Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/6/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur 63. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Klaus Ernst gratulieren, der in den zurückliegenden Tagen seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. ({0}) Alle guten Wünsche für die nächsten Jahre. Wir müssen dann noch eine Wahl durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, dass in das Kuratorium der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der Kollege Matthias Birkwald als Nachfolger für den Kollegen Dr. Alexander Neu als ordentliches Mitglied berufen wird und der Kollege Neu dem Kollegen Birkwald als stellvertretendes Mitglied nachfolgt, mit anderen Worten, dass sie ihre jeweiligen Positionen tauschen. Hat dagegen jemand schwerwiegende Bedenken? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Risiko und Haftung zusammenführen Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden - Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanismus - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung ({2}) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates KOM({3}) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Zum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinteressen - Für eine echte Europäische Bankenunion Drucksachen 18/97, 18/98, 18/774, 18/3088 ZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämp- fen - Stopp des Programms MobiPro-EU so- fort aufheben Drucksachen 18/1343, 18/1531 Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu den alarmie- renden Ergebnissen des Weltklimaberichts und dem Handlungsbedarf für mehr Klima- schutz Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun- gen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 16 soll abgesetzt werden. Die Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rü- cken entsprechend vor. Darf ich auch zu diesen Vereinbarungen Ihr Einver- ständnis feststellen? - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Verbesserter automatischer Informationsaus- tausch - Einigung auf wirksamere Regeln zur Bekämpfung von Steuerflucht b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung Drucksache 18/3018 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({5}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. - Auch das ist offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung erhält nun der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der letzten Woche hier in Berlin zusammen mit den Vertretern von 51 weiteren Staaten und Gebieten eine multilaterale Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten unterzeichnet. Danach werden ab 2017 die Steuerbehörden in Deutschland und in den anderen Unterzeichnerstaaten in einem automatisierten Verfahren Kontoinformationen von den in ihrem Staat oder Gebiet ansässigen Banken und Finanzdienstleistern erhalten, und sie werden diese Daten untereinander austauschen. Das ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen internationale Steuerhinterziehung. Wer sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daran erinnert, wie langwierig und wie mühsam die Verhandlungen allein zur EU-Zinsrichtlinie in den letzten 15 Jahren gewesen sind, der wird um die Tragweite des jetzt beschlossenen automatischen Informationsaustausches wissen. Wenn man außerdem bedenkt, dass wir vor mehr als zwei Wochen in demselben Finanzministerrat, in dem wir 15 Jahre mit der EU-Zinsrichtlinie nicht so richtig vorangekommen sind, einstimmig beschlossen haben, dass wir den automatischen Informationsaustausch ab 2017 über die sogenannte Amtshilferichtlinie in europäisches Recht umsetzen, erkennt man, was hier in kurzer Zeit an Veränderungen doch möglich geworden ist. Mit dem Inkrafttreten dieses Informationsaustausches stehen die Länder, die sich daran beteiligen, als Fluchtort für Kapitalvermögen nicht mehr zur Verfügung. Somit wird es schwieriger - unmöglich wird es nie, aber hoffentlich schwieriger -, Kapitaleinkünfte vor der rechtmäßigen Besteuerung zu verbergen. Steuerhinterziehung wird unattraktiver. Dieser internationale Informationsaustausch geht auf eine gemeinsame Initiative von Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland zurück. Wir haben uns früh für diese umfassende internationale Kooperation eingesetzt. In der immer unübersichtlicher werdenden Welt des 21. Jahrhunderts können ja kleine, vor allem aber große Vermögen per Knopfdruck im Internet auf der ganzen Welt hin- und hergeschoben werden. In einer solchen Welt reichen die bisherigen bilateralen Doppelbesteuerungs- und Informationsaustauschabkommen nicht mehr aus. Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen, in dem einheitliche Standards gelten. Diesen multilateralen Ansatz treiben wir jetzt voran. Wir haben jetzt 52 Unterzeichnerstaaten. Es werden sich aber weitere Staaten dem Abkommen anschließen. Insgesamt bekennen sich bereits rund 100 Staaten und Gebiete zu diesem Abkommen, darunter auch so wichtige Finanzzentren wie die Schweiz und Singapur. Ich bin sicher, dass in kurzer Zeit weitere Staaten folgen werden. ({0}) - Luxemburg hat unterzeichnet. Luxemburg ist schon bei den Unterzeichnerstaaten der vergangenen Woche. Auch in Luxemburg haben sich die Dinge geändert. Da bleibt zwar noch viel zu tun, wie wir in den Zeitungen lesen können. Das ist wahr. Wobei es da, wenn ich es in den Zeitungen richtig lese - zu dem Thema komme ich auch noch -, nicht nur illegale Steuerhinterziehung gibt, sondern eben auch die Ausnutzung von legalen Gestaltungsmöglichkeiten. ({1}) Dagegen etwas zu unternehmen, ist der nächste Schritt. ({2}) Neben der Verringerung legaler Gestaltungsmöglichkeiten ist natürlich zunächst vor allem wichtig, dass wir dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden. Die Bekämpfung der illegalen Steuerhinterziehung ist deswegen also nicht weniger wichtig. Aber wir haben jetzt eine neue Phase internationaler Steuerkooperation, weil alle eingesehen haben, dass es so nicht weitergehen kann. Das hat auch Konsequenzen für das Bankgeheimnis. Das drückt in vielen Ländern ja ein wichtiges Grundverständnis zwischen Staat und Bürgern aus. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass die Menschen nicht gegenüber jedermann alles offenlegen wollen. Das Recht auf Privatheit verstehen wir ja auch vor dem Hintergrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Datenschutz in seiner Bedeutung immer besser. Es geht also auch um das Bankgeheimnis. Das Bankgeheimnis besteht mit diesem automatischen Informationsaustausch jedenfalls gegenüber den Steuerverwaltungen - das muss man sagen - nicht mehr fort. Aber es bleibt ja Aufgabe des Datenschutzes, dafür zu sorgen, dass die Bürger nicht gegenüber jedermann ihre privaten Verhältnisse offenlegen müssen. Wir legen jedenfalls auch bei dieser Steuerkooperation hohen Wert auf den Datenschutz. Es müssen auch beim automatischen Informationsaustausch die höchsten Standards gelten. Wir haben dafür eine eigene Datenschutzklausel bei der OECD hinterlegt. Diese Form von Steuerpolitik ist im Übrigen ein zentraler Baustein einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik. Wir brauchen in Deutschland nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, und das erreichen wir nur, wenn wir Vertrauen bei Investoren und Verbrauchern schaffen bzw. erhalten. Investoren brauchen Planungssicherheit und gute Rahmenbedingungen, um weiter am Wirtschaftsstandort Deutschland zu investieren, um Forschung zu betreiben, um Innovationen zu entwickeln, um gute Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei spielen zuverlässige steuerpolitische Rahmenbedingungen eben eine große, wichtige Rolle. Dazu gehört auch die Zusage, dass wir in dieser Legislaturperiode keine Steuern erhöhen wollen. ({3}) Im Übrigen will ich in dem Zusammenhang die Bemerkung machen: Unser finanzpolitischer Spielraum ist bei der Fortsetzung dieser richtigen Finanzpolitik begrenzt. Umgekehrt ist die Bereitschaft des Bundesrats, einnahmemindernden Gesetzesvorschlägen zuzustimmen - die Zustimmung des Bundesrats zu solchen Gesetzen ist notwendig, wie wir spätestens seit dem gescheiterten Gesetz zum Abbau der kalten Progression wissen -, nicht vorhanden. Deswegen rate ich dazu, nicht allzu viel Kreativität bei Steuersenkungsvorschlägen zu entwickeln. Denn da sie kurzfristig nicht zu realisieren sein werden, können sie im Zweifel nur Verunsicherung schüren. ({4}) Das können wir wirtschaftlich überhaupt nicht gebrauchen. ({5}) Es wäre wünschenswert, die Auswirkungen der kalten Progression endlich zu beseitigen. ({6}) Herr Präsident, ich bekomme hier ein Zeichen, dass Sie mir etwas sagen wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, das war versehentlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Dann bitte ich um Nachsicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weil wir bei Regierungserklärungen, Herr Kollege Gambke, üblicherweise keine Zwischenfragen zulassen, bitte ich, das gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu tun.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Also erinnere ich nur noch einmal daran - wahrscheinlich wäre das auch die Zwischenfrage gewesen -: Wir haben 2012 ein Gesetz zum Abbau der kalten Progression verabschiedet. Es ist aber leider vom Bundesrat blockiert worden, und bis heute hat sich daran nichts geändert. Aber wir versuchen, in den laufenden Verhandlungen mit den Ländern darüber eine Einigung zu erzielen, damit wir das endlich schaffen können. Jetzt haben wir im Zusammenhang mit dem automatischen Informationsaustausch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Diskussion über die Abgeltungsteuer. Ich erinnere wieder und wieder daran: Die Abgeltungsteuer ist mit dem Argument eingeführt worden - es war in seiner kommunikativen Wirkung schwer zu übertreffen -: 25 Prozent von X ist mehr als 45 Prozent von nix. - Solange man die Informationen nicht hat, ist eine Abgeltungsteuer in der Abwägung der Argumente - pro und kontra - zumindest eine mit guten Argumenten versehene Lösung. Wenn der automatische Informationsaustausch eingeführt ist, kann man noch einmal überprüfen, ob die Argumente dann noch so gelten. Aber ich rate dazu, dass wir jetzt zunächst einmal warten, bis der automatische Informationsaustausch eingeführt ist. Wir haben jetzt seine Einführung vereinbart. Ab 2017 soll er funktionieren, und dann können wir es tun. Es ist immer so: Wenn man den zweiten Schritt vor dem ersten geht, ({0}) gerät man leicht ins Stolpern. Deswegen gehen wir Schritt für Schritt voran. Das ist sehr viel besser. ({1}) Im Übrigen will ich angesichts öffentlicher Debatten, die einen manchmal schon amüsieren können, sagen: Unser Steuersystem ist im Hinblick auf unseren modernen Industriestandort international wettbewerbsfähig. Wir haben keine höhere Unternehmensbesteuerung als vergleichbare Industriestaaten. Die Unternehmensbesteuerung in Deutschland ist etwa im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika spürbar niedriger. Wir bieten attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen. Wir sollten das weder leichtfertig gefährden noch leichtfertig zerreden. Aber natürlich ist entscheidend, dass die bestehenden Steueransprüche auch konsequent durchgesetzt werden. Dazu ist der automatische Informationsaustausch ein wichtiger Schritt, indem er illegale Steuerflucht für die Zukunft erschwert und im Ausland lagernde Kapitalvermögen einer korrekten Besteuerung im Inland zuführt. Damit bekämpfen wir das Problem, dass den öffentlichen Haushalten durch Steuerflucht Steuereinnahmen in Milliardenhöhe fehlen. Indem wir bestehende Steueransprüche durchsetzen - auch daran muss man erinnern -, sichern wir die Grundlagen unseres Gemeinwesens. Unser Bildungswesen, unsere Verkehrsinfrastruktur, unsere innere Sicherheit, unsere hohe soziale Absicherung - all das und noch viel mehr hängt davon ab, dass die öffentlichen Haushalte zuverlässig und auskömmlich finanziert sind. In diesem Land ist Konsens, dass dabei die Besteuerung an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten ist. Deswegen dürfen die Bezieher höherer Einkommen und die Besitzer größerer Vermögen nicht größere Möglichkeiten haben, sich der legalen Besteuerung zu entziehen. Niemand soll sich auf Kosten der Allgemeinheit seiner Steuerpflicht entziehen können. Dieses Prinzip wird durch illegale Steuerflucht infrage gestellt. Da natürlich die Menschen nicht ganz ohne Grund den Eindruck haben, dass Steuerflucht überwiegend bei größeren Vermögen stattfindet, handelt es sich um ein Problem, das mit Fairness und Gerechtigkeit zu tun hat. So verbessern wir mit dem automatischen Informationsaustausch Fairness und Gerechtigkeit in unserem Lande. ({2}) Nun müssen wir auch - damit komme ich zum zweiten Thema - im Bereich der Unternehmensbesteuerung auf die Sicherung der Einnahmebasis und auf höhere Steuergerechtigkeit achten. International tätige Konzerne haben mehr Möglichkeiten - dazu nutzen sie unterschiedliche Steuerregelungen im In- und Ausland aus -, um ihre Steuerbelastung zu minimieren. Das ist legal, aber im Übermaß betrieben ist das ein Problem für die Steuergesetzgebung und für die internationale Zusammenarbeit. In der globalisierten Welt werden Waren- und Kapitalströme immer mobiler; und damit auch die maßgeblichen Einkunftsquellen. Das ist das objektive Problem. Einkünfte stammen zunehmend aus immateriellen Werten, die steueroptimiert ins Ausland verlagert werden können. So transferieren international tätige Konzerne ihre Einkunftsquellen wie Patente und Lizenzen auf Tochterunternehmen im Ausland, um von niedrigeren Steuersätzen zu profitieren. Das führt dann zu Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu Unternehmen, die überwiegend im Inland operieren. Anders als bei multinationalen Konzernen sind die Strukturen und Geschäftsmodelle kleiner und mittlerer Unternehmen wenig dafür geeignet, die Möglichkeiten der international unterschiedlichen steuerlichen Regulierung auszunutzen. Deswegen müssen unsere steuerlichen Regelungen an die höhere Internationalität, Komplexität und auch an die neue Wirtschaftswelt der digitalen Dienstleistungen angepasst werden. Leider steigen übrigens dabei zwangsläufig auch die Anforderungen an Umsetzung und Vollzug der Regulierung. Einfacher wird es dadurch nicht. Wir haben in den letzten Jahren auch bei der Gestaltung der internationalen steuerlichen Bedingungen für Unternehmen eine Menge erreicht. Wir haben - das geschah wiederum maßgeblich auf unser Betreiben hin im Rahmen der G 20 und im Rahmen der OECD Projekte gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung initiiert. Das ist die sogenannte BEPS-Initiative. BEPS steht für Base Erosion and Profit Shifting, also für die Erosion der steuerlichen Bemessungsgrundlage und die Verlagerung der Profite. Ziel dieses BEPS-Projekts ist es, international abgestimmte Standards zu vereinbaren, um die Möglichkeiten multinational tätiger Unternehmen zur kreativen Steuergestaltung zu begrenzen. Wir wollen den internationalen Steuerwettbewerb nicht abschaffen, aber wir wollen einen fairen Steuerwettbewerb für alle. Gewinne sollen dort besteuert werden, wo die zugrundeliegende unternehmerische Aktivität und die tatsächliche Wertschöpfung stattfinden. Wir wollen Doppelbesteuerung - das war schon immer so - verhindern, aber wir wollen auch zunehmend verhindern, dass es doppelte Nichtbesteuerung gibt. Beides führt nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen und damit zu Behinderungen von marktwirtschaftlichen Prozessen. ({3}) Im Übrigen sollen sich international tätige Konzerne genau wie andere Unternehmen auch angemessen an der Finanzierung der öffentlichen Haushalte beteiligen. Es kann nicht sein, dass sich wenige auf Kosten vieler bereichern. Das gilt übrigens für Staaten wie für Unternehmen, und es gilt in beiden Fällen für kleine wie für große. ({4}) Im Rahmen dieses Projekts hat die OECD in einer bemerkenswert kurzen Zeit - mein britischer Kollege und ich haben die Initiative vor drei Jahren in Mexiko gestartet - wirklich enorme Fortschritte auf diesem Gebiet zustande gebracht. Das muss man mit großem Respekt und voller Dankbarkeit sagen. Wir haben jetzt im September in Australien im Kreise der G-20-Finanzminister die ersten 7 von insgesamt 15 Aktionspunkten in Vorbereitung auf den G-20-Gipfel gebilligt. Die sollen in der kommenden Woche in BrisBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble bane begrüßt werden. Im kommenden Jahr erwarten wir internationale Verständigung zu weiteren Punkten. Mit diesen konkreten und umsetzbaren Empfehlungen können die beteiligten Staaten dann den Gesetzgebungsprozess beginnen. Ich will das wichtigste Beispiel kurz erläutern. Im Bereich der Patent- und Lizenzboxen können international agierende Unternehmen ihre Patent- und Lizenzeinnahmen an konzerninterne Tochterunternehmen, die ihren Sitz in Ländern mit einem niedrigeren Steuersatz haben, verschieben und damit die Besteuerung minimieren. Deswegen ist der Inhalt der, dass die steuerliche Begünstigung solcher Aktivitäten in Mitgliedsländern nur insoweit noch erlaubt ist, als sie auf eigenen Forschungsund Entwicklungsarbeiten gründen. So können wir den Missbrauch durch Briefkastenfirmen in Zukunft verhindern. Darauf haben wir uns mit Großbritannien geeinigt. Wir besprechen im Moment die technischen Fragen für eine Übergangslösung, und die Vereinbarung soll dann auf der G-20-Ebene eingebracht werden. Danach werden wir sie in europäisches Recht überführen. Im Zuge dessen können wir in Deutschland ohne Verstoß gegen europäisches Recht eine Gesetzgebung auf den Weg bringen, gemäß der die Abzugsfähigkeit in Deutschland nur noch zugelassen ist, wenn die Regelungen in dem jeweils anderen Staat dieser Vereinbarung entsprechen. Im Übrigen hat die irische Regierung, wie Sie mitverfolgen konnten, angekündigt - auch dazu haben wir sehr viel beigetragen -, dass sie das als „Double Irish“ bekannte Schlupfloch für Unternehmen - es besteht im Wesentlichen darin, dass man rechtlich in Irland ansässig sein kann, ohne dort und damit auch in der Europäischen Union steuerpflichtig zu sein - abschaffen will. Das ist ebenfalls ein wichtiger Schritt. Schließlich wollen wir auch in der nationalen Steuerpolitik für mehr Gerechtigkeit und Fairness sorgen. Deswegen bringen wir den Gesetzentwurf zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung ein, mit dem die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige weiterentwickelt werden sollen. Wir haben uns intensiv mit den Ländern abgestimmt - Steuerverwaltung ist ja Sache der Länderverwaltungen und sind uns einig, dass wir das Rechtsinstitut der strafbefreienden Selbstanzeige grundsätzlich beibehalten, aber die Bedingungen ab kommendem Jahr deutlich verschärfen wollen. ({5}) Im Wesentlichen soll die Grenze für die strafbefreiende Selbstanzeige von jetzt noch 50 000 Euro auf 25 000 Euro abgesenkt werden. Bis zu diesem Betrag bleibt sie straffrei, und es wird auch kein Strafzuschlag erhoben. Ab 25 000 Euro werden in Zukunft bei einer Selbstanzeige nach dem jeweiligen Hinterziehungsbetrag gestaffelte Strafzuschläge erhoben. Bei einem Hinterziehungsbetrag von 25 000 Euro bis 100 000 Euro soll ein Zuschlag von 10 Prozent gezahlt werden, ab 100 000 Euro bis zu 1 Million Euro 15 Prozent und über 1 Million Euro 20 Prozent. Des Weiteren soll der Berichtigungszeitraum von bisher fünf auf zehn Jahre ausgedehnt werden. Das heißt, Steuerhinterzieher, die von der Selbstanzeige Gebrauch machen wollen, müssen zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart die Angaben in vollem Umfang berichtigen, ergänzen oder nachholen, und zwar für den Zeitraum der letzten zehn Jahre. Wir haben zugleich Wünsche aus der Praxis nach mehr Rechtssicherheit im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldung und der Lohnsteueranmeldung aufgegriffen und setzen sie mit dem Gesetzentwurf um. Wir stellen den Rechtszustand, wie er vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz galt, wieder her, sodass künftig erneut mehrfache Korrekturen bei den Voranmeldungen im Laufe eines Jahres möglich sein werden. Das ist sicherlich richtig. Diesbezüglich sind wir damals bei der Schwarzgeldbekämpfung ein Stück zu weit gegangen. Die Abgabe einer Selbstanzeige in Form der Umsatzsteuerjahreserklärung für ein abgelaufenes Jahr soll wieder unabhängig davon erfolgen können, ob die Umsatzsteuervoranmeldungen für das laufende Jahr fehlerhaft waren. Mit diesen Neuregelungen haben wir einen ausgewogenen Kompromiss von Verschärfung der Folgen einer Steuerhinterziehung und notwendigen Korrekturmöglichkeiten bei komplexen Voranmeldungen erarbeitet. Die strafbefreiende Selbstanzeige bietet Steuerhinterziehern weiterhin einen Weg zurück in die Steuerehrlichkeit. Zugleich tragen wir mit der Verschärfung der Bedingungen dem Gerechtigkeitsempfinden Rechnung. Mit dem automatischen Informationsaustausch, den internationalen Standards gegen Steuergestaltung und Steuervermeidung und mit der Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige unternehmen wir wichtige Schritte in Richtung von mehr Steuergerechtigkeit. Wir erhöhen die Steuergerechtigkeit im In- wie im Ausland, tragen zur Sicherung der Finanzierungsbasis der öffentlichen Haushalte bei und stärken damit das Vertrauen der Menschen ebenso wie die Rahmenbedingungen für Unternehmer und Investoren. Wir handeln im Sinne des Gedankens der Generalprävention, demzufolge Gesetze und Regelungen dem Schutz der Allgemeinheit dienen und das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsordnung, in diesem Fall die Steuerordnung, stärken, sei es durch mehr Transparenz, durch einheitliche Standards oder durch strengere Regeln. Wir haben nun die Chance, einen internationalen Ordnungsrahmen in Steuerfragen zu schaffen, der unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft nachhaltigen Nutzen und damit Wohlstand sichern kann, in Deutschland und weit darüber hinaus. Diese Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir nutzen. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Schäuble, hört sich natürlich alles sehr eindrucksvoll an. ({0}) Das Problem ist nur, dass die Geschichte des Kampfes gegen die Steuerhinterziehung von Millionären und Konzernen leider eine Geschichte eindrucksvoller Ankündigungen ist, denen in der Regel nichts als heiße Luft gefolgt ist. ({1}) Herr Schäuble, Sie haben vorhin selbst kurz auf Luxemburg verwiesen. Es geht heute durch alle Medien, wie Luxemburg - das ist nicht ganz neu und nicht ganz unbekannt - den Konzernen in großem Stil durch das Bereitstellen von Konstruktionen geholfen hat, ihre Steuerquote legal auf etwa 1 Prozent ihrer Gewinne - teilweise vielleicht sogar 0 Prozent - herunterzudrücken. Das ist passiert unter Federführung Ihres Kommissionspräsidentenkandidaten, der inzwischen Präsident der Europäischen Kommission ist, des Herrn Juncker. Ich muss sagen: Ich finde es schon bemerkenswert, dass Beihilfe zur Steuerhinterziehung, dass Beihilfe daran, dass große Konzerne die Allgemeinheit in Europa in Milliarden- und Billionenhöhe schädigen können, ({2}) in diesem Europa offensichtlich für höchste Funktionen prädestiniert. ({3}) Allein das ist ein riesiger Skandal. ({4}) Herr Schäuble, Wenn Sie sagen, es handele sich um legale Möglichkeiten, erwidere ich Ihnen: Es gibt natürlich genauso legale Möglichkeiten, hier in Deutschland diese Art der Steuerhinterziehung von Konzernen zu verhindern. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, dass Lizenzgebühren, Patentgebühren und Zinsen, die in Länder fließen, die bekanntermaßen solche Modelle anbieten und genau diese Gebühren und Zinsen eben nicht besteuern, hier nicht mehr abzugsfähig sind. Natürlich wäre das möglich. ({5}) Ich kann es nicht mehr hören, dass man sich hinstellt und sagt: Wir können da nichts tun. Schauen Sie sich Europa an: Was wurde den Krisenländern alles diktiert? Die Löhne mussten sinken, die öffentliche Beschäftigung musste abgebaut werden. Aber wer hat auch nur einmal Irland darauf hingewiesen, dass dieser unsäglich niedrige Unternehmensteuersatz ein Problem ist? ({6}) Sie berufen sich jetzt darauf, dass das Double-IrishModell abgeschafft sei. Der irische Finanzminister hat aber gleich hinzugefügt, dass er großzügige Patentboxen einführen wird. Das heißt, das, was Sie hier machen, ist nichts anderes, als die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen. Natürlich kann die Politik das verhindern. Der Wille fehlt. Das ist das zentrale Problem. ({7}) „Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber.“ Genau dieser Satz stand übrigens schon einmal im Abschlusskommuniqué eines Weltfinanzgipfels, und das war im April 2009. Seitdem sind die Auslandsvermögen in der Schweiz um über 14 Prozent gewachsen, die in anderen Steueroasen sogar noch mehr. Wir erinnern uns auch gut, Herr Schäuble, dass Sie noch 2012 ein Abkommen mit der Schweiz abschließen wollten, das genau dieses Bankgeheimnis für alle Ewigkeit garantiert und allen Steuerhinterziehern mit Schweizer Konten eine Weißwäsche garantiert hätte. ({8}) Da war bei Uli Hoeneß & Co. wahrscheinlich schon der Champagner kalt gestellt. ({9}) Ich erinnere mich auch noch sehr gut, dass Sie sich damals heftig beschwert haben, als dieses Abkommen im Bundesrat gescheitert ist. Wäre es nicht gescheitert, gäbe es das jetzige, das Sie gerade so sehr feiern, überhaupt nicht. ({10}) Sie reden gerne vom Rechtsstaat. Aber in Wahrheit gibt es doch längst zweierlei Recht in diesem Land. Ein Schwarzfahrer kann im Knast landen, wenn er ein paarmal ohne Ticket in der S-Bahn erwischt wird. Ein Kleinbetrieb, der mit der Zahlung seiner Mehrwertsteuer im Rückstand ist, wird unter massiven Druck gesetzt und nicht selten in den Konkurs getrieben. Großen Konzernen dagegen werden Scheunentore an Möglichkeiten eröffnet, Steuern ganz legal nach unten zu drücken. Gleichzeitig: Wer als Privatperson die Allgemeinheit um Millionen prellt, soll auch in Zukunft die Chance haben, sich bei Witterung von Gefahr durch Selbstanzeige Straffreiheit zu erkaufen. Das ist doch ein einziger Skandal! ({11}) Wenn ein reuiger Bankräuber seine Beute irgendwann zurückgibt, kann auch er nicht als unbescholtener Bürger das Haus verlassen. Bankraub bleibt auch dann strafbar, wenn man ihn aus Angst vor Aufdeckung selbst zur Anzeige bringt. ({12}) Da muss man Sie von CDU und CSU, aber auch Sie von der SPD natürlich fragen: Finden Sie das Ausrauben der Allgemeinheit wirklich so viel harmloser als das Ausrauben einer Bank? ({13}) Wir als Linke sehen das nicht so, zumal es sich beim Raub an der Allgemeinheit um weit größere Summen handelt: Allein in Deutschland schätzt man die Ausfälle durch Steuerbetrug und Steuertricks auf etwa 100 Milliarden Euro jährlich. 100 Milliarden Euro sind fast ein Drittel des Bundeshaushaltes. Und da behaupten Sie, ohne rot zu werden, es sei kein Geld da für menschenwürdige Pflege, für ordentliche Bildung, für eine ausreichende Zahl von Kitaplätzen, für armutsfeste Rente? Was ist denn das für eine Heuchelei? Natürlich ist das Geld da. Es wird nur mithilfe von Banken und Finanzkriminellen in den Steueroasen dieser Welt versteckt. Das Problem ist doch, wo das Geld bleibt. ({14}) Insofern finde ich es schon bemerkenswert, dass Politiker, die so gern über Schuldenbremsen und schwarze Nullen philosophieren, erkennbar so wenig Ehrgeiz zeigen, wenn es darum geht, dieses riesige schwarze Loch in den öffentlichen Finanzen irgendwann einmal zu stopfen. Nun weiß man zwar, dass die CDU selbst einschlägige Erfahrungen mit Schwarzgeldkonten und Schattenfinanzen hat, ({15}) Umstände, die nicht zuletzt aufgrund des Schweizer Bankgeheimnisses nie restlos aufgeklärt werden konnten. Aber man muss natürlich sagen: Auch den SPDFinanzministern Eichel und Steinbrück fiel zum Thema Steuerhinterziehung nicht viel mehr ein als großzügige Amnestien und die Einführung dieser unsäglichen Abgeltungsteuer, die dazu führt, dass Menschen, die hart arbeiten, per se höhere Steuersätze haben als Menschen, die von ihren Vermögenseinkommen leben. Auch das gehört schleunigst abgeschafft. ({16}) Wenn Sie von der SPD das wollen, dann bringen Sie doch einen Antrag ein. Wir werden dafür stimmen. Sie haben doch eine Mehrheit dafür. ({17}) Keine Bundesregierung hat auch nur das Mindeste an der skandalösen Situation geändert, dass heute, wie in alten feudalen Zeiten, die Reichsten der Reichen kaum noch Steuern zahlen, während der Fiskus bei denjenigen, die hart arbeiten und oft viel zu wenig dafür bekommen, gnadenlos zugreift. Das wird auch das neue Abkommen nicht ändern. „Offshore-Leaks“ hat vor einiger Zeit aufgedeckt, wer so alles Briefkastenfirmen im Steuerparadies Panama unterhält. Die Liste las sich wie das „Who is who?“ der deutschen Wirtschaft. Da finden wir all Ihre Freunde und Geldgeber, also die Familien Quandt, Porsche, Piëch, die Kaffeedynastie Jacobs und viel alten Adel wie Finck, Habsburg und Wittgenstein. ({18}) Panama dürfte sich in Zukunft eines weiter wachsenden Zuspruchs erfreuen; denn es gehört zu den Ländern, die dieses Abkommen nicht unterschrieben haben. Auch die Schweiz lässt sich Zeit. Da sagen Sie aber nicht: Da können wir nichts machen. - Wo gutes Zureden nicht hilft, muss man eben ein bisschen ruppiger werden. ({19}) Ich garantiere Ihnen: Würden Sie alle Zinsen und Dividenden, die aus Deutschland oder vielleicht sogar aus der gesamten EU in solche Steueroasen fließen, mit einer Quellensteuer von, sagen wir, 50 Prozent belegen, würde die Gesprächsbereitschaft dieser Steueroasen rasant zunehmen. ({20}) Man muss sich natürlich schon fragen, warum Sie die eigentlichen Organisatoren dieser Steuerflucht, nämlich die Banken, nach wie vor unbehelligt lassen. Warum schaffen Sie kein Gesetz, dass die Banklizenz in Deutschland daran geknüpft ist, dass keine Tochterfirmen in Steueroasen unterhalten werden? Finden Sie es wirklich normal, dass allein die Deutsche Bank 970 Tochterfirmen in Ländern unterhält, die das Netzwerk Steuergerechtigkeit als Schattenfinanzplätze bezeichnet? Was meinen Sie, was die da machen? Die Südseesonne genießen? ({21}) Es waren übrigens genau diese Hebel, nämlich Quellensteuern und Druck auf die Banken, mit denen die USA weltweit Abkommen erzwungen haben, die ihnen jetzt gewährleisten, dass die Kontodaten amerikanischer Staatsbürger an sie gemeldet werden. Das Pikante an diesem Fall ist aber, dass sich die USA am Abkommen über gegenseitigen Informationsaustausch, das Sie hier beschrieben haben, nicht beteiligen wollen. Das heißt, die US-Steueroase Delaware ist nach wie vor ein superattraktiver Standort für ausländische Steuerflüchtlinge weltweit. Ich stelle fest, dass die Bundesregierung auch das anscheinend demütig hinnehmen wird. Insoweit muss man schon sagen: Dieses Abkommen hat erstens zu wenig Unterzeichner. Zweitens beinhaltet es Regeln, die große Scheunentore an Umgehungsmöglichkeiten öffnen. So werden beispielsweise alte Konten gar nicht gemeldet. Gemeldet wird auch nicht, wer Anteile eines Unternehmens von weniger als 25 Prozent hält usw.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Das heißt, das Ganze ist eher ein Konjunkturprogramm für die Nadelstreifenmafia der auf Steuerflucht- und Steuerhinterziehungsberatung spezialisierten Firmen und Banken. Die müssen sich jetzt ein paar zusätzliche Kniffe ausdenken, um ihrer vermögenden Klientel weiterhin das begehrte Produkt „steuerfreie Millionen“ anbieten zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Und Sie, Frau Wagenknecht, müssen nun zum Schluss kommen.

