Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der
Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten auf der Drucksache 17/12050 aus der 17. Wahlperiode federführend
dem Verteidigungsausschuss und zur Mitberatung dem
Rechtsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Migrationsbericht 2012.
Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Innern, Herr
Dr. Thomas de Maizière. - Herr Bundesminister, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Kabinett hat heute den vom Innenminister vorgelegten
Migrationsbericht des Jahres 2012 beschlossen, den ich
Ihnen vorstellen will. Das Jahr 2013 ist strukturell nicht
sehr viel anders verlaufen als das Jahr 2012. Neuere
Zahlen bis auf die eine oder andere Ausnahme liegen
nicht vor. Deswegen: Nehmen Sie bitte mit den Zahlen
von 2012 vorlieb.
Der Bericht ist sehr umfangreich und aussagekräftig
und somit für die zahlreichen Debatten, die wir im Bereich der Integration, der Zuwanderung und im Zuge
vieler anderer Themen führen, hilfreich. Ich will versuchen, Ihnen in der Kürze der Zeit einen kleinen Eindruck
davon zu geben.
Der Migrationsbericht zeigt auf, dass Deutschland in
Europa nach wie vor ein Hauptzielland von Migration ist
und an Attraktivität gewonnen hat. Von 2012 bis 2013
konnten wir einen deutlichen Anstieg der Zuwanderungszahlen auf 1,08 Millionen Menschen verzeichnen.
Wir haben aber auch einen Zuwachs bei der Anzahl der
Fortzüge zu verzeichnen, und zwar auf 712 000. Das
macht insgesamt einen positiven Wanderungssaldo von
370 000 Menschen.
Ich muss kurz erläutern, wie diese Zahlen ermittelt
werden; sie stammen übrigens aus der amtlichen Wanderungsstatistik. „Fortzug“ heißt: Jemand meldet sich ab
und hat keinen anderen Wohnsitz im Inland. „Zuzug“
heißt: Er meldet sich hier an. - Was sich dahinter verbirgt, ergibt sich daraus natürlich nicht per se. Deswegen
will ich anhand einiger Hilfsindizien zeigen, was die
Zahlen verdeutlichen.
Wenn wir eine große Zuwanderung haben, dann haben wir immer auch eine große Abwanderung. Es handelt sich dabei auch um dieselben Staaten, zum Beispiel
Polen. Das heißt: Wir haben in Deutschland eine sehr
starke Bewegung - herein und heraus -, was alle Formen
von Zuwanderung betrifft. Ein Hilfsindiz ist - das finden
Sie auch in dem Bericht -, dass sich mehr als zwei Drittel der fortgezogenen ausländischen Staatsangehörigen
weniger als vier Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben. Das heißt: Wir haben sehr viele kurzfristige Bewegungen, insbesondere durch Studenten, Asylbewerber
oder durch diejenigen, die sich aus bestimmten Gründen
nur drei Monate hier aufhalten. Mit Blick auf den Bericht müssen wir also zwischen kurzfristiger Zu- und
Abwanderung, die sich innerhalb von drei, vier Jahren
abspielt, und langfristiger Zu- und Abwanderung unterscheiden.
Bei allen Herkunftsgebieten war der Wanderungssaldo positiv. Vier von fünf zugewanderten Personen kamen aus Europa. 64 Prozent kamen aus einem EU-Mitgliedstaat und nur 3 Prozent aus Afrika. Auch das ist,
wie ich glaube, ein Punkt, der für die politischen Debatten nicht ganz unwichtig ist.
Wie in den vergangenen Jahren gehörten Polen, Rumänien und Bulgarien gefolgt von Ungarn, Italien, Spanien und Griechenland zu den Herkunftsländern mit dem
größten Anteil. Der positive Wanderungssaldo ist bei Polen mit rund 70 000 am größten, dann folgen Rumänien
mit einem Saldo von rund 50 000 sowie Bulgarien und
Ungarn mit einem Saldo von je rund 26 000.
Viele Jahre war es so, dass wir im Verhältnis zu den
Staaten im Süden Europas, aus denen wir in den 70erund 80er-Jahren Zuwanderung hatten, einen negativen
Wanderungssaldo zu verzeichnen hatten, also Menschen
mehrheitlich zurückgegangen sind. Das ist - es hängt sicherlich mit der EU-Krise zusammen - seit einigen Jahren anders: Wir haben Wanderungsüberschüsse gegenüber Griechenland - 20 000 -, Italien - 16 000 - und
Spanien - 14 000 -; das ist eine neue Entwicklung.
Ein Wort zur Zuwanderung zu Erwerbszwecken aus
Drittstaaten; sie spielte ja auch immer eine große Rolle.
Einschließlich der Blauen Karten, der sogenannten Bluecards, betrug die Zahl dieser Zuwanderer 2012 fast
37 000. Wir finden dort einen Anstieg. Die absolute Zahl
ist allerdings noch nicht sehr hoch. Bluecards erhielten
rund 13 000, davon 55 Prozent in Regelberufen und
45 Prozent in Mangelberufen; auch das spielte vor dem
Hintergrund der Vorrangsprüfung eine große Rolle.
Wir hatten 2012 die bislang höchste Zahl an ausländischen Studienanfängern: rund 80 000, davon interessanterweise 10 Prozent mit chinesischer Staatsangehörigkeit, also eine sehr große Zahl. Wir haben zugleich eine
sehr hohe Zahl von ausländischen Studenten, sogenannten Bildungsausländern, hier bei uns: 205 000. Wir
weisen weltweit die dritt- oder viertgrößte Zahl an ausländischen Studierenden auf und sind im nicht englischsprachigen Bereich das Land, in das die meisten Studierenden kommen.
Hauptgründe für die Zuwanderung aus Drittstaaten
waren familiärer Art, so auch bei Zuwanderungen aus
der Türkei. Die Türkei erreicht hier immer noch die
höchsten Zahlen, wobei es hier aber zum ersten Mal eine
sinkende Tendenz gibt.
Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu den Asylbewerberzahlen sagen; auch das spielt eine Rolle. Wir hatten im Jahre 1992 die höchste Zahl von Asylbewerbern
in der Bundesrepublik Deutschland - wir alle wissen,
warum -: 438 000 innerhalb eines Jahres. Die niedrigste
Zahl von Asylbewerbern, die wir je hatten, gab es im
Jahr 2007: 19 000. Es gibt also eine ziemliche Spannweite. Jetzt gehen die Zahlen, wie Sie gehört haben, wieder hoch: Es gab im Jahr 2012 einen Anstieg. Im Jahr
2013 sind wir auf 109 000 Asylbewerber gekommen.
Die Hauptherkunftsländer waren 2012 Serbien gefolgt von Afghanistan und Syrien. Daran sieht man, dass
es unterschiedliche Länder sind, über die man im Einzelnen reden muss. Besonders auffällig ist der Anstieg der
Zahl der Asylbewerber aus Mazedonien, aus BosnienHerzegowina und auch aus Serbien. Das heißt, hinter der
Zahl der Asylbewerber verbergen sich ganz unterschiedliche Motive und Gründe. Das wird uns natürlich in den
folgenden Jahren beschäftigen.
Herr Präsident, die Zeit ist, glaube ich, abgelaufen.
Ich würde aber mit Ihrer Erlaubnis etwas zum Migrationshintergrund sagen. Darf ich das?
Gut.
Die Zahlen zum Migrationshintergrund haben im
klassischen Sinne nicht direkt mit Zuwanderung zu tun.
Dazu muss ich sagen: Das Statistische Bundesamt verwendet einen weiten Migrationsbegriff. Danach zählen
zu Personen mit Migrationshintergrund alle nach 1949
auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
Zugewanderten - das sind ja Millionen - sowie alle in
Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen
Elternteil, das also zur ersten Generation der Zuwanderer gehört. Wenn man diese breite Definition zugrunde
legt, dann ergibt sich aus dem Migrationsbericht, dass im
Jahre 2012 von 81,9 Millionen Einwohnern etwa
16,3 Millionen einen Migrationshintergrund hatten, davon rund 9 Millionen Deutsche und 7,4 Millionen Ausländer. Der Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung - wie gesagt: in
diesem weit verstandenen Sinne - beträgt 11 Prozent,
der Ausländeranteil 9 Prozent. Laut Mikrozensus 2012
beläuft sich der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund insgesamt auf 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Gestatten Sie mir eine letzte Ergänzung. Laut Mikrozensus 2012 stellen Ausländer mit eigener Migrationserfahrung, das heißt, Ausländer, die nach Deutschland zugewandert sind - das sind diejenigen, über die wir
meistens sprechen, wenn es, politisch gesehen, um Migration geht -, mit 35,9 Prozent die größte Gruppe. Das
sind 5,9 Millionen Personen. 9,2 Prozent der Personen
mit Migrationshintergrund sind Ausländer, die in
Deutschland geboren wurden, die also der zweiten und
dritten Generation angehören. Das sind 1,5 Millionen
Personen. Es besitzen also 45 Prozent der Personen mit
Migrationshintergrund nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.
Ich komme zum Schluss. Hinter dem Migrationsbericht verbergen sich natürlich quantitative Aussagen.
Wenn man die entsprechenden Zahlen aber korreliert,
dann ergibt sich mit Blick auf die einzelnen Personengruppen ein sehr differenziertes Bild über Zuwanderung
bzw. über Fort- und Zuzüge: von Studenten über Asylbewerber bis zu Hochqualifizierten, die in unser Land
kommen. Ich würde mich freuen, wenn wir auch die Diskussion über dieses Thema differenziert führen.
({0})
Schönen Dank, Herr Bundesminister. - Weil wir viele
neue Kolleginnen und Kollegen haben, möchte ich kurz
die Regeln für die Regierungsbefragung erklären.
Wir haben prinzipiell drei Frage- bzw. Diskussionsblöcke. Im ersten Block wird über einen Themenbereich
berichtet, in diesem Fall über den Migrationsbericht.
Dann gibt es Gelegenheit, auch zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung Fragen zu stellen. Darüber
Vizepräsident Peter Hintze
hinaus können auch allgemeine Fragen an die Bundesregierung gestellt werden.
Wir haben uns auf eine 1-Minuten-Regel geeinigt.
Das bedeutet, dass jeder Fragesteller versucht, seine
Frage möglichst in 1 Minute zu stellen, und dass der
Bundesminister wiederum anstrebt, die Antwort in 1 Minute zu geben, damit möglichst viel Dialog entstehen
kann und möglichst viele Fragen beantwortet werden
können. Dafür gibt es optische Hilfen. Die Uhren oberhalb der Hammelsprungtüren sowie rechts und links
oberhalb der Medienwände zeigen jeweils die verbleibende Restredezeit in Sekunden an. Es gibt zudem ein
Lichtsignal. Wenn es Grün leuchtet, ist alles im grünen
Bereich. In den letzten 30 Sekunden leuchtet es gelb - da
muss man schon ein bisschen aufpassen -, nach dem Ablauf von 1 Minute wird es rot - das alles hat keine politische Bedeutung -,
({0})
und dann soll man aufhören. So ist das Prozedere.
Jetzt haben wir eine ganze Reihe von Fragestellerinnen und Fragestellern. Die beiden ersten sind die Kollegin Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke und Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen. Bitte,
Frau Kollegin Vogler.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Danke, Herr Minister.
Ich möchte gleich Ihre Anregung aufgreifen und zur Differenzierung der Debatte beitragen. Ich wüsste gerne, inwieweit sich der Migrationsbericht der Bundesregierung
auch mit der Lage von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus osteuropäischen EU-Ländern beschäftigt,
die zum Beispiel im Baugewerbe und in der Fleischindustrie häufig im Rahmen von Leiharbeits- und Werkvertragsverhältnissen prekär beschäftigt sind. Leiten Sie
daraus Maßnahmen ab, die es zu ergreifen gilt, um die
Situation für die betroffenen Menschen zu verbessern?
Herr Minister, bitte.
Frau Abgeordnete, die Antwort ist Nein. Es handelt
sich nicht um Analysen über Sozialstrukturen, über Erwerbstätigkeit, über Arbeitslosigkeit oder über Zuwanderung in Sozialsysteme. Das alles wird in diesem Bereich nicht erfasst. Vielmehr geht es um die Frage: Wer
kommt, wer geht? Asylbewerber werden statistisch gesondert erfasst. Auch die Qualifizierung mit Blick auf
Bildung wird nicht erfasst.
Sie sprechen ohne Frage einen sehr wichtigen Punkt
an, aber aus dem vorliegenden Migrationsbericht können
keine entsprechenden Maßnahmen abgeleitet werden.
Danke schön. - Die nächste Frage, Kollege Volker
Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, der Bericht enthält durchaus eine differenzierte Aufschlüsselung in Bezug auf Zuwanderungsgründe, Verweildauern und Qualifikation sowie die
Frage, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Arbeitsmigranten nach Deutschland einreisen.
Die Bundesregierung hat einen Staatssekretärsausschuss eingesetzt, der die Frage klären soll, wie man
den Missbrauch von Sozialleistungen vermeiden kann.
Dazu sollen entsprechende Vorschläge entwickelt werden. Daher frage ich Sie: Inwiefern gibt die Datenbasis
des Migrationsberichtes einen Hinweis darauf - ich habe
nichts gefunden -, dass das Problem in relevantem Maße
überhaupt besteht?
Herr Beck, ich habe die Zahlen von 2012 genannt und
angedeutet, dass es sich mit den Zahlen von 2013 ähnlich verhält. Aus dem sehr positiven Wanderungssaldo
bezogen auf Rumänien und Bulgarien, den ich angesprochen habe - an der Spitze steht Polen; aber das ist ein
ganz anderes Themenfeld, wie wir beide wissen -, kann
man schlussfolgern, dass es an dieser Stelle ein besonderes Thema gibt. Das werden wir uns im Staatssekretärsausschuss ansehen.
Richtig ist, dass vor der Lösung eine ordentliche
Sachverhaltsbeschreibung stehen muss. Dazu gehört das
Aufzeigen von rechtlichen Handlungsspielräumen auf
nationaler und europäischer Ebene. Das werden wir tun.
Herzlichen Dank. - Die nächsten Fragesteller sind
Kollege Wolfgang Gehrcke sowie die Kolleginnen
Martina Renner und Petra Pau von der Fraktion Die
Linke. - Kollege Gehrcke, bitte.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sie, Herr Minister, bei diesem Thema auf der Regierungsbank - das ist
ein ganz ungewohntes Bild.
Daran müssen Sie sich jetzt gewöhnen.
Ja, Sie auch.
Ja. Ich habe mich fast schon umgewöhnt.
Okay. - Ich möchte erfahren, worüber die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Bericht am Kabinettstisch oder im Umfeld debattiert hat. Zu einem Migrationsbericht gehört ja auch eine Bestandsaufnahme
hinsichtlich der Willkommenskultur im eigenen Land.
Ansonsten wäre er sehr einseitig. Hat es eine Debatte
über die Willkommenskultur gegeben?
Ich frage das voller Sorge, weil mir Ihr Kollege
Ministerpräsident Koch mit seiner Kampagne, bei der
man gegen Ausländer unterschreiben konnte, noch gut in
Erinnerung ist. Ebenso habe ich die Formulierung „Wer
betrügt, der fliegt!“ im Kopf. Dazwischen lag Herr
Rüttgers, der in NRW mit der Losung „Kinder statt Inder!“ Wahlkampf gemacht hat. Das war sehr bedrückend
und spricht nicht gerade für eine Willkommenskultur.
Deswegen lautet meine Frage: Hat sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Thema Migration mit
diesem Thema auseinandergesetzt?
Herr Abgeordneter, Sie haben drei Sachverhalte, die
zeitlich ziemlich weit auseinanderliegen, in einen Zusammenhang gestellt. Das wissen Sie selbst.
({0})
Wir haben nicht über Willkommenskultur im engeren
Sinne gesprochen. Aber natürlich haben wir über ein
paar Entwicklungen geredet. Ein Punkt ist: Ja, die Anreize, die wir in den vergangenen Jahren gesetzt haben
- mit denen wollten wir zeigen, dass wir für Zuwanderung offen sind, dass wir insbesondere Zuwanderung
von Frauen und Männern wünschen, die sich hier eine
Existenz aufbauen, arbeiten und Steuern zahlen wollen,
und dass Deutschland besonders attraktiv werden will
für Hochqualifizierte -, haben eine relativ gute Wirkung
entfaltet. Das ist eine gute Nachricht.
Unser Ausländerrecht bietet zwar kein hohes Maß an
Übersichtlichkeit - darüber wird vielleicht zu reden sein -,
aber die Instrumente wurden im Prinzip richtig genutzt.
Das zeigt sich bei den Themen Bluecard, Zuwanderung
zu Erwerbszwecken und ausländische Studierende; ich
habe das schon angesprochen. Auch wenn viele nicht
hier bleiben - ob wir wollen, dass sie hierbleiben, ist ein
anderes Thema -, sind sie in gewisser Weise Botschafter
Deutschlands. Diese Instrumente werden genutzt.
Vieles von dem, was Sie unter dem Begriff „Willkommenskultur“ verstehen, dass man zum Beispiel nicht nur
auf den Fluren herumsitzt und schlecht behandelt wird,
ist eine kommunale Angelegenheit. Wir müssen daran
arbeiten. Aber ich habe nicht ohne Grund zur Differenzierung gemahnt. Wenn wir von den Ausländern, den
Zuwanderern, den Asylbewerbern usw. sprechen,
({1})
dann werden wir dem differenzierten Sachverhalt, nämlich dass unser Land auch ein Zuwanderungsland ist,
nicht gerecht.
({2})
Schönen Dank für die Beantwortung. - Die Kollegin
Renner, Fraktion Die Linke, die Kollegin Pau, Fraktion
Die Linke, und danach die Kollegin Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident, ich möchte bei diesem Thema bleiben. Hat denn die Bundeskanzlerin oder haben Sie, Herr
Dr. de Maizière, in der gestrigen Fraktionssitzung den
Versuch unternommen, Teile der CSU von ihrer vorurteilsbeladenen Rhetorik abzubringen? Das frage ich auch
vor dem Hintergrund, dass ich der Meinung bin, dass die
Aspekte, die Herr Kollege Gehrcke eben angesprochen
hat, tatsächlich zusammengehören. Wir haben im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses festgestellt, dass es in den 90er-Jahren eine Verschränkung
von medialer Hetze gegen Flüchtlinge, Verstärkung der
politischen Forderungen im Bereich des Zuwanderungsrechts und rassistischer Mobilmachung und Gewalt gab.
Wir erleben derzeit die bedauerliche Entwicklung,
dass es landauf, landab, in Nord und Süd, in Stadt und
Land erneut - ich nenne es jetzt einmal so - eine aufkommende Stimmung gegen die Unterbringung von
Flüchtlingen gibt. Deswegen habe ich eine ganz konkrete Frage: Was tun Sie, um diesen Diskurs, der erneut
nur Wasser auf die Mühlen dieser rassistischen Propaganda spült, zu unterbinden?
Zunächst möchte ich, weil Sie mich gefragt haben,
was wir in der Fraktionssitzung der Union besprochen
haben, auf Folgendes hinweisen: Hier findet jetzt die Befragung der Bundesregierung statt. Ich habe nicht die
Absicht, aus Fraktionssitzungen der CDU/CSU vorzutragen.
Zweitens. Dass Sie die Beiträge der CSU zu der Debatte so qualifizieren, wie Sie es gemacht haben, weise
ich zurück. Das wird dem Anliegen der CSU nicht gerecht.
({0})
Drittens. Ich weiß, dass, wenn Asylbewerber in unseren Wahlkreisen - in Anführungsstrichen - unterzubringen sind, alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus
versuchen, das vernünftig zu machen und gegen manche
Vorurteile und gegen manche Protestaktionen, die es in
Berlin und anderswo gab, seriös und vernünftig vorzugehen. Alle, die wir hier sind, machen das so, jeder auf
seine Weise. Deswegen glaube ich nicht, dass irgendjemand hier im Haus diesen Vorwurf verdient.
Sie fragen, was wir tun. Ich sage noch einmal: Am
besten reden wir differenziert über die Sachverhalte. Das
ist das beste Mittel gegen Vorurteile.
Die Frau Kollegin Pau hat als Nächste das Wort.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, nun erarbeitet
man ja solche Berichte nicht, damit man einen Bericht
hat, den man ins Regal stellen kann, sondern im Allgemeinen zieht man daraus ja Schlussfolgerungen oder
nimmt sich etwas vor. Deshalb interessiert mich, was Sie
dazu heute im Kabinett beraten haben, und zwar ganz
konkret.
Sie haben heute in einer Pressemitteilung erklärt, dass
die Bundesrepublik mit den Integrationskursen und
sonstigen Integrationsangeboten über eine gute Infrastruktur verfügt. Gleichzeitig hat die Bundesregierung
auf eine Anfrage meiner Fraktion vor kurzem mitgeteilt,
dass angesichts des zu erwartenden Bedarfs im Haushalt
mindestens 15 Millionen Euro für die Integrationskurse
fehlen. Planen Sie hier eine Aufstockung, und ist die
Bundesregierung bereit, gegebenenfalls auch parlamentarische Initiativen zu diesem Thema zu unterstützen? Es
geht übrigens nicht nur um Aufstockung in dem Sinne,
dass die Integrationskurse besser ausgestattet werden.
Ich denke, wir müssen die Mittel auch aufstocken, um
die Kursleiter, Lehrer usw. angemessen zu bezahlen.
Frau Abgeordnete Pau, wir haben jetzt nicht umfänglich über Konsequenzen aus diesem Bericht debattiert.
Das ist ein Bericht, der jedes Jahr vorgelegt wird. Ich
finde, er bietet eine sehr gute statistische Grundlage für
viele Debatten, unter anderem die, die Sie führen. Das
Parlament ist auch gut beraten, solche Berichte anzufordern. Ein ordentlicher Sachverhalt dient ja auch manchmal der Lösung von Problemen.
Wir haben heute im Kabinett nicht über die Integrationskurse diskutiert. Wie Sie wissen, befinden wir uns
im Vorfeld einer Haushaltsaufstellung. Das will ich jetzt
hier nicht vorwegnehmen. Ich glaube, im Haushalt ist
eine Summe von 204 Millionen Euro vorgesehen. Auch
das BMAS hat entsprechende Mittel. Ich könnte jetzt
lange Erwägungen darüber anstellen, wer dafür eigentlich zuständig ist, was die Länder tun und wie das alles
zu behandeln ist. Es gibt, wie Sie wissen, aus dem Bundesrat Anträge, die Berechtigung für den Zugang zu diesen Integrationskursen zu erweitern. All das wird uns beschäftigen, aber nicht heute.
Die Kollegin Mihalic, danach die Kollegin Amtsberg,
beide Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, auch ich möchte auf den Themenkomplex Migration aus Rumänien und Bulgarien eingehen
und Sie fragen, ob aus Ihrer Sicht der Migrationsbericht
die Grundlage dafür bietet, Einschränkungen der Freizügigkeit vorzunehmen, also Einschränkungen der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gegebenenfalls auch multilateral bzw. außerhalb der EU-Strukturen
durchzusetzen, wie es ja auch Ihr Amtsvorgänger gefordert hat.
Nein, und das weise ich auch für meinen Amtsvorgänger zurück.
({0})
Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ist ein hohes Gut. Wir achten es und kämpfen dafür, dass es so
bleibt.
Das Thema, das Sie ansprechen, betrifft die Frage, ob
die Freizügigkeit - ich will es einmal neutral formulieren nicht dazu gebraucht wird, hier eine Erwerbstätigkeit
aufzunehmen, hier Menschen zu besuchen und einfach
als freier Europäer zu reisen, sondern dazu gebraucht
wird, um in Deutschland Sozialleistungen in Anspruch
zu nehmen, die es im Heimatland nicht gibt und die allein Anreiz dafür sind, hier das Leben vielleicht besser
zu verbringen als in Bulgarien oder Rumänien.
Das ist wegen des Wohlstandsgefälles in der Europäischen Union teilweise nicht über Nacht zu ändern. Aber
das ist mit der Freizügigkeit, die wir in Europa verteidigen wollen, eigentlich nicht gemeint. Die Sozialsysteme
sind national organisiert. Deswegen entsteht hier ein
Konflikt - wir werden ja über den Sachverhalt, nach
dem Herr Beck gefragt hat, und die Dimension noch genauer reden -, der zumindest in einigen größeren Städten
zu nicht unerheblichen Problemen führt.
({1})
Dieses Problem kann man nicht mit dem Argument:
„Wir sind für Freizügigkeit“ leugnen, sondern wir müssen über die Freizügigkeit und den Missbrauch von Freizügigkeit - jedenfalls dann, wenn Menschen nach
Deutschland kommen, um hier Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen - ehrlich reden. Das ist keine leichte
Aufgabe.
Die nächste Frage hat die Kollegin Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, vielen Dank für Ihren Bericht. - Im
Zuge eines weiter gefassten Integrationsbegriffes: Gibt
es Überlegungen der Bundesregierung, die Integrationsund Sprachkurse auch für Asylbewerber zu öffnen, und
wenn ja, haben Sie eine zeitliche Vorstellung?
Ich habe das in der Antwort auf die Frage der Abgeordneten Pau eben schon angedeutet: Wir kennen diese
Anträge; wir prüfen das. Ich sage Ihnen aber auch
schnörkellos: Meine persönliche Auffassung ist, dass
diejenigen, die sich hier nicht legal aufhalten, auch nicht
Teilnehmer von Integrationskursen werden sollten, weil
ja das Ziel ihres Aufenthalts in Deutschland gerade nicht
die Integration ist. Das war jetzt eine harte Antwort.
({0})
Was Duldungen und all das angeht, zeigt sich ein differenziertes Bild; das alles weiß ich. So enthält die Koalitionsvereinbarung eine Regelung zum Bleiberecht für
langfristig Geduldete; darüber wird zu reden sein. Aber
die Auffassung, dass jeder, der hierherkommt, das Ziel
von Integrationsbemühungen sein soll, habe ich nicht.
Die nächste Frage stellt Kollege Michael Hartmann,
SPD-Fraktion, danach folgt Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Minister, bei Migration geht es um mehr als um
die sogenannten Armutsflüchtlinge, um mehr als um illegale Zuwanderung und um mehr als um die Debatte
über Bürgerkriegsflüchtlinge. Sind Sie wie ich der Meinung, dass es im Sinne eines umfassenden Migrationsbegriffs und nach Analyse dieses Berichts für die neue
Bundesregierung jetzt und in Zukunft darauf ankommen
wird, sich auch mit den Fragen zu beschäftigen, welche
Vorteile Deutschland durch Migration genießt, warum so
viele Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu
uns gekommen sind, was sie uns alles an Wohlstand, an
positiver Entwicklung gebracht haben und wie sehr wir
sie brauchen, auch im Sinne eines guten gesellschaftlichen Miteinanders? Will die neue Bundesregierung auf
diese Debatten einen mindestens genauso großen
Schwerpunkt legen wie auf all die anderen unvermeidlichen Diskussionen, die leider auch sehr leicht benutzt
werden, um Hetze zu betreiben?
Herr Abgeordneter Hartmann, diese Auffassung teile
ich uneingeschränkt. Ich habe auch in meinen einführenden Bemerkungen versucht, das deutlich zu machen.
Die Bemühungen im Hinblick auf die Zuwanderung
von Hochqualifizierten fruchten. Wir freuen uns über
ausländische Studenten, die hier studieren. Es ist, wie
gesagt, eine sehr hohe Zahl - unabhängig von der Frage,
ob sie bleiben oder nicht und ob wir uns das wünschen
sollten oder nicht; das ist eine ganz andere Debatte. Interessanterweise ist auch die Zahl deutscher Studenten, die
im Ausland studieren, hoch. Da findet natürlich einiges
in Amerika statt, aber auch sehr vieles in Europa, in der
EU. Die größte Zahl deutscher Studierender im Ausland
findet man in Österreich; jeder von uns weiß, woran das
liegt.
Von daher glaube ich, dass wir mit Blick auf die Willkommenskultur - davon war die Rede - nicht nur wegen
unserer demografischen Entwicklung, sondern auch wegen unserer Tradition als weltoffenes Land, wegen unserer demokratischen Kultur, wegen der Einbindung Europas in die Welt dringend darauf angewiesen sind, dass
wir ein weltoffenes Land bleiben und die Zuwanderung
so organisieren, dass sie zu Erwerbstätigkeit, zu Familiengründungen und auch zu Staatsbürgerschaften führt;
das ist ja das nächste Thema.Umso wichtiger ist, dass
wir klar adressieren, dass auch Menschen zu uns kommen, die diesem Kriterium nicht entsprechen. Das sind,
glaube ich, zwei Seiten einer Medaille, zwei Seiten einer
vernünftigen Zuwanderungs- und Migrationsdebattenkultur in Deutschland.
Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, und
danach noch einmal Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
Linke.
Herr Minister, ich will Ihnen eigentlich eine Frage zur
Staatsangehörigkeit stellen - das tue ich auch gleich -;
aber vorher wollte ich klären, ob ich Sie gerade richtig
verstanden habe: Sie sprachen vorhin von illegal Hierseienden, die keinen Zugang zu Integrationskursen haben. Es liegt eigentlich in der Natur der Sache, dass der
Illegale keinen Zugang zu einem Integrationskurs beantragen wird, Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:
- weil er ansonsten vermutlich ausgewiesen würde.
