Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zum zweiten Tag unserer Haushaltsberatungen.
Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Parlaments der Republik Estland, Herr Eiki Nestor, mit
seiner Delegation Platz genommen.
({0})
Ich begrüße Sie, Herr Präsident, im Namen aller Kollegin-
nen und Kollegen, von denen Sie einige bereits gestern in
Gesprächen persönlich kennengelernt haben, herzlich.
Wir erinnern uns im Gedenkjahr 2014 nicht nur an
den 25. Jahrestag des Berliner Mauerfalls. Wir haben
hier im Deutschen Bundestag auch an das großartige und
erfolgreiche Freiheitsstreben der baltischen Staaten erin-
nert, die vor einem Vierteljahrhundert mit dem „Balti-
schen Weg“ und einer spektakulären Menschenkette
durch Estland, Lettland und Litauen europäische Ge-
schichte geschrieben haben.
Wir freuen uns, Herr Präsident, über die immer en-
gere Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, auch
und gerade zwischen unseren Parlamenten, seit dem Bei-
tritt Estlands zur Europäischen Union. Wir wollen diese
enge Zusammenarbeit im Lichte der neuen Herausforde-
rungen, die in diesem Jahr deutlich geworden sind, gerne
fortsetzen.
Wir setzen jetzt unsere Haushaltsberatungen - Tages-
ordnungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 2015 ({1})
Drucksachen 18/2000, 18/2002
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018
Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger
Kruse, Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs,
Gesine Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk.
Zum Einzelplan 04 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Über diesen Einzelplan werden
wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 224 Minuten vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sahra Wagenknecht, Fraktion Die Linke.
({3})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, Sie werden hier gleich ans
Mikrofon treten und wieder ausgiebig Ihre Politik loben.
({0})
Aber wenn man sich die derzeitige Politik und die derzeitige Situation in Deutschland, in Europa und in der
Welt ansieht und wenn man vor allen Dingen Ihre ganz
persönliche Mitverantwortung für diese Situation in
Rechnung stellt, dann fragt man sich schon, wie Sie darauf auch noch stolz sein können.
({1})
Ja, wir leben in einem reichen Land, das gute Autos
und international gefragte Maschinen produziert. Aber
es ist ein zutiefst gespaltenes Land. Es ist ein Land, in
dem selbst fleißige Arbeit nicht mehr vor Armut schützt
und in dem inzwischen die Auswahl des Elternhauses
wichtiger geworden ist als die Auswahl des Berufs. Es
ist ein Land, in dem kaum noch investiert wird, in dem
Straßen und Brücken verrotten, in dem viele Kinder in
verwahrlosten Wohngebieten aufwachsen,
({2})
in dem ihnen elementare Bildung vorenthalten wird.
({3})
Was tun Sie, Frau Bundeskanzlerin? Statt Problemlösungen liefern Sie Taschenspielertricks, statt solider
Finanzierungen liefern Sie kreative Buchführung, und
statt wirtschaftspolitischer Rationalität liefern Sie okkulte Opferrituale vor Ihrer neuen Göttin, der schwarzen
Null, die Ihnen trotz aller Beschwörungsformeln im
nächsten Jahr wieder nicht erscheinen wird.
({4})
Solide öffentliche Finanzen gibt es eben nicht ohne
eine dynamische Wirtschaft. Es gibt sie nicht ohne Konsumenten, die genug Geld in der Tasche haben, um sich
ein gutes Leben leisten zu können, und es gibt sie auch
nicht ohne Unternehmen, die genau wegen dieser Nachfrage Anreize haben, zu investieren, statt ihr Geld zu
bunkern oder ihre Aktionäre mit immer neuen Rekorddividenden glücklich zu machen. Es gibt solide öffentliche Finanzen auch nicht, wenn gerade die reichsten Familien und die größten Konzerne kaum noch einen
müden Euro zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen und der Staat dabei wegschaut.
Und deswegen ist für mich die schwarze Null eigentlich ein Ausdruck einer Null-Kompetenz in der
Wirtschaftspolitik.
Das ist das Urteil des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger
über Ihre Politik, Frau Kanzlerin. Vielleicht erinnern Sie
sich auch noch, was Sie im August im schönen Lindau
am Bodensee von den Wirtschaftsnobelpreisträgern zu
hören bekommen haben. Ich gebe eine kleine Kostprobe:
Merkel verfolgt … eine völlig falsche Politik.
Merkel scheint den Ernst der Lage nicht kapiert zu
haben.
Merkels Rede sei eine einzige Katastrophe gewesen.
Wohlgemerkt: Das ist kein Mitschnitt aus einer Mitgliederversammlung der Linken. Das waren die Urteile international renommierter Wirtschaftsnobelpreisträger
über Ihre Politik, Frau Merkel. Wenn Sie einmal zuhören
könnten, vielleicht würde Ihnen das zu denken geben;
({5})
aber offensichtlich interessiert Sie das überhaupt nicht.
Weggucken, wegducken, wegreden - das ist Ihr Dreiklang im Umgang mit den Gefahren und Problemen der
Gegenwart.
({6})
Aber die Gefahren sind einfach zu groß und die Probleme zu ernst, als dass wir so weiter mit ihnen umgehen
könnten. Die deutsche Wirtschaft stagniert. Alle Prognosen für das nächste Jahr mussten nach unten korrigiert
werden.
Aus konjunkturellen wie aus prinzipiellen Gründen
braucht dieses Land endlich mehr Investitionen. Sie haben nun lauthals ein Investitionsprogramm angekündigt.
Aber was sieht man, wenn man in das Kleingedruckte
schaut? Dann sieht man, dass nach Ihren eigenen Planungen der Anteil der Investitionsausgaben des Bundes
weiter sinken soll, nämlich von aktuell 10,1 Prozent auf
nur noch 8,3 Prozent im Jahr 2018. So viel wirtschaftspolitische Ignoranz kann einem wirklich die Sprache
verschlagen.
({7})
- Sie können sich ruhig aufregen. Es wäre aber besser,
wenn Sie sich nicht nur aufregen würden, sondern auch
Konsequenzen ziehen würden.
({8})
Es geht nicht nur um Straßen, es geht auch nicht nur
um Brücken, es geht auch um Zukunftstechnologien und
Innovationen. Wer meint, dafür wird schon der Markt
sorgen, der sollte sich einmal fragen, warum sich eigentlich alle wichtigen digitalen Technologien heutzutage in
der Hand von US-Unternehmen befinden, die Möglichkeit zur globalen Überwachung inklusive. Nicht, weil
der Markt jenseits des Atlantiks so viel besser funktioniert, sondern weil sich der Staat das zumindest früher
ziemlich viel hat kosten lassen. Fast die gesamte Technologie, die heute in einem iPhone steckt, ist doch nicht
in Steve Jobs Garage entwickelt worden. Die ist in staatlichen Forschungszentren entwickelt worden. Wer
glaubt, dass ein fundamentaler technologischer Umbruch wie die Energiewende möglich wäre ohne massive
öffentliche Investitionen in die Erforschung und Umsetzung alternativer Technologien, der hat wirklich nichts
verstanden.
({9})
Aber statt über solche Fragen auch nur nachzudenken,
verhandelt diese Regierung lieber über Investorenschutz.
Genau genommen verhandelt sie nicht, sondern der
Wirtschaftsminister führt einen unglaublichen Eiertanz
auf, um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen.
Ich rede von den geplanten Freihandelsabkommen
CETA und TTIP,
({10})
und ich rede von den Sondergerichten für große Konzerne, mittels derer diese Konzerne den deutschen Staat
in Zukunft für jede Mindestlohnerhöhung und für jedes
Umweltschutzgesetz vor den Kadi ziehen können.
({11})
Aber offensichtlich hat Herr Gabriel in seiner politischen Laufbahn nicht mehr vor, den Mindestlohn zu erhöhen oder die Umwelt zu schützen. Zumindest habe ich
vernommen, dass er der Öffentlichkeit mitgeteilt hat,
diese Sondergerichte ließen sich - leider, leider - nicht
mehr aus dem Abkommen CETA herausverhandeln. Ja,
Herr Gabriel, wenn sich diese Sondergerichte nicht mehr
herausverhandeln lassen, dann muss Deutschland diese
Abkommen eben ablehnen. Dann muss man CETA ablehnen, und das Gleiche gilt auch für TTIP.
({12})
Beide Abkommen haben doch im Kern nur das Ziel,
Löhne, Sozialstandards und Verbraucherschutz noch
weiter auf Sinkflug zu schicken und den Kapitalismus
endgültig vor den Zumutungen der Demokratie zu schützen; das ist doch das, worum es bei diesen Abkommen
geht. Das ist das Letzte, was wir brauchen. Denn dann
kann man auf Wahlen und Parlamentarismus konsequenterweise auch ganz verzichten. Wenn wir hier im Bundestag keine Gesetze mehr machen können, die den Banken und Konzernen nicht gefallen, dann verkommt das,
was wir hier tun, wirklich zu einer schlichten Theatervorstellung. Da muss ich Ihnen sagen: Für ein Theater ist
dieses Haus wirklich zu teuer und am Ende vielleicht
auch zu wenig unterhaltsam.
({13})
Der bekannte Ordoliberale Alexander Rüstow - vielleicht gibt es bei Ihnen noch den einen oder anderen, der
ihn kennt - hat bereits vor einem halben Jahrhundert gewarnt, dass - ich zitiere der Staat, der damit anfängt, die Raubtiere der organisierten Unternehmerinteressen zu füttern, letzten
Endes von ihnen verschlungen wird.
Gerade deshalb haben die Ordoliberalen ja immer wieder davor gewarnt, Unternehmen oder auch Banken so
groß oder so mächtig werden zu lassen, dass sie die Allgemeinheit erpressen oder ihr schlicht auf der Nase herumtanzen können. Es war ihre zentrale Botschaft, dass
das verhindert werden muss.
„Versagt der Staat auf diesem Felde, dann ist es bald
um die soziale Marktwirtschaft geschehen“, war Ludwig
Erhards knappe Prognose zu diesem Thema. Gerade Sie
von der CDU/CSU, die Sie sich so gern auf Ludwig
Erhard berufen, sollten zugeben, dass er recht behalten
hat. Der Staat hat auf diesem Feld versagt. Deswegen ist
es um die soziale Marktwirtschaft geschehen. Wir haben
nämlich keine mehr.
({14})
Auch in Brisbane haben Sie, Frau Merkel, und auch
die anderen Regierungschefs wieder auf vielen wichtigen Feldern vor den Raubtieren kapituliert: bei der
Finanzmarktregulierung, beim Klimaschutz und natürlich auch bei der Bekämpfung der Steuerflucht von Konzernen. Es ist einem schon aufgefallen, wie eilig sich
diese Regierung, als die Enthüllungen über die Steuersparmodelle in Luxemburg in der Presse waren, bemüht
hat, zur Tagesordnung überzugehen. Nun nehme ich
Ihnen ja ab, dass Sie über die Enthüllungen nicht besonders verblüfft waren. Auch ich war nicht besonders verblüfft. Es ist lange bekannt, dass es solche Steuersparmodelle gibt, und zwar nicht nur in Luxemburg, sondern
auch in vielen anderen EU-Staaten. Es ist auch bekannt,
dass dem deutschen Staat - dem Bund, den Ländern und
auch den Kommunen - schätzungsweise 100 Milliarden Euro im Jahr entgehen, weil es solche Modelle gibt.
100 Milliarden Euro!
Die Unternehmen gehen sogar ganz offen damit um,
dass sie das praktizieren. Die Deutsche Bank zum Beispiel lobt sich in ihrem Geschäftsbericht ausdrücklich
dafür, dass sie durch eine, wie es vornehm heißt, vorteilhafte geografische Verteilung ihres Konzernergebnisses
ihre Steuerzahlungen minimiert, sprich die Öffentlichkeit kräftig geschädigt hat. Ich finde, das muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Bank, die es
ohne die Milliardenzahlungen der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler überhaupt nicht mehr gäbe, die bankrott gewesen wäre, ist auch noch stolz darauf, dass sie solche
Modelle nutzt und dadurch die Öffentlichkeit in Milliardenhöhe schädigt. Natürlich ist das kriminell.
({15})
Aber genauso kriminell ist eine Politik, die die passenden Gesetze dafür liefert oder eben die passenden
Gesetze akzeptiert. Da muss man sich gar nicht hinter
der EU verstecken. Natürlich könnten wir solche Praktiken hier in Deutschland verhindern. Man muss einfach
gesetzlich festlegen, dass Zinsen, Lizenz- oder Patentgebühren, die im Empfängerland nicht mit wenigstens
25 Prozent besteuert werden, in Deutschland nicht mehr
steuerlich abzugsfähig sind. Das könnte man doch gesetzlich regeln.
({16})
Wenn Sie zu einem so einfachen Gesetz nicht in der
Lage sind, dann hören Sie, verdammt noch mal, auf, der
Bevölkerung zu erzählen, was in diesem Land alles angeblich nicht finanzierbar ist, zum Beispiel eine gute
Rente. Es ist noch keine Woche her, dass das Statistische
Bundesamt alarmierende Zahlen veröffentlicht hat. Danach ist das Armutsrisiko älterer Menschen seit 2006
kontinuierlich gestiegen. Immer mehr ältere Menschen
müssen Grundsicherung beantragen. Das heißt ganz brutal: Sie müssen ihren Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau
fristen.
Was fällt der Bundesregierung dazu ein? Sie kürzen
den Bundeszuschuss zur Rentenkasse, um ihre schwarze
Null zu retten, und senken auch noch den Beitragssatz
zur Rentenversicherung. Je weniger aber in einen Topf
eingezahlt wird, desto weniger kann man natürlich auch
aus diesem Topf wieder herausnehmen - in diesem Fall
für die Rentnerinnen und Rentner -, und genau das
scheint auch das Ziel zu sein.
Seit den von SPD und Grünen eingeleiteten Rentenkürzungen ist das Rentenniveau in Deutschland von früher 53 Prozent auf 48 Prozent gesunken. In Zukunft soll
es noch weiter bergab gehen. Das heißt, bald blüht selbst
einem Durchschnittsverdiener nach einem langen Arbeitsleben ein Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau. Ich
finde, das ist einfach schändlich. Das ist Altersarmut per
Gesetz.
({17})
Sagen Sie jetzt nicht, das liege am Geld. Gleichzeitig
verpulvert der Bund nämlich Milliarden, um die RiesterRente zu subventionieren. Inzwischen wurden 27 Milliarden Euro dafür verpulvert, Betrugsprodukte zu subventionieren, an denen sich bekanntermaßen nur die Provisionsjäger der Versicherungsindustrie, der Fonds und
der Finanzindustrie goldene Nasen verdienen, während
die Sparer in der Regel noch nicht einmal das herausbekommen, was sie eingezahlt haben. Und trotzdem soll
das alles so weitergehen!
Wie man heute weiß, hat sich der Drückerkönig und
Finanzhai Herr Maschmeyer beim damaligen Kanzler
Schröder mit immerhin 2 Millionen Euro für dieses zuvorkommende Gesetz bedankt. Frau Nahles, ich weiß
nicht, ob Sie hoffen, dass Ihnen irgendwann auch einmal
jemand Ihre Biografie für 2 Millionen Euro abkauft.
Man muss aber zumindest sagen: Ihr Festhalten an dieser
Rentenpolitik ist verantwortungslos und übrigens auch
ein klarer Bruch der SPD-Wahlversprechen.
({18})
Hören Sie deshalb auf,
({19})
die Rentenkasse mit Beitragssenkungen und versicherungsfremden Leistungen weiter zu plündern!
({20})
Hören Sie auf, öffentliches Geld für Betrugsprodukte zu
verschleudern, und stellen Sie wieder eine lebensstandardsichernde Rente ab 65 Jahren für alle Menschen her!
({21})
Es brennt aber nicht nur bei der Rente. Vor gut zwei
Wochen wurde mit Unterstützung des größten deutschen
Sozialverbandes, VdK, eine Verfassungsklage für menschenwürdige Pflege eingereicht. Es geht um die katastrophale Situation und den extremen Personalmangel in
vielen Pflegeheimen.
Auch in vielen deutschen Krankenhäusern herrschen
heute Zustände, die eines reichen Landes unwürdig sind,
({22})
und auch die Gründe dafür lassen sich mit Zahlen messen: Seit Mitte der 90er-Jahre wurde an deutschen Krankenhäusern jede zehnte Stelle im Pflegebereich abgebaut. Was fällt Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dazu ein?
Deutschland geht es gut, und deshalb kürzen Sie den
Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds in den nächsten
zwei Jahren mal eben um 6 Milliarden Euro. Mögen
Rentner durch Armut gedemütigt werden und Pflegebedürftige früher sterben, Hauptsache die schwarze Null
lebt: Das scheint Ihre Logik zu sein. Was ist das für eine
unglaubliche Politik!
({23})
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Das ist
der oberste Verfassungsgrundsatz der Bundesrepublik.
Er gilt auch für Ältere, Kranke und Pflegebedürftige,
({24})
und er steht ausdrücklich nicht unter Finanzierungsvorbehalt. Deswegen fordere ich Sie auf: Beenden Sie die
unwürdige Zweiklassenmedizin! Schaffen Sie eine Bürgerversicherung, bei der jeder nach seinem Einkommen
einzahlt und gleich gute Leistungen sowohl im Krankheits- als auch im Pflegefall bekommt! Krankheit ist
keine Ware, die sich als Objekt von Renditejägern eignet.
({25})
Ihre Kürzung des Zuschusses zum Gesundheitsfonds
zeigt natürlich auch noch in anderer Hinsicht, wie unehrlich Ihre Politik ist. Das Mantra „Keine Steuererhöhung“
gehört ja zu den Gebetsformeln, die diese Regierung unablässig vor sich hinmurmelt. Sie wissen aber ganz genau, dass die Kürzung des Bundeszuschusses bei vielen
Krankenkassen zu Beitragserhöhungen führen wird
({26})
und dass eine Beitragserhöhung das Nettoeinkommen
ganz genauso reduziert wie eine Steuererhöhung. Aber
richtig: Es gibt einen wichtigen Unterschied. Eine Beitragserhöhung bezahlen ausschließlich die gesetzlich
Versicherten, also vor allem die Arbeitnehmer. Sie belastet Normalverdiener weit mehr als Spitzenverdiener. Sogar Menschen mit sehr wenig Einkommen müssen diese
Beitragserhöhung mit bezahlen.
Das heißt, Ihr ganzes Gerede gegen Steuererhöhungen ist im Kern vollkommen verlogen. Sie haben überhaupt keine Skrupel, die normalen Beschäftigten, die
heute schon die Hälfte ihres Nettoeinkommens für Steuern und Abgaben bezahlen, noch stärker zu belasten. Sie
predigen zwar keine Steuererhöhungen. Aber im Kern
geht es Ihnen doch darum: keine Steuererhöhung für
Reiche. Das ist es doch, was tatsächlich Ihre Politik bewegt. Geben Sie es doch wenigstens zu!
({27})
Offenbar, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihnen noch niemand den Zusammenhang zwischen Schulden und Vermögen erklärt. Geld verschwindet nämlich nicht; Geld
wechselt immer nur den Besitzer. In den letzten 15 Jahren hat unter Ihnen, Frau Merkel, und unter Ihrem Vorgänger Gerhard Schröder ganz besonders viel Geld in
Deutschland den Besitzer gewechselt. Viele Milliarden
Euro, die einst der Allgemeinheit gehörten, sind auf private Konten gewandert: durch Steuergeschenke an Vermögende und an große Unternehmen und natürlich
durch die milliardenschwere Bankenrettung.
Im Ergebnis haben sich in den letzten 15 Jahren eben
nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch die
privaten Vermögen der Millionäre und Multimillionäre
mehr als verdoppelt. Deshalb wäre die Wiedereinführung einer Vermögensteuer nicht etwa eine Enteignung,
wie Sie das immer gerne darstellen, sondern sie wäre im
Grunde eine Rückgabe.
({28})
Sie würde dafür sorgen, dass das Geld endlich einmal
den Besitzer in die andere Richtung wechselt, nämlich
weg von den privaten Konten der Millionäre und Multimillionäre und hin zu besserer Bildung, besserer Pflege
und guten Renten. Da wäre das Geld auch besser angelegt.
({29})
Es fällt übrigens auch auf, dass Sie wieder nur mit den
Vermögen der Reichen so rücksichtsvoll umgehen. Bei
den Vermögen der kleinen Leute sind Sie viel weniger
zimperlich. Die auch durch Ihre Europapolitik und Ihre
Kürzungsdiktate verursachte Dauerkrise im Euro-Raum
ist die letztliche Ursache für die extremen Niedrigzinsen,
die wir zurzeit haben. In der Konsequenz gibt es für normale Sparer mittlerweile kaum noch Anlagen, die auch
nur den Werterhalt sichern. Das heißt, anders als der
Millionär, der im Schnitt auf sein Vermögen Renditen
zwischen 5 und 10 Prozent einfährt, zahlt der Kleinsparer längst mit seinen Spargroschen für Ihre falsche Krisenpolitik.
Aber diese Enteignung der kleinen Leute stört Sie offenbar nicht im Geringsten. Das lassen Sie laufen. Nur
an das Vermögen des Geldadels wollen Sie nicht heran.
Das nennt sich dann Volkspartei;
({30})
eine Partei, die zulässt, dass das Volk enteignet wird,
weil sie zu feige ist, an das Geld der oberen Zehntausend
heranzugehen, um damit eine vernünftige Antikrisenpolitik zu finanzieren. Das ist wirklich skandalös.
({31})
Das gilt leider nicht nur für die CDU. Auch Herr
Gabriel hat sich mittlerweile auf die Fahne geschrieben,
die Vermögensteuer auch bei der SPD programmatisch
zu entsorgen. Da kann man nur sagen: Mit so einem Vorsitzenden arbeiten Sie wirklich hart daran, dass die SPD
nie wieder in die Nähe davon kommt, in diesem Land
noch einmal den Kanzler zu stellen.
Nun muss man sagen: Auch andere Parteien hatten
Vorsitzende, die sie klein gemacht haben, sogar bis zur
letzten Konsequenz.
({32})
Eine dieser Parteien ist die FDP gewesen. Ich möchte
hier einen Satz zur Ehrenrettung der FDP sagen. Es gibt
tatsächlich ein unsoziales Gesetz, das an der FDP gescheitert ist, und zwar das Gesetz zur sogenannten Tarifeinheit. Es ist wirklich unglaublich, dass dieses Gesetz
jetzt ausgerechnet von der SPD wieder auf die Tagesordnung gehievt wird.
Schon der Name des geplanten Gesetzes ist doch der
blanke Hohn: Gesetz zur Tarifeinheit. Ein Betrieb, ein
Tarif: Das soll wieder gelten. Ich darf Sie, werte Damen
und Herren von der SPD, daran erinnern, dass Sie selbst
es waren, die dieses Prinzip zerstört haben, dass Sie es
waren, die es mit den Agendagesetzen den Unternehmen
ermöglicht haben, ihre Belegschaft aufzusplitten:
({33})
in Leiharbeiter, in Werkvertragler, in Minijobber, in befristet Beschäftigte. Alle haben natürlich unterschiedliche Tarifverträge.
({34})
Sie haben damit alles dafür getan, dass die Gewerkschaften nicht mehr wirklich streikfähig sind; denn bestreiken Sie einmal einen Betrieb, in dem ein Drittel der
Beschäftigten in Leiharbeit ist, ein Drittel einen Werkvertrag hat und viele andere einen befristeten Vertrag haben. Einen solchen Betrieb kann man faktisch nicht
mehr bestreiken. Entsprechend schlecht ist auch die
Lohnentwicklung in Deutschland.
({35})
Wenn Sie der Tarifeinheit wirklich wieder zum
Durchbruch verhelfen wollen, dann nehmen Sie die
Agendagesetze zurück! Verbieten Sie Leiharbeit und den
Missbrauch von Werkverträgen!
({36})
Verbieten Sie die sachgrundlose Befristung, die die Beschäftigten in ständiger Abhängigkeit hält! Das wären
Reformen, die dieses Land wirklich voranbringen würden. Aber dafür müsste man den Mut haben, sich dem
„Raubtier der organisierten Unternehmerinteressen“ entgegenzustellen.
({37})
- Ja, nach Alexander Rüstow. Das war ein Zitat, falls Sie
das nicht bemerkt haben.
Man hat allerdings den Eindruck, es gibt etwas, das
Ihnen, Frau Merkel, noch wichtiger ist als die Interessen
der deutschen Unternehmen: Das sind die Interessen der
amerikanischen Regierung und der amerikanischen
Wirtschaft. Bei Ihrer Rede in Sydney, Frau Merkel, haben Sie sich furchtbar darüber empört, dass es 25 Jahre
nach dem Fall der Mauer immer noch altes Denken in
Einflusssphären gibt, das das internationale Recht mit
Füßen tritt. „Wer hätte das für möglich gehalten?“, wurden Sie zitiert. Man fragt sich ernsthaft, Frau Merkel:
Wo leben Sie eigentlich? Und wo haben Sie in den letzten Jahren gelebt?
({38})
Wo haben Sie gelebt, als die USA das internationale
Recht im Irak mit Füßen getreten haben, um ihre Einflusssphäre auf das irakische Öl auszudehnen? Wo waren Sie, als unter Beteiligung Deutschlands das internationale Recht in Afghanistan mit Füßen getreten wurde,
was es im Übrigen immer noch wird? Wo waren Sie, als
Libyen bombardiert wurde und als die syrische Opposi6500
tion aufgerüstet wurde, Waffenlieferungen an den IS eingeschlossen?
War das alles Ihrer Meinung nach in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht? Selbstverständlich
ging es dabei auch nie um Einflusssphären.
Ich darf Ihnen die Lektüre eines Buches von
Zbigniew Brzezinski, langjähriger Vordenker der USAußenpolitik, empfehlen.
({39})
Das Buch aus dem Jahr 1997 trägt den schönen Titel Die
einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft. In Bezug auf Europa plädiert Brzezinski darin für
eine konsequente NATO-Osterweiterung zunächst nach
Mitteleuropa, dann nach Süden und über die baltischen
Republiken bis zur Ukraine, und zwar weil, wie der Autor schlüssig begründet - ich zitiere - „mit jeder Ausdehnung … automatisch auch die direkte Einflusssphäre der
Vereinigten Staaten erweitert“ wird.
Dieses alte Denken in Einflusssphären, das sehr erfolgreich umgesetzt wurde, ist Ihnen wirklich nie aufgefallen, Frau Merkel?
({40})
Dabei gehörten Sie doch zu denen, die genau das in Europa weiter umgesetzt und unterstützt haben. Sie gehörten doch zu den Vasallen, um in der Sprache Brzezinskis
zu bleiben, die genau diese Strategie mitgetragen haben.
Frau Wagenknecht, darf Ihnen der Kollege Weiler
eine Zwischenfrage stellen?
Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Wagenknecht, vielen Dank, dass
ich eine Zwischenfrage stellen darf. Sie haben gerade die
SPD beschimpft und kein gutes Haar an ihr gelassen.
({0})
Ich kann dem in Teilen nicht zustimmen.
({1})
Aber in Thüringen wiederum ist die SPD gut genug
dafür, Ihren Herrn Ramelow auf das Pferd zu setzen.
Dort nutzt man diese Partei aus, die man jetzt so beschimpft, um einen Vorteil daraus zu ziehen und den
Herrn zum Ministerpräsidenten zu machen. Man gibt der
SPD mehr Ministerien, als eigentlich notwendig ist, und
alle solche Dinge. Das passt vorne und hinten nicht zusammen.
({2})
Hier wird über diese alte Volkspartei geschimpft,
({3})
und in Thüringen wird sie ausgenutzt, um den eigenen
Mann nach oben zu hieven. Wie ist das möglich, Frau
Wagenknecht?
Danke schön.
({4})
Ich nehme zur Kenntnis, dass die CDU das Trauma
von Thüringen immer noch so bewegt, dass Sie das
selbst in diese Haushaltsdebatte tragen.
({0})
Wenn ich der SPD vorwerfe, dass sie mit ihrer Politik
alles dafür tut, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht wiedergewinnt und damit auch bei Wahlergebnissen von
26 Prozent bleibt und dass sie damit nie wieder den
Kanzler stellen wird, dann geschieht das aus Sorge um
dieses Land,
({1})
weil ich mir wünsche, dass Frau Merkel nicht ewig Bundeskanzlerin bleibt und dass Sie nicht ewig den Bundeskanzler stellen können,
({2})
und weil ich mir wünsche, dass es eine andere und linke
Politik in diesem Land geben kann.
Aber ich darf Sie beruhigen: Ich werde gleich die
SPD noch in einem Punkt loben. Auch das werden Sie
noch zu hören bekommen.
({3})
Ich würde mir auch wünschen, dass es in Zukunft mehr
Gründe geben würde, die SPD zu loben. Das fände ich
zumindest sehr gut.
({4})
Ich war bei Brzezinski, der NATO-Osterweiterung
und der deutschen Politik in dieser Hinsicht stehen geblieben. Frau Merkel, jetzt haben Sie Deutschland in die
Neuauflage eines Kalten Krieges mit Russland hineingetrieben, der das politische Klima vergiftet und den Frieden in ganz Europa gefährdet.
({5})
Sie haben einen sinnlosen Wirtschaftskrieg angezettelt,
der vor allem der deutschen und der europäischen Wirtschaft massiv schadet.
({6})
- Da Sie so stöhnen: Sie müssen ja nicht in den Unternehmen sitzen, denen die Aufträge wegbrechen. Sie sind
da nicht Arbeitnehmer oder Unternehmer. Sie müssen
das nicht ausbaden, was Sie angerichtet haben.
({7})
Sie warnen vor einem Flächenbrand, Frau Merkel.
Aber Sie gehören doch zu denen, die mit brennendem
Zündholz herumlaufen. „Verbale Aufrüstung war noch
immer der Anfang von Schlimmerem.“ Das hat Ihnen
Hans-Dietrich Genscher nach Ihrer Rede in Sydney zugerufen.
Nein, man muss Putin wirklich nicht mögen. Man
muss auch den russischen Kapitalismus mit seinen Oligarchen nicht mögen.
({8})
Aber Diplomatie heißt, die Interessen des Gegenübers
ernst zu nehmen und sich nicht ignorant über sie hinwegzusetzen. Es fällt schon auf, dass Helmut Kohl und
Michail Gorbatschow nahezu wortgleich warnen, dass
ohne eine deutsch-russische Partnerschaft keine Stabilität und keine Sicherheit in Europa möglich sind. Der frühere SPD-Vorsitzende Platzeck hat darauf hingewiesen,
dass der Handel zwischen Russland und den USA in diesem Jahr zugenommen hat, während der Handel zwischen Russland und Europa und vor allen Dingen
Deutschland massive Einbrüche erlebt hat. Als Reaktion
arbeitet die CDU/CSU daran, sogenannte vermeintliche
Russland-Versteher wie Herrn Platzeck aus dem Petersburger Dialog herauszudrängen.
Statt auf Verstehen setzen Sie offenbar lieber auf Unverstand. In der Ukraine kooperieren Sie mit einem Regime, in dem wichtige Funktionen des Polizei- und Sicherheitsapparates mit ausgewiesenen Nazis besetzt
werden. Der Präsident Poroschenko redet vom totalen
Krieg und hat den Krankenhäusern und den Rentnern in
der Ostukraine alle Zahlungen abgeklemmt. Für Premier
Jazenjuk sind die Aufständischen - ich zitiere - „Unmenschen, die es auszulöschen gilt“. Statt sich mit solchen Hasardeuren zu verbünden,
({9})
brauchen wir endlich wieder eine deutsche Außenpolitik, der Sicherheit und Frieden in Europa wichtiger sind
als Anweisungen aus Washington.
({10})
In einem Jahr, in dem sich der Beginn des Ersten
Weltkriegs zum 100. und der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal jährt, wäre es dringend angebracht,
sich an die Aussage Willy Brandts zu erinnern: „Krieg
ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio.“ Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein, Frau
Merkel.
({11})
Deshalb: Kehren Sie auf den Weg der Diplomatie zurück! Stellen Sie die Sanktionen ein! Sollten sich in der
SPD tatsächlich die Stimmen der außenpolitischen Vernunft durchsetzen - von Helmut Schmidt bis Matthias
Platzeck -, dann, bitte, Frau Merkel, hören Sie auf Ihren
Koalitionspartner. Beenden Sie dieses Spiel mit dem
Feuer!
({12})
Ich fasse zusammen.
({13})
Ihre Politik, Frau Merkel, spaltet Deutschland und versündigt sich an der Zukunft, weil Sie nicht den Mut haben, sich den organisierten Interessen von Banken und
Konzernen entgegenzustellen. Sie haben das Erbe der
Entspannungspolitik verspielt und Europa in einen
neuen kalten Krieg und an den Rand eines Flächenbrands geführt, weil Sie nicht den Mut haben, der USRegierung Paroli zu bieten. Das ist keine Bilanz, auf die
Sie stolz sein sollten. Die Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes jedenfalls haben eine bessere Politik verdient,
eine Politik, die den Anspruch auf Wohlstand für alle
endlich wieder ernst nimmt und die zurückkehrt zu einer
Politik der guten Nachbarschaft mit allen europäischen
Nachbarn.
({14})
Das Wort hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela
Merkel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor zehn Tagen habe ich am Treffen der 20 größten Volkswirtschaften in Brisbane in Australien teilgenommen. Die
jährlichen G-20-Treffen auf der Ebene der Staats- und
Regierungschefs sind eine Antwort auf Herausforderungen der internationalen Finanzkrise im Jahre 2008. Damals stand vor allem die Notwendigkeit einer globalen
Regulierung der Finanzmärkte auf der Tagesordnung.
Richtigerweise wurde der Anspruch formuliert, jeden
Finanzplatz, jedes Finanzmarktprodukt und jeden Finanzmarktakteur einer Regelung zu unterwerfen. Seitdem ist
manches erreicht, insbesondere bei der Regulierung international agierender Banken. Wenn diese in Zukunft in
Schwierigkeiten geraten, gibt es inzwischen weltweit Mechanismen, die Banken abzuwickeln, ohne dass zuerst der
Steuerzahler dafür haften muss. Das ist ein Erfolg.
({0})
Mit dieser Regelung werden außerdem Ansteckungsgefahren minimiert. Aber wir müssen sehen: Eine solche
einheitliche Regulierung gibt es noch nicht für die systemrelevanten, global agierenden Schattenbanken. Sie
soll bis 2016 vorliegen. Das Ziel wurde in Brisbane noch
einmal bekräftigt, das weitere Vorgehen konkretisiert.
Deutschland wird allerdings darauf drängen, dass wir
dieses Ziel auch wirklich erreichen und nicht auf halber
Strecke stehen bleiben.
Qualitative Fortschritte wurden im G-20-Prozess
auch bezüglich der Themen Steuerehrlichkeit und Steuergerechtigkeit erzielt. Sie erinnern sich an die internationale Konferenz am 29. Oktober hier in Berlin, von
Wolfgang Schäuble organisiert. Damit wurde eine neue
Phase der Zusammenarbeit eingeleitet. Über 50 Länder
haben sich ab 2017 zum automatischen Informationsaus6502
tausch bei Steuerfragen verpflichtet. Ohne die G 20 wäre
ein solcher Erfolg nicht möglich gewesen.
Ebenfalls vorangekommen sind wir bei der Aufgabe,
multinationalen Konzernen die Möglichkeit zu nehmen,
durch Tricks keinerlei Steuern zu zahlen. Hier gibt es
insbesondere in Europa deutliche Fortschritte, und auch
in Brisbane wurde das Ziel der Steuergerechtigkeit noch
einmal betont. Neben Fragen der Finanzmarktregulierung standen auf dem Gipfel vor allem die Fragen der
Weltwirtschaftslage im Vordergrund. Gemeinsam war
dort das Bekenntnis zu nachhaltigem Wachstum. Einen
Schwerpunkt legte die australische Präsidentschaft auf
das Thema Infrastrukturinvestitionen.
Aber etwas war jenseits der Tagesordnung an diesem
G-20-Gipfel besonders. Im Vorfeld dieses Gipfels hatten
sich die Länder der Asien-Pazifik-Region beim AsienPazifik-Gipfel in Peking und beim ASEAN-Gipfel in
Myanmar getroffen. Die dann anschließend auch beim
G-20-Gipfel teilnehmenden Staaten der Asien-PazifikRegion machten in Brisbane deutlich, dass für sie eine
wesentliche Triebkraft für wirtschaftliches Wachstum
- und die Dynamik in der Region ist groß - der Freihandel ist. Dazu werden die Verhandlungen zur transpazifischen Partnerschaft, dem pazifischen Äquivalent zum
Transatlantischen Freihandelsabkommen, zügig vorangetrieben und eventuell schon in der ersten Jahreshälfte
2015 abgeschlossen. Während des bilateralen Besuchs
des chinesischen Präsidenten Xi in Australien nach dem
G-20-Gipfel wurde ein Freihandelsabkommen zwischen
Australien und China unterzeichnet.
Das sind nur zwei Beispiele von vielen in der Region,
die deutlich machen: Die Welt wartet nicht auf Europa.
({1})
Wenn es uns nicht gelingt, das Transatlantische Freihandelsabkommen zügig zu verhandeln, werden wir nicht
nur im internationalen Handel große Nachteile gegenüber anderen Regionen haben - eine schwere Bürde für
ein Exportland wie Deutschland -, sondern wir werden
auch Chancen verpassen, internationale Standards im
globalen Handel im Blick auf Ökologie, Verbraucherschutz und rechtsstaatliche Mittel überhaupt noch mitbestimmen zu können, und das wollen wir ja.
({2})
In Brisbane war mit Händen zu greifen, mit welcher
Dynamik sich gerade der asiatisch-pazifische Raum
wirtschaftlich entwickelt und wie er sich mit großem
Selbstbewusstsein präsentiert. Das war erkennbar eine
Herausforderung für die teilnehmenden europäischen
Länder. Neben Deutschland waren das Großbritannien,
Frankreich, Italien und Spanien sowie die Europäische
Kommission und der Präsident des Europäischen Rates.
Deshalb war es richtig und wichtig, dass wir Europäer
gemeinsam mit Präsident Obama am Rande des G-20Gipfels noch einmal unterstrichen haben, dass die Verhandlungen der Europäischen Union mit Amerika über
ein Transatlantisches Freihandelsabkommen absolute
Priorität haben. Die Entwicklung Europas wird weltweit
sehr genau verfolgt, zumal der Weg aus der europäischen
Staatsschuldenkrise alles andere als einfach ist.
Dennoch: So schwierig und langwierig der Weg auch
ist, in Europa sind wir insgesamt auf richtigem Kurs.
Das durchschnittliche Haushaltsdefizit hat im EuroRaum 2013 mit 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
erstmals seit 2008 wieder die Maastricht-Grenze unterschritten. Die Bundesregierung unterstützt die Europäische Kommission darin, die Haushaltsplanungen der
Mitgliedstaaten strikt zu prüfen. Die Verlässlichkeit der
gemeinsamen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist von großer Bedeutung für das Vertrauen in den
Euro-Raum insgesamt.
Dabei geht es immer um einen Dreiklang:
Erstens: Solide Haushalte. Dafür gilt der Stabilitätsund Wachstumspakt. Der Name ist Programm; denn
nachhaltiges Wachstum und solide Haushaltsführung bedingen einander; das zeigt sich immer wieder.
Zweitens: Wachstumsfördernde Strukturreformen. In
den von der Krise besonders betroffenen Ländern, aber
nicht nur dort, sind diese Reformen unabdingbar für
nachhaltiges Wachstums. Der in der Wirtschafts- und
Währungsunion beschrittene Weg ist der richtige. Das
zeigen die Länder, die ihre Anpassungsprogramme erfolgreich beendet haben. Irland zum Beispiel wächst in
diesem Jahr mit 4,6 Prozent stärker als jedes andere
Land im Euro-Raum. Portugal wächst erstmals seit zwei
Jahren wieder und liegt sogar leicht über dem Durchschnitt des Euro-Raums. Die Arbeitslosigkeit geht in
beiden Ländern Schritt für Schritt zurück, voraussichtlich noch stärker als im Frühjahr prognostiziert. Allerdings: Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen, insbesondere
für junge Menschen, ist noch lang und steinig.
Deshalb muss Europa - drittens - Investitionen in die
Zukunft fördern. Wir leisten mit mehr Investitionen in
eine gute Zukunft unseres Landes auch einen Beitrag zu
einer guten Zukunft Europas. Die Bundesregierung unterstützt daher im Grundsatz das heute von Kommissionspräsident Juncker vorgelegte Paket, mit dem die
Kommission zusammen mit der Europäischen Investitionsbank zusätzliche Investitionen in Höhe von über
300 Milliarden Euro mobilisieren will. Wir betonen,
dass Investitionen wichtig sind, dass aber vor allem klar
sein muss, wo die Projekte der Zukunft liegen. Ein wesentlicher Schwerpunkt ist für mich, die Chancen der Digitalisierung für Europa zu ergreifen. Europa muss vor
allem wieder attraktiver werden für private Investitionen. Es kommt zentral auf einen investitionsfreundlichen Rahmen an, etwa durch Bürokratieabbau, um
kleine und mittlere Unternehmen als wichtige Träger
von Wachstum und Beschäftigung zu entlasten, sowie
durch die notwendigen Strukturreformen in den Mitgliedstaaten, um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und
Beschäftigung zu stärken.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Themen
der Finanzmarktregulierung und des wirtschaftlichen
Wachstums hat am Rande des G-20-Gipfels natürlich
immer auch die geopolitische internationale Lage eine
zentrale Rolle gespielt. Im Übrigen liegt auch gerade in
diesem Austausch über die weltweite außen- und sicherheitspolitische Lage die große Chance solcher internationalen Konferenzen. Dialog kann Konflikte entschärfen,
Gemeinsamkeiten aufzeigen und Vertrauen schaffen.
Drei Themen standen in Brisbane dabei besonders im
Mittelpunkt unserer Gespräche:
Erstens: Ebola. Diese schreckliche Krankheit breitet
sich in Westafrika aus. Tausende Opfer sind in Liberia,
Guinea und Sierra Leone zu beklagen. Die betroffenen
Länder gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Unter
der Krise drohen die fragilen staatlichen Strukturen zusammenzubrechen. Es besteht die Gefahr, dass sich die
Epidemie immer weiter ausbreitet. Deshalb ist Ebola
auch zusehends eine Gefahr für die internationale Sicherheit. Die G 20 haben sich in einer gemeinsamen Erklärung verpflichtet, alles Notwendige zu tun, um sicherzustellen, dass die internationalen Bemühungen, die
Ebolaepidemie einzudämmen und zu stoppen, auch erfolgreich sind. Auf lange Sicht müssen wir Strukturen
schaffen, und zwar internationale Strukturen, die ein
besseres Krisenmanagement in solchen Situationen gewährleisten. Entscheidend ist eine bessere Umsetzung
der Gesundheitsregeln der Weltgesundheitsorganisation,
und es ist wichtig, die Gesundheitssysteme weltweit zu
stärken. Die Bundesregierung unterstützt die internationalen Hilfsanstrengungen mit über 100 Millionen Euro.
Ich danke dem Bundestag für die Bewilligung dieser
Mittel - sie werden dringend benötigt -, und ich danke
vor allen Dingen auch den Hilfsorganisationen, die unter
schwierigsten Umständen in den betreffenden Ländern
Außerordentliches leisten.
({4})
Zweitens. Breiten Raum bei den Gesprächen in Brisbane hat die Krise in der Ukraine eingenommen. Erinnern wir uns: Vor fast genau einem Jahr habe ich in meiner Regierungserklärung zum Gipfel der Östlichen
Partnerschaft in Vilnius mit Blick auf das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der
Ukraine, Georgien und Moldawien und das Verhältnis zu
Russland unter anderem hier im Deutschen Bundestag
gesagt - ich darf zitieren -:
Die EU hat immer wieder Gesprächsangebote an
Russland gerichtet, um die beiderseitigen Vorteile
einer Kooperation herauszuarbeiten. Wir müssen
- das ist meine tiefe Überzeugung - weiter daran
arbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen einer Annäherung der Länder der Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen Bemühen um
eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern geben
sollte. Die EU hat Russland dafür Vorschläge unterbreitet, über die wir schnellstmöglich sprechen
müssen.
So weit meine Regierungserklärung hier in diesem Haus
am 18. November 2013.
Was dann geschah, wissen wir: Präsident Janukowitsch
hat das Abkommen in Vilnius nicht unterzeichnet. Das
war selbstverständlich seine freie Entscheidung als Präsident der Ukraine. Es folgten die Demonstrationen auf
dem Maidan, die Flucht von Präsident Janukowitsch
nach Russland, später dann die Annexion der Krim
durch Russland. Um es ganz klar zu sagen: Bei allen
Schwierigkeiten, die aus der Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit der EU für den ukrainisch-russischen Handel ohne jeden Zweifel entstehen können und
über die ich auch wieder und wieder mit dem russischen
Präsidenten gesprochen habe, muss gelten: Nichts davon
rechtfertigt oder entschuldigt die Annexion der Krim
durch Russland.
({5})
Nichts davon rechtfertigt oder entschuldigt die direkte
oder indirekte Beteiligung Russlands an den Kämpfen in
Donezk und Luhansk.
({6})
Russland missachtet die territoriale Integrität der
Ukraine, und das, obwohl Russland sich gemeinsam mit
Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika im Budapester Memorandum 1994 genau zum
Schutz dieser territorialen Integrität verpflichtet hat. Das
Vorgehen Russlands stellt die europäische Friedensordnung infrage und bricht internationales Recht.
({7})
Meine Damen und Herren, militärisch ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Die Politik der Bundesregierung
folgt vielmehr einem Ansatz aus drei Elementen:
Erstens. Wir unterstützen die Ukraine politisch und
auch ökonomisch.
Zweitens. Wir lassen nichts unversucht, in Gesprächen mit Russland zu einer diplomatischen Lösung zu
kommen, ich zuletzt in Brisbane bei meinen Gesprächen
mit dem russischen Präsidenten, genauso wie der Außenminister Steinmeier bei seinen Gesprächen mit dem
russischen Außenminister und dem russischen Präsidenten vor wenigen Tagen in Moskau und jetzt auch wieder
in Wien. In allen Verhandlungen haben wir uns für die
Sicherheit der Gaslieferungen eingesetzt. Für das Handelsabkommen mit der Ukraine haben wir eine Verhandlungszeit von zwölf Monaten eingeräumt, um die
Probleme zu lösen, die Russland in seinen Änderungsvorschlägen für das Handelsabkommen vorgelegt hat.
Wir setzen uns für die Einhaltung des Minsker Abkommens ein. Wir sind bereit zu Gesprächen zwischen der
Eurasischen Union und der Europäischen Union über
Handelsfragen.
Und dennoch: Noch immer ist die Situation in
Luhansk und Donezk weit entfernt von einem Waffenstillstand. Deshalb sind und bleiben drittens wirtschaftliche Sanktionen weiterhin unvermeidlich.
({8})
Es zeigt sich: Für unsere Bemühungen, die Krise zu
überwinden, brauchen wir Geduld und einen langen
Atem. Das Ziel unseres Handelns ist eine souveräne und
territorial unversehrte Ukraine, die über ihre Zukunft
- nicht mehr und nicht weniger - selbst entscheiden
kann.
({9})
Das Ziel ist die Durchsetzung der Stärke des Rechts gegen das vermeintliche Recht eines Stärkeren. So anstrengend und lang der Weg auch ist, so überzeugt bin ich
dennoch, dass er uns gelingen wird.
({10})
Meine Damen und Herren, alle Teilnehmer des G-20Gipfels bewegten in Brisbane außerdem die Tragödie in
Syrien und die Lage im Irak. In beiden Ländern wütet
die Terrormiliz IS. Sie ist eine der brutalsten Bedrohungen für das Leben der Menschen in der Region - mehr
noch: für ganze Staaten -, die es je gegeben hat. Der IS
lockt zudem Tausende ausländische Kämpfer an, auch
aus den G-20-Ländern, im Übrigen aus allen G-20-Ländern, egal ob sie auf der anderen Erdhalbkugel liegen
oder hier in Europa. Seine radikale Enthemmung und
Bereitschaft zu morden bedrohen auch unsere Sicherheit.
Die Bundesregierung trägt deshalb aktiv zum Kampf
gegen den IS im Irak bei: durch Lieferung von Ausrüstung und Munition an die kurdische Regionalregierung.
Es bedarf auch hier der gemeinsamen Anstrengung der
Weltgemeinschaft gegen diese Bedrohung.
Eine der dramatischsten Folgen der weltweiten Krisen, Kriege und humanitären Katastrophen ist ohne
Zweifel ein starker Anstieg der weltweiten Flüchtlingszahlen, der uns alle vor große Herausforderungen stellt.
Allein nach Deutschland werden 2014 voraussichtlich
mehr als 200 000 Asylbewerber kommen. Wir versuchen, den vielen Menschen, die derzeit keinen anderen
Weg sehen, als ihre Heimat zu verlassen, auch dadurch
zu helfen, dass wir die Ursachen der Flucht in ihren Heimatländern bekämpfen. Auch deshalb engagieren wir
uns gegen den IS in Syrien und im Irak, und deshalb engagieren wir uns auch in Zukunft weiter in Afghanistan.
Dort löst am 1. Januar 2015 die Mission Resolute
Support den ISAF-Einsatz ab. In Zukunft beteiligen wir
uns daran, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden, zu
beraten und zu unterstützen.
Das, meine Damen und Herren, ist das weltwirtschaftliche und geopolitische Umfeld, in dem heute unsere Beratungen zum Bundeshaushalt 2015 stattfinden.
Natürlich bleibt diese geopolitische Lage nicht ohne
Auswirkungen auch auf die wirtschaftliche Lage in unserem Land. Denken wir nur daran, dass Wirtschaftssanktionen gegen Russland natürlich auch die deutsche
Wirtschaft treffen. Daran kann es keinen Zweifel geben.
Es kann deshalb gar nicht hoch genug geschätzt werden,
dass es Deutschland trotzdem gelingt, mit diesem Haushalt für Deutschland einen Wendepunkt zu markieren;
denn mit diesem Haushalt muss der Bund im kommenden Jahr zum ersten Mal seit 46 Jahren keine neuen
Schulden machen, um seine Vorhaben und Verpflichtungen bezahlen zu können.
({11})
Das gilt auch für kommende Jahre. Jahrzehntelang hat
der Staat über seine Verhältnisse gelebt. Damit machen
wir Schluss.
({12})
Deutschland ist Garant für Verlässlichkeit und Stabilität - für die Bürger wie für die Wirtschaft. Das ist wichtig für unser Land, aber auch wichtig für die Europäische
Union und die Euro-Zone; denn Deutschland wird als
Stabilitätsanker und Wachstumsmotor gebraucht.
Das Ziel, keine neuen Schulden zu machen, ist realistisch; denn obwohl sich die Wirtschaftsdaten aufgrund
der vielen internationalen Krisenherde zuletzt eingetrübt
haben, ist die Ausgangslage robust. Die Zahl der Arbeitslosen ist weiter gesunken. Sie lag im Oktober bei
2,7 Millionen, die Arbeitslosenquote bei 6,3 Prozent.
Die Zahl der Erwerbstätigen hat ein historisches Hoch
erreicht. Knapp 43 Millionen Menschen haben einen Arbeitsplatz, und der Anstieg geht vor allem auf den Anstieg der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zurück; die Zahl liegt jetzt bei über
30 Millionen.
({13})
Die gute Lage am Arbeitsmarkt ermöglicht auch spürbare Lohnzuwächse; das war ja viele Jahre nicht so.
Gute Beschäftigung sowie kräftige Lohnabschlüsse und
stabile Preise sorgen insgesamt für eine stabile Binnenkonjunktur. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem
Jahr voraussichtlich 1,2 Prozent betragen. Die Lohnzusatzkosten bleiben in etwa konstant. Die Senkung der
Rentenbeiträge auf 18,7 Prozent fängt die Steigerung der
Pflegebeiträge in etwa auf. Ziel der Bundesregierung ist
es, durch vernünftige Haushaltspolitik in den kommenden drei Jahren die gesamtstaatliche Schuldenquote auf
weniger als 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Dadurch bleibt der Staat auch in Zukunft handlungsfähig, wenn der demografische Wandel noch stärker als heute spürbar sein wird.
Meine Damen und Herren, künstliche Gegensätze
oder Entweder-oder-Debatten, die in vergangenen Monaten immer wieder ausführlich geführt wurden, vernebeln nicht nur die Sicht auf die Realität; sie vernebeln
auch die Sicht auf die Interessen Deutschlands und Europas. Ein solider Haushalt und eine Politik, die Wirtschaftswachstum fördert und investiert, sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten ein und derselben
Medaille. Es gibt nicht gute Sozialpolitik oder gute Wirtschaftspolitik; nur zusammen wird ein Schuh daraus, nur
zusammengedacht ist es das, was wir soziale Marktwirtschaft in unserem Lande nennen.
({14})
Zukunftsweisende Umwelt- und Energiepolitik sind
keine Gegensätze zu wirtschaftsfreundlicher Politik,
sondern sie sind moderne Wirtschaftspolitik. Wir schaffen für Bürger und Unternehmen stabile und verlässliche
Rahmenbedingungen, damit sie in die eigene Zukunft investieren können - sei es der Einzelne, der für seine Familie spart, sei es der Unternehmer, der in die Zukunft
der Firma investiert. Dafür muss der Staat Vertrauen
schaffen und erhalten - Vertrauen in stabile politische
Rahmenbedingungen, Vertrauen in gute Infrastruktur,
Vertrauen in verlässliche Sozialsysteme, Vertrauen in einen Staat, der gut haushaltet, der mit den Steuern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber verantwortungsvoll
umgeht. Dann investieren Menschen in Deutschland,
dann entstehen weitere Arbeitsplätze, und die vorhandenen können gesichert werden; dann kann unser Land mit
den vielfältigen Herausforderungen der Zukunft umgehen.
Meine Damen und Herren, es ist richtig: Deutschland
ist heute eines der wettbewerbsfähigsten Länder der
Welt. Dies bestätigte jüngst wieder der Report zur globalen Wettbewerbsfähigkeit des Weltwirtschaftsforums.
Dort nehmen wir den fünften Platz ein. Er stellt zudem
fest, dass der Bestand an öffentlichen Investitionen in
Deutschland hoch und qualitativ gut ist. Beim Infrastrukturindex belegt Deutschland Rang 7 von 144 Ländern. Aber darauf ruhen wir uns nicht aus. Wettbewerbsfähigkeit muss immer wieder neu erarbeitet werden.
Dazu muss unser Land innovativ bleiben und in Produkte und Dienstleistungen von morgen investieren.
Wir haben im Koalitionsvertrag als Bundesregierung
vereinbart, in Deutschland eine Investitionsquote anzustreben, die dauerhaft über dem Durchschnitt der OECD
liegt. Die Bundesregierung arbeitet an einer Investitionsstrategie, die unsere Möglichkeiten systematisch erfasst
und Verbesserungen aufzeigt. Vor allem bürokratische
Lasten für die Wirtschaft sollen möglichst gering gehalten werden. Dazu haben wir gerade gestern wieder Beschlüsse gefasst.
Darüber hinaus wollen wir die Investitionen des Bundes ab 2016 nochmals um 10 Milliarden Euro erhöhen.
Gerade durch Haushaltsdisziplin werden nachhaltige Investitionen möglich: im Verkehrsbereich, in der Energieversorgung, bei der Gestaltung des digitalen Wandels
und in Bildung und Forschung.
Deutschland hat eines der besten Verkehrsnetze weltweit, und die Bundesregierung wird über die ganze Legislaturperiode hinweg 5 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln bereitstellen, um die Erhaltung und
Modernisierung unseres Verkehrsnetzes voranzutreiben.
Die Aufwendungen des Bundes für Verkehrsinfrastruktur summieren sich auf 34 Milliarden Euro bis 2017.
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Infrastruktur sprechen, dann ist natürlich auch die Energie ein
wichtiges Thema. Die EEG-Novelle ist seit dem 1. August dieses Jahres in Kraft. Diese Reform schafft klare
Rahmenbedingungen für den weiteren Um- und Ausbau
unserer Energieversorgung. Zugleich gibt sie Planungssicherheit für notwendige Investitionen. Es ist weiter unser Ziel, die Kostendynamik bei der Entwicklung der
EEG-Umlage zu durchbrechen. Aktuelle Zahlen zeigen,
dass wir dieses Ziel im kommenden Jahr erreicht haben
werden. Es bleibt aber eine langfristige Aufgabe, die
Energiewende so zu gestalten, dass auch Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt und Bezahlbarkeit für alle
gegeben ist.
Die Energiewende ist eine der größten Herausforderungen - für Politik wie für die Volkswirtschaft insgesamt. Sie ist und bleibt eine Herkulesaufgabe, eine nationale Kraftanstrengung, und sie geht nicht ohne
Strukturveränderungen und Härten ab. Aber sie ist eine
der großen Investitionen in die Zukunft Deutschlands, in
Wachstums- und Arbeitschancen und damit in zukünftigen Wohlstand.
Die nächsten Schritte sind: Klarheit über den Leitungsausbau - beschleunigter Leitungsausbau im Übrigen -, Entscheidung über das Ob und Wie von Kapazitätsmärkten und die Aufgabe, den Einklang von
Energiewende und Klimaschutzverpflichtungen herzustellen.
Meine Damen und Herren, wir gestalten den digitalen
Wandel - eine, wenn vielleicht nicht die zentrale Gestaltungsaufgabe für Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung
die Digitale Agenda als eines der großen Projekte dieser
Legislaturperiode definiert. Dazu gehören die flächendeckende Breitbandversorgung und die geplante Versteigerung der 700-Megahertz-Mobilfunkfrequenzen. Ich bin
zuversichtlich, dass die ausstehende Einigung mit den
Ländern zur Bereitstellung der zusätzlichen Frequenzen
bis zur Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember gelingt.
Das Kursbuch Netzausbau, das die Netzallianz Digitales Deutschland Anfang Oktober beschlossen hat, konkretisiert Maßnahmen und Weichenstellungen für den
zügigen Breitbandausbau. Wir kommen damit dem Ziel
näher, bis 2018 eine flächendeckende Breitbandversorgung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen. Das ist wichtig für Unternehmen, wichtig für die deutsche Forschungslandschaft,
wichtig für den Alltag und die Lebensqualität jedes Einzelnen.
Wir müssen allerdings die Digitale Agenda auch im
europäischen Rahmen umsetzen. Das Telekommunikationspaket mit so wichtigen Fragen wie Netzneutralität
wird diese Woche wieder in der Europäischen Union beraten, genauso laufen die entscheidenden Beratungen zur
Datenschutzgrundverordnung. Bei beidem wird über
nicht mehr und nicht weniger entschieden, ob Europa ein
spannender Investitionsstandort im globalen Wettbewerb
sein wird in den nächsten Jahren und ob es uns gelingt,
den Wandel der Industrie zur Industrie 4.0 zu gestalten,
beides absolut entscheidende Zukunftsaufgaben.
({15})
Meine Damen und Herren, die Innovationskraft
Deutschlands und die Spitzenstellung als Wirtschaftsund Wissenschaftsstandort sind das Ergebnis unseres
konsequenten Engagements für Bildung und Forschung.
Von 2005 bis 2013 hat der Bund seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung um knapp 60 Prozent gesteigert. Mittlerweile liegen die Ausgaben bei rund
14,4 Milliarden Euro. Heute gehören wir zur Spitzengruppe in Europa, und wir werden auch in den kommenden Jahren alles tun, um das Ziel zu erreichen, 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren.
2015 steigt der Haushalt des Bundesbildungsministeriums um 1,3 Milliarden Euro auf knapp 15,3 Milliarden
Euro. In dieser Legislaturperiode investieren wir insgesamt 9 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und Forschung, und dazu gehört die 100-prozentige Übernahme
der Finanzierung des BAföG für Schüler und Studierende. Wir entlasten die Länder erheblich, und wir entlasten sie dauerhaft. Der Bund erwartet, dass diese Mittel
für die Bildung natürlich auch in den Ländern diesem
Zweck zugutekommen, insbesondere den Hochschulen.
({16})
Wichtig ist: Beim Thema Bildung geht es eben nicht
nur um Wissenschaftler, um Forschung und Spitzenleistungen, sondern es geht genauso um Ausbildung und berufliche Bildung.
({17})
Deutschland wird weltweit um das duale System der Berufsbildung beneidet, und das zu Recht. Sie bietet jungen
Menschen solide und praxisnahe Qualifizierung und einen erfolgreichen Einstieg in den Beruf an.
Wir wollen Qualität und Attraktivität der beruflichen
Bildung weiter stärken und junge Menschen im Ausbildungssystem besser begleiten, sofern das nötig ist. Die
Bundesregierung will deshalb gemeinsam mit Ländern
und Sozialpartnern eine Ausbildungsallianz beschließen,
und ich hoffe, dass die Verhandlungen bald abgeschlossen werden können.
Außerdem wollen wir die Potenziale von Jugendlichen aus Zuwandererfamilien besser wecken. Aus diesem Grund wird der 7. Integrationsgipfel in der nächsten
Woche, am 1. Dezember, den Schwerpunkt „berufliche
Ausbildung“ haben.
Junge Familien wollen darüber hinaus natürlich Familie und Beruf vereinbaren. Das Elterngeld Plus macht
es für Mütter und Väter künftig einfacher, Elterngeldbezug und Teilzeitarbeit miteinander zu kombinieren.
Auch die Elternzeit wird deutlich flexibler. Ziel ist es,
den jungen Eltern den Rücken zu stärken, die gemeinsam für ihre Kinder da sein wollen. Ich weiß, dass diese
Regelung allen, auch den Arbeitgebern, mehr Flexibilität
abverlangt. Dies gilt im Übrigen auch für die Frauenquote. Dennoch: Sie ist beschlossen, und sie wird kommen. Wir werden uns noch im Dezember, am 11. Dezember, im Kabinett damit befassen.
({18})
Wir können es uns nicht leisten, auf die Kompetenzen
der Frauen zu verzichten.
Meine Damen und Herren, die Menschlichkeit unserer Gesellschaft entscheidet sich auch an ihrem Umgang
mit denen, die Pflege brauchen. Der Deutsche Bundestag
hat am 17. Oktober das Erste Pflegestärkungsgesetz beschlossen. Es tritt zum 1. Januar 2015 in Kraft, und wir
haben damit ein Leistungspaket für alle Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verabschiedet, das die Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der
Tages- und Nachtpflege verbessert. Es wird vor allen
Dingen auch die Lebensqualität der Pflegebedürftigen in
Pflegeheimen verbessert. Die Pflege in Deutschland soll
sich damit stärker am Menschen, am Bedürftigen orientieren.
Zu den Schwächsten einer Gesellschaft gehören im
Übrigen auch die, die wegen Verfolgung oder aus Not
und Verzweiflung ihre Heimat verlassen und zu uns
kommen. Wir stehen zu unserer Verantwortung, Flüchtlinge zu unterstützen und politisch Verfolgten Asylrecht
zu gewähren.
({19})
Die Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Länder und Kommunen bei der Bewältigung
dieser Herausforderung besser zu unterstützen. Deshalb
stellen wir den Kommunen Liegenschaften zur Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung und haben im Haushalt 2014 300 neue Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschaffen.
Es war richtig und politisch geboten, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Seit Anfang November können von
vornherein erkennbar aussichtslose Asylanträge von Angehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und somit
die Anträge tatsächlich politisch Verfolgter zügig entschieden werden. Das muss unser Ziel sein.
({20})
Der Bund ist mit den Ländern über weitere Unterstützungsmöglichkeiten gerade in diesen Tagen im Gespräch.
Natürlich muss dies alles untrennbar damit verbunden
sein, alles dafür zu tun, dass die Menschen vor allem in
ihren Heimatländern eine Zukunft sehen und dass sie
dort eine Zukunft haben. Dafür setzt sich die Bundesregierung ein; die Initiativen von Bundesminister Müller
zielen genau in diese Richtung.
Im Übrigen wird auch das kommende Jahr ohne
Zweifel im Zeichen der globalen Herausforderungen stehen. Deutschland hat im Augenblick die G-7-Präsidentschaft inne. Sie wird unsere Arbeit im Jahr 2015 maßgeblich prägen. Im Rahmen der deutschen G-7Präsidentschaft wollen wir gezielt die Themen aufgreifen, die für die Zukunft der einen Welt von großer Bedeutung sind. Dazu gehören die Erarbeitung neuer Entwicklungsziele, die sogenannte Post-2015-Agenda, die
die bisherigen Millenniumsziele ablösen werden; dazu
gehört die Überwindung der absoluten Armut bis 2030;
dazu gehört der Schutz des Klimas und der Meere; dazu
gehört der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und vernachlässigte tropische Krankheiten; dazu gehören auch
die Stärkung von Frauen bei der Selbstständigkeit und
bei der beruflichen Bildung sowie die stärkere Beachtung sozialer und ökologischer Standards im internationalen Handel. Das sind unsere Schwerpunktthemen, die
wir gemeinsam als Bundesregierung erarbeitet haben.
({21})
Wir wollen in unserer Präsidentschaft konkrete Verbesserungen für die Menschen erreichen, in den Ländern
der G 7, aber auch weit darüber hinaus, nicht zuletzt
auch in den Entwicklungsländern.
Ein Beispiel ist der Kampf gegen die sich weltweit
ausbreitenden Antibiotikaresistenzen. In der Folge wird
die Behandlung vieler Infektionskrankheiten immer
schwieriger, Infektionen dauern länger, die Sterblichkeit
steigt. Ich begrüße ausdrücklich eine Reduzierung des
Einsatzes von Antibiotika vor allem bei der Nutztierhaltung. Wir müssen überlegen, was wir tun können, damit
Ausbrüche von Infektionskrankheiten in Zukunft schneller und besser bekämpft werden können. Zur Verhinderung solcher Epidemien in der Zukunft können Impfungen einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich freue mich
deshalb, dass die GAVI-Geberkonferenz - das ist die
Global Alliance for Vaccines and Immunization, also für
Impfungen - im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft im nächsten Januar hier in Berlin stattfindet.
({22})
Wir hoffen natürlich auf ein gutes Ergebnis.
Am 7. und 8. Juni nächsten Jahres wird dann in Elmau der G-7-Gipfel stattfinden.
({23})
Dort werden wir neben den genannten humanitären Fragen natürlich auch die Lage der Weltwirtschaft sowie
Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik erörtern. Wir
werden das Gespräch mit der Zivilgesellschaft suchen,
mit der wir die Kräfte bündeln wollen. Selbstverständlich wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag
regelmäßig zum G-7-Gipfel unterrichten.
Meine Damen und Herren, nach einigen Jahren gravierender wirtschaftlicher Krisen mit großen Auswirkungen auf die Menschen sind wir in diesem Jahr in
besonderer Weise mit sicherheitspolitischen und humanitären Krisen konfrontiert, die weltweit viele Menschen
bedrohen oder töten und Staaten an den Rand des Zerfalls bringen. Einmal mehr spüren wir, wie sehr die Politik gefordert ist. Sie ist gefordert, Verantwortung zu
übernehmen
({24})
für unsere Werte und Interessen, für die Gestaltung einer
menschlichen Weltordnung. Sie ist gefordert, Position zu
beziehen für Frieden und Freiheit. Die Bundesregierung
ist sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen
unseres Landes und gegenüber unseren Partnern in Europa bewusst.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bei den
Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt:
„Nichts muss so bleiben, wie es ist.“ Das ist ein Satz, der
Mut macht. Er strahlt aus, dass wir unser Schicksal in
der Hand haben. Diese Gewissheit hat den Menschen die
Kraft gegeben, für eine bessere Zukunft aufzustehen. Für
mich ist das Teil der großartigen Geschichte der friedlichen Revolution vor 25 Jahren.
({0})
Dieser Satz kann uns auch heute Mut machen. Auch in
einer Zeit voller Krisen können wir unsere Zukunft
selbst gestalten und zum Besseren wenden. Aber dieser
Satz macht nur dann Mut, wenn man eine Ahnung hat,
was in Zukunft sein soll. Da frage ich mich: Was folgt
für Sie, Frau Kanzlerin, aus Ihrem Satz für Deutschlands
Zukunft?
({1})
Was ist Ihre Vision für unser Land? Wie soll es in 10, 20
oder 30 Jahren aussehen? Wenn ich Ihnen zuhöre, dann
sehe ich nur diffusen grauen Nebel vor mir.
({2})
Ohne gute Ideen, ohne eine Vorstellung von unserer
Zukunft hat Deutschland schlechte Aussichten. Wenn
wir nicht endlich beim Klimaschutz wirklich vorangehen, dann zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Wenn
wir nicht endlich die Elektromobilität vernünftig umsetzen, bauen am Ende Tesla und Google die Fahrzeuge der
Zukunft und nicht Mercedes und VW. Wenn wir Frauen
nicht endlich anständig bezahlen, dann ist das nicht nur
ungerecht, sondern dann werden auch Wissen und Fähigkeiten verschwendet.
({3})
Wenn weiter nur darüber geredet wird und die Banken
und das Finanzsystem insgesamt nicht wirklich reguliert
werden, droht die Gefahr, dass wir wieder mit Milliarden
an Steuerzahlergeld unser Finanzsystem retten müssen.
Glauben Sie denn im Ernst, liebe Kolleginnen und Kol6508
legen von der Großen Koalition, dass Sie mit Rentengeschenken an Ihre Stammwähler,
({4})
mit Kohlekraftwerken aus der Zeit Konrad Adenauers
und der Ausländermaut die Zukunft Deutschlands sichern? Das ist doch wirklich aberwitzig, was Sie hier
machen.
({5})
Frau Bundeskanzlerin, schauen Sie sich hier, in Ihrem
Raum, um.
({6})
Hier sitzen wirklich Unmengen von Leuten.
({7})
Hier sitzt Ihre Große Koalition. Aber Ihre Maximalkoalition macht nichts anderes als Miniaturpolitik. „Nichts
muss bleiben, wie es ist.“ Dieser Satz würde Mut machen, wenn er für Ihren Koalitionsvertrag gelten würde.