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Was wir wirklich brauchen in Deutschland, ist endlich ({0}) eine Politik, die nicht mehr vor der geballten Macht des Geldadels kapituliert. Dafür steht die Linke, und dafür werden wir weiter kämpfen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Wagenknecht, bei aller Liebe: Bei einem 20-prozentigen Redezeitzuschlag des Präsidenten ist irgendwann dann auch der Toleranzrahmen erschöpft. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. ({1})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über zwei Aspekte der Gesetzgebungsmaßnahmen, die markant sind im Hinblick auf die Frage, wer diesen Staat eigentlich finanziert. Der erste Aspekt ist, dass wir, wie von Minister Schäuble schon angesprochen wurde, die legale Steuergestaltung von Großkonzernen einschränken wollen. In dem Land, in dem die Umsätze erwirtschaftet werden, müssen die Gewinne auch versteuert werden. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Der zweite Aspekt ist die Abschaffung des Bankgeheimnisses innerhalb der Europäischen Union, wobei sich viele weitere Staaten und internationale Finanzplätze daran beteiligen. Dass das gelingt, hätte ich mir vor wenigen Jahren nicht vorstellen können. Deswegen ist das heute ein großer Schritt. ({0}) Wir machen Gesetze, die sichern sollen, dass unser Staat von den Bürgerinnen und Bürgern und von den Unternehmen finanziert wird. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen ihre Steuer, die Lohnsteuer wird direkt abgeführt. Der Rentner zahlt seine Steuern. Alle zahlen Mehrwertsteuer an der Kasse. Unternehmen haben ein wenig mehr Gestaltungsmöglichkeiten, aber im Prinzip zahlen auch sie Steuern, zumindest die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ein Problem ist dann gegeben, wenn Kapital flexibel ist und sich verstecken kann. Das betrifft diejenigen, die über sehr viel Geldvermögen verfügen und es in den vergangenen Jahrzehnten quasi als Sport betrieben haben, es in die Schweiz, nach Luxemburg, Liechtenstein und in andere Steueroasen zu schaffen und dort anzulegen. Das Ganze geschah unter dem Deckmantel des Datenschutzes und der Autonomie des jeweiligen Ziellandes. Jemand, der arbeitet, muss seine Steuern hier in Deutschland zahlen. Im Gegensatz dazu haben manche, die über sehr viel Geld verfügen, keinen einzigen Cent Steuern auf ihre Kapitalerträge gezahlt. Das war ein asoziales Verhalten. ({1}) Ich glaube, von Günter Grass stammt der Spruch „Der Fortschritt ist eine Schnecke“. Das trifft hierauf zu: Die Vorarbeiten für dieses Abkommen laufen seit 2002. Hans Eichel hat damals die EU-Zinsrichtlinie auf den Weg gebracht. Es hat sehr lange gedauert, bis sie beschlossen wurde. Österreich, Luxemburg haben sich dagegen gewehrt. Hier haben wir jetzt insbesondere durch das Entdeckungsrisiko und auch - da gebe ich Ihnen recht, Frau Wagenknecht - durch die Drohung der amerikanischen Regierung, den europäischen Banken die Lizenz zu entziehen, wenn sie die Kontodaten amerikanischer Staatsbürger nicht herausrücken - das sogenannte FATCA-Abkommen -, Fortschritte erzielt. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Schweiz - mit ein bisschen Verzögerung, aber sie werden es tun - die Daten von bisher anonymen Kontoinhabern herausrückt. Das ist ein großer und wichtiger Schritt. Was hat der Deutsche Bundestag dazu getan? Ich glaube, schon einiges. Wir Sozialdemokraten haben immer in den Mittelpunkt gestellt, dass die Finanzierung dieses Staates fair sein muss. Aus diesem Grund haben wir das Abkommen, das Sie, Herr Minister Schäuble, zur Zeit der vorigen Koalition mit der Schweiz schließen wollten und welches die Anonymität derjenigen, die ihr Geld dort haben, sichern sollte, im Bundesrat abgelehnt, und nur weil wir es abgelehnt haben, sind Fälle von berühmten Fußballmanagern öffentlich geworden, die sich schon gefreut hatten, in der Anonymität bleiben zu können. Carsten Schneider ({2}) ({3}) Deswegen werden wir die Bedingungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige deutlich verschärfen. Der automatische Informationsaustausch - dafür haben Sie die volle Unterstützung der Großen Koalition - ist der richtige Schritt. Ich wünschte mir, die Amerikaner machten da auch noch mit, überhaupt keine Frage. Ich hoffe, dass ein solcher Informationsaustausch weltweit eingeführt wird. Aber es ist überhaupt schon einmal ein großer Schritt - und dafür will ich mich auch bedanken -, dass Sie 51 Staaten davon überzeugt haben - Singapur, die Schweiz etc. -, dieses Abkommen hier in Berlin zu unterzeichnen und sich gläsern zu machen. Das ist ein großer Fortschritt, und dafür sage ich auch: Herzlichen Dank! ({4}) Mit der Abgeltungsteuer werden wir uns - die Vorarbeiten müssen vorher laufen - spätestens dann, wenn der automatische Informationsaustausch funktioniert, wieder beschäftigen. Unser Ziel als Sozialdemokraten ist, dass Einkommen aus Vermögen genauso besteuert werden muss wie Einkommen aus Arbeit. ({5}) Der zweite Aspekt, den Sie angesprochen haben, ist die scheinbar legale Steuergestaltung von Großkonzernen. Legal ist, was im jeweiligen Staat vom Parlament beschlossen wurde. Was „legal“ ist, ist aber noch lange nicht moralisch korrekt. Ich habe heute die Süddeutsche Zeitung gelesen; darin ging es auch um die Datengrundlage des Tax Justice Network. Dieses Tax Justice Network hat für die Aufklärung von Steuerbetrug viel mehr getan als viele Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten. Dafür muss man einmal Danke sagen: dass eine zivilgesellschaftliche Organisation und auch der Journalismus hier vorangehen und etwas aufdecken, was uns hilft, gegen Steuerbetrug vorzugehen. ({6}) In dieser Hinsicht wünschte ich mir von der Steuerverwaltung und auch von den politischen Akteuren in den jeweiligen Ländern viel mehr Initiative. Damit komme ich zu Luxemburg. Man muss sich schon wundern, warum seit den 80er-Jahren Finanzkonzerne ihre Zentralen in Luxemburg haben. Luxemburg ist ein schönes Land; aber so groß und mächtig ist es eigentlich nicht, und so viele produzierende Unternehmen sind da eigentlich nicht ansässig, um den Staat zu finanzieren. Man muss sich schon fragen, warum Amazon dort seinen Europasitz hat. Man muss sich ebenfalls fragen, warum Länder wie die Niederlande und Irland sehr hart an der Grenze dessen, was moralisch vertretbar ist - ich meine, diese Grenze wurde bereits überschritten -, durch Steuerdumpinggesetze dafür gesorgt haben, dass Gewinne aus Deutschland, aus dem Vereinigten Königreich, aus anderen Ländern der EU in ihre Länder transferiert wurden, wo sie marginal besteuert werden. Das ist nicht akzeptabel. Dem müssen wir einen großen Riegel vorschieben. Gewinne müssen dort besteuert werden, wo sie entstehen. ({7}) Ich erwarte, dass der aktuelle Kommissionspräsident, Herr Juncker, der 20 Jahre lang Finanzminister und Premierminister von Luxemburg war, über die Handlungsweisen der Luxemburger Steuerbehörden Auskunft gibt. Denn jetzt hat er in seiner Funktion als Präsident der Europäischen Kommission eine andere Aufgabe. Es kann nicht sein, dass wir Deutsche immerzu in Brüssel Kompromisse suchen und Geld geben. Stichworte sind hier ESM und Bankenrekapitalisierung, über die wir hier später noch sprechen. Bei all diesen Dingen wird von Deutschland Solidarität erwartet. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite geht es um die Staatseinnahmen, um eine ordentliche und gerechte Besteuerung, was in der Autonomie der Nationalstaaten liegt. Ich sage hier für die SPD: Wir erwarten innerhalb der Europäischen Union deutliche Fortschritte in Richtung einer Fiskalunion, einer gemeinsamen Steuer- und Finanzpolitik. Nur dann sind wir bereit, uns auf der Ausgabenseite stärker zu engagieren. Beides gehört zusammen. ({8}) Es wird spannend werden, zu sehen, ob dies die Europäische Kommission mit Herrn Juncker an der Spitze wirklich vorantreibt. Unsere Erwartungshaltung ist klar. Wenn hier nichts passiert, ist das nicht nur ungerecht, sondern es führt zu extremen Wettbewerbsverzerrungen. Ein Unternehmen mit 20 Mitarbeitern in meinem Wahlkreis Erfurt wird normal besteuert. Es hat überhaupt keine Chance, seinen Steuersatz von knapp 30 Prozent auf unter 1 Prozent zu drücken. Dieses Unternehmen steht natürlich im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die keine oder wenig Steuern zahlen. Das ist ungerecht, das ist unfair. Wir sollten diejenigen schützen, die sich an die Gesetze in Deutschland halten. Dafür, Herr Finanzminister, haben Sie unsere volle Unterstützung. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kerstin Andreae ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 2. April 2009 haben die Mitglieder der G 20, also auch Bundeskanzlerin Merkel, die Ära des Bankgeheimnisses für beendet erklärt. Das hat aber den Finanzminister anscheinend nicht beeindruckt; denn als wäre nichts gewesen, hat er mit der Schweiz darüber verhandelt, Steuerbetrügern weiterhin Anonymität zu gewähren. Nichts anderes hätte das deutsch-schweizerische Steuerabkommen bedeutet. ({0}) Was wäre das für ein verheerendes Signal gewesen: Der Ehrliche zahlt Steuern, dem Unehrlichen wird Anonymität gewährt. Fragen Sie doch einmal die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land: Steuerhinterziehung untergräbt den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das ist wahrlich kein Kavaliersdelikt, sondern dieses Verhalten führt dazu, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft auseinanderbricht, dass sich die Menschen nicht mehr ernst genommen fühlen und dass die einen für die Infrastruktur und das Gemeinwesen zahlen, die anderen nicht. Es darf nicht sein, dass aus dem Gefühl eine Tatsache wird. ({1}) Rot-Grün hat diese Pläne im Bundesrat gestoppt und damit diese Ewigkeitsgarantie für Steuersünder glücklicherweise - so muss man sagen - verhindert. Seither erleben wir eine Rückkehr in die Steuerehrlichkeit, die sich in diesem Ausmaß keiner hätte vorstellen können: 32 000 Selbstanzeigen von Januar bis September 2014. Das sind 3 500 pro Monat oder 120 pro Tag. Wenn es noch irgendeines Beweises bedurft hätte, dass dieses geplante Steuerabkommen in der Grundkonzeption falsch war, dann ist er hiermit erbracht. Anonymität ist keine Alternative zum Informationsaustauch. ({2}) Viele haben lange dafür gekämpft, innerhalb und außerhalb der Parlamente. Mein besonderer Dank, mein Respekt und meine Anerkennung gelten Attac, die die Aufhebung des Bankgeheimnisses seit jeher zum Thema gemacht haben. ({3}) Gemeinnützigkeit im besten Sinne, so möchte ich das einmal nennen. Danke an Attac! ({4}) Sie wissen, ich bin Schwäbin. ({5}) - Nein, ich bin gebürtige Schwäbin; darauf bestehe ich. Umsonst gibt es nichts, auch kein Lob. Dass das Bankgeheimnis jetzt fällt, ist richtig. Dafür verdienen Sie unser Lob. Es ist richtig, dass das jetzt geschieht. Aber wir brauchen ein paar weitere nächste Schritte, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt und mit klaren Signalen. Erstens muss dieser Datentausch sofort in alle - vor allem auch in alle neuen - Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommen werden. Zweitens muss die Abgeltungsteuer abgeschafft werden. Wir müssen aus der Anonymität herauskommen. ({6}) Warum soll der Informationsfluss international erfolgen, aber auf nationaler Ebene nicht? Jetzt müssen die Vorbereitungen dafür getroffen werden - das wäre ein Signal -, dass die Abgeltungsteuer abgeschafft wird. Das wäre in diesem Zusammenhang richtig. Außerdem müssen - das ist der dritte Punkt - unfaire Steuerpraktiken beendet werden. Herr Schneider, ich habe aufmerksam zugehört, als Sie die legalen Steuergestaltungsmöglichkeiten der Konzerne angesprochen und gesagt haben: Wir gehen es an. - In Ihrer Rede habe ich dann aber nichts dazu gehört. An der Stelle bleibt für mich ein großes Fragezeichen. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass Kapitalanleger nicht anders behandelt werden als Arbeitnehmer. Wer von seinem Vermögen lebt, soll nicht anders, geschweige denn besser gestellt werden als jemand, der einer Arbeit nachgeht. ({7}) Bei diesem ist dem Fiskus bekannt, wie hoch sein Einkommen ist. Bei Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen greift jedoch die Abgeltungsteuer. Mit dem Informationsaustausch, der jetzt verabredet wurde, wird die Situation paradox: Zinsen in Liechtenstein, in Mexiko oder auf den Cayman Islands sind bekannt, Zinsen innerhalb Deutschlands aber nicht. Das heißt, es braucht auch über die Zinsen und Vermögenserträge auf deutschen Konten einen Informationsaustausch. ({8}) Aber auch bei der gerade noch legalen Steuervermeidung muss gehandelt werden. Deutschland entgehen Milliardeneinnahmen. Im Schnitt zahlt ein Mittelständler 30 Prozent mehr Steuern als ein international agierender Konzern. Mitverantwortlich dafür sind die sogenannten Lizenz- und Patentboxen. Auf internationaler und vor allem auf europäischer Ebene wird versucht, dagegen anzugehen. Die Lizenzboxen locken in verschiedenen EU-Ländern mit niedriger Besteuerung. Was erleben wir jetzt? Statt für ein europaweites Verbot zu streiten, liebäugelt der Finanzminister offen damit, diese Lizenzboxen auch in Deutschland einzuführen. Damit gefährden Sie zum einen den internationalen Einigungsprozess, und zum anderen schaffen Sie wiederum ein Steuerschlupfloch für Großkonzerne. ({9}) Wir wollen, dass Sie vorangehen, auch in Europa, und sich gegen Lizenzboxen hier und in anderen Ländern aussprechen. Ich halte den Vorschlag aus Hessen für eine ganz gute Idee: Patent- und Lizenzausgaben werden nur dann anerkannt, wenn im Empfängerland mindestens 25 Prozent Steuern darauf gezahlt werden. Was wäre das Signal? Gewinnverlagerung würde unattraktiver. Die anderen Länder wüssten, dass wir es mit der Bekämpfung von internationaler Steuergestaltung ernst meinen, und mit den Mehreinnahmen könnten Sie den Mittelstand entlasten. Es wird immer gesagt, für die degressive AfA und die steuerliche Forschungsförderung sei kein Geld da. Nun bietet sich die Möglichkeit, die Finanzierung zu sichern. ({10}) Sie müssen einen umfassenden Informationsaustausch gewähren. Sie müssen jetzt die Voraussetzungen schaffen, dass die Abgeltungsteuer fällt, und Sie müssen verhindern, dass neue Steuergestaltungsmöglichkeiten für Großkonzerne geschaffen werden. Wenn Sie das machen, dann kommen wir zusammen. Herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Ralph Brinkhaus das Wort. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zum wiederholten Mal ein Déjà-vu-Erlebnis. Die Opposition bemüht sich krampfhaft, irgendetwas zu kritisieren. Aber so richtig gelingt das nicht; denn anscheinend ist das, was wir hier vollbracht haben, ziemlich gut. Frau Andreae, ich konnte Ihren Ausführungen an der einen oder anderen Stelle nicht mehr folgen. Ich glaube, da ist auch einiges durcheinandergegangen. Sie haben gesagt, dass Menschen, die über Kapitaleinkünfte verfügen, nicht besser behandelt werden sollen als andere. Das stimmt, aber man sollte sie auch nicht schlechter behandeln. Sie möchten mit Ihrer Vermögensteuer bzw. Vermögensabgabe insbesondere den Menschen, die Kapitaleinkünfte erzielen, ganz tief in die Tasche greifen. ({0}) Eigentlich ist heute ein Tag großer Freude. Alle Steuerpolitiker müssten eigentlich vor Begeisterung platzen; denn das, was in der letzten Woche hier in Berlin erreicht wurde, ist in der Tat ein Meilenstein. Ich möchte meine Rede dazu nutzen, meine Begeisterung als Steuerpolitiker mit Ihnen allen zu teilen. Der Austausch von Steuerdaten gehört zu den sensibelsten Bereichen in den Beziehungen zwischen Staaten. Das hat damit zu tun, dass jeder eifersüchtig auf seine Steuergesetzgebung achtet. Bekanntlich sind die Steuergesetzgebung und das Budgetrecht die Königsrechte eines jeden Parlaments. Hier lässt man sich ungern in die Karten schauen. Es ist sicherlich richtig - das wurde bereits von mehreren Rednern angesprochen -, dass es einige Staaten gab und gibt, die Steuerhinterziehung und Steuervermeidung als Geschäftsmodell entwickelt haben. Insofern ist es umso erstaunlicher, dass in der letzten Woche über 50 Staaten - weitere werden folgen - ein Abkommen unterschrieben haben, das vorsieht, dass freiwillig und automatisch Steuerdaten an andere Staaten weitergegeben werden. Das ist ein riesiger Sprung. Den bisherigen Informationsaustausch haben wir durch viele Doppelbesteuerungsabkommen organisiert. Hier geschah der Austausch aber nur auf Anfrage. Das war ein fürchterlich anstrengender Prozess, der dazu beigetragen hat, dass Steuervermeidung und Steuerhinterziehung fröhliche Urständ gefeiert haben. Vor diesem Hintergrund ist das, was geschehen ist, wirklich beeindruckend. Dahinter steckt sehr viel Arbeit. Frau Andreae und Frau Wagenknecht, ich glaube, dass Sie das unterschätzen. Mit den Steuern verhält es sich so wie beim Fußball: Jeder meint, davon Ahnung zu haben. Wir haben in Deutschland ein paar Millionen Bundestrainer und wahrscheinlich genauso viele Finanzminister, die davon überzeugt sind, zu wissen, wie das Steuersystem gestaltet werden muss. Je nach Blickwinkel sind die Steuern zu hoch oder zu niedrig. Auf jeden Fall sei das System viel zu kompliziert. Viele meinen, dass andere zahlen müssten, nur sie selber nicht. Jeder hat also eine Meinung dazu und ist überzeugt, dass das ganz einfach sei. Die Vorschläge, die durch das Land geistern, sind Legion. So hieß es einst - durchaus sympathisch -, das Steuersystem werde so stark vereinfacht, dass man seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen könne. Dann wurde von Stufentarifen gesprochen und davon, die Zahl der Steuerparagrafen zu halbieren. Das alles führt nur nicht weiter. Das möchte ich Ihnen anhand des automatischen Informationsaustausches, des von Herrn Schäuble angesprochenen BEPS-Abkommens und der strafbefreienden Selbstanzeige beispielhaft erläutern. Wir alle sind uns, glaube ich, einig, dass das Steuersystem ergiebig sein soll, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Es soll zudem einfach und gerecht sein. Aber es muss auch fair sein. Ein Steuersystem ist dann fair, wenn jeder, dem das Gesetz die Last der Steuerzahlung auferlegt, seine Steuern tatsächlich zahlt. Man muss ehrlich sagen: Da waren wir in der Vergangenheit nicht immer ganz so gut. Blicken wir auf die 80er- und 90er-Jahre zurück. Damals waren die Steuersätze sehr hoch. Gleichzeitig gab es sehr viele Möglichkeiten, sich von der Steuerlast zu befreien, legal durch Abschreibungsmodelle und Verlustzuweisungsgesellschaften, translegal durch eine weite Dehnung der Gesetze und auch illegal. Es stimmt, dass damals viele Menschen ihr Geld in die Schweiz gebracht haben, weil sie sich dem deutschen Steuersystem entziehen wollten. Deshalb haben alle Bundesregierungen, egal von welcher Partei sie gestellt wurden, daran gearbeitet, die entsprechenden Schlupflöcher zu schließen. Das war nicht immer einfach. Zuerst haben wir die deutsche Steuergesetzgebung sukzessive verschärft. Des Weiteren haben die Finanzgerichte entsprechende Urteile gefällt. Auf internationaler Ebene wurden Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Hier ist sehr viel kleinteilige Kärrnerarbeit geleistet worden. Deswegen finde ich es bedauerlich, dass das alles quasi mit einem Federstich weggewischt und behauptet wird, nichts sei passiert. Tatsächlich ist sehr viel passiert. Aber wir müssen auch sehen: Wir sind immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes an unsere Grenzen gestoßen, nämlich an die Grenzen unseres Landes; denn uns fehlten die Informationen über das Geld, das auf irgendeine Weise ins Ausland gebracht wurde. Deswegen konnten wir es nicht besteuern. Es ist daher sehr wichtig, dass der nun vereinbarte automatische Informationsaustausch tatsächlich umgesetzt wird. Die Grundlage für eine faire Besteuerung ist, dass wir wissen, wer wo sein Geld liegen hat. ({1}) - Danke, Lothar. ({2}) Das haben wir jetzt erreicht. Carsten Schneider hat es gesagt: Das ging nicht innerhalb von anderthalb Jahren, sondern das ist ein Prozess, der seit mindestens 2002 andauert. Wolfgang Schäuble hat jetzt den Ball ins Tor geschossen. Wir sind nun so weit, dass wir auf einem Stand sind, den wir uns vor wenigen Jahren wirklich nicht zu erträumen gewagt haben. Das ist gut und richtig. ({3}) Deswegen können wir uns heute einmal so richtig darüber freuen. Natürlich sind wir mit der ganzen Aktion noch nicht fertig. Wir werden andere Staaten integrieren müssen. Ich bin übrigens sehr optimistisch, dass beispielsweise die Schweiz sehr schnell nachfolgen wird und dass auch andere Länder nachfolgen werden. Aber wir müssen auch an anderen Stellen arbeiten. Ich habe gerade gesagt, dass wir ein faires Steuersystem haben wollen. Ein faires Steuersystem bedeutet auch, dass derjenige, der auf Einkommen in Deutschland keine Steuern zahlt, diese Steuern in anderen Ländern zahlt. Das Problem, das sich entwickelt hat - die Namen der Firmen, die das in einer großen Extensität betrieben haben wie Google und Amazon, sind genannt worden -, ist die doppelte Nichtbesteuerung. Doppelte Nichtbesteuerung heißt, dass Einkommen weder in Deutschland noch in einem anderen Staat versteuert werden. Das ist in der Tat nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern das ist auch - das ist mehrfach angesprochen worden - ein Wettbewerbsproblem, weil ein Mittelständler in Erfurt, dem Wahlkreis von Carsten Schneider, nicht die Chance hat, die doppelte Nichtbesteuerung zu organisieren. Das ist vielmehr ein zweifelhaftes Privileg von großen Konzernen. Deshalb müssen wir dagegen vorgehen. Auch da hat sich unser Bundesfinanzminister sehr verdient gemacht, indem er vor zwei Jahren mit seinem britischen Kollegen George Osborne die sogenannte BEPS-Initiative angestoßen hat. Die BEPS-Initiative bedeutet, dass sich alle OECD-Staaten darauf einigen, dass man nach gleichen Standards arbeitet und eines nicht mehr passiert, nämlich die doppelte Nichtbesteuerung. Auch da sind wir schon sehr weit. Man hat dieses Mammutprojekt in 15 Teilprojekte aufgeteilt. Sieben davon sind schon abgeschlossen, acht werden im nächsten Jahr folgen. Wir werden das gemeinsam mit unserem Koalitionspartner sehr zügig in nationales Recht umsetzen. Auch das ist ein Meilenstein, der von diesem Bundesfinanzminister und dieser Bundesregierung gesetzt worden ist. Auch darüber können wir uns freuen. Darauf können wir sehr stolz sein. ({4}) Wenn ich von Fairness im Steuersystem rede, dann gehört dazu auch, dass derjenige, der in diesem Steuersystem Fehler macht, die Möglichkeit hat, diese Fehler zu korrigieren, und zwar zu korrigieren, ohne dass er gleich kriminalisiert wird. ({5}) Wir sprechen heute über die strafbefreiende Selbstanzeige. Die Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige, die es seit Jahrzehnten gibt, sind in der letzten Legislaturperiode von der christlich-liberalen Koalition maßgeblich verschärft und stark eingeengt worden. Es ist nach diesem Gesetz der christlich-liberalen Koalition nicht mehr möglich, mit der strafbefreienden Selbstanzeige zu zocken. Dabei sind wir allerdings ein wenig über das Ziel hinausgeschossen; denn es gibt einen Bereich, in dem Fehler gemacht werden, die aus dem ganz normalen wöchentlichen oder monatlichen Geschäftsbetrieb herrühren. Das geschieht dann, wenn ich monatlich eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben oder wenn ich Lohnsteueranmeldungen vornehmen muss. Die Menschen, die dabei vielleicht einen Fehler gemacht haben und diesen korrigieren müssen, sind durch die Verschärfung, die wir in der letzten Legislaturperiode gemacht haben, in einen