Das ist trotzdem beantragt worden: vom Bundesrat.
Meinten Sie Personen ohne Aufenthaltserlaubnis?
Beide.
Ein Asylbewerber, der geduldet ist oder dergleichen
oder dessen Verfahren läuft, hat zwar noch keine Aufenthaltserlaubnis, ist aber nicht illegal hier.
Herr Beck, der Gesetzesantrag, den ich jetzt meine
- ich weiß nicht, ob er aus Hamburg stammt; aber er
stammt aus einem Bundesland -, bezieht sich meiner
Kenntnis nach auf beides.
Okay; das schaue ich mir dann noch einmal an.
Ich auch.
Zur Staatsangehörigkeit. Da fand ich eine Information
Ihres Berichtes besonders interessant, nämlich dass bei
der Einbürgerung inzwischen knapp über 50 Prozent die
doppelte Staatsangehörigkeit haben. Die Koalition hat
jetzt beschlossen - was ich sehr gut finde -, dass man im
Staatsangehörigkeitsrecht künftig auf die Optionspflicht
verzichten will. Meinen Sie denn, dass der bürokratische
Aufwand, den wir bei der Einbürgerung treiben, um zu
klären, ob wir bei jemandem die doppelte Staatsangehörigkeit oder Mehrstaatigkeit hinnehmen, noch lohnt,
wenn der Befund lautet, dass bereits über 50 Prozent ohnehin die doppelte Staatsangehörigkeit haben? Wäre es
deshalb nicht an der Zeit, zu sagen: „Wir verzichten auf
diese Regelung, auch als Teil von Willkommenskultur.
Ein anderer Pass steht, wenn alle übrigen Kriterien
erfüllt sind, dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht entgegen“? Falls Sie da meiner Auffassung nähertreten würden: Planen Sie, in diesem Zusammenhang
gesetzgeberisch initiativ zu werden?
Herr Abgeordneter Beck, nun haben wir ja nicht mit
Ihnen Koalitionsverhandlungen geführt, sondern mit den
Sozialdemokraten. Dass das so ist, liegt auch wesentlich
an Ihnen.
({0})
Mit den Sozialdemokraten haben wir in den Koalitionsverhandlungen ein bestimmtes Ergebnis erzielt, das
manchen zu weit und anderen nicht weit genug geht;
aber so ist das bei Koalitionsvereinbarungen. Wir werden zum Thema Optionspflicht sehr schnell, ohne
schuldhaftes Zögern, einen Gesetzentwurf vorlegen, mit
dem die Koalitionsvereinbarung exakt umgesetzt wird.
Da ist allerdings etwas zu regeln, was auch administrierbar ist; das weiß ich wohl. Aber insgesamt wird das sehr
schnell gehen.
Darüber hinausgehende Regelungen werden Sie von
uns nicht erwarten können. Sie werden entsprechende
Anträge in den Deutschen Bundestag einbringen, über
die wir dann debattieren werden. - Diese Antwort hat
Sie jetzt aber nicht wirklich überrascht.
({1})
Bitte keine Gegenfragen an die Kolleginnen und Kollegen, sonst wird es kompliziert.
({0})
Kollegin Pau, danach noch einmal Kollegin Vogler,
beide Fraktion Die Linke, und dann Kollege Özcan
Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich möchte
die Gelegenheit nutzen, Sie zu einem Sachverhalt zu
fragen. Gestern hat der Präsident des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge, Herr Dr. Manfred Schmidt,
in einem Interview mit der Zeitung Die Welt Wiedereinreisesperren gefordert, und zwar - Zitat - „sowohl für
Einwanderer in die Sozialsysteme als auch für abgelehnte Flüchtlinge“. Ich gestehe, ich habe mir die Augen
gerieben und noch einmal nachgeschaut. Das geht ja
selbst über die Forderungen, die wir aus der CSU hören,
oder über die Dinge, die Sie im Koalitionsvertrag als
Prüfauftrag verankert haben, weit hinaus. Wie beurteilen
Sie die Einschätzung des Präsidenten des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge? Rechtfertigt die Ablehnung eines Asylantrags oder ein Antrag auf Sozialleistungen aus Ihrer Sicht tatsächlich die Verhängung eines
Wiedereinreiseverbotes?
Frau Abgeordnete Pau, ich habe den Wortlaut des
Interviews heute noch nicht lesen können. Wir werden
uns bei diesem Thema genau an die Koalitionsvereinbarungen halten. Dazu gehört, eine Regelung zu finden, die
europakompatibel ist, die den Missbrauch nach einer
Einreise verhindert. Das werden wir prüfen, auch im
Staatssekretärsausschuss, und dann entsprechend etwas
vorlegen.
Frau Kollegin Vogler, Fraktion Die Linke, bitte.
Vielen Dank. - Herr Minister, wir haben uns in der
letzten Legislaturperiode hier in diesem Hause schon öfter mit der Situation in Syrien befasst und wissen, dass
dort inzwischen mehrere Millionen Menschen auf der
Flucht sind; teils sind sie Binnenflüchtlinge, teils flüchten sie in die Nachbarländer.
Aus Ihrem Haus, aber auch aus den Landesregierungen hat es immer wieder Zusagen verschiedener Art
gegeben. Dabei ging es um die Möglichkeit syrischer
Bürgerkriegsflüchtlinge, nach Deutschland einzureisen.
Deswegen möchte ich Sie an dieser Stelle zum einen
fragen: Welche Zahlen können Sie uns aus dem Migrationsbericht für 2012 diesbezüglich nennen? Zum anderen: Verfügen Sie darüber hinaus vielleicht auch über
Zahlen für 2013, sodass Sie uns sagen können, wie sich
die angekündigte unbürokratische Aufnahme von
Flüchtlingen aus Syrien konkret gestaltet?
Frau Abgeordnete, ich muss nachschauen, ob ich die
Zahlen auf die Schnelle finde. - Wie Sie wissen, haben
wir unsere Aufnahmebereitschaft für erst 5 000 und
dann für insgesamt 10 000 syrische Flüchtlinge erklärt.
Nach dem Stand vom 9. Januar sind etwa zwei Fünftel
des ersten Kontingents in Deutschland eingetroffen.
Wir sind bereit, pro Monat mehr aufzunehmen, und
können das auch. Tatsächlich ist es jedoch so, dass die
libanesische Sicherheitsbehörde monatlich weniger Ausreisegenehmigungen im Rahmen der organisierten Gruppeneinreisen erteilt als erwünscht. Außerdem wird von
logistischen Schwierigkeiten in der Krisenregion berichtet, etwa dann, wenn die Flüchtlinge vom gefährlichen
Norden des Libanon nach Beirut gebracht werden sollen.
Hinzu kommt, dass die Bundesländer für die zweiten
5 000 Flüchtlinge großen Wert darauf gelegt haben, dass
es sich möglichst um Verwandte von hier lebenden Syrer
handelt, was auch aus humanitären Gründen ein sehr
verständliches Anliegen ist. Die Feststellung von Verwandtschaftsverhältnissen dauert aber natürlich eine gewisse Zeit.
Ich will hinzufügen, dass darüber hinaus seit Ausbruch des Konflikts rund 25 000 syrische Staatsbürger
außerhalb der Aufnahmeaktion nach Deutschland eingereist sind. Jeden Monat gibt es derzeit circa 1 500 neue
Asylanträge von Menschen aus Syrien. Ich kann berichten, dass andere europäische Staaten, deren Namen ich
jetzt nicht nenne, gesagt haben, sie nähmen 500, 400
oder 300 syrische Flüchtlinge auf. Von daher glaube ich,
dass wir uns in der Europäischen Union mit unserem humanitären Engagement für Flüchtlinge aus Syrien sehen
lassen können.
({0})
Der Kollege Mutlu hat die nächste Frage. Bitte.
Herr Minister, ich habe eine Frage, die in einer Regierungsbefragung sicherlich nicht in aller Ausführlichkeit
erörtert werden kann. Nichtsdestotrotz: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesem Migrationsbericht für
den Nationalen Integrationsplan, dessen Umsetzung Sie
sich ja in der letzten Legislaturperiode und vermutlich
auch in dieser zum Ziel gesetzt haben? Zusammen mit
den Bundesländern wollen Sie eine bessere Integration
der Menschen gewährleisten, die in unser Land einwandern.
Dabei geht es insbesondere um Institutionen des Bildungsbereichs, zum Beispiel die Schulen. Die Kommunen vor Ort müssen die Zuwanderung - egal aus welchen Gründen - irgendwie meistern und sind damit
überfordert, fehlende Schulräume, genügend Lehrkräfte
und auch muttersprachliches Personal bereitzustellen.
Welche Schritte gedenken Sie nach diesem Bericht diesbezüglich einzuleiten, um dem zu begegnen?
Herr Abgeordneter, das ist ein Aufgabenpaket für die
ganze Legislaturperiode. Wir fangen dabei nicht bei null
an; Frau Böhmer sitzt neben mir, und auch Frau Böhmer
hatte Vorgängerinnen. Das Innenministerium, die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration und
auch alle anderen Häuser arbeiten an diesem Thema, um
es voranzubringen.
Es nützt nichts, wenn der Bund sagt, die Länder seien
für die Schulen zuständig - obwohl es so ist -, und es
nützt auch nichts, wenn die Länder sagen, der Bund solle
ihnen irgendwie helfen. Wir kommen hier nur voran,
wenn wir das gemeinsam tun - jeder in seiner Verantwortung.
Der Bund tut hier viel. In den Ländern werden
Deutschkurse an Schulen angeboten, die aus Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden.
Da kann man wirklich fragen, wer hierfür eigentlich zuständig ist. Das machen wir, um die Arbeitsfähigkeit und
die Integration in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Hier
gehen wir verfassungsrechtlich über eine ziemlich große
Brücke, aber integrationspolitisch ist das eine sehr wirksame und richtige Maßnahme. Da brauchen wir, glaube
ich, keine Nachhilfe.
Zur Beantwortung der Frage gehört auch, zu erwähnen, dass die Situation in Deutschland sehr unterschiedlich ist, etwa in Großstädten oder in Kleinstädten. Ich
komme aus Sachsen, wo der Ausländeranteil sehr viel
niedriger als in anderen Bundesländern ist. Wir haben
Städte, in denen die Integration sehr gut funktioniert,
und auch Städte, wo es nicht so gut funktioniert. Das
hängt auch mit Traditionen, mit Städtebau und Stadtentwicklung zusammen, auch mit Gruppen, die sich in bestimmten Gegenden niedergelassen haben.
Das ist eine große Aufgabe. Die Frage ist, ob und in
welcher Weise wir den Prozess des Integrationsplans
bzw. des Integrationsgipfels fortsetzen. Es spricht viel
dafür, dass wir dies tun. Aber geben Sie uns ein bisschen
Zeit. Das wird sicher bei unserem Treffen in Meseberg
auch ein Thema sein. Ich werde das mit der Kollegin
Özoğuz besprechen. Dann werden Sie dazu Vorschläge
vorgelegt bekommen.
Herzlichen Dank. - Als Nächster der Kollege Detlev
Pilger, SPD-Fraktion, und dann noch einmal Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke. Herr Kollege Pilger.
Herr Präsident! Herr Minister, ich möchte gerne an
das anknüpfen, was die Kollegin von Bündnis 90/Die
Grünen eben angeregt hat, nämlich Sprachkurse für
Asylsuchende. Bei uns in Koblenz lebt eine Gruppe von
koptischen Christen, 18 Menschen. Diese sind sehr
daran interessiert, mit der Bevölkerung in Kontakt zu
treten und auch niederschwellige Arbeiten zu übernehmen, um sich zu beschäftigen. Dafür sind zumindest geringe Sprachkenntnisse eine Voraussetzung.
Ich möchte die Bundesregierung an dieser Stelle
darum bitten, darüber nachzudenken, innerhalb des Gesamtpakets Willkommenskultur Mittel für Sprachkurse
bereitzustellen. Diese werden sicherlich kein großes
Loch in den Etat reißen. Sie könnten in der Tat ein unterstützendes Moment sein, um für diese Menschen in der
Bevölkerung mehr Akzeptanz zu erzielen.
Das war jetzt keine Frage, aber eine Bitte. Ich greife
sie trotzdem gerne konstruktiv auf. Natürlich werden wir
das prüfen. Aber irgendwo sind die Haushaltsmittel auch
begrenzt.
Als ich das erste Mal Innenminister war, haben wir
darüber schon einmal eine Debatte geführt. Dabei ging
es um Fragen der Effektivität und darum, wie groß die
Kurse sind und ob sich Träger innerhalb einer Stadt absprechen können, damit man sich das Ganze aufteilt. Ich
glaube, damals gab es hier sehr viele Reserven. Ich weiß
nicht genau, was in der Zwischenzeit passiert ist.
Wir sind uns unserer Verantwortung für die Integrationskurse bewusst. Aber die Bäume wachsen auch nicht
in den Himmel. Hier müssen wir eine vernünftige Lösung finden.
Schönen Dank. - Kollege Gehrcke, Fraktion Die
Linke.
Herr Minister, ich hatte mithilfe des Auswärtigen
Amts - das muss ich dazusagen - die Gelegenheit, einer
syrischen Flüchtlingsfrau zu helfen, aus einem Lager in
Beirut nach Deutschland zu kommen. Angesichts des
Elends in Syrien sind die Zahlen, die Sie hier für
Deutschland und für Europa vorgetragen haben, aus
meiner Sicht beschämend.
({0})
Könnte die Bundesregierung nicht eine Initiative ergreifen, um der Genfer Syrienkonferenz einen humanitären Impuls zu geben, damit die Aufnahmebereitschaft in
der EU insgesamt erhöht wird? Würden Sie mit Ihren
EU-Partnern über diese Frage nicht intensiver verhandeln wollen?
Der erste informelle Rat der Innenminister findet
Ende Januar in Athen statt. Dabei wird dieses Thema
sicherlich eine Rolle spielen.
Ich will im Zusammenhang mit Ihrer Frage insbesondere - das weiß ich noch aus meiner früheren Funktion das Engagement der Länder Libanon, Jordanien und
Türkei hier würdigen. Was sie an Flüchtlingslasten tragen, ist international wirklich vorbildlich. Manche EU
Staaten - Stichwort „Dublin“ - könnten sich daran ein
Beispiel nehmen. Das will ich wirklich einmal sagen.
({0})
Mit „Dublin“ meine ich jetzt nicht das Land Irland, sondern das Dublin-System, damit hier kein Missverständnis aufkommt.
Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, dass
sich Deutschland innerhalb der Europäischen Union
wirklich vorbildlich verhält. Das ganze Verfahren
kommt zwar schleppend in Gang, aber inzwischen haben
wir 5 000 Flüchtlinge aufgenommen und werden noch
einmal 5 000 Flüchtlinge aufnehmen. Darüber hinaus
sind etwa 13 000 Asylbewerber eingereist, pro Monat
sind es derzeit circa 1 500.
Unser Engagement in dieser Frage kann sich in Europa wirklich sehen lassen. Wir wollen gerne dazu beitragen, dass auch andere zusätzlich Flüchtlinge aufnehmen; das will ich gerne tun und sicher auch Herr Kollege
Steinmeier. Das macht man aber am besten nicht, indem
man es laut im Deutschen Bundestag fordert, sondern
dadurch, dass man das direkt mit den Betroffenen erörtert.
Schönen Dank. - Und nun noch Dr. Karamba Diaby,
SPD-Fraktion. Bitte.
Herr Präsident! Herr Minister, Sie hatten in Ihrem Bericht angedeutet, dass ein großer Teil der Zuwanderung
auf Familienzusammenführung beruht, wenn ich Sie
richtig verstanden habe. Wir haben aber immer noch die
gesetzliche Regelung, dass die Einwanderung oder die
Familienzusammenführung von der Belegung von Deutschkursen im Heimatland bzw. von Deutschkenntnissen abhängig ist. Ich möchte fragen, inwieweit Erkenntnisse im
Zusammenhang mit diesem Gesetz vorliegen, bevor die
gesetzlichen Regelungen 2005 eingeschränkt wurden,
und welchen Einfluss dieses Gesetz auf die Familienzusammenführung hat. Inwieweit gibt es Überlegungen,
Verbesserungen zu erreichen?
Herr Abgeordneter, das kann ich aufgrund der Kürze
meiner Amtszeit noch nicht sagen. Ich weiß nur, dass der
Erwerb von Deutschkenntnissen im Heimatland, insbesondere in der Türkei, für die Integration der dann Hierherkommenden und zur Verhinderung von manchem
Missbrauch, insbesondere im Zusammenhang mit jungen Mädchen in der Türkei, ein großer Fortschritt war
und die Integration in Deutschland massiv erleichtert
hat.
Ich weiß auch - das war am Anfang sehr umstritten;
wir kennen solche Debatten -, dass es insbesondere in
der Türkei bei den Betroffenen - Frau Böhmer nickt; ich
hoffe, sie gibt mir recht - als große Ermutigung empfunden wurde - auch als ein Stück Emanzipierung und Unterstützung -, um dann auch in anderer Weise in
Deutschland anzukommen und integriert zu werden.
Diesen Fortschritt würde ich jetzt ungerne aufgeben, indem wir darauf verzichten. Es ist auch, glaube ich, in der
Koalition dazu nichts Entsprechendes verabredet.
Familiennachzug funktioniert am besten dann, wenn
er eine Familie wirklich zusammenführt und wenn er die
Integration derer, die kommen und die schon hier sind,
stärkt, statt zusätzliche Probleme zu schaffen. Dafür
sollte der Erwerb von Deutschkentnissen in den Heimatländern eine Hilfe sein. Das funktioniert auch überwiegend. Deswegen ist, glaube ich, zumindest das Prinzip
richtig.
Herzlichen Dank. - Wir haben jetzt die Zeit etwas
überzogen; aber der Sitzungsvorstand war der Meinung,
dass wir uns zu dem Thema der Migration, weil es ein
zentrales Thema der deutschen Politik ist, in Ruhe austauschen sollten. Ich danke Herrn Bundesminister de
Maizière.
Ich frage die Kollegen, ob sie sonstige Fragen zu den
Themen der Kabinettssitzung stellen wollen. - Frau
Vogler, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich weiß nicht, ob sich
das Kabinett heute damit beschäftigt hat; deswegen frage
ich nach. Gestern hat der zuständige Sachverständigenausschuss beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte der Bundesregierung erneut empfohlen, die sogenannte Pille danach mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
Das hatten bereits der Bundesrat sowie die Fraktionen
der SPD, der Linken und der Grünen in der letzten Wahlperiode gefordert. Dies würde vielen Frauen große Erleichterung verschaffen, wenn sie schnellen Zugang zu
diesem Notfallverhütungsmittel benötigen.
Nun ist offensichtlich in der Regierung eine Debatte
darüber losgebrochen. Es gibt offensichtlich Widerstand
aus der CDU/CSU, den ich eher für ideologisch als wissenschaftlich begründet halte. Deswegen möchte ich fragen, ob Sie darüber gesprochen haben und bis wann die
Bundesregierung gedenkt diese wichtige Empfehlung
auf dem Verordnungswege in Kraft zu setzen.
Für die Bundesregierung antwortet der Staatsminister
im Kanzleramt, Herr Dr. Braun.
Liebe Frau Kollegin, das Thema war heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung, und einen konkreten
Zeitplan für etwaige Regelungen der Bundesregierung
zu diesem Thema gibt es noch nicht.
Schönen Dank. - Die nächste Frage hat der Kollege
Volker Beck.
Wir haben in den ersten Tagen dieses Jahres eine lebhafte Diskussion über die Frage erlebt, ob der ehemalige
Chef des Bundeskanzleramtes in den Vorstand der Deutschen Bahn AG geht. In diesem Zusammenhang wurde
auch vonseiten der Bundesregierung geäußert, dass man
sich Karenzzeiten vorstellen könnte. Selbst die Bundeskanzlerin hat, anders als im Fall von Herrn von Klaeden,
gesagt, dass sie zu solchen Karenzzeiten rät. Deshalb
frage ich: Plant die Bundesregierung nach dem Vorbild
der Europäischen Kommission für die ausscheidenden
Kommissare eine Regelung, nach der die Anschlussverwendung von Kabinettsmitgliedern künftig durch die
Bundesregierung genehmigungspflichtig wird, und an
welche Fristen denken Sie in diesem Zusammenhang?
Herr Staatsminister Dr. Braun.
Sehr geehrter Herr Kollege, auch das war nicht Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung.
({0})
Insofern ist bisher noch nicht darüber entschieden, ob es
zu einer solchen Regelung kommt.
Das Thema Karenzzeiten ist morgen Gegenstand einer Debatte im Deutschen Bundestag, nur zur Information.
({0})
- Es ist mir klar, Kollege Beck, dass Sie das wissen.
Aber ich weiß nicht, ob das alle wissen. Deswegen habe
ich das gesagt.
Wenn keine weiteren Fragen vorliegen, beendige ich
die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/267
Die ersten Fragen fallen in den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. André
Hahn von der Fraktion Die Linke auf:
Welche Mitglieder der Bundesregierung werden nach derzeitiger Planung zu den Olympischen Winterspielen 2014
nach Sotschi reisen, und welche Mitglieder der Bundesregierung zu den Paralympischen Spielen 2014?
Dann bitte ich den Staatssekretär um die Beantwortung der Frage 1.
Sehr geehrter Abgeordneter, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Nach derzeitiger Planung wird der für
den Spitzensport zuständige Bundesminister des Innern
zu den Winterspielen nach Sotschi reisen. Es ist zum jetParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
zigen Zeitpunkt nicht auszuschließen, dass weitere Mitglieder der Bundesregierung nach Sotschi reisen.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?
Herr Präsident, ich habe eine Nachfrage.
Bitte schön.
Der Spiegel und andere Medien meldeten am 8. Dezember: Gauck boykottiert Olympische Spiele in Sotschi, um ein Zeichen gegen Menschenrechtsverletzungen und Drangsalierung der Opposition in Russland zu
setzen. Am 14. Dezember meldeten Spiegel und andere
Medien, dass die Entscheidung Gaucks ein Alleingang
des Bundespräsidenten war und dass die Bundeskanzlerin darüber sauer ist und die Entscheidung für falsch
hält. - Es fahren nun auch Regierungsvertreter nach Sotschi. Daher lautet meine Nachfrage: Inwieweit stimmen
die Pressemeldungen, dass die Bundesregierung die Entscheidung des Bundespräsidenten, nicht zu den Winterspielen nach Russland zu reisen, für falsch hält?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Bundesregierung kommentiert solche Entscheidungen des Bundespräsidenten nicht.
Aber anders als der Bundespräsident fahren Vertreter
der Bundesregierung nach Sotschi. Habe ich das richtig
verstanden?
Richtig.
Ich habe eine zweite Nachfrage. Warum fährt seitens
der Bundesregierung niemand - zumindest haben Sie
das so ausgeführt - zu den Paralympischen Spielen? Warum wird hier eine solche Differenzierung Ihrerseits vorgenommen?
Eine solche Differenzierung nehmen wir nicht vor. Es
werden sicherlich auch Mitglieder der Bundesregierung
zu den Paralympischen Spielen fahren. Aber Sie haben
nach den Olympischen Winterspielen gefragt. Deshalb
habe ich nur Ihre diesbezügliche Frage beantwortet.
Schönen Dank. - Der Kollege Beck hat dazu noch
eine Frage.
({0})
Die Menschenrechtsorganisationen in Russland, aber
auch die internationalen Organisationen erwarten, dass,
wenn Regierungsvertreter nach Sotschi fahren, im Besuchsprogramm oder durch Aktionen zum Ausdruck gebracht wird, dass man mit den Zuständen in Russland,
die die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte betreffen - ich nenne als Beispiel nur das Gesetz über die
Homopropaganda -, nicht einverstanden ist. Welche
Mitglieder der Bundesregierung fahren denn nach Sotschi, und inwiefern stellen sie in ihrem Programm sicher,
dass wir nicht Teil der Putin-Festspiele werden, sondern
einerseits deutlich machen, dass wir dem Sport unsere
Aufwartung machen, und andererseits den Dissens bei
dieser Gelegenheit dokumentieren, um uns mit der russischen Regierung nicht gemein zu machen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Diese Problematik wird bei der Reiseplanung sicherlich eine Rolle spielen und einbezogen werden. Wie ich
ausgeführt habe, ist sicher, dass der Bundesinnenminister reist. Inwieweit andere Mitglieder der Bundesregierung reisen, ist noch nicht bekannt.
Danke schön. - Zu Frage 1 gibt es keine Nachfrage
mehr.
Wir kommen jetzt zu Frage 2, ebenfalls vom Kollegen Abgeordneten Dr. André Hahn von der Fraktion Die
Linke:
Was wird die Bundesregierung tun, um gegebenenfalls
auch unabhängig von der Stiftung Deutsche Sporthilfe zu gewährleisten, dass die Leistungen und Ergebnisse der deutschen Sportlerinnen und Sportler der Paralympischen Winterspiele in Sotschi 2014 gleichermaßen gewürdigt werden wie
die der Sportlerinnen und Sportler der Olympischen Winterspiele?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Leistungen und Erfolge der paralympischen
Sportler werden - genauso wie die der olympischen
Sportler - durch individuelle Glückwünsche der Bundeskanzlerin und des Bundesministers des Innern gewürdigt. Prämien an Sportlerinnen und Sportler wie durch
die Deutsche Sporthilfe werden von der Bundesregierung nicht gezahlt, da die Bundesregierung nach der geltenden Richtlinie die Förderung der Strukturen und der
Verbände sowie des Leistungssportpersonals übernimmt.
Die direkte pekuniäre Unterstützung der Sportlerinnen
und der Sportler erfolgt durch die Stiftung Deutsche
Sporthilfe im Rahmen der Autonomie des Sports.
Um den paralympischen Sport gleichermaßen wie
den olympischen Sport zu fördern, hat die Bundesregierung auch Prämien für Trainerinnen und Trainer im
paralympischen Sport aufgelegt. Der Deutsche Behindertensportverband erhält ebenso wie die Bundessportfachverbände entsprechend dem Leistungssportförderprogramm des Bundesministeriums des Innern und den
dazu erlassenen Richtlinien Zuwendungen, um allen am
olympischen bzw. paralympischen Sport beteiligten
Trainern und Betreuern eine einvernehmlich abgestimmte Erfolgsprämie gewähren zu können. Dies erfolgt unabhängig davon, ob ihre Tätigkeit unmittelbar
mit Bundesmitteln gefördert wurde oder wird.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Hahn?
Ja, sehr gern, Herr Präsident.
Bitte.
Die Deutsche Sporthilfe - Sie haben sie eben erwähnt hatte 2012 einen Etat von 19 Millionen Euro. Davon
wurden lediglich 10,6 Millionen Euro tatsächlich für die
direkte Sportförderung verwendet, davon nur 8 Prozent
für die Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen.
Die Sporthilfe ist eine unabhängige Stiftung - Sie haben
das eben angesprochen -, aber nicht ohne Grund hat das
Bundesinnenministerium einen festen Platz im Aufsichtsrat der Sporthilfe. Tatsache ist, dass es Kritik daran
gibt, dass zum Beispiel Goldmedaillengewinner bei den
Olympischen Spielen eine Prämie von 15 000 Euro erhalten, jene bei den Paralympischen Spielen aber nur
7 500 Euro, wodurch der Eindruck entsteht, paralympische Medaillen seien nur die Hälfte wert. Dadurch fühlen sich Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen
diskriminiert.
Dazu meine Nachfrage: Was hat der Vertreter der
Bundesregierung im Aufsichtsrat der Sporthilfe getan,
um eine Gleichbehandlung der behinderten Sportler bei
der Förderung durch die Sporthilfe zu erreichen, und
sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der mit voraussichtlich 15 Teilnehmern extrem
kleinen deutschen Delegation zu den paralympischen
Spielen in Sotschi und den aktuellen Rahmenbedingungen für diese Menschen zur Ausübung des Leistungssports?
Herr Staatssekretär, bitte.
Diesen Zusammenhang sehen wir nicht. Wir sehen
auch keine Benachteiligung. Es wird lediglich in einer
anderen Form gefördert.
Gibt es weitere Fragen zu dieser Frage? Haben Sie
noch eine Nachfrage, Herr Kollege?
Ich habe noch eine Nachfrage.
Okay.
Wäre es theoretisch möglich, dass die Bundesregierung mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt - der Betrag
dürfte sich im unteren fünfstelligen Bereich bewegen die Differenz zwischen den Medaillenprämien bei den
Winterspielen in Sotschi ausgleicht, um eine Gleichbehandlung der Medaillengewinner bei den Paralympics zu
gewährleisten, und, wenn ja, wäre die Bundesregierung
dazu auch bereit?
Herr Staatssekretär, bitte.
Momentan ist es so, dass Prämien für die Sportler von
der Sporthilfe gezahlt werden, während wir gerade im
paralympischen Bereich die Prämien für die Betreuer
und Trainer direkt aus dem Bundeshaushalt zahlen. Daran wollen wir entsprechend den Richtlinien festhalten.
Herzlichen Dank. - Ich sehe zu dieser Frage keine
Zusatzfragen.
Dann kommen wir zur Frage 3 des Abgeordneten
Harald Petzold ({0}), Fraktion Die Linke:
Wie gedenkt die Bundesregierung ihr verbales Lob für das
Coming-out von Thomas Hitzlsperger ({1}) in eine praktische Unterstützung für
Sportlerinnen und Sportler weiterzuentwickeln, die in Zukunft ihre bislang aus Furcht vor Ausgrenzung, Diskriminierung oder Benachteiligung verheimlichte sexuelle Orientierung öffentlich machen wollen?
Ich bitte Herrn Staatssekretär, darauf zu antworten.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Homophobie im
Sport muss wie alle anderen Diskriminierungsformen
bekämpft werden. Nach Einschätzung des für den Spitzensport zuständigen Bundesministeriums des Innern
handelt es sich hierbei allerdings nicht um ein Problem
des Sports allein, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Frage.
Der Sport hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion beim Umgang mit Homosexualität, weil er einen
starken Vorbildcharakter hat und in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen hohe Aufmerksamkeit genießt.
Gerade wenn sich prominente Spitzensportler wie
Nadine Müller und Thomas Hitzlsperger öffentlich zu
ihrer Homosexualität bekennen, trägt dies zu einer größeren Akzeptanz bei. Gleichwohl ist der Sport nicht das
einzige Feld, auf dem gegen Homophobie vorgegangen
werden muss.
Die Bundesregierung unterstützt bereits Aktivitäten
im Zusammenhang mit dem Sport. Zu erwähnen ist hier
zum Beispiel die von der Bundesrepublik, vertreten
durch das Bundesministerium der Justiz, im Jahr 2011
errichtete Bundesstiftung Magnus Hirschfeld mit ihrem
Projekt „Fußball für Vielfalt“ bzw. „Fußball gegen Homophobie“. Dieses Projekt ist mit einer unter anderem
von den Bundesministern der Justiz, des Innern und für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 17. Juni 2013
unterzeichneten „Berliner Erklärung: Gemeinsam gegen
Homophobie. Für Vielfalt, Respekt und Akzeptanz im
Sport“ gestartet. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft unterstützt zudem die Initiative der Robert-EnkeStiftung „Mental gestärkt“. Ferner wirkte die unabhängige Diskriminierungsstelle des Bundes unter anderem
an der Broschüre des Deutschen Fußball-Bundes „Fußball und Homosexualität“ im Jahr 2013 mit.
Selbstverständlich bleibt ein Coming-out aus Sicht
der Bundesregierung eine freiwillige Entscheidung. Es
sollte hierbei kein Druck auf die Sportler ausgeübt werden.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. - Herr Kollege
Petzold, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Herr Präsident, vielen Dank. - Ich möchte es natürlich noch ein bisschen genauer wissen. Ich möchte deswegen nachfragen, inwieweit, mit welchen Maßnahmen
und vor allen Dingen in welcher materiellen Höhe die
Bundesregierung konkrete Unterstützung geleistet hat.
Zum Zweiten: Inwieweit arbeitet das Bundesministerium des Innern mit dem DFB und anderen Sportorganisationen bei diesem Thema konkret zusammen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Wir sehen nicht, dass Thomas Hitzlsperger jetzt besondere Unterstützung braucht; die will er auch gar
nicht. Deshalb sehen wir auch keine Notwendigkeit für
eine besondere finanzielle Unterstützung.
Haben Sie noch eine Nachfrage, Herr Kollege? Bitte.
Da meine Nachfrage nicht beantwortet worden ist,
frage ich noch einmal: Inwieweit arbeitet das Bundesministerium des Innern mit dem DFB und anderen
Sportorganisationen zusammen?
Herr Staatssekretär, Sie können antworten. Bitte.
Ich hatte Ihnen ja bereits bei der Beantwortung Ihrer
ursprünglichen Frage gesagt, dass auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
und insbesondere die Antidiskriminierungsstelle eng mit
dem Deutschen Fußball-Bund zusammenarbeiten. Sie
haben beispielsweise die Broschüre „Fußball und Homosexualität“ im Jahr 2013 mit auf den Weg gebracht.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Die nächsten
Zusatzfragen stellen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, und Katrin Werner, Fraktion Die Linke.
Bitte, Kollege Beck.
Herr Staatssekretär, ich sage ausdrücklich: Ich finde
richtig, was Sie gerade gesagt haben, dass es nämlich
nicht nur eine Aufgabe des Sports, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, in allen Bereichen Diskriminierung und Homophobie zu bekämpfen. Insofern
frage ich mich, ob die Bundesregierung ihre Hausaufgaben gemacht hat.
Es ist immer noch so, dass im deutschen Recht Lebenspartnerschaften benachteiligt werden. Im Koalitionsvertrag steht, dass man das beim Adoptionsrecht
auch so belassen will. Wie können Sie glaubwürdig gegen Diskriminierung und Homophobie eintreten, wenn
Sie nicht endlich den Vorgaben des Verfassungsgerichts
folgen und die Lebenspartnerschaften der Ehe vollständig gleichstellen? Oder hat der Jubel aus der Bundesregierung über das Coming-out von Herrn Hitzlsperger zu
einem Einstellungswandel geführt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Wichtig ist, dass wir Homophobie in allen Gesellschaftsbereichen bekämpfen. Die Bundesregierung tut
hier alles, damit es in unserer Gesellschaft keine Diskriminierung gibt.
({0})
Das ist nicht nur Aufgabe der Bundesregierung, sondern
auch Aufgabe der Länder, der Kommunen, aller gesellschaftlich relevanten Gruppen.
({1})
Nun fragen Sie nach ganz konkreten Gesetzgebungsmaßnahmen im Bereich der Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit anderen Partnerschaften.
Meines Erachtens ist die Tatsache, dass es noch Unterschiede gibt, überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dass
es Homophobie gibt.
({2})
Die nächste Frage hat die Kollegin Katrin Werner,
Fraktion Die Linke. Bitte.
Danke. - Vielleicht konkretisiere ich die Frage meines Kollegen, bei der es um die finanzielle Unterstützung ging. Dabei ging es auf keinen Fall um die finanzielle Unterstützung des Fußballers Hitzlsperger,
sondern es wurde ganz gezielt gefragt, welche finanziellen Mittel die Bundesregierung zur Verfügung stellt. Debatten dazu hatten wir auch schon in der vergangenen
Wahlperiode.
Ich mache es ganz konkret: Ist die Bundesregierung
der Meinung, dass 150 000 Euro pro Jahr für die Antidiskriminierungsstelle ausreichend sind? Sie soll sich
nämlich genau mit dem Thema Homophobie - nicht nur
im Sport, wie Sie selber sagen - befassen.
Sie sagen, dass Sie Erklärungen mit unterschreiben
und andere Dinge tun. Aber ich glaube, mit dem Unterschreiben von Erklärungen allein nimmt man sich des
Themas nicht genug an, und die Probleme, die es in den
vergangenen Jahren gerade bei der Antidiskriminierungsstelle gab, sind auch nicht behoben oder einfach
wegzudiskutieren.
Von daher ganz konkret: Sind Sie der Meinung, dass
150 000 Euro pro Jahr ausreichend sind, um sich dieses
Themas wirklich anzunehmen, sich weiter gegen Homophobie zu positionieren und wirklich etwas umzusetzen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die gute Arbeit der Antidiskriminierungsstelle zeigt
meines Erachtens, dass sie gut ausgestattet ist. Man kann
sich natürlich immer darüber unterhalten, ob die Ausstattung noch besser sein könnte, wie in vielen anderen
Bereichen auch. Ich bezweifle, dass allein mehr Geld
wirklich etwas beim Thema Homophobie bewirken
kann. Ich glaube, das muss sich vielmehr in den Köpfen
der Menschen abspielen. Deshalb sind solche Vorbilder
wie Hitzlsperger auch gut für unser Land.
Herzlichen Dank.
Die Frage 4 der Kollegin Dağdelen, die Frage 5 der
Kollegin Jelpke und die Frage 6 des Kollegen Hunko
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 7 und 8 der Kollegin Pau.
Zur Beantwortung steht weiterhin Herr Staatssekretär
Dr. Schröder bereit.
Frage 7:
Welche Fehleinschätzungen und Defizite bei der Wahrnehmung und Beurteilung der Gefahren durch den Rechtsextremismus hat die Bundesregierung nach Kenntnisnahme
des Abschlussberichts des 2. Untersuchungsausschusses des
Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode ({0}) im Bereich der politischen Verantwortung festgestellt, und welche Konsequenzen hat sie daraufhin
für Struktur, Ausstattung und Zuständigkeiten in den Bundesministerien und Bundesbehörden gezogen?
Bitte, Herr Dr. Schröder.
Frau Präsidentin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Bundesregierung hat diesbezügliche Einschätzungen und Bewertungen unmittelbar nach Bekanntwerden des NSU überprüft. Sie hat nach dem 4. November
2011 insgesamt umfangreiche Konsequenzen aus dem
NSU-Komplex gezogen, die sich unter anderem auch
auf Struktur, Ausstattung und Zuständigkeiten beziehen.
Diese Maßnahmen sind im Abschlussbericht, unter anderem auf Grundlage eines umfassenden Berichts der
Bundesregierung an den 2. Untersuchungsausschuss der
letzten Wahlperiode, dargelegt. Die Bundesregierung hat
die dort beschriebenen Neuerungen konsequent fortgeführt und wird dies auch zukünftig tun.
Die im Abschlussbericht niedergelegten Bewertungen
des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode
nimmt sie ernst. Gleiches gilt für die im gleichen Bericht
ausgesprochene Empfehlung, die sich die Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag zu eigen macht und deren
zügige Umsetzung sie anstrebt.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau? - Bitte schön.
Danke. - Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, sind wir
beide Kenner des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses und der gemeinsam formulierten Schlussfolgerungen. In meiner Frage geht es um mehr als um
Konsequenzen und Schlussfolgerungen im gesamten Bereich der Sicherheitsarchitektur und des Bereichs, den
ich gern „Präventionsarchitektur“ nenne. Mir geht es
konkret darum: Was ist beispielsweise im Bundesministerium des Innern, im Bundesministerium der Justiz, gegebenenfalls auch in anderen Bereichen geschehen? Hat
man sich mit den im Untersuchungsbericht attestierten
Fehleinschätzungen, auch zur Bedrohung für die Demokratie, für Leib und Leben von Bürgerinnen und Bürgern
durch Rechtsextremisten, befasst? Hat man so etwas wie
eine Fehleranalyse gemacht, herausgefunden, warum sowohl die Spitzen der Häuser, der Bundesministerien, als
auch die nachgeordneten Behörden zu solchen Fehleinschätzungen gekommen sind? Wenn ja: Welche Vorkehrungen wurden getroffen, damit das nicht wieder geschieht?
Herr Dr. Schröder, bitte.
Die konkreten Maßnahmen in Bezug auf die Analysefähigkeit besprechen wir gleich bei Ihrer nächsten Frage.
Da geht es darum, dass die Bundesregierung bereits eine
Datei für die Bekämpfung des Rechtsextremismus und
ein gemeinsames Analyse- und Lagezentrum gegen den
Rechtsextremismus auf den Weg gebracht hat.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt,
dass die im Untersuchungsausschuss festgestellten Defizite konsequent angegangen werden. Das werden wir in
dieser Wahlperiode tun.
Viele Dinge sind bereits auf den Weg gebracht worden. Wenn man sich die Liste einmal anguckt, stellt man
fest, dass sogar schon die meisten Dinge auf den Weg
gebracht worden sind. Was hier noch vor uns liegt, ist
die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Verbesserung
der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes mit Regelungen unter anderem zur Stärkung der
Zentralstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Das ist etwas, was in dieser Wahlperiode noch zu erarbeiten ist.
Herr Staatssekretär, ich habe den Eindruck, dass sich
ein permanentes Missverständnis in unseren Debatten
der vergangenen Legislaturperioden und insbesondere
der letzten Legislaturperiode in Ihrer Beantwortung der
Frage gerade fortsetzt. Ich frage im Moment nicht nach
Strukturveränderungen im Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht nach dem Errichten von Dateien usw., sondern ich frage danach, welche Vorkehrungen beispielsweise in Ihrem Haus getroffen wurden, um die Daten,
die erhoben werden, tatsächlich so zu analysieren, dass
man zu einer zutreffenden Lageeinschätzung, in dem
Fall der Einschätzung der Gefährlichkeit von Rechtsextremismus, kommt und notwendige Maßnahmen ergreifen kann.
Ich kann es konkret machen anhand der Bilanz, die
das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Jahre 1990
bis 2011 vorgelegt hat: In diesem Zeitraum haben nach
dieser offiziellen Bilanz Rechtsextremisten 47 Tötungsdelikte verübt, in 1996 Fällen haben sie Brandstiftungen
verübt, und es hat 46 Fälle der Herbeiführung von
Sprengstoffexplosionen gegeben. Wir wissen, dass die
tatsächlichen Zahlen noch viel höher sind; aber selbst
diese Zahlen sind doch beeindruckend. Wir haben im
Untersuchungsausschuss fraktionsübergreifend festgestellt, dass trotz dieser Zahlen keine Bedrohung für die
Demokratie, für das Gemeinwesen geschlussfolgert
wurde. Jetzt möchte ich wissen: Welche Vorkehrungen
sind getroffen und was ist gegebenenfalls zur Qualifizierung unternommen worden, dass man nie wieder im
Bundesministerium des Innern, im Bundesministerium
der Justiz, in der Bundesregierung überhaupt zu einer
solchen Fehleinschätzung kommt, obwohl man solche
Befunde auf dem Tisch hat?
Herr Staatssekretär.
Alle Maßnahmen, die im Abschlussbericht des NSUUntersuchungsausschusses als notwendig festgeschrieben wurden, wird die Bundesregierung jetzt auf den Weg
bringen. Die meisten Dinge sind, wie gesagt, schon auf
den Weg gebracht. Das Bundeskriminalamt überprüft
beispielsweise für die Vergangenheit alle ungeklärten
Straftaten, um noch einmal zu analysieren, ob es sich
nicht doch um rechtsextremistisch motivierte Straftaten
handelt. Natürlich machen wir auch im Bereich der Polizeien das, was der Untersuchungsausschuss empfohlen
hat: Wir arbeiten daran, dass die Polizeibeamtinnen und
-beamten noch stärker sensibilisiert werden, auch in Bezug auf Migrationshintergründe, dass Vorverurteilungen
verhindert werden und dergleichen mehr.
Sie haben ja eingangs explizit gefragt, ob wir die
Strukturen ändern. Darauf habe ich Ihnen bereits geantwortet, dass wir das schon durch die Gründung eines
entsprechenden Abwehrzentrums getan haben. So stellen wir sicher, dass die unterschiedlichen Informationen,
auch aus den Ländern, zusammengeführt werden und
keine einzige Information verloren geht, damit wir dann
aufgrund des entsprechenden Lagebildes auch im Ministerium die richtigen Schlussfolgerungen ziehen können.
Herzlichen Dank. - Die beiden nächsten Fragen haben die Frau Kollegin Renner, Fraktion Die Linke, und
der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. - Bitte,
Frau Kollegin Renner.
Danke, Herr Präsident. - Herr Dr. Schröder, ich hätte
eine ganz konkrete Nachfrage. Sie haben gesagt, die
meisten Dinge seien schon auf den Weg gebracht. Deswegen noch einmal zu den gemeinsamen Schlussfolgerungen aus dem NSU-Abschlussbericht: Hier ist ja
vereinbart worden, dass in Zukunft bei schweren Gewaltverbrechen bis hin zum Mord an Menschen mit Migrationshintergrund verpflichtend durch die Polizeien
untersucht werden soll, ob der Tat möglicherweise ein
rassistischer oder rechtsextremer Hintergrund zugrunde
liegt. Wenn man diesen ausschließen kann, soll das dann
ja auch durch die Polizeien nachweisbar in den Akten
vermerkt werden.
Vor dem Hintergrund Ihrer Aussage, dass alles schon
auf dem Weg ist und nur noch kleine Details geklärt werden müssen, meine Frage: Wann wird dieses Thema zum
Beispiel auf die Tagesordnung der IMK gesetzt? Die Kooperation mit den Landesinnenministern ist ja hierbei
durchaus angezeigt, weil eine solche Maßnahme gemäß
den Schlussfolgerungen durchgängig von den Bundespolizeibehörden bis hin zu den Polizeibehörden vor Ort
umgesetzt werden sollte.
Herr Staatssekretär.
Das ist auch eine Maßnahme, die es noch auf den
Weg zu bringen gilt, wie zum Beispiel auch die Überprüfung der Verfassungskriterien zur Statistik politisch motivierter Kriminalität. All das geschieht mit dem Ziel, ein
klares Bild zu ermöglichen.
Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, und danach Kollege Tempel, Fraktion Die Linke. - Kollege
Ströbele, bitte.
Herr Staatssekretär, wir erinnern uns - jedenfalls die,
die im NSU-Untersuchungsausschuss gewesen sind -,
dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 1999 alle
Jahre wieder eine katastrophale Fehleinschätzung geliefert hat, indem es immer wieder fast gleichlautend geschrieben hat, dass es in Deutschland kein Umfeld für
terroristische Gruppen im rechten Bereich gebe und dass
aus diesem Bereich auch keine Straftaten bekannt geworden seien, dass insbesondere auch keine Straftaten
im Zusammenhang mit dem Trio, das zu jener Zeit im
Untergrund gewesen ist und das ausdrücklich erwähnt
wird, bekannt geworden seien. Welche konkreten Maßnahmen - das ist ja auch die Frage der Kollegin Pau haben Sie nach einer solchen katastrophalen Fehleinschätzung, die sich Jahr für Jahr fortgesetzt hat, beschlossen, damit es in Zukunft nicht mehr dazu kommen
kann? Das ist doch ein alarmierendes Thema.
Herr Staatssekretär, bitte.
Die erste der beiden wichtigsten Maßnahmen, die wir
bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des NSU-Terrors, also noch durch den vorherigen Bundesinnenminister, auf den Weg gebracht haben, gerade zur Verbesserung der Analysefähigkeit, ist die Einrichtung des
Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums, damit das, was Sie eben beschrieben haben
- dass Informationen, die in den Ländern vorliegen,
nicht zusammengeführt werden und deshalb das Bundesamt für Verfassungsschutz zu einer solchen Fehleinschätzung kommt -, nicht noch einmal passiert. Die
zweite wichtige Maßnahme ist, dass wir eine entsprechende Datei zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
brauchen, die analysefähig ist. Auch das haben wir bereits auf den Weg gebracht.
Herr Kollege Tempel, Fraktion Die Linke, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie zielen immer wieder darauf
ab, dass Daten und Informationen gefehlt hätten. Ist Ihnen bekannt, dass das BKA am 17. September 2003 an
das BMI einen Bericht zum Ermittlungsverfahren gegen
Martin Wiese unter anderem wegen des Verdachts der
Bildung einer terroristischen Vereinigung schickte, in
dem das BKA über rechte Kameradschaften und über
Sprengstoff- und Waffenfunde bei Rechtsextremisten in
der Bundesrepublik im Zeitraum Januar 2000 bis Ende
Juli 2003 berichtet? Für diesen Zeitraum wurden
87 Fälle aufgelistet; in der Aufstellung wurden übrigens
nur schussfähige Waffen und Munition im Sinne des
Waffengesetzes aufgeführt. Unter anderem bezieht sich
der Bericht des BKA auf das Aktionsbündnis Süd und
die sogenannten Bombenbauer in Thüringen. Das heißt,
es lagen Fakten vor. Können Sie mir erklären, wie man
vor dem Hintergrund dessen damals in den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden und auch auf der Leitungsebene des BMI zu der Einschätzung kommen konnte,
dass es in Deutschland keine rechtsterroristische Gefahr
gibt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Der Untersuchungsausschuss hat gut herausgearbeitet, dass es an einem realistischen Lagebild fehlte. Deshalb ist man zu diesen Fehleinschätzungen gekommen.
Was Sie beschrieben haben, ist ja kein Widerspruch.
Herzlichen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 8
der Kollegin Abgeordneten Pau, ebenfalls zu diesem
Themenkomplex:
Mit welchen Maßnahmen hat die Bundesregierung die
Analysefähigkeit der Bundessicherheitsbehörden und der
Bundesministerien so weit verbessert, dass die im Laufe der
Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode zutage getretenen offensichtlichen dramatischen Fehleinschätzungen, die unter anderem
zum Rücktritt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz geführt haben, nicht mehr auftreten können, und
welche weiteren Maßnahmen sind im Laufe des Jahres 2014
zu erwarten?
Herr Staatssekretär, bitte.
Ich kann zu dieser Frage auf das eben Gesagte verweisen. Speziell die Verbesserung der Analysefähigkeit
der Sicherheitsbehörden betreffend sind die Einrichtung
des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums, die Einrichtung einer Rechtsextremismusdatei sowie die parallel erwartete Nutzbarkeit der
Verbunddatei NADIS der Verfassungsschutzbehörden
besonders hervorzuheben. Über weitere Vorhaben wird
die Bundesregierung den Deutschen Bundestag im Gesetzgebungsverfahren in der üblichen Weise informieren.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte, Frau Kollegin
Pau.
Ich habe noch eine oder gar zwei Fragen, Herr Präsident. Ich versuche es einfach noch einmal: Herr Staatssekretär, ich möchte gerne wissen, welche Schritte im
BMI auf Führungsebene eingeleitet wurden, um nachträglich zu analysieren, weshalb man in den Jahren 1998
bis 2011 zu solchen Fehlentscheidungen gekommen ist,
und welche Vorkehrungen getroffen wurden, dass das im
politisch verantwortlichen Haus nie wieder geschieht,
dass man also mit den Daten und Fakten, die Sie erheben
lassen, sachkundig umgeht.
Herr Staatssekretär, bitte.
Wir haben unmittelbar nach Bekanntwerden des
NSU-Terrors eine entsprechende Arbeitsgruppe eingesetzt, die die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen
hat. Der Bericht dieser Arbeitsgruppe ist dem Untersuchungsausschuss zugeleitet worden, und der Untersuchungsausschuss hat das dann wiederum in seinen eigenen Bericht mit aufgenommen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja.
Bitte, Frau Kollegin Pau.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. - Wir sind beide,
denke ich jedenfalls, Kenner des Berichts. Natürlich
habe ich den Bericht, den die Bundesregierung dem
Ausschuss übermittelt hat, entsprechend studiert. Aber
Dinge, die dort nicht drinstehen, konnte der Untersuchungsausschuss auch nicht in seinen Bericht schreiben.
Im Übrigen konnte er auch nicht belobigen, dass Sie solche Maßnahmen vielleicht schon eingeleitet haben. Deshalb würde ich jetzt gern noch einmal wissen, ob es im
Bundesministerium des Innern inzwischen Anstrengungen gegeben hat - und wenn ja, welche Ergebnisse sie
haben -, zu einer Neubewertung der Gefährlichkeit des
Phänomens Rechtsextremismus und des Rassismus in
der Bundesrepublik zu kommen.
Herr Staatssekretär, bitte.
Diese Neubewertung wurde bereits vorgenommen,
und die Schlussfolgerungen sind im Untersuchungsausschuss getroffen worden. Die Koalition hat sich darauf
verständigt, diese Schlussfolgerungen jetzt auch umzusetzen.
({0})
Dazu gibt es jetzt Gelegenheit, weil wir noch mehrere
Nachfragen haben, und zwar von der Frau Kollegin
Renner, Fraktion Die Linke, von Herrn Kollegen
Tempel, ebenfalls Fraktion Die Linke, und von Herrn
Kollegen Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. - Als Erste Frau Kollegin Renner, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich habe
tatsächlich eine Nachfrage zur Analysefähigkeit. Die
Fehleinschätzungen in den entsprechenden Jahren beruhen im Wesentlichen auf drei Bereichen:
Erstens hat man den Umgang von Neonazis mit Waffen und Sprengstoff oftmals bagatellisiert. Man hat gesagt: Das sind junge Männer. Es ist in gewissen Szenen
eben üblich, so etwas zu haben. Das ist harmlos.
Zweitens hat man, auch in den Berichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bestimmte militante Netzwerke als subkulturelle Zusammenschlüsse ohne ideologischen und politischen organisatorischen Hintergrund
abqualifiziert; ich verweise hier zum Beispiel auf das
Netzwerk Blood & Honour.
Drittens hat man die internationale Zusammenarbeit
der Neonazis überhaupt nicht in den Blick genommen.
Das gilt insbesondere für die Möglichkeit, dass Anschläge, wie sie im Ausland bereits stattgefunden hatten
- ich erinnere an die Bajuwarische Befreiungsfront in
Österreich oder aber an Combat 18 in Großbritannien -,
möglicherweise zu Nachahmungseffekten in der Bundesrepublik führen.
Ganz konkret: Welche Veränderungen hat es im BMI
gegeben, dass insbesondere bei der Analyse die Bereiche
Umgang mit Waffen und Sprengstoff, internationale Zusammenarbeit und Netzwerke, die militant ausgerichtet
sind, eine andere Bewertung erfahren?
Herr Staatssekretär, bitte.
Das Entscheidende ist, dass diese neue Datei für den
Kampf gegen Rechtsextremismus analysefähig ist. Das
heißt, es ist jetzt auch möglich, bestimmte Phänomene
dahin gehend zu überprüfen, ob es Überschneidungen in
Bezug auf bestimmte Waffen und bestimmte Aufenthaltsorte und dergleichen, zum Beispiel regionaler Art,
gibt. Das ist der entscheidende Unterschied und der Vorteil, den wir im Bereich Rechtsextremismus haben.
Diese Analysefähigkeit haben wir im Bereich des Terrorismus und in sonstigen Bereichen noch nicht.
Herzlichen Dank. - Die nächste Frage stellt Kollege
Tempel, Fraktion Die Linke, und danach Kollege
Ströbele, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. - Kollege
Tempel, bitte.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, im Gegensatz zur
Linken sind Sie nicht der Meinung, dass man im Bereich
Rechtsextremismus auf V-Leute verzichten kann, sondern nur Veränderungen vornehmen muss. Deswegen
frage ich: Welche konkreten Veränderungen hat es bis
jetzt bei der Auswahl von V-Leuten im Bereich des
Rechtsextremismus gegeben?
Herr Staatssekretär, bitte.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Bereich
der internen Reorganisation und der Neuorganisation bereits entsprechende Änderungen durchgeführt, auch im
Bereich der Auswahl von V-Leuten. Wichtig ist, dass wir
es, auch in Zusammenarbeit mit den Ländern, stärker
vereinheitlichen. Die V-Leute müssen einheitlich geführt
werden, sodass der eine weiß, ob es sich beim anderen
um einen V-Mann handelt.
Danke schön. - Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Staatssekretär, meine Frage schließt daran an.
Auch ich frage nach personellen Konsequenzen. Wir haben alle mitbekommen, dass damals der Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz zurückgetreten ist.
Deshalb frage ich: Welche personellen Konsequenzen
sind damals in Ihrem Hause, also im Bundesinnenministerium, oder im nachgeordneten Bundesamt für Verfassungsschutz - abgesehen davon, dass dieser Präsident
des Bundesamtes jedenfalls nicht mehr da war - aus den
fürchterlichen Fehleinschätzungen gezogen worden, die
dort vorgekommen sind? Es kann ja nicht sein, dass nur
der Präsident Konsequenzen zieht, aber andere nicht.
Herr Staatssekretär, bitte.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich hier
nun nicht zu den Landesämtern für Verfassungsschutz
äußern kann.
({0})
Aber im Bundesamt für Verfassungsschutz hat es eine
umfassende Neuorganisation gegeben. Insofern ist Ihre
Forderung hier erfüllt worden.
Herzlichen Dank. - Wir kommen jetzt zu den Fragen
9 und 10 der Kollegin Martina Renner, Fraktion Die
Linke.
Zunächst Frage 9 der Kollegin Renner:
Welche US-amerikanischen Behörden haben im Zeitraum
von 1998 bis zum November 2011 deutschen Sicherheitsbehörden welche Informationen und Daten über die Angeklagten im NSU-Prozess - NSU: Nationalsozialistischer Untergrund - vor dem Oberlandesgericht München zur Verfügung
gestellt?
Ich bitte Herrn Staatssekretär Dr. Schröder um Beantwortung.
Ich würde diese beiden Fragen gerne im Zusammenhang beantworten, weil sie sich lediglich darin unterscheiden, von wem bestimmte Informationen unter Umständen weitergeleitet wurden.
Dann rufe ich zusätzlich Frage 10 der Kollegin
Renner auf:
Welche US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmen haben im Zeitraum von 1998 bis zum November
2012 deutschen Sicherheitsbehörden welche Informationen
und Daten über die Angeklagten im NSU-Prozess vor dem
Oberlandesgericht München zur Verfügung gestellt?
Es wird vorausgeschickt, dass eine umfassende Aktenprüfung durch die Bundessicherheitsbehörden und insoweit eine abschließend belastbare Aussage aufgrund
der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war.
Erste kursorische Prüfungen führten indes zu folgendem Ergebnis: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass eine Informationsübermittlung im Sinne der Fragestellung und im angefragten
Zeitraum durch US-amerikanische Behörden oder USParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
amerikanische Telekommunikationsunternehmen an
deutsche Sicherheitsbehörden, namentlich an das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz
oder den Bundesnachrichtendienst, erfolgt wäre.
Allerdings ist von US-Seite justizielle Rechtshilfe gewährt worden: Im Rahmen der Ermittlungsverfahren der
Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof im NSUKomplex war Ende Januar 2012 ein Rechtshilfeersuchen
zu Benutzerkonten eines Angeklagten bei US-amerikanischen Diensteanbietern bzw. US-Telekommunikationsunternehmen an das US Department of Justice gerichtet
worden. Diese Anfrage basierte auf von der Bundesanwaltschaft initiierten Beschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs. Im Zeitraum von Mai bis
September 2012 erfolgten in Beantwortung des Rechtshilfeersuchens entsprechende Datenübermittlungen des
US Department of Justice. Die vom US Department of
Justice übermittelten Daten sind in die von der Bundesanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren im NSUKomplex eingeflossen.
In der Kürze der Zeit war es jedoch nicht möglich,
beim Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München anzufragen, ob das Gericht der Bundesregierung gestattet, die gerichtsanhängigen Informationen dem Parlament zur Verfügung zu stellen. Konkrete
Auskünfte zu Art und Inhalt der übermittelten Informationen und Daten können daher auch mit Blick auf die
Prozessbefangenheit dieser Informationen derzeit nicht
erteilt werden. Das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz hat über die Bundesanwaltschaft
eine entsprechende Nachfrage beim OLG München veranlasst und wird dem Parlament bei positivem Bescheid
des OLG hierzu schriftlich nachberichten.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Frau Kollegin
Renner hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Dr. Schröder, habe
ich Sie richtig verstanden, dass lediglich zu dem Angeklagten Ralf Wohlleben eine Datenübermittlung aus den
USA im Rahmen der Amtshilfe beantragt wurde?
Dann eine Nachfrage: Wieso wurden nach Ihrer
Kenntnis nicht auch zu weiteren Angeklagten in diesem
Verfahren Daten abgefragt, die möglicherweise bei Telekommunikationsunternehmen oder auch bei Sicherheitsbehörden in den USA vorliegen?
Das war meine erste Zusatzfrage. Ich hätte noch eine
zweite, Herr Präsident.
Ja. - Herr Staatssekretär, bitte.
Das ist Sache der Staatsanwaltschaft bzw. der Gerichte. Dazu kann sich die Bundesregierung nicht äußern.
Frau Kollegin Renner.
Meine zweite Nachfrage: Lagen den bundesdeutschen
Sicherheitsbehörden nicht schon vor der Selbstenttarnung des NSU auch von US-amerikanischen Sicherheitsbehörden inklusive Geheimdiensten möglicherweise Informationen zu Personen aus dem NSU-Terrornetzwerk
vor? Hintergrund der Frage ist, dass aus einem Bericht
des italienischen Geheimdienstes hervorgeht, dass zum
Beispiel der Hauptangeklagte Ralf Wohlleben Kontakte
zu militanten Neonazis in Österreich hatte. Es ist ja nicht
auszuschließen, dass sich weitere ausländische Geheimdienste mit diesen Terrorbestrebungen hier in der Bundesrepublik beschäftigt haben.
Herr Staatssekretär, bitte.
Dazu liegen uns keine Anhaltspunkte vor.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex?
Wenn ich vielleicht eine Bitte äußern dürfte? Ist es
möglich, dass ich auf meine Fragen eine schriftliche
Antwort erhalte, wenn die abschließende Prüfung stattgefunden hat?
Das habe ich Ihnen bereits zugesagt.
Vielen Dank.
Wunderbar, damit sind die Fragen 9 und 10 der Kollegin Martina Renner behandelt. Wir bedanken uns beim
Vertreter des Bundesministers des Innern, Herrn
Dr. Schröder, für seine ruhige und gute Beantwortung aller Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die
Frage 11 des Kollegen Hans-Christian Ströbele wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Anette
Kramme bereit.
Die Frage 12 des Kollegen Markus Kurth wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Brigitte Pothmer
von Bündnis 90/Die Grünen auf:
Vizepräsident Peter Hintze
Bis wann plant die Bundesregierung einen Gesetzentwurf
zur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns vorzulegen,
und wie ist die Position der Bundesregierung zu den geforderten Ausnahmen vom Mindestlohn zum Beispiel für Schüler,
Praktikanten, Studenten, Rentner, Saisonarbeitnehmer, Taxifahrer und Langzeitarbeitslose ({0})?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Liebe Frau Pothmer, Ihre Frage besteht aus zwei Bestandteilen. Zum ersten Teil Ihrer Frage. Sie können dem
Koalitionsvertrag entnehmen, dass verabredet ist, dass
das Gesetz zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 in Kraft treten soll. Selbstverständlich wird rechtzeitig vorher ein Gesetzentwurf erarbeitet und dem Parlament vorgelegt.
Im zweiten Teil Ihrer Frage geht es um Ausnahmen
beim Mindestlohn. Es ist im Koalitionsvertrag verabredet, dass es Gespräche mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern geben soll und dass diesbezügliche Probleme diskutiert und besprochen werden sollen. Ich will an dieser
Stelle der Diskussion nicht vorgreifen.
Frau Pothmer, wären Sie so lieb, aufzustehen, wenn
Sie angesprochen werden? Es war ja Ihre Frage. - Sie
haben eine Nachfrage.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Kramme, ich
danke Ihnen für Ihre Antwort. Leider war sie nicht sehr
ausführlich, deswegen meine Nachfrage.
Sie sind sicher darüber informiert, dass die CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth entschieden hat, bestimmte Gruppen, zum Beispiel Studentinnen und Studenten, Rentnerinnen und Rentner, vom Mindestlohn
auszuschließen, weil diese das Geld sozusagen zusätzlich verdienen. Dahinter steckt die sogenannte ZubrotThese. Meine Frage an Sie lautet daher: Ist es aus Ihrer
Sicht verfassungsrechtlich und europarechtlich überhaupt möglich, die Zahlung eines Mindestlohnes an den
sozialen Status zu knüpfen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank. - Wir werden selbstverständlich in die
juristische Prüfung einsteigen. Es ist richtig, dass bereits
Fragen bezüglich der europarechtlichen Zulässigkeit
auftreten. Möglicherweise müssen wir in diesem Zusammenhang über den Aspekt Altersdiskriminierung sprechen.
Haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage? - Bitte,
Frau Kollegin Pothmer.
Meine weitere Zusatzfrage zielt auf die europarechtliche und verfassungsrechtliche Vereinbarkeit in Bezug
auf eine Einschränkung beim Mindestlohn ab. Glauben
Sie, dass es europarechtlich und verfassungsrechtlich
möglich ist, ganze Branchen, wie Taxifahrer, Zeitungszusteller oder auch Saisonarbeiterinnen und -arbeiter,
vom Mindestlohn auszuschließen?
Auch diesbezüglich werden wir in die juristische Prüfung einsteigen. Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal darauf verweisen, dass es einen Dialog mit den
Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sprich den Gewerkschaften, geben soll.
In meiner Frage ging es aber nicht um die Akzeptanz
der Arbeitgeber und Gewerkschaften, sondern um die
europa- und verfassungsrechtliche Seite.
Frau Kollegin, das war schon die dritte Zusatzfrage,
was eigentlich nicht zulässig ist, aber wir wollen einmal
milde darüber hinwegsehen.
({0})
Vielen Dank. Ich beantworte das gerne. Das soll kein
Problem sein. - Frau Pothmer, ich denke, ich habe Ihre
Frage bereits beantwortet. Ich habe darauf verwiesen,
dass wir in die verfassungsrechtliche und selbstverständlich auch in die europarechtliche Prüfung einsteigen
werden.
Schönen Dank. - Zu diesem Komplex gibt es noch
Fragen der Kollegin Vogler, Fraktion Die Linke, und des
Kollegen Kurth, Bündnis 90/Die Grünen. - Erst einmal
Frau Kollegin Vogler, bitte.
Liebe Frau Kollegin, ich möchte an die zuvor gestellte Frage anschließen und fragen, wann die Bundesregierung plant, die rechtliche Prüfung in Angriff zu
nehmen. Da zumindest ein Teil dieser Bundesregierung
versprochen hat, dass es ab dem 1. Januar 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland gibt, müssten Sie
doch langsam anfangen, rechtlich zu klären, für welche
Branchen dieser Mindestlohn gelten soll. Natürlich wäre
man damit noch weit weg von einem wirklich flächendeckenden Mindestlohn, von einem gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen, wie er im Wahlprogramm der
SPD stand. Aber wenn Sie zumindest den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zeitplan einhalten wollen, müssen
Sie dann nicht langsam mal Gas geben?
Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank für die Frage. Ich verweise noch einmal
darauf, dass das Gesetz zum 1. Januar 2015 in Kraft treten soll. Die Ministerin hat dazu erklärt, dass sie grundsätzlich von keinen Ausnahmen ausgeht. Wir werden im
Zuge des Gesetzgebungsverfahrens - wie bereits erwähnt - den Dialog mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern über diesbezügliche Probleme führen. Selbstverständlich werden wir, gegebenenfalls im Zuge der
Erstellung eines Gesetzentwurfs, in die verfassungsrechtliche Prüfung einsteigen.
Schönen Dank. - Kollege Kurth, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, wenn man all die
in Rede stehenden Ausnahmen berücksichtigt - insbesondere Ihr Koalitionspartner nennt in der Diskussion
viele Ausnahmen -, wie viele Millionen Beschäftigte
wären dann von einer Ausnahmeregelung betroffen?
Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank. - Hierzu gibt es selbstverständlich keine
Berechnungen, weil über Ausnahmen nicht entschieden
wurde. Ich kann nur noch einmal auf die Aussage der
Ministerin verweisen, die davon ausgeht, dass es keine
Ausnahmen geben wird.
Schönen Dank. - Frau Kollegin Leidig, Sie haben
noch eine Frage. - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, ich möchte nachfragen, ob Sie
im Zusammenhang mit dem Mindestlohn prüfen, wie
mit Menschen mit Behinderungen umgegangen werden
soll, die in Werkstätten für Behinderte beschäftigt werden. Ich frage insbesondere vor dem Hintergrund der
entsprechenden UN-Konvention.
Das wird sicherlich ein Diskussionspunkt sein, über
den wir im Hause beraten werden.
Es kommen weitere Fragen. - Kollege Gastel von
Bündnis 90/Die Grünen, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe noch eine Frage: Welchen Sinn machen denn mögliche Ausnahmen für Studierende und Rentnerinnen und Rentner?
Vielleicht ist es sinnvoll, diese Frage denjenigen zu
stellen, die die Ausnahmeregelungen in den Raum gestellt haben. Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, dass wir bezüglich der Studierenden sowieso nur
eine eingeschränkte Gesetzgebungskompetenz besitzen.
Sie wissen, dass die Gesetzgebungskompetenz für Praktika, die in der Studienordnung vorgesehen sind, bei den
Ländern liegt.
Fragen in der Fragestunde richten sich immer an die
Bundesregierung und nicht an Dritte.
({0})
Der Kollege Behrens von der Fraktion Die Linke hat
noch eine Frage. - Bitte.
Frau Staatssekretärin, da Sie eine Notwendigkeit erkennen, über mögliche Ausnahmen zu debattieren, sehe
ich mich zu der Nachfrage veranlasst, ob Sie selber dabei sind, Beschäftigtengruppen zu identifizieren, bei denen es aufgrund besonders komplizierter Verhältnisse
eine andere Regelung geben muss.
Wir haben hier schon über eine Reihe von möglichen
europarechtlichen, aber auch verfassungsrechtlichen
Ausnahmen, die geprüft werden müssen, gesprochen.
Haben Sie eine abschließende Liste, welche Themen,
welche Beschäftigungsgruppen überhaupt einmal auf
den Zettel genommen werden müssen, oder sind wir darauf angewiesen, immer wieder nachzufragen, was mit
dieser oder jener Beschäftigtengruppe ist? Gibt es für Sie
eine Übersicht, die zeigt, wo besonders hingeguckt werden muss, eine Auflistung, die im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, wer betroffen sein soll?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank für die Frage. - Ich kann an dieser Stelle
nur noch einmal darauf verweisen, dass die Ministerin
davon ausgeht, dass es zu Ausnahmeregelungen nicht
kommen wird.
Schönen Dank. Wir sind mit der Frage 13 fertig.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. Fritz
Felgentreu, SPD-Fraktion, auf:
Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen Arbeitslosigkeit und funktionalem Analphabetismus,
von dem in Deutschland schätzungsweise 7,5 Millionen Men352
Vizepräsident Peter Hintze
schen betroffen sind ({0}),
und wie beurteilt die Bundesregierung die Praxis der Agentur
für Arbeit, zur Integration in den Arbeitsmarkt notwendige
Alphabetisierungskurse nur in Einzelfällen zu finanzieren, gegenüber dem eigenen Anspruch, der Dekade der Alphabetisierung gerecht zu werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank. - Es ist selbstverständlich, dass es einen
fundamentalen Zusammenhang zwischen der Tatsache,
ob jemand schreiben und lesen kann, und seinem Arbeitsmarkterfolg gibt. Es gibt die Studie „leo. - LevelOne“, die von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten
im erwerbsfähigen Alter ausgeht. Im Rahmen dieser Studie ist festgestellt worden, dass 17 Prozent davon arbeitslos sind. Das ist also eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote.
Die Bundesregierung hat bereits im Jahr 2011 auf die
Ergebnisse dieser Studie reagiert und mit der Nationalen
Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland Ziele und Maßnahmen beschlossen, um die Zahl erwachsener funktionaler Analphabeten in Deutschland zu reduzieren. Diese Strategie
soll ausgeweitet werden. Es gibt dazu Gespräche mit
dem federführenden Bundesbildungsministerium. Deshalb können Einzelheiten bezüglich der Strategie an dieser Stelle noch nicht mitgeteilt werden.
Selbstverständlich ist es so, dass Arbeitsagenturen
und Jobcenter auf der Grundlage der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auch den Erwerb von Grundkompetenzen und Alphabetisierung unterstützen können. Sie
können diesbezüglich auf Angebote des Bundes, der
Länder und der Kommunen zurückgreifen. Es bleibt
aber natürlich auch festzuhalten, dass die originäre Verantwortung für Alphabetisierung nicht bei der Bundesagentur für Arbeit, sondern insbesondere bei den Ländern und bei den Kommunen liegt.
Herzlichen Dank. - Eine Nachfrage, Herr Kollege
Dr. Felgentreu? Bitte.
Selbstverständlich wird niemand infrage stellen, dass
die Verantwortung für die Alphabetisierung, insbesondere in der Phase von Kindheit und Jugend, bei den Ländern bzw. bei den Kommunen liegt. Die Frage ist: Was
macht man mit Langzeitarbeitslosen, die ein dauerhaftes
Vermittlungshindernis haben, weil sie nicht lesen und
schreiben oder nicht richtig lesen und schreiben können?
Welche Auffassung vertritt hier die Bundesregierung? In
welcher Verantwortung sieht sie hier die Jobcenter und
die Arbeitsagentur?
Vielen Dank. - Selbstverständlich gibt es auch eine
Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit. Es gibt die
Möglichkeit, über die Arbeitsmarktinstrumente entsprechende Maßnahmen zu fördern. Zahlenmaterial dazu
existiert leider nicht. Aber, wie gesagt: Selbstverständlich gibt es diese Verantwortung. Sie wissen, dass im
Koalitionsvertrag verabredet worden ist, sich in besonderer Weise um Langzeitarbeitslose, insbesondere im
Rahmen eines Bundesprogramms mit Mitteln aus dem
Europäischen Sozialfonds, zu kümmern. In diesem Zusammenhang wird man sich natürlich auch mit den bei
Langzeitarbeitslosen vorhandenen multiplen Hindernissen befassen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege
Dr. Felgentreu?
Vielleicht nur noch eine kurze Frage. Inwieweit will
sich denn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Bekämpfung des Analphabetismus zu einem eigenen Anliegen machen?
Selbstverständlich macht sich das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales dieses Anliegen auch zu einem
eigenen Anliegen. Wir sind in die Gespräche mit dem
Bundesbildungsministerium integriert. Selbstverständlich wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
auch eigene Vorschläge unterbreiten.
Herzlichen Dank. - Dann kommen wir zur Frage 15
der Kollegin Walter-Rosenheimer:
Inwiefern hält die Bundesregierung die öffentlich angestoßene Debatte über die sogenannte Armutszuwanderung aus
europäischen Ländern für geeignet, um die Bemühungen des
Förderprogramms MobiPro-EU zu stärken, durch das Jugendliche aus Ländern der Europäischen Union mit hoher Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland willkommen geheißen werden
sollen, und wie schätzt die Bundesregierung die Chancen ein,
dass Slogans wie „Wer betrügt, der fliegt“ den betroffenen Jugendlichen, die nicht zuletzt auch zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in Deutschland angeworben werden sollen, ein Bild
der Willkommenskultur in Deutschland vermitteln?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank. - Die Bundesregierung hat auch heute
wieder zum Ausdruck gebracht, dass die Freizügigkeit in
der Europäischen Union eine der wichtigen Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses und natürlich eine der wichtigen individuellen Freiheiten des
EU-Bürgers ist. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger
und ihre Familienangehörigen, die im Einklang mit den
Verträgen nach Deutschland kommen und sich hier aufhalten, sind selbstverständlich willkommen. Allerdings
macht die steigende Inanspruchnahme des Förderprogramms MobiPro-EU deutlich, dass dies den europäischen Jugendlichen gleichermaßen sehr bewusst ist.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja.
Bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich habe eine
Zusatzfrage. Sie haben schon erwähnt, dass die Anzahl
der Jugendlichen und jungen Menschen, die das Förderprogramm in Anspruch nimmt, steigt. Haben Sie dazu
Zahlen? Wie viele sind das? Wie läuft das? Wie haben
Sie geplant, dieses Programm weiterzuführen?
Diese Frage kann ich Ihnen an dieser Stelle heute
nicht beantworten. Wir müssten diese Zahlen im Ministerium heraussuchen. Wir können sie Ihnen allerdings
schriftlich zukommen lassen.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Ich würde mich freuen, wenn Sie mir
die Zahlen zukommen ließen.
Haben Sie irgendwelche Pläne? Wird darüber diskutiert, die Willkommensstruktur zu verändern oder vielleicht auch etwas zu tun, um den Eindruck, der in Europa entstanden ist, zu verändern?
Ich gestatte mir, freundlich darauf hinzuweisen, dass
die Bundesministerin für Arbeit und Soziales seit dem
17. Dezember 2013 im Amt ist. Wir sind derzeit im Haus
primär mit dem Gesetzgebungsvorhaben zur Rente, aber
selbstverständlich auch mit dem Vorhaben zum Mindestlohn beschäftigt, sodass noch keine Gelegenheit da war,
über dieses Thema im Detail zu diskutieren.
Herzlichen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 16
des Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen:
Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung es für angemessen, für zwei inhaltliche Fragestellungen ({0}) einen
Staatssekretärsausschuss zur Zuwanderung unter Beteiligung
von elf Bundesministerien einzurichten, und beabsichtigt sie,
dies bei Fragestellungen ähnlicher Komplexität künftig regelmäßig zu tun?
Frau Staatssekretärin, bitte die Antwort.
Lieber Volker Beck, ja, wir halten die Einrichtung eines Staatssekretärsausschusses an dieser Stelle selbstverständlich für angemessen, und das ganz einfach vor dem
Hintergrund, dass das Themengebiet komplexer ist, als
man auf den ersten Blick vielleicht gedacht hat.
Es sind diverse Zuständigkeiten betroffen. Beispielsweise würde man zunächst sicher nicht denken, dass das
Landwirtschaftsministerium betroffen ist; es ist aber betroffen, und zwar wegen der Saisonarbeit. Beispielsweise würde man wahrscheinlich nicht darüber nachdenken, ob das Finanzministerium betroffen ist; es ist aber
betroffen, und zwar wegen des Kindergeldes. Auch das
Verkehrsministerium ist betroffen, unter anderem wegen
der Fortschreibung des Programms „Soziale Stadt“.
Es ist sicherlich so, dass von der Armutszuwanderung
durch Bulgaren und Rumänen nur einzelne Kommunen
betroffen sind. Es ist allerdings auch so, dass diese Kommunen sicherlich in besonderem Maße Hilfestellung
brauchen. Auch deshalb setzt sich dieser Staatssekretärsausschuss zusammen. Ob es künftig derartige Staatssekretärsausschüsse zu anderen Themen geben wird, ist
natürlich eine Frage des Einzelfalls und wird dann zu
entscheiden sein.
Eine Nachfrage des Kollegen Beck. - Bitte.
Gestatten Sie mir, dass ich angesichts des Auftrages
dieses Ausschusses trotzdem ein bisschen erstaunt bin.
Denn da steht so etwas wie: Zu klären sei,
welchen Anspruch auf welche Sozialleistungen Zuwanderer in Deutschland haben.
Dazu genügt übrigens ein Blick auf die Webseite der
Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland; da ist das alles haarklein aufgeschrieben. Vielleicht
nimmt der Staatssekretärsausschuss das ja als Arbeitsgrundlage.
Ich frage mich trotzdem, was diese Veranstaltung soll.
Mir kommt es ein bisschen so vor, als ob das ein Resonanzboden für bestimmte Kampagnen von an der Koalition beteiligten Parteien ist - Ihre Partei ist damit nicht
gemeint -; denn alles, was angeblich strittig ist, wurde
erklärt.
Ich würde gerne wissen, ob Sie die Auffassung der
Europäischen Kommission, die diese am 10. Januar dieses Jahres veröffentlich hat, teilen. Unter der Überschrift
„Klarstellung: Deutschland muss nicht allen arbeitslosen
Volker Beck ({0})
EU-Bürgern hierzulande Sozialhilfe zahlen“ wurde ganz
klar aufgerissen, dass unser deutsches Recht im Grundsatz mit dem europäischen Recht übereinstimmt, was die
Dreimonatsregelung, die Gruppe derjenigen, die bis zu
fünf Jahre hier sind, und die Gruppe derjenigen, die länger als fünf Jahre hier sind, angeht. Außerdem wurde
deutlich gemacht, dass sich die Kritik, die gerade in dem
Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geäußert
wurde, eigentlich nur darauf bezieht, dass man pauschal
vorgeht, also ohne Einzelfallprüfung und ohne zu prüfen, warum jemand plötzlich in Not geraten ist, obwohl
er zuvor nachweisen konnte, dass er - weshalb er in
Deutschland ja überhaupt erst eine Aufenthaltsberechtigung als EU-Bürger bekommen hat - über die notwendigen Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verfügt. Das wird da kritisiert. Ich verstehe ehrlich gesagt
nicht, welche Frage Sie überhaupt klären wollen;
schließlich liegt alles auf dem Tisch, und ein Blick ins
Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.
Frau Staatssekretärin.
Herr Beck, in Ihrer Fragestellung zitieren Sie selbst
aus der Begründung für die Einsetzung des Staatssekretärsausschusses:
Auch benötigen die Kommunen für die Integration
ärmerer Zuwanderer möglicherweise Unterstützung, weil sie dies allein nicht leisten können.
Damit ist die ergänzende Fragestellung, die sich im Rahmen des Staatssekretärsausschusses stellt, letztlich beantwortet.
Soweit Sie die Frage stellen, ob die Bundesregierung
die Meinung der Europäischen Union teilt, kann ich nur
auf die bestehende Gesetzeslage und die diesbezügliche
Auslegung durch Gerichte verweisen.
Das möchte ich jetzt doch genauer wissen. Weicht
denn Ihrer Ansicht nach die Gesetzeslage bzw. die Auslegung durch die Gerichte von dem ab, was die Europäische Kommission uns mitgeteilt hat, sieht also die Bundesregierung Bedarf, auf die Europäische Kommission
einzuwirken, in dieser Frage eine andere Position einzunehmen? Oder hält die Bundesregierung diese Position
für angemessen und teilt sie? Wie begründen Sie Ihre
Haltung?
Im Koalitionsvertrag ist diesbezüglich kein Handeln
vorgesehen.
Sie dürfen gleich stehen bleiben, Herr Kollege Beck;
denn auch die nächste Frage, die Frage 17, ist von Ihnen
gestellt:
In wie vielen Fällen sind nach Kenntnis der Bundesregierung von den vor deutschen Gerichten verhandelten Fällen, in
denen es um den Ausschluss von Unionsbürgern von Arbeitslosengeld ({0}) II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ({1}) geht, Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus den Staaten betroffen, die ab dem
Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, und wie
viele der vor deutschen Gerichten verhandelten Fälle, in denen es um den Ausschluss von Unionsbürgern von ALG II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II geht, sind auf den
von der Bundesregierung eingelegten Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeübereinkommen zurückzuführen?
Auch hier steht wieder die Frau Staatssekretärin zur
Beantwortung bereit. Bitte schön.
Lieber Herr Beck, derzeit befassen sich mehrere Gerichte mit der europarechtlichen Zulässigkeit der in § 7
SGB II vorgesehenen Leistungsausschlüsse für Ausländer. Dabei geht es allerdings um unterschiedliche Sachverhalte. Betroffen sind sowohl Bürger aus Staaten, die
der Europäischen Union vor dem Jahr 2004 beigetreten
sind, als auch Bürger aus Staaten, die der Europäischen
Union nach 2004 beigetreten sind. Eine Statistik nach
Nationalitäten wird nicht geführt.
Nachfrage, Herr Kollege Beck?
Sie haben den zweiten Teil meiner Frage unbeantwortet gelassen; er liegt Ihnen schriftlich vor.
Diesbezügliches Zahlenmaterial liegt uns in gleicher
Weise nicht vor.
Würden Sie aber bestätigen, dass ein Teil der europarechtlichen Probleme, die wir haben, durch den Vorbehalt, den Deutschland beim Europäischen Fürsorgeübereinkommen geltend gemacht hat, entstanden ist, dass da
ein Zusammenhang besteht, dass wir uns das Problem
juristisch ein Stück weit selbst geschaffen haben?
Das kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten. Statistisches Zahlenmaterial liegt uns, wie gesagt, nicht vor.
Das war jetzt eine Frage zu juristischen Hindernissen,
die da im Weg stehen, keine quantitative Frage. Könnten
Sie vielleicht im Nachgang zu dieser Fragestunde Ihr
Haus bitten, mir das schriftlich zukommen zu lassen?
Ja, das können wir sicherlich so machen.
({0})
So, das war eine leichte Überdehnung des Fragerechts; aber da es zur Befriedung dient, haben wir das
einmal zugelassen.
Frau Kollegin Pothmer dazu noch.
Frau Staatssekretärin, im Kontext dieser Debatte ist
deutlich geworden, dass die zur Verfügung stehenden
ESF-Mittel, die zur Integration von Arbeitsuchenden zur
Verfügung stehen, bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Was will die Bundesregierung tun, um das Potenzial, das vorhanden ist, um insbesondere den Kommunen, die in Schwierigkeiten sind, zu helfen, zukünftig
auch auszuschöpfen?
Vielleicht ist der genannte Staatssekretärsausschuss
hilfreich? Wir werden das Thema dort sicherlich diskutieren.
Sie haben jetzt meine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet.
Wir sind gerne bereit, unsere Kompetenz in dieser
Frage mit einzubringen.
Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir als BMAS das
Thema sicherlich im Staatssekretärsausschuss besprechen werden.
So, das war die Frage 17. Sie hat sich ein bisschen dynamisch entwickelt; aber wir haben das alles einmal so
stehen lassen.
Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Corinna Rüffer,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche rechtliche Stellung und welche Befugnisse wird
die designierte Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, vor dem Hintergrund, dass sie kein Mitglied des Deutschen Bundestages ist,
innerhalb der Bundesregierung und gegenüber dem Parlament
haben?
Frau Staatssekretärin steht zur Beantwortung bereit.
Bitte.
Danke. - Die Bestellung der oder des Beauftragten
der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen setzt nicht voraus, dass die beauftragte Person
Mitglied des Bundestages ist. Das ergibt sich aus § 14
des Behindertengleichstellungsgesetzes. Mit Frau
Bentele wird ein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden.
Sie fragen des Weiteren nach der rechtlichen Stellung
und den Befugnissen der Behindertenbeauftragten. Auch
hierzu gibt es eine gesetzliche Regelung, nämlich den
§ 15 BGG. Selbstverständlich wird hiervon nicht abgewichen werden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin Rüffer?
Ja. - Erst einmal herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Frage, und natürlich habe
ich auch noch Rückfragen zu diesem Thema.
Die Behindertenbeauftragte wird die Aufgabe haben,
Bewusstsein für die Belange Behinderter zu wecken, für
ihre besonderen Nöte, Sorgen und Lebenssituationen.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie Frau Bentele dieser Aufgabe nachkommen kann. Eine ganz konkrete
Frage in diesem Zusammenhang ist: Wird sie das Recht
haben, vor diesem Parlament zu sprechen, was ihr in ihrer Funktion natürlich sehr weiterhelfen würde?
Herzlichen Dank. - Frau Bentele verfügt als unmittelbar Betroffene natürlich über eine entsprechende Lebenserfahrung. Sie hat es als Mensch mit einem Sehhandicap geschafft, Abitur zu machen und zu studieren,
und sie hat zwölf paralympische Medaillen gewonnen.
Ich denke, das ist hinreichend Beleg für ihre Qualifikation und auch für die Überzeugungskraft, die sie bei
solch einer Aufgabe haben muss.
Bezüglich der Berechtigung, im Parlament zu reden:
Das ist eine Frage, die anhand des § 15 BGG zu beantworten ist. Ich kann Ihnen das aber aus dem Stegreif
nicht beantworten; das müssen wir ebenfalls über das
Haus klären lassen.
Aber wie gesagt: Das ist natürlich kein neuer Sachverhalt. Der bisherige Behindertenbeauftragte war ja zumindest zeitweise auch nicht Mitglied des Bundestages.
Haben Sie noch eine Nachfrage dazu?
Aber selbstverständlich. - Ich will erst einmal klarstellen: Wir stellen die Qualifikation von Frau Bentele in
keiner Weise infrage. Insofern war der erste Teil der Beantwortung jedenfalls für mich unnötig.
Ich möchte gerne, dass die Antwort darauf, welche
Rechte sie haben wird - unter anderem, ob sie das Recht
haben wird, vor dem Parlament zu sprechen -, nachgereicht wird.
Zu einem zweiten Punkt frage ich sicherheitshalber
noch einmal nach: Sie haben gesagt, Sie werden einen
Arbeitsvertrag mit ihr abschließen, das heißt, die Funk356
tion wird nicht ehrenamtlich ausgeführt werden. Zu diesem Arbeitsvertrag hätte ich gerne noch nähere Informationen. Welche rechtliche Grundlage wird dieser haben?
Er basiert auf der gleichen rechtlichen Grundlage wie
der bisherige Arbeitsvertrag mit Herrn Hüppe.
Bezüglich der Rechte der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen kann ich
nur noch einmal auf die Regelung des § 15 BGG verweisen. Wir stellen Ihnen die entsprechende Kommentierung hinsichtlich der Rechte im Parlament selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Sie haben die Frage nicht beantwortet!
Doch.
Sie lautete konkret: Wird sie ehrenamtlich arbeiten
oder nicht?
Nein. Die Frage habe ich beantwortet. Es steht dort
ein Arbeitsvertrag im Raum - wie in der Vergangenheit
bei Herrn Hüppe auch.
Frau Rüffer, ich bitte Sie höflichst, nicht einfach
selbst das Wort zu ergreifen, auch wenn Sie mit der einen oder anderen Antwort der Bundesregierung nicht
ganz einverstanden sind, was im parlamentarischen Diskurs schon einmal vorkommen kann.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Rüffer auf:
Aus welchem Grund hat sich die Bundesregierung entschieden, die Position nicht mit einer Abgeordneten zu besetzen?
Frau Staatssekretärin.
Das Kabinett hat heute der Ernennung von Frau
Bentele zur Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange behinderter Menschen zugestimmt. An dieser
Stelle auch einen herzlichen Glückwunsch meinerseits.
Frau Bentele hat mit ihren herausragenden sportlichen Leistungen sowie ihrem bisherigen Ausbildungsund Berufsweg gezeigt, was Menschen mit Behinderung
erreichen können. Durch ihr Vorbild kann sie als Beauftragte der Bundesregierung im Zusammenleben von
Menschen mit und ohne Behinderung sicherlich weitere
Hürden einreißen.
Eine Nachfrage dazu?
Ja, sehr gerne.
Bitte.
Das ist alles unbenommen, und ich möchte noch einmal betonen, dass es hier nicht darum geht, die Qualifikation von Frau Bentele infrage zu stellen. Wir sagen
ganz deutlich, dass wir es gut und längst überfällig finden, dass der oder die Behindertenbeauftragte selber ein
Mensch mit Behinderung ist. Viele Leute haben teilweise jahrzehntelang professionell in diesen Strukturen,
in Verbänden usw. gearbeitet. Das ist etwas, was Frau
Bentele nicht vorzuweisen hat. Warum haben Sie sich
trotzdem für sie entschieden?
({0})
Frau Staatssekretärin.
Weil ihr Lebensweg nach Auffassung der Bundesregierung ein ganz besonderer ist. Es ist sehr selten, als
vollständig blind geborener Mensch Abitur zu machen,
ein Studium zu absolvieren und derart herausragende
sportlerische Leistungen zu zeigen. Ich denke, all das belegt, welcher Ehrgeiz bei Frau Bentele vorhanden ist.
Davon abgesehen: Sie war in der Vergangenheit politisch aktiv. Ich verweise darauf, dass sie Mitglied des
Kompetenzteams von Herrn Ude bei der Wahl in Bayern
war. Auch das belegt sicherlich, dass sie in die Thematik
eingearbeitet ist.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Ich wüsste gerne, warum Sie Frau Benteles Vorgänger, Hubert Hüppe, nicht erneut benannt haben. Auch er
hat sich große Verdienste erworben.
Die Ministerin hat sich für eine ganz besondere
Persönlichkeit der Bundesrepublik Deutschland entschieden.
Jetzt gibt es eine Nachfrage von Frau Kollegin Griese,
SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich will angesichts des etwas eigenartigen Tons der bisherigen Fragen im Namen meiner Fraktion ausdrücklich
würdigen, wie sehr wir es anerkennen, dass die Ministerin Frau Bentele als Behindertenbeauftragte vorgeschlagen hat, und möchte Sie bitten, noch einmal darzulegen,
wie Sie es geschafft haben, dass zum allerersten Mal
eine Persönlichkeit Behindertenbeauftragte ist, die selber von einer Behinderung betroffen ist und die, wie wir
alle wissen, der Öffentlichkeit durch herausragende
Leistungen bekannt geworden ist.
Meine Frage ist ferner, wie Sie die Vorbildwirkung in
einer solchen Funktion einschätzen, wenn sie ein selbst
betroffener Mensch wahrnimmt. Das verbinde ich mit
einem ausdrücklichen Glückwunsch zu dieser guten
Entscheidung und mit den besten Wünschen für Frau
Bentele für dieses Amt.
({0})
Frau Staatssekretärin, bitte.
Wir haben schlichtweg die Möglichkeiten des BGG
genutzt, haben abgewogen und sind zu der Entscheidung
gekommen, dass eine externe Besetzung sinnvoll ist.
Wir sind der festen Überzeugung, dass jemand, der
selbst Handicaps aufweist, auf ganz andere Art und
Weise Einschränkungen, beispielsweise in Bezug auf die
Barrierefreiheit, wahrnimmt und in ganz besonderem
Maße dafür sensibilisiert ist, welche gesellschaftlichen
Veränderungen erforderlich sind. All das spricht dafür,
eine unmittelbar Betroffene zu benennen, und nicht
einen Angehörigen von Betroffenen, wie es in der Vergangenheit häufig der Fall war. Ich will nur noch einmal
unterstreichen: Frau Bentele weist mit Blick auf diese
Position einen exzellenten Lebensweg auf.
Schönen Dank. - Damit bedanken wir uns bei Frau
Staatsekretärin Kramme und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth zur
Verfügung.
Die Fragen 20 und 21 der Abgeordneten Höhn werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Abgeordneten Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus der Tatsache, dass sich der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments gegen den Vorschlag der
Europäischen Kommission zur Änderung der Honig-Richtlinie ausgesprochen hat, da dessen Umsetzung im Widerspruch
zum sogenannten Honig-Urteil des Europäischen Gerichtshofes stünde, weil infolge der Änderung Honig ab 0,1 Prozent
GVO-Pollenanteil - GVO: gentechnisch veränderte Organismen - keinerlei Kennzeichnungspflicht unterworfen wäre,
und falls die Bundesregierung den Vorschlag der Europäischen Kommission unterstützt, wie gedenkt die Bundesregierung dann die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu wahren, die keinen Honig mit GVO-Pollen
kaufen möchten?
Frau Staatssekretärin, ich bitte um Ihre Beantwortung.
Herr Kollege Ebner, ich beantworte Ihre Frage gern
wie folgt: Deutschland hat bei den Ratsverhandlungen
zu der vorgesehenen Klarstellung im Kommissionsvorschlag, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil des
Honigs und keine Lebensmittelzutat ist, vor allem aus
folgenden Gründen Zustimmung signalisiert: Bei Honig
handelt es sich rechtlich und tatsächlich um ein Monoprodukt ohne Zutaten. Pollen ist ein natürlicher Bestandteil des Honigs und Honig ein reines Naturprodukt.
Die EU-Honig-Richtlinie und der für den internationalen Handel wichtige Honig-Standard, der Codex Alimentarius, bestimmen daher, dass Honig keine Zutaten
hinzugefügt werden dürfen. Zudem wird der Nachweis
der Sortenreinheit von Honig insbesondere über die
Bestimmung des Pollenspektrums geführt. Dies setzt voraus, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honig
und keine Zutat ist.
Mit dem Kommissionsvorschlag wird die gegenwärtige Praxis in allen EU-Mitgliedstaaten, wonach Pollen,
einschließlich gentechnisch veränderter Pollen, im Honig nicht gekennzeichnet wird, rechtlich abgesichert.
Dies schafft Rechtssicherheit für alle Marktteilnehmer.
Außerdem ist eine Kennzeichnung von Honig mit
gentechnisch verändertem Pollen in der Praxis nicht umsetzbar. Auch wegen der extrem geringen Mengen, um
die es sich hier handelt, gibt es keine Analysemethode,
um zuverlässig den Anteil von gentechnisch verändertem Pollen am Gesamtpollen zu ermitteln. Auch bei allen anderen Lebensmitteln werden geringfügige Spuren
von zugelassenen gentechnisch veränderten Stoffen
nicht gekennzeichnet. Mit dem Kommissionsvorschlag
wird der Honig ebenso behandelt. Selbst bei Lebensmitteln, die das Siegel „Ohne Gentechnik“ tragen, werden
in der Kontrollpraxis der Länder geringfügige Spuren
von gentechnisch veränderten Stoffen von bis zu
0,1 Prozent akzeptiert.
Das Plenum des Europäischen Parlaments stimmt
voraussichtlich am 15. Januar, also ungefähr zeitgleich
mit unserer heutigen Debatte, über den Vorschlag der
EU-Kommission zur Änderung der Honig-Richtlinie
und die vom Umweltausschuss des Europäischen Parlaments vorgelegten Änderungsanträge ab.
Herzlichen Dank. - Eine Nachfrage, Kollege Ebner.
Ja. - Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank. Über die
Frage, ob gentechnisch veränderter Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honig ist, ließe sich trefflich streiten. Ich möchte aber etwas anderes fragen, nämlich inwieweit die Bundesregierung der Auffassung ist, dass
eine Verunreinigung von sortenreinem Rapshonig - also
von Sortenhonig - mit Pollen aus gentechnisch veränderten Rapspflanzen noch zufällig und technisch unvermeidbar ist, wie es in der Definition der einschlägigen
EU-Kennzeichnungsverordnung heißt, wenn die Bienenstände zur Erzeugung eines solchen Honigs beispielsweise gezielt in Feldern von gentechnisch verändertem
Raps positioniert werden oder ein solcher Sortenhonig
aus Kanada stammt, wo, wie wir wissen, fast ausschließlich gentechnisch veränderter Raps angebaut wird. Es
stellt sich also die Frage: Was ist da noch Zufall und
technisch unvermeidbar?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege Ebner, es stellt sich in diesem Zusammenhang tatsächlich immer wieder die Frage der Nachweisbarkeit. Da der Anteil von Pollen im Honig 0,1 bis
0,5 Prozent beträgt, ist der Nachweis im Rahmen einer
Analyse dann, wenn es sich um geringfügige Verunreinigungen handelt, ausgesprochen schwer möglich. Es ist
allerdings unumstritten, dass, wenn es sich in dem von
Ihnen genannten Zusammenhang um Pollen einer gentechnisch veränderten Pflanze handelt, die in der EU
nicht zugelassen ist, der Honig selbstverständlich nicht
verkehrsfähig ist.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Ebner.
Danke schön. - Wir haben jetzt die bislang zugelassenen Sorten diskutiert. Mich interessiert in diesem Zusammenhang: Welche Maßnahmen wird die Regierung
im Fall von Anbauzulassungen für gentechnisch veränderte Organismen in der EU treffen, um die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung einschließlich der Imkerei
in Deutschland wirksam vor gentechnischen Verunreinigungen zu schützen? Denn Vertreter der gentechnikfreien Landwirtschaft und die Imker fürchten den erneuten Anbau von GVOs, wie er derzeit im Raum steht. Wir
diskutieren auch über die Maislinie 1507, die die EUKommission zulassen möchte.
Also: Was wird die Bundesregierung tun, um die gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei zu schützen,
und welche Vorbereitungen trifft sie für den Fall, dass
solche Zulassungen, wie jetzt absehbar, kommen?
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, es ist nicht Sache der Bundesregierung,
zu spekulieren; es ist vielmehr Sache der Bundesregierung, dann zu handeln, wenn klare Handlungsvoraussetzungen vorliegen. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Die
Bundesregierung wird selbstverständlich dann, wenn die
Voraussetzungen gegeben sind, handeln.
Kollege Ostendorff.
Frau Staatssekretärin, auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernennung. - Jetzt zur Frage. Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Herr
Friedrich, hat am 7. Januar erklärt, dass man beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen den Aspekt
der nationalen Souveränität und Subsidiarität stärker berücksichtigen müsse. Wenn eine solche Absichtserklärung der Bundesregierung besteht, stellt sich für uns die
Frage, wie Minister Friedrich diese Absichtserklärung
auf EU-Ebene umsetzen will, welche Pläne, Ziele und
Überlegungen es in seinem Haus gibt, das zum nationalen Recht zu machen. Können Sie uns dazu Auskunft geben?
Sehr geehrter Herr Kollege Ostendorff, herzlichen
Dank für Ihre Glückwünsche. Ich freue mich sehr auf
eine gute, konstruktive Zusammenarbeit. - Nun zu Ihrer
Frage. Der Koalitionsvertrag ist in dieser Frage eindeutig. Er besagt, dass es in Deutschland in weiten Teilen
der Bevölkerung eine ablehnende Haltung gegenüber
dem Anbau und dem In-Handel-Bringen von gentechnisch veränderten Organismen im Rahmen der Grünen
Gentechnik gibt. Der Minister hat diese Aussage aufgenommen. Es ist nun Sache der Bundesregierung, eine
Gesamtposition zu erarbeiten. Das geschieht.
Herzlichen Dank. - Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Lenkert, Fraktion Die Linke, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich habe eine Nachfrage bezüglich der Schadenersatzregelung. Wenn ein Imker durch Gentechnik verunreinigten Honig vernichten muss: Ist die Schadenersatzregelung nach Ansicht der Bundesregierung dann geklärt?
Bleibt der Imker auf dem von ihm nicht verursachten
Schaden sitzen, oder muss derjenige, der gentechnisch
veränderte Pflanzen in Umlauf gebracht oder angebaut
hat und damit eine Verunreinigung erst ermöglichte, für
die Schäden haften?
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Lenkert, auch in diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die Nachweisgrenzen bei der Analyse ausgesprochen problematisch
sind, weil Pollen nur einen sehr kleinen Bestandteil des
Honigs - ich wiederhole: 0,1 bis 0,5 Prozent - ausmachen. Ein so verunreinigter Honig wäre nur dann nicht
verkehrsfähig, wenn es sich um Pollen von Pflanzen
handelt, die keine EU-Zulassung besitzen. Auch bei dieser Frage finden wir uns sehr schnell im Bereich der
Spekulation wieder. Dazu möchte ich mich nicht äußern.
Damit kommen wir zu Frage 23 des Kollegen Harald
Ebner:
Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich
der spätestens Anfang Februar 2014 anstehenden Entscheidung über den Antrag der Europäischen Kommission zur Anbauzulassung für die gentechnisch veränderte Maislinie 1507,
und welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich
der im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der
EU-Mitgliedstaaten ({0}) Mitte Januar 2014 anstehenden Entscheidung über die Art des Abstimmungsverfahrens
bezüglich des Zulassungsvorschlages für die Maislinie 1507?
Ich bitte die Frau Staatssekretärin, die Frage 23 zu beantworten.
Herr Kollege Ebner, in welcher Form und wann eine
Befassung des Ministerrats zum Vorschlag der Kommission für eine Anbauzulassung der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 erfolgen wird, ist derzeit noch offen, möglicherweise im Rahmen eines schriftlichen
Verfahrens. Die Entscheidung hierüber erfolgt möglicherweise im Ausschuss der Ständigen Vertreter am
17. Januar dieses Jahres. Die Bundesregierung wird ihre
Position rechtzeitig vor einer möglichen Abstimmung
über den Anbauvorschlag im Ausschuss der Ständigen
Vertreter oder im Rat festlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ebner.
Frau Staatssekretärin, Sie sagten, das Verfahren sei
derzeit noch offen, genauso wie der Zeitpunkt, wann
bzw. ob eine schriftliche Abstimmung erfolgt. Das ist
klar; darüber haben wir schon diskutiert. Frankreich widerspricht einer schriftlichen Abstimmung. Deshalb
wird eine Abstimmung in einem Ausschuss oder in einer
Ratsversammlung notwendig werden. Das steht schon
auf der Tagesordnung von Ecofin am 28. Januar. Der
Raum für Spekulationen darüber, wann das kommt, ist
damit sehr klein geworden. Ich frage Sie daher, inwieweit die Bundesregierung garantieren kann, dass der
Bundestag, also dieses Parlament, rechtzeitig über den
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen bezüglich des Zulassungsvorschlags für die Maislinie 1507 abstimmen kann.
Schließlich wird über den entsprechenden Zulassungsantrag der EU-Kommission wahrscheinlich bereits, wie gesagt, am 28. Januar, also vor der nächsten Plenarsitzung
des Bundestages, entschieden werden.
Frau Staatssekretärin.
Ich habe Ihnen zugesagt, dass die Bundesregierung
rechtzeitig entscheiden wird. Die Bundesregierung wird
sich dabei aller verfügbaren Informationen bedienen, die
eine Auswirkung der Anwendung des spezifisch gentechnisch veränderten Organismus beschreiben. Sie wissen,
dass dabei hier bei uns in Deutschland unter anderem die
Stellungnahmen des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit, des Bundesinstituts für Risikobewertung, des Robert-Koch-Instituts, des Bundesamtes für Naturschutz und des Julius-Kühn-Instituts und
darüber hinaus selbstverständlich auch die Stellungnahmen anderer betroffener Institutionen wie auch des
Europäischen Parlaments einbezogen werden.
Im Übrigen ist das Recht, bestimmte Tagesordnungspunkte auf die Tagesordnung zu setzen, ein Recht des
Parlaments. Dazu hat sich die Bundesregierung nicht zu
äußern.
Noch eine Nachfrage? - Bitte schön.
Dann möchte ich von den Verfahrensfragen zu den Inhalten kommen. Die Umweltverbände und auch die Imker sind sehr besorgt, was diese Maislinie angeht, und
zwar aufgrund ihres besonders hohen Giftgehaltes. Sie
produziert nämlich ein Bacillus-thuringiensis-Toxin. Der
Giftgehalt ist laut diversen Studien deutlich höher als bei
dem in Deutschland aus gutem Grund verbotenen gentechnisch veränderten Mais Mon810. Es stellt sich die
Frage, inwieweit Zielorganismen wie Bienen oder
Schmetterlinge betroffen sind.
Ich hatte schon gesagt, dass dieser Gehalt laut diversen Studien deutlich höher ist. Die Bundesregierung
muss sich jetzt fragen, warum sie dennoch auf meine
explizite Frage im Dezember keine einzige Quelle für
ihre Position genannt hat, dass der Gehalt an Bt-Toxin in
der neuen Maislinie 1507 im Durchschnitt niedriger sei
als bei Mon810, wohingegen alle anderen Quellen, die
uns zugänglich sind, das Gegenteil belegen. Mich würde
interessieren, wann die Bundesregierung gedenkt, diese
fehlenden Belege nachzureichen und ihre Quellen inklusive des bibliografischen Nachweises zu benennen.
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bundesregierung die Daten verschiedenster international renommierter Organisationen - einige nationale habe ich
Ihnen eben genannt -, auch der EFSA, der Europäischen
Behörde für Lebensmittelsicherheit, in ihre Entscheidungen einbeziehen wird. Wenn Ihnen noch Daten nachgereicht werden müssen, werde ich das ohne Zweifel sehr
gerne veranlassen.
Eine Nachfrage des Kollegen Ostendorff, Bündnis 90/
Die Grünen. Bitte.
Frau Staatssekretärin, wie sollen wir damit umgehen?
Die EFSA hat deutlich gewarnt. Wann findet sich die
Warnung, die die EFSA ausgesprochen hat, im Vorschlag wieder? Wann wird sich der Bundesminister bzw.
das Bundesministerium einbringen und sagen: „Das
muss berücksichtigt werden“? Dafür haben wir die
EFSA. Es reicht nicht, zu sagen: Wir werden das mit einbeziehen. - Da muss konkreter geantwortet werden. Das
ist der Anspruch des Parlaments. Ich bitte Sie, konkret
zu beantworten, wie der Vorschlag der EFSA vonseiten
des zuständigen Fachministeriums der Bundesregierung
eingearbeitet wird.
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Ostendorff, der Vorschlag wird eingearbeitet, indem die Bundesregierung mit dem im Fachministerium vorhandenen Sachverstand diese Gutachten
würdigt. Letztendlich fragen Sie mich aber, wann das
endlich sein wird. Die Bundesregierung ist in diesem
Abstimmungsverfahren. Nur das kann ich Ihnen zu dieser Frage sagen.
Herzlichen Dank. - Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung
und Landwirtschaft. Wir danken Frau Staatssekretärin
Dr. Flachsbarth.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe bereit.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten HansChristian Ströbele auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die am 8. Januar 2014
geäußerte Auffassung des scheidenden Bundesministers der
Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière ({0}), und,
bejahendenfalls, welche Bereiche der Bundeswehr außer deren Rüstung sieht die Bundesregierung in besonderer Unordnung?
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrter Kollege Ströbele, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die Aussage des Bundesministers
Dr. Thomas de Maizière vom 8. Januar 2014 ist in ihrer
Gesamtheit zu sehen und lautet wie folgt - ich zitiere -:
In der Bundeswehr ist natürlich vieles nicht in Ordnung, nicht nur im Rüstungsbereich. Das ist normal
für Institutionen dieser Größenordnung.
Alle in der Bundeswehr identifizierten Defizite werden unmittelbar angegangen. Dies gilt für alle erkannten
spezifizierten Mängel, wie sie zum Beispiel vom Wehrbeauftragten benannt werden. Dasselbe gilt zum Beispiel
auch für durch den Bundesrechnungshof aufgeworfene
Fragestellungen, die ebenfalls als wertvolle Hinweise
und Anregungen für die Weiterentwicklung der Bundeswehr aufgenommen werden.
Im Übrigen wird in den Antworten des Bundesministeriums der Verteidigung auf zahlreiche parlamentarische Anfragen zu einzelnen Defizitvermutungen ausführlich Stellung genommen und dem Parlament
gegenüber Rechenschaft abgelegt. Auch bezogen auf die
Neuausrichtung der Bundeswehr war bereits von Beginn
an eine Evaluierung, also eine erste systematische Prüfung im Sinne der Entwicklung der Strukturen und Prozesse, eingeplant. Diese wird nun im zweiten Jahr nach
der Einführung der Strukturen und Prozesse für die
Ebene des Bundesministeriums der Verteidigung und
dessen erste nachgeordnete Ebene durchgeführt. Zudem
nimmt sich die Bundesregierung der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Aspekte, wie zum Beispiel der
Attraktivität des Dienstes und der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, als Verpflichtungen an.
Eine Nachfrage, wie ich vermute, Herr Kollege
Ströbele.
Ich danke erst einmal für die Beantwortung meiner
Frage. - Ich versuche einmal, zusammenzufassen: Die
Bundesregierung teilt also die Auffassung - darauf bezog sich der Anfang meiner Frage -, die Herr
de Maizière gegenüber Zeit Online zum Ausdruck gebracht hat; so verstehe ich das jedenfalls.
Herr de Maizière hat ja die Rüstungsdefizite in der
Bundeswehr angesprochen. Meine etwas konkretere
Nachfrage: Ist damit auch die offenbar doch sehr
schlechte Qualität des Gewehrs G36 gemeint gewesen,
das uns hier im Deutschen Bundestag schon mehrfach
beschäftigt hat? Hat die Bundesregierung für die Zukunft Pläne, vielleicht doch einen anderen Hersteller zu
beauftragen? Oder bleibt es beim Gewehr G36?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung betrachtet die Aussage des Bundesministers Dr. de Maizière
nicht als interpretationsbedürftig. Ich kann sie Ihnen
gerne wiederholen. Sie enthält unter anderem den Satz:
„Das ist normal für Institutionen dieser Größenordnung.“
Sie wissen im Übrigen, dass es etablierte parlamentarische Verfahren in diesen Bereichen gibt. Das Bundesministerium der Verteidigung beantwortet fortlaufend
zahlreiche parlamentarische Anfragen zu konkreten Kritikpunkten und legt damit regelmäßig Rechenschaft gegenüber dem Parlament ab, nicht nur, aber selbstverständlich auch zu Rüstungsfragen. Ich denke, Sie
wissen, dass es auch im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung die sogenannten 25-MillionenEuro-Vorlagen gibt. Das heißt, dass bei solchen Vorhaben dem Haushaltsausschuss gegenüber eine besondere
Rechenschaft abgelegt wird. Das betrifft den Rüstungsbereich und auch andere Bereiche.
Herr Ströbele, Sie haben das Wort zu einer weiteren
Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben einen Bereich angedeutet, der außer dem Rüstungsbereich in Betracht kommt: Das ist die Vereinbarkeit von
Dienst und Kindererziehung. Meine zweite Nachfrage
lautet: Gibt es noch andere Bereiche, die der Bundesminister möglicherweise im Auge oder im Kopf gehabt
hat?
Herr Kollege Ströbele, ich habe dies beispielhaft angeführt in der Hoffnung, damit Themen benennen zu
können, die auch auf Ihr Interesse stoßen.
Ich sage noch einmal: Diese Aussage des ehemaligen
Bundesministers der Verteidigung ist als solche nicht interpretationsbedürftig. Sie ist im Übrigen insbesondere
kein Anlass für irgendwelchen Alarmismus. Es geht
auch nicht darum, in diesem Bereich nun einen besonders großen Mangel festzustellen. Vielmehr haben wir es
nach der Aussetzung der Wehrpflicht mit einer Situation
zu tun, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die
Bundeswehr, wie grundsätzlich jeder andere Arbeitgeber
auch, am Arbeitsmarkt um attraktive Arbeitskräfte bemühen muss. Das ist eine Herausforderung für die Bundeswehr als Arbeitgeber, und das ist neu im Vergleich zu
früheren Zeiten. Das bedeutet nicht, dass aus Sicht der
Bundesregierung die Zustände in diesem Bereich alarmierend und besonders schlecht wären. Aber es ist ein
Bereich, auf den man sicherlich sinnvollerweise einen
Blick wirft, wenn es darum geht, die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver zu machen.
Herzlichen Dank. - Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung
und danken Staatssekretär Brauksiepe.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 25 der Kollegin Lazar wird schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 26 des Kollegen Terpe wird schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche
bereit.
Ich will zum weiteren Verlauf der Sitzung nur mitteilen, dass wir um 15.35 Uhr mit der Aktuellen Stunde beginnen und die restlichen Fragen dann schriftlich beantwortet werden. Wir haben also jetzt noch zehn Minuten
- plus/minus - für die Fragestunde.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Stephan
Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie ist der Stand der Genehmigung der Interimsflugrouten für den Betrieb der Südbahn während der Sanierung der
Nordbahn am Flughafen Berlin Brandenburg durch die DFS
Deutsche Flugsicherung GmbH und das Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung, und ist eine Genehmigung bis zum von
dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Flughafen Berlin
Brandenburg GmbH, Hartmut Mehdorn, angekündigten Beginn der Sanierung der Nordbahn zum 1. Juli 2014 sichergestellt?
Ich bitte die Frau Staatssekretärin, die Frage zu beantworten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter,
ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Flugverfahren
zur vorübergehenden Anbindung der Südbahn während
der Sanierung der nördlichen Start- und Landebahn des
Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld wurden am
18. November 2013 der örtlichen Fluglärmkommission
vorgestellt. Nach dort erfolgter Beschlussfassung legte
die DFS, die Deutsche Flugsicherung, dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, dem BAF, im Dezember
2013 die entsprechenden Unterlagen mit der Bitte vor,
das für die Festlegung erforderliche Verfahren einzuleiten. Dies wird nunmehr durch das Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung unter Einhaltung der einschlägigen
Vorgaben, insbesondere unter Beteiligung der gesetzlich
vorgeschriebenen Behörden, durchgeführt.
Eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung. - Wir haben nicht nur in Berlin einige Erfahrungen
mit dem Verfahren zur Festlegung von Flugrouten - da
gibt es ja eine Bürgerbeteiligung -; es ist ein sehr kompliziertes Verfahren. Halten Sie es angesichts des jetzigen Verfahrensstandes und der Erfahrung bei der bisherigen Festlegung von Flugrouten für realistisch, dass
das Ziel von Hartmut Mehdorn, nämlich mit der Sanierung der Nordbahn am 1. Juli dieses Jahres zu beginnen,
erreicht werden kann, dass also zum 1. Juli tatsächlich
bestandskräftige Interimsflugrouten vorliegen?
Frau Staatssekretärin, bitte schön.
Herr Abgeordneter, das sind zwei verschiedene Komplexe. Sie fragen mich einmal, ob die Sanierung in dem
zur Verfügung stehenden oder angegebenen Zeitraum
erfolgen kann. Das müssen Sie das Land Brandenburg
respektive den Flughafenchef fragen. Zum anderen geht
es darum, ob in der zur Verfügung stehenden Zeit für
diesen Bereich die Flugrouten verhandelt werden können. Diese Verfahren und die notwendige Beteiligung
sind zwar langwierig, aber wir gehen davon aus, dass
dies bis zum 1. Juli zu machen ist.
Noch eine Nachfrage? - Bitte, Herr Kollege Kühn.
Aus meiner Sicht, Frau Staatssekretärin, gehören die
beiden Aspekte zusammen, weil es derzeit keine genehmigten Flugrouten für die Südbahn gibt. Wenn man die
Nordbahn sanieren will - das kann ja nicht während des
laufenden Betriebs erfolgen -, braucht man genehmigte
Flugrouten für die Südbahn, um den Verkehr dort abwickeln zu können. Aus meiner Sicht bedingen sich beide
Aspekte also. Für den Beginn der Nordbahnsanierung ist
Voraussetzung schlicht und ergreifend, dass es genehmigte Flugrouten für die Südbahn gibt. Insofern verstehe
ich die Aussage nicht ganz.
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, die Genehmigung und der Betrieb von
Flughäfen erfolgen nun einmal durch die Länder im
Wege der Auftragsverwaltung. Insofern liegt die Verantwortung hier nicht beim Bund, sondern beim Land, in
dem Fall bei der Genehmigungsbehörde in Brandenburg.
Zum Stand von Bauvorhaben ist dann sicherlich der
Chef des Flughafens derjenige, der befragt werden muss.
Wir haben noch die Nachfrage des Kollegen Behrens,
Fraktion Die Linke. Bitte.
Frau Staatssekretärin, möglicherweise steht der noch
nicht rechtskonform umgesetzte Lärmschutz der Inbetriebnahme der Südbahn entgegen; das sagen zumindest
Medienberichte aus. Also: Die Nordbahnsanierung kann
erst dann erfolgen, wenn die Südbahn in Betrieb genommen werden kann, aber die Südbahn kann laut Planfeststellungsverfahren erst in Betrieb genommen werden,
wenn der rechtskonforme Schallschutz umgesetzt worden ist. Insofern ist für mich die Frage, ob die Bundesregierung als Anteilseignerin davon ausgeht, dass das
Schallschutzprogramm bis zu dem Zeitpunkt, zu dem
Herr Mehdorn angekündigt hat, dass es zu einer Inbetriebnahme kommt, realisiert worden ist. Oder wie stellen Sie sich sonst die Inbetriebnahme der Südbahn als
Anteilseignerin vor?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Grundsätzlich nimmt die Bundesregierung zu Medienberichten keine Stellung. Was aber den Schutz vor
Fluglärm angeht, so erwarten wir einen den gesetzlichen
Vorgaben entsprechenden Schutz der Bürgerinnen und
Bürger.
Danke schön. - Wir kommen damit zur Frage 28,
ebenfalls des Abgeordneten Stephan Kühn, Bündnis 90/
Die Grünen:
Schließt der Flughafen Berlin-Tegel sechs Monate nach
Inbetriebnahme der Südbahn, wie im Planfeststellungsbeschluss vorgeschrieben, und falls nein, wie soll diese Regelung außer Kraft gesetzt werden?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege, wie schon in meiner Antwort eben verweise ich auch hier auf den Zusammenhang. Mit der Genehmigung und dem Betrieb von Flughäfen werden die
Länder im Wege der Auftragsverwaltung in eigener Zuständigkeit betraut und sind damit befasst. Vor dem Hintergrund, dass die Zuständigkeiten dort wahrgenommen
werden, ist der Bund für die aufgeworfene Frage in der
Sache nicht zuständig.
Ich sehe Ihrem Gesicht den Wunsch nach einer Nachfrage an, Herr Kollege Kühn. Bitte schön.
Sie haben das richtig aus meinem Gesicht abgelesen. - Meine Frage zielt darauf, wie aus Sicht der
Bundesregierung die Rechtslage eingeschätzt wird, ob
also aus ihrer Sicht dann, wenn die Südbahn in Betrieb
geht, so wie das zum 1. Juli dieses Jahres geplant ist, der
Planfeststellungsbeschluss greift, wonach - das ist in der
Reihenfolge so festgelegt - sechs Monaten später Tegel
schließen muss. Dazu muss die Bundesregierung doch
eine Rechtsauffassung haben.
Es gibt einen bestehenden Planfeststellungsbeschluss.
Dieser gilt und wird umgesetzt.
({0})
Ja, bitte, noch eine zweite Zusatzfrage.
Die zweite Zusatzfrage bezieht sich noch einmal auf
Tegel. Es gab ja Diskussionen, insbesondere vom Vorstand der Flughafengesellschaft, Herrn Mehdorn, angeregt, den Flughafen länger zu betreiben. Nun ist es so,
dass man eine sogenannte Lex Tegel gefunden hat, gemäß der 2007 entschieden wurde, dass, da ja der Flughafen in absehbarer Zeit schließen soll, keine zusätzlichen
Lärmschutzmaßnahmen erforderlich sind. Wenn jetzt der
Flughafen Tegel länger offen bleiben muss oder soll,
würde das bedeuten, dass zusätzlicher Lärmschutz erforderlich ist. Können Sie bestätigen, dass dieser Zusammenhang besteht? Und gibt es nach Ihrer Kenntnis Berechnungen, wie hoch die Kosten wären, die für
zusätzlichen Lärmschutz bei einem längeren Offenhalten
von Tegel anfallen würden?
Frau Staatssekretärin, bitte schön.
Herr Kollege, Ihre Fragen bewegen sich ja im rein
spekulativen Bereich, was wäre wenn. Noch einmal: Wir
haben einen bestehenden Planfeststellungsbeschluss, in
dem ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb des BER
mit dem dann zu beendenden Betrieb von Tegel festgeschrieben ist. Insofern basieren die von Ihnen aufgeworfenen Fragen auf Spekulationen und Hypothesen. Diese
kann, werde und will ich an dieser Stelle nicht beantworten.
Schönen Dank. - Wir kommen damit zur letzten
Frage in dieser Fragestunde, der Frage 29 des Abgeordneten Behrens:
Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass
gemäß der Bundeshaushaltsordnung die Einführung einer für
inländische Pkw-Halterinnen und Pkw-Halter kostenneutralen
Pkw-Maut - Vignette - nur dann zulässig ist, wenn die um die
Kompensationsleistungen für inländische Pkw-Halterinnen
und Pkw-Halter bereinigten Einnahmen aus der Pkw-Maut die
Mauterhebungskosten übersteigen, sprich: wenn die von ausländischen Kfz-Halterinnen und Kfz-Haltern entrichteten
Mautzahlungen in Summe größer sind als die gesamten Erhebungskosten - bitte begründen -, und sind nach Auffassung
der Bundesregierung die den Pkw-Halterinnen und Pkw-Haltern entstehenden Befolgungs- und Entrichtungskosten der
bereits für 2015 avisierten Mautpflicht in die Berechnung der
Erhebungskosten einzubeziehen - bitte begründen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Das primäre Ziel der Einführung einer Pkw-Maut ist, zusätzliche Einnahmen für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu erlangen.
({0})
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Ja, bei dieser kurzen Antwort war das anzunehmen. Ich möchte noch einmal auf den Inhalt meiner in der Tat
komplexen Frage hinaus. Wir haben jetzt von verschiedenen Modellen gehört, auf deren Basis sich der Bundesverkehrsminister die Ausgestaltung einer künftigen
Pkw-Maut vorstellen könnte, ohne dass sie inländische
Autofahrer betrifft. Ein in sich schlüssiges Modell ist
aber noch nicht erkennbar, weil gegen alle Vorstellungen
europarechtliche Hindernisse geltend gemacht worden
sind. Uns kommt es jetzt darauf an, von Ihnen zu erfahren: Wie sind die Konturen eines Modells, das ja möglicherweise in der Pipeline ist, das wirklich dafür sorgt,
dass deutsche Autofahrerinnen und Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden?
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, ich würde Ihnen gerne den Wortlaut der
Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD
in Erinnerung rufen.
({0})
Da heißt es:
Diesem Ziel
- sprich: einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur dient … eine europarechtskonforme Pkw-Maut, mit
der wir Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw an der Finanzierung zusätzlicher Ausga364
ben für das Autobahnnetz beteiligen wollen, ohne
im Inland zugelassene Fahrzeuge höher als heute zu
belasten.
Sie haben gerade richtigerweise darauf hingewiesen,
dass wir an einem Konzept arbeiten. Solange das der
Fall ist, kann über Details noch nichts gesagt werden.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Behrens? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, gleichwohl sind Inhalte bzw.
Details bekannt geworden - in Medienberichten wiederum; ich hoffe, dass Sie sich trotzdem dazu äußern werden -, nämlich dass verschiedene Vorschläge gemacht
wurden, beispielsweise die Ergänzung, dass nicht nur
spezifische europarechtliche Fragen berücksichtigt werden, sondern möglicherweise auch eine ökologische Dimension mit eingebracht wird, sodass unter Umständen
schadstoffarme Fahrzeuge in besonderer Weise behandelt werden können. Sind hinsichtlich dieser Forderung
momentan konkrete Ideen in der Diskussion?
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, wir erarbeiten ein Konzept. Dieses hat
die von mir genannten Kriterien zu erfüllen. Zu weiteren
Spekulationen, Modellen, Ausgestaltungen, die nicht
durch das Ministerium und damit durch die Bundesregierung in die Öffentlichkeit gelangt sind, werde ich
nicht Stellung nehmen. Es ist jetzt die Aufgabe des
Ministeriums, einen Vorschlag zu unterbreiten, und das
werden wir im Laufe dieses Jahres tun.
Recht herzlichen Dank. - Wir haben damit die Zeit
für die Fragestunde ausgeschöpft. Die restlichen Fragen
werden nach den Vorschriften der Geschäftsordnung behandelt. Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen zwischen den USA und der Bundesrepublik
Deutschland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jan Korte für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit Juni vergangenen Jahres haben wir es mit einem der
größten Datenschutz- und Grundrechteskandale in der
Geschichte überhaupt zu tun. Das millionenfache Ausspähen der Bevölkerung ist ein fundamentaler Angriff
auf die Grundfeste der Demokratie, nämlich die freie
Kommunikation und das Kommunizieren frei von Kontrolle. Das Hauptproblem bei dieser Affäre - weswegen
die heutige Debatte so wichtig ist und von uns beantragt
wurde - ist die Haltung der Bundesregierung in dieser
Frage. Das muss sich endlich ändern, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({0})
Was wurde seit Juni getan? Darüber müssen wir einmal sprechen. Zunächst wurde die Opposition von der
damaligen Bundesregierung als antiamerikanisch und
naiv beschimpft; das war der Kollege Friedrich. Dann
wurde die Affäre von Herrn Pofalla für beendet erklärt;
alle Verdächtigungen seien ausgeräumt. Dann wurde bekannt, dass das Telefon der Kanzlerin ausspioniert
wurde. Bei diesem Vorgang war die erste Gefühlsregung
bei Ihnen feststellbar. In dieser Woche gibt es ein Interview mit dem ehemaligen Innenminister Friedrich, Zitat:
Ich hatte wichtigere Themen. - Das ist dieser Affäre
nicht einmal im Ansatz angemessen. Das ist eine bodenlose Frechheit.
({1})
Dann wurde Folgendes gemacht: Man hat einen Fragenkatalog versandt, von dem wir bis heute nicht wissen,
ob die Fragen überhaupt beantwortet wurden und, wenn
ja, wie. Dann fiel die Bundesregierung besonders als PRAgentur für die US-Regierung auf, und dann gab es jetzt wird es ganz toll - einen Anruf bei Präsident
Obama durch die Kanzlerin, die darum bat - so konnte
man der internationalen Presse entnehmen -, man möge
das Handy doch nicht mehr abhören. Sie sagte laut New
York Times - ich zitiere -: „This is like the Stasi“. Das ist
also das, was von der Kanzlerin dazu zu hören war. Dann war Ihr Vorhaben, das Sie tatkräftig angehen wollten, ein No-Spy-Abkommen auf den Weg zu bringen.
Nun kennen wir die Medienberichte. Wir wissen
überhaupt nicht, ob es zu einem No-Spy-Abkommen
kommen wird
({2})
und, wenn ja, was drinsteht. Wir wissen auch nicht, ob es
dabei nur um Regierungsmitglieder geht oder um die gesamte Bevölkerung, was angemessen wäre. Folgendes
war diese Woche interessant: Selbst der Präsident des
BND ist schwer verunsichert und nicht zufrieden. Ganze
Weltbilder brechen bei den Kollegen Uhl und Mayer von
der CSU in sich zusammen; sie fragen sich, wie das denn
sein kann. Das ist immerhin ein Indiz dafür, dass Sie etwas zur Kenntnis genommen haben. Ohne den Druck
der Opposition und ohne den Druck und die Aufarbeitung von kritischen Medien würde hier nichts passieren.
Was macht die SPD? Sie kann sich mal wieder, wie so
oft, nicht entscheiden zwischen Bürgerrechten - da gibt
es leichte Ansätze beim neuen Bundesjustizminister und einer völlig enthemmten Law-and-Order-Politik, für
die Olaf Scholz und die Genossen in Hamburg stehen.
Es ist wie immer: Auf die SPD ist kein Verlass. Sie ist in
dieser Debatte zu nichts zu gebrauchen. Auch das ist
sehr bedauerlich.
({3})
Ich will eines sagen: Wir dürfen nicht nur auf Großbritannien und die Vereinigten Staaten gucken. Wir müssen vielmehr vor der eigenen Haustür kehren; denn die
Datensammelwütigen sind im eigenen Land, hier im
Bundestag. Wir brauchen da eine Umkehr, auch hier in
Deutschland.
({4})
Sie werden sicherlich sagen: Mensch, der Kollege
Korte von den Linken hat mit dem, was er hier vorträgt,
recht. Aber was sollen wir denn konkret tun?
({5})
Deswegen möchte ich Ihnen einige ganz konkrete Vorschläge machen und Empfehlungen geben, wie wir weiterkommen und etwas verändern können.
Erstens. Kündigen Sie umgehend die Verhandlungen
zum transatlantischen Freihandelsabkommen auf! Das
ist eine Sprache, wenn es um die Wirtschaft geht, die
auch die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen.
Das wäre etwas Konkretes, wo sie handeln würden.
({6})
Zweitens. Legen Sie alle Verträge und Abkommen
zum Datenaustausch zwischen den Diensten offen - darauf haben die Menschen ein Anrecht -, und legen Sie
das Fluggastdatenabkommen und den Bankdatenaustausch auf EU-Ebene mit den USA auf Eis! Werden Sie
in Europa aktiv!
({7})
Drittens. Berufen Sie einen Sonderermittler mit allen
notwendigen Kompetenzen! Wir möchten einen konkreten Vorschlag machen - er wäre dafür sehr geeignet -:
Bitten Sie Peter Schaar, den ehemaligen exzellenten
Bundesdatenschutzbeauftragten, diese Aufgabe zu übernehmen! Das wäre die richtige Person und ein Zeichen
dafür, dass Sie handeln wollen.
({8})
Viertens. Beerdigen Sie endlich final die Vorratsdatenspeicherung, und werden Sie auf EU-Ebene aktiv, damit sie nicht umgesetzt wird! Es ist an der Zeit. Auch das
ist wichtig.
({9})
Letzter konkreter Vorschlag. Es gibt Botschaftsangehörige, die hier spionieren. Wenn man eine fleißige und
gute Spionageabwehr hat oder hätte, sollte es hin und
wieder gelingen, dies rauszubekommen.
({10})
Erklären Sie diese Botschaftsangehörigen zu Personae
non gratae! Das wäre ein wichtiges Zeichen, um zu zeigen, wie man mit so etwas umgehen muss. Für die CSU
in ihre Sprache, die nicht meine ist, übersetzt, würde das
bedeuten: Wer spioniert, der fliegt. - Das wäre die richtige konsequente Antwort.
({11})
Ich komme zum Schluss. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch wir in der Bundesrepublik eine neue
Ära von Bürgerrechten und Datenschutz brauchen. Wir
müssen vor der eigenen Haustür damit anfangen. Am
Freitag will Präsident Obama zu diesen Vorgängen Stellung nehmen. Sie haben heute als Regierungsfraktionen
- die Bundesregierung ist leider nicht unbedingt mit der
ersten Riege vertreten -,
({12})
die letzte Chance, hier klar Stellung zu beziehen und sowohl nach Washington als auch an die eigene Bevölkerung ein Zeichen zu senden. Es wird jetzt wirklich
höchste Zeit, dass Ihr Gepenne ein Ende hat.
Schönen Dank.
({13})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Günter Krings.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man könnte jetzt auch sehr bescheiden sagen,
dass die Bundesregierung ihre Redner an der Stelle ein
bisschen dem Redneraufgebot der Linksfraktion angepasst hat.
({0})
Meine Damen und Herren, die Veröffentlichungen zu
den Datensammlungen der US-amerikanischen National
Security Agency haben bei vielen Bürgern - das ist klar nicht nur berechtigte Fragen aufgeworfen, sondern verständlicherweise auch große Sorgen und Verunsicherungen ausgelöst.
({1})
Die Bundesregierung hat schon zu einem Zeitpunkt, als
das Ausmaß der Sammelaktionen noch nicht gänzlich erkennbar war, reagiert.
({2})
Insbesondere hat sie die nötige Aufklärung eingefordert.
Sie hat dies auch auf ministerieller Ebene getan, bis hin
zu direkten Gesprächen zwischen der Bundeskanzlerin
und Präsident Obama.
({3})
Ich mache keinen Hehl daraus: Das Antwortverhalten
der USA ist bislang höchst unbefriedigend. Die wichtigsten Fragen sind unbeantwortet geblieben. Es ist ja
schön, wenn vertrauliches Material zum Teil deklassifiziert wird. Allerdings sind den mehr als 1 000 Seiten, die
deklassifiziert worden sind, keine relevanten Informationen über Ausmaß und Umfang der Programme zu entnehmen.
({4})
Das Material vermittelt nicht mehr als einen Überblick
über die technischen Ansätze der Sicherheitsbehörden
der USA und ein Verständnis der rechtlichen Grundlagen, auf die sich die USA beziehen. Das ist aus meiner
Sicht inakzeptabel.
({5})
Gerade deshalb müssen die Verhandlungen mit den
Amerikanern über eine verbindliche Vereinbarung zu
nachrichtendienstlichen Tätigkeiten weitergeführt werden, und deshalb - da kann die Opposition ganz beruhigt
sein - werden sie auch weitergeführt.
Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die Bundesregierung Gespräche mit der amerikanischen Regierung aufgenommen, um sicherzustellen, dass die Grundrechte deutscher Bürgerinnen und Bürger gewahrt
werden. Ziel dieser Gespräche war es von Anfang an, zu
einer entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Bundesnachrichtendienst und der National Security Agency
zu gelangen. Die Gespräche wurden zunächst unmittelbar zwischen den Nachrichtendiensten BND und NSA
mit zwei Zielrichtungen geführt: zum einen die Regelung der Zusammenarbeit dort, wo wir gemeinsame
Interessen definieren können, also zum Beispiel in so
wichtigen Aufgabenfeldern wie Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder gegen die Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen, zum anderen aber auch die
Berücksichtigung der Interessen der jeweils anderen
Seite und die Wahrung der jeweiligen Rechtsordnung.
Meine Damen und Herren, der Maßstab, dass auch für
unsere Partner und ihre Sicherheitsbehörden auf deutschem Boden uneingeschränkt deutsches Recht zu gelten
hat, ist für uns nicht verhandelbar.
({6})
Aber die Aufkündigung jedweder Zusammenarbeit mit
den amerikanischen Behörden wäre ebenso keine verantwortliche Alternative, weil sie unser Land ein ganzes
Stück unsicherer machen würde. Ich habe eben Teilen
der Fragestunde lauschen können und mit Interesse gehört, dass Abgeordnete der Linken danach fragen, warum es bei der Aufarbeitung des NSU-Terrors nicht mehr
Erkenntnisse der NSA gegeben habe. Offenbar gehen
also auch Sie davon aus, dass diese Zusammenarbeit
notwendig und wichtig ist.
({7})
- Das stelle ich nur so fest. - Es ist daher gut, dass die
Gespräche dazu beitragen können, das gegenseitige Vertrauen und unsere Zusammenarbeit, die dringend erforderlich ist, zu verbessern. Genau aus diesem Grunde
müssen die Gespräche zwischen BND und NSA weitergehen. Gerade weil es sich hier um hochsensible
Themen handelt, geht bei solchen Gesprächen ganz eindeutig Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Meine Damen und Herren, von manchen anderen
Staaten, bei denen wir auch getrost von nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen uns in Deutschland ausgehen können, unterscheidet sich die USA in einem ganz
wesentlichen Punkt: Sie ist ein freiheitlicher Rechtsstaat,
eine Demokratie.
({8})
Anders als in anderen Ländern hat daher innerhalb der
USA eine ernsthafte Debatte über Möglichkeiten und
Grenzen der Aufklärung, über die Frage der Verhältnismäßigkeit und über den Umgang mit Freunden und Verbündeten begonnen; es wäre schön, wenn eine solche
Debatte auch in anderen Ländern beginnen würde. Die
einflussreiche demokratische Senatorin Dianne Feinstein,
Vorsitzende des Kontrollgremiums des Senats, etwa hat
klar gesagt, die Überwachung von Bundeskanzlerin
Angela Merkel und anderen Regierungschefs sei abzulehnen. Eine vollständige Überprüfung aller Geheimdienstprogramme sei erforderlich, damit die Mitglieder
des Geheimdienstausschusses des Senats voll darüber
unterrichtet sind, was die Dienste tatsächlich tun.
({9})
Auch in den USA erkennt ein größer werdender Teil der
Öffentlichkeit, dass nicht jede Abhörmaßnahme, die
technisch möglich ist, ethisch verantwortbar ist und damit auch rechtlich zulässig sein darf.
Die Notwendigkeit einer seriösen Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen einerseits und dem
Schutz der Privatsphäre andererseits wird allmählich
auch in der US-Regierung erkannt. US-Präsident Obama
hat im August des letzten Jahres eine hochrangige Expertengruppe beauftragt, Vorschläge zur Überprüfung
der Arbeit der amerikanischen Nachrichtendienste zu
unterbreiten. Er hat angekündigt, seine Schlussfolgerungen am nächsten Freitag der Öffentlichkeit vorzustellen.
Die Überprüfung der Arbeit der Dienste erstreckt sich
auch auf die sogenannte Auslandsaufklärung, also auf
die Themen, die uns hier besonders interessieren. Die
Bundesregierung begrüßt dieses Vorgehen. Es wäre auch
für das transatlantische Verhältnis wichtig, wenn möglichst viele der 46 Anregungen praktisch umgesetzt würden, etwa die verstärkte Berücksichtigung der Grundrechte von Nicht-US-Bürgern und der Verzicht auf
Industriespionage. Meine Damen und Herren, wenn wir
diesen noch recht zähen Prozess des Umdenkens in den
USA fördern wollen, brauchen wir eine intelligente
Reaktion und keine voreiligen Schlussfolgerungen. Forderungen nach der Aufkündigung von Datenübermittlungsabkommen oder der Aussetzung der Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen sind
das Gegenteil von intelligent. Gerade vom letztgenannten Abkommen profitieren wir in Deutschland und
Europa nämlich mindestens ebenso stark wie die Amerikaner. Eine solche Selbstschädigung unter Verkennung
der eigenen nationalen Interessen gehört wohl kaum zu
den Reaktionsmitteln, die die amerikanische Seite dauerhaft beeindrucken können.
({10})
Mit Hilfe des TFTP-Abkommens, auch SWIFTAbkommen genannt, konnte laut der Evaluation der EUKommission ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der
Terrorismusfinanzierung auch in Europa geleistet werden. Anders liegt die Sache beim sogenannten SafeHarbor-Abkommen. Die Bundesregierung setzt sich
dafür ein, dieses Abkommen für die Übermittlung von
personenbezogenen Daten an Drittstaaten im wirtschaftlichen Bereich deutlich zu verbessern. Der Themenkomplex muss im Kontext der Datenschutz-Grundverordnung neu geregelt werden; unter anderem könnte man
eine Meldepflicht für die Weitergabe von Daten in andere Staaten schaffen. Ziel ist es, die Individualrechte
der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und ihnen
bessere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung zu
stellen.
Meine Damen und Herren, im Lichte der überbordenden NSA-Datensammlung ist die zentrale Aufgabe in
Deutschland und Europa die Rückgewinnung der Souveränität über den Umgang mit unseren Daten. Dazu brauchen wir sowohl rechtliche als auch technische Mittel.
Digitalisierung braucht Vertrauen. Die Menschen in
Deutschland müssen darauf vertrauen dürfen, sich auch
im Cyberraum frei und sicher bewegen zu können. Wir
wollen die Bürgerinnen und Bürger und auch die deutschen Unternehmen im Netz schützen. Dieser Schutz
muss sich gegen jede Form der Verletzung der Informationssicherheit richten, sei es gegen Cyberkriminelle, sei
es gegen organisierte Kriminalität oder auch gegen
ausländische Nachrichtendienste, gleich welchen Ursprungs.
({11})
Wer es ernst meint mit einem 360-Grad-Blick auf alle
Quellen möglicher Bedrohungen der Vertraulichkeit und
Sicherheit unserer Datenkommunikation, darf eben den
Blick nicht ausschließlich auf die Nachrichtendienste der
USA richten; denn wir müssen davon ausgehen, dass
nicht nur die NSA, sondern auch andere Staaten Ausspähprogramme unterhalten.
({12})
Den Schutz der Bürger und Unternehmen können wir
nur gemeinsam bewältigen. Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft müssen hier zusammenwirken. Im Koalitionsvertrag haben wir eine Reihe von sehr konkreten
Vorhaben vereinbart, die diesen Schutz voranbringen.
({13})
Ich denke dabei etwa an die Unterstützung für mehr und
bessere Verschlüsselung der Datenkommunikation durch
die Nutzer und an die Förderung vertrauenswürdiger
Hersteller und Dienstleister in Deutschland, damit wir
auf deren Technologien aufbauen können. Ich denke an
das IT-Sicherheitsgesetz, mit dem wir die Betreiber
kritischer Infrastrukturen ebenso in die Verantwortung
nehmen wollen wie die Provider. Ich denke auch an die
Prüfung von Möglichkeiten für ein europäisches Routing
bzw. eine europäische oder deutsche Cloud.
Wir werden die Daten- und Informationssicherheit zu
einem Schwerpunkt unserer Arbeit machen und mit allen
beteiligten Ressorts, mit der Wirtschaft und mit der Zivilgesellschaft nach Lösungen suchen. All das erfordert
natürlich Investitionen in Technik und Experten, die
diese Technik bedienen.
({14})
Mehr Sicherheit gibt es auch in der Datenkommunikation nicht zum Nulltarif.
Die NSA-Debatte verlangt wie derzeit kein anderes
Thema, dass sich Deutschland und die USA auf eine
kluge Balance zwischen Freiheit und Sicherheit einigen.
Das Vorhalten nachrichtendienstlicher Fähigkeiten ist
gerade im Zeitalter des Internets eine unabdingbare
Pflicht des Staates, um die Sicherheit seiner Bürger zu
garantieren. Nur ist diese Sicherheit eben kein Selbstzweck, sondern sie dient der Verwirklichung von Freiheit. Wenn wir diese simple Zweck-Mittel-Relation auf
beiden Seiten des Atlantik beherzigen, dann muss klar
sein, dass auch bei Datensammlungen klare Grenzen zu
ziehen sind. Das schaffen wir am besten durch klare gemeinsame Regelungen und Vereinbarungen.
({15})
Vielen Dank.
({16})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach monatelanger Verklärung und Vertuschung, nach Placebos und
Beschwichtigungen im Wahlkampf, nach gänzlich ergebnislosen Delegationsreisen und auch nach Ihrer etwas nebeligen Rede, sehr geehrter Herr Staatssekretär,
stehen Sie, steht das Bundeskanzleramt, steht die Bundesregierung unter Angela Merkel heute, ein Dreivierteljahr nach den Veröffentlichungen von Snowden, völlig
blank dar. Das ist der Skandal nach dem Skandal.
({0})
Das No-Spy-Abkommen als Antwort auf die Enthüllungen von Snowden war von Anfang an nicht ausreichend. Spionage ist eben nur ein Teilbereich der
Gesamtproblematik, nur ein Teilbereich dessen, was
Snowdens Veröffentlichungen ans Tageslicht gebracht
haben. Ihnen ging es von Anfang an nicht um die Bürgerinnen und Bürger, nicht um die Bürgerrechte, nicht um
die Freiheit der Menschen in diesem Land. Das war und
das ist bis heute nicht Ihr Thema. Ihnen ging es um die
Regierungskommunikation, um das Merkel-Phone, um
das Handy der Kanzlerin.
({1})
Heute ist klar: Noch nicht einmal das können Sie schützen.
Gleichzeitig haben Sie mit Ihrem No-Spy-Abkommen-Projekt, das offenbar gescheitert ist, ein gemeinsames Vorgehen der EU hintertrieben. Auf ein völkerrechtswidriges Vorgehen von mindestens fünf Nationen
mit einem bilateralen Abkommen antworten zu wollen,
ist von Anfang an ein untauglicher Versuch. Deswegen
stehen Sie vor einem Scherbenhaufen.
({2})
Sie haben auch europapolitisch versagt, weil Sie die
EU-Datenschutzreform als einen wichtigen Baustein eines besseren Datenschutzes in der Europäischen Union
nicht gestärkt haben. Sie haben diese Reform geschwächt und verzögert; sie wird in dieser Legislaturperiode des EPs nicht mehr kommen. Das steht in einem
klaren Widerspruch zu Aussagen von Frau Merkel
im Sommerinterview, in dem sie als Reaktion auf die
Snowden-Affäre gesagt hat, die Bundesregierung stehe
dafür, dieses EU-Datenschutzabkommen zu einem guten
Abschluss zu bringen. Wir haben versucht, dieses Vorhaben voranzubringen. Dafür haben wir uns engagiert,
auch in Brüssel. Sie tragen die Verantwortung dafür,
dass dieses Vorhaben jetzt scheitert.
({3})
- Herr Binninger, das werden Sie aushalten müssen.
({4})
Wenn man in den letzten Tagen Zeitung gelesen hat,
konnte man lesen, dass der ehemalige Bundesinnenminister Friedrich im Rückblick auf seine Zeit im BMI
gesagt hat - ich zitiere -:
Ich hatte übrigens wichtigere Themen als die NSAAffäre.
({5})
Das bringt es auf den Punkt. Sie haben als Bundesregierung damals wie heute nicht verstanden, worum es im
Kern geht. Die zentrale Frage ist: Kann es in einem freiheitlichen Rechtsstaat eine anlasslose massenhafte
Erfassung von Kommunikations- und Bewegungsdaten
aller Bürgerinnen und Bürger geben? Und die Antwort
lautet: Nein, denn wer beobachtet wird, der ist nicht frei.
({6})
Wenn ein Innen- und Verfassungsminister wichtigere
Themen hat als die Freiheit und die Bürgerrechte der
Menschen in unserem Land und in Europa, dann stimmt
an seiner Grundkonzeption etwas nicht. Vor diesem Hintergrund - das sage ich ganz klar in Richtung SPD muss endlich und endgültig Abstand genommen werden
von der Vorratsdatenspeicherung;
({7})
denn sie ist die massenhafte anlasslose Speicherung unserer Kommunikations- und Bewegungsdaten. Deswegen ist sie aus unserer Sicht kein rechtsstaatliches Mittel.
Ich will zum Schluss etwas versöhnlicher werden.
({8})
- Ja. - Wir werden genau verfolgen, ob diese Bundesregierung entschlossener, sinnhafter und bürgerrechtsfreundlicher agieren wird als die letzte. Mit Interesse
habe ich zur Kenntnis genommen, dass der neue Innenminister, Herr de Maizière, gesagt hat, dass die Freiheit
der Kommunikation im Internet ein Schwerpunkt seiner
Amtszeit sein wird. Das finde ich gut. Aber im Koalitionsvertrag steht, anders als Ihre Ausführungen es vermuten lassen, Herr Krings, nichts Substanzielles dazu.
Ich bin sehr gespannt, was da kommen wird. Auf die
Aussage von Herrn de Maizière muss eine echte Kursänderung folgen. Das darf nicht nur eine rhetorische
Kursänderung unter dem Druck der augenblicklichen
Diskussion sein. Die Bürgerrechte und der Rechtsstaat
im digitalen Zeitalter, das muss ein ganz zentrales
Thema für uns alle in der 18. Wahlperiode werden.
Um das glaubwürdig gemeinsam voranzubringen,
müssen wir jetzt einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit einem ernsthaften und substanDr. Konstantin von Notz
ziellen Untersuchungsauftrag auf den Weg bringen. Das
heißt, wir müssen auch die Rolle der deutschen Dienste
im internationalen Datenringtausch, den es offenbar gibt,
aufklären und daraus die notwendigen Konsequenzen
ziehen. Wir brauchen die europäische Datenschutzverordnung und eine durchgehende Ende-zu-EndeVerschlüsselung der Kommunikation. Wir müssen PNR,
SWIFT und Safe Harbor aussetzen, um wieder in die
Diskussion einsteigen zu können - ich bin gespannt, wie
Sie das sonst machen wollen -, und wir müssen uns mit
denen verbünden, mit denen wir für Bürgerrechte,
Freiheit und ein Ende der Überwachung streiten. In der
Zivilgesellschaft und in der Wirtschaft gibt es solche
Partner. Schriftstellerinnen wie Juli Zeh, der Nobelpreisträger Günter Grass und auch andere europäische Länder
sehen dieselbe Problematik. Parlamentarier in den USA,
in Großbritannien und anderswo teilen unsere massive
Kritik an der völlig maßlosen Überwachung. Daran,
meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
werden wir Sie messen.
Ganz herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Vereinigten Staaten von Amerika, schwer
erschüttert durch 9/11, die Ereignisse, die letztlich auch
von der Hamburger Zelle um Mohammed Atta ausgelöst
wurden, haben es verdient, dass wir ihnen im Kampf gegen Terror und Gewalt zur Seite stehen.
({0})
Wir verstehen diesen Kampf, und wir verstehen diesen Einsatz. Aber genauso müssen die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen, dass es unsere patriotische
Pflicht ist, das Grundgesetz, die Bürgerrechte, die Freiheit und die Daten der Menschen hier in Deutschland zu
schützen.
({1})
Deshalb werden wir es niemals hinnehmen, wenn ausgerechnet unser wichtigster Verbündeter glaubt, sich jetzt
und in Zukunft die Totalausspähung unserer Bürgerinnen und Bürger erlauben zu können. Das hat nämlich mit
Kampf gegen den Terror nichts mehr zu tun.
({2})
Oder ist NSA-Chef Alexander der Meinung, dass die
Kanzlerin einer Nähe zu al-Qaida verdächtig ist?
({3})
Der Kampf gegen den Terror darf nicht als Vehikel benutzt werden, um sich alles Interessierende und alles
technisch Mögliche an Daten hier in Deutschland einfach zu holen.
({4})
Schlimm genug, dass diese, so sollte man meinen,
Selbstverständlichkeiten überhaupt der Verhandlungen
bedürfen, dass über ein sogenanntes No-Spy-Abkommen debattiert und diskutiert werden muss. Noch
schlimmer wäre es, wenn dieses tatsächlich scheitern
würde. Ich bin mir gar nicht so sicher, dass es nicht weitergehen wird. Ich bin mir umgekehrt sicher, dass die
Bundesregierung - jetzt kraftvoll unterstützt auch durch
die SPD ({5})
kritisch und selbstbewusst weiterverhandeln wird, vielleicht anders als in der Vergangenheit.
({6})
Jedenfalls werden Sie vom neuen Bundesinnenminister
nicht den Satz hören, dass das alles nur blanker Antiamerikanismus sei.
Wie dem auch sei, sollte es scheitern - das wollen wir
nicht; wir werden deshalb auch mit Nachdruck weiterverhandeln -, dann ist ganz klar, dass wir - entgegen
dem, was manche behaupten - keineswegs wehrlos sind.
Wir müssen dann über das Safe-Harbor-Abkommen reden. Wir müssen dann selbstverständlich darüber reden,
ob die Passagierdaten weiterhin so ohne Weiteres in die
USA gereicht werden.
({7})
Wir müssen dann ebenfalls über all das, was im Zusammenhang mit den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen steht, sehr kritisch weiter diskutieren. Denn
warum sollten wir, über Verträge gebunden, Daten weitergeben, wenn man sich illegal durch die Hintertür noch
viel mehr Daten holt und diese gegen unsere Interessen
missbraucht?
({8})
Warum sollen im Übrigen jene Firmen, die in
Deutschland ihren Sitz haben, die mit uns hier in
Deutschland in Verbindung stehen und aus Amerika
stammen, jene Firmen, die offensichtlich Daten an die
NSA und andere Dienste weitergeben, weiterhin Aufträge von der Bundesrepublik Deutschland oder nachgeordneten Behörden unserer Ministerien erhalten? All das
Michael Hartmann ({9})
kann und muss dann sehr konsequent und deutlich infrage gestellt werden.
Es wäre übrigens ein völliger Fehlschluss - manche
benutzen das ja gerne als Vehikel -, das Agieren der
USA zugleich zu einem Pfeil zu schmieden, der gegen
unsere Dienste gerichtet ist. Ich bin mir sehr, sehr sicher,
dass es, um den NSA-Skandal und die Folgen adäquat
aufarbeiten zu können, darauf ankommt, dass wir unsere
Dienste besser machen, und zwar im Bereich der Spionageabwehr und im Erzielen eigener Erkenntnisse. Was
wir selbst mit den Mitteln des Rechtsstaates erheben
können, müssen uns andere nicht geben.
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich wünsche
mir kein eingefrorenes Verhältnis in der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden der USA. Wir brauchen uns wechselseitig. Die brauchen uns aber auch: im
Nahen Osten, in Afghanistan nach Abzug der Truppen
und genauso auch bei der Fragestellung, wie wir die
wichtigen US-Liegenschaften in Deutschland - man
denke an Ramstein - weiterhin schützen. Insofern gilt:
Es gibt ein wechselseitiges Interesse, sich zu respektieren, und es gibt ein wechselseitiges Interesse, sich eben
nicht auszuspionieren, sondern zu kooperieren. Das
müssen die USA in den nächsten Wochen und Monaten
von uns und mit uns gemeinsam lernen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({10})
Es ist übrigens ein großes Ärgernis, dass die lachenden Dritten - Sie haben völlig recht, Herr Kollege
Krings - derzeit Staaten im Osten sind, die jeden Tag
massenhaft Angriffe gegen unsere IT-Sicherheit fahren.
Auch die müssen in Zukunft wieder stärker ins Blickfeld
genommen werden.
In den USA selbst dreht sich der Wind. Deshalb ist
dem mutigen Herrn Snowden, der auch uns die Augen
geöffnet hat, zu danken.
({11})
Wir werden jetzt in Verhandlungen und Gesprächen mit
Nachdruck deutlich machen, dass in den USA wie bei
uns das Supergrundrecht der Freiheit besteht, und wir
werden klarmachen, dass diese Bundesregierung die Affäre noch lange nicht als beendet ansieht.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Vorwürfe, die seit Frühjahr/Sommer
2013 im Raum stehen - das muss man vorneweg festhalten -, ist das Informationsverhalten sowohl der amerikanischen Dienste als auch der britischen Dienste in jeder
Hinsicht unzureichend.
({0})
Diese Kritik können wir auch unseren Partnern nicht ersparen. Wir haben klare Anforderungen an die amerikanische Seite und auch an die britische Seite. Sie sind bislang nicht erfüllt. Auch das muss man in dieser
Nüchternheit festhalten.
({1})
Ich habe Ihnen, Herr Kollege von Notz, und auch Ihnen, Herr Korte, aufmerksam zugehört. Aber glauben
Sie wirklich, dass wir auch nur einen Zentimeter Verhaltensänderung bei Amerikanern wie bei Briten erreichen,
wenn 80 bis 90 Prozent Ihrer Redezeit eigentlich nur
parteipolitisch geprägt sind?
({2})
Schuld ist die CSU, wahlweise die SPD oder die CDU.
In Ihrer Rede, Herr von Notz, kam nicht einmal eine klar
formulierte Kritik an der NSA vor. Das ist doch viel zu
wenig, was Sie hier vorgetragen haben!
({3})
Ich habe fünf Minuten wirklich konzentriert zugehört,
weil ich gedacht habe: Irgendwann wird er ja einmal etwas zur NSA sagen.
({4})
Nein, Minister Friedrich war das Thema, die SPD war
das Thema, die Vorratsdatenspeicherung war das Thema.
Nur das Problem war nicht das Thema.
({5})
Insofern sollten Sie Ihre Argumentation etwas schärfer
am Problem ausrichten.
({6})
Ich habe aus gutem Grund mit Kritik an amerikanischer und britischer Seite begonnen, weil ich schon der
Meinung bin, dass wir ein gemeinsames Verständnis haben, auch als deutsche Parlamentarier.
({7})
Das ist eine Frage, der wir uns auch stellen müssen. Wir
dürfen nicht nur auf die Regierung zeigen und nicht nur
auf die Dienste zeigen. Wir müssen uns auch die Frage
stellen: Wie erreichen wir als deutsches Parlament, als
Deutscher Bundestag, bei den amerikanischen und britischen Kollegen einen Bewusstseinswandel?
({8})
Offenkundig ist es doch so, dass deren Grundverständnis von Terrorismusbekämpfung und Nachrichtendiensten
und das Verständnis, das wir haben, weit auseinander liegen. Deshalb wären wir aufgefordert, zuallererst über
unsere Gremien mit den amerikanischen Kollegen im
Kongress und im Senat zu reden und da für unsere Positionen zu werben; das ist unsere Aufgabe.
({9})
Auch dazu kein Ton von Ihnen!
({10})
Das No-Spy-Abkommen ist nicht so weit, wie wir es
gerne hätten. Es ist in einer Sackgasse;
({11})
das ist völlig zutreffend. Aber ich halte nichts davon,
jetzt zu sagen: Wir brechen die Verhandlungen ab. - Damit wäre nichts gewonnen.
Es ist auch fragwürdig, ob wir mit Drohungen etwas
erreichen.
({12})
Ich glaube nicht, dass wir damit sehr viel weiter kommen. Wovon ich aber gar nichts halte, ist, ausgerechnet
solche Abkommen auszusetzen, bei denen, wie uns ein
EU-Kommissar und ein Beauftragter der EU sagen, die
Datenschutzregeln von den Amerikanern eingehalten
werden.
({13})
Bei den Passagierdaten und bei SWIFT wird der Datenschutz so gehandhabt, wie es unserem Verständnis entspricht. Was bringt es, solche Abkommen auszusetzen,
aber bei dem anderen Treiben zuzuschauen? Das wäre
doch der völlig falsche Ansatz. Konzentrieren wir uns
auf das Problem! Es muss unser vorrangiges Ziel sein,
den Schutz der Kommunikation im Internet zu gewährleisten, vielleicht auch die Punkte zu benennen, bei denen wir gar nicht in der Lage sind, die Kommunikation
zu schützen. Wir müssen hier all das tun, was wir tun
können; dazu gehören technischer Schutz, dezentrale
Netze, europäische Cloud, bessere Zusammenarbeit mit
der Wirtschaft.
Wir müssen bei der amerikanischen Seite aber auch
dafür werben, dass diese Art und Weise mit unserem
Verständnis von Bürgerrechten und Datenschutz nicht
übereinstimmt.
Wir brauchen die Zusammenarbeit der Dienste. Wer
diese aufgibt, gefährdet die Sicherheit unseres Landes.
({14})
Aber die Zusammenarbeit muss innerhalb eines klaren
gesetzlichen Rahmens erfolgen. Es muss rote Linien geben, die nicht überschritten werden dürfen, und darauf
müssen sich auch ein amerikanischer Geheimdienst und
ein britischer verpflichten lassen. Das muss unser Ziel
sein, diese Position müssen wir erreichen. Dann ist Zusammenarbeit möglich. Anders wird es sehr, sehr schwierig.
Wir müssen in der Debatte immer wieder darauf hinweisen, dass wir ein anderes Grundverständnis haben,
dass personenbezogene Daten bei uns nur bei Verdacht
erhoben und ausgewertet werden dürfen, dass bei uns ein
Richtervorbehalt gilt, dass bei uns nicht pauschal alle
Daten aus der Cloud gezogen werden dürfen in der Hoffnung, wir werden einen Verdacht schon finden. Das entspricht nicht unserem Verständnis.
Deshalb ist es unsere Position, um Verständnis dafür
zu werben, dass wir nur dort miteinander arbeiten können, wo beide Seiten bereit sind, Regeln zu akzeptieren,
wo beide Seiten den gleichen Rahmen haben, wo geklärt
ist, wo die roten Linien sind: dass Partner einander nicht
ausspionieren - bis hin zu den Feldern, die hier kritisiert
wurden. Das ist unsere Aufgabe als Parlament: mit den
amerikanischen Kollegen zu sprechen.
({15})
Wir müssen das, was wir tun können, tun, um die Kommunikation im Internet zu schützen. Wir werden dabei
an Grenzen kommen; denn man kann im Netz nicht alles
schützen, das geht gar nicht. Dennoch bleibt das unsere
Aufgabe. - In dieser Debatte kann man nicht abwechselnd fragen und antworten; aber ich antworte nachher
gerne bilateral auf Fragen. - Das sind unsere Aufgaben.
Nur so wird es gelingen, Vertrauen zurückzugewinnen,
was notwendig ist, damit die Bürger in unserem Land sicher sein können, dass dieses Parlament und diese Regierung alles Mögliche tun, um die Kommunikation im
Netz zu schützen, ohne dabei die Zusammenarbeit und
die Sicherheit dort, wo sie notwendig sind, zu gefährden.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wir kriegen nichts“, hat ein mit dem Stand der Verhandlungen vertrauter Experte der Süddeutschen Zeitung
gesagt. Nichts, das ist nicht besonders viel, aber es ist
genau so viel, wie wir erwartet haben. Wer ein Antispionageabkommen von Spionen verhandeln lässt, der muss
sich über ein solches Ergebnis nicht wundern.
({0})
Ausgerechnet NSA-Chef Alexander und BND-Chef
Schindler sollen eine Beschränkung der Spitzelei verabreden. Allein die Idee ist absurd.
({1})
Es wäre die Aufgabe von Regierungen, verbindlich
- rechtsverbindlich - auszuschließen, dass man einander
bzw. seine Bürger ohne Verdacht abhört. Schlimm ist
- da hat Herr Hartmann völlig recht -, dass es überhaupt
nötig geworden ist, dies auszuschließen.
({2})
Nun, da man auf die Nase zu fallen droht, passiert was?
Herr Krings ist unzufrieden. Vielleicht gibt es einen bösen Blick, wenn die Bundeskanzlerin in Washington ist,
vielleicht sagt sie: Wir finden, unter Partnern gehört sich
so etwas nicht. - Da wird das Weiße Haus zittern.
({3})
Ein Gutes hätte ein Scheitern der Verhandlungen über
ein solches Abkommen: Immerhin würde uns die USRegierung dann nicht mehr anlügen. Sie würde ehrlich
sagen, dass sie auch weiterhin großflächig spionieren
wird, bei der Kanzlerin bis hin zu Jugendlichen.
So etwas kann die Bundesregierung doch nicht hinnehmen! Man kann sich sicherlich darüber streiten, wie
viel ein No-Spy-Abkommen überhaupt bringen wird;
aber wenn wir sagen, dass wir Freunde sind, dann müssen wir uns auch wie Freunde benehmen. Was würden
wir mit einem Freund machen, der, nachdem wir ihn in
unserem Wohnzimmer beim Schnüffeln in unseren
E-Mails erwischt haben, sagt, dass er nicht garantieren
kann, dass er das auch nicht wieder tut? Wir würden ihn
wahrscheinlich aus der Wohnung werfen und unsere
Freundschaft für beendet erklären. Nun sind Staaten und
Regierungen keine Freunde; aber auch da müssen mindestens die Regeln des Anstands gewahrt bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war schön
dumm, sich auf rein deutsch-amerikanische Verhandlungen überhaupt einzulassen. Herr von Notz hat darauf
hingewiesen - ich stimme ihm da ausdrücklich zu -,
dass ein belastbares No-Spy-Abkommen europäischamerikanisch sein muss. Nicht nur Frau Merkel und Millionen in Deutschland lebende Menschen sind betroffen,
Betroffene gibt es auch in Frankreich, auch in Spanien,
ja sogar im Vatikan. Großbritannien hat beim Schnüffeln
sogar mitgemacht.
({4})
Wir Linke sind ja bekanntlich eine proeuropäische Partei, und deswegen denken wir nicht nur nationalegoistisch an Deutschland.
({5})
Europäische Datenschutzstandards und Bürgerrechte
sind an den jeweiligen nationalen Interessenlagen der
Regierungen - das sage ich hier einmal den Vertretern
der Regierung - gescheitert. Es geht nicht einfach um
Überschriften, sondern um konkretes europäisches Handeln, und da patzen Sie.
({6})
Wir brauchen endlich einen europäischen Bürgerrechtsraum. Dieser muss Grundlage für eine gemeinsame Reaktion gegenüber der US-Regierung sein. Natürlich sind 500 Millionen Menschen in 28 Staaten
stärker als nur die Bundesregierung, wenn es darum
geht, den USA entgegenzutreten. Die Nachjustierung
oder bilaterale Abkommen, über die man hier spricht,
nützen am Ende nur den Geheimdiensten auf beiden
Kontinenten.
Ich will Herrn Krings in einem Punkt aber auch recht
geben: Auch in den USA sind viele Menschen nicht
mehr mit der grenzenlosen Schnüffelei einverstanden.
Um die beiden prominentesten Beispiele zu nennen:
Chelsea Manning sitzt im Knast, und Edward Snowden
muss sich in Moskau verstecken. Hier könnte die
Merkel/Gabriel-Bundesregierung real handeln, indem
sie sich für einen sicheren Aufenthalt von Snowden hier
in Deutschland einsetzen würde. Das wäre die richtige
Antwort.
({7})
Aber auch Hollywoodstars wie Oliver Stone, John
Cusack, Maggy Gyllenhaal und andere haben sich unter
der Überschrift „Stop Watching Us“ zu Wort gemeldet,
und viele weitere Bürgerinnen und Bürger der USA sagen Nein. „The Day We Fight Back“ heißt die Netzkampagne gegen die NSA-Überwachung. Am 11. Februar
2014 soll Druck auf den US-Kongress ausgeübt werden,
die Rechte der Geheimdienste zu beschneiden, und auch
im Kongress selbst - Herr Krings hat darauf hingewiesen - ist das, was die Geheimdienste treiben, vielen Abgeordneten inzwischen zu viel.
Es gibt kein Problem zwischen unseren Ländern, sondern es gibt ein Problem mit einer inakzeptablen Politik
der US-Regierung und mit der Unfähigkeit unserer Regierung, angemessen darauf zu reagieren. Deshalb, Herr
Binninger, haben wir auch so viel über die Bundesregierung gesprochen.
({8})
Mit all jenen in den USA, die Nein sagen, mit den
Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen, arbeiten
wir gern und weiterhin zusammen. Diese Atlantikbrücke
zwischen Amerika und uns steht und ist stabil.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage
es ganz deutlich: Die Meldung, die wir alle in diesen Tagen lesen konnten, dass die USA möglicherweise nicht
bereit sind, ein Antispionageabkommen abzuschließen,
beunruhigt mich mindestens genauso wie der gesamte
Abhörskandal, der uns seit Monaten beinahe im Wochentakt beschäftigt und immer neue Ungeheuerlichkeiten beschert. Ja, die USA sind unser wichtigster Bündnispartner, aber Bündnispartner und Freunde behandelt
man eben nicht wie Gegner.
({0})
Wir stellen jetzt seit Monaten nicht nur von deutscher,
sondern auch von europäischer Seite berechtigte Fragen
an unsere amerikanischen Freunde, und unter Freunden
sollten eigentlich auch Antworten auf diese Fragen möglich, ja sogar selbstverständlich sein. Es ist beunruhigend, demütigend und vollkommen inakzeptabel, dass
wir seit Monaten keine belastbaren Antworten auf unsere berechtigten Fragen bekommen.
Im Übrigen: Wir sind ja nicht nur enge Bündnispartner und Freunde, sondern wir teilen auch das gleiche
Wertefundament. Freiheit, Demokratie, die Wahrung
von Grund- und Menschenrechten, die Herrschaft des
Rechts, all das verbindet uns. Deshalb sagen wir auch
ganz deutlich: Die Überwachung von Millionen Bürgerinnen und Bürgern, das Aufbrechen von Privatsphäre
und die Unterwanderung von Telekommunikation und
Internet darf ein freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat nicht hinnehmen. Das gilt in Deutschland genauso
wie in den USA.
({1})
Dieser Rechtsstaat und diese Demokratie würden zur
Fassade verkommen, wenn Grundrechte millionenfach
verletzt werden und die Politik einfach tatenlos zusehen
würde. Das Mindeste, was freiheitliche Demokratien ihren Bürgern zusichern müssen, ist die Wahrung von
Grund- und Freiheitsrechten.
Meine Damen und Herren, Politik wird technische
Möglichkeiten nicht stoppen können. Aber diesen Möglichkeiten Grenzen setzen, gerade zur Wahrung von
Grund- und Freiheitsrechten, das können wir. Dafür trägt
Politik und übrigens niemand sonst die Verantwortung.
Das gilt wiederum genauso hier in Deutschland wie in
ganz Europa und eben auch in den USA.
Wenn wir insoweit immer wieder auf den Abschluss
eines Antispionageabkommens drängen, dann geht es
hierbei nicht um eine Sonderbehandlung für Deutschland, sondern es geht um einen ersten, aber auch notwendigen Schritt, dass Politik dieser Verantwortung gerecht
wird, hier in Deutschland, aber eben auch in den USA.
Es sind Grenzen überschritten worden, die ein
Rechtsstaat niemals überschreiten darf. Das beunruhigt
uns. Aber es soll uns auch nicht ohnmächtig werden lassen. Deshalb werden wir uns weiter für ein Antispionageabkommen einsetzen - mit Nachdruck und mit notfalls sehr langem Atem.
Recht herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Danke. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unmittelbar vor dieser Debatte habe ich hier
draußen in der Lobby mit einem Abgeordnetenkollegen
aus Island gesprochen. Er ist hierher nach Deutschland
gekommen, um sich bei mir zu erkundigen: Was machen
denn jetzt die Deutschen gegen die NSA-Ausspähung? Das beschäftigt offenbar nicht nur die Deutschen, sondern auch das Parlament in Island.
Nach meinem Besuch bei Snowden haben sich inzwischen bei mir Abgeordnete - zum Teil waren sie schon
hier - aus sieben westeuropäischen Ländern gemeldet
und haben gesagt: Wir müssen doch zusammenarbeiten. Ein Senator aus Italien war dabei, mehrere Abgeordnete
aus England waren dabei, ein Abgeordneter aus Österreich war dabei. Das zeigt doch: Das, was wir hier haben, ist ein europäisches Problem. Ganz Europa, die
Völker und die Parlamente in Europa fühlen sich durch
die NSA bedroht, die von den USA aus oder auch hier
und wo auch immer in der Welt die Daten der Bevölkerung Europas abziehen, verwerten und speichern. Das ist
ein europäisches Problem, und das muss auch europäisch gelöst werden.
({0})
Ich fand es nett, als ich heute Morgen im Radio gehört
habe, dass die Kanzlerin gestern in der Unionsfraktion
offenbar berichtet hat und gesagt hat, die Verhandlungen
gingen weiter und sie sei noch guten Mutes. So habe ich
das jedenfalls gehört, ich war ja nicht dabei.
({1})
Ich fände es noch netter, wenn die Bundeskanzlerin hier
in diesem Saal endlich einmal zu dieser Affäre und dazu,
was sie tun will, Stellung nehmen würde.
({2})
Das hat sie beim letzten Mal nicht getan; da saß sie
noch hier; dieses Mal ist sie gar nicht hier.
({3})
Herr Kollege Binninger, sie soll mir erklären,
({4})
ob es wahr ist, dass die NSA der Bundesregierung im
August vergangenen Jahres angeboten hat, ein No-SpyAbkommen abzuschließen. So hat nämlich die Bundesregierung auf eine Anfrage der SPD-Fraktion am
14. August letzten Jahres geantwortet. Stimmt das? Darin stehen sogar die einzelnen Konditionen, unter denen
die NSA dazu bereit sein soll. Stimmt es, was Herr
Pofalla gesagt hat, dass die NSA sich auch an ihn gewandt hat und gesagt hat, sie seien zu einem Abkommen
bereit, und dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mit
dem französischen Präsidenten Hollande am 24. Oktober
2013 vereinbart hat, dass man bis zum Ende des Jahres
2013 ein Agreement mit den USA erreichen wolle? Das
will ich von der Kanzlerin hören, nicht von Ihnen; Sie
wissen das auch nicht. Die Bundesregierung muss hier
her.
({5})
Die Kollegen Krings und Binninger haben zu Recht
darauf hingewiesen - ich glaube, Herr Hartmann hat es
auch getan -, dass wir bis heute überhaupt nicht informiert sind. Es gibt seit Juni vergangenen Jahres, also seit
mehr als einem halben Jahr, Fragenkataloge zur NSA,
aber auch zum britischen Geheimdienst, die von der
Bundesregierung verschickt worden sind, die aber bis
heute nicht beantwortet sind. Eine einzige Frage ist beantwortet worden. Das stellen Sie nun fest, schütteln den
Kopf und sagen: Kritisiert doch einmal die NSA! - Das
tue ich fürwahr. Aber was tun Sie, damit sich das ändert?
({6})
Herr Binninger, wir haben uns im Parlamentarischen
Kontrollgremium, über dessen Beratungen ich nicht
sprechen darf, mehrfach über diese Fragen unterhalten.
Sie können etwas tun.
({7})
Sie können Herrn Snowden mit einem Beschluss des
Deutschen Bundestages dazu verhelfen, dass er hierherkommt und uns die Informationen gibt, die die NSA selber nicht bereit ist zu geben.
({8})
Stimmen Sie zu, dass er hierherkommen kann und einen sicheren Aufenthalt hat! Er hat mir gesagt, dass er
dann hierherkommen wird. Deshalb diskutieren wir hier.
Wir müssen einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages möglichst schnell auf den Weg bringen. Die Zeit läuft davon. Wir müssen im Februar einen
entsprechenden Beschluss fassen, und wir brauchen den
einzigen Zeugen, den ich zurzeit weltweit sehe, der vor
einem Untersuchungsausschuss aussagen kann und will.
Den müssen wir hierherholen.
({9})
Sie alle müssen doch genauso wie ich davon ausgehen - vor allen Dingen nach den letzten Nachrichten aus
Washington -, dass die Spioniererei, während wir hier
diskutieren oder Sie hier mit Ihrem Handy spielen oder
wenn Sie in Ihrem Büro sind, weitergeht. Wenn die sagen: „Wir werden mit euch kein No-Spy-Abkommen abschließen“, dann heißt das doch, sie machen das weiter.
Sonst könnten sie doch ein solches Abkommen abschließen.
Das heißt: Wir und die ganze deutsche Bevölkerung
sind vielleicht nicht so wichtig; auch das Handy der
Kanzlerin ist vielleicht nicht das Entscheidende. Vielmehr müssen Millionen deutsche Bundesbürger - wir
wissen nicht, wie viele, ob 10 Millionen, 50 Millionen
oder 80 Millionen - damit rechnen, dass derzeit ihr gesamter Onlineverkehr, ihre Handytelefonate und die von
ihnen verschickten SMS von der NSA weiter registriert
werden.
Deshalb sage ich: Verhandlungen, ja! Es muss weiter
verhandelt werden. Dafür muss Druck hergestellt werden.
Kollege Ströbele!
Herr Kollege Binninger, auch darüber haben wir uns
sogar schon verständigt: Wir, das deutsche Parlament,
müssen möglichst schnell in die USA fahren oder die
Kollegen im Kongress hierher einladen, um mit ihnen
möglichst zu einer gemeinsamen Linie zu kommen.
Kollege Ströbele, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wir müssen Verständnis füreinander suchen. So wie
ich es in England gemacht habe, müssen wir es auch in
den USA machen.
Kollege Ströbele.
Entschuldigung! - Letzer Satz: Sie, Herr GrosseBrömer, haben das angekündigt. Inzwischen sind Monate vergangen. Haben Sie etwas gemacht, dass das Realität wird? Das hätte ich von Ihnen erwartet, und das
möchte ich von Ihnen wissen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Irritationen in Deutschland
über das enorme Ausmaß der Abhörmaßnahmen ausländischer und offenbar auch westlicher Nachrichtendienste
in unserem Land waren und sind zu Recht und verständlicherweise groß. Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen
in einem Punkt völlig recht: Es gilt auch weiterhin, unsererseits den Finger dahin gehend in die Wunde zu legen,
dass die Auskunfts- und auch die Aufklärungsbereitschaft insbesondere der USA, aber auch Großbritanniens
bislang unzureichend ist und so nicht hingenommen
werden kann.
({0})
Herr Kollege Ströbele, ich finde es aber nicht fair und
auch nicht kollegial, wenn Sie wegen der Abwesenheit
der Bundeskanzlerin heute unterstellen, die Bundeskanzlerin würde sich bei diesem wichtigen Thema wegducken. Sie wissen ganz genau, warum die Bundeskanzlerin heute nicht anwesend sein kann. Das ist wirklich
nicht fair.
({1})
Es waren nämlich die Bundeskanzlerin und die vorige
Bundesregierung, die nach den Enthüllungen über das
Ausmaß der Abhörmaßnahmen umgehend mit einem
Acht-Punkte-Katalog gehandelt haben. Schon unter der
früheren christlich-liberalen Koalition wurde damit begonnen, diesen Acht-Punkte-Katalog abzuarbeiten. Ich
persönlich finde es sehr gut, dass auch die neue Große
Koalition bzw. die neue Bundesregierung es sich zur
Aufgabe gemacht haben, diesen Acht-Punkte-Plan weiter voranzutreiben und abzuarbeiten.
({2})
Natürlich wäre ein rechtsverbindliches Abkommen
mit den USA wünschenswert, das zum Inhalt hat, dass
wir uns gegenseitig nicht ausspionieren. Ich sage aber
auch ganz offen: Wir dürfen dieses sogenannte No-SpyAbkommen, insbesondere was dessen Bedeutung angeht, nicht überbewerten.
({3})
Dieses Abkommen ist vor allem in atmosphärischer Hinsicht notwendig. Es ist wichtig, dass sich beide Seiten
klar dazu bekennen, dass sie sich gegenseitig nicht ausspionieren. Es gibt klare Zusagen, die die US-Administration verschiedenen Stellen der Bundesregierung gegeben hat. Ich erwarte, dass diese Zusagen eingehalten
werden. Das Zustandekommen eines No-Spy-Abkommens ist aus meiner Sicht vor allem deshalb erforderlich
und wünschenswert, weil damit in atmosphärischer Hinsicht dazu beigetragen wird, verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen.
Ich glaube nicht, dass wir mit der heutigen Aktuellen
Stunde dazu beitragen, dass die Verhandlungen erfolgreich verlaufen. Schließlich verhandeln Geheimdienste.
({4})
Lieber Herr Kollege Liebich, es ist richtig, dass diejenigen verhandeln, die in der Sache Bescheid wissen. Es
liegt in der Natur der Sache, dass über ein No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und dass man über
diese Verhandlungen den Basar der Öffentlichkeit nicht
zu sehr informiert. Ich bin nach wie vor zuversichtlich,
dass diese Verhandlungen ordentlich vorangetrieben
werden und - hoffentlich - zu einem erfolgreichen Abschluss kommen.
Ich möchte deutlich darauf hinweisen, dass dieses
No-Spy-Abkommen nur ein Bestandteil in einem großen
Instrumentenkasten sein kann, um zukünftig dafür zu
sorgen, dass unsere IT-Infrastruktur sicherer wird und
dass sowohl Privatpersonen als auch die Wirtschaft und
die Behörden effektiver davor geschützt werden, ausgespäht zu werden. Deshalb ist es richtig, dass die neue
Bundesregierung klargemacht hat, dass unser Bestreben
ist, alsbald ein IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass kritische Infrastrukturen effektiver geschützt werden. Dafür müssen wir in
Deutschland einheitliche Sicherheitsstandards setzen.
Wir müssen uns aber auch ganz unumwunden eingestehen, dass wir seitens des Bundes mehr Geld für den
Schutz unserer IT-Sicherheit ausgeben müssen. Nicht
nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat ist gefordert
und muss mehr Geld ausgeben. Ich glaube, es ist erforderlich, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik aufzuwerten, sowohl personell als auch finanziell.
Stephan Mayer ({5})
Ich sehe aber auch die EU-Kommission in der Pflicht.
Wichtiger als dieses No-Spy-Abkommen ist aus meiner
Sicht, das sogenannte Safe-Harbor-Abkommen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Das Safe-HarborAbkommen gewährleistet einen massenhaften Datenaustausch zwischen Europa und den USA. Es liegt insbesondere in der Verantwortung der EU-Kommission,
dieses Abkommen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und entsprechend nachzuverhandeln.
Ich finde es gut, dass sich die neue Koalition im Koalitionsvertrag darauf verständig hat, die Spionageabwehr zu stärken, insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz.
({6})
Überfällig ist die Einführung einer Pflicht, der Europäischen Union Unternehmen zu melden, die Daten ohne
Einwilligung ihrer Kundinnen und Kunden an Behörden
in Drittstaaten übermitteln. Eine solche Meldepflicht gehört auch zum Safe-Harbor-Abkommen.
Ich komme zum Schluss. Wir sind in der Verantwortung, allen Bürgerinnen und Bürgern klarzumachen, dass
es hundertprozentige Sicherheit beim Telefonieren und
beim E-Mail-Verkehr nicht gibt. Jeder Bürger ist selbst
in der Verantwortung, sich entsprechend zu schützen.
Was den Bereich der Wirtschaft angeht, ist mehr finanzieller Aufwand erforderlich. Ich wiederhole: Jeder Bürger ist selbst in der Verantwortung, Schutz zu betreiben
und zur Sicherheit seiner personenbezogenen Daten beizutragen.
Lassen Sie uns die Verhandlungen über das No-SpyAbkommen in aller Ruhe fortführen. Ich bin nach wie
vor zuversichtlich, dass es hier zu einem erfolgreichen
Abschluss kommt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Der Kollege Lars Klingbeil hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich will damit beginnen, dass ich mich bei der
Linkspartei bedanke, dass wir diese Debatte führen können.
({0})
Der Kollege von Notz hat vorhin gesagt, ein Dreivierteljahr nach Beginn der NSA-Affäre hätten wir als Parlament eigentlich noch viel zu wenig darüber geredet. Das
hatte sicherlich auch mit den Wahlen und der Konstituierung des Parlaments danach zu tun. Aber ich glaube
- das habe ich auch in meiner letzten Rede gesagt -, dass
es in der Tat eine riesige Aufgabe ist, die vor dem gesamten Parlament liegt, nämlich mit dem NSA-Skandal
umzugehen, Vertrauen wiederherzustellen oder zumindest daran zu arbeiten, dass Vertrauen wiederhergestellt
werden kann, aber auch, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob wir als nationales Parlament noch ausreichend
handlungsfähig sind oder ob es nicht viel stärker um die
europäische und internationale Ebene gehen muss. Dazu
haben wir gemeinsam, egal ob Regierung oder Oppositionsfraktionen, ganz viele Fragen zu beantworten. Deswegen wünsche ich mir auch, dass wir an manchen Stellen viel sachlicher über dieses Thema diskutieren.
Ich will Ihnen aber auch sagen, dass das Ausmaß an
Enthüllungen, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, manches Mal meine Vorstellungskraft gesprengt
hat. Wir haben erlebt, dass Geheimdienste anscheinend
völlig aus dem Ruder gelaufen sind, dass sie autonom
gehandelt haben, dass Dinge geschehen sind, die sich
völlig der politischen Kontrolle entzogen haben. Ich
sage Ihnen ganz klar: Das muss ein Ende haben. Es muss
endlich wieder ein Primat der Politik über das Handeln
der Geheimdienste geben.
({1})
Als Parlamentarier und überzeugter Transatlantiker
ist das eine Situation, die schwer zu ertragen ist. Wir
warten hier in Deutschland seit Monaten auf die Beantwortung von Fragenkatalogen, die noch die alte Bundesregierung abgeschickt hat. Es geht um Antworten, die
den Umfang der weltweiten Kommunikationsüberwachung durch britische und amerikanische Geheimdienste
deutlich machen sollten. Wir hatten viele Fragen und haben diese immer noch. Jetzt erleben wir gerade in diesen
Tagen - das besagen aktuelle Meldungen -, dass der
Wille zu einer ernsthaften Kooperation anscheinend
nicht so stark ist, wie wir uns das wünschen.
Ich sage Ihnen: Freundschaft braucht dann auch klare
Worte. Freundschaft kann nicht bedeuten, dass die einen
machen können, was sie wollen, und die anderen alles zu
akzeptieren haben.
({2})
Es ist deswegen richtig, dass wir über Instrumente reden,
es ist richtig, dass wir über SWIFT und Safe Harbor
sprechen. Ich habe heute gelesen, dass der Kollege
Mißfelder in seiner neuen Funktion auch die Frage des
Freihandelsabkommens angesprochen hat. Es ist richtig,
dass wir über alle diese Instrumente reden und den Amerikanern deutlich machen: Wenn ihr nicht mit uns reden
wollt, dann haben auch wir an vielen Stellen keinen Gesprächsbedarf. Wir wollen mit den Amerikanern kritisch
über unsere Baustellen reden; Freundschaft bedeutet,
dass beide Seiten handeln und sich beide Seiten vernünftig verhalten.
({3})
Ich bin mir sicher: Die Bundeskanzlerin wird bei ihrem USA-Besuch auch deutliche Worte gegenüber dem
amerikanischen Präsidenten finden.
({4})
Sie wird dafür werben, dass dieses Abkommen kommt.
Sie wird das in aller Deutlichkeit tun. Davon bin ich fest
überzeugt. Aber noch einmal: Auch als Bundestag haben
wir eine Aufgabe. Es ist Vertrauen zerstört worden,
Vertrauen in Politik, Vertrauen in Bündnisse, in Institutionen, in Unternehmen, aber auch in Technik und
Kommunikationsinfrastruktur. Es ist unsere Aufgabe als
Parlament, Vertrauen wiederherzustellen. Der Untersuchungsausschuss ist verschiedentlich angesprochen worden. Ich gehe davon aus, dass er kommt und dass dieser
Untersuchungsausschuss eine wichtige Arbeit leisten
und eine gemeinsame Kraftanstrengung sein kann, um
Vertrauen wiederherzustellen.
Die Koalitionsfraktionen haben im Koalitionsvertrag
Vereinbarungen getroffen. Darauf ist verschiedentlich
hingewiesen worden. Der Schutz der Bürgerinnen und
Bürger ist ganz zentral. Wir wollen ein belastbares Antispionageabkommen. Ich sage Ihnen: Das muss wirklich
belastbar und verbindlich sein. Es darf kein Stillhalteabkommen zwischen Geheimdiensten sein, sondern es
muss ein Abkommen sein, das auch den Schutz der Bürgerinnen und Bürger verbindlich politisch sichert. Das
Ganze muss politisch untermauert sein.
({5})
Wir als Parlament dürfen nicht akzeptieren, dass das
Handy der Kanzlerin abgehört wird, und wir dürfen
nicht akzeptieren, dass Kommunikation und Handys von
Regierungsmitgliedern abgehört werden. Wir als deutsches Parlament müssen auch dafür sorgen, dass nicht
rechtswidrig Daten aller Bürgerinnen und Bürger hier in
Deutschland abgehört, gesammelt und ausgewertet werden. Das ist unsere Verantwortung, die wir als Parlament
insgesamt haben.
({6})
Das Antispionageabkommen muss kommen. Aber
das ist kein Punkt, auf dem wir uns ausruhen können. Es
geht um viele andere Dinge. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag geregelt. Es geht um die Frage der IT-Sicherheit; hier werden wir Maßnahmen ergreifen. Dabei
geht es nicht um IT-Nationalismus, aber wenn wir eine
ehrliche Bestandsaufnahme machen, dann sehen wir,
dass wir an vielen Stellen von amerikanischer oder asiatischer Hard- und Software abhängig sind. Hier bedarf es
eigener Initiativen im Bereich der Forschung und Entwicklung. Diese will die neue Regierung stärken. Es
wird eine IT-Sicherheitsinfrastruktur aufgebaut werden,
und wir werden gemeinsam auch dafür sorgen, dass es
im Bereich der Verschlüsselungstechnologien zu Entwicklungen kommt. Das wollen wir als neue Regierung
stärken.
Lassen Sie mich zuletzt sagen: Sie wissen, dass ich
persönlich, dass meine Fraktion mit dem, was unter
Schwarz-Gelb an Aufklärung passiert ist, nicht zufrieden waren. Aber wir haben jetzt neue handelnde Personen in dieser Regierung: Frank Steinmeier, Thomas de
Maizière, Peter Altmaier. Sie alle sind jetzt in neuen
Funktionen. Ich glaube, dass es Zeit für eine neue Politik
ist, wenn es darum geht, die NSA-Affäre aufzuklären.
Ich habe ein großes Vertrauen, dass diese Bundesregierung das zustande bringt. Geben wir ihr die notwendige
Zeit. Aber zu lange darf es nicht dauern.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({7})
Der Kollege Manfred Grund hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Freiheit und Sicherheit stehen in einem besonderen Spannungsverhältnis. „Der Preis der Freiheit ist
stetige Wachsamkeit.“ Dies ist ein Zitat, das nicht von
irgendeinem Sicherheitsdienst kommt, sondern das
Thomas Jefferson zugeschrieben wird, eigentlich dem
Vater der modernen Tradition der Grund- und Freiheitsrechte. Unser Grundgesetz steht in dieser Tradition. Freiheit ist ein hohes Gut. Sie ist eigentlich das höchste Gut
unserer Verfassung. Bewusst bildet der Katalog der Freiheitsrechte den Anfang des Grundgesetzes.
Aber: Diese Freiheitsrechte müssen auch geschützt
werden, etwa gegen einen übermächtig werdenden
Überwachungsstaat, weil das Streben nach absoluter
Sicherheit zu Tyrannei und zu Unfreiheit führt. Um es
noch einmal mit einem Amerikaner zu sagen, mit
Benjamin Franklin: Wer seine Freiheit für seine Sicherheit aufgibt, wird weder Freiheit noch Sicherheit erlangen.
Aber - noch einmal -: Freiheit muss verteidigt werden. Unsere freiheitliche Werteordnung hat entschiedene
Gegner. Unsere Freiheit ist nicht in erster Linie durch
amerikanische Nachrichtendienste bedroht. Schon gar
nicht haben wir Anlass, allen Nachrichtendiensten - das
war Gott sei Dank auch nicht Tenor der heutigen Debatte - pauschal zu misstrauen. Unsere deutschen Nachrichtendienste leisten einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit unserer Bürger im In- wie auch im Ausland.
Wir dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechseln:
Unsere Sicherheit wird zunehmend von zwei anderen
Entwicklungen bedroht:
Erstens. Bedrohungen gehen zunehmend von Extremisten aus, die aus ideologischen Gründen heraus Gegner der Freiheit sind, die aus dem Verborgenen heraus
agieren und angreifen. Unser wirksamstes - gelegentlich
fast einziges - Mittel gegen diese Bedrohungen ist nachrichtendienstliche Aufklärung.
Zweitens. Mit der modernen Mobilität und der modernen Vernetzung werden solche Bedrohungen zunehmend globaler. Was heute in Waziristan oder auch in Syrien vor sich geht, kann uns morgen direkt zu Hause
betreffen. Diese Globalisierung der Bedrohungen effektiv zu verfolgen, übersteigt die Fähigkeiten nationaler
Nachrichtendienste.
({0})
Auch wenn wir andere Regeln für den Umgang mit unseren Partnern anstreben, bleiben wir auf den Austausch
gerade mit den großen amerikanischen Diensten angewiesen. Wir haben - noch - keinen Ersatz dafür.
Denn egal ob als Tourist, als Handelsreisender, als
Geschäftsmann, als Entwicklungshelfer oder als Soldat,
Deutsche sind heute in jedem Land der Welt unterwegs.
Unsere Bürger sind dabei nicht nur terroristischen, sondern zunehmend auch kriminellen Herausforderungen
ausgesetzt. So gab es seit dem Jahre 2000 mehr als
90 Entführungen deutscher Bürger im Ausland.
Im Jahr 2000 wurde die Familie Wallert in Malaysia
entführt und schließlich auf den Philippinen befreit.
2003 wurden 16 deutsche Touristen in Algerien entführt.
15 konnten gerettet werden. Eine deutsche Frau ist während der Entführung umgekommen. 2005 wurden eine
Frau im Irak und eine deutsche Familie im Jemen entführt. Im Jahr 2007 sind eine deutsche Staatsangehörige
und ihr Sohn im Irak entführt worden. Hier ist nur die
Befreiung der Mutter gelungen. Ebenfalls 2007 wurden
zwei deutsche Staatsangehörige in Afghanistan entführt.
Einer konnte befreit werden; der andere wurde von den
Entführern getötet. 2012 wurden unter anderem vier
deutsche Staatsangehörige in Äthiopien entführt. Zwei
konnten gerettet werden, die übrigen wurden von den
Entführern getötet. Und zuletzt: die Entführung von drei
Mitarbeitern der „Grünhelme“ in Syrien, die alle wieder
freigekommen sind. Aufgrund ihres Einsatzes haben wir
Anlass, den deutschen Diensten, aber auch den ausländischen Partnern für ihre Unterstützung zu danken.
Besonders in Afghanistan hat der enge Austausch
zwischen westlichen Nachrichtendiensten unmittelbar
zum Schutz unserer Soldaten und Bürger beigetragen.
Machen wir uns keine Illusionen: Wer diese Zusammenarbeit mit verbündeten Nachrichtendiensten grundsätzlich infrage stellt, riskiert das Leben deutscher Staatsbürger.
({1})
Unsere Bürger können sich in der Regel sicher fühlen
- ob sie ins Ausland reisen, in ein Flugzeug steigen, mit
dem Zug fahren. Das ist auch ein Ergebnis dieser nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit internationalen
Partnern.
Wir haben gute Gründe, in Washington und auch in
London auf einen anderen Umgang miteinander zu drängen. Aber ich plädiere für weniger Aufgeregtheit und für
ein Abwägen unserer Interessen. Lassen Sie es mich mit
Bezug auf Charles de Gaulle sagen: Es sind nicht nur
Freundschaften; es sind auch oder gerade Interessen, die
unserer Zusammenarbeit mit amerikanischen Partnern
zugrunde liegen. Wir sollten diese unsere Interessen
nüchtern betrachten und beurteilen, und wir sollten mit
Jefferson bedenken: Der Preis der Freiheit ist auch stetige Wachsamkeit.
Vielen Dank.
({2})
Der Kollege Armin Schuster hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es wäre jetzt nicht besonders originell,
wenn ich gerade hier im Parlament sagen würde: Mir
fehlen die Worte.
({0})
Aber dieses „Ich bin sprachlos“ beschreibt vielleicht ein
wenig das Gefühl mancher Landsleute von uns angesichts dessen, was wir in dieser Geschichte erleben.
Wir sprechen von einer tiefen deutsch-amerikanischen Freundschaft. Ich finde gut, Herr Klingbeil, was
Sie gesagt haben: Diese Freundschaft verlangt auch nach
kraftvollen Worten, wo es notwendig ist.
({1})
Der Vertrauensbruch ist erheblich, und unter Freunden
schafft man so etwas eigentlich schnell und konsequent
aus der Welt.
Symbolische Gesten reichen uns nicht aus. Das ist,
glaube ich, das, was man im Moment anbietet. Es stellt
sich nämlich die ernsthafte Frage, wenn wir es bei Symbolik belassen würden, wie wir uns künftig vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Partnern in einem
Bündnis vorzustellen haben. Wie wir Deutsche uns das
seit Jahrzehnten vorstellen, kann ich ganz leicht beschreiben, etwa beim Thema Spionage: In Pullach und
Köln sucht man vergeblich nach Referaten, Abteilungen
oder Operationen gegen unsere Freunde.
({2})
Das ist das, wie Deutschland sich Auslandsaufklärung
und Spionageabwehr vorstellt - unter Freunden ein
No-go. So verstehen wir es, und so halten wir es auch für
richtig.
({3})
Wir verhandeln so lange wie möglich und so intensiv
wie möglich um dieses Abkommen, weil es uns etwas
wert ist.
({4})
Armin Schuster ({5})
Leider ist dieser Wert den Amerikanern noch nicht ganz
klar; da haben wir noch nachzulegen. Ein Weiter-so kann
es für uns nicht geben. Das ist ganz einfach: Die Bundesregierung und das Parlament haben die Pflicht, unsere
Bürgerinnen und Bürger zu schützen und auf die Einhaltung unserer Gesetze zu achten. Insofern ist es auch nur
folgerichtig, dass die Bundesanwaltschaft prüft, ob sie
ein Ermittlungsverfahren einleitet.
({6})
Deutsches Recht auf deutschem Boden - da gibt es
keinen Ermessensspielraum. Das muss in einem Abkommen deutlich werden. Da setze ich nicht auf amerikanische Geheimdienstchefs. Es gibt nämlich noch mehr
Chefs als Keith Alexander,
({7})
und die sind noch schwieriger. Ich setze - das sage ich
ganz offen - auf Obama und Kerry. Ich glaube, dass die
amerikanische Präsidentschaft unsere Chance ist, und
ich vertraue einmal darauf, dass das, was Obama am
Freitag vortragen wird, uns einen großen Schritt weiterbringt.
Bei der bekannt gewordenen Intensität der NSADatensammlungen haben die - das kann man sagen den lohnenden Punkt an Sicherheitsgewinn längst überschritten. Wer in die Vergangenheit von Nachrichtendiensten guckt, weiß eigentlich, dass ein unbegrenztes
„Nice to have“ noch nie einen Dienst effektiver gemacht
hat.
({8})
All unseren Partnern muss klar sein, was hier auf dem
Spiel steht: Schaffen wir kein „No spy“, spioniert jeder
gegen jeden und ermitteln wir künftig strafrechtlich gegen alle.
Meine Damen und Herren, dieses Szenario wollen wir
verhindern und damit gleichzeitig die Zukunft des Internets schützen. Ich zitiere ungern Sascha Lobo, aber mit
seinem Gedanken von gestern - ich meine, ihn verstanden zu haben ({9})
hat er recht. Wir - das ist jetzt kein direktes Zitat - gefährden das Internet und seine Zukunft, wenn wir dieses
Problems nicht Herr werden. Das ist für uns - das sage
ich noch einmal in Richtung der Amerikaner - der große
Wert dieses Abkommens: erstens Freiheit im Internet
und zweitens Sicherheit, aber bitte unter Freunden auch
auf die richtige Art und Weise.
({10})
Herr Korte, Sie haben, glaube ich, gegenüber der
Presse gesagt, die Regierung stehe nackt da. Gerade
eben haben Sie, Herr von Notz, gesagt, die Regierung
stehe blank da. Alles Quatsch! Wir stehen allenfalls alleine da.
({11})
Es wäre sehr schön, Herr Ströbele, bei aller Wertschätzung für Ihre Person, wenn Sie den Kollegen aus
Österreich, aus Island oder woher auch immer die
Adresse unserer Regierung durchgeben würden. Wir
würden uns freuen, wenn weitere im Gleichschritt mit
uns marschieren würden und verhandeln. Das möchte
ich auch als Grußadresse an die Europäische Union
schicken. Ich glaube, dass wir nur so eine starke Verhandlungsposition einnehmen können.
({12})
Bitte nicht drohen und blockieren! Das ist verhandlungstaktisch wirklich Unsinn.
({13})
Die Europäische Union hat sehr wertvolle Verhandlungsoptionen; diese sollte man geschickt nutzen. Aber
dafür, meine Damen und Herren, müssten wir erst einmal mit den Engländern klarkommen. Oder ist der
GCHQ etwa auf einem anderen Weg als die NSA?
({14})
Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Das heißt, wir, die
Parlamente wie die Regierungen, haben die Aufgabe,
überhaupt erst einmal in Europa festzustellen, was denn
Privatsphäre heißt, was denn Spionage unter Freunden
heißt etc. Das ist für uns der aus meiner Sicht wichtigste
Ansatzpunkt. Das würde auch Druck auf die USA erzeugen. Wir haben sie ja immerhin öffentlich in der Defensive; und dabei soll es auch bleiben. Ich bin dem Staatssekretär sehr dankbar, dass er das deutlich gemacht hat.
Meine Damen und Herren, das No-Spy-Abkommen,
wenn wir es denn hätten, reicht nicht.
({15})
Denn das Vorgehen der USA stellt ja nur die Spitze des
Eisbergs dar. Wir diskutieren hier überhaupt nicht darüber, was die Chinesen können. Wir diskutieren nicht
darüber, was die Russen können und was sie tun.
Machen wir uns also bitte nichts vor.
({16})
Worum geht es? Wir müssen unsere Nachrichtendienste stärken und dürfen sie nicht abschaffen, Herr
Korte und meine Damen und Herren von der gesamten
Linksfraktion.
Armin Schuster ({17})
({18})
Diese Meinung ist ja geradezu grotesk. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass wir unsere Bürger schützen.
({19})
Das heißt, nicht über unsere Dienste herziehen, sondern
sie stark machen. Das BSI stark machen, das ist die
kommende Pflicht.
Noch einmal: Ich bin nicht für jeder gegen jeden.
Aber wenn die USA uns keine andere Chance ließen,
wäre das dummerweise der Worst Case. Dann müssten
wir unsere Dienste noch einmal ganz anders betrachten.
Das möchte ich nicht. Wir glauben, unter Freunden
leben wir sicher. So wie es jetzt ist, so soll es bleiben.
Deswegegen bitte mit größter Hartnäckigkeit und Ausdauer dieses Abkommen verhandeln!
Herzlichen Dank.
({20})
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und damit
auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Januar 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
alles Gute für den Rest des Tages.