Aber wenn ich in Ihren Koalitionsvertrag schaue, finde
ich keine Ideen für die Zukunft. Finden Sie Ideen für die
Zukunft? Ich würde Ihnen eines vorschlagen: Schmeißen
Sie einfach Ihren Koalitionsvertrag weg, und fangen Sie
noch mal neu an! Sie haben immerhin noch drei Jahre
zur Verfügung.
({8})
Ich will, wir Grünen wollen ein Deutschland, das
Energie aus Wind, Sonne und Wasserkraft gewinnt, das
die Kohle unter Tage lässt, kein Öl mehr verbrennt und
keine Atome mehr spaltet, in dem die Stoffkreisläufe geschlossen sind und kein Müll mehr die Welt verpestet,
ein Land, das die besten Kitas, Schulen und Unis und
das schnellste Internet hat, in dem jedes Kind sich voll
entfalten kann, egal wie viel Geld seine Eltern haben, in
dem sich Männer und Frauen Familien- und Erwerbsarbeit fair teilen, in dem pflegebedürftige und kranke Menschen würdig und anständig versorgt sind.
({9})
- Thomas Oppermann, du darfst auch klatschen. Wir
sind dir nicht böse deswegen. Du hast schon gut angesetzt.
({10})
- Ja, ein verständlicher Reflex. Wie gesagt, wenn ihr
euch ein bisschen anstrengen und endlich mal in die Puschen kommen würdet,
({11})
könnte es ja vielleicht irgendwann auch mal wieder was
werden, oder? Mit der Politik, fürchte ich, wird es aber
noch eine Zeitlang dauern, bis wir gemeinsam klatschen
können.
({12})
Ich wünsche mir ein Land, das Weltmeister in der
Flüchtlings- und Entwicklungshilfe ist, ein Deutschland,
das ohne räuberischen Verbrauch von Ressourcen auskommt, mit einer vielfältigen und kleinräumigen Landwirtschaft, dank der wir keine Angst vor multiresistenten
Keimen aus tierquälerischen Massentierhaltungsställen
haben müssen, ein Land, in dem wir uns schnell, nachhaltig und pünktlich auf der Schiene bewegen, ein Land
mit E-Autos und E-Bikes. So eine Vision könnte einen
Aufbruch schaffen, könnte Ideen freisetzen und, ja, sogar ein neues Wirtschaftswunder schaffen.
({13})
Ihre Politik, Frau Merkel, lebt leider von einer unterschwelligen Angst, von einer Angst vor Veränderungen,
von einer Angst vor der Konkurrenz aus China und
Indien, von einer Angst vor der Welt da draußen, wegen
der wir uns angeblich keinen Umbau in der Wirtschaft
leisten können, angeblich keine Reformen, angeblich
nicht mehr Sozialpolitik, nicht mehr Gerechtigkeit, nicht
mehr Umweltschutz, nicht mehr Nachhaltigkeit, nicht
mehr Zukunft. Aber wissen Sie, diese Angst produziert
nur Stillstand. Was wir brauchen, ist ein Aufbruch. Wir
brauchen einen echten Fortschritt und Visionen von einem besseren Deutschland.
({14})
Und wenn sich doch mal eine kleine, nette Fortschrittsidee in Ihren Koalitionsvertrag verirrt hat, wie die Frauenquote, dann veranstalten Sie, liebe Herren - da muss
man wirklich sagen: liebe Herren von der Union -,
({15})
ein veritables Heulsusenkonzert. Ihre Quote ist doch gerade mal ein Quötchen. Es kommen so seltsame Aussagen wie: Frauen seien eine Belastung, für die man ein
Moratorium brauchte. Das ist doch wirklich absurd. Wir
wissen doch alle, dass Frauen in Aufsichtsräten oder in
Unternehmen überhaupt diese Unternehmen stärken und
mehr Wirtschaftskraft schaffen.
({16})
- Vielen Dank, liebe SPD. Es wird immer besser.
({17})
Da wird einfach eine Rezessionsangst zur Verteidigung vor einem „old boys’ club“ in den Chefetagen instrumentalisiert, und Sie, liebe Kollegen von der Union,
lassen sich dafür einspannen. Ich sage mal so: Wegen so
ein bisschen Quote, Herr Kauder, müssen Sie doch wirklich nicht so rumweinen. In der Jugendsprache würde
man sagen: Heul doch!
({18})
Wenn wir uns unsere Energieversorgung anschauen,
stellen wir fest, dass die erneuerbaren Energien in den
letzten Jahren wunderbar gewachsen sind - dank eines
rot-grünen Gesetzes. Aber immer noch produzieren wir
drei Viertel unseres Stroms aus Atom, Kohle und Gas.
Die Menge des Klimakillers CO2 hat unter Ihrer Regierung sogar zugenommen. Von den zehn dreckigsten
Kohlekraftwerken ganz Europas stehen alleine sechs in
Deutschland. Frau Merkel und Herr Gabriel - man muss
ihn ja jetzt leider den „schwarzen Gabriel“ nennen - bewahren die Kohledinosaurier mit dieser Politik leider vor
dem Aussterben.
({19})
Deutschlands Versprechen, den CO2-Ausstoß bis zum
Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken - das ist ein Versprechen der ersten Großen Koalition -, werden Sie so nie
einhalten können. Wenn Sie jetzt davon reden, dass Sie
bei der Kohle vielleicht 22 Megatonnen CO2 einsparen
wollen, dann klingt das ja erst mal nach viel. Aber man
muss sich klarmachen, wie viel die Kohlekraftwerke
Deutschlands im Jahr ausstoßen. Sie stoßen 340 Megatonnen CO2 aus. Das heißt, wir reden von noch nicht einmal 7 Prozent. Für diese 7 Prozent lassen Sie sich feiern? Glauben Sie wirklich, so das Klima retten zu
können? Das ist doch kein wirklicher Fortschritt! Das ist
doch keine wirkliche Klimapolitik!
({20})
Dann kommt hinzu: Glaubt denn hier im Raum jemand noch ernsthaft, dass diese Ankündigung wirklich
wahrgemacht wird? Wir haben schon so viele Ankündigungen und einen solchen Zickzackkurs von Herrn
Gabriel in diesem Bereich erlebt. Mal war er der Schutzpatron der Kohle, mal war er der Klimaretter. Es gibt ja
auch in anderen Bereichen schöne Ankündigungen von
Herrn Gabriel. Glaubt das denn noch irgendwer?
({21})
- Ja, ich glaube Ihnen, dass Sie von der SPD ihm das
glauben. Aber Sie haben ja schon öfters seltsame Leichtgläubigkeit bewiesen, als es um Ankündigungen ging,
die sich dann nicht in Wirklichkeit umgesetzt haben.
({22})
Denken Sie nur an den Investorenschutz - da haben Sie
ja sogar einen entsprechenden Beschluss gefasst - oder
an andere Beispiele.
Deshalb: Wir glauben es ihm nicht. Wir sehen einen
Herrn Gabriel, der wild durch die Energiepolitik schlingert. Wir sehen einen Herrn Gabriel, der wie ein politischer Wackelpudding agiert. Auch wenn er jetzt nicht
mehr hier ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, muss ich sagen - das ist vielleicht nicht besonders
nett, und eigentlich mag ich Sigmar Gabriel echt gern;
aber wenn es um die Energiepolitik geht, fällt mir immer
dieses Bild ein -: Er agiert leider wie ein rot angestrichener Seehofer.
({23})
Ja, Herr Seehofer gehört halt auch zu Ihren Koalitionspartnern.
({24})
Es ist einfach bitter, wenn die SPD in manchen Politikbereichen anfängt, genauso zu agieren wie Herr
Seehofer.
({25})
Ich meine, dafür muss man sich schon etwas schämen.
Da können Sie sich natürlich aufregen und dazwischenplärren; das kann ich verstehen.
({26})
Aber anstatt hier dazwischenzuplärren, wäre es klüger,
Sie würden Herrn Gabriel dazu bringen, keine seehoferhafte, sondern eine vernünftige Politik zu machen.
({27})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber
auch liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, wer eine wirklich erfolgreiche Energiepolitik machen will, der muss raus aus der Kohle - natürlich nicht
auf einen Schlag, sondern Schritt für Schritt. Diese
Schritte müssen eingeleitet werden. Wir müssen raus aus
der Kohle.
({28})
Das ist auch nicht unmöglich. Das ist auch gar nicht so
schwer, wie man es sich vorstellt. Nehmen Sie sich ein
Beispiel an Dänemark: Dänemark will ab dem Jahr 2030
sowohl die Wärme als auch den Strom vollständig aus
erneuerbaren Energien erzeugen und bis zum Jahr 2050
sogar komplett auf erneuerbare Energien umstellen.
Nennen wir das doch einfach eine pragmatische Vision ehrgeizig, aber machbar. Das wäre ein echtes Vorbild.
Nehmen Sie sich doch ein Beispiel daran!
Dazu kommt noch etwas weiteres Schönes: Dänemark wird von da an keine einzige Krone mehr an Russland oder Saudi-Arabien überweisen müssen - weder für
Öl noch für Gas noch für Kohle. Das gesparte Geld kann
dann in Dänemark eingesetzt werden und dort neue
Werte und Arbeitsplätze schaffen, anstatt letztendlich
autoritäre Regime zu stabilisieren. Deutschland hingegen überweist immer noch über 30 Milliarden Euro pro
Jahr für Öl, Gas und Kohle an Russland und stabilisiert
damit das System Putins. Das muss doch überhaupt nicht
so bleiben. Das könnten wir durch Politik doch ändern!
Das könnten Sie, das könnte diese Große Koalition doch
ändern!
({29})
Dass nichts so bleiben muss, wie es ist, gilt auch für
die völlig verfehlte Agrarpolitik hier im Land. Mit dieser
Agrarpolitik der Großen Koalition zerstören wir weiterhin unsere Böden und wird dafür gesorgt, dass immer
mehr Gensoja nach Europa importiert wird, wird dafür
gesorgt, dass noch mehr Treibhausgase in der Landwirtschaft entstehen und dass mehr Gülle produziert wird,
die unser Grundwasser verseucht. Sie erhöhen durch den
ungezähmten Antibiotikamissbrauch das Risiko multiresistenter Keime, ja, Sie sind noch nicht einmal in der
Lage, Reserveantibiotika zu verbieten. Das ist doch einfach wirklich ekelhaft - das ist nicht nur ekelhaft, das ist
auch schlecht: schlecht für die Menschen, schlecht für
die Tiere und schlecht für unser Land, und damit muss
einfach endlich mal Schluss sein.
({30})
Ihre Politik führt am Ende auch dazu, dass sich die Investitionen der vielen anständigen Landwirte und Bauern in den Tier- und Umweltschutz nicht mehr lohnen.
Die warmen Worte und vielen Lippenbekenntnisse, die
wir hier immer wieder hören, helfen ihnen nichts, und
zwar so lange nicht, wie das Geld vor allem auf die
Großagrarindustriekonzerne konzentriert wird und die
kleinen und anständigen Bauern, die Milchbauern nichts
davon haben. Sie lassen sie einfach konstant hopsgehen.
Seit Jahren wird ein Landwirt nach dem anderen gezwungen, aufzugeben, und nimmt die Anzahl der Bauernhöfe ab. Das ist doch keine Politik, die irgendetwas
mit „konservativ“ oder „christlich“ zu tun hat und irgendwie gut für den ländlichen Raum ist.
({31})
Sie reden auch immer gerne von Marktwirtschaft und
von den Märkten. Merken Sie nicht, dass Sie hier einen
sich entwickelnden Markt verschlafen? Die Menschen
sind sehr viel weiter als die Große Koalition. Sie kaufen
schon längst Bio, und die Menschen kaufen doch längst
regional. Das Problem ist nur: Sie sorgen dafür, dass
diese Produkte nicht in Deutschland produziert werden
können. Mit Ihrer Art von Landwirtschaftspolitik halten
Sie das Angebot klein. Sie bremsen den Ökolandbau aus
und fördern stattdessen Agrarexporte. Damit führen Sie
nicht nur die Bauern, sondern auch die Verbraucher in
die Sackgasse. Der Effekt ist, dass wir die Biolebensmittel aus Österreich, aus der Schweiz und aus vielen anderen Ländern importieren müssen, weil Ihre Politik in
Deutschland dafür sorgt, dass sie hier nicht produziert
werden können.
({32})
Stattdessen gibt es hier eine sogenannte Tierwohlinitiative von Landwirtschaftsminister Schmidt. Das ist
eine schöne Tierwohlinitiative. Sie setzt darauf, dass
sich die Agroindustrie freiwillig bessert. Ja, glauben Sie
denn wirklich im Ernst, dass sich Wiesenhof freiwillig
bessert? Die Leute von Wiesenhof brauchen keine netten
Ansprachen, nach dem Motto: „Jetzt reden wir mal miteinander, Firma Wiesenhof. Halten Sie doch Ihre Hühner
und Puten mal ein bisschen besser“, sondern sie brauchen vernünftige Gesetze. Man muss sich gegenüber
diesen Lobbyisten einfach trauen, vernünftige Gesetze
durchzusetzen. Die Mehrheit dafür müssten Sie hier
doch zustande bringen mit Ihren 80 Prozent.
({33})
Das Gleiche gilt für den Haushalt. Auch im Haushalt
müsste eigentlich nichts so bleiben, wie es ist. Es muss
nicht dabei bleiben, dass Deutschland zu wenig in Schienen, Brücken und Schulgebäude investiert, und es muss
auch nicht dabei bleiben, dass wir Anfang des 21. Jahrhunderts noch immer in vielen Ecken kein funktionierendes Internet für alle haben. Es muss doch nicht so
bleiben, dass im Bildungssektor, von der Kita über die
Schulen bis zu den Universitäten, schlicht zu wenig Geld
vorhanden ist. All das könnte man doch ändern. Das
müsste doch mit einer 80-Prozent-Mehrheit änderbar
sein, oder etwa nicht?
({34})
Aber dafür müssten Sie eine andere Politik machen.
Dafür müssten Sie einfach Geld in die Hand nehmen,
Geld, das im Grunde im Haushalt vorhanden ist. Dafür
müssten Sie ein paar ökologisch schädliche Subventionen streichen und dann das Geld sinnvoll ausgeben.
Stattdessen lassen Sie sich für ein 10-Milliarden-EuroInvestitionsprogramm feiern. Von diesem 10-MilliardenEuro-Investitionsprogramm soll im nächsten Jahr de
facto nichts kommen und in den folgenden Jahren vielleicht jeweils 3 Milliarden Euro. Also bitte! Welcher Anteil vom Bundeshaushalt ist denn das? Ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm klingt zwar gut, aber
das ist ungefähr 1 Prozent des darauffolgenden Haushalts. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein.
({35})
De facto sind das nur Krumen, die vom Tisch des
Finanzministers fallen. Die Folge davon ist, dass sich
Ihre Minister um diese Krumen streiten wie die Spatzen
im Biergarten. Es ist doch nicht so, dass wir Breitbandausbau oder Gebäudesanierung brauchen, dass wir
Straßen- und Schienenerhalt oder Geld für die Kommunen brauchen. Nein, wir brauchen beides. Deshalb geben
Sie Ihren Ministern nicht nur Krumen, sondern geben
Sie ihnen endlich Geld, damit sie sich nicht so kindisch
um diese Kleinigkeiten streiten müssen! Deutschlands
Zukunft braucht beides.
({36})
Deutschland bräuchte wirklich einen Investitionsschub. Sie aber legen einfach die Hände in den Schoß
und betreiben Schönfärberei. Erst heute haben Sie wieder Schönfärberei betrieben. Wissen Sie, Frau Merkel,
Sie müssen uns von der Opposition nichts glauben. Sie
müssen auch mir nichts glauben.
({37})
- Da sind wir ganz großzügig. Wir haben ja sehr kompetente Verbündete.
({38})
Schauen Sie sich doch einfach einmal den Bericht der
OECD an. In dem Bericht der OECD steht, dass sich die
Wachstumsaussichten für Deutschland halbieren werden. Die Euro-Zone wird als der kranke Wirtschaftsraum
des Globus identifiziert, und massive Investitionen in
Bildung und Infrastruktur werden angemahnt.
({39})
Das ist das bittere Urteil der OECD über Ihre fatale
Haushaltspolitik, über Ihre schwächliche Investitionspolitik, Ihre fehlgeleitete Politik.
({40})
Aber anstatt das ernst zu nehmen, produzieren Sie einfach weiter Verlierer und sorgen nicht dafür, dass ausreichend Geld investiert wird.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit Ihren Kollegen
in Brisbane ein wunderschönes Wachstumspaket mit sagenhaften 800 Maßnahmen geschnürt. Aus Deutschland
kommt allerdings überhaupt nichts Neues. Sie haben
einfach den Koalitionsvertrag genommen und die darin
enthaltenen Maßnahmen ins Abschlussdokument kopiert. Das war es dann: „copy and paste“. Und dafür sind
Sie um die halbe Welt geflogen?
Aber es gab wunderschöne Fotos, die wir bewundern
konnten. Dieses Mal waren es keine schönen Fotos mit
roter Windjacke vor Eisbergen, sondern stattdessen
schöne Fotos von nächtlichen Abstechern in die Pubs
von Brisbane. Dazu kann man sagen: Immerhin, dafür
hat sich die Reise gelohnt.
({41})
Allerdings: Zukunft gestalten geht heute eben nur noch
global. Gerade im nächsten Jahr werden wichtige Weichen gestellt. Da kommt es entscheidend auf Deutschland an.
({42})
- Regen Sie sich nur darüber auf. Wenn Sie sich aufregen, dann merkt man, dass es wehtut.
({43})
In der Tat haben wir heute den wunderschönen Beginn Ihres Gipfeltheaters erlebt. Ich sehe das nächste
Jahr schon vor mir: Da holen Sie, Frau Merkel, wieder
das schöne rote Jäckchen aus dem Schrank,
({44})
weil das mit den Grönlandfotos damals so gut geklappt
hat. Der liebe Sigmar bürstet sich ein bisschen den Kohlestaub vom Jackett.
({45})
Dann machen Sie sich beide fein für den Klimagipfel
und für die G-7-Präsidentschaft.
({46})
Aber wissen Sie: Beim Klimaschutz zählt nicht die
Optik, sondern da zählen die realen Taten. Was die angeht, sind Sie kein schönes Paar.
({47})
Während in den USA und in China neue Bewegungen
entstehen, herrscht in Deutschland und Europa Stillstand. Diesen können Sie auch mit Ihren schönen Worten
nicht mehr kaschieren. Auch bei den anderen globalen
Herausforderungen übernehmen Sie keine Führung.
Wo bleiben denn Ihre konkreten Vorschläge gegen
Steuertricksereien, wie sie der Konservative Juncker in
Luxemburg oder der Sozialdemokrat Dijsselbloem zu
verantworten haben? Dazu sagen Sie nichts. Wir hören
zwar zum wiederholten Male, dass die Banken und das
Finanzsystem jetzt reguliert sind und etwas gegen die
Steuertricksereien unternommen wird, aber vom Reden
alleine wird das alles nicht unterbunden. Wir wünschen
uns schlichtweg Taten von Ihnen. Denn auch von noch
so schönen Reden - ehrlich gesagt, sie waren eher ermüdend - und von noch so schönen inhaltlichen Aussagen
({48})
wird, wie gesagt, das Steuersystem nicht gerechter gestaltet.
({49})
Deutlich wurde allerdings, was Ihnen wichtig ist: das
globale sogenannte Freihandelsabkommen TTIP.
({50})
Damit kann es Ihnen gar nicht schnell genug gehen. Da
werden einfach der Rechtsstaat und die rechtsstaatlichen
Maßnahmen zu sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen erklärt. Wir brauchen allerdings in Deutschland kein Abkommen für Konzerne mit besonderen Klageprivilegien.
({51})
Wir haben in Deutschland einen funktionierenden
Rechtsstaat mit demokratisch legitimierten Gerichten.
({52})
Sie reichen aus, und sie haben sich bewährt.
Wir brauchen auch kein Standarddumping. Ich finde,
wir müssen das europäische Vorsorgeprinzip behalten.
Wir brauchen kein Handelsabkommen, das Gewinne für
wenige organisiert, sondern wir brauchen endlich ein
Handelsabkommen, das fairen Handel für alle organisiert. Das erwarten wir von Ihnen.
({53})
Wir haben in der Ukraine erlebt, dass tatsächlich
nichts so bleiben muss, wie es ist. Vor einem Jahr haben
sich die Menschen in der Ukraine auf dem Maidan versammelt. Die Menschen, die aus allen Teilen des Landes
kamen, bekannten sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einer offenen Gesellschaft. Diese Menschen
können sich unserer Solidarität sicher sein.
({54})
Ein Jahr danach ist nichts mehr, wie es einmal war.
Die Krim ist von Russland militärisch annektiert worden: ein ganz klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. In
der Ostukraine setzt die russische Führung ihre Destabilisierungspolitik fort.
In dieser verfahrenen Situation können Deutschland
und die EU nur mit Geschlossenheit Fortschritte erreichen. Diese Geschlossenheit herzustellen ist Ihre Verantwortung. Das ist die Verantwortung unserer Bundesregierung.
({55})
In dieser Krise helfen uns auch keine markigen Worte
der NATO und Gedankenspiele in Richtung NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Das kann uns nicht helfen und
wird auch den Frieden in Europa nicht erhalten.
({56})
Grundfalsch wäre es aber, gegenüber dem russischen
Präsidenten den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass
Europa entschlossen ist, in dieser Frage zusammenzustehen. Denn Sicherheit und Frieden kann es in Europa
zwar nur mit Russland geben, aber Putin zeigt derzeit
kaum Bereitschaft zur Lösung des Konfliktes. Er nutzt
stattdessen den Konflikt, um gegen Kritikerinnen und
Kritiker innerhalb Russlands vorzugehen. Deshalb waren die verhängten Sanktionen unumgänglich, und ich
sehe derzeit keine Grundlage, um sie wieder aufzuheben.
Ja, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine,
aber wir sind auch auf der Seite der Opposition in Russland.
({57})
Sehr geehrte Frau Kanzlerin, kürzlich war im Spiegel
ein Interview mit einer 20-jährigen Frau zu lesen. Seit
diese Frau Politik wahrnimmt, kennt sie nur Sie als
Kanzlerin, Frau Merkel.
({58})
- Seit dieser Zeit kennt sie nur Sie bewusst als Kanzlerin; eine Fünfjährige nimmt Politik nicht wahr.
Diese Frau ist über Ihre Arbeit als Kanzlerin befragt
worden. Ich zitiere wörtlich:
Dieses Abwarten von ihr, dieses Passive macht
mich wütend. Dass sie uns keine klaren Standpunkte zutraut, dass sie sich das nicht zutraut. So
eine schlaue Frau, aber was will sie denn? Ich weiß
nicht, was sie will. Ich kann sie nicht verstehen.
({59})
Tja, Frau Merkel, damit spricht sie vielen Menschen
in Deutschland aus der Seele. Ihre heutige Regierungserklärung hat uns wieder kein Stück vorangebracht. Ihre
Regierungserklärung ist wieder vollkommen durch das
Ungefähre gewabert, ohne anzuecken, ohne vorauszublicken, ohne irgendetwas anzustoßen. Der Klimawandel
wartet doch nicht. Unsere Kinder haben doch keine Zeit
mehr zu verschwenden in nicht sanierten Schulen. Die
Unternehmen brauchen doch endlich ein schnelles Internet. Die Flüchtlinge brauchen unsere bedingungslose
Hilfe, und Europa braucht vernünftige Investitionen.
Drei weitere Jahre, in denen Sie weiter so amtsmüde und
ideenlos vor sich hinwerkeln, kann sich unser Land,
kann sich unsere Zukunft nicht leisten. „Nichts muss so
bleiben, wie es ist.“ - Ja, das gilt auch für Sie, Frau Bundeskanzlerin. Sie könnten sich doch noch einmal einen
Ruck geben. Schmeißen Sie Ihren Koalitionsvertrag
weg!
({60})
Entwickeln Sie eigene Ideen! Unserem Land und unserer
Zukunft wäre es zu wünschen. Uns allen wäre es zu
wünschen.
Vielen Dank.
({61})
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass es der Koalition gestern Abend gelungen ist
- die Bundeskanzlerin hat das schon erwähnt -, sich auf
die wesentlichen Inhalte der Frauenquote zu einigen.
Das zeigt, dass wir in der Koalition auch bei kontrovers
diskutierten Themen entscheidungsfähig sind.
({0})
Die Quote kommt, und sie kommt genau so, wie wir sie
im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie kommt mit
Gesetzeskraft, ohne Ausnahmen, ohne Härtefallklauseln.
Das ist ein großer gesellschaftlicher Fortschritt.
({1})
Diese Quote hat durchaus eine historische Dimension;
denn mit ihr wird die Gleichberechtigung in den Vorstandsetagen und Aufsichtsräten der Unternehmen in
Deutschland einen gewaltigen Sprung nach vorne machen. Das ist vor allem ein starkes Signal an die qualifizierten Frauen in diesem Land. Sie sind keine Belastung
für die Wirtschaft. Sie sind eine Bereicherung und eine
Verstärkung für die Wirtschaft.
({2})
Ich möchte allen in beiden Koalitionsfraktionen und
in der Bundesregierung danken, die auf diese Einigung
hingearbeitet haben. Vor allem aber möchte ich der Frauenministerin Manuela Schwesig danken, dass sie so hartnäckig, so selbstbewusst und so erfolgreich für diese
Quote gekämpft hat. Es ist gut, dass wir eine starke
Frauenministerin haben.
({3})
Vor einigen Wochen hat uns die Konjunkturprognose
1,3 Prozent Wachstum für das nächste Jahr vorhergesagt,
übrigens so viel wie seit Jahren nicht mehr. Aber wer die
Debatte in Deutschland verfolgt, hat das Gefühl, dass
wir in einer anderen Welt leben. Bei den Grünen ist eine
bessere Rente für Mütter und Langzeitarbeitnehmer eine
Belastung für die Konjunktur.
({4})
Bei den Wirtschaftsprofessoren ist ein ausgeglichener
Haushalt eine Bedrohung für künftige Generationen. Der
Mindestlohn ist schuld daran, dass die Wirtschaft weniger wächst. Wer solche Gegensätze aufbaut, verunglimpft nicht nur Arbeitnehmer und Rentner in diesem
Land, sondern spielt auch Dinge gegeneinander aus, die
nur zusammen funktionieren.
({5})
Unsere Konjunktur funktioniert nur mit einer guten
Binnennachfrage. Künftige Investitionen funktionieren
nur mit einer soliden Haushaltsführung. Eine erfolgreiche
Wirtschaft funktioniert nur mit sozialer Gerechtigkeit.
Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag diese Dinge zusammengebracht, statt falsche Alternativen aufzubauen.
Eine falsche Alternative, lieber Toni Hofreiter, ist es
auch, wenn Sie den Klimaschutz gegen die Wirtschaft in
Stellung bringen.
({6})
Um es ganz klar zu sagen: Wir stehen zu dem Ziel, bis
2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber
1990 zu reduzieren, und wir stehen auch zum Umbau
unseres Energiesystems. Bis 2050 werden 80 Prozent
des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Aber
wozu wir auch stehen, ist, dass dieser Umbau sozialverträglich gestaltet wird, dass die Strompreise auch für die
Wirtschaft bezahlbar bleiben und dass der Strom verlässlich aus der Leitung kommt.
({7})
Sozialverträglich, bezahlbar und verlässlich, an diesen
Kriterien hängt die Akzeptanz der Energiewende. Die
bekommen Sie eben nicht mit der Brechstange, wenn Sie
gleichzeitig aus Atomstrom und Kohlestrom aussteigen
wollen.
Natürlich muss auch der Kraftwerkspark einen fairen
Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten. Deshalb hat Sigmar Gabriel der Energiewirtschaft eine klare
Marschroute vorgegeben. Die Kraftwerksbetreiber müssen bis 2020 mindestens 22 Millionen Tonnen CO2Emissionen einsparen. Wie dieses Ziel erreicht wird,
entscheiden die Unternehmen. Das halte ich für eine
kluge Lösung, die Ökonomie und Ökologie zusammenbringt.
Deshalb gibt es keinen Grund zu Alarmismus, weder
bei den Gegnern der Kohle noch bei ihren Befürwortern.
Den einen geht der Beitrag der Kohle zu weit, den anderen geht er nicht weit genug; das ist ein gutes Indiz dafür,
dass Sigmar Gabriel mit seinem Vorschlag genau richtig
liegt.
({8})
Was wir jetzt brauchen, ist ein schneller Einstieg in
die Energieeffizienz. Nur wenn wir es endlich schaffen,
weniger Energie zu verbrauchen und Energie besser zu
nutzen, werden wir langfristig das Klima schützen können.
Meine Damen und Herren, wir beschließen in dieser
Woche einen historischen Haushalt: seit 46 Jahren zum
ersten Mal ohne Neuverschuldung. Das haben wir trotz
einer schlechteren Konjunkturentwicklung geschafft,
ohne soziale Kürzungen und mit mehr Geld für Bildung,
Forschung, Kommunen und Infrastruktur. Das ist insgesamt eine gute Botschaft für junge Menschen in diesem
Land. Wir wollen keine Politik mehr zulasten künftiger
Generationen machen.
({9})
Denn selbst wenn wir uns heute zu Niedrigzinsen verschulden könnten, wozu uns einige raten, muss man
doch sehen: Die Schulden bleiben uns über Jahrzehnte
erhalten, und bei steigenden Zinsen müssen wir dafür
teuer bezahlen.
({10})
Ich finde es ausgesprochen erfreulich und ich bin dem
Finanzminister Schäuble sehr dankbar dafür, dass er für
die Zeit ab 2016 Haushaltsreserven von 10 Milliarden
Euro für zusätzliche Investitionen mobilisiert hat. Das ist
ein starkes Signal für die Konjunktur in diesem Land.
Wir sehen die Schwerpunkte für ein Investitionsprogramm bei der Infrastruktur, beim Netzausbau, bei energetischer Sanierung, beim Breitbandausbau, bei kommunalen Investitionen und im Städtebau.
({11})
Ich glaube, wir dürfen uns im Ergebnis aber nicht darauf beschränken, nur die öffentlichen Investitionen zu
steigern; wir müssen auch die privaten Investitionen ankurbeln. Deshalb ist es gut, dass eine Expertengruppe
des Bundeswirtschaftsministers an Vorschlägen für mehr
Investitionen arbeitet.
({12})
Herr Kollege Oppermann, darf die Kollegin
Haßelmann Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, bitte.
Vielen Dank für die Möglichkeit einer Zwischenfrage. - Lieber Thomas Oppermann, Sie haben gerade
aufgezählt, wo Sie überall investieren und wie stark
diese Regierung bei Investitionen vorangeht. Allein, mit
den Fakten passt das nicht zusammen. Vielleicht können
Sie einen Teil Ihrer Redezeit darauf verwenden, uns das
zu erklären. Sie feiern sich hier für Investitionen in Straßen- und Brückensanierung, in Breitbandausbau und
viele andere Bereiche, senken aber im Bundeshaushalt
gleichzeitig die Investitionsquote. Wie passen diese Fakten zusammen? Darauf können Sie uns sicher eine Antwort geben.
Das Zweite, was ich noch kurz anmerken möchte, ist:
Ich finde, hier im Haus ist den Frauen aus allen Fraktionen zu danken, die sich seit Jahren für die Quote eingesetzt haben, und nicht nur einer Ministerin, die Ihrer
Fraktion angehört.
({0})
Ich hätte mich gerne, liebe Britta Hasselfeldt, auch
bei den Grünen bedankt. Aber ich wollte Sie jetzt - ({0})
- Liebe Kollegin Hasselfeldt - ({1})
- Haßelmann; die Nacht war kurz. - Ich hätte mich
gerne auch bei den Grünen bedankt. Aber nachdem Ihr
Fraktionsvorsitzender gesagt hat, das sei eigentlich gar
keine Quote, wollte ich Sie nicht mit zu viel Lob überstrapazieren.
({2})
Was die Investitionen angeht, dürfen Sie natürlich
nicht nur auf den Haushalt schauen. Sie müssen auch auf
die mittelfristige Planung schauen. Sie müssen sehen,
dass diese Koalition die Lkw-Maut auf Bundesstraßen
ausweiten wird, und Sie müssen sehen, dass der Investitionshaushalt für öffentliche Infrastruktur bis zum Ende
der Wahlperiode insgesamt um 40 Prozent gesteigert
wird, und zwar, unabhängig von dem geplanten Sonderprogramm für Investitionen, nachhaltig und dauerhaft.
Damit zeigen wir, dass wir nicht nur kurzfristig, sondern
auch langfristig das Problem des Investitionsstaus in
Deutschland angehen. - Vielen Dank.
({3})
Was Investitionen in der Wirtschaft auch erleichtern
könnte, wäre ein Bürokratieabbau. Wir haben in den
letzten Jahren Kosten für Informationspflichten in Höhe
von 12 Milliarden Euro eingespart. Trotzdem ist die
deutsche Wirtschaft immer noch mit Bürokratiekosten in
Höhe von 40 Milliarden Euro belastet. Ich weiß, jede
einzelne bürokratische Regelung hat immer auch einen
rationalen Kern. Jede einzelne Regelung lässt sich für
sich immer irgendwie begründen. Aber in der Summe
sind diese Regelungen für die Wirtschaft oft eine fast unerträgliche Belastung. Deshalb müssen wir dieses Problem angehen.
Sigmar Gabriel hat ein Paket zum Bürokratieabbau
vorgelegt. Ich habe große Sympathie für die neue Regel
„one in, one out“. Immer dann, wenn neue Bürokratie
geschaffen wird, muss sie an anderer Stelle in gleichem
Umfang abgebaut werden. Die letzte Große Koalition
hat es geschafft, mit der Schuldenbremse die Neuverschuldung zu stoppen. Ich finde, diese Große Koalition
muss jetzt mit einer Bürokratiebremse endlich dafür sorgen, dass die Bürokratie für Unternehmen gestoppt wird,
dass Unternehmer und Arbeitnehmer sich wieder auf
ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können und
dass sie wertschöpfende Tätigkeiten ausüben, ohne dabei von einem Übermaß an Bürokratie behindert zu werden, meine Damen und Herren.
({4})
Nur 8 Prozent des Bürokratieaufwandes betreffen die
Statistik. Über 30 Prozent betreffen die Steuererklärung.
Ein Beispiel dafür ist die Abschreibung geringwertiger
Wirtschaftsgüter. Da kauft ein Schreiner einen PC für
500 Euro. Anstatt die Kosten direkt vom Umsatz abziehen zu können, muss er sie umständlich auf drei Jahre
verteilen. Ich sehe keinen fiskalischen Sinn in einer solchen Aufteilung, und ich sehe darin auch keine Möglichkeit, Steuerbetrug zu verhindern. Deshalb sollten wir in
dieser Wahlperiode über diese Themen zu gegebener
Zeit noch einmal sprechen.
Es ist eindeutig sinnvoller, Steuerbetrug dort zu bekämpfen, wo er uns wirklich Geld kostet, nämlich bei
den transnationalen Unternehmen, die in Luxemburg
und in den Niederlanden Steuerschlupflöcher nutzen,
während unsere Mittelständler hier 30 Prozent Steuern
zahlen müssen. Steuerdumping in der EU ist unerträglich. Es schadet unseren Unternehmen und geht zulasten
aller Steuerzahler in diesem Land.
({5})
Deshalb finde ich es gut, dass sich Finanzminister
Schäuble und Jean-Claude Juncker offen zeigen für die
Einführung von Mindeststeuern in der Europäischen
Union. Mindeststeuern für Unternehmen sind ein probates Mittel der Steuervermeidung. Wir wollen, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie auch erwirtschaftet
werden.
({6})
Ausgeglichener Haushalt, Bürokratieabbau, Investitionen, das sind Weichenstellungen für die Zukunft.
Aber für künftige Generationen ist auch wichtig, wie wir
in der Welt miteinander Handel treiben. Ich bin davon
überzeugt: Ein Land wie Deutschland, das 40 Prozent
seiner gesamten Wirtschaftsleistung im Export verdient,
darf sich nicht vom Handel abschotten, sondern muss
dem internationalen Handel offen gegenüberstehen. Die
EU und die USA bilden mit 800 Millionen Einwohnern
den größten Markt der Welt. Für große Konzerne ist es
kein Problem, auf diesen Märkten zu agieren. Aber unsere Mittelständler können es sich kaum leisten, teure
Expertengruppen zu bezahlen, um die unterschiedlichen
technischen Systeme zu überwinden oder gleich eine eigene Fabrik in den USA zu bauen. Deshalb ist eine gute
Handelspartnerschaft mit den USA eine gute, große
Chance für unsere mittelständischen Unternehmen.
({7})
Unser Ziel ist es, bei TTIP die bestmöglichen Standards zu erreichen - für die Verbraucher, für die Arbeitnehmer, für die Umwelt. Natürlich muss der Zugriff auf
unsere kommunale Daseinsvorsorge und auf unsere kulturellen Institutionen von vornherein ausgeschlossen
bleiben. Dass in entwickelten Rechtssystemen InvestorStaat-Schiedsverfahren nicht mehr zeitgemäß sind, das
ist inzwischen gründlich dargelegt worden. Wir treten
dafür ein, dass alle Investoren, unabhängig davon, ob sie
Inländer oder Ausländer sind, effektiven Rechtsschutz
bekommen und dass er am besten vor staatlichen Gerichten aufgehoben ist.
({8})
Jetzt geht es darum, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern für erfolgreiche Verhandlungen zu sorgen. Die Forderungen nach Verhandlungsabbruch sind
abstrus; denn wenn wir nicht verhandeln, dann werden
andere verhandeln. Die Standards, auf die andere sich
verständigen, das werden nicht unsere Standards sein.
Entweder die Globalisierung gestaltet uns, oder wir gestalten die Globalisierung. Ich bin eindeutig für Letzteres.
({9})
Herr Oppermann, darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
({0})
Danke, Herr Oppermann. - Ich habe die Debatte in
Ihrer Partei zu diesem Thema in den letzten Monaten
verfolgt. Sie haben einen Beschluss auf einem kleinen
Parteitag gefasst. Wir haben das hier im Bundestag debattiert, insbesondere auch die Frage des Investorenschutzes. Die Position Ihres Parteitages war eigentlich
so, dass, wenn ich dies richtig interpretiert habe, man
dies nicht will. Jetzt nehme ich - auch in den Medien,
auch von Herrn Gabriel - eine gewisse Abkehr von dieser Position wahr. Heißt das nun, dass Sie bereit sind,
CETA, das Abkommen der EU mit den Kanadiern, auch
dann zu akzeptieren, wenn darin ein Investorenschutz
enthalten ist? Bedeutet das ebenfalls, dass Sie auch TTIP
akzeptieren würden, wenn darin ein Investorenschutz
enthalten wäre, obwohl Ihr Parteitag entschieden hat,
dass man dies nicht will?
Wir sind jetzt dabei, TTIP zu verhandeln. Mitten in
Verhandlungen genau zu definieren, unter welchen Voraussetzungen man zustimmt oder ablehnt, halte ich
nicht für klug.
Wir haben deutlich gemacht, dass wir für Investoren
gleiches Recht wollen. Welches Recht ein Investor bekommt, kann nicht davon abhängen, woher er kommt.
Wenn beispielsweise ausländische Investoren in schiedsgerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche einklagen können, aber zum Beispiel deutsche Investoren
vor ordentlichen Gerichten nicht die gleichen Möglichkeiten haben, wäre das eine Ungleichbehandlung, die
von vornherein nicht akzeptabel ist. Wir wollen keine
Paralleljustiz. Wir wollen, dass in entwickelten Rechtsstaaten die Möglichkeiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit genutzt werden; da gehört die Lösung von Konflikten hin. In keinem Fall wollen wir, dass über
schiedsgerichtliche Verfahren die Entscheidungen von
demokratisch legitimierten Gesetzgebern delegitimiert
werden. Das ist unsere Position, und für die treten wir
jetzt auch in den Verhandlungen ein.
({0})
- Das ist unser Beschluss. Lesen Sie nach!
Meine Damen und Herren, auch 25 Jahre nach dem
Mauerfall bleibt der Aufbau Ost eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch viele Regionen im Westen
Deutschlands brauchen Unterstützung. Dass dafür die
Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag auch nach
2019 noch gebraucht werden, hat die Bundeskanzlerin
schon vor einem Jahr klargestellt, und darin sind sich
auch alle Fraktionen in diesem Hause einig.
({1})
Die rot-grünen Ministerpräsidenten und Finanzminister
Schäuble haben vorgeschlagen, wie das gehen könnte.
Der Soli würde in die Einkommensteuer integriert, und
dabei könnte man auch das Problem der kalten Progression lösen. Das wäre ein Weg, wie man einen Teil des
Soli an die Steuerzahler zurückgeben könnte.
({2})
Wer diesen Weg nicht gehen will - man mag das gut
oder schlecht finden -, wer ihn schlecht findet und die
Integration nicht will, der muss konkrete Vorschläge machen, wie ein anderer Weg aussehen könnte.
({3})
Eines ist klar: Wir brauchen in Zukunft eine Solidarität zwischen den Regionen, die sich nicht nach Himmelsrichtungen, sondern nach dem Bedarf richtet, meine
Damen und Herren.
({4})
Dieser Bedarf ist so verschieden wie unser Land. Dresden und Leipzig sind heute attraktive Wachstumskerne,
die qualifizierte Zuwanderer anlocken. Aber nicht überall im Osten ist das so. Das Saarland und Bremen haben
mit einer erdrückenden Schuldenlast zu kämpfen.
NRW hat einen Strukturwandel hinter sich, der es in
seiner Dimension durchaus mit dem Aufbau Ost aufnehmen kann. Seit der Kohle- und Stahlkrise im Ruhrgebiet
sind 1,2 Millionen Arbeitsplätze allein im Bergbau und
im Bereich Stahl weggefallen. Trotzdem gibt es im
Ruhrgebiet heute mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als vorher. Ob in Marl, Essen, Dortmund,
Duisburg oder Bottrop - in vielen Städten wurden innovative neue Zentren für Dienstleistungen, Wissenschaft
und Industrie aufgebaut. Damit ist NRW heute sogar
Nettozahler im Länderfinanzausgleich,
({5})
wenn man auch den Umsatzsteuerausgleich zwischen
den Ländern betrachtet. Ich finde, es ist eine enorme
Leistung, die da vollbracht worden ist.
({6})
Aber dieser Strukturwandel hatte auch seinen Preis, und
diesen Preis hat NRW bisher weitestgehend allein bezahlt. Auch darüber müssen wir reden, wenn wir die
Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu ordnen. Wir können einzelne Länder, die einen tiefgreifenden Strukturwandel durchmachen, nicht alleinlassen,
({7})
genauso wenig wie wir Bayern
({8})
beim Strukturwandel vom Agrarland zu einem modernen Industrieland alleingelassen haben.
({9})
Wir wollen nicht, dass sich die Gräben der Ungleichheit zwischen den Bundesländern weiter vertiefen. Das
ist es doch, was unser Land eigentlich so stark macht:
dass wir nicht auseinanderdriften wie etwa England und
Schottland, wie Flandern und Wallonien, wie Spanien
und Katalonien, wie Nord- und Süditalien. Nur ein
Deutschland mit gleichwertigen Lebensverhältnissen ist
auf Dauer ein erfolgreiches und lebenswertes Land. Das
ist jedenfalls die Richtschnur, mit der wir in diese Verhandlungen hineingehen.
({10})
Wir diskutieren im Rahmen der Verhandlungen über
die Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch darüber, wie
wir den Kommunen mit hohen Soziallasten am besten
helfen können. Das ist auch richtig so; denn wir wollen,
dass auch die finanzschwachen Kommunen wieder investieren können. Wichtig ist: Egal wo wir am Ende die
Kommunen entlasten - die Reform der Eingliederungshilfe muss in jedem Fall kommen.
({11})
Die haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart; schließlich haben wir 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention einstimmig ratifiziert. Bei der Eingliederungshilfe
steht bisher im Vordergrund, dass die Menschen mit Behinderungen versorgt und verwaltet werden. Beim neuen
Teilhaberecht wird es darum gehen, was ein Mensch mit
Behinderungen braucht, um gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
({12})
Das muss nicht immer teurer sein. Es geht nämlich nicht
nur darum, wie viel Geld wir ausgeben, sondern auch darum, wie wir es ausgeben. Wir wollen ein Teilhaberecht,
bei dem das Geld bei den Menschen mit Behinderungen
ankommt, das echte Teilhabe und Inklusion ermöglicht.
({13})
Ich möchte zum Schluss noch auf die Außenpolitik zu
sprechen kommen; denn die neuerlichen Gewaltausbrüche in der Ukraine und in Israel machen uns allen große
Sorgen. Seit Monaten ist die Außenpolitik der Bundesregierung extrem gefordert. Ich finde, dass Außenminister Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel unser Land
mit großem Engagement und mit hohem persönlichen
Einsatz außerordentlich gut vertreten.
({14})
Die Bundesregierung ist zusammengeblieben; auch die
Europäische Union und die NATO-Partner sind zusammengeblieben. Jetzt kommt es für die nächsten Monate
darauf an, dass wir weiterhin zusammenbleiben. Wenn
nun der Vorwurf in den Raum gestellt wird, es werde
eine Nebenaußenpolitik betrieben, dann ist das völlig deplatziert. Die Außenpolitik ist in diesen Zeiten viel zu
wichtig für unser Land, als dass wir sie für innenpolitische Ziele instrumentalisieren dürften, meine Damen
und Herren.
({15})
Es ist kein Widerspruch, den Dialog zu suchen und
trotzdem klar zu sagen, was man von der russischen
Politik hält und erwartet. Russland hat eine Verantwortung für das, was dort passiert. Russland hat die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Unterstützung
der Separatisten in der Ostukraine zu verantworten. Damit stellt Russland die europäische Friedensordnung infrage.
({16})
Das kann die EU nicht einfach akzeptieren. Deshalb war
und ist die Entscheidung für gezielte Sanktionen richtig.
Russland muss seine Guerillataktik beenden und aufhören, an der Spaltung der Ukraine zu arbeiten.
({17})
Wladimir Putin muss klar bekennen, dass auch er weder
Krieg noch Bürgerkrieg in Europa toleriert oder gar fördert.
({18})
Dennoch müssen wir im Gespräch bleiben; denn es kann
nur eine politische Lösung für diesen Konflikt geben. Es
kann auch nur eine Lösung mit Russland geben; das
muss uns immer bewusst sein. Das ist die Komplexität
der Außenpolitik, mit der wir uns auseinandersetzen
müssen und der wir uns mutig stellen müssen. Es reicht
nicht, nach einem einfachen Schema - wie es die Linke
gerne macht - Putin zu bejubeln und Israel zu kritisieren.
Damit stellen Sie sich nur ins Abseits, aber zeigen keine
Verantwortung.
({19})
50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht,
so viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In dieser dramatischen Lage müssen wir unseren Beitrag leisten, damit die Flüchtlinge den nächsten
Winter überhaupt überstehen können. Ich bin froh, dass
wir in den parlamentarischen Beratungen die Haushaltsmittel für die zivile Krisenprävention und die humanitäre
Hilfe um 313 Millionen Euro aufgestockt haben. Damit
zeigen wir, dass wir internationale Verantwortung für
diese Krise übernehmen wollen.
({20})
Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Flüchtlinge in
Deutschland gut unterbringen. Wir haben in diesem
Herbst schon wichtige Verbesserungen beschlossen:
Asylbewerber können schneller Arbeit finden und
Sprachkurse besuchen. Wir haben die Residenzpflicht
gelockert, und Asylanträge werden schneller bearbeitet.
Aber das Wichtigste ist, dass wir jetzt auch die Kommunen in die Lage versetzen, die Flüchtlinge gut unterzubringen; denn es darf nicht sein, dass Kommunen mit der
Unterbringung von Flüchtlingen aufgrund eines Geldmangels überfordert werden, und es darf nicht sein, dass
durch überfüllte Provisorien Ressentiments gegenüber
Flüchtlingen geschürt werden. Das müssen wir schon im
Ansatz unterbinden.
({21})
Deshalb ist es gut, dass die Regierung jetzt mit den Ländern darüber verhandelt, wie man die Kommunen unterstützen kann. Hier ist ein Kraftakt notwendig.
Mit dieser finanziellen Unterstützung helfen wir aber
nicht nur den Kommunen, sondern ermutigen auch die
Bürgerinnen und Bürger, die sich in unserem Land für
die Flüchtlinge engagieren, die ihnen bei Arztbesuchen
helfen, sie bei Behördengängen unterstützen und dazu
beitragen, dass die Kinder in die Schule gehen können.
Das alles zeigt, dass die große Mehrheit der Deutschen
ganz klar sieht, dass wir Verantwortung für die Flüchtlinge haben. Das ist gelebte Verantwortung. Das ist praktische Solidarität. Ich möchte allen, die sich daran beteiligen, die dabei mitwirken, ganz herzlich danken.
Vielen Dank.
({22})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Volker Kauder.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Beratungen des Bundeshaushaltes für das Jahr
2015 finden in einer bewegten Zeit statt. Vor uns liegen
große Aufgaben in unserem Land und auch in der Welt.
({0})
- Sie von den Grünen und Sie persönlich, Frau GöringEckardt, haben allen Grund, ihre Taschentücher zu behalten. Es ist nämlich zum Weinen, was Sie 25 Jahre
nach der friedlichen Revolution in Thüringen veranstalten. Das ist zum Heulen.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden es eines Tages zu
spüren bekommen,
({2})
dass Sie mit den Linken - die Sie auch noch so zur Brust
nehmen wie heute - eine Koalition eingehen, dass Sie
25 Jahre nach der friedlichen Revolution jene an die
Macht bringen, die man damals weggewischt hat, und
dass Sie einen Linken zum Ministerpräsidenten wählen.
Das ist wirklich zum Heulen.
({3})
Jetzt zum Ernst der Situation.
({4})
Mit diesem Bundeshaushalt reagieren wir auf die großen
Herausforderungen unserer Zeit. Trotzdem kommt er
ohne neue Schulden aus. Die großen Herausforderungen,
die es in unserem Land gibt, betreffen auch die Investitionen zur Stärkung der wirtschaftlichen Aktivitäten.
({5})
Auf die Frage von Frau Haßelmann hat Kollege
Oppermann geantwortet, dass wir in unserer Regierungszeit die Investitionen stärken werden. Es steht auch
im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir in den
nächsten Jahren weitere 10 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen. Aber diese 10 Milliarden
Euro müssen dann auch in Investitionen fließen, und
zwar dorthin, wo es Probleme gibt, nämlich in die Infrastruktur, sowohl im digitalen Bereich als auch im Verkehrsbereich. Im Bereich der digitalen Infrastruktur ist
es zwingend notwendig, dafür zu sorgen, dass das Internet schneller wird, und zwar nicht nur für die Familien
zu Hause. Wenn Industrie 4.0 gelingen soll - und das
muss gelingen -, brauchen wir ein Internet, das die Maschinen in Istzeit verbindet. Damit können wir nicht
mehr lange warten. Die Zeit drängt. Mit diesem Haushalt
werden die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
natürlich alles tun, um die deutsche Wirtschaft, nachdem
wir erkennen, dass der Wachstumskurs nicht mehr ganz
so dynamisch ist, weiter zu unterstützen. Wir haben
überhaupt keinen Grund, die Dinge schlechtzureden.
Wir werden auch im nächsten Jahr Wachstum haben.
Jetzt aber geht es darum, die ganze Kraft darauf zu verwenden, dieses Wachstum zu unterstützen. Eine der großen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft, eine
der großen Wachstumsfragen ist: Können wir der Wirtschaft genügend qualifiziert ausgebildete junge Menschen anbieten? Es geht nicht mehr um den Arbeitsplatz,
sondern darum, den besonders qualifizierten Arbeitsplatz zu besetzen. Wir haben bereits in der letzten Koalition erfolgreich begonnen, eine der größten Investitionen
in Angriff zu nehmen, nämlich die Investition in Bildung, Forschung und Innovation.
({7})
Ich bin manchmal fassungslos, wenn ich höre, dass
man sich bezogen auf die Investitionsquote dieses Bundeshaushalts nur anschaut, was in die Infrastruktur, in
Gebäude und vieles andere investiert wird. Dazu kann
ich nur sagen: Eine Investition in ein Gebäude ist das
eine. Aber wenn in der Schule oder in der Uni nicht in
den Inhalt investiert wird, dann nützt das nichts. Deshalb
sind die 15 Milliarden Euro, die wir im Etat von Frau
Wanka veranschlagen, Investitionen in die Zukunft,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine der größten
Investitionsquoten überhaupt.
({8})
Wenn wir uns die Herausforderungen ansehen, auf die
der Bundeshaushalt Antworten gibt: Auch Maßnahmen
zum Klimaschutz sind eine große Investition; der Kollege Oppermann sprach es an. Beim Klimaschutz gibt es
natürlich eine Reihe von Bereichen, die zu betrachten
sind. Es ist klar, dass auch die Energiewirtschaft ihren
Beitrag leisten muss. Für unsere Wirtschaft ist es zentral,
dass wir den Klimaschutz einhalten; wir müssen aber
auch Sicherheit bei der Energieversorgung herstellen
und den Preis halten. Deshalb muss ich schon sagen: Wir
sollten vor allem dort tätig werden, wo die Chancen groß
sind, dass wir den Klimaschutz in besonderer Weise voranbringen, und das ist immer noch der Gebäudebestand
in unserem Land. Wenn wir uns vornehmen, jedes Jahr
nur 1 Prozent unseres Gebäudebestands energetisch zu
sanieren, so ist dies eine große Aufgabe. Aber das ist
schon das absolute Minimum. Daher erwarte ich, dass
die Länder hier ihre Möglichkeiten nutzen. Wir versuchen seit einiger Zeit krampfhaft, ein energetisches Gebäudesanierungsprogramm auf den Weg zu bringen.
Man kann nicht, wie in NRW, der Kohle das Wort reden,
aber dann bei der Gebäudesanierung nicht mitmachen
wollen. Jeder muss seinen Beitrag leisten: der Bund die
eine Hälfte und die Länder die andere Hälfte. Dann kommen wir einen gewaltigen Schritt voran.
({9})
Noch immer sind 85 Prozent der Heizungsanlagen in den
Privatgebäuden nicht auf dem neuesten Stand. Wenn wir
dort etwas tun, können wir Millionen einsparen. Das
wird ein Schwerpunkt im Investitionsbereich werden
müssen - Kollege Oppermann wies darauf hin -, auch
wenn wir uns im nächsten Frühjahr mit dem Haushalt
2016 beschäftigen.
Neben diesen Themen gibt es ein Thema, das jeden
Tag Hunderte von Menschen unmittelbar betrifft; es ist
erstaunlich, wie wenig darüber gesprochen wird. Jeden
Tag - jeden Tag! - sind in den letzten zwölf Monaten
400 Häuser oder Wohnungen aufgebrochen worden, und
die Leute wurden ausgeraubt. Es geht nicht nur um den
materiellen Verlust. Die Menschen, die davon betroffen
sind, sind ein Leben lang traumatisiert, weil sie Angst
haben und sich nicht mehr in ihre Häuser zurücktrauen.
Da kann man nicht so tun, als ob das kein Problem wäre.
Vielmehr ist es richtig, zu sagen: Die Sicherheit des Einzelnen ist eine Kernaufgabe unseres Staates, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({10})
Da tragen der Bund und die Länder gemeinsam Verantwortung. Wir wollen, auch im Rahmen von Investitionen, überlegen, was man noch machen kann, um unsere
Wohnungen, unsere Häuser sicherer zu machen.
Darüber hinaus war es natürlich notwendig - ich bin
dankbar, dass es gelungen ist, dies im Haushaltsausschuss durchzusetzen -, dass wir für den Bereich innere
Sicherheit, also den Geschäftsbereich von Thomas de
Maizière, nach den Maßnahmen in den letzten Jahren bei
der Bundespolizei noch etwas Bedeutendes haben machen können. Wir sind da noch nicht am Ende; aber die
Botschaft lautet: Wir werden nicht achselzuckend hinnehmen, dass Banden durch unser Land ziehen, Häuser
aufbrechen können und wir keine Antwort auf diese die
Menschen bewegende Frage geben.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Haushaltsberatungen finden natürlich auch in bewegter Zeit
statt, weil wir weltweit einige große Probleme haben.
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht die Ebolakrise angesprochen und auch den Beitrag, den wir dazu leisten
können. Aber auch das Verhältnis von Russland, der
Ukraine und Europa ist ein Thema. Ich möchte sagen:
Die Überzeugung und Wahrnehmung der CDU/CSUBundestagsfraktion ist die, dass unsere Bundeskanzlerin
und unser Bundesaußenminister an einem Strang ziehen
und dass sie eine ausgezeichnete Politik machen, die
nicht nur die Menschen in der Ukraine, sondern auch die
Stabilität Europas im Auge hat. Dafür sage ich einen
herzlichen Dank.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts
der derzeitigen Situation kommt es natürlich ganz entscheidend darauf an, dass wir in Europa beieinanderbleiben, so wie diese Koalition in dieser wichtigen Frage
beieinanderbleibt. In diesem Zusammenhang muss ich
immer wieder darauf hinweisen, dass wir mehr darüber
reden müssen, was Europa gerade in diesen wichtigen
außenpolitischen Handlungsfeldern bedeutet. Mir wird
zu viel über das Europa von Euro und Cent gesprochen
und viel zu wenig über das Europa der Werte und der gemeinsamen Schicksalsgemeinschaft.
({13})
Es ist schon bemerkenswert, dass es gerade Papst
Franziskus gewesen ist, der gestern genau auf diesen
Punkt hingewiesen hat, nämlich dass dieses Europa etwas selbstbewusster, etwas dynamischer, etwas jünger
an die Themen herangehen sollte. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben, wir sollten uns nicht damit abfinden,
dass Europa immer älter wird, auch wenn dieser Eindruck immer mehr vorherrscht. Ich kann nur sagen: Die
europäischen Ideen vom Zusammenarbeiten, von Frieden und Freiheit, von Religionsfreiheit und von Chancen
für alle, diese Ideen müssen in Russland lange gesucht
werden. Das sind aber die Ideen, die Europa stark machen und die auch eine so starke Anziehungskraft dieses
Europas ausmachen.
({14})
Darüber müssen wir immer wieder auch klar und deutlich sprechen.
Wenn wir von den genannten Werten sprechen,
möchte ich hinzufügen: Es müssen auch all diejenigen,
die sich Europa nähern wollen und in Europa mitmachen
wollen, wissen, dass wir nicht nur nach der Wirtschaftskraft von Ländern urteilen können, sondern auch nach
dem urteilen müssen, was sie in dem Bereich machen,
der unseren Wertebereich ausmacht. Wir erleben im Augenblick die Diskussionen in der Türkei. Es mag jetzt
einmal egal sein, ob die Türkei Amerika entdeckt hat
oder nicht; darüber will ich gar nicht reden. Aber dass
die Türkei noch einen erheblichen Nachholbedarf bei der
Umsetzung der Religionsfreiheit hat, das ist Fakt. Das
muss sich ändern, sonst ist der Weg nach Europa sehr,
sehr schwer.
({15})
Natürlich ist eine zentrale Aufgabe - das muss ich sagen; auch die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen die Bekämpfung des internationalen Terrors. Wir alle
spüren - Thomas de Maizière hat in den letzten Tagen
darauf hingewiesen -, dass diese Sorge nicht nur im
Mittleren und Nahen Osten zu verorten ist. Sie ist inzwischen mitten in unserem Land, in unserer Gesellschaft
angekommen. Wenn man sich vor Augen führt, dass
mehr als 500 junge Menschen in den Krieg nach Syrien
und in den Irak ziehen und zum Teil auch wieder zurückkommen, und wenn man weiß, dass für die Überwachung von sogenannten Gefährdern 25 Personen am Tag
benötigt werden, weiß man, wie groß die Aufgabe ist.
Deswegen müssen wir alles daransetzen, die Sympathiewerbung für solche Einsätze zu verbieten. Es ist doch
geradezu grotesk, wenn junge Menschen im Internet angeworben werden können, wenn ihnen angeboten werden kann, in einen Krieg zu ziehen, in dem die Menschen enthauptet werden, in dem Frauen entführt und
vergewaltigt werden. Ich habe die herzliche Bitte, dass
wir das Verbot, für solche Gruppen zu werben, endlich
durchsetzen, dass wir damit endlich ernst machen.
({16})
Auf IS bzw. ISIS eine Antwort zu geben, ist nicht einfach. Wir dürfen nicht glauben, dass wir dieses Problem
in wenigen Wochen bewältigen können. Das ist eine
Aufgabe, die noch mehrere Jahre dauern wird. Sie ist
auch nicht allein mit Lufteinsätzen und Unterstützung
der Bodenkräfte mit Waffen zu bewältigen. Alles, was
wir diesbezüglich tun, ist völlig richtig. Aber diesen
Gruppen muss auch der ideologische Nährboden entzogen werden, damit sie sich nicht auf eine besondere
Ideologie berufen können. Wir haben lange darauf gewartet; jetzt können wir aber dankbar feststellen, dass
der Zentralrat der Muslime in Deutschland sich klar distanziert hat. Besonders beeindruckt hat mich - das war
ein wichtiger erster Schritt, auch wenn weitere folgen
müssen -, dass sich führende islamische Theologen aus
einigen arabischen Ländern, dass sich der Großscheich
der Universität Kairo, die syrisch-orthodoxen und die
koptischen Christen zusammengefunden haben und eine
gemeinsame Erklärung herausgegeben haben, nach der
Menschenrechtsverletzungen so schwerer Art, wie die
ISIS sie begeht, in keiner Religion akzeptiert werden
können, dass sie nicht Teil einer Religion sein können.
Menschenrechtsverletzungen sind durch die Religionsfreiheit nicht gedeckt! Das war die Botschaft, und das ist
die richtige Botschaft.
({17})
Ich unterstütze das und freue mich, wenn weitere
Schritte folgen, weil es wirklich darauf ankommt, den
Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen und
denjenigen, die glauben, mit solchen Methoden, mit solchen Schikanen im Namen einer Religion Verunsicherung verbreiten zu können, den Boden zu entziehen.
Wir müssen natürlich auch unseren Beitrag leisten;
das ist bereits angesprochen worden, sowohl von der
Kanzlerin als auch vom Kollegen Oppermann. Wir formulieren es klar und deutlich: Wir wollen, dass die Menschen in aller Welt ihre Religion frei leben können.
Diese Menschen im Nahen und Mittleren Osten können
das aber nicht, weil man sie verfolgt, auch wegen ihrer
Religion - nicht nur, aber auch wegen ihrer Religion.
Wenn diese Menschen keinen anderen Ausweg mehr sehen, als zu uns zu kommen, dann erwarte ich - das muss
ich sagen -, dass wir diese Menschen bei uns aufnehmen
und sie anständig unterbringen.
({18})
Was sollen die Christen und andere Betroffene wie
die Jesiden eigentlich davon halten, wenn wir sagen, wir
treten für Religionsfreiheit ein und stehen an der Seite
derjenigen, die verfolgt werden, wenn sie dann zu uns
kommen und dies nicht spüren? Nein, wenn sie bei uns
sind, müssen sie spüren, dass wir unseren Worten auch
Taten folgen lassen.
Natürlich sind 200 000 Flüchtlinge eine große Aufgabe. Vor kurzem waren zwei Mitarbeiter unserer Fraktion in Arbil und Dohuk in Kurdistan. Dort werden jetzt
langsam winterfeste Quartiere gebaut. Da kann man nur
sagen: Ich danke dem Auswärtigen Amt, dem Außenminister und dem Entwicklungshilfeminister dafür, dass
sie trotz der zähen Arbeit vorankommen. Manches ist
besser geworden, als man in der Öffentlichkeit so hört.
Auch die Mitarbeiter des Konsulats, Herr Bundesaußenminister, machen einen wirklich guten Job.
Wir haben uns angeschaut, was in dieser Region passiert. Dort leben 4,5, vielleicht 5 Millionen Kurden. Inzwischen gibt es dort über 1 Million Flüchtlinge, die betreut und untergebracht werden müssen. Da kann ich nur
sagen: Wenn eine so kleine Region wie Kurdistan mit
seinen 5 Millionen Einwohnern mit über 1 Million
Flüchtlinge fertig werden muss, dann werden wir das bei
uns bei 250 000 Flüchtlingen auch schaffen.
({19})
Da bin ich zuversichtlich.
({20})
- Auf diesen Zuruf kann ich nur erwidern: Ich habe allen
Respekt davor, was die Gemeinden in Bayern wie auch
viele andere Kommunen im Augenblick leisten.
({21})
Nicht mit dem Finger zeigen! Das ist nicht die Zeit. Wir
alle müssen uns anstrengen, und das werden wir auch
machen.
Ich bin dem Bundesfinanzminister, der den Haushalt
zusammenhält und die große Leistung der schwarzen
Null vollbracht hat, dankbar dafür, dass er gesagt hat:
Das, was notwendig ist, um den Flüchtlingen vor Ort
und hier zu helfen, werden wir auch leisten können. Lieber Wolfgang Schäuble, herzlichen Dank für diese
klare Aussage.
({22})
Der Bundeshaushalt 2015, der in dieser Woche verabschiedet wird, gibt Antworten auf die drängenden großen Fragen in unserer Gesellschaft und in unserem Land.
Er gibt aber auch Antworten auf die großen, wirklich
existenziellen Herausforderungen, die wir in der Welt
haben. Herr Hofreiter, Sie haben heute über unseren
Koalitionsvertrag gesprochen. Ich kann nur sagen: Ich
bin schon zufrieden damit.
({23})
Wir haben einen Koalitionsvertrag, den wir Punkt für
Punkt umsetzen. Es braucht sich daher niemand aufzuregen. Alle Punkte, die darin enthalten sind, werden eins
zu eins umgesetzt. Wir von der Koalition sind aber auch
handlungsfähig, was die Aufgaben angeht, die nicht im
Koalitionsvertrag enthalten sind. Wir kannten sie nämlich noch nicht, als wir die Koalition gebildet haben.
Man muss es erst einmal schaffen, den Koalitionsvertrag
eins zu eins umzusetzen, keine neuen Schulden zu machen und bei den Herausforderungen in der Welt voll dabei zu sein und zu wissen, was man macht. Diese Koalition - das wird von der Opposition natürlich nicht
gesagt, obwohl sie es sieht - leistet eine gute Arbeit.
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({24})
Die Kollegin Anja Hajduk hat das Wort zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Kauder, Sie haben meine Kollegin Haßelmann mit dem
Hinweis auf die Entwicklung der Investitionsquote angesprochen. Ich möchte jetzt Sie ansprechen, und zwar auf
Ihren Schlusssatz, Sie wollten das anders machen und
korrigieren, was Sie noch nicht gewusst haben. Wenn ich
da anschließen darf: Kann es sein, dass Sie wirklich
nicht wissen, dass die Investitionsquote im Finanzplan
trotz der 10 Milliarden Euro, die Finanzminister Schäuble
im Streit um die Investitionssteigerung für die Jahre
2016 bis 2018 ganz clever zusätzlich im Finanzplan versprochen hat - sie sind jetzt auch darin enthalten -, weiter sinkt?
Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD in der Großen Koalition und der Fraktionsvorsitzende der CDU/
CSU in der Großen Koalition nicht wissen, dass es so ist,
dass die Investitionsquote im Finanzplan damit von über
10 Prozent auf 9,3 Prozent sinkt, dann nehme ich Sie
jetzt beim Wort: Dann ist das wieder einmal etwas, was
Sie nicht gewusst haben - Klammer auf: wovon ich aber
sage, das hätten Sie wissen können -, und dann ist das
definitiv etwas, was Sie ändern müssen. Auf, auf! Wir
werden das am Freitag so beantragen.
({0})
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Liebe Kollegin, ich bin eigentlich ein bisschen traurig,
({0}):
Oh, der Arme! - Wie schade!)
dass Sie nicht zugehört haben, was ich am Schluss gesagt habe. Ich habe gesagt: Wir haben einen Koalitionsvertrag, mit dem wir auf die Herausforderungen in unserem Land reagieren. Auch Sie alle haben nicht gewusst das kann ich ja mit der Kollegin Beck immer wieder besprechen;
({1})
darum ist es mir gegangen -, was in Russland passiert.
Oder haben Sie gewusst, dass die Russen die Krim annektieren werden? Oder haben Sie gewusst, was ISIS
macht? Das waren die Aufgaben, von denen wir nichts
gewusst haben.
({2})
Jetzt zur Investitionsquote - dann sage ich das noch
einmal -: Die Investitionsquote steigt. Wenn Sie die
15 Milliarden Euro aus dem Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation berücksichtigen, zeigt sich ein
anderes Bild. Wenn Sie das nicht machen, dann haben
Sie einen altbackenen Investitionsbegriff, Frau Kollegin.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Rolf
Mützenich das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Tat: Außenpolitisch betrachtet war und
ist 2014 - das hat die Bundeskanzlerin am Anfang ihrer
Regierungserklärung hier gesagt - ein schlimmes Jahr.
In Syrien werden Menschen vertrieben, tagtäglich über
100, und sie werden letztlich ihrem Schicksal überlassen. Gerade die Nachbarländer stehen großen Herausforderungen in Bezug auf die Flüchtlingspolitik gegenüber.
Hinzu kommt Ebola, und es gibt zahlreiche Räume der
Gewalt; mittlerweile kennen Generationen in ihrem unmittelbaren Umfeld nichts anderes als Gewalt. Leider
kommen auch der Nationalismus und der Chauvinismus
zurück nach Europa. Das sind bittere Tage und bittere
Momente, wenn man auf die Außenpolitik schaut und
versucht, darauf Antworten zu finden.
Ich persönlich muss zugeben: Ich bin angesichts der
Bilder manchmal ratlos, und manchmal bin ich auch verzweifelt, nicht nur angesichts der Taten, die in der Welt
zu beobachten sind, sondern auch dann, wenn ich den
Menschen in den betroffenen Ländern begegne. Aber ich
finde, es gehört dazu, auch auf andere Entwicklungen
hinzuweisen und das Bild etwas zurechtzurücken.
Wir sehen in Tunesien eine Gesellschaft, die zumindest den Mut aufbringt, friedlich für einen Wandel einzutreten.
({0})
Möglicherweise sind darunter auch Menschen, die sagen: Gerade jetzt muss ich anpacken. Jetzt besteht die
Verpflichtung, Vorbild zu sein, selbst als kleines Land in
der arabischen Welt. - Es gibt Foren und Regionalorganisationen, die eben nicht auf andere warten, sondern,
weil sie gemeinsame Interessen haben, versuchen, gemeinsam etwas umzusetzen. Sie, Frau Bundeskanzlerin,
haben von den Dialogforen in Asien gesprochen. Ich
nenne die Entwicklung in Lateinamerika. Ich finde, auch
das, was in Afrika passiert, macht, wenn man darauf
blickt, durchaus Mut. In Mexiko ertragen es die Menschen nicht mehr, dass sie teilweise von einer Politikerkaste geführt werden, die mit der Mafia Hand in Hand
geht.
Ich finde, das sind mutige Beispiele, die zeigen, dass
die Außenpolitik von Prinzipien geleitet werden muss,
die sie dann auch umzusetzen hat, um die Herausforderungen zu bewältigen.
Ich will hier einige Prinzipien nennen, die die Bundesregierung und auch dieses Parlament, wie ich glaube,
sehr klug vermitteln, womit sie der deutschen Außenpolitik ein Gesicht geben:
Nie allein: Das ist die Lehre aus dem verheerenden
letzten Jahrhundert. Daneben werden wir mit neuen
Partnern aktiv - zum Beispiel in Regionalorganisationen
wie der Europäischen Union -, und außerdem gibt es
neue Formate. Das erkennt man zum Beispiel daran,
dass der Bundesaußenminister mit seinem französischen
Kollegen in die Länder reist, die von Ebola betroffen
sind. Es gibt deutliche Zeichen dafür, dass wir es nicht
alleine schaffen. Gemeinsam können wir aber zumindest
eine Perspektive aufzeigen.
({1})
Wir müssen auch immer wieder Gespräche anbieten.
Wenn es beim hundertsten Mal nicht geklappt hat - das
haben Sie zu Recht angesprochen -, dann muss ich es
eben noch einmal versuchen. Man muss das Gespräch
suchen und versuchen, Lösungen zu finden, weil wir andere Instrumente nicht zur Hand nehmen wollen oder
auch nicht dürfen.
Wir müssen das Völkerrecht verteidigen und uns dabei an Regeln orientieren. Das ist kein Selbstzweck, sondern die Regeln sind entwickelt worden, weil wir wollen, dass alle gleichbehandelt werden und nach
denselben Instrumenten greifen. Insbesondere müssen
wir die Institutionen stärken - das hat der Bundesaußenminister in den letzten Wochen immer wieder bewiesen und diejenigen mitnehmen, die gemeinsame Interessen
mit uns teilen. Hier ragt die OSZE heute in Europa heraus, weil sie ein Forum bietet, durch das auch andere
mitgenommen werden.
Wir haben bei der Aufstellung des Haushalts versucht, die Mittel für all diese Dinge und die entsprechend notwendige Arbeit zu erhöhen. Gleichzeitig dürfen wir aber auch die Gesellschaften nicht aus dem Blick
verlieren, weil die Gesellschaften heute genauso ein bedeutsamer legitimer Akteur in der Außenpolitik sind.
Deswegen hat der Bundestag gesagt: Das Goethe-Institut, die politischen Stiftungen und viele andere brauchen
mehr Mittel; die müssen mitgenommen werden.
Der Herr Kollege Kauder hat hier eben für mich sehr
überzeugend und sehr nachdrücklich gesagt: Wir brauchen die humanitäre Hilfe, wir brauchen ein offenes
Land, und wir brauchen insbesondere Mitgefühl für die
Menschen, die glauben, bei uns einen gewissen Schutz
oder vielleicht sogar eine neue Heimat zu finden.
Angesichts dessen bin ich schon überrascht, dass in
den letzten Tagen der Begriff „Nebenaußenpolitik“ gefallen ist. Ich finde, die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister haben von Anfang an einen vertrauensvollen Ansatz gewählt.
Ich kann verstehen, dass man manchmal enttäuscht ist
und eine entsprechende Rede hält, weil die Zusagen offensichtlich nicht eingehalten wurden, aber ich weise darauf hin: Wenn man einen solchen Begriff in den Mund
nimmt, dann schafft man auch Irritationen bei unseren
Partnern, weil sie vermuten könnten, dass wir einen Dissens in der Außenpolitik haben, und das ist sehr gefährlich.
Ich muss bekennen, dass ich mich mittlerweile daran
erinnern kann, wann der Begriff „Nebenaußenpolitik“
geboren wurde, nämlich in den 70er- und 80er-Jahren,
als die sozialdemokratische Partei eine Entspannungspolitik versucht hat, die mehr als Regierungspolitik bedeutete. Dieser Kampfbegriff wurde jetzt wieder eingeführt. Ich finde, wir Sozialdemokraten sind gehalten,
stolz auf unseren Beitrag zur Überwindung von Konflikten und Gewaltursachen zu sein. Das lassen wir uns von
niemandem absprechen - egal in welcher Konstellation.
({2})
Ich füge hinzu: Wir sind stolz darauf, dass FrankWalter Steinmeier das Gesicht und die Stimme einer sozialdemokratischen Friedenspolitik in Europa und weltweit ist. Vielen Dank dafür.
({3})
Gleichzeitig möchte ich daran erinnern, dass es nicht
zu unseren Aufgaben gehört, in öffentlichen Interviews
über die Ablösung von Führungskräften in Dialogforen
zu diskutieren, sondern diese Aufgabe haben die Mitgliederversammlungen dieser Institutionen. Für uns Sozialdemokraten sage ich sehr deutlich: Wir schätzen die
Integrität und Souveränität von Matthias Platzeck. Für
uns bleibt er ein herausragender und unverzichtbarer Akteur im deutsch-russischen Dialog.
({4})
Wenn ich sage: „Wir müssen auf der einen Seite über
Prinzipien sprechen und auf der anderen Seite über unverrückbare Wahrheiten“, dann müssen wir in der Tat
klar zum Ausdruck bringen: Ohne Russland wird eine
europäische Friedensordnung keine Gestalt und keine
Verlässlichkeit annehmen, aber auch nicht ohne eine
Ukraine, die, demokratisch und souverän, in dieser europäischen Friedensordnung ihren Platz haben muss. Das
ist im Grunde genommen der Kern der Politik in unserem Dialog.
Es ist wichtig, dass wir auf der Minsker Vereinbarung
bestehen. Es ist wichtig, immer wieder, auch wenn sie
nicht eingehalten wird, an sie zu erinnern und in dieser
Frage die OSZE mitzunehmen. Ich bin dem Bundesaußenminister dankbar, dass Deutschland mit anderen
Partnern, die diese Idee voranbringen wollen, eine noch
stärkere Rolle in der OSZE einnehmen will. Wenn ich
sage: „Wir Sozialdemokraten in dieser Großen Koalition
wollen eine europäische Friedensordnung bauen“, dann
bleibt uns nichts anderes übrig, als nach gemeinsamen
Interessen auch mit Russland zu suchen.
Wir dürfen auch nicht verkennen: Die Vernichtung
der syrischen Chemiewaffen wäre ohne den wesentlichen Beitrag Deutschlands nicht gelungen, aber es war
auch im Interesse Russlands gewesen, dass diese verheerenden Waffen aus Syrien herausgebracht werden. Dieses gemeinsame Interesse teilen wir genauso wie den
Wunsch nach erfolgreichen Verhandlungen mit dem Iran
über die Bewältigung der Atomkrise. Deswegen bin ich
Ihnen sehr dankbar, dass Deutschland, aber auch viele
andere Länder alles versucht haben, um bis Mitte nächsten Jahres einen belastbaren und für alle akzeptablen
Vertrag auszuarbeiten, auch für die diejenigen, die nicht
mit am Verhandlungstisch sitzen.
Wenn ich hier über Außenpolitik spreche, dann tun
wir gut daran, zu erkennen: Nicht nur unser Blick auf die
derzeitige Konfliktsituation in der Ukraine und in Russland definiert das Außenbild der russischen Politik in anderen Weltregionen, sondern zum Beispiel auch in Asien
- daran will ich erinnern - wird die Annexion der Krim
genauso gesehen wie bei uns: völkerrechtswidrig. Das
ist für die Einhaltung internationaler Regeln verheerend.
Deswegen war Russland nicht erfolgreich, im Rahmen
des Treffens mit den BRICS-Staaten in Schanghai eine
Anerkennung der Annexion zu erreichen. Deswegen
müssen wir nach diesen Partnern fragen, auch für unseren Ansatz im Zusammenhang mit der möglichen Bildung einer europäischen Friedensordnung.
Ich sage hier an dieser Stelle: Es war auch mit Blick
auf die Rolle der Atomwaffen eine wirklich schreckliche
Niederlage, dass das Budapester Abkommen verletzt
worden ist, weil damit den Atomwaffen wieder eine
neue Rolle in der internationalen Politik zugewiesen
wird.
({5})
Nicht nur das Völkerrecht ist verletzt worden, sondern
Regeln, die Russland damals für die Rückgabe von
1 500 russischen Atomwaffen eingegangen ist. Ich finde,
es gehört mit zur Wahrheit, hier auch darüber zu sprechen.
({6})
Herr Kollege Mützenich, Sie haben es nicht gesehen,
aber Sie haben die Chance, Ihre ablaufende Redezeit dadurch zu verlängern, indem Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Marieluise Beck zulassen.
Bitte schön.
Lieber Kollege Mützenich, ich teile all Ihre Einschätzungen. Sie sind klar und deutlich, und wir brauchen sie
als politische Botschaften.
Sind Sie aber auch bereit, mit Ihrem Kollegen
Platzeck, der immerhin Vorsitzender der großen sozialdemokratischen Partei gewesen ist, in eine ernsthafte
Auseinandersetzung über seine Äußerung in Bezug auf
die Annexion der Krim einzusteigen und noch einmal
deutlich zu machen, welche Tragweite eine solche Äußerung für das völkerrechtliche Gefüge dieser Welt hat?
Ich berichte immer wieder von einem kleinen Erlebnis im Europarat: Mein ungarischer Kollege von der Jobbik-Partei trug ein T-Shirt, auf dem vorne stand: „Die
Annexion der Krim ist legal“ und hinten: „Die Karpaten
gehören zu Ungarn“. Genau diese Entwicklung bahnt
sich in Europa an, wenn begonnen wird, über die Verschiebung der Grenzen nachzudenken: Es wird dann vielen, gerade rechtspopulistischen und rechtsextremen
Kräften in Europa, einfallen, welche Gebiete nach ihrer
Meinung noch zu ihrem Land gehören sollten.
({0})
Darum geht es: dass wir - auch ein sozialdemokratischer Kollege - uns in Deutschland klarmachen, was das
für eine Büchse der Pandora ist, und das auch - wenn ich
das noch anführen darf - gegenüber den Ländern zwischen Deutschland und Russland, also Ungarn, Polen
und dem Baltikum, im Blick behalten, die in ihrer historischen DNA die Erinnerung haben, dass es Verträge
zwischen Deutschland und Russland zu ihren Lasten gegeben hat.
Liebe Kollegin Beck, ich hätte mich sehr gefreut,
wenn Sie bei dem einen Teil Ihrer Frage geblieben wären, statt dann noch Matthias Platzeck mit gewissen anderen Parteien in Verbindung zu bringen.
({0})
Ich glaube, das wäre sehr respektvoll gewesen. Ich habe
darauf hingewiesen: Gerade Matthias Platzeck ist eine
integre Persönlichkeit, über die Sozialdemokratische
Partei hinaus geachtet - gerade auch in seinem Bundesland -, der sehr souverän und, finde ich, auch in der Öffentlichkeit korrigiert hat, was möglicherweise als Eindruck einer einseitigen Äußerung geblieben ist. Ich
finde, er hat das am Wochenende sehr souverän gemacht. Das sollten wir alle im Deutschen Bundestag anerkennen. Nicht Matthias Platzeck hat die Büchse der
Pandora geöffnet, sondern diejenigen, die für Gewalt,
Annexion und anderes an Chauvinismus und Nationalismus in Europa verantwortlich sind.
({1})
Ich finde, das sollten wir Sozialdemokraten auch immer
wieder betonen.
({2})
Insofern glaube auch ich in der Tat: Wir sollten prinzipienfest sein. Deswegen ist das, was ich eben im Zusammenhang mit dem Budapester Abkommen angesprochen habe, eine wichtige Verpflichtung für das, was die
Bundesregierung auch durch den Koalitionsvertrag mit
auf den Weg bekommen hat, nämlich sich für Abrüstung
und Rüstungskontrolle einzusetzen. Aber für uns Sozialdemokraten ist neben der Abrüstung und Rüstungskontrolle - das wissen Sie - auch die Frage der Rüstungsexporte von herausragender Bedeutung. Wir müssen
nämlich in Deutschland in einer anderen Art und Weise
mit Rüstungsexporten verfahren.
({3})
In diesem Zusammenhang bin ich insbesondere dem
Bundeswirtschaftsminister dankbar.
({4})
Ich komme zum Schluss. Für uns bedeutet eine verantwortliche Politik nicht mehr, aber auch nicht weniger
als das, was Willy Brandt uns mit auf den Weg gegeben
hat. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und
werden - im Innern und nach außen. Daran werden wir
mit Bedacht und Konzentration weiter arbeiten.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir in diesen Tagen und Wochen objektiv auf unser Land schauen, dann stellen wir fest: Deutschland
geht es gut. Wir stehen außenpolitisch in großer Verantwortung. Wir sind Stabilitätsanker in Europa. Wir sind
wirtschaftspolitisch erfolgreich, und wir haben innenpolitisch viel für den Zusammenhalt und für die Zukunft
unserer Gesellschaft getan.
Meine Damen und Herren, das ist die Bilanz dieser
Regierung, und das ist eine Erfolgsbilanz.
({0})
Die Situation im Land gibt uns recht. Der Arbeitsmarkt
ist stabil. Noch nie waren so viele Menschen in Beschäftigung, und zwar in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, wie heute. Genau deshalb können wir heute
feststellen: Der bisherige Kurs war richtig. Deshalb werden wir genau auf diesem Kurs weiter die Politik in
Deutschland gestalten.
({1})
Zwei Merkmale prägen diesen Haushalt ganz besonders. Das eine ist: Wir machen keine neuen Schulden,
und das ohne Steuererhöhungen. Das Zweite ist: Wir investieren zielgerichtet in die Zukunft unseres Landes.
Beides gehört zusammen, und beides - das zeigen uns
auch Beispiele wie Bayern, wo das seit Jahren praktiziert
wird - ist erfolgreich für die Menschen im Land. Sie
spüren es. Sie spüren es in der Arbeitsmarktentwicklung
und im Bildungswesen. Sie spüren es in der gesamten
wirtschaftlichen Entwicklung und im Wohlbefinden.
({2})
Keine neuen Schulden erstmals seit mehr als 45 Jahren, das ist ein Meilenstein in Deutschland und einzigartig unter den führenden Industrienationen. Das Entscheidende ist, dass wir dabei nicht nur den Bundeshaushalt
im Blick hatten und haben, sondern in all den Jahren
- genauso wie künftig - immer auch die Situation der
Länder und vor allem die Situation unserer Kommunen.
Es hat noch keine Bundesregierung gegeben, die so viel
für die Kommunen geleistet und sie so stark unterstützt
hat - angefangen mit der Übernahme der Grundsicherung über die Finanzierung, Förderung und Fortführung
des Kitaausbaus bis hin zum geplanten Teilhabegesetz wie diese Bundesregierung. Das wollen wir fortsetzen.
({3})
Nun ist ein ausgeglichener Haushalt kein Selbstzweck. Wir tun das, weil wir unsere Kinder und Enkelkinder im Blick haben, weil wir diejenigen im Blick haben, die nach uns kommen. Das Allerbeste, was wir für
die nachkommenden Generationen und an Investitionen
in die Zukunft des Landes tun können, ist, einen schuldenfreien Haushalt zu übergeben. Natürlich ist das alles
eine Herausforderung für die künftigen Jahre. Das darf
kein Einmaleffekt sein. So etwas darf es nicht nur im
vergangenen und in diesem Jahr geben. Vielmehr muss
es fortgeführt werden. Das ist zweifellos keine einfache
Aufgabe. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Aber
dass wir auf dem richtigen Weg damit sind, zeigen nicht
nur die vorhin von mir erwähnten Beispiele in Bayern,
sondern auch Äußerungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium - das ist heute in
den Zeitungen zu lesen -, der gerade diesen strikten
Konsolidierungskurs, auf dem auch Investitionen getätigt werden, für richtig hält. Auch das sollte uns auf unserem weiteren Kurs bestärken.
({4})
Das Ganze ist auch ein richtiges und wichtiges Signal
nach Europa. Dort haben wir viel erreicht; das wurde
heute schon angesprochen. Aber nach wie vor haben
noch einige Länder Hausaufgaben zu machen. Es führt
kein Weg daran vorbei, dass die erste Grundlage für eine
gute wirtschaftliche Entwicklung gerade in den Problemländern in Europa ein solider Haushalt ist. Das gilt
auch und gerade für unseren Nachbarn Frankreich. Ja,
wir brauchen Wachstum und Arbeitsplätze, aber nicht
schuldenfinanziert. Wachstum hilft nichts, wenn es auf
Pump finanziert wird. Es muss vielmehr immer verbunden sein mit einem soliden Haushaltsgebaren, mit Strukturreformen, Deregulierung und Bürokratieabbau. Das
sind die Aufgaben für Europa insgesamt, und das sind
die Aufgaben auch für die europäischen Nationalstaaten.
({5})
Europa ist aber nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion; Volker Kauder hat das vorhin sehr eindringlich beschrieben. Europa ist eine Wertegemeinschaft und
eine Friedensordnung, wie wir uns keine bessere vorstellen können. So richtig deutlich wird das vielleicht, wenn
wir versuchen, zwei Folien aufeinanderzulegen, die Folie des früheren Europas mit den sich bekämpfenden und
bekriegenden Nationalstaaten und die Folie des friedlichen und kooperativen Europas unserer Tage. Ich denke,
dann wird uns allen bewusst: Dieses Europa, das wir
heute haben, ist das beste Europa, das wir jemals in unserer Geschichte hatten, die beständigste Friedens- und
Freiheitsordnung auf unserem Kontinent.
({6})
Diese Ordnung ist jetzt als Ganzes im Kampf gegen
Ebola und im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS
gefordert. Sie ist gefordert bei der Bewältigung der
Flüchtlingsströme, und sie ist nicht zuletzt natürlich
auch gefordert beim Konflikt in der Ukraine.
Da geht es um das Leben der Menschen, da geht es
um die Einheit des Landes, da geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Völker. In der Ukraine geht es aber
auch um das Primat des Rechts als Gegenentwurf zum
Recht des Stärkeren. Es geht um die europäische Friedensordnung. Ich finde, die Bundeskanzlerin hat recht,
wenn sie sinngemäß sagt, das freiheitsfeindliche Denken
in geostrategischen Einflusssphären widerspreche diametral unseren Werten. Das darf in der Tat keinen Platz
im Europa des 21. Jahrhunderts haben.
({7})
Wir haben vielfache Kontakte mit Parlamentariern,
mit Freunden aus anderen europäischen Ländern, und
wir besuchen sie auch. Überall spüren wir, welch großes
Vertrauen dort in die Europäische Union, in die NATO,
vor allem aber auch in Deutschland und im Besonderen
in die Bundeskanzlerin gesetzt wird. Deshalb ist es bei
all diesen Fragen ganz besonders wichtig, dass wir geschlossen auftreten, geschlossen in Europa, geschlossen
in der NATO, dass wir auch geschlossen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, sehr wohl aber auch klare
Kante bei den Sanktionen zeigen, und dass wir auch innerhalb der Großen Koalition geschlossen auftreten. Ich
möchte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und dem Bundesaußenminister für diese Geschlossenheit auch von meiner Seite aus meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen.
({8})
Wir verschließen natürlich auch nicht die Augen vor
anderen Krisenherden in der Welt. Wir haben dafür die
Mittel für Hilfsmaßnahmen, für die humanitäre Hilfe
aufgestockt. Auch dafür gebührt dem Finanzminister,
aber auch dem Entwicklungshilfeminister und dem Außenminister ein herzlicher Dank. Das ist ein ganz wichtiges Signal für die Menschen in den Krisenregionen, damit sie dort mit ihren Sorgen und Schwierigkeiten besser
zurechtkommen, ja, zum Teil überhaupt erst zurechtkommen.
Dann haben wir auch bei uns die große Herausforderung der Flüchtlingsströme zu bewältigen. Die erste
Aufgabe ist, die Flüchtlinge gut unterzubringen. Lieber
Herr Hofreiter, da muss ich schon sagen: Sie kennen die
Situation in Bayern offensichtlich nicht, auch nicht die
Unterstützung des Freistaats Bayern für die Kommunen
in dieser Frage. Bayern bezahlt den Kommunen wie
kaum ein anderes Land 100 Prozent der Kosten. In
Nordrhein-Westfalen sind es gerade einmal 20 bis
30 Prozent. Das ist die reale Lage.
({9})
Wir lassen die Kommunen und die Länder auch künftig nicht im Stich. Wir haben zwei Gesetze im Bundesrat
in dieser Woche zur Beratung, das Asylbewerberleistungsgesetz und das Freizügigkeitsgesetz, in denen wiederum Hilfen für die Kommunen enthalten sind. Der Finanzminister hat verfügt, dass die Bundesliegenschaften,
die von der BImA verwaltet werden, kostenlos für
Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt werden,
und er hat auch zugesichert, dass zusätzliche Hilfe geleistet wird, wenn sie notwendig ist. Das ist eine großartige Bereitschaft der Länder, der Kommunen und des
Bundes und vieler ehrenamtlicher Helfer, die uns dabei
unterstützen und deren Hilfe einmal gewürdigt werden
muss.
({10})
Die Konflikte und Krisen haben natürlich Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage bei uns. Nach einem guten Start Anfang des Jahres 2014 hat die Konjunktur nun
einen kleinen Dämpfer erhalten. Krisenherde, Probleme
im Euro-Raum und die weltwirtschaftliche Entwicklung
sind die Hauptgründe dafür. In so einer Zeit ist es ganz
besonders wichtig, verlässliche Politik zu machen. Vor
diesem Hintergrund der verlässlichen Politik ist auch
wieder die solide Haushaltspolitik ein ganz wichtiges Signal.
Ein Zweites ist aber, dass wir alle miteinander Sorge
dafür tragen müssen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer
Wirtschaft nicht zu beeinträchtigen, dass wir Sorge dafür
tragen müssen, unnötigen Ballast für unsere Unternehmen zu vermeiden. Angesichts dessen begrüße ich auch
das, was der Wirtschaftsminister mit Blick auf den Bürokratieaufwand an Vereinfachungsmöglichkeiten vorgelegt hat. Ich hoffe sehr, dass es diesbezüglich in den
nächsten Monaten zu Kabinettsentscheidungen und zur
Realisierung kommt. Das ist auf jeden Fall der richtige
Ansatz. Damit wir uns auch darüber im Klaren sind: Ein
falscher Ansatz wäre in jedem Fall gewesen, so etwas
wie eine Anti-Stress-Verordnung zu machen.
({11})
Wir haben gestern Abend nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund über die Frauenquote gesprochen. Ich
sage Ihnen hier ganz deutlich: Ich stehe zur Frauenquote.
Wir haben das nach langen und intensiven Diskussionen
vereinbart. Ich bin bekannt dafür, im eigenen Verantwortungsbereich Frauen zu fördern, und bin ohnehin der
Meinung, dass jedes Gremium besser arbeitet, wenn
Frauen und Männer dabei sind.
({12})
Ich war lange genug alleine in Männergremien und war
auch einige Jahre in manchen reinen Frauengremien. Ich
weiß also schon, wovon ich rede.
Nur, wenn wir das machen, dann muss es natürlich
auch vernünftig sein. Es ist ja nicht nur eine Seite davon
betroffen. Es sind übrigens nicht alle Frauen betroffen,
sondern es ist nur ein ganz kleiner Teil. Aber das hat eine
Signalwirkung; da dürfen wir gar nichts wegreden. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das Ganze praxisnah
gestaltet wird, dass Berichtspflichten etwas entschärft
werden und das Ganze auch auf einer rechtlich sauberen
Basis steht. Der Kompromiss, der heute Nacht gefunden
wurde, ist meines Erachtens ein guter Kompromiss, über
den wir uns alle gemeinsam freuen können und an dessen Realisierung wir im Gesetzgebungsverfahren konstruktiv mitwirken sollten.
({13})
Eine gute weitere wirtschaftliche Entwicklung hängt
natürlich mit Investitionen zusammen. Das wurde vorhin
mehrfach angesprochen. Deshalb kann ich diesen Part
ganz kurz machen. Ich will nur von meiner Seite noch
einmal betonen: Wenn wir über die Investitionsquote reden, dann gehören immer auch die Investitionen in unsere Kinder und Jugendlichen,
({14})
Investitionen in Bildung, Forschung, Innovation mit
dazu. Da, meine Damen und Herren, haben wir in den
vergangenen Jahren so viel Gutes geleistet. Wir haben
seit 2005 die Ausgaben des Bundes für Forschung und
Entwicklung verdoppelt. Wir haben im vergangenen
Jahr beschlossen, schon ab dem nächsten Jahr die Ausgaben im Rahmen des BAföG ganz zu übernehmen.
Aber da muss man schon auch die Hoffnung aussprechen dürfen, dass die Länder die dadurch freiwerdenden
Mittel ausschließlich für Bildung, Hochschule und Forschung ausgeben.
({15})
Zur Bildung gehört aber nicht nur die Universitätsbildung, sondern auch die betriebliche Bildung, das duale
Bildungswesen.
({16})
Deshalb will ich gerade bei dieser Gelegenheit sagen:
Immer wieder, wenn wir in Europa unterwegs sind, spürt
man, dass das ein Exportschlager von uns ist. Das sollten
wir auch hochhalten. Das Leben beginnt nicht erst mit
dem Abitur oder gar erst mit dem Studium. Es kommt
auf die Ausbildung jedes einzelnen Menschen nach seinen eigenen Talenten an.
({17})
Bei den Themen Infrastruktur und Investitionen darf
der Verkehr nicht fehlen. Da darf die Infrastruktur für die
Breitbandversorgung nicht fehlen. Ich möchte neben den
5 Milliarden Euro, die in dieser Legislaturperiode zusätzlich dafür ausgegeben werden, und neben den
10 Milliarden Euro, die von 2016 bis 2018 - das ist vorhin ja schon angesprochen worden - insbesondere für Investitionen zusätzlich ausgegeben werden, nicht unerwähnt lassen, dass die Maut dazu auch einen Beitrag
leisten wird.
({18})
Dass der Vorschlag des Bundesverkehrsministers europarechtskonform ist, dass er keinen deutschen Autofahrer zusätzlich belastet, dass er auch noch zusätzlich
Geld bringt, welches ausschließlich für Investitionen in
die Verkehrsinfrastruktur verwendet werden darf, zeigt,
meine Damen und Herren: Das ist ein kluges Vorgehen,
ein Zeichen dafür, dass wir noch in der Lage sind, für
Gerechtigkeit im Land und für eine saubere Finanzierung unserer Infrastruktur zu sorgen.
({19})
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt setzt die
richtigen Prioritäten ohne neue Schulden, ohne neue
oder höhere Steuern, mit kraftvollen Zukunftsinvestitionen. Das ist der richtige Weg, und deshalb werden wir
diesem Haushalt auch zustimmen.
({20})
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestern konnte ich hier darüber reden, dass
dieser Haushalt keine neuen Schulden braucht, dass das
eine gute Sache ist, aber nur dann, wenn „keine neuen
Schulden“ auch für die Jahre 2016, 2017, 2018, 2019,
2020 ff. gilt. Wir müssen unsere Haushalte also dauerhaft so aufstellen. Ich glaube, dass man das nicht vergessen darf.
Viele Redner haben hier heute gesagt: Keine Schulden machen ist das eine, Investieren ist das andere. Investieren, das tun wir auch. Ich spreche hier jetzt als Berichterstatter über einen Teilbereich des Einzelplans 04,
über die Kultur. Gemeinschaftlich, wie wir hier sitzen,
haben wir es geschafft, dafür zu sorgen, dass in den BeJohannes Kahrs
reich Kultur investiert wird. Das ist zum Beispiel Volker
Kauder zu verdanken; er hat seinen Beitrag dazu geleistet. Es ist außerdem Steffen Kampeter und Wolfgang
Schäuble zu verdanken. Insbesondere möchte ich auch
der Staatsministerin Grütters und natürlich den Arbeitsgruppen Haushalt danken. Sie haben das Ganze mitgetragen. Thomas Oppermann, ohne deinen Rückhalt in
der SPD wäre das ebenfalls nicht möglich gewesen.
Man sieht, Kultur ist etwas, was eigentlich immer ein
bisschen mitschwimmt und eine große Unterstützung
braucht, um so nach vorne zu kommen, wie es hier geschehen ist. Deswegen kann man sagen: Wir als Parlament haben auf den Etat mehr als 100 Millionen Euro
draufgelegt. Ich glaube, wir haben hier gemeinsam gute
Entscheidungen getroffen. Wir haben uns verpflichtet,
weitere 280 Millionen Euro in den Folgejahren auszugeben. Ich glaube, hiermit haben das Parlament, der Bundestag und insbesondere der Haushaltsausschuss gezeigt, dass wir als Parlamentarier die Dinge umsetzen,
die im Koalitionsvertrag stehen, wenn es die Regierung
selber nicht tut. Insofern noch einmal ganz herzlichen
Dank allen, die daran mitgewirkt haben!
Eine Bitte habe ich allerdings an das Finanzministerium und an Frau Staatsministerin Grütters im Hinblick
auf die Aufstellung des Haushalts des nächsten Jahres.
Das alles ist jetzt vielleicht ein bisschen langweilig, aber
in der Sache wichtig: Bei der Anpassung der Tarife von
Zuwendungsempfängern der Staatsministerin für Kultur
gibt es unterschiedliche Empfängerbereiche, die unterschiedlich unterstützt werden. Das führt dazu, dass wir
zwar jetzt für 2015 16 Millionen Euro für Tarifsteigerungen bereitstellen werden; davon betroffen ist aber nur
ein kleiner Teil, nämlich die Menschen, die in dem Teil
des Kulturbereichs unterwegs sind, der institutionell
vom Bund unterstützt wird. Das ist zu wenig. Es gibt
ganz viele andere, die davon nicht profitieren.
Für die Zuwendungsempfänger ist das seit 2012 die
erste Tarifsteigerung. Das gilt aber nur für die, die institutionell gefördert werden, die sich an dem Tarifvertrag
des öffentlichen Dienstes ausrichten. Viele andere, etwa
die, die Hausverträge haben, wie zum Beispiel die Deutsche Welle, quasiinstitutionelle Zuwendungsempfänger
oder Einrichtungen, die projektgefördert werden, bekommen seit über zehn Jahren keine Kompensation für
Gehaltserhöhung. Das sind Tausende in diesem Land.
Es kann nicht sein, dass es im Kulturbereich Menschen erster und zweiter Klasse gibt: die einen im öffentlichen Dienst, die jedes Jahr eine Tariferhöhung bekommen, und die anderen, die nicht mehr Geld bekommen.
Deswegen meine Bitte an das Finanzministerium, an Sie,
Frau Staatsministerin Grütters, das als Punkt Nummer
eins bei den Haushaltsaufstellungen 2016 zu berücksichtigen, damit die Menschen, die Kultur machen und Kultur umsetzen, auch anständig bezahlt werden.
({0})
Neben diesem, wie ich zugeben muss, sehr sozialdemokratischen Punkt ist es uns gemeinschaftlich aber
auch gelungen, ein weiteres Projekt umzusetzen. Wir als
Parlamentarier haben uns seit Jahren angeguckt, dass da
etwas nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.
Zum Museum für zeitgenössische Kunst in Berlin, dem
sogenannten Museum der Moderne, hat es viele Verhandlungen gegeben, bis wir als Parlament gesagt haben: Jawohl, das muss kommen; so kann es nicht weitergehen. - Dann haben wir als Parlament das beschlossen.
Das ist ein Parlamentsprojekt ersten Ranges.
Ich glaube, dass es gut ist, dass man die jahrelangen
Diskussionen beendet hat, dass man für die Sammlungen
Pietzsch, Marx und Marzona hier einfach einmal einen
Schritt nach vorn gemacht hat. Werke im Wert von deutlich über 1 Milliarde Euro sind da der Öffentlichkeit zur
Verfügung gestellt worden. Dafür braucht man eine Ausstellungsmöglichkeit. Dafür, dass das geklappt hat, noch
einmal vielen Dank an die Fraktionsvorsitzenden, an die
Sprecher und die Arbeitsgruppen! Das ist wirklich wichtig.
Weil es ein Parlamentsprojekt ist, haben wir die Mittel erst einmal gesperrt. Wir werden das Projekt als Parlament in den nächsten Jahren begleiten. Ich glaube, dass
es ein wichtiges Projekt ist, mit dem man zeigen kann,
dass man sich als Parlament für ein Projekt, für das man
mit Herzblut steht, engagieren kann. Die gute Zusammenarbeit zwischen dem Haushaltsausschuss, dem Kulturausschuss und der Staatsministerin ist wichtig, damit
wir das gemeinschaftlich über alle Hürden bringen.
Weiterhin ist es uns gelungen, ein DenkmalschutzSonderprogramm hinzubekommen, mit dem man für
Hunderte von Projekten in der Fläche Deutschlands etwas tun kann. Weil das in den Kommunen, in den Städten und Gemeinden, nicht immer so funktioniert, weil
kein Geld da ist, beteiligt sich der Bund anteilig.
({1})
Auch das ist etwas, für das sich viele Kollegen in diesem
Haus engagiert haben. Mein ganz herzlicher Dank dafür,
dass die Kollegen sich in der Fläche für den Bereich
Denkmalschutz engagieren! Das ist etwas, das uns gut
ansteht. Das prägt die Geschichte, das prägt auch die
Orte. Da tun wir etwas Gutes.
Das Bauhaus feiert im Jahr 2019 sein 100-jähriges Jubiläum. Wir tun jetzt sehr viel für die Standorte Berlin
und Dessau - für Weimar haben wir schon etwas getan -:
In Berlin wird das Bauhaus-Archiv grundsaniert, und es
bekommt einen Anbau; in Dessau wird gebaut. Ich
glaube, dass auch das ein Zeichen ist, dass man sich als
Parlament richtig engagieren kann und etwas tun muss.
({2})
Dieser Koalitionsvertrag zeigt viele Punkte auf, die
wichtig sind, zu denen wir als Parlament jetzt gesagt haben: Man kann da nicht ewig auf die Regierung warten. Man muss sich das Residenzschloss in Dresden, das
Deutsche Romantik Museum in Frankfurt und das Tanzzentrum Pina Bausch in Wuppertal ansehen. Wenn man
sich anguckt, was zum Beispiel die Kulturstiftung des
Bundes oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz leis6528
ten, dann weiß man, dass hier viel getan wird. Noch einmal mein ganz herzlicher Dank an alle Beteiligten, aber
ganz besonders an den Hauptberichterstatter Rüdiger
Kruse! Rüdiger, die Zusammenarbeit mit dir ist vorzüglich. So kriegt man das hin!
({3})
Anja Hajduk von den Grünen, es war eine wunderbare
Zusammenarbeit. Ich glaube, das ist ein Dream-Team,
und das funktioniert.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
jetzt gar nicht so leicht, nach diesem Abschluss vom
Kollegen Kahrs in die richtige Oppositionsgeste zu verfallen.
({0})
Aber reden wir darüber, was bei der Beratung des Kulturetats stattgefunden hat!
Dazu möchte ich sagen - da brauche ich mein Redemanuskript auch gar nicht zu ändern -, dass der Haushaltsausschuss hier wirklich sehr gestaltend eingreift zur Unterstützung der Zielsetzungen des Kulturausschusses und auch der Staatsministerin für Kultur. Diese
Gestaltungskompetenz muss man einmal sehen. Bei einem Haushalt, den wir weiter ausgeglichen halten wollen - das ist auch die Zielsetzung von uns Grünen -, für
2015 100 Millionen Euro zusätzlich und mit Blick auf
die Finanzplanperiode noch einmal 280 Millionen Euro
bereitzustellen, das ist schon eine sehr beachtliche Leistung.
Ja, wir Grünen finden, dass das richtige Entscheidungen sind; an einigen Beispielen will ich das deutlich machen. Dem Projekt „Museum der Moderne“ in Berlin
wird jetzt eine wirkliche Zukunft gegeben. Damit wird
nicht nur wertvolle Kunst der Neuen Nationalgalerie aus
dem Depot befreit und damit zugänglich gemacht, sondern auch für die ausgesprochen wertvolle Schenkung
des Ehepaars Pietzsch ein Ausstellungsort geschaffen.
Damit wird eine Zusage gemacht und erreicht, dass die
Schenkung nicht widerrufen wird. Allerdings - das will
ich hier deutlich sagen - hat meine Fraktion den Anspruch, dass wir das Wie der Umsetzung - da wird auch
von einem PPP-Projekt gesprochen - bis hin zur Standortfrage noch einmal sehr intensiv beraten. Wir haben
jetzt erst einmal die Mittel grundsätzlich bereitgestellt.
Über das Wie wird noch ordentlich zu diskutieren sein.
({1})
Wir Grüne sind froh - wir haben in den Beratungen
sehr darauf gedrungen -, dass es eine definitive Antwort
auf die Frage der Finanzierung des Bauhaus-Jubiläums
gibt. Das Land Sachsen-Anhalt hatte für den Standort
Dessau Mittel in den Haushalt eingestellt. Dort hat man
darauf gewartet, zu erfahren, wie es um Mittel vom
Bund steht. Entsprechende Mittel waren vorher nicht im
Haushaltsplan des Bundes enthalten. Es ist richtig, dass
wir das jetzt umsetzen. Insofern gibt es an dieser Stelle
eine gute interfraktionelle Zusammenarbeit; das gilt für
alle Fraktionen, die hier Berichterstattung für den Bereich Kultur machen.
({2})
Ich kann auch sagen: Die interfraktionelle Zusammenarbeit ging so weit, dass die Große Koalition Akzente aufgenommen hat, die wir gesetzt haben;
({3})
das geht von der Förderung von kreativen Szenen bis hin
zur Soziokultur. Das halte ich durchaus für eine an dieser
Stelle von meiner Seite zu erwähnende Praxis; denn wir
haben nicht immer die Kraft dazu, gemeinsam die Regierung zu korrigieren. Ich würde mir das auch bei anderen Etats wünschen; aber beim Kulturetat klappt das bestens. Auch die Digitalisierung des Filmerbes ist ein
Thema, bei dem wir gemeinsam eine Steigerung der
Mittel verabredet haben; das entspricht einer Antragstellung von uns, aber auch von Ihnen. So weit, so gut.
({4})
Wir haben aber auch Differenzen. Frau Staatsministerin, ich möchte Sie ausdrücklich auffordern, beim
Thema „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ klar
und verantwortungsvoll zu agieren, wenn sich jetzt dort
doch zeigt, dass sich mit der Personalie des Direktors
Probleme verbinden. Sie wissen, wir sind Kritiker der
jetzigen Konzeption dieser Stiftung. Wir fühlen uns in
unserer Kritik sehr bestätigt, wenn der Direktor den Beraterkreis nicht in geeigneter Form miteinbezieht, sondern da auf eine ganz eigene Weise agiert. Ich erwarte
von Ihnen, dass Sie da Konsequenzen ziehen und überlegen, ob da nicht früher in Ihrem Haus falsche Personalentscheidungen getroffen wurden.
({5})
Wir werden deswegen weiterhin die Streichung der entsprechenden Mittel fordern, solange da nicht ganz andere Perspektiven eröffnet werden.
Ich möchte auf ein aktuelles Beispiel zu sprechen
kommen: die Entwicklung des Humboldt-Forums. Beim
Humboldt-Forum treten wir ein schwieriges Erbe an.
Frau Staatsministerin, ich weiß, dass Ihre Präferenzen,
wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, da vielleicht
anders wären. Aber ich mache mir ein bisschen Sorgen,
wie jetzt die Zukunft aussehen wird. Die Situation stellt
sich schwierig dar, was den Eingang der Spenden angeht. Ich finde, wir dürfen nicht nachlassen und einfach
akzeptieren, dass da jetzt viel weniger Spenden als versprochen eingehen,
({6})
und das mit Steuermitteln kompensieren. Das kann’s
nicht sein.
({7})
Und es kann auch nicht sein, dass sich das Land Berlin
jetzt einfach nur vom Acker macht. Bestimmt ist es nicht
immer leicht, mit den Berlinern, mit der Berliner Administration, zu kooperieren. Aber wir können nicht einfach in Aussicht stellen, dies mit sage und schreibe
80 Millionen Euro Steuermitteln aus dem Etat des Bundes zu kompensieren. Bleiben Sie hart in diesen Verhandlungen! Wir werden Sie daran messen und dann
auch unsere Oppositionsrolle sehr entschieden wahrnehmen.
Schönen Dank.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Ulrike
Gottschalck das Wort.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Wir haben es gehört: Die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist gut. Das Wirtschaftswachstum ist
zwar etwas schwächer als angenommen, aber wir haben
weiter Wachstum. Das ist gut. Diese Große Koalition arbeitet dafür, dass diese wirtschaftliche Stärke dauerhaft
erhalten bleibt.
In dieser Woche werden wir einen Haushalt ohne
Neuverschuldung beschließen. Darauf können wir alle
- ich denke, auch die Opposition ein Stück weit - stolz
sein.
({0})
Wir wollen keine Politik zulasten der künftigen Generationen, und wir wollen die staatliche Handlungsfähigkeit erhalten. Handlungsfähig müssen aber auch die
Kommunen bleiben. Sie stehen vor enormen Herausforderungen wie der demografischen Entwicklung und dem
Erhalt der Infrastruktur, und damit meine ich ausdrücklich auch die soziale Infrastruktur in den Kommunen.
Im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz werden die
Kommunen um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlastet. Die
Kosten der Grundsicherung haben wir bereits komplett
übernommen. Das macht sich ganz konkret in den Haushalten der Sozialhilfeträger positiv bemerkbar.
Aktuell stehen die Kommunen durch die drastisch
steigenden Flüchtlingszahlen erneut unter enormem
Druck. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die menschenwürdige Unterbringung der oft traumatisierten
Flüchtlinge für uns alle oberste Priorität haben muss.
({1})
An dieser Stelle will ich ausdrücklich den Landrätinnen und den Landräten, den Bürgermeisterinnen und den
Bürgermeistern, aber insbesondere auch den vielen ehrenamtlichen Helfern in den Kommunen danken, die dafür sorgen, die sich dafür abrackern,
({2})
dass die Flüchtlinge gut untergebracht werden. Sie sorgen dafür, dass sich die Flüchtlinge in unserem Land
herzlich willkommen fühlen. Das sollte einen Applaus
wert sein.
({3})
Langsam geht den Kommunen jedoch die Puste aus.
Deshalb ist es gut, dass sich die Spitzen von SPD und
CDU/CSU gestern Abend auf weitere Entlastungen für
die Kommunen verständigt haben. Bund und Länder
müssen selbstverständlich ihrer Verantwortung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gerecht werden.
Der Bund hat schon vieles auf den Weg gebracht. Bei
den Ländern sehe ich an einigen Stellen noch Luft nach
oben. Ich muss der Kollegin Hasselfeldt recht geben:
Bayern ist wirklich vorbildlich bei der Unterbringung
von Flüchtlingen. In Hessen dagegen, wo Grüne mitregieren, gibt es keine verlässliche Finanzierung für die
Flüchtlingsunterbringung. Die Kommunen müssen das
irgendwie schultern. Man muss also immer vorsichtig
sein mit seinen Äußerungen.
Die ordentliche Finanzausstattung in den Kommunen
muss sichergestellt werden. Hier sind auch die Länder
gefordert. Ich weise noch einmal auf den sozialen
Sprengstoff hin. Wenn wir Extremismus nicht bekämpfen, wenn wir ihm nicht die Stirn bieten, dann erhalten
extreme Rattenfänger wieder die Stammtischhoheit. Wir
müssen aufpassen, dass es zu keinen komischen Entwicklungen kommt. Ich bin daher sehr froh, dass wir
durch die Bereitstellung weiterer 10 Millionen Euro
noch mehr Programme gegen Extremismus auf den Weg
bringen können. Das hilft auch den Kommunen weiter.
Danke!
({4})
Viel Gutes leisten auch die Jugendmigrationsdienste
in den Kommunen und die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer. Für die Jugendmigrationsdienste
haben wir 1 Million Euro draufgesattelt, 8 Millionen
Euro mehr für die Migration von Erwachsenen. Das ist
gut investiertes Geld. Die Migrationsdienste leisten
wichtige Hilfestellung, um keinen Menschen zurückzu6530
lassen und um die vielen jungen Menschen, die zu uns
kommen, aufzufangen. Vielen Dank dafür!
({5})
Wir investieren in viele Bereiche: in Bildung, in Forschung, in Entwicklung und in Infrastruktur. Wir dürfen
auch nicht nachlassen. Unsere Volkswirtschaft darf nicht
ins Stottern geraten. Im Übrigen: Von der Frauenquote
wird sie auch nicht ins Stottern geraten. Im Gegenteil: Es
wird die Wirtschaft beflügeln, wenn wir angestaubte
Rollenbilder über Bord schmeißen. Gerade die Querschüsse der letzten Tage haben noch einmal verdeutlicht,
dass wir klare Regeln brauchen, um alte, männlich dominierte Strukturen aufzubrechen.
({6})
Vor Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
steht eine stolze Großmutter von sechs Enkelinnen -; alles Mädels, jede Menge Frauenpower.
({7})
Deshalb habe ich große Erfahrungswerte. Ich weiß, wie
schwierig es ist, den ganz normalen Alltagswahnsinn unter einen Hut zu bekommen. Aber jede Familie ist anders. Jede Familie braucht andere Rahmenbedingungen,
die zu ihren Vorstellungen passen. Deshalb haben wir
schon viele Initiativen auf den Weg gebracht wie das Familienpflegezeitgesetz oder das Elterngeld Plus, das uns
im Übrigen lieb und teuer ist; denn es ist ein richtiges Instrument, um Familien zu unterstützen.
Aber wir müssen weiter prüfen: Wie können wir Familien noch viel besser unterstützen? Ein Beispiel ist die
Familienarbeitszeit, die von Manuela Schwesig vorgeschlagen wurde. Oder aber auch: Wie bekommen wir
den weiteren Kitaausbau geschultert? Dort sind weitere
Investitionen nötig. Wo soll zum Beispiel die Kassiererin, eine alleinerziehende Mutter, die abends an der
Kasse im Lidl sitzt, ihr Kind unterbringen? Wo wird es
in guter Qualität versorgt? Oder wo bringen die Polizeibeamtin und der VW-Arbeiter, beide mit unterschiedlichen Schichtzeiten, ihr Kind unter?
Ich kündige jetzt schon einmal an: Wir müssen sehr
genau aufpassen, dass von den guten Investitionen, die
wir im Haushaltsausschuss beschlossen haben, auch ordentlich etwas in Bildung, frühkindliche Bildung und in
die Jugend fließt. Das ist gut angelegtes Geld. Ansonsten
blicke ich sehr zufrieden auf die Haushaltsberatungen
sowie auf ein Jahr Große Koalition zurück.
({8})
Wir haben schon viel erreicht, aber wir müssen noch ein
wenig Gas geben, um noch mehr zu erreichen. Also packen wir es an, es gibt noch viel zu tun!
Vielen Dank.
({9})
Die Kollegin Sigrid Hupach hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich gratuliere Ihnen, Frau Staatsministerin,
dass Sie uns heute einen Kulturhaushalt für 2015 vorlegen, der ungekürzt blieb und sogar um 118 Millionen
Euro erhöht wurde. Herzlichen Glückwunsch dazu!
({0})
Das ist angesichts des Dogmas der schwarzen Null in
diesem Hause nicht hoch genug einzuschätzen. Aber gerade deshalb frage ich: Wozu, wofür werden die unter
schwierigen finanziellen Bedingungen gewonnenen Mittel ausgegeben? Ich stelle fest: nicht für die Digitalisierung des kulturellen Erbes. Hier haben wir zwar seit dem
Sommer eine Digitale Agenda, konkrete Handlungsabsichten aber fehlen.
Besonders deutlich wird das beim Thema Filmerbe.
Die Stiftung Deutsche Kinemathek veranschlagt hier den
Bedarf für die nächsten zehn Jahre mit 100 Millionen
Euro. Im Haushalt findet sich hierfür nur 1 Million Euro.
Nur zum Vergleich: Frankreich, unser Nachbarland, hat
für einen Zeitraum von sechs Jahren insgesamt 400 Millionen Euro eingestellt. Die Zeit aber drängt; denn das
Filmmaterial zerfällt in rasantem Tempo. Ein runder
Tisch mit den Ländern allein hilft hier nicht weiter. Die
Digitalisierung des Filmerbes ist eine originäre Aufgabe
des Bundes.
({1})
Wir brauchen fachgerecht ausgestattete Depots, einen
Kriterienkatalog für die vorrangige Digitalisierung und
Ideen zur Langzeitarchivierung.
Deutschland liegt hier inzwischen im europäischen
Vergleich weit zurück. Da hilft auch das Vorzeigeprojekt
Deutsche Digitale Bibliothek wenig, für dessen dringend
notwendigen Ausbau sich im Haushalt keine adäquaten
Mittel finden. Wir brauchen keine weiteren Ankündigungen. Was wir brauchen, ist eine nationale Digitalisierungsstrategie,
({2})
untersetzt mit einem Sonderprogramm von 30 Millionen
Euro. Die Linke fordert dies seit Jahren. Stattdessen geben Sie Jahr um Jahr Millionen für die Stiftung Flucht,
Vertreibung und Versöhnung aus, der es bis heute nicht
gelang, die lang geplante Dauerausstellung umzusetzen.
Mit einem Stiftungsrat ohne Vertreter des Zentralrates
der Juden in Deutschland, mit einem wissenschaftlichen
Beirat ohne Vertreter der Sinti und Roma widerspricht
diese Institution eindeutig ihrem Stiftungszweck.
({3})
Dazu kommt der aktuelle Ausstellungsskandal um
Stiftungsdirektor Manfred Kittel, einen Mann, der die
NS-Vergangenheit von Vertriebenen-Funktionären beschönigt und immer wieder von der Versöhnung der
Deutschen als Aufgabe der Vertriebenenstiftung spricht.
Mit diesem Direktor kann die Stiftung der wissenschaftlich fundierten Darstellung weltweiter Geschichte des
20. Jahrhunderts nicht dienen.
({4})
Wie lange wollen Sie diese Bundesstiftung gegenüber
der Öffentlichkeit noch vertreten und finanzieren?
2,5 Millionen Euro kostet uns dies jährlich. Spätestens
jetzt endet das Lob für den Kulturhaushalt; denn mit diesen Millionen ließe sich wahrlich Besseres für die Kultur
in unserem Lande bewirken.
Ein Beispiel dafür ist die Filmförderung, die Sie immer weiter heruntersparen. Die massiven Kürzungen in
diesem Bereich sind eine schwerwiegende Fehlentscheidung.
({5})
Daran ändert auch nichts, dass der Deutsche Filmförderfonds durch den Deal mit Herrn Schäuble zumindest für
diese Legislaturperiode gesichert zu sein scheint.
Der Deutsche Filmförderfonds hat sich in den vergangenen Jahren als eine höchst effektive Branchenförderung erwiesen. Gäbe es ihn nicht, würden viele Produktionen nicht in Deutschland, sondern im Ausland
stattfinden. Das kann nicht der Wille der Koalition sein.
Wille der Linken ist es definitiv nicht.
({6})
Denn Abwanderung bedeutet auch Abbau von regionalen Arbeitsplätzen und weniger Arbeitsmöglichkeiten
für deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler, Szenenbildnerinnen und Szenenbildner, Künstlerinnen und
Künstler oder Cutterinnen und Cutter. In der Filmbranche gibt es die Faustregel, dass 1 Million Euro Filmförderung Investitionen in Höhe von 4 bis 6 Millionen Euro
nach sich zieht. Und: 1 Million Euro Filmförderung
bringt laut einem aktuellen Gutachten 1,8 Millionen
Euro an Steuereinnahmen. Deshalb fordert die Linke
nicht nur eine Verstetigung, sondern auch eine Aufstockung um 20 Millionen wieder auf 70 Millionen Euro,
wie es 2013 der Fall war.
({7})
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf das heute
schon vielfach angesprochene Freihandelsabkommen
TTIP eingehen. Die Linke beobachtet die Verhandlungen nach wie vor mit großer Sorge, da sie auch den kulturellen Bereich betreffen. Wie sicher, Frau Grütters,
können Sie sich denn sein, dass eine Generalklausel in
der Präambel des Mandatstextes eine Schutzfunktion für
die Kultur hat? Wie bindend kann eine Generalklausel
für alle Kapitel des Abkommens sein? - Wir fordern
nach wie vor einen Stopp dieser Verhandlungen und eine
konsequente Herausnahme von Kultur und Medien aus
dem Verhandlungsmandat.
({8})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
Gloria sei dir gesungen.
Mit Menschen- und mit Engelszungen.
Das war zumindest ein Liedtext heute Morgen in der Andacht. Gemeint waren allerdings nicht die Haushaltsberatungen. Haushalt ist Menschenwerk
({0})
- das sagt ein Haushaltspolitiker ganz sachlich und
„down to earth“ -, aber zu loben ist es, und das wird ja
auch mit Menschenzungen getan.
Was gelobt wird und was gelobt werden sollte, ist
nicht die Tatsache, dass wir die Normalität erreicht haben; also nicht die Normalität ist zu loben - das tut man
ja auch nicht -, sondern die Rückkehr zu dieser, welche
übrigens sehr lange gedauert hat. Es war ein langer Weg
von der Normalität, wie man Haushalte machen sollte,
bis wir dann über die Einsicht und in den letzten Jahren
über sehr intensives Bemühen an das Ziel gelangt sind
und nun einen entsprechenden Haushalt vorlegen.
Der besondere Charme dieses Haushaltes ist einfach,
dass er auch die Zukunft zwingt. In der Vergangenheit
wäre es so gewesen: Wenn man bei einem Ziel, nur
20 Milliarden neue Schulden zu machen, bei 20,1 Milliarden gelandet wäre, hätte keiner etwas gesagt. Ich
kann mir aber nicht vorstellen, dass jetzt einer von uns
auch nur 100 Millionen Euro auf die schwarze Null in
Rot drauflegen möchte. Das ist die große Leistung, und
dafür gilt dem Bundesfinanzminister und allen Parlamentariern Dank. - Jetzt darfst du klatschen, Johannes.
({1})
- Ich bin noch nicht so ganz bei den Müntefering-Sätzen; da ist das einfacher.
Das Parlament hat ja immer die Chance, den Regierungsentwurf zu verändern. Man kann ihn verbessern,
man kann ihn auch verschlimmbessern. Die Leidenschaft könnte ja auch sein, einfach überall etwas draufzulegen. Die Gefahr, die bei dem Diktat der schwarzen
Null gesehen worden ist, war, dass wir gar nichts mehr
tun können. Die jetzigen Haushaltsberatungen haben
aber gezeigt, dass man beides machen kann, dass man
Dinge, die man vorher vielleicht nicht gesehen hat, nicht
sehen konnte, aufgreifen kann und dass man handeln
kann.
Ich denke nur an das Thema Flüchtlinge. Es ist richtig
umgesetzt worden.
Ich denke daran, dass wir als Parlament schon bei den
letzten Haushaltsberatungen, die ja auch in dieses Jahr
fielen, das Thema Ukraine im Zusammenhang mit der
Deutschen Welle thematisiert haben und dass wir dabei,
wie man im Nachhinein schnell gesehen hat, die richtigen Akzente gesetzt haben.
Auch dieses Mal gab es zwei Stufen. Natürlich gilt
immer: ohne Parlament kein Haushalt. Aber zunächst
einmal darf sich die Regierung für all das, was so aus
dem Regierungsentwurf übernommen worden ist, wie es
drinstand, nicht nur bedanken, sondern sie darf sich dafür auch selbst loben, dass sie es gut gemacht hat; denn
ansonsten hätten wir es ja nicht übernommen.
Dann gibt es eine zweite Stufe: die Dinge, die nicht
drinstanden, die wir hinzugefügt oder geändert haben. Das
betrifft zum Beispiel - das ist schon erwähnt worden das Museum der Moderne. Ich sehe das auch so: So ganz
etatreif war das noch nicht. Aber außer Verwaltung ist ja
nichts ewig. Das heißt, wenn wir Spender haben, die vor
vier, fünf Jahren gesagt haben: „Wir geben unsere
Sammlung, wenn ihr einen Ort schafft“, dann darf die
Diskussion nicht zu lange dauern. Wir haben jetzt gesagt: Wir erkennen diese Schenkung an, und wir wollen
das befördern. Das ist auch ein Signal an alle zukünftigen Spender; es gibt ja noch ein paar andere Leute, die
eine Sammlung haben. Wir sagen: Wir schaffen im
Haushalt jetzt die Möglichkeit und können dann das
Wie, das Wo und das Wer klären. Ich glaube, es ist das
Vorrecht des Parlaments, das so zu tun und so dieses Kapitel abzuschließen.
Erlauben Sie mir für die Überleitung ein Bild der Moderne zu nutzen: Das ist kein iPhone. Wenn Sie jetzt an
Magritte denken, dann haben Sie den Test schon einmal
bestanden. Das Thema ist natürlich Bauhaus. Das, was
ich Ihnen eben gezeigt habe, ist Bauhaus. Diese Feststellung bietet uns die Möglichkeit, wenn wir schon in technologischer Hinsicht die Gelegenheit verpennt haben,
dieses Produkt mit uns Deutschen in Verbindung zu bringen. Wir haben das iPhone nicht erfunden - wir haben
vielleicht die Grundlagentechnik gebastelt und das Ergebnis dann in den Keller gelegt -, aber das Design, das,
was die Welt heute schick findet, das hat seine Wurzeln
hier. Dieses Design hat seine Wurzeln in einer Entwicklung, die auf den Ersten Weltkrieg reflektiert hat. Auch
das ist ein interessanter Aspekt der europäischen Geschichte. Bauhaus ist eine Möglichkeit, Deutschland international ins Licht zu setzen, und zwar als einen Ort
für Design und Technik. Wir haben „form follows function“ erfunden. Auf den Städtebau in Deutschland
schaute und schaut diesbezüglich die Welt.
Da gab es auch einen Termin, da gab es zwei Möglichkeiten: Freuen wir uns auf das Jubiläum im Jahr
2069. Da einige Abgeordnete jedoch Bedenken hatten,
dass sie dann nicht mehr in Funktion dabei sein könnten,
haben wir mit Zustimmung der beiden Fraktionsvorsitzenden dieses Thema vorgezogen. Nun feiern wir im
Jahr 2019 100 Jahre Bauhaus. Das ist nun vernünftig
durchfinanziert. Dieses Thema ist damit abgeräumt.
Das zeigt, dass wir Akzente setzen können und mit
wenig Aufwand zeigen können, für welche Werte wir in
der Welt kämpfen. Man muss seine Werte auch polieren.
Es nützt nichts, gegen andere anzukämpfen, wenn die
noch nicht einmal erkennen können, wofür wir kämpfen.
Es lohnt sich, für die europäischen Werte zu streiten. Wir
müssen uns bewusst sein, dass Deutschland als reiches
Land, als immer noch reiches Land und als Land der Dynamik diese Kultur hochhalten muss.
Das Gute an diesem Haushalt und an den Beratungen,
die jetzt folgen, ist: Wir haben eine schwarze Null vorgelegt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass in den nächsten
Jahren 10 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden.
Das heißt, dass die in Europa oft gestellte Frage, ob man
eine solide Haushaltsführung betreiben und gleichzeitig
nötige Investitionen tätigen kann, damit beantwortet ist.
Das wird in Europa gesehen. Dafür bekommen wir aus
ganz Europa Applaus.
({2})
Vorhin ist das Pina-Bausch-Tanzzentrum in Wuppertal erwähnt worden. Auch in dieser Region ist das
iPhone nicht erfunden worden. Dort gibt es eine Schwebebahn; die kennt man. Kurzfristig tauchte Wuppertal
wegen der sogenannten Scharia-Polizei in den Medien
auf. Und dann gibt es dieses Asset, mit dem man dort etwas tun könnte. Deswegen haben wir gesagt: Gut, wir
geben für die Projektidee 1 Million Euro, wenn das Land
auch 1 Million Euro gibt. Damit sind wir am entscheidenden Punkt: Es kann nicht sein, dass der Bund für zusätzliche Aktivitäten Geld draufsattelt und die Länder im
Gegenzug ihre Aktivitäten teilweise herunterfahren. Wir
müssen dieses Anliegen schon gemeinschaftlich verfolgen. Deshalb lautet mein dringender Appell an alle Länder, mitzuwirken, weil wir dieses Engagement sonst
nicht aufrechterhalten können.
({3})
Am Anfang meiner Rede habe ich aus einem Lied zitiert und festgestellt, dass wir nicht mit Engelszungen
gelobt werden. Es gibt ein Lied, das vielleicht besser zur
Haushaltspolitik passt. Es ist von den Fantastischen Vier
und Herbert Grönemeyer. Letzterer singt den Refrain:
Es könnte alles so einfach sein - ist es aber nicht.
Das rechtfertigt dann auch das Lob: Wenn man all diese
Mühen auf sich nimmt und am Ende einen solchen
Haushalt vorlegt, der Platz für Visionen bietet, dann war
es nicht einfach, aber es wurde gut.
Herzlichen Dank.
({4})
Der Kollege Martin Dörmann hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine vielfältige Kultur- und Medienlandschaft ist eine
wesentliche Voraussetzung für eine lebendige Demokratie und eine freie Gesellschaft. Deshalb ist es gut, dass
die Koalition auch im Haushalt 2015 ein besonders starkes Zeichen für Kultur und Medien setzt.
Ich möchte an etwas erinnern, das noch gar nicht
lange her ist: Im Juni dieses Jahres haben wir in den Parlamentsberatungen für den Haushalt 2014 ein Plus von
90 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurf
erreicht. Wenn man allein den BKM-Haushalt 2015 betrachtet, sind es sogar 102 Millionen Euro. Hinzu kommen noch die Personalkostensteigerungen, die, jedenfalls teilweise, ausgeglichen wurden. Es kommt
außerdem noch der Bereich der Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik hinzu, für den zusätzlich ein höherer
Millionenbetrag eingestellt wurde. Ich möchte auch den
Bereich wichtiger Projekte erwähnen, der im BKMHaushalt als Verpflichtungsermächtigung bereits für die
nächsten Jahre vorgezeichnet wurde.
Wenn man es in der Summe betrachtet, dann sieht
man, dass allein in der Bereinigungssitzung des Bundestages für den Haushalt 2015 rund 430 Millionen Euro in
Richtung Kultur und Medien geflossen sind. Das ist
wirklich ein starkes Zeichen und verdeutlicht den Anspruch, den wir als Koalition haben: die vielfältigen Projekte aus dem Koalitionsvertrag auch tatsächlich umzusetzen. Dafür ein herzliches Dankeschön.
({0})
Ich möchte den gesamten Haushaltsausschuss einbeziehen, weil die Erhöhungen einstimmig beschlossen
wurden. Ich möchte in besonderer Weise die Berichterstatter der Koalition, Johannes Kahrs und Rüdiger
Kruse, erwähnen, die dafür gesorgt haben, dass diese am
Ende auch so im Haushalt stehen. Ich möchte auch die
Fachpolitiker aus dem Ausschuss für Kultur und Medien
erwähnen. Dazu gehört mein Sprecherkollege aufseiten
der Union, Marco Wanderwitz. Ich möchte auch den
Dank an Frau Staatsministerin Grütters sowie an die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haushaltsreferat
der BKM weitergeben, die dazu beitragen, dass wir die
notwendigen Informationen haben, um die politischen
Entscheidungen treffen zu können.
Ich möchte zwei Beispiele erwähnen. Das eine Beispiel, das Museum der Moderne, ist schon genannt worden. Es ist gut, dass der gordische Knoten dort jetzt
durchschlagen ist und der Weg geebnet ist. Natürlich
müssen wir über die genaue Konzeption noch diskutieren, Frau Kollegin Hajduk, damit die Schenkungen angenommen werden können und die Kunst des 20. Jahrhunderts in Berlin eine Heimstatt findet und eine
angemessene Präsentation bekommt. Damit setzen wir
ein starkes Zeichen. Da stehen wir alle in der Verantwortung.
Ich möchte ein zweites Beispiel erwähnen, welches
schon angeklungen ist, nämlich die Deutsche Welle.
Positiv ist nämlich, dass dort erneut höhere Mittel eingestellt worden sind. Im Haushalt 2015 stehen 7,5 Millionen Euro konkret für den Studioumbau und für die wichtige ukrainisch-russische Berichterstattung zusätzlich
zur Verfügung. Es wurden übrigens auch 3 Millionen
Euro für die Deutsche-Welle-Akademie über den BMZHaushalt eingestellt. Das ist ein starkes Zeichen und ein
Bekenntnis für die Deutsche Welle.
Wir haben heute am Anfang der Debatte erlebt, vor
welchen außenpolitischen Krisen wir stehen. Wir leben
in einer auch medial zusammenwachsenden Welt. Deshalb, glaube ich, ist uns allen klar, dass die Deutsche
Welle in Zukunft weiterhin an Bedeutung gewinnen
wird. Wir sollten daher dafür Sorge tragen, dass sie auch
die nötigen finanziellen Mittel bekommt. Denn der Gesetzgeber steht aufgrund des Deutsche-Welle-Gesetzes
in dieser Hinsicht ganz besonders in der Verantwortung.
Wir alle wissen, wo der Schuh drückt. Es sind die
strukturellen Entscheidungen, die wir im Haushalt 2016
abzubilden haben. Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege
Kahrs bereits darauf hingewiesen hat. Wir haben in den
vergangenen Jahren die Personalkostensteigerung der
Deutschen Welle nicht abgebildet. Wenn wir das weiterhin so machen würden, würde das in der Folge natürlich
dazu führen, dass notwendige Kürzungsschritte vorgenommen werden müssten. Diese wollen wir gerade vermeiden, da die Bedeutung der Deutschen Welle wächst.
Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Kahrs das heute
auf den Punkt gebracht hat.
Der beste Weg wäre, wenn bereits im Haushaltsentwurf 2016 abgebildet würde, dass bei den Zuwendungsempfängern bei der BKM nicht mehr danach unterschieden wird, welcher Tarifvertrag dort Anwendung findet,
also ob TVöD, Haustarifvertrag oder Landestarifverträge. Es wäre am besten, wenn die Personalkostensteigerungen regelmäßig ausgeglichen würden. Das würde
dann eine stabile Grundlage für die weiteren Arbeiten
darstellen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie es mich
abschließend so bewerten: Ich glaube, mit diesem Haushalt können wir im Bereich Kultur und Medien eine außerordentlich positive Bilanz ziehen. Wir werden aber
nicht müde. Wir haben gerade ein Jahr Große Koalition
hinter uns, und es gibt im Koalitionsvertrag noch viele
Projekte, die wir umsetzen wollen. Insofern ist nach dem
Haushalt vor dem Haushalt.
Ich freue mich - ich will das ausdrücklich sagen -,
dass die Debatte über Kultur und Medien auch im Ausschuss in weiten Bereichen so geführt wird, dass wir
nach Gemeinsamkeiten suchen. Ich glaube, in der heutigen Debatte ist an einigen Stellen deutlich geworden, in
welche Richtung es gehen kann. Ich würde mich freuen,
wenn wir auch im Haushaltsausschuss gemeinsam, Seit’
an Seit’ streiten: für vielfältige Medien und eine lebendige Kulturlandschaft in Deutschland.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wann immer wir hier in den letzten Jahren den Kulturhaushalt debattierten, gingen eigentlich alle davon aus,
dass es wieder einmal zu Steigerungen gekommen ist.
Auch wenn der Etat schon im Regierungsentwurf eine
Steigerung erfahren hatte, kam es üblicherweise auch im
parlamentarischen Verfahren zu einer Steigerung. Das ist
auch in diesem Jahr der Fall; die Kolleginnen und Kollegen Haushälter haben das ausgeführt. Wir alle freuen uns
darüber. Ich glaube, viele betroffene Akteure im Kulturbereich in unserem Land freuen sich ebenfalls darüber.
Aber das alles ist natürlich nicht selbstverständlich.
Auch wenn das Ganze im Grunde jedes Jahr erwartet
wird, will ich an dieser Stelle sagen: Es sind immer wieder bewusste politische Schwerpunktsetzungen, bewusste politische Entscheidungen, die wir hier in diesem
Hohen Haus treffen und um die wir jedes Jahr ringen
müssen. Deshalb will ich mich ausdrücklich dem Dank
anschließen, der hier schon vielfach gesagt worden ist.
Wir haben es mit einer Bundesregierung und mit einer
Staatsministerin zu tun, die sich in diesem Bereich sehr
engagieren. Wir haben es mit Kollegen Haushältern zu
tun, die sehr engagiert für die Kultur streiten. Wir haben
es mit Vorsitzenden der beiden regierungstragenden
Fraktionen zu tun, denen dieses Thema wichtig ist. Deshalb sieht der Haushalt so aus, wie er ausschaut.
({0})
Seit 2005 steigt das Budget des Kultur- und Medienhaushalts nun jedes Jahr, so auch dieses Jahr. Wir wollen
damit auch ein Stück weit Vorbild für die Länder und
Kommunen sein. Denn dort erleben wir sehr häufig Debatten, die in eine andere Richtung gehen, und Entscheidungen, die in eine andere Richtung gehen. Deshalb
freue ich mich natürlich nicht nur, dass die neue Staatsregierung in meinem Heimatbundesland in Kapitel eins
ihres Koalitionsvertrages die Kultur erwähnt, sondern
dass sie beispielsweise auch die Entscheidung getroffen
hat, für das Sächsische Kulturraumgesetz, das ein bundesweites Erfolgsmodell sein könnte, wenn die anderen
Länder denn bereit wären, es zu kopieren - es macht
Kultur nämlich zur Pflichtaufgabe -, 5 Millionen Euro
pro Jahr an frischem Landesgeld zur Verfügung zu stellen.
Wenn man sich die Situation in anderen Bundesländern anschaut, sieht man, dass die dortigen Entscheidungen teilweise andere sind. Kollege Kahrs hat das Denkmalschutz-Sonderprogramm angesprochen, das nun in
seine sechste Auflage geht, wieder mit einem Volumen
von 29 Millionen Euro. Der Bund sagt dazu: Es gibt
noch viele Hunderttausend Denkmäler in unserem Land,
die der weiteren Sanierung bedürfen. Aber es gibt eben
Länder wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, die sich
aus der Kofinanzierung dieses Denkmalschutz-Sonderprogramms ausgeklinkt haben.
({1})
Das ist schlecht. Das können wir so nicht hinnehmen.
Das ist vor allen Dingen auch nicht im Interesse der
Kommunen dieses Landes.
Wir haben im Jahr 2019 - auch das ist von meinen
Vorrednern schon angesprochen worden - das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum vor der Brust. In den nächsten
Jahren wird es viele solcher Jubiläen geben. Einige sind
wir schon vor einigen Jahren angegangen, beispielsweise das Luther-Jubiläum. Mit diesem Haushalt hat
sich diese Koalition intensiv dem Thema Bauhaus-Jubiläum gewidmet. Wir sind hinsichtlich der Bauten in Berlin und in Dessau auf einem guten Weg. Die Kultur- und
Medienpolitiker der Koalition werden das Ganze in
Bälde inhaltlich mit einem Antrag flankieren.
Erwähnen will ich auch, dass wir der Bundeskulturstiftung 5 Millionen Euro für die inhaltliche Begleitung
des Jubiläums zur Verfügung stellen. Wir wollen also
nicht nur bauen, sondern uns auch mit dem Design des
Bauhauses inhaltlich weiter auseinandersetzen.
({2})
Ein weiteres wichtiges Thema - der Umfang der Mittel dafür ist derzeit zwar etwas geringer, aber die Wirkung ist aus meiner Sicht mindestens genauso groß - ist
der anstehende 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven im Jahr 2020. Es stünde uns als Kulturnation
Deutschland gut zu Gesicht, wenn wir hier entscheidende Schritte unternehmen würden. Dafür stellen wir
nun 1,3 Millionen Euro zur Verfügung, und der Verein
Beethoven-Haus Bonn erhält für den notwendigen Erweiterungsbau zudem einen Bundeszuschuss von knapp
200 000 Euro.
({3})
In diesem Jahr feiern wir in Deutschland 25 Jahre
Mauerfall und 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs. Wir
haben dieses Jubiläum hier in Berlin und überall im
Land gerade gefeiert - unter anderem mit einer großartigen Ausstellung in der Gedenkstätte Berliner Mauer, die
mit 950 000 Euro Bundesgeld bezuschusst wurde.
Wir wollen mit diesem Haushalt auch eine halbe Million Euro in die Hand nehmen, um das einzigartige Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft zur Opposition
und zum Widerstand in der DDR zu sichern. Nachdem
dies über viele Jahre nur durch Projektarbeit geschehen
ist, setzen wir hier jetzt ein ganz bewusstes Zeichen, und
wir hoffen, dass auch das Land Berlin seinen Anteil dazu
beitragen wird.
({4})
Dieser Haushalt enthält die nötigen 2 Millionen Euro
für die technische Weiterentwicklung des Projekts zur
virtuellen Wiederzusammensetzung der Stasiunterlagen genannt: Schnipselmaschine. Das ist ein wichtiges
Thema, gerade da wir jetzt die Kommission zur Zukunft
der Stasi-Unterlagen-Behörde eingesetzt haben, die sich
übrigens morgen konstituieren wird. Deshalb, glaubten
wir, ist es gut, in diesem Haushalt dieses Zeichen zu setzen.
({5})
Die Deutsche Welle hat Martin Dörmann schon angesprochen. Über die neue Aufgabenplanung werden wir
in der nächsten Sitzungswoche aller Voraussicht nach
umfänglicher diskutieren können.
Lieber Martin, du hast die neuen Herausforderungen,
die die vielen Krisen dieser Welt mit sich bringen, richtigerweise angesprochen. Eines der Grundprobleme der
Finanzierung der Deutschen Welle ist - das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen -, dass es unter RotGrün eine Kürzung um schlappe 50 Millionen Euro gegeben hat. Dieser laufen wir seitdem hinterher. Ich
glaube aber, gemeinsam haben wir gute Chancen, das
wieder auf die Reihe zu bekommen.
({6})
Ich komme zu einem letzten Punkt, der mir persönlich
auch ganz wichtig ist.
Kollege Wanderwitz, achten Sie bitte auf die Zeit.
Daher die Formulierung: „einem letzten Punkt“.
Ja, ja.
Liebe Frau Staatsministerin, liebe Monika Grütters,
ich freue mich sehr, dass es dir gelungen ist, das Thema
Freiheits- und Einheitsdenkmal anzustoßen, sodass es
jetzt entstehen kann. Das ist endlich auch einmal ein
Denkmal der Freude. Ich freue mich darauf, dass wir
hier vorankommen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kulturhaushalt 2015 setzt in der Tat besondere Akzente. Das ist
dem besonnenen und konzentrierten Agieren der Haushälter und der Kulturpolitiker zu verdanken - vor allem
der Regierungskoalition, aber auch aller Fraktionen quer
durchs Parlament. Damit wird deutlich, dass diese Koalition die Verantwortung für das öffentliche Gut Kultur
sehr ernst nimmt.
Anders als Anja Hajduk möchte ich das Thema
Humboldtforum mit einer anderen Grundmelodie ansprechen. Der Baukörper entwickelt sich im Zeit- und Kostenplan, die musealen Konzepte reifen, und auch die Aktivitäten der Berliner Landes- und Zentralbibliothek zum
Konzept „Sprachen der Welten“ nehmen Konturen an.
Trotzdem bleiben Fragen, zum Beispiel: Ist die Finanzierung durch Sponsoren in wesentlichen Teilen gesichert? Dieser Frage müssen wir uns gemeinsam stellen.
Es bleibt auch die Frage an das Land Berlin nach seiner
weiteren Beteiligung. Ich werbe eindrücklich dafür, dass
Berlin bei der Stange bleibt und sich diesem Projekt und
diesem Konzept nicht entzieht.
({0})
Der offene Punkt, der allerdings einer dringenden
Klärung bedarf - auch da setzt der Haushalt einen Akzent -, ist die Frage, was in der Agora, dem öffentlichen
Veranstaltungsraum, inhaltlich passieren soll. Im Haushalt wird festgestellt: Wir brauchen eine Intendanz. Es
wird eine besondere Herausforderung sein, dieses Vorhaben wirklich mit Leben zu erfüllen. Im Humboldtforum
sind starke Akteure unterwegs, und es bedarf auch einer
starken Persönlichkeit, das ganze Projekt moderierend
und koordinierend erfahrbar zu machen.
Wir werden das intensiv begleiten; aber dieser Aufgabe müssen wir uns gemeinsam stellen, damit der teuerste Kulturbau der Gegenwart an zentraler Stelle in Berlin wirklich ein rundum gelungenes Bauwerk mit
vernünftigen Inhalten wird.
({1})
Der zweite Punkt, den ich ganz kurz ansprechen
möchte, ist der geplante Bau des Museums der Moderne.
Mir ist wichtig, dass der Bau nicht nur als eine wertschätzende Geste gegenüber den Sammlerinnen und
Sammlern, die ihre Werke für eine Ausstellung an diesem Ort bereitstellen, verstanden wird, sondern dass damit auch andere, die im Privatbesitz präsentabler Werke
sind, ermuntert werden, diese der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Insofern ist das Museum der Moderne
auch in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier in
Berlin am 9. November dieses Jahres etwas ganz Besonderes erlebt - jedenfalls habe ich es für mich so wahrgenommen -: ein Wochenende der Vergewisserung der
jüngsten Zeitgeschichte. Wer entlang der simulierten
Mauer aus Lichtern wanderte, traf Familien, die sich untereinander austauschten und Erlebtes berichteten und so
die Geschichte ihren Angehörigen der nächsten Generation, die diese zum Teil gar nicht mehr mitbekommen
haben, erfahrbar machten. Insofern ist das ein konkretes
Beispiel aus der jüngsten Zeitgeschichte, das deutlich
macht, wie wichtig und notwendig die permanente Reflexion im Kontext von Gedenken und Erinnern ist.
Dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. Morgen werden die Mitglieder der Expertenkommission, die sich mit
der Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigen,
ihre Arbeit aufnehmen und sich mit wesentlichen Fragen
auseinandersetzen. Uns werden sicherlich bald Ergebnisse vorliegen, die uns veranlassen, über die Zukunft
der BStU und in der Folge auch über das Gedenkstättenkonzept nachzudenken.
Wir müssen uns allerdings auch mit dem Zustand der
NS-Gedenkstätten auseinandersetzen. Da trifft das zu,
was Johannes Kahrs vorhin in seiner Rede beschrieben
hat, dass im Grunde genommen die Personalkosten, die
Strukturkosten und die Programmkosten es im Prinzip
nicht mehr hergäben, diese Einrichtungen auf den Stand
der Zeit zu bringen und sie weiterzuentwickeln.
In diesen Feldern liegen viele wichtige Zukunftsaufgaben, mit denen wir uns als Kultur- und Haushaltspolitiker im Parlament auseinandersetzen müssen und auseinandersetzen werden. Insofern werden wir im Jahr
2015 weitere zusätzliche Akzente setzen.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Siegmund Ehrmann. - Schönen Tag,
liebe Kollegen und Kolleginnen, von meiner Seite! Guten Tag, liebe Gäste auf der Tribüne!
Es spricht in dieser Debatte noch eine Rednerin. Ich
möchte die Kollegen und Kolleginnen bitten, dieser letzten Rednerin in dieser Debatte ihre Aufmerksamkeit zu
schenken und Gespräche nach draußen zu verlagern. Das
gilt - das haben wir letztes Mal geübt - für alle Seiten
des Hauses.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Petra Hinz für die SPD.
({1})
- Das gilt auch für Herrn Kauder und für Herrn Gabriel.
Hören Sie ruhig zu! Das ist sicherlich spannend. Ich
meine das wirklich ernst. Ich finde, es ist sehr schwierig,
in so einer wichtigen Debatte als Letzte zu reden, während die Mitglieder des Hauses zeigen, dass sie sich gar
nicht dafür interessieren. Also, noch einmal: Gespräche
bitte draußen führen.
({2})
Jetzt ist Frau Hinz dran.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Generaldebatte: Wir beraten über den Haushalt
der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Nachdem wir in dieser Debatte sehr viele Aspekte angesprochen haben, habe ich die große Freude und Ehre,
jetzt die einzelnen Themen zu bündeln und die Aspekte,
die noch nicht herausgearbeitet worden sind oder nach
meiner Rede in der gestrigen Debatte - Thema Gesundheit - vielleicht offengeblieben sind, noch einmal darzulegen. Den Kolleginnen und Kollegen, die mir jetzt zuhören möchten, wird das einen Mehrwert bringen: Sie
werden sehr viel über unseren Haushalt 2015 erfahren.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte direkt
auf den gestrigen Beratungspunkt Gesundheit eingehen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Opposition im
Rahmen der Haushaltsberatungen - und nicht nur hier völlig andere Sichtweisen darlegt. Aber ich glaube, in einem sollten wir uns einig sein: Gewisse Faktenlagen
müssen zur Kenntnis genommen werden.
Ich möchte noch einmal den Gesundheitsfonds ansprechen. Es ist - ich glaube, sowohl von der Fraktion
Die Linke als auch von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen - noch einmal gesagt worden, dass selbst laut
Bundesrechnungshof die Herausnahme aus dem Gesundheitsfonds dazu führen wird, dass die Beitragssätze
steigen werden. Das ist nicht korrekt zitiert. Denn der
Sachverständige Dr. Lukas Elles vom Bundesrechnungshof hat wörtlich gesagt - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis
aus dem Protokoll der Anhörung -:
Dass der Bund zulasten der Versicherten konsolidiere, ist nicht unsere Auffassung. Auch unser Bericht lässt nicht einmal ansatzweise eine solche
Aussage durchscheinen; denn das entspricht nicht
unserer Analyse des Gesetzesvorhabens.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob Sie es zur
Kenntnis nehmen oder nicht: Fakten kann man nicht
wegreden.
Wir haben über das Thema Ebolabekämpfung diskutiert. In den Medien rückt das Thema Ebola derzeit wieder
in den Hintergrund, aber nicht in unserer parlamentarischen Arbeit. Ganz im Gegenteil: Über alle Fraktionsgrenzen hinweg ist unser Engagement im internationalen
Bereich und über den Tag hinaus sehr deutlich geworden. Denn die Ernten im nächsten Jahr werden katastrophal ausfallen. Wir werden uns mit der gesamten Situation noch weiter befassen müssen.
Petra Hinz ({2})
Ein sehr wichtiges gesellschaftliches Thema ist die
Flüchtlingspolitik. Auch hier haben wir als Bundesgesetzgeber die richtigen Antworten auf den Weg gebracht.
Bis hin zu dem kleinen Etat des Gesundheitsministeriums im Bereich der Gesundheitsaufklärung für Flüchtlinge sind wir noch einmal auf das Thema eingegangen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedlichen Redner haben darauf aufmerksam gemacht, dass
wir auch Verantwortung im föderalen System haben.
Das betrifft auch die Bund-Länder-Beziehungen und die
Beziehungen zwischen Ländern und Kommunen. Wir
haben darauf eine klare Antwort. Während zeitgleich in
vielen Kommunen die Haushalte verabschiedet werden,
teilweise sogar in einem Doppelhaushalt für 2015 und
2016 wie in meiner Heimatstadt Essen, sichern wir mit
dem Koalitionsvertrag und dem Haushalt 2015 fortfolgende unseren Kommunen eine ganze Menge an Erleichterungen zu.
({3})
Das betrifft zum Beispiel die Mittel für die Städtebauförderung, die um 700 Millionen Euro jährlich aufgestockt
wurden. Addiert man die öffentlichen Investitionen im
Bereich Bund, Länder und Kommunen, kommt man auf
2 Milliarden Euro jährlich. Auch dies sollte man an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen.
Über die Sozialausgaben haben bereits meine Kollegin Ulrike Gottschalck und andere Redner gesprochen.
Richtig ist: Die Schere geht in einigen Bereichen sehr
stark auseinander. Aus diesem Grunde wird sich wohl
kein Bundesland, hoffe ich, aus der Solidargemeinschaft
verabschieden.
({4})
Denn wenn wir uns aus der Solidargemeinschaft, die
über viele Jahrzehnte gut Bestand hatte, aus persönlichen bzw. landespolitischen Egoismen verabschieden
wollen, sprengen wir damit die Investitionskraft und die
Stärke unseres Landes insgesamt.
({5})
Aus diesem Grunde setze ich sehr große Hoffnung auf
die Diskussion und die Ergebnisse der Bund-LänderKommission, die parallel zu unseren Beratungen tagt.
An den Aufwendungen im Bereich der Sozialausgaben beteiligen wir uns auch über die Grundsicherung im
Alter und die Eingliederungshilfe. Wir reden dabei nicht
über kleinere Beträge: Es geht um Milliardenbeträge, die
wir in dieser Koalition mit dem Haushalt 2015 fortfolgende bis 2017 auf den Weg bringen werden.
Nichtsdestotrotz müssen wir sehr genau hinsehen
- ich mahne das noch einmal an -, wohin das Geld
fließt, ob in den neuen Ländern oder in den alten, ob Ost,
ob West. Deswegen ist die laufende Diskussion richtig.
Nicht nach Himmelsrichtungen sollten unsere Mittel und
Ressourcen vergeben werden, sondern nach Programmen, Inhalten und Notwendigkeiten. So verstehe ich unseren Solidaritätsbeitrag.
({6})
Wir, die Haushälter, haben in den zurückliegenden
Wochen, wie ich finde, intensiv beraten, haben unsere
Fachkolleginnen und Fachkollegen an unserer Seite gewusst und haben die Vorgaben aus der guten Arbeit im
Koalitionsvertrag umgesetzt. Ich möchte mich ganz
herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen der Fachbereiche bedanken, bei den Ministerien, die zugearbeitet
haben, und bei den Kolleginnen und Kollegen Haushältern; denn die Arbeit, die wir geleistet haben, um einen
ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, ist kein Selbstzweck, sondern dient den nachfolgenden Generationen.
Diese Arbeit lohnt sich.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hinz. - Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - in
der Ausschussfassung. Zuallererst stimmen wir über den
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/3281 ab. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Ablehnung von
CDU/CSU- und SPD-Fraktion sowie Zustimmung von
der Linken und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne damit die Abstimmung über den Einzel-
plan 04.
Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen im Haus, die
nicht abgestimmt haben? - Das sieht nicht so aus. Kein
Protest. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis
später, im Laufe der nächsten Debatte, bekannt gege-
ben.1)
Ich bitte diejenigen, die abgestimmt haben und nicht
an der jetzigen Debatte teilnehmen möchten, den Saal zu
verlassen, und diejenigen, die an der Debatte teilnehmen
wollen, Platz zu nehmen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
Drucksachen 18/2805, 18/2823
Berichterstatter sind die Abgeordneten Doris Barnett,
Alois Karl, Michael Leutert und Dr. Tobias Lindner.
Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor.
1) Ergebnis Seite 6539 C
Vizepräsidentin Claudia Roth
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Michael Leutert für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Sie haben in letzter Zeit die Situation oft
mit den Worten beschrieben: Die Welt scheint aus den
Fugen geraten zu sein. - Das ist ein Zitat Ihrer Worte.
Das stimmt, aber dagegen muss man etwas tun. Ihr
Haushalt wird dieser Situation allerdings nicht gerecht,
ganz im Gegenteil.
({0})
Noch immer bewegt sich der Etat des Auswärtigen
Amtes wie jedes Jahr bei knapp über 1 Prozent des Gesamthaushaltes, als wenn die Welt immer noch in Ordnung wäre. Wie kann das sein, wenn Deutschland mehr
Verantwortung in der Welt übernehmen möchte?
Schauen wir uns die Fakten an. Das sind die Fakten,
die die Menschen in unserem Land verunsichern. Wir
haben Krieg in der Ukraine, im Irak, in Syrien, eigentlich im ganzen Nahen Osten, in Afrika herrscht Krieg im
Südsudan, in Nigeria und Mali. Die Bundeswehr ist derzeit an 13 Einsätzen beteiligt, weltweit gibt es 15 Friedensmissionen. Die meisten bei uns denken immer: Das
alles ist sehr weit weg, das geht uns nichts an. - Dem ist
aber nicht so.
Der Konflikt, der mit zehn Flugstunden am weitesten
entfernt ist, ist der Afghanistan-Konflikt. Bis auf eine
einzige UN-Mission, die in Haiti, gruppieren sich alle
Konfliktherde um uns herum. Man findet sie, wie gesagt,
in Afrika und im Nahen Osten, und immerhin fünf internationale UN-Einsätze gibt es mitten in Europa. An
dreien davon ist Deutschland beteiligt.
Es ist also kein Wunder, dass die Menschen in unserem Land verunsichert sind. Es sind eben keine Krisen
irgendwo weit draußen, es sind Konflikte vor unserer
Haustür, manchmal auch schon auf unseren Straßen, und
trotzdem gibt es nicht mehr Geld, um diesen internationalen Krisen entgegenzutreten. Das halten wir für falsch.
({1})
Die Kanzlerin, Sie, Herr Außenminister, die Verteidigungsministerin und natürlich, nicht zu vergessen, der
Bundespräsident werden nicht müde, immer wieder zu
betonen, dass Deutschland auf internationaler Ebene
mehr Verantwortung übernehmen will bzw. muss oder
soll. Das bestreiten nicht einmal wir Linken. Umstritten
sind aber die Methoden.
In zwei Monaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, am
27. Januar 2015, jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum
70. Mal. Nächstes Jahr begehen wir zudem den 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel
und Deutschland. Diese Ereignisse sind für uns Verpflichtung, Verpflichtung, dass ziviler Außenpolitik stets die
höchste Priorität eingeräumt wird. Ich hätte mir gewünscht, dass sich dieser Gedanke im Haushalt deutlicher
niederschlägt, nicht nur indem wir Feierlichkeiten begehen und mahnende Worte verlieren, sondern auch indem
wir mehr Geld, insbesondere nächstes Jahr, in die Hand
nehmen, um den vielen Flüchtlingen vor Ort zu helfen.
({2})
Knapp 400 Millionen Euro gibt das Auswärtige Amt
dieses Jahr für humanitäre Hilfe aus. Der Vorschlag - so
war zumindest der erste Entwurf -, diese Gelder nächstes Jahr auf 187 Millionen Euro zu kürzen, war selbst der
Koalition zu absurd.
({3})
Dies hat Ihr Haus, auch Sie selbst, Herr Minister, nicht
gewollt; das weiß ich. Das war ein Ergebnis des Knebelungsversuchs durch Minister Schäuble,
({4})
um seinen Plan von der schwarzen Null durchzusetzen.
Das Auswärtige Amt hat dann auch einen alarmierenden Brief an uns Haushälter geschrieben, dessen Dramatik keine Zweifel zulässt. Ich möchte hieraus zitieren:
Wir sind Zeugen der schlimmsten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. … momentan kann auch Menschen in existenzieller Not nicht
ausreichend geholfen werden! … Deutschland fällt
hinter andere Geberländer zurück … Bereits 2014
befinden wir uns in einem Feld mit Geberländern,
die durch erheblich kleinere Bevölkerungen und
Volkswirtschaften gekennzeichnet sind ({5}).
Die Linke, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat einen
Vorschlag unterbreitet, wie wir diesen Problemen entgegentreten können. Wir brauchen einen Krisenreaktionsfonds.
({6})
Heutzutage ist die Situation so: Krisen haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie unangekündigt kommen. Dann müssen die betroffenen Ministerien - zum
Beispiel im Falle von Ebola das Auswärtige Amt, das
BMZ, das Gesundheitsministerium, das Verteidigungsministerium und das Innenministerium - alle Gelder mobilisieren, was natürlich zulasten von schon geplanten
Projekten geht. Ausreichend sind sie zum Schluss meistens nicht. Um diesem Zustand vorzubeugen, ist unser
Vorschlag, im Einzelplan 60 unter der Bewirtschaftung
des Auswärtigen Amtes einen Krisenreaktionsfonds mit
anfänglich zusätzlichen 250 Millionen Euro einzurichten.
({7})
Brauchen wir das Geld im Krisenfall, ist Vorsorge getroffen. Wenn es nicht benötigt wird, kann sich Finanzminister Schäuble freuen und es am Jahresende wieder
einsammeln. Besser wäre es natürlich, wenn wir das
Geld dann für die Entwicklungszusammenarbeit verwenden würden.
({8})
Auf alle Fälle, liebe Kolleginnen und Kollegen,
könnte man so auch Verantwortung auf internationaler
Ebene übernehmen. Die Bundesrepublik wäre damit
Vorbild für andere Nationen. Sie wissen: Am Freitag haben Sie alle noch einmal die Chance, unter anderem diesem sinnvollen Antrag der Linken zuzustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Leutert. - Bevor ich die
nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 bekannt: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt 485, mit Nein haben gestimmt
118 Kolleginnen und Kollegen. Der Einzelplan 04 ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 603;
davon
ja: 485
nein: 118
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({8})
Lothar Riebsamen
Vizepräsidentin Claudia Roth
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({14})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({15})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Nina Warken
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({16})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({17})
Sabine Weiss ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({19})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({20})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({21})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({23})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({24})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({25})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post ({26})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({27})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({28})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({29})
Matthias Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({33})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Vizepräsidentin Claudia Roth
Ute Vogt
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff
({34})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({35})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({36})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({37})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({38})
Volker Beck ({39})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({40})
Christian Kühn ({41})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({42})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms
Nächste Rednerin in der Debatte: Doris Barnett für
die SPD.
({43})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit Jahren wächst unserem Land eine Verantwortung
zu, die wir annehmen und ausfüllen müssen. In Europa
sind wir ein Stabilitätsfaktor, nicht zuletzt wegen unserer
Wirtschaftskraft und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das strahlt auch auf unsere internationale Wertschätzung aus, die uns sicherlich wegen des umsichtigen
und verantwortungsvollen Handelns unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier und auch der Kanzlerin entgegengebracht wird.
Angesichts der bestehenden Krisen und der ständig
neuen Herausforderungen, die durch nichtstaatliche Parteien der Weltgemeinschaft aufgedrückt werden, kann
unser Land nicht abseitsstehen. Auch sind die Zeiten
vorbei, in denen wir uns selbst eingeredet haben, wir
seien ja ganz klein, hätten nichts zu sagen und könnten
uns heraushalten. Das nimmt uns keiner mehr ab und
würde auch nur Misstrauen auslösen. Also hat unsere
Außenpolitik entsprechend aufgestellt zu sein. Dass dies
möglich ist, dafür danke ich Minister Steinmeier und seinen Mitarbeitern, von den Staatssekretären bis zu den
Damen und Herren im Haushaltsreferat.
Der gleiche Dank geht an dieser Stelle an das Finanzministerium, das hier nicht nach der Manier der schwäbischen Hausfrau gesagt hat: „Mir gäbet nix“, sondern
im Bewusstsein der Aufgabenfülle von Minister
Steinmeier bei der Finanzierung des Einzelplanes wirklich gut mitgeholfen hat. Auch dem Bundesrechnungshof darf ich für seine doch hilfreichen Hinweise danken.
Außerdem darf ich unseren eigenen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ein ganz dickes Dankeschön für die
hervorragende Unterstützung sagen.
({0})
Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei meinen Kollegen Mitberichterstattern bedanken für die gute kollegiale
Zusammenarbeit. Der persönliche Umgang mit Alois
Karl, Michael Leutert und Tobias Lindner ist angenehm
und produktiv. Ich sage das, auch wenn ich mit Blick auf
die vorhergehende Rede eher den Vorschlägen von Alois
Karl folge. Wir haben es geschafft, dass der Haushalt des
Außenministeriums in 2015 um 9 Prozent oder 305,7 Millionen Euro auf jetzt über 3,7 Milliarden Euro angeho6542
ben werden konnte, um die größten Herausforderungen
zu meistern, und das sind nicht wenige.
Die Flüchtlingskatastrophen in Syrien und Nordirak,
aber auch die humanitären Katastrophen in Westafrika,
die durch sogenannte Gotteskrieger bzw. Mörderbanden
und auch durch das Ebolavirus ausgelöst wurden, müssen aufgehalten werden. Was das Ebolavirus angeht, stehen wir mit unseren Hilfsorganisationen in engstem
Kontakt und sorgen mit der Ausstattung eines Spezialflugzeugs dafür, dass infizierte Helfer sicher nach
Deutschland ausgeflogen werden können. Die dafür benötigten 6 Millionen Euro können wir jetzt zur Verfügung stellen. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie archaische Mörderbanden angeblich im Namen einer
Religion ganze Landstriche entvölkern und für sich einnehmen.
Natürlich ist da die Weltgemeinschaft gefordert; aber
auch wir engagieren uns. Wir stocken die humanitäre
Hilfe kräftig auf: von den zunächst vorgesehenen
187 Millionen Euro auf jetzt 400 Millionen Euro. Das
haben mein Kollege Alois Karl und ich schon Anfang
August gefordert, und wir freuen uns, dass dieser Vorstoß jetzt auch umgesetzt wird.
({1})
Ob die Mittel allerdings im kommenden Jahr reichen
werden, das kann heute noch niemand sagen.
Mit dem Geld werden wir zunächst den hunderttausendfach gestrandeten Menschen helfen, ein Dach über
den Kopf, Kleidung und Essen zu bekommen, den Winter zu überleben und ärztliche Versorgung zu erhalten.
Eine Dauerlösung können diese Flüchtlingscamps aber
nicht sein. Eine wahre Völkerwanderung kann niemand
wollen. Im Gegenteil: Wir müssen Anstrengungen unternehmen, die Menschen möglichst bald in ihre befriedete,
allerdings zerstörte Heimat zurückzuführen und ihnen
dort zu helfen, eine friedliche Zukunft für sich und ihre
Kinder wieder aufzubauen.
An dieser Stelle kann ich den aufnehmenden Ländern
Jordanien, dem Libanon und der Türkei nur ausdrücklich
danken für ihren Einsatz. Natürlich nehmen auch wir
Flüchtlinge auf. Aber hätten wir bei uns im Verhältnis zu
unserer Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge aufzunehmen, wie es der Libanon getan hat, dann würden wir hier
nicht über ein paar Tausend, sondern über 20 Millionen
Flüchtlinge reden, die wir hier hätten. Das kann sich keiner vorstellen, geschweige denn das handeln. Deswegen
brauchen wir die Mittel für die humanitäre Hilfe, und
deswegen müssen wir auch Ländern wie dem Libanon
dringend helfen.
({2})
Deshalb haben wir auch unsere Beiträge für die Vereinten Nationen um über 16,6 Millionen Euro freiwillig
aufgestockt, und deshalb unterstützen wir auch die Hilfsorganisationen, die sich um die Krisenprävention kümmern, wieder mit 95 Millionen Euro, also mit 2 Millionen Euro mehr als ursprünglich vorgesehen.
Aber nicht nur in der Ferne, auch vor der Haustür haben wir Krisen zu bewältigen. Leider wirkt das Abkommen von Minsk nicht so, wie es sich die Beteiligten in
die Hand versprochen haben. Deshalb gibt es in der
Ukraine immer noch Inlandsflüchtlinge und wird im Osten immer noch geschossen.
Das neugewählte Parlament steht vor enormen Herausforderungen und Reformen. Hier wollen wir die
Ukraine ebenso wenig alleinlassen wie die anderen kleineren Länder der Östlichen Partnerschaft; daher stellen
wir für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft
Mittel in Höhe von 14 Millionen Euro zur Verfügung.
Dabei liegt uns insbesondere die Ausbildung junger
Menschen am Herzen.
In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass gerade mit Russland der Gesprächsfaden nicht abreißen darf und dass wir trotzdem für den
Petersburger Dialog im nächsten Jahr - auch wenn die
Treffen in diesem Jahr abgesagt wurden - 100 000 Euro
bereitstellen. Russland ist und bleibt nun einmal unser
großer Nachbar im Osten, und deshalb brauchen wir solche Dialogformate gerade jetzt.
({3})
Wir müssen uns auch im Bereich Bildung anstrengen.
Diese Anstrengungen bedeuten für mich, zu investieren
in den wichtigsten Rohstoff, den wir überhaupt haben:
Das sind die Köpfe unserer Menschen. Die Mittel, die
hier klug eingesetzt werden, sind Grundlage für späteren
Wohlstand von Nationen.
Deshalb bin ich auch sehr zufrieden, dass es gelungen
ist, unsere beiden Flaggschiffe in Sachen Bildung wieder
auskömmlich auszustatten: das Goethe-Institut und den
DAAD. Mit dem Goethe-Institut gelingt es, internationale Fachkräfte für unser Land zu gewinnen, sie durch
Deutschkurse sowie Informationen über unser Land, Leben und Leute gut vorzubereiten. Was innerhalb von wenigen Monaten da zu schaffen ist, davon konnten sich
Alois Karl und ich vor kurzem in Rom überzeugen. Wir
beide gehen davon aus, dass wir im kommenden Jahr in
Namibia aus dem mehr als gut angenommenen und aus
allen Nähten platzenden Goethe-Zentrum ein Goethe-Institut in Windhuk machen können, das dann der Bundespräsident bei seinem Besuch im nächsten Jahr vielleicht
einweihen kann; das wäre toll.
({4})
Für das Goethe-Institut stehen im kommenden Jahr über
16,6 Millionen Euro zur Verfügung - neben den notwendigen Mitteln für die Tarifanpassung für die Beschäftigten.
Goethe-Institut und DAAD arbeiten oft Hand in
Hand. Nach der guten Vorbereitung auf Deutschland verhilft der DAAD mit seinen Hochschulstipendien Neuankömmlingen zum letzten Schliff, fördert aber genauso
unsere eigenen Studierenden mit internationalen Angeboten. Auslandserfahrungen dürfen nicht vom Geldbeutel des Einzelnen abhängen, weshalb der DAAD im
kommenden Jahr auch zusätzlich 7 Millionen Euro erDoris Barnett
hält. Der Kampf um die besten Köpfe hat weltweit längst
begonnen, und die gute Ausstattung von DAAD und
Goethe-Institut ist kein Luxus, sondern eine simple Notwendigkeit, wollen wir nicht ins Hintertreffen geraten.
Im kommenden Jahr wird es 50 Jahre her sein, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, dass Israel mit
Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen
hat. Am 12. Mai 1965 vereinbarten Bundeskanzler
Ludwig Erhard und Israels Ministerpräsident Levi
Eschkol den Austausch von Botschaftern. Dieses Jubiläum im nächsten Jahr wollen wir gebührend begehen
und werden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft für
diesen Anlass, um die entsprechenden Feierlichkeiten
vorbereiten und durchführen zu können, einmalig 2 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist für unsere beiden Länder ein wichtiges Ereignis, und wir vertrauen auf
die gute Zusammenarbeit mit der Deutsch-Israelischen
Gesellschaft.
({5})
Damit habe ich die für mich wichtigsten Highlights
des Haushalts des Auswärtigen Amtes für das kommende Jahr vorgestellt, auch wenn noch nicht alles erledigt ist und wir noch etliche Wünsche hätten, die wir im
nächsten Haushalt aber nicht erfüllen können. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.
Es warten viele Baumaßnahmen auf uns; sie stehen in
den kommenden Jahren an. Das Deutsche Archäologische Institut in Rom ist seit Jahren aus seinem Gebäude
ausgelagert. Das kostet Miete, und Bauarbeiten werden
durch Liegenlassen nicht billiger. Hier hoffe ich auf umgehende Einigung der verschiedenen beteiligten Ämter,
und ich glaube nicht, dass für sämtliche denkbaren Katastrophen wie Tsunami, Meteoriteneinschlag usw., für alles Mögliche, Vorsorge getroffen werden muss, was
nämlich dann auch die Abstimmung innerhalb der Behörden massiv behindert - mit der Folge: Man kommt
seit zehn Jahren zu keinem Ende.
Auch etliche Liegenschaften des Auswärtigen Amtes
bedürfen der Verbesserung, ob das die Botschaft in
Kairo oder Wien oder anderswo ist. Für die ordentliche
Bezahlung der Ortskräfte muss auch eine Lösung gefunden werden. Also: Es wird noch weiter sehr viel zu tun
geben. Aber für das, was wir bisher erreichen konnten,
hoffe ich auf die Unterstützung des ganzen Hauses.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Doris Barnett. - Nächster Redner in der
Debatte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Durch die Debatten um deutsche Außenpolitik haben
sich im letzten Jahr ganz zentral zwei Begriffe gezogen:
der Begriff „Krisen“ und der Begriff „Verantwortung
deutscher Außenpolitik“. Man muss sich die Frage stellen: Passt dieser Etatentwurf zu diesen beiden Überschriften, zu dem, was in den letzten zwölf Monaten geschah und nun hinter uns liegt, und vor allem zu dem,
was vor uns liegt?
Es ist schon erwähnt worden: Ja, in der Bereinigungssitzung hat sich dieser Haushaltsplan zu seinem Besseren verändert. Ich will bewusst sagen: Aus Sicht der Opposition kann man es noch deutlich besser machen. Aber
man muss sich fragen: Von wo kommen wir denn? Der
Etatentwurf sah eine Kürzung des Ansatzes um 218 Millionen Euro vor. Mit dem, was jetzt obendrauf kommt
- Doris Barnett sprach von 305 Millionen Euro, ich kam
auf 250 Millionen Euro; den Streit darüber können wir
woanders austragen -, bleibt es im gesamten Einzelplan
des Auswärtigen Amtes bei einem Plus von 1 bis 2 Prozent. Wenn man dann noch die überplanmäßigen Ausgaben hinzuaddiert, die im letzten Jahr notwendig waren,
um bei der humanitären Hilfe aufzustocken, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ergibt sich, dass wir im kommenden Jahr sogar weniger Geld ausgeben als in diesem
Jahr. Ich finde, es passt nicht zusammen, über mehr Verantwortung deutscher Außenpolitik zu reden und am
Ende einen kleineren Etat für das Auswärtige Amt zu beschließen.
({0})
Ich komme zum zentralen Punkt: der humanitären
Hilfe. Da stehen jetzt 400 Millionen Euro bereit. Bereits
in diesem Jahr geben wir dafür 403 Millionen Euro aus.
Wir vollziehen also nur nach, was bereits Realität ist.
Der Kollege Leutert hat bereits Dokumente des Auswärtigen Amtes selbst angesprochen, in denen beschrieben
wird, dass Deutschland in der Rangliste der Gebernationen im Bereich der humanitären Hilfe vom Rang Nummer sieben im Jahr 2012 auf den neunten Rang im Jahr
2014 zurückgefallen ist. Würde man die Finanzierung
aus dem Jahr 2012 in Höhe von 4,3 Prozent nur fortschreiben, dann würden wir nicht nur 400 Millionen
Euro in humanitäre Hilfe investieren müssen - nein,
dann müssten wir 650 Millionen Euro bereitstellen, um
unserer Verantwortung gerecht zu werden. Deshalb,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wird meine Fraktion
beantragen, die Mittel für humanitäre Hilfe in diesem
Einzelplan weiter zu erhöhen, auf die genannten
650 Millionen Euro, und zusätzlich für den Kampf gegen Ebola - eine der Krisen, über die wir viel zu wenig
reden - weitere 30 Millionen Euro allein im Etat des
Auswärtigen Amtes bereitzustellen. Ich denke, das ist
bitter notwendig.
({1})
Herr Minister Steinmeier, Sie können nicht, wie Sie
es in einem, wie ich finde, bemerkenswerten Namensartikel in der Huffington Post getan haben, über eine Welt,
die aus den Fugen geraten ist, sprechen, ohne sich mehr
um Krisenprävention und Krisenfrüherkennung zu kümmern. Ja, es ist richtig: Die Kürzung um 2 Millionen
Euro wurde zurückgenommen. Es stehen jetzt 95 Millionen Euro bereit. Meine Fraktion findet aber, dass das,
was unter Schwarz-Gelb im Jahr 2013 angemessen war
- 133 Millionen Euro -, das Mindeste sein muss, was
Deutschland bereitstellt, um Krisen zu vermeiden und
frühzeitig auf Krisen zu reagieren. Deshalb haben wir
auch an diesem Punkt in den Haushaltsberatungen eine
Erhöhung der Mittel beantragt. Leider sind Sie uns an
dieser Stelle nicht gefolgt, meine Damen und Herren.
({2})
Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen. Es ist
richtig: Wir Grüne haben Anträge gestellt, deren Umsetzung diesen Etat um insgesamt 500 Millionen Euro aufwachsen lassen würden. Ich höre schon, dass uns die Koalition vorwerfen wird: Na ja, ist das seriös? - Da will
ich Ihnen zum einen entgegenhalten: Ich lade Sie gern
ein, bei der folgenden Debatte über den Verteidigungsetat anwesend zu sein und zu schauen, an welchen Stellen wir Einsparungen vornehmen würden, um Schwerpunkte setzen zu können. Zum anderen müssen Sie sich
fragen, ob es, wenn wir über Verlässlichkeit deutscher
Außenpolitik reden, seriös ist, heute einen Haushalt zu
beschließen, bei dem wir wissen, dass bereits morgen
überplanmäßige Ausgaben nötig sein werden.
({3})
Seriosität und Verlässlichkeit in der Haushaltspolitik bedeuten auch, die Zahlen reinzuschreiben, die notwendig
sind.
Ich danke Ihnen.
({4})
Vielen Dank, sehr geschätzter Kollege Lindner; ich
gebe das jetzt zurück. - Nächster Redner: Alois Karl für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister, lieber Herr Steinmeier! Die sehr
geehrten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und insbesondere Frau Staatsministerin Professor Böhmer und Staatsminister Michael Roth seien nun schon angesprochen;
ihnen sei, damit ich das nicht vergesse, von vornherein
für die gute Zusammenarbeit gedankt, die wir in den
letzten Wochen und Monaten gepflegt haben.
Lieber Herr Dr. Lindner, das Rechnen ist nicht Ihre
ganz große Stärke.
({0})
Sie haben bestimmt viele Stärken, aber man hat an der
einen oder anderen Stelle auch Schwächen.
({1})
Sie basteln sich hier zusammen, dass der Haushalt abgenommen hat. Das ist schon ein Kunststück. Man kann
über alles diskutieren, bloß nicht über Adam Riese. Die
Zahlen stehen fest.
Wir haben vor wenigen Wochen einen Haushaltsentwurf vorgelegt bekommen, den wir beraten haben. Im
Haushaltsausschuss haben wir 200 Änderungsanträge
durchgehechelt. Wir haben zwar den Haushalt um
400 Millionen Euro gekürzt, aber den Etat des Bundesaußenministers dennoch deutlich erhöhen können. Das
war eine gute Sache, auch wenn das nicht bei allen große
Freude hervorgerufen hat. Ich werde darauf noch eingehen.
Tempus fugit, könnte man sagen. Die Zeit verfliegt,
geht rasant dahin. Ein Blick in den Kalender zeigt: Heute
in vier Wochen ist Heiliger Abend. Für Sie, Herr Außenminister, gibt es heute schon einen Teil der Bescherung;
({2})
denn die Wünsche, die Sie an den Haushaltsausschuss
gerichtet haben, konnten zum großen Teil, nicht alle, erfüllt werden. Wir haben die letzten zehn Wochen genutzt, um den Etat des Bundesaußenministers zu beraten.
Tempus fugit - das gilt auch für die zahlreichen
Rückschauen, die in diesem Jahr Gegenstand unserer
Betrachtungen und auch unserer Politik waren. Wir haben festgestellt: Wie schnell geht die Zeit vorbei! Manches wendet sich zum Besseren.
Wir haben auf die Zeit vor 100 Jahren zurückgeblickt.
Im Jahr 1914 begann in Europa der Erste Weltkrieg. Dieser Krieg hat viele Opfer gefordert; es gab 20 Millionen
Tote. Die Diplomatie - so hat man gesagt - habe damals
versagt, sowohl zu Beginn als auch zum Ende des Ersten
Weltkrieges. Der Vertrag von Versailles hat wahrlich keinen Frieden gestiftet, sondern er hat die Auseinandersetzung erst weiter aufleben lassen. Nach dem Motto
„Vae victis“ haben dereinst die Vandalen die Römer erniedrigt. Ähnliches hat man damals in der Diplomatie erlebt. Heute wollen wir das alles besser machen.
Wir haben auf die Zeit vor 75 Jahren zurückgeschaut,
auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der in einer
verheerenden Art und Weise, von Deutschland ausgehend, die Welt in Brand gesetzt hat.
Es gibt auch gute Zeiten, auf die wir zurückschauen
konnten: Ich denke an die Zeit vor 25 Jahren, den Fall
der Berliner Mauer 1989, der uns unglaubliche Freude
bereitet hat.
Ich denke daran, dass vor 25 Jahren in den Weingärten in der Nähe von Sopron in Ungarn der Eiserne Vorhang durch den Außenminister von Österreich, Alois
Mock, und den Außenminister von Ungarn, Gyula Horn,
zum ersten Mal durchschnitten worden ist. Tausende von
DDR-Flüchtlingen konnten den Weg in die Freiheit antreten.
Ich habe mich auch sehr gefreut, dass wir in diesen
Tagen an den sogenannten Baltischen Weg, an die Singende Revolution gedacht haben, als sich etwa 1,5 MilAlois Karl
lionen Menschen von Tallinn in Estland über Riga in
Lettland nach Vilnius in Litauen die Hände gereicht und
bekundet haben, dass sie nicht mehr zum sowjetischen
Reich gehören wollen, und das exakt 50 Jahre nachdem
1939 der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen worden ist und
man Osteuropa aufgeteilt und die Balten unter die Herrschaft der Russen bzw. Sowjets gestellt hat.
Wir haben 25 Jahre Fall der Berliner Mauer gefeiert,
und das war auch richtig so. Mehr als 1 Million Menschen haben am Brandenburger Tor gefeiert. Es haben
viele Feierlichkeiten stattgefunden. Ich weiß nicht, ob es
Ihnen ähnlich ergangen ist wie mir. In den vielen Ansprachen war Helmut Kohl nur eine Fußnote und mehr
nicht. Es war für mich und auch andere ein wenig beschämend, dass man sein Wirken nicht besser in den Reden würdigen konnte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe
auch daran gedacht, dass es einige Zeit her ist - 1973 -,
seit das Bundesverfassungsgericht eine wegweisende
Entscheidung getroffen hat. Die Bayerische Staatsregierung, angetrieben auch von dem damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, hat damals das Bundesverfassungsgericht angerufen, um klären zu lassen, dass
Deutschland ungeteilt ist, dass wir ein Volk sind und alle
Repräsentanten und Institutionen des Landes auf die
Einheit hinarbeiten müssen. Auch das war ein wichtiger
Punkt, der zu diesem Ereignis des 9. November geführt
hat.
Ich danke allen ganz herzlich, die in diesem Jahr gute
deutsche Außenpolitik mitbetrieben haben.
Herr Bundesaußenminister, Sie sagten, die Welt sei
aus den Fugen geraten. So hat es jedenfalls den Anschein angesichts der Flüchtlingsströme aus dem Mittelmeerraum, die nach Europa drängen, sowie der Krisenherde in der Ukraine, im Irak, in Syrien und anderen
Gegenden, die ich nicht alle aufzählen möchte, oder
auch auf der Krim. Auch wenn die Ereignisse auf der
Krim jetzt ein gutes halbes Jahr her sind, müssen wir
weiterhin sagen, dass es Unrecht war und bleibt und wir
die russische Politik des Sich-Einverleibens niemals gutheißen können. Was ist denn da schon ein halbes Jahr?
Welche Geschichtsvergessenheit haben manche in unserem Lande heute und publizieren das auch noch!
({3})
Ich danke Ihnen, Herr Steinmeier, dass Sie in den Krisengebieten, gerade in der Ukraine, fast dauerhaft unterwegs sind.
({4})
Mit diesen Reisen übertreffen Sie ja fast schon HansDietrich Genscher mit seiner „Pendeldiplomatie“. Wir
müssen einen langen Atem haben, darin gebe ich Ihnen
recht. Ich denke auch, dass die deutsche Politik gut beraten ist, gemeinschaftlich aufzutreten. Ich danke der
Bundeskanzlerin, dass sie eindeutig gesagt hat, dass zwischen dem Bundesaußenminister und ihr keine Differenzen bestehen, sondern dass wir eine Außenpolitik „aus
einem Guss“ betreiben.
({5})
Die humanitären Hilfsmaßnahmen sind angesprochen
worden. Dort haben wir gut miteinander gearbeitet - darin beziehe ich auch die Kollegen Leutert und
Dr. Lindner ein, liebe Kollegin Barnett -, sodass wir diesen Ansatz auf 400 Millionen Euro erhöhen konnten.
Das ist nicht unbedingt ein Ausdruck großer Freude. Humanitäre Hilfsmaßnahmen müssen nämlich nur deshalb
ergriffen und der Haushaltsansatz muss so hoch gesetzt
werden, weil auf der Welt viel Leid geschieht und wir
unsere Arbeit leisten müssen - beispielsweise bei der humanitären Ernährungshilfe und der Trinkwassernotversorgung. Wir helfen den Ärmsten der Armen, wenn es
darum geht, ihr blankes Überleben zu sichern - und dies
möglichst noch in Würde und Sicherheit.
Dafür haben wir die Ansätze hochgefahren. Der Bundesfinanzminister sagte sehr deutlich: Da wird es am
Geld nicht fehlen. - Ich danke dem Bundesfinanzminister Schäuble, aber auch Ihnen, lieber Herr Kampeter, sowie Ihrem Kollegen Herrn Gatzer, mit dem wir manches
gut durchsetzen konnten, zum Beispiel, die Hilfe für die
Deutschen im Ausland drastisch zu erhöhen.
Unsere Auswärtige Kulturpolitik ist bestens ausgestattet worden - auch ein Ausweis unserer Aktivitäten
im Ausland. Der Kollege Gauweiler wird darauf in seiner Rede, denke ich, noch profund eingehen. Goethe-Institut und Deutscher Akademischer Austauschdienst alle sind bessergestellt als eigentlich erwartet, und wir
freuen uns, dass wir uns auch auf diese Art und Weise in
der Welt gut darstellen können.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Punkt,
der mich sehr gefreut hat, ist, dass wir auch für den Erhalt der deutschen Sprache und der deutschen Kultur in
Rumänien einen kleinen Ansatz mit 750 000 Euro in den
Haushalt einbringen konnten. Seit mehr als 1 000 Jahren
wird dort deutsche kulturelle Arbeit betrieben. Über
Jahrhunderte wurden hervorragende deutsche Schulen
aufgebaut, die von Rumänen genauso besucht werden
wie von Deutschen und die eine hohe Anerkennung gefunden haben. Was die Siebenbürger Sachsen und die
Banater Schwaben vor Jahrhunderten grundgelegt haben, soll heute nicht geschliffen werden. Bis auf den
heutigen Tag - nicht einmal Ceausescu und andere kommunistische Führer haben gewagt, das einzuebnen - ist
deren Situation hervorragend. Auch der neue Staatspräsident Iohannis war Schüler einer dieser Schulen und ergriff später den Beruf des Physikers. Das ist ja heute ein
Ausweis für höchste Ämter in der Politik.
({7})
Er hat uns bei unserem Besuch gezeigt, wie toll sich die
Dinge auch in einem früher sozialistischen Land wie Rumänien entwickeln können. Ich danke dir, lieber Kollege
Christoph Bergner, dass du mir da auch ein bisschen den
Weg gewiesen hast. Ich wäre von mir aus nicht darauf
gekommen, dass wir diesen Ansatz wählen müssen, da6546
mit wir in diesem Land, das ja mittlerweile zur EU gehört, Fuß fassen und präsent sind.
Ich danke auch dir, liebe Kollegin Barnett, herzlich,
dass du nicht lange Widerstand geleistet hast, als es darum gegangen ist, die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien mit zu unterstützen. Diese Stiftung wird
in diesem Jahr mit 1,9 Millionen Euro gefördert. Ich war
am letzten Samstag in Nürnberg. Ein Ministerialdirektor
Ihres Hauses hat den Bund vertreten. Der Freistaat Bayern war mit zwei Ministern, die Stadt Nürnberg mit dem
Oberbürgermeister vertreten. Mir kam gerade der Gedanke: Die Präsenz der jeweiligen Träger der Stiftung
verhält sich geradezu reziprok zu ihrem finanziellen
Engagement.
({8})
Auf gut Deutsch heißt das: Je mehr einer zahlt, desto weniger dominant ist er vertreten.
Wir haben dort in der Tat eine ganz hervorragende
Einrichtung, die die Fortentwicklung des Völkerrechtes
und des Völkerstrafrechtes dokumentiert. Was 1945/46
in den Nürnberger Prozessen begonnen worden ist, ist
heute Grundsatz jeglicher völkerrechtlichen Rechtsprechung auf der gesamten Welt: Keine Einzelperson kann
sich mehr darauf berufen, dass sie eigentlich nach einem
formalen Gesetz gehandelt habe. Über dem formalen
Gesetz steht das Recht; nicht das Recht des Stärkeren,
sondern das Recht ist ausschlaggebend. Keiner, der in
der Politik, in einer Staatsführung oder als Leiter einer
militärischen Einheit tätig ist, kann sich damit herausreden, dass er aufgrund eines Befehls oder eines formellen
Gesetzes gehandelt habe.
Herr Kollege!
Ich danke für den Hinweis und komme zum Ende. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen ganz herzlich, dass wir in dieser kollegialen Art den
Haushalt aufstellen konnten, dass wir auch für das
nächste Jahr dem Außenminister das finanzielle Rüstzeug geben, eine gestaltende Außenpolitik aus Deutschland für Europa und in der Welt zu machen.
Ich danke sehr herzlich und bitte Sie um Zustimmung
zu unserem Haushalt.
({0})
Vielen Dank, Kollege Alois Karl. - Unser nächster
Redner in der Debatte ist Bundesaußenminister
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alois Karl hat es eben gesagt: Viel Gutes, viel Erfreuliches ist aus den internationalen Beziehungen, aus der internationalen Politik im Augenblick nicht zu berichten.
Deshalb kommt es umso mehr darauf an, dass man sich
der wenigen Sternstunden, die es in diesem Jahr gegeben
hat, noch einmal vergewissert. Ich finde, es war schon
eine Sternstunde, als hier in Berlin vor zweieinhalb Wochen Tausende von weißen Ballons in den Abendhimmel
stiegen und uns noch einmal daran erinnert haben, dass
dieser Tag vor 25 Jahren ein wirklicher Glücksmoment
in der deutschen Geschichte war und dass wir uns dessen
wirklich sicher und gewiss sein sollen.
({0})
Ich sage das nicht ohne Grund ganz am Anfang. Für
mich und meine Generation ist es ja so, dass einem an einem solchen Tag noch einmal klar wird: Wir, die wir
nach dem Krieg geboren sind und heute an unterschiedlichen Stellen Verantwortung tragen, sind diejenigen, die
von der Geschichte begünstigt sind. Wir durften sieben
Jahrzehnte in einem Europa ohne Krieg leben. Uns sollte
bewusst sein, dass das auf ganz vieles zurückzuführen
ist, vor allen Dingen auf mutige Bürgerinnen und Bürger
in vielen Staaten Osteuropas, besonders in der früheren
DDR, dass das aber auch auf viele Generationen Außenpolitik zurückgeht, die uns diesem Ziel, nämlich dem
Fall der Mauer, über die Jahre hinweg nähergebracht hat.
Was sagt uns das heute, meine Damen und Herren?
Aus meiner Sicht, dass wir, die wir heute miteinander
Verantwortung tragen, uns nicht nur der Erinnerung an
das Glück, das wir alle miteinander gehabt haben, versichern dürfen, sondern dass wir dieses Glück als historische Verantwortung, als historische Pflicht begreifen
müssen, nie wieder zuzulassen, dass dieses Europa an
anderer Stelle neu gespalten wird. Das ist unsere Verantwortung.
({1})
Dazu brauchen wir aktive Außenpolitik. Gleich zu
Beginn meiner Rede will ich diesem Hohen Haus meinen Dank dafür aussprechen, dass es die Bemühungen
unserer Außenpolitik ausdrücklich unterstützt, und zwar
nicht nur rhetorisch, dass diese Unterstützung ihren Niederschlag auch im Haushalt findet. Mein Dank gilt natürlich ganz besonders den Berichterstattern, die eben
geredet haben, Doris Barnett, Alois Karl, Michael
Leutert, Tobias Lindner, für konstruktive Diskussionen,
die wir lang und ausführlich miteinander geführt haben,
und für hilfreiche Ergebnisse. Ihnen danke ich stellvertretend für das ganze Parlament. Ich sage aufrichtig:
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung, meine Damen
und Herren.
({2})
Diesen Dank beziehe ich ganz besonders auf zwei Bereiche, die meistens im Schatten der öffentlichen Debatten stehen:
Das gilt erstens für die humanitäre Hilfe, die Sie alle
auf unterschiedliche Weise angesprochen haben. Wir
dürfen unseren Blick nicht abwenden vom Elend in dieser Welt. Wir sind uns gewiss: Wir werden es alleine
nicht abwenden, aber wir müssen unseren Teil beitragen,
unerträgliches Leid wenigstens zu mindern. Seien es die
Flüchtlinge aus Syrien, seien es die Opfer des IS-Terrors
im Nordirak, seien es die Menschen in der Ostukraine
oder seien es die Gesellschaften in Westafrika, die vom
Ebolavirus immer noch heimgesucht werden - ihnen allen kommt die humanitäre Hilfe zugute, für die Sie die
Mittel im Haushalt immerhin verdoppelt haben. Dafür
danke ich ganz herzlich.
({3})
Der zweite Bereich, den ich hervorheben möchte, der
ebenfalls regelmäßig unter den Tisch fällt, wenn wir im
Deutschen Bundestag über Außenpolitik reden, ist die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich will das
ausdrücklich sagen: Das ist nicht ein „nice to have“, das
ist nicht einfach eine nette Draufgabe, sondern das ist ein
Teil der Außenpolitik, für den es einen dringenden Bedarf gibt, der sogar von Jahr zu Jahr weiter wächst.
Schaut man nur auf die gefährlichsten Konflikte um uns
herum - ob Syrien, ob Irak, ob Naher Osten oder Nordafrika -, stellt man fest, dass es in jedem dieser Konflikte
eigentlich weniger um die klassischen politisch-territorialen Auseinandersetzungen geht. Alle diese Konflikte
sind mindestens überlagert von religiösen, ethnischen
oder kulturellen Konflikten, die wir - das ist mein Plädoyer - wenigstens verstehen sollten, bevor wir uns entscheiden, ob und auf welcher Seite des Konfliktes wir
uns engagieren.
({4})
- Danke. - Die Langzeitfolge der militärischen Intervention im Irak sollte uns - das wird deutlich, wenn wir uns
das noch einmal genau anschauen - eigentlich eine
Lehre sein. Wiederholungen dieser Art müssen für die
Zukunft jedenfalls vermieden werden.
({5})
Gerade weil sich die Welt nicht mehr allein um die
europäische Sonne dreht, sondern weil China, Indien,
Südamerika und Afrika mit großem Selbstbewusstsein
mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur und Philosophie in der Welt auftreten, müssen auch wir - auch das
ist Teil von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik unsere Werte und unsere Überzeugungen besser verständlich machen, als wir das in der Vergangenheit, vielleicht in großer Selbstsicherheit, getan haben.
Mit diesem Haushalt stärken wir nicht nur das Flaggschiff der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das
Goethe-Institut, das jetzt endlich einigermaßen ordentlich ausgestattet ist. Dadurch, dass wir dem Deutschen
Akademischen Austauschdienst neue Stipendienmöglichkeiten zur Verfügung stellen, können wir auch mehr
junge Leute aus aller Welt zu uns holen. An anderer
Stelle habe ich gesagt: Man darf den Erfolg nicht unter
den Tisch fallen lassen, dass wir innerhalb der letzten
sechs Jahre ungefähr 1 500 Partnerschulen überall auf
der Welt geschaffen haben, in denen junge Leute zum
ersten Mal mit deutscher Sprache, auch mit deutschen
Wertvorstellungen in Berührung kommen. Das alles ist
nur möglich aufgrund der Haushaltsausstattung, die Sie
uns gewähren. Deshalb auch dafür meinen ganz herzlichen Dank.
({6})
Ich fange mit den Punkten an, die positiv sind. Aber
ich kann natürlich nicht über Folgendes hinwegsehen:
Die Welt ist eine andere geworden. Sie ist schwieriger
denn je. „Eine Welt aus den Fugen“, habe ich an anderer
Stelle gesagt. Die Bilder aus den Konfliktgebieten, die
uns jeden Abend in unseren Wohnzimmern erreichen,
sind unerträglich. Auch wenn ich täglich damit zu tun
habe, verstehe ich natürlich den Ruf der Menschen, die
uns auf unterschiedliche Art und Weise kundtun: Jetzt
tut endlich etwas, damit diese Konflikte gelöst werden.
Viele haben den Eindruck, bei der Außenpolitik dauert alles viel zu lange. Das stimmt auch. Es dauert häufig
viel zu lange, bis sich Engagement und Aktivität wirklich positiv bemerkbar machen. Aber diejenigen, die hier
sind, wissen: Man muss manchmal mit dem Ansatz herangehen, dass bei sehr festgefahrenen Konflikten die
Aufgabe der Außenpolitik eben auch darin besteht,
Schlimmeres zu verhüten und einen noch schlimmeren
Zustand nicht eintreten zu lassen. Mit dem Vorwurf, dass
es zu lange dauert, kann ich also leben.
Mit dem anderen Vorwurf, dass Außenpolitik eigentlich ein vergebliches Unterfangen ist, kann ich schon
weniger leben. Man betrachte nur einmal ein Wochenende wie das, das wir gerade in Wien erlebt haben. Natürlich sage auch ich mir: Mein Ehrgeiz und meine Erwartungen an die Verhandlungen mit dem Iran, die zum
Ziel haben, den Atomkonflikt endlich zu Ende zu bringen, waren größer. Es hat aber nicht sollen sein. Es hat
nicht gereicht. Wir sind nach drei Tagen und zwei Nächten Verhandlungen nicht an den Punkt gekommen, wo
wir hätten sicher sein können, dass alle Nebenwege und
Umleitungen, vielleicht doch zur Atombombe zu kommen, ausgeschlossen sind. Dennoch würde ich nicht unterschreiben, dass Außenpolitik deshalb vergeblich ist.
Man muss vielmehr versuchen - das ist immerhin geschehen -, auch über drei Tage und zwei Nächte die unterschiedlichen Positionen ein ganz kleines Stück zueinanderzubringen.
Rückblickend auf die letzten zehn Jahre sage ich: Wir
haben im letzten Jahr mehr geschafft als in den neun Jahren zuvor. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Lösung nicht unmöglich, sondern immer noch möglich ist.
Deshalb habe ich der Verlängerung der Frist für die Verhandlungen um ein weiteres Vierteljahr und dann um
zwei weitere Monate für die technischen Details ausdrücklich zugestimmt. Ich bleibe zuversichtlich, dass das
am Ende kein ganz unlösbarer Konflikt ist.
({7})
Mit Blick auf einige Krisenbilder und langandauernde
Auseinandersetzungen - Syrien ist vielleicht eine davon,
ebenso die Ukraine - ziehen viele Leute gelegentlich den
gefährlichen Schluss: Wenn man sich die Bilder ansieht,
dann denkt man, dass das doch alles überflüssig ist. Die
Leute hören doch in Wahrheit nicht auf Sie. - Es stimmt:
Der Gipfel von Vilnius liegt nun schon ein Jahr zurück.
Seither ist der Ukraine-Konflikt durch viele Aggregatzustände gegangen: von den bürgerkriegsähnlichen
Verhältnissen in Kiew über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim bis hin zur gewaltsamen Auseinandersetzung und Gewaltexzessen in der Ostukraine.
Trotzdem, sage ich Ihnen, darf Außenpolitik sich nie
in den Zustand der Aussichtslosigkeit begeben. Das war
auch der Grund, weshalb ich jetzt noch einmal nach
Kiew und Moskau gefahren bin und eines der 100 Gespräche, von denen die Kanzlerin heute Morgen gesprochen hat, geführt habe. Ich glaube, wir haben gar keine
andere Möglichkeit, als mit den Konfliktparteien Einvernehmen darüber zu erzielen, dass das einzige Dokument,
das im direkten Gespräch miteinander wirklich erreicht
worden ist, nämlich die Minsker Vereinbarung, nicht der
Geschichte überantwortet wird, sondern dass wir noch
Anstrengungen unternehmen müssen, sie wirklich zur
Grundlage der Entschärfung des Konfliktes und hoffentlich anschließend zur Grundlage für politische Lösungen
zu machen.
({8})
Die schwierige Aufgabe, die Ukraine zu stabilisieren,
liegt vor uns - ökonomisch und politisch eine große
Aufgabe, die wir in Europa zu schultern haben. Das Verhältnis zu Russland wird sicherlich neu vermessen werden müssen. Wo wir in 10 oder 15 Jahren stehen, wie die
europäische Sicherheitsarchitektur dann aussieht, weiß
auch ich nicht. Ich bin mir nur gewiss: Es wird überhaupt nur dann eine Sicherheitsarchitektur geben, wenn
wir nicht sämtliche Gesprächsformate, die jetzt noch zur
Verfügung stehen - es sind wenige -, entwerten und in
den Mülleimer der Geschichte werfen.
Das gilt für vieles. Das gilt, wenn ich das sagen darf,
Marieluise Beck, auch für den Petersburger Dialog. Mir
ist völlig klar: In dem Maße, in dem der gesellschaftliche
Freiraum in Russland in den letzten Jahren kleiner geworden ist, ist der Dialog schwieriger geworden.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung
der angesprochenen Kollegin?
Bitte.
Frau Beck.
Lieber Herr Außenminister, lieber Frank-Walter
Steinmeier, ich möchte hier sehr deutlich machen, dass ich
mich für eine Reform des Petersburger Dialogs ausgesprochen habe, immer für eine Reform und nie für seine
Abschaffung; nur damit das hier in diesem Haus klar ist.
Herzlichen Dank für die Frage.
({0})
Sie kann auch eine Bemerkung machen; das sieht unsere Geschäftsordnung vor.
Herzlichen Dank. - Das gibt mir die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Antwort in meiner Rede noch
gekommen wäre. Ich hätte nämlich als nächsten Satz gesagt: Ich bin Gast beim Petersburger Dialog. Deshalb
steht es mir überhaupt nicht zu, irgendwelche Empfehlungen zu geben. Aber ich bin daran interessiert, dass
dieses Dialogformat aufrechterhalten wird. Natürlich ist
es überhaupt nicht verboten, über Veränderungen und
Modernisierungen nachzudenken. Was ich nur nicht
möchte, ist, dass aus dem Petersburger Dialog ein Berliner Monolog wird. Dann haben wir nämlich nichts gewonnen, meine Damen und Herren.
({0})
In diesem Sinne bitte ich, bei all dem, was da auf dem
Weg ist, auch die Interessen deutscher Außenpolitik mit
im Auge zu behalten.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. - Nächster
Redner in der Debatte: Jan van Aken für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
finde ja, dass die deutsche Außenpolitik gerade ein
ziemlich trauriges Bild abgibt. Es lässt auch tief blicken,
Herr Steinmeier, dass Ihr Koalitionskollege Herr Karl
Sie gerade loben wollte und das Einzige, was ihm einfiel, war: Sie reisen viel. - Reisen ist schön. Aber ich
finde, das reicht nicht. Was mir wirklich fehlt, ist eine
Veränderung der deutschen Außenpolitik. Wir brauchen
endlich eine echte Friedenspolitik,
({0})
vor allen Dingen eine Sicherheitspolitik, die Sicherheit
nicht immer nur militärisch denkt,
({1})
und eine Außenpolitik, die nicht immer nur mit der
Waffe in der Hand und dem Panzer im Kopf gedacht
wird. Ich möchte drei Beispiele für Fälle, in denen Sie
genau das tun, ansprechen.
Das erste Beispiel: Afghanistan. 13 Jahre NATOKrieg haben dem Land keinen Frieden, keinen sozialen
Fortschritt, keine stabile Demokratie, keine Rechtsstaatlichkeit gebracht. Sie alle hier im Raum wissen genauso
gut wie ich, dass Ihr Krieg in Afghanistan komplett gescheitert ist.
({2})
Deshalb haben Sie uns jahrelang den Abzug Ende
2014 versprochen. Aus meiner Sicht war schon das viel
zu spät, aber nicht einmal das halten Sie ein. Es sollen
noch 850 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan bleiben. Dann fügen Sie hinzu: Das ist ja nur für Ausbildungszwecke. - Wen wollen Sie damit eigentlich hinters
Licht führen, Herr Steinmeier? Die Öffentlichkeit, uns
hier im Parlament oder sich selbst? Denn Sie verschweigen dabei immer, dass die Bundeswehr ja nicht allein in
Afghanistan ist, sondern Seite an Seite mit 10 000 amerikanischen Soldaten kämpfen wird. Die haben einen
Kampfauftrag, und mit dem gehen sie dort in den
Kampf. Da immer nur von Ausbildung zu reden, ist doch
verlogen.
({3})
Vor allen Dingen: Reden Sie bitte nicht mehr vom zivilen Aufbau in Afghanistan; denn der findet mit der
Bundeswehr nicht statt. Wenn Sie weiterhin zivile Hilfe
und Militär miteinander verkoppeln, dann wird es keine
neutrale, humanitäre Wiederaufbauhilfe in Afghanistan
geben. Das sagen Ihnen alle Entwicklungshelfer, das sagen auch alle Aufbauorganisationen, und Sie wissen das.
Auch Sie kennen Herrn Erös - er ist ein ehemaliger Bundeswehrsoldat -, der dort seit zehn Jahren Schulen aufbaut und immer und immer wieder sagt: Bringt unsere
Schulen im Taliban-Gebiet nicht mit westlichen Soldaten in Verbindung. Nur so, nur ohne Militär, können wir
Mädchen- und Jungenschulen mitten im Taliban-Gebiet
aufbauen.
({4})
Das heißt, wenn Sie wirklich Wiederaufbau und humanitäre Hilfe wollen, dann geht das nicht mit der Waffe in
der Hand und mit dem Panzer im Kopf.
({5})
Herr Steinmeier, Sie haben hier gesagt, man müsse
doch auch einmal die Lehren aus dem Irakkrieg 2003
ziehen. Dann tun Sie das doch endlich! Wo ist denn der
Unterschied zwischen den desaströsen Ergebnissen des
Irakkriegs 2003 und Ihrem Einsatz in Afghanistan? Hier
gibt es doch keinen Unterschied. Die Situation der Menschen ist in beiden Ländern katastrophal.
Zweites Beispiel: Syrien und Irak. Auch in Syrien und
im Irak zeigt sich, dass Sie überhaupt keine Vorstellung
davon haben, wie man einem gewalttätigen Konflikt zivil - nicht gewalttätig - begegnen könnte. Der Bürgerkrieg in Syrien dauert jetzt vier Jahre. Die Bundesregierung hat in dieser ganzen Zeit wenig für eine friedliche
Lösung getan, aber sie hat die Bundeswehr und PatriotRaketen in die Türkei geschickt. Sie alle hier wissen gerade Ihre Verteidigungspolitiker -: Eine militärische
Notwendigkeit dafür gab es nie. Das war immer nur ein
politisches Signal und eine politische Unterstützung der
Erdogan-Regierung in der Türkei, also für eine Regierung, die im Moment ganz sicher nicht Teil der Lösung,
sondern Teil des Problems in der Region ist.
({6})
Mit der Bundeswehr und den Patriot-Raketen unterstützen Sie noch immer eine türkische Regierung, die radikale Dschihadisten in Syrien unterstützt - das wissen
Sie -, die bis heute lieber gegen Kurdinnen und Kurden
als gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ kämpft
und die die nordsyrischen Gebiete mit einem kompletten
Embargo belegt. Hier kommen keine einzige Tablette
und keine einzige Hilfelieferung durch. Diese türkische
Regierung unterstützen Sie! Das machen Sie mit! Sie
selbst, Herr Steinmeier, verweigern sogar medizinische
Hilfe für die Kurdinnen und Kurden in Nordsyrien. Ich
bin fassungslos und frage mich, was das eigentlich für
eine Außenpolitik ist, die an die einen Kurden im Nordirak Waffen liefert, den anderen Kurden in Nordsyrien
aber nicht einmal Medikamente liefern will. Das ist das
Gegenteil von menschlicher Außenpolitik.
({7})
Wie brutal Sie gelegentlich sein können, zeigt mein
drittes Beispiel, nämlich Ihr Umgang mit den Flüchtlingen im Mittelmeer, die vor Krieg, Gewalt, auch vor deutschen Waffen und vor Armut flüchten. Sie alle wissen:
Es gab ein italienisches Programm zur Seenotrettung
von Flüchtlingen im Mittelmeer. Das Programm hieß
„Mare Nostrum“. Das hat in einem einzigen Jahr
130 000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Das Programm musste aus Geldmangel eingestellt
werden, weil kein einziger EU-Staat bereit war, das mitzufinanzieren. Auch die Bundesregierung war nicht bereit, nur einen einzigen Cent für dieses Programm „Mare
Nostrum“ zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer
auszugeben.
({8})
Auch Sie, Herr Steinmeier, sind mit schuld, wenn das
Mittelmeer zum Friedhof für viele Menschen wird.
({9})
Am meisten regt mich auf - gerade jetzt, da sich die
Verteidigungspolitiker, die Kriegspolitiker der CDU/
CSU aufregen -: Für die Flüchtlinge im Mittelmeer ha6550
ben Sie kein Geld, aber hier um die Ecke, am Bahnhof
Friedrichstraße, in der besten Lage im Berliner Zentrum,
haben Sie gerade zu horrenden Kosten ein Rekrutierungsbüro für die Bundeswehr eröffnet.
({10})
Der Werbeetat der Bundeswehr - ich weiß, das ist nicht
Ihrer - beträgt 35,5 Millionen Euro. Das Geld würde
locker ausreichen, um davon Ihren Beitrag für „Mare
Nostrum“ zu zahlen und damit 130 000 Menschen zu
retten. Sie machen hier aber lieber eine Showveranstaltung, um junge Menschen zur Armee zu ziehen.
({11})
Das kommt dabei heraus, wenn man manchmal nur den
Panzer im Kopf und das Gewehr in der Hand hat und
keine menschliche Außenpolitik betreibt.
({12})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte.
Herr Steinmeier, Ihr Kollege, Ihr Wirtschaftsminister,
Ihr Vizekanzler, Ihr SPD-Vorsitzender, hat vor einem
Jahr noch ganz laut getönt: Wir brauchen Beschränkungen bei den Waffenexporten. - Jetzt, nach einem Jahr, ist
er vor der Rüstungslobby und der Kanzlerin komplett
eingeknickt. Es gibt in der Waffenexportpolitik nicht
einmal mehr ein Reförmchen. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels - auch von
der SPD -, hat das gestern vor der gesamten versammelten deutschen Rüstungsindustrie noch einmal versichert.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Wörtlich hat er gesagt: Die Regeln für Rüstungsexporte werden nicht verändert. - Hier haben Sie aber
wirklich ein Problem mit Ihrem Panzer im Kopf.
({0})
Man kann sich in diesem Haus trefflich streiten, und
diese parlamentarische Debatte lebt auch von einer Kontroverse. Den Außenminister aber mitverantwortlich für
das Sterben im Mittelmeer zu machen, halte ich für unzulässig.
({0})
- Das können Sie nachher machen.
({1})
Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/
CSU-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich über die einordnenden
Worte der Parlamentspräsidentin sehr froh. Ich hoffe,
dass sich auch diejenigen, die am 5. Dezember im Landtag von Thüringen zusammenkommen, gut überlegen,
ob man mit Vertretern einer solchen Partei wirklich eine
Koalition bilden will.
({0})
Herr van Aken, alles, was Sie gesagt haben, war
falsch.
({1})
Das, was Sie über Afghanistan gesagt haben, war inhaltlich falsch. Auch das, was Sie zu den Auslandseinsätzen
der Bundeswehr und zu den zivilen Maßnahmen gesagt
haben, die wir flankierend durchführen, war falsch. Im
Rahmen der Vorbereitung des Afghanistan-Mandats diskutieren wir ausführlich über das, was wir im zivilen Bereich mit einem langfristigen Commitment zusätzlich
machen können, und da sagen Sie: Sie haben nur Panzer
im Kopf. - Das finde ich nicht richtig. Ehrlich gesagt,
glaube ich, dass so etwas in Haushaltsdebatten noch
nicht geäußert worden ist. Wir haben bisher hier immer
vernünftig miteinander diskutiert. Wir kennen Ihre Position, und Sie kennen unsere Position. Wir schließen militärische Maßnahmen als äußerstes Mittel von Politik
nicht aus, aber sie sind nicht zentraler Bestandteil unserer außenpolitischen Agenda.
({2})
Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte an das anknüpfen, was auf der Münchener Sicherheitskonferenz von
drei Rednern angesprochen worden ist. Darüber gab es
eine ausführliche und kontroverse Diskussion. Die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses haben vor ein paar
Wochen die Gelegenheit gehabt, mit dem Bundespräsidenten zusammenzutreffen. Ich bin froh, dass es bei dieser Diskussion zu einer klaren Absage an alle unterstellten Tendenzen kam - zum Teil gab es diese Misstöne im
Umfeld der Konferenz -, nämlich dass es nicht um den
- ich zitiere den Bundespräsidenten - „Ansatz eines wilhelminischen Deutschlands“ geht.
Wenn ich über mehr Verantwortung nachdenke, dann
heißt für mich „mehr Verantwortung“ definitiv nicht
„mehr Soldaten“, sondern vor allem mehr Koordinierung. Damit komme ich zu einem Thema, das die Union
seit langer Zeit beschäftigt. Als Franz Josef Jung als Verteidigungsminister in der NATO das Konzept des Comprehensive Approach durchgesetzt hat, haben wir uns im
Rahmen des Weißbuchprozesses sehr viele Gedanken
gemacht und uns gefragt: Wie kann vernetzte Sicherheit
erreicht werden? Was müssen wir dafür tun? Der Begriff
von der vernetzten Sicherheit passt sehr gut in die Debatte um mehr Verantwortung. Dadurch wird deutlich,
dass die verschiedenen Maßnahmen, die wir wählen, zusammenpassen. Aber sie müssen noch stärker - und da
können wir sicherlich noch mehr tun - aufeinander abgestimmt werden.
Es geht nicht nur um militärische Komponenten, sondern es geht auch darum: Wie kann man die Nutzung des
äußersten Mittels von Politik, nämlich militärische Einsätze, mit diplomatischen Maßnahmen flankieren? Wie
kann man sich langfristig zu seiner Verantwortung bekennen: für ganze Regionen, für einzelne Länder oder
für Gruppierungen in Ländern? Das geht durch die Entwicklungszusammenarbeit sehr gut. Wie kann man insgesamt dafür sorgen, dass staatliche Strukturen überhaupt entstehen?
Als wir hier vor kurzem über Afrika diskutiert haben,
haben wir alle festgestellt, dass die Bundesrepublik
Deutschland im Bereich der Polizeiausbildung mehr
leisten kann. Daher müssen wir uns fragen: Wo können
wir Optimierungen durchführen? Ich bin froh, dass diese
Debatte um mehr Verantwortung begonnen hat, selbst
wenn ich erst einmal sehr kritisch war; denn viele hatten
den Eindruck, mehr Verantwortung würde automatisch
zu mehr Mandaten führen - das ist aber nicht passiert -,
worüber wir hier in den Monaten danach sehr nüchtern
und abwägend diskutiert haben. Darüber bin ich froh.
Ich glaube, dass es dazu sehr viele Beiträge aus diesem
Hause gab.
Wenn wir auf dieses Jahr zurückblicken, dann sollten
wir nicht nur im Blick haben, was uns - mit einigen Abstufungen - fast jeden Tag beschäftigt, beispielsweise die
Ukraine oder auch der Nahost-Konflikt - gestern standen
die Verhandlungen mit dem Iran im Mittelpunkt -, sondern wir sollten uns auch daran erinnern, dass wir dieses
Jahr eine sehr große und wichtige Entscheidung gefällt
haben. Diese Entscheidung wurde von einer Vertreterin
der Bundesregierung als „Tabubruch“ bezeichnet; sie ist
keinem leicht gefallen. Wir haben damals im Sommer
mehrere Sondersitzungen des Auswärtigen Ausschusses
durchgeführt und auch eine Sondersitzung im Plenum
abgehalten, die rechtlich zwar nicht notwendig war, aber
politisch doch den entsprechenden Rahmen gesetzt hat,
um diese wichtige Entscheidung abzusichern. Ich meine
die Lieferung von Waffen in den Nordirak, nach Kurdistan; auch Sie haben das angesprochen, Herr van Aken.
Wir haben uns gut überlegt, an wen wir Waffen liefern.
Wenn wir jetzt eine Zwischenbilanz ziehen, was diese
Waffenlieferungen und unsere Maßnahmen, um Kurdistan und Nordirak zu unterstützen, angeht, dann muss ich
sagen: Ich bin froh, dass wir dieses Mittel so begrenzt
eingesetzt haben. Ich bin froh, dass wir im Nordirak und
in Kurdistan verlässliche Partner gefunden haben. Ich
bin auch froh, dass wir die rote Linie gezogen haben, der
PKK keine Waffen zur Verfügung zu stellen.
({3})
Selbst wenn sie in den letzten Monaten in der einen
oder anderen Schlacht auf der richtigen Seite gestanden
hat, entsprechen die Ziele der PKK nach wie vor denen
einer Terrororganisation. Wenn wir unser partnerschaftliches Verhältnis mit der Türkei, die wir aufgrund ihrer
Schlüsselstellung in der Region brauchen, fortsetzen
wollen, dann muss man die Warnungen, die aus der Türkei in Richtung PKK kommen, nach wie vor sehr ernst
nehmen. Dann darf man nicht einfach sagen: Wir differenzieren gar nicht mehr zwischen den kurdischen Gruppierungen und sponsern alle. - Der Meinung bin ich
nicht. Ich glaube, das, was wir getan haben, war richtig,
und schließe nach wie vor aus, der PKK in irgendeiner
Form Waffen zur Verfügung zu stellen.
Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung des Kollegen Liebich?
Herr Liebich? - Ja.
({0})
- Herr van Aken hat ja schon so viel geredet.
Es ist sein Recht. Er kann entscheiden, bei wem er es
zulässt und bei wem nicht. - Herr Liebich, bitte.
Es ist sehr nett, dass Sie das zulassen. Ich bin mir sicher, Sie hätten es auch bei jedem anderen Kollegen oder
jeder anderen Kollegin meiner Fraktion zugelassen.
Die Frage bezieht sich auf den Abschnitt Ihrer Rede,
den wir gerade gehört haben. Sie haben begründet, warum es richtig ist, nur an einen Teil der kurdischen
Kämpferinnen und Kämpfer Waffen zu liefern. Wie gehen Sie aber damit um, dass die Kämpferinnen und
Kämpfer der Peschmerga nunmehr zu den Kämpfern der
PKK gekommen sind und gesagt haben: „Wir stehen an
eurer Seite und unterstützen euch; wir kämpfen mit euch
zusammen und haben auch Waffen dabei“? Wie wollen
Sie sicherstellen, dass die Waffen, die die Bundesregierung an die Peschmerga-Kämpfer geliefert hat, nicht im
Kampf an der Seite ihrer Brüder und Schwestern in Rodschawa eingesetzt werden?
Grundsätzlich bin ich der Meinung - wir haben uns
damit ausführlich beschäftigt -, dass es in den Kurdengebieten insgesamt dringend einer Militärreform bedarf.
Wir wollen nicht, dass perspektivisch weiterhin jeder
Stamm quasi über seine eigenen Einheiten verfügt. Vielmehr wären an dieser Stelle Zentralisierung und Demokratisierung dringend geboten.
({0})
- Ja, weil Gefahr in Verzug war, Herr Nouripour. Wir
standen im August bzw. Anfang September vor einer
schwierigen Entscheidung: Entweder existiert Kurdistan
weiter, oder Kurdistan wird von ISIS überrollt. In dieser
Situation haben wir uns für diesen schwierigen Weg entschieden, der - das beantwortet zum Teil Ihre Frage von Anfang an das Risiko beinhaltet, dass man, wenn
man Waffen aus der Hand gibt, nie wissen kann, wo
diese Waffen letztendlich landen.
Ich weise aber darauf hin, dass bisher das Versprechen Talabanis und Barsanis, diese Waffen nicht an weitere Kampfeinheiten zu geben, nicht gebrochen worden
ist. Es gibt zwar jetzt Formationen, die kooperieren - das
stimmt -, aber bisher haben keine Waffenübergaben
stattgefunden. Ich weiß nicht, ob dies in der Zukunft so
bleibt. Ich hoffe, dass wir auf das Versprechen, das uns
gegeben wurde, setzen können. Wir sind bislang auch
nicht enttäuscht worden.
Zur Lage im Nahen Osten möchte ich noch anmerken
- insbesondere nachdem wir von der Bundesregierung
unmittelbar über die Iran-Gespräche informiert worden
sind; ich bin froh über das, was der Bundesaußenminister dazu gesagt hat -, dass wir sicherlich in manchen
Punkten weitergekommen sind, aber wir sind noch weit
davon entfernt, mit dem Iran zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Iran ist eine der größten Gefahren für die Existenz des jüdischen Staates Israel. Israel wird nicht nur
vom Iran bedroht, sondern auch von innen heraus. Wenn
man bedenkt, mit welcher Brutalität Terrorakte dort
stattfinden, dann muss man trotz vieler kritischer Punkte,
die man hinsichtlich der israelischen Politik vorbringen
darf und vorbringen muss, sehen, dass die einzige Demokratie in der gesamten Region unter enorm großem
Druck steht und dass selbst Gotteshäuser keine Sicherheit bieten. Das ist aus meiner Sicht definitiv eine neue
abstoßende und brutale Form von Gewalt, die wir alle
verurteilen sollten.
({1})
Im Übrigen ist die Ursache nicht im israelischen Verhalten zu suchen; sie liegt vielmehr in einer besonders
brutalen Ausprägung von Gewalt, die auch nicht durch
Religion entschuldbar ist oder durch religiöse Motive
verdeckt werden sollte. Ich glaube, das hat mit dem Islam viel weniger zu tun, als diejenigen, die den Dschihad
für sich in Anspruch nehmen, behaupten. Das sind einfach Exzesse, die mit Toleranz und Respekt gegenüber
Religionen insgesamt nichts zu tun haben.
Ein anderes wichtiges Thema, das meiner Fraktion
sehr am Herzen liegt und das unser Fraktionsvorsitzender seit Jahren auf die Tagesordnung setzt - dieses
Thema haben wir in diesem Jahr gerade vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingswellen im Nahen und Mittleren Osten besonders berücksichtigt; Syrien und der
Nordirak sind bereits als Stichworte gefallen -, ist die
Lage der Christinnen und Christen. Wir als CDU/CSUBundestagsfraktion haben uns insbesondere im Haushaltsausschuss dafür eingesetzt - lieber Alois Karl, dafür
danke ich dir ganz besonders -, dass die Vertreter der
Religion, die vor allem unser Land geprägt hat, in ihren
Heimatländern einen sicheren Hafen und viel Unterstützung von außen bekommen. Uns kann es nicht egal sein,
wie Christen im Nahen Osten präsent sind und dass
Städte, die über Jahrtausende durch die Gemeinsamkeit
der Religionen geprägt worden sind, über Nacht für
christenfrei erklärt werden und dass dort entsprechende
Ultimaten ausgesprochen werden. Wir haben daher nicht
zugeschaut, sondern haben unsere Partner gestärkt, dagegen vorzugehen. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten gerade im humanitären Bereich alles getan,
um die Situation der Christen in dieser Region zu verbessern.
Dabei sollten wir es nicht belassen. Wir sollten uns
noch viel mehr Gedanken darüber machen, was nun im
Winter passiert und wie wir auf eventuelle Epidemien
reagieren können. Ich finde es sehr professionell, wie
unsere Regierung - ich weise hier insbesondere auf das
Zusammenspiel von Entwicklungshilfeministerium und
Auswärtigem Amt hin - agiert hat. Das Technische
Hilfswerk leistet hervorragende Arbeit. Wenn das unter
mehr Verantwortung für Christinnen und Christen im
Nahen Osten, wo sie in existenzieller Gefahr sind, zu
verstehen ist, dann muss ich feststellen, dass wir in diesem Jahr sehr gute Arbeit geleistet haben.
({2})
Zur Ukraine möchte ich nur Folgendes kurz anmerken, weil wir bereits eine intensive Diskussion in der Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Zukunft des Petersburger Dialogs geführt haben. Sicherlich
sind sich die Kritiker des Petersburger Dialogs nicht in
allen Fragen einig. Wenn dieses Forum aber eine Zukunft haben soll, dann muss es dringend reformiert werden.
({3})
Sie haben völlig recht, Herr Minister: Es sollte kein
Monolog sein. Wir sollten nicht nur unter uns darüber reden. Wir können uns sicherlich stundenlang über Russland und darüber streiten, wer wen wann besucht hat;
das gehört dazu und hat häufig auch mit innenpolitischen
Aspekten zu tun. Wenn wir aber den Petersburger Dialog
als gesellschaftliches Vehikel zwischen unserer Gesellschaft und der russischen Gesellschaft aufrechterhalten
wollen, dann bedarf es einer dringenden Reform. Mehr
Offenheit wird dieser Organisation nicht schaden. Es
darf keine Scheuklappen geben, weder in die eine noch
in die andere Richtung.
Natürlich müssen am Petersburger Dialog auch regierungsnahe Vertreter aus Russland teilnehmen, am besten
hochrangige. Ich wünsche mir, dass dieser Dialog auf
höchstem Niveau stattfindet und dass dort die Spitzenvertreter beider Länder zusammenkommen, also diejenigen, die auch etwas zu sagen haben. Es nutzt nichts, daraus einen Debattierklub von NGOs zu machen, die
nicht wissen, wie sie in ihrem Land vorankommen solPhilipp Mißfelder
len. Auch diejenigen, die etwas entscheiden können,
müssen mit am Tisch sitzen.
Ich bin dafür, dieses Forum zu verjüngen und es für
Teilnehmer zu öffnen, die nicht schon zehnmal daran
teilgenommen haben. Die entsprechenden Auswahlverfahren müssen aus meiner Sicht optimiert werden. Wir
haben intensiv darüber diskutiert, dass der Lenkungsausschuss deckungsgleich mit den Mitgliedern ist. Ich selbst
bin genauso wie der Außenminister nur Gast bei den
Veranstaltungen. Aber eine Öffnung wird dieser Organisation überhaupt nicht schaden, sondern sozusagen zu
einem Upgrade dieser Veranstaltung beitragen. Ich spreche mich für den Erhalt dieser Veranstaltung aus, aber
unter der Bedingung, dass Reformen umgesetzt werden
und dass diejenigen, die Verantwortung tragen, die Reformen aktiv vorantreiben und nicht darauf warten, dass
Reformen vorangetrieben werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Kollege Mißfelder. - Nächster Redner
in der Debatte ist Omid Nouripour für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Mißfelder, ich bin nicht der Meinung, dass alles,
was der Kollege van Aken gesagt hat, falsch ist.
({0})
Es gab einzelne Sätze, die ich richtig fand. Ich distanziere mich selbstverständlich nicht nur von der Tonlage
seiner Rede, sondern auch davon, dass er den Herrn Außenminister persönlich als Schuldigen für die Toten im
Mittelmeer benannt hat. Das ist nicht die Art und Weise,
wie wir hier in diesem Hohen Hause diskutieren sollten.
({1})
- Er hat das Wort „schuld“ verwendet. Schauen Sie
nach!
Es geht aber auch nicht, dass Sie, Herr Mißfelder, die
persönliche Verfehlung des Kollegen van Aken zum Anlass nehmen, um den Wählerwillen in Thüringen zu diskreditieren. Das gehört sich nicht. Das gehört nicht zusammen.
({2})
Herr Außenminister, Sie haben in den Anfangsmonaten, als Sie neu im Amt waren, der Außenpolitik wieder
Kontur und Gewicht gegeben. Sie haben auch die Überschrift „Mehr Verantwortung“ kreiert, die wir nicht in
erster Linie als Militarisierung der deutschen Außenpolitik verstanden haben. Sie haben den Review-Prozess initiiert, den wir richtig finden, und die Frage gestellt: Was
haben wir falsch gemacht? Da dieser Haushalt nun der
zweite Haushalt mit der Überschrift „Mehr Verantwortung“ ist, bietet es sich an, zu fragen, ob sich das im
Haushalt tatsächlich niederschlägt.
Da wird es eindeutig. Ja, wir haben sehr viele Krisen
in unserer Zeit; sie sind omnipräsent, aber sie sind nicht
vom Himmel gefallen. Die meisten Krisen entstehen
nicht einfach so, sondern haben einen Vorlauf. Deswegen ist es notwendig, dass man genau hinschaut. Dass
die Eskalation in Mali vor zwei Jahren erfolgt ist, war
absehbar, wenn man sich angeschaut hat, was in Libyen
passiert ist. Die Situation in den Ländern, die von Ebola
betroffen sind, ist seit März bekannt. Die Bundesregierung hat ein halbes Jahr gebraucht, bis sie überhaupt darauf reagiert hat. ISIS ist nicht erst seit der Einnahme
von Mossul im Juni dieses Jahres, sondern seit eineinhalb Jahren auf dem Vormarsch. Zentral ist, dass man
rechtzeitig hinschauen muss. Das passiert nicht. Die
Bundesregierung ist beim Hinschauen, beim Antizipieren von Konflikten, bei der zivilen Krisenprävention einfach zu langsam; sie macht zu wenig und ist zu zögerlich.
({3})
Sie bedienen, wie viele andere auch, leider die Aufmerksamkeitsökonomie. Die Welt schaut auf Sindschar,
dann schaut die Welt auf Kobane - dort geschehen ganz
schreckliche Dinge -, und dann wendet sich die Aufmerksamkeit anderen Krisenherden zu. Dass sehr viele
Leute auf Kobane schauen, ist berechtigt, aber dass im
Windschatten der Ereignisse von Kobane in Aleppo
Fassbomben des Assad-Regimes nur so vom Himmel
regnen, wird nicht beachtet. Es ist nicht so, dass wir das
Gefühl haben, dass die Bundesregierung tatsächlich antizipiert, was jenseits der großen Konflikte, die Schlagzeilen machen, passiert. Dafür braucht man Expertise. Aber
diese Expertise findet sich nicht, in diesem Haushalt erst
recht nicht. Das ist der zweite Haushalt hintereinander,
in dem der Etat für zivile Krisenprävention gekürzt ist.
Das wird der realen Situation draußen und vor allem den
Notwendigkeiten überhaupt nicht gerecht.
({4})
Auch die Institutionen fehlen. Die Institutionen
braucht man aber, wenn man ressortübergreifend arbeiten will. Wir haben eine Verteidigungsministerin, die
jetzt ein Weißbuch schreiben will. Sie haben den Review-Prozess begonnen. Was hat das miteinander zu
tun? Ich habe das Gefühl: gar nichts. Wenn man sich die
Welt ernsthaft anschauen und Konflikte antizipieren
will, dann muss man ressortübergreifend arbeiten. Ich
gebe zu: Es ist nicht in erster Linie Ihre Verantwortung,
dass das nicht immer geschieht; aber wir haben nicht das
Gefühl, dass die Häuser Hand in Hand arbeiten. Bei der
humanitären Hilfe wird das deutlich. Erst kürzen Sie den
Etat, dann machen wir, die NGOs und die Kolleginnen
und Kollegen aus der Koalition Druck, und dann wird
der Ansatz wieder erhöht. Das ist im Endergebnis nicht
das, was wir uns gewünscht haben, wenn es auch besser
als Ihr Entwurf ist. Aber mit Verlässlichkeit und mit
Haushaltsklarheit hat das überhaupt nichts mehr zu tun.
({5})
Ich habe meine Rede mit Lob angefangen. Ich möchte
noch einmal loben. Sie selbst haben in München gesagt:
Verantwortungsübernahme ist immer konkret. - Ich
finde zwar, dass es sich nicht gehört, den Petersburger
Dialog unter der Überschrift „Dialog mit der Zivilgesellschaft“ zu führen, ohne dass die Zivilgesellschaft da ist;
aber unter dem Strich kommen wir zu dem Ergebnis,
dass wir sehr an Ihrer Seite stehen, was Ihre Aktivitäten
in der Ukraine und Ihr Engagement bei der Befriedung
der Situation vor Ort angeht. Wir sind auch sehr dankbar
für die Worte, die die Frau Bundeskanzlerin heute Morgen in dieser Sache gefunden hat.
Aber wenn es konkret wird und Sie eine Konferenz zu
der Situation der Flüchtlinge machen,
Redezeit!
- die in die Nachbarstaaten Syriens geflüchtet sind,
und am Ende große Ankündigungen, die sich gut anhören - 500 Millionen Euro in drei Jahren -, es dann aber
keinen einzigen Cent an frischem Geld gibt, dann ist das
nicht konkret und erfüllt nicht Ihre eigenen Ansprüche.
Ein Viertel der Legislaturperiode ist bereits vorbei. Wir
warten darauf, dass es wirklich konkret wird mit der Verantwortungsübernahme. Dafür hätten Sie unsere volle
Unterstützung.
({0})
Danke, Herr Kollege Nouripour. - Nächster Redner in
der Debatte ist Norbert Spinrath für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr van Aken, ich
denke, das war eine nicht hinnehmbare Ehrabschneidung,
({0})
wie Sie mit dem Herrn Außenminister umgegangen sind.
Es ist schon zum Ausdruck gekommen, dass es weder
dem Stil der Debatte noch der Würde des Hauses entspricht, so miteinander umzugehen, aber eben auch nicht
dem vorbildlichen Einsatz unseres Außenministers gerecht wird.
({1})
Ich fordere Sie auch aus eigener Betroffenheit heraus
auf, sich beim Herrn Bundesaußenminister zu entschuldigen. Falls Sie nicht das Kreuz dazu haben, sollte Ihr
Fraktionsvorstand in die Verantwortung treten.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, während wir in dieser Woche den Bundeshaushalt debattieren, wird auf europäischer Ebene um
eine Lösung im Streit um den Haushalt der EU für 2015
gerungen. Es ist enttäuschend für mich, dass das Vermittlungsverfahren zwischen Kommission, Parlament
und Rat in der vorigen Woche gescheitert ist. Es mag für
einzelne Bereiche noch keine tragfähigen Lösungen geben. Es mag berechtigte Kritik an einzelnen Posten geben. Aber es ist schon ein trauriges Bild, das da in der
Öffentlichkeit entsteht. Nur 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens dürfen die europäischen Institutionen
ausgeben; aber am Ende eines jeden Jahres entbrennt ein
Streit zwischen den Finanzministern der Mitgliedstaaten
einerseits und dem Europäischen Parlament und der
Kommission andererseits. Es ist Zeit, dass dieses unwürdige Schauspiel beendet wird. Es darf nicht sein, dass am
Ende des Jahres kein Geld mehr da ist für den Austausch
von Studierenden, für humanitäre Hilfe zum Beispiel in
Ebolagebieten oder für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Wir müssen in der EU entschlossener handeln.
Ich begrüße das heute von Jean-Claude Juncker vorgestellte Investitionspaket zumindest im Ansatz. Es wird
weiter zu prüfen sein, wie die Einzelheiten zu bewerten
sind. Meine Redezeit ist schon reduziert worden. Deshalb will ich mich auf wenige Sätze hierzu beschränken.
Daran bin aber nicht ich schuld.
({0})
Nein, nein. - Entscheidend ist, dass wir zur Bekämpfung der Wachstumsschwäche in der EU auf der einen
Seite Strukturreformen und auf der anderen Seite Investitionen haben. Beides muss gleichzeitig geschehen.
Deutschland sollte sich daran mit eigenen Mitteln beteiligen.
({0})
Wir müssen uns wieder verstärkt auf unsere Vision eines geeinten Europa im Sinne der Präambel unseres
Grundgesetzes besinnen - ich zitiere -, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden
der Welt zu dienen“. Vielleicht haben wir uns in Europa
in den letzten Jahren zu sehr auf einen Pragmatismus
verständigt, haben viel zu oft viel zu viele Kompromisse
gemacht, um schnelle - vielleicht auch wichtige - Lösungen herbeizuführen, und dabei ein wenig die Vision
aus den Augen verloren. Vielleicht brauchen wir neuen
Mut für Europa, neuen Mut, auch konsequenter ein geeintes Europa anzustreben, neuen Mut, Solidarität zu
üben und auf nationale Egoismen zu verzichten. Auch
wir in Deutschland tragen als Partner mit konstruktiven
Beiträgen zur Lösung von Problemen bei. Wir müssen
aber auch immer wieder liefern.
Ein kleines positives Beispiel aus den Haushaltsberatungen: Das Auswärtige Amt hat - es ist ja auch Europaministerium - im nächsten Jahr einen kleinen finanziellen Beitrag von nur 100 000 Euro zur Verfügung, kann
damit aber einen wichtigen Akzent in Zypern setzen mit
der Unterstützung des Committee on Missing Persons.
Diese Nichtregierungsorganisation leistet einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung der Menschen beider Inselteile. Ich sage ganz herzlichen Dank an die für den Einzelplan 05 zuständigen Berichterstatter Doris Barnett,
Alois Karl und Dr. Tobias Lindner.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon bei der letzten Haushaltsdebatte habe ich zur dramatischen Situation der Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere in Südund Südosteuropa, gesprochen. Die EU hatte ein 6 Milliarden Euro umfassendes Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt. Noch im Juni sah es sehr düster
damit aus. Nur ein Mitgliedstaat hatte ein nationales Programm angemeldet. Umso mehr Mut macht es aber, dass
ich in diesen Tagen von unserer Arbeitsministerin
Andrea Nahles gehört habe, dass bis Anfang Dezember
voraussichtlich etwa 85 Prozent des Gesamtvolumens
der EU-Fördermittel für konkrete Projekte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit festgelegt sein werden.
Ich glaube, die EU hat verstanden, dass solche zwingend
notwendigen Programme nicht an den Restriktionen des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes scheitern dürfen. Wir
brauchen nicht weniger europäische Integration - das
zeigt gerade dieses Beispiel -, sondern mehr Flexibilität
in der Nutzung der bestehenden Möglichkeiten.
Für mich kann es nur eine Richtung geben, nämlich
hin zu einer weiteren Stärkung der Europäischen Union.
Wir dürfen und können ein Weniger an europäischer Integration nicht akzeptieren. Nur ein stabiles Europa lässt
die Menschen in sozialer Sicherheit leben und sichert gesellschaftlichen Frieden. Nur dort, wo sozialer Frieden
herrscht, kann auch wirtschaftlicher Wohlstand wachsen.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schlusssatz. Danke. - Lassen Sie uns
einfach neuen Mut zeigen, Mut, die Vision unseres
Grundgesetzes neu zu beleben, als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt
zu dienen.
({0})
Danke, Herr Kollege Spinrath. - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Wolfgang Gehrcke.
Schönen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Spinrath, weil Sie meinen Kollegen van Aken angesprochen haben, will ich Ihnen entgegnen.
Ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt: Wer hier
glaubt, dass er ohne Schuld ist, der werfe den ersten
Stein. ({0})
Das stammt ja nicht aus meiner Geisteswelt. Ich halte es
aber trotzdem für sehr wichtig. Der Kollege van Aken
hat den Außenminister persönlich angesprochen und hat
im Zusammenhang mit der Politik der Bundesregierung
den Begriff „Mitschuld“ verwendet.
({1})
Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie erkennen, dass
die Regierungen, die akzeptiert haben, die dulden, dass
Europa zur Festung gemacht wurde, ein höheres Maß an
Schuld haben, als wir hier sie haben.
({2})
Das waren der Sinn und der Inhalt der Worte meines
Kollegen van Aken. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das
so gemünzt war.
Auch ich finde, dass man in Debatten manchmal
scharf zulangen muss. Angesichts eines Zustandes, der
einen würgt - man halte sich vor Augen, was dort passiert -,
({3})
muss man Regierungen sagen: Wenn ihr euren Kurs
nicht ändert, habt ihr Schuld daran, dass Menschen im
Mittelmeer ertrinken. - Dazu stehe ich, und es war richtig, das hier auszusprechen.
({4})
Herr Spinrath, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Lieber Herr Gehrcke, Sie haben recht, dass man in
Debatten durchaus auch einmal scharf akzentuieren
muss, um nach einem guten, sehr vertieften Streit, indem
man die Dinge miteinander besprochen hat, letztendlich
zu einer politischen Entscheidung finden zu können.
Aber das hat nichts mit dem zu tun, was Herr van Aken
hier eben gemacht hat, als er den Bundesaußenminister
sehr persönlich angegriffen hat. Deshalb habe ich gesagt: Das hat mit der Würde dieses Hauses nichts zu tun.
({0})
Ich bin für jeden sachlichen und inhaltlichen Streit sehr
zu haben. Aber wenn es wie bei diesem Angriff auf
Herrn Steinmeier ins Persönliche geht, dann fühle ich
mich auch selbst betroffen.
({1})
Vielen Dank. - Der nächste Kollege in der Debatte ist
Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren!
Eigentlich wollte ich dazu nichts sagen;
({0})
denn allzu oft heißt es, man gebe der Linkspartei zu viel
Raum. Aber wenn Sie von der Linkspartei mit „Jeder ist
so ein bisschen schuld an allem“ kommen - diese Auffassung kann man durchaus teilen -, muss ich schon sagen: Wir haben im Jahr 2009 mit dem Vertrag von Lissabon die Grundrechtecharta der Europäischen Union
endlich rechtsverbindlich gemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass das Europäische Parlament über Justiz und
Innenpolitik mitentscheiden kann, dass diese Politikbereiche endlich vor Gericht einklagbar sind, damit mehr
für Menschenrechte getan werden kann. Sie haben das
abgelehnt.
({1})
Wenn Sie wollen, dass mehr für die Menschenrechte von
Flüchtlingen getan wird, müssen Sie für mehr Europa
streiten und nicht dafür, dass nationale Grenzen hochgezogen werden.
({2})
So kann man nämlich auch über Schuld reden. Sie reden,
seitdem Sie hier im Bundestag sind, das Projekt des gemeinsamen Europa immer schlecht.
({3})
Dabei wird man das Problem, dass Flüchtlinge im Mittelmeer sterben, nur lösen können, wenn man endlich
dazu kommt, mehr gemeinsam in Europa zu machen und
nicht immer wieder die nationale Karte zu ziehen.
({4})
Hören Sie auf, die Moralapostel zu spielen! Ich werde
Ihnen niemals persönliche Schuld vorwerfen für irgendetwas, was auf der Welt passiert. Diesen Maßstab sollten
wir gemeinsam behalten.
Wir leben in einer Zeit, in der man Stabilität braucht.
Stabilität ist die neue Währung für alles. Wir sehen doch,
was an unseren Grenzen passiert. Es geht um Stabilität:
im Osten, im Süden, am Mittelmeer, aber auch im Mittleren Osten. Für was wird Europa gebraucht, wenn nicht
dafür, ein Zentrum zu sein, in dem noch Stabilität
herrscht? Wenn wir wollen, dass es in Zukunft Stabilität
an den Grenzen Europas gibt, was gut für die Menschen
ist, die dort leben, dann müssen wir in Europa stärker zusammenhalten und unsere Probleme gemeinsam lösen.
({5})
Das heißt, dass man am Euro festhält, und das heißt, dass
man gemeinsam die wirtschaftlichen Probleme im Süden
löst, ohne immer gegen den Euro oder gegen die europäische Integration zu stänkern oder immer einfach nur
dagegen zu sein.
({6})
Kollege Sarrazin, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Dr. Diether Dehm?
Gern.
Lieber Herr Sarrazin, es kann ja sein, dass wir unterschiedlicher Meinung sind, was den Euro und einige
Maßnahmen im Rahmen des Lissabon-Vertrages anbetrifft. Aber kann ich Sie insofern richtig verstehen, dass
diejenigen mehr Schuld an dem haben, was im Mittelmeer geschieht, die zu Frontex stehen, als diejenigen, die
gegen Frontex sind?
({0})
Lieber Kollege Dehm, Frontex hat im Moment, wie
ich glaube, 350 Mitarbeiter. Die Vorstellung, dass Frontex allein alle Menschen, die mit einem Boot nach Europa kommen, ablehnt, versinken lässt, ist meiner Ansicht nach keine, die das Problem adressiert. Wir erleben
in der Europäischen Union seit Jahren eine Politik der
Innenminister aus verschiedenen Ländern - dazu gehörte
zumindest in der letzten Legislatur ausdrücklich auch die
Bundesrepublik Deutschland -, die Elemente von Solidarität angesichts der Probleme mit Flüchtlingen in den
Staaten im südlichen Europa vehement abgelehnt hat
und die auch nicht positiv darauf hingewirkt hat, die Regeln zum Thema Humanität, zum Beispiel das Nonrefoulement-Prinzip - wirklich jeder, der flieht, hat die
Chance, einen Asylantrag zu stellen und ein rechtsförmliches Verfahren zu bekommen -, in den Verhandlungen,
die es darum gab, europäisch zu stärken. Der entscheidende Punkt, den ich meine, ist: Wenn man die wirklich
unmenschlichen und unhaltbaren Zustände verändern
will, dann wird man das nur erreichen, indem man mehr
europäisches Recht schafft, das über der Auslegung internationalen Rechts durch einzelne Nationalstaaten
steht und die Nationalstaaten verpflichtet, mehr zu tun.
Deswegen stimme ich Ihrer politischen Forderung,
„Mare Nostrum“ fortzusetzen, total zu.
({0})
Wenn Sie sich hier die Freiheit herausnehmen, zu behaupten, jemand sei persönlich schuld, was ich zutiefst
ablehne, möchte ich Ihnen nur sagen: Ich werde Ihnen
nie vorwerfen, Sie seien persönlich schuld am Sterben
im Mittelmeer, nur weil Ihre Europapolitik unverantwortlich ist und niemals für bessere Regeln in diesem
Politikbereich sorgen wird.
({1})
Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung, nämlich von der Kollegin Hänsel?
Ja.
({0})
Danke schön, Frau Präsidentin. - Als Entwicklungspolitikerin, Herr Sarrazin, möchte ich Sie doch noch einmal auf etwas aufmerksam machen. Sie sprachen davon,
dass wir eine gemeinsame europäische Politik gegenüber
den Ländern des Südens brauchen. Die haben wir bereits, und das ist eine der großen Fluchtursachen. Wir haben die EU-Freihandelsabkommen mit Afrika. Wir haben in der EU die Gemeinsame Fischereipolitik, die
dazu beiträgt, dass viele Fischer arbeitslos werden, zum
Beispiel vor Westafrika. Das sind die Flüchtlinge von
heute und morgen. Auch die Kleinbauern, denen durch
die neoliberale europäische Politik die Existenz zerstört
wird, sind die Flüchtlinge von heute und morgen. Sie
können hier doch nicht ein Loblied auf das gemeinsame
europäische Agieren singen, wenn wir parallel ganz andere Entwicklungen sehen. Woher kommen denn die
Flüchtlinge? Deswegen gibt es diese Mitschuld. Darum
geht es. Wir sind hier verantwortlich dafür, dass es
Flüchtlinge gibt und dass viele Flüchtlinge im Mittelmeer krepieren.
({0})
Herr Sarrazin, bitte.
Frau Kollegin Hänsel, auch wenn es keine Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und
afrikanischen Staaten gibt - mir sind zumindest in diesem Moment keine bekannt -:
({0})
Ich finde ebenfalls, dass beispielsweise die Praxis der
Fischereiabkommen, so wie sie ausgeführt wird, nicht
geht und dringend überarbeitungsbedürftig ist. Deswegen haben wir uns im Europäischen Parlament immer
gegen diese Fischereiabkommen gewandt. Der Kollege
Frithjof Schmidt hat das in seiner Zeit im Europäischen
Parlament an vorderster Front getan, gegen viele Lobbyisten aus vielen Mitgliedstaaten. Da kann man dann die
grundsätzliche Frage aufwerfen: Glaubt man eigentlich,
Sachen eher verändern zu können, indem man für andere
politische Mehrheiten auf europäischer Ebene sorgt,
oder glaubt man, Sachen würden besser, wenn die Nationalstaaten für sich diese Politik so fortsetzen?
({1})
Die Frage, die hier besprochen wurde, dreht sich um
die konkrete Situation, dass Menschen über das Mittelmeer fliehen, aber nicht jedem Menschen das individuelle Recht gewährt wird, die Fluchtursachen in einem
rechtsstaatlichen Verfahren bewerten zu lassen und dann
nach Recht und Gesetz behandelt zu werden. Ich sage
Ihnen aus meiner Erfahrung: Ein großes Problem bei
dieser Praxis ist, dass die nationale Innenpolitik und der
nationale Grenzschutz jeweils so handeln, wie es in
ihrem nationalen Interesse angeblich am besten ist, nämlich so, dass möglichst wenige in das eigene Land kommen. Was wir dagegensetzen müssen, ist eine europäische Vision von humanen europäischen Regeln, die
im Zweifelsfall auch gegen nationale Interessen durchgesetzt werden. Dafür braucht man mehr Europa, nicht
weniger Europa, wie Sie es immer fordern.
Vielen Dank. Jetzt geht es weiter in der Rede.
Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin,
wenn wir über Stabilität reden, dann müssen wir natürlich auch über die ökonomische Krise in Europa reden.
Wenn wir die Lage im Süden Europas betrachten - ich
glaube, Herr Juncker hat Vorschläge gemacht, die in die
richtige Richtung gehen können, wenn sie richtig umgesetzt werden -, dann müssen wir auch darüber reden,
dass die Europäische Union mehr Demokratie und mehr
Legitimität braucht, um die Transformation zu schaffen
und Gesamteuropa wieder zu einem attraktiven, starken,
stabilen Wirtschaftsstandort zu entwickeln. Denn unsere
Auseinandersetzung um die Werte der Europäischen
Union - im globalen Maßstab, aber auch mit Blick auf
unsere direkte Nachbarschaft - muss mit einer Diskussion darüber unterlegt sein, wie die EU wieder zu einem
erfolgreichen wirtschaftlichen Modell werden kann. Insofern können wir nicht zusehen, wenn wir bemerken,
dass die Gefahr besteht, dass Länder wie Portugal, Spanien, Italien oder Griechenland in eine dauerhafte Rezession verfallen, dass die kleinen Hoffnungsschimmer, die
es in diesen Ländern vielleicht gab, durch eine neue Rezession zerstört werden.
In unserer Auseinandersetzung um Werte müssen wir
aber auch eines festhalten: Im Zusammenhang mit der
Ukraine ist in besonders starkem Maße zu erkennen, wo
der Unterschied zwischen den Werten liegt, die der
Kreml formuliert, und den Werten, die wir haben; das erkennt man sehr gut daran, wie die Menschen in den von
Separatisten kontrollierten Gebieten behandelt werden.
Also müssen wir, auch um das Argument der doppelten
Standards zu entwerten, mehr dafür tun, dass die Grundwerte der Europäischen Union auch im Innern der Europäischen Union umgesetzt werden. Deswegen ist es zu
begrüßen, wenn es auch in der Bundesregierung Ideen
gibt, einen europäischen Grundwertemechanismus zu
entwickeln. Die Grünen werden in absehbarer Zeit Vorschläge dazu machen.
Meine Damen und Herren, Europa wächst immer
mehr in die Rolle hinein, nicht mehr nur ein Ort für ökonomischen Wohlstand und Wohlfahrt zu sein, wie es
viele nach 2004 dachten, sondern auch die Grundlagen
für Stabilität und Sicherheit zu legen. Wir werden den
außenpolitischen Herausforderungen der Zukunft nur
dann gerecht werden können, wenn wir in der Lage sind,
Europa weiterzuentwickeln und bei Fragen der weiteren
Integration Europas mutig und entschlossen voranzugehen, anstatt im nationalen Kämmerchen darauf zu warten, dass die Krisen auf uns zukommen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Kollege Sarrazin. - Nächster Redner in
der Debatte Dr. Peter Gauweiler für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich habe einen wunderschönen Beitrag
zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vorbereitet
und will mich jetzt nicht in die Niederungen der europäischen Asyldebatte begeben. Ich will hier nur einen kleinen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Ja, Frau
Hänsel, es stimmt - es ist auch bitter -, dass die deutsche
Asylpolitik in einer gewissen Weise immer wieder auf
Restriktionen ausgerichtet ist. Dies geht auf die Änderung von Artikel 16 in Artikel 16 a des Grundgesetzes
zurück. Diese Änderung wurde von unserem Parteifreund Edmund Stoiber gemeinsam mit Ihrem heutigen
Parteifreund Oskar Lafontaine ausgearbeitet. Ich nehme
beide davor in Schutz, deswegen als Massenmörder bezeichnet zu werden.
({0})
- Magerer Beifall, aber immerhin.
({1})
Wenn Sie mir eine persönliche Anmerkung erlauben
- wir kennen uns ja aus vielen heftigen Debatten im
Auswärtigen Ausschuss -: Es ist klar, dass es kaum ein
Thema gibt, bei dem man heftiger unterschiedlicher
Meinung ist; aber ich denke, man muss solche Debatten
führen können, ohne dem anderen gleich ein volles Maß
an Charakterlosigkeit vorzuwerfen.
Ich bin, ehrlich gesagt, sehr von der Art und Weise
überzeugt - auch bei kontroversen Themen, bei denen
ich nicht seiner Meinung bin -, wie Herr Steinmeier die
Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gestaltet.
Ich bin oft - das ist kein Geheimnis - anderer Meinung.
Aber als Parlamentarier, als CSUler, als Konservativer,
aber auch als einer, der will, dass Deutschland in der
Welt gut dasteht, fühle ich mich von diesem Mann eigentlich immer sehr gut vertreten. Das möchte ich bei
dieser Gelegenheit einmal sagen.
({2})
Zurück zu meiner schönen Rede.
({3})
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik steht immer
in dem Verdacht - der Minister hat darauf hingewiesen -,
nur eine Art Sahnehäubchen oder Ähnliches zu sein. Wir
unterstützen neben vielen anderen Projekten in der ganzen Welt angesichts des 500. Jahrestags der Reformation
die Lutherdekade. So haben wir unserer Auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik als Motto einen Spruch des
Reformators gegeben: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, ich würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Lassen Sie mich das an einem schönen Beispiel verdeutlichen. Während wir hier über den Haushalt diskutieren, ist für einen Förderbetrag von wenigen Tausend
Euro das Orchester des bayerischen Staatstheaters am
Gärtnerplatz in dem großartigen, aber viel geplagten
Land Mexiko unterwegs. Der mexikanischen Presse der
letzten Tage ist zu entnehmen, dass in der Zeit vom
20. bis 26. November 2014 die „Tage des Zorns“ stattfanden wegen ganz katastrophaler Verhältnisse in der öffentlichen Ordnung, fürchterlicher Morde und Schandtaten, in die auch die regierenden Kreise verwickelt sind.
In allen großen Städten Mexikos haben Protestveranstaltungen stattgefunden. Fast in jedem Bericht der mexikanischen Presse wird erwähnt, dass das bayerische Staatsorchester jene Tage des Zorns, wie es wörtlich in der
mexikanischen Presse heißt, veredelt hat, indem es bei
Massenveranstaltungen in Mexiko-Stadt, in Guadalajara
und Morelia aufgetreten ist und Franz Schubert gespielt
hat. Dieser Gegensatz zwischen „Tage des Zorns“ und
seiner 5. Symphonie, die - Schubert-Fans wissen das die „liebliche Symphonie“ genannt wird, hat, so die
Stimmen in der mexikanischen Presse weiter, Erschütterung als auch Veredelung in der Debatte kombiniert. Dafür ist man sehr dankbar. Das ist ein solches Apfelbäumchen. Wir alle sind gefragt, diese zu gießen und zu
pflegen, wo immer wir können.
({4})
Es ist auch ein Erfolg des Außenministeriums - ich
darf bei dieser Gelegenheit die Staatsministerin Maria
Böhmer dankend erwähnen -, dass jetzt ein HaushaltsDr. Peter Gauweiler
plan für den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vorliegt - wir haben in 17 Sitzungen darauf
hingearbeitet -, der sich im Vergleich zu früher sehen
lassen kann und der an alte Erfolge anknüpft.
Das Goethe-Institut erhält rund 16 Millionen Euro
mehr. Ich weiß, dass das für Euro-Retter ein Betrag ist,
für den sie nicht einmal einen Aktendeckel in die Hand
nehmen würden.
({5})
Aber für uns ist das ein gewaltiger Fortschritt. Alois
Karl, ich möchte dir als CSU-Berichterstatter herzlich
dafür danken. Wir könnten am Goethe-Institut eine
CSU-Gedenktafel anbringen; womit früher sicherlich
niemand gerechnet hätte.
({6})
Wir setzen ein Programm fort, mit dem wir 12 Millionen
Schüler, die an 110 000 Schulen weltweit Deutsch lernen
- das ist doch nicht irgendetwas! - erreichen. Das
Goethe-Institut wird in die Lage versetzt, mit fast
95 Prozent der Bildungsstätten, also fast allen, Kontakt
aufzunehmen.
Herr Kollege Gauweiler, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Manuel Sarrazin?
({0})
Bitte.
Danke, Frau Präsidentin! - Verehrter Herr Kollege
Gauweiler, ich habe immer versucht, meine Bemerkungen in Fragen zu verstecken. Ich bin über das neue Verfahren etwas verwundert; aber ich werde das auch jetzt
versuchen.
Herr Gauweiler, niemand bestreitet die Risiken, die
Deutschland im Zuge der Euro-Rettung eingegangen ist.
Wir haben das offen beschlossen; das ist Recht und Gesetz. Wir haben darüber unterschiedliche Auffassungen.
Das habe ich nie geleugnet. Dennoch möchte ich Sie vor
dem Hintergrund des netten Verweises darauf hinweisen,
dass im Gegensatz zu Ihrem sehr lobenswerten Projekt
der Europäische Stabilisierungsmechanismus im letzten
Jahr immerhin einen beträchtlichen Millionengewinn
ausgewiesen hat. Das unterscheidet ihn insofern von Ihrem Projekt. Der ESM macht Gewinne; das kann anhand
von Drucksachen belegt werden. Darum meine Frage, ob
Sie diese Gewinne zur Kenntnis nehmen.
Danke.
Ich nehme in diesem Bereich sehr viel zur Kenntnis
und bin gern bereit, Ihnen ein Collegium privatissime et
gratis zu der ganzen Problematik zu geben.
({0})
Aber das würde jetzt die ganze Redezeit sprengen. Seien
wir uns einig, dass wir uns - mit allem Respekt - uneinig
sind. Der Europäische Gerichtshof wird am 14. Januar
2015 eine Erklärung des Generalanwalts, eine besondere
Einrichtung des EuGH, erwarten, und danach unterhalten wir uns wieder, Herr Sarrazin.
({1})
- Vielen Dank.
Wir können mit dieser Etaterweiterung nun auch in
einen besonderen Bereich gehen, der natürlich auch belächelt werden kann - ich habe mich am Anfang geniert,
darüber zu sprechen -: eine kulturelle, volkspädagogische Betreuung von Flüchtlingslagern. Man wagt es ja
kaum auszusprechen, aber das Goethe-Institut und viele
andere Bildungsträger deutscher Sprache veranstalten
jetzt in den zehn größten Flüchtlingslagern, die es hier
gibt, Kurse für Kinder - Unterrichtsveranstaltungen und
Malkurse -, eine Form der Freizeitgestaltung.
Wir haben uns mit Leuten unterhalten. Der Generalsekretär des Goethe-Instituts hat von den Erfahrungen
seiner eigenen Frau erzählt, die selber in einem Flüchtlingslager lebte, wie die Eltern dort mit tage-, wochenund monatelangem Warten zermürbt werden, bis irgendetwas Kulturelles für ihre Kinder angeboten wird. Und
ich finde es sehr, sehr gut, dass sich das Goethe-Institut
aufgrund der Initiativen des Bundestages - auch von Ihnen, Frau Präsidentin Roth - ein Herz gefasst hat, in dieser Sache etwas zu tun.
Heute Abend wird der Beirat Tarabya eingesetzt. Erfahrene Kulturpolitiker im Bundestag werden sich erinnern.
({2})
- A Never-ending Story, aber die Sache steht, und sie ist
mittlerweile vorweisbar. Sie steht. Neben der Villa
Aurora in Los Angeles und der Villa Massimo in Rom ist
eine Kulturstätte für den ganzen orientalischen Raum geschaffen worden, die großartig ist und von der Istanbuler
Beobachter sagen, das seien die schönsten Parkanlagen
der ganzen Türkei; und ich bin stolz darauf, dass hier der
Bundesadler steht und wir dort einen Träger deutscher
Kulturpolitik haben.
({3})
Bei den Auslandsschulen sind wir im Moment dabei,
den Bereich duale Bildung auf unsere Auslandsschulen,
auf die deutschen Gymnasien im Ausland draufzusatteln
bzw. Berufsschulzweige auch dort durchzusetzen. Ich
bin verzweifelt, wenn ich die Hindernisse sehe, gegen
die wir uns im Moment in Thessaloniki durchsetzen
müssen, teils bei der griechischen Regierung und übrigens manchmal auch bei der Bundesregierung - nicht im
Auswärtigen Amt, ist jemand vom Bildungsministerium
da? -, um die einfachsten Abstimmungsvorgänge durchzuziehen, damit sie nicht monatelang dauern.
Ich habe mir erlaubt, der Regierung einen Brief zu
schreiben und die Vorgänge darzustellen. Wir wollen in
jedem der Länder am Mittelmeer mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, in denen es deutsche Schulen gibt, die duale Ausbildung mit Berufsschulen einrichten. Ich halte
es für einen großen Erfolg, dass wir das jetzt können. An
der deutschen Schule in Ecuador in Lateinamerika - mit
1 600 Schülern eine der größten deutschen Schulen der
Welt - funktioniert diese Systematik übrigens bereits
hervorragend. Der Deutsche Akademische Austauschdienst kann jetzt die Zahl seiner Stipendiaten eindrucksvoll erhöhen. 2013 hat er über 110 000 Personen - die
Mehrheit übrigens Deutsche, über 69 000, die ins Ausland gegangen sind - gefördert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
sind wir in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
im Bereich der Konfliktbeseitigung völlig waffenlos und
damit in den Augen mancher eigentlich ungeeignet. Auf
der anderen Seite sind wir der Auffassung, dass wir
möglicherweise mehr bewirken können. Und ich bin
stolz darauf, dass es im Gegensatz zum französischen
Parlament im Deutschen Bundestag keine Stimmen gab,
die im Zusammenhang mit der Ukraine/Russland-Krise
die Forderung erhoben haben, dass wir die kulturellen
Auslandsbeziehungen - zum Beispiel zu Russland - abbrechen sollten.
({4})
Wir brauchen die Beziehungen zu Russland und zur
Ukraine nicht weniger, sondern mehr, und wir intensivieren sie.
Ich bin froh, Herr Außenminister, dass Sie mit durchgesetzt haben, dass das sogenannte Kreuzjahr, das Jahr
der deutschen Sprache in Russland und das Jahr der russischen Sprache hier bei uns, das die Bundeskanzlerin
mit dem russischen Präsidenten Putin vereinbart hatte,
nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt wurde. Bei der
Eröffnungsveranstaltung mit dem Goethe-Institut vor
wenigen Wochen, an der ich selbst teilgenommen habe,
im Eremitage-Garten in Moskau waren nach Zahlen des
Goethe-Instituts 17 000 Menschen versammelt. Haben
Sie schon einmal Versammlungen mit 17 000 Leuten gemacht? Ich nicht. Es ist in der vergangenen Woche in
Moskau die Vereinigung der Deutschlehrer in Russland
gegründet worden. Der Unterausschuss ist übernächste
Woche in der Ukraine, um dort ein trilaterales Projekt
der Universitäten Lemberg und Moskau mit der Universität Würzburg zu gründen. Dabei sollen die Studenten,
deren Austauschprojekte anderswo nicht durchgeführt
werden können, von Würzburg mit übernommen werden. Ich halte das für eine ermutigende und großartige
Entwicklung.
Ich wollte zum Schluss noch etwas sagen - das tue
ich jetzt nicht, Frau Präsidentin - zu dem bevorstehenden und notwendigen Kulturabkommen mit Kuba. Dazu
beim nächsten Mal mehr.
({5})
Einen Satz dürfen Sie noch, Herr Kollege Gauweiler.
Vielleicht haben wir es bis zum nächsten Mal abgeschlossen.
Vielen herzlichen Dank! Und zu Ihnen, Herr Sarrazin,
komme ich und sage Ihnen das Nötige.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Thomas
Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Traditionell
ist ja die Haushaltsdebatte über die einzelnen Politikbereiche auch ein Moment, wo man die Dinge so ein bisschen im Grundsatz beleuchtet. Wenn ich nun versuche,
grundsätzlich den Blick auf Europa und die Außenpolitik zu lenken, ist es dabei vielleicht ganz hilfreich, den
Blickwinkel zu wechseln und zur Kenntnis zu nehmen,
was sich außerhalb von Europa tut bzw. wie andere außerhalb von Europa uns sehen.
Ich blende zunächst einmal drei Jahre zurück: Im November 2011 sagte Barack Obama in Canberra - mit dieser Bemerkung wurde er jedenfalls zitiert -, dass für die
Vereinigten Staaten von Amerika in den kommenden
Jahren der pazifische Raum die oberste Priorität genießen würde. Er tat es im Zusammenhang mit einem Freihandelsabkommen, das die USA mit acht pazifischen
Staaten vereinbarten. Drei Jahre später - das liegt jetzt
gerade ein paar Tage zurück - kamen auf der APECKonferenz Vertreterinnen und Vertreter der Staaten zusammen, die 40 Prozent der Weltbevölkerung und
57 Prozent der Wirtschaftsleistung auf diesem Globus
erbringen. Zum Vergleich: Die Europäische Union stellt,
wenn man es günstig rechnet, 7 Prozent der Weltbevölkerung und rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung. So
viel zum Verhältnis.
Ich sage das deswegen, weil ich mich gelegentlich etwas wundere über die Debatte, die nicht nur hier in diesem Hohen Hause, sondern auch anderswo zum Transatlantischen Freihandelsabkommen geführt wird. Ich
gestehe gerne, dass auch ich persönlich da noch einige
Fragen habe, dass es da noch Herausforderungen gibt,
die in den Verhandlungen zu meistern sind. Aber eines
muss allen klar sein, meine Damen und Herren: Wenn
Europa - bildlich gesprochen - auf dem Sofa sitzen
bleibt und darauf wartet, dass der Welthandel vorbeikommt und sagt: „Bitte schön, möchtest du, Europa, an
unseren Welthandelsbeziehungen teilnehmen, und wenn
ja, zu welchen Konditionen hättest du es denn gerne?“,
dann werden wir auf diesem Sofa einen verdammt alten
Hintern bekommen.
({0})
Das hat etwas mit der Attraktivität von Europa zu tun.
Und da war es für mich schon interessant - auch hier
versuche ich wieder, den Blickwinkel zu wechseln -,
was Papst Franziskus gestern vor den Kolleginnen und
Kollegen des Europäischen Parlaments vorgetragen hat.
Ich erwähne es nicht so sehr deswegen, weil der Papst
das Oberhaupt der katholischen Kirche ist, sondern deswegen, weil da ein Argentinier gesprochen hat. Zusammengefasst in einem Satz lautet für mich das Fazit: Er
hat eigentlich angemahnt, dass wir die Prinzipien, die
wir uns selbst gegeben haben und deren Einhaltung wir
auch bei anderen anmahnen, für uns selbst auch zur Geltung bringen müssen. Damit hat er nicht ganz unrecht.
Wir müssen Regeln einhalten, insbesondere auch dann,
wenn es um Dinge geht, die vor unserer eigenen Haustür
stattfinden. Ich verstehe jetzt unter Europa nicht die Europäische Union, sondern ich meine den ganzen Kontinent.
Damit bin ich bei der Ukraine, meine Damen und
Herren. Ich bin, offen eingestanden, erschrocken über
den Vorschlag, man möge darüber nachdenken, wie man
die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sozusagen
im Nachhinein, ex post, völkerrechtlich legitimieren
könne. Diesen Vorschlag fand ich, gelinde gesagt, ziemlich abenteuerlich, und ich bin dankbar, dass dieser Vorschlag in dieser Debatte nicht noch einmal kam, wenn
ich richtig aufgepasst habe.
({1})
Ich fand diesen Vorschlag nicht nur abenteuerlich, weil
er dem Vorgang nicht gerecht wird, sondern auch, weil
es nicht sein kann, dass wir es zum Grundsatz unseres
politischen Handelns machen, den Verstoß gegen Regeln
dadurch zu beantworten, dass wir anschließend die Regeln ändern; denn dann könnten wir uns eigentlich in
jeglichem Bereich aus der Rechtssetzung verabschieden.
Das wäre keine zukunftsweisende Politik, weder für die
Bundesrepublik Deutschland noch für Europa.
Ich rate, bei der Beurteilung der Lage in der Ukraine
und auf der Krim auch zur Kenntnis zu nehmen, dass
Präsident Putin zum Beispiel just vor wenigen Tagen in
Abchasien mit dem dortigen - ich sage das in Anführungszeichen - „Präsidenten“ eine strategische Partnerschaft vereinbart hat und wie das beispielsweise in der
Republik Moldau wirkt. Wie muss das auf die Vorsitzenden der Auswärtigen Ausschüsse von Lettland, Estland
und Litauen gewirkt haben, die uns am 29. August dieses Jahres einen Brief geschrieben haben, aus dem man
zwischen den Zeilen die blanke Angst herauslesen kann,
und zwar die blanke Angst um die Fortexistenz des eigenen Staates? Und wie muss es bei denen ankommen,
wenn in einem freien Land wie der Bundesrepublik
Deutschland mit Blick auf einen Völkerrechtsverstoß
solche Debatten geführt werden?
({2})
- Gerade gab es einen Zwischenruf zum Thema Freiheit.
({3})
Meine Damen und Herren, gelegentlich findet man im
Archiv des Deutschen Bundestages bemerkenswerte
Plenarbeiträge von unseren Vorgängerinnen und Vorgängern. Ich habe einen solchen gefunden. Im Mai 1998 hat
der frühere Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in
seiner Abschiedsrede Folgendes vorgetragen - ich sage
das, weil wir hier über den Haushalt sprechen -:
Freiheit
- Herr Kollege Gehrcke geht meist scheibchenweise und auf Grund von
Sorglosigkeit im Kleinen verloren … Der Zünfteund Ständestaat bestand aus einer Unmenge von
kleinen Privilegien, die ihrem Empfänger eine Gefälligkeit bereiteten, aber in ihrem Anwachsen den
Bürgern insgesamt ein immer größeres Netz von
Bevormundungen erbrachten. Gefälligkeiten gegenüber Lobbies jeder Art - das gilt damals wie
heute - sind schleichendes Gift der Demokratie.
({4})
Das sagte Graf Lambsdorff damals. Ich glaube, das gilt
heute auch.
({5})
Gemeinwohl ist sehr viel mehr als die Summe aller Partikularinteressen,
({6})
sowohl qualitativ als auch rechnerisch. - Herr Kollege
Gehrcke, ich würde mich freuen, wenn der Beifall und
die Zustimmung, die Sie mir an dieser Stelle signalisieren, sich auch inhaltlich in Ihren Anträgen im Deutschen
Bundestag widerspiegeln würden.
({7})
Die Kolleginnen und Kollegen aus den einzelnen Fachbereichen werden bestätigen können, und zwar nicht nur
mit Blick auf die Haushaltsberatungen, dass es oftmals
so ist, dass sich ein Partikularinteresse jedweder Art in
einem Antrag der Fraktion Die Linke wiederfindet, der
in den Deutschen Bundestag eingebracht wird.
Zukunftsfähigkeit heißt nicht unbedingt per se, für jeden Bereich mehr Geld auszugeben, sondern Zukunftsfähigkeit heißt, dass man zunächst einmal mit dem Geld
auskommt, das man hat, dass man nicht mehr Schulden
macht, sondern mit dem Geld auskommt, das die Bürgerinnen und Bürger bereitstellen. Weil diese Voraussetzungen auch im Einzelplan 05 erfüllt sind, wird die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem Einzelplan und
dem Haushaltsgesetz zustimmen.
Weil man nicht nur mit dem Geld auskommen muss,
das man zur Verfügung hat, sondern auch mit der Redezeit, die einem von der eigenen Fraktion zur Verfügung
gestellt wird, schenke ich Ihnen die letzten zwei Minuten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan
05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
18/3282? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 05, Auswärtiges
Amt, in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke
und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
Drucksachen 18/2813, 18/2823
Berichterstattung haben die Abgeordneten
Bartholomäus Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael
Leutert und Dr. Tobias Lindner.
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht, über
den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort erhält der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin! Das Bundesministerium
der Verteidigung ist eine riesengroße Baustelle. Auf dieser Baustelle herrscht auch noch Chaos. Diese Baustelle
verschlingt jedes Jahr über 30 Milliarden Euro an Steuermitteln. Damit allen klar ist, über wie viel Geld wir
hier sprechen: Für Forschung und Bildung gibt der Bund
nur die Hälfte aus.
Ich weiß auch, dass Sie für das Chaos nicht allein die
Verantwortung tragen. Dieses Ministerium hat schon
viele Minister vor Ihnen verschlungen. Der Apparat, den
Sie übernommen haben, ist, gelinde gesagt, heimtückisch. Aber jetzt tragen Sie die Verantwortung dafür.
Ich möchte die Zustände an zwei Beispielen verdeutlichen:
Die Bundeswehr schafft gerade den Transporthubschrauber NH90 an. Wie bei allen anderen Großprojekten auch, gilt hier: Er wurde zu spät geliefert. Die Kosten
laufen aus dem Ruder. Es wird technisch nicht das erfüllt, was eigentlich versprochen wurde.
({0})
Nun kommt aber noch eine andere Sache dazu, nämlich dass das, was geliefert wurde, nicht funktioniert. Es
ist so schlimm, dass mittlerweile das Leben der Soldatinnen und Soldaten und auch das von Zivilisten gefährdet
werden kann. Im Juni ist ein solcher Hubschrauber im
Afghanistan-Einsatz fast abgestürzt. Ein Triebwerk
explodierte. Dadurch wurde der Rotor beschädigt, und
herabstürzende Teile setzten Felder in Brand. Erst diesen
Monat wurde aus diesem Grund ein Flugverbot für alle
NH90 verhängt - für ganze zwei Tage. Dann kam man
zu dem Schluss, es wäre ein Einzelfall, und gab wieder
die Starterlaubnis.
Sie wissen aber, dass es kein Einzelfall ist. Sie wissen
spätestens seit dem Bericht der Unternehmensberatung
KPMG, der von Ihnen beauftragt wurde und der im September vorgelegt wurde, dass das Problem immer noch
nicht gelöst ist. Noch schlimmer: Seit Januar ist bekannt,
dass bei den Turbinen keine ordnungsgemäße Abnahme
stattfand. Es fehlt einfach ein Prüfstempel.
Auch nächstes Jahr sollen über 270 Millionen Euro
für den Kauf dieses Waffensystems ausgegeben werden.
Unter diesen Bedingungen muss aber eigentlich jeder
vernünftige Haushälter sagen: Halt! Stopp! Für dieses
Gerät kann man kein Geld ausgeben. Die Gelder müssen
gesperrt werden.
({1})
Hand aufs Herz: Ich würde gern einmal denjenigen
kennenlernen, der ein Auto kauft, das ein Jahr zu spät
geliefert wird, 5 000 Euro mehr kostet, nur auf 80 km/h
beschleunigen kann, und wenn man zwei Koffer hinten
reinlegt, springt es wegen Überladung nicht mehr an.
({2})
Ein Blick auf das nächste Großprojekt zeigt, dass dies
kein Einzelfall ist. Der Eurofighter braucht sich da nicht zu
verstecken. Ein Eurofighter kostet ungefähr 130 Millionen
Euro. Ursprünglich sollte dieses Flugzeug 6 000 Flugstunden absolvieren können. Ausgeliefert wurden die Maschinen dann mit einer Gewährleistung für 3 000 Flugstunden,
also die Hälfte, aber nicht für den halben Preis. Ende September dieses Jahres teilte der Hersteller mit, dass aufgrund von Herstellungsfehlern bei einer großen Anzahl
von Bohrungen die Lebensdauer nur noch 1 500 Stunden
beträgt.
({3})
Nun weiß auch ich, dass deshalb bis auf Weiteres keine
Eurofighter mehr wie geplant abgenommen werden. Allerdings: Auch nächstes Jahr stehen im Haushalt über
500 Millionen Euro für den Kauf zur Verfügung. Noch
absurder - in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses beschlossen -: Es wird für die schon gekauften Maschinen für mehrere 100 Millionen Euro ein neues Radar
entwickelt, das 2021 verfügbar sein soll. Wer die Grundrechenarten beherrscht, kann zusammenzählen, dass
dann die Lebensdauer von 1 500 Flugstunden aufgebraucht sein wird. Wir haben dann also ein hochmodernes Radar, aber leider keine Flugzeuge mehr dafür.
({4})
Auch hier kann jeder vernünftig denkende Haushälter
nur sagen: Stopp! Kein Geld für Schrott! Wir müssen
diese Gelder sperren.
({5})
Nun brauchen Sie ja auch Nachwuchs. Der kommt
nicht freiwillig. Deshalb gibt es die sogenannte Attraktivitätsoffensive. Auch unabhängig davon wird kräftig geworben, unter anderem bei Minderjährigen.
({6})
Sie begründen das, Frau Ministerin, damit, dass die Bundeswehr ein ganz normaler Arbeitgeber wie jeder andere
sei. Das ist sie aber eben nicht.
({7})
Denn es ist ein Unterschied, ob ich bei VW Autos zusammenschraube oder ob ich bei der Bundeswehr bin
und an einem Einsatz teilnehme, bei dem ich im
schlimmsten Fall ums Leben komme oder andere töte;
das ist der Unterschied zwischen dem Soldatenberuf und
jedem anderen, normalen Beruf. Dass die Bundeswehr
trotzdem bei Schülerinnen und Schülern wirbt, finde ich
unverantwortlich.
({8})
Da bieten Kasernen ein sogenanntes Schülerpraktikum im Grünen an. Unter der Überschrift „Ab ins
Grüne“ - da denkt man eher an einen Familienausflug
am Wochenende - ist auf der Website ein Schützenpanzer zu sehen. Darunter steht:
Begeisterung pur: Die Fahrt im Schützenpanzer
Marder war für die Jugendlichen ein besonderes Erlebnis.
Weiter steht dort:
Hier konnten die Praktikanten hautnah erfahren,
dass sich eine Fahrt im Panzer sehr deutlich von der
in einem Auto unterscheidet.
Na, herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis!
({9})
Leider haben die Schülerinnen und Schüler nicht erfahren, dass sich der Dienst bei der Bundeswehr auch deutlich von dem Dienst in einem anderen Betrieb unterscheidet.
({10})
Damit die Schülerinnen und Schüler aber überhaupt
erst einmal Lust haben, so ein Praktikum zu machen,
denkt man sich allerlei Sachen aus.
({11})
In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel werden Schulbusfahrkarten mit dem Logo der Bundeswehr bedruckt.
Oder man wirbt in der Bravo mit „Bundeswehr Adventure
Camp Beach - Spaß und Infos aus erster Hand“.
({12})
Ja, ich frage Sie: Welcher 16-jährige Jugendliche möchte
nicht am Strand Spaß und Abenteuer erleben? Das ist
doch wohl logisch. Frau Ministerin, so geht es meines
Erachtens nicht. Den Jugendlichen werden Dinge vorgegaukelt, die nichts mit der Realität zu tun haben.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt des
BMVg ist ein Fass ohne Boden. Es wird Technik gekauft, die zu spät kommt, die zu teuer ist, die nicht das
kann, was vereinbart wurde, und die dann noch nicht
einmal funktioniert. Es wird Geld ausgegeben, um junge
Leute zu werben, indem man ihnen einen falschen Eindruck vom Arbeitgeber vermittelt.
({14})
Das ist kein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern. Von Transparenz bei Großprojekten kann ebenfalls keine Rede sein. Aus diesem Grunde ist es geboten,
diesen Haushalt abzulehnen. Wir Linken werden dagegen stimmen.
({15})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es würde mich zwar reizen, jetzt auf den Kollegen
Leutert einzugehen,
({0})
aber das würde meine ganze Redezeit verbrauchen.
Neueren Umfragen zufolge ist eine deutliche Mehrheit zwischenzeitlich der Auffassung, dass mehr Anstrengungen, ja sogar mehr Ausgaben für den Verteidigungsbereich notwendig seien. Nun, wir haben den
Haushalt sehr intensiv beraten und keine reale Erhöhung
der Verteidigungsausgaben vorgenommen. Wir sind der
Überzeugung, dass die für 2015 genehmigten Mittel ausreichend sind. Trotzdem: Die Umfragen zeigen, die
Menschen im Lande legen großen Wert darauf, dass wir
verteidigungsfähig sind, unsere Aufgaben erfüllen und
unserer Verantwortung gerecht werden können.
({1})
Die Menschen nehmen ganz offensichtlich wahr, dass
sich die regionale und globale Sicherheitslage verändert
hat. Sie erkennen die Konfliktsituationen, sehen die Krisenherde - von der Ukraine bis zum sogenannten arabischen Krisenbogen - und entwickeln daraus ein entsprechendes Sicherheitsbedürfnis. Es tritt wieder mehr ins
Bewusstsein, dass zur Sicherung von Frieden, Freiheit
und Wohlstand große und stetige Anstrengungen erforderlich sind und dass es einer erhöhten Wachsamkeit bedarf. Der alte NATO-Slogan „Wachsamkeit ist der Preis
der Freiheit“ hat neue Aktualität erlangt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mich hat
das Interview des neugewählten EKD-Ratsvorsitzenden
Bedford-Strohm in der Zeit vom 13. November 2014
sehr beeindruckt. Er setzt sich darin auch mit dem Einsatz militärischer Mittel auseinander - vor allem auch
vor dem Hintergrund seiner persönlichen Lebenserfahrung. Er fordert, wie ich meine, zu Recht, den Vorrang
und die Ausschöpfung aller zivilen Mittel und Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung und Konfliktlösung ein.
Aber er sagt auch - ich zitiere -:
Aber es gibt Situationen, wo diese keinen Völkermord verhindern. Deshalb kann zum friedensethischen Handeln auch das Militär gehören. Wir haben
die Pflicht, Verfolgte zu schützen.
In diesem Zusammenhang berichtet er auch von seiner
Reise in den Irak:
Ich habe die Flüchtlingslager gesehen, die Verzweifelten gehört. Danach habe ich mich in der EKD für
militärische Hilfe gegen die IS eingesetzt.
Das ist eine Gedankenführung und Erarbeitung einer Gewissensentscheidung, die mich persönlich sehr beeindruckt.
Ich denke, auch für uns - für die deutsche Politik und
für uns hier im Bundestag - gilt: Wir sehen militärische
Mittel nicht als vorrangige und schon gar nicht als einzige Mittel der Konfliktbewältigung an. Deshalb haben
wir im Auswärtigen Etat - darüber haben wir vorhin ja
diskutiert - und im Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch die
Mittel für humanitäre Hilfe deutlich erhöht.
Es darf auch an dieser Stelle gesagt werden: Die Bundesregierung - insbesondere die Frau Bundeskanzlerin
und unser Bundesaußenminister - nutzt alle Möglichkeiten der Diplomatie, des Gespräches und der Verhandlungen mit außerordentlichem Geschick und großartigem
Einsatz, und das möchten wir auch gerne anerkennen.
({2})
Wenn es um Einsätze der Bundeswehr geht, machen
wir uns die Entscheidungen hier im Deutschen Bundestag nicht leicht. Die Angehörigen der Bundeswehr müssen wissen, dass sie für ihren Einsatz, wo er erforderlich
ist, und für ihren Dienst die Rückendeckung des Parlamentes haben. Wir danken den Angehörigen der Bundeswehr für ihren Dienst an vielen Brennpunkten in dieser Welt. Nicht zu vergessen sind die Freiwilligen, die
jetzt aktuell bei der Bewältigung der Ebolaseuche helfen. Hierfür großen Respekt und großen Dank!
({3})
Wir haben bei der Haushaltsgestaltung noch immer
mit den Problemen zu kämpfen, die sich aus den Verzögerungen beim Zulauf großer Beschaffungsvorhaben ergeben. Das bleibt nicht ohne Folgen im Hinblick auf unsere Fähigkeiten und auch im Hinblick auf die künftigen
Anforderungen an die Haushalte. Wir haben in der Bereinigungssitzung eine Vielzahl von Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht, um in den kommenden Jahren situations- und bedarfsgerechte Beschaffungen
vornehmen zu können.
Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen,
welche Technologien und welche Fähigkeiten wir im
Lande behalten müssen und wollen. Dabei geht es zweifellos um die von der Bundesverteidigungsministerin definierten sogenannten Schlüsseltechnologien, über die
wir verfügen müssen, um nicht in unzumutbare Abhängigkeiten zu geraten. Darüber hinaus verfügt Deutschland aber auch über Kernfähigkeiten - so will ich sie
einmal bezeichnen - in den Bereichen Starrflügler,
Drehflügler - so bezeichnet man sie heute -, Kampffahrzeuge und U-Boote, die wir uns so weit wie irgend möglich erhalten sollten. Es geht dabei um wichtige Fähigkeiten, aber auch um die Beschäftigten in der
wehrtechnischen Industrie und um die Zukunftsfähigkeit
der deutschen wehrtechnischen Industrie.
Ich weiß, es geht hier nicht nur um die Fragen, welchen Bedarf wir haben und wie groß unsere finanziellen
Möglichkeiten sind, sondern auch um die Fragen, welche Märkte und Absatzchancen bei uns in der EU und
bei unseren Bündnispartnern gegeben sind und welche
Märkte wir darüber hinaus noch bedienen dürfen. Es
geht hier also natürlich auch um ein sorgsames Verhalten
in der Exportpolitik.
Ich komme zu einem anderen Thema: Die Bundesregierung hat das Attraktivitätsgesetz im Kabinett bereits
beschlossen. Wir haben im Haushalt Vorsorge dafür getroffen, dass dieses Gesetz im Jahre 2015, wenn die Beratungen darüber hier im Bundestag abgeschlossen sind,
dann auch zügig umgesetzt werden kann.
Es muss dem Umstand Rechnung getragen werden,
dass nach Aussetzen der Wehrpflicht die Bundeswehr als
Arbeitgeber immer mehr im Wettbewerb mit anderen
steht. Dabei wird es immer so sein, dass der Dienst in
der Bundeswehr, lieber Kollege Leutert, mit besonderen
Anforderungen und Herausforderungen verbunden ist.
Das wollen wir auch nicht anders darstellen.
Aber wir müssen als Arbeitgeber interessant sein, und
wir müssen uns um guten, qualifizierten Nachwuchs bemühen. Auch die Bundeswehr braucht gute Leute, und
sie hat gute Leute. Wir wollen dafür sorgen, dass auch in
der Zukunft in der Bundeswehr gute, verlässliche und
tüchtige Menschen zum Wohle unseres Landes ihren
Dienst tun. Wie heißt der Slogan der Bundeswehr? Wir.
Dienen. Deutschland. - Wir wollen dafür sorgen, dass
dies auch in Zukunft in vollem Umfang möglich ist.
({4})
Zum Abschluss, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist es mir ein besonderes Anliegen, den Mitberichterstattern sehr herzlich zu danken: der lieben Kollegin
Karin Evers-Meyer, aber auch dem Kollegen Michael
Leutert und dem Kollegen Dr. Thomas - nein -, Tobias
Lindner. Ich weiß gar nicht, warum ich immer „Thomas“
sagen will.
({5})
- Mein Sohn heißt eben Thomas.
({6})
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, ganz herzlich für
die außerordentlich gute Zusammenarbeit und Ihren
Staatssekretären, die uns immer zur Verfügung stehen,
lieber Kollege Brauksiepe. Ich danke auch allen Mitstreitern bei Ihnen im Haus, bei uns in den Arbeitsgruppen, im Ausschuss und in den Büros. Aus gegebenem
Anlass will ich heute einen besonderen Dank ausbringen
an den langjährigen Abteilungsleiter Haushalt, Dr. Paul
Jansen, für seine Arbeit und für seine außerordentlich
gute Zuarbeit und Betreuung unserer Aufgaben.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Tobias
Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat vielleicht, wenn man Haushaltsdebatten über Wochen verfolgt, gelegentlich den Eindruck, es habe sich zwischen
der ersten und der zweiten und dritten Lesung eines
Haushalts wenig getan. Ich glaube, dieser Eindruck ist
bei keinem Haushalt so unzutreffend wie beim diesjährigen Verteidigungshaushalt.
Diese Debatte ist aus zwei Gründen berechtigt: zum
einen, weil Sie, Frau Ministerin, über die Vorlage zur
Bereinigungssitzung innerhalb Ihres Haushaltes massive
Umschichtungen - der Kollege Kalb ist gerade auf die
Verpflichtungsermächtigungen eingegangen - vorgenommen haben, die nicht nur dieses Jahr betreffen, zum
anderen, weil es gerade in den Wochen nach der ersten
Lesung hier im Plenum eine ganze Menge an Berichterstattungen gab.
Nachdem Sie jetzt ein knappes Jahr im Amt sind, will
ich kurz auflisten, was Sie bisher alles angekündigt haben: Sie wollen mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, Rüstungsprojekte, die oftmals viel zu teuer sind
und bei denen die Rüstungsgüter zu spät geliefert werden, endlich unter Kontrolle bringen, die Bundeswehr zu
einem attraktiven Arbeitgeber machen, ein neues Weißbuch schreiben und schließlich auch neue Großprojekte
anstoßen.
Schauen wir einmal, was Sie nach einem Jahr der Ankündigungen erreicht haben. Dazu fällt mir ein: Im Dezember letzten Jahres haben Sie zuerst Staatssekretär
Wolf in den Ruhestand versetzt. Die Entlassung von
Herrn Beemelmans folgte im Februar, genauso wie die
des Abteilungsleiters Selhausen, und Haushaltsdirektor
Paul Jansen soll - das wurde vor wenigen Tagen beschlossen - in den Ruhestand versetzt werden.
Bei den Rüstungsprojekten sieht es folgendermaßen
aus: Sie haben viel angekündigt. Im Februar haben Sie
die Entlassung angeordnet und ein Gutachten in Auftrag
gegeben, das im Oktober vorgelegt wurde; darauf werde
ich noch zurückkommen. Vor wenigen Tagen fand, wie
ich lesen konnte, eine Kick-off-Veranstaltung eines
neuen Teams statt, das sich mit Rüstungsmanagement
befassen soll. Viel ist also nicht geschehen.
Viel geschehen ist beim Puma, bei dem es im Rahmen
des Beschaffungsprogramms zu Verzögerungen kam,
beim A400M, der zwar geliefert wird, aber mit weniger
Leistungen und bisher ohne Wartungsvertrag, beim Eurofighter, bei dem es Produktionsmängel gab, und
schließlich beim G36, bei dem ein Beschaffungsstopp
verhängt wurde.
Alles in allem muss man sagen: Ihre Bilanz nach einem Jahr, Frau von der Leyen, sieht ziemlich mau aus.
Es reicht eben nicht, einfach nur Berichte zu schreiben.
Sie müssen auch einmal Entscheidungen treffen, auch
wenn diese unbequem sein mögen.
({0})
Es wird viel darüber geredet, ob die Bundeswehr zu
viel oder zu wenig Geld hat. Sie haben heute bereits
5 Milliarden Euro mehr an Haushaltsmitteln zur Verfügung, als Sie es eigentlich nach der Planung Ihres Unionskollegen Karl-Theodor zu Guttenberg haben dürften.
Zusätzlich haben Sie den Etat für die kommenden
Jahre noch mit Verpflichtungsermächtigungen im Milliardenbereich vollgestopft. Sie haben uns dann einen
Haushaltsplan vorgelegt, der beispielsweise null Rücksicht auf die Probleme im Materialerhalt nimmt. Er
nimmt auch null Rücksicht darauf, dass Sie im letzten
Jahr gut mit Ihrem Geld ausgekommen sind und 1,6 Milliarden Euro zurückgegeben haben. Nein, Frau von der
Leyen, dieser Haushaltsplan 2015 ist eigentlich das Ge6566
genteil eines Plans: Er ist in Zahlen gegossene Planlosigkeit.
({1})
- Ich kann den Kollegen der Union nur raten, vorsichtig
zu sein, wenn wir über Rüstungsprojekte reden. Dabei
wird nämlich manches besonderes deutlich. Beschaffungsprojekte haben immer eine große mediale Aufmerksamkeit. 4,3 Milliarden Euro allein im Jahr 2015:
Das ist eine ganze Menge Geld. Es ist mehr, als andere
Minister insgesamt zur Verfügung haben. Ich glaube,
Herr Steinmeier wäre froh, wenn er 4,3 Milliarden Euro
hätte.
({2})
Wenn es immer mehr Wünsche als Geld gibt, erfordert
das erst recht, dass man vernünftig mit dem Geld umgeht
und Prioritäten setzt.
Obwohl es in den letzten Monaten immer wieder
hieß, es gebe keine Spielräume im Verteidigungsetat, haben Sie sich plötzlich in der Nacht der Bereinigungssitzung noch über 1 Milliarde Euro mehr - ich weiß nicht,
wo Sie das Geld gefunden haben - für zwei Projekte, auf
die ich noch zu sprechen komme, gegönnt. Abgesehen
davon, dass diese Projekte höchst umstritten sind, frage
ich Sie: Wie kommt es, dass Sie plötzlich 1 Milliarde
Euro mehr bekommen, wenn sonst kein Geld da ist?
Zum einen geht es um den GTK Boxer. Bei Ihrem
Amtsantritt haben Sie noch gesagt, Sie wollen damit
Schluss machen, dass immer wieder aus dem politischen
Raum - das war auch ein bisschen Bashing gegenüber
dem Parlament - motivierte Rüstungsprojekte kommen,
industriepolitisch getarnt, die dann später kommen und
teurer werden als geplant und vielleicht sogar auch gar
nicht benötigt werden.
Ihr eigener Staatssekretär, Herr Grübel, schreibt uns
noch am 14. August - ich zitiere wörtlich -:
Eine zusätzliche Beschaffung [des] GTK Boxer
würde grundsätzlich eine Korrektur der Leitlinien
zur Neuausrichtung der Bundeswehr und den darin
verankerten Obergrenzen für strukturrelevante
Hauptwaffensysteme bedingen.
Weiter heißt es:
Weder die Beschaffung von zusätzlichen GTK Boxern noch eine Erhöhung der Aufwendungen für
den Betrieb sind in der derzeitigen Finanzplanung
abbildbar.
({3})
Seit August haben sich die Dokumente, die die Obergrenzen der strukturrelevanten Hauptwaffensysteme bedingen, nicht geändert. Denn dann hätte es einen Kabinettsbeschluss geben müssen. Es gab keine Änderungen.
Die Koalition hat dennoch im Verteidigungsausschuss
am 14. Oktober nicht nur gefordert, neue Kampfpanzer
und einen Leopard 3 zu entwickeln - sie hatte aus meiner Sicht ziemlich absurde Vorstellungen -, nein, Sie
wollten dann auch weitere GTK Boxer und haben das
mit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage auf
diesem Planeten begründet.
({4})
Jetzt könnten Sie sich damit herausreden, Frau von
der Leyen, dass die Koalition Ihnen das in der Bereinigungssitzung aufgedrückt hat, wie letztes Jahr die globale Minderausgabe. Was aber macht das Verteidigungsministerium? Sie machen sich auf einmal mit dieser
Haltung gemein. Sie übernehmen diese Haltung. Sie haben zwar von einer geänderten Sicherheitslage bezogen
auf den europäischen Rahmen gesprochen, wollten uns
aber dann am 6. November bitten, weil jetzt vor allem
Landstreitkräfte erforderlich seien, 131 GTK Boxer
mehr zu beschaffen, als es die Struktur der Neuausrichtung der Bundeswehr vorsieht.
Das ist das exakte Gegenteil dessen, Frau von der
Leyen, mit dem Sie im Dezember 2013 Ihr Amt angetreten haben, was den Rüstungsbereich betrifft. Das ist verantwortungslos gegenüber all denen, die auf die knappen
Mittel angewiesen sind.
({5})
- Ich würde jetzt nicht solche Witze reißen, wenn die
Soldatinnen und Soldaten - dazu wollte ich gerade kommen - sich um Materialerhalt Sorgen machen, wie wir
leider in den letzten Wochen und Monaten haben vernehmen müssen. Sie haben für den Bereich Materialerhalt in diesem Haushalt praktisch nichts gemacht.
Sie geben Geld für neue Projekte aus. Aber beim Materialerhalt haben Sie sich über Jahre hinweg auf die Strategie „Breite vor Tiefe“ eingeschossen, ohne diese richtig
und vollständig zu reflektieren. Das, was Sie unter
„Breite vor Tiefe“ verstehen, bedeutet, dass wir von allem etwas haben, aber nicht viel. Kein Wunder, dass
dann Wartungs- und Instandhaltungskosten nach oben
gehen, dass darunter die Soldatinnen und Soldaten leiden und dass Auslandseinsätze wie der in der Türkei teilweise auf dem Rücken der Betroffenen durchgeführt
werden.
Ich gebe dem Kollegen Bartholomäus Kalb an einer
Stelle voll und ganz recht: Wir verlangen Menschen, die
sich entscheiden, bei der Bundeswehr Dienst zu tun, viel
ab. Wir verlangen ihnen unter anderem ab, dass sie in einen Auslandseinsatz gehen müssen, wenn wir dies in
diesem Hohen Hause beschließen. Wir geben diesen
Menschen dafür die Zusage: Wenn ihr vier Monate im
Ausland gedient habt, dann habt ihr 20 Monate KarenzDr. Tobias Lindner
zeit in Deutschland und könnt euren Dienst im Heimatland tun. Bei den Patriot-Staffeln, die in der Türkei im
Einsatz sind, ist mir gesagt worden, dass bei über einem
Drittel der Soldatinnen und Soldaten diese Zusage nicht
eingehalten werden kann, weil die Durchhaltefähigkeit
nicht gegeben ist. Das ist verantwortungslos gegenüber
den Betroffenen. Das zeigt, dass das Konzept „Breite vor
Tiefe“ überhaupt nicht zu Ende gedacht ist und dass Sie
hier, Frau von der Leyen, im Sinne der Betroffenen endlich umsteuern müssen.
({6})
Das führt mich direkt zum Thema Attraktivität. Ich
habe gedacht, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall im
Verteidigungsministerium eine Neuerfindung des Mottos
„Schwerter zu Pflugscharen“ gibt. Ich würde das „Fregatten zu Flachbildschirmen“ nennen. Es war lange Ihr
persönliches Geheimnis, wie Sie die Attraktivitätsagenda mit einem Volumen von 126 Millionen Euro im
kommenden Jahr finanzieren wollen. Bis eine Woche
vor der Bereinigungssitzung haben Sie gesagt, dass Sie
das durch Umschichtung erreichen wollen. Dann wird
klar - dem Kollegen Gädechens wird das in der Seele
wehtun -, dass Geld frei wird, weil eine Fregatte später
kommt. Jetzt könnten wir als Grünenfraktion große
Sympathie empfinden, Frau von der Leyen, wenn das
eine politische Strategie wäre und das Verteidigungsministerium weniger Geld für Rüstung ausgeben würde,
um mehr Geld in Köpfe und vernünftige Arbeitsbedingungen investieren zu können. Das würden wir sicherlich unterstützen. Aber Sie spielen haushaltspolitisches
Roulette auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten,
die darauf vertrauen, dass die Maßnahmen zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Dienst kommen. An dieser Stelle werden Sie Ihrer Verantwortung als oberste
Dienstherrin nicht gerecht.
({7})
Attraktivität ist deutlich umfassender - ich denke,
dass mir da niemand widersprechen wird - als das, was
in der Attraktivitätsagenda steht. Attraktivität erfordert
funktionierendes Material, auf das sich die Soldatinnen
und Soldaten verlassen können, aber auch Unterkunftsgebäude, die angemessen ausgestattet sind. Ich will mich
nicht darüber lustig machen, aber es ist klar, dass es hier
nicht um Minikühlschränke und Flachbildschirme geht,
sondern um ganz einfache Dinge wie funktionierende
Sanitärräume und ordentlich ausgestattete Stuben, bei
denen es nicht durch das Dach regnet. Ihr Staatssekretär
Gerd Hoofe sprach im Verteidigungsausschuss davon,
dass 40 Prozent der Unterkunftsgebäude in einem dramatischen Zustand seien. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sieht einen Sanierungsaufwand in Höhe
von mindestens 4,3 Milliarden Euro. Was machen Sie?
Sie kürzen die Verpflichtungsermächtigung, also die
Mittel für Infrastruktur- und Baumaßnahmen für 2016
und die Folgejahre. Das steht im Widerspruch zur Analyse Ihres eigenen Ministeriums. Auch das ist unverantwortlich gegenüber den Menschen, die in den Unterkunftsgebäuden leben sollen.
({8})
Ich muss feststellen: Nach einem Jahr, Frau Ministerin, will ich Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie an Ihren eigenen Ansprüchen gescheitert wären. Scheitern kann
man nur, wenn man sich auf den Weg macht und versucht, gegen Widerstände anzukämpfen. An vielen Stellen - seien es politisch motivierte Rüstungsprojekte, sei
es das Thema Unterkunft oder sei es die Lösung von
Managementproblemen - haben Sie sich nun in die Phalanx von Herrn Jung, Herrn zu Guttenberg und Herrn de
Maizière eingereiht. Ich kann nicht erkennen, dass hier
irgendetwas anders werden soll.
({9})
Das zeigt sich auch in Ihrem Haushalt. Ihrer Verantwortung gegenüber denjenigen, die Ihnen anvertraut sind,
gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, sowie gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in diesem Land werden Sie nicht gerecht. Mit
dem Haushalt 2015 begeben Sie sich leider auf ein haushaltspolitisches Himmelfahrtskommando. Da lassen wir
Sie alleine reisen.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Karin
Evers-Meyer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon gesagt worden, aber da Haushälter nicht
allzu oft Gelegenheit haben, von hier aus gute Nachrichten zu verbreiten, wiederhole ich bewusst: Es ist wirklich gut, dass wir gemeinsam die rot-schwarze Null hinbekommen haben. Ich glaube daran, dass das keine
Eintagsfliege bleiben muss. Ich danke meinen Mitberichterstattern und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Ministerin und ihren Staatssekretären und ganz
besonders Herrn Dr. Jansen für die gute und kollegiale
Zusammenarbeit. Ich freue mich auf die Fortsetzung im
nächsten Jahr.
Wir werden auch 2015 hart in der Sache, aber diszipliniert zusammenarbeiten. Sollte uns die Konjunktur
keinen allzu fetten Strich durch die Rechnung machen,
dann können wir auch im nächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen. Künftige Generationen
werden uns das sicher danken. So viel zur Metaebene.
Jetzt gehe ich in die Niederungen des Einzelplans.
Natürlich ist jeder Einzelplan etwas Besonderes. Erlauben Sie mir die Bemerkung: Der Einzelplan 14 ist sogar
etwas ganz Besonderes. Kein Etat wurde in den zurückliegenden Wochen so öffentlich diskutiert wie der Verteidigungsetat. Zu Recht. In der Vergangenheit haben
wir viel zu wenig darüber diskutiert. Ich fange hier aber
nicht noch einmal damit an, die Horrorgeschichten aus
dem Beschaffungsbereich des BMVg zu wiederholen.
Darüber wurde zur Genüge berichtet.
Heute ist der Zeitpunkt, nach vorne zu schauen. In
dieser Krise liegt eine Chance, nämlich die Chance, es in
der Zukunft besser zu machen. Natürlich darf es künftig
nicht mehr so sein, dass altersschwache Hubschrauber
am Boden bleiben müssen, während Hunderte Millionen
Euro an den Finanzminister zurücküberwiesen werden.
Da ist es völlig egal, ob es in diesem Jahr schon wieder
300 Millionen oder 700 Millionen Euro sind, die ungenutzt liegen bleiben. Schon wenn 1 Euro nicht investiert
wird, ist das den Soldaten in ihren zum Teil maroden Kasernenunterkünften nicht zu vermitteln.
({0})
Was muss also in Zukunft besser werden? Zunächst
einmal, Frau Ministerin: Sie haben für einen wesentlichen Bereich Ihres Etats den richtigen Weg eingeschlagen. Das Thema Beschaffung lag in den letzten drei
Jahren völlig am Boden. Nichts wurde entschieden, jedenfalls nichts, was in die Zukunft gerichtet war. Bis vor
gut einem Jahr saß ich selbst noch im Verteidigungsausschuss, und uns war völlig klar, dass das so nicht weitergehen kann. Jeder Autofahrer weiß: Wenn ich drei Jahre
lang nicht in Öl investiere, dann ende ich spätestens im
vierten Jahr auf dem Standstreifen und muss abgeschleppt werden.
Mit dem Gutachten von KPMG und anderen zu den
Beschaffungsprojekten des BMVg liegt jetzt wenigstens
einmal eine präzise Handlungsgrundlage mit deutlicher
Aussprache und ebenso deutlichen Arbeitsaufträgen vor.
Mit Ihrer neuen Staatssekretärin, Frau Ministerin, haben
Sie jemanden gefunden - das ist jedenfalls mein Eindruck -, die, um im Jargon zu bleiben, weiß, wie man
mit so einer Präzisionswaffe umgeht. Es ist also Bewegung hereingekommen.
Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Arbeit gerade erst begonnen hat. Abgerechnet wird auch
hier erst zum Schluss. Trotzdem gibt es von mir bewusst
Vorschusslorbeeren als Zeichen des Vertrauens und als
Signal, dass die Haushälter der Koalition sich hier nicht
auf eine Zuschauerrolle zurückziehen. Frau Ministerin,
bitte verstehen Sie in diesem Sinne auch die mehr als
4 Milliarden Euro, die wir Ihrem Etat als Verpflichtungsermächtigungen zugestanden haben. Das ist eine bemerkenswerte Summe und haushalterisch ziemlich einmalig,
auch wenn natürlich klar ist, dass das alles im Einzelnen
noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Haushaltsausschusses steht. Wir wollen Sie darin unterstützen, an dem gesteckten Ziel der Konsolidierung des Beschaffungsbereichs festzuhalten.
Mich beschleicht allerdings schon wieder das Gefühl,
dass manche die kritischen Passagen aus dem Gutachten
herauspicken, die ihnen gerade in den Kram passen; aber
da, wo es gerade nicht passt, wird versucht, die Empfehlungen aus dem Gutachten politisch wegzudiskutieren.
Jedem sollte jetzt klar sein: Das geht nicht. Deswegen
bitte ich das BMVg eindringlich darum, hier Kurs zu
halten, und zwar auch dann, wenn der politische Druck
in die eine oder andere Richtung noch weiter wächst.
Die Frage der politischen Einflussnahme bei Beschaffungsvorhaben ist neben dem partiellen Versagen von Industrie und Verwaltung auch ein wesentlicher Kritikpunkt, der an vielen Stellen im Gutachten zutage tritt.
({1})
Ich zitiere einmal sinngemäß: Durch die Einflussnahme
der Politik auf die Analyse von Rüstungsprojekten
kommt es oftmals zu unrealistischen Zeit- und Kostenplanungen. Dabei kann die oftmals impulsartige Einflussnahme wegen mangelnder planerischer oder prozessualer Grundlagen oftmals nicht strukturiert abgefangen
werden. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir uns so auch ins Tagebuch schreiben.
({2})
Auch die Politik muss ihren Beitrag leisten. Wir müssen
sachgerechten Entscheidungen zum Durchbruch verhelfen, frei von Partikularinteressen.
Das Stichwort „Partikularinteressen“ bringt mich
schließlich zu meinem nächsten Punkt, der Frage der
Europäisierung bzw. Internationalisierung. Die Bundesregierung hat einen Weißbuchprozess angekündigt, den
ich sehr begrüße und von dem ich mir ganz besonders erhoffe, dass er belastbare Pflöcke einschlägt, sowohl bei
den Themen „Joint Forces“ und „Pooling and Sharing“,
vor allem aber auch beim Thema „Standardisierung und
gemeinsame Beschaffung“. Es muss mehr auf den Tisch
als ein bloßes Bekenntnis zur internationalen bzw. europäischen Perspektive.
Selbst wenn es in den kommenden Jahren zu einem
Anstieg des Verteidigungsetats kommen sollte, wird das
die Notwendigkeit einer effizienten Internationalisierung
nicht abschwächen. Wenn überhaupt, dann würde eine
Etaterhöhung das Leiden verlängern. Die Stückzahlen
werden nämlich weiter sinken. Die technischen Anforderungen werden weiter steigen. Damit steigt auch der
Preis. Die Kosten müssen wir uns im Bündnis teilen, anders wird es aus haushaltspolitischer Sicht nicht gehen.
Alles andere macht auch sicherheitspolitisch keinen
Sinn.
Allerdings - auch das gehört zur Wahrheit dazu - waren die bisherigen europäischen Rüstungsprojekte alles
andere als ein Schnäppchen. Es kann daher zukünftig
nicht mehr so sein, dass man sich mit seinen Partnerstaaten auf die Beschaffung eines Flugzeugtyps einigt und
im Nachhinein dann jedes Land über seine eigene Projektagentur noch so lange individuelle Goldrandwünsche
hinzufügt, bis am Ende quasi doch ganz verschiedene
Flugzeuge dabei herauskommen. Wenn man das so
macht, kann man sich das Ganze auch sparen. Künftig
muss gelten: Wenn man sich auf VW Golf verständigt,
dann wird auch ein VW Golf beschafft und nichts anderes. Nur so kann man wirklich sparen, ganz abgesehen
davon, dass Lieferzeiten sich verkürzen und die Truppe
noch schneller an neues Gerät kommt.
Sehr geehrte Damen und Herren, da steckt noch viel
Arbeit im Detail, wie man sieht, auf die ich nun nicht
mehr eingehen kann. Bei aller Manöverkritik will ich
aber noch zwei gute Nachrichten verbreiten. Die eine
Nachricht lautet: Es ist vieles gut. Ich weiß zwar nicht,
ob der A400M noch vor Silvester dieses Jahres abgenommen werden kann. Aber ich weiß, dass wir ein Spitzenflugzeug bekommen werden. Will sagen: Wenn Rüstungsprojekte zulaufen, dann steht auch Topqualität auf
dem Hof.
Die zweite gute Nachricht für die Soldatinnen und
Soldaten ist: Der Haushalt 2015 wird zumindest ein wenig Bewegung in den Personalkörper bringen. Im zivilen
Bereich sind 200 Planstellenanhebungen von Besoldungsgruppe A 7 auf A 8 vorgesehen. Das hilft, den Beförderungsstau bei der Beförderung zum Hauptsekretär
aufzulösen. Bei den Streitkräften werden zusätzliche
50 Planstellen der Besoldungsgruppe A 12 ausgebracht,
was auch hier helfen wird, etwas Bewegung in den Stau
zu bringen. Das waren die positiven Nachrichten zum
Schluss.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank. - Das Wort für die Bundesregierung hat
jetzt die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula
von der Leyen.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Lindner, wenn man Ihnen zugehört hat,
konnte man das Gefühl haben, dass wir - bis auf Active
Fence - hier auf einer Insel sind. Dem ist nicht so. Viele
der Dinge, die sich heute im Haushalt widerspiegeln,
sind der aktuellen Entwicklung geschuldet.
Ich bin in der vergangenen Woche beim Europäischen
Rat der Verteidigungsminister in Brüssel bei einer Aussprache zur Sicherheitslage Europas gewesen. Da konnte
man mit Händen greifen, wie sehr Europa inzwischen
beeinflusst ist von den Instabilitäten, die uns umgeben,
etwa der Politik des Kremls mit all den Konsequenzen,
die das für die Ukraine und für unsere Friedensarchitektur in Europa hat, dem Kampf gegen IS im Irak und in
Syrien und der Ebolaepidemie, die uns in einem nie gekannten Maße fordert, um nur drei Themen zu nennen.
Das sind Herausforderungen, von denen wir alle wissen,
dass sie zu bewältigen kurzfristig nicht möglich ist, sondern dass uns das eine geraume Zeit beschäftigen wird
und dass uns das enorm fordern wird.
Hinzu kommt, dass wir neue Aufgaben bekommen
haben. Die europäischen Staats- und Regierungschefs
haben im Dezember 2013 beschlossen, die europäischen
Verteidigungsfähigkeiten zu kräftigen. Wir sind dabei,
das bis zum nächsten Sommer umzusetzen. Auch die
NATO hat, der aktuellen Entwicklung geschuldet, auf
dem Gipfel in Wales Beschlüsse gefasst, wie die Allianz
ihr Fähigkeitenprofil anpassen kann, wie sie schneller
werden kann, wie sie flexibler werden kann. Auch hier
sind wir dabei, besonnen, aber entschlossen diese Dinge
anzugehen.
Ich will damit sagen: Diese Herausforderungen werden uns etwas kosten; das alles ist nicht zum Nulltarif zu
haben. Ich glaube, diese Botschaft ist inzwischen im
politischen Raum angekommen, und das spiegelt dieser
Haushalt auch wider.
({0})
Die Bundeswehr ist über Jahre durch den Einsatz in
Afghanistan geprägt gewesen; das war gut, und das war
richtig. Wir werden auch in der nächsten Woche über die
Folgemission des ISAF-Einsatzes hier diskutieren. Der
Einsatz in Afghanistan hat das Land Afghanistan sicherlich verändert: von einer Terrorherrschaft der Taliban hin
zu einem Land, das heute neue und andere Perspektiven
hat, auch wenn nicht alles gut ist.
Afghanistan hat aber auch die Bundeswehr sehr stark
geprägt. Die Bundeswehr ist inzwischen eine Armee im
Einsatz, eine Parlamentsarmee, die gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten einen hervorragenden und
vor allem einen international anerkannten Dienst leistet.
Das spiegelt sich auch in dem Spektrum der Einsätze wider, die wir inzwischen haben, Stichwort „Verantwortung, die wir übernehmen“. Allein in den vergangenen
elf Monaten gehörten dazu: Mali, Somalia, Zentralafrikanische Republik, die Unterstützung der Flüchtlinge im
Nordirak und die Unterstützung der kurdischen Armee
im Nordirak, der Peschmerga, der Einsatz gegen die
Ebolaepidemie. Zu diesem Einsatz kann ich nur sagen:
Es ist bewegend gewesen, mit wie viel Herz und Mut
sich nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch
unendlich viele Reservistinnen und Reservisten gemeldet haben, um diesen Einsatz zu leisten. Es spricht für
den Geist unseres Landes, dass sich die Menschen, wenn
Not am Mann und an der Frau ist, beherzt zur Hilfeleistung melden.
Was viel zu wenig beachtet worden ist: Die Bundeswehr hat in kürzester Zeit eine Luftbrücke aufgebaut,
dank derer täglich Hilfsgüter aus dem Senegal direkt in
das Ebolagebiet geflogen werden. Dafür haben wir in
breitem Maße zu danken.
({1})
Eine Fülle von notwendigen Aufgaben musste in diesem
Jahr erfüllt werden. Es sind Aufgaben, die auf absehbare
Zeit nicht weniger, sondern wahrscheinlich eher mehr
werden.
Meine Damen und Herren, als ich vor einem halben
Jahr an diesem Pult stand und wir den Haushalt 2014 beschlossen haben, ist über die globale Minderausgabe der
Verteidigungsetat um 400 Millionen Euro gekürzt worden, weil diese absehbar nicht verausgabt werden wür6570
den - völlig in Ordnung. Heute, sechs Monate später, sagen wir deutlich, dass wir eine weitere Kürzung nicht
verkraften können und dass wir um die Annahme des
Regierungsentwurfes ohne Kürzungen bitten. Dieses
Ziel haben wir erreicht. Mehr noch: Der Verteidigungshaushalt ist für 2015 höher, als im Regierungsentwurf
zunächst ausgewiesen. Das ist der Lage angemessen.
Dafür danke ich von Herzen. Das ist ein Erfolg.
({2})
Denn es geht in diesem Etat um nichts weniger als um
eine nachhaltige Modernisierung der Bundeswehr, und
zwar sowohl beim Personal als auch beim Material. Das
ist etwas, wofür wir einen langen Atem brauchen. Da
werden wir noch so manche Hürde überwinden müssen.
Da wird es noch so manches Problem geben, was Sie
von der Opposition dann zu Recht anprangern werden.
Aber wir müssen dort stetig vorangehen. Zur Bewältigung der Herausforderungen, vor denen wir stehen, bereiten wir mit dem Haushalt 2015 den Boden. Ab 2016
können wir neue und sichtbare Akzente setzen.
Beim Personal geht es um nicht weniger als um die
Aufstellung einer demografiefesten Armee. Wie wir mit
Soldatinnen und Soldaten aufgestellt sind, das entscheidet über die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr.
({3})
Es ist auch das Material, aber es sind die Soldatinnen
und Soldaten, die den Unterschied machen, wenn es darum geht, ob die Bundeswehr ihr Gesicht behält, so modern und international wie jetzt, oder ob sie es verliert.
Dafür lohnt es, sich einzusetzen.
({4})
Wir haben deswegen das Artikelgesetz eingebracht.
Herr Lindner, als Sie angefangen haben, über Kühlschränke und Flachbildschirme zu spotten, haben Sie
selbst gemerkt, dass der Spott vielleicht nicht angemessen ist. Deshalb lasse ich das hier beiseite.
({5})
- Es geht darum, dass wir die Maßnahmen nach diesem
Artikelgesetz in der Breite finanzieren, und da ist es legitim, dann, wenn Dinge ausfallen wie die Fregatte, in diesem Haushaltsjahr die Mittel zu allozieren für die Soldatinnen und Soldaten. Ich finde, das ist ein sehr wichtiges
Signal an die Truppe, das auch richtig verstanden wird.
Es ist übrigens auch ein wichtiges Signal an unsere Partner und Verbündeten, die die nachhaltige demografiefeste Aufstellung unserer Armee wahrnehmen.
Herr Leutert, niemals habe ich gesagt, dass wir ein
Arbeitgeber sind wie jeder andere.
({6})
Es ist so, dass wir gerade kein Arbeitgeber sind wie jeder
andere, weil unsere Soldatinnen und Soldaten mehr leisten müssen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sonst. Im Extremfall müssen sie bereit sein, ihr Leben zu
lassen. Aber ich sage immer: Ist das, nämlich dass sie im
Einsatz mehr leisten müssen als jeder andere, ein Grund,
sie hier zu Hause schlechter zu behandeln als viele andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Nein, im
Gegenteil! Wir müssen sie hier zu Hause besser behandeln als viele andere. Deshalb der Ansatz.
({7})
Thema Material. Auch da haben wir erhebliche Herausforderungen. Das Rüstungsgutachten hat die Dimension der Probleme bei den Rüstungsprojekten klargemacht. Ja, es ist keine schöne Bilanz: zu teuer, zu spät
und mit Mängeln. Auch hier geht es um die Modernisierung der Streitkräfte. Wir alle kennen den Teufelskreis,
unter dem wir gelitten haben, bis in dieses Jahr hinein,
und das ist auch noch lange nicht abgearbeitet.
„Zu teure Rüstungsprojekte“, das heißt: Sie verdrängen andere Fähigkeiten, die man sonst hätte realisieren
können. „Zu spät“ heißt: Sie fehlen der Truppe. Das haben wir in diesem Sommer sehr schmerzhaft spüren
müssen. „Zu spät“ heißt auch, altes, wenn auch bewährtes, aber eben betagtes Material länger nutzen zu müssen. „Länger nutzen“ heißt: mehr Wartung, mehr Instandsetzung. Dafür ist die Ersatzteilbeschaffung nicht
ausgelegt. - So kann man den Teufelskreis beschreiben,
den wir durchbrechen müssen.
Wir haben die Agenda Rüstung aufgestellt. Klarer
rüstungspolitischer Kurs! Vielen Dank, Barthl Kalb, für
die Analyse der Schlüsseltechnologien! Das auszuführen, kann ich mir dann hier sparen; aber das ist einer der
wichtigen Punkte.
Ein anderer Punkt: multinationale Rüstungskooperationen. Es geht voran mit Frankreich. Es geht voran mit
Spanien, mit England. Es gibt aber auch gemeinsame
Arbeit der Armeen: mit den Niederlanden, mit Polen.
Es geht um ein verbessertes Rüstungsmanagement.
Das ist eine Kärrneraufgabe, und die ist nicht in einem
Rutsch zu schaffen. Dabei geht es darum, die Prozesse
zu verbessern. Dabei geht es darum, das Risikomanagement zu verbessern sowie das Vertragsmanagement, das
Lieferantenmanagement, die Organisationsentwicklung
beim BAAINBw. Was man da auch gesehen hat, ist, dass
wir mitten in der Neuausrichtung sind. Das heißt, dass in
ganz vielen Behörden die Fachkräfte noch nicht an den
Stellen sind, an denen sie gebraucht werden. Das heißt,
dass Dinge, die dringend gemacht werden müssen, liegen bleiben. Es ist also eine Bundeswehr, die im Augenblick wirklich im Umbruch ist, eine Bundeswehr in der
Neuausrichtung, die notwendig war und richtig ist. Das
zeigt, dass wir in diesem Modernisierungsprozess noch
erhebliche Arbeit vor uns haben.
Wir müssen Fähigkeitslücken schließen. Wir müssen
die Einsatzbereitschaft stärken; deshalb die Task Force
„Drehflügler“ und die Task Force „Starrflügler“. Wir
müssen Kennzahlen darlegen. Wir haben einen gemeinsamen Ausschuss gehabt, der das gezeigt hat, sodass wir
wissen, wie die materielle Einsatzlage ist. Erhebliche
Aufgaben liegen vor uns, aber dieser Haushalt gibt uns
eine gute Basis dafür.
Ich danke für die Verpflichtungsermächtigung von
1,8 Milliarden Euro. Das gibt uns einen Handlungsauftrag, nämlich Entscheidungen reifen zu lassen. Aber
dann, wenn sie getroffen werden können, können wir
auch die Verträge schließen, die notwendig sind. Das
Wichtigste aber ist, meine Damen und Herren: Wir haben die Möglichkeit, 1,8 Milliarden Euro mehr in die
Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten zu investieren.
Das ist ein Riesenschritt voran, und wir werden jetzt
auch mutig die richtigen Entscheidungen treffen.
Zur Agenda gehört auch, dass wir mindestens 20 Prozent des Verteidigungsetats für die Modernisierung und
die Ausrüstung der Bundeswehr einsetzen. Es gibt genügend Projekte im Zulauf: Fregatten, A400M, die neue
Hubschraubergeneration, geschützte Fahrzeuge wie der
GTK Boxer, der Puma - die Liste ist lang. Das bedeutet
für uns gemeinsam auch ein ordentliches Stück Arbeit:
Wir müssen den Stau der vergangenen Jahre auflösen.
Wir müssen neue Vorhaben auf den Weg bringen. Wir
müssen den Zulauf und den Mittelabfluss koordinieren;
das ist eigentlich die Kunst. Jeder Erfahrene hier weiß,
dass der Zulauf nicht immer zeitgerecht geschieht und
deshalb auch der Mittelabfluss nicht immer passend
möglich ist. Das heißt, das Bugwellenphänomen, das wir
im Augenblick beobachten, müssen wir in den nächsten
Jahren gemeinsam in den Griff bekommen. Das bedeutet
- ich habe es eben schon gesagt -, dass die Modernisierung der Streitkräfte keine Einmalaktion ist, sondern
eine Daueraufgabe.
Ich möchte ein paar Worte zur materiellen Einsatzbereitschaft verlieren. Im September haben die Inspekteure
unter großer medialer Beachtung im Verteidigungsausschuss zur materiellen Einsatzbereitschaft vorgetragen.
Das Bild war nicht zufriedenstellend, insbesondere bei
den fliegenden Waffensystemen. Aber die Verengung
auf die Problembereiche, die wir zweifelsohne haben
- das will ich gar nicht abstreiten -, hat dazu geführt,
dass die generelle Einsatzbereitschaft infrage gestellt
wurde. Das weise ich zurück. Im Gegenteil: Die Bundeswehr erfüllt all ihre Einsatzverpflichtungen. Die Soldatinnen und Soldaten sind im Einsatz mit Gerät ausgestattet, das auch im Vergleich mit unseren internationalen
Partnern erstklassig ist, gerade im Hinblick auf geschützte Fahrzeuge: Wir haben die größte Flotte an geschützten Fahrzeugen in Europa. Noch einmal: Es gibt
Probleme mit den neuen Waffensystemen, die zulaufen
- gar keine Frage -, aber das heißt nicht, dass wir blank
dastehen.
Zu Ihrer Frage nach dem GTK Boxer, Herr Lindner.
Der GTK Boxer ist für den Infanteristen der Zukunft
wichtig - gar keine Frage. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir mehr davon brauchen. Aber dahinter stehen über 500 Transportpanzer Fuchs zur Verfügung, die
dann - um Ihre Frage zu beantworten - nicht mehr aufgerüstet werden, sondern ausgephast werden können.
Das Gleiche gilt für den Puma, der auch noch nicht da
ist. Aber dahinter stehen über 400 Marder. Mit anderen
Worten: Probleme gibt es - daran müssen wir hart arbeiten -, aber wir sollten unser Licht auch nicht unter den
Scheffel stellen, meine Damen und Herren. Das ist mir
wichtig.
({8})
Die Soldatinnen und Soldaten haben einen besonderen Auftrag. Wir rufen ihn uns immer wieder in Erinnerung. Wir haben am vergangenen Wochenende in Potsdam gemeinsam mit dem Bundespräsidenten den Wald
der Erinnerung eingeweiht. Das ist neben der zentralen
Gedenkstätte hier in Berlin-Mitte ein ganz besonderer
Ort der Erinnerung - ein Ort der Trauer, ein Ort des Gedenkens an unsere Soldaten, die im Einsatz gefallen
sind. Es ist auch ein Ort geworden, an dem die Familien,
die Freundinnen und Freunde, die Kameradinnen und
Kameraden Geborgenheit und Stille finden. Es ist eine
ergreifende und würdige Gedenkstätte geworden. Ich
möchte an dieser Stelle ausdrücklich all jenen danken,
die weit vor meiner Zeit an der zugrunde liegenden Konzeption und Entscheidung beteiligt gewesen sind. Das,
was dort gewachsen ist, war für mich beeindruckend.
({9})
Es ist eine Gedenkstätte, die uns mahnt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten einen einzigartigen Dienst tun
- im Einsatz, aber auch in der Heimat - und wir bestmöglich für sie sorgen müssen. Ich glaube, das ist ein
Gedanke, der die Gruppe, die hier im Hohen Haus versammelt ist, immer wieder eint.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Katrin Kunert,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau von der Leyen, mein Kollege Michael
Leutert hat deshalb auf die Rekrutierung Minderjähriger
hingewiesen, weil Deutschland eben nun einmal gegen
die UN-Kinderrechtskonvention verstößt. Das darf man
an dieser Stelle auch erwähnen.
({0})
Außenminister Steinmeier hat vor kurzem gesagt,
dass wir im Ukraine-Konflikt sorgfältig auf unsere öffentliche Sprache achten sollten, wenn wir zu einer Lösung beitragen wollen. Wir stimmen dem ausdrücklich
zu; denn auch der Westen trägt Verantwortung für diesen
Konflikt. Die Kanzlerin hingegen hat auf dem G-20Gipfel ausschließlich Russland scharf kritisiert.
Der aktuelle Scherbenhaufen in der internationalen
Politik ist riesig. Wir müssen verdammt aufpassen, dass
wir nicht in einen neuen Kalten Krieg schlittern. Es ging
und geht um militärische Eindämmung und um die Isolierung Russlands.
Deutschland hat bereits den viertgrößten Militärhaushalt der NATO und den siebtgrößten Militärhaushalt der
Welt. Alle NATO-Mitglieder zusammen geben zwölfmal
mehr für Militär aus als Russland. Darüber sollten wir in
diesem Hohen Haus einmal reden.
({1})
Der Bundespräsident und die Verteidigungsministerin
predigen, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der
Welt übernehmen. Das will die Linke auch. Wir verstehen unter Verantwortung, dass von deutschem Boden nie
wieder Krieg ausgehen darf und dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr beendet werden sollen.
({2})
Diese schaffen keine nachhaltige Sicherheit und sollen
allein im nächsten Jahr 460 Millionen Euro kosten. Das
lehnt die Linke ab.
({3})
Stattdessen müssen Strukturen kollektiver Sicherheit geschaffen und gestärkt werden. Für uns ist das vor allem
die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa. Sie ist die einzige regionale Sicherheitsorganisation, in der Russland und die USA gleichberechtigte
Mitglieder sind. Frieden und Sicherheit in Europa sind
nur mit und nicht gegen Russland möglich.
({4})
Die Linke fordert die Beschaffung eines Flugzeugs im
Rahmen des Vertrages über den Offenen Himmel; denn
durch gemeinsame Beobachtungsflüge kann mehr
Transparenz geschaffen werden.
Verantwortung bedeutet für uns auch Mut zur Eigeninitiative. Beenden Sie das Duckmäusertum gegenüber
den USA, und setzen Sie sich für die Aufhebung der
Sanktionen im Interesse der Menschen in Russland und
in Deutschland ein. Wir brauchen den Dialog mit Russland, und wir brauchen eine neue Ostpolitik im Geiste
von Willy Brandt.
({5})
Wir wollen eine nachhaltige Friedenspolitik, und dafür muss die deutsche Wirtschaft entmilitarisiert werden.
Wir fordern einen Konversionsfonds in Höhe von
2,5 Milliarden Euro, der aus dem Reingewinn der Bundesbank gespeist wird. Mit diesem Geld kann der notwendige Strukturwandel sozial und ökologisch gestaltet
werden. Konkrete Investitionen in den Umbau der Produktion und in die berufliche Qualifizierung der Beschäftigten werden so möglich. Weiterhin wollen wir
nicht mehr genutzte Bundeswehrliegenschaften den
Kommunen kostengünstig überlassen. Konversion geht wenn man sie denn will.
({6})
Noch einige Bemerkungen zur Attraktivitätsoffensive
der Bundeswehr. Frau Ministerin, haben Sie sich eigentlich gefragt, warum so viele Soldatinnen und Soldaten
bereits ihre Grundausbildung abbrechen? Haben Sie sich
gefragt, warum es ausgerechnet unter den Offizieren so
viele Kriegsdienstverweigerungen gibt? Die Ursachen
sind doch nicht der fehlende Flachbildschirm oder
schlecht renovierte Stuben; vielmehr ist es die Ausrichtung der Bundeswehr auf mehr Auslandseinsätze und
falsche Versprechungen bei der Rekrutierung.
({7})
Die üppigen Zuzahlungen für Spezialkräfte in Auslandseinsätzen sind in diesem Zusammenhang der falsche Anreiz.
({8})
Richtig dagegen sind die geplanten Solderhöhungen für
die freiwillig Wehrdienstleistenden, deren Bezahlung
bislang unter dem Mindestlohnniveau liegt.
({9})
Es muss auch bei der Bundeswehr einen Mindestlohn
geben.
In Ihrem Haushaltsentwurf gibt es nur eine Linie: die
Orientierung auf mehr Auslandseinsätze. In meinem
Wahlkreis befindet sich das größte Gefechtsübungszentrum. Dort soll eine Kriegsübungsstadt entstehen, in der
die Bundeswehr und andere NATO-Truppen künftige
Einsatzszenarien trainieren sollen.
({10})
Es soll Hochhäuser, Supermärkte, ein Armenviertel und
sogar eine U-Bahn geben; wohl gemerkt, die einzige UBahn in ganz Sachsen-Anhalt. Das hat nichts, aber auch
gar nichts mit dem Verteidigungsauftrag, wie er im
Grundgesetz geschrieben steht, zu tun. Die Linke fordert: Stoppen Sie den Bau des Gefechtsübungszentrums!
({11})
Für die Bundesregierung steht das Militärische immer
an oberster Stelle. Für die Folgen ihrer Politik interessiert sie sich leider nur wenig. Das wird im Umgang mit
den Radargeschädigten der Bundeswehr und der NVA
deutlich. Es ist schäbig, wie die Regierung mit den Radaropfern umgeht. Von den oft unheilbar Krebskranken
wird verlangt, dass sie in jahrzehntelangen Gerichtsverfahren selbst beweisen, dass sie radioaktiver Strahlung
ausgesetzt waren. Viele von ihnen sterben, bevor sie eine
Entschädigung erhalten. Das ist wirklich ein Skandal!
({12})
- Das ist anscheinend nicht ausreichend. Waren Sie bei
den Gesprächen mit dem Staatssekretär dabei?
({13})
Es war beschämend, wie er sich verhalten hat. Ich würde
an Ihrer Stelle ganz ruhig sein.
({14})
Die Linke fordert eine erleichterte Anerkennungspraxis durch die Umkehr der Beweislast. Frau Ministerin, auch der Wehrbeauftragte schlägt diese Verbesserung vor. Laden Sie die Folgen Ihrer Militärpolitik nicht
auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten ab.
Bei der Regierung stehen alle Zeichen auf Militär,
Auslandseinsätze und Rüstung. Wir als Linke setzen auf
Abrüstung, Landesverteidigung und eine friedliche Konfliktlösung. Aber dazu fällt Ihnen leider nichts ein. Wir
werden diesen Haushalt ablehnen.
Danke schön.
({15})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält nun
Rainer Arnold das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nur ein Satz an die Linke, damit jeder sieht, welcher Unfug dort geredet wird: Bei dieser Regierung stehen alle
Zeichen auf Militär.
({0})
Frau Kollegin, es sind 3 300 Soldaten in internationalen Friedensmissionen,
({1})
meist im Auftrag der Vereinten Nationen. In der Spitze
waren es knapp 11 000. Es sind also deutlich weniger
geworden - und nicht mehr, so wie Sie tun.
({2})
Richtlinie und Richtschnur für das Handeln dieser
Regierung ist auch im Verteidigungsbereich der Koalitionsvertrag. Herr Kollege Lindner, Sie mögen ja kritisieren, dass die Regierung und die Ministerin das Falsche tun; das ist Ihre Aufgabe. Aber so zu tun, als ob
nichts getan werde, das geht wirklich an der Sache vorbei. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag, und Sie werden feststellen: Alles, und zwar wirklich alles, was wir
damals aufgeschrieben haben, ist entweder abgearbeitet
oder bereits aufs Gleis gesetzt. Das gilt für die Evaluierung, die wir in den nächsten Wochen diskutieren werden und bei der wir feststellen werden, dass sich die
Welt verändert hat und man heute andere Antworten geben muss.
Das gilt natürlich auch für die Attraktivität des Soldatenberufes. Alle konkreten Forderungen, die wir aufgeschrieben haben, hat die Ministerin in einem sehr großen
Paket aufs Gleis gesetzt. Dabei ist uns ein Punkt besonders wichtig: Wir wollen, dass die Zeitsoldaten bei ihrer
sozialen Altersabsicherung den Angestellten im öffentlichen Bereich gleichgestellt werden. Ich denke, darüber
werden wir in den nächsten Wochen noch ein wenig diskutieren und noch einiges verbessern können.
({3})
Dies gilt auch für die Neustrukturierung der Beschaffungsprozesse. Natürlich war die Kumulierung der Probleme in den letzten Wochen ein Weckruf. Die einzelnen
Fakten sind uns nicht wirklich neu, aber ihre Kumulierung hat zu Recht eine hohe Aufmerksamkeit geweckt.
Dabei zeigt sich natürlich schon - Sie sprachen das
Thema Boxer an -, dass alte Anordnungen, wie zum
Beispiel die Befüllung eines Gerätes statt zu 100 Prozent
nur zu 70 Prozent, letztlich ein Irrweg sind. Dort haben
Betriebswirte und Sparkommissare formuliert und nicht
Sicherheitspolitiker. Wir Sicherheitspolitiker wissen,
dass die Geräte und die personelle Vorhaltung bei Streitkräften eben nicht betriebswirtschaftlich, sondern Vorsorge sind. Das heißt, Redundanzen und Reserven sind
in diesem System immer erforderlich, und wir werden in
dieser Koalition versuchen, in den nächsten Jahren auch
dort Veränderungen herbeizuführen.
Dazu gehört auch der Auftrag im Koalitionsvertrag,
Verantwortung für die Rüstungswirtschaft zu übernehmen. Auch dies werden wir tun. Die Ministerin hat diesen schwierigen Prozess der Neu- und besseren Strukturierung der Beschaffungsprozesse benannt. Ich nenne ein
weiteres Thema: Wir wollen auch die Debatte über
Kernfähigkeiten zügig abschließen. In den verteidigungspolitischen Richtlinien für das Jahr 2011 - diese
haben wir nicht verfasst, trotzdem steht dort an einer
Stelle etwas wirklich Richtiges drin - heißt es: Kernfähigkeiten sind auch dort, wo die Bundeswehr signifikante und international anerkannte Fähigkeiten einbringt.
Damit ist klar: Die Verteidigungsministerin muss an
dieser Stelle sagen, wo wir diese anerkannten Fähigkeiten haben. Die anderen Ressorts müssen ihren sicherheitspolitischen Beitrag leisten, und das Wirtschaftsressort muss die Frage klären: Wie hilft man den
Unternehmen bei den schwierigen Anpassungsprozessen
in den nächsten Jahren? Deshalb begrüßen wir es, dass
es eine Staatssekretärsrunde gibt, die diese Themen zukünftig kooperativ bearbeiten will. Die Kernfähigkeiten
sind kein Pingpongspiel, das zwischen den Ressorts hinund hergeht. Es ist eine gemeinsame Verantwortung dieser Koalition.
({4})
Nach dieser Anforderung aus den alten Verteidigungspolitischen Richtlinien ist natürlich auch klar, dass
Gefechtsfahrzeuge, Raketenabwehr und U-Boote in
Deutschland eine besondere Ausprägung haben und deshalb auch zu diesen Schlüsselfähigkeiten gehören müssen. Wenn wir dies ernst nehmen, werden wir in den
nächsten Jahren auch über Forschung sprechen müssen.
Ich bin nicht der Auffassung - wir diskutieren das als
Parlamentarier schon lange -, dass die etwa 300 Millio6574
nen Euro tatsächlich dem Technologieland Deutschland
entsprechend dem Haushalt zur Verfügung stehen. Wir
werden die Forschungsmittel genau dort, wo wir Kernfähigkeiten definiert haben, in den nächsten Jahren verstärken müssen, damit wir auch im Jahr 2030 moderne
Streitkräfte haben.
({5})
Wenn der Koalitionsvertrag abgearbeitet wird, ist
trotzdem nicht alles gut; das wissen wir, denn die Welt
hat sich verändert.
Niemand hätte sich vorgestellt, dass in Europa mit
Waffengewalt Grenzen verändert werden. Das hat Auswirkungen auf die Debatten in der NATO. Die NATO
muss sich deshalb mit Sicherheit nicht neu erfinden.
Aber die Reaktionsfähigkeiten und die -geschwindigkeiten in der NATO werden sich verändern, und das wird
auch Auswirkungen auf die Organisation der Bundeswehr haben. Entscheidend bleibt aber: Es darf nicht der
geringste Zweifel entstehen, dass Artikel 5 für alle gilt.
Die NATO ist politisch entschlossen, das durchzusetzen
und damit zu zeigen: Wir sind verlässlich.
({6})
Entscheidend ist und bleibt auch in Zukunft, dass die
NATO ihre Fähigkeiten so sichtbar zur Schau stellt, dass
jeder weiß, er hat dagegen keine Chance, dass jeder
weiß, die NATO ist ein überlegenes Bündnis. Das wollen
wir deshalb, weil wir wissen, dass dann, wenn unsere
Fähigkeiten sichtbar sind, wir sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht brauchen werden. Das ist das eigentliche
Ziel.
Die zweite Veränderung in der Welt - darüber wurde
schon viel gesprochen - ist das Auftreten der brutalen
Terroristen des sogenannten IS. Es handelt sich nicht
mehr - das ist schon neu - um diese alte asymmetrische
Bedrohung, über die wir jahrelang gesprochen haben.
Das ist jetzt nicht mehr asymmetrisch. Es haben sich
möglicherweise sogar die Vorzeichen bei der Symmetrie
verschoben. Es wird nämlich Staatlichkeit durch Terroristen organisiert. Ich fand es schon beeindruckend, was
die Königin Rania von Jordanien zu diesem Thema gesagt hat. Sie vertrat zum einen deutlich ihre Meinung,
auch gegenüber der arabischen Welt, dass jeder Verantwortung trägt und dass hinter den Angriffen dieser Ideologen eine übelste Ideologie und ein globaler Machtanspruch steckt. Zugleich sagte sie: Ideologien sind nicht
mit Kugeln zu beseitigen.
Das Thema wird uns also noch lange beschäftigen,
und auch die Menschen in Deutschland - wir sehen das
derzeit bei vielen Diskussionen - merken, wie ernsthaft
das ist. Sie verstehen auch, dass in bestimmten Situationen Diplomatie aktiv bleiben muss - die Bundesregierung leistet hier Vorbildliches; das wurde schon häufig
gesagt -, man sich gleichzeitig aber solch brutalem fundamentalen Terrorismus notfalls auch mit Waffengewalt
entgegenstellen muss. Wenn man das nicht selber kann,
wenn man das nicht selber will, weil das vielleicht auch
nicht besonders effektiv ist - das hat man im Irak bei den
Amerikanern gesehen -, bleibt eben nur der Weg, denjenigen zu helfen, die das auch in unserem Interesse tun.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass ein neues
Weißbuch aufgelegt wird. Im Ergebnis wird darin die
Veränderung in dieser Welt sichtbar, und am Ende werden wir aus meiner Sicht eine neue Debatte bekommen,
und zwar nicht über eine neue Bundeswehr oder eine
ganz neue Reform, sondern darüber, was die Streitkräfte
in Zukunft können müssen. Dies darf in Zukunft nicht,
wie in der Vergangenheit allzu häufig geschehen, vom
Diktat der leeren Kassen abgeleitet werden,
({7})
sondern es muss davon abgeleitet werden, was wir als
Deutsche in die internationale Politik einbringen können
und einbringen wollen.
Manche Soldaten haben in den letzten Jahren ja immer wieder gesagt: Was wollt ihr mit eurer Debatte erreichen? Wir bieten euch doch ein möglichst breites Spektrum an Fähigkeiten an, damit ihr Politikerinnen und
Politiker auswählen könnt. - Das ist der falsche Ansatz,
um es ganz klar zu sagen. Wir Politiker definieren, welche Fähigkeiten unsere Streitkräfte brauchen. Die Soldaten setzen das dann operativ um. Das ist die richtige Reihenfolge. Damit kommt allerdings auch Verantwortung
auf uns zu: Wenn wir diese Aufgaben definiert haben,
müssen wir schon dafür sorgen, dass die Streitkräfte die
dafür notwendigen Mittel bekommen.
Deshalb bin ich dankbar, dass unsere Haushälterin
- ihr möchte ich an dieser Stelle wirklich danken - nicht
nur die schwarze Null im Auge hatte, sondern immer
auch im Blick hatte, dass es bei der Bundeswehr nicht
nur um Waffen geht, sondern in erster Linie auch um
Menschen. Sie hat vor diesem Hintergrund wichtige Beiträge geleistet, dass der Haushalt im nächsten Jahr auskömmlich ist. Herzlichen Dank! In Zukunft werden wir
Debatten führen, bei denen das ebenfalls sichtbar wird.
So wird das Attraktivitätsprogramm seriös und nachhaltig in zukünftigen Haushalten abgebildet werden. Das ist
ganz wichtig für die Glaubwürdigkeit.
In diesem Sinne: Recht herzlichen Dank. Ich denke,
wir sind auf einem guten Weg. In drei Jahren wird man
sagen können: Diese Große Koalition hat die Herausforderung angenommen, die Chancen, die sich für die Bundeswehr boten, ergriffen und ihre Aufgaben erledigt.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Henning Otte,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
wir vor einem Jahr den Koalitionsvertrag beraten haben,
konnten wir nicht vorhersehen, vor welchen sicherheitsHenning Otte
politischen Herausforderungen wir stehen würden. Lieber Kollege Rainer Arnold, wir kämpfen dafür, wir arbeiten dafür, wir werben dafür, dass wir die notwendigen
Mittel bekommen; aber wenn die Politik festlegen soll,
welche Herausforderungen in Zukunft auf uns zukommen, dann verkennen wir die Gefahr, dass sich politische
Lagen schnell verändern können. In der Ukraine hat sich
beispielsweise eine Lage entwickelt, in der ein militärisches Vorgehen durch uns quasi ausgeschlossen war,
weil wir nicht annehmen wollten und auch nicht annehmen konnten, dass man militärisch agiert, um eine Destabilisierung zu erzeugen, um eine Landnahme voranzutreiben. Das gab es in keiner Planungsmappe mehr bei
uns. Deswegen müssen wir darauf vorbereitet sein, dass
auch unvorhergesehene sicherheitspolitische Herausforderungen auf uns zukommen.
Frau Kunert, dabei geht es nicht darum, dass Russland eingedämmt wird, wie Sie es bezeichnet haben
- wenn ich das richtig verstanden habe -, sondern es geht
darum, dass die Ukraine davon ausgehen durfte, dass ihre
Souveränität nicht angezweifelt und schon gar nicht angegriffen wird. Ich glaube, Sie sollten sich diesbezüglich die
völkerrechtliche Lage noch einmal anschauen.
({0})
Das völlig entfesselte Vorgehen der IS-Terroristen ist
dargestellt worden. Das sind unfassbare Gräueltaten, die
aus einer regionalen Destabilisierung resultieren und
mittlerweile eine Weltbedrohung darstellen. Wegschauen ist dabei für uns keine Option. Verantwortung
ist für uns der Maßstab. Das Einstehen für Menschenrechte, für Religionsfreiheit, für Rechtsstaatlichkeit, das
ist auch Ausdruck von Menschlichkeit. Umso wichtiger
war es, dass wir die Rolle Deutschlands im Koalitionsvertrag und noch einmal explizit auf der Münchener Sicherheitskonferenz so definiert haben, dass wir bereit
sind, mehr Verantwortung für Frieden und Freiheit in unserer Welt zu übernehmen. Ich bin unserer Ministerin
wie dem Außenminister und dem Bundespräsidenten
sehr dankbar, dass sie das so klar angesprochen haben.
({1})
Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die
Peschmerga war keine leichte Entscheidung, aber sie
war richtig und notwendig und daher konsequent. Menschen, die auf der Flucht sind, die Nahrung und Medizin
dringend brauchen, ist es doch nicht zuzumuten, dass
man ihnen das elementare Grundrecht auf Sicherheit
verwehrt, dass man dieses Grundrecht ignoriert. Auch
hier muss Deutschland Verantwortung übernehmen.
Deutschland hat diese Verantwortung übernommen,
auch weil wir gesagt haben: Ein zweites Ruanda darf es
nicht geben. Wer das nicht so schlussfolgern will, der ist
entweder zynisch oder ignoriert die Lage vor Ort.
({2})
Es gibt Konflikte mit altbekannten Gesichtern: Landnahme durch Militär, Destabilisierung, Einschüchterung
ganz Osteuropas durch Russland. Hier werden Elemente
des Kalten Krieges übernommen, und es wird mit modernen Mitteln gearbeitet. Hybride Kriegsführung nennt
man dies. Die gesamte Breite der Möglichkeiten wird
heute genutzt: Propaganda, Medienarbeit, irreguläre
Kräfte. Konventionelle Streitkräfte mit Panzern und
Jagdflugzeugen unterstützen diese Drohkulisse in Osteuropa, greifen direkt ein, nehmen Einfluss. Langstreckenflugzeuge und Marineschiffe provozieren an der Grenze
der NATO. Auf diese Weise soll in osteuropäischen Ländern Einfluss genommen werden. Ich glaube, dass wir
uns diese sicherheitspolitische Lage ganz konkret vor
Augen führen müssen. Wir wollen nicht, dass militärische Mittel eingesetzt werden müssen. Wir wollen dafür
sorgen, dass wir eine diplomatische Lösung finden; aber
wir müssen deutlich machen: Wenn du friedlich mit mir
umgehst, gehe auch ich friedlich mit dir um; aber wenn
du angreifst, dann musst du auch wissen, dass wir uns
wehren können. Diese Devise hat den Frieden auf dem
europäischen Kontinent bisher realisiert und ist Ausdruck der NATO-Politik. Deswegen ist es gut, dass wir
in der Konsequenz gemeinsam Rückschlüsse aus dem
NATO-Gipfel in Wales ziehen.
({3})
Die Ausrichtung der Bundeswehr muss flexibel bleiben, damit wir lageabhängig reagieren können. Wir müssen Fähigkeitsschwerpunkte bilden. Geben wir eine
Möglichkeit einer Fähigkeit erst einmal auf oder geben
wir sie ab, ist es umso schwieriger, sie wieder zurückzuholen und neu aufzustellen. Zumindest wird es wesentlich teurer, diese Fähigkeiten wiederzugewinnen. Daher
brauchen wir atmende Strukturen.
Genau dafür gehen wir bilaterale Kooperationen ein.
Mit den Niederlanden funktioniert das wunderbar. Mit
Polen wird es in guten Gesprächen angestrebt. Diese
Vernetzung innerhalb Europas, die Stärkung bilateraler
Achsen mit dem Ziel, europäisch gemeinsam aufzutreten, halte ich für richtig.
Daher müssen wir die Ausrichtung der Bundeswehr
mit einem universellen Fähigkeitsanspruch so aufbauen,
dass wir zu jeder Zeit auch Kooperationen eingehen können. Das ist ebenfalls Ausdruck von Verantwortung für
unsere Sicherheitspolitik. Wir müssen die richtigen
Rückschlüsse ziehen. Die Zeit der Friedensdividende ist
vorbei. Die logischen Schlussfolgerungen sind daraus
gezogen worden. Wie richtig festgestellt wurde, wird
dies mittlerweile auch akzeptiert.
Wir sollten unsere gesamten Sicherheitssysteme nicht
weiter durch den Entzug von Mitteln schwächen, sondern die Verantwortung annehmen und den Einzelplan
14 entsprechend anpassen. Daher bin ich sowohl dem
Haushaltsausschuss als auch dem Bundesfinanzminister
sehr dankbar dafür, dass die notwendigen Konsequenzen
schon im Haushalt 2015 gezogen worden sind. Anträge
in Höhe von über 700 Millionen Euro sind angenommen
worden, zum Beispiel für den Kauf von 131 neuen
Transportpanzern des Typs Boxer. Das ist in Anpassung
an die Sicherheitslage geschehen. Wir steigern dadurch
die Sicherheit unseres Landes, die Stabilität und die Mo6576
dernisierung. Deswegen bedanke ich mich bei den Haushältern herzlich dafür, dass sie dies umgesetzt haben.
({4})
Modernität erfordert nicht nur, dass wir schneller modernes Gerät in der Truppe haben, sondern auch, dass
dieses Gerät einsatzbereit und verfügbar ist. Die Streitkräfte benötigen nicht nur wegen der aktuellen Herausforderungen ein Mehr an Ersatzteilen und Betriebsstoffen, sondern das Niveau muss auch grundsätzlich
angehoben werden.
Herr Otte, der Kollege Lindner würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?
Gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, geschätzter Kollege Otte. - Wenn ich
Sie eben akustisch richtig verstanden habe, haben Sie
ausgeführt, es seien Anträge in Höhe von über 700 Millionen Euro für die 131 Boxer, über die wir uns in dieser
Debatte schon trefflich gestritten haben, angenommen
worden. Da verstehe ich etwas nicht ganz. Ihre Schilderung klingt so, als sei das alles unter Dach und Fach und
beschlossene Sache. Sowohl die Ministerin als auch
mein geschätzter Kollege Bartholomäus Kalb haben zu
diesem Punkt aber noch in der Bereinigungssitzung erklärt, zum einen handele es sich dabei um Geld, das im
kommenden Jahr noch gar nicht zur Verfügung stehe,
und zum anderen sei dies durch den Haushaltsausschuss
qualifiziert gesperrt; das Ministerium müsse erst einmal
eine Begründung vorlegen, und man könne sich das alles
noch überlegen. Als ich der Frau Ministerin die vielen
Verpflichtungsermächtigungen vorgehalten habe, meinte
sie auch, das sei erst einmal Handlungsspielraum für sie
und bedeute nicht, dass man alles gleichzeitig ausnutzen
werde.
Weil Sie vermutlich tieferen Einblick in das Innenleben der Koalitionsfraktionen haben, als ich es habe
({0})
und auch haben möchte, würde ich gerne von Ihnen wissen: Was von beidem stimmt denn nun?
Herr Kollege Dr. Lindner, erst einmal herzlichen
Dank für die Frage und vor allem auch für Ihr persönliches Bewusstsein für die Sicherheitspolitik. Sie sitzen
für die Fraktion der Grünen sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Verteidigungsausschuss. Deswegen
kennen Sie auch die Notwendigkeiten. Daher befassen
Sie sich auch sehr realistisch mit diesen Themen.
Wir haben mit Anträgen im Verteidigungsausschuss
und im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass die
Lage es erfordert, immer wieder in die Modernisierung
unserer Armee zu investieren. Der geschützte Transportpanzer Boxer ist nur ein Beispiel für eine Reihe von
Anträgen, mit denen wir deutlich machen: Wenn wir Sicherheitspolitik ernst nehmen und aus der Fürsorgepflicht für unsere Soldatinnen und Soldaten die richtigen
Rückschlüsse ziehen, dann müssen wir auch bereit sein,
Geld in moderne Geräte zu investieren, die dem Schutz
unserer Soldatinnen und Soldaten dienen.
({0})
Wir brauchen Flexibilität und einen hohen Bereitschaftsgrad. Wir müssen schneller und auch europäisch
abgestimmt agieren. Die Streitkräfte müssen aus dem
Stand heraus in der Grundgliederung und mit dem eigenen Gerät die Sicherheit unseres Landes gewährleisten
können; auch das hat die NATO in Wales deutlich gemacht. Deswegen müssen wir auf dem Weg des flexiblen
Verfügbarkeitsmanagements wohl eher in die Richtung
gehen, eine durchgängige Einsatzbereitschaft sicherzustellen. Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben, und das
sehr gut. Aber die Mittel sind nun einmal knapp bemessen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit Haushaltsmitteln, mit dem Geld der Steuerzahler, sehr sensibel
umgegangen wird.
Trotzdem: Einen Auftrag zu erfüllen, erfordert organisatorischen Aufwand und führt zu hoher Belastung.
Die Basis für eine gut ausgerüstete Bundeswehr ist eine
leistungsfähige und gut aufgestellte wehrtechnische Industrie. Es ist auch Ausdruck von Souveränität, dass wir
die Fähigkeiten, um unsere eigenen Streitkräfte auszustatten, in Deutschland haben. Wir wollen nicht abhängig
werden. Wir wollen nicht diktiert bekommen, in welcher
Qualität und zu welchem Zeitpunkt wir die Materialien
bekommen. Wir müssen nicht immer alles selber bauen;
aber wir müssen das Know-how und die entsprechende
Beurteilungsfähigkeit haben. Deswegen brauchen wir
auch eine Industrie, die als Ausdruck nationaler Sicherheitsvorsorge das erforderliche Material produzieren
kann.
Wir müssen Sicherheitspolitik ganzheitlich betrachten. Wir müssen feststellen, dass die wehrtechnische Industrie ein Pfeiler dieser Souveränität ist. Deswegen
müssen wir weg von dem Gedanken einzelner Ressortund Fachzuständigkeiten, wohl wissend allerdings, dass
es nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregierung klare Zuständigkeiten gibt.
Wir haben als Parlamentarier die Verantwortung für
Deutschland als Ganzes. Wir Sicherheitspolitiker haben
auch die Verantwortung, die Sicherheitspolitik als Ganzes zu betrachten. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag formuliert:
Wir setzen uns für den Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und industrieller Fähigkeiten, insbesondere auch bei mittelständischen Unternehmen, ein.
Darauf haben wir uns geeinigt.
({1})
Bei der Benennung dieser Schlüsseltechnologien
müssen wir uns wohl breiter aufstellen, um das Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr abbilden zu können. Eine
breite Aufstellung mag auf den ersten Blick vielleicht
nicht effizient oder betriebswirtschaftlich logisch sein.
Aber Sicherheitspolitik ist mehr als reine Betriebswirtschaftslehre. Sie ist eben auch Ausdruck dessen, was wir
brauchen, um die Souveränität unseres Landes gewährleisten zu können. Folgender Satz ist vollkommen richtig: Die Bundeswehr kann nur das abnehmen, was sie
zur Erfüllung ihres Auftrages benötigt. - Aber wenn wir
Fähigkeiten erhalten wollen - so habe ich auch den Auftrag der Koalition verstanden -, dann müssen wir bereit
sein, sicherheitspolitisch verantwortbare Exporte zuzulassen, insbesondere dann, wenn man durch eine solche
Exportpolitik auch noch gestaltend gute Außenpolitik
betreiben kann.
({2})
Wir müssen uns die Frage stellen, was wir für unsere
Sicherheit vernünftigerweise brauchen. Das muss dann
auch finanziert werden: durch Beschaffungsprogramme,
durch Forschungs- und Entwicklungstitel, auch durch
Rüstungsmittel. Liebe Frau Kunert - sie ist nicht mehr
da -,
({3})
zu sagen: „Von Deutschland soll kein Krieg mehr ausgehen; deswegen müssen die Auslandsmandate beendet
werden“, ist so, als würde jemand, der kein Feuer will,
die Feuerwehr abschaffen. Ich glaube, das wäre genau
der falsche Beschluss.
({4})
Wir brauchen eine vorausschauende Sicherheitspolitik. Wir wollen unabhängig bzw. souverän sein und unsere Bündnisfähigkeit erhalten. Deswegen investieren
wir in unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz
oder im Heimatbetrieb Enormes für die Sicherheit unseres Landes leisten und bereit sind, dafür auch ihre Gesundheit einzusetzen.
Ich bin unserer Ministerin, Frau Dr. Ursula von der
Leyen, sehr dankbar dafür, dass sie das Attraktivitätspaket, so wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wurde,
mit Vehemenz eingebracht hat. Wir wollen es gemeinsam umsetzen. Sehr geehrte Frau Ministerin, es ist wichtig, dass wir aus Gründen der Fürsorge deutlich machen,
dass wir für unsere Soldatinnen und Soldaten als Teil einer leistungsfähigen Armee einstehen und notwendigerweise auch bereit sind, Geld zu investieren. Wir wollen
ein sicherheitspolitisches Gesamtpaket im Interesse der
Sicherheit unseres Landes anbieten.
Ich sage auch ein herzliches Dankeschön dafür, dass
wir im Verteidigungsausschuss und auch im Haushaltsausschuss die notwendige Unterstützung bekommen,
und ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, die bereit
sind, für die Sicherheit unseres Landes einzustehen.
Danke schön.
({5})
Vielen Dank. - Ein Hinweis an die Kolleginnen und
Kollegen, die noch folgen: Es wäre schön, wenn die
Dankesbekundungen noch in der normalen Redezeit erfolgen würden. Ansonsten zieht sich die Sitzung zu sehr
in die Länge.
Der nächste Redner ist Wolfgang Hellmich, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Haushaltsberatung findet immer in einer sehr konkreten Situation statt.
Man muss dabei das berücksichtigen, was wir sicherheits- und verteidigungspolitisch breit diskutieren.
Es wurde gesagt, dass vieles aus den Fugen geraten
ist. Hier hat die Ministerin die Kelle in die Hand genommen, um vieles, was nicht verfugt war, wieder zu verfugen. Sie haben vorhin an einigen Stellen deutlich gemacht, wie groß die Baustellen sind und was man
aufräumen und verändern muss.
Hätten wir das getan, was der Kollege Lindner - er ist
nun leider auch nicht mehr da - noch vor einem halben
Jahr hier gesagt hat
({0})
- er kommt auch gleich wieder -, dass man nämlich
doch bitte schön alle Rüstungsprojekte, über die wir diskutieren, mit einem Moratorium zum Stoppen bringen
sollte, dann hätte das folgende Konsequenz gehabt: Die
Bugwelle wäre noch größer geworden. Ich bin froh, dass
wir das nicht gemacht haben, sondern an dieser Stelle
gefordert haben, konsequent an den vielen Aufgaben zu
arbeiten und Gas zu geben, damit die Baustellen aufgeräumt werden.
Am letzten Wochenende, von Freitag bis Montag, haben wir in der Parlamentarischen Versammlung der
NATO in Den Haag - der Kollege Lamers als Delegationsleiter und Frau Schmidt als stellvertretende Delegationsleiterin - in der Diskussion über die Haushaltsentwicklungen noch einmal deutlich machen müssen und
können, dass weiterhin das Ziel gilt, dass innerhalb von
zehn Jahren mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär ausgegeben werden, wovon
20 Prozent für Investitionen und die technische Ausstattung zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir haben
aber auch deutlich machen müssen und können, dass wir
nicht nur über diese Dinge, nicht nur über Hausnummern
und Zahlen, sondern auch über Fähigkeiten und eine gemeinsame Mitwirkung zu diskutieren haben. Das ist der
ganz entscheidende Punkt.
Ich muss dazu aber auch sagen, dass unsere Position
dort durchaus nicht unumstritten war, weil einige Länder
gerade an dieser Stelle doch eine andere Position haben.
Ich glaube aber, es wird wichtig sein, dass zu der Friedensdividende, die dringend nötig und richtig ist, eine
Dividende der Zusammenarbeit hinzukommt, damit wir
auch in Zukunft die richtigen Projekte finanzieren und
gemeinsame Fähigkeiten entwickeln können.
Wir haben auch deutlich machen können, was wir an
dieser Stelle tun. Es gibt die Kooperation des deutschen
und des niederländischen Heeres, die Kooperation mit
den Polen und vieles andere. Ich glaube, dadurch sind
wir bei der europäischen Integration und Zusammenarbeit ein ganzes Stück weiter, als dies an vielen Stellen
berichtet wird.
Die anderen Länder der NATO und auch die assoziierten und befreundeten Staaten haben hier sehr interessiert zugehört und die Bereitschaft erklärt, an dieser
Stelle intensiv mitzumachen. Dies wird auch bis hin zur
taktischen Ebene nötig sein.
Ich habe bei der Diskussion dort immer den multinationalen Zug in Afghanistan im Blick gehabt, der ganz
konkrete Probleme hatte. Ein Zugführer berichtete von
sprachlichen Problemen, verschiedenen Kommunikationssystemen, verschiedensten Waffengattungen, die
nicht aufeinander abgestimmt sind, und vielen anderen
konkreten Punkten mehr. Wir müssen die Kooperation
suchen - bis hin zur taktischen Ebene -, damit wir im
konkreten praktischen, multinationalen Einsatz auch die
beste Ausrüstung zur Verfügung haben und die beste
Operationalität erreichen. Frau Kunert - Sie sind jetzt
wieder da -, ich würde all unseren Partnern auch anbieten, das in einem Geschäftsübungszentrum einzuüben,
was wir in solchen multinationalen Einsätzen brauchen.
({1})
Wir sind weit davon entfernt, die angesprochenen
20 Prozent und 2 Prozent zu erreichen, aber das Ziel, die
Orientierung, ist klar. Deshalb bietet dieser Haushalt
auch in Zukunft eine Orientierung im Rüstungsbereich
und bezüglich der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten. Mir wäre es sehr lieb, wenn die Ausrüstung des
Infanteristen der Zukunft in diesem Haushalt noch deutlicher zum Ausdruck käme. Der IdZ macht nämlich nur
zusammen mit dem Boxer einen Sinn. Diese werden
dann in den konkreten Operationen gemeinsam zum Einsatz kommen. In diese Richtung werden wir weiterarbeiten und werden wir uns weiterentwickeln.
Ich denke, diese konkreten Punkte werden wir gerade
auch in die internationale Diskussion einbringen können.
Wir werden eine entscheidende Rolle dort spielen, wo es
um das NATO-Kommando für das Korps Nordost und
um das Deutsch-Niederländische Korps geht. All dies
sind zentrale Elemente dessen, was die NATO auf dem
Gipfel in Wales beschlossen hat. Dabei wurde auch deutlich, welche wichtigen Aufgaben mit hoher Qualität, die
wir einbringen, übernommen werden können.
Letztendlich geht es nicht darum, dass von deutschem
Boden Krieg ausgeht, sondern es geht darum, dass man
mit mehr nationaler und internationaler Verantwortung
für mehr Frieden auf der Welt sorgt. Das ist unser Ansatzpunkt. Das ist unser Ziel. Dem werden wir auch politisch gerecht werden.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Ingo Gädechens,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich
besonders, dass jetzt auf den Zuschauerrängen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr dieser aus meiner
Sicht wichtigen Debatte beiwohnen können. Es tut mir
leid, dass Sie einige Rednerinnen und Redner, insbesondere die Ministerin, verpasst haben. Aber es kommen
noch zwei Redner.
({0})
Es ist auch sehr selten, Frau Präsidentin, dass zur eigenen Rede eine Besuchergruppe aus dem Wahlkreis auf
der Tribüne sitzt. Ich freue mich, die Bürgerinnen und
Bürger aus Ostholstein und Stormarn begrüßen zu dürfen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 14
- Verteidigung - ist ein wichtiger Einzelplan. Insbesondere die Rednerinnen und Redner der Koalition haben
deutlich gemacht, dass wir einen seriösen und fundierten
Haushalt für den Bereich der deutschen Verteidigung
aufgestellt haben. Auch ich möchte mich - denn das
kann nur gelingen in einem guten Zusammenspiel - natürlich bei der Ministerin, den Mitarbeitern im Ministerium, aber ganz besonders auch bei unseren Haushältern
- da schließe ich auch Dr. Lindner mit ein; ein Haushälter, der für den Einzelplan 14 kämpft, auch wenn er auf
Oppositionsseite steht - sehr herzlich bedanken.
Der diesjährige Verteidigungshaushalt - Karin EversMeyer deutete es schon an - steht einmal mehr unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Die Bundeswehr ist leider erneut in den Fokus der medialen Berichterstattung geraten. Die kritischen Pressemeldungen über
mangelhafte Einsatzbereitschaft, Fähigkeitslücken und
Probleme bei der Materialbeschaffung haben einer breiten Öffentlichkeit die bei der Bundeswehr vorhandenen
Defizite aufgezeigt.
Im Kreise der Verteidigungspolitiker waren diese Defizite weitestgehend bekannt. Die schonungslose Bestandsaufnahme der vorhandenen Defizite verdanken
wir aber in erster Linie und in ganz besonderer Weise der
Frau Ministerin. Dafür zolle ich Ihnen Respekt. Probleme und strukturelle Mängel müssen offen angesprochen werden. Dabei begleitet nicht jeder - auch das durften wir registrieren - den Weg der Transparenz und
Offenheit wohlwollend. Aber ich sage Ihnen, Frau von
der Leyen: Ihr Vorgehen war richtig und wichtig, um bekannte Mängel zügig beseitigen zu können.
Wir müssen die Probleme, die innerhalb der Bundeswehr bestehen, sachlich, ehrlich und offen ansprechen.
Aber ich sage auch: Überzogene Kritik oder die gezielte
Verunglimpfung unserer Soldatinnen und Soldaten als
- so konnte man das in einer großen Schlagzeile lesen „Trümmertruppe“ halte ich für skandalorientierte Meinungsmache. Das schadet dem Ansehen unserer Bundeswehr und unserer Soldatinnen und Soldaten insgesamt.
({2})
Diese Berichterstattung verkennt außerdem wesentliche Fakten. Die Bundeswehr lebt vom besonderen Engagement und Einsatz ihrer Soldatinnen und Soldaten, aber
auch ihrer zivilen Mitarbeiter. Die Truppe handelt professionell, sowohl in den Einsatzgebieten als auch im
Rahmen des Katastrophenschutzes. Lobend erwähnt
wurde auch die Bereitschaft nicht nur der Aktiven, sondern auch der Reservisten, wenn es um die Bekämpfung
der Ebolaepidemie in Westafrika geht.
Ohne den unbedingten Willen, ohne Leistungsbereitschaft und auch Improvisationstalent vom einfachen Gefreiten bis hinauf in die Führungsebene hätte unsere
Bundeswehr nicht die hohe Wertschätzung in weiten
Teilen unserer Bevölkerung und schon gar nicht die
große Anerkennung all unserer Bündnispartner. Bei allen Problemen und Anpassungsprozessen ist die Bundeswehr bereits heute ein überaus attraktiver Arbeitgeber,
bei dem Kameradschaft und Gemeinschaftssinn gelebt
werden und Pflichtgefühl den täglichen Dienst begleitet.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Engagement verdient ganz besonders unsere Anerkennung und
höchsten Respekt immer wieder auch aus diesem Haus.
Auch wenn das schon gesagt wurde, wiederhole ich es,
gerade weil jetzt Kameradinnen und Kameraden auf der
Besuchertribüne Platz genommen haben.
In der Schnelllebigkeit unserer Zeit wird immer wieder ausgeblendet, dass die Bundeswehr immer noch die
größte und umfassendste Reform seit ihrem Bestehen
durchlebt. Es ist die oft beschriebene Operation am offenen Herzen, in der es - das weiß man aus der Erfahrung
mit Operationen - auch immer wieder kritische Phasen
gibt und geben wird. Dieser Tatsache, dass wir in einem
Reformprozess sind, sollten gerade die Medien, die sich
allzu sehr bemühen, nur die negativen Seiten zu beleuchten, einmal mehr Beachtung schenken.
Meine Damen und Herren, zur Wertschätzung dieser
Arbeit gehört auch, dass wir den Soldatinnen und Soldaten wie auch den zivilen Mitarbeitern ein Arbeitsumfeld
schaffen, welches den Leistungswillen und die Kreativität fördert und den besonderen Umständen des Soldatenberufs Rechnung trägt. Lange Zeiten der Abwesenheit
von der Familie, eine hohe Versetzungshäufigkeit wie
auch der schlimmste Fall, nämlich die Gefährdung von
Leib und Leben, sind Bestandteil des Soldatenberufs. Er
ist ein besonderer Beruf und für viele Aktive eine echte
Berufung.
Mit dem auf den Weg gebrachten Artikelgesetz zur
Steigerung der Attraktivität tragen wir diesen soldatischen Tätigkeiten Rechnung. Frau Ministerin, es ist
enorm wichtig, die 22 aktuell geplanten Maßnahmen anzustoßen und zu verwirklichen. Sie hatten im Planungsprozess und haben auch jetzt die uneingeschränkte
Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion, um diese Verbesserungen zu erreichen.
Auch wir müssen ständig evaluieren, weil der Soldatenberuf in knallharter Konkurrenz zur Wirtschaft und
zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes steht.
Deshalb werden wir auch zukünftig die Situation insgesamt im Blick behalten, um gegebenenfalls weitere Verbesserungen zu diskutieren und zu realisieren. Das Artikelgesetz ist bereits heute ein wichtiger Schritt hin zu
mehr Attraktivität innerhalb der Bundeswehr und zu
mehr Anerkennung.
Wir hörten es andeutungsweise: Es wurde auch von
der Opposition aufgegriffen, aber auch innerhalb der
Bundeswehr wurden einige angekündigte Verbesserungen skeptisch bis kritisch bewertet. Dabei, werte Kolleginnen und Kollegen, geht es nicht um Flatscreens oder
Kühlschränke auf den Stuben, wie die Debatte von den
Medien leider völlig unzutreffend verkürzt wurde. Vielmehr geht es um Nachwuchsgewinnung. Es geht um Lebenswirklichkeit und ein Umfeld, welches in vielen Bereichen heute Standard ist.
Wenn wir junge Menschen dafür gewinnen wollen,
ihre Heimat Deutschland zu verteidigen, dann ist eine
Sechsmannstube ohne WLAN-Anschluss, aber vielleicht
mit dem Charme der 70er-Jahre nicht das, was der allgemeine Lebensstandard heute erwarten lässt. Ohne Wehrpflicht stehen wir vor der besonderen Herausforderung,
junge Menschen anzusprechen, die sich bis dato noch
gar nicht mit dem Gedanken beschäftigt haben, in der
Bundeswehr eine berufliche Perspektive zu suchen.
All diese Dinge packen wir an. Wir haben mit dem
Einzelplan 14 wie mit dem gesamten Haushaltsplan
2015 eine gesunde Grundlage geschaffen, um diese Aufgaben erfüllen zu können. Wir befürworten nicht nur den
Einzelplan 14, sondern den gesamten Haushalt 2015 und
werden den gesamten Prozess innerhalb der Bundeswehr
weiterhin positiv begleiten.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Einzelplan
ist der Kollege Dirk Vöpel, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In jeder Krise steckt auch eine Chance. Das
gilt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Au6580
ßen- und Sicherheitspolitik. Es ist noch gar nicht lange
her, da hätte wohl niemand diese Häufung von Kriegen,
Krisen und Konflikten für möglich gehalten, mit denen
wir es heute zu tun haben, und das alles in unmittelbarer
Nachbarschaft der Europäischen Union. Der weiter
schwelende Ukraine-Konflikt und die neue russische
Machtpolitik, die apokalyptischen Bürgerkriege in
Syrien und im Irak, der Staatszerfall in Libyen und anderen Teilen Nordafrikas, die wachsenden Spannungen
zwischen Israelis und Palästinensern - die Welt an der
Ost- und Südflanke Europas ist kein friedlicherer Ort geworden. Auch deshalb steht die europäische Sicherheitspolitik in den kommenden Jahren vor gewaltigen Herausforderungen, auf die wir neue Antworten finden
müssen.
Quer durch Europa stehen die öffentlichen Haushalte
seit langem unter starkem Konsolidierungsdruck. Was
lag also näher, als sich die nach dem Ende des Kalten
Krieges allseits erwartete Friedensdividende vor allem
aus den nationalen Verteidigungsetats auszahlen zu lassen? Zahlreiche Krisen und Konflikte in der Nachbarschaft, der strategische Rückzug Amerikas, geringe
finanzielle Spielräume, das sind die schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen wir eine neue europäische
Sicherheitsstrategie formulieren müssen. Eines ist klar:
Allein mit dem nationalen Instrumentenkasten wird keines dieser Probleme zu lösen sein.
({0})
Ich bin der Auffassung, dass in den aktuellen Krisen
und Problemen auch eine Chance steckt. Europa muss in
Zeiten wie diesen auch militärisch enger zusammenrücken. Ich darf daran erinnern: Bereits an der Wiege des
europäischen Einigungswerks unmittelbar nach dem
Zweiten Weltkrieg stand mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, EVG, der nur knapp gescheiterte
Versuch, eine europäische Armee zu schaffen. Warum
sollten wir uns angesichts der Herausforderungen unserer eigenen Gegenwart langfristig weniger ehrgeizige
Ziele setzen?
({1})
Das wird natürlich ein langer, steiler und steiniger Weg.
Wir sollten ihn trotzdem gehen. Die immer stärkere Kooperation, Vernetzung und Integration auch der militärischen Ressourcen in Europa wären aus meiner Sicht
nicht nur ein entscheidender Beitrag zur Stärkung von
GSVP und GASP, sondern könnten dem europäischen
Projekt insgesamt neuen Schwung verleihen. Warum eigentlich sollte bei den Streitkräften nicht möglich sein,
was uns beim Geld und bei den Grenzen gelungen ist?
({2})
Die europäischen Mitgliedstaaten leisten sich zurzeit
28 nationale Armeen mit insgesamt 1,5 Millionen Soldatinnen und Soldaten. Die Gesamtausgaben für Verteidigung liegen bei knapp 200 Milliarden Euro, deutlich
mehr als Russland und China zusammen ausgeben, jedenfalls offiziell. Auf dem Papier sieht das ziemlich beeindruckend aus. Schaut man näher hin, erweist sich
Europa jedoch als militärischer Scheinriese. Nur in wenigen Bereichen entsprechen die real verfügbaren Fähigkeiten der Papierform. Die strategischen Fähigkeitslücken sind unübersehbar. Nirgendwo leisten wir uns so
viele Redundanzen, teure Mehrfacharbeiten und verschwenderische Parallelentwicklungen wie in diesem System fast ausschließlich national gesteuerter Rüstungsbeschaffung. Wozu brauchen wir in Europa 20 Programme
für gepanzerte Fahrzeuge, fünf oder sechs parallele
U-Boot-Projekte, jeweils fünf Programme für Kampfflugzeuge oder die Entwicklung von Boden-Luft-Raketen?
Unter dem anhaltenden Druck zur Kostenreduzierung
und bei dem fortlaufenden Rückgang nationaler Beschaffungsmengen kann eine vorwiegend am Bedarf des
eigenen Landes orientierte Rüstungsindustrie nicht überleben.
({3})
Wenn wir eine wettbewerbsfähige rüstungsindustrielle
Basis auf unserem Kontinent erhalten wollen, dann kann
die richtige Antwort auch im wehrwirtschaftlichen Bereich nur lauten: Wir müssen mehr Europa wagen.
100 Jahre nach dem Beginn der europäischen Selbstzerfleischung im Ersten Weltkrieg müssen wir leider
feststellen: Die Überhöhung vermeintlich nationaler
Interessen, das Denken in Machtkategorien und Einflusssphären und das Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik als einem Nullsummenspiel, bei dem ein
Land nur auf Kosten eines anderen etwas gewinnen
kann, sind auch 2014 nicht völlig überwunden. Vor diesem Hintergrund brauchen wir umso mehr ein geeintes
und vor allem ein einiges Europa.
({4})
Lassen wir diese Krise nicht ungenutzt!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - Vielen
Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksachen 18/2823, 18/2824
Berichterstatter sind die Abgeordneten Volkmar
Klein, Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja Hajduk.
Vizepräsident Peter Hintze
Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren liegen
ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor,
über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre
hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion Die
Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister! Ist er noch nicht da?
({0})
- Dann müssen wir kurz warten. Er ist im Zulauf? Ehrenwort, Herr Staatssekretär? Dann begrüßen wir erst
einmal den Herrn Staatssekretär.
({1})
- Nein, das hat schon etwas mit der Form zu tun, dass
wir auf den Minister warten.
({2})
- Ja, wir warten ganz kurz.
({3})
Vielleicht können wir ein paar Abstimmungen vorher
durchführen.
({4})
- Hervorragend.
({5})
Bitte.
Herr Minister, schön, dass auch Sie anwesend sind.
Dann kann ich jetzt mit meiner Rede beginnen.
Dies ist nach dem Einzelplan des Auswärtigen Amts
und dem Einzelplan des Verteidigungsministeriums der
dritte Einzelplan mit internationalem Bezug, den wir
heute hier besprechen. Ich weiß jetzt nicht genau, wer
sich die Reihenfolge ausgedacht hat; ich weiß auch nicht
genau, ob das etwas mit der Wertigkeit, mit der Wichtigkeit der Ministerien zu tun hat. Ich weiß allerdings, dass
wir bei der Verteilung der Gelder genau umgekehrt verfahren sollten: Wir sollten zuerst so viel Geld zur Verfügung stellen, bis wir 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit erreicht
haben, und dann das, was übrig bleibt, an die anderen
Ministerien verteilen.
({0})
Nur dieses Verfahren garantiert, dass endlich unser
Versprechen auf internationaler Ebene, mehr für die
Ärmsten auf der Welt zu tun, eingelöst werden kann.
Immerhin schaffen es fünf europäische Länder, ihre Verpflichtung einzuhalten: Schweden, Norwegen und
Luxemburg - diese drei liegen im Übrigen mit 1 Prozent
weit über der festgelegten Zahl von 0,71 Prozent - sowie
Dänemark und Großbritannien. Da ist die Frage im
Raum, warum wir das nicht schaffen.
Unabhängig von diesen zentralen Problemen muss
ich Ihnen zugestehen, Herr Minister: Sie machen es einem als Oppositionspolitiker nicht ganz einfach. Sie
sprechen die richtigen Probleme an: Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren, eine Welt ohne Hunger. Sie haben dazu Sonderinitiativen initiiert. Sie setzen
auch die richtigen Akzente, nämlich dass wir uns ändern
müssen, hier in Europa, in Deutschland, um so auch helfen zu können. Ich erinnere da an den Vorschlag zum
Textilsiegel. Das ist ganz im Sinne von „global denken,
lokal handeln“.
Sie verbinden das auch mit Methoden, die bei der
Linken Zuspruch finden, indem zum Beispiel bei der Erarbeitung der Zukunftscharta, die diese Woche vorgestellt wurde, die Zivilgesellschaft mit eingebunden
wurde. In der Zukunftscharta wird der zentrale Kritikpunkt ebenfalls angesprochen. Ich zitiere:
Diese nur langfristig zu verwirklichenden Ziele erfordern Geduld und den Einsatz von deutlich mehr
Ressourcen.
Wir haben hier also einen Minister, der die richtigen
Dinge anspricht, die richtigen Akzente setzt, die richtigen Methoden wählt und auch noch Dokumente produziert, in denen mehr Geld verlangt wird. Entsprechend
unseren internationalen Verpflichtungen müssten wir
circa 10 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Aber all dies nutzt nichts. Hier
soll ein Haushalt verabschiedet werden, der mit der Realität nichts zu tun hat, ein Haushalt eben, der nicht mehr
Ressourcen zur Verfügung stellt, obwohl allen klar ist,
dass dies falsch ist.
Lassen Sie mich das bitte an einem ganz konkreten
Beispiel verdeutlichen. Das Auswärtige Amt hat in einem Brief an uns Haushälter mit alarmierenden Worten
auf die Flüchtlingsproblematik hingewiesen. Ich habe
ihn heute schon bei der Beratung des Einzelplans des
Auswärtigen Amtes zitiert. Aber er ist so gut, dass man
ihn noch einmal zitieren kann. Es haben das ja noch
nicht alle gehört.
({1})
- Er ist so gut, dass man ihn zweimal zitieren kann. Ich
zitiere:
Wir sind Zeugen der schlimmsten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. … momentan kann auch Menschen in existenzieller Not nicht
ausreichend geholfen werden! … Deutschland fällt
hinter andere Geberländer zurück. … Bereits 2014
befinden wir uns in einem Feld mit Geberländern,
die erheblich kleinere Bevölkerungen und Volkswirtschaften haben als wir ({2}).
Mit diesem Brief konnte der Außenminister
Steinmeier in letzter Sekunde die Kürzung der Mittel für
humanitäre Hilfe verhindern. Er hat nun - wie im Jahr
2014 auch - wiederum 400 Millionen Euro zur Verfügung.
Nun ist das Auswärtige Amt aber nur für die sogenannte erste Hilfe zuständig, also - um es etwas salopp
auszudrücken - für Decken, Zelte und die warme Mahlzeit. Danach sind Sie als Minister des BMZ dran. Es
geht also um die mittelfristige Unterstützung und Hilfe.
Es geht um medizinische Versorgung. Es geht um Bildung. Ja, es geht auch um die Müllentsorgung. Die
Flüchtlingslager sind ja mittlerweile zu Städten angewachsen. Dafür stehen beim BMZ allerdings nur
139 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist unlogisch.
Wenn man mit 400 Millionen Euro für Zehntausende
Flüchtlinge humanitäre Hilfe leistet, dann muss sich das
doch auch in Ihrem Haushalt an entsprechender Stelle
widerspiegeln;
({3})
denn die Flüchtlinge sind ja nach der Erstversorgung immer noch da.
Diese Diskrepanz, liebe Kolleginnen und Kollegen,
müssen wir ausgleichen. Wir haben keine andere Wahl.
Die Realität wird uns dazu zwingen. Wenn wir es heute
nicht machen, werden wir in den nächsten Monaten zusammensitzen und überplanmäßige Ausgaben beschließen.
Wir bzw. Sie alle haben allerdings am Freitag dieser
Woche noch einmal die Chance, den Änderungsanträgen
der Linken zuzustimmen. Gemessen an den Aufgaben
und Forderungen, die im Raum stehen, sind es moderate
Änderungsvorschläge. Wir wollen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit von 6,5 auf 8 Milliarden
Euro anheben. Wir wollen explizit mehr Mittel für die
Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Wir wollen mit diesen
Anträgen aber auch dem Ziel, 0,7 Prozent unseres
Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit
zur Verfügung zu stellen, endlich einen Schritt näherkommen. Wir laden Sie gern ein, dabei mitzumachen.
Vielen Dank.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann es tatsächlich so machen: Man kann den
erheblichen Aufwuchs im Einzelplan 23 lapidar mit
„hätte auch mehr sein können“ kommentieren. Wahrscheinlich muss man das als Opposition auch. Man muss
mit dem berechtigten Lob der Regierung immer besonders sparsam sein, weil ja sonst die eigenen Leute ziemlich irritiert sind. Also, das ist schon ganz in Ordnung so.
Aber richtig ist es natürlich, auf den erheblichen Aufwuchs im Einzelplan 23, im Haushaltsplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, hinzuweisen. Angesichts der sich entwickelnden Krisen hatte auch der Minister darauf hingewiesen, dass es gut wäre, diese Mittel zu erhöhen. Im
Rahmen des Haushaltsverfahrens haben wir insgesamt
64 Millionen Euro mehr für das Ministerium zur Verfügung gestellt, und das angesichts einer Absenkung des
Gesamthaushalts um 400 Millionen Euro auf 299,1 Milliarden Euro. Insofern wäre eigentlich ein bisschen Lob
von allen Seiten des Hauses angebracht.
({0})
Doch der Reihe nach. Insgesamt ist der Haushalt die
in Zahlen gegossene gute und richtige Antwort auf die
aktuellen Fragen, eine Reaktion auf die wirtschaftlichen
Notwendigkeiten, aber auch auf die ethischen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Einher geht das
Ganze mit der entscheidenden Botschaft - ich denke, das
kann man auch an dieser Stelle wiederholen -: Bei einem Gesamthaushalt von 299,1 Milliarden Euro kommen wir komplett ohne neue Schulden aus, das erste Mal
seit 1969.
({1})
Das ist in dreifacher Hinsicht sinnvoll und wichtig:
Erstens. Es ist im Sinne von Generationengerechtigkeit ethisch richtig, den künftigen Generationen keine
Schulden zuzuschieben.
Zweitens. Wie wir aus den letzten Jahren wissen, ist
es aber auch für die aktuelle Finanzpolitik wichtig, Stabilität in Europa auszustrahlen.
Drittens. Für unseren Bereich hier ist es ganz entscheidend, sicherzustellen, dass wir unsere finanziellen
Fähigkeiten auch in Zukunft haben werden. Auch in Zukunft werden wir unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen können; das wollen wir. Insofern ist
der ausgeglichene Haushalt auch eine gute Botschaft für
die Entwicklungszusammenarbeit.
Der Einzelplan des Ministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung als solcher ist schon
als Entwurf gut gewesen. Im Rahmen der Beratungen
haben wir ihn noch ein Stück verbessern können. Dieser
Einzelplan umfasst mehr Geld - darauf habe ich eben
schon hingewiesen -; für viele ist schon das ein ausreichendes Qualitätsmerkmal. Im Übrigen steht dieser Einzelplan damit in einer langen Tradition: 2005 umfasste
der Haushalt dieses Ministeriums 2,8 Milliarden Euro.
Jetzt, zehn Jahre später, stehen im Haushaltsplan
6,5 Milliarden Euro; das sind mehr als 70 Prozent mehr,
und das bei einem Gesamthaushalt, der, von 260 Milliarden Euro auf 299 Milliarden Euro, nur relativ moderat
gewachsen ist.
({2})
- Der Beifall dafür, dass das Gewicht der Entwicklungszusammenarbeit gestiegen ist, ist sehr berechtigt.
({3})
Auf jeden Fall ist auch richtig, dass im Haushaltsverfahren beschlossen wurde, zusätzlich 90 Millionen Euro
für Nothilfe einzustellen. Wie wir eben gehört haben,
werden im Auswärtigen Amt zusätzlich 280 Millionen
Euro zur Verfügung gestellt. Darüber haben wir bereits
im Zusammenhang mit dem Einzelplan des Auswärtigen
Amtes diskutiert. Das sind natürlich die Folgen des Beschlusses der vergangenen Regierung, einen großen Teil
der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe
vom BMZ ins Auswärtige Amt zu verlagern. Ob das nun
gut war oder nicht, diese Frage stellt sich bei der heutigen Haushaltsberatung eher weniger.
Es geht hier aber nicht nur darum, viel Geld zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, die richtige Antwort auf Zukunftsfragen zu geben, nicht nur die aktuellen Notlagen zu bewältigen, sondern auch über den Tag
hinaus zu denken. Ein entscheidendes Hemmnis für
wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze in den
Ländern des Südens sind Gesundheitsprobleme. Da, wo
Menschen krank sind, können sie nichts erarbeiten und
ihre Zukunft nicht gestalten. Deshalb ist es so wichtig,
dass es uns gelungen ist, den deutschen Beitrag für die
Globale Impfallianz jeweils für die nächsten Jahre auf
40 Millionen Euro deutlich zu erhöhen. Das wird die
Grundlage sein: Wenn bilaterale Mittel hinzukommen,
werden wir auf dieser Grundlage bei der ReplenishmentKonferenz, die im nächsten Januar bei uns in Deutschland stattfindet, Zusagen in Höhe von rund 500 Millionen Euro geben können. Der entscheidende Punkt ist:
Damit werden Bremsklötze für die Entwicklung vor Ort
beiseitegeräumt.
({4})
Wir müssen auch an anderer Stelle Bremsklötze beiseiteräumen. Wir haben den Ansatz beim Titel „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ um 7 Millionen Euro erhöht. Das gibt die Grundlage dafür, noch mehr tun zu
können, damit sich in den jeweiligen Ländern Jobs,
Chancen entwickeln und am Ende auch Steuerzahler da
sind.
Ein bisschen ist dies auch die Antwort auf den Report
der Vereinten Nationen „A New Global Partnership“ des
High-Level Panel von 2013. Ich will einmal eine Passage daraus zitieren, jedenfalls die Übersetzung - auf
Seite 11 kann man das auf Englisch nachlesen -: Wirtschaft ist ein essenzieller Akteur, der wirtschaftliches
Wachstum generieren kann. Kleine und mittlere Unternehmen schaffen die meisten Arbeitsplätze, die gebraucht werden, dass sich die Ärmsten aus der Armut
befreien können. Große Firmen haben Geld und das
Know-how, um Infrastruktur aufzubauen, sodass es allen
Menschen ermöglicht wird, sich in der modernen Wirtschaft zu vernetzen. Große Unternehmen können darüber hinaus kleine und kleinste Unternehmen auf einem
größeren Markt vernetzen. - Das sagt das High-Level
Panel. Ich glaube, dass wir hier die richtige Antwort darauf geben.
Genau darum muss es gehen: Unser Anspruch muss
sein, wirklich zu helfen, damit die entsprechenden Länder auf eigenen Füßen stehen können, damit Arbeitsplätze geschaffen werden, damit auch dort Steuerzahler
vorhanden sind, die Infrastruktur, Gesundheitssysteme
usw. finanzieren können. Das ist das, was wir unter
nachhaltiger Hilfe verstehen.
Ich glaube, dass wir auch überlegen müssen, ob unsere Konzepte bereits voll ausgereift sind; denn wir haben an vielen Stellen, zumindest in Afrika, aus meiner
Sicht mit relativ viel Geld weniger erreicht, als wir mit
dem Geld der deutschen Steuerzahler eigentlich erreichen sollten. Das ist aber wichtig, nicht nur für die einzelnen Länder, sondern auch für die einzelnen Menschen. Wir müssen den Menschen in diesen Ländern
mehr Chancen vor Ort geben.
Wir sind - wir haben das mehrfach heute diskutiert sicherer Zufluchtsort für ganz viele Flüchtlinge, deren
Menschenrechte zu Hause mit Füßen getreten werden.
Diese Menschen wollen wir gern aufnehmen; das ist
richtig so. Aber wir sind verständlicherweise auch Ziel
von vielen, die zu uns kommen, weil sie bei sich zu
Hause zu wenig Chancen sehen. Da ist es doch ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir helfen, in diesen Ländern Chancen zu eröffnen, Chancen auf Jobs und darauf,
in der Heimat das eigene Leben zu gestalten.
({5})
Genau das ist auch der Inhalt der Sonderinitiativen,
die sich das Ministerium auf die Fahne geschrieben hat:
„Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen,
Flüchtlinge reintegrieren“ und „Nordafrika und Naher
Osten“; diese Region ist leider weiterhin im Mittelpunkt.
Das sind die Punkte, die im Mittelpunkt der Arbeit
stehen werden, die im nächsten Jahr von einer größeren
Öffentlichkeit sicherlich intensiv beachtet wird. Das
nächste Jahr ist ein wichtiges Jahr für die internationale
Zusammenarbeit. Ich habe die Replenishment-Konferenz von GAVI im Januar in Deutschland bereits
erwähnt. Das G-7-Treffen in Elmau wird sich ganz
intensiv mit all diesen Fragen beschäftigen. Die Beschlussfassung über die Post-2015-Agenda steht ebenfalls an. Es geht darum, Chancen zu bieten. Es geht
darum, über Konzepte zu streiten, die dann auch wirklich geeignet sind, Chancen zu schaffen.
Solche Konzepte - lassen Sie mich damit auch zum
Ende kommen - sind total gut, das dafür zur Verfügung
stehende Geld ist total wichtig - also der Haushalt, den
wir jetzt beschließen -, aber am Ende kommt es auf die
Menschen an, auf diejenigen, die dann vor Ort bereit
sind, das auch umzusetzen. Deswegen möchte ich an
dieser Stelle ganz herzlich denen danken, die für
Deutschland in den entsprechenden Ländern in aller
Welt Hilfe leisten, im Moment vor allen Dingen denen,
die ganz persönlich an den direkten Brennpunkten von
Ebola sind. Das sind, ich glaube, inzwischen bereits über
50 Deutsche. Da braucht man nicht nur Kompetenz; da
braucht man auch Mut. Ganz herzlichen Dank an all die
Menschen, die bereit sind, das zu tun!
({6})
Ich möchte mich aber auch ganz herzlich bei den Mitberichterstattern und Mitberichterstatterinnen im Haushaltsausschuss für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Da muss man auch schon mal unterschiedliche Meinungen aushalten und das ausfechten. Aber ich kann sagen:
Es macht einfach Spaß, gemeinsam an diesen Dingen zu
arbeiten, auch gemeinsam mit den zuständigen Leuten
aus dem Finanzministerium, aus dem BMZ, das von einem guten Minister geführt wird, der das Ganze gut im
Griff hat. Auch dafür ganz herzlichen Dank!
({7})
- Der Minister ist unter anderem deswegen so gut, weil
er von drei kompetenten Staatssekretären unterstützt
wird; das ist in der Tat richtig.
({8})
Meine Damen und Herren, mein Fazit. Erstens: Guter
Etat! Zweitens: Bitte zustimmen! Drittens: Am besten
alle!
({9})
Herzlichen Dank.
({10})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zustimmen geht beim besten Willen nicht, werter
Kollege Klein. Ich möchte das auch begründen.
Dieser Etat ist einer der wichtigsten, wenn es darum
geht, die aktuellen großen Krisen der Welt zu bewältigen
und auf lange Frist das Zusammenleben auf dieser Welt
mit unserer Unterstützung auf einen positiven Weg zu
bringen.
({0})
Gerade Minister Müller hat sich seit Amtsantritt nicht
gescheut, diesbezüglich sehr herausfordernde Worte zu
finden. Er hat die Probleme sehr klar beschrieben. In der
ersten Lesung hat er mit Blick auf die aktuellen Krisen,
die Arbeit mit den Flüchtlingen und die sogenannte entwicklungsfördernde und strukturbildende Übergangshilfe die Lage folgendermaßen beschrieben - ich zitiere -:
Dieses Problem kann unser Haushalt mit dieser
Ausstattung nicht zufriedenstellend lösen.
Diesen Satz hat er gesagt, verbunden mit der Aufforderung an uns, dass wir uns darum kümmern.
Ich habe heute, als ich auf die Rednerliste geschaut
habe, schon gestaunt, dass Minister Müller in dieser Debatte nicht das Wort ergreifen wird. Ich habe mich gefragt, ob vielleicht die Sorge besteht, dass er mit dem
Etat nicht so zufrieden sein könnte und dies vielleicht
zum Ausdruck bringen könnte. Das ist Spekulation; aber
ich bedauere sehr, dass er nicht spricht.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegin
Hajduk, nur zu Ihrer Kenntnis: Es ist, wie ich glaube,
große Anerkennung wert, dass ein Minister so handelt,
wie unser Minister handelt. Er hat bei der Einbringung
des Haushaltes gesprochen, hat uns seine Vorstellungen
dargelegt und hat es dann in unsere Hand gelegt, zu handeln. Dass er jetzt die zweite und dritte Lesung nicht als
Regierungshandeln, sondern als Parlamentshandeln versteht, finde ich ausgezeichnet. Ich würde mir wünschen,
manch anderer Minister würde das auch so machen.
({0})
Ich möchte Ihnen gerne antworten, Frau Kollegin.
({0})
- Ich möchte aber in der gebotenen Kürze darauf eingehen. - Ich bin sehr dafür, dass parlamentarische Gepflogenheiten eingehalten werden und dass wir unsere Rolle
mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein wahrnehmen. Ich habe es aber immer auch als wichtig und richtig
empfunden, dass zum Beispiel im Haushaltsausschuss
die Minister anwesend sind, wenn ihr Etat beraten wird.
Ich finde es entsprechend unseren parlamentarischen
Gepflogenheiten der Rede und Gegenrede wertvoll, auch
den Minister selber sprechen zu hören, in Reaktion auf
die Änderungen, die sein Etat erfahren hat.
({1})
Ich kann das, was Sie sagen, nicht teilen. Aber letztlich
ist es natürlich die Entscheidung der CDU/CSU-Fraktion, wie sie die Redeminuten verteilt; ich möchte Ihnen
nicht absprechen, dass es in Ihrer Verantwortung liegt.
Aber es fällt schon auf; es ist eher eine seltene Ausnahme, dass es so gehandhabt wird, wie Sie es hier
handhaben.
({2})
Ich möchte im Thema fortfahren. Ich möchte nicht
leugnen, dass die Koalitionsfraktionen bei der entwicklungsfördernden und strukturbildenden Übergangshilfe
90 Millionen Euro draufgelegt haben. Das ist angesichts
der vorhandenen 49 Millionen Euro nicht nichts. Das
will ich, wie gesagt, gar nicht leugnen; schon gar nicht,
weil ich den Minister zitiert habe. Aber ich kann einfach
nicht verstehen, dass Sie dann den Großteil, 75 Millionen Euro, bei der bilateralen Finanziellen Zusammenarbeit abziehen.
({3})
Bei den Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale
Technische Zusammenarbeit ziehen sie 46 Millionen
Euro ab.
Der Gesamtaufwuchs in diesem Etat ist, gemessen daran, was eigentlich nötig ist, viel zu gering. Deswegen
können wir nicht erkennen, Volkmar Klein, dass das die
ausreichende Antwort auf die globalen Krisen, auf die
langfristigen Probleme, die wir haben, sein soll.
Vor dem Hintergrund der Entscheidungen, die wir
hier heute schon getroffen haben, möchte ich auf Folgendes hinweisen - ich bin auch zuständig für den Etat
Kultur -: Zugunsten des Kulturetats, der um einiges kleiner ist als dieser Etat - was ich gut finde -, finden Umschichtungen in der Größenordnung von 100 Millionen
Euro in diesem Jahr und 280 Millionen Euro in den Folgejahren statt. Ich bedauere es, dass Sie angesichts dessen in diesem Etat nur eine 1-prozentige Steigerung geschafft haben - und das vor dem Hintergrund unserer
internationalen Zusagen und der Vereinbarungen, die wir
unterzeichnet haben.
({4})
Wenn ich mich nicht irre, Frau Pfeiffer, waren Sie dabei, als wir uns darauf geeinigt haben, einen Aufwuchspfad zum 0,7-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Gemessen an diesen Zusagen kann ich nur sagen: Das ist viel
zu wenig, was Sie machen. Ich bitte Sie: Lehnen Sie sich
nicht zurück - ich hatte es so verstanden, dass der Minister sich auch nicht zurücklehnen will -; denn diese Rechnung geht nicht auf.
Es gibt den Wunsch von Kollegin Pfeiffer nach einer
weiteren Frage oder einer Bemerkung. Möchten Sie die
zulassen?
Wenn ich jemanden anspreche, dann lasse ich das
gerne zu.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegin
Hajduk, es gibt eine Erklärung für das Ganze. Es ist Ihnen sicherlich bekannt, dass das Thema „humanitäre
Hilfe und Not- und Übergangshilfe“ primär beim Außenministerium angesiedelt ist. Insofern haben wir vielleicht nur eine Brotkrume abbekommen; das ist das eine.
Aber das andere ist: Wir haben die Kompetenzen und
Zuständigkeiten für diese Frage geordnet. Insofern ist
diese Verteilung so, wie sie ist. Wir können es vielleicht
grundsätzlich bedauern, dass wir nicht mehr Geld zur
Verfügung haben; aber wenn Sie allein auf die humanitäre Hilfe und die Not- und Übergangshilfe abstellen,
liegen Sie leider falsch.
({0})
Frau Kollegin, auch da muss ich Ihnen widersprechen; Herr Schmidt, darauf gehe ich jetzt ein.
In Bezug auf das, was im Zuge der humanitären Hilfe
notwendig ist, haben Sie tatsächlich reagiert; das ist vorhin schon gesagt worden. Sie haben zum Glück einen
Fehler korrigiert, auf den wir Sie schon im Juni/Juli hingewiesen haben. Wir haben nämlich gesagt: Sie müssen
bei der humanitären Hilfe draufsatteln, damit das Niveau
von 400 Millionen Euro gehalten werden kann. Das
stimmt; das ist sozusagen eine Fehlerkorrektur, die Sie
vorgenommen haben.
Wir reden hier aber nicht über Mittel für humanitäre
Hilfe - für die erste Versorgung mit Decken usw., wie
Herr Leutert eben ausgeführt hat -, sondern wir reden
über mittel- und längerfristige Strukturen wie Wasserversorgung und Schulen, die ab einem Zeitraum von drei
Monaten nötig sind. Sie wissen doch, wie groß die Zahl
der Flüchtlinge ist! Es sind mehrere Millionen, und der
Minister hat gesagt - bestimmt auch Ihrer Fraktion; das
kann ich mir gar nicht anders vorstellen -: Da komme
ich mit den Mitteln für die Hilfe, für die ich zuständig
bin, trotz der Aufteilung mit dem Auswärtigen Amt,
nicht aus. - Sie müssen also in der Summe mehr tun und
nicht nur an der einen Stelle. Das wäre doch die richtige
Antwort auf diese Frage.
({0})
Ich möchte mit einem zweiten Themenschwerpunkt
fortfahren, den wir Grüne und auch ich wichtig finden.
Wir zeigen Ihnen einen Pfad auf, wie wir unsere internationalen Zusagen mit einem Plus von insgesamt
800 Millionen Euro einhalten können, um der ODAQuote näherzukommen. Das ist ein mehrjähriger Prozess.
Das Jahr 2015 wird in Bezug auf Entwicklungs- und
Klimapolitik ein wichtiges Jahr. Es werden viele wichtige Konferenzen stattfinden. Es ist richtig, was der
Minister gesagt hat: Unter dem Klimawandel leiden am
meisten die Bewohner von Inselstaaten sowie die Bewohner Afrikas aufgrund der Wüstenausbreitung und
des Wassermangels. Wir, der entwickelte Norden - ich
nenne das einmal so -, sind der Hauptverursacher. Insofern haben wir die Verpflichtung, hier mehr zu helfen.
Es ist gut, dass die deutsche Regierung zugesagt hat,
mit 750 Millionen Euro beim Green Climate Fund einzusteigen. Wir Grüne sagen aber: Hier müssen wir noch
mehr tun. Wir brauchen eine Aufstockung auf 1 Milliarde Euro.
Ich sage Ihnen mit Blick auf den Haushalt 2015: Es
kann nicht angehen, dass Sie von diesen 750 Millionen
Euro Verpflichtungsermächtigung gerade einmal 18 Millionen Euro im Jahr 2015 einsetzen wollen. Wir glauben,
dass es für den Klimaschutz insgesamt nötig ist, ein Paket von 500 Millionen Euro zusätzlich zu schnüren, das
sowohl dem Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsschutz
Rechnung trägt als auch multilaterale Hilfen und den
Green Climate Fund mit mehr Mitteln ausstattet.
Ich möchte Ihnen zum Abschluss meiner Rede eine
Brücke bauen. Wenn die 500 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz eingesetzt werden, dann handelt es sich ja um investive Maßnahmen. Wenn Sie sich
in dieser Woche nicht dazu durchringen können, eine
entsprechende Entscheidung zu treffen, dann tun Sie es
innerhalb des nächsten halben Jahres. Dann werden Sie
nämlich vor der Aufgabe stehen, das 10-MilliardenEuro-Paket von Herrn Schäuble zu füllen. Das sind zugesagte Investitionen für die Jahre 2016 bis 2018. Packen Sie davon einen Riesenbatzen in den internationalen Klimaschutz! Folgen Sie unseren Vorschlägen! Sie
wären zwar spät bekehrt, aber es wäre was. Heute sind
wir nicht zufrieden.
Schönen Dank.
({1})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Sonja Steffen, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ein nachdenklicher Satz unseres Außenministers ist heute schon mehrmals zitiert worden: Die Welt ist aus den Fugen geraten. Es gibt Probleme, die scheinbar endlos wachsen, in immer neuen Dimensionen: Kriege, brutale Verfolgung,
Millionen Flüchtlinge - ein einziges Elend.
Es ist richtig und wichtig, dass uns diese Bilder erreichen. Ich möchte jedoch an dieser Stelle erst einmal kurz
einen Blick auf die Erfolgsseite werfen. Das sind die Erfolge, die wir in der Welt gemeinsam, gemessen an den
Millenniumszielen, in den letzten 15 Jahren erreicht haben, und es sind große Erfolge.
Der Anteil der Weltbevölkerung in absoluter Armut
- das sind die Menschen, die mit 1,25 Dollar für ihren
täglichen Bedarf auskommen müssen - hat sich seit
2000 halbiert. Die Kindersterblichkeit hat sich seit 2000
ebenfalls halbiert, und die Müttersterblichkeit hat sich
fast halbiert. Der Anteil der Kinder mit Grundschulbildung ist auf 90 Prozent gestiegen. Das sind beeindruckende Erfolge, Erfolge einer Politik der Weltgemeinschaft, die sich zur Jahrtausendwende ein ambitioniertes
Programm zum Ziel gesetzt hat: die Entwicklungsziele
des Millenniums.
Man kann aus diesen Erfolgen zwei Resümees ziehen.
Das erste ist: Ambitionierte tief und breit angelegte Programme wie die MDGs und die SDGs sind der richtige
Weg. Das zweite ist: Entwicklungszusammenarbeit lohnt
sich, zahlt sich aus.
({0})
In diesem Geist der Weltgemeinschaft haben Sie, Herr
Minister Müller, jetzt ein ebenfalls sehr ambitioniertes
Programm aufgelegt: die Zukunftscharta „EINEWELT Unsere Verantwortung“. Leider sprechen Sie heute nicht
- ich bedaure das -, sonst könnten Sie vielleicht auch einige Sätze zu dem wirklich sehr erfolgreichen Auftakt
dieser Veranstaltung sagen. Viele von uns waren am
Montag dabei. Es waren Tausende von Menschen in der
Station Berlin, und es war ein sehr buntes Bild. Das hat
uns allen, denke ich, sehr viel Hoffnung für die nächsten
Jahre gegeben.
Die Botschaft dieses Programmes ist: Es gibt nicht
mehr die Welt des Gebens und Nehmens. Alle Länder
und Akteure sind verantwortlich. Das ist ein Programm,
das alle Politikbereiche umfasst. Was für die SPD-Fraktion besonders wichtig ist: Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit weltweit wird zum Ziel erklärt, ebenso
wie eine Flüchtlingspolitik, die die unerträgliche Lage
der Flüchtlinge beenden will. Herr Klein, da bin ich ganz
bei Ihnen: Das muss so nachhaltig sein, dass die Menschen erst gar nicht mehr aus ihrer Heimat flüchten müsSonja Steffen
sen. Ganz wichtig ist übrigens: kein einziges Wort in der
Zukunftscharta über militärische Hilfe. Hier gehört sie
nämlich nicht hin, schon deshalb nicht, weil sie oft Teil
des Problems ist und nicht Teil der Lösung.
({1})
Dafür hat die Charta aber ein weiteres Ziel formuliert
- das haben auch Sie am Montag betont -, man höre:
vom Freihandel zum Fairhandel. Das hat mir sehr gut
gefallen. Seien Sie versichert, Herr Minister, die Zukunftscharta findet die volle Unterstützung meiner Fraktion, der SPD-Fraktion, und hoffentlich auch der gesamten Koalition.
({2})
Nun hat die Zukunftscharta also sehr erfolgreich begonnen, es bedarf aber einer konsequenten Neuausrichtung Ihres Ministeriums, damit es tatsächlich ein Ministerium für globale Zukunftsfragen werden kann. Hier,
liebe Kolleginnen und Kollegen - da gebe ich der Opposition wirklich recht -, bedarf es auch mit Blick auf die
Zukunft aus unserer Sicht eines wesentlich höheren
Etats.
({3})
Vor diesem Hintergrund ist es mir als Haushälterin
natürlich leicht gefallen, mich für mehr Mittel in unserem Etat einzusetzen. Ich weiß auch, dass vor allem die
Oppositionsfraktionen - das haben wir vorhin schon gehört - bemängeln, dass der Entwicklungsetat nach wie
vor nur 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt
statt der einmal vereinbarten 0,7 Prozent, was der berühmten, fast schon berüchtigten ODA-Quote entsprechen würde, die wir eigentlich 2015 erreichen wollten.
Diese zu erreichen, ist uns bislang nicht gelungen. Die
Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen der SPD-Fraktion
sind wie auch ich an einigen Stellen nicht glücklich über
den diesjährigen Etat.
Ich will aber auch loben; das habe ich eingangs schon
gesagt. Immerhin haben wir insgesamt 100 Millionen
Euro mehr, als im ursprünglichen Haushaltsentwurf vorgesehen, für die Flüchtlingshilfe. 60 Millionen sind noch
einmal obendrauf über den Titel „Entwicklungsfördernde und strukturbildende Übergangshilfe“ in den
Haushalt hereingelangt. Ich finde schon, dass das ein
großer Erfolg und vor dem Hintergrund der aktuellen
Flüchtlingsdramen auch völlig angemessen ist.
Der Etat des Außenministeriums - auch das war ja
heute hier in der Debatte zu hören - ist gleich um
300 Millionen Euro aufgestockt worden. Das ist auch
besonders wichtig, weil gerade die Winterhilfe jetzt unbedingt funktionieren muss.
2015 ist für die Entwicklungszusammenarbeit ein entscheidendes Jahr - das haben wir schon gehört -: Wir
haben die Zukunftscharta; 2015 übernimmt Deutschland
die Präsidentschaft der G 7, und eine der ersten Konferenzen, die Deutschland leitet, ist die GAVI-Geberkonferenz. Schon Ende Januar soll sie in Berlin unter der
Schirmherrschaft unserer Bundeskanzlerin stattfinden.
Ich will vielleicht kurz erklären, auch wenn wir zu
dieser späten Stunde bedauerlicherweise fast unter uns
sind: Dank GAVI konnte in den letzten Jahren erreicht
werden, dass mindestens 440 Millionen Menschen gegen lebensbedrohliche Krankheiten geimpft werden
konnten. Auf diese Weise wurden schätzungsweise bisher schon 6 Millionen Todesfälle verhindert. Polio beispielsweise konnte weltweit fast komplett ausgerottet
werden.
Das ist also ein sehr ambitionierter, aber auch sehr erfolgreicher Fonds, den wir da haben. Ich finde es absolut
angemessen, dass wir in diesen Haushalt 15 Millionen
pro Jahr zusätzlich einstellen; denn es handelt sich wirklich um einen unglaublich erfolgreichen Fonds. Es ist
übrigens auch gut, dass die Kanzlerin, die am Montag
ebenfalls bei der Übergabe der Zukunftscharta anwesend
war, ausdrücklich 500 Millionen Euro für GAVI in den
kommenden Jahren in Aussicht gestellt hat. Herr Klein
hat darauf auch schon hingewiesen.
Es gibt noch einen anderen globalen Fonds: Das ist
der GFATM, der Globale Fonds zur Bekämpfung von
Aids, Tuberkulose und Malaria, den wir in diesem Jahr
mit 10 Millionen Euro mehr unterstützen. Ich weiß, dass
die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker sich mehr versprochen haben. Ich hoffe aber, dass wir in den nächsten
Jahren bei diesem Fonds einen weiteren Aufwuchs erreichen können.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Kekeritz?
Ja.
Frau Kollegin, Sie sagten gerade, dass GFATM mit
10 Millionen Euro mehr unterstützt wird. Meiner Kenntnis nach wird der Etat um 35 Millionen gekürzt. Wie ist
das zu erklären?
Sie gehen von der theoretischen Annahme aus, dass
der Ansatz eigentlich viel niedriger war. Die Leute hier
wollen aber wissen, wie hoch er 2014 war und wie hoch
er 2015 sein wird. Vor diesem Hintergrund ist ganz klar:
Es handelt sich nicht um eine Erhöhung um 10 Millionen Euro, sondern um eine Reduzierung um 35 Millionen Euro. Ich bitte Sie im Namen der Öffentlichkeit und
der Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, die Zahlen
nicht derart durcheinanderzubringen.
Danke.
({0})
Herr Kekeritz, dazu will ich gerne etwas sagen. Wir
hatten in dem Etat „Global Fonds“ ursprünglich
200 Millionen Euro pro Jahr eingestellt; das werden Sie
wissen. Im letzten Jahr haben wir es erreicht, den Etat
2014 auf 240 Millionen Euro zu erhöhen. In diesem Jahr
- deshalb finde ich, dass ich nichts Falsches gesagt
habe - ist es uns gelungen, den Etat um 10 Millionen
Euro zu erhöhen, also von den 200 Millionen Euro, die
eingestellt waren, auf 210 Millionen Euro.
({0})
- Wir sprechen über 2015. Ursprünglich angesetzt waren
es 200 Millionen Euro, und jetzt sind es 210 Millionen
Euro.
({1})
Ich habe ja auch gesagt, dass ich mir in Zukunft eine
deutlichere Erhöhung wünsche.
Übrigens hat auch die Kanzlerin am Montag gesagt,
dass GAVI und der Global Fonds sehr gelungene Beispiele für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit
sind. Ich finde es sehr wichtig, dass auch die Kollegen
von der Union dies noch einmal deutlich gehört haben.
Es ist wichtig, dass das Interesse in unserem Land an
internationalem Engagement durch unsere Politik gestärkt wird. In diesem Zusammenhang leistet der Zivile
Friedensdienst, den viele junge und engagierte Menschen dort, wo es wirklich brennt, absolvieren, eine sehr
wichtige Arbeit. Deshalb war es uns von der SPD-Fraktion besonders wichtig, dass wir diesen Zivilen Friedensdienst mit 5 Millionen Euro mehr, also mit insgesamt
39 Millionen Euro, unterstützen.
Des Weiteren freue ich mich sehr, dass der Etat für die
Forschung in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt
wird. Wir stellen hierfür 5 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Es ist gut, dass davon auch das Deutsche Institut
für Entwicklungspolitik profitieren wird.
({2})
Der Haushaltsentwurf 2015 war ein hartes Stück Arbeit. Das Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen - dass uns dies gelungen ist, begrüße ich sehr -, hat
uns vieles abverlangt. Es ist uns gelungen, im Einzelplan 23 die richtigen Schwerpunkte zu setzen, insbesondere im Bereich Flüchtlingshilfe und Gesundheit.
Über den Erfolg eines schuldenfreien Haushalts wollen wir aber nicht vergessen, dass unsere Verantwortung
in der Welt und für die Welt wirklich ernst genommen
werden muss. Deshalb habe auch ich, Frau Hajduk, darüber nachgedacht, warum wir nicht einen Teil der
7 Milliarden Euro, die noch nicht verplant sind, für Investitionen in die Entwicklungszusammenarbeit nutzen
sollten.
({3})
Sie haben das vorhin vorgeschlagen. Das finde ich nicht
schlecht.
Abschließend will ich mich bei allen bedanken, beim
Hauptberichterstatter, Herrn Klein, der das mit uns zusammen, auch zusammen mit Herrn Leutert und Frau
Hajduk, sehr gut gemacht hat. Des Weiteren will ich
mich beim Ministerium bedanken, beim Minister selbst,
bei den Staatssekretären, beim gesamten Stab und natürlich auch bei unseren eigenen Mitarbeitern.
Danke schön.
({4})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf den Rängen! Ja, wir müssen noch viel tun. Aber schauen wir
doch erst einmal, was wir haben.
Dank Bundesminister Dr. Gerd Müller weht ein frischer Wind durch die deutsche Entwicklungspolitik.
({0})
Es zeichnet den Minister aus - die Staatssekretäre will
ich hierbei natürlich nicht vergessen -, dass er bei seinen
Bemühungen um neue Ansätze bei Beibehaltung der erfolgreichen Strategien die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft mit ins Boot holt. Ich wage auch die Behauptung: Damit hebt er sich positiv von dem einen oder
anderen seiner Vorgänger ab.
({1})
Erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit lebt von der
guten Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und von
der Akzeptanz in der Bevölkerung. Daher ist die Herangehensweise von Gerd Müller, die enge Einbindung, genau die richtige.
Liebe Sonja Steffen, beim Blick in die Zeitungen der
letzten Woche beschleicht viele Menschen angesichts
der zahlreichen Krisen in der Welt verständlicherweise
ein beängstigendes Gefühl. Bei der Bekämpfung dieser
Krisen ist die Entwicklungszusammenarbeit aus meiner
Sicht das einzig wirklich richtige Mittel - beim Kampf
gegen Ebola, bei den Hilfen für die Flüchtlinge im Irak
und in Syrien, aber auch bei den leider schon wieder aus
dem Rampenlicht entschwundenen Krisen im Sudan und
Mali. Es geht eben nicht ohne EntwicklungszusammenSabine Weiss ({2})
arbeit. Das müssen wir immer wieder betonen. Damit
müssen wir noch viele Herzen erreichen.
Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der aktuelle Haushalt des BMZ in hohem Maße auf die akute
Krisenbewältigung ausgerichtet ist. 90 Millionen Euro
wurden im parlamentarischen Verfahren beim Titel
„Entwicklungsfördernde und strukturbildende Übergangshilfe“ draufgelegt. 200 Millionen Euro stehen für
die von Minister Müller vorgeschlagenen drei Sonderinitiativen zur Hungerbekämpfung, zur Flüchtlingsfrage
und zu Nordafrika/Nahost zur Verfügung.
Zusätzliche Mittel wurden kurzfristig für die Bewältigung der Ebolakrise sowie der Flüchtlingskatastrophe in
Nahost bereitgestellt. Zwar verschwindet Ebola zurzeit
wieder aus den Schlagzeilen. Wie wir alle wissen, bedeutet das aber leider nicht, dass diese Krise mit ihren
dramatischen Auswirkungen auf die Länder ausgestanden ist. Einzig in Liberia gibt es derzeit Zeichen für einen Rückgang der Ansteckungen. Allerdings wird die
Seuche zusehends zu einer Gefahr für die internationale
Sicherheit. Daher haben die G-20-Staaten, wie die Frau
Bundeskanzlerin heute Morgen berichtet hat, Ebola gemeinsam den Kampf angesagt. Wir wissen, dass die
Bundesregierung sich mit 100 Millionen Euro an der
Seuchenbekämpfung beteiligt.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle
allen Helfern zu danken, die in den Ebolagebieten unter
schwersten und nicht ungefährlichen Bedingungen arbeiten, um den Kranken zu helfen. Ich kann das gar nicht
angemessen ausdrücken. Ihnen gebühren wirklich unsere Hochachtung und unser höchster Respekt für ihren
humanitären Einsatz.
({3})
Die aktuellen Krisen erfordern kurzfristige Hilfen und
internationale Unterstützung. Sie dürfen aber nicht den
Blick darauf verstellen, dass erfolgreiche und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit auf die Lösung struktureller und tiefsitzender Entwicklungshemmnisse ausgelegt ist. Daher sind neben der akuten Krisenhilfe
weitere Schwerpunkte des Haushaltes für das nächste
Jahr: Bildung, Gesundheit und Ernährungssicherheit.
Krisen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas mit dem massiven Vormarsch eines radikalen und
gewalttätigen Islam halten die Welt derzeit in Atem. Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht vor den
barbarischen Mördertruppen. Dass es so weit kommen
konnte, dass die Truppen des IS ganze Landstriche mit
ihren Gräueltaten überrollen, ist allerdings auch eine
Folge jahrzehntelanger Nichtbeachtung der Interessen
und Bedürfnisse der breiten armen Bevölkerung, eine
Folge fehlender Bildung und Gesundheitsversorgung
und eine Folge der Missachtung von Rechten von
Frauen; denn ohne Zugang zu Bildung, Gesundheit und
Ernährung für alle Bevölkerungsgruppen und -schichten
in Entwicklungsländern wird nirgends ein sich selbst tragender Entwicklungsprozess in Gang kommen.
Ich möchte mich heute noch kurz auf zwei Aspekte,
nämlich Bildung und Gesundheit, konzentrieren. Bildung ist das schärfste Schwert, das wir gegen rückwärtsgewandte und menschenverachtende Ideologien haben;
denn nichts entzaubert mittelalterliche Weltanschauungen schneller und besser. Bildung macht Gesellschaften
offen, vielfältig und tolerant. Bildung ist der sicherste
Weg aus der Armut. Daher bin ich sehr froh darüber,
dass der Bildung eine so hohe Bedeutung zugemessen
wird. 400 Millionen Euro sollen in dieser Legislaturperiode jährlich aus dem Haushalt des BMZ für Bildung
eingesetzt werden.
Neben dem BMZ kann und muss hier aber auch die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Amtes wichtige Beiträge leisten; denn nichts fürchten Diktatoren und Fundamentalisten so sehr wie freie
Medien und Meinungsfreiheit. Folgerichtig muss die
Förderung freier Medien und der Meinungsfreiheit einer
unserer Schwerpunkte sein.
({4})
Der Stachel im Fleisch der Diktatoren, Fundamentalisten und aller, die es mit der Demokratie nicht ernst
meinen, können unter anderem die Deutsche Welle und
andere Träger sein. 3 Millionen Euro wurden für diesen
Zweck im parlamentarischen Verfahren zusätzlich für
nächstes Jahr veranschlagt.
Alle diese Maßnahmen - das hören wir aber auch jedes Jahr wieder - erfordern eine stärkere Vernetzung der
einzelnen Ressorts, als es bisher geschieht. Ich glaube,
lieber Gerd Müller, das ist eine Baustelle, an der wir alle
- die Bundesregierung, aber auch wir Parlamentarier noch arbeiten müssen.
Zum Thema Gesundheit. Es gibt keinen Bereich, bei
dem eingesetzte Mittel so direkt zu einem messbaren Erfolg führen wie im Gesundheitsbereich. Die Erfolge der
letzten zwei Jahrzehnte sind beachtlich - Frau Steffen ist
schon darauf eingegangen -: Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren hat sich fast halbiert, die Müttersterblichkeit sank um 45 Prozent. Trotz aller Erfolge
müssen wir unsere Anstrengungen natürlich verstärken.
Denn jedes Kind und jede Mutter, die einen vermeidbaren Tod sterben, sind ein Kind und eine Mutter zu viel.
Nach wie vor sterben jeden Tag mehr als 18 000 Kinder
unter fünf Jahren, und 900 Frauen lassen jeden Tag ihr
Leben aufgrund von Schwangerschaft oder Geburt infolge von durchaus behandelbaren oder vermeidbaren
Komplikationen. Da ist es richtig, dass sich der G-7-Gipfel in Deutschland nächstes Jahr dem Thema der globalen Gesundheit widmen wird.
Die im Gesundheitsbereich erzielten Erfolge sind in
hohem Maße der Arbeit des Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria und
der Impfallianz GAVI zu verdanken. Ich begrüße es daher außerordentlich, dass Bundesregierung und Parlament hier an einem Strang ziehen und die Mittel für
diese beiden Organisationen erhöhen. Beim GFATM
wurden 10 Millionen Euro - der Haushaltsansatz betrug
200 Millionen Euro - draufgelegt, lieber Uwe Kekeritz.
({5})
Sabine Weiss ({6})
Mit diesen insgesamt 210 Millionen Euro haben wir für
2015 eine Summe, mit der Deutschland weiterhin der
weltweit drittgrößte Geber des Globalen Fonds ist. Aber
auch ich bin ein Freund der Position: Daran müssen wir
weiter arbeiten.
Bei GAVI wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Deutschland bei der nächsten Geberkonferenz bis zu 500 Millionen Euro für die kommenden
Jahre zusagen kann. Ich denke, auch das ist eine signifikante Erhöhung. Ich kann mich noch daran erinnern, mit
welchen Summen GAVI unterstützt wurde, als ich vor
fünf Jahren mit der Entwicklungspolitik anfing.
Das BMZ plant auch eine Erhöhung der Mittel für die
wichtige Entwicklung von Gesundheitssystemen in den
entsprechenden Ländern. Denn gerade das Fehlen von
funktionierenden und belastbaren Gesundheitssystemen
ist maßgeblich schuld am rasanten Ausbruch der Ebolaseuche.
60 Millionen Euro mehr hat der Haushaltsausschuss
trotz der Vorgaben der Schuldenbremse und der schwarzen Null bewilligt. Ich denke, das ist ein Erfolg. Den lassen wir uns heute auch nicht kleinreden. Wir arbeiten
weiter daran, dass wir nächstes Jahr größere Erfolge erzielen.
Mit Blick auf die Zukunft möchte ich als Entwicklungspolitiker noch Folgendes anmerken: Wenn wir vor
dem Hintergrund der aktuellen Krisen und Bedrohungen
richtigerweise über eine Erhöhung des Volumens des
Verteidigungshaushaltes sprechen, dann müssen wir das
erst recht im Hinblick auf den Entwicklungsetat tun;
denn Entwicklungspolitik ist die beste Krisenpräventionspolitik.
({7})
Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommenden
Jahren einen signifikanten Anstieg des Barhaushaltes erreichen. Die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen im Rahmen der Finanziellen und Technischen Zusammenarbeit und bei den Sonderinitiativen um circa
450 Millionen Euro in 2015 ist ein gutes Signal und ein
Weg in die richtige Richtung.
In Zeiten der Schuldenbremse und knapper Haushalte
werden alternative Finanzierungsmittel für die Entwicklungspolitik immer wichtiger. Lassen wir einmal die
7 Milliarden Euro, die vorhin Thema waren, beiseite;
dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich denke - dafür
möchte ich werben -, dass ein bedeutender Teil der hoffentlich bald erzielten Einnahmen aus der hoffentlich
bald beschlossenen Finanztransaktionsteuer in die Entwicklungszusammenarbeit und den internationalen Klimaschutz fließt. Wir müssen diesen Anspruch immer
wieder anmelden; sonst ist das Fell des Bären verteilt,
bevor er erlegt worden ist.
({8})
Wir Entwicklungspolitiker werden uns gemeinsam
dafür einsetzen, dass in den nächsten Jahren noch eine
ordentliche Schippe auf den Haushalt obendrauf kommt.
Auch werden wir dafür kämpfen, dass ein bedeutender
Teil der Finanztransaktionsteuer für die Entwicklungszusammenarbeit abfällt. Denn erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit ist das wichtigste und erfolgreichste
Präventionsmittel, das wir haben. Das können wir nicht
oft genug betonen.
Herzlichen Dank.
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Niema Movassat, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Minister Müller, bald können wir eine Kerze anzünden nicht nur wegen des ersten Adventssonntags, sondern
auch, weil Sie bald Ihr einjähriges Ministerjubiläum feiern.
Ihr Hauptanliegen, alle mit ins Boot zu nehmen, überstrahlt dieses erste Jahr. Das ist ohne Frage ein sehr
frommer Wunsch.
({0})
Sie müssen aber dafür sorgen, dass dieser fromme
Wunsch auch Wirklichkeit wird; denn Ihr Wunsch und
die Realität klaffen bei Ihrer konkreten Politik leider oft
auseinander.
({1})
Ich nenne ein Beispiel: Vor kurzem übergaben Vertreter der Nichtregierungsorganisationen FIAN, INKOTA
und Oxfam Ihrem Ministerium 65 000 Unterschriften, die
sie im Rahmen der Kampagne „Keine Entwicklungshilfe
für Agrarkonzerne“ gesammelt hatten. Diese Kampagne
richtet sich ausdrücklich gegen die enge Zusammenarbeit
Ihres Hauses mit der Agrar- und Lebensmittelindustrie.
Was macht Ihr Entwicklungsministerium daraus? Anlässlich der Unterschriftenübergabe veröffentlichten Sie
eine Pressemitteilung mit dem Titel „INKOTA, FIAN
und Oxfam gemeinsam mit dem BMZ für ‚EineWelt
ohne Hunger‘“. Das ist echt dreist.
({2})
Eine ausdrückliche Kritik an Ihrer Politik biegen Sie
mal eben in einen Beleg für gute Zusammenarbeit um.
Damit täuschen Sie die Öffentlichkeit. Hauptsache, es
sieht so aus, als wären alle im Boot! Oxfam, FIAN und
INKOTA fordern seit zwei Wochen eine Richtigstellung.
Diese sollte unverzüglich erfolgen.
({3})
Noch viel wichtiger ist aber: Ändern Sie endlich Ihre
Politik. Sie sagen zwar ständig, Sie wollen die kleinbäuerliche Landwirtschaft in den Entwicklungsländern stärken, aber das bleibt leider nur ein leeres Versprechen.
Der Haushaltsentwurf für 2015 weist nämlich leider in
eine ganz andere Richtung.
Schauen wir uns das Flaggschiff Ihrer Sonderinitiative „EineWelt ohne Hunger“ an, nämlich die zehn sogenannten Grünen Zentren, die Sie in afrikanischen Ländern und in Indien aufbauen wollen. Als Partner dieser
Zentren nennen Sie explizit die deutsche Agrarwirtschaft. Unternehmen wie Bayer und BASF haben Sie
massiv in die Planungen eingebunden. Kleinbauern wurden jedoch weitgehend ausgeschlossen. Schlimmer
noch: Die Grünen Zentren bieten den meisten Kleinbauern keine Perspektive, sondern forcieren eine Zukunft
ohne sie. Das ist der falsche Weg.
({4})
Herr Müller, Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie
die Expansionsbestrebungen des deutschen Agrobusiness in Afrika fördern oder eine kleinbäuerliche Landwirtschaft vor Ort, die im Kampf gegen den Hunger
nachweislich die größten Erfolge bringt? Das eine
schließt das andere aus. Öffentlich-private Partnerschaften dürfen deshalb eben nicht zum zentralen Mittel der
Hungerbekämpfung werden. Das machen wir auch mit
dem vorgelegten Antrag deutlich. Die Linke ist gegen
Entwicklungsgelder für Agrarkonzerne.
({5})
Der Entwicklungshaushalt hat aber auch noch andere
Defizite. Drei davon möchte ich nennen:
Erstens. Die wichtigste Lehre aus der aktuellen Ebolakrise ist: Wir brauchen endlich mehr Geld in den Entwicklungsländern für den Aufbau von Gesundheitssystemen,
({6})
also für Krankenstationen und für die Ausbildung von
Ärzten und Krankenschwestern. Deutschland muss außerdem seine Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation sofort deutlich anheben, damit diese wieder handlungsfähig wird und nicht weiter vom Gutdünken von
Privatpersonen wie Bill Gates abhängig ist.
({7})
Zweitens. Sie müssen das Budget für Flüchtlinge
deutlich anheben. Wie sollen wir sonst die Millionen syrischer Flüchtlinge menschenwürdig versorgen? Das ist
unsere humanitäre Pflicht. Sonntagsreden reichen hier
nicht aus.
({8})
Zudem ist es eine Schande, dass sich Deutschland geweigert hat, das italienische Programm „Mare Nostrum“
zu unterstützen. Durch „Mare Nostrum“ konnten binnen
eines Jahres über 130 000 in Seenot geratene Flüchtlinge
- Frauen, Kinder, Männer -, die in höchster Not waren,
aus dem Mittelmeer gerettet werden. Da Europas Staaten
dieses Programm aber nicht mitfinanzieren wollen, läuft
es jetzt aus. „Das Mittelmeer darf kein Friedhof werden“, sagte der Papst gestern vor dem EU-Parlament.
Recht hat er!
({9})
Herr Müller, hier muss ich fragen: Warum haben Sie
im Kabinett und bei den Haushaltsverhandlungen nicht
vehement für eine Unterstützung von „Mare Nostrum“
gekämpft? Das hätte ich von Ihnen erwartet.
({10})
Drittens. Gemeinsam mit den Grünen haben wir einen
Antrag vorgelegt, die Budgethilfe an die Entwicklungsländer zu erhöhen. Auch Sie von der SPD haben das in
der Opposition immer laut gefordert. Kaum waren Sie in
der Regierung, war die Forderung, wie so oft, nicht mehr
so lautstark zu hören - und das, obwohl es viele gute
Gründe dafür gibt, die Budgethilfe auszuweiten; denn
sie ermöglicht es den betreffenden Ländern, abgestimmte Programme zur Armutsbekämpfung oder im
Bereich der ländlichen Entwicklung zu entwerfen, anstatt von unzähligen unkoordinierten Einzelprojekten der
Geberländer abhängig zu sein.
Die herkömmliche Entwicklungszusammenarbeit
wird zwischen den Regierungen der Geberländer und der
Entwicklungsländer vereinbart. Die Budgethilfe hingegen ist im Haushalt der Entwicklungsländer nachvollziehbar. Damit schafft die Budgethilfe mehr Transparenz; denn Parlament und Zivilgesellschaft in den
Partnerländern wissen, wohin das Geld fließt, und können nachhaken. Lediglich drei Länder erhalten heute
Budgethilfe aus Deutschland im Umfang von 52 Millionen Euro. Wir sagen: Stocken Sie die Budgethilfe auf
200 Millionen Euro auf, und machen Sie sie zu einem
zentralen Element der Entwicklungszusammenarbeit.
({11})
Da ich gerade beim Thema Mittelaufstockung bin
- ein Punkt darf auch in meiner heutigen Haushaltsrede
nicht fehlen -: Die Höhe des Entwicklungsbudgets insgesamt ist zu niedrig. Das ist eine Schande. 0,7 Prozent
des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungspolitik hat Deutschland 1970 versprochen, vor 44 Jahren.
Selbst heute kratzen wir gerade einmal an der 0,4-Prozent-Grenze. Das ist peinlich und zudem ein Verrat an
den Ärmsten der Armen.
Herr Müller, anlässlich Ihres einjährigen Jubiläums
als Minister sage ich Ihnen: Genug der frommen Wünsche, und ran an die 0,7-Prozent-Marke! Die Unterstützung der großen Mehrheit des Hauses und der Bevölkerung ist Ihnen dabei sicher.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe bei der ersten Lesung, eingehend
auf die Worte des Herrn Ministers, über die Entwicklung
dieses Haushaltes gesagt: Die Niebel-Delle, die wir damals hatten, ist noch nicht zu einer Müller-Welle geworden. - Jetzt habe ich eine etwas andere Einschätzung als
der Kollege Klein. Momentan fühle ich maximal ein
leichtes Kräuseln des Wassers.
Natürlich begrüße ich den Aufwuchs von 60 Millionen Euro. Das ist, wie immer man es sieht, keine Kleinigkeit. Ich finde auch richtig, dass dieses Geld insbesondere für die entwicklungsorientierte strukturbildende
Übergangshilfe und für die Flüchtlingshilfe genutzt
wird. Ebenfalls richtig finde ich, dass es gelungen ist, einige Verschiebungen in diesem Haushalt vorzunehmen,
insbesondere im Bereich des Zivilen Friedensdiensts und
in kleinen Teilen des Gesundheitssektors. Auch der Bereich der Klimafinanzierung ist gut und richtig ausgestattet. Ebenso freue ich mich, dass die Forschungsmittel
erhöht worden sind und insbesondere das deutsche Institut für Entwicklungsforschung entsprechend ausgestattet
werden konnte. All das ist gut.
Aber - viele Vorredner haben es gesagt - die eingestellten Mittel reichen nicht aus. Sie reichen nicht aus,
um die aktuellen Krisen und Aufgaben zu bewältigen.
Sie reichen auch nicht aus, wenn wir dem Anspruch genügen wollen - den wir hier gemeinsam formuliert haben -, Zukunftsinvestitionen tätigen zu wollen, um zukünftige Krisen zu verhindern.
({0})
Ich möchte das an einigen Beispielen versuchen zu
verdeutlichen. Aktuelle Krisen, die in aller Munde sind,
sind die Situation der Flüchtlinge und die Ebolaepidemie. Die VN sagen uns ganz deutlich, dass bis März
2015 1,5 Milliarden US-Dollar gebraucht werden. Ob es
dabei bleiben wird, wissen wir nicht; aber das ist die aktuelle Annahme. Von dieser Summe müssen noch
600 Millionen US-Dollar aufgebracht werden. Deutschland leistet mit über 100 Millionen Euro seinen Beitrag.
Sie haben es gesagt, Frau Kollegin Weiss; ich finde das
beachtlich. Ich finde es im Übrigen auch beachtlich, dass
sich die Europäische Union mit 370 Millionen Euro beteiligt. Auch das muss man an dieser Stelle deutlich erwähnen. Aber wir wissen: Trotzdem klafft hier eine Lücke, und wir werden diese Lücke schließen müssen, auch
mit deutscher Beteiligung.
Ähnlich ist die Situation der Flüchtlinge in Syrien. Es
gab Ende Oktober eine Syrien-Konferenz. Ich finde sie
richtig, gut und wichtig. Ich finde es auch wichtig, dass
sowohl das Auswärtige Amt als auch das BMZ insgesamt 500 Millionen Euro zugesagt haben. Das ist gut investiertes Geld.
({1})
Diese Maßnahme dient insbesondere der Stabilisierung
der Nachbarländer, die wirklich Unglaubliches leisten,
wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge aufgrund des
Syrien-Konfliktes geht. Das gilt aber nicht nur für
Flüchtlinge aus Syrien, sondern auch für Flüchtlinge aus
dem Nahen und Mittleren Osten.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Diese
Mittel werden nicht reichen. Allein im Libanon befinden
sich über 1 Million Flüchtlinge, Menschen aus Nachbarländern, etwa aus Syrien.
({2})
Diese Zahl macht ein Viertel der Bevölkerung Libanons
aus. Jordanien hat knapp 700 000 Flüchtlinge aufgenommen, die Türkei über 1 Million usw. usf. Wir wissen: Zur
Stabilisierung der Situation in den Flüchtlingslagern
werden die Mittel, die wir alle miteinander bisher aufgebracht und eingesetzt haben, nicht reichen.
Wir haben als Entwicklungspolitiker noch einen anderen Anspruch, der auch von Ihnen, Herr Minister, immer betont worden ist, wenn es um die Bekämpfung der
Fluchtursachen und die Reintegration der Flüchtlinge
ging. Wir haben den Anspruch und eigentlich auch die
Aufgabe, den Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg
- man könnte fast sagen: Jahrzehnte - in Flüchtlingscamps leben, mit all ihren Schwierigkeiten, was Sicherheit, Gesundheitsvorsorge und die Bildung der Kinder
anbelangt, eine Perspektive aufzuzeigen, damit das
Flüchtlingslager nicht die Endstation für ihre persönliche
Entwicklung und ihre Lebensperspektiven ist. Auch in
diesem Bereich müssen wir in Richtung Zukunftsinvestitionen und im Übrigen auch im Interesse von Frieden
und Stabilität bei uns und in anderen Regionen dieser
Erde mehr tun. Das sehe ich leider in diesem Haushalt
nicht abgebildet.
({3})
Wenn es um Entwicklungspolitik geht, diskutieren
wir immer die Frage der Prävention. Das haben auch einige Vorrednerinnen und Vorredner angesprochen. Ich
greife noch einmal das Beispiel Ziviler Friedensdienst
auf. Ich halte ihn für ein wunderbares Instrument, das
dazu beiträgt, Versöhnungsprozesse zu initiieren. Darum
geht es uns schließlich. Wir debattieren im Zusammenhang mit Mali, dem Südsudan und vielen anderen Regionen darüber, wie die Menschen wieder zueinanderkommen und Konflikte und Gewalt überwinden können.
Gott sei Dank ist jetzt - wir haben das als Fachpolitiker
in unserem Antrag gefordert - der Barmittelansatz für
den Zivilen Friedensdienst um 5 Millionen Euro erhöht
worden. Ich begrüße das sehr.
({4})
Eines macht mir aber Sorge. Wir haben als Fachpolitiker darauf hingewiesen, dass wir mit Blick auf die Zukunft Verpflichtungsermächtigungen einsetzen müssen,
damit sich der Aufwuchs verstetigen kann. Das ist doch
logisch. Wenn man mithilfe der zusätzlichen 5 Millionen
Euro Menschen ausbildet und sie zum Beispiel im Jahr
2015 in den Südsudan ausreisen lässt, damit sie dort
wertvolle Arbeit leisten können, wie geht es dann 2016
weiter? Es ist doch logisch, dass man das fortführen
muss, weil Versöhnungsprozesse länger dauern und Zeit
und Engagement brauchen. Ich bedauere sehr, dass bei
den Verpflichtungsermächtigungen dem Votum der
Fachpolitiker nicht Folge geleistet wurde. Ich würde mir
sehr wünschen, dass das im Haushalt 2016 korrigiert
wird.
({5})
Ähnliches gilt für den Bildungsbereich. Viele Vorredner haben es angesprochen: Bildung ist der Schlüssel für
alles. Sie haben es angesprochen, Frau Kollegin Weiss:
Das ist die Schiene, auf der wir zukünftig eine nachhaltige Entwicklung voranbringen können. Ich begrüße
auch, dass wir einen großen Teil der bilateralen Mittel
für Bildung einsetzen. Die Zahlen sind genannt worden.
Der Zugang zu Grundbildung hat sich in den letzten Jahren stetig verbessert. Das ist wichtig, und es ist richtig.
Wir alle wissen aber auch, dass wir jetzt massiv in die
Qualität der Bildung, in die Lehrerausbildung, in die
Ausstattung der Schulen und natürlich irgendwann in
den sekundären Bildungsmarkt und in den Bereich der
Berufsbildung investieren müssen.
Es gibt gute internationale Fonds. Das wurde im Zusammenhang mit GAVI und dem Globalen Fonds angesprochen. Aber es gibt - das sage ich zum vierten Mal in
der vierten Haushaltsrede in dieser Legislaturperiode auch die Global Partnership for Education. Ich finde,
dass wir Deutschen uns mit mehr als 7 Millionen Euro
daran beteiligten sollten.
({6})
Wir haben als Fachpolitiker sehr bewusst einen sehr bescheidenen Antrag gestellt, weil wir einen Aufwuchspfad hinbekommen wollten. Ich finde es, ehrlich gesagt,
traurig, dass die beantragten 5 Millionen Euro herausgestrichen worden sind. An der Stelle hätte ich mir mehr
gewünscht.
({7})
Zu den Gesundheitsfragen ist vieles gesagt worden.
Ich begrüße sehr, dass GAVI mehr Mittel erhält. Ich
hoffe und erwarte, dass die Mittelausstattung über die
40 Millionen Euro hinaus, die jetzt im Haushalt vorgesehen sind, so ausfallen wird, dass man dann auch Impfkampagnen im internationalen Bereich weiter voranbringen kann.
Bei der Wiederauffüllungskonferenz des Globalen
Fonds haben wir die Chance, zu beweisen, dass wir es
ernst meinen mit einer höheren Mittelausstattung als bisher. Das muss sich im Haushalt 2016 deutlich abbilden.
({8})
- Ich möchte kurz anmerken, dass ihr mir gerade die Redezeit klaut.
Ich möchte betonen, dass der Global Fund und die
Impfkampagne sehr wichtig sind. Wenn es aber um Zukunftsinvestitionen im Gesundheitsbereich geht, dann
müssen uns die soziale Sicherung und der Aufbau von
Gesundheitssystemen ganz besonders am Herzen liegen.
Wir werden sicherlich nicht jedes Gesundheitswesen
aufbauen können. Aber wir werden mit Know-how und
Personal in den betreffenden Ländern unterstützend tätig
sein müssen. Auch dafür brauchen wir Mittel.
Es wurde bereits angesprochen: 2015 ist ein spannendes Jahr, wenn es um Entwicklungsfragen geht. Ich
nenne als Beispiele den Prozess um die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele, und die Klimakonferenz in Paris. Die
Weltgemeinschaft setzt sich ehrgeizige Ziele, wenn es
um die SDGs geht. Dabei geht es um den Abbau der Ungleichheiten in der Welt, und zwar sowohl innerhalb der
Staaten als auch zwischen den Staaten, aber auch um die
Frage, wie wir das nachhaltig finanzieren. Hier spielt der
Aufbau von Möglichkeiten eine wichtige Rolle. Ich bin
sehr bei dem, was die Expertengruppe zur Finanzierung
der Maßnahmen, die dazu dienen, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, gesagt hat. Wir müssen in die Strukturen der Staaten investieren, sodass Steuern eingenommen werden können und die Möglichkeit besteht, dass
die Mittel zur Armutsbekämpfung verwendet werden.
Wir sind hier mit einem Know-how-Transfer und anderen unterstützenden Maßnahmen gefordert, wenn es um
den Aufbau von Rechnungshöfen und Steuerbehörden
sowie der Ausstattung von Parlamenten und Ausschüssen geht. Wir sind ebenfalls gefordert, ob als G 20 oder
als Weltgemeinschaft, wenn es um Steuervermeidung,
Steuerhinterziehung und Steuerflucht geht. Viele Gelder
stehen den Entwicklungsländern zur Armutsbekämpfung
nicht zur Verfügung, weil sie irgendwo versickern. Sie
kommen so nicht den Ärmsten der Armen zugute.
Wir sind aber auch gefordert - das ist der dritte Punkt,
den die Expertengruppe angesprochen hat -, wenn es um
die LDCs, die ärmsten Länder, geht. Diese Länder sind
sehr darauf angewiesen, dass Mittel aus den reichen
Ländern des Nordens bzw. der Weltgemeinschaft kommen. Wir müssen unsere finanziellen Zusagen verlässlich einhalten. Es tut mir leid, dass das 0,7-Prozent-Ziel
auch 2015 nicht erreicht wurde. Das ist wirklich blamabel für uns und trägt nicht zu unserer Glaubwürdigkeit in
der Welt bei.
({9})
Frau Kollegin!
Letzter Satz, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss.
Die Kollegin Weiss hat ein spannendes Finanzierungsinstrument angesprochen, da jedes Mal nach der
Gegenfinanzierung gefragt wird. Ich möchte mich ihren
Ausführungen zur Finanztransaktionsteuer anschließen
und den Appell an alle, das Finanzministerium, den
Haushaltsausschuss, das ganze Parlament, richten: Wir
brauchen eine vernünftig ausgestaltete Finanztransaktionsteuer, die der Bekämpfung der Armut weltweit
dient.
Danke.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Gerd Müller! Lieber Thilo Hoppe auf der Tribüne! Welchen Anspruch hat die Entwicklungspolitik,
und welchen Anspruch haben wir als Deutscher Bundestag an die Entwicklungspolitik? Die Welt hat sich gedreht, viel schneller, viel weiter und viel radikaler, als
wir gedacht, gehofft oder erwartet haben. Wo die Herausforderungen wachsen, braucht es eine nachhaltige
Entwicklungspolitik, die aber auch bei uns selber ansetzt, bei unserer Landwirtschaft, bei unserer Infrastruktur und bei unserem Konsum; denn gerade unsere Lebens- und Wirtschaftsweise hat enorme Auswirkungen
auf die globale Entwicklung. Deshalb müssen auch wir
uns ändern, wenn wir über Entwicklungspolitik sprechen. Genau das ist das Herausfordernde und Spannende
bei den SDGs, den Nachhaltigkeitszielen. Wir erkennen
an, dass in diesem Sinne auch Deutschland ein Entwicklungsland ist.
({0})
Wir stehen vor dem Ende bislang wie in Stein gemeißelter weltpolitischer Gewissheiten; denn die Welt, wie
wir sie heute erleben, hat sich dramatisch verändert. Es
ist eine Welt - darauf haben alle hingewiesen -, in der
neue Krisen und Konfliktformen ausbrechen. Es ist eine
Welt, in der wir ein gigantisches Marktversagen haben,
das zur Klimakrise, zur Finanzkrise und zum Verlust von
Biodiversität geführt hat. Es ist eine Welt, in der soziale
Ungleichheit quer durch alle Staaten geht und eine neue
globale Mittelschicht nach denselben Konsummustern
strebt, die wir auch hier bei uns in Europa haben. Aber
mit einer solchen Art des weltweiten Konsums würden
wir die Erde zugrunde richten. Es ist also höchste Zeit,
dass wir eingestehen, dass die gängigen Beschreibungen
von reich und arm, von West und Ost, von entwickelt
und unterentwickelt so nicht mehr tragen. Das wird doch
augenscheinlich bei über 55 Millionen Menschen, die
weltweit auf der Flucht sind, augenscheinlich angesichts
entgrenzter Gewalt, wie wir sie in Syrien, im Irak, in Afghanistan, im Kongo bis nach Mexiko erleben, angesichts der verdrängten, der vergessenen Konflikte im
Südsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik.
Aber diese notwendige Neubewertung der globalen
Lage, mit Verlaub, lieber Gerd Müller, die fehlt mir in
der Politik der Bundesregierung. Sie ist wirklich eine
große Leerstelle im Koalitionsvertrag.
({1})
Zwei Prioritäten stehen für uns im Mittelpunkt: erstens, dass Strukturen für einen Durchbruch für globale
Gerechtigkeit und Klimaschutz geschaffen werden, und
zweitens, Antworten zu finden, ja, nachhaltige Antworten zu finden auf die humanitären Katastrophen und Tragödien unserer Zeit.
Menschen überall auf der Welt legen große Hoffnungen in das Jahr 2015, in den Erfolg der Klima- und
Nachhaltigkeitsverhandlungen. Sie hoffen darauf, dass
endlich eine wirkliche globale Vernetzung entsteht, dass
eine Zusammenarbeit entsteht, bei der es nicht um Geld
für die Banken und die Großkonzerne geht, sondern um
eine Zusammenarbeit, in der wir als Weltgemeinschaft
unsere Zukunft gemeinsam gestalten. Genau dies spiegelt sich eben nicht in der Strategie der Bundesregierung, spiegelt sich nicht in diesem Haushalt wider.
Natürlich ist es richtig, dass Entwicklungszusammenarbeit Hunger bekämpfen muss. Ich bin übrigens sehr
gespannt, was aus diesen „Grünen Zentren“ wird. Aber
Entwicklungszusammenarbeit heißt nicht länger - das
hätte es eigentlich nie heißen sollen -, dass den armen
Ländern im Süden paternalistisch hier und dort etwas gegeben wird, Geschenke, die uns nicht wehtun, den Empfängern wenig helfen, aber bei unseren Wählern gut ankommen.
Ich erwarte wirklich viel, ich erwarte mehr von Ihnen,
Gerd Müller. Ich erwarte, dass Sie einen effektiven Beitrag zur globalen Gerechtigkeit leisten, zum dringend
notwendigen Umbau der Weltwirtschaft, zur sozialökologischen Transformation. Bauen Sie Ihr Haus um zu einem Ministerium für globale Strukturpolitik!
({2})
Nur so kommen Sie wirklich aus Ihrer Rolle als Feigenblatt dieser Bundesregierung heraus.
({3})
Ja, es ist wirklich gut, dass die Zukunftscharta mit der
Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht wird. Aber wenn die Großkonzerne nicht mitmachen und wenn die Ministerien kommen - einige waren
da -, aber dann doch weitermachen wie bisher - ich zumindest habe Sigmar Gabriel nicht von Fairhandel reden
hören; auch bei der Kanzlerin, die heute Morgen sehr intensiv das Thema Handelspolitik und Freihandelspolitik
in ihrer Rede behandelt hat, ist Fairhandel noch nicht angekommen -, dann droht diese Initiative wie andere zu
reiner Symbolpolitik zu werden, und das können wir uns
alle nicht leisten.
({4})
Claudia Roth ({5})
Es ist eine zentrale Aufgabe der Bundesregierung und
auch Ihre Aufgabe, Gerd Müller, dass das nächste Jahr,
das Jahr der großen Gipfeltreffen - beinahe ein Schicksalsjahr in vielen Bereichen -, ein Signaljahr für eine andere, für eine hoffnungsvolle Zukunft wird. Deutschland
als Wirtschaftsmacht, als einflussreiches Land in der EU
ist dafür entscheidend. Es müssen klare Zeichen vom
G-7-Gipfel in Elmau ausgehen, dass Deutschland eine
Vorreiterrolle einnimmt und nicht blockiert. Nur so kann
Addis Abeba, kann Paris, kann New York wirklich zum
Erfolg werden. Ein Scheitern können wir uns wirklich
nicht leisten.
Es braucht also den politischen Willen für eine völkerrechtlich verbindliche Klima- und Gerechtigkeitspolitik. Es braucht das Bekenntnis zu einer nachhaltigen
Gesellschaft, die sich vom Verbrauch fossiler Rohstoffe
entkoppelt, die schädliche Subventionen abbaut und die
ihre Politikfelder aufeinander abstimmt, und es braucht
zusätzliche Mittel zur Entwicklungs- und Klimafinanzierung, die dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten entsprechen; denn
sonst scheitert schon Addis Abeba, und dann wird das
ganze Jahr zum Riesenproblem.
Davon haben Sie sich, liebe Bundesregierung, lieber
Gerd Müller, mit diesem Haushalt aber eigentlich fast
verabschiedet; denn 1 Prozent Aufwuchs reicht vorne
und hinten nicht.
({6})
Weil das nicht reicht, mache ich mir um die zweite Priorität wirklich große Sorgen. Ich nehme Ihnen absolut ab
- ich kenne Sie gut -, dass Ihnen das Schicksal der
Flüchtlinge echt ans Eingemachte geht. Sie fahren ja
auch dahin, wo es wehtut. Aber wie verhindern Sie bei
dieser Haushaltslage, dass bei der nächsten Katastrophe
die notwendige Aufmerksamkeit für die Flüchtlinge
nicht mehr da ist, weil sie in Vergessenheit geraten sind?
Da hat mein Kollege von der Linkspartei recht. Wie sieht
es im nächsten Jahr, wie in zehn Jahren aus? Sie wissen,
Zaatari ist eine Flüchtlingsstadt, die auf mindestens zehn
Jahre angelegt ist.
Wie sieht nicht zuletzt eine humanitäre Flüchtlingspolitik aus, die auf Politikkohärenz basiert, wo also BMZ,
Auswärtiges Amt und das Innenministerium an einem
Strang ziehen? Wie sieht die Vernetzung der Ministerien
aus? Es braucht eine signifikante Erhöhung der Mittel
für humanitäre Hilfe. Es braucht aber vor allem eine Verzahnung von Entwicklungszusammenarbeit mit unmittelbarer Nothilfe. Das sind hohe Ansprüche, lieber Gerd
Müller, aber daran werden wir Sie messen.
({7})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zwei Dinge muss ich erst einmal richtigstellen. Das eine
betrifft den Betrag für GFATM. Zugesagt waren
200 Millionen Euro pro Jahr. Dass es letztes Jahr
250 Millionen waren, war einer Sonderinitiative zu verdanken, die hieß: 50 Millionen Euro mehr heißt auch,
zusätzlich 50 Millionen Euro von dem ach so gescholtenen Bill Gates dazu. Somit haben wir diesen Deal gemacht.
Zweitens. Bärbel Kofler hat es angesprochen; ich
möchte es trotzdem noch einmal deutlich sagen: Der
Aufwuchs ist so, wie wir ihn haben, vielleicht nicht befriedigend. Aber Freunde, wenn wir einmal in die mittelfristige Finanzplanung schauen, dann wissen wir, von
welchem Geld wir reden. Wir wissen, dass wir es der
Bundeskanzlerin zu verdanken haben, dass wir 2 Milliarden Euro in vier Jahren für die Entwicklungspolitik
hinzubekommen. Auf diese Art und Weise ist es wenigstens gelungen, die Delle, die wir in der mittelfristigen Finanzplanung hatten, aufzufüllen. Das war schwer genug.
Ich hätte mir auch gewünscht, wir hätten diese Delle
nicht gehabt. Vielleicht haben wir diese 2 Milliarden irgendwann einmal netto. Aber die Dinge sind, wie sie
sind. Das kann man durchaus auch einmal sagen.
({0})
Machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Wir sollten uns davor hüten, den Menschen zu
suggerieren - wem auch immer; letztendlich vielleicht
sogar den Kollegen und Freunden, die noch auf der Tribüne sitzen; Thilo, schön, dass du da bist -, kaum hätten
wir die 0,7-Prozent-Grenze erreicht, wären alle Probleme dieser Welt erledigt.
({1})
Das genau machen wir. Es kommt immer auf die Diktion
an. Ich bin sehr dafür, dass wir viel Geld in die Entwicklungspolitik stecken. Aber hüten wir uns doch davor, den
Menschen zu suggerieren, kaum hätten wir genug Geld,
schon wären die Probleme der Welt erledigt.
({2})
So ist es leider definitiv nicht.
Ich möchte eigentlich genau bei diesem Thema bleiben, nämlich bei der Frage: Was passiert eigentlich,
wenn es darum geht, wie wir uns finanzieren und was
wir finanzieren? Ich glaube, dass wir sehr wohl ganz gezielt einmal darüber nachdenken müssen, was der Post2015-Prozess eigentlich für uns bedeutet. In dieser ganz
eng miteinander verflochtenen Welt müssen alle Akteure
an einem Strang ziehen. Das heißt, wir brauchen eine
Roadmap, einen Leitfaden. So wird die Entwicklungsagenda auch genannt, und so wird sie auch kommen.
Allerdings muss ich sagen, dass ich auch ein kleines
bisschen skeptisch bin angesichts dessen, was da im Moment an Diskussionen läuft. Wir haben nämlich in der
Open Working Group 17 Ziele - wohlgemerkt: 17! - mit
160 Unterzielen. Liebe Freunde, ich befürchte, das wird
nichts anderes als ein Verzetteln. Damit wird dieser Prozess letztendlich auch die Ergebnisse völlig konterkarieren oder aber entwerten. Mögen unsere wunderbaren
acht Ziele in ihren Aussagen auch noch so schwach oder
so wenig durchdacht gewesen sein, sie waren aber zielführend. Insofern bin ich ein bisschen vorsichtig mit
Prognosen über die Verhandlungen in den nächsten Monaten. Wir werden das Ganze beobachten. Mal sehen,
was dabei herauskommt.
Sehr zufrieden bin ich allerdings damit, dass wir in
diesem Zusammenhang über Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sehr deutlich reden. Noch
viel fröhlicher bin ich, wenn ich mir anschaue, was die
Arbeit der Kommission für die Finanzierung der Post2015-Entwicklungsagenda bedeutet. In der Zukunft geht
es um das Verständnis von EZ und ODA und darum,
welche Auswirkungen das auf deren Finanzierung hat.
Was dazu festgeschrieben ist, gefällt mir sehr gut. Vor allen Dingen gefällt mir gut, dass ausnahmslos alle Länder
zugestimmt haben, und zwar in der Kernaussage so eindeutig und mit einer solchen Klarheit und Selbstverständlichkeit, dass es schon beeindruckend war.
Lassen Sie mich dazu zwei Punkte herausgreifen. Erstens: Transparenz von politischen Entscheidungen und
Haushalten. Damit sind wir sofort beim Thema Korruption. Korruption empfinde ich als eines der größten Entwicklungshindernisse auf der Welt überhaupt. Mit mehr
Transparenz können wir sie eindämmen.
Zweitens: Verantwortung für die eigene Entwicklung.
Die Länder müssen sich primär selber entwickeln. Die
maßgeblichen Entwicklungsimpulse gehen nicht von der
ODA aus, sondern kommen aus den Ländern selbst. Daraus lassen sich für meine Begriffe wegweisende Grundsätze ableiten. Ich glaube, wir können nur ahnen, was
das eigentlich in der Umsetzung heißt, wenn wir diese
Grundsätze beherzigen. Wir könnten uns durchaus einmal damit beschäftigen und uns überlegen, was wir auf
diesem Gebiet tun können.
Zunächst müssen wir einmal feststellen, dass es
Middle-Income-Länder gibt, die eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung vollzogen haben. Sie haben
wirtschaftliche Entwicklungsimpulse bekommen, allerdings nicht durch die klassischen ODA-basierten Programme. Das wurde festgestellt; das ist so. Diese Länder
haben es geschafft: durch eigene Steuereinnahmen,
durch Zölle auf Rohstoffe, durch Rücküberweisungen
und sowohl durch eigene als auch durch ausländische Investitionen. Ich finde, wir müssen diese Realität zur
Kenntnis nehmen. Es nutzt nämlich überhaupt nichts,
wenn wir Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen, Entwicklungen nicht zur Kenntnis nehmen, Debatten nicht
zur Kenntnis nehmen und Ergebnisse nicht zur Kenntnis
nehmen. Wir erreichen ein Vielfaches dadurch, dass wir
die klassische ODA nicht als allein seligmachend ansehen und die Länder in dem unterstützen, was sie dringend brauchen: in ihrer eigenen Entwicklung. Dadurch
steigt nämlich ihre Fähigkeit, eine eigene Sozialpolitik
zu machen, eine eigene Bildungspolitik zu machen, eine
eigene Gesundheitspolitik zu konzipieren und sie vor allen Dingen auch zu finanzieren.
({3})
Ich finde, das ist eine wunderbare Sache. Wir wollen den
Ländern nämlich keine Konzepte vorschreiben und sie
vor allen Dingen nicht auch noch alimentieren müssen.
Das kann nicht das Ergebnis dessen sein, was wir wollen.
Ich möchte noch auf eines hinweisen: Wir müssen unsere ODA sehr wohl dafür verwenden, die Least Developed Countries zu unterstützen; das ist die künftige
Aufgabe von ODA. Ich glaube, da ist dieses Geld richtig
angelegt und nicht in der ODA-basierten EZ.
Manchmal tun wir so, als ob wir diejenigen wären,
die die Krisen ganz alleine bewältigen könnten, alle Krisen dieser Welt von A bis Z. Liebe Freunde, wir übernehmen uns völlig. Ich finde es auch anmaßend, dass wir
so tun, als ob wir das könnten.
({4})
Wir können es nicht. Die Post-2015-Agenda ist auch
deshalb so wichtig, weil wir die Probleme nur gemeinsam lösen können.
Es gibt noch etwas, was wir in diesem Zusammenhang sehen müssen, lieber Gerd Müller. Es gibt Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, die zunächst einmal keine öffentlichen Gelder kosten. Ich
meine das wunderbare Textilbündnis. Ich finde das hervorragend, weil es vor allen Dingen bewirkt, auch einmal unsere eigene Verantwortung einzufordern. Es kann
uns nicht egal sein, wie, unter welchen Bedingungen die
Kleidung, die wir tragen, produziert wird. Es kann uns
nicht egal sein, dass beim Einfärben von Jeans zum Beispiel nachhaltige gesundheitliche Schäden, auch bei
Kindern, entstehen. Das alles kann uns nicht egal sein.
Aber, Freunde, es ist unsere Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass so etwas nicht notwendig ist. Ich nenne die
Jeans für 7,90 Euro, das T-Shirt für 2,99 Euro. Das kann
nicht funktionieren. Das ist auch nicht nachhaltig. Das
ist etwas, an dem wir, glaube ich, noch arbeiten müssen.
Ich hätte mir schon gewünscht, dass das eine oder andere Unternehmen ein bisschen stärker einsteigt. Zumindest ist es eine Diskussion wert. Es geht darum, die
Verantwortung sozusagen zu übertragen und zu sagen:
Freunde, jeder hat da Verantwortung; jeder kann Verantwortung übernehmen. - Ich finde, das ist eine wunderbare Sache. Das ist prima. Das ist gut so. Wir werden
daran arbeiten müssen, lieber Gerd Müller. Unsere Unterstützung hast du.
Als Allerletztes möchte ich noch sagen: In den vielen
Jahren, die ich jetzt Entwicklungspolitik mache, ist das
der erste Haushalt, lieber Gerd Müller, der eindeutig die
Handschrift des Ministers trägt. Das ist ein eindeutiger
Gerd-Müller-Haushalt, nicht nur aufgrund der Sonderinitiativen, sondern auch wegen der Sonderinitiativen.
Gerd Müller, du hast es geschafft, trotz allem, was wir
gerade bemängelt haben, liebe Kollegin Hajduk, trotz
des etwas knappen Haushalts, in den Flüchtlingslagern
eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen - mit
den Mitteln, die zur Verfügung stehen, auch in den Sonderinitiativen. Das ist zu unterscheiden von dem, was
das Auswärtige Amt in diesem Zusammenhang macht.
Ich finde, es ist eine tolle Leistung, dass du das geschafft
hast.
({5})
- Dass wir da natürlich immer noch mehr Geld hineinstecken könnten, ist klar; da bin ich bei Ihnen.
({6})
Wir brauchen natürlich einen nachhaltigen Ansatz.
Wenn ich daran denke, wie es in den Flüchtlingslagern
bei der Wettersituation gerade aussieht, muss ich sagen:
Da ist natürlich viel zu tun. Aber auch das können wir
nicht alles in eigener Verantwortung, nicht ganz allein
schaffen; da brauchen wir die internationale Gemeinschaft. Wir brauchen auch die Unterstützung unseres
Auswärtigen Amtes. Mit ihm könnte man zusammenarbeiten, vor allen Dingen auf diesem Gebiet.
Ich denke, du machst das gut, Gerd. Ich finde, du hast
uns hier einen ganz tollen Haushalt vorgelegt. Du hast
unsere Unterstützung. Selbst wenn du dich jetzt nicht
persönlich bei uns bedankst,
({7})
selbst wenn du jetzt hier nicht am Pult stehst und sagst,
wie toll wir für dich gearbeitet haben - ich weiß, dass du
das eigentlich machen könntest. Ich mache das jetzt von
hier aus: Wir sind stolz auf dich. Du machst deine Aufgabe wunderbar. Wir unterstützen dich.
Vielen Dank.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Charme der entwicklungspolitischen Diskussion besteht
darin, dass wir hier sehr oft nicht das klassische Opposition/Regierung-Muster anwenden: Die Regierungsparteien loben aus Überzeugung oder pflichtschuldig das
Handeln der Regierung, und die Oppositionsparteien kritisieren das genauso pflichtschuldig. - Das ist in dieser
Debatte nicht so. Es gibt ganz vieles, was differenziert
dargestellt worden ist. Es ist auch gegenseitig Wertschätzung zum Ausdruck gebracht worden. Das ist bedeutend
für dieses Thema, das uns allen, die wir hier sitzen, am
Herzen liegt und für das wir in unseren eigenen Parteien
noch nicht die Zustimmung haben, die wir eigentlich
gern hätten und die wir auch bräuchten. Insofern ist das,
glaube ich, für jede Fraktion hilfreich.
({0})
Diese Debatte muss immer selbstbewusst und selbstkritisch geführt werden. Es gilt, selbstbewusst zu sagen:
Jawohl, wir haben es in Richtung Millenniumsziele, gerade bei der Armutsbekämpfung, bei dem allerschlimmsten Problem, einige Schritte voran geschafft. Auf der anderen Seite muss man aber auch ehrlich sagen:
0,7 Prozent ist die angestrebte ODA-Quote. Wir sind bei
0,38 Prozent. Das heißt, eigentlich ist eine Verdopplung
der Anstrengungen notwendig. Wenn es um eine Verdopplung von Anstrengungen geht, gilt es - auf Neudeutsch -, Synergien zu heben. Praktisch gesagt: Es gilt,
den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit zu stärken. Das ist Europa.
Wir haben 2015 das Europäische Jahr der Entwicklung. Das ist für das, was wir wollen, genau passend.
Natürlich passt es, dass der Entwicklungsminister auch
Mitglied des Europäischen Parlaments war. Er hat da
schon den entsprechenden Rückenwind.
({1})
Das trifft natürlich auch auf Claudia Roth, Frithjof
Schmidt, Anja Weisgerber und manch andere zu.
({2})
Wir, die Abgeordneten aller Fraktionen in diesem
Haus, stehen zu unserer Verantwortung; denn die Vertreter der vier entsprechenden Fraktionen - Christdemokraten, Grüne, auch Linke, Sozialdemokraten sowieso - sowie der Liberalen im Europäischen Parlament haben
dafür gesorgt, dass der Regierungschef, also der Kommissionspräsident, erstmals vom Europäischen Parlament gewählt worden ist. Ohne die Haltung dieser fünf
Fraktionen, die gesagt haben: „Wir nehmen nur einen,
der auch bei der Wahl angetreten ist“, hätten wir diese
Kommission nicht bekommen - egal wie man hinterher
manche Entwicklung in der Kommission sieht.
Die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das
Europäische Parlament ist ein ganz wichtiger Fortschritt
im Hinblick auf das, was wir 2015 machen wollen. Wir
brauchen nämlich auch 2015 einen Entwicklungskommissar - wir kennen Neven Mimica aus Kroatien gut; er
war auch schon öfter bei uns -, der etwas von der Sache
versteht, der überzeugter Europäer ist und den wir gewinnen können, auch für das wichtigste Anliegen, die
europäische Entwicklungszusammenarbeit effektiver zu
gestalten. Wir müssen sagen: Jawohl, wenn wir, die
EU-Staaten, schon insgesamt 60 Prozent der Gebermittel
weltweit aufbringen, dann müssen wir auch schauen, wie
wir die Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam besser
voranbringen, wie wir sie politisch wichtiger machen.
Dazu gehört natürlich auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit in der Außenpolitik berücksichtigt wird
- auch die neue Hohe Vertreterin der Außen- und Sicherheitspolitik, Frau Mogherini, ist sehr engagiert und von
europäischen Erfahrungen geprägt -, damit es da wirk6598
Axel Schäfer ({3})
lich in dieselbe Richtung geht. Ich glaube, das sollten
wir als Bundestag mit Diskussionen hier vor Ort, aber
auch in Zusammenarbeit mit unseren Vertretern in der
Kommission voranbringen; die Kommission ist ja keine
Vertretung der nationalen Interessen von Deutschen, Italienern oder auch Kroaten, sondern die gemeinsame europäische Regierung. Dies wird, glaube ich, ganz wichtig sein.
Die Inhalte, um die es für uns Deutsche als Teil dieser
Europäischen Union gehen wird, bedeuten ganz praktisch: Wir müssen beim Thema Klimawandel mehr machen; die Frage der Armutsbekämpfung muss bei uns
tatsächlich im Zentrum stehen; die Mittel der Europäischen Union für Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen müssen aufwachsen. All das sind
wichtige Dinge. Das alles Zusammenspannende ist aber
letztendlich, dass wir dies als Gemeinschaft des Friedens
tun.
Man muss immer wieder darauf hinweisen: Wir in der
Europäischen Union sind eine Friedensgemeinschaft.
Man muss auch immer wiederholen: Es ist gut, dass alle
631 Abgeordneten des Deutschen Bundestages - mit
ganz unterschiedlichen Überzeugungen und auch Parteizugehörigkeiten - keine militärische Lösung von Konflikten wollen; wir haben es gerade im Zusammenhang
mit der Ukraine-Problematik erlebt. Das ist eine ganz
wichtige Voraussetzung dafür, dass wir Entwicklungszusammenarbeit mit einer bestimmten Haltung betreiben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch um
ganz praktische Fragen. Zwei herausragende Punkte:
Der erste Punkt: die Finanztransaktionsteuer. Warum
ist sie so herausragend für uns? Die Steuer wurde einmal
als Tobin Tax erfunden und auf den Weg gebracht,
wurde von vielen verlacht und war in der Politik - Stichwort Mehrheitsfähigkeit - nur ganz schwer zu vermitteln. Wir haben aus dem Deutschen Bundestag heraus
mit der deutsch-französischen Initiative von Sozialdemokraten und Sozialisten einen wichtigen Schritt getan.
Es gehört auch zur schwierigen Wahrheit, dass es, als die
Sozialisten an der Regierung waren, nicht mehr so einfach war, das Vorhaben so voranzubringen, wie wir es
erwartet haben - mit der gleichen Begeisterung, mit der
wir es einmal beschlossen haben. Auch das gehört zu einer selbstkritischen Einschätzung. Vielleicht ist das auch
für manche Vertreter anderer Fraktionen hier im Haus
eine Anregung, auch mal etwas Selbstkritisches zu sagen; zum Beispiel machen die Christdemokraten in Ungarn etwas, was wir hier in diesem Hause bekanntlich
mehrheitlich nicht teilen.
Der zweite Punkt - da sind wir wieder beim Kollegen
Müller -: Textilsiegel. Das ist eine ganz wichtige, zentrale Initiative. Wir werden es - das wissen Sie, Kollege
Minister, lieber Gerd - letztendlich nur mit europäischen
Gesetzen durchsetzen können. Darauf wird es ankommen; es wird darauf ankommen, dass es in einem Dialog
unseres Parlaments mit dem EP gelingt. Das heißt im
Dialog der einzelnen Fraktionen, die hier sind, und der
Fraktionen, die im Europäischen Parlament sind; er
muss wirklich vorangebracht und intensiviert werden.
Eine Intensivierung im Jahr 2015 heißt auch, die entwicklungspolitischen Diskussionen zu verstärken. Man
könnte es auch ganz salopp so formulieren - leider ist
der Kollege Klimke, den ich gerade ansprechen wollte,
schon gegangen -: Leute wie der Kollege Klimke oder
ich haben diese Themen schon als Mitglieder der Jungen
Union bzw. der Jusos in den 70er-Jahren debattiert.
({5})
Heute können wir die Diskussion, zum Beispiel mit den
Kollegen Sarrazin oder Leutert, die Anfang der 70erJahre noch gar nicht auf der Welt waren, hier im Parlament zusammenführen.
Damals gab es die sehr große Eine-Welt-Bewegung.
Die Entwicklungspolitik hatte damals einen enormen
Stellenwert. Obwohl die Probleme zum Teil größer geworden sind, stehen für die Entwicklungshilfe 0,38 Prozent statt 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zur
Verfügung, weshalb wir nicht immer das umsetzen
konnten, was wir umsetzen wollten. Das betrifft allerdings alle Parteien. Es ist nicht so, dass die Regierung zu
wenig macht und die Opposition alles besser weiß; dem
ist nicht so.
Deshalb möchte ich Sie, euch alle bitten: Lasst uns in
unseren Fraktionen und auch in unseren Parteien und aus
unseren Parteien heraus darauf hinwirken, das Thema
Entwicklungshilfe im Jahr 2015 zu einem zentralen
Thema zu machen. Bei manchen gibt es heute eine größere Bereitschaft, zu diskutieren, als früher.
Es ist nicht so, dass sich die Menschen dagegen wehren, dass Flüchtlinge aufgenommen werden, wie es die
Bilder in den Medien manchmal suggerieren. Es gibt
viel mehr gute Beispiele für Solidarität, Unterstützung
und Mitmenschlichkeit, aber - ich kenne das von der Situation bei mir vor Ort - darüber redet man nicht. Es
sollte in der Berichterstattung aber eine zentrale Rolle
spielen; denn die Fernsehbilder zeigen etwas ganz anderes.
Wir müssen die vorhandene Fremdenfeindlichkeit gemeinsam bekämpfen und die guten Beispiele ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Lasst uns das bei aller
Unterschiedlichkeit und trotz aller kritischen Anmerkungen, die durchaus ihre Berechtigung haben mögen, für
2015 vornehmen.
Wir haben nur diese eine Welt. Es darf unterschiedliche Konzepte geben, aber sie sollten in eine gemeinsame
solidarische Richtung gehen.
Vielen Dank.
({6})
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich
das Wort der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, CDU/CSUFraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bedauere es immer sehr, wenn eine
Debatte über dieses Thema erst am Ende eines Sitzungstages stattfindet und deswegen mehrere Kolleginnen und
Kollegen nicht teilnehmen. Die Debattenbeiträge haben
parteiübergreifend gezeigt: Die Beiträge für die Entwicklungszusammenarbeit sind maßgeblich für den Frieden verantwortlich. Man könnte auch sagen, dass Entwicklung der neue Begriff für Frieden ist. Vielleicht
kann der Ältestenrat das nächste Mal bei der Festlegung
der Tagesordnungspunkte anders entscheiden, damit
diese für mich und für uns alle wichtige Debatte zukünftig zu anderer Zeit stattfindet.
({0})
Wir hatten in diesem Jahr zwei Haushaltsberatungen.
Ich erinnere mich noch: Im Zuge der Beratung des Haushalts 2014 habe ich von der inakzeptablen Situation der
syrischen Flüchtlinge gesprochen und auch davon, wie
schnell und wie emotional wir von Bildern bewegt werden und wie das die öffentliche Bereitschaft fördert, zu
helfen.
Mediale Aufmerksamkeit ist dann etwas Gutes, wenn
sie Gutes bewirkt. Leider ist es oft so, dass manche sagen: Es muss auch mal wieder gut sein. Aber warum
sprechen wir im Zuge der Beratungen über den Haushalt
2015 wieder über das Thema Flüchtlinge? Wir sprechen
darüber, weil es eben nicht gut ist.
Wenn wir über das Thema Flüchtlinge diskutieren,
dann müssen wir auch darüber nachdenken: Wenn die
Kameras, mit denen die Krise in einem Flüchtlingsort
dokumentiert wird, abgezogen werden, was bleibt dann
zurück? Zurück bleiben die Flüchtlinge, zurück bleibt
aber auch unsere politische Verantwortung, die wir für
sie haben.
Daniel Barenboim hat einen bemerkenswerten Leitartikel - ich weiß nicht, wer ihn gelesen hat - für die Süddeutsche Zeitung anlässlich des 9. November geschrieben. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben: Die
deutsche Geschichte ist eine demokratische Erfolgsgeschichte. Aus ihr erwächst die Pflicht, anderen Ländern
und anderen Menschen zu helfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, alle, die
jetzt noch hier im Plenum sind, sind in Flüchtlingscamps
gewesen, ob im Nordirak, in Dadaab, in Jordanien oder
vielen anderen Ländern mehr. Wir alle haben mit eigenen Augen gesehen, wie menschenunwürdig die Situation ist, wie schlimm mit diesen armen Menschen, die
Schweres hinter sich haben, umgegangen wird.
Ich erinnere mich sehr gut: Wenn man zum Abschied
in die Augen dieser Menschen geschaut hat, dann hat
man immer auch noch etwas anderes gesehen - und das
ist noch viel schlimmer -: Ich persönlich habe sehr oft
das Gefühl, dass es die Angst ist, vergessen zu werden.
Darüber zu reden, ist der erste Akt gegen das Vergessen.
Aber reden allein nützt natürlich nichts. Wir müssen
auch handeln, und ich glaube, wir haben als Regierung
gehandelt, schon in diesem Jahr. Der Minister hat schnell
gehandelt, als er sehr schnell und effizient noch im August 40 Millionen Euro für die Flüchtlinge aus dem
Nordirak und Gaza und damals 163 Millionen Euro für
Jordanien bereitgestellt hat, als man gesehen hat, dass
sich die Flüchtlingszahl auf 700 000 zubewegt. Ich bin
auch sehr dankbar für die Internationale Flüchtlingskonferenz, die er mitorganisiert hat, woraus noch weitere
500 Millionen Euro möglich waren.
Klar sein muss aber auch: Es ist wichtig, akute Nothilfe zu leisten. Darüber hinaus haben wir aber politische
und humanitäre Herausforderungen zu erfüllen. Die
Menschen brauchen sofort Nahrungsmittel - das ist klar -,
vor allem die Säuglinge, sonst bekommen sie irreparable
Schäden, gerade hinsichtlich der Entwicklung. Es werden Decken gebraucht, es wird psychosomatische Betreuung gebraucht und vieles andere mehr. All dies soll
eine Brücke zu einem menschenwürdigen Leben sein,
und für uns stellt sich die Frage: Wo, wie und wann soll
das bewerkstelligt werden, dass sie auch zu einem menschenwürdigen Leben kommen?
Wir wissen: Konfliktlösungen wie momentan brauchen in der Regel sehr, sehr viel Zeit, und wir wissen
auch, dass wir keine schnellen Lösungen finden werden,
ob es bei ISIS oder in Somalia oder im Südsudan ist. Wir
haben immer mehr Konflikte. Diese dauern immer länger und fallen immer heftiger aus. Die Menschen brauchen aber jetzt Lösungen. Sie brauchen Perspektiven
und pragmatische Lösungen.
Über 50 Millionen Menschen sind auf der Flucht, in
einem Jahr gab es einen Zuwachs von über 10 Millionen.
Die Vereinten Nationen haben in ihrem neuen Bericht
dargestellt, dass bis 2050 zusätzlich 18,4 Millionen
Menschen gezwungen sein werden, ihr Herkunftsland zu
verlassen. Nicht eingerechnet sind dabei die armutsbedingten Migrationen, die nach Paul Collier zu einem
Exitus führen könnten - ich empfehle jedem, das zu lesen -, nicht nur bei uns oder in den Ländern, in die sie
flüchten, sondern in ihren eigenen Heimatländern, wo
das auch zukünftig sehr starke Auswirkungen haben
wird.
Politik richtig machen bedeutet vor allem, die richtigen Fragen zu stellen. Wir müssen uns also auch fragen:
Wie sollen die Flüchtlingslager der Zukunft ausschauen?
Heute geht man von durchschnittlich 17 Jahren aus, in
denen Flüchtlinge teilweise in Camps leben. Sollen wir
für sie urbane Städte bauen, das heißt, ihnen kann eventuell sogar die Zukunft verbaut werden, weil sie dann in
diesen Städten bleiben - ich erinnere an Dadaab -, oder
soll man Provisorien schaffen, die aber auf der anderen
Seite nur ein bedingt menschenwürdiges Leben ermöglichen? Ich denke, das ist keine akademische Frage, sondern - ich habe vorhin Dadaab angesprochen - es geht
um eine halbe Million Menschen, die seit 20 Jahren dort
leben. Kinder sind dort aufgewachsen, die nie etwas anderes gekannt haben. Sie kennen nichts anderes als dieses Lagerleben. Welche Antwort geben wir ihnen, wenn
sie heute fragen: Wo sind unsere Lebensperspektiven in
der Zukunft?
Wir müssen uns auch fragen: Was wollen wir uns
selbst und den Nachbarländern künftig zumuten? Wir
wissen, wie oft es Konflikte für die Bevölkerung gibt,
die nah an den Flüchtlingslagern lebt.
Das sind viele grundsätzliche Fragen. Ich meine, es
ist richtig, dass wir die Entscheidung getroffen haben,
nicht erst zu fragen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, wie es oft in der Vergangenheit geschehen ist. Vielmehr müssen wir wie ein guter Arzt nicht
nur die Krankheitssymptome behandeln, sondern auch
die Ursachen bekämpfen. Das hat auch der Papst in seiner Rede gesagt, in der er meinte, es sei notwendig, auf
die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen.
Wenn wir mehr Verantwortung in der Welt wollen
- und ich denke, das wollen wir alle -, dann müssen wir
die zivile Krisenprävention noch viel, viel mehr als in
der Vergangenheit zum Primat unserer Politik machen.
({1})
Ich glaube, der vierte Bericht zur Krisenprävention wird
uns die Möglichkeit geben - wenn er in der Beratung ist;
und er kommt sehr bald -, dass wir dies hier noch einmal
ausführlich debattieren.
Die Finanzfragen werden uns nicht loslassen; das ist
ganz klar. Das ist immer ein wichtiges Thema, vor allem,
wenn man sieht, dass die Finanzkosten - das Advisory
Board zu den SDGs wird sie natürlich offenlegen - nicht
geringer als in der Vergangenheit sein werden. Wir werden weiterhin ab 2017 nicht mehr so einfach die Möglichkeit haben, Nachschläge zu leisten, wie es jetzt Gott
sei Dank möglich gewesen ist.
Wir müssen uns also schon fragen, wo wir zukünftig
unsere Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit sehen: Wollen wir thematische Schwerpunkte setzen? Das würde sich natürlich aus dem Weltbevölkerungsbericht ergeben, der davon spricht, dass 1,8 Milliarden Menschen unter 24 Jahre alt sind, von denen allein
90 Prozent in Entwicklungsländern leben. Das heißt,
hier geht es um Bildung, Bildung, Bildung. Das ist ein
ganz wichtiges Thema. Auf diesem Gebiet können mit
die nachhaltigsten Wirkungen erreicht werden. Oder
wollen wir uns auf regionale Schwerpunkte konzentrieren?
Ich glaube, es kommen noch viele Fragen auf uns zu.
Wir haben ein Jahr vor uns, das man, wie ich glaube,
schon als Jahr der Lösungen beschreiben kann. Wir richten die GAVI-Geberkonferenz aus, bei der wir natürlich
möglichst viele Einnahmen generieren wollen. Wir haben dann den G-7-Gipfel. Es wird um die Vereinbarung
neuer SDGs gehen; hier muss es klare Zielsetzungen hin
zu neuen und nachhaltigeren Lebensweisen auf der ganzen Welt geben. Schließlich hoffen wir, dass auch der
Klimagipfel in Paris positiv endet.
Um zukünftig zu Lösungen zu kommen, brauchen wir
die Mitarbeit von jungen Menschen, die offen sind für
neue Dialoge und für neue Lösungswege. Ich glaube,
solche jungen Menschen müssen wir in unsere Entwicklungszusammenarbeit einbinden. Deshalb bin ich dem
Minister sehr dankbar für die Zukunftscharta. Es bestand
hier für viele junge Menschen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen darzulegen, auf was für einem Globus sie zukünftig leben möchten, wie es in ihrem Land aussehen
soll und welchen Beitrag sie für eine gute, heile Welt in
der Zukunft bringen möchten.
Vielleicht darf ich mir, auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen hier, wünschen, dass wir Parlamentarier auch 2015 in die Vorbereitung und Umsetzung aller
zur Debatte stehenden Punkte konstruktiv eingebunden
werden.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Erstens. Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/3283. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Änderungsantrag mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung eines
Kollegen aus der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen - zweitens - zum Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3284.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3284? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung eines
Kollegen aus der SPD-Fraktion abgelehnt.
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Einzelplan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für
den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan
23 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei
drei Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion angenommen
worden.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. November
2014, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.