Bereich gerutscht, in dem es nicht mehr klar ist, ob es sich um eine Korrektur von Fehlern oder einen Hinterziehungsakt handelt. Das werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur strafbefreienden Selbstanzeige ändern. Das heißt, wir werden das erreichen, was wir immer erreichen wollten: Die gewerbliche Wirtschaft, die Steuern zahlt, kann Fehler korrigieren - das muss auch möglich sein -, aber diejenigen, die bewusst Steuern hinterziehen, können das nicht mehr, weil man mit dem Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige nicht mehr zocken kann. Auch das ist gut und richtig, und das ist der zweite Punkt, den wir heute auf den Weg bringen werden. ({6}) Zur Fairness im Steuersystem gehört aber auch, dass ich nicht 99,9 Prozent der Steuerpflichtigen unnötig belaste, um 0,1 Prozent der Steuerhinterzieher zu erwischen. Deswegen müssen wir sehr vorsichtig sein und dürfen den normalen und ehrlichen Steuerpflichtigen nicht mit Bürokratie belasten und ihm Dokumentationspflichten auferlegen, die ihm das Leben und die tägliche Arbeit unglaublich schwer machen und die nur dazu dienen, dass man einen minimalen Prozentsatz von Steuerhinterziehern tatsächlich aufdeckt. Beim BEPS-Projekt und bei vielen anderen Projekten stellt sich die Frage, ob wir nicht an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießen. Wenn wir das Ganze wirklich ernst nehmen und wenn wir sagen: „Keine zusätzlichen Belastungen für die Wirtschaft, keine zusätzliche Bürokratie, keine zusätzlichen Dokumentationspflichten“, dann müssen wir das, was wir hier im steuerlichen Bereich beschließen, sehr genau dahin gehend überprüfen, ob es am Ende des Tages stimmt. Ich sage Ihnen auch: Mir ist es lieber, in Kauf zu nehmen, dass der eine oder andere einmal „durchrutscht“, als dass man die gesamte Wirtschaft mit unzumutbaren Bürokratie- und Informationspflichten belastet. ({7}) Insofern werden wir diesen Punkt sehr genau im Auge behalten. Wenn man einmal einen Strich unter die drei Aspekte, die ich gerade genannt habe - unter den automatischen Informationsaustausch, unter dieses BEPS-Projekt, das eine internationale Nichtbesteuerung vermeidet, und unter die Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige -, zieht, dann muss man eins sagen: Steuerpolitik ist Kärrnerarbeit, ist kleinteilig, dauert lange und geht nicht schnell. Deswegen kann ich allen nur sagen: Glauben Sie niemandem, der behauptet: Ich habe im steuerpolitischen Bereich den großen Wurf in der Tasche. Ich kenne den grünen Knopf, auf den man nur drücken muss, und dann haben wir ein supereinfaches Steuersystem, das völlig gerecht ist, das es vermeidet, dass international an irgendeiner Stelle Steuern hinterzogen werden. - Das Ganze ist harte Arbeit. Wir in dieser Koalition und insbesondere unser Finanzminister haben uns auf den Weg gemacht, diese harte Arbeit zu leisten. Wir haben heute ein wichtiges Etappenziel erreicht. Wir werden in der nächsten Zeit weitere Etappenziele erreichen. Ich denke, dass wir dann ein viel besseres Steuersystem haben, als wir es vorher gehabt haben. Jetzt vielleicht noch einige Sätze zu dem Thema Steuervereinfachung. Das, was ich gerade im Hinblick auf das internationale Steuerrecht ausgeführt habe - dass es in diesem Zusammenhang viele kleine Projekte und viele kleinteilige Maßnahmen gibt, die das Ganze besser machen -, gilt auch für die Steuervereinfachung. Auch daran werden wir uns im nächsten Jahr machen. Wir werden ein Verfahrensvereinfachungsgesetz auf den Weg bringen, und wir werden mit Hunderten kleinerer Maßnahmen versuchen, das Steuerrecht unbürokratischer zu machen, Dokumentationspflichten abzuschaffen, das Ganze gerechter und fairer zu machen. Ich denke, das wird uns auch gelingen. Wir haben mit unserem Koalitionspartner verabredet, dass wir das zustande bringen. Da ziehen wir an einem Strang; da sind wir uns total einig. Ein Steuersystem muss nicht nur dafür sorgen, dass genügend Steuern da sind, dass der Staat finanziert werden kann, sondern es muss auch handhabbar sein, muss verlässlich sein, muss fair sein und muss partnerschaftlich sein. Dafür zu sorgen, das ist das, was wir uns in dieser Legislaturperiode vorgenommen haben. Das ist viel ambitionierter als Versprechungen, das Steuersystem mit einem großen Wurf komplett zu reformieren oder zu revolutionieren. Insofern freue ich mich auf die Arbeit in dieser Legislaturperiode. Danke. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lothar Binding ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Carsten Schneider und Ralph Brinkhaus haben sehr gut auf den Punkt gebracht, worum es heute geht: Letztendlich geht es um international gerechte und faire Besteuerung der Unternehmen und darum, dass Arbeitnehmer, Konzerne und auch alle anderen fair besteuert werden und keiner mehr belastet wird, als es ihm, bezogen auf die gesellschaftlichen Leistungen, zugemutet werden kann. Der heutige Beschluss ist ein riesiger Schritt in diese Richtung. Sahra Wagenknecht hat uns die Steuersätze in Irland vorgeworfen. Das hat mich ein bisschen irritiert. Sie hat uns auch das Verhalten von Luxemburg vorgeworfen. ({0}) Auch das hat mich ein bisschen irritiert; schließlich könnte sie ja wissen, dass wir weder in dem einen noch in dem anderen Land regieren. ({1}) Es geht natürlich darum, mit diesen Ländern zu verhandeln; das stimmt. Aber auch da wäre Sahra Wagenknecht gut beraten gewesen, uns zu helfen; denn gerade sie verfügt über ein besonderes Insiderwissen bezüglich Irland: ({2}) Sie hat lange dort in einer Weise gelebt, die es ihr ermöglicht, genau zu wissen, wie internationale Steuerpolitik funktioniert. ({3}) Ich will das nicht näher ausführen. Interessanterweise fehlen bestimmte Aspekte in den Ausführungen zu ihrer Biografie. Vielleicht sollten Sie darüber einmal genauer nachdenken. ({4}) Lothar Binding ({5}) Im Rahmen des Global Forum, einer von der OECD initiierten Vereinigung, der 122 Länder angehören, ist ein Steuerabkommen vereinbart worden. Das ist ein Riesenprojekt. Wir wissen, 122 Länder miteinander verhandeln zu lassen, ist keine ganz leichte Aufgabe. Die Schweiz ist unter diesen 122 Ländern. Aber sie unterzeichnet das Abkommen noch nicht; vielleicht unterzeichnet sie es im nächsten Jahr. Wir sehen, wie schwer es ihr fällt, von der Hoffnung auf das DeutschSchweizer Steuerabkommen zum automatischen Informationsaustausch und zur Aufgabe des Bankgeheimnisses zu kommen. Das ist für die Schweiz, glaube ich, ein unendlich langer Weg. Wenn sie den jetzt zu Ende geht, haben wir sehr viel erreicht, haben wir international gut verhandelt. Das gilt - das muss man sagen - sowohl für unseren Minister. Unterstützt wurde das Ganze aber auch - da schließe ich mich den Aussagen der Grünen an - von Attac ({6}) und vom Tax Justice Network. Es war sehr wichtig, dass die uns geholfen haben. Sie haben uns im internationalen Diskussionszusammenhang den Rücken sehr gestärkt. Wir sind uns sicherlich einig, dass sie es verdient haben, den Status der Gemeinnützigkeit zu behalten. ({7}) Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen. Das Wort „Ordnung“ müssen wir genauer hinterfragen, wenn wir nach Luxemburg schauen. Wer heute die Süddeutsche gelesen hat, der weiß: Wer unter dem Stichwort „Ordnungsrahmen“ nach Luxemburg schaut, erschreckt. Es gibt dort keine international erträgliche Ordnung. Die SPD-Arbeitsgruppe - das will ich berichten - war vor längerer Zeit einmal in Luxemburg und hat auch mit Jean-Claude Juncker gesprochen. Er hat uns Deutschen vorgeworfen, dass wir relativ bürokratisch und unflexibel seien, und erklärt, dass man das in Luxemburg sehr viel leichter handhaben könne. Er sagte: Ich brauche nur über diesen Platz zu gehen; dann bin ich Finanzminister, und dann kann man die Dinge flexibel regeln. Ich muss sagen: Diese Aussage erscheint heute in einem anderen Licht. Sie lässt mich fragen, ob es wirklich gut war, Juncker als konservativen Kommissionspräsidenten zu wählen. Ich glaube, er muss eine Verantwortlichkeit entwickeln, die ihre Europakonformität noch beweisen muss. ({8}) Der automatische Informationsaustausch wird immer als Überschrift genannt. Ich frage: Ist er eigentlich wirklich geeignet, die Probleme, die wir haben, zu lösen? Was passiert heute? Minister Schäuble hat es schon etwas ausgeführt: Heute werden die Gewinne verlagert, im Wesentlichen durch grenzüberschreitende Verlagerung der immateriellen Werte wie Patente und Lizenzen. Es gibt das sogenannte Hybrid Mismatch, bei dem über Rechtsformgestaltungen und Umwandlungen Gewinne verlagert werden. Es gibt Zinstricks durch Finanzierungsgesellschaften im Ausland. An Tochterunternehmen werden Zinsen überwiesen, um Gewinne aus Deutschland zu transferieren. Eine sehr alte Methode funktioniert über Verrechnungspreise. Das alles ist bekannt. Es gibt eine zweite Ebene. Neuerdings fangen bestimmte Länder an, zur Gestaltung einzuladen. Ich erwähne noch einmal die niederländische Patentbox, in die man Patente legt, um anschließend Gewinne in diese Box zu überweisen - dort steuerfrei, hier gewinnmindernd, sodass man in Deutschland Steuern spart und in den Niederlanden nicht zahlen muss. Die Frage ist, ob das, was wir jetzt machen, eigentlich hinreichend ist, um hierfür Lösungen zu finden. Ich sage: Ja, wir sind einen sehr großen Schritt weitergekommen. Ich will ein bisschen genauer erklären, was eigentlich die Meldestandards sind. Die Meldestandards umfassen zum Beispiel Finanzinformationen. Was sind Finanzinformationen? Dies sind alle Kapitalerträge, also Zinsen, Dividenden, Einkünfte aus Versicherungsverträgen, Kontenguthaben, Erlöse aus der Veräußerung von Finanzvermögen. Es wird also ein großes Spektrum von Informationen geliefert, die einen sehr genauen Blick auf die Vermögens- und Einkommensverhältnisse derjenigen bieten, die verlagern. Ein großer Schritt! Was sind die Meldestandards hinsichtlich der meldepflichtigen Finanzinstitute? Schauen wir nach: Die Banken sind angesprochen, die Verwahrstellen, auch die Makler, das, was wir Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere nennen, die OGAW-Einrichtungen, und bestimmte Versicherungsgesellschaften. Wir sehen: Ein breites Spektrum von Instituten wird in den Blick genommen. Wer weiß, wie auch bisher schon zwischen diesen Entitäten hin und her jongliert wurde, um international Steuern zu sparen, erkennt, wie wichtig dieser Schritt ist. Was wird eigentlich an meldepflichtigen Konten angesprochen? Erst einmal sind es die Konten der natürlichen Personen. Da denken wir an spezielle; das ist klar. Ein großer Schritt! Es sind aber auch die Konten von Rechtsträgern, also insbesondere von Trusts und Stiftungen. Auch die werden in den Blick genommen. Es gibt außerdem eine Pflicht zur Prüfung der passiven Rechtsträger und - so steht es in der Verabredung - der Personen, die diese beherrschen. Die Möglichkeit zu Tricks mit Briefkastenfirmen, um sich als Person mit einer entsprechenden Hinterziehung hinter solchen Formen zu verstecken, wird jetzt genommen. Wir merken, dass wir auf dem Weg zu einem Maß an internationaler Transparenz sind, das wir uns bisher nicht haben träumen lassen. Deshalb ist dieser Schritt so bedeutend. Man geht sogar noch weiter. In diesem 45-seitigen Papier wird auch definiert, welche Sorgfaltspflichten jeweils einzuhalten sind, wird definiert, wie man mit diesen Meldepflichten umzugehen hat. Das geschieht in einer Weise, wie das bisher noch nicht gemacht wurde. Jetzt besteht natürlich die Aufgabe, diese Meldestandards in jeweiliges nationales Recht umzusetzen. Lothar Binding ({9}) Ich will mit einer kleinen Warnung schließen. Die Idee unseres Ministers ist, Steuernachlässe nur noch in dem jeweiligen Land zu gewähren - auch europäisch -, in dem die Wertschöpfung eines Unternehmens entsteht. Ein Land, in dem eine solche Wertschöpfung entstanden ist, kann also sagen: Ich erlasse euch die Steuern. - Das ist ein großer Schritt zur Vereinheitlichung und besser als alles, was wir bis jetzt haben, weil es international vereinbart ist. Es führt in Richtung Level Playing Field. Ich meine aber trotzdem: Wir müssen stark überlegen

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Binding.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- eine Sekunde, ich bin sofort fertig -, ob wir uns damit nicht doch dem Geleitzug des internationalen Steuerwettbewerbs und des Race to the Bottom anschließen. Das müssen wir sicher noch diskutieren. Aber insgesamt ist das eine sehr positive Entwicklung. Vielen Dank, auch für die kleine Zugabe. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Richard Pitterle ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nach den heutigen Meldungen ernsthafte Zweifel, ob jemand an der Spitze der EU-Kommission sitzen kann, der als Regierungschef Steuervermeidungsstrategien der Konzerne in Europa zulasten der europäischen Staaten organisiert hat. ({0}) Aber ich will nicht zu diesem Thema sprechen. Wir diskutieren heute auch den Koalitionsvorschlag für die Reform der strafbefreienden Selbstanzeige. Ich will gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass meine Fraktion hier einen weiter gehenden Antrag eingebracht hat, der die gänzliche Abschaffung der Selbstanzeige vorsieht. Viel zu lange konnten Wohlhabende ihre riesigen Vermögen vor dem Fiskus verstecken. Sie mussten keine ernsthaften Konsequenzen fürchten. Sie wogen das Entdeckungsrisiko ab und stellten eine Selbstanzeige, wenn sie der Meinung waren, dass dieses zum Beispiel aufgrund des Ankaufs einer Steuer-CD zu groß war. Das ging zulasten der Allgemeinheit und der vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ich finde es daher gut, dass die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit ein weiteres Mal verschärft werden; denn offensichtlich war die Geldgier noch immer größer als die Angst vor der Strafe. ({1}) Es ist schlimm genug, dass der Reichtum in unserem Land so ungleich verteilt ist. Genauso schlimm ist es, dass viele derjenigen, die viel haben, dem Staat nicht das geben wollen, was ihm zusteht. Es wird endlich Zeit, dass die Steuergesetze für alle Menschen, auch die Reichen und Superreichen, gelten. ({2}) Folgende Ansätze des Entwurfs will ich hervorheben: zuerst einmal die deutliche Anhebung und Staffelung des zu zahlenden Geldbetrages beim Absehen von der Strafverfolgung nach § 398 a der Abgabenordnung. In jenen Fällen konnten sich Steuerhinterzieherinnen und Steuerhinterzieher bisher für eine im Vergleich lächerliche Zusatzzahlung von 5 Prozent der hinterzogenen Steuer quasi freikaufen. Das war mit dem Gerechtigkeitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger nun wirklich nicht mehr in Einklang zu bringen. Denn am Ende kam folgende Botschaft bei den Menschen in diesem Land an: Wer mehrmals schwarzfährt, wird gleich bestraft; wenn aber Superreiche Steuern in Millionenhöhe hinterziehen und damit allen schaden, dann wird ein Auge zugedrückt. Das hat zu Recht zu Empörung geführt. Daher ist es richtig und wichtig, dass die Zusatzzahlungen, die Steuerhinterzieherinnen und Steuerhinterzieher leisten müssen, zukünftig auch wehtun. ({3}) Wichtig ist auch, dass die Problematik von Umsatzsteuervoranmeldung und Lohnsteueranmeldung berücksichtigt wurde, wie es die Linke kürzlich in ihrem Antrag gefordert hat. Ich bin seit vielen Jahren als Rechtsanwalt im Bereich Wirtschaftsrecht tätig. Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen daher versichern, dass man sich zum Beispiel als Kleinunternehmerin oder Kleinunternehmer gerne mal im tiefen Meer des Steuerrechts verlieren kann. Wenn die Bäckermeisterin, wenn der Bäckermeister morgens früh aufsteht, um Brot und Brötchen zu backen, und dann abends nach einem langen Arbeitstag noch den sogenannten Schreibkram erledigen muss, kann sich schon mal der eine oder andere Fehler einschleichen. Es ist daher gut, dass zukünftig nachträglich korrigierte oder verspätete Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen wieder als wirksame Teilselbstanzeige gelten. Mit einer Kriminalisierung solcher menschlichen Fehler ist nämlich niemandem gedient. ({4}) Wer aus Unachtsamkeit oder Überforderung eine falsche oder verspätete Angabe macht und diese dann korrigiert oder nachholt, darf nicht denen gleichgestellt werden, die ihr Geld absichtlich verstecken und ihren Beitrag der Allgemeinheit bewusst vorenthalten. ({5}) Zuletzt einen Gedanken, den ich als Rechtspolitiker, der ich auch bin, einbringe: Ich halte es für vernünftig, dass bei der Strafverfolgung die Verjährungsfristen entgegen den ursprünglichen Plänen nun doch nicht ausgedehnt worden sind; denn bei aller Notwendigkeit eines schärferen Vorgehens gegen Steuerhinterziehung darf man auch hier das Verhältnis zu vergleichbaren Delikten nicht außer Acht lassen. Wenn für den einfachen Betrug eine Verjährungsfrist von fünf Jahren gilt, so sollte das auch bei der einfachen Steuerhinterziehung beibehalten werden. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In puncto Steuergerechtigkeit und Steuerwahrheit hat unsere Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, nun erfolgreich Meilensteine gesetzt. Das ist eine Tatsache, über die wir uns heute wirklich freuen können. ({0}) Dies gilt sowohl national wie auch international. Drei Bereiche sind dabei hervorzuheben: erstens die Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige, zweitens der automatische Austausch von Steuerdaten und drittens die BEPS-Initiative gegen internationale Gewinnverlagerungen. Zunächst zur Klarstellung: Es ist natürlich nicht verboten, wie es hier nach den Beiträgen der Linken den Anschein haben muss, Geld im Ausland anzulegen. Es ist auch nicht verboten, mit diesen Geldanlagen im Ausland Gewinne zu erzielen; ({1}) aber diese Gewinne müssen ordnungsgemäß versteuert werden. Darauf hat der Staat, darauf hat unsere Gesellschaft einen Anspruch. Deshalb ist die Schließung von Steuerschlupflöchern ein zentrales Anliegen von CDU und CSU - und das nicht erst seit dieser Legislaturperiode. Denn Steuerhinterziehung, meine Damen und Herren, ist gemeinschaftsschädlich und muss deshalb geahndet werden. ({2}) Da ist zum einen der Gesetzentwurf, mit dem die Wirksamkeitsvoraussetzungen bei der strafbefreienden Selbstanzeige neu geregelt werden. Die Berichtigungspflicht erstreckt sich künftig in allen Fällen der Steuerhinterziehung auf einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren, und es wird für Steuersünder deutlich teurer, wenn das Hinterziehungsvolumen mehr als 25 000 Euro beträgt. Ebenso wichtig ist: Das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige bleibt erhalten. Ich sage, das ist auch gut so; denn es hat sich bewährt und es muss Korrekturmöglichkeiten im Steuerrecht geben. Ohne die strafbefreiende Selbstanzeige wären die vielen Fälle in der Vergangenheit gar nicht erst ans Licht gekommen. Daher wird im Bereich der Anmeldesteuern für eine gesetzliche Klarstellung gesorgt, um praktische und rechtliche Verwerfungen zu beseitigen. Zudem ist ein steuerartenübergreifendes Vollständigkeitsgebot nicht vorgesehen; denn dieses könnte kaum klar und rechtssicher ausgestaltet werden. Ebenso wird von der Einführung einer Obergrenze bei der Wirksamkeit der Selbstanzeige abgesehen. Auch wir wollen nicht - das ist ein wichtiger Punkt -, dass bloße Arbeitsfehler kriminalisiert werden. Insbesondere mit Blick auf den Unternehmensbereich besteht die Notwendigkeit, steuerliche Korrekturmöglichkeiten zuzulassen. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Sperrwirkung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang begrenzt und die Wirksamkeit von Teilselbstanzeigen für die Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen wieder eingeführt wird. Allerdings möchten wir diesen sinnvollen Schritt auch noch auf die Jahreserklärungen erweitern, weil die beabsichtigte Neuregelung sonst nach Abgabe der Jahreserklärung ins Leere laufen würde. Wir sind also dabei, diesen Gesetzentwurf sachlich angemessen zu beraten und auch noch rechtzeitig in diesem Jahr zu verabschieden. Das sorgt für Klarheit. Damit ist Rechtssicherheit gegeben. Dieses Gesetz ist dann für den Steuerpflichtigen handhabbar und transparent. Das gehört zur Steuerklarheit, Steuerwahrheit und Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren. ({3}) Aber noch viel wichtiger für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist das Abkommen über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen, das auf der Jahrestagung des Globalen Forums zu Transparenz und Informationsaustausch für Besteuerungszwecke hier in Berlin unter Federführung unseres Bundesfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble geschlossen wurde. 50 Finanzminister haben dieses Abkommen auf Initiative Deutschlands unterzeichnet. Schon bald werden weitere Staaten folgen. Das ist ein starkes Kooperationsinstrument für die Steuerbehörden international. Das Geschäftsmodell der Steuerlockvogelangebote gehört der Vergangenheit an. Das ist auch gut so. ({4}) Im Übrigen waren meiner Ansicht nach die Verhandlungen mit der Schweiz über ein Abkommen - das ist hier angeklungen - damals richtig, weil es viele Verjährungen von Steuerhinterziehungen verhindert hätte. Sie müssen sich immer fragen - denn Sie haben es damals verhindert -, wie viele Steuern dem Fiskus aufgrund dieDr. h. c. Hans Michelbach ses Steuerschlupflochs verloren gegangen sind. Dies müssen Sie verantworten. Deswegen wäre schon damals ein erster Schritt richtig gewesen, der dazu geführt hätte, dass es zu Besteuerungen gekommen wäre, die es heute nicht gibt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Herr Kollege Michelbach, darf der Kollege Gambke Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege Michelbach, dass Sie die Frage zulassen. - Das geht jetzt ein Stück zu weit. Sie können nicht auf der einen Seite den automatischen Informationsaustausch loben und auf der anderen Seite die Tatsache kritisieren, dass wir als Opposition das Schweizer Steuerabkommen verhindert haben. Herr Kollege Schneider und Frau Andreae haben sehr schön dargelegt, warum dies geschehen ist. Unsere Ablehnung hat im Übrigen dazu geführt, dass es zum automatischen Informationsaustausch kommen wird und die Amerikaner FATCA durchgesetzt haben. Beides werfen Sie der damaligen Opposition vor. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang - Herr Kollege Brinkhaus hat dazu keine Stellungnahme abgegeben, aber wir haben es in der Debatte mehrfach gehört -: Wie verhalten sich die Regierungsfraktionen, wie verhält sich die Union zum Thema Lizenzbox? Ich hoffe, dass Sie in Ihrer Rede darauf eingehen; denn das ist ein kritischer Punkt. Wir haben heute in der Zeitung gelesen, wie Steuern umgangen werden. Das, was Herr Schäuble mit Herrn Osborne bezüglich der Lizenzbox verabredet hat, wird dazu führen - das sagen die Experten; das sagen nicht diejenigen, die, wie Herr Brinkhaus sagt, oberflächlich darüber schweben -, dass Konzerne weitere Gestaltungen vornehmen können. Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Gambke, ich tue das sehr gern. Es waren mehrere Fragen; ich fange zunächst hinten an. Es ist ganz klar - das hat der Bundesfinanzminister in seiner Rede deutlich gemacht -: Die Steuern gehören dem Staat, in dem die Gewinne erwirtschaftet wurden, und nicht dem Staat, der den höchsten Steuerrabatt gewährt. Deswegen ist der Ansatz bezüglich der Patente bzw. der Lizenzboxen richtig, letzten Endes so zu verfahren, bei der Besteuerung von der in einem Land entstandenen Wertschöpfung auszugehen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Bundesfinanzminister hier den richtigen Weg einschlägt und versucht, andere Länder auf den Pfad der Tugend zu führen und zu sagen: Diese Steuerlockvogelangebote, bei denen keine Wertschöpfung in dem jeweiligen Land dahintersteckt, gehören der Vergangenheit an. Das ist der richtige Weg. ({0}) Der letzte Punkt. ({1}) - Ich bin noch nicht fertig, Herr Gambke. Sie haben mir sehr viele Chancen gegeben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber ich bin damit fertig, Herr Kollege Michelbach, ({0}) weil der Versuch zu durchsichtig ist, bei solchen Gelegenheiten die Redezeit zu verdoppeln. Also, Herr Gambke, Sie dürfen sich setzen, und der Kollege Michelbach ist nicht daran gehindert, entweder das zu sagen, was er ohnehin sagen wollte, oder sich weiterhin intensiv mit Ihnen zu beschäftigen.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, wenn Sie in Ihrer unermesslichen Weisheit sprechen, höre ich natürlich sofort zu. ({0}) Ich mache das natürlich gerne. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass die Steuer- und Finanzschlupflöcher im Ausland für die Steuerbehörden bisher kaum auffindbar waren. Insofern wird hier jetzt mit dem Informationsaustausch der glorreiche Endpunkt erreicht. Wir befinden uns in einer optimalen Situation, um dieses Kooperationsinstrument der Steuerbehörden auf den Weg zu bringen. Da nützt es gar nichts, meine Damen und Herren von der Opposition, Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung immer geradezu mit Schaum vor dem Mund zu kritisieren. Über sachliche Überzeugungsarbeit kann ich mich natürlich freuen. Aber ich habe heute in dieser Debatte bei Frau Wagenknecht wieder die Attitüde des Klassenkampfes erlebt. Ich frage mich: Wo ist Frau Wagenknecht? ({1}) Sie hat hier wieder eine Rundum-Schimpfkanonade gegen alle Steuerzahler vorgeführt und sich dann vom Acker gemacht, meine Damen und Herren. ({2}) - Da ist sie wieder. Wunderbar! Dann nehme ich das zurück. ({3}) Aber meine Äußerung zur Schimpfkanonade war trotzdem richtig. Ich darf Ihnen sagen: Das Abkommen über den automatischen Steuerdatenaustausch ist kein Grund, sofort die Abgeltungsteuer zu schleifen und eine Steuererhöhung durch die Hintertür einzuführen; das ist meine feste Überzeugung. Die Abgeltungsteuer bleibt ein wesentliches Mittel zur Steuervereinfachung. Auch darüber muss man nachdenken. Man kann nicht immer nur Steuervereinfachung fordern und dann letzten Endes ein Instrument wie die Abgeltungsteuer sofort schleifen wollen. Die Leute, die damals schon Steuerpolitik gemacht haben - etwa meine Kollegin Gerda Hasselfeldt -, wissen, welche Probleme wir mit dem alten Halbeinkünfteverfahren hatten. Das ist doch keine Lösung mehr. Die Abgeltungsteuer sorgt seit 2009, seit ihrer Einführung durch Peer Steinbrück, für eine gut kalkulierbare und nachvollziehbare Besteuerung von Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen und für einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent. Die Kreditinstitute erledigen die steuerlichen Formalitäten für ihre Kunden. - Herr Präsident?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt möchte der Kollege Ernst noch mal was fragen, und so, wie ich Sie kenne, lassen Sie das auch zu.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Sie kennen mich gut.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Dr. Michelbach. Ich entnehme Ihren Ausführungen bezüglich der Abgeltungsteuer, dass Sie der Auffassung sind: Sie sollte so bleiben, wie sie ist, weil die Steuer sonst so kompliziert zu erheben wäre. Vorher habe ich von Herrn Schneider gehört, der ebenfalls einer Partei angehört, die zurzeit die Regierung trägt, dass man die Besteuerung nach seiner Auffassung ab 2017, wenn der Datenaustausch funktioniert, ändern sollte. Kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, dass es zwischen den Koalitionsfraktionen keinesfalls eine Einigung darüber gibt, dieses aus meiner Sicht absolut inakzeptable Recht aufrechtzuerhalten, nach dem Kapitalerträge bei weitem geringer besteuert werden als die Einkommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ernst, Sie müssen davon ausgehen, dass wir uns in dieser Koalition immer einigen. ({0}) Natürlich gibt es unterschiedliche Argumente. Gerade mit den Kollegen Carsten Schneider und Lothar Binding und anderen Kollegen einigen wir uns immer. Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit in der Steuer- und Finanzpolitik. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Steuerrecht ist kein Ersatztummelplatz für den Klassenkampf, sondern man muss Argumente austauschen. ({1}) Es ist nun einmal so, dass ein einheitlicher Steuersatz von 25 Prozent im Hinblick auf Unternehmensbeteiligungen und die Aktienkultur sehr transparent ist; er ist kalkulierbar. Deswegen ist zu hinterfragen, ob man solch ein Steuervereinfachungsmodell, das von der SPD federführend eingeführt wurde, letzten Endes schleifen sollte. Wir müssen die Argumente austauschen. Es ist ganz normal, dass wir uns nach der Beratung darüber einigen werden. - Jetzt steht der Herr nicht mehr. Ich mache dann weiter, Herr Präsident. ({2}) - Ja, die Frage war einfach. Ich habe sie auch gut beantwortet, Herr Kollege Ernst. Meine Damen und Herren, es steht außer Zweifel: Der Kampf gegen Steuerhinterziehung kann nur in enger Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg zum nachhaltigen Erfolg führen. Deshalb muss es unser Ziel sein, weitere Staaten von der Unterzeichnung des Abkommens zu überzeugen. Wir müssen aber auch an anderer Stelle Steuerschlupflöcher schließen. ({3}) Der Finanzminister hat zu Recht darauf hingewiesen: Die Steuergestaltung durch grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen und willkürliche Gewinnkürzungen mancher internationaler Konzerne muss ein Ende haben. Mein Unternehmen steht mit internationalen Konzernen im Wettbewerb. Ich ärgere mich natürlich maßlos, wenn wir die Steuern in voller Höhe zahlen, sich Konkurrenten andererseits in Deutschland einen schlanken Fuß machen. Das ist Wettbewerbsverzerrung zulasten des Mittelstandes. Das wird von uns nachhaltig bekämpft werden, meine Damen und Herren. ({4}) Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass transnationale Konzerne ihre Gewinne dort versteuern, wo sie sie erwirtschaften. Ich glaube, die G-20-Länder haben vor einem Jahr einen Aktionsplan beschlossen, mit dem Steuerschlupflöcher für multinationale Konzerne gestopft werden sollen. Ich freue mich, dass Wolfgang Schäuble diese Aufgabe mit großem Engagement weitergetragen hat und dass es hierfür letztlich Lösungen geben wird. Es muss Schluss damit sein, dass internationale Großkonzerne ihre Steuerlast kleinrechnen können. ({5}) Es ist schließlich nicht hinnehmbar, dass manche international agierenden Konzerne Gewinne und Verluste so lange grenzüberschreitend hin- und herschieben, bis praktisch keine Steuerlast mehr übrigbleibt. Deswegen müssen wir dieses Hin- und Herschieben letztlich verhindern. Das ist die Aufgabe. ({6}) Wir haben natürlich gleichzeitig die Frage zu beantworten: Wie können wir in dieser Zeit durch eine aktive Steuerpolitik Investitionsförderung betreiben? Wir haben - das muss man erkennen - eine Investitionslücke in Deutschland. Zur Schließung dieser Lücke sind zusätzliche Investitionen von Unternehmen und Staat in einem Umfang von etwa 3 Prozent des BIP erforderlich. Das entspricht etwa 80 Milliarden Euro. Deswegen ist die richtige Steuerpolitik wichtig. Jetzt haben wir den großen Erfolg, dass wir keine Nettoneuverschuldung haben und einen ausgeglichenen Haushalt verabschieden. Dies wird neue Spielräume eröffnen, weil es natürlich nach wie vor Wachstum in Deutschland gibt. Diese Spielräume werden wir nutzen müssen, insbesondere beim Thema Abschreibungen. Es kann nicht sein, dass der Werteverzehr und die Abschreibungen zulasten der Liquidität in den Unternehmen gehen und damit die Unsicherheit bezüglich der Investitionen steigt. Man muss insbesondere berechenbare, kostengünstige und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen. Daran wollen wir weiterhin arbeiten. Das ist die Aufgabe, die wir uns gestellt haben: bei Forschung und Entwicklung sowie bei den Abschreibungen. Natürlich haben unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch einen Anspruch darauf, dass wir uns mit dem Thema „Kalte Progression“ befassen - ob das allen gefällt oder nicht. 1 Prozent Lohnerhöhung bedeutet 1,9 Prozent Steuermehreinnahmen beim Staat. Das ist ein Thema. Es ist nicht richtig, dass alle Mehreinnahmen durch die Steigerungen der Leistungskraft nur beim Fiskus landen. Vielmehr gehört das Geld, das von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erwirtschaftet wird, zunächst einmal den Arbeitnehmern, also den Steuerzahlern. Dann erst kommt der Fiskus. So wird ein Schuh daraus. Deswegen ist es notwendig, dass wir uns damit befassen. Dann werden wir weiterhin Arbeitsplätze schaffen, und dann werden wir auch in den Bereichen des internationalen Wettbewerbs weiterhin vorankommen. Ich bin froh, dass wir diese Erfolge heute feiern können, dass wir damit letzten Endes einen Erfolgsweg gehen und unserem Land dienen: den Steuerzahlern, der Steuerwahrheit und der Steuergerechtigkeit. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht einmal zwei Jahre her - es war Dezember 2012 -, als das von Herrn Schäuble ausgehandelte Steuerabkommen mit der Schweiz - ein echter Persilschein für Steuerhinterzieher - endgültig scheiterte, und das war gut so. ({0}) Wolfgang Schäuble warf uns Grünen damals billige Polemik vor. Er behauptete, wer beim Schweizer Steuerabkommen wirklich der Meinung sei, man könne da mehr rausverhandeln, der sei nicht von dieser Welt. Heute, zwei Jahre nachdem Grüne und SPD im Bundesrat das Steuerabkommen verhindert haben, Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung in der Schweiz rechtskräftig verurteilt ist ({1}) und sein Banker in Polen verhaftet worden ist, erhalten Deutsche mit einem Bankkonto in der Schweiz von ihrer jeweiligen Schweizer Bank Post mit Informationen über die neue Weißgeldstrategie der Schweizer Regierung. In einem solchen Schreiben, das mir vorliegt, heißt es zum Beispiel - ich zitiere -: Die Schweizer Regierung hat sich zum automatischen Informationsaustausch bekannt. Weiter: Für die Finanzinstitute wurde in der Schweiz zudem ein neues Bundesgesetz in die Vernehmlassung gegeben. Es sieht vor, dass Schweizer Banken die Steuerkonformität der Vermögen ihrer bestehenden Kunden abklären müssen. Sollten die Gelder im Land des Kunden nicht ordnungsgemäß versteuert sein, ist die Bank gezwungen, die Geschäftsbeziehungen mit dem Kunden abzubrechen. Und schließlich: Unsere Bank handelt stets gesetzeskonform. Bitte beachten Sie, dass wir deshalb nächstens eine Offenlegung oder Bestätigung der ordentlichen Versteuerung Ihrer Gelder in Ihrem Domizilland von Ihnen verlangen müssen. Das ist die Schweiz im Jahr 2014. Ich bin stolz darauf, Herr Schäuble, dass wir Grünen damals in dieser Frage standhaft geblieben sind und dass es Ihnen auch nicht gelungen ist, die SPD-geführten Bundesländer herauszukaufen, obwohl Sie es, wie wir alle wissen, versucht haben. ({2}) Denn so wurde in der Schweiz ein Wandel möglich, und so war der Weg frei für das internationale Abkommen für automatischen Informationsaustausch, unterzeichnet von 51 Staaten, das Sie heute zu Recht als Meilenstein im Kampf gegen Steuerhinterziehung bezeichnen. Die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige, die heute auch zur Debatte steht, gibt es in Deutschland seit über 100 Jahren. Die Zahl der Selbstanzeigen war in den letzten 100 Jahren dennoch durchaus überschaubar. Das lag aber nicht an der großen Steuerehrlichkeit in unserem Lande, sondern an dem sehr geringen Entdeckungsrisiko. Das hat sich inzwischen geändert: Der Aufkauf von Steuer-CDs, das gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz und der nun vereinbarte flächendeckende automatische Informationsaustausch der Steuerbehörden aus über 50 Ländern haben das Entdeckungsrisiko stark erhöht. Umso wichtiger war es, diese Entwicklung mit einer Verschärfung der Voraussetzungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige zu flankieren. ({3}) Denn nach der derzeit geltenden Regelung ist es immer noch so, dass sich das Zuwarten bei der Selbstanzeige finanziell lohnen kann. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen. Alice Schwarzer hat nach eigenen Angaben mehr als 20 Jahre lang Steuern hinterzogen, muss aber nach geltender Gesetzeslage nur für maximal zehn Jahre nachzahlen und für fünf Jahre einen fünfprozentigen Strafzins zahlen. Das heißt, sie ist mit ihrer Selbstanzeige nach geltender Gesetzeslage nicht nur einem Strafverfahren entgangen - das ist der Sinn des Gesetzes -, sondern sie hat gegenüber dem Steuerehrlichen immer noch viel Geld gespart. Das darf nicht sein! Das muss aufhören! ({4}) Der vorliegende Gesetzentwurf ändert das. Im Rahmen der Finanzministerkonferenz sind Verschärfungen erarbeitet worden, die zu den neuen Rahmenbedingungen passen und die sicherstellen, dass der Steuerehrliche in Deutschland eben nicht mehr der Dumme ist. Die Ankündigung der Verschärfung hat auch schon sichtbare Effekte: Waren es 2013 mit 25 000 Selbstanzeigen schon dreimal so viel wie 2012, so ist die Zahl im Jahr 2014 noch einmal deutlich angestiegen und lag im Oktober bereits bei knapp 32 000 Selbstanzeigen mit Mehreinnahmen für den Fiskus in Milliardenhöhe. Die Reformvorschläge, an denen auch die Finanzministerinnen von den Grünen aus Schleswig-Holstein und Bremen, Monika Heinold und Karoline Linnert, mitgewirkt haben, tragen eine deutlich grüne Handschrift. Die Absenkung der Grenze hin zu schwerer Steuerhinterziehung von bisher 50 000 Euro auf 25 000 Euro, die deutliche Anhebung und Staffelung des Geldzuschlages, der bei hinterzogenen Steuern anfällt, und die Verdoppelung der Nacherklärungsfrist von fünf auf zehn Jahre das sind wichtige Punkte. Wir setzen uns dafür ein, dass an ihnen am Ende, nachdem das Gesetz das Parlament passiert hat, auch festgehalten wird. ({5}) Eine besondere Schwierigkeit gab und gibt es bei den sogenannten Anmeldesteuern, also bei der Lohn- und der Umsatzsteuer, insbesondere bei der Umsatzsteuer. Derzeit können Vorsteueranmeldungen, die um wenige Tage verspätet eingereicht werden, als vollendete Steuerhinterziehung bewertet werden. Das will aber tatsächlich niemand, weil das offensichtlich lebensfremd ist. Mittelständische Unternehmen erreichen die Grenze von 25 000 Euro, ab der eine Umsatzsteueranmeldung notwendig ist, schnell, zumal bei der Berechnung, ob diese Grenze erreicht wurde, auf den zu spät deklarierten Umsatzsteuerbetrag und nicht auf den tatsächlich entstandenen Steuerschaden abgestellt wird. Deswegen sind wir froh, dass in dem Gesetzentwurf jetzt eine gute Formulierung gefunden worden ist. Allerdings ist zu fragen - diesbezüglich sehen wir für die Anhörung noch Diskussionsbedarf -, inwieweit das vollständig gut geregelt ist und ob es bei der Jahreserklärung vielleicht doch noch Anpassungen geben sollte. Hier sehen wir tatsächlich noch Prüfungs- und Änderungsbedarf. Ich fasse aus Sicht der Grünen zusammen: Wir sind Schritte vorangekommen. Wichtige Bausteine liegen vor. Finanzminister Schäuble kann in gewisser Weise für sich in Anspruch nehmen, international vom Saulus zum Paulus geworden zu sein. ({6}) Aber es müssen noch weitere Schritte folgen, und zwar die, die auf nationaler Ebene möglich sind: Die Abgeltungsteuer gehört abgeschafft. Die Argumente dafür wurden heute schon mehrfach genannt. Wir brauchen sie jetzt nicht mehr. Es macht einfach keinen Sinn, Kapitaleinkommen geringer zu besteuern als Arbeitseinkommen. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Auch das Thema Steuergestaltung müssen wir noch stärker angehen. Auch da kann man auf nationaler Ebene etwas machen. ({0}) 158 Milliarden Euro gehen dem deutschen Fiskus jedes Jahr verloren, nicht nur wegen Steuerhinterziehung, sondern auch wegen Steuergestaltung. Das ist eine große Summe. Das kann so nicht bleiben. Deswegen brauchen wir dringend eine effizientere und transparentere Steuerverwaltung, die mit den internationalen Konzernen auf Augenhöhe operieren kann. Deswegen fordern wir Sie erneut auf: Machen Sie es mit uns zusammen, richten Sie eine Spezialeinheit auf Bundesebene ein, die auf Steuerhinterziehung und Steuergestaltung reagieren kann. Wir brauchen eine solche Spezialeinheit - Stichworte „hohe Einkommen“ und „international agierende Unternehmen“

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Entschuldigung -, damit wir endlich dazu kommen, dass die Finanzämter in diesem Land mit den Steuergestaltern in den großen Steuerabteilungen der großen internationalen Konzerne auf Augenhöhe operieren können. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte sehr um Nachsicht. Ich lege die Redezeiten nicht fest. Ich muss nur darauf achten, dass das, was wir selbst beschlossen haben, auch einigermaßen eingehalten wird. Es erleichtert uns die Arbeit sehr, wenn sich alle darum bemühen, sich an die Vorgaben zu halten. Der Kollege Andreas Schwarz ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der spätere langjährige Präsident des Deutschen Reichstages, der Sozialdemokrat Paul Löbe, hat am 17. Dezember 1919 in der verfassunggebenden Nationalversammlung in einer bemerkenswerten Rede unter anderem Folgendes ausgeführt - ich zitiere -: Gerade im letzten Jahr hat sich das öffentliche Gewissen und die öffentliche Stimme immer lauter gegen diejenigen gekehrt, die als Steuerschieber oder -flüchtlinge einen Teil ihres Vermögens vor der allgemeinen Not des Volkes in Sicherheit gebracht haben. Es liegt keinerlei Anlass vor, über sie die schützenden Hände zu erheben. Zitatende. ({0}) Man sieht, die Bekämpfung der Steuerhinterziehung war und ist für die SPD immer auch eine Frage der Gerechtigkeit. „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, so lautet ein bekanntes Sprichwort. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hatten nach der Aufdeckung prominenter Fälle von Steuerflucht den Eindruck gewonnen, dass sich Wohlhabende vom Tatbestand der Steuerhinterziehung freikaufen können. Der Schaden, den Steuerbetrug anrichtet, ist also nicht nur fiskalischer Natur. Nein, er hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen in diesem Lande wird erschüttert. Hier können und dürfen wir nicht tatenlos bleiben. Deshalb handeln wir. Steuerbetrug ist Betrug an der Allgemeinheit und verbaut Zukunftschancen. Daher ist es richtig und wichtig, dass wir die Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige verschärfen. Wir wollen, dass der Staat die Steuern erhält, die ihm zustehen, ({1}) und wir wollen das Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung wieder ins Lot bringen. Der vorliegende Gesetzentwurf gibt darauf überzeugende Antworten und findet daher die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. Wir schaffen die Selbstanzeige ausdrücklich nicht ab. Ja, die Hand des Staates bleibt ausgestreckt, aber - das ist für uns entscheidend - zu deutlich erschwerten Bedingungen. Der amtierende thüringische Finanzminister Wolfgang Voß hat das im April 2014 überzeugend zusammengefasst - ich zitiere -: Die Selbstanzeige wird für Steuerhinterzieher unbequemer, bleibt aber weiterhin handhabbar. Steuerbetrug darf sich niemals lohnen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit nicht verbauen, aber eben deutlich erschweren und vor allen Dingen teurer machen. Es ist kein Geheimnis, dass es innerhalb der SPD zu Beginn durchaus auch kontroverse Ansichten zur Beibehaltung der Selbstanzeige gab. Dass wir die Selbstanzeige am Ende aber sogar vor dem bayerischen Finanzminister Markus Söder retten mussten, ist schon ein Novum. Herr Söder wollte im Frühjahr 2014 eine Obergrenze diskutieren lassen, ab der eine Selbstanzeige generell unwirksam sein sollte. Aber so ist es nach langen, sehr konstruktiven Gesprächen und Verhandlungen nicht gekommen. Von Beginn an wurde von der Bund-LänderArbeitsgruppe und der Finanzministerkonferenz parteiübergreifend eine ganz klare Botschaft ausgesendet: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt und wird konsequent bekämpft und bestraft. ({2}) Bund und Länder haben - bei durchaus unterschiedlichen Auffassungen im Detail - an einem Strang gezogen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt die gemeinsam verabredeten Beschlüsse überzeugend um. Für die geleistete Arbeit sprechen wir Herrn Bundesfinanzminister Dr. Schäuble, dem Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, Dr. WalterBorjans, und allen Beteiligten unseren herzlichen Dank aus. Das Ergebnis bei der Abstimmung des Finanzausschusses des Bundesrates vorletzte Woche spricht ebenfalls für sich: Bei 15 Jastimmen und einer Enthaltung durch Brandenburg wurde beschlossen, diesen Gesetzentwurf dem Bundesrat zur Beschlussfassung vorzulegen - ohne Änderung. Am 8. Oktober 2014 erklärte der hessische Finanzminister, Herr Schäfer: Die Selbstanzeige bleibt ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von Steuerkriminalität. Dass der Bund zum 1. Januar 2015 unter aktiver Mitarbeit Hessens eine Verschärfung der Bedingungen für eine Selbstanzeige plant, zeigt bereits jetzt Wirkung. Recht hat er. Man muss ja oft Jahre warten, bis sich ein Gesetz als erfolgreich herausstellt. Manchmal, so hört man, wird nie etwas daraus. Welcher Gesetzentwurf bringt hingegen bereits Milliarden an Mehreinnahmen, bevor er überhaupt verabschiedet ist? Keine Frage, ein solch erfolgreiches Gesetz ist ein gutes Gesetz. Den Druck auf Steuerbetrüger zu erhöhen, hat sich unbestreitbar als der richtige Weg erwiesen. Bis dato gingen in diesem Jahr schon 32 000 Selbstanzeigen bei den Steuerbehörden ein, und im vergangenen Jahr waren es rund 24 000 Anzeigen - ein toller Erfolg. Diesen Weg werden wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes konsequent weitergehen. Wir begrüßen ebenfalls, dass die Straffreiheitsgrenze auf 25 000 Euro abgesenkt wird. Wer im Bereich von Kapitalerträgen 25 000 Euro an Steuern hinterzieht, hat 100 000 Euro an Zinsen nicht angegeben und somit bei einem unterstellten Zinssatz von 2 Prozent 5 Millionen Euro vor dem Fiskus versteckt. ({3}) Hier geht es nicht um ein Kavaliersdelikt. Nein, hier geht es um massiven Steuerbetrug. Deshalb ist die Absenkung der Straffreiheitsgrenze wohl sehr begründet. Noch ein Wort zu den Anmeldesteuern. Das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz von 2011 hat die Problematik im Hinblick auf die Anmeldesteuern der Unternehmer ja erst geschaffen. Deshalb begrüßen wir, dass die Teilselbstanzeige bei der Lohn- und Umsatzsteuervoranmeldung wieder möglich ist. Dieser Gesetzentwurf hat also nicht nur Verschärfungen und strenge Regelungen zum Inhalt, sondern er bietet auch praxisorientierte Verbesserungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, dass ich diese Rede mit einem Zitat des großen Sozialdemokraten Paul Löbe schließe - seine Worte vom 17. Dezember 1919 sind fast 100 Jahre alt, haben aber an Aktualität nichts eingebüßt. Ich zitiere: Gleiches Recht für alle, besonders aber gleiches Recht dem ehrlichen Steuerzahler, der es nicht verdient, dass diejenigen geschont werden, die in den vergangenen Jahren ihrer Pflicht gegenüber der Allgemeinheit nicht nachgekommen sind. Dieser Aufforderung kommt der vorgelegte Gesetzentwurf in vollem Umfang nach. Deshalb kann man auf die Unterstützung der SPDBundestagsfraktion zählen. Wir freuen uns auf weiterhin gute Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen der Union und gute Debatten im Finanzausschuss und im Parlament. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bettina Kudla ist die nächste Rednerin für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Bettina Kudla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004084, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal auf das Steuerabkommen mit der Schweiz eingehen, weil dies hier mehrfach kritisch angesprochen wurde. Ich wundere mich, wie Politiker stolz darauf sein können, dass sie verhindert haben, dass aus der Schweiz Milliarden an Steuern nach Deutschland fließen. ({0}) Deshalb muss man einmal fragen, wer denn die Verantwortung dafür trägt, dass dem deutschen Staat Milliarden an Steuereinnahmen entgehen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens wären 2 Milliarden Euro sofort geflossen. ({1}) Steuereinnahmen in Höhe von 10 Milliarden Euro sind prognostiziert worden. Wer die harte Nuss Schweiz knacken will, der muss erst einmal ein unterschriebenes Abkommen vorlegen. ({2}) Momentan beteiligt sich die Schweiz noch nicht an dem automatischen Informationsaustausch. Nach dem ursprünglich vorgesehenen Abkommen wären künftige Kapitalerträge genauso wie in Deutschland besteuert worden. Es hätte also gar keinen Sinn mehr gemacht, Geld in die Schweiz zu transferieren. Hinsichtlich der Abgeltungsteuer wurde hier gesagt, man wolle das genauso wie mit der Lohnsteuer handhaben. Das macht aber doch gar keinen Sinn. Es hat seinen guten Grund, dass die Abgeltungsteuer nicht so behandelt wird wie die Lohnsteuer, weil man Kapitaleinkünfte nicht so einfach greifen kann wie die Steuer des Arbeitnehmers. Deswegen hat die Abgeltungsteuer durchaus ihren Sinn. ({3}) Nun zum Gesetzentwurf zur strafbefreienden Selbstanzeige. Zunächst zur Ausgangslage. Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist ein wesentliches Ziel der Koalition. Die Selbstanzeige als Fall der Straffreiheit nach Beendigung des Delikts ist daher immer wieder rechtfertigungsbedürftig. Mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz wurden die Voraussetzungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige im Jahr 2011 deutlich verschärft. Der aktuelle Gesetzentwurf setzt die Eckpunkte der Beschlüsse der Finanzministerkonferenz vom Mai 2014 um. Kern des Gesetzes ist, dass das Instrument der Selbstanzeige beibehalten wird. Folgende Leitplanken dienen dem Gesetz als Grundlage: Es wird immer die Abwägung getroffen zwischen dem Gebot der gerechten Bestrafung und der pragmatischen Ermöglichung der Rückkehr in die Legalität. Die strafbefreiende Selbstanzeige soll dem Steuerpflichtigen den Weg in die Steuerehrlichkeit eröffnen, sofern dieser Steuern hinterzogen hat. Der strafrechtliche Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“, wonach niemand an seiner eigenen Überführung mitwirken muss, muss trotz der erheblichen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen auch im Steuerstrafrecht Geltung behalten. Die Öffentlichkeit ist durch die Diskussion der vergangenen Monate erheblich sensibilisiert worden. Es ist ein stärkerer Verfolgungsdruck entstanden, und die Zahl der strafbefreienden Selbstanzeigen hat sich deutlich erhöht. Das ist zu begrüßen. Ich möchte aber auch betonen, gerade was die Sensibilisierung der Öffentlichkeit betrifft: Das Recht des Bürgers auf die Wahrung des Steuergeheimnisses besteht nach wie vor. Im Einzelnen zum Gesetz. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, wird - wir haben es jetzt schon mehrfach gehört - der Nacherklärungszeitraum auf zehn Jahre ausgedehnt. Das schafft mehr Rechtssicherheit. Bisher mussten fünf Jahre nacherklärt werden, und für weiter zurückliegende Zeiträume wurde geschätzt. Es tritt ein Sperrgrund ein: Nur wer den Strafzuschlag bezahlt, bleibt straffrei. Die Staffelung des Zuschlags führt zu einer deutlichen Verschärfung bei der strafbefreienden Selbstanzeige. Wichtige neue Voraussetzung für die Wirksamkeit ist, dass die Hinterziehungszinsen sofort mit Abgabe der Selbstanzeige entrichtet werden; allerdings ist es auch hier gängige Praxis, dass die Finanzämter eine angemessene Frist setzen. Das ist auch notwendig; denn die Belange der kleinen und mittelständischen Betriebe müssen berücksichtigt werden. Das Gesetz soll dazu dienen, dem Steuerpflichtigen zu mehr Steuerehrlichkeit zu verhelfen. ({4}) Im Bereich der Anmeldesteuern wird eine Teilselbstanzeige ermöglicht, damit Korrekturen - Fehler passieren nun einmal im betrieblichen Alltag - nicht kriminalisiert werden. Die Berichtigungsvorschrift bzw. die ausdrückliche Berichtigungsmöglichkeit des § 153 AO gilt nach wie vor. Das ist wichtig für die Rechtssicherheit der Unternehmen. Wir haben ferner in dem Gesetz vorgesehen, dass eine Anlaufhemmung der steuerrechtlichen Festsetzungsverjährung eintritt bei Kapitalerträgen aus Ländern, die am automatischen Informationsaustausch nicht teilnehmen. Das ist ein deutliches Signal an diejenigen Steuerpflichtigen, die ihr Geld in Steueroasen anlegen und dem Fiskus die Einnahmen verschweigen. Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung findet einen angemessenen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen und beendet vorhandene Missstände. Das Gesetz wird dazu beitragen, dass die Zahl der Fälle von Steuerhinterziehung, insbesondere großen Ausmaßes, zurückgehen wird. ({5}) Gleichzeitig bleiben die positiven Wirkungen der Selbstanzeige erhalten. Das wären insbesondere die Möglichkeit der Rückkehr in die Legalität, die Stabilisierung der Steuereinnahmen, die Vermeidung des verfassungsrechtlich schwierigen Aufeinanderprallens von Selbstbelastungsfreiheit im Strafrecht und weitreichender Mitwirkungspflicht im Steuerrecht. Es liegt ein wirksamer Gesetzentwurf gegen Steuerhinterziehung vor, der in einigen wenigen Details noch auf seine Praxistauglichkeit, insbesondere im Hinblick auf anschlussgeprüfte Unternehmen, überprüft werden muss. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Carsten Sieling, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich kann man - erstens - die Debatte heute zusammenfassen unter der Überschrift: Am Ende wird alles gut. ({0}) Nach vielen Jahren der Debatte haben wir hier jetzt einen Konsens, der am Ende doch relativ breit ist, einen Konsens dahin gehend, dass Selbstanzeigen zu einem wirklich wirksamen Schwert gemacht werden müssen und so ausgestaltet werden müssen, dass sie einen wirksameren Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung bieten. Das ist der Kern dessen, was wir heute beschließen. Punkt zwei: Das Bankgeheimnis wird mit dem Informationsaustausch wegfallen. Auch hierüber herrschte nicht immer Konsens. Das Dritte: Auch die Steuerschlupflöcher von Konzernen sollen und müssen international bekämpft werden. ({1}) Es ist gut, dass wir hierbei einer Meinung sind. Man hat aber an dem einen oder anderen Redebeitrag gemerkt, dass der Weg dahin steinig und ein bisschen holprig war. Frau Kollegin Kudla hat eben deutlich gemacht, welche Schwierigkeiten es manchen Abgeordneten bereiten kann, diesen Punkten zuzustimmen. An dem Versuch, das geplante deutsch-schweizerische Steuerabkommen zu rechtfertigen, hat man das gesehen. ({2}) Ich will an dieser Stelle auch sagen, Herr Bundesfinanzminister: Sie haben sich mit Ihrer ganzen Hartnäckigkeit für den Abschluss des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens eingesetzt. Man muss aber doch am Ende feststellen, dass es gut gewesen ist, dass wir Ihnen in den vergangenen Jahren mit dem Scheitern des Steuerabkommens den Weg eröffnet und die Möglichkeit gegeben haben, Ihre ganze Hartnäckigkeit dafür einzusetzen, den richtigen Weg einzuschlagen: gegen das Bankgeheimnis und für den Informationsaustausch. Ich finde es gut, dass wir dafür jetzt gemeinsam stehen und Fehler beseitigt haben. ({3}) Lassen Sie mich die Angelegenheit mit dem Bankgeheimnis etwas genauer betrachten. Ich will hier im Hause daran erinnern, dass es Anfang dieses Jahrtausends in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung Finanzminister Eichel war, der einen Gesetzesvorschlag gemacht hat, das Bankgeheimnis aufzuheben. Dieser Vorstoß ist damals an einer Bundesratsmehrheit unter der Führung eines Ministerpräsidenten gescheitert, der seinen Weg in die Wirtschaft gefunden hat und diesen Weg jetzt auch schon wieder verlassen musste, nämlich von Herrn Koch aus Hessen. Die Einführung des Informationsaustausches hätte zehn Jahre früher kommen können. Aber auch da will ich sagen, Herr Bundesfinanzminister, liebe Kolleginnen und Kollegen: Vielleicht sollten wir froh sein, dass wir das heute zusammen beschließen. Uns Sozialdemokraten gibt das an dieser Stelle ein gewisses Gefühl der Selbstzufriedenheit, weil wir mit den heutigen Beschlüssen in der Steuerpolitik einen richtig großen Schritt vorankommen werden. ({4}) Ein paar Dinge sind noch anzugehen. Ich will nur eine Sache herausgreifen, die Abgeltungsteuer. Auch hier vernehme ich einen großen Konsens darüber, dass wir dieses Thema weiter bearbeiten müssen. Bei allen unterschiedlichen Akzenten und Betonungen, die es an dieser Stelle gibt, scheint mir auch die Frage wichtig zu sein: Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen? ({5}) - Der richtige Zeitpunkt kann nicht erst 2017 sein. Wir und auch Sie, Frau Kollegin Andreae, argumentieren, dass die Geschäftsgrundlage für die Abgeltungsteuer durch den automatischen Informationsaustausch entfallen sei. Der richtige Zeitpunkt für die Überführung der Abgeltungsteuer zurück in die Einkommensteuer ist der Tag, an dem der automatisierte Informationsaustausch beginnt. Das wird entweder 2017 oder 2018 sein. Wenn man das erreichen will - das ist der wesentliche Punkt -, dann muss man jetzt mit der Arbeit anfangen. 2017 liegt noch in dieser Legislaturperiode - 2018 liegt außerhalb dieser Legislaturperiode -, sodass wir es uns als Große Koalition mit Handlungsverantwortung und mit einem Bundesfinanzminister, der hier sehr oft deutlich gemacht hat, dass es systematisch richtig wäre, die Abgeltungsteuer wieder in die Einkommensteuer zu überführen, gar nicht erlauben können, uns nicht auf den Weg zu machen. Dies ist auch deswegen so wichtig, weil es viele schwierige Fragen zu klären gibt. Stichwort Zinseinkünfte: Wie gehen wir in diesem Zusammenhang damit um? Wollen wir wieder zurück zur Anrechnung von tatsächlichen Werbungskosten, oder erhalten wir weiterhin die Freibeträge aufrecht? Stichwort Veräußerungsgewinne: Die Spekulationsfrist ist abgeschafft worden. Diese Regelung müssen wir meines Erachtens beibehalten. Auch bei den Dividenden gibt es wichtige Fragen, die sachpolitisch zu klären sind. Heute ist der Tag, an dem vieles gut wird. Aber das heißt nicht, dass es in Zukunft nicht noch besser werden darf. Es gibt viele Aufgaben, an die wir politisch herangehen wollen. Wir Sozialdemokraten werden das tun. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Uwe Feiler, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Feiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung, den wir heute in erster Lesung miteinander diskutieren, knüpfen wir an eine durchaus kontroverse und lange öffentliche Debatte an, die wir nun auch parlamentarisch zum Abschluss bringen werden. Der etwas sperrige Titel des Gesetzentwurfs sollte uns dennoch nicht daran hindern, diesen Baustein zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung durch die Weiterentwicklung des Instruments der strafbefreienden Selbstanzeige zu würdigen. Aus meiner Sicht lohnt es sich, noch einmal deutlich zu machen, dass die strafbefreiende Selbstanzeige nicht nur eine Möglichkeit für Steuerhinterzieher darstellt, unter nunmehr verschärften Bedingungen wieder zurück in die Gemeinschaft der ehrlichen Steuerzahler zu finden, die wir bis auf verhältnismäßig wenige Ausnahmen in Deutschland ja auch haben. Sie ist vielmehr auch im Interesse des ehrlichen Steuerzahlers und der Finanzverwaltung. Meine Damen und Herren, wer die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige fordert, verkennt, dass in kaum einem anderen Rechtsgebiet eine derart umfassende Mitwirkung verlangt wird wie im Steuerrecht. Umgekehrt fordert die Tatentdeckung nirgendwo einen derartigen Einsatz an hochqualifiziertem Personal und vor allem Zeit. Der Einsatz von mehr Steuerfahndern in den Finanzämtern reicht hierbei allerdings nicht aus. Wir müssen den Finanzbehörden auch die nötigen Werkzeuge an die Hand geben. Die Tatentdeckung im Steuerrecht ist deutlich schwieriger als in anderen Rechtsgebieten. Beim Bankraub merkt der Filialdirektor spätestens am Montagmorgen, wenn er den Tresorraum aufschließt, dass der Tresor leer und irgendetwas nicht in Ordnung ist. Das Konto in der Schweiz, in Liechtenstein oder anderswo finden Sie so schnell nicht, und wir brauchen in der Finanzverwaltung die entsprechenden Werkzeuge, um derartige Konten zu finden. ({0}) Wer die Politik der Bundesregierung und der Regierungskoalition aufmerksam verfolgt, muss bei objektiver Betrachtung feststellen, dass große Anstrengungen unternommen wurden, um Steuerhinterziehung wirksam zu bekämpfen. Deshalb ist es wichtig, den Blick nicht nur auf das Instrument zu richten, sondern auch zu beurteilen, wie sich die strafbefreiende Selbstanzeige in den gesamten Instrumentenkasten einfügt. Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche haben sich in Berlin auf Einladung von Bundesfinanzminister Schäuble die Finanzminister von 51 Staaten darauf verständigt, ab September 2017 den automatischen Informationsaustausch für Besteuerungszwecke einzuführen. Jeder, der mit politischen Prozessen vertraut ist, weiß, welches Verhandlungsgeschick, aber auch welche Durchsetzungsstärke vonnöten ist, um die divergierenden Interessen von 51 Staaten unter einen Hut zu bringen. Wir haben eben schon von einem Meilenstein gehört. Für mich als ehemaligen Angehörigen der Steuerverwaltung ist es ein Felsblock. Herr Bundesminister, vielen Dank, dass Sie diesen Felsblock gesetzt haben. ({1}) Deutschland gehört damit gemeinsam mit anderen Staaten zu den Vorreitern dabei, Steuerhinterziehung effizient und effektiv zu bekämpfen und im Interesse des ehrlichen Steuerzahlers Einnahmen für den Staat zu sichern. Ich bin mir sicher, dass den 51 Staaten, die sich bisher schon beteiligen, noch weitere Staaten folgen werden. Fest steht aber auch, dass es bei 194 Staaten, die es weltweit gibt, und 51 teilnehmenden Staaten auch in Zukunft weiterer Instrumente bedarf, um Steuerhinterziehung und Steuerflucht wirksam zu verhindern. Das von der OECD angestoßene BEPS-Projekt wird dazu beitragen, dass dieser Prozess weiter an Fahrt gewinnt. Ich freue mich bereits auf die Debatten zu diesem Thema im kommenden Jahr. Deshalb ist es im Zusammenspiel mit dem oben genannten Abkommen in der EU auch richtig, dass der automatische Informationsaustausch weiter verbessert wird und auch Dividenden, Veräußerungsgewinne aus Wertpapieren, andere Finanzprodukte, sonstige Finanzerträge und Kontoguthaben mit einbezogen werden sollen. Meine Damen und Herren, der zunehmende Verfolgungsdruck wird zu einer weiteren Erhöhung der Anzahl der Selbstanzeigen führen. Steuersünder werden diese Kronzeugenregelung dafür nutzen, sich ehrlich zu machen, um wieder in die Gemeinschaft der ehrlichen Steuerzahler zurückzufinden. Ohne die Möglichkeit der Selbstanzeige würden wir aufgrund der steuerlichen Verjährungsfristen auf Einnahmen verzichten. Das führt ebenfalls zu weniger Steuergerechtigkeit. Hier sind natürlich auch die Länder gefragt und in die Pflicht genommen, ihre Finanzämter mit ausreichend Personal auszustatten, um die gewonnenen Erkenntnisse entsprechend verarbeiten zu können. Hier bleibt für mich festzustellen, dass auch mein Heimatland Brandenburg mit einem Personalbesatz von circa 85 Prozent der Personalbedarfsberechnung nicht gerade positiv hervortritt. ({2}) In der öffentlichen Diskussion wird die strafbefreiende Selbstanzeige oft lediglich im Zusammenhang mit hinterzogenen Steuern bei Kapitalerträgen betrachtet. Bei den beispielhaft genannten prominenten Einzelfällen wird aber vollkommen außer Acht gelassen, dass weitere Steuerverkürzungen zum Beispiel bei anderen Einkunftsarten oder bei den Anmeldesteuern für eine Selbstanzeige infrage kommen können. Die strafbefreiende Selbstanzeige soll und darf jedoch kein Wellnessangebot für Steuerhinterzieher darstellen. Deshalb wird - genauso wie bisher - eine umfassende Mitwirkungspflicht dem Steuerpflichtigen abverlangt, gerade um eine vermeintliche Besserstellung gegenüber dem ehrlichen Steuerzahler zu unterbinden. ({3}) Konkret soll künftig die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nur noch bei hinterzogenen Beträgen bis zu 25 000 Euro statt wie bisher bis zu 50 000 Euro eintreten. Hinzu kommt, dass bei hinterzogenen Steuern auf Kapitalerträge, die nicht automatisch übermittelt werden, die Anlaufhemmung bei der steuerrechtlichen Festsetzungsverjährung ab dem 1. Januar 2015 bis zu zehn Jahre betragen kann. In Verbindung mit der generellen Ausdehnung des Berichtigungszeitraums auf zehn Jahre wird deutlich, dass wir fest entschlossen sind, dieses Instrument zu behalten, aber auch Anpassungen vorzunehmen, die deutlich machen, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt darstellt. Richtig finde ich auch, zukünftig Anstifter und Gehilfen in den Kreis derjenigen aufzunehmen, die einer Sperre nach § 371 Absatz 2 AO unterliegen und von der Strafbefreiung ausgenommen werden. Das schließt im Übrigen Amtsträger, die ihre Position missbrauchen, ein. Wichtig ist mir an dieser Stelle, zu unterstreichen, dass wir in § 371 aber auch die Möglichkeit der Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen verbessert haben, sodass sich Betriebe nicht dem Verdacht der Steuerhinterziehung ausgesetzt sehen müssen. Das Gleiche gilt für anschlussgeprüfte Betriebe, die nunmehr für nicht auf einer Prüfungsanordnung aufgeführte Steuerarten und Zeiträume zum Mittel der Selbstanzeige greifen können. Wie wir bereits gehört haben, bleibt uns § 153 AO in der bisherigen Form erhalten. Der Unterschied liegt hier in der Strafbarkeit und der Nichtstrafbarkeit. Wer also eine berichtigte Steuererklärung abgibt, kann auch zukünftig darauf hoffen, nicht mit einem Strafverfahren konfrontiert zu werden. Das ist bislang in der Praxis leider ein wenig anders. Ich freue mich, dass es uns in der Fraktion gelungen ist, mit dem Bundesfinanzministerium übereinzukommen, dass wir zu § 153 eine klarstellende Regelung in Form eines Erlasses erhalten werden. Die zu leistenden Geldbeträge nach § 398 a AO werden angepasst und zukünftig gestaffelt. 10 Prozent der hinterzogenen Steuern werden bei Beträgen bis zu 100 000 Euro fällig, 15 Prozent bei Beträgen bis zu 1 Million Euro und 20 Prozent bei darüber hinausgehenden Beträgen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die Schuld des Straftäters bei der zu vermeidenden Strafbemessung an der Höhe der hinterzogenen Steuern orientiert. Noch ein kurzes Wort zur Abgeltungsteuer. Solange der vereinbarte Informationsaustausch nicht funktioniert, brauchen wir weiterhin eine Abgeltungsteuer. Deswegen ist es falsch, bereits über ihre Abschaffung zu diskutieren. Ebenso falsch ist, ein wahres Bürokratiemonster wie das Halbeinkünfteverfahren wiederzubeleben. Wir müssen schauen, was wir hier in Zukunft machen. ({4}) Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss und die dazugehörigen Anhörungen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/3018 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c sowie Zusatzpunkt 1 auf: 5 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/ 47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/ 36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen ({0}) Nr. 1093/2010 und ({1}) Nr. 648/ 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates ({2}) Drucksachen 18/2575, 18/2626 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge Drucksachen 18/2576, 18/2627 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) Drucksache 18/3088 b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes Drucksachen 18/2577, 18/2629 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Drucksachen 18/2580, 18/2628 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsauschusses ({4}) Drucksache 18/3082 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsauschusses ({5}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Durchführungsbestimmungen zum Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes Drucksachen 18/2669, 18/3082 ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Ulla Schmidt Risiko und Haftung zusammenführen Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden - Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanismus - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung ({7}) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates KOM({8}) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Zum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinteressen - Für eine echte Europäische Bankenunion Drucksachen 18/97, 18/98, 18/774, 18/3088 Zu dem BRRD-Umsetzungsgesetz der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Erster Redner in dieser Debatte ist der Kollege KlausPeter Flosbach, CDU/CSU-Fraktion. ({9})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute eines der wichtigsten Gesetze der europäischen Finanzgeschichte verabschieden. Wir diskutieren seit dem Jahr 2008 über Hilfsmaßnahmen des Staates für Kommunen, über Konjunkturpakete, über Hilfen für Staaten und Banken in Form von Rettungsschirmen, und wir haben uns unserer Verantwortung gestellt, hier im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass bei Krisen wieder Haftung und Verantwortung zusammengebracht werden und nicht der Staat für Leute haften muss, die in diesem System Fehler machen. ({0}) Seit Mitte 2012 beraten wir über das Thema der Bankenunion. Was verstehen wir unter Bankenunion? Es geht im Wesentlichen um zwei Bereiche: einmal eine gemeinsame Aufsicht in Europa für die Banken zu schaffen, nicht nur eine nationale Aufsicht, zum anderen geht es um die Frage: Was passiert, wenn Banken in eine Schieflage geraten? Wie kann hier abgewickelt oder saniert werden? Wir haben im Jahr 2012 erlebt, dass viele europäische Staaten der Meinung waren, eine gemeinsame Aufsicht zu schaffen, aber dann, wenn eine Bank in Schieflage gerät, an europäisches Geld kommen wollten, nämlich an den Rettungsschirm ESM. Deshalb war es uns im Deutschen Bundestag wichtig, ein Stoppsignal zu setzen und zu sagen: Das ist mit uns so einfach nicht zu machen. Wir haben deshalb hier im Deutschen Bundestag damals eine Entschließung verabschiedet und unserer Bundesregierung Vorgaben gemacht, wie die Verhandlungen zu führen sind und vor allen Dingen welche Merkmale in den Verhandlungen nach vorne gestellt werden sollten. Wir sind der Meinung, dass in Europa alle großen Banken europäisch kontrolliert werden müssen und nicht mehr national. Aber wir sind genauso der Meinung, dass kleine Banken, kleine Institute, Sparkassen und Volksbanken, die gewisse Grenzen nicht überschreiten, nicht europäisch kontrolliert werden müssen, sondern dass hier proportional gehandelt werden muss. ({1}) Denn es darf nicht sein, dass kleine Banken dem gleichen Regime unterliegen wie die großen. Ich habe als unsere wichtigste Verantwortung unter anderem gesehen, dass wir Proportionalität gewährleisten und dass wir uns für die kleinen Institute einsetzen, die gerade in der Finanzkrise immer dafür gesorgt haben, dass die Geld- und Kreditversorgung in Deutschland gewährleistet war. Das ist unsere besondere Verantwortung. Es gab natürlich auch den Wunsch, Banken möglichst auf die europäische Ebene zu schieben, ohne sie zu prüfen, damit anschließend eine europäische Haftung greift. Wir als Deutscher Bundestag haben gesagt: Wir sind für die europäische Aufsicht, aber wir sind nur dann für die europäische Aufsicht, wenn sich alle großen Banken, die in Zukunft europäisch kontrolliert werden sollen, einer Prüfung, einem Stresstest unterziehen, damit nicht kranke Banken auf der europäischen Ebene abgelagert werden können. Diese Prüfung ist soeben erfolgt. Vor gerade zehn Tagen sind die Ergebnisse herausgekommen. Die 130 größten europäischen Banken sind kontrolliert worden. Von diesen haben 25 die Bedingungen nicht erfüllt; zum heutigen Zeitpunkt sind es noch 13 Banken. Diese 13 Banken müssen selbst oder mithilfe ihrer Staaten das Geld aufbringen, damit sie in die europäische Aufsicht kommen. Es ist eben nicht Angelegenheit der gemeinsamen Haftung, sondern der Banken und der betreffenden Staaten, dafür zu sorgen, dass diese Banken liquide sind und keine Gefahr für den Finanzmarkt darstellen. ({2}) Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir dafür sind, dass Banken, die in eine Schieflage geraten, gemeinsam gerettet werden können. Dafür haben wir das Gesetz, das wir heute hier vorlegen, das Abwicklungs- und Sanierungsgesetz, geschaffen. Wir in Deutschland haben zwar bereits seit dem Jahre 2010 ein nationales Gesetz zu diesem Thema gehabt, aber wir gehen mit diesem Gesetz doch deutlich weiter, als wir es national getan haben. Wenn Banken in die Schieflage geraten, wenn sie saniert oder abgewickelt werden müssen, dann wird zum ersten Mal nicht der Steuerzahler herangezogen. Wie schaffen wir das? Wenn jemand in die Schieflage gerät, wird zuerst der Eigentümer herangezogen. Natürlich haben viele Eigentümer von Bankaktien in der Krise Geld verloren. Wer auf dem Höhepunkt im Jahre 2008 eingestiegen ist, hat mit Commerzbank-Aktien über 90 Prozent verloren. Aber hier geht es darum, dass dem Eigentümer, dem Aktionär, Geld entzogen wird. Er verliert eventuell sein gesamtes Geld. Wenn das nicht ausreicht, dann werden die Gläubiger herangezogen, und zwar nicht die kleinen Gläubiger, die wir als Eigentümer von Einlagen bis 100 000 Euro definieren, sondern die Eigentümer, deren Einlagen darüber hinausgehen. Ihr Guthaben bei einer Bank wird in haftendes Eigenkapital der Bank umgewandelt. Das heißt, jeder ist selbst dafür verantwortlich, wem er sein Geld anvertraut. Wenn er es einer Bank anvertraut hat, die ihm hohe Zinsen geboten hat, aber hinterher nicht liquide ist, dann muss er mit dafür haften. Eigentümer und Gläubiger müssen in Zukunft haften, wenn eine Bank in Schieflage gerät. ({3}) Wir haben aber auch deutlich gemacht, dass wir uns für den Fall, dass das alles nicht ausreichen sollte, das Modell einer gemeinsamen Haftung in Form eines gemeinsamen Fonds vorstellen können. Wer die Anhörungen in der letzten Zeit, die Fachgespräche, die Gespräche mit der Europäischen Kommission, mit der Bundesbank verfolgt hat, wird doch als Ergebnis mitnehmen, dass der Chef des Euro-Rettungsschirmes ESM, Herr Regling, gesagt hat: Wenn wir diese Gesetzeslage im Jahre 2008 gehabt hätten, dann wären nicht Hunderte von Banken europaweit in die Schieflage geraten, sondern es wären nur zwei oder drei Banken gewesen, und die Schieflage hätte im einstelligen Milliardenbereich gelegen. - Das heißt, wenn wir das schon damals gehabt hätten, wäre es eine völlig andere Situation gewesen. Deswegen sollten wir stolz darauf sein, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden, das die Steuerzahler wirklich von der Haftung befreit. ({4}) Wir haben zur Absicherung noch einen europäischen Fonds geschaffen. Wir haben natürlich darüber diskutiert: Wie kann ein solcher Fonds finanziert werden? Er wird 1 Prozent der gedeckten Einlagen umfassen müssen. Er wird nicht vom Staat, sondern von den Banken finanziert. Die Banken müssen dafür in den nächsten acht Jahren 55 Milliarden Euro bereitstellen. Unsere zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist: Wer finanziert einen solchen Fonds? Wer bezahlt das Ganze? - Natürlich müssen die Großen, von denen die Risiken ausgehen, den Hauptteil tragen. Aber wir diskutieren immer auch über die Frage: Wie gehen wir mit kleinen Banken, mit Sparkassen und mit Volksbanken um? Wir haben damals in Deutschland einen Freibetrag für kleinere Banken durchsetzen können, weil wir es selbst entscheiden konnten. Auf europäischer Ebene mit nahezu 6 000 Banken ist es natürlich schwieriger, Entscheidungen dieser Art zu treffen, weil sich jedes Land in einer unterschiedlichen Situation befindet. Auch hier muss ich dem Finanzminister Schäuble dafür danken, dass sich die deutsche Bundesregierung immer wieder dafür eingesetzt hat, dass gerade die Kleinen nicht so belastet werden wie die Großen. Herr Schäuble, ich danke Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich, dass Sie zu dieser Forderung des Deutschen Bundestages immer wieder gestanden haben. ({5}) Die Opposition wird natürlich darauf hinweisen, dass das alles nicht ausreicht, dass die Kleinen trotzdem wieder zu stark belastet werden. ({6}) Wir haben auch bei kleinen Banken gesehen - übrigens auch bei Sparkassen im Verbund mit der Westdeutschen Landesbank -, wo überall Risiken stecken. Insofern glaube ich, wir haben hier eine sehr gute Lösung gefunden. Meine Damen und Herren, auch in Zukunft wird immer wieder die Diskussion geführt werden, ob der Staat nicht doch irgendwo haften muss. Wenn diese drei Maßnahmen - Eigentümer, Gläubiger und Fonds - nicht ausreichen sollten, sind Länder selbst verpflichtet, die Finanzierung der Banken vorzunehmen. ({7}) Wenn sie das dann immer noch nicht können, können sie Hilfe aus dem Rettungsschirm beantragen. Sie bekommen eine Unterstützung, aber natürlich, wie wir es kennen, in Verbindung mit einem vollen Programm. Damit geben sie ein Stück ihrer Eigenständigkeit auf. Es wird auch die direkte Bankenrekapitalisierung diskutiert, die im Jahr 2012 natürlich von großer Bedeutung war. Sie müssen bedenken, dass Kommission, Regling und Bundesbank sagen: Das wäre damals nicht passiert. Klaus-Peter Flosbach An fünfter Stelle ist jetzt also auch eine Rekapitalisierung möglich, aber nur, wenn alle auf der europäischen Ebene zustimmen und auch wir als Deutscher Bundestag, die wir das Haushaltsrecht haben. Wer heute behauptet, es gebe eine direkte Bankenrekapitalisierung insofern, als wir es zulassen, dass auf europäisches Geld zurückgegriffen wird, der stellt die Dinge falsch dar und dem werden wir so nicht zustimmen können. ({8}) Meine Damen und Herren, in den letzten sechs Jahren haben wir 30 Gesetze verabschiedet, um Stabilität auf den Finanzmärkten herzustellen. Denken Sie nur an das große Abkommen Basel III: mehr Eigenkapital für die Banken, mehr Liquidität, eine andere Liquidität in den Banken. Wir haben die Testamente gefordert. Wir haben Trennbankensysteme eingeführt. Wir haben außerbörsliche Derivate geregelt. Wir haben im Grunde eine europäische Aufsicht auch im Systemrisikobereich geschaffen. Wir haben also die Jahre genutzt, um auf vielfältige Weise dafür zu sorgen, dass wir wieder einen stabilen Finanzmarkt in Europa bekommen. Wir verabschieden heute gemeinsam mit der Bundesregierung ein Gesetz, das genau das abschließt, was wir sechs Jahre lang in Teilschritten betrieben haben. Wir erleben heute sicherlich den Höhepunkt. Es ist eines der wichtigsten europäischen Finanzgesetze, mit dem Haftung und Verantwortung wieder zusammengeführt werden, mit dem erreicht wird, dass dann, wenn Banken in eine Schieflage geraten, nicht die Steuerzahler, sondern die Banken selbst herangezogen werden. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort Alexander Ulrich. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag kann man sagen: versprochen - gebrochen. ({0}) Nach der verheerenden Wirtschafts- und Finanzkrise hatte die Bundeskanzlerin versprochen, dass nie wieder der Steuerzahler für marode Banken haften soll. Aber spätestens am heutigen Tag ist klar, dass auch zukünftig die Steuerzahler dafür haften werden - wir werden das heute noch einmal klarlegen -; wir als Linke lehnen das ab. ({1}) Hätte es die Bankenunion schon 2007 gegeben, Herr Flosbach, hätte es also das, was uns heute vorliegt, damals schon gegeben, so hätte uns das gegen die Finanzkrise nicht geschützt. James White von der Europäischen Finanzmarkt-Assoziation hat die Bankenunion als ein entscheidendes Projekt bezeichnet, das die Marktintegration voranbringt, die Finanzmärkte stärkt und Vertrauen in die europäische Wirtschaft schafft. Kolleginnen und Kollegen, wenn die Interessenvertreter der Großbanken über ein Regulierungsprojekt derart ins Schwärmen kommen, dann muss sich die Politik fragen, was sie falsch gemacht hat. Dazu fällt mir eine Menge ein: Zuerst haben Sie Eigenkapitalregeln festgelegt, die viel zu schwach sind. Lehman hatte kurz vor der Pleite noch 11 Prozent Kernkapital. Sie haben sich in der EU auf 8 Prozent verständigt, und diese 8 Prozent sind nicht nur Mindest-, sondern zugleich auch Höchstgrenze. Das ist keine Finanzregulierung. Das ist Deregulierung. ({2}) Dann haben Sie die Aufsicht über die Großbanken an die EZB übertragen, eine Institution, die kraft ihrer Statuten frei von demokratischer Kontrolle ist und die aufgrund ihrer geldpolitischen Rolle ganz offenkundig in einen Interessenkonflikt gerät. Und nun beschließen Sie einen Abwicklungsmechanismus, der festlegt, dass die Gläubiger und Eigentümer von Pleitebanken künftig mit 8 Prozent der Bilanzsumme an den Kosten beteiligt werden sollen. Danach ist der Steuerzahler wieder dran. Das gleiche Schonprogramm gegenüber den Banken legen Sie beim Abwicklungsfonds an den Tag. 55 Milliarden Euro sollen sie einzahlen - bis 2024. Das ist viel zu spät und viel zu wenig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bankenrettungen der letzten Jahre haben uns 1 700 Milliarden Euro gekostet. Riskiert wurden sogar über 4 000 Milliarden Euro. Nun sollen 55 Milliarden Euro dafür sorgen, dass die Steuerzahler nie wieder für marode Banken haften müssen? Das ist wirklich ein schlechter Witz. Aber noch schlimmer als das, was Sie im Rahmen dieser Bankenunion gemacht haben, ist, was Sie nicht machen: Sie geben keine Antwort auf die enorme Konzentration im Finanzsektor, die einzelne Institute in die Lage versetzt, Staaten zu erpressen. Sie geben auch keine Antwort auf das Problem des riesigen Einflusses der Finanzlobbys. Allein in Brüssel sind 1 700 Finanzlobbyisten beschäftigt. ({3}) Es ist kein Wunder, dass die Finanzjongleure ins Schwärmen kommen. Diese Bankenunion ist für sie maßgeschneidert. Wenn Sie es ernst damit meinen, die Steuerzahler zu schützen, dann lehnen Sie die Richtlinien und Verordnungen zur Bankenabwicklung ab. ({4}) Wir brauchen diese Bankenunion nicht. ({5}) Wir brauchen eine strenge Regulierung, eine Entflechtung und Schrumpfung des Finanzsektors. Wir brauchen ein Trennbankensystem und eine Zerlegung der Großbanken in kleinere Einheiten. Es muss sichergestellt werden, dass nie wieder die Steuerzahler für die perverse Zockerei der Finanzmafia haften müssen. ({6}) Zudem brauchen wir eine demokratische Kontrolle und ein Ende des enormen Einflusses der Bankenlobbys. Über all das wird heute aber nicht abgestimmt. Diese Bankenunion kratzt nicht einmal an der Oberfläche der eigentlichen Probleme im Finanzsektor. Wir werden ihr daher nicht zustimmen. Vielen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Johannes Kahrs, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Flosbach hat hier ausgeführt, wie der Vorgang vonstattengehen soll. Der Kollege Ulrich hat aber leider nicht zugehört. Hätte er zugehört, hätte er seine Rede gar nicht so halten können, wie er sie gehalten hat, ({0}) oder er hat sie nicht verstanden; man soll aber nicht gleich das Schlimmste annehmen. Im Kern wird von der Linken hier wieder an einer alten Legende gestrickt: Die fiesen Banken werden vom Steuerzahler finanziert; damit werden nur Lobbys bedient. ({1}) Wer braucht überhaupt Banken? - Sie zielen damit auf eine gewisse Zielgruppe ab, darauf, 10 bis 12 Prozent der Bevölkerung in Verwirrung zu stürzen, damit diese Menschen glauben, dass ihre Steuergelder ausgegeben werden, um Lobbys, Verbände und andere zu retten. ({2}) Ehrlich gesagt: Das ist doch etwas schlicht, selbst für die Linke. Ich meine, Sie mögen zwar schlichte Strickmuster; aber das muss doch nicht immer so sein. Hier liegen mehrere Gesetzentwürfe vor, mit denen dafür gesorgt werden soll, dass die Verfahren vernünftig ablaufen. Das ist Ihnen eben alles erklärt worden. Aber wenn Sie im Kern sagen, dass hier der Steuerzahler wieder die Banken finanzieren soll, die nichts geregelt kriegen, dann muss ich Ihnen doch einmal sagen, wozu wir die Banken brauchen: Die Bürger haben eine enge Verbindung zu den Banken. Die Banken finanzieren den Mittelstand, und jeder, der eine Lebensversicherung hat, braucht eine Bank. Die Wirtschaft, die Unternehmen, die ihre Geschäfte abwickeln, brauchen die Banken ebenfalls. ({3}) - Na, ich versuche, Ihnen das so zu erklären, dass Sie es auch verstehen. Dazu muss ich mich leider auf Ihr Niveau begeben; das ist mein Problem. ({4}) Das heißt, wenn Sie hier schlicht argumentieren, müssen wir auch schlicht darauf antworten. Sonst geht es mir wie dem Kollegen Flosbach, der Ihnen das hier erklärt hat, aber Sie haben es nicht verstanden. Das ist doch jedes Mal das gleiche Strickmuster. So kommen wir doch nicht miteinander klar. ({5}) Ich habe mich deswegen entschieden, meine Rede zur Seite zu legen und zu versuchen, Ihnen das auf Ihrem Niveau zu erklären. Erstens. Die Menschen, die Industrie und der Mittelstand brauchen ein funktionierendes Bankensystem. Zweitens. Wir wollen, dass dieses funktionierende Bankensystem Bestand hat. Drittens. Wir alle sind überzeugte Europäer. Wir wollen, dass das auch in Europa funktioniert. Viertens. Wir wissen, dass in anderen europäischen Staaten - ob in Griechenland, Spanien oder anderswo ein Aufschwung nur möglich ist und eine Wirtschaft nur funktionieren wird, wenn auch sie ein funktionierendes Bankensystem haben. Fünftens - das kann man alles weiter herunterdeklinieren - brauchen auch diese Staaten Banken, wenn die Wirtschaft dort funktionieren soll; denn wir müssen am Ende doch klarkommen. Zu der dümmlichen Argumentation, mit der Sie hier aufgetreten sind, hier würden wieder Lobbys und Banken versorgt, kann ich nur sagen: ({6}) Die Banken sind ein integraler Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. Wenn diese Banken ausfallen, dann geht noch sehr viel mehr den Bach runter. Viel schlichter kann ich das nicht erklären. ({7}) - Wenn Sie sagen, wir hätten keine Lehren gezogen, dann frage ich Sie, warum wir hier eine Debatte über zwei von uns vorgelegte Gesetze führen, in denen wir genau diese Lehren durchdeklinieren. ({8}) Was soll man denn in diesem Hohen Hause sonst noch machen? Man stößt doch an die Grenzen von Rationalität, wenn nicht zugehört oder verstanden wird. Das ist doch die Grundlage eines parlamentarischen Systems. Wenn Sie sich das Ganze anschauen, dann werden Sie feststellen, dass wir der Meinung sind, dass dieser europäische Bankensektor sicherer gemacht werden muss. Das haben wir auch vor. Deswegen stehen wir hier. Wir als Sozialdemokraten haben einer direkten Bankenrekapitalisierung immer kritisch gegenübergestanden und stehen ihr auch heute noch kritisch gegenüber. ({9}) - Lesen bildet, denken hilft; Herr Kollege, ich schätze Sie sehr. - Deswegen haben wir - wenn man in den Gesetzentwurf schaut, wird man das erkennen - sehr viele Hürden aufgebaut, die dazu führen sollen, dass eben nicht der Steuerzahler gefordert wird, sondern, wie vom Kollegen Flosbach mehrfach ausgeführt wurde, zunächst die Eigentümer, die Unternehmen und die Aktionäre gefordert werden, bevor wir an der Reihe sind. Wir haben auf europäischer Ebene verhandelt, um den Zugang zu ESM-Hilfen so anspruchsvoll zu gestalten, wie es hier dargestellt worden ist, damit das der absolute Notfall ist, damit es eine Haftungskaskade gibt. Das ist Ihnen doch alles mehrfach erklärt worden. Im Sommer 2012 haben einige gedacht, dass das ein Weg für die maroden europäischen Banken wäre, schnell an ESM-Geld zu kommen. Das wollten wir nicht. Es darf keinen schnellen Zugang zu diesem Geld geben; das muss im Rahmen der Haftungskaskade in sehr vielen Stufen ausgeschlossen werden. Das ist Ihnen hier klar gesagt worden. Gleichzeitig sorgen wir mit den hier vorgelegten Gesetzen dafür, dass der Deutsche Bundestag beteiligt wird, dass der Haushaltsausschuss beteiligt wird, dass das nicht in irgendwelche Untergremien geschoben wird, weil wir keine Lust haben, wieder von irgendwem vor dem Verfassungsgericht verklagt zu werden. Wir wollen, dass der Bundestag beteiligt wird. Wir wollen, dass der Bundestag entscheidet. Wir wollen, dass der Bundestag mitreden kann; denn es geht um das Geld der Steuerzahler. Das ist hier alles, glaube ich, klar erläutert worden. ({10}) Wenn man das der Linken noch einmal sagen darf: Es bringt überhaupt nichts, hier irgendwelche großen Theorien in die Welt zu setzen und zu versuchen, die Bevölkerung zu verunsichern. Das führt im Ergebnis nicht zu dem, was nicht nur wir, sondern auch Sie wollen: dass es einen vernünftigen Umgang mit den Banken gibt. Wir wollen, dass der Bankensektor vernünftig reguliert wird. Eine Bank muss auch einmal pleitegehen können, aber so, dass die Spareinlagen von Privatpersonen nicht betroffen sind. Das ist jetzt hier alles geregelt worden. Dafür haben wir Sozialdemokraten uns lange eingesetzt, schon als wir in der Opposition waren. Jetzt, wo wir mitregieren, läuft das alles sehr viel besser. Dem Kollegen Flosbach konnte man ja anhören, dass vieles aus sozialdemokratischer Feder stammt. Insofern wirkt diese Große Koalition. Sie funktioniert, und das ist gut. Nur die Linke hat es nicht verstanden. Das ist aber nichts Neues. Vielen Dank. ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den etwas schlichten Reden, sowohl des Kollegen Ulrich als auch des Kollegen Kahrs, will ich wieder zum Thema der Debatte zurückkommen. ({0}) Wenn wir heute über die Bankenunion und den ESM reden, dann dürfen wir, finde ich, nicht vergessen, was der Hauptgrund für die immer noch andauernde Finanzkrise in Europa war. Hauptgrund waren und sind die hohen Schulden des Bankensystems. Bis 2008 hatten Länder wie Irland oder Spanien zum Beispiel deutlich bessere Haushaltszahlen als Deutschland. Aber in diesen Ländern gab es einen überbordenden Banken- und Immobiliensektor. In der Krise sind dann aus diesen Bankschulden Staatsschulden geworden. Nach Angaben der Europäischen Kommission haben die europäischen Staaten von 2008 bis 2012 rund 600 Milliarden Euro für den Bankensektor bereitgestellt; rund 80 Prozent davon entfielen auf Griechenland, Irland, Spanien und Portugal. Dieses Geld fehlt uns heute für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Dieses Geld fehlt uns heute für Investitionen. Wir Grüne sagen klar für die Zukunft: Es muss in Europa endlich Schluss damit sein, dass Bankschulden in Staatsschulden umgewandelt werden, dass die Staatshaushalte und die Steuerzahler für die Bankenrettung aufkommen. ({1}) Wir dürfen nicht vergessen: Woran lag diese falsche Krisenpolitik in den letzten Jahren in Europa? Das lag auch daran, dass wir keinen Lösungsmechanismus hatten für stark vernetzte Banken in Europa, für die Abwicklung und die Kontrolle. Die Bundesregierung, vor allen Dingen Bundesfinanzminister Schäuble, hat das in den letzten Jahren auf europäischer Ebene immer blockiert und torpediert; sie hat immer nur die nationale Karte gespielt. Dass die Krise im Bankensektor die Staaten in Europa so viel Geld gekostet hat, dass sie sich so verschärft hat, dafür ist auch die deutsche Bundesregierung verantwortlich. Das war nicht pro-europäisch, das war national borniert. Und: Das war und ist am Ende ganz teuer für Europa. ({2}) Dieser Logik der nationalen Bankenrettung mit Steuergeldern folgt leider auch die Umsetzung der BRRDRichtlinie in Deutschland. Auf europäischer Ebene soll ein Rechtsrahmen bezüglich der Bankenunion geschaffen werden. Trotzdem will die Bundesregierung mit dem SoFFin nationale Steuermittel weiter ins Schaufenster stellen. Wir Grüne beantragen heute, dass der SoFFin nicht um ein weiteres Jahr verlängert wird. Das wäre das falsche Signal und würde auch dem Grundgedanken der europäischen Lösung widersprechen. ({3}) Wir Grüne haben von Anfang an eine europäische Bankenunion gefordert. Wir brauchen eine gemeinsame Kontrolle, ein gemeinsames Abwägen, auch harte Regelungen, damit Eigentümer und Gläubiger in der Krise zahlen und nicht wieder die Steuerzahler für die Bankenrettung eintreten müssen. Wir sollten aber auch nicht vergessen, wer die entscheidenden Fortschritte auf europäischer Ebene durchgesetzt hat. Das war nicht die Bundesregierung. Im Gegenteil: In der entscheidenden Nacht hat sich das Europäische Parlament bei den zentralen Fragen wie einer effektiven Bankenabwicklung ganz klar gegen den Europäischen Rat und Wolfgang Schäuble durchgesetzt. Das war auch dringend notwendig und gut so. ({4}) Leider hat sich an einer anderen entscheidenden Stelle die deutsche Bundesregierung durchgesetzt, und zwar bei der Frage des intergouvernementalen Übereinkommens, kurz: IGA. ({5}) - Ja, bei einem ganz zentralen, europapolitisch bedenklichen Punkt, nämlich bei der IGA. - Was heißt IGA? Es geht darum, dass bis 2024, was viel zu lange ist, die national erhobenen Bankenbeiträge für den Abwicklungsfonds in einem zwischenstaatlichen Vertrag geregelt werden sollen. Das heißt, das europäische Recht wird hier ausgehebelt; das Europäische Parlament wird in seinen Rechten beschnitten. Die deutsche Bundesregierung war mit dieser Haltung in Europa isoliert. Kein anderer Mitgliedstaat und nicht das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission haben diese Rechtsauffassung geteilt. Denn was innerhalb des europäischen Rechts geregelt werden kann, darf nicht in zwischenstaatliche Verträge zulasten des Europäischen Parlaments outgesourct werden. Dieser Vorfall - das sage ich ganz deutlich - ist ein Präzedenzfall für die europäische Demokratie. Er untergräbt die europäische Demokratie. Gerade in der Krise brauchen wir aber keine weitere Schwächung, sondern eine Stärkung des europäischen Parlaments. Darum geht es. ({6}) Weil wir Grüne die Bankenunion mit der gemeinsamen Abwicklung immer gefordert haben, werden wir heute trotz unserer Kritik am SoFFin für die BRRDRichtlinie stimmen. Bezogen auf IGA, das intergouvernementale Übereinkommen, werden wir uns enthalten und es deshalb nicht ablehnen, weil wir zum Ausdruck bringen wollen, dass wir die Bankenunion und die Abwicklung unterstützen. Gleichzeitig wollen wir klarstellen, dass sich eine solche Umgehung der europäischen Demokratie nicht wiederholen darf. ({7}) Das neue Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung beim ESM lehnen wir Grüne ab; denn hier wird wieder Steuergeld ins Schaufenster gestellt und eine Parallelstruktur zur europäischen Bankenunion aufgebaut. Es ist hochproblematisch, dass der gemeinsame Abwicklungsfonds erst 2024 eingerichtet werden soll. Das heißt, für diese Zeit braucht man einen Letztsicherungsmechanismus, einen sogenannten Common Backstop. Das kann der ESM aber nicht leisten, jedenfalls nicht mit der direkten Bankenrekapitalisierung. Der ESM hat nicht die Kapazität und nicht die Expertise beim Management von maroden Banken. Gleichzeitig sind die Steuerzahler wieder in der Haftung. Deswegen sagen wir: Wir wollen eine Kreditlinie vom ESM als Common Backstop, weil klar ist, dass der Abwicklungsfonds die Banken abwickelt und restrukturiert und die Kredite außerdem zurückgezahlt werden müssen. Das heißt, nicht die Steuerzahler, sondern die Banken sind nachher in der Verantwortung. Das ist die richtige Lösung. Deswegen lehnen wir heute die Einführung der direkten Bankenrekapitalisierung beim ESM klar ab. ({8}) Es ist schon angesprochen worden: Natürlich ist die Einführung der Bankenunion ein wichtiger Schritt für die Regulierung des Bankensektors. Das reicht aber nicht. Wir haben immer noch ein Problem mit Großbanken in Europa. Wir haben das Problem, dass es immer noch eine implizite Staatsgarantie für Großbanken gibt. Großbanken können am Finanzmarkt spekulieren und zocken, ohne dass sie reguliert werden. Leider ist es auch so, dass die Bankenabgabe das Problem nicht löst. Mit der Einführung eines Risikofaktors geht man völlig unzureichend auf das Problem Großbanken ein. Die Risiken, das systemische Risiko und die Too-big-to-failProblematik, werden nicht angemessen berücksichtigt. Nachher werden wahrscheinlich mittelgroße Banken mit einem risikoarmen Geschäftsmodell die Zeche zahlen. Ich finde aber, dass es noch nicht zu spät ist. Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt. Im Europäischen Parlament kämpft man jetzt darum, das zu stoppen und Änderungen einzubringen. Ich fordere die Bundesregierung und auch die Parlamentarier von CDU/CSU und SPD auf, hier Änderungen herbeizuführen. Großbanken müssen bei der Bankenabgabe den Hauptbeitrag leisten - das wäre nur fair und gerecht -, nicht kleine und mittlere Banken. ({9}) Wir müssen das Großbankenproblem angehen; es ist weiterhin nicht gelöst. Es müssen weitere Schritte folgen. Wir brauchen ein echtes, hartes Trennbankensystem. Wir brauchen ein scharfes Wettbewerbsrecht mit einer Bankenfusionskontrolle. Wir brauchen eine höhere Leverage Ratio, damit nachher nicht wieder die Steuerzahler die Verluste von Großbanken ausgleichen müssen. Die Schaffung der Bankenunion ist nur der erste Schritt; es müssen weitere wichtige Schritte und Reformen für eine konsequente Regulierung des Bankensektors folgen. Vielen Dank. ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetzespaket zur Schaffung der Bankenunion, das wir heute verabschieden, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den Euro, die europäische Währung, nach der infolge der Finanz- und Bankenkrise entstandenen Euro-Krise zu stabilisieren. Wir waren in den letzten Jahren mit der Schaffung des Rettungsschirms und den Programmen für die Länder sehr erfolgreich. Die Finanzmärkte vertrauen der europäischen Währung bei allen konjunkturellen Schwierigkeiten in einem starken Maße. Bei der Schaffung einer Bankenunion ist die Trennung der Risiken im Bankensektor, die in der Entstehungsphase dieser Krise im Hinblick auf die Staatsverschuldung in der Tat eine Rolle gespielt haben - Herr Kollege Kindler, Ihre Äußerungen waren ein bisschen widersprüchlich -, ein zentrales Anliegen. Deswegen ist das, was wir heute schaffen, ein wichtiger Schritt. Ich habe noch nicht ganz verstanden, was Sie daran kritisieren. Es war völlig widersprüchlich, wie Sie hier argumentiert haben. ({0}) Wir ziehen zwei Lehren. Erstens: Mit der Schaffung der Bankenunion, mit der Schaffung einer Bankenaufsicht, die für die grenzüberschreitend agierenden, systemrelevanten Institute zuständig ist, machen wir den Euro stabil. Wir tun das übrigens im europäischen Rechtsrahmen; denn, Herr Kollege Kindler, mit der Demokratie ist es so: Sie macht nur Sinn, wenn sie mit dem Rechtsstaatsprinzip einhergeht. Deswegen müssen wir uns in Europa im Rahmen der Verträge an komplizierte rechtliche Grundlagen halten. Deswegen gibt es keine andere europäische Institution als die Europäische Zentralbank, die eine Bankenaufsicht machen kann, solange wir nicht eine Vertragsänderung zustande bringen. Das ist Tatsache; deswegen geht es nicht anders. ({1}) Wir müssen im Zusammenhang mit der Bankenaufsicht darauf achten, dass bei der Europäischen Zentralbank die klare Trennung zwischen der Wahrnehmung der geldpolitischen Verantwortung, bei der sie unabhängig ist, auf der einen Seite und der Bankenaufsicht auf der anderen Seite erhalten bleibt, so wie es auf nationaler Ebene bei der bewährten Arbeitsteilung zwischen BaFin und Bundesbank immer der Fall war. Zweitens: Wir können die Haftung in Europa nur insoweit vergemeinschaften, wie wir auch die Entscheidungszuständigkeit vergemeinschaftet haben. Auch da werden wir durch die europäischen Verträge begrenzt. In diesem Rechtsrahmen wäre es falsch, bei der Schaffung der Bankenabgabe einen anderen Weg als den zu gehen, den wir mit dem intergouvernementalen Abkommen gegangen sind. Wir wären übrigens bei der ersten Klage beim ersten Gericht in Europa damit gescheitert. Die Schaffung von Rechtsgrundlagen, die nicht rechtssicher sind, ist keine Lösung für Probleme, die Stabilität und Rechtssicherheit schaffen sollen. Deswegen - Herr Kollege Kindler, möglicherweise haben Sie es nicht verstanden - war es wichtig, dass es uns gelungen ist, sicherzustellen, dass das Werk, das wir heute für die Bankenunion zustande bringen, auf einer sicheren Rechtsgrundlage steht. ({2}) - Herr Kollege Kauder, die Wahl lasse ich Ihnen, ob er es nicht verstanden hat. Wenn er wider besseres Wissen die Dinge falsch darstellt, ist es schlimmer. ({3}) - Ich habe ihn noch geschützt? Also gut, das ist mir gerade egal. Ich muss nur für den Rest des Hauses und für diejenigen, die uns von außerhalb zuhören, ein Stück weit klarstellen, warum wir das so machen. Die Europäische Bankenaufsicht funktioniert seit dem 4. November. Wir hatten den Stresstest. Die Banken, die in die Aufsicht übernommen worden sind, sind durch die Bilanzprüfung und den Stresstest - das war eine gewaltige Anstrengung sicherer geworden. Sie haben sehr viel mehr Kapital als während der Bankenkrise. Das ist ein wichtiger Erfolg. 25 Banken haben den Stresstest nicht bestanden. Davon hatten 12 - darunter die einzige deutsche betroffene Bank -, weil sich der Stresstest auf die Bilanzzahl Ende 2013 bezogen hat, auf Anordnung der nationalen Bankenaufsicht - bei uns: die BaFin - bereits das Notwendige veranlasst, sodass lediglich 13 Banken in Europa einen zusätzlichen Bedarf haben. Das Zweite, was wir mit diesem Gesetzespaket erreichen, ist, dass wir sicherstellen, dass in Zukunft nicht mehr der Steuerzahler haftet, dass also das, was man in der internationalen Sprache „Moral Hazard“ nennt, dass die einen die Geschäfte machen und die anderen nachher die Haftung dafür tragen, beendet wird. Deswegen haben wir die klare Haftungskaskade, wie es der Kollege Flosbach dargestellt hat: Zunächst haften die Eigentümer. Wenn die Eigentümer nicht ausreichen, dann haften die Anleger, die höhere Renditen und höhere Zinsen bekommen haben. Höhere Renditen haben etwas mit höherem Risiko zu tun. Wenn sich das Risiko einmal verwirklicht, ist das eben die Gegenseite. Deswegen ist diese 8-prozentige vorrangige Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern der entscheidende Schritt sowohl in der europäischen Regelung, die für alle 28 Mitgliedsländer gilt, als auch in der Bankenunion für die Europäische Bankenaufsicht. ({4}) Darüber hinaus haben wir Regelungen. National haben wir schon einen Vorgriff gemacht: Seit 2011 haben wir das Gesetz. Jetzt schaffen wir es als eine Rechtsverpflichtung für alle europäischen Länder, dass die Banken selber Fonds aufbauen müssen, sodass dann, wenn eine Bank in Notlage ist, wenn die Bail-in-Fähigen, also die Beteiligungen von Eigentümern und bestimmten Anlegern, nicht mehr ausreichen, ein Solidarfonds der Banken die Haftung übernimmt. Für die Europäische Bankenunion machen wir das mit einem gemeinsamen Fonds, der im Wesentlichen durch die systemrelevanten großen Banken bezahlt wird. Deswegen haben wir erreicht, dass die Großzahl der Sparkassen und der Kreditgenossenschaften nur mit einer Pauschalsumme ihren Beitrag zu diesem Fonds leistet und dass dies eben nicht entsprechend den Regeln der Proportionalität wie bei den großen systemrelevanten Banken geschieht. Bis zu einer Bilanzsumme in Höhe von 1 Milliarde Euro müssen sie nur eine Pauschalsumme zahlen. Wir haben auch ein Optionsrecht eingeführt. Wir werden davon Gebrauch machen - darüber ist sich die Bundesregierung einig -, dass man die Grenze bis 3 Milliarden Euro anheben kann. ({5}) Das heißt: Wir haben die Interessen der Kleinbanken geschützt. Jetzt kommt der Punkt: Nach dem Bail-in haftet der Fonds. Nun bleibt die Frage: Was ist, wenn der Fonds das Geld noch gar nicht hat? Mit Ihrer These, nach der wir die intergouvernementale Abgabe und all die schönen Dinge nicht machen sollten, hätten Sie vom ersten Tag an, weil es den Fonds noch gar nicht gibt, die Haftung der Staaten vergemeinschaftet und vom Tage des Inkrafttretens an bei jeder anderen Regelung die Situation gehabt, dass der deutsche Steuerzahler am Ende für die Banken aller anderen europäischen Länder die Risiken getragen hätte. Deswegen haben wir darauf bestanden, dass die Haftung erst im Rahmen des Bankenfonds vergemeinschaftet wird, wenn die Beiträge eingezahlt sind, und nicht schon zuvor. Denn dann hätten wir erreicht, dass Sie hinterher wieder kritisiert hätten - ({6}) - Herr Kollege Schick, vielleicht machen Sie von den Regeln der Geschäftsordnung Gebrauch. ({7}) - Ja gut, dann will ich darauf antworten, wenn Sie mir die Chance dazu geben. Solange in den Fonds nicht einbezahlt ist, hat der Fonds keine schützende Wirkung. Das ist immer so im Leben. Erst müssen die Mittel in den Fonds einbezahlt werden; denn sonst bleibt das Problem: Wer haftet? Wir haben gesagt: Solange die Mittel nicht einbezahlt sind, bleibt die Verantwortung bei den Mitgliedstaaten. Deswegen haben wir auch gesagt: So lange brauchen wir notfalls noch den SoFFin, damit jede Beunruhigung, jede Destabilisierung, jede Sorge in einer möglicherweise krisenhaften Situation von vornherein ausgeschlossen ist. Ich verstehe daher überhaupt nicht, warum Sie jetzt dafür plädieren, den SoFFin zu schließen. Das ist reine Polemik und sachlich überhaupt nicht zu begründen. ({8}) Herr Kollege Schick, sobald wir die Mittel in den europäischen Fonds - ich bin jetzt wieder im Bereich der Bankenunion - einbezahlt haben, gibt es eine solidarische Haftung aller Banken, die der Bankenunion angehören, für die Risiken aller Banken. Es ist eben nicht mehr eine solidarische Haftung der Steuerzahler in Europa für die Fehler, die in anderen europäischen Ländern gemacht wurden; das ist der Unterschied. Die Solidarität im europäischen Bankensektor ist Teil der Bankenunion, aber eine Vergemeinschaftung der Haftung über das hinaus, was wir im Zuge des europäischen Rettungssystems vereinbart haben, ist das nicht. Zur Frage der direkten Bankenrekapitalisierung. Sie haben uns, insbesondere mich, kritisiert. Das war, ehrlich gesagt, vom Niveau her auch nicht besser, Herr Kahrs - das war ein bisschen vornehmer dahergeschwätzt -, als das, was der Kollege von der Linkspartei zunächst gesagt hatte. ({9}) Bei allem Respekt: Das war ohne Sinn und Gehalt. Wir haben es doch nicht blockiert, wir haben es vorangetrieben. ({10}) Wir haben darauf geachtet, dass die direkte Bankenrekapitalisierung nicht zum Einfallstor wird, um durch die Hintertür doch die Haftung für die Bankschulden zu vergemeinschaften. Genau das war der Punkt. ({11}) - Sie müssen mir schon die Chance geben, ein paar Sätze ohne Unterbrechung zu sagen. - Deswegen haben wir eine klare Haftungskaskade vereinbart. Sie funktioniert so: Wenn eine Bank notleidend wird, dann stehen zunächst Eigentümer und Gläubiger in der Pflicht. Danach kommt der Fonds, in den die Bankenindustrie, entweder die Mitgliedstaaten oder die Bankenunion, einbezahlt. Wenn das auch nicht reicht, dann haftet am Ende der einzelne Staat. Wenn ein Staat aber nicht in der Lage ist, die Mittel dafür aufzubringen - auch diese Situation gab es in den letzten Jahren -, dann kann dieser Staat beim europäischen Rettungsschirm ein Hilfsprogramm beantragen. Es gelten die üblichen Regelungen, die Vereinbarung von Anpassungsprogrammen mit Überwachung und Ähnlichem mehr. Erst wenn auch das gar nicht mehr funktioniert, käme als allerletzte Möglichkeit theoretisch auch in Frage, dass sich der europäische Rettungsschirm selbst - aber dann immer noch unter der Verantwortung des Mitgliedstaats - mit den entsprechenden Anpassungsprogrammen an der Bank beteiligen würde in dem Sinne, dass er übergangsweise Eigentümer wird. Die Kaskade ist eindeutig so geregelt, dass der Haftungsfall sehr unwahrscheinlich wird; um es vorsichtig zu formulieren. Aber ohne die Möglichkeit, dass dies zumindest theoretisch enthalten ist, Herr Kollege Kindler - und das ist der Widerspruch, den ich Ihnen vorwerfe, weil Sie es besser wissen -, hätte es in Europa unter gar keinen Umständen eine Einigung über eine Bankenunion gegeben. Ich gebe zu: Die Erwartungen der Kollegen in Europa waren sehr viel weitgehender. Deswegen ist es Unsinn, dass Sie uns auf der einen Seite vorwerfen, wir hätten die Verhandlungen auf europäischer Ebene erschwert, und auf der anderen Seite gegen die direkte Bankenrekapitalisierung polemisieren. Entweder das eine oder das andere. Wir haben im Zuge der direkten Bankenrekapitalisierung gesagt: Wir gestalten das so schwierig und unwahrscheinlich wie nur irgend möglich. Darauf haben wir in den Verhandlungen geachtet. Wenn wir das geländegängiger gemacht hätten und mit den Geldern der Steuerzahler so umgegangen wären wie Rot-Grün, dann wäre es auf europäischer Ebene einfacher gewesen; das ist wahr. Aber wir haben es anders gemacht. Ich sage es noch einmal: Wir haben ein sehr ausgewogenes Paket. Wir machen damit die Euro-Zone stabiler. Wir sorgen dafür, dass die Steuerzahler nicht mehr die Haftung für die Banken übernehmen. Wir schonen bzw. schützen die Besonderheit des deutschen Finanzsektors, die ihn stark macht. Es ist nämlich gut, dass wir nicht nur große Banken, sondern auch leistungsfähige Sparkassen und Kreditgenossenschaften haben. Wir tragen den Eigenheiten des deutschen Finanzsektors Rechnung. Wir sorgen damit insgesamt dafür, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, damit der Steuerzahler nicht mehr die Haftung für Risiken übernehmen muss, mit denen andere ihre Geschäfte gemacht haben. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzespaket. Wir machen Europa stabiler. Wir stärken Europa. Wir bringen Europa voran und sichern den Steuerzahler. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost, Fraktion Die Linke. ({0}) - Entschuldigung, Herr Kollege Troost. Die Kollege Wagenknecht würde gerne eine Kurzintervention machen.

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eigentlich wollte ich noch eine Frage stellen. Herr Schäuble war aber so schnell vom Rednerpult weg. Deswegen sage ich das jetzt in Form einer Kurzintervention - ich denke, auch Axel Troost wird darauf noch einmal hinweisen -: Ich finde es merkwürdig, wie die Haftungskaskade dargestellt wird. Es wird nicht erwähnt, dass die Verträge eine Klausel enthalten, mit der die Haftungskaskade ausdrücklich ausgesetzt wird. Dort heißt es wörtlich, dass bei einer schweren Störung der Finanzmarktstabilität eben keinerlei Haftungskaskade gilt, sondern unmittelbar Steuergeld fließen kann. Ich finde wirklich, dass man das einfach so wegredet, ist ein Fürdumm-Verkaufen der Öffentlichkeit. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Schäuble, möchten Sie antworten? Bitte schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Wagenknecht, es bleibt dabei: Die Regelungen sind so - die kann jeder nachlesen -, wie wir sie dargestellt haben. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen in Europa gesagt wird: Ja, und was ist, wenn überhaupt nichts mehr geht? Kann dann auch eine andere Situation eintreten? - Aber die Regeln für die Inanspruchnahme von Mitteln des europäischen Rettungsschirms sind eindeutig. Sie stehen auch nicht unter dem Vorbehalt. Das haben Sie nicht richtig dargestellt; tut mir leid. Die Regeln für die Inanspruchnahme von Mitteln aus dem europäischen Stabilisierungssystem stehen nicht unter irgendeiner generalklauselartigen Ausnahmebestimmung. Das ist nicht zutreffend. Das Gegenteil ist die Wahrheit. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Dr. Axel Troost das Wort, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es bleibt dabei: Wir haben massive Kritik an dem vorgelegten Gesetzentwurf, an dem vorgeschlagenen Bankenrettungsfonds. Gestern im Finanzausschuss wurde das als Meilenstein dargestellt. Kollege Brinkhaus hat von einem Dach gesprochen, das das Haus zusammenhält. Aber die grundlegenden Probleme sind für meine Begriffe hier nicht angesprochen worden bzw. wurden harmonisiert. Das erste Problem ist: Man hat die EZB mit dieser Aufgabe betraut, wohlwissend, dass dadurch ein Zielkonflikt entsteht, der ungeheuer groß ist. Die beschworene chinesische Mauer zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht wird es so nicht geben. Bei jeder geldpolitischen Entscheidung, zum Beispiel hinsichtlich des Aufkaufs von Papieren, wird man fragen müssen: Könnte das auch aus der Abteilung Bankenaufsicht kommen, weil bestimmte Banken bestimmte Probleme haben? ({0}) Zweitens. Mit der Zuständigkeit der EZB ist klar, dass man sich auf die Euro-Zone begrenzt hat. Damit ist London - jeder weiß, dass London der größte Finanzplatz Europas ist - eben nicht Teil des Regulierungsbereichs. Das heißt, bei jeder Art von Bankenabwicklung - gleich ob es um deutsche Banken oder Banken aus anderen europäischen Ländern geht - wird es eine Schnittstelle mit der britischen Aufsicht geben, und keiner weiß, ob das wirklich funktionieren wird, ob die Mechanismen greifen werden, wie das ausgelegt wird. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Schnittstelle New York/USA. Insofern sollte man hier nicht so tun, als würde man etwas wirklich Stabiles schaffen. ({1}) Drittens. Man ist nicht in Ansätzen - das ist für mich das Zentrale - an die Frage „too big to fail“ herangegangen. Das Bankensystem und die einzelnen Banken werden nicht massiv verkleinert. Ich will das verdeutlichen: Zehn Banken in der EU haben ein Geschäftsvolumen, das größer ist als die jährliche Wirtschaftsleistung, also das Bruttoinlandsprodukt, von Spanien. Alleine die Deutsche Bank hat ein Bilanzvolumen, das so groß ist wie die gesamte Wirtschaftsleistung Italiens. Solche Banken wollen Sie regulieren? Solche Banken wollen Sie - Stichwort: 8 Prozent - wie auch immer abwickeln, wenn es hier zu Schieflagen kommt? Ich glaube, nicht einmal eine relativ kleine Bank wie die Commerzbank ist in diesem Regime wirklich abwickelbar. Deswegen geht es schon darum, die Banken zu verkleinern. Kollege Kahrs, Ihren arroganten Vortrag hätten Sie sich sparen können. Denn wir sind diejenigen, die sagen: Wir müssen die Rolle der Kreditinstitute wieder auf ihre Kernfunktion, nämlich auf eine der Realwirtschaft dienende Funktion, beschränken. ({2}) Aber diese Situation haben wir ja nicht. Die Bankenlandschaft ist so groß geworden, weil die Banken im Zockergeschäft tätig sind, und nicht, weil sie die Realwirtschaft finanzieren. ({3}) Deswegen muss genau dies angegangen werden. ({4}) Wenn man das systematisch nicht angeht, dann verfehlt man letztlich das eigentliche Ziel. ({5}) Aber das heißt natürlich, sich auch mit den Mächtigen anlegen zu müssen. Das ist in diesem Fall nicht passiert. Kommen wir zu einem Punkt, der für uns zentral ist: zum Bankenrettungsfonds. Minister Schäuble hat eben dargestellt, es gehe dabei um einen Solidarpakt und um die solidarische Haftung für gemeinsame Risiken. Das hört sich gut an. In der Tat sind wir der Ansicht, dass die Branche sowohl zur Begleichung der bisherigen Kosten als auch zur Begleichung zukünftiger Kosten in einen solchen Fonds einzahlen muss. Er müsste viel größer sein. Aber einzahlen müssten diejenigen, die wirklich Risiken erzeugen und mit den Mitteln aus einem solchen Fonds gerettet werden können. Wenn man mit einem solchen Fonds aber letztlich die Bankenlandschaft Deutschlands plattzumachen versucht, indem man deutsche Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei der Zahlung der Beiträge massiv mit heranzieht, dann geht das voll am Thema vorbei, ({6}) weil diese erstens regional organisiert sind, diese Risiken also gar nicht erzeugen, und weil sie zweitens ein jeweils eigenes Sicherungssystem haben. Die retten sich selber; die brauchen keinen Bankenrettungsfonds. Also ergibt es auch überhaupt keinen Sinn, dass sie in einen solchen Bankenrettungsfonds einzahlen. ({7}) Jetzt wird gesagt: Na ja, da haben wir im Prinzip ein Problem. Es gibt eine Kleinbankenregelung, also eine Regelung für Banken mit einer Bilanzsumme von unter 1 Milliarde Euro. - Das hört sich erst einmal gut an, wenn man nicht Bescheid weiß. Wenn man weiß, dass nur 20 Prozent der Sparkassen darunterfallen, heißt das: 80 Prozent liegen darüber. Diese Banken müssen nicht nur einen Beitrag von 1 000 bis 50 000 Euro pro Jahr zahlen, sondern sie müssen deutlich mehr bezahlen. Eben haben wir vom Minister gehört: Es gibt eine Übergangsregelung - diese will man auch in Anspruch nehmen -, die Banken mit einem Bilanzvolumen von 1 bis 3 Milliarden Euro etwas Erleichterung bringt. - Wir haben das einmal im Einzelnen nachgerechnet. Das sind maximal 10 Prozent Ersparnis, und das gegenüber viel, viel höheren Beiträgen, die gezahlt werden müssen. Damit das nicht so abstrakt bleibt, mache ich das einmal ganz konkret mit Blick auf einige mir nachfolgende Redner deutlich. Wir haben in Bad Tölz - das ist der Wahlkreis des CSU-Debattenredners Alexander Radwan eine Sparkasse mit einem Bilanzvolumen von 2 Milliarden Euro. Sie wird, so ist uns im Finanzausschuss vorgerechnet worden, zwischen 240 000 und 300 000 Euro jährlich in diesen Fonds einzahlen müssen, ohne jemals gerettet werden zu können. Nehmen wir die Sparkasse Wuppertal - Kollege Manfred Zöllmer spricht als Nächster -, die Sparkasse einer Stadt, die völlig pleite ist, kein Geld mehr für Schulen, Schwimmbäder, Theater und anderes mehr hat. Diese Sparkasse wird keine Chance mehr haben, Geld gemeinnützig auszuschütten, wenn sie denn Gewinne macht. Sie muss jedes Jahr 900 000 Euro an den Fonds abführen, ohne jemals etwas davon zu haben. ({8}) Wir können aber auch - Kollege Brinkhaus, gut, dass du gerade etwas sagst ({9}) die Volksbank Bielefeld-Gütersloh oder, Kollege Schick, die Volksbank Rhein-Neckar heranziehen. Beide Volksbanken werden entsprechend ihrer Größe jeweils um die 0,5 Millionen Euro jährlich in diesen Fonds einzahlen müssen. ({10}) Dabei ist klar, dass noch niemals eine Volksbank gerettet werden musste, weil die eigenen Sicherungssysteme immer ausgereicht haben. ({11}) - Nein, es bleibt dabei. Das sind alles Beträge, die der Gemeinnützigkeit entzogen werden. Deshalb ist das in dieser Übergangsregelung nicht vernünftig geregelt. ({12}) Deswegen kann ich nur sagen: Gerade bei der Bankenregulierung zeigt sich das gleiche Muster wie bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung der vergangenen 20 Jahre. Auch in diesem Fall findet eine Umverteilung von unten nach oben statt, in diesem Fall von den Sparkassen hin zu den Großbanken. Das lehnen wir ab. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf auf keinen Fall zustimmen. Danke schön. ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Dienstag dieser Woche war wirklich ein historischer Tag. Die Europäische Zentralbank hat an diesem Tag die Aufsicht über die großen Banken in den meisten Ländern in Europa übernommen. Damit ist die erste Säule der Bankenunion sozusagen in Betrieb gegangen. Dies ist ein ganz wichtiger Schritt zur Stabilisierung der Finanzmärkte in Europa, aber auch zur Stabilisierung der Euro-Zone; denn die Finanzmarktkrise war letztlich die zentrale Ursache der Staatsschuldenkrise in Europa. Das wird leider häufig vergessen. Mit der Bankenunion wird ein Geburtsfehler der Euro-Zone behoben. Es gab eine ganze Reihe von Geburtsfehlern der Euro-Zone, damals von Bundeskanzler Kohl und Finanzminister Waigel so verhandelt. Diese Geburtsfehler sind die Ursache für viele Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben. Ich betone das deshalb, weil der von mir soeben angesprochene ehemalige Bundeskanzler Kohl nun in einem Buch versucht, Geschichtsklitterung zu betreiben. Er war unbestreitbar ein großer Europäer, aber die Fehler bei der Einführung des Euro muss er, muss die damalige Bundesregierung verantworten. ({0}) Mit der Einführung der Bankenunion gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung einer europäischen Finanzmarktunion. Dies tun wir in einer Zeit, in der separatistische und nationalistische Strömungen in Europa in vielen Ländern hoffähig geworden sind, in einer Zeit, in der viele sagen, Europa sei in einer veritablen Krise. Die erste Säule ist also die Bankenaufsicht, die es seit Dienstag gibt. Die zweite Säule betrifft die Restrukturierung und Abwicklung. Das ist das, was wir heute beschließen werden. Das Ziel dieses Gesetzes ist klar: In Zukunft sollen die Steuerzahler nicht mehr für die Zockereien von Banken bluten müssen. Auch systemrelevante Banken sollen in einem geordneten Verfahren abgewickelt werden können. Im Insolvenzfall sollen Eigentümer und Gläubiger haften. Damit wollen wir auch auf den Finanzmärkten wieder marktwirtschaftliche Verhältnisse einführen. Risiko und Haftung müssen wieder zusammengehören. Mit diesem Gesetz setzen wir eine europäische Richtlinie um. Dies ist sehr komplex, aber wir haben das sehr gründlich diskutiert. Allein 47 Änderungsanträge haben wir im Finanzausschuss beschlossen. Es gab eine Vorbedingung, die wir an die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs gestellt haben: Wir wollten vor dem Beschluss den Vorschlag der Kommission zur europäischen Bankenabgabe kennen. Diese Bankenabgabe speist einen europäischen Abwicklungsfonds. Kollege Troost hat vorhin Ausführungen zu diesem Thema gemacht. Das war uns deshalb wichtig, weil wir unser bewährtes dreigliedriges Bankensystem mit der Vielzahl kleiner und sehr kleiner Institute, das in dieser Form einzigartig in Europa ist, erhalten wollen. ({1}) Jetzt kennen wir diesen Vorschlag. Er ist aus unserer Sicht nicht optimal, aber akzeptabel, weil er die Interessen der kleinen Institute - im Gegensatz zu dem, was du hier gesagt hast - berücksichtigt. Wir haben es hier mit einem Solidarsystem des Finanzsektors zu tun. Deswegen müssen wir sagen: Der Finanzminister hat gut verhandelt. Es gibt zukünftig einen nationalen Spielraum, um kleinere Institute noch weiter zu schonen. Von dem Wahlrecht zur Entlastung kleinerer und mittlerer Banken will die Bundesregierung Gebrauch machen; das begrüßen wir. Wir erwarten, dass die Bundesregierung dieses Wahlrecht auch nach 2016 zugunsten der kleinen Institute nutzt. Lassen Sie mich einfach einmal feststellen: Lösungen auf europäischer Ebene, bei denen viele Staaten betroffen sind, deren Bankensysteme extrem unterschiedlich sind, müssen notwendigerweise ein Kompromiss sein. So muss auch die Ausgestaltung der Bankenabgabe vor dem Hintergrund von 6 000 europäischen Instituten immer ein Kompromiss sein. Steuersystematisch wäre die Bankenabgabe übrigens eine Betriebsausgabe, und Betriebsausgaben sind, das wissen wir, steuerlich absetzbar. Wir haben es hier aber, das hatte ich gesagt, nicht mit einer normalen Betriebsausgabe zu tun - die Bankenabgabe ist ein Beitrag des Bankensystems zur Finanzierung zukünftiger Krisen. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten nicht, dass auf diesem Weg, quasi durch die Hintertür, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wieder an den Kosten einer möglichen Bankenrettung oder -abwicklung beteiligt werden. ({2}) In vielen europäischen Ländern - ich weiß das - wird das anders gesehen. Wir setzen uns auch ein für ein, wie das auf Englisch heißt, „level playing field“, also für einen gemeinsamen Wettbewerbsrahmen, und bitten die Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene für eine einheitliche Lösung einzusetzen, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Eine Lösung kann aus unserer Sicht aber nur die Nichtabsetzbarkeit der Bankenabgabe bei den Steuern zur Folge haben. Ein weiteres wichtiges Thema dieses Gesetzesvorhabens war die Umsetzung der Haftungskaskade. Die Umsetzung der Forderung, dass im Falle einer Insolvenz Eigentümer und Gläubiger ab einer bestimmten Höhe haften müssen, führt dazu, dass, wenn der Worst Case einer Insolvenz eintritt, letztendlich auch bei Sparkassen ein Rechtsformwechsel notwendig wird; sonst wäre dieses Haftungsverfahren bei einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft so nicht umzusetzen. Die Sparkassen haben aber deutlich gemacht: Diese Situation wird nie eintreten. - Sparkassen haben ein Institutssicherungssystem, das im Krisenfalle in Not geratene Sparkassen auffangen wird; das ist in der Vergangenheit auch schon geschehen. Der Rechtsformwechsel ist von daher nur ein theoretischer Fall, der nach den Aussagen der Sparkassen so niemals eintreten wird. Für die Umsetzung der Richtlinie ist es allerdings notwendig, im Gesetz Regelungen für den Worst Case zu implementieren. Wir lassen den Bundesländern nun ein Wahlrecht, wie sie mit einer Änderung der Sparkassengesetze umgehen wollen. Sie haben dann die Möglichkeit, alternative Wege zu gehen. Ein weiterer Diskussionspunkt in diesem Zusammenhang war die Umsetzung des Trennbankengesetzes, das die schwarz-gelbe Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode verabschiedet hat. ({3}) - Sie kommen doch gleich dran; dann können Sie ordentlich draufhauen. - Gleichzeitig gibt es auf europäischer Ebene Vorschläge zu Trennbanken. Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf den Report von Herrn Liikanen bezogen, der auf europäischer Ebene eine Kommission geleitet und entsprechende Vorschläge gemacht hat. Deutsche Banken haben gefordert, dass man die deutschen Regelungen, deren Umsetzung nun beginnen muss, aufweichen solle. Wir Sozialdemokraten haben dieses abgelehnt, weil „too big to fail“ - die Problematik, dass von den Spareinlagen der Kunden Zockereien finanziert werden - für uns auf Dauer nicht haltbar ist. Wir brauchen eine vernünftige gesetzliche Regelung im Trennbankengesetz. Wir wollen deswegen das deutsche Recht nicht aufweichen, sondern wir wollen uns im nächsten Jahr mit dieser Frage und der Umsetzung intensiv beschäftigen. Die Aufsicht über die europäischen Großbanken wird nun von der EZB ausgeübt. Wir wollen aber, dass dies nur übergangsweise der Fall ist. Insofern hat der Kollege Troost in diesem Punkt völlig recht. Die Sache mit der chinesischen Mauer ist eher eine Fiktion. Auf Dauer muss der mögliche Konflikt zwischen Aufsicht und Geldpolitik durch eine Trennung beider Funktionen aufgelöst werden. Die EZB arbeitet eng mit den nationalen Aufsehern zusammen, also Bundesbank und BaFin. In der letzten Legislaturperiode wollte die schwarz-gelbe Bundesregierung die Bankenaufsicht allein auf die Bundesbank übertragen. Dies hat die Bundesbank abgelehnt. Wir stellen fest, dass auch in Zukunft die bewährte Aufgabenteilung zwischen BaFin und Bundesbank bei der deutschen Bankenaufsicht erhalten bleibt. Wir erwarten, dass die entsprechenden Informationskanäle so gestaltet werden, dass beide Institute von der Aufsicht der EZB profitieren und dass es klare Verantwortlichkeiten gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzespaket sind noch nicht alle Probleme einer neuen Finanzmarktarchitektur in Europa gelöst.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Zöllmer, denken Sie an Ihre Redezeit?

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich. - Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es gibt diesen grünen Knopf eben nicht. Wir haben noch eine ganze Reihe von Problemen zu lösen. Aber es ist falsch, den Eindruck zu erwecken, es sei noch nichts geschehen, wie es einige Ideologen von links und rechts in Politik und Medien immer wieder versuchen. Wir machen heute einen großen Schritt in die richtige Richtung zur Stabilisierung der Finanzmärkte. Das ist ein wichtiger Integrationsschritt, und das ist gut so. Herzlichen Dank. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal kurz auf die Debatte eingehen, die sich zwischen Herrn Schäuble und uns ergeben hat. Herr Schäuble, ich weiß, dass Sie das verstehen, und Sie wissen, dass ich das verstehe: Auf diese Debattenebene müssen wir nicht gehen, sondern wir können klarmachen, wo die Unterschiede liegen und worin wir uns einig sind. Bei folgendem Thema sind wir uns doch völlig einig: Wir wollen das, was man als den Teufelskreis zwischen Banken und Staaten bezeichnet, durchbrechen. Das steht in Ihren Texten, das steht in unseren Texten; darin sind wir uns einig. Das heißt, wenn eine Bank in eine Schieflage gerät, dass sie also zu hohe Bankschulden hat, dann soll nicht nachher der Steuerzahler die Last tragen. So weit herrscht Einigkeit. Jetzt gibt es aber in zwei Punkten Unterschiede, die dazu führen, dass wir heute nicht dem gesamten Paket zustimmen, sondern zu einzelnen Punkten Nein sagen. Der erste Punkt ist der hypothetische Fall, dass eine portugiesische, spanische oder italienische Bank in eine Schieflage gerät. Was würde dann passieren? Jetzt sagt Herr Schäuble, er habe so verhandelt, dass die ESMMittel, also die vom europäischen Steuerzahler bereitgestellten Mittel, nur im äußersten Extremfall genutzt werden. Deswegen lässt er den jeweiligen Mitgliedstaat sehr lange in der Verantwortung für die Bank. Das haben Sie verhandelt, und das haben Sie gerade so dargestellt. Das führt dazu, dass der jeweilige Nationalstaat für eine sehr lange Zeit noch in der Verantwortung ist, wenn eine Bank auf seinem Territorium kippen sollte. Da sagen wir: Genau das ist die Weiterführung des Teufelskreises zwischen Bankschulden und Staatsschulden, den wir durchbrechen wollen. An dieser Stelle ist das, was Sie sagen, widersprüchlich. Wir haben an dieser Stelle einen anderen, besseren Vorschlag, mit dem diese Trennung wirklich erreicht würde. Wenn man es nämlich in dem Fall, dass in der Übergangszeit, solange der Fonds durch die Bankenabgabe noch nicht genügend aufgefüllt ist, noch Geld benötigt wird, so wie in den USA macht, dann ist das die bessere Lösung. Was wird in den USA gemacht? Wenn der Bankenfonds, den die Banken befüllen, noch nicht genügend Geld enthält, dann kann er einen Kredit aufnehmen, den nachher die Banken wieder zurückzahlen müssen. Die Verpflichtung bleibt bei den Banken. So hat das während der Krise die Federal Deposit Insurance Corporation in den USA gemacht. Das wäre auch für Europa die richtige Lösung. Dann bleibt es nämlich dabei, dass Bankenprobleme bei den Banken bleiben und nicht die Steuerzahler einspringen. Das ist unser Vorschlag, und er ist besser als Ihrer. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Schick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolfgang Schäuble?

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde dem Abgeordneten Schäuble gerne die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Kollege Schick, würden Sie mir bitte bestätigen, dass der europäische Restrukturierungsfonds die Möglichkeit der Kreditaufnahme hat? Sie haben gerade gesagt, der amerikanische Bankenfonds könne einen Kredit aufnehmen. Das kann auch der europäische Restrukturierungsfonds. Er kann aber den Kredit nicht unter Vergemeinschaftung der Haftung der Mitgliedstaaten aufnehmen. Dies war der Streitpunkt in den Verhandlungen; denn wir haben abgelehnt, dass man über die Kreditaufnahme des Restrukturierungsfonds doch eine Vergemeinschaftung der Mitgliedstaatenhaftung in der Aufbauphase vornimmt. Darum ging es. Insofern haben Sie es gerade falsch dargestellt.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke für die Zwischenfrage. Das ist genau der Punkt: Warum muss dann noch der Steuerzahler bei dem ESM-Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung nach wie vor in der Haftung sein? Ich glaube, dass in einem wirklichen Krisenfall tatsächlich eine Kreditaufnahmemöglichkeit wie in den USA - dort ist sie nämlich gegenüber dem Finanzministerium möglich, aber es bleibt ein Kredit, der von den Banken gezahlt werden muss; so ist es auch mit einem Volumen von mehreren Milliarden US-Dollar in den USA passiert - auch für Europa die bessere Lösung wäre. ({0}) Sie stellen nach wie vor an dieser Stelle Steuerzahlergeld ins Schaufenster. Wir befürchten, dass der Steuerzahler erneut in die Haftung gerät, und das wollen wir nicht. ({1}) Der zweite Punkt, in dem es ebenfalls um Steuerzahlergeld geht, bezieht sich auf die Rolle des Soffin in Ihrem Gesetzentwurf. Warum soll, wenn eine deutsche Bank in Schwierigkeiten gerät, jetzt noch einmal über den Soffin, den deutschen Finanzmarktstabilisierungsfonds, Steuerzahlergeld angeboten werden? Entweder vertraut man auf die Gesetze, die Sie mit vorangetrieben haben, zum Beispiel das Restrukturierungsgesetz, und sieht das Ganze in der Verantwortung der Gläubiger dann braucht man das nicht -, oder man hat Angst, dass es nicht funktioniert; dann soll man es aber auch sagen. Wir meinen, dass es notwendig ist, diesen Teufelskreis zwischen Bankenproblemen und Steuerzahler wirklich zu durchbrechen. Deswegen sagen wir zu der Verlängerung des Finanzmarktstabilisierungsfonds in Deutschland Nein. ({2}) Ich will aber auch noch auf das eingehen, was in Zukunft notwendig ist. Denn bei dem, was wir jetzt auf den Weg bringen und bei dem wir in Bezug auf den europäischen Abwicklungsmechanismus einer Meinung sind, nämlich dass er jetzt vorangetrieben werden sollte, bleibt zu sagen: Bei wirklich großen Banken funktioniert das nicht. Banken wie Barclays und die Deutsche Bank sind zu groß und komplex. Das zeigt auch die Erfahrung in den USA, dass die wirklich großen Banken im Ernstfall nicht durch einen solchen Abwicklungsmechanismus abgewickelt werden können. Deswegen ist es notwendig, dass diese großen Banken kleiner und in der Struktur einfacher werden. An der Stelle war ich sehr überrascht - Herr Kollege Zöllmer hat es schon angesprochen -, dass die Union jetzt ausgerechnet bei dem Thema Trennbankensystem noch einmal hinter die wachsweiche Formulierung Ihres Gesetzes zurückgehen wollte. Ich habe den Eindruck, dass Sie nach wie vor, wenn die Deutsche Bank signalisiert, dass sie etwas nicht will, auf Zuruf schnell das Gesetz ändern. So geht das nicht. Man braucht dabei schon eine gewisse Autorität. ({3}) Der zweite Punkt beim Blick auf die Zukunft ist: Mit dem Bankenstresstest ist sichergestellt worden, dass die meisten Banken in Europa grob überleben können. Das ist aber nicht genug. Wenn die Wirtschaft in Europa stabilisiert werden und sich in der nächsten Zeit gut entwickeln soll, dann brauchen wir nicht nur Banken, die irgendwie überleben, sondern es muss endlich eine wirkliche Stabilität geschaffen werden. Im internationalen Vergleich ist es nach wie vor so, dass europäische Banken zu wenig eigenes Kapital haben, zu wenig stabil sind und die Risiken im Ernstfall immer noch zu leicht auf andere verlagert werden können. Deswegen bleibt es auch nach dem Bankenstresstest Aufgabe, das Eigenkapital der Banken zu stärken. Wir brauchen eine Leverage Ratio, eine Schuldenbremse, für Banken, die deutlich höher ist als das, was bisher als grobe Beobachtungsgröße von 3 Prozent festgelegt ist. Wirkliche Stabilität im Finanzsektor ist durch das heutige Gesetz noch nicht erreicht. Wir kommen einen Schritt weiter. Aber es bleiben große Aufgaben. Große Banken müssen kleiner werden, und sie brauchen deutlich mehr Kapital als bisher. Danke schön. ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort Norbert Barthle. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer der Rede unseres Bundesfinanzministers genau zugehört hat, ist eigentlich umfänglich informiert über die Inhalte des vorliegenden Pakets. Aber ich vermute, dass manche da draußen auch dem Kollegen Schick zugehört haben. Deshalb ist es mir wichtig, Herr Kollege Schick, zur Erklärung Ihrer Position festzustellen: Sie waren schon immer für die Vergemeinschaftung der Verschuldung und gemeinsame Haftung bei der Verschuldung. ({0}) Sie gehörten zu denjenigen, die einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds gefordert haben. ({1}) Genau das ist der Unterschied zwischen Ihrer Auffassung und unserer, die der Minister dargelegt hat. ({2}) Das müssen die Menschen wissen. Dann erklärt sich die Unterschiedlichkeit Ihrer Position. ({3}) Was das gesamte Paket angeht, haben meine Vorredner die notwendigen Details bereits dargelegt. Ich will mich daher beschränken auf die direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM. Ich betrachte dieses neue Instrument als sinnvoll. Es rundet das Gesamtpaket ab. Ganz so neu ist es nicht; denn eigentlich haben die Staats- und Regierungschefs bereits im Jahr 2012 vereinbart, dies zu machen, allerdings unter der Voraussetzung, dass es einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eine einheitliche Bankenaufsicht gibt. Das wurde als Voraussetzung immer genannt. Diese haben wir nun erfüllt. Deshalb ist es sinnvoll, diesen letzten Baustein vollends zu beschließen. Ich werbe daher um Zustimmung zum gesamten Paket. Erinnern wir uns daran: Die grundsätzliche Funktion des ESM ist eigentlich, Staaten in massiven Finanzierungsschwierigkeiten mit Hilfskrediten im Rahmen eines Anpassungsprogramms beizustehen, um damit die Finanzstabilität der gesamten Euro-Zone zu wahren. Nun hat sich im Zuge der 2010 begonnenen Staatsschuldenkrise gezeigt, dass es durchaus zu negativen Wechselwirkungen zwischen der Schieflage der öffentlichen Haushalte und den Störungen in den jeweiligen Finanzsektoren kommen kann. Im Extremfall ist es möglich, dass ein Staat die benötigten Finanzhilfen nicht mehr in voller Höhe bereitstellen kann, ohne seine eigene Schuldentragfähigkeit zu überdehnen und den Zugang zum Kapitalmarkt zu verlieren. Wenn eine betroffene Bank systemrelevant ist, also das Finanzsystem in der EuroZone insgesamt gefährdet, kann unter Umständen eine direkte Rekapitalisierung dieser Bank durch den ESM tatsächlich anstehen, allerdings - darauf hat der Finanzminister deutlich hingewiesen - anders, als es sich 2012 viele im europäischen Raum vorgestellt haben. Damals dachten manche, man könne mit diesem Instrument die nationalen Bankprobleme aus der Vergangenheit beim ESM abladen. Dem ist nicht so. Das läuft nicht; denn dem haben wir einen klaren Riegel vorgeschoben. Die direkte Rekapitalisierung durch den ESM steht immer am Ende einer langen Haftungsabfolge, wie sie der Finanzminister dargelegt hat. Die Risiken bleiben bei denjenigen, die zuvor Gewinne eingestrichen haben. Das ist richtig so. ({4}) Dass wir diesem Prinzip europaweit Gültigkeit verschaffen, ist eine der zentralen Errungenschaften der Bankenunion. Darauf können wir zu Recht stolz sein. Wenn wir zurückblicken, was wir alles zur Bekämpfung der aktuellen Krise und im weiteren Verlauf zur Vorbeugung getan haben, dann müssen wir feststellen, dass das, was wir bisher geleistet haben, durchaus erfolgreich war. Von den fünf Ländern, die unter den Rettungsschirm gegangen sind, nehmen noch zwei Länder, Griechenland und Zypern, Hilfsprogramme in Anspruch. Griechenland wird bereits Ende 2014 aus dem Programm aussteigen. Ich frage die Kritiker: Was haben wir also falsch gemacht? Es funktioniert doch, auch wenn ein bekannter deutscher Verfassungsrechtler, der schon einmal in Karlsruhe gescheitert ist, erneut meint, dass wir dieses Paket ablehnen sollten. Er führt dafür Begründungen auf, die aus meiner Sicht eher juristisch-sophistisch als tragfähig sind. Für mich ist klar: Diese direkte Bankenrekapitalisierung kommt nur als allerletztes Instrument infrage und steht am Ende einer langen Haftungskette, und - das ist mir wichtig - sie erhöht nicht das gesamte Risiko, das wir mit dem ESM übernommen haben. Das ist und bleibt Teil des gesamten ESM-Volumens, auch wenn klar ist, dass am Ende, wenn dieses Instrument angewendet werden sollte, tatsächlich der ESM und die Kapitalgeber des ESM, also die einzelnen Mitgliedstaaten, dafür haften. Das ist keine Frage, und das ist nie bestritten worden. Aber es gibt auch für die Anwendung dieses Instruments klare Leitlinien. Der Haushaltsausschuss hat ihnen gestern zugestimmt. Diese Leitlinien legen für die Anwendung sehr hohe Hürden fest. Ich will ganz kurz daran erinnern: Es muss der Antrag eines Mitgliedstaats erfolgen. Eine Bank kann sich nicht direkt an den ESM wenden, sondern nur ein Mitgliedstaat. Es entsteht damit eine Rechtsbeziehung zwischen dem Mitgliedstaat und dem ESM. Eine direkte Rekapitalisierung ist nur dann möglich, wenn die indirekte Rekapitalisierung nicht mehr möglich war. Sie ist immer mit Auflagen verbunden, entweder institutsspezifischen, sektorspezifischen oder gesamtwirtschaftlichen Auflagen. Das ist das, was man als MoU, Memorandum of Understanding, kennt. Schließlich steht dieses Mittel im Rahmen der Haftungskaskade erst ganz am Ende, als allerletztes Mittel zur Verfügung. Überdies ist es so, dass der beantragende Mitgliedstaat auch bei der direkten Rekapitalisierung dafür sorgen muss, dass eine minimale Kapitalquote der Bank von 4,5 Prozent erreicht wird. Das bedeutet in der Folge, dass die direkte Rekapitalisierung nicht bei Banken zum Tragen kommt, die nicht überlebensfähig sind, sondern nur Banken gerettet werden, die aufgrund dieser Mindestkapitalquote eine Überlebensperspektive haben. Das wiederum sichert die Rückzahlung der vergebenen Kredite. Mit dieser Abfolge ist sichergestellt, dass ein Missbrauch dieses Instruments ausgeschlossen ist. Man kann sogar annehmen - darauf hat Herr Regling in der Anhörung, die wir durchgeführt haben, hingewiesen -, dass dieses Instrument vermutlich nie zur Anwendung kommen wird, weil die Hürden für die Anwendung sehr hoch sind. Ein wichtiger Punkt, den ich noch erwähnen möchte, ist die Parlamentsbeteiligung. Wir haben bei all diesen Maßnahmen immer großen Wert darauf gelegt, dass das Parlament, der gesamte Deutsche Bundestag oder zumindest der Haushaltsausschuss, in die Entscheidungen eingebunden wird. Auch bei diesem Instrument ist das so. ({5}) - Danke, lieber Kollege Johannes Kahrs. - Es ist sogar so, dass nicht nur die Einführung dieses Instruments, sondern auch jede einzelne Anwendung zunächst vom Deutschen Bundestag beschlossen werden muss. Anderenfalls müssten der Finanzminister oder die Bundeskanzlerin Nein sagen. Sie können sich auch nicht der Stimme enthalten. Wir müssen einen positiven Beschluss herbeiführen, und damit ist der gesamte Bundestag involviert. Wir haben nach intensiven Beratungen die ursprünglich vorgesehene Regelung, dass gegebenenfalls, wenn es sich um vertrauliche Informationen handelt, nur das sogenannte Neunergremium informiert werden sollte, aus dem Gesetzentwurf wieder herausgenommen. Auf die rechtlichen Bedenken hat unser Bundestagspräsident Norbert Lammert schon sehr frühzeitig hingewiesen. Deshalb haben wir diese Regelung herausgenommen. Damit sind wir verfassungsrechtlich auf dem sicheren Weg. Wir haben dies also nicht auf die leichte Schulter genommen. Wir wissