Sie erklärt - ich zitiere Sie, Frau
Schwesig -:
Einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit in dieser
Legislaturperiode will ich deshalb den Jugendlichen widmen.
Und weiter sagten Sie:
Ich will deshalb bei der Eigenständigen Jugendpolitik in dieser Legislaturperiode vom Reden zum
Handeln kommen.
Da kann man jetzt auch Beifall klatschen.
Doch leider muss der Applaus verebben, wenn man
Ihre Worte, denen Sie Handlungen folgen lassen wollten,
mit dem vorliegenden Haushalt abgleicht. Diesen Realitätscheck bestehen Sie mit dem vorliegenden Einzelplan 17 nicht.
Man kann durchaus erfreut feststellen, dass Sie im
Kinder- und Jugendplan den Posten zur Jugendpolitik
um 400 000 Euro auf nunmehr 2,5 Millionen Euro aufgestockt haben. Aber was steckt hinter den 2,5 Millionen
Euro? Hieraus wurde das Zentrum für die Entwicklung
einer Eigenständigen Jugendpolitik finanziert; das haben
Sie gerade wieder abgewickelt. Dabei fallen mir noch einige Dinge auf:
Erstens. Sie werden eine Koordinierungsstelle mit
dem hochtrabenden Namen „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“ einrichten. Das haben Sie angekündigt. Was soll diese Koordinierungsstelle eigentlich tun?
Sie soll die Handlungsstrategien der Eigenständigen Jugendpolitik in 16 Modellprojekten - für jedes Bundesland eines - ausprobieren, soll Bausteine einer eigenen
Jugendpolitik umsetzen. Damit verlagern Sie die Verantwortung für die Eigenständige Jugendpolitik vom Bund
auf die Kommunen und auf die Länder. Das ist kein Eigenständiges Handeln, sondern das ist höchstens das
Kommentieren des Handelns anderer.
Zweitens. Die Eigenständige Jugendpolitik soll im
Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung
weiterentwickelt werden. Damit sie dort nicht komplett
untergeht, was zu erwarten wäre, wurde eine AG „Jugend gestaltet Zukunft“ gegründet. Bis zum Frühjahr
2017 - da findet der vierte Demografiegipfel statt - wird
sich die AG mit dem Schwerpunkt „Gelingendes Aufwachsen von Jugendlichen in ländlichen Räumen“ beschäftigen. So weit, so gut. So wird die AG mit dem
hochtrabenden Namen „Jugend gestaltet Zukunft“ in den
nächsten zweieinhalb Jahren vier Kommunen besuchen
und sich vor Ort gelungene Beispiele in der Praxis anschauen.
Frau Ministerin Schwesig, ich bitte Sie! Beides hört
sich an wie die modifizierte Fortführung der Kampagne
für eine kindgerechte Kommune. Sie wollten in dieser
Wahlperiode bei der Eigenständigen Jugendpolitik vom
Reden zum Handeln kommen. Aber wo ist hier Ihre eigenständige Handlung? Ist es nicht vielmehr so, dass Sie
darauf warten, dass andere für Sie handeln?
Ich komme zu meinem letzten Beispiel. Sie haben uns
auf eine Kleine Anfrage bezüglich der Situation von
Straßenkindern geantwortet, dass Sie vier Projekte für
Straßenkinder mit jeweils 100 000 Euro fördern werden.
Ich begrüße, dass Sie die Realität zur Kenntnis nehmen,
dass es in diesem Land Tausende Kinder und Jugendliche gibt, die auf der Straße leben. Das sind Kinder und
Jugendliche, die auf der Straße gelandet sind, auch deshalb, weil die Gesellschaft versagt hat.
Ich muss nun feststellen, woher die 400 000 Euro
kommen, die Sie einstellen wollen: von der Eigenständigen Jugendpolitik. So spielen Sie die Eigenständige Jugendpolitik gegen Straßenkinder aus. Ich erkläre Ihnen
das auch: Wenn Kinder und Jugendliche zu Straßenkindern werden, dann hat dies eine Vorgeschichte; das wissen Sie. Die Vorgeschichte ist das Scheitern der Gesellschaft an ihren sozialen Problemen. Nicht nur die
Familien, auch die örtlichen Strukturen - Schule, Vereinslandschaft, Kinder- und Jugendhilfe - haben an diesem Punkt bereits versagt. Kein Jugendlicher lebt gern
auf der Straße. Es ist die Flucht vor einer Gesellschaft, in
der es die Jugendlichen nicht mehr aushalten, wenn sie
sich mit ihrem Lebensmittelpunkt auf die Straße zurückziehen.
So richtig es ist, diesen Jugendlichen Öffentlichkeit
zu geben, Frau Schwesig, so falsch ist es, an der Eigenständigen Jugendpolitik zu sparen; denn eine gute Jugendpolitik geht an die Wurzel des Problems und setzt
an der sozialen Infrastruktur an - das hatten Sie auch im
SPD-Wahlprogramm -, die vorbeugend wirken soll, sodass es gar nicht erst zu dieser Anzahl von StraßenkinNorbert Müller ({5})
dern kommt. Die Eigenständige Jugendpolitik kostet
Geld, sie kostet viel Geld, Frau Schwesig, und ich kann
nicht erkennen, dass Sie in diesem Haushalt hier einen
Schwerpunkt gesetzt haben. Von daher können Sie unsere Zustimmung nicht erwarten.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Marcus Weinberg, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich will drei Vorbemerkungen machen:
Erstens. Liebe Frau Brantner, ob die Null nun rot oder
weiß oder schwarz oder grün ist, ist relativ wurscht.
({0})
Für Familienpolitiker ist es hervorragend, dass wir diese
Null erreicht haben; denn wir sind für die kommenden
Generationen verantwortlich. Damit schützen wir die
kommenden Generationen vor Verschuldung.
({1})
Ich bin mittlerweile - auch erkennbar - 47 Jahre.
Wenn man rückblickend feststellt, dass man 45 der
47 Jahre in Neuverschuldung erlebt hat, dann kann man
heilfroh sein, dass wir endlich dieses Ergebnis erzielt haben. Ich hatte schon die Sorge, dass eines Tages die Zahl
der Jahre mit Neuverschuldung mein Gewicht erreicht.
Das, Gott sei Dank, ist verhindert worden. Das ist ein Erfolg auch für die Familien in diesem Land.
({2})
Zweitens. Man kann viel kritisieren, wie die Linke es
gern tut; man muss dann aber auch sagen, woher das
Geld kommen soll.
({3})
Zusammengerechnet würden Ihre Forderungen weit
mehr als 50 Milliarden Euro verschlingen. Ein Grundsatz von uns Familienpolitikern ist: Wir tun gern etwas
aus Überzeugung; wir haben auch eine richtige Zielfunktion.Wir müssen aber auch wissen: Das Geld, das wir für
gute Maßnahmen ausgeben, müssen andere erwirtschaften. Deswegen ist es ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft, daran zu denken, Maßnahmen nicht über Neuverschuldung zu finanzieren, weil unsere Kinder dann dafür
zahlen müssten.
Beim dritten Punkt geht es auch um die moderne Familienpolitik. Ich stimme natürlich zu: Wir haben eine
moderne Familienpolitik. Aber es sei auch erwähnt, dass
die Themen, die die moderne Familienpolitik auszeichnen - Elterngeld, Kitaausbau, Familienpflege, Qualität
in der frühkindlichen Bildung, Frauenquote - bereits seit
vielen Jahren angelegt waren. Insoweit setzen wir das
fort, was wir in den Regierungsjahren vorher schon eingebracht haben. Das ist ein gemeinsamer Erfolg der Großen Koalition.
({4})
Richtig ist - Frau Gottschalck und Herr Rainer haben
es angesprochen -, dass der Etat noch einmal erhöht
wurde: auf 8,54 Milliarden Euro. Das ist ein Erfolg. Es
gibt im Bundeshaushalt zwei Bereiche, die seit 2005
deutliche Zuwächse zu verzeichnen haben. Das eine ist
der Bereich Bildung, Forschung und Wissenschaft, das
andere ist der Bereich Familie. Das heißt also, dass wir
seit 2005 in Deutschland einen Paradigmenwechsel erleben, dass wir in die Zukunft investieren. Da sind die
Gelder gut angelegt; mit diesen Mitteln können wir Familien stärken. Wir wollen Kindern und Jugendlichen,
Frauen und Männern gleichberechtigte gesellschaftliche
Teilhabe ermöglichen; wir wollen ihnen insgesamt
Selbstständigkeit und die Entfaltung ihrer Fähigkeiten
ermöglichen. Unsere Familienpolitik ist in der Summe
davon geprägt, dass wir den Veränderungen, den verschiedenen Lebensphasen gerecht werden und die Maßnahmen und Leistungen den einzelnen Phasen entsprechend ausprägen.
Ich will das mit den veränderten Rollenbildern und
den Familienleitbildern, die sich in Deutschland entwickeln, in Verbindung setzen. Was müssen wir familienpolitisch machen? Ja, es gibt die traditionelle Familie, in
der einer der beiden Partner zu Hause bleibt und sich um
die Erziehung und Betreuung der Kinder kümmert. Deswegen haben wir für diese Menschen etwas zu leisten.
Es gibt auch die Alleinerziehenden - wir haben für sie
die Regelungen zum Elterngeld korrigiert -, die sich alleine um das Kind kümmern müssen. Es ist gut und richtig, dass nun auch die Alleinerziehenden die Partnerschaftsmonate nutzen können.
Immer mehr Menschen, immer mehr junge Eltern sagen: Beide sollen für das Einkommen der Familie verantwortlich sein; es sind mittlerweile 81 Prozent. Auch
für diese müssen wir entsprechende Maßnahmen entwickeln. Unsere Familienpolitik wird den verschiedenen
Rollenbildern gerecht.
Das sehen Sie auch daran, dass die Große Koalition
den drei großen Wünschen der Menschen - die Erwartungen haben sich verändert - Rechnung trägt. Das eine
ist der Wunsch, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
zu erleichtern. So hat Allensbach 2013 festgestellt, dass
81 Prozent diesen Wunsch haben. Dem werden wir gerecht. 60 Prozent der Eltern von Kindern unter 18 Jahren
wünschen, junge Familien stärker zu fördern. Das machen wir. 55 Prozent wünschen, dass das Angebot an
Krippenplätzen ausbaut wird. Das machen wir. All das
findet sich im Dreieck aus finanzieller Sicherheit der Familie, Infrastruktur und Zeitmanagement. Es entspricht
den Grundsätzen der Union für das familienpolitische
Handeln: Wir wollen die Vielfalt anerkennen, Maßnahmen zielgenau und bedarfsgerecht zuschneiden und so
die Familien unterstützen. Deswegen müssen die familienpolitischen Leistungen immer überprüft werden. Es
ist immer eine Aufgabe der Politik, das, was man leistet,
Marcus Weinberg ({5})
zu überprüfen, aber immer auch Vertrauen in die Familien zu haben. Familien sollen eigenverantwortlich die
für sie passenden Leistungen wählen.
Frau Brantner, deswegen verstehe ich nicht, warum
Sie bewerten müssen, ob 20, 40, 60 oder 80 Prozent der
Eltern das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Nehmen Sie es doch einfach zur Kenntnis. Es ist doch gut,
wenn Menschen die Wahl haben, zwischen den Möglichkeiten wählen können.
({6})
Das sollten wir doch nicht einschränken. Sie können
eine Maßnahme doch nicht anhand der Frage bewerten,
ob sie nur 20 Prozent oder sogar 80 Prozent in Anspruch
nehmen. Das ist doch der falsche Zugang zu dieser
Frage.
({7})
Der Zugang muss doch sein: Es gibt das Angebot, und
wir freuen uns über jede Familie, die das Angebot wahrnimmt. Das gilt sowohl für den Krippenausbau als auch
für das Betreuungsgeld. Wir wollen es den Familien
nicht vorschreiben. Wir wollen die Familien in ihrer eigenen Entscheidung stärken, Frau Brantner; wir beide
haben sie nicht zu kommentieren.
Das bedeutet für uns, dass die Familienpolitik nicht
einseitig und verengt ökonomischen Interessen dienen
muss. Wir sagen: Wir wollen nicht die arbeitsgerechte
Familie, sondern eine familiengerechte Arbeitswelt. Daran kann man auch den Erfolg der Familienpolitik bewerten. Da sieht man, dass die großen Maßnahmen, die
wir implementiert haben, zu entsprechenden Erfolgen
geführt haben.
Ich will die großen Maßnahmen, die Leuchttürme, ansprechen, weil sie in Übereinstimmung zu den Wünschen der Eltern stehen. Das erste Thema ist der gesamte
Bereich Elterngeld, Elterngeld Plus. Noch einmal: Was
gut und richtig war und angenommen wurde, ist, das Elterngeld zu flexibilisieren. Frau Brantner, dahinter steht
natürlich ein Gedankengang. Sie haben in Ihrer Rede die
Regelung kritisiert, dass beide, Vater und Mutter, jeweils
25 bis 30 Stunden arbeiten müssen und gefordert, diese
etwas nach oben und nach unten zu öffnen. Aber das ist
doch der entscheidende Punkt: Wir wollen doch - in Anführungszeichen - „wegkommen“ von der Aufteilung,
dass die Mutter 20 Stunden und der Vater 40 Stunden arbeitet. Wir wollen eine gleichmäßigere Verteilung.
Wir wollen so auch den Männern gerecht werden, die
zu über 60 Prozent sagen, sie möchten mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.
({8})
Wir möchten auch den Müttern gerecht werden, die
gerne etwas mehr arbeiten möchten. Diesen Ansatz, die
Stärkung der Partnerschaftlichkeit, verfolgen wir mit
dem Partnerschaftsbonus und den Partnermonaten. Das
würden wir doch kaputtmachen, wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden.
({9})
Ein zweites Thema ist der Ausbau der U3-Krippenplätze. Hierfür sind 5,4 Milliarden Euro vorgesehen. Das
ist eine große Summe. Deswegen finde ich das immer
wieder erwähnenswert. Nun sagt Frau Brantner, wir
würden die Länder und Kommunen alleine lassen. Wissen Sie: Wir geben zusätzlich zu den Investitionsmitteln
845 Millionen Euro und demnächst 945 Millionen Euro
für die Betriebskosten dazu.
({10})
Wenn ich dann dazurechne, was wir für den Bereich Bildung und Forschung ausgeben, wenn ich dazurechne,
was wir in den nächsten Jahren den Kommunen an Entlastung schenken werden, dann kann ich nur sagen: Frau
Brantner, Sie kommen doch aus Baden-Württemberg.
Gehen Sie zu Ihrer zuständigen Ministerin, und sagen
Sie ihr, sie soll Erzieherinnen einstellen. Das liegt in ihrer Verantwortung und nicht in unserer Verantwortung.
({11})
Frau Gottschalck, wir können gerne darüber diskutieren, wie wir die 10 Milliarden Euro aus dem Investitionsprogramm sinnvoll für unser Land ausgeben. Aber
ich befürchte, wenn wir einmal damit anfangen, dann
kommen noch die Hortplätze oder diese oder jene Betreuung dazu, und irgendwann diskutieren wir in diesem
Plenum womöglich noch darüber, ob wir nicht 20 Prozent der Lehrergehälter dazugeben.
Wir haben im föderativen System eine klare Ordnung,
und wir verstoßen immer stärker gegen diese Ordnung.
Deswegen bin ich heilfroh, dass wir in der Bund-LänderKommission darüber reden, dass die Finanzströme endlich geordnet werden, damit jeder weiß, was er zu tun
hat; denn wir können nicht die originären Aufgaben der
Länder und Kommunen wahrnehmen. Das schaffen
selbst wir nicht.
({12})
Zur der Frage, wie man die Qualität verbessern kann.
Ich finde es richtig, dass die Länderminister mit der
Bundesministerin gemeinsame Gespräche führen und
überlegen: Was ist die Agenda? Ich erwarte von den
Ländern, dass sie bereit sind, ihren Betreuungsschlüssel
- Hamburg hat derzeit einen Betreuungsschlüssel von
1 zu 5,6 und Bremen einen von 1 zu 3,1 - zu verändern,
Erzieherinnen einzustellen und Qualitätsstandards festzulegen. Das ist doch im Interesse der Länder, der Kommunen und des Bundes.
Das Kitaqualitätsgesetz, wie man es fordert, hätte
doch nur eines als Konsequenz, dass gesagt wird: Ihr
seid für die Standards verantwortlich, ihr müsst sie auch
bezahlen. Ich sage es noch einmal: Das ist nicht unsere
originäre Aufgabe. Ich verweigere mich der Diskussion
nicht, aber ich bin verärgert darüber, wenn die Mittel, die
Marcus Weinberg ({13})
wir für die Länder bereitstellen, für etwas anderes ausgegeben werden.
({14})
Ich habe bereits ein Beispiel genannt. Wenn einem Qualität so wichtig ist, dann muss man als zuständiger Ministerpräsident, in diesem Fall Bürgermeister, die Qualität auch ausbauen.
Wenn man das Geld, das man vom Bund bekommt,
aber verwendet, um die Beiträge zu streichen, dann setzt
man die Priorität anders. Dann ist es doch eher wichtiger, dass diejenigen mit hohen Einkommen, die auch die
entsprechenden Beiträge zahlen, entlastet werden. Dann
setzt man halt nicht auf die Qualität und das Einstellen
neuer Erzieherinnen und Erzieher. Aber das ist eine politische Frage, die in den Ländern entschieden werden
muss.
Es wurden viele einzelne Maßnahmen angesprochen,
zum Beispiel die Frühen Hilfen, die mit 51 Millionen
Euro unterstützt wurden - das wurde jetzt verstetigt -,
oder die Mehrgenerationenhäuser, mit denen der soziale
Zusammenhalt in der Gesellschaft - das ist für uns alle
parteiübergreifend ein wichtiger Punkt - gestärkt wird.
Wir werden dafür kämpfen, dass wir diese auch über
2016 hinaus sichern bzw. konzeptionell neu aufstellen;
das steht ja auch im Koalitionsvertrag. Weitere Maßnahmen, die wir unterstützen, sind die Jugendfreiwilligendienste, Entschädigung für die Opfer der Heimerziehung
Ost und Ähnliches. Familienpolitik muss konkret sein.
Familienpolitik muss für die Familie, für Mann und
Frau, für die Kinder und Jugendlichen da sein.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Diskussionspunkt aufgreifen. Ich finde es richtig, dass man darüber diskutiert, wie man die Rechte der Kinder stärken
kann. Ich gehöre zu denen, die immer sagen: Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen muss gestärkt werden. Aber mit Blick auf die Diskussion über die Frage,
ob Kinderrechte im Grundgesetz festgeschrieben werden
sollen, sage ich ganz deutlich: Wir könnten möglicherweise einen gefährlichen Weg einschlagen.
Zum einen sind Kinder bereits Träger von Grundrechten. Wenn ich weiter differenziere, dann mache ich einen
Riesenfehler, weil ich das sozusagen indirekt infrage
stelle. Ich möchte, dass wir Familien, Eltern und Kinder
gemeinsam stärken. Was ich aber nicht möchte, ist, dass
wir eine Diskussion führen und Wolken hin- und herschieben; als ob dadurch die Probleme in der Jugendhilfe
gelöst werden könnten.
Wissen Sie eigentlich, dass 10 von 16 Bundesländern
die Kinderrechte bereits in der Verfassung haben? Bremen, Brandenburg, Bayern und einige andere mehr. Gibt
es empirisch nachgewiesen irgendwelche Unterschiede
beim Kinderschutz, beim Kindeswohl, bei ASD oder bei
Jugendhilfestrukturen? Nein. Deshalb warne ich davor,
dass wir diese Diskussion falsch führen, weil wir dann
nur Wolken hin- und herschieben und den Menschen etwas vormachen, was wir nicht erfüllen.
Lassen Sie uns bitte in den nächsten Monaten und
Jahren konkret darüber nachdenken, wie wir das Kindeswohl und die Familien sowie Eltern und Kinder gemeinsam stärken können, und nicht zwischen beiden Seiten
differenzieren; denn ich denke, dass Eltern und Kinder
immer noch im Fokus unserer Politik stehen müssen wie
in den vergangenen Jahren.
({15})
Insofern ist es ein guter Haushalt, und ich freue mich
schon auf den Haushalt 2016, wenn wir die nächsten
Weichen stellen können.
Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. - Nächste Rednerin ist Kordula
Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, dass ich kurz auf zwei Punkte aus der bisherigen Debatte eingehe. Ich hätte mich gefreut, wenn bei
der Lesung des Einzelplans 17, in dem es ja um Familien
und Frauen geht, auch einige der Wortführer gegen die
Frauenquote hier anwesend gewesen wären und zugehört hätten - etwa der Vertreter der Pfauenquote bei der
CDU, Herr Kauder -; dann hätte das unter Umständen
auch dazu beigetragen, den Umgangston zwischen Männern und Frauen in dieser Koalition zu verbessern.
({0})
Aber dabei sind bei Ihnen ja einige durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Das hätte hier vielleicht etwas besser herausgestellt werden können.
Als zweiter Punkt wurde angesprochen, dass wir uns
bei den Mehrgenerationenhäusern enthalten, und ich sage
Ihnen: Mehrgenerationenhäuser sind auch für uns ein
ganz wesentlicher Punkt der Begegnung der Generationen vor Ort. Wir wollen dauerhaft gerade auch mehrere
Generationen, die Kontakte sowie die verschiedenen Bedarfe und Bedürfnisse dieser Menschen zusammenbringen, und wir glauben, dass Mehrgenerationenhäuser in
den Kommunen tatsächlich die richtigen Orte dafür sind.
Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie in diesen
Bereich investieren, dann müssen Sie auch so ehrlich
sein und diesem Haus sagen, wofür Sie diese Mittel einsetzen wollen. Ihren Vorschlägen fehlt jedes Konzept.
Deswegen haben wir uns bei diesem Antrag enthalten.
({1})
Das ist die Wahrheit.
({2})
- Ja, da können Sie jetzt schreien, aber davon bekommen
Sie auch kein Konzept.
({3})
Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen möchte und
bei dem wir sogar gegen das, was Sie vorgeschlagen haben, gestimmt haben und witzigerweise auch noch die
Einzigen waren, weil es da eine ganz große Koalition in
diesem Hause gab, sind die circa 30 Millionen Euro, die
Sie in jedem Jahr für die Bildungszentren des Bundesamtes, für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
vorsehen. Wir haben ausdrücklich dagegen gestimmt.
Meine Damen und Herren, die Freiwilligendienste
sind hervorragende Lern- und Bildungsangebote. Sie
zeichnen sich durch Vielfalt sowohl der Angebote - vom
sozialen Jahr über das ökologische Jahr - aus, und die
vielen Freiwilligen leisten eine gute, notwendige Arbeit
für unsere Gemeinschaft. Sie unterstützen Ältere, sie engagieren sich im Naturschutz, in der Entwicklungszusammenarbeit und vielen anderen zusätzlichen Feldern.
Auch unsere bewährten Träger leisten eine gute Arbeit. Sie zeichnen sich durch Vielfalt und Pluralität in ihrer tagtäglichen Arbeit an vielfältigen Einsatzstellen der
Bildungsarbeit aus. Ich denke, das ist ein riesiges Dankeschön wert.
({4})
Bei den jungen Freiwilligendiensten ist es selbstverständlich, dass der Freiwilligeneinsatz sowie die pädagogische und politische Bildung in einer Hand sind. Beim
Bundesfreiwilligendienst gibt es - aber das ist historisch
in der Entstehung begründet - eine Ausnahme. Hier sind
derzeit politische und pädagogische Bildung leider noch
getrennt.
Eine Übergangsphase wäre für uns völlig okay, aber,
meine Damen und Herren, Sie entwerfen kein Konzept,
wie diese staatliche Bildungsarbeit in Zukunft zusammen mit der Zivilgesellschaft gestaltet werden kann,
sondern Sie wollen ein Weiter-so, und dazu haben wir
gesagt: Das ist uns zu kurz gedacht. Wir brauchen ein
neues, modernes Konzept, deswegen stimmen wir mit
Nein.
({5})
Zudem hat der Bundesrechnungshof gezeigt, dass
dies durchaus auch wirtschaftlich infrage gestellt werden
kann. Ich finde, dass das eine grundsätzliche Frage aufwirft, nämlich welche Rolle das Subsidiaritätsprinzip
spielt, das da heißt: Wenn die Zivilgesellschaft etwas
besser machen kann als der Staat, dann soll es auch die
Zivilgesellschaft machen. Dass in diesem Bereich dagegen verstoßen wird, wundert mich übrigens auch, insbesondere im Hinblick auf die CDU/CSU-Fraktion, die gerade das Prinzip „Zivilgesellschaft vor Staat“ immer sehr
in den Vordergrund stellt.
({6})
Meine Damen und Herren, versuchen Sie deswegen
bitte, zusammen mit der Zivilgesellschaft und den freien
Trägern ein gemeinsames Konzept für eine vernünftige
Arbeit der Freiwilligendienste in Deutschland zu entwickeln, aber hören Sie auf, mit den staatlichen Angeboten
die Arbeit der freien Träger zu zerstören.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, liebe Kollegin Schulz-Asche. - Schönen Spätnachmittag von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste auf der Tribüne und liebe Damen und
Herren auf der Regierungsbank! - Nächster Redner in
der Debatte ist Sönke Rix für die SPD.
({0})
Herzlich willkommen, Frau Präsidentin! Wir haben
schon engagiert debattiert. Sie haben eine gute Debatte
erwischt, bei der Sie uns jetzt wahrscheinlich auch noch
sicher durch die letzten Minuten führen werden.
Dann kommt es jetzt auch auf Sie an.
Ich werde mir Mühe geben. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Kollegin, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Freiwilligendienste angesprochen haben. Dafür stellen wir
einen Riesenbatzen in unserem Haushalt zur Verfügung.
Diese Mittel investieren wir gerne und auch gut. Wir
sind gerne bereit, für das Freiwillige Soziale Jahr, das
Freiwillige Ökologische Jahr und den Bundesfreiwilligendienst Geld auszugeben; denn wir sind dankbar für
die jungen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft
engagieren. Herzlichen Dank an die jungen Menschen!
({0})
Ich finde es auch gut, es so zu machen, wie wir es im
Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben. Meines
Erachtens sollten wir keine großen Strukturdebatten darüber führen, ob wir einen Bundesfreiwilligendienst
brauchen oder nicht und ob die Jugendfreiwilligendienste besser sind oder nicht;
({1})
denn meist bietet ein Träger sowohl die Jugendfreiwilligendienste als auch den Bundesfreiwilligendienst an,
und die Menschen, die das -
Ich wollte Sie eigentlich ausreden lassen, um Sie dann
zu fragen, lieber Kollege Rix: Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung der Kollegin
Schulz-Asche?
({0})
Ich habe schon sehnsüchtig darauf gewartet, von meiner Rede in die Antwort überzuleiten.
Ja oder nein?
Ja.
Gut. - Bitte, Frau Schulz-Asche.
Herr Kollege, wie bewerten Sie, dass die Staatsministerin an die freien Träger geschrieben hat, es sei grundsätzlich infrage zu stellen, ob die freien Träger überhaupt
in der Lage seien, neutrale Bildungsangebote im politischen Bereich anzubieten? Das ist doch wirklich ein
Schlag ins Gesicht der vielen freien Träger, die in Freiwilligendiensten seit Jahrzehnten sehr bewährte Arbeit
auch im Bereich der politischen Bildung leisten.
Frau Kollegin, so, wie ich dieses Schreiben verstanden habe, macht sie nur deutlich, dass politische Bildung
genauso wie durch die freien Träger auch durch den
Staat erfolgen kann. Deshalb ist es auch gut und sinnvoll, dass wir die staatlichen Schulen weiterhin fördern.
({0})
Ich wollte aber Folgendes sagen: Es ist gut, dass wir
im Moment keine Strukturdebatten führen, ob das eine
besser ist als das andere; denn große Träger wie die Arbeiterwohlfahrt, die Deutsche Sportjugend und andere
Organisationen behandeln die Freiwilligen vor Ort in
den Einsatzstellen gleich. Ich halte es für sehr wichtig,
dass die jungen Menschen, die sich engagieren, auch
gleiche Rahmenbedingungen vorfinden. Daran können
wir an der einen oder anderen Stelle noch arbeiten.
Ich bin auch für eine Stärkung des Trägerprinzips.
Außerdem bin ich dafür, noch stärker dafür zu sorgen,
dass die jungen Menschen, wenn sie denn vor Ort sind,
eine bessere Anerkennungskultur vorfinden. Das können
wir aber nicht gesetzlich regeln. Da müssen wir vielmehr
moderierend einwirken. Wir sollten mit der Deutschen
Bahn und mit der GIZ noch einmal über Verbesserungen
im Bereich der Anerkennungskultur für die jungen Menschen sprechen. Insoweit sind wir, was die Freiwilligendienste angeht, auf einem sehr guten Weg.
({1})
Auch was die Mehrgenerationenhäuser angeht, sind
wir auf einem sehr guten Weg. Für die Weiterführung
gibt es nämlich genügend Konzepte, Frau Kollegin. Sie
wollen jetzt noch abwarten und das Geld nicht bereitstellen, weil nach Ihrer Ansicht keine geeigneten Konzepte
vorliegen. Das sehe ich anders. Wenn Sie tatsächlich
Mehrgenerationenhäuser besucht hätten, wüssten Sie,
dass sie das Geld dringend brauchen. Es gibt gute Konzepte, die unbedingt weitergeführt werden müssen. Dort
findet eine Teilhabe von Seniorinnen und Senioren sowie der jungen Generation statt. Daher bin ich dem
Haushaltsausschuss sehr dankbar dafür, dass er den Beschluss zur Weiterfinanzierung der Mehrgenerationenhäuser gefasst hat.
({2})
Jetzt noch zu der Kollegin Golze, die leider - ich sage
ganz bewusst: leider - nicht mehr bei uns ist: Sie ist eine
fachlich sehr kompetente Kollegin gewesen, mit der man
sich gut sachlich auseinandersetzen konnte. Ich wünsche
Frau Golze - ich glaube, ich spreche damit auch im Namen des ganzen Hauses - für ihre neue Tätigkeit viel Erfolg.
({3})
Im Rahmen ihrer neuen Tätigkeit wird sie vermutlich
auch lernen müssen, Kompromisse einzugehen und nicht
all das umsetzen zu können, was man von Anfang an in
Wahlkämpfen gefordert hat. Wir sind nämlich nicht
mehr im Wahlkampfstadium, sondern im Umsetzungsstadium. Insofern ist es verständlich, dass nicht von beiden Koalitionspartnern alles zu 100 Prozent umgesetzt
werden kann. Das ist in Brandenburg übrigens nicht anders als in Berlin.
({4})
Gerade was die Hilfe für Menschen angeht, die von
sexueller Gewalt betroffen waren, können Sie ja einmal
die Sozialministerin von Brandenburg fragen, ob das
Land Brandenburg in diesen Fonds einzahlt. Vielleicht
kann sie es, obwohl sie es will, aus gewissen Gründen
nicht. Von daher muss man sagen, dass Kompromisse
manchmal vernünftig sein können und manchmal auch
notwendig sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind froh, dass
der Koalitionsausschuss getagt hat und die Debatte zum
Thema „Frauen in Führungspositionen“ wieder auf den
Punkt zurückgebracht hat, an dem wir sie eigentlich
schon hatten. Die Quote von 30 Prozent in Aufsichtsräten von börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Betrieben wird kommen. Das steht so auch im Koalitionsvertrag. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass
das so kommen wird. Ich glaube, es ist gut, dass wir das
an dieser Stelle noch einmal sichergestellt haben.
({5})
Mein Dank gilt nicht nur der Ministerin, die dabei noch
einmal gegen Widerstand aus den eigenen Reihen der
Koalition gekämpft hat, sondern auch denjenigen, die
fraktionsübergreifend, gemeinsam mit anderen Frauen
an der Berliner Erklärung gearbeitet haben.
({6})
Es ist eine gemeinsame Grundlage, die wir hier umsetzen. Es ist sehr wichtig, dass wir wissen, dass es nicht
ein Projekt der Koalition, sondern ein Projekt für die
Frauen ist. Es ist gut, dass die Frauenquote kommt.
({7})
Wir haben hier schon viel über das Programm „Demokratie leben!“ gehört und davon, dass es bei den Mitteln ein Plus von 10 Millionen Euro gab. Wir können natürlich sagen: Am liebsten wären uns da 50 Millionen,
100 Millionen Euro oder noch mehr. Aber wir haben es
geschafft, und das auch durch intensive Arbeit des Parlamentes. Ich finde, wir als Parlament können durchaus
einmal sagen: Ein Zuwachs von 10 Millionen Euro in einem Programm, für das bis dato nur 30 Millionen Euro
vorgesehen waren, ist ein richtiger, guter und großer
Schritt. Solch eine deutliche Steigerung wünschen sich
auch andere für ihre Programme. Es ist gut, dass das
möglich geworden ist, und dafür bedanke ich mich beim
Haushaltsausschuss.
({8})
Wir setzen damit mehrere politische Versprechungen
um; denn das Erste, was wir hier nach dem NSU-Untersuchungsausschuss gemeinsam im Haus beschlossen haben, ist, dass wir auch zivilgesellschaftlich gegen Naziterror angehen wollen. Das bedeutet, dass wir diese
Programme stärken müssen. Das ist der erste Beschluss,
den wir hier gefasst haben.
Der zweite Beschluss ist, dass wir auch gemeinsam
gegen Antisemitismus vorgehen wollen. Auch das setzen wir damit um.
Das Dritte, was wir miteinander angehen wollen, sind
die neuen Herausforderungen durch den Salafismus und
durch die Hooligans auf der Straße. Ich finde es gut, dass
wir hier die Zivilgesellschaft ganz eindeutig stärken. Ich
bedanke mich für diesen Vorschlag des Haushaltsausschusses. Ich bedanke mich auch im Namen der Zivilgesellschaft. Wie wir das Geld verteilen, das bereden wir
gemeinsam mit der Zivilgesellschaft.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Rix. - Nächste Rednerin
in der Debatte: Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem
Hohen Hause habe ich meine erste Rede im April 2014
zum Familienetat des Bundeshaushaltes gehalten. Dort
habe ich gesagt: „Wir sind … nah am Ziel, … keine
neuen Schulden aufzunehmen.“ Jetzt ist es so weit. Der
Bund wird 2015 keine neuen Schulden machen. Dafür
danke ich den Haushälterinnen und Haushältern, die dies
in langen Nachtsitzungen erreicht haben. Wir möchten
unseren nachfolgenden Generationen, unseren Kindern
und Enkelkindern keine wachsenden Schuldenberge hinterlassen. Eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Politik sind solide Finanzen.
({0})
Deshalb nehmen wir seit 46 Jahren erstmals keine neuen
Kredite auf, und wir arbeiten in den nächsten Jahren an
der Tilgung.
Die Familie ist die beste Voraussetzung für eine gute
Entwicklung von Kindern. Sie prägt uns lebenslang. Unser Leitmotiv war und ist, gute Rahmenbedingungen für
Familien zu schaffen.
({1})
Deshalb investieren wir in unsere Familien. Der Etat des
Familienministeriums wächst trotz des ausgeglichenen
Haushalts um 564 Millionen Euro auf 8,5 Milliarden
Euro an. Diese wirklich guten Rahmenbedingungen sind
nicht ideologisch geprägt und bevormundend. Nach Artikel 6 des Grundgesetzes sind Pflege und Erziehung das
natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Mit unserer Familienpolitik unterstützen wir Eltern bei ihren Aufgaben. Wir schaffen unterschiedliche Angebote und lassen sie selbst entscheiden,
welche Angebote sie nutzen wollen.
({2})
Mit dem Betreuungsgeld erkennen wir die Erziehungsleistungen der Eltern an. Den Haushaltsansatz für
das Betreuungsgeld haben wir von 515 Millionen Euro
auf 900 Millionen Euro erhöht; der Bedarf ist sehr wohl
vorhanden. Der Haushaltsansatz für das Elterngeld
wurde noch einmal angehoben, und zwar um 180 Millionen Euro auf insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Viele Mütter wollen nach einer IGES-Studie von 2014 bereits
während der Elternzeit wieder zurück in ihren alten Beruf. Damit sie beim Elterngeld keine Ansprüche verlieren, haben wir das Elterngeld flexibilisiert. Laut einer
forsa-Umfrage von 2014 will jeder zweite befragte Vater
in Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit mit seinen Kindern
verbringen zu können. Das Elterngeld Plus ermöglicht es
Eltern, früher wieder in den Beruf einzusteigen. Sie können bis zu 24 Monate Elterngeld Plus erhalten. Wenn
beide Elternteile mindestens vier Monate lang gleichzeitig zwischen 25 und 30 Wochenstunden arbeiten und
sich gemeinsam um das Kind kümmern, erhalten sie vier
weitere Elterngeld-Plus-Monate, die sogenannten Partnerschaftsmonate. Wir wollen auch die Alleinerziehenden bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. Deshalb
können auch sie die vier Partnerschaftsmonate in Anspruch nehmen. Mit dem Elterngeld, dem Elterngeld
Plus mit Partnerschaftsbonus und dem Betreuungsgeld
wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert.
({3})
Diese Leistungen können flexibel genutzt und kombiniert werden. Wir schaffen Freiräume für Familien und
sichern die Familien finanziell ab.
Für Eltern, die ihre Kinder lieber in der Kita betreut
wissen wollen, unterstützen wir den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige weiter. Der Bund hat
sich bis 2014 mit mehr als 5 Milliarden Euro an den Investitions- und Betriebskosten beteiligt. Ab 2015 beteiligt er sich dauerhaft mit 845 Millionen Euro pro Jahr an
den Betriebskosten. Und wir unterstützen die Länder
weiter, obwohl der Kinderbetreuungsausbau ganz klar
eine Aufgabe der Länder ist. In den Jahren 2016 bis
2018 sind zusätzliche Mittel in Höhe von 550 Millionen
Euro für Investitionen geplant. Das sind enorme finanzielle Leistungen des Bundes.
Damit die Länder und die Kommunen ihren Aufgaben nachkommen können, erstattet der Bund seit Anfang
2014 alle Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung; das wird leider sehr schnell vergessen.
({4})
Hierfür stehen über 5 Milliarden Euro zur Verfügung.
Ab 2015 wird der Bund die Finanzierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, kurz BAföG genannt, komplett übernehmen. Das sind weitere Entlastungen für die Länder um jährlich 1,17 Milliarden Euro.
Die Länder bekommen somit zusätzliche Mittel, um den
weiteren Ausbau der Kindertagesstätten vorantreiben zu
können.
Elterngeld, Elterngeld Plus mit dem Partnerschaftsbonus, Betreuungsgeld und die staatliche und private Kinderbetreuung - so viele Wahlmöglichkeiten gab es noch
nie, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.
({5})
Wir fördern unsere Familien dabei mit Leistungen in
Höhe von 7,4 Milliarden Euro.
Die Menschen werden erfreulicherweise immer älter
und bleiben dabei länger fit und aktiv. Doch es gibt auch
Menschen, die gepflegt werden müssen. Ein großer Teil
der Pflegebedürftigen will in der vertrauten Umgebung
bleiben, und viele betroffene Familien wünschen sich,
ihre Angehörigen zu Hause versorgen zu können. Sie
brauchen unsere Unterstützung.
({6})
Wir haben für die Pflegezeit und die Familienpflegezeit Mittel in Höhe von 2,3 Millionen Euro eingestellt.
Bei einer länger andauernden Pflegesituation können
Angehörige eine Auszeit von bis zu sechs Monaten nehmen oder die Arbeitszeit reduzieren, um ein Familienmitglied zu pflegen. Das zinslose Darlehen soll den
Lohnausfall abfangen. Berufstätige werden entlastet. So
können sie schwierige Pflegesituationen flexibler meistern. Dies ist ein weiterer Schritt zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf.
({7})
Viele erwachsene Kinder wohnen aus beruflichen
oder familiären Gründen nicht mehr in der Nähe ihrer
Eltern oder Großeltern. Deshalb brauchen wir unterschiedliche Angebote. Mein Kollege Marcus Weinberg
und andere haben schon erklärt, wie wichtig uns die
Mehrgenerationenhäuser sind und dass wir sie mit
16,5 Milliarden Euro unterstützen.
({8})
- Ja, ist klar. Es sind Millionen.
In der letzten Woche konnte ich mich bei einer Veranstaltung des Mehrgenerationenhauses HELL-GA in Düsseldorf erneut persönlich von deren engagierter Arbeit
überzeugen. Das Angebot wird von allen Altersgruppen
gut angenommen. Frau Schulz-Asche, unsere Mehrgenerationenhäuser haben, bevor sie Geld aus irgendeiner
Förderung bekommen haben, sehr wohl Konzepte vorlegen müssen.
({9})
Insofern werden nur Mehrgenerationenhäuser gefördert,
die auch schlüssige Konzepte haben.
({10})
In der Heimerziehung haben viele Kinder und Jugendliche großes Leid erfahren. Wir halten unser Versprechen, ihnen zu helfen. Die Zuweisungen an den
Fonds für Opfer der Heimerziehung werden um 20 Millionen Euro auf 62,7 Millionen Euro erhöht. Damit wollen wir das erlittene Unrecht etwas lindern.
({11})
Im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik haben wir
ein Volumen von mehr als 380 Millionen Euro beschlossen. Es gibt viele kleine Positionen, die eine wichtige
und gute Arbeit für Kinder und Jugendliche beinhalten.
Es sind - das wurde mehrfach erwähnt - auch die Mittel
für die Jugendmigrationsdienste, die die Integrationspolitik der Kommunen unterstützen, um knapp 1 Million
Euro erhöht worden.
Die Mittel für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt,
Toleranz und Demokratie wurden um 10 Millionen Euro
auf jetzt 40,5 Millionen Euro erhöht. Damit wollen wir
insbesondere präventive Maßnahmen gegen Islamismus,
Salafismus und Antisemitismus stärken. Junge Frauen
und Männer werden nach Syrien oder in den Irak gelockt. Welche Gründe treiben diese jungen Menschen an,
dass sie in diese Krisengebiete gehen, um dort mit unvorstellbarer Brutalität zu töten oder selbst getötet zu
werden?
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat uns die
beängstigende Situation am Dienstag geschildert. Wir
können uns das als Staat nicht gefallen lassen und dürfen
das nicht tolerieren. Wir müssen den jungen Menschen
Perspektiven aufzeigen, Grenzen setzen und ihnen Wertschätzung für unser freiheitliches System vermitteln.
Auch fehlt ihnen ein Gefühl für den Wert ihres eigenen
Lebens und des Lebens anderer Menschen. Wir dürfen
nicht zulassen, dass sie Fanatikern auf den Leim gehen
und deren Versprechungen und Verlockungen verfallen.
({12})
In Deutschland dürfen sich keine Parallelgesellschaften
entwickeln. Wir sind eine Gesellschaft mit einer Rechtsordnung. Jeder hat unser Grundgesetz und die Gesetze
zu achten, unabhängig von Kultur und Religion.
Meine Damen und Herren, der Gesamthaushalt 2015
ist ein solider Haushalt mit wachstumsfördernden Maßnahmen und Investitionen in die Zukunft. Er setzt die
richtigen Akzente in der Familienpolitik und steht für
Kontinuität, die wir in der Familienpolitik verfolgen. Ich
möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die dazu
beigetragen haben, die Beratungen erfolgreich abzuschließen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich danke Ihnen, liebe Kollegin Pantel. - Letzter Redner in dieser Debatte: Josef Rief für die CDU/CSU, ({0})
gebürtig aus Illertissen.
({1})
- Das verstehen Sie nicht. Aber er versteht, warum ich es
sage.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Besucher auf der Plenartribüne! Es ist
heute und auch früher schon viel über die Familienpolitik geredet worden. Ein Bundeskanzler sprach von Gedöns, andere von bloßem Geldausgeben, wieder andere
von der Lufthoheit über Kinderbetten. Diese Bundesregierung macht es besser. Wir haben ein wirksames Paket
geschnürt, um die Familien wirklich zu unterstützen.
({0})
Ja, die Familien halten unsere Gesellschaft zusammen.
Sie brauchen aber Rahmenbedingungen, unter denen sie
sich entfalten können. Die Arbeit dieser Bundesregierung ist geprägt von Angeboten, die es den Familien ermöglichen, ihr Leben eigenverantwortlich zu führen
und zu gestalten. Herzlichen Dank, Frau Ministerin
Schwesig, für Ihre Arbeit.
({1})
Senioren, die ihr Erwerbsleben bereits hinter sich haben, finden Angebote, ihre in vielen Lebensjahren erworbenen Erfahrungen und Fähigkeiten auch wieder für
die Gesellschaft und für ihre eigene Familie, ihre Kinder
und Enkel, einzusetzen. So war auch die Erhöhung der
Mütterrente für die Union ein Herzensanliegen.
({2})
Eltern - insbesondere Mütter - sollen die Chance haben, Familie und Beruf bzw. ihre Weiterentwicklung und
ihre Karriere nach ihren Wünschen zu vereinen. Kinder
und Jugendliche sollen alle Unterstützung erhalten, um
eigenverantwortlich und selbstständig ein fester Teil unserer Gesellschaft zu sein.
({3})
Kinder sind unsere Zukunft. Deshalb bin ich froh und
dankbar, dass es dieser Bundesregierung endlich gelungen ist, die schwarze Null - von mir aus auch eine rote
Null oder eine grüne Null ({4})
im Bundeshaushalt zu erreichen. Ich bin froh, dass dieser
vor allen Dingen für die junge Generation wichtige
Schritt erreicht werden konnte - und dies insbesondere
ohne einen finanziellen Kahlschlag im Familienhaushalt,
den viele, auch in diesem Haus, prophezeit haben. Ich
danke allen, die dazu beigetragen haben, dass wir gemeinsam diese Kehrtwende in der Haushaltspolitik einleiten konnten.
Der Etat für die vielen wichtigen Projekte konnte sogar um über eine halbe Million Euro gesteigert werden.
Das ist ein großer Erfolg für die Familienpolitik der Großen Koalition.
({5})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal die
Mehrgenerationenhäuser nennen. Als Berichterstatter
meiner Fraktion freut es mich besonders, dass es gelungen ist, die Finanzierung für 2015 auch ohne EU-Mittel
sicherzustellen. Die Bundesmittel sind ein wichtiges
Zeichen der Wertschätzung für die vielen Mitarbeiter
und die Freiwilligen in den Mehrgenerationenhäusern,
die täglich eine hervorragende und vorbildliche Arbeit
leisten. Dafür danke ich ihnen recht herzlich.
({6})
Die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Mehrgenerationenhäusern über 2014 hinaus war lange ungewiss - zu lange; denn für die Mitarbeiter der Häuser
begann mit Blick auf laufende Miet- und Arbeitsverhältnisse eine quälende Zeit der Ungewissheit. Ich danke
deswegen den Haushältern und unserem Finanzminister
für die bereitgestellten gut 16,5 Millionen Euro.
Die Planungssicherheit bleibt für uns Familienpolitiker ein wichtiger Punkt. Der Haushaltsausschuss und das
Finanzministerium haben schon grünes Licht für eine
Verstetigung gegeben, und ich bin im Gegensatz zu den
Grünen zuversichtlich, dass das Bundesfamilienministerium die dafür notwendigen Konzepte bald vorlegen
wird. Ich würde mich nicht wundern, wenn es sie schon
hat.
Die Mehrgenerationenhäuser sind gelebtes bürgerschaftliches Engagement und eigenverantwortliches Handeln aus der Bürgerschaft heraus. Weniger staatliche
Vorgaben bewirken, dass die Mehrgenerationenhäuser so
vielfältig sind. Um nur einige Aufgaben zu nennen:
Pflege, Deutschkurse, Hilfe bei Behördengängen, Kinderbetreuung, Integration von Migranten, Lernbegleitung und Berufseinstieg. Auch der aktuellen Herausforderung der vielen Bürgerkriegsflüchtlinge stellen sich
zahlreiche Mehrgenerationenhäuser.
({7})
Was als Projekt der damaligen CDU-Familienministerin
Ursula von der Leyen begann, bereichert nun wegen des
großen Erfolges als ständige Einrichtung überall in
Deutschland unser Miteinander. An dieser Stelle sage
ich Dank für den großen Einsatz in den Mehrgenerationenhäusern und möchte insbesondere dem Stadtteilhaus
Gaisental in Biberach, meinem Wahlkreis, danken.
({8})
Weniger im öffentlichen Bewusstsein sind beispielsweise die Möglichkeiten der Familienerholung. Auch
hier sage ich Dank für fast 2 Millionen Euro für die Familienferienstätten, die dazu beitragen, dass auch den
Familien ein Urlaub ermöglicht wird, die sonst nicht verreisen können. Wir erreichen damit Motivation und Stärkung für den Familienalltag.
Lassen Sie mich auch einige kritische Worte zu der
Forderung nach Einführung eines Familienwahlrechts
sagen. Wie soll die Stimmabgabe für die Kinder erfolgen, wenn sich die Eltern untereinander nicht einig sind?
Auch können Jugendliche schon andere politische Vorstellungen als ihre eigenen Eltern haben.
({9})
Wie könnte eine geheime Wahl gewährleistet werden,
wenn sich Eltern abstimmen müssten, was sie für ihre
Kinder wählen?
Dieser Etat ist Ausdruck einer Politik, die nicht auf
staatliche Regulierung und Maßnahmen abzielt, sondern
Chancen aufzeigt. Er enthält Angebote für alle Generationen. Auch das Elterngeld Plus - das ist schon angesprochen worden - ist Ausdruck dieser Politik. Es schafft
Entscheidungsspielraum und kann für junge Eltern die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.
Ich möchte an dieser Stelle auch das Betreuungsgeld
erwähnen. Wir können heute mit Recht sagen: Das Betreuungsgeld ist eine Erfolgsgeschichte.
({10})
Es ist eine Anerkennung für Eltern, die die Erziehung
der Kinder zu Hause übernehmen, und es schafft einen
Übergang, wenn die Bezugszeit des Elterngeldes aufhört. Die Quote derjenigen, die es in Anspruch nehmen,
wächst von Quartal zu Quartal. In meiner Heimatregion
Oberschwaben beziehen über 70 Prozent der Berechtigten das Betreuungsgeld. Ich weiß auch von Eltern, die
den Grünen nahestehen und froh sind, dass sie Betreuungsgeld in Anspruch nehmen können.
({11})
Ich bin sehr froh, dass das Betreuungsgeld zum großen
Teil von Familien mit mehreren Kindern in Anspruch
genommen wird. Dies unterstreicht, wie wichtig es gewesen ist, diese echte Wahlfreiheit zu schaffen.
({12})
Wir müssen uns darüber hinaus ernsthaft fragen: Tun
wir alles, damit wir mehr junge Menschen motivieren,
statt keinem Kind ein Kind, statt einem Kind zwei Kinder und statt zwei Kindern drei oder mehr Kinder bei
verantworteter Elternschaft zu bekommen? Tun wir alles
dafür, dass wir gerade Eltern von Mehrkindfamilien
nicht zu viel zumuten? Ist uns klar, dass bei vielen Familien aufgrund der hohen Belastung durch Beruf und Familie psychische Erkrankungen zunehmen?
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen fernab
von allen Ideologien den Willen der Eltern in den Mittelpunkt stellen. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind mit dem vorliegenden Familienetat auf
einem hervorragenden Weg, um die Lebenssituation der
Familien, Senioren, Frauen und Jugend in unserem Land
zu verbessern.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Danke schön, Herr Kollege Rief. - Ich schließe damit
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist der Einzelplan 17 bei Zustimmung von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Jetzt gibt es einen kleinen Platzwechsel. In der Zwischenzeit begrüße ich den Minister. Herr Schmidt, herzlich willkommen!
Ich bitte Sie, möglichst zügig die Plätze zu wechseln.
Vizepräsidentin Claudia Roth
Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt I.16 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft
Drucksachen 18/2810, 18/2823
Berichterstattung haben die Abgeordneten Cajus
Caesar, Ulrich Freese, Roland Claus und Sven-Christian
Kindler.
Zum Einzelplan 10 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Karin Binder für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Der Haushalt
des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft umfasst knapp 5,4 Milliarden Euro. Davon sind lediglich
200 Millionen Euro für Ernährung und den gesundheitlichen Verbraucherschutz vorgesehen.
Herr Minister, Sie sind mit der Aussage angetreten,
dass Ihnen gerade das Thema Ernährung besonders
wichtig sei. Aber nach diesem Haushaltsplan 2015 kann
ich das leider nicht feststellen. Statt aktive Ernährungspolitik zu betreiben, herrscht Stillstand. Damit werden
Sie Ihrem eigenen Anspruch und Ihrer Verantwortung
als Ernährungsminister nicht gerecht.
({0})
Das möchte ich an drei Punkten verdeutlichen. Das
sind zum einen der Bereich Lebensmittelsicherheit, zum
anderen der Bereich Verbraucherinformation und zum
Dritten die Schul- und Kitaverpflegung.
Erstens. Die Lebensmittelsicherheit steht und fällt mit
einer effizienten und kontinuierlichen Lebensmittelüberwachung. Aber seit Jahren weisen Fachleute vergeblich
darauf hin, dass Tausende Lebensmittelkontrolleure fehlen. Sie warnen vergeblich, dass weltweit zusammengekaufte Rohwaren und global arbeitende Lebensmittelkonzerne nicht von kommunalen Behörden überwacht
werden können.
Frau Kollegin Binder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Kollegen von der
SPD?
Gerne.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die gesamte
Lebensmittelüberwachung Aufgabe der Kommunen
bzw. der Länder ist
({0})
und dass wir in dem Zusammenhang die Länder nicht
vollständig aus ihrer Verpflichtung entlassen können, indem wir den gesamten Aufgabenbereich zu einer Bundesaufgabe machen?
Lieber Kollege Priesmeier, selbstverständlich ist mir
bekannt, dass die Kommunen und Länder für diesen Bereich und damit auch für die Finanzierung zuständig
sind. Aber darin liegt zumindest ein Teil des Problems.
({0})
Wir haben es mit einer sehr stark veränderten Situation zu tun, in der Lebensmittel global produziert, eingekauft und weitervertrieben werden. Wie soll eine kommunale Behörde noch den Überblick bewahren?
({1})
Wir wollen den Kommunen und den Ländern die Verantwortung nicht komplett abnehmen. Aber wir wollen
einen Teil der Verantwortung beim Bund angesiedelt
wissen. Immer, wenn es um internationale Konzerne, die
globale Lebensmittelproduktion und den globalen Vertrieb von Lebensmitteln geht, braucht es eine übergeordnete Stelle und vor allem eine ausreichende Zahl von Lebensmittelkontrolleuren, die dem Ganzen gewachsen
sind.
Es braucht auf allen drei Ebenen Lebensmittelkontrolleure, die jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind. Der Bund hat sowohl der Bevölkerung als
auch der EU gegenüber eine Verantwortung.
({2})
Ja, genau diesen Punkt wollte ich sowieso anmerken:
In dieser Frage wollte ich die Verantwortung des Bundes
konkretisieren. Aber wir finden nichts dazu im Haushalt
2015.
Mein zweiter Punkt war: Verbraucherinformation
wird zum Auslaufmodell. Dazu nenne ich Ihnen zwei
Beispiele, erstens das Verbraucherportal lebensmittelklarheit.de, das sehr erfolgreich Verbrauchertäuschungen
der Lebensmittelindustrie aufdeckt. Dieses steht Ende
2015 vor dem Aus.
Das zweite Beispiel ist das sehr gut angenommene
Projekt „Gesund ins Leben“, das Mutter und Kind in der
Zeit der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr
wichtige Unterstützung bei einer ausgewogenen gesunden Ernährung liefert. Auch das steht nach 2015 auf der
Kippe.
Herr Minister, diese beiden Themen dürfen nicht Opfer der üblichen „Projektitis“ werden.
({3})
Sie müssen in Ihrem Ministerium verankert und langfristig finanziert werden.
Nun komme ich zu meinem dritten Punkt - besser:
Ausrufezeichen -: die Kita- und Schulverpflegung in
Deutschland. Vorgestern wurde von Herrn Minister
Christian Schmidt eine Studie zur Qualität des Schulessens in Deutschland vorgestellt, ein wichtiger Beitrag,
für den ich dem Ministerium ausdrücklich danken
möchte.
({4})
Die Untersuchung zeigt: Gute Schulkantinen sind in
Deutschland noch immer Mangelware. Zwar benoten
Kinder und Jugendliche, die am Essen teilnehmen, das
Angebot mit Zwei bis Drei, also befriedigend. Doch die
Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler meidet
die Schulkantine, vergibt damit also die Noten Fünf bis
Sechs, also mangelhaft oder ungenügend.
Über die Gründe, warum viele Kinder und Jugendliche das Angebot nicht nutzen, können wir spekulieren.
Ich behaupte: Nicht wenige Kinder aus armen Familien
verzichten, weil sie oder ihre Eltern nicht bei Behörden
oder Schulleitungen um Almosen betteln möchten. Sie
schämen sich dafür, und viele nehmen deshalb am
Schulessen nicht teil. Da hilft auch das Bildungs- und
Teilhabepaket nicht wirklich. Wir wissen, dass nicht einmal ein Viertel der Familien, die Anspruch darauf hätten,
tatsächlich darauf zurückgreift. Das ist ein Armutszeugnis für unser reiches Land.
({5})
Gemeinschaftsessen, das den sinnvollen Standards
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht,
kostet mehr als 1,50 Euro und ist auch für 3,50 Euro
nicht finanzierbar. Hier kommt der Antrag der Linksfraktion in die Debatte, mit dem ich gern den Haushalt
des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aufstocken möchte. Die Linke fordert die Bundesregierung
auf, eine hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung sicherzustellen.
({6})
Deshalb sollen in diesen Bundeshaushalt 1,8 Milliarden
Euro für lernstarke Mahlzeiten ab Beginn des Schuljahres 2015/2016 eingeplant werden. Für die Folgejahre
sind dann jeweils 4,4 Milliarden Euro im Haushalt des
jeweiligen Jahres vorzusehen.
Der Bund hat gegenüber allen Kindern eine soziale
Fürsorgepflicht und ist für die gesundheitliche Vorsorge
verantwortlich. Wer glaubt, die Bundesregierung könne
sich hier aus der finanziellen Verantwortung stehlen, der
irrt. Wer will, dass alle Kinder gleichermaßen gesund
aufwachsen, sich entwickeln und ihre Bildungschancen
überhaupt nutzen können, der muss für diese flächendeckende beitragsfreie Verpflegung eintreten. Sie ist unverzichtbar.
({7})
Die Teilnahme am Gemeinschaftsessen darf nicht am
zu kleinen Geldbeutel von Familien scheitern. Die Almosen des Bildungs- und Teilhabepakets reichen nicht
für eine gute und abwechslungsreiche Schulverpflegung,
insbesondere dann nicht, wenn verbindliche Qualitätsstandards für die Verpflegung festgeschrieben werden
sollen, was der Minister erfreulicherweise auch schon
angekündigt hat und was ich sehr begrüße. Dass dies
hochgesteckte Ziele sind, ist uns klar. Aber gerade deshalb müssen auch die Vernetzungsstellen für die Kitaund Schulverpflegung dauerhaft finanziell gesichert
werden. Sie sind personell aufzustocken und ihre Angebote flächendeckend auszubauen. Die Schulen brauchen
diese Beratung und diese Hilfestellungen. Die Schulleitungen dürfen mit der Umsetzung nicht alleingelassen
werden.
Noch eines. Ich denke, das Thema Mehrwertsteuer -
Denken Sie auch an Ihre Redezeit!
Ich komme zum Ende. - Herr Bundesfinanzminister
Schäuble, warum Schulessen im Gegensatz zum Futter
für Hund, Katze, Maus noch immer mit 19 Prozent besteuert wird, ist mir ein Rätsel; vielleicht können Sie es
mir erklären. Wir jedenfalls möchten das gern ändern.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Binder. - Nächster Redner in der Debatte: Cajus Caesar für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein besonderer Dank gilt unserem Minister Christian
Schmidt und dem Haushaltsbeauftragten Ulrich
Kuhlmann für die gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium. Hier ist schon mit dem Entwurf einiges auf den
Weg gebracht worden. Herzlichen Dank! Mein Dank gilt
natürlich auch den Mitberichterstattern Ulrich Freese,
Sven Kindler und Roland Claus. Es war eine sehr effektive Arbeit. Wir haben uns sehr gut austauschen können
und im Sinne der Sache gearbeitet.
Wir können auf den Haushalt 2015 stolz sein. Insgesamt wird nicht mehr ausgegeben, als eingenommen
wird. Das ist eine Regel, die jeder von uns auch privat
einhalten muss. Wir haben es geschafft. Darauf können
wir stolz sein.
({0})
Wir als Union und als Koalition stehen für eine moderne Landwirtschaft. Das heißt, dass es Einkommen
und Arbeitsplätze sowie Bewirtschaftung und Pflege von
Kulturfläche im ländlichen Raum gibt. Dazu gehört auch
der Naturschutz. Deshalb Dank an unsere Landwirte!
({1})
Es ist richtig, dass wir mit dem Bundesprogramm
„Ländliche Entwicklung“, das mit zusätzlich 10 Millionen Euro das Leben auf dem Land attraktiver machen
soll, Maßstäbe setzen. Wir wollen Projekte. Wir wollen
die Bürger vor Ort mitnehmen. Ein Beispiel: In meiner
Gemeinde Kalletal im Kreis Lippe finden bereits Demografieforen und Ländliche-Raum-Foren statt. Wir wollen
als Bundesregierung die Anliegen der Bürger aufnehmen
und ihre Ideen weiterentwickeln. Wir wollen die Bürger
bei der Entwicklung des ländlichen Raums nicht im
Stich lassen. Nein, wir sind an ihrer Seite.
({2})
Dass die Vorhaben auch personell untermauert werden müssen, ist uns klar. Obwohl im Bundeshaushalt insgesamt weniger Stellen vorgesehen sind, ist es gelungen,
im Rahmen des Haushalts für Ernährung und Landwirtschaft mehr Stellen zu schaffen. Wir haben Akzente zugunsten des ländlichen Raums und des Tierwohls, aber
auch insbesondere zugunsten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gesetzt. Das
sind wesentliche Akzente. Wir wollen bei Krisen rasch
reagieren können, insbesondere im Bereich der Lebensmittelsicherheit. Wir wollen außerdem im Bereich der
Tierarzneimittel gut aufgestellt sein. 2015 werden
67 neue Stellen beim Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit geschaffen. Das ist eine
Leistung, das sind Akzente in den richtigen Bereichen.
Damit können wir uns sehen lassen. Der Weg dieser Koalition ist richtig.
({3})
Wir gehen neue Wege im Bereich des Hochwasserschutzes. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe haben
wir uns bislang schon sehr stark beim allgemeinen
Hochwasserschutz mit rund 100 Millionen Euro engagiert, genauso wie beim Küstenschutz. Als ich vor einigen Wochen in Norddeutschland war, habe ich gesehen,
wie effektiv und sinnvoll diese Mittel eingesetzt werden.
Aber wir wollen in diesem Haushalt einen besonderen
Akzent auf den präventiven, den vorbeugenden Hochwasserschutz setzen. Deshalb haben wir einen Maßgabebeschluss gefasst, der festlegt, dass wir uns insbesondere
im ländlichen Raum für den präventiven Hochwasserschutz starkmachen. Das ist ein Zeichen. Dieser neue
Weg ist richtig.
({4})
Wir wollen diesen Weg zunächst einmal mit einem
Neuansatz von immerhin 20 Millionen Euro gehen. Man
kann sagen: „Das reicht hinten und vorne nicht“, aber
vor dem Hintergrund, dass wir zuerst einmal starten
müssen - das habe ich mir von all denjenigen sagen lassen, die sich bei der Erarbeitung des Sonderprogramms
damit beschäftigt haben -, ist das richtig. 20 Millionen
Euro werden wir im Jahr 2015 effektiv einsetzen können. Wir werden den Landwirtschaftshaushalt in den
nächsten Jahren so aufstellen, dass wir diese Aufgabe
sinnvoll und effektiv bewältigen können. Da können Sie
von der Opposition sicher sein. Auch hier ist die Koalition gemeinsam auf dem richtigen Weg.
Wir wollen, dass im Rahmen des Hochwassersonderprogramms sich Bund und Länder in der Gemeinschaftsaufgabe abstimmen und dass unter der Federführung unseres Ministeriums die Dinge vorangebracht werden.
Wir wollen keine Rekordpegelstände mehr, wir wollen,
dass Flutwellen nicht mehr in dieser Höhe auftreten, und
wir wollen insbesondere erreichen, dass die Schäden, die
an Häusern, an landwirtschaftlichen Flächen, aber auch
an der Infrastruktur insgesamt entstehen, nicht mehr so
groß sind wie bisher.
Sie erinnern sich an das Hochwasser 2013. Die Bundesregierung hat für den Flutopferhilfefonds 8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Es werden ungefähr
6,5 Milliarden Euro verausgabt werden. Wir wollen das
Geld in Zukunft präventiv sinnvoll einsetzen, um solche
Schäden zu vermeiden. Deshalb ist unser Ansatz, an der
Donau, an der Elbe, an der Oder, am Rhein und an der
Weser entsprechende Maßnahmen länderübergreifend
durchzuführen. Wir müssen natürlich an den Oberläufen
ansetzen, damit die Maßnahmen greifen.
Dafür müssen Flächen in Anspruch genommen werden, Flächen, die vielleicht derzeit nicht landwirtschaftlich genutzt werden. Aber wenn wir Flächen in Anspruch nehmen, die bewirtschaftet werden, dann wollen
wir dafür sorgen, dass sie auch zukünftig bewirtschaftet
werden können. Das ist uns wichtig. Wir brauchen Lebens- und Nahrungsmittel. Insofern muss dafür gesorgt
werden, dass diese Flächen der Bewirtschaftung nicht
entzogen werden und dass diejenigen, die sie für Überflutung oder zum Aufstauen zur Verfügung stellen, entschädigt werden. Das ist uns wichtig.
({5})
Was die konkrete Umsetzung betrifft, ist es uns wichtig, dass es eine Länderbeteiligung gibt. Deshalb sind die
Mittel im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe angesetzt.
Bisher haben wir beim Hochwasserschutz eine 60/40Regelung, beim Küstenschutz eine 70/30-Regelung. Wir
gehen davon aus - das besagt auch unser Maßgabebeschluss -, dass sich die Länder bei diesen Maßnahmen
entsprechend beteiligen. Der Bund hat hier grünes Licht
gegeben, und es kann jetzt vorangehen.
Das bedeutet aber auch, dass wir insbesondere die
Bürger mitnehmen wollen, dass wir Bebauung schützen
wollen, dass wir selbstverständlich auch die landwirtschaftlichen Flächen schützen wollen, dass wir verhindern wollen, dass wertvoller Boden verloren geht, und
dass wir damit insgesamt Ökologie und Ökonomie in besonderer Weise sinnvoll miteinander vernetzen wollen.
Damit wollen wir auch auf Klimaveränderungen reagieren.
Aber seien wir ehrlich: Viele Schäden sind eingetreten, weil zu nahe an den Flussläufen gebaut wurde. Wir
müssen beim Planungsrecht die Kommunen mit in die
Verantwortung nehmen, sodass wir in Zukunft gemeinsam mit ihnen, den Ländern, den Bürgern und den Landwirten geeignete Maßnahmen angehen. Wenn wir das in
dieser Form gemeinsam tun, dann sind wir auch auf dem
richtigen Weg.
Jedenfalls uns als Union, uns als Koalition war der
präventive Hochwasserschutz ein besonderes Anliegen.
Deshalb haben wir das eingebracht. Wir müssen davon
ausgehen, dass wir die Mittel in den nächsten Jahren
noch deutlich erhöhen müssen. Es gibt ganz klare Vorstellungen davon, welche Maßnahmen länderübergreifend stattfinden sollen, welche Maßnahmen ganz konkret an welchen Wasserläufen stattfinden sollen.
Ich denke, diese Bundesregierung zeigt an dieser
Stelle, dass sie für die dort Wirtschaftenden, für die dort
Wohnenden und für all diejenigen, die für die Natur eintreten, den richtigen Rahmen setzt.
Deshalb ist diese Union, ist diese Koalition auf dem
richtigen Weg.
Herzlichen Dank. Alles Gute!
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Caesar. - Nächster Redner
in der Debatte: Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben große Herausforderungen; wir haben große Probleme in der Landwirtschaft. Um nur einige zu nennen: Wir haben das Höfesterben. Wir haben
immer neue Lebensmittelskandale. Wir haben Monokulturen. Wir haben die Klimaverschmutzung. Wir haben
Quälerei in der Massentierhaltung. Wir haben Gensoja
im Futter.
Mit diesem Haushalt werden diese Probleme fortgeschrieben, muss man leider sagen. Es gibt keine Wende,
keine Antwort und keine Reaktion darauf. Dieser Haushalt ist gegen die Interessen der bäuerlich-ökologischen
Landwirtschaft gerichtet.
({0})
Herr Minister Schmidt, Sie sind jetzt knapp ein Jahr
im Amt; Sie sind knapp ein Jahr Landwirtschaftsminister. Zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie selbst
nicht geglaubt, dass Sie Landwirtschaftsminister werden. Die Frage ist, was Sie in diesem einen Jahr gemacht
haben.
({1})
Wir wissen jetzt: Sie haben die Gentechniklobby in
Brüssel unterstützt. Und wir wissen auch: Sie essen jeden Tag einen Apfel, und das soll auch Herrn Putin schaden.
({2})
Was war sonst? Sonst sind Sie abgetaucht. Nichts! Wo
waren die großen Gesetzesvorhaben? Welche Gesetzgebungsprozesse haben Sie vorangebracht? Wo war ein
neuer Anlauf für ein echtes Tierschutzgesetz? Wo war
eine Regelung zur Hofabgabeklausel? Wo ist die Erhöhung der GAK-Mittel? Da ist nichts, gar nichts bei Ihnen
als Minister. Als Agrarminister sollten Sie aber wissen,
Sie müssen auch arbeiten. Wer die Felder nicht bestellt,
der kann nachher auch nicht ernten.
({3})
Herr Minister, es hat einen Grund, dass Sie im Kern
eigentlich nur die Verwaltung des Status quo machen.
Sie wollen nämlich nicht arbeiten; Sie trauen sich nicht
an Strukturen ran, weil Sie nicht den Mut haben, sich mit
mächtigen Interessen anzulegen, nämlich mit der Agrarindustrie und der Agrarlobby. Hierfür braucht man Mut
und auch Biss, wenn man da was durchsetzen will. Ich
finde, es muss endlich Schluss damit sein, dass die CSUAgrarminister Minister der Großkonzerne sind. Wir brauchen endlich eine Agrarwende in Deutschland.
({4})
Aber nicht nur in Deutschland hat Ihre Agrarpolitik
verheerende Folgen. Das sehen wir leider auch weltweit.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der
Vereinten Nationen, die FAO, sagt ganz klar: Kleine und
familiäre bäuerliche Betriebe sind der zentrale Baustein
im Kampf gegen Hunger in Schwellen- und Entwicklungsländern.
Was macht nun die Bundesregierung an dieser Stelle
in diesem Etat? Sie fördern weiter Agrarexporte; Sie fördern weiter die Fleischindustrie. Sie fördern Lobbybüros
zum Beispiel in China. In diesem Jahr haben Sie die
German Meat GmbH in Peking eingerichtet. Sie haben
ein Reisebüro im Ministerium, um Reisen zur Förderung
von Agrarexporten zu finanzieren. Mit Steuergeldern
fördern Sie Reisen von Fleischunternehmen nach Ghana,
zur Elfenbeinküste, nach Thailand und nach Mexiko, um
so hochsubventionierte Billigfleischexporte in lokale
Märkte hineinzudrängen. Mit Dumpingkonkurrenz machen Sie lokale Bauern platt und treiben auch diese Bauern in die Abhängigkeit von der Fleischindustrie. Somit
treiben Sie dort den Hunger voran.
Ich finde, ehrlich gesagt: Das ist skandalös. Diese
Agrarexporte müssen endlich gestoppt werden.
({5})
Aber nicht nur weltweit, sondern auch hier in
Deutschland brauchen wir einen Paradigmenwechsel in
der Landwirtschaft. Es kann nicht sein, dass jeden Tag
20 bäuerliche Betriebe in Deutschland dichtmachen
müssen. In Deutschland gibt es ein massives Höfesterben. Seit 2005, seit Angela Merkel regiert, sind 27 Prozent der Betriebe dichtgemacht worden.
Das hat leider auch damit zu tun, dass die Regierung
Merkel vor allen Dingen auf Masse statt auf Klasse setzt,
auf Großbetriebe statt auf kleinere und mittlere Unternehmen. Nachher zahlen eben die kleinen und mittleren
Unternehmen und ihre Arbeitnehmer, die ihre Jobs verlieren, die Zeche für diese Agrarlobbypolitik. Ich sage
Ihnen: Der Trend des Höfesterbens muss endlich gestoppt werden. Wir brauchen Bauernhöfe statt Agrarfabriken.
({6})
Dafür haben wir heute einen Änderungsantrag vorgelegt. Wir wollen, dass die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um 200 Millionen Euro erhöht werden;
kurz: Die GAK-Mittel müssen erhöht werden. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir einen Aktionsplan für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft erarbeiten,
um den Strukturwandel zu gestalten, um tiergerechte
Haltungsverfahren zu entwickeln - auch für den Klimaschutz und für gute bäuerliche Chancen im ländlichen
Raum. Die Agrarministerkonferenz hat das letztes Jahr
einstimmig gefordert, Agrarminister aus allen Parteien
und aus allen Ländern. Deswegen fordere ich Sie als Koalition auf - Agrarminister gehören auch Ihren Parteien
an -: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie nachher
unserem Änderungsantrag auf Erhöhung der GAK-Mittel zu!
({7})
Wir Grüne wollen auch, dass endlich Ernst gemacht
wird mit dem Tierschutz. Jetzt haben Sie, Herr Minister
Schmidt, eine PR-Kampagne angekündigt, die sogenannte Tierwohl-Initiative. Leider ist diese Initiative nur
ein billiges Feigenblatt. Das erkennt man, wenn man es
sich ernsthaft anschaut. Sie wollen zwei Jahre in einem
sogenannten Kompetenzkreis reden, sprich: viel Zeit
verschenken und nachher nichts machen. Sie haben gesagt, Sie setzen auf „verbindliche Freiwilligkeit“. Herr
Minister, ich zitiere Sie - „verbindliche Freiwilligkeit“,
ich frage mich, was das sein soll. Ich meine, entweder ist
etwas verbindlich oder es ist freiwillig. Das ist so wie organisiertes Chaos; das ist wie ein veganer Schlachthof.
Das ist ein Widerspruch in sich. Das passt einfach nicht
zusammen.
({8})
Herr Minister, glauben Sie im Ernst, dass große
Fleischkonzerne wie Wiesenhof oder Rothkötter freiwillig Tiere besser behandeln? Glauben Sie wirklich, dass
diese Konzerne freiwillig auf ihre Profitinteressen verzichten werden? Ich meine, das ist doch komplett weltfremd.
Wir Grüne wollen, dass jetzt endlich Ernst gemacht
wird mit dem Tierschutz. Die Zeiten, wo man freiwillig
der Tierquälerei zugeschaut hat, sind jetzt vorbei. Wir
wollen klare und harte gesetzliche Standards. Die Lösungen liegen auf dem Tisch. Die Probleme sind bekannt. Wir brauchen endlich ein echtes Tierschutzgesetz.
({9})
Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für anerkannte
Tierschutzverbände. Das Enthornen von Rindern, das
Abschneiden von Ringelschwänzen bei Schweinen und
das Kupieren von Schnäbeln bei Geflügel müssen endlich beendet werden. Die Tiere in den Ställen brauchen
genug Platz, Auslauf und Beschäftigung. Wir sagen klar:
Die Ställe müssen sich den Bedürfnissen der Tiere anpassen und nicht umgekehrt.
({10})
Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte.
Ja, Frau Präsidentin.
Die grünen Landwirtschaftsminister in den Ländern
machen vor, wie es geht,
({0})
wie man die Agrarwende Schritt für Schritt mit den Bauern, mit den Verbrauchern gestalten kann. Das brauchen
wir auch im Bund.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Kollege Kindler. - Nächster Redner in
der Debatte: Ulrich Freese für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kehren
wir von einer Parteitagsrede zurück in die Niederungen
des Bundestages.
({0})
Wir beschäftigen uns mit dem Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ich will
zu Beginn meinen Mitstreitern Cajus Caesar, auch Ihnen, Herr Kindler - im Ausschuss arbeiten Sie ganz anders; da halten Sie keine Parteitagsreden -, und Herrn
Claus für die konstruktive Zusammenarbeit recht herzlich danken. Natürlich gebührt Dank auch dem Minister
als dem Hausherrn. Aber hinter dem Minister stehen in
diesem Fall Herren, die sehr intensiv und konstruktiv mit
uns zusammenarbeiten. Deshalb sind Herr Hahn, Herr
Kuhlmann und Herr Wulff in diesen Dank einzubeziehen.
Wir Sozialdemokraten haben uns nicht zu beklagen;
die Zusammenarbeit ist gut. Offenheit und Transparenz,
die wir für notwendig erachten, wachsen. Alle Anfragen
werden so beantwortet, alle Informationen werden so gegeben, dass wir immer besser verstehen, was hinter diesem Haushalt steckt und wie mit diesem Haushalt im
Sinne einer ökologischen, zukunftsorientierten Landwirtschaft in Deutschland gearbeitet werden kann.
Die Aufstellung des Haushaltes 2015 verfolgt das
große Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt, also einen
Haushalt ohne Schulden, auf den Weg zu bringen. Es
waren die Sozialdemokraten, die mit Finanzminister
Möller den letzten ausgeglichenen Haushalt auf den Weg
gebracht haben.
({1})
Wir Sozialdemokraten sind jetzt wieder daran beteiligt,
dass es einen ausgeglichenen Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland gibt.
({2})
- Lesen Sie nach! Herr Strauß hatte noch eine Schuldenaufnahme eingeplant. Möller hat keinen Schuldenhaushalt mehr abgeliefert. Das ist die ganze Wahrheit.
Wir können mit diesem Haushalt, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr wohl Politik machen, Politik im Sinne der aufgeworfenen Fragen.
Wer sich diese Haushaltsstruktur anschaut, stellt fest:
3,6 Milliarden Euro gehen in die Altersvorsorge, in die
Krankenversicherung und in die Unfallversicherung.
Von dem Rest - 1,8 Milliarden Euro - geben wir mehr
als 500 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung
aus. Die Institute - sie sind allen bekannt - will ich noch
einmal in Erinnerung rufen:
Im Julius-Kühn-Institut, das sich mit Pflanzen und zukünftig intensiver mit Bienenforschung beschäftigen
wird, weil wir dort eine entsprechende Stelle angesiedelt
haben, arbeiten 765 Personen; der Haushalt umfasst rund
85 Millionen Euro.
Im Friedrich-Loeffler-Institut, das sich mit Tierschutz
und Tiergesundheit, mit dem Verhältnis zwischen
Mensch und Tier, mit der Übertragung von Krankheiten
beschäftigt und Tierseuchen verhindert, arbeiten
630 Personen; der Haushalt umfasst 97 Millionen Euro.
Im Max-Rubner-Institut, bei dem es um gesundheitlichen Verbraucherschutz im Ernährungsbereich geht
- das ist ja reklamiert worden -, arbeiten 475 Personen;
der Haushalt umfasst 51 Millionen Euro.
Im Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut - es geht
um ländliche Räume, um Wald und Fischerei - arbeiten
605 Personen; der Haushalt umfasst 70,6 Millionen
Euro.
Im Bundesinstitut für Risikobewertung, das natürlich
etwas mit Lebensmittelsicherheit zu tun hat, arbeiten
570 Personen; der Haushalt umfasst 86,5 Millionen
Euro.
Dazu kann ich, was gerade Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit angeht, noch das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nennen
mit einem Aufwuchs auf 450 Stellen und einem Haushalt von 37 Millionen Euro.
Angesichts dessen kann niemand behaupten, dass das
Bild des ökologischen, gesunden, vernünftigen Landwirtschaftsbetriebs in dieser Politik keine Rolle spielt.
Die Zahlen - die Bürgerinnen und Bürger draußen registrieren das - sprechen eine ganz andere Sprache, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Natürlich sind nicht alle Wünsche erfüllbar gewesen
- das ist klar, wenn man die Restriktionen des Haushalts
sieht -, aber dennoch: Das, worum wir Sozialdemokraten im Haushalt 2014 gerungen haben - Cajus Caesar hat
darauf verwiesen -, wird im Haushalt 2015 Realität. Wir
haben den Maßgabebeschluss zum Hochwasserschutz
durchgesetzt, weil wir wussten: Nur wenn wir 2014 beginnen, werden wir 2015 Geld haben. Die 20 Millionen
Euro - das muss man sehen - werden um Länderanteile
angereichert. Wir, Cajus Caesar und ich, haben gemeinschaftlich auch schon angemahnt, dass im Haushalt 2016
- das ist die Erwartung an die Bundesregierung - ein höherer Betrag, möglicherweise aus dem Investitionsprogramm, in den Haushalt eingestellt wird, damit die anvisierten 100 Millionen Euro sehr schnell erreicht werden.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bäuerinnen und
Bauern - es geht um rund 630 000 Beschäftigte in
237 000 landwirtschaftlichen Betrieben - schulden wir
Dank. Aber verbaler Dank, Dank allein mit Worten
reicht nicht. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben,
die Rentenversorgung, die mit der Hofabgabeklausel zusammenhängt, zu modifizieren. Das steht im Koalitionsvertrag. Darauf werden wir hinarbeiten.
({5})
Ich gehe davon aus, Herr Minister und meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass wir uns
gegenseitig ernst nehmen. „Gegenseitig ernst nehmen“
heißt in diesem Fall, im ersten Halbjahr 2015 den
Rechtsrahmen zu regeln, damit Bauern und Bäuerinnen
ihren Hof nicht abgeben müssen und weiterarbeiten können.
Ich habe gestern mit Interesse auf Spiegel Online gelesen: „Junge Unionsabgeordnete machen Druck bei
Flexi-Rente“. Da wird zur Begründung Jana Schimke zitiert:
„Immer mehr Menschen wollen heute länger arbeiten … Dies zu tun ist keine Strafe, sondern entspringt dem Wunsch, Wissen und Erfahrung weiterzugeben, aktiv zu bleiben und am Arbeitsleben
weiter teilzuhaben.“ Verbesserte Rahmenbedingungen würden dazu beitragen, „dass sich längeres Arbeiten auch lohnt“.
Wenn wir uns ernst nehmen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dann lasst uns nach Weihnachten, im neuen Jahr, endlich
im Rahmen der vorgegebenen Linien - die Idee des
Ministers, unsere Überlegungen - einen Kompromiss für
die Bäuerinnen und Bauern im Alter von 64, 65 oder
66 Jahren auf den Weg bringen, die zum Teil darauf warten, endlich auch bei Weiterbetrieb ihres Betriebes eine
Rente zu erhalten, also mit einem Teil ihrer eingezahlten
Beiträge aus der Armut herauszukommen. Das sind wir
ihnen schuldig.
({6})
Ich freue mich auf eine solidarisch geführte Diskussion.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Freese. - Nächster Redner
in der Debatte ist der Bundesminister Christian Schmidt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 5,3 Milliarden Euro werden im Haushalt des
BMEL, des Landwirtschaftsministeriums, zur Verfügung
stehen. Wir haben damit zu haushalten. Dieser Etat ist
damit im Hinblick auf die Anforderungen der Agrarpolitik, der Politik für ländliche Entwicklung einschließlich
des Hochwasserschutzes, der Ernährungspolitik und der
Waldpolitik sowie im Hinblick auf internationale Anforderungen gut aufgestellt.
Die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses
hat ein gutes Ergebnis hervorgebracht. Lieber Kollege
Freese, lieber Cajus Caesar, lieber Kollege Kindler, lieber Kollege Claus, Ihnen allen miteinander herzlichen
Dank dafür, dass wir mit 20 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasserschutz, wie der Kollege Freese
sagte, einen Einstieg geschafft und die Gemeinschaftsaufgabe gestärkt haben.
({0})
20 Millionen Euro für vorbeugenden Hochwasserschutz da waren sich mein Haus, das Umweltministerium und
das Finanzministerium einig. Wir werden als Bund die
Länder unterstützen. Mein Haus wird einen wichtigen
Beitrag leisten. Ich danke dem Deutschen Bundestag davon ausgehend, dass es vielleicht Zustimmung findet,
dass wir diese Gelder in Umsetzung des Maßgabebeschlusses erhalten haben.
Ich danke Ihnen auch dafür, dass wir Investitionen in
die Entwicklung ländlicher Räume tätigen können. Wir
haben das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung mit
10 Millionen Euro ausgestattet; das ist ein Anfang. Das
Bundesprogramm bündelt Modell- und Demonstrationsvorhaben, Wettbewerbe, Initiativen. Hier will ich eine
Ideenwerkstatt entstehen lassen. Sie verarbeitet das, was
in der Fläche erfolgreich erprobt wird. Wir stellen die
Ressourcen bereit, damit mein Haus künftig der zentrale
Ansprechpartner für Fragen der ländlichen Entwicklung
sein kann. Die Bundesregierung hat hier eine Staatssekretärsrunde eingerichtet - unter Führung meines Hauses -, um sich bei den infrastrukturellen und strukturellen Aspekten dieser landwirtschaftlichen und ländlichen
Themen abzustimmen.
({1})
Die zusätzlichen 10 Millionen Euro, die in den beiden
anstehenden Haushaltsjahren jeweils zur Verfügung stehen, machen Fortschritte möglich, zunächst viele kleine
Fortschritte vor Ort, später aber eine Bewegung zum
Besseren in der großen Fläche. Ich habe natürlich vernommen, dass die Bereitstellung von 10 Millionen Euro
für das Programm als ein Einstieg verstanden wird.
Man tut sich natürlich immer schwer, Oppositionsanträge, in denen noch mehr Geld für den eigenen Etat gefordert wird, von vornherein zurückzuweisen. Das ist für
uns ein Merkzettel. Ich danke den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD für den Merkzettel, den sie uns eigentlich mit der Bereitstellung von 10 Millionen Euro
mitgegeben haben. Natürlich wird die ländliche Entwicklung im Hinblick auf die demografische Struktur in
unserem Lande und auf manche strukturelle Fragen bei
zukünftigen politischen Aktivitäten einen noch höheren
Stellenwert bekommen.
Wir wollen die Arbeitsplätze und die Versorgung im
Alter sichern. Das gehört genauso dazu. Deswegen bin
ich mit Kollegen Gröhe auch im Gespräch, beispielsweise über die ländliche ärztliche Versorgung. Es gibt
weitere Maßnahmen, die wir - gemeinsam mit anderen
Ressorts - mit diesen zusätzlichen 10 Millionen Euro sozusagen andenken wollen.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas über
die Gemeinschaftsaufgabe sagen. Wir befinden uns gerade in einer Diskussion über die Neuordnung der BundLänder-Finanzbeziehungen. Die Gemeinschaftsaufgabe,
die nicht immer nur Zustimmung erfahren hat, hat sich
als gemeinsames Bund-Länder-Finanzierungsinstrument bewährt und sollte ausgebaut werden. Sie wurde
von Franz Josef Strauß gemeinsam mit Karl Schiller entwickelt und eingeführt.
({2})
- Der Franz Josef Strauß hat das immer gut im Griff gehabt. Er war ja nicht dumm.
({3})
Er hat etwas auf den Weg gebracht, das sich bewährt hat.
Deswegen bin ich überzeugt davon, dass wir den Ausbau
dieses Instruments weiter verfolgen können.
Mein Ministerium ist ein forschungsstarkes Ministerium. Wir werden auch im nächsten Jahr das eine oder
andere an Überschneidungen bzw. Verknüpfungen haben. Es werden neue Forderungen aus der Forschung
kommen, und wir werden die entsprechenden Schwerpunkte setzen.
Danke noch einmal für den Hinweis auf unsere leistungsfähigen Institute. 310 Millionen Euro sind im
Haushalt für die Forschungsinstitute vorgesehen. Damit
sind wir auf dem Weg vom Acker zum Teller tatsächlich
Impulsgeber für eine Wertschöpfung, die sich an den
Kriterien von Nachhaltigkeit und Tierwohl messen lassen muss.
Wir tragen den Ansprüchen der Verbraucherinnen und
Verbraucher Rechnung. Ich kann vorsorglich sagen - da
muss ich Sie enttäuschen, lieber Kollege Kindler -: Das
sind nicht nur Ankündigungen. Der Kompetenzkreis tagt
sehr intensiv und diskutiert durchaus kontrovers; das soll
auch so sein.
({4})
Aber ich möchte, dass wir das Thema Tierwohl gemeinsam weiterentwickeln.
Ich darf meinen Dank an die freiwillig Tätigen in diesem Kompetenzkreis unter Leitung von Gert Lindemann
richten. Ich denke, dass uns die Zwischenergebnisse in
den nächsten Wochen vorliegen werden. Was mir berichtet wurde, hört sich alles sehr gut an.
({5})
Die wissenschaftliche Erkenntnis ist wichtig. Wir haben gerade jetzt bei der sich aktuell abzeichnenden und
Gott sei Dank nicht in aller Schärfe aufgetretenen Geflügelpest gesehen, dass sich das Ineinandergreifen der Aktivitäten von Bund und Ländern bei der Bekämpfung bewährt. Das ist nach den bereits gemachten Erfahrungen
sogar besser geworden. Ich kann nicht mehr zählen, wie
oft ich in den letzten Tagen mit Till Backhaus telefoniert
habe bzw. unsere Leute sich abgestimmt haben. Dass es
gelingt, dass durch aktives Monitoring Wildvögel abgeschossen, in Rostock in der Landesuntersuchung überprüft und dass sie dann, wenn dort nicht mehr weiter getestet werden kann, zum FLI auf die Insel Riems
gebracht werden, zeigt doch, dass das System funktioniert. Da ich jemand bin, der versucht, eine Gefahr proaktiv zu bekämpfen - ich warte nicht, bis der Risikofall
eingetreten ist -, bin ich sehr dankbar, dass wir dies
nachweisen können.
({6})
Wir dürfen gerade bei der Tiergesundheit nicht nachlassen. H5N8 ist ein neuer Virustyp, der wohl aus Korea
stammt und jetzt nach Deutschland gelangt ist. Ich habe
mit meiner niederländischen Kollegin und auch mit meiner Kollegin aus dem Vereinigten Königreich vereinbart,
dass wir bei der Ursachensuche und auch bei der Bekämpfung gemeinsam vorgehen. Ich würde mir wünschen, dass sich auch die Europäische Kommission frühzeitig in solche Fragen einbringt, das heißt unter
anderem, das Monitoring der Wildvögel zu unterstützen.
Dabei geht es nicht um Beträge, die den europäischen
oder unseren Haushalt umwerfen, sondern um die Erkenntnis, dass wir in Risikogebieten gemeinsam handeln
müssen und gemeinsam Verantwortung tragen.
Ich darf diesen Fall auch zum Anlass nehmen, über
Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit insgesamt zu
sprechen. Da müssen einige Äußerungen korrigiert werden. Gott sei Dank leben wir in einer Zeit, in der die Lebensmittel so sicher sind wie noch nie.
({7})
Eine Skandalisierung nützt niemandem. Mit Blick auf
jene, die versuchen, in ihren bäuerlichen Betrieben die
landwirtschaftliche Erzeugung möglichst nah an nicht
immer ganz realistischen Vorstellungen auszurichten,
sage ich: Wir werden den Ökolandbau gemeinsam unterstützen. Ich bin allerdings nicht bereit, das eine gegen
das andere auszuspielen. Nahrungsmittelversorgung
kann nur in den Gunstregionen funktionieren, wenn alle
miteinander arbeiten: die konventionelle Landwirtschaft,
die ökologische Landwirtschaft und auch jene, die dazwischenliegen.
({8})
Papst Franziskus hat auf der Welternährungskonferenz der FAO in der letzten Woche gesagt:
Gott kann verzeihen. Menschen verzeihen manchmal. Die Erde verzeiht nicht.
Was heißt das? Das heißt, dass wir das Prinzip der Nachhaltigkeit natürlich beachten müssen. Er hat aber auch
den Appell an uns gerichtet, die Erde zu nutzen; und im
Jahr 2050 9 Milliarden Menschen zu ernähren, ist eine
Aufgabe, die machbar ist. Das Sicherstellen der Ernährung heute leidet darunter, dass wir, was die Nachhaltigkeit angeht, die entsprechenden Organisationsstrukturen
und Bewirtschaftungsmethoden in den Entwicklungsländern leider nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung
haben. Ich habe deshalb mit meinem Kollegen Gerd
Müller gemeinsam eine Initiative auf den Weg gebracht,
die gerade dies ändern soll.
Übrigens möchte ich mit einer Mär einmal aufräumen: Überall wird insinuiert, wir hätten heute noch Exportsubventionen. Die Exportsubventionen auf europäischer Ebene sind aber auf null gestellt.
({9})
Ich habe mich dezidiert dagegen ausgesprochen, Obstund Gemüseerzeuger wegen ihrer Absatzschwierigkeiten zu unterstützen und das Instrument der Subvention
wieder zu verwenden. Wir können nicht auf Kosten anderer versuchen, unsere Überflüsse abzugeben. Nein, der
Export ist ein regulärer Vorgang, und er geht nur in die
Länder, die die Waren brauchen und bezahlen können.
Der Selbstversorgungsgrad in Russland beträgt
60 Prozent. Die Preise steigen im Augenblick in russischen Supermärkten, weil sich Russland allein nicht
selbst versorgen kann. Da stehen wir zur Verfügung und
würden dies auch gern tun.
Ernährung ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie gestatten,
dass ich dies noch kurz anspreche. Jawohl, wir haben mit
IN FORM ein, denke ich, sehr gutes Programm, einen
nationalen Aktionsplan. Aber die 1,76 Milliarden Euro,
die nötig sind, um die Schulversorgung in ganz Deutschland zu finanzieren - das würde, so glaube ich, Kollege
Freese, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen etwas auf
den Kopf stellen.
({10})
- Ich habe das auch nicht behauptet.
Aber was bleibt, ist, dass wir die Schulvernetzungsstellen natürlich unterstützen. Ich möchte auch hier nicht
aufs Regulative, Vorschriftliche, eingehen, sondern die
Möglichkeit zur Entwicklung geben. Viele Beratungen
zeigen, dass die Kinder insbesondere Nudeln,
({11})
Pommes und Pfannkuchen, aber keinen Spinat wollen.
Das ist nun einmal so. Wir sollten auch nicht versuchen,
die Kinder komplett davon abzubringen. Die entsprechende Beratung findet besser vor Ort statt. Das wissen
die Schulleiter, die Ökotrophologen und manchmal die
Eltern etwas besser als wir. Deswegen ist hier ein Stück
Zurückhaltung geboten.
Vielen Dank dafür, dass Sie beim Haushalt keine Zurückhaltung gezeigt haben, sondern mir mit 5,3 Milliarden Euro ein gutes Volumen zur Verfügung stellen, mit
dem ich, wie gerade auch von Ihnen eingefordert, unsere
Politik - einschließlich des Forstes - dann auch umsetzen kann.
Herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank, Christian Schmidt. - Nächste Rednerin
in der Debatte ist Dr. Kirsten Tackmann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Mit 5 von 300 Milliarden Euro ist das
Agrarbudget tatsächlich ein Mini-Etat. Das liegt aber
nicht so sehr an der fehlenden Wertschätzung, sondern
hängt einfach damit zusammen, dass über die Agrarpolitik und ihre Finanzierung überwiegend in Brüssel und in
den Bundesländern entschieden wird. Das ist in keinem
anderen Ressort so.
Dass stolze 70 Prozent dieses Mini-Etats in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung gebunden sind, halten wir Linke zwar durchaus für richtig. Wir erhalten
aber auch unsere Kritik aufrecht, dass die landwirtschaftliche Alterssicherung als Teilrentensystem längst
nicht mehr vor Altersarmut schützt. Dass Betriebe in
Deutschland nach wie vor erst einmal abgegeben werden
müssen, um diese Minirente überhaupt zu bekommen,
riecht nach indirekter Enteignung und muss dringend
korrigiert werden.
({0})
Ja, Junglandwirte müssen gefördert werden und müssen
auch eine Chance bekommen. Der Zwangsverkauf von
Bauernhöfen ist aber der völlig falsche Weg.
Leider wurden auch dieses Jahr alle Haushaltsanträge
der Linken abgelehnt, obwohl wir eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen haben, Herr Minister. Abgelehnt
wurde zum Beispiel unsere langjährige Forderung nach
einem Herden- und Wolfsschutzkompetenzzentrum. Dabei wachsen die Probleme der Weidetierhalterinnen und
Weidetierhalter in den betroffenen Regionen immer weiter. Diese Betriebe sind doch schon die Verlierer der EUAgrarpolitik und müssen tagtäglich um ihre Existenz
kämpfen - und das, obwohl die Weidetierhaltung aktuell
die größte gesellschaftliche Akzeptanz genießt, wie eine
Umfrage gerade ergeben hat.
Es reicht eben nicht, den materiellen Schaden durch
Wolfsrisse auszugleichen. Die Weidetierhalterinnen und
-halter wollen zu Recht wissen, wie sie ihre Tiere schützen können. Ein höherer Zaun mit Untergrabungsschutz
reicht oft nicht aus, aber gut ausgebildete Herdenschutzhunde schon. Deshalb wird dieses Zentrum so dringend
gebraucht. Es soll sowohl Erfahrungen und Wissen bündeln und verbreiten - Wissen hilft nämlich auch gegen
Stammtischparolen - als auch forschen, um herauszufinden, wie die Koexistenz zwischen Weidetierhaltung und
Wölfen funktionieren kann.
({1})
Da der Wolf Artenschutzstatus hat, ist hier der Bund in
der Pflicht. Gern kann er das auch gemeinsam mit den
Bundesländern erledigen. Dieses Kompetenzzentrum
muss aber jetzt kommen.
({2})
Als Tierärztin sage ich auch deutlich, dass der Bund
für die Epidemiologie, also die angewandte Tierseuchenforschung, mehr tun muss - und zwar deswegen, weil
wir immer häufiger Bedrohungslagen haben, aktuell
zum Beispiel durch Vogelgrippe und Afrikanische
Schweinepest. Die Forderung von Minister Schmidt
nach mehr EU-Geld für Überwachungsuntersuchungen
ist zwar vollkommen richtig. Wir müssen mit diesen Ergebnissen aber natürlich auch etwas anfangen können.
Wir müssen besser verstehen lernen, was es konkret
bedeutet, wenn bei einer einzigen Krickente H5N8 gefunden wird, und was Behörden und Betriebe denn tun
müssen, um die Ausbreitung zu verhindern. Wir müssen
doch wissen, warum binnen weniger Tage eine gefährliche Influenzavariante aus Korea in drei verschiedenen
Betrieben in drei verschiedenen Ländern der EU bei drei
verschiedenen Geflügelarten auftaucht.
({3})
Wir brauchen auch eine Deckelung der Größe von
Tierbeständen am Standort und in den Regionen. Es ist
doch nicht zu verantworten, dass im Verdachtsfall vorsorglich Hunderttausende Hühner oder Zehntausende
Schweine getötet werden müssen, auch wenn sie gesund
sind.
Im Agraretat wird aber auch Geld falsch ausgegeben.
Zum Beispiel wird nach wie vor fossiler Agrardiesel mit
430 Millionen Euro jährlich gefördert. Das ist zwar eine
wichtige Unterstützung für die Betriebe. Es ist aber viel
sinnvoller, einheimische Pflanzenkraftstoffe für die
Landmaschinen zu fördern. Das bringt übrigens auch
mehr Arbeitsplätze und Geld in die ländlichen Räume.
Deswegen wollen wir 10 Prozent der Mittel aus diesem
Fördertopf verwenden, um den Wechsel von fossilen zu
pflanzlichen Kraftstoffen zu unterstützen.
({4})
Aber selbst wenn das Geld in diesem Mini-Etat ausschließlich sinnvoll verwendet werden würde, wären
zwei grundsätzliche Probleme nicht gelöst: Erstens korrigiert das eben nicht die falsche Agrarpolitik in der EU.
Diese macht nämlich die Agrarwirtschaft zum Zulieferer
auf einem sozial und ökologisch blinden Markt, statt sie
in ihrer eigentlichen Funktion zu stärken, nämlich die
Regionen mit Lebensmitteln und erneuerbaren Energien
sicher und bezahlbar zu beliefern. Zweitens bleiben die
ländlichen Räume auf der Strecke. Sie legen zwar ein
Bundesprogramm für die ländlichen Räume auf, aber
bundesweit 10 Millionen Euro für zwei Jahre sind angesichts der Probleme, die dort existieren, ein Tröpfchen
auf einen überhitzten Stein. Einzelne Projekte machen ja
noch lange kein Konzept.
Ich selbst wohne in einem Dorf mit 60 Seelen und
kenne die dortige Situation. Ich möchte hier einmal mit
einem Missverständnis aufräumen. Wir leben dort nicht,
weil wir nicht schnell genug weggekommen sind oder
weil wir krank, alt oder doof sind. Wir leben dort, weil
wir besondere Lebensbedingungen haben wollen.
({5})
Wir verzichten dafür auch gerne auf andere Dinge. Aber
wir brauchen dennoch eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, gute Bildung und Kultur, Internet
und Gesundheitsversorgung. Wir haben ein Recht darauf
und wollen keine Almosen.
({6})
Uns fehlt, ehrlich gesagt, ein Minister, der im Kabinett auch einmal mit der Faust auf den Tisch haut, wenn
nicht genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Ihr Mantra von der schwarzen Null ist gerade für die ländlichen
Räume fatal. Dass Sie nicht einmal versuchen, durch
eine gerechte Steuerpolitik und durch das Unterbinden
von Steuerflucht mehr Geld für einen ausgeglichenen
Haushalt einzunehmen, ist der eigentliche Skandal. Dadurch wird die soziale Ungerechtigkeit verschärft und
werden die Zukunftschancen in den ländlichen Räumen
verbaut.
Apropos dünn besiedelte Gebiete: Im europäischen
Maßstab ist nicht Deutschland dünn besiedelt, sondern
Lappland und Teile Estlands. Ich habe im Urlaub selbst
erlebt, dass es dort eine bessere öffentliche Daseinsvorsorge gibt als in Deutschland. Das zeigt doch, dass es nur
eine Frage des Willens ist, es dann auch zu realisieren.
({7})
Deswegen wird die Linke im Interesse der Dörfer und
der kleinen Städte auch weiter Druck machen für eine
nachhaltige Agrarpolitik.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Dr. Tackmann. - Nächster Redner in der
Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den vergangenen Jahren haben wir in der
Landwirtschaft viele Entwicklungen erlebt, die wir heute
nicht länger hinnehmen wollen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um noch einmal ganz weit zurückzudenken
an die McSharry-Reform von 1992. Diese Reform war
wegweisend und ein tiefer Einschnitt zugleich. Aber wir
haben auch nach den Reformen von Fischler und Ciolos
immer noch große Probleme in der Landwirtschaftspolitik. Der Fokus in der Landwirtschaft liegt nach wie vor
nur auf Produktivität. Wir kommen einfach nicht weg
vom Motto „Wachsen oder Weichen“. Wir brauchen uns
nur einmal die aktuelle Situation auf dem Milchmarkt
anzuschauen. Es wird produziert, was das Zeug hält.
Niemals zuvor waren die Überschüsse so hoch. Unser
Heil suchen wir derweil auf neuen Märkten.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so darf es
nicht weitergehen. Das alles basiert auf externalisierten
Kosten, genau wie bei der Atomkraft. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm. Menschen arbeiten unter zum Teil äußerst fragwürdigen Bedingungen, und die
Zeit der Tiere vor ihrem Tod lässt sich kaum als Leben
bezeichnen. So wie wir nun endlich alle erkannt haben,
dass wir aus der Atomkraft aussteigen wollen, so müssen
wir auch erkennen, dass sich in unserer Agrarpolitik
etwas ändern muss. Wir wollen die Politik für die ländlichen Räume nicht länger als Teil der Landwirtschaftspolitik betrachten, sondern umgekehrt die Landwirtschaftspolitik als Teil der Politik für die ländlichen
Räume.
({0})
Wenn wir die Landwirtschaftspolitik nur als einen
Baustein der Politik für die ländlichen Räume neben anderen Bausteinen wie der Umwelt, dem Tierschutz, den
Arbeitsbedingungen und der Energie betrachten, dann
stellen wir fest, dass wir andere Lösungsansätze für die
Landwirtschaft brauchen, Ansätze, die wir gemeinsam
mit den Landwirten entwickeln wollen; denn heute wird
doch mehr Geld an der Landwirtschaft als in der Land6714
wirtschaft verdient. Viele Landwirte, die eigentlich freie
Unternehmer sein wollen, befinden sich faktisch in Abhängigkeit und sind nur noch ein kleines Rädchen in einem großen System. Das kann doch keinem Landwirt
gefallen. Deswegen denken wir schon jetzt an die Halbzeitbewertung der GAP. Wir sind der Meinung, dass sich
Cross Compliance nicht nur auf den Acker beziehen darf
und dass es öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen geben darf.
({1})
In unserer Politik für die ländlichen Räume unternehmen wir mit dem Haushalt 2015 - nach der Eiweißpflanzenstrategie in diesem Jahr - mit dem Bundesprogramm
für die ländliche Entwicklung einen weiteren Schritt.
Unser nächster Schritt ist bereits in Vorbereitung: die
Grundgesetzänderung zur Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“. Außerdem wollen wir innerhalb der Bundesregierung eine zentrale Stelle schaffen,
die die Politik für die ländlichen Räume koordiniert; denn
die Zuständigkeiten liegen in mehreren Ministerien - leider.
Ich möchte uns allen an einem Beispiel die Situation
der ländlichen Räume aus dem praktischen Leben heraus
beschreiben: In meiner ostfriesischen Heimat gab es bis
vor zwei Jahren noch einen Einzelhändler, der seinen
Betrieb in der dritten Generation führte. Als er den Laden schloss, weil er sich nicht mehr rechnete, gab er uns
mit auf den Weg, dass die Eltern junger Menschen auf
der Suche nach einem Ausbildungsplatz zukünftig nicht
mehr bei ihm zu klingeln brauchten. Sie müssten nun die
Klingel von Ebay oder Amazon suchen; denn er hatte einen Großteil seines Umsatzes an das Internet verloren.
Wir wollen die ländlichen Räume schnellstmöglich an
das schnelle Internet anschließen, um Unternehmen gleiche Arbeitsbedingungen und den Menschen gleiche Lebensbedingungen zu bieten.
({2})
Aber das Internet bedeutet nicht nur Segen. Das Kaufverhalten hat sich durch das Internet enorm verändert,
und wir alle kennen die leerstehenden Ladenlokale im
ländlichen Raum. Auch in Städten gibt es ein „Wachsen
oder Weichen“ als Folge der immer gleich aussehenden
und immer größer werdenden Einkaufszentren und Ketten, die um sich greifen.
Damit wir solche Auswirkungen angemessen in unseren Überlegungen berücksichtigen, ist es wichtig, dass
wir eine zentrale Stelle einrichten, die die ländlichen
Räume im Blick hat. Dadurch können wir zuständigkeitsübergreifend durch geeignete Maßnahmen an der
Reattraktivierung der ländlichen Räume arbeiten. Wir
brauchen die Geschäfte, wir brauchen ein Bewusstsein
der Menschen dafür, dass diese Geschäfte wichtig für sie
sind, und wir brauchen die Wertschöpfung vor Ort, damit das Geld nicht durch das Internet in die weite Welt
verschwindet.
Noch schlimmer ist es allerdings, wenn die Menschen
verschwinden. Mobilität und die Kosten der Mobilität
sind schon jetzt für die Menschen von entscheidender
Bedeutung. Die Menschen ziehen der Arbeit hinterher.
Ein junger Mensch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz wird vermutlich Ostfriesland verlassen müssen, was die Problemlage der ländlichen Räume noch
weiter verstärkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kind mutt Naam
hebben, so sagt man in Ostfriesland.
({3})
Ich will damit sagen, dass wir der Bedeutung der Politik
für die ländlichen Räume in Zukunft dadurch Ausdruck
verleihen sollten, dass das BMEL auch die ländlichen
Räume in seinen Namen aufnimmt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. - Wie heißt das?
Sagen Sie es bitte noch einmal.
({0})
- Gut, wieder was gelernt.
Nächster Redner in der Debatte: Friedrich Ostendorff
für Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum koalieren wir eigentlich nicht, Johann
Saathoff? Das frage ich mich nach deinen Reden immer
wieder.
Die Landwirtschaft steht vor riesigen Herausforderungen. Das müssen wir heute besprechen. Die Probleme liegen auf der Hand - sie sind so offensichtlich,
dass ein Schließen der Augen nicht mehr ausreicht, Herr
Minister -, sei es die Belastung von Grundwasser durch
Antibiotika, aber auch durch Nitrate, Phosphate, seien es
die gesundheitlichen Gefahren für die Verbraucher durch
antibiotikaresistente Keime, die aus der Massentierhaltung resultieren, oder sei es der Ausstieg von 40 Prozent
der landwirtschaftlichen Betriebe, von fast 50 Prozent
der Milchviehbetriebe und von etwa 70 Prozent der
schweinehaltenden Betriebe allein in den letzten 14 Jahren. Die Veränderung der Landwirtschaft vollzieht sich
in einem Tempo und mit einem Ausmaß, dass die
Grundfesten unserer Gesellschaft berührt werden.
Die Folgen sind, wie allgemein bekannt, der Rückgang der Arten - inzwischen auch der Allerweltsarten
wie Spatz, Nachtigall, Kiebitz, Feldlerche; wer hätte das
gedacht? -, die Entvölkerung des ländlichen Raums, der
Verlust von ländlicher Kultur und von ländlichen Strukturen in einem ungeahnten Ausmaß und die zunehmende
Entfremdung von Bäuerinnen und Bauern von der übrigen Nachbarschaft. Meine Damen und Herren von der
Koalition: Wie lange wollen Sie sich das noch untätig
ansehen? Wie lange wollen Sie weiter wie das Kaninchen vor der Schlange kauern?
({0})
Es ist doch offensichtlich: Wir müssen endlich handeln. Dieses Handeln ist von Ihnen, Herr Minister
Schmidt, leider wohl nicht mehr zu erwarten, ebenso wenig wie von den Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU. Herr Minister Schmidt, Ihre Chefin, Frau Merkel,
hat gerade gestern in ihrer Rede den zunehmenden Antibiotikaresistenzen, ausgelöst durch die Nutztierhaltung,
den Kampf angesagt.
Das sind gute Worte. Was tun Sie - außer weiterhin aufzuschreiben bzw. aufschreiben zu lassen, in welch unglaublichem Ausmaß medizinisch wichtige Antibiotika
als Treibstoff in der Massentierhaltung eingesetzt werden? Dieses Nichtstun reicht doch nicht, Herr Minister!
Handeln ist gefordert!
({1})
Zu „Christian“ sagen wir Ja. Aber wir sagen: mehr
Meyer, weniger Schmidt.
({2})
Auch die nebulöse Tierwohl-Initiative muss wohl
eher als Beruhigungspille denn als wirksame Behandlung bezeichnet werden, Herr Minister. Seit Jahren werden die Verhältnisse in der Landwirtschaft schöngefärbt.
Im Sommer dieses Jahres erklärten Sie noch - das war
Ihr Credo -: Hohe Exporte bringen hohe Preise. - Das ist
schon jetzt überholt. Das haben Sie der Landwirtschaft
aber immer wieder erzählt. Seit Ilse Aigner setzt diese
Bundesregierung auf Export. Sie kennt nur ein Kriterium: Größe und Masse.
Wie aber sieht die Realität aus? Die nächste Milchkrise ist schon da. Milchpreise von 30 Cent je Liter und
deutlich darunter bringen sehr viele bäuerliche Betriebe
in allergrößte Existenznot. Nach dem Wegfall der Quote
im nächsten Jahr wird der Ausstieg dramatisch werden leider. Keiner von uns hat das gewollt. Aber Sie haben es
sehenden Auges hingenommen.
({3})
Das Gleiche gilt für die Perspektive der kleinen und
mittleren Schweinehalter. Preise von 1,40 Euro und darunter für das Kilo Fleisch - im Januar notierte der Preis
an der Börse sogar bei 1,30 Euro - sind absolut ruinös.
Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist doch
das simpelste ökonomische Gesetz, dass eine Steigerung
der Angebotsmenge bei gleich bleibender Nachfrage
zum Preiszusammenbruch führt. Deutschland produziert heutzutage aber 115 Prozent des eigenen Bedarfs an
Milch, und wir produzieren 125 Prozent des eigenen Bedarfs an Schweinefleisch.
({4})
Ich sage: Der Bedarf ist gedeckt. Ich glaube, das können
wir angesichts dieser Zahlen feststellen.
Aber: In diesem Jahr wird bei Milch ein abermaliger
Rekordzuwachs von 4 Prozent erwartet. Sie fördern das
noch, und zwar durch viel Steuergeld, das in den Bau
neuer Ställe fließt. Aber auch der Weltmarkt ist, was
deutsche Produkte betrifft, gesättigt. Herr Fricke - er
sitzt auf der Tribüne -, hören Sie jetzt zu; denn jetzt wird
Ihre Zeitung zitiert. „China hat keinen Hunger mehr auf
deutsches Schweinefleisch“, titelt die Vieh und Fleisch,
die Herr Fricke mitverantwortet.
({5})
Der chinesische Milchdurst wird geringer und zunehmend durch Neuseeland gedeckt. Neuseeland produzierte alleine in den ersten neun Monaten 2014 12 Prozent mehr Milch. Das ist ein Teufelskreis für unsere
Bäuerinnen und Bauern.
Produktionssteigerung, Konzentration der Tierhaltung
und damit verbundene Umweltfolgen, Aufgabe von kleinen und mittleren Betrieben, weitere Ausweitung und
Konzentration der Produktion, Sinken der Preise und
wieder Aufgabe von Betrieben: Das ist der Teufelskreis,
in dem sich unsere Betriebe befinden. Meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, es ist doch nicht zu übersehen: Ihre Politik zielt darauf, dass am Ende 1 bis 2 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe übrig bleiben. Sagen Sie den Betrieben dies ehrlich, damit sie wissen,
woran sie sind, und sich nicht noch in unnötige Verschuldung stürzen, die sie umbringen wird.
({6})
Die Krise, meine Damen und Herren, ist eine grundsätzliche. Sie ist eine Krise des globalen Nahrungssystems.
Sie von der CDU/CSU sind ihre Apologeten, die voller
tiefer Überzeugung das Hohelied auf die Agrarindustrie
singen.
Was muss getan werden? Wir kommen nicht darum
herum, die Probleme bei der Wurzel zu packen. Wir
brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik. Wir brauchen ein neues Leitbild der Landwirtschaft. Die kleinen
und mittleren bäuerlichen Betriebe müssen in ihrer Vielfalt endlich ins Zentrum der Politik gerückt werden. Wir
brauchen die Flächenbindung in der Tierhaltung, um die
durch die Massentierhaltung ausgelösten massiven Umweltprobleme zu beheben. Wir brauchen Bestandsobergrenzen und viel weniger Tiere im Stall, eine artgerechte
Tierhaltung mit Weidegang und Einstreu, einen neuen
Umgang mit dem Tier
({7})
und eine Honorierung der vielfältigen öffentlichen Leistungen der kleinen und mittleren Betriebe. Das muss
endlich das Prinzip des Handelns, das Prinzip der Gemeinsamen Agrarpolitik werden. Wir brauchen gemeinsame und konzentrierte Anstrengungen, um den genannten Herausforderungen zu begegnen und die Aufgaben
zu lösen. Wir brauchen auch die Aufstockung der GAKMittel um 200 Millionen Euro, damit wir einen Aktions6716
plan für die bäuerlich-ökologische Landwirtschaft auf
den Weg bringen können.
({8})
Vielen Dank, Kollege Ostendorff. - Nächster Redner
in der Debatte: Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
finde, der Einzelplan 10 unseres Bundeshaushaltes 2015
setzt richtige und wichtige Akzente für das Landleben
und auch für die Verbraucher in Deutschland. Es ist richtig: Bei einem Ausgabenanteil von 70 Prozent für die
landwirtschaftliche Sozialpolitik ist der Gestaltungsspielraum natürlich eingeschränkt, und somit ist das
nicht ganz einfach.
Gerade wurde schon darauf hingewiesen: In dieser
Konstellation - Herr Freese und Cajus Caesar - ist es
ganz zum Schluss gelungen, 20 Millionen Euro zusätzlich für den präventiven Hochwasserschutz bereitzustellen - verbunden mit einem Maßgabebeschluss. Damit ist
der Einstieg gelungen, mehr zu tun. Das ist ein klares
und gutes Signal. Natürlich hätte das noch mehr sein
können - das hätten wir uns alle gewünscht -, aber das
Leben ist halt kein Wunschkonzert.
Wir sind fest entschlossen, den Haushalt ohne Neuverschuldung zu verabschieden. Die Schulden von heute
sind bekanntlich Steuern von morgen, und wir wissen,
dass viele hohe Staatsverschuldungen letztendlich die
Ursachen der Krisen der letzten Jahre waren. Deshalb ist
dieser Weg richtig.
Wir tragen mit dem Einzelplan 10 einen Anteil an der
Gesamtverantwortung und leisten unseren Beitrag. Das
heißt für uns zum einen, Maß zu halten, und zum anderen, die richtigen Schwerpunkte bei den Zukunftsinvestitionen zu setzen. Das ist hervorragend gelungen. Mein
Dank geht insbesondere an die beiden Haushälter Herrn
Caesar und Herrn Freese. In diesen Dank will ich gerne
auch die Grünen, Herrn Kindler, und auch Herrn Claus
miteinschließen.
Dazu aber doch noch eine Bemerkung: Hier wurde
darauf hingewiesen, man sollte sich, wenn es um den
Strukturwandel geht, mehr in Richtung der grünen Landwirtschaftsminister bewegen. Gucken Sie einmal nach,
wie groß der Strukturwandel zu Künasts Zeiten war!
Ernsthaft! Sie werden sich wundern, wie hoch die Zahlen sind. Ich bin Niedersachse und in jeder sitzungsfreien Woche in Niedersachsen unterwegs. Ich befürchte, wenn es dort noch zwei, drei Jahre so
weitergeht, werden wir ein Bauernsterben erleben, wie
wir es noch nie erlebt haben. Das ist dann von den Grünen zu verantworten.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind ein besonderer
Ausschuss. Wir sind zuständig für das Essen und Trinken von über 80 Millionen Menschen in Deutschland und das auch noch täglich. Wir sind zuständig für gesunde, sichere, nachhaltig erzeugte und - das betone
ich - bezahlbare Lebensmittel. Wir sind aber auch zuständig für knapp 300 000 landwirtschaftliche Familienbetriebe, und wir haben auch Verantwortung für fast
5 Millionen Familien, die ihren Lohn und ihr Brot in der
Agrarwirtschaft verdienen.
({1})
Ich will an dieser Stelle auch nicht ganz ohne Stolz
feststellen, dass es bei allen Herausforderungen, Aufgaben und Problemen, die niemand infrage stellt und die
wir zu bewältigen bzw. zu lösen haben, stimmt: Unsere
Lebensmittel waren noch nie so sicher und gut wie
heute. Darauf kann man stolz sein. Dafür haben unsere
Landwirtschaft und auch die Agrarwirtschaft Lob und
Anerkennung verdient.
({2})
Uns ist das Landleben ein besonderes Anliegen.
Landleben bedeutet Naturschutzraum, bedeutet Erholungsraum, aber bedeutet auch und vor allem Wirtschaftsraum. Das gerät leider immer wieder in Vergessenheit. Zum Landleben kommt es nicht einfach von
alleine, wie manche hier tun, sondern es ist das Projekt
einer starken Wirtschaft im ländlichen Raum, die vor Ort
verwachsen und engagiert ist und die Menschen durch
Arbeitsplätze und eine gute Infrastruktur im Dorf hält.
Auch Natur - damit meine ich die Artenvielfalt - entsteht nicht einfach von alleine, wie manche tun,
({3})
sondern ist ebenfalls das Produkt menschlichen Wirkens
und dabei auch maßgeblich von der Landwirtschaft geprägt.
({4})
Daraus leite ich ab: Die Lebensader für lebendige Dörfer
- sozusagen der Nukleus des Landlebens - ist die Landwirtschaft und nichts anderes.
({5})
Deshalb wollen wir die Marktposition zumindest stabilisieren. Dass wir insbesondere in manchen Regionen
die Grenzen des Wachstums erreicht haben, weiß jeder.
Das braucht auch niemand infrage zu stellen. Aber auch
die Exportstrategie gehört mit zur Gesamtstrategie.
({6})
Exportsubventionen gibt es nicht mehr.
Hier wurden die Agrarexporte in Entwicklungsländer
angesprochen. Es gibt das Abkommen: „Everything but
Arms“. Was bedeutet das? Die 50 ärmsten Länder der
Welt dürfen in unser Land alles exportieren, was sie wollen. Sie können aber beim Import so viele Zollschranken
aufbauen, wie sie wollen. Wenn Sie etwas kritisieren,
dann bleiben Sie zumindest bei der Realität und bei der
Wahrheit. Ich glaube, darauf haben die Zuschauer ein
Anrecht.
({7})
Wichtig ist uns ein Thema, das auch Bundesminister
Schmidt schon ansprach: das Bundesprogramm für
ländliche Entwicklung. Wir wissen, dass wir strukturschwache Regionen haben. Für diese sogenannten strukturschwachen Landstriche wollen wir exemplarisch Lösungen finden. Ich bin froh, dass gerade dieses Thema,
das uns ein besonderes Anliegen ist, auch ein Herzensanliegen unseres Ministers ist. Herr Minister, herzlichen
Dank dafür.
({8})
Das Volumen der GAK von 600 Millionen Euro ist
gesichert. Wir wollen mehr und wollen diese Gemeinschaftsaufgabe in eine Gemeinschaftsaufgabe für ländliche Entwicklung umwandeln. Darin sind wir uns einig;
darauf wurde hingewiesen.
Unsere Landwirtschaft ist hochinnovativ und effizient
unterwegs. Nie war die Qualität von Lebensmitteln besser; darauf habe ich hingewiesen. Auch das will ich
deutlich sagen: Obwohl der Bauer in Deutschland ein
hohes Vertrauen genießt, besteht zunehmend ein Unbehagen darüber, was und wie er etwas macht. Damit müssen wir uns sehr selbstkritisch auseinandersetzen.
({9})
Leider fand bislang dieses Unbehagen keinen Widerhall an der Ladentheke. Leider können wir auch von
Umfragen nicht leben. Trotzdem stellen wir uns den Erwartungen und Veränderungen unserer Gesellschaft.
Landwirtschaft braucht Akzeptanz. Aber entscheidend
ist, wie wir das machen, wie wir wirklich zu Verbesserungen kommen. Herr Schmidt hat es deutlich gemacht:
Anders als Sie machen wir das miteinander statt gegeneinander. Pauschale Stigmatisierungen sind einfach nicht
lösungsorientiert. Vielleicht begreifen Sie das irgendwann im Laufe dieser Legislatur.
Durch die Stärkung gezielter Forschungsaktivitäten
erarbeiten wir praktikable Lösungen. Für die Forschung
geben wir über 500 Millionen Euro aus. Nach wie vor
muss die Wettbewerbsfähigkeit eine gewisse Rolle spielen, sonst kommt es zu Produktionsverlagerungen mit
dem Verlust von Arbeitsplätzen. Das wollen wir nicht.
Das beruhigt vielleicht das grüne Gewissen, aber den
Tieren ist damit definitiv nicht geholfen, und es vernichtet Arbeitsplätze.
Die von Minister Schmidt vorgestellte Tierwohl-Initiative ist genau der richtige Weg, tiergerechte und praktikable Lösungen zu erarbeiten. Er hat deutlich gemacht:
Der Kompetenzkreis, der heute getagt hat, arbeitet unter
Hochdruck. Aktuell arbeiten wir im Übrigen an der Entwicklung des Prüf- und Zulassungsverfahrens. Sie sehen: Wir sind inhaltlich intensiv unterwegs.
Noch ein Satz zum Thema Antibiotika. Die Änderung
des Arzneimittelgesetzes zum Einsatz von Antibiotika in
der Nutztierhaltung, das wir beschlossen haben, ist erst
in diesem Jahr in Kraft getreten. Die Vorgaben setzen in
den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben an. Damit
ermöglichen wir einen Vergleich, und damit wollen wir
die Menge der eingesetzten Antibiotika in der Nutztierhaltung reduzieren, um Resistenzen beim Menschen vorzubeugen. Interessant ist auch, sich einmal die Werte des
Genfer Sees anzuschauen, in dem sich viele resistente
Keime finden, obwohl dort fast keine Tiere gehalten
werden.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weil wir auch in der Humanmedizin große Probleme haben. Wir sollten keine gegenseitigen Schuldzuweisungen machen, sondern sollten
das Problem annehmen, und zwar in gesellschaftlicher
Verantwortung.
({10})
Wir geben im kommenden Jahr über 30 Millionen
Euro für mehr Tierschutz aus: für praktikable Lösungen
statt unausgegorener Verbote. Schließlich müssen höhere Standards auch bezahlt werden. Eine besondere
Verantwortung kommt dabei dem Lebensmitteleinzelhandel zu, ganz besonders in diesem Jahr. Es gab witterungsbedingt eine große Ernte, weil es der Wettergott in
diesem Jahr, jedenfalls in den meisten Regionen, gut mit
uns gemeint hat. Auch andere Dinge, wie das RusslandEmbargo, spielen hier eine große Rolle. Das bedeutet
Marktdruck, was zur Folge hat, dass die Preisspirale
nach unten geht.
Von dieser Stelle mein Appell an die vier marktbeherrschenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels: Überdenkt einmal die aggressive Preispolitik! Ich
freue mich aber auch darüber - auch das will ich konstatieren -, dass der Lebensmitteleinzelhandel bei der Tierwohl-Initiative der Wirtschaft mitmacht und damit endlich auch Verantwortung übernimmt. Wir Bauern haben
damit erstmalig die Chance, höhere Standards bezahlt zu
bekommen. Das kann Ordnungspolitik nämlich nicht
leisten, meine Damen und Herren.
({11})
Unser Leitbild der deutschen Landwirtschaft - das
wurde vorhin angesprochen - ist und bleibt für die
Union eine unternehmerische, wettbewerbsorientierte
und familiengeführte bäuerliche Landwirtschaft. Sie
wird immer wieder infrage gestellt. In meiner Region
gibt es viele Tiere. In meiner Region sind über 90 Prozent der gesamten Landwirtschaft in den Händen bäuerlicher Familien. So gehört sich das, und so wollen wir
das.
Derjenige, der das infrage stellt, stellt letztlich lebendige Dörfer infrage. Er weiß nämlich nicht, worüber er
redet. Ob konventionell oder öko, ob groß oder klein:
Landwirtschaft auf die Zukunft auszurichten, das ist unser Ziel. Deshalb lautet die Zukunftsfrage nicht „Intensiv
oder Extensiv?“ - das ist viel zu einfach -; es geht vielmehr darum, wie wir unabhängig von der Produktionsform besser, effizienter und auch nachhaltiger werden.
Die reine ökologische Selbstbefriedigung hilft uns garantiert nicht weiter, meine Damen und Herren. Wir haben schon einige Parteitagsreden gehört. Wenn Sie auf
Ihrem Parteitag debattieren, ob aus dem Veggie-Day nun
eine Veggie-Steuer werden soll, dann hat das mit Freiheit - mit wirklicher Freiheit - überhaupt nichts zu tun.
({12})
Wir sind mit diesem Haushalt 2015 auf einem guten
Weg. Wir sollten die Aufgaben und Herausforderungen,
aber auch die Probleme als Chance begreifen. Wir sind
für 80 Millionen Menschen zuständig. Stellen wir uns
selbstbewusst und mit Freude fröhlich und begeistert den
Herausforderungen dieser schönen Berufe, und machen
wir den Akteuren vor Ort, den Bauern, durch vernünftiges politisches Handeln Mut! Dazu Ihnen allen eine
herzliche Einladung!
({13})
Vielen herzlichen Dank, Herr Holzenkamp. Jetzt bin
ich mal fröhlich. Das bin ich aber immer. - Nächste Rednerin: Christina Jantz für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem
Haushalt durchbrechen wir die Schuldenspirale. Zum
ersten Mal seit Jahrzehnten wird ein Bundeshaushalt
ohne neue Schulden verabschiedet. Das ist sozialdemokratische Politik; denn wir übernehmen Verantwortung
für spätere Generationen.
({0})
Zugleich nutzen wir Spielräume, legen neue Schwerpunkte fest und investieren im Landwirtschaftshaushalt
ganz gezielt, Herr Minister. Wir erfüllen damit nicht nur
unsere Pflicht gegenüber den Menschen, sondern auch
gegenüber der Umwelt und den Tieren.
Meine Damen und Herren, besonders der SPD liegt
der Tierschutz am Herzen. Wir haben uns dafür starkgemacht, dass dem Tierschutz auch im Haushalt 2015 gebührend Platz eingeräumt wird. Wir haben die Diskussionen in diesem Bereich in Fahrt gebracht und werden
sie weiter vorantreiben.
Nicht zuletzt ist es unser Verdienst, dass die Große
Koalition sich klar und ohne Wenn und Aber dem Wohlergehen der Tiere verschrieben hat. Minister Schmidt
setzt mit der Tierwohl-Initiative unsere Forderungen um.
Lassen Sie mich nur zwei unserer Forderungen nennen, die jetzt verwirklicht werden: Erstens. Wir wollen
seit Jahren, dass die Tierschutzforschung gestärkt wird.
Zweitens. Wir wollen, dass Tiere besser gehalten werden, insbesondere Schweine, Hühner und Rinder. Sie
alle, meine Damen und Herren, kennen die grausamen
Bilder aus dem Fernsehen, beispielsweise von den qualvollen Zuständen in den Hähnchenmastställen.
Im Bereich der Forschung möchte ich das Bundesinstitut für Risikobewertung mit der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch hervorheben. Wir stärken die
Arbeit des Instituts mit 9 Millionen Euro und leisten damit unmittelbar einen Beitrag dazu, das Leiden von Versuchstieren zu vermeiden.
({1})
Im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung haben wir mit dem geplanten Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallhaltungssysteme die entsprechenden Eckpunkte festgelegt. In den vergangenen Monaten hat sich
in meinen zahlreichen Gesprächen bestätigt, dass sowohl
die Tierhalter als auch die Hersteller solche Verfahren
begrüßen. Damit leistet dieses Verfahren nicht nur seinen Beitrag für mehr Tierschutz; es bedeutet auch Investitions- und Rechtssicherheit für die Hersteller und für
die Landwirte.
Diese Beispiele zeigen, dass wir uns mit Augenmaß
diesem Thema genähert haben. Wir stellen keine überzogenen, widersprüchlichen Forderungen. Wir wollen Lösungen, die so tierfreundlich wie möglich und praktikabel sind.
({2})
Wir stemmen uns zudem gegen die Auswüchse in der
Intensivtierhaltung. Wir treten für ein gesundes Gleichgewicht in der Landwirtschaft ein. Das bedeutet selbstverständlich regional verankerte Ressourcen und umweltschonend produzierende Betriebe, Familienbetriebe.
Dazu gehören gute Haltungsbedingungen und gesunde
Tiere.
Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion freue ich mich, dass die Arbeit für den Tierschutz im
Ministerium gestärkt wird. Auf unser Drängen werden
die notwendigen Stellen hierfür geschaffen.
Wir bauen zudem den Bienenschutz aus. Mit einer
Institutsleiterstelle im Julius-Kühn-Institut verbessern
wir das Bienenmonitoring. Das ist ebenfalls im Koalitionsvertrag verankert und war ein besonderes Anliegen
der SPD.
({3})
So gehen Umweltschutz und Tierschutz Hand in Hand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit diesem Haushalt ein Mehr für den Tierschutz erreicht. Gemeinsam werden wir das Thema in den kommenden Monaten weiterentwickeln und vorantreiben. Wir wollen
uns verstärkt beispielsweise dem Problem der Qualzuchten und auch des Wildtierhandels widmen.
Wir nehmen es nicht länger hin, dass beispielsweise
Hunde gezüchtet werden, die permanent entzündete Augen haben, oder Vögel, die sich nicht mehr auf einer
Sitzstange halten können. Wir können nicht akzeptieren,
dass eine Riesenpython in einer 50-Quadratmeter-Wohnung oder die Bartagame in der Badewanne gehalten
wird.
({4})
Sicher müssen wir hierfür das Tierschutzgesetz nachschärfen, und wir werden auf die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelungen zu dem Umgang und dem Handel mit Wildtieren drängen.
Ich habe eingangs deutlich gemacht, dass die SPD die
Diskussion im Bereich des Tierschutzes in Fahrt gebracht hat. Es liegt an uns, nun nicht nachzulassen. Wir
alle sind aufgefordert - und das ist nicht zuletzt eine
ethisch-moralische Frage an jeden Einzelnen von uns -,
das Beste für die Tiere zu erreichen. Ich lade Sie daher
ein, in den kommenden Monaten und Jahren mit mir gemeinsam sachliche Lösungen zu finden, die dem Wohlergehen der Tiere auch tatsächlich nutzen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Jantz. - Nächste Rednerin in der Debatte: Gitta Connemann für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bei uns geht über den Tisch, was bei den
Menschen in diesem Land auf dem Teller landet. So lässt
sich die Arbeit unseres Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft auf den Punkt bringen. Unsere Themen
gehen wirklich jeden in diesem Land an, denn es geht
um Ernährung, unser tägliches Brot.
Jeder muss essen, mindestens dreimal am Tag. Jeder
kann mitreden, viele wollen es, und das ist auch gut so;
denn Lebensmittel spielen eine wirklich herausragende
Rolle für das, was uns am meisten bedeutet. Was ist es?
Die Gesundheit, durchaus auch unser Aussehen. Oder
um es ebenfalls auf Platt zu sagen: Eten un Drinken holt
Liev un Seel binanner.
({0})
Aber Ernährung ist inzwischen mehr als reine Nahrungsaufnahme. Essen ermöglicht das Bekenntnis zu einem Lebensstil, übrigens auch zu einer Abgrenzung.
Sind Sie Veganer, Flexitarier, Wurstesser? Sind Sie klassischer Mittagesser oder Snacker? Das Essen bestimmt
das Sein.
Das Fernsehen hat diesen Trend im Übrigen erkannt
und darauf reagiert. Laut einer aktuellen Studie geht es
dort an 34 Stunden pro Woche um Lebensmittel, Ernährung, Kochen und Essen. Jede Zeit hat eben ihre Themen. Jetzt ist es die gesunde und sichere Ernährung.
Um diese scheint es nicht sonderlich gut bestellt zu
sein. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen,
wenn man die Schlagzeilen liest. Da ist die Rede von
Dioxin-Eiern, Formschinken, Neuland-Hühnern oder
Fairtrade. Es entsteht der Eindruck, dass eine Mafia aus
Betrügern und Panschern uns alle vergiften oder zumindest täuschen will. Das alles wird übrigens angeheizt
von einer Angstindustrie, die von der Skandalisierung
lebt.
({1})
Ich betone an dieser Stelle: Es ist ein Spiel mit der Angst
um höhere Quoten, höhere Spenden und manchmal auch
um höhere Wählerstimmenanteile. Ich betone auch, dass
die meisten NGOs außerordentlich wertvolle Arbeit leisten. Aber nicht jede ist dem Allgemeinwohl verpflichtet.
Vielmehr gibt es inzwischen etliche, die ganz handfeste
wirtschaftliche Interessen haben.
({2})
Deshalb warnt zum Beispiel die Stiftung Warentest vor
etlichen Tier- und Umweltschutzorganisationen - ich zitiere -: „Vorsicht angebracht“. Mit der Unsicherheit der
Verbraucher wird gespielt. Dazu sage ich auch im Namen meiner Fraktion: Das ist aus unserer Sicht zynisch
und verantwortungslos.
({3})
Wir stehen für Klarheit statt Wahrheit,
({4})
für Aufklärung statt Empörung, für Fakten statt Vermutung, übrigens auch für Wissen statt Unterstellung.
Wie ist die Situation? Wir wurden noch nie so alt wie
heute, blieben noch nie so lange gesund und aktiv. Vor
dem Ersten Weltkrieg betrug die Lebenserwartung einer
Frau noch nicht einmal 44 Jahre. Es gab keine Kühlketten. Es fehlte an Wissen über Hygiene. Es wurde gegessen, was es gab, und das war oft zu wenig, manchmal gar
nichts. Heute wird eine Frau im Schnitt 81 Jahre alt. Die
Lebenserwartung hat sich fast verdoppelt - dank der modernen Medizin, aber auch dank besserer Ernährung. So
bestätigt uns das Bundesinstitut für Risikobewertung ich zitiere -, dass
Lebensmittel heutzutage im Vergleich zu früher aus
naturwissenschaftlicher Sicht signifikant sicherer
und qualitativ deutlich besser geworden sind …
({5})
Ja, noch nie wurden Lebensmittel so sicher produziert
wie heute. Noch nie wurde Nahrung so intensiv kontrolliert wie heute.
({6})
Noch nie war Essen so preiswert wie heute. Noch nie
gab es eine so große Auswahl wie heute. Es gibt Lebensmittel im Überfluss, und zwar mit dem Vierklang gesund, sicher, bezahlbar, vielfältig. Übrigens dank Gruppierungen, die hier vorhin massiv angegriffen wurden,
dank unserer Landwirte, unserer Gärtner und unserer
Fischer, aber auch dank unserer Fleischer, Bäcker,
Hersteller und Einzelhändler. Lieber Sven-Christian
Kindler, bei allem Verständnis dafür, den Wahlkampf in
den Plenarsaal zu tragen,
({7})
sage ich: Ich lehne als Schwester eines Landwirts, der
tagtäglich das tut, was von ihm gefordert wird - er bringt
sich in die Gesellschaft ein; er ist da, wenn ein Mann gebraucht wird, sei es in der Feuerwehr oder dann, wenn es
darum geht, das Osterfeuer zusammenzuschieben; er erzeugt Nahrungsmittel, wie sie sein sollen -,
({8})
und im Namen aller Urproduzenten sowie meiner Fraktion diese Stigmatisierung ab.
({9})
Denn es sind genau diese Produzenten, die dem Verbraucher die Wahl ermöglichen. Genau diese Freiheit will er
behalten. Die Bürger wollen selbst entscheiden, wann sie
was wie essen.
({10})
Dies hat die Diskussion über den sogenannten Veggie
Day eindrucksvoll bewiesen. Wir brauchen keine staatlichen Volkserzieher, auch keine Bevormundung durch
Kaloriensteuern.
({11})
Was wir brauchen, sind Wahrheit und Klarheit, damit
der Verbraucher wirklich selbst entscheiden kann. Das
ist schwieriger geworden, ohne Frage; denn die Verhältnisse haben sich verändert. Hier sind viele gefordert.
Erstens, die Wirtschaft selbst. Die Globalisierung des
Handels erhöht die Wahlfreiheit. Die Technologisierung
der Lebensmittelproduktion bringt Fortschritt. Aber beides ist dem größten Teil der Bevölkerung fremd. Deswegen müssten sich Branchen öffnen und auch realistisch
informieren. Ich sage sehr kritisch: Dem wird so manche
Werbung nicht gerecht. Wir sehen Bilder von der lächelnden Bäuerin, die den Joghurt mit der Hand rührt.
Mit der Realität hat das wirklich nichts zu tun, und das
ist auch gut so; denn wahrscheinlich würde ein Gesundheitsamt diesen Joghurt nicht abnehmen, und das Frühstück wäre unbezahlbar. Aber die Verbraucher sind am
Ende enttäuscht. Wagen Sie Transparenz!
Zweitens. Es gibt Informationen im Überfluss. Wer
soll da eigentlich noch den Durchblick behalten? Hinzu
kommen beschönigende Abbildungen, zum Teil auch
irreführende Werbeaussagen. In der Hühnersuppe ist
kein Hühnerfleisch, im Schwarzwälder Schinken kein
Schwarzwälder Schwein. Deswegen ist es gut - da spreche ich Sie an, lieber Herr Minister -, dass diese Bundesregierung, dass auch Sie sich auf EU-Ebene dafür
eingesetzt haben, dass es klarer wird. So ab dem 13. Dezember wird besser gekennzeichnet werden - dank dieser Bundesregierung. Die Lebensmittel-Informationsverordnung wird zu mehr Transparenz beitragen; denn
damit sind Nährwertangaben zukünftig Pflicht. So kann
jeder Verbraucher sehen, wie viele Kalorien das Lebensmittel hat, wie viel Fett, Kohlehydrate und Eiweiß das
Lebensmittel hat - deutlich sichtbar und gut lesbar, und
das übrigens alles ohne Ampel, die inzwischen auch von
der Europäischen Kommission stark kritisiert wird. Wir
als Fraktion haben immer vor dieser Simplifizierung gewarnt. Trauen wir dem Verbraucher doch etwas zu!
({12})
Wir schützen Verbraucher, lieber Herr Minister, besser vor Täuschungen; denn ab dem 13. Dezember sind
Hersteller verpflichtet, künstlichen oder minderwertigen
Ersatz in Lebensmitteln, wie zum Beispiel Vanillin statt
echter Vanille, anzugeben, und zwar in unmittelbarer
Nähe des Produktnamens. Klebefleisch ist mit dem Hinweis „aus Fleischstücken zusammengefügt“ kenntlich zu
machen. Damit dienen wir Verbrauchern, aber auch den
Erzeugern und den Produzenten, die Klarheit und Wahrheit ernst nehmen.
({13})
Drittens brauchen wir Verbraucherbildung; denn wir
müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass sich der Verbraucher verändert hat. Das klassische Mittagessen in
der Familie ist inzwischen nicht mehr die Regel. Statt
drei Mahlzeiten am Tag gibt es gegebenenfalls zehn
Snacks. Kochkultur und Ernährungskompetenz befinden
sich auf dem Rückzug. Das Basiswissen fehlt.
Wenn die Bundesratsbank besetzt wäre, würde ich
jetzt an die Länder appellieren: Tun Sie den mutigen
Schritt, und führen Sie endlich ein Fach „Verbraucherbildung, Kompetenz Haus- und Ernährungswirtschaft“
ein. Damit wäre allen gedient.
({14})
Das tun die Länder leider nur eingeschränkt. Deshalb ist
es wichtig, dass der Bund in Verbraucherbildung investiert. Lieber Herr Minister, das tun Sie. In Ihrem Haushalt sind für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Ernährung im nächsten Jahr über 103 Millionen Euro
vorgesehen. Sie setzen dabei einen Schwerpunkt auf die
Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Ich erinnere an „IN FORM - Deutschlands Initiative für
gesunde Ernährung und mehr Bewegung“.
Mit Projekten wie dem Ernährungsführerschein oder
„KLASSE, KOCHEN“ wird Basiswissen darüber vermittelt, wo und wie Lebensmittel wirklich produziert
werden. So wird das Einmaleins der Ernährung vermittelt. So können auch Lebensmittelabfälle vermieden
werden; denn - darin sind wir uns einig - unser Essen ist
zu gut für die Tonne.
All dies bietet unser Haushalt. Deswegen kann ich am
Ende sagen: Bei uns geht über den Tisch, was bei den
Deutschen auf dem Teller landet, und das ist gut so.
({15})
Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. - Es liegt
noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage vor. Wird
auf die Zwischenfrage noch Wert gelegt, oder wollen Sie
eine Kurzintervention machen? - Das ist nicht der Fall.
Damit ist die Rede der Kollegin Gitta Connemann zu
Ende.
Ich rufe jetzt den Kollegen Willi Brase für die Sozialdemokraten auf.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute
den Einzelplan „Ernährung und Landwirtschaft“. Wir
haben einiges über die Entwicklung der ländlichen Regionen gehört. Ich habe einmal ein bisschen gestöbert
und geschaut, was uns eigentlich die Wissenschaft sagt,
was uns Institute sagen, wenn es um den Vergleich von
städtischen Metropolen und ländlichen Regionen geht.
Das hört sich etwas anders an als das, was wir teilweise
hier heute erfahren haben.
Auf dem Land
- so heißt es da so schön kommen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie demografischer Wandel, Fachkräftemangel oder lückenhafte Infrastruktur schneller und
direkter an. Deswegen müssen Lösungen für diese
Herausforderungen hier früher entwickelt und umgesetzt werden. Ländliche Räume werden so zu Experimentierfeldern für neue Konzepte, die sich unabhängig von ihrer geografischen Lage beweisen
müssen …
Das ist die Aussage des Leiters Gesellschaftliches Engagement der Deutschen Bank, die beim Fraunhofer-Institut eine entsprechende Studie im Rahmen der Standortinitiative „Deutschland - Land der Ideen“ in Auftrag
gegeben hat.
Es wird weiter festgestellt, dass es einige Megatrends
gibt, die durchaus positiv und bekräftigend für die sogenannten ländlichen Regionen, für den ländlichen Raum
und für die ländliche Entwicklung sind.
1. Unternehmergeist in ländlichen Räumen:
Ländliche Regionen
- ich komme aus der industriestarken Region Südwestfalen entwickeln Innovationsstrategien und neue Wirtschaftszweige, vor allem zur Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen. … Dienstleistungen … werden
modernisiert und digitalisiert. Ziel ist es, die Standortattraktivität aufrecht zu erhalten.
Genau das stimmt. Das kann ich teilweise in vielen Regionen von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holstein
feststellen. Genau das wird im ländlichen Bereich gemacht. Ich finde, an dieser Stelle muss man ihn nicht herunterreden, sondern sagen: Das sind starke Regionen,
und das muss auch so bleiben.
({0})
2. Ressource Natur als Wirtschaftsmotor:
… ländliche Räume … haben einen … Wettbewerbsvorteil gegenüber Städten und Metropolregionen: für eine wirtschaftlich attraktive Energiegewinnung …
Darüber werden wir gleich noch im Zusammenhang mit
Einzelplan 16 diskutieren; wir haben auch schon häufig
darüber diskutiert. Außerdem nutzen ländliche Regionen
die Natur bis hin zum Tourismus und sagen: Hier kannst
du nicht nur gut arbeiten. Wo andere Urlaub machen, da
arbeiten wir. - Auch das ist ein positives Merkmal.
({1})
3. Regionen werden zur Marke.
Ländliche Regionen entwickeln zunehmend ihre eigenen Gesichter.
Man weist ein Stück weit mit Stolz und Zufriedenheit
auf die eigene Region hin, wo man lebt, wo man bestimmte Produkte hat und wo es bestimmte Entwicklungen gibt. Außerdem gibt es immer mehr ländliche Regionen, die sich gegen gentechnisch veränderte
Lebensmittel aussprechen und die GVO-frei bleiben
wollen. Auch das sollten wir einmal positiv bemerken.
({2})
Es gibt wieder regionaltypische Kulturangebote. Wer
heute durch die Bundesrepublik wandert - auch elektronisch - und schaut, welche kommunalen und regionalen
Kulturangebote in den unterschiedlichen Jahreszeiten
gemacht werden, der kann nur sagen, dass das eine tolle
Sache ist. Das geht von der Nordsee bis zu den Alpen,
von Aachen bis Cottbus.
4. Gemeinsam für die Region.
Verantwortungsbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl prägen das Miteinander und sorgen im Bereich
gesellschaftlicher und sozialer Innovationen sowie
im Kampf gegen den Fachkräftemangel für ungewöhnliche, aber erfolgreiche Wege …
Also, ich erlebe ländliche Regionen nicht weinerlich und
jammernd. Ich erlebe sie auch nicht so, dass nur die
Landwirtschaft im Mittelpunkt steht. Vielmehr erlebe
ich ländliche Regionen so, dass Menschen anpacken,
dass sie Visionen entwickeln, dass sie nach vorne gehen,
dass sie gut arbeiten und immer wieder bereit sind,
Neues aufzunehmen.
Ein weiterer Punkt sind vernetzte Dörfer. Das ist allerdings ein Problem, das wir im Bereich der ländlichen
Regionen noch lösen müssen. Vernetzte Dörfer heißt
nichts anderes, als den Breitbandausbau und die Digitalisierung voranzutreiben.
Deshalb sind wir Sozialdemokraten dafür, die GAK,
sprich: die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, weiterzuentwickeln. Das haben wir uns vorgenommen, und das werden wir auch auf den Weg bringen. Hierfür brauchen wir
eine Grundgesetzänderung, damit wir nicht nur BULE
haben, was richtig und notwendig ist, wo experimentiert
wird und Best Practice auf den Weg gebracht wird. Wir
wollen es aber grundsätzlich so verankern, dass es in einem Artikel des Grundgesetzes um die Agrarstruktur
und den Küstenschutz sowie um die regionale ländliche
Entwicklung geht.
({3})
Im Haushalt haben wir dafür 600 Millionen Euro in
die Hand genommen. Das ist gut. Als Fachpolitiker waren wir uns aber einig, dass wir, wenn wir die GAK reformiert haben, Herr Minister, mehr Geld brauchen. Das
heißt, wir müssen gut und kräftig kämpfen, damit wir bei
und mit den Haushältern mehr Geld organisieren, damit
im positiven Sinne tatsächlich der richtige Weg für die
ländlichen Regionen eingeschlagen wird.
Ich fasse zusammen: Ländliche Räume sind Zukunftsräume. Die Beteiligungsbereitschaft der Menschen dort
ist hoch. Ländliche Räume sind partizipativ und kooperieren. Wir müssen etwas für die Daseinsvorsorge dort
machen. Vor diesem Hintergrund wird es Sie nicht erstaunen, wenn wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen: Wir wollen langfristig die erste Säule
der Gemeinsamen Agrarpolitik in die zweite überführen.
Vielen Dank für Ihr geduldiges Zuhören.
({4})
Danke schön. - Abschließender Redner zu diesem
Einzelplan ist der Kollege Rainer Spiering, SPD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
habe dem Verlauf der Diskussion heute sehr aufmerksam
zugehört. Gestatten Sie mir, zu sagen, dass ich bei einigen Diskussionsbeiträgen doch irritiert war.
Auf meiner Agenda steht: Postleitzahl 49… Das ist
der Wahlkreis Osnabrück-Land, also rund um Osnabrück. Dort befindet man sich mitten im Zentrum deutscher Tierproduktion mit den entsprechenden Folgen.
Dort zu leben, erzeugt vielleicht eine höhere Sensibilität,
als sie der eine oder andere hat. Man erlebt bei uns zu
Hause eine ausgesprochen effiziente Landwirtschaft, die
so arbeitet, wie der Industriestaat Deutschland arbeitet.
Wie sollte sich die Landwirtschaft davon auch abkoppeln? Das hat natürlich Folgen. Wir sind mittlerweile bei
Produktionsstandards angelangt, bei denen zumindest
ich - da gehe ich auf Johann Saathoff ein - ein Unbehagen wahrnehme. Ich glaube, wir müssen dieses Unbehagen sehr sensibel aufnehmen, und zwar im Sinne unserer
produktiven Landwirtschaft. Es findet in diesem Land
mittlerweile eine ausgesprochen intensive Wertediskussion statt. Ich glaube, wir sollten diese Wertediskussion
begleiten.
Ich sehe auf der Regierungsbank Staatssekretärin
Frau Schwarzelühr-Sutter sitzen. Sie hat ein ganz tolles
Amt; sie ist nämlich Verwaltungsratsvorsitzende der
DBU, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt - ich glaube, sie war an
diesem Projekt nicht ganz unbeteiligt - macht jetzt eine
ganz interessante Studie: Man untersucht landwirtschaftliche Höfe auf ihre ökologische Verträglichkeit beim
Einsatz von Energie. Ökobilanzen kennen wir aus industrieller Tätigkeit. Im industriellen Bereich sind solche
Untersuchungen seit langem gang und gäbe.
Jetzt macht die DBU zusätzlich etwas, was ich ausgesprochen spannend finde, nämlich eine Ethiküberprüfung. Das heißt, es werden Produktionsstandards und
Energieeffizienz von 15 oder 20 sehr großen Höfen intensiv untersucht, und parallel dazu findet eine Ethikdebatte
über die Frage statt, wie sich unser Verbraucherverhalten, unsere Produktion auf unsere Wahrnehmung auswirken. Ich finde es ganz wichtig, dass wir uns dieser Diskussion stellen. Nur wenn wir uns dieser Diskussion
inhaltlich gestellt haben und Ergebnisse vorliegen, können wir auch fortschreiten - oder aber uns zurücknehmen.
({0})
Wenn man wie ich aus einer Region mit einem Riesenstahlwerk kommt, dann fällt einem der Vergleich sehr
leicht. Natürlich sind wir in der Effizienz unserer Stahlherstellung unglaublich gut geworden. Aber ich sage Ihnen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Steigerung
der Stahlproduktion und der Tieraufzucht, und dessen
müssen wir uns jederzeit bewusst sein.
({1})
Ein weiterer wichtiger Themenkreis für die Landwirtschaft in der Region Osnabrück ist die mit der Landwirtschaft einhergehende Landwirtschaftsindustrie. Ich habe
heute noch einmal nachgeschaut: Krone, Grimme, Amazone, Claas haben ein Umsatzvolumen von 5 Milliarden
Euro, ungefähr 13 000 Beschäftigte und einen Exportanteil von knapp über 70 Prozent. Das ist natürlich auch
meiner Heimatregion geschuldet. Diese Unternehmen
sind unglaublich intensiv am Markt. Was sie natürlich
brauchen, Herr Minister - jetzt komme ich wieder zu
meinem Lieblingsthema -, ist, dass sie von der Bundesrepublik Deutschland bei unglaublich intensiven Forschungsvorhaben begleitet werden.
Ich bin unlängst bei Claas gewesen. Ich hoffe, dass
ich das jetzt nicht falsch darstelle; denn es ist ziemlich
kompliziert: Es wird ja eine Eiweißstrategie verfolgt.
Man beschäftigt sich dabei mit der Umsetzung von Proteinen. Man ist bei Claas in der Sensorik mittlerweile so
weit, dass man offensichtlich schon bei der Aufnahme
des Grases feststellen kann, wie hoch dessen Proteingehalt ist. Das finde ich total spektakulär. Toll finde ich
auch, dass so etwas bei uns in Deutschland stattfindet.
Ich glaube, dass wir da im Rahmen der technologischen
Fortentwicklung - ich verweise auf Düngerhersteller wie
Amazone - insgesamt Unterstützung leisten müssen.
Wenn wir den Technologiestandort Deutschland mit
seiner Riesenexportrate weiterentwickeln wollen, dann
müssen wir da mehr Forschungsmittel investieren.
Eines möchte ich, bevor meine Redezeit vorbei ist,
noch loswerden: Ich habe heute beim DIL nachgefragt:
Wie sieht es eigentlich mit der Energieintensität der Lebensmittelproduktion aus? Von den 500 Exajoule, die
wir an Energie pro Jahr weltweit verbrauchen, entfällt
zurzeit ungefähr ein Drittel auf die Lebensmittelherstellung, und zwar deshalb, weil wir da nicht effizient genug
sind.
Wenn Sie einmal einen konzentrierten Blick auf die
Stadt Berlin und ihren Energieverbrauch werfen, dann
werden Sie eine unglaublich hohe Energiedichte bei
Edeka, Lidl, Aldi und Rewe finden. Das hängt mit der
Produktionstechnik in Deutschland zusammen: Kühlketten, Produktionsketten, Logistikketten. All dies kommt
dort zusammen. Ich glaube, wir werden intensiv daran
arbeiten müssen, die Energieverluste, die wir dort erleiden, herunterzufahren, um eine wesentlich höhere Energieeffizienz zu bekommen. Dann, Herr Minister, sind
wir bei der Bioökonomie, und ich weiß Sie da auf meiner Seite.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen
zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3303. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist damit
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3304. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt gegen diesen Änderungsantrag? - Dieser Änderungsantrag
ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10
in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan
10? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es damit
logischerweise keine. Der Einzelplan 10 ist damit mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit
Drucksachen 18/2815, 18/2823
Die Berichterstattung haben die Kollegen Abgeordnete Steffen-Claudio Lemme, Christian Hirte, Dr. André
Berghegger, Roland Claus sowie Sven-Christian
Kindler.
Zu dem Einzelplan 16 liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor. Des Weiteren liegen zwei
Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über die wir aber erst morgen nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache, die letzte am heutigen Tag, 96 Minuten vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Somit ist das beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, sehe, dass mittlerweile
alle hier zuständigen Kolleginnen und Kollegen ihren
Platz eingenommen haben, und erteile als erstem Redner
dem Kollegen Hubertus Zdebel von den Linken das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Sehr
geehrte Frau Staatssekretärin und - er verschwindet leider gerade ins Gespräch - sehr geehrter Herr Staatssekretär! Es war keine gute Entscheidung für den Umweltschutz, dass die Energiepolitik von der Großen Koalition
aus dem Umweltministerium herausgetrennt und dem
Wirtschaftsministerium zugeschlagen wurde.
({0})
Das macht sich jetzt schon sehr deutlich bemerkbar,
auch im Umweltausschuss selbst, weil verschiedene
Themen, die früher immer im Umweltausschuss behandelt wurden - energiepolitische Fragen und sehr viele
andere Fragen des Umweltschutzes -, teilweise nicht
mal mehr im Umweltausschuss diskutiert werden, sondern nur noch im federführenden Ausschuss; das ist im
Regelfall der Ausschuss für Wirtschaft und Energie.
Auch die Debatte um die Klimaschutzziele macht das
sehr deutlich; denn es hängt jetzt vor allem vom Wirtschaftsminister ab, ob er dem Klimaschutz Vorrang gibt
oder den wirtschaftlichen Braunkohleinteressen von Vattenfall und RWE. Das Umweltministerium kann nur
noch Vorschläge machen; aber hier hat das Ministerium
keine echte Handhabe mehr, um wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahmen auch umzusetzen. So wird der Umweltschutz erneut der Wirtschaftspolitik untergeordnet.
Das lässt sich an anderen signifikanten Bereichen Ihres
Ressorts, Frau Hendricks, deutlich belegen.
Stichwort Atommüll. Der Entwurf des nationalen
Entsorgungsprogramms bringt es an den Tag: Wir haben
vermutlich doppelt so viel Atommüll, wie die Bundesregierung bislang zugegeben hatte. Klar ist damit auch:
Die gesamte Atommüllentsorgung wird noch viel teurer
werden als bislang gedacht. Immerhin - das rechne ich
Ihnen sehr hoch an, Frau Ministerin - hat die Bundesregierung jetzt begonnen, sich der strahlenden Realität zu
stellen. Die Frage ist aber doch letztlich: Wann will die
Bundesregierung endlich die entsprechenden Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen ziehen? - Davon ist
bisher nichts zu sehen.
An vielen Standorten entwickelt sich die Atommülllagerung zum Desaster. In Brunsbüttel zum Beispiel quillt
der Atommüll aus verrosteten Fässern, und bundesweit
wurden bislang 2 000 Rostfässer entdeckt. Der Atommüll in Jülich soll sogar - in meinen Augen rechtswidrig - in die USA verschoben werden,
({1})
weil man die sichere Lagerung bisher nicht in den Griff
bekommen hat. Deswegen haben wir heute in der Debatte zum Forschungsetat verlangt, die vorgesehenen Finanzmittel für dieses rechtswidrige Atommüllgeschachere mit den USA zu streichen.
({2})
Der Antrag wurde aber gegen die Stimmen der Linken
und der Grünen von der Großen Koalition abgelehnt.
({3})
Das macht deutlich, wohin die Reise gehen soll.
Der Schacht Konrad ist als Endlager nicht geeignet;
das wissen wir alle. Der Ausbau des Lagers für leichtund mittelradioaktiven Atommüll verzögert sich wegen
immer neuer Probleme immer weiter. Dadurch steigen
auch die Kosten. Und jetzt muss die Regierung zugeben:
Er reicht nicht mal aus, um den gesamten Atommüll aufzunehmen.
Der Oberbürgermeister von Salzgitter, die IG Metall
Salzgitter-Peine, das Landvolk Braunschweiger Land
und die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad haben völlig recht, wenn sie die Bundesregierung und die Niedersächsische Landesregierung auffordern, bei diesen Fragen
endlich zu einem Neustart zu kommen. Meine Fraktion
hat daher für die heutige Sitzung beantragt, kein neues
Geld in den ungeeigneten Schacht Konrad zu stecken.
({4})
Es macht auch wenig Sinn, weitere Haushaltsmittel in
ein mangelhaftes Standortauswahlgesetz oder gar in den
Aufbau eines völlig überflüssigen neuen Bundesamtes
für kerntechnische Entsorgung zu stecken. Die Anhörung der Endlager-Kommission vor einigen Wochen,
Anfang November, hat diesen Unsinn verdeutlicht: Fast
alle Experten meldeten massive Bedenken gegen dieses
neue Bundesamt an. Wann wollen Sie, meine Damen
und Herren von der Großen Koalition, denn daraus die
Konsequenzen ziehen? - Sie haben gleich die Chance,
dem entsprechenden Änderungsantrag von uns zuzustimmen.
({5})
Jahrzehntelang hatten die Atomkonzerne mit den
AKW die Lizenz zum Gelddrucken. Den atomaren
Dreck und die enormen Kostenrisiken sollen jetzt der
Staat und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
übernehmen. Die größte Unverschämtheit ist, dass sich
die Konzerne nun auch noch aus der Finanzierung der
Atommüllentsorgung stehlen wollen. Wir Linke sagen:
Es gibt ein Verursacherprinzip, und dieses muss die Regierung durchsetzen.
({6})
Frau Hendricks, es wäre gut, wenn Sie endlich klar sagen würden - da hört man im Moment sehr wenig von
Ihnen -, wohin die Reise bei dieser Sache, bei der sogenannten Bad Bank für Atom, gehen soll.
Lassen Sie mich am Schluss noch einiges zum
Fracking sagen. Für uns Linke ist klar: Fracking muss
angesichts der unvorhersehbaren Risiken für Mensch
und Umwelt ohne jegliche Ausnahmen per Gesetz verboten werden.
({7})
Sonst stehen uns die nächsten Umweltkatastrophen und
damit die nächste Kostenexplosion ins Haus. Eine Bad
Bank für Fracking - ähnliche Überlegungen gibt es auch
für den Atombereich - wäre vorprogrammiert.
Noch im Juli 2014 hatten Sie, Frau Hendricks, gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Gabriel die
strengsten Regeln angekündigt. Jetzt haben Sie diese Regeln weiter aufgeweicht. Bei aller Rhetorik: Die vorgeHubertus Zdebel
schlagenen gesetzlichen Regelungen laufen in Wirklichkeit auf ein Fracking-Erlaubnis-Gesetz hinaus.
({8})
Sie haben einen weiteren Kniefall vor den Konzernen
gemacht, und Mensch und Umwelt bleiben erneut auf
der Strecke, und das alles offensichtlich mit Ihrer Zustimmung, Frau Ministerin. So stellen wir uns wirkungsvolle Politik im Umweltbereich zum Schutz von Mensch
und Natur nicht vor. Wir werden den Einzelplan daher
ablehnen.
({9})
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Steffen-Claudio Lemme.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den letzten Tagen, in dieser Haushaltsdebatte ist anlässlich des historischen Ereignisses, einen ausgeglichenen
Bundeshaushalt ohne neue Schulden aufzustellen, häufig
der Begriff „Verantwortung“ gefallen.
Ja, es ist richtig: Was wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen, bemisst sich nicht allein am Haushaltssaldo.
({0})
Angesichts zunehmender Naturkatastrophen und des
Klimawandels führt uns der Politikbereich des Bundesumwelt- und -bauministeriums unsere Verantwortung für
die Zukunftsfähigkeit unseres Landes besonders deutlich
vor Augen. Ich möchte daher darlegen, welche Anstrengungen wir in Zeiten eines ausgeglichenen Haushalts im
Bereich Umwelt-, Naturschutz-, Klima- und Baupolitik
unternehmen.
Die Hochwasserereignisse in den Jahren 2002 und
2013 haben allein im Gebiet um Donau und Elbe Schäden in Höhe von rund 18 Milliarden Euro verursacht.
Gemeinsam mit den Ländern steht der Bund deshalb in
der Verantwortung, dass sich solche Katastrophen nicht
wiederholen. Deshalb investieren wir nun in vorbeugende Maßnahmen.
Ich freue mich, dass wir trotz der Zielsetzung eines
ausgeglichenen Bundeshaushaltes die Hochwasserschutzvorsorge entschlossen angehen und bereits im Jahr
2015 erste 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
({1})
Damit werden besonders schlimm betroffene Gebiete finanzielle Hilfe für präventive Maßnahmen wie Deichrückverlagerungen oder Flutpolder erhalten.
Im Bereich Naturschutz konnten wir 3 Millionen
Euro für den Kampf gegen die Wilderei bereitstellen. Im
vergangenen Jahr fielen allein in Afrika mehr als
20 000 Elefanten Wilderern zum Opfer. Ähnlich dramatisch sieht die Lage bei Nashörnern aus. Allein in Südafrika wurden im letzten Jahr über 1 000 Nashörner illegal getötet. Mit den 3 Millionen Euro zur Stärkung der
internationalen Zusammenarbeit im Naturschutz möchten wir stärker gegen den illegalen Handel mit Elefanten- und Nashornprodukten vorgehen.
({2})
Als weiteren Erfolg der parlamentarischen Haushaltsberatungen konnten wir mit 30 Millionen Euro das Förderprogramm zur Nachrüstung von Diesel-Pkw mit Rußpartikelfiltern wieder auflegen.
({3})
Diese erneute Unterstützung bei der Umrüstung ist sehr
sinnvoll, da nach Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes
zum Stichtag 1. Januar 2014 noch immer rund 1,5 Millionen Diesel-Pkw und 400 000 leichte Nutzfahrzeuge
für eine Umrüstung in Betracht kommen. Auch die gestrige Rüge der EU-Kommission, dass wir unsere verbindlichen Grenzwerte für Feinstaub in einigen größeren
Städten noch immer überschreiten, bestätigt den Sinn
dieser Entscheidung.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verantwortung
steht gerade auch dann im Mittelpunkt unseres Handelns, wenn es darum geht, Flüchtlingen, die bei uns
Hilfe suchen, eine sichere und menschenwürdige Unterkunft bereitzustellen. Ich bin deshalb erleichtert, dass
wir in der Bereinigungssitzung beschlossen haben, dass
Grundstücke und leerstehende Gebäude im Besitz des
Bundes den Ländern und Gemeinden zur Unterbringung
von Asylsuchenden und Flüchtlingen mietfrei überlassen
werden.
({5})
Als richtige Entscheidung hat sich auch das von uns
mit dem Haushalt 2014 neu aufgelegte Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ erwiesen.
So haben wir nicht nur eine jahrelange sozialdemokratische Forderung umgesetzt, indem wir die Städtebaufördermittel von 455 auf 700 Millionen Euro aufgestockt
und die „Soziale Stadt“ zum Leitprogramm innerhalb
der Städtebauförderung gemacht haben. Wir haben mit
dem Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“ ein
Programm ins Leben gerufen, das eine wichtige Lücke
in der Städtebauförderung schließt; denn es ermöglicht
die Förderung von Projekten mit besonderer nationaler
Wahrnehmbarkeit und Qualität.
Vor einer Woche wurden 21 Projekte bekannt gegeben, die im Programmjahr 2014 profitieren werden. Mit
der riesigen Resonanz, die dieses Programm erfahren
hat, hatte ich nicht gerechnet; denn bis zum Fristablauf
waren über 270 Projektanträge mit einem beantragten
Fördervolumen von mehr als 900 Millionen Euro eingegangen. Das Programm war damit nur vier Monate nach
seinem Entstehen bereits um mehr als das 18-Fache
überzeichnet. Diesen Erfolg werden wir im Haushalt
2015 mit einer zweiten Förderperiode in gleicher Höhe
fortsetzen.
({6})
Kurz vor dem Klimagipfel in Lima, der noch in diesem Jahr den Weg für ein neues internationales Klimaabkommen bereiten soll, wird viel über das Erreichen unseres Reduktionsziels diskutiert. Ich meine: zu Recht.
Angesichts der großen Relevanz möchte ich den Klimaschutz in meiner heutigen Rede hervorheben. Meiner
Meinung nach gibt es keine Alternative dazu, unser
selbstgestecktes Ziel, bis 2020 40 Prozent CO2-Emissionen gegenüber 1990 einzusparen, zu erreichen.
({7})
Deutschland ist der größte Treibhausgasverursacher
Europas und muss zeigen, dass Klimaschutz in einem Industrieland nicht nur funktioniert, sondern auch große
Wachstumspotenziale beinhaltet.
({8})
Wir müssen vor dem Klimagipfel in Lima zu unserem
Wort stehen, damit ein Abkommen für das internationale
2-Grad-Ziel beschlossen werden kann, doch dafür müssen wir noch eine Lücke zwischen 5 und 8 Prozentpunkten schließen. Es sind deshalb erhebliche zusätzliche
Anstrengungen in allen Sektoren und von allen Akteuren
erforderlich.
Das Bundesumweltministerium und das Bundeswirtschaftsministerium gehen mit ihrem Aktionsprogramm
Klimaschutz 2020 und dem Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz, der mit 25 bis 30 Millionen Megatonnen zusätzlicher Einsparung Bestandteil des Aktionsprogramms sein wird, den richtigen Weg.
({9})
Starke Minderungspotenziale gibt es vor allem auch
in der Energiewirtschaft, der Industrie, bei den Haushalten und somit insbesondere auch bei Gebäuden, im Verkehr und in der Landwirtschaft. Die Verantwortung zur
Einhaltung des Ziels liegt somit nicht nur bei den beiden
SPD-Ressorts Umwelt und Wirtschaft, sondern sie wird
auch Zugeständnisse in anderen Bereichen erfordern.
({10})
Zugegeben: Es ist einfach, unsere Ziele mit Prosa zu
umschreiben und Forderungen zu stellen. Angesichts aller Interessenlagen, denen Sie gegenüberstehen, ist es
ein Kraftakt, den Sie da vor sich haben, Frau Ministerin.
Aber ich bin mir sicher, dass Sie diesen schaffen werden.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere solide Finanzpolitik mit einem ausgeglichenen Haushalt ermöglicht es uns auch, Mehrausgaben für Investitionen zu tätigen. Diese sind dringend notwendig, um nicht auf
Verschleiß zu fahren.
„Die Investitionsentscheidungen von heute werden
die Zukunft unserer Wirtschaft und unseres Klimas bestimmen“, möchte ich an dieser Stelle den ehemaligen
Weltbank-Chefökonomen und Co-Vorsitzenden der Globalen Wirtschafts- und Klimakommission, Lord Nicholas Stern, zitieren. Bei den zusätzlichen 10 Milliarden
Euro für Investitionen sollten die Energieeffizienz im
Gebäudebereich und die energetische Quartiers- und
Stadtentwicklung daher eine herausragende Rolle spielen. Zusätzliche Investitionen ohne neue Schulden: Das
sind insbesondere für die nachfolgenden Generationen
gute Nachrichten - womit wir wieder bei der Verantwortung wären.
Wir haben in diesem Jahr zwei Bundeshaushalte beraten. Ich denke, dass wir im Umwelt- und Baubereich
eine gute Arbeit geleistet haben, an die wir nun anknüpfen können.
({12})
Ich möchte mich bei meinen Mitberichterstattern,
auch wenn sie hier so reinquaken, für den stets guten
Austausch bedanken. Auch beim Ministerium bedanke
ich mich recht herzlich für die gute Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({13})
Danke, Herr Kollege Lemme. - Nächste Rednerin ist
für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Hendricks, Haushaltsreden sind in der
Regel auch Grundsatzreden. Gerade nach einem Jahr
Bundesregierung bietet es sich an, eine Bilanz zu ziehen.
Da will ich etwas machen, was Sie vielleicht ein bisschen wundert, Frau Ministerin. Zunächst einmal möchte
ich Sie nämlich in meiner Funktion als Umweltausschussvorsitzende loben;
({0})
denn Sie informieren uns Abgeordnete, nehmen uns
ernst und versuchen, uns da, wo Sie können, auch in unseren Anliegen zu unterstützen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Dafür herzlichen Dank!
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Wir haben als gesamter Umweltausschuss gefordert, dass bei
unseren Dienstreisen, sowohl den Flugreisen als auch
den Autofahrten, der CO2-Ausstoß kompensiert wird.
Damit wollen wir ein Zeichen setzen. Mit diesem Symbol wollen wir deutlich machen, dass wir Klimaschutz
ernst nehmen. Der gesamte Umweltausschuss hat diesen
Beschluss gefasst. Die Ministerin hat 2 Millionen Euro
in ihren Haushalt eingestellt. Wir mussten als Abgeordnete nur noch den Zusatz vornehmen, dass das nicht nur
für die Bundesregierung gilt, sondern auch für den BunBärbel Höhn
destag - ohne jeden Cent mehr. Es ist am Ende an einigen Haushaltskollegen der CDU/CSU gescheitert.
({1})
Das finde ich extrem enttäuschend. Was wir da erlebt haben, ist absolut peinlich.
({2})
Ich wende mich jetzt der fachlichen Bewertung zu.
Dabei will ich meine Funktion als Umweltausschussvorsitzende beiseitelegen und als grüne Abgeordnete sprechen. Da muss ich sagen, dass ich Ihre inhaltliche Bilanz
schon sehr enttäuschend finde. Das möchte ich nicht nur
an den Punkten, bei denen Ihr Ministerium Kompetenzen verloren hat und Herr Gabriel Ihnen aus meiner
Sicht viel zu häufig in die Suppe spuckt, sondern auch an
ureigenen Tätigkeiten und Feldern festmachen.
Ich nehme nur einmal die Abfallpolitik. Das Duale
System steht vor einem Kollaps. Die Müllverbrennungsanlagen haben in vielen Regionen Überkapazitäten. Sie
saugen den Müll zu Billigstpreisen an. Das führt natürlich in vielen Bereichen dazu, dass die Verwertungsquoten in den Keller gehen. Da haben wir ein Riesenproblem. Das müssen Sie endlich anpacken, Frau
Ministerin.
({3})
Die Menschen wollen recyceln. Sie wollen ihre Altgeräte eben nicht mehr so entsorgt sehen, wie es jetzt der
Fall ist, nämlich auf Deponien in Afrika, wo Kinder unter schrecklichsten, gesundheitsschädlichen Bedingungen diese Geräte auseinandernehmen. Das heißt: Sorgen
Sie dafür, dass wir eine Wertstofftonne bekommen. Sorgen Sie dafür, dass die Umsetzung der Altgeräte-Richtlinie endlich vorankommt. Das ist ein wichtiger Schritt.
({4})
Eben ist dargestellt worden, dass 3 Millionen Euro für
den Kampf gegen Wilderei bereitgestellt werden. Das ist
eine gute Sache - für Nashörner und Elefanten. Es gilt
aber genauso, vor der eigenen Haustür zu kehren. Wir
haben auch einen dramatischen Verlust an Vögeln und
Reptilien zu verzeichnen. Nun betrifft das nicht alleine
Ihre Tätigkeit. Das ist nicht alles im letzten Jahr gewesen. Im letzten Jahr sind aber wichtige Entscheidungen
für die intensive Landwirtschaft gefallen. Das haben wir
gerade eben bei der Debatte zur Landwirtschaft gehört.
Sie haben bei diesen Entscheidungen mitgemacht, Frau
Ministerin. Das bedeutet einen weiteren Verlust an Vögeln, an Reptilien, an Arten. Dies fällt in Ihr Ressort.
Das dürfen wir nicht durchgehen lassen.
({5})
Ein wichtiger Punkt ist auch das Fracking. Was haben
Sie dazu gesagt? Sie haben gesagt, Sie werden das verhindern. Ich habe noch ein Zitat aus dem Deutschlandradio. Nach der letzten Einigung, die Sie mit Gabriel erzielt haben, haben Sie gesagt, dass „keinerlei irgendwie
wassergefährdende Stoffe eingesetzt“ werden. Aber Tatsache ist etwas anderes. Tatsache ist, dass auch schwach
wassergefährdende Stoffe eingesetzt werden. Sie ermöglichen ab 2018 Fracking. Sie machen die Tür auf. Da
muss ich sagen: Die Bevölkerung ist dagegen. Zeigen
Sie Stärke, und stoppen Sie das Fracking. Wir brauchen
das hier nicht.
({6})
Wir reden viel über internationalen Klimaschutz, über
das Klimaaktionsprogramm und über die 40 Prozent an
CO2, die wir hier in Deutschland reduzieren wollen. Sie
selbst haben an dem von Ban Ki-moon veranstalteten
Gipfel in New York teilgenommen. Sie haben dort selber
mitdemonstriert und gesagt, dass Sie die KfW-Förderung von Kohlekraftwerken im Ausland stoppen wollen.
Das haben Sie am Ende nicht gemacht. Es ist nur die
Entwicklungsbank, die jetzt nicht mehr fördert. Aber die
IPEX-Bank fördert weiter. Mit 2 Milliarden Euro wird
die falsche Förderung von Kohlekraftanlagen fortgesetzt. Das ist kein gutes Zeichen, Frau Ministerin. Auch
das hätten Sie stoppen müssen.
({7})
Wir sollten Kohlekraftwerke im Ausland nicht mehr fördern.
Was gilt nun hier in Deutschland? Ich erwarte hier eigentlich - wie wurde das eben so schön gesagt? - Klarheit und Wahrheit. Das, was wir erleben, ist eine Trickserei mit Zahlen. Sie nützt dem Klima nicht. Was ist
denn passiert? Schauen wir uns das einmal an, anstatt
immer von einer Lücke von 5 bis 8 Prozent zu reden.
Wir wollen den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent reduzieren. Darin sind wir uns einig. Was haben wir bisher
gemacht? Wir haben den CO2-Ausstoß in 23 Jahren um
24 Prozent reduziert. Die Lücke beträgt also 16 Prozent
und nicht 5 oder 8 Prozent. Wir haben also den CO2Ausstoß in 23 Jahren um 24 Prozent reduziert. Wir müssen daher den CO2-Ausstoß in den verbleibenden fünf
Jahren noch um 16 Prozent reduzieren, um diese Lücke
zu schließen.
Wenn Minister Gabriel jetzt sagt, dass die Kraftwerke
eine Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 erbringen sollen, was ist dann eigentlich mit dem, was von der
alten Regierung vorgegeben worden ist? Da hieß es
doch: Kraftwerke, die über 45 Jahre am Netz sind, werden wohl automatisch abgeschaltet. Das entspräche einem Minus von 40 Millionen Tonnen CO2 in 2020. Gilt
das noch? Kommen die 22 Millionen Tonnen CO2 zu der
Einsparung durch die Abschaltung dieser alten Kraftwerke hinzu, oder hat der Minister seinen Beitrag, der eigentlich geleistet werden soll, gerade mal eben auf die
Hälfte reduziert?
({8})
Und was ist mit der anderen Lücke, die noch bleibt?
Diese Trickserei, die Sie da veranstalten, nützt keinem. Sie nützt noch nicht einmal den Menschen im
Ruhrgebiet. Es wird ja immer gesagt, dass es da um Arbeitsplätze geht. Ich kann Ihnen sagen: Ich wohne im
Ruhrgebiet. Der Steinkohlebergbau ist viel zu lange subventioniert worden. Wir hätten das Geld besser in die
Umstrukturierung und in zukunftsfähige Arbeitsplätze
investieren sollen.
({9})
Das Geld hätten wir dafür nehmen sollen. Dann hätten
wir den Menschen mehr geholfen.
Ich komme zum letzten Punkt: Eigentlich bleibt Ihnen
noch viel in Ihrem Ministerium. Sie sind für sehr wichtige Dinge zuständig, nämlich für unseren Schutz: für
den Klimaschutz und den Schutz der Biodiversität. Das
sind unsere Lebensgrundlagen. Machen Sie doch endlich
etwas daraus. Machen Sie auch etwas aus den sozialen
Fragen des Ministeriums. Wenn ich jetzt einfach einmal
das Wohngeld als Beispiel nehme - es ist 2013 gekürzt
worden, dann wieder erhöht; heute, vor dem Winter, haben wir 100 Millionen Euro weniger für die Betroffenen
zu Verfügung -, dann muss ich sagen: Das ist keine Sozialpolitik, sondern das ist eine falsche Politik ohne
Konzept und ohne Plan, Frau Ministerin.
({10})
Von daher: Es wäre auch in diesem verkleinerten
Ministerium viel möglich. Trauen Sie sich einfach mehr
zu. Machen Sie Umweltschutz wieder zum Thema. Wir
werden Sie bei einer guten Umweltpolitik unterstützen,
aber ansonsten werden wir Sie kritisieren.
Danke schön.
({11})
Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Christian Hirte.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen! „Das Budget sollte ausgeglichen sein, die öffentlichen Schulden sollten reduziert
werden.“ Das sagte schon Marcus Tullius Cicero vor
2000 Jahren. Relativ lange hat es gedauert, ehe sich
diese Erkenntnis in der praktischen Politik wirklich
durchgesetzt hat. Gut, dass wir heute so weit sind. Gut,
dass wir einen Haushalt haben, den wir in dieser Woche
ohne Neuverschuldung verabschieden werden.
({0})
Während viele europäische Staaten mit einer Neuverschuldung kämpfen - gewollt oder ungewollt; aber selten ohne eigenes Zutun -, macht Deutschland in der gesamtstaatlichen Betrachtung sogar Überschüsse. Stellt
man Haushalts- und Handelsbilanz nebeneinander,
kommt Deutschland mit einem Plus von fast 6 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts hervorragend davon.
In diese Stärke versuchen nun aber andere Staaten
und auch einige Politiker hierzulande eine besondere
Verantwortung Deutschlands hineinzuinterpretieren.
Wer so viel Geld habe, meinen sie, solle es gefälligst
auch ausgeben. Bei nicht wenigen stößt dies auf offene
Ohren. Zum Beispiel scheint die neue rot-rot-grüne Allianz in Thüringen das Geldausgeben in großem Umfang
zu planen, freilich ohne viele Worte darüber zu verlieren,
wo denn das Geld dafür herkommen soll.
({1})
Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lenkert?
Gerne.
Kollege Hirte, die CDU hat in Thüringen 24 Jahre
lang regiert. Im Jahr 1991 lag der Schuldenstand Thüringens bei null, inzwischen liegt er bei fast 17 Milliarden Euro. Können Sie mir sagen, wer die ganze Zeit den
Ministerpräsidenten in Thüringen gestellt hat, welche
Partei diese Schulden verursacht hat?
({0})
Herr Kollege Lenkert, möglicherweise haben Sie verkannt, woraus die hohen Investitionsausgaben und die
Schuldenaufnahme resultierten. Sie resultierten nicht aus
der Politik der vergangenen 24, 25 Jahre im neugegründeten Freistaat Thüringen, sondern aus der desaströsen
Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die SED in den Jahren zuvor zu verantworten hatte.
({0})
Wenn Sie hier den Eindruck erwecken wollen, dass die
Schulden in Thüringen daraus resultieren, dass in den
letzten Jahren keine verantwortungsvolle Haushaltspolitik betrieben wurde, sollten Sie sich daran erinnern, dass
wir in Thüringen seit Jahren ausgeglichene Haushalte
vorgelegt haben. Schon in den letzten Jahren der Regierung Althaus ist es gelungen, ohne neue Schulden auszukommen. In der aktuellen Legislaturperiode sind sogar
Schulden getilgt worden. Ich würde mir wünschen, dass
Thüringen diesen Kurs in den nächsten Jahren beibehält.
Leider ist das nicht zu erwarten.
({1})
- In der Tat, das tut mir weh. Es zeichnet sich ja ab, was
wir zu erwarten haben.
Die Schuldenkrise hat verdeutlicht, wie anfällig Staaten mit einer hohen Schuldenquote sind. Gerade das BeiChristian Hirte
spiel Griechenland zeigt doch, wie wichtig solides Wirtschaften ist. Die schwarze Null ist deswegen kein
Fetisch, keine Monstranz, die der Finanzminister vor
sich herträgt, und sie ist auch nicht seiner Eitelkeit geschuldet, sondern sie steht für die Glaubwürdigkeit und
für die Stabilität unseres Gemeinwesens. Das sind ganz
wichtige Standort- und Investitionsvorteile, die - das ist
zu befürchten - künftig in Thüringen vielleicht nicht
mehr gegeben sind.
Dass Sparen und Investieren sich nicht gegenseitig
ausschließen, haben wir mit dem Haushaltsentwurf 2015
bewiesen. Dafür ganz herzlichen Dank an den Finanzminister. Für den Einzelplan 16 gilt der Dank insbesondere Ministerin Hendricks und den Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss, die Kurs gehalten haben und dieses
historische Ereignis ermöglicht haben. Liebe aktuelle
Freunde von der SPD, dieses Ergebnis ist auch Folge
dessen, was die letzte Große Koalition mit der Schuldenbremse auf den Weg gebracht hat. Das ist quasi die Konsequenz der Schuldenbremse, die vor einigen Jahren vereinbart wurde und jetzt endlich greift. Auch dafür
herzlichen Dank an die Koalitionäre. Mein herzlicher
Dank gilt im Besonderen meinem Fraktionskollegen
Dr. André Berghegger, der mit mir gemeinsam im Haushaltsausschuss den Einzelplan 16 verantwortet, heute
aber leider nicht sprechen kann, da sich der Ältestenrat
auf eine bestimmte Höchstzahl von Rednern verständigt
hat. Deswegen darf ich heute seine Erfolge hier mit erläutern.
Bundesfinanzminister Schäuble hat angekündigt, in
den nächsten Jahren trotz sich eintrübender Konjunkturaussichten und dem damit in Zusammenhang stehenden
geringeren Anstieg der Steuereinnahmen zusätzlich
10 Milliarden Euro für investive Maßnahmen auszugeben. Aber schon heute wird investiert: Mit dem Koalitionsvertrag haben wir beschlossen, die Haushaltsmittel
des Bundes für die Städtebauförderung zu erhöhen. Das
haben wir im Haushalt 2014 gemacht. Auf diesem hohen
Niveau setzen wir die Förderung im Haushalt 2015 fort.
Außerdem haben wir den Maßnahmenkatalog noch einmal konkretisiert und deutlich gemacht, dass ab diesem
Jahr auch Grünflächen förderfähig sind. Ich denke, das
ist für die Nachhaltigkeit wichtig und hat auch etwas mit
ökologischer Verantwortung zu tun, müsste den Grünen
also gefallen.
({2})
Ich denke, das ist am Ende ein wichtiges Instrument, um
die Attraktivität von Stadtzentren und die Lebensqualität
zu steigern.
Beim Wohngeld gibt es im Vergleich zum Regierungsentwurf in der Tat erhebliche Änderungen - das ist
schon angesprochen worden -, nämlich 100 Millionen Euro weniger. Es sieht in der Tat etwas beherzt aus,
dass wir so viel weniger ansetzen. Aber die Bundesregierung hat eine Reform des Wohngeldgesetzes angekündigt. Es besteht auch überhaupt kein Zweifel daran,
dass sie im nächsten Jahr umgesetzt wird. Aber wenn
wir sie im nächsten Jahr umsetzen und berücksichtigen,
dass die Kommunen noch ein bisschen Zeit brauchen
werden, um ihre Software umzustellen und alles vernünftig umzusetzen, dass also noch eine gewisse Zeit
zwischen der Verabschiedung des Gesetzentwurfes und
dem Inkrafttreten des Gesetzes benötigt wird, ist klar,
dass das neue Gesetz im nächsten Jahr noch nicht komplett kassenwirksam werden kann. Wenn wir uns die
Zahlen für dieses Jahr ansehen, zum Beispiel Stand September 2014, stellen wir fest, dass gerade einmal
300 Millionen Euro abgeflossen sind. Das heißt, mit
dem um 100 Millionen Euro niedrigeren Ansatz kommen wir hervorragend zurecht, ohne dabei Aussagen darüber zu treffen, wie genau die Reform inhaltlich aussehen wird.
Auch Bildung und Wissenschaft sind wichtige Themen, die wir uns als Koalition vorgenommen haben. Es
ist gut, dass wir im Rahmen des Einzelplans 16 mit dem
Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig ein wichtiges Projekt angehen. Aufgrund der Evaluierung war
schon vor Jahren klar, dass es gut wäre, wenn das Institut
umzieht, um Synergieeffekte zu schaffen. Es ist schön,
dass wir diese Maßnahmen im Rahmen des nächsten
Haushalts starten und damit den Wissenschaftsstandort
Deutschland stärken können.
Herr Kollege Kindler, Sie haben in Ihrem Antrag zur
energetischen Gebäudesanierung und Energieeffizienz
zu diesem Thema Stellung genommen;
({3})
das finde ich gut. Ich hätte es noch besser gefunden,
wenn Sie schon in der letzten Legislaturperiode dafür
Sorge getragen hätten, dass die Länder über den Bundesrat, in dem auch die Grünen eine gewisse Mitverantwortung haben, bei der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung helfen.
({4})
Dann wären wir heute vielleicht ein Stück weiter. Wenn
wir dieses gemeinsame Ziel haben - in Ihrem Antrag
schildern Sie ja, wie dramatisch die Konsequenzen des
Klimawandels sein könnten -, müsste Ihnen ja daran gelegen sein, über alle Möglichkeiten zu diskutieren.
({5})
Zum Dialog sind Sie herzlich eingeladen.
({6})
Zu den Mitteln für den Klimaschutz gehören natürlich
auch die Mittel für Maßnahmen beim internationalen
Klimaschutz. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Das
BMUB beteiligt sich am neuen Weltbankfonds für Klimaschutzprojekte in den Entwicklungsländern. Für die
Pilot Auctioning Facility sollen bis zu 15 Millionen Euro
bereitgestellt werden, um Projekte in der Abfallwirtschaft, vor allem in den Bereichen Deponieentgasung,
organische Abfälle und Abwasserentsorgung, zu fördern. Ich denke, das sind sinnvolle Maßnahmen.
Angesprochen wurde auch schon das ehrgeizige Ziel
im Hinblick auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020. Frau Höhn, ich kann nicht bestreiten,
dass wir noch ein gutes Stück des Weges vor uns haben.
Gespräche dazu laufen momentan bereits auf Fachebene.
Ich denke, nach der Kabinettsentscheidung am 3. Dezember dieses Jahres sind wir alle ein Stück schlauer.
Vielleicht sagt nachher ja auch die Ministerin noch etwas
dazu.
({7})
Ganz besonders freue ich mich, dass wir mit dem Förderprogramm zur Nachrüstung von Dieselfahrzeugen
mit Rußpartikelfiltern vorangekommen sind.
({8})
- Ich freue mich auch über die Freude bei den SPD-Kollegen. - Auch manch einen in Stuttgart wird das vielleicht freuen.
({9})
Der Kollege Lemme hat es gerade schon angesprochen:
Da haben sicherlich schon einige von den ungefilterten
Abgasen die Nase voll. Erst gestern hat uns die Europäische Kommission deutlich mitgeteilt, dass wir in einigen
großen Städten Probleme haben. Stuttgart war explizit
genannt. Deswegen denke ich, dass das eine sinnvolle
Maßnahme ist, um in diesem Bereich vielleicht leichte
Verbesserungen zu erzielen.
Ich freue mich natürlich auch, dass wir jetzt - nach
unserem intensiven Werben schon im letzten Jahr und im
Rahmen der Anberatung des Haushalts für 2015 - mit
der SPD einen gemeinsamen, guten Standpunkt gefunden haben und die Förderung wieder aufnehmen. Ich
kann mich noch gut daran erinnern, dass wir unmittelbar
nach der Haushaltsdebatte zur Anberatung des Haushalts
für 2015 quasi im Hinausgehen ein kurzes Gespräch mit
der Ministerin Hendricks geführt haben, die deutlich
machte, dass sie gesprächsbereit ist. Also: Herzlichen
Dank an die Koalitionäre, dass wir hier vorangekommen
sind!
Ein weiterer positiv herauszuhebender Aspekt der Beratungen zum Einzelplan 16 - jetzt wird es ein bisschen
technisch - ist der Personalbereich. Hier haben wir - dafür auch noch einmal ganz herzlichen Dank an meine
Kollegen Lemme und Dr. Berghegger - nach intensiven
Verhandlungen schon für den diesjährigen Haushalt eine
Vereinbarung mit dem BMUB erreicht, wonach über
200 sachgrundlos befristete Stellen innerhalb der nächsten drei Jahre peu à peu abgebaut und in reguläre Anstellungsverhältnisse umgewandelt werden. Ich denke, das
ist zum einen für die Qualität der Arbeit im Haus, zum
anderen aber auch für die betroffenen Mitarbeiter eine
ganz wichtige Entscheidung.
({10})
Ich habe mich ein bisschen über das gewundert, was
wir vom ersten Redner der Linken zum Thema Endlagerung gehört haben. Nach einem Antrag der Linken sollen
die Mittel für Schacht Konrad und Gorleben abgesenkt
werden. Das widerspricht ein bisschen dem, was wir
vorhin von Ihnen gehört haben.
({11})
Sie haben dargestellt, wie dramatisch alles wäre, kommen aber trotzdem zu erheblichen Einsparpotenzialen.
Richtig ist zwar, dass es mit dem Standortauswahlgesetz
und natürlich auch durch die Arbeit der Endlagersuchkommission keine Vorfestlegung gibt. Aber das heißt
nicht, dass wir in den nächsten 20 Jahren die Hände in
den Schoß legen könnten und nichts mehr tun müssten.
Wir haben schon erhebliche radioaktive Abfälle, mit denen wir weiter umgehen müssen, und Sie selber haben
den Zustand von einigen Behältnissen angesprochen.
Das heißt, das Thema bleibt uns unabhängig von der
Entscheidung zum Endlager vor Augen, und wir müssen
uns als Haushälter darum kümmern.
({12})
Wirklich witzig finde ich den Umstand, dass Sie die
Kosten für die Infostellen für zu hoch halten. Sie betragen
100 000 Euro bei Gorleben und 200 000 Euro beim Schacht
Konrad. Bei einem Gesamthaushalt von 300 Milliarden
Euro haben Sie über den gesamten Haushalt verteilt
Ausgabenmehrbelastungen von über 50 Milliarden Euro
vorgeschlagen, und jetzt kommen Sie mit solchen Kleckerbeträgen. Ich frage mich wirklich, wie Sie die Finanzierung der 50 Milliarden Euro sichern wollen, ohne vernünftige Prioritäten zu setzen. Wenn Sie auf diesem
Niveau haushalterische Politik gestalten wollen, dann ist
mir bange um meinen Freistaat Thüringen, wenn es dort
genauso geht.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesministerin
Dr. Barbara Hendricks das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundeshaushalt 2015 sendet viele richtige und wichtige
Signale vor allem an die Menschen, deren Geld wir verwalten und mit denen wir die Zukunft Deutschlands gestalten wollen.
Nachhaltigkeit ist ein zentrales Leitprinzip dieser
Bundesregierung nicht nur in der Haushaltspolitik. Im
Haushalt 2015 sparen wir deshalb auch nicht bei den Investitionen in die Zukunftsthemen Umweltschutz, Klimaschutz und Naturschutz. Im Gegenteil!
({0})
Mit knapp 3,9 Milliarden Euro ist der Gesamtetat des
BMUB gegenüber 2014 um rund 200 Millionen Euro
gestiegen. Ein großer Teil davon, über die Hälfte, fließt
in Investitionen, sodass man beim Einzelplan 16 mit gutem Grund von einem Investitionshaushalt sprechen
kann.
({1})
Wir investieren in die Vorsorge. Wie angekündigt, beginnen wir mit dem Sonderrahmenplan einen vorbeugenden Hochwasserschutz. Dafür haben wir im Einzelplan 10 einen neuen Haushaltstitel geschaffen; Kollege
Schmidt hat eben darauf hingewiesen. Die Zunahme von
Extremwetterereignissen und die Erfahrung mit den großen Hochwasserkatastrophen in den letzten 15 Jahren
fordern uns heraus. Mit dem Sonderrahmenplan stellen
wir uns dieser Herausforderung.
Uns beschäftigt allerdings nicht nur die Zukunft; uns
beschäftigen auch die Versäumnisse der Vergangenheit.
Das gilt vor allem für die Kosten im Bereich Endlagerung. Die Überlegungen dazu hätten selbstverständlich
- genauso wie die Suche nach dem Endlager - an den
Anfang und nicht an das Ende der Kernenergienutzung
gestellt werden müssen. Die jetzige Bundesregierung
stellt sich dieser Aufgabe. Wir nehmen die Sorgen der
Menschen ernst, weil sie berechtigt sind, da es um den
Einsatz von Risikotechnologie geht. Herr Kollege
Zdebel, natürlich kann man leichthin sagen: Schacht
Konrad ist ungeeignet. - Schacht Konrad wird auf Grundlage eines gültigen Planfeststellungsverfahrens ausgebaut und ist zugegebenermaßen für 300 000 Kubikmeter
radioaktiven Abfall genehmigt. Mehr darf da auch nicht
untergebracht werden. Wenn es zu einer Erweiterung
käme - sehr konjunktivisch -, müsste man selbstverständlich ein neues Planfeststellungsverfahren machen
mit allen planerischen Voraussetzungen, die dafür notwendig wären.
Wenn wir bei dem Entsorgungsplan, den wir der EUKommission pflichtgemäß, aber auch gerne vorlegen
werden, jetzt weitere 300 000 Kubikmeter schwach- und
mittelradioaktiven Mülls benennen - anders als das frühere Bundesregierungen gemacht haben -, so ist dieser
Müll natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern war
schon da.
Rund 200 000 Tonnen werden wir haben, wenn wir
diesen strahlenden Müll aus der Asse geborgen haben,
womit aber frühestens im Jahr 2033 begonnen werden
wird. Das Bergen wird dann noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Natürlich müssen wir dafür irgendwann
ein Endlager haben. Diese Frage müssen wir aber nicht
zwingend heute beantworten,
({2})
sondern dann, wenn mit dem Bergen des Asse-Mülls begonnen wird. Wir sind nicht sicher, was bis dahin passiert. Aber solange wir mit dem Bergen noch nicht begonnen haben, brauchen wir für den Müll kein Endlager.
Der Müll ist noch nicht oben, also muss er auch nicht
eingelagert werden.
Weitere 100 000 von den insgesamt zusätzlich gemeldeten 300 000 Kubikmetern schwach- und mittelradioaktiven Mülls können aus der Urananreicherung kommen.
Dies ist von früheren Bundesregierungen als Wirtschaftsgut bezeichnet worden. Man kann sich dieser
Auffassung anschließen. Wenn man das aber nicht für
absolut sicher hält, muss man zumindest Vorsorge treffen, und dann zählt auch dies zum schwach- und mittelradioaktiven Müll, obwohl es bislang nicht als solcher
bezeichnet und eingerechnet wurde.
Das heißt: Wir stellen uns der Verantwortung. Wir
schaffen Transparenz und werden rechtzeitig mit den
entsprechenden Schritten Vorsorge dafür treffen, dass
auch für diese zusätzlichen 300 000 Kubikmeter Müll,
die, wie gesagt, schon da waren, nur anders bezeichnet
wurden, ein vernünftiges Endlager gefunden wird. Ob
das ein erweiterter Schacht Konrad oder ein anderes
Endlager wird, weiß ich noch nicht. Diese Frage ist
heute auch nicht zwingend zu beantworten, obwohl wir
uns natürlich daranmachen, eine Antwort zu finden;
denn die Planungsvorhaben sind, wie wir wissen, relativ
langwierig.
Ihnen ist bekannt, auf welchem Stand wir bei der Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Müll
sind. In der Zwischenzeit werden noch viele Zwischenlager jahrzehntelang betrieben werden müssen; auch das
ist richtig. Da müssen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern voraussichtlich offen umgehen. Es wird voraussichtlich frühestens zwischen 2050 und 2060 mit der
Einlagerung in ein dann aufnahmebereites Endlager
begonnen werden können. Bevor man nicht mit der Einlagerung des hochradioaktiven Mülls beginnen kann,
müssen die Zwischenlager selbstverständlich aufrechterhalten werden. Ich weiß, dass das viele Menschen
nicht beruhigt, weil sie sich ausrechnen können, dass sie
ihr ganzes Leben lang in der Nähe eines Zwischenlagers
wohnen werden; aber das ist nun einmal nicht zu ändern.
Wir können schließlich kein Endlager herbeizaubern. Ich
habe in diesem Zusammenhang immer wieder gesagt:
Wir haben in unserer jeweiligen Regierungszeit die Verantwortung dafür, dass wir alle möglichen und notwendigen Schritte gehen, damit alle nach uns kommenden
Generationen überhaupt die Chance haben, Schritte zu
gehen, die möglich und notwendig sind.
({3})
Es geht uns darum, die Sorgen der Menschen ernst zu
nehmen. Aus dem gleichen Grund haben wir ein Gesetz
zum Fracking auf den Weg gebracht, bei dem der Schutz
des Grundwassers über alle anderen Interessen gestellt
wird.
({4})
Der Schutz der Umwelt steht für uns alle in Deutschland
über wirtschaftlichen Interessen. Nur dort, wo es nach
vielfacher Prüfung keine Bedenken gibt, kann es vereinzelt zu unkonventionellem Fracking kommen. Das wird
nach dem Stand der Dinge aber nach meiner Einschätzung nur in sehr wenigen Ausnahmefällen geschehen.
Übrigens, Frau Kollegin Höhn - ich gehe davon aus,
das war keine Absicht -, was das unkonventionelle
Fracking anbelangt, ist in dem Gesetzentwurf ausdrücklich davon die Rede, dass auch bei Probebohrungen nur
Stoffe der Wassergefährdungsklasse 0 eingesetzt werden
dürfen
({5})
- nein, was das unkonventionelle Fracking anbelangt,
sind es nur Stoffe der Wassergefährdungsklasse 0 -, dass
allerdings beim konventionellen Fracking die Frackflüssigkeit die Wassergefährdungsklasse 1 haben darf. Übrigens - dieses Fracking findet in Niedersachsen schon
seit Jahrzehnten statt - sind die Anforderungen der Wassergefährdungsklasse 1 höher als das, was bisher dort
praktiziert wird, um auch das einmal deutlich zu machen.
({6})
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass
der Klimaschutz eine der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit ist. Wir müssen den Klimawandel
stoppen und seine Folgen so weit wie möglich begrenzen. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass es
gerade bei diesem Thema einen Zusammenhang von
ökologischen und sozialen Problemen gibt. Die Folgen
des Klimawandels sind schon jetzt sozial ungerecht verteilt. Das gilt nicht nur für die ärmsten Regionen der
Welt und die Gruppe der kleinen Inselstaaten. Die Bundesregierung stellt sich dieser Verantwortung zum Beispiel mit dem Klima-Aktionsprogramm, das wir nächste
Woche im Kabinett verabschieden werden. Sie werden
sehen: Es werden keine Zahlentricksereien sein. Wir
werden das alles sauber nachweisen können. Wir werden
das 40-Prozent-Ziel tatsächlich einhalten können.
Es gibt im Übrigen keine Lücke, was die fehlenden
7 Prozentpunkte angeht. Ich habe immer gesagt: Ohne
weitere Verhaltensänderungen werden uns im Jahr 2020
zwischen 5 und 8 Prozentpunkte fehlen. Das können
auch 7 Prozentpunkte sein. Diese Lücke kommt nicht
heute zustande, sondern dann, wenn man die voraussichtliche Entwicklung von 2014 bis 2020 ohne Verhaltensänderungen mit einrechnet. Heute ist die Lücke in
der Tat noch größer.
Weil das nicht ausreicht, führen wir zusätzliche Maßnahmen durch. Sonst kämen wir bis 2020 auf etwa 32 bis
35 Prozent, und das reicht uns nicht aus. Der Ausstoß
des Kraftwerksparks, der sich, untechnisch ausgedrückt,
auch bis 2020 weiterentwickelt, ist schon eingerechnet.
Die 22 Millionen Tonnen, die vom Wirtschaftsminister
genannt worden sind, kommen bei der CO2-Einsparung
on top. Das ist in der Tat Sache des Bundes.
({7})
Wir sind nicht nur in diesem Zusammenhang verantwortlich. Auch die Erstauffüllung des Grünen Klimafonds
haben wir als einer der ersten auf den Weg gebracht. Wir
sind damit beispielhaft gewesen und geblieben. Das war
das richtige Signal an die Geberkonferenz in der vergangenen Woche.
Ich kann deshalb heute mit Stolz sagen: Dieser Haushalt ist ein Klimaschutzermöglichungshaushalt. Darauf
bin ich wirklich stolz.
Als Bundesbauministerin freue ich mich, dass wir die
Programme auf dem hohen Niveau, das wir 2014 erreicht haben, fortsetzen können. Aufgaben gibt es selbstverständlich genug. Die Wohnungsmärkte sind in Bewegung. Die Nachfrage steigt; die Leerstände gehen
zurück. Viele Menschen insbesondere in den Ballungsräumen suchen bezahlbaren Wohnraum. Unser Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen ist auf dem Weg. Es
gibt noch keine Ergebnisse; das ist klar. Es ist ein Zusammenspinnen verschiedenster Interessen. Aber wir
sind auf einem guten Weg, und wir werden selbstverständlich Ergebnisse vorlegen.
Die Bautätigkeit in Deutschland nimmt zu. Erstmals
seit vielen Jahren werden wir in diesem Jahr erreichen,
dass Wohnungsneubau im erforderlichen Umfang stattfindet. Das bedeutet rund 250 000 neue Wohnungseinheiten in diesem Jahr. Das werden wir in diesem Jahr
erstmals seit vielen Jahren wieder erleben. Das ist ein
gutes Zeichen, und diesen Trend wollen wir fortsetzen.
({8})
Ich will noch kurz einige Stichpunkte nennen - meine
Redezeit wird knapp -, die uns wichtig sind, zum Beispiel das Programm „Soziale Stadt“. Auch in der Flüchtlingshilfe werden wir weiter aktiv sein und den Kommunen hilfreich zur Seite stehen, wo es notwendig ist. Ich
bedanke mich für das Engagement der Kommunen vor
Ort.
Ich bedanke mich auch sehr herzlich bei denjenigen,
die bei der Erstellung des Haushalts mit uns zusammengearbeitet haben. An dieser Stelle finde ich es wichtig,
auf eines hinzuweisen: Es hat in den vergangenen Jahren
lineare Stellenstreichungen gegeben - es ist nicht zu bestreiten, dass das richtig war -, die aber für das Jahr
2015 nicht vorgesehen sind. Ich glaube, wir alle sind
dankbar dafür, dass wir in den Ministerien unsere qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten können. Auch Sie als Abgeordnete profitieren selbstverständlich davon. Ein Punkt ist mir noch ganz wichtig:
Die sogenannten sachgrundlosen Befristungen kann ich
mit Unterstützung des Haushaltsausschusses - „sachgrundlose Befristungen“ ist schon ein Wortungetüm - in
mehreren Jahrestranchen zurückführen, in zweiter
Tranche im Jahr 2015.
({9})
Insgesamt ist dies ein zukunftsweisender Haushalt,
auf den wir alle stolz sein können. Und, Frau Höhn, machen Sie sich keine Sorgen: Das Wertstoffgesetz ist auf
dem Weg.
({10})
- Ja, wie lange schon? Es ist in der letzten Legislaturperiode gescheitert. - Die Elektronikschrottverordnung ist
auf dem Weg. Die Düngemittelverordnung ist auf dem
Weg. Die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit
wassergefährdenden Stoffen ist auf dem Weg. Leider ist
Kollege Schmidt nicht mehr da; wir streiten da munter
und kräftig, aber wir kommen zum Ziel.
Herzlichen Dank.
({11})
Für die Linke spricht jetzt der Kollege Ralph Lenkert.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Damen und
Herren! Kollege Hirte, Lesen bildet. Hätten Sie unseren
Antrag zum Haushalt komplett gelesen,
({0})
dann hätten Sie gewusst, dass wir weit über 50 Milliarden Mehreinnahmen über eine Millionärsteuer, über eine
Vermögensteuer erzielen wollen. Das zu sagen, wäre
ehrlich gewesen.
Ein weiterer Punkt:
({1})
Die Linke betrachtet die Atommüllendlager Schacht
Konrad und Gorleben als komplett überflüssig und
falsch.
({2})
Wir wollen kein Geld in tote Pferde, in falsche Entscheidungen investieren. Das ist das, was die CDU in Thüringen regelmäßig getan hat.
({3})
Ich erinnere an die hoffnungslos überdimensionierten
Abwasseranlagen, in die Ihre Partei investiert hat und
die heute für allein 1,5 Milliarden Euro Schulden des
Freistaates verantwortlich sind.
({4})
Aber jetzt zum Umweltbereich. Ich möchte den Abgeordneten der Koalition danken. Bei zwei Punkten sind
Sie unseren Vorschlägen gefolgt. Beim Hochwasserschutz haben Sie unsere Forderungen sogar verdoppelt.
({5})
Danke, dass Sie unseren Argumenten gefolgt sind. Vielen Dank auch, Frau Dött, für Ihren Einsatz für die Wiedereinführung der Förderung der Filternachrüstung bei
Dieselfahrzeugen. Das ist ein wichtiger kleiner Schritt.
Schade, dass Sie andere Vorschläge ignoriert haben.
Die Mieten steigen in Ballungszentren, die Betriebskosten explodieren bundesweit. Allein für Warmwasser
und Heizung muss ein durchschnittlicher Haushalt heute
jährlich 3 100 Euro ausgeben. Im Jahr 2000 waren es
noch 1 500 Euro. Und was machen Sie, Frau Umweltministerin Hendricks? In Interviews thematisieren Sie dieses Problem, und das Wohngeld wird um 100 Millionen
Euro gekürzt.
Wir beantragen 460 Millionen Euro mehr für die Wiedereinführung des Zuschlags für Heiz- und Energiekosten
für Wohngeldempfänger.
({6})
Das wären durchschnittlich 40 Euro je Monat, 15 Prozent der Energiekosten. Damit würden Sie fast 1 Million
Menschen helfen. Sie würden über 100 000 Rentnerinnen und Rentner sowie Aufstockerinnen und Aufstocker
aus Mindestsicherung und Hartz IV herausholen. Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Argen könnten sich
dann statt mit Kosten der Unterkunft mit der Weiterbildung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen befassen. Ganz nebenbei würden Kommunen in strukturschwachen Regionen entlastet. Frau Ministerin,
Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem Vorschlag einfach zu!
({7})
Zwei Beispiele, wie es Hunderte in Deutschland gibt:
In Gera in Thüringen stehen 11 Prozent der Wohnungen
leer. Die Mittel für den Stadtumbau würden für Gera entsprechend der Einwohnerzahl 700 000 Euro betragen.
Wie soll damit die Strukturanpassung gelingen?
({8})
In Jena in Thüringen herrscht Wohnungsmangel.
800 000 Euro stellt der Bundeshaushalt für sozialen
Wohnungsbau bereit. Wie soll damit ein Wohnungsproblem gelöst werden? Sie kleckern, statt zu klotzen. Stimmen Sie unseren Investitionsprogrammen zu, oder legen
Sie eigene auf! Dann könnten die Mieten in Ballungszentren sowie die Betriebskosten in strukturschwachen
Regionen sinken. Ganz nebenbei wäre dies ein Konjunkturprogramm für die Wirtschaft und gelebter Klimaschutz.
({9})
Frau Hendricks, ich war überrascht, dass Sie sogar
Gelder in die Forschung zur Altlastensanierung zur Beseitigung von Umweltschäden investieren. 314 000 altlastenverdächtige Flächen gibt es bundesweit. Bei
90 000 wurden die Gefahren inzwischen bewertet. Davon wurden 28 000 saniert. 4 800 werden saniert, 3 700
Altlasten müssen dauerhaft überwacht werden, und mindestens 14 000 warten noch auf ihre Sanierung, so wie
die Deponien mit belasteten Erdölbohrschlämmen bei
Meppen und der Teersee in Rositz, der eigentlich saniert
sein sollte. 80 Millionen zahlte Thüringen. Das Ergebnis
ist - freundlich gesagt - unzureichend. Da wurde vorher
nicht genug geforscht.
Für viele Altlastenprobleme - seien es Schwermetalle
oder Phenole, Dioxine oder Polychlorierte Biphenyle,
auch PCB genannt, gibt es keine oder nur extrem teure
Sanierungsstrategien.
({10})
Oft werden belastete Böden, belastetes Material einfach
in Sondermülldeponien weggeschlossen und bleiben gefährlich. Da muss man forschen, neue Verfahren zur Sanierung und Überwachung entwickeln. Das haben Sie,
Frau Hendricks, und Sie, meine Damen und Herren von
der Koalition, wohl erkannt und sagenhafte fette 2 Millionen Euro im Haushalt eingestellt. Ich sage: Sie haben
nichts begriffen. Das sind 6 Euro je Verdachtsfläche oder
150 Euro je Altlast. Damit werden Sie keine Lösung für
die Altlastenprobleme finden, weder für Rositz noch für
Meppen noch für die Sondermülldeponie Herfa-Neurode.
Forschung wäre auch wichtig bei Wirkungen von
neuartigen Chemikalien. Da zwingt die EU die PkwHersteller zur Umrüstung der Kältemittel in Klimaanlagen. 1234yf heißt das neue Wundermittel. Verbrennt dieses Kältemittel, was bei über 20 000 Pkw-Bränden in
Deutschland pro Jahr sicher passieren wird, dann entsteht nicht nur hochgiftige Flusssäure. Es entsteht mit
20 Prozent Volumenanteil auch Dicarbonylfluorid. Das
sagt Ihnen vielleicht nichts. Dicarbonylfluorid ist chemisch verwandt mit Phosgen, einem Kampfgas aus dem
Ersten Weltkrieg, und ist um ein Vielfaches gefährlicher
als Flusssäure. 1 ppm, also ein Teil, Dicarbonylfluorid
auf 1 Million Teile zehn Minuten eingeatmet, ist lebensbedrohlich. Folgt man den Angaben der Hersteller Dupont und Honeywell von 1234yf zur Verdünnung der bei
einem Brand entstehenden Flusssäure in den Abgasen,
dann wird bei Pkw-Bränden eine Konzentration von
13 ppm Dicarbonylfluorid auftreten. Für mich als Maschinenbauer sind diese von Professor Kornath, Experte
für anorganische Fluorchemie der TU München, ermittelten Werte nachvollziehbar. Aber was antwortet die
Bundesregierung auf meine Frage zur Gefährlichkeit
von Dicarbonylfluorid? Ich zitiere:
Eine abschließende Bewertung kann aufgrund des
nicht abgeschlossenen Bewertungsverfahrens noch
nicht vorgenommen werden.
Die Bewertung läuft seit 2010. Wollen oder können Sie
diese nicht abschließen, oder fehlt einfach wieder einmal
das Geld für Testversuche? Falls Geld fehlt, gefährdet
Ihre schwarze Null Menschenleben.
({11})
Die meisten Menschen wissen inzwischen, wie wichtig Umweltschutz ist. Dieser Haushalt zeigt: Sie haben
nichts begriffen. Die Qualität dieses Haushalts ist
schlechter als meine Stimme am heutigen Abend.
({12})
Lieber Kollege Lenkert, wir wünschen Ihnen, dass
sich Ihre Stimme bis morgen erholt.
Ich gebe nun dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein für die
CDU/CSU das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der
Kollege Lenkert hat hier passagenweise zu Altlasten im
Osten ausgeführt, es aber peinlich vermieden, zu sagen,
woher diese kommen, nämlich aus der ehemaligen DDR.
({0})
Sie hätten „nostra culpa, nostra culpa“ sagen müssen. Ich
möchte mit Bezug auf die Zwischenfrage, die der Kollege Lenkert vorhin gestellt hat und die der Kollege
Hirte hervorragend pariert hat, festhalten: 25 Jahre nach
dem Mauerfall können wir, die Menschen der Bundesrepublik Deutschland, stolz darauf sein, was wir gemeinsam bei der deutschen Einheit geleistet haben. Nicht
stolz sein kann man auf die Umweltlasten, die die DDR
hinterlassen hat.
({1})
Die Bundesrepublik Deutschland hat durch einen klaren
Rahmen sowie durch Innovation und Technologie dafür
gesorgt, dass das der Vergangenheit angehört, im Übrigen - das kannten die Bürger der DDR genug - nicht
durch Verzicht und - das kannten die Bürger der DDR
ebenfalls genug - nicht durch Zwang. Freiwilligkeit und
Wirtschaftlichkeit, das sind aus meiner Sicht die Kriterien für eine kluge und zukunftsgerichtete Umweltpolitik. Sie sind auch entscheidend für den Klimaschutz.
Der deutsche Beitrag zum weltweiten Klimaschutz ist
null und nichtig, wenn wir nicht vorleben können, dass
Wirtschaftswachstum und Klimaschutz Hand in Hand
gehen. Vorbild ist nur, wer Wohlstand steigert und CO2
reduziert.
({2})
Vorbild ist nicht, wer immer höhere Ziele ausgibt, sie am
Ende nicht erreicht oder sie nur durch Deindustriealisierung erreicht. Deshalb formulieren wir ganz klare Anforderungen an das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020,
das wir sehr begrüßen. Diese Anforderungen heißen:
Erstens. Eingriffe, die der deutschen Wirtschaft schaden,
sind unnötig und zu unterlassen. Zweitens. Markt, Wettbewerb und Anreiz gehen vor Regulierung und Zwang. Ich habe eigentlich erwartet, dass auch die Grünen das
jetzt so formulieren, nachdem sie auf dem Parteitag beschlossen haben, dass sie jetzt die Partei der Freiheit
werden.
({3})
Ich würde mir wünschen, dass das auch so kommt. Drittens. Bei all dem, was wir in den nächsten Wochen
und Monaten zum Klimaschutz beraten werden, müssen
wir klare Preisschilder entwerfen, eine Reihenfolge
aufstellen und uns Gedanken machen, wie man mit
möglichst niedrigen volkswirtschaftlichen Kosten das
40-Prozent-Ziel erreichen kann, das wir erreichen wollen.
({4})
Der Ausstieg aus der Kernenergie macht die Zielerreichung hinsichtlich des CO2-Ausstoßes natürlich noch
schwieriger. Gleichzeitig aus der Kohle auszusteigen,
halte ich persönlich für kaum darstellbar.
({5})
Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gerade das Thema Versorgungssicherheit ernst zu
nehmen. Ich will noch einmal deutlich machen: Ein nationaler Alleingang beim Ausstieg aus der Kohle macht
mittelfristig keinen Sinn, weil das ETS-Zertifikate freisetzt, die im Ausland wieder eingesetzt werden können.
({6})
Jetzt gibt es ein paar ganz Schlaue, die sagen: Aber der
ETS-Handel liegt doch am Boden, und die Zertifikate
werden ohnehin nicht genutzt. - Nur, wenn man gleichzeitig sagt, man wolle den CO2-Handel europaweit stärken, was wir tun wollen, dann darf man solche Effekte
nicht vernachlässigen. Deshalb macht ein nationaler
Ausstieg aus der Kohleverstromung keinen Sinn.
({7})
Das würde an das Motto erinnern: Hauptsache, die Statistik stimmt. Wie dann der Importstrom produziert wird,
steht auf einem anderen Blatt. - Das ist aus meiner Sicht
der falsche Weg.
Ich glaube, ein guter Ansatz, ein Ansatz, der uns auch
wirtschaftlich voranbringen kann, ist die Energieeffizienz. Es macht Sinn, Rohstoffe zu sparen, die Technik
auf Sparen auszurichten, Weltmarktführer bei solchen
Technologien zu werden, knappe Güter sorgsam einzusetzen und zu berücksichtigen, dass auch deren Exploration massive Umweltprobleme verursacht, die man betrachten muss.
Bei der Energieeffizienz steht der Wärmebereich Gott
sei Dank ganz oben auf der Agenda dieser Bundesregierung. Ich verstehe, dass den Grünen alles nicht schnell
genug gehen kann. Aber man hätte - das hat auch der
Kollege Hirte vorhin angedeutet - durchaus schon früher
einen Beitrag dazu leisten können, die CO2-Gebäudesanierung, die wir hier seit Jahren einfordern, auch tatsächlich umzusetzen.
({8})
Ich will gar nicht auf die Vergangenheit eingehen. Ich
würde mir nur wünschen, dass in der Zukunft nicht dasselbe Spiel gemacht wird, das da heißt: Der Bund muss
die Zeche zahlen, und die Länder lehnen sich zurück und
schauen sich an, was passiert.
({9})
Energieeffizienz im gewerblichen Bereich spielt natürlich auch eine wichtige Rolle. Da gibt es eine Menge
zu tun. Ich glaube nicht, dass man dafür immer ein Audit
braucht. Ich glaube, dass unsere Unternehmen mittlerweile sehr genau wissen, wo sie Geld sparen können.
Wir sollten uns vielmehr miteinander Gedanken machen,
womit wir die Entwicklung von Energieeffizienz möglicherweise verhindern. Ein Beispiel ist für mich die Fallbeillösung, die im EEG steht. Da ist klar, dass derjenige,
der Energie einspart, sich einen Bärendienst erwiesen
hat, wenn er unter die 16-Prozent-Hürde fällt. Es gibt
noch eine ganze Menge ähnlicher Schwellen. Man muss
sich noch einmal im Rahmen der Effizienzoffensive Gedanken machen, wie man das Ganze etwas besser aufeinander abstimmt.
Ich habe vorhin gesagt, dass wir beim Thema ETS
Optimierungen vornehmen wollen. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument, auf das wir viel setzen sollten und bei dem wir auch berücksichtigen müssen, dass
sich konjunkturelle Einflüsse auf die Preise der CO2Zertifikate auswirken. Das ist auch gut so; denn letztendlich geht es darum, wie man die Konjunktur stützt, wenn
die Nachfrage sinkt und damit dann natürlich auch die
CO2-Produktion. Es ist klar, dass der Markt darauf reagieren muss.
Momentan wird in der Automobilindustrie über die
Frage nachgedacht, ob es sinnvoll ist, den Verkehr zu integrieren. Mein Damen und Herren, das sollte man
durchaus diskutieren.
({10})
- Nein. Nicht, damit sie nichts machen müssen. Sie erkennen nämlich, dass einige in Brüssel imstande sind,
mit dem 95-Gramm-Ziel Industriepolitik gegen die deutschen Flotten zu betreiben. Deshalb sagen sie: Wir sollten einmal überlegen, ob das für uns nicht weniger
schädlich ist.
Ich glaube, man braucht beides. Man braucht den
Handel mit CO2-Zertifikaten. Mit Maß und Ziel kann
man vielleicht auch den Verkehrssektor einbauen. Dabei
muss man aber natürlich immer bedenken, dass das Auswirkungen auf den Benzinpreis hat und dass diese Art
der Mobilitätsreduzierung natürlich auch eine soziale
Komponente hat. Auf der anderen Seite muss man aber
auch maßvoll Maßstäbe dafür setzen, damit sich die
Technik nach vorne entwickelt, aber mit Maß und Ziel,
jedoch nicht, um die deutsche Wirtschaft und die Automobilindustrie zu schädigen, sondern um den technischen Fortschritt anzuregen. Das sollten wir gemeinsam
tun.
({11})
Ich will noch auf ein Thema eingehen, das hier auch
eine Rolle gespielt hat und das durchaus sehr brisant ist,
nämlich auf das Thema Fracking. Eine Regelung zu diesem schwierigen Thema ist in der vergangenen Legislaturperiode an der Kommunikation gescheitert.
({12})
Viele haben damals so getan, als sei Fracking aktuell
verboten und die Mehrheit im Deutschen Bundestag
wolle Fracking erlauben. Heute sind schon wieder einige
auf dem Weg, ähnliche Kommunikationsstrategien aufzubauen, Frau Höhn. Mein Damen und Herren, es geht
nicht darum, Fracking zu erlauben. Das ist erlaubt, und
zwar relativ unkonditioniert. Vielmehr geht es darum,
Fracking ordentlich zu regulieren.
({13})
Der Vorschlag der Bundesministerin dazu ist ein guter
Vorschlag, unabhängig davon, wie Sie das sehen wollen.
({14})
Fakt ist: Wer Fracking konditionieren bzw. regulieren
will, der muss an diesem Vorschlag jetzt konstruktiv mitarbeiten. Sonst stehen wir am Ende wieder ohne Gesetz
da, und die Industrie kann fracken und kann sich auf
dem Klageweg durchsetzen.
({15})
Es wird dann keine Umweltverträglichkeitsprüfungen
geben, auch nicht für das, was wir hier als konventionelles Fracking beschreiben. Auch innerhalb der Union diskutieren wir heftig über das Lagerstättenwasser und über
die Fragen: Was ist Stand der Technik? Was muss man
tun? Kann man das wieder in die Ursprungstiefe verpressen? Muss man das aufbereiten? Meine Damen und Herren, das wird man ohne Gesetz nicht regeln können. Das
wollen wir aber tun.
({16})
Der Fokus der Öffentlichkeit liegt in der Tat auf dem
sogenannten unkonventionellen Fracking. An dieser
Stelle möchte ich deutlich unterstreichen: In diesem Referentenentwurf steht ein glasklares Verbot mit Blick auf
den Schutz von Mensch, Natur und Wasser.
({17})
Das wird allerdings ergänzt durch einen Erlaubnisvorbehalt. Dieser Erlaubnisvorbehalt besagt - ich sage das
einmal untechnisch -:
({18})
Wenn Forschung und Entwicklung irgendwann nach
2018 an einen Punkt kämen, bei dem gar nichts mehr dagegen spräche, dann kann die Wasserbehörde eine Erlaubnis erteilen. Wenn man wie Sie der Auffassung ist,
dass das alles Teufelszeug ist und dass man das unter
keinen Umständen tun kann,
({19})
muss man sich keine Sorgen machen, dass diese Erlaubnis in diesem Land irgendwann erteilt wird.
Ich sage Ihnen aber: Ich halte es für richtig, dass der
Erlaubnisvorbehalt darin steht. Denn wenn ein Land, das
auf Hightech, auf Forschung und Entwicklung setzt, den
Anspruch erhebt, Pilotvorhaben, Spitzentechnologien
voranbringen zu wollen, dann muss man zumindest die
Chance eröffnen, dass diese Technologie auch im eigenen Land irgendwann einmal zum Tragen kommt.
({20})
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie am Schluss Ihrer
Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin BullingSchröter?
Wenn die Frau Kollegin unbedingt will.
({0})
Eigentlich habe ich mit der Kollegin Bulling-Schröter
gar kein Problem. Sie spricht meinen Dialekt.
({1})
Danke schön. Wir beide kommen ja aus Bayern. Sie
haben es gerade gesagt. - Ich bin über Ihre Ausführungen ein bisschen erstaunt; denn die bayerische Wirtschaftsministerin, Frau Aigner, hat erst neulich in einer
großen bayerischen Zeitung gesagt, die Bayerische
Staatsregierung, vor allem die CSU, lehne unkonventionelles Fracking insgesamt ab. Sie hat gesagt: Mit uns
wird es das nicht geben. - Ich sehe also schon einen Widerspruch zwischen dem, was Sie erzählen, und dem,
was in Bayern in der Zeitung steht.
Machen Sie sich keine Sorgen über das, was die Bayerische Staatsregierung in großer Einheit macht. Der
bayerische Ministerpräsident hat im Rahmen seines
China-Besuchs ganz deutlich formuliert, dass der Vorschlag, den die Frau Hendricks auf den Tisch gelegt hat,
ein guter, ein intelligenter Kompromiss ist und dass er
das Verbot, so wie es Bayern anstrebt, natürlich so ausgestaltet sehen möchte, wie ich es gerade eben beschrieben habe, nämlich verbunden mit dem Vorbehalt, dass
man, wenn nichts mehr dagegen spreche, auch fracken
kann.
Ich kann Ihnen auch sagen, dass das, was ich vorhin
zu Forschung und Entwicklung gesagt habe, auch hier
gilt: Wenn Fracking im eigenen Land nicht mehr anDr. Georg Nüßlein
wendbar sein sollte, dann muss man sich doch zumindest
die Option offenhalten, am Standort Deutschland zu forschen, zu entwickeln und dafür Sorge zu tragen, dass unter anderen, besseren Konditionen in Zukunft im Ausland gefrackt wird. Das, was wir hier machen, nämlich
zu sagen: „Wir bleiben sauber; aber aus dem Ausland
importieren wir Gas, das dort unter schlechteren Bedingungen gefrackt worden ist“, ist Ökokolonialismus der
schlimmsten Sorte. Deshalb ist das abzulehnen.
({0})
Wir müssen ganz klar dafür Sorge tragen, dass auch
da die Technik vorankommt. Zumindest das sollten Sie
uns zubilligen, und Sie sollten nicht ständig weiter
Denkverbote verhängen. Das steht einer Partei der Freiheit nämlich gar nicht an.
Vielen herzlichen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Vorbemerkung kann ich mir jetzt doch nicht verkneifen: Dieses beständige Jammern über die Bildung
einer rot-rot-grünen Regierung in Thüringen, Herr
Nüßlein, hat wirklich mehr mit Phantomschmerzen über
den Verlust einer Regierung zu tun als mit berechtigten
Vorwürfen.
({0})
Frau Ministerin, ich will mit einem Punkt beginnen,
der sich nicht in Ihrem Haushalt, sondern im Haushalt
des Forschungsministeriums wiederfindet, bei dem Sie
aber durchaus eine gewichtige Rolle spielen. Nach Meinung vieler gehört dieser Punkt eigentlich in den Haushalt Ihres Ministeriums. Ich meine den geplanten Export
der Jülicher Brennelemente zur Wiederaufarbeitung in
die USA. Dafür sind im Haushalt 65,5 Millionen Euro
eingestellt. Am Ende werden dafür womöglich 1 Milliarde Euro anfallen; denn die Amerikaner wollen sich
den Bau und die Entwicklung der Anlage, die sie für die
Behandlung der Graphitbrennelemente brauchen, natürlich von uns bezahlen lassen.
Dieser Export wird damit begründet, dass der Jülicher
Reaktor ein Forschungsreaktor sei. Bei der IAEA wird er
als Leistungsreaktor geführt. Diesen Streit auszubreiten,
bringt irgendwie nicht viel. Es steht Gutachten gegen
Gutachten. Ich glaube, es geht im Kern um etwas anderes.
Ich spreche das in dieser Debatte und nicht in der über
den Forschungshaushalt an, weil ich glaube, dass Sie,
Frau Ministerin Hendricks, dafür ansprechbarer sind.
Wir haben im Juni letzten Jahres eine Bund-LänderKommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe eingesetzt. Diese Kommission arbeitet mit viel
Unterstützung durch das Bundesumweltministerium. Sie
hat viele Mitglieder, aus der Politik, aus den Landesregierungen, aus der Zivilgesellschaft, aus der Wissenschaft. Wir arbeiten ganz kleinteilig daran, das aufzubauen, was am Ende für ein Endlager für hoch
radioaktiven Müll das Wichtigste in diesem Land ist,
nämlich Vertrauen. Das, was wir für den Vertrauensaufbau machen, akribisch und an ganz vielen Stellen, das
reißt die Bundesregierung mit diesem geplanten Export
mit einem Körperteil, den man hier im Parlament anständigerweise nicht nennt, gerade wieder ein.
Ich bitte Sie, sich dafür einzusetzen, dass von dieser
falschen Haltung Abstand genommen wird.
({1})
Frau Wanka, die zuständige Ministerin, hat bei ihrem
Besuch in der Kommission keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Sensibilität für die Metabotschaft, die
dieser Export hat, nicht hat, dass sie nicht realisiert, worum es in der Kommission im Kern geht und was dieser
Export der Arbeit der Kommission antut.
Deswegen bitte ich Sie darum. Sie haben tatsächlich
auch eine Aufgabe in dieser ganzen Gemengelage; denn
ein Atommüllexport kann nur erlaubt werden, wenn Sie
als zuständige Ministerin die Gewähr dafür geben, dass
eine schadlose Verwertung oder eine sichere Endlagerung im Empfängerland gewährleistet ist. Sichere Endlagerung: Wo in den USA soll die stattfinden? Da sind die
USA nicht mal so weit wie wir; sie sind zurückgefallen.
Eine schadlose Verwertung kann eine Wiederaufarbeitung oder eine ähnliche Behandlung nun wirklich nicht
sein.
Zweites Thema - ich bleibe beim Atommüll -:
Schacht Konrad. Konrad war in den letzten Tagen indirekt oder direkt von zwei Aufregernachrichten betroffen.
Zum einen geht es um die rostenden Atommüllfässer. Ja,
es sind längst mehr als das eine Atommüllfass in Brunsbüttel vor zweieinhalb Jahren oder die über 100 Atommüllfässer in Brunsbüttel, von denen wir inzwischen
wissen; es sind 2 000. Ich war nicht begeistert, zu sehen,
dass das Bundesumweltministerium das nicht aufgelistet
hat, das nicht bei den Ländern abgefragt hat, sondern das
dem NDR überlassen hat. Aber immerhin, wir wissen es
jetzt.
Das heißt: Wir haben ein Problem. Diese Fässer - das
sage ich auch in Richtung der Linken - können nicht
ohne Ende oberirdisch in Zwischenlagern gelagert werden. Sie brauchen ein Endlager. Dieses Endlager ist nach
jetziger Genehmigungslage Konrad.
Aber ich sage auch ganz klar: Eile und die Inbetriebnahme eines Endlagers passen nicht zusammen. Das
wissen wir von der Asse; so haben wir die Asse bekommen. Um bei Konrad jetzt nicht Eile an den Tag zu le6738
gen, Zeitdruck und womöglich auch Kostendruck auszuüben, um, im Gegenteil, Bedenken auszuräumen, haben
wir vorgeschlagen oder gefordert, Konrad zu überprüfen, Konrad auf den Stand von Wissenschaft und Technik zu bringen, dem dieses Endlager, dieser Standort,
bisher nicht genügt.
({2})
Zum anderen geht es bei Konrad um die Müllmengen;
das ist hier schon erwähnt worden. Ich finde, es gibt eine
zu lobende - ja, auch ich will da loben - neue Ehrlichkeit im Bundesumweltministerium. Man redet endlich
von all den Abfällen und sagt: Alle die müssen in
Deutschland entsorgt werden, auch die aus der Urananreicherung. - Die Urananreicherungsanlage, Frau
Hendricks, gehört übrigens in überschaubarer Zeit geschlossen.
({3})
Wohin diese Müllmengen sollen - ob das Konrad sein
wird, ob das ein drittes Endlager sein wird, ob wir in der
Kommission sie mit für das zu suchende Endlager für
hoch radioaktiven Müll vorsehen sollen -, das können
wir heute nicht entscheiden. Aber was nicht geht - ich
bin sehr froh, dass ich Sie ein bisschen in dieser Richtung verstanden habe; die vorherigen Botschaften aus
dem BMU und dem BMWi waren andere -, ist, nach einer Inbetriebnahme von Konrad diesen Müll im Zuge einer Erweiterung dort einzulagern. Da braucht es in der
Tat ein neues Planfeststellungsverfahren. Ich habe Sie so
verstanden. Da sind wir einer Meinung. Vielen Dank dafür.
Vielen Dank für das Zuhören.
({4})
Nächste Rednerin ist für die Sozialdemokraten die
Kollegin Ulli Nissen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin Berichterstatterin im Baubereich. Da
ist mir die Städtebauförderung ein besonderes Anliegen.
Wir haben dort als rot-schwarze Bundesregierung ein
deutliches Zeichen gesetzt.
({0})
Bereits im letzten Jahr haben wir die Mittel erheblich
aufgestockt. Das wird auch so bleiben. Für 2015 sind erneut 700 Millionen Euro vorgesehen.
Diese Mittel wecken anscheinend bei vielen Begehrlichkeiten. Auch hier im Parlament höre ich immer wieder: Da können wir doch die Mittel aus der Städtebauförderung nehmen. - Aber ich sage deutlich: Das Geld
geben wir nicht frei. Wir brauchen dieses Geld unter anderem für das Programm „Soziale Stadt“, um in Städten
und Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten wirklich etwas zu machen.
({1})
Also keine Chance, liebe Kollegen! Davon geben wir
nichts heraus.
({2})
Weiteres im Haushalt ist mir wichtig. Dazu gehören
unter anderem die Mittel für den altersgerechten Umbau
von Wohnungen. Ich denke, die meisten von uns wollen
möglichst lange selbstbestimmt im gewohnten Umfeld
bleiben, und es ist gut, wenn wir die Voraussetzungen
dafür verbessern. Es ist gelungen, schon zum 1. Oktober
2014 das Zuschussprogramm wieder zu starten und
10 Millionen Euro dafür einzustellen. 2015 stehen etwa
12 Millionen Euro bereit, damit der altersgerechte Umbau von Wohnungen mit Zuschüssen gefördert werden
kann. Das ist gut, das ist richtig. Gerade ältere Menschen
wollen keine Darlehen mehr aufnehmen, oder Banken
verweigern wegen des Alters aus fadenscheinigen Gründen die Kreditaufnahme.
Der Bedarf an altersgerechten und barrierefreien
Wohnungen ist sehr hoch und steigt weiter. Prognos hat
errechnet, dass altersgerechter Umbau die staatlichen
Sozialsysteme jährlich um 3 Milliarden Euro entlasten
kann, wenn dadurch nur bei 15 Prozent der pflegebedürftig werdenden Personen ein Umzug ins Heim vermieden oder aufgeschoben werden kann. Eingespartes
Geld ist für viele das Argument; für mich ist aber das
Entscheidende, dass die Menschen in ihrem Umfeld
bleiben können.
({3})
Die internationalen Kriege und Konflikte führen
dazu, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen
müssen und auf der Flucht sind. Es ist eine Selbstverständlichkeit für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass wir Verfolgte bei uns herzlich willkommen heißen. Sie brauchen eine gute und adäquate
Unterkunft und Versorgung, damit sie sich bei uns zu
Hause fühlen. Ich bedanke mich bei den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die die Flüchtlinge vor Ort betreuen
und eine tolle Integrationsarbeit leisten. Ihnen herzlichen
Dank!
({4})
Flüchtlingspolitik ist aber auch eine nationale Aufgabe, und deshalb sind wir alle gefordert. Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt viele Kommunen vor große
Herausforderungen. Gerade in Ballungsräumen wie meinem Frankfurter Wahlkreis ist der Wohnungsmarkt angespannt. Da ist die Unterbringung zum Teil sehr schwierig. Wir haben deshalb im Baugesetzbuch Änderungen
vorgenommen, um den Kommunen die Unterbringung
zu erleichtern. Das ist aber nur ein erster Schritt auf einem längeren Weg.
Auch in diesem Zusammenhang haben sich einige aus
unserem Ausschuss eine wichtige Frage gestellt: Wie
kann die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die
BImA, einbezogen werden? Dankenswerterweise haben
die Kollegen des Haushaltsausschusses in der Bereinigungssitzung einen Haushaltsvermerk eingefügt. Dieser
besagt, dass Grundstücke und Gebäude, die zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen, mietfrei an Länder
und Gemeinden abgegeben werden können - eine große
Erleichterung für die Kommunen.
({5})
Des Weiteren hat der Koalitionsausschuss an diesem
Dienstag festgestellt, dass der Bund die Länder und
Kommunen darüber hinaus unterstützen will. Ich bin
sehr froh, dass wir, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, uns dafür einsetzen, dass sich der Bund an
den Kosten der Kommunen infolge der Zuwanderung
und Integration der Flüchtlinge mit bis zu 1 Milliarde
Euro beteiligt. Darüber bin ich sehr froh.
({6})
Lieber Herr Hirte, Sie haben vorhin angedeutet, dass
es sich bei der Reduzierung des Ansatzes für das Wohngeld um 100 Millionen Euro letztlich nur um eine technisch bedingte Verschiebung handelt. Deshalb fände ich
es doch klasse, wenn wir die 100 Millionen Euro 2016
on top bekämen.
Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Volkmar Vogel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines der
Kernelemente vernünftiger Umweltpolitik ist die Nachhaltigkeit. Ich glaube, Nachhaltigkeit bedeutet nichts
weiter, als dass man zum Beispiel aus einem System nur
das entnimmt, was in vertretbaren Zeiträumen wieder
nachwächst.
({0})
Wenn wir heute hier die Haushaltsdebatte führen, dann
gilt eigentlich das Gleiche. Das heißt, wir sollten tatsächlich nur das ausgeben, was wir auch sicher einnehmen.
Das ist uns mit diesem Haushalt gelungen. Ich denke,
das ist eine gute Gemeinsamkeit zwischen vernünftiger
Umweltpolitik und vernünftiger Haushaltspolitik. Vielen
Dank dafür!
({1})
Nachdem ich jetzt diese Gemeinsamkeit herausgestellt habe, fragt man sich natürlich auch: Welche Gemeinsamkeiten gibt es denn zwischen Umweltpolitik
und Baupolitik?
({2})
Ein Jahr nachdem diese beiden Ressorts zusammengelegt worden sind, kann ich zumindest für meine Fraktion
sagen - ich glaube, unser Koalitionspartner wird uns da
bestätigen -: Es ist eine Zusammenlegung, die funktioniert; denn es gibt ein gutes Miteinander. Man bringt viel
Verständnis füreinander auf und trägt dafür Sorge, dass
die Zwänge, mit denen wir im Baubereich konfrontiert
sind, umweltpolitisch vernünftig begleitet werden.
Machen wir uns nichts vor: Bauen müssen wir auch
weiterhin.
({3})
Wir brauchen Bauland, wir brauchen Infrastruktur, und
wir brauchen Hochwasserschutz. Wir brauchen für all
das vernünftige Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen,
Freizeitangebote und vieles mehr. Wir müssen die Nutzungskonkurrenz auflösen, und sie kann nirgends besser
gelöst werden als in unserem Bereich, und zwar gemeinsam mit der Landwirtschaft, deren Grundlage wir nicht
weiter einschränken dürfen. Die Grundlage der Landwirtschaft - wir hatten dieses Thema in der vorherigen
Debatte - sind Böden, die vernünftig bearbeitet werden
können.
Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen und
der wir uns stellen werden. Wir werden mit intelligenten
Lösungen dafür sorgen, dass die Flächeninanspruchnahme in einem vernünftigen Rahmen bleibt. Es gibt an
vielen Stellen Doppel- und Mehrfachnutzungen. Hier
könnte man die entsprechenden Bereiche intelligent miteinander verbinden, zum Beispiel den Hochwasserschutz mit der Landwirtschaft oder auch Ersatz- und
Ausgleichsmaßnahmen im innerstädtischen Bereich.
Ich habe von den für unseren Wohnungsbau so wichtigen Siedlungsflächen und der Ausweisung von Bauland gesprochen. Wohnungsbau hat nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu funktionieren. Was passiert,
wenn das nicht so ist, sehen wir daran, was in 40 Jahren
DDR entstanden ist.
({4})
Wohnungsbau hat aber immer auch einen sozialen
Aspekt. Im Zusammenhang mit sozialen Fragen reden
wir immer nur über Rente oder Krankenversicherung.
({5})
Aber vernünftiger Wohnraum ist von genauso großer
Bedeutung. Bei all den Problemen, die wir haben, muss
Volkmar Vogel ({6})
ich sagen: Wir haben in Deutschland im internationalen
Vergleich einen verdammt gut aufgestellten Wohnungssektor. Das ist nicht nur unser Verdienst, sondern das ist
das Verdienst aller Akteure, die hier mit am Werk sind:
({7})
Das geht bei der kommunalen Wohnungswirtschaft los
über die gewerblichen Immobilienbetreiber bis hin zu
den vielen Selbstnutzern, die darauf achten, dass ihr Eigentum nicht an Wert verliert. Dabei müssen wir ihnen
helfen.
Kurzfristig ist es wichtig, dass wir das Bündnis für
bezahlbares Wohnen und Bauen zum Erfolg führen. Ich
sage ganz klar, dass wir mit dem Stand der Dinge nicht
zufrieden sind. Um es zu einem Erfolg zu führen, müssen wir gemeinsam mehr Gas geben. Gerade in diesem
Bereich kommt es darauf an, den Neubau anzukurbeln,
für kostengünstiges Bauland zu sorgen und die Rahmenbedingungen zu verbessern.
({8})
Es geht auch darum, die Baukosten im Griff zu behalten. Bei den Baukosten kommt es vor allen Dingen darauf an, dass wir die Bestimmungen des Ordnungsrechts
und des Baunebenrechts überprüfen und überlegen, ob
man unter Umständen Vereinfachungen vornehmen oder
zumindest im Rahmen eines Moratoriums zur Stabilisierung beitragen kann.
Ebenso sind die Standards und Normen zu überprüfen. Ich muss an dieser Stelle kritisieren, dass das fast
immer außerhalb unserer Zuständigkeit geschieht, wir
aber die Festlegungen, die dort getroffen werden, hinnehmen und in unser Regelwerk einarbeiten müssen.
Das ist ein Punkt, an dem wir arbeiten müssen. Wir müssen uns überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, die fachliche und auch die politische Beteiligung an diesem Prozess zu verstärken.
Bei der Wohnungspolitik und der Baupolitik muss
man auch über Geld reden. Ich möchte an dieser Stelle
an die Länder appellieren, die vonseiten des Bundes bis
2019 jährlich 580 Millionen Euro Entflechtungsmittel
erhalten. Ein Problem, warum in verschiedenen Regionen Wohnungsknappheit herrscht, ist, dass einige Länder, seit sie zuständig sind, also seit 2007, ihre Hausaufgaben nicht ordnungsgemäß gemacht haben. Sie haben
den Wohnungsbau und vor allem den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt.
({9})
Ich appelliere an die Länder, die Zweckbindung der Mittel einzuhalten und die Mittel entsprechend einzusetzen.
({10})
Der Bund stellt sich seiner Verantwortung für den
Wohnungsbau auch mit seinen einzelnen Programmen
im Rahmen der Städtebauförderung. Hier stellen wir insgesamt 700 Millionen Euro zur Verfügung, 50 Millionen
Euro davon für das Sonderprogramm für national bedeutsame Projekte. Ich finde, es war richtig und wichtig,
dass wir im engen Kontakt die Bedingungen dafür festgelegt und organisiert haben, in welcher Art und Weise
die Auswahl der einzelnen Projekte erfolgen soll, und
frühzeitig die Länder einbezogen und uns bestimmten
Themen gestellt haben, wie in diesem Fall jetzt dem
UNESCO-Weltkulturerbe.
Aber ich möchte auch an Maßnahmen zur Umsetzung
der „Grünen Stadt“ erinnern. Wir werden in den nächsten
Jahren sicherlich auch noch die Fragen der Energieeffizienz und der energetischen Sanierung in den Mittelpunkt
rücken, genauso wie die familien- und kinderfreundliche
Stadt. Ich denke, das sind Themen, derer wir uns sinnvoll annehmen sollten und die auch den einzelnen Lebensentwürfen entsprechen.
Bei der Städtebauförderung ist der Schwerpunkt eindeutig der demografische Wandel. Das betrifft auch die
Frage des altersgerechten Umbaus zu barrierearmem
Wohnen mit 12 Millionen Euro. Aber es ist eigentlich
nur ein Teil.
({11})
Ein wesentlicher Teil sind aus unserer Sicht natürlich
auch alle Dinge, die im Zusammenhang mit den notwendigen Stadtumbaumaßnahmen stehen: dass man in den
Regionen, in denen Bevölkerungsrückgang und Leerstand zu verzeichnen sind, sinnvollerweise Wohnungen
vom Markt nimmt oder umgestaltet und damit das Quartier als solches aufwertet.
Wir haben die Stadtumbauprogramme, die mit insgesamt 200 Millionen Euro innerhalb der Städtebauförderung den größten Investitionsteil unserer Programme
darstellen, im Zeitraum von 2005 bis 2009 evaluiert und
in der damaligen Großen Koalition bis 2016 auf den
Weg gebracht. Ich denke, es ist die Aufgabe dieser Großen Koalition, diesen Stand zu evaluieren und Vorschläge zu machen, wie man das weiterentwickeln kann.
Aber wir werden es wahrscheinlich nicht mehr sein, die
es beschließen. Wir können es jedoch auf den Weg bringen. Meiner Meinung nach kommt es darauf an, ein
Stadtanpassungsprogramm daraus zu entwickeln, das
mehr als bisher die Innenstädte umfasst und nicht nur
Wohnungen im Außenbereich vom Markt nimmt und
auch dafür Sorge trägt, dass die Aufwertung und die
Umgestaltung - und damit auch die Umgestaltung der
sozialen Infrastruktur - mehr in den Mittelpunkt rücken.
Damit bekommen wir lebenswerte Städte, in denen es
sich lohnt zu leben und in denen auch die sozialen Spannungen weit weniger ausgeprägt sind, als sie es wären,
wenn wir hier nicht mit den Möglichkeiten und Steuerungselementen, die wir haben, Einfluss nehmen.
Wir brauchen dazu die Länder und die Kommunen.
Das können wir als Bund nicht erledigen, und wir sind
auch nicht allein dafür verantwortlich. Es kommt darauf
an, dass es ein gutes Zusammenwirken gibt und die anstehende Evaluierung in den entsprechenden Lenkungsausschüssen unter Beteiligung aller erfolgt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nichtsdestotrotz: Wenn wir über demografischen Wandel sprechen,
dann bedeutet das auch - das ist ein wesentlicher Teil des
Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen -, die
Volkmar Vogel ({12})
Energiewende richtig zu machen. Das heißt, dass wir die
richtigen Maßnahmen treffen, um die Energieeinsparung
und damit die CO2-Minderung im Gebäudebereich zu
realisieren.
Wir haben dazu geeignete Mittel, die die Bundesregierung demnächst auf den Weg bekommt, um die wahrscheinlich noch verbliebene Lücke zu schließen. Mit
dem Aktionsprogramm Klimaschutz und dem nationalen
Aktionsplan Energieeffizienz wird uns das gelingen.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe große Potenziale in diesem Bereich, vor allem auch bei der energetischen Stadtsanierung. Bei der Sanierung im Quartier
gibt noch Potenziale, die es zu heben gilt und die wir
auch nutzen müssen. Ich bin froh, dass wir dafür 50 Millionen Euro im Haushalt vorgesehen haben. Ich denke,
neben der Sanierung im Quartier sollte man auch berücksichtigen, dass viele Wohneigentumsgemeinschaften derzeit noch nicht in der Lage sind, gemeinsam die
notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz durchzuführen. Ich sehe eine einfache Möglichkeit: dass man dieses Programm, ähnlich wie bei der
energetischen Stadtsanierung, in diesem Bereich erweitert.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,
700 Millionen Euro insgesamt allein in der Städtebauförderung, 1,5 Milliarden Euro im CO2-Gebäudesanierungsprogramm und 300 Millionen Euro im Zuschussprogramm - das ist zum einen viel Geld. Das
bedeutet zum anderen Planungssicherheit, die wir allen
Akteuren geben müssen. Ebenso wollen wir ihnen die
Sicherheit geben, dass wir die einzelnen Bestimmungen,
die diesbezüglich vorliegen - zum Beispiel die EnEV,
zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz -,
nicht so maßgeblich ändern werden, dass keine Planungssicherheit für die nächsten Jahre besteht. Wir wollen Planungssicherheit. Wir wollen keine Verschärfung,
sondern wir wollen, dass diejenigen, die das umzusetzen
haben, sich danach richten und damit arbeiten können.
Lassen Sie mich zum Schluss aber Folgendes sagen:
Das sind alles Steuergelder. Es ist wichtig, auch privates
Kapital zu heben, und zwar mithilfe steuerlicher Anreize.
({14})
Den Vorschlag, der bereits im Jahre 2011 einmal auf
dem Tisch lag, aber damals leider von den Ländern abgelehnt wurde, sollten wir wieder aufgreifen. Er hilft, die
Sanierungsquote weiter zu verbessern. Insbesondere ist
es wichtig, dass sich die Länder daran beteiligen. Die
Länder, die sich selber ehrgeizige Ziele gesetzt haben,
zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, sollten auch hier ihren Beitrag leisten.
Der Bund wird das mit dem vorliegenden Haushalt
2015 tun. Mit den Verpflichtungsermächtigungen ist
auch Planungssicherheit für die nächsten Jahre gegeben.
Danke schön.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Groß für die
Sozialdemokraten.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zwei Minuten sind tatsächlich und real weniger als zwölf Minuten.
({0})
Ich wollte dir schon ein Angebot machen und dich fragen, ob du mir etwas abgibst. Nächstes Mal können wir
uns ja darüber unterhalten.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin nach diesem
Jahr sehr zufrieden mit meiner Ministerin. Ich kann nur
sagen: Sie hat viel erreicht. Vor allen Dingen stellt sie,
wie wir in ihrer Rede gehört haben, zwei Dinge in den
Mittelpunkt - den Menschen und die Umwelt. Dafür
kann man ihr nur danken.
({2})
Das tut sie in einer Art und Weise, die sehr zielorientiert
ist und bei der letztendlich auch deutlich wird, dass es
auf Dialoge ankommt.
Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ist
für uns ein wichtiges politisches Instrument, um die
Menschen mitzunehmen, deren Wissen zu nutzen und zu
versuchen, sehr sensibel den schmalen Weg zwischen
Ordnungsrecht, Förderung und demjenigen, was jeder
leisten kann, zu gehen. Das ist der richtige Weg. Ich
danke Ihnen, Frau Ministerin Barbara Hendricks, dafür,
dass Sie diesen Weg gegangen sind.
({3})
Genauso positiv ist, dass wir das Programm „Soziale
Stadt“ noch einmal stabilisiert haben. Beim Programm
„Nationale Projekte des Städtebaus“ handelt es sich um
ein ähnliches Instrument, das darauf setzt, dass wir die
Menschen überzeugen, auch beim Thema „Klima- und
Umweltschutz“. Die Menschen müssen davon überzeugt
sein, dass Energieeffizienz der richtige Weg ist und dass
man dafür natürlich auch selbst Geld in die Hand neh6742
men muss. Es ist nichts umsonst. Die Umwelt muss es
uns wert sein, dass wir auch dafür bezahlen.
({4})
Gestatten Sie mir noch zwei Sätze zur Vorbildfunktion des Bundes und zum immer wieder erfolgenden
Verweis auf die Länder. Es ist äußerst wichtig, dass wir
endlich aufhören, mit dem Finger auf die Länder und
Städte zu zeigen. Der Bund muss Geld zur Verfügung
stellen, damit Länder und Städte nicht mehr gezwungen
sind, die Grunderwerbsteuer und die Grundsteuer zu erhöhen.
({5})
Jetzt habe ich noch 20 Sekunden. Dann sage ich noch
etwas zur BImA. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben muss Vorbild für die Wohnungswirtschaft sein.
Auch wenn wir Wohnungen verkaufen wollen, müssen
wir dafür sorgen, dass Städte und Gemeinden sie kaufen
können und den Menschen preiswert zur Verfügung stellen können. Das ist unsere Aufgabe.
({6})
Jetzt danke ich Ihnen und wünsche Ihnen noch einen
schönen Abend. Glück auf! - Genau zwei Minuten.
Herr Kollege Groß, meinen Respekt! Was die Redezeit betrifft, war das eine Punktlandung. Vielen Dank. Abschließender Redner zum Einzelplan 16 ist der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Einer muss den Sack zubinden“, sagt man in der Lausitz. Nach den vielen interessanten Reden, die wir heute
im Plenum zum Haushaltsplan 2015 verfolgen konnten,
möchte ich zum Schluss den Begriff „Natur- und Artenschutz“ in den Mund nehmen und mich nicht so sehr um
den Klimaschutz kümmern; denn ich denke, dass unser
Umweltministerium auf diesem Gebiet auch sehr viel zu
tun hat und sehr viel macht.
({0})
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei
der Ministerin und den Staatssekretären, aber auch beim
BfN bedanken, die auf diesem Gebiet in den letzten Jahren - so lange, wie ich das verfolgen kann - gute Arbeit
geleistet haben.
({1})
Die leitende Überschrift des Bundeshaushalts 2015
lautet: schwarze Null. Viele Redner haben gestern und
auch heute darauf hingewiesen, dass das nicht nur für
dieses Jahr, also für das Haushaltsjahr 2015, gilt, sondern dass das verstetigt werden muss. Das wird aus meiner Sicht schwierig genug. Ich erinnere mich, dass ich
bei meiner Tätigkeit als Bürgermeister auch einmal drei
Jahre lang einen ausgeglichenen Haushalt auf den Tisch
legen und sogar anfangen konnte, Schulden zurückzuzahlen. Das ging drei Jahre lang gut. Dann kam die Neuausrichtung der Energiepolitik in Deutschland im Jahr
2011. Das führte dazu, dass ein Viertel der Steuereinnahmen innerhalb weniger Monate weggebrochen ist. Dann
hatten wir doch eine ganze Reihe von Problemen. Ich
hoffe nur, dass die wirtschaftliche Entwicklung, die ja
die Basis dafür legt, dass wir Geld ausgeben können,
auch in der Zukunft Bestand hat, damit die Ziele, die
sich Bundesminister Schäuble, die Bundesregierung und
wir alle uns gesetzt haben, auch erreicht werden.
Der Haushalt des Umweltministeriums wächst um
6 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro. Mich freut es ganz
besonders, dass die Mittel für Maßnahmen im Rahmen
des Bundesprogramms „Biologische Vielfalt“ in Höhe
von 15 Millionen Euro, für Naturschutzgroßprojekte in
Höhe von 14 Millionen Euro und für Forschungsaufgaben im Bereich des Naturschutzes in Höhe von 16 Millionen Euro auf hohem Niveau verstetigt werden.
Dabei darf der Blick allerdings nicht nur auf den
Haushalt des BMUB gerichtet werden; denn ein beachtlicher Teil der Anstrengungen Deutschlands im Bereich
des Natur- und Artenschutzes wird auf internationaler
Ebene auch durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geleistet. So
werden im Einzelplan 23 im nächsten Jahr beinahe
175 Millionen Euro für die entwicklungswichtige multilaterale Hilfe zum weltweiten Umweltschutz, zur Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz bereitgestellt.
({2})
Überhaupt sind unsere Anstrengungen im internationalen Kontext beeindruckend. Im Haushalt des BMUB
ist die Internationale Klimaschutzinitiative hervorzuheben, die im kommenden Jahr mit fast 263 Millionen
Euro gezielt Klima- und Biodiversitätsprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie in den Transformationsstaaten fördert. Diese beinhaltet Projekte wie
Renaturierung und nachhaltiges Management von Mooren in der Ukraine, gemeindebasierte Schutzgebiete in
Ursprungsregionen des Wildkaffees in Äthiopien, Schutz
und Rehabilitierung von Küstenökosystemen auf den
Philippinen und im Korallendreieck oder die Stärkung
des Nationalparksystems in Südamerika.
Kurz noch etwas zum Thema Küstenökosysteme. Ich
glaube, einem großen Teil unserer Bürgerinnen und Bürger ist nicht bewusst, wenn sie im Supermarkt im Kühlregal ein Paket Garnelen für 1,50 Euro oder weniger
kaufen, dass wir mittlerweile 25 Prozent unserer weltweiten Mangrovenwälder zerstört haben, um Aquakulturen anzulegen, damit wir hier billig Krebstiere essen
können. Vor 20 oder 25 Jahren war das eine Rarität, die
man sich nur zu besonderen Anlässen geleistet hat. Inzwischen kann man sich so etwas regelmäßig leisten, allerdings mit den genannten Folgen.
Bei der 12. Vertragsstaatenkonferenz und beim ersten
Treffen der Vertragsstaaten zum Nagoya-Protokoll in
Pjöngjang, an denen ich gemeinsam mit meinem Kollegen Träger von den Sozialdemokraten teilnehmen konnte,
ist uns von vielen Ländern bestätigt worden, dass
Deutschland einen großen Einsatz im Bereich des Erhalts der biologischen Vielfalt leistet. Das wurde dort lobend erwähnt. Wir konnten uns davon überzeugen, dass
unser Ministerium gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen wie dem NABU oder dem WWF hier einen
guten Job macht. Das findet auch entsprechende Anerkennung.
In vielen Bereichen des Natur- und Artenschutzes
gilt: Ohne Ehrenamt geht nichts. Auch bei der schon erwähnten Tagung war es so, dass hier ein internationales
Jugendnetzwerk zur Biodiversität mit 51 Organisationen
aus 86 Ländern mit über 350 000 Mitgliedern seine Projekte vorstellen konnte. Es freut mich ganz besonders,
dass unser Umweltministerium diese Netzwerkarbeit finanziell unterstützt. Ich wünsche mir, dass dieses Engagement in den nächsten Jahren fortgesetzt wird.
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Bei der bloßen Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel darf es nicht bleiben; die Gelder müssen
nicht nur verwaltet werden, sondern auch wirtschaftlich
eingesetzt und in sinnvolle Projekte umgesetzt werden.
Das Bundesamt für Naturschutz ist für das Gros dieser
Aufgaben zuständig. Ich habe im August dieses Jahres
das BfN besucht und mir ein Bild von der Arbeit von
Professor Jessel und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemacht. 13 neue Planstellen gibt es im laufenden Haushaltsjahr, und für das nächste Haushaltsjahr
sind 7 neue Planstellen vorgesehen, um den größeren
Aufgabenbereich abdecken zu können. Ich wünsche mir,
dass diese positive personelle Entwicklung in dieser
wichtigen Behörde auch in den nächsten Jahren Bestand
hat.
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Über das Thema „Elefant und Nashorn“ hat der Kollege Lemme gesprochen.
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In Anbetracht der Zeit verzichte ich darauf.
Ich komme zum Schluss zum Zielkonflikt zwischen
Wirtschaft, Infrastrukturmaßnahmen, Natur- und Artenschutz. Beim Ausbau des Bereichs der erneuerbaren
Energien gibt es eine Kehrseite der Medaille. Ich erinnere nur an die großen Probleme mit der zunehmenden
Vermaisung. Als seinerzeit das Erneuerbare-EnergienGesetz beschlossen wurde, hat niemand an mögliche negative Auswirkungen des verstärkten Biomasseanbaus
gedacht.
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So gab es keinerlei Studien zu diesem Thema. Ein vermehrtes Artensterben durch Monokulturen, verstärkte
Nitrateingänge in unseren Gewässern usw. sind heute
unübersehbare Folgen. Frau Kollegin Höhn, ich habe
mich schlaugemacht und mir wurde bestätigt: Das ist
vorneweg nicht untersucht worden, zumindest laut Aussage des Wissenschaftlichen Dienstes.
Unter Artenschutzgesichtspunkten sind die Offshoreanlagen in der Nord- und Ostsee nicht nur Heilsbringer.
Vor allem der Bau der Windkraftanlagen im Meer beeinflusst die sehr schallempfindliche Schweinswalpopulation nachhaltig. Das macht den Experten viel mehr Sorgen als die derzeit von einigen Umweltaktivisten
lautstark und massiv bekämpfte Stellnetzfischerei an den
Küsten der Nord- und Ostsee. Auch hier gilt es, wie so
oft im Leben, mehr mit Augenmaß zu handeln und keine
Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Ich danke Ihnen auch und schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung.
Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.
Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag
auf Drucksache 18/3306. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt
worden.
Wir kommen jetzt zu dem Änderungsantrag auf
Drucksache 18/3307. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Wir stimmen nun ab über den Einzelplan 16, und
zwar in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Damit ist der Einzelplan 16 mit den
Stimmen der Großen Koalition gegen die Stimmen der
Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. November 2014,
9 Uhr, ein.
Kommen Sie alle gut erholt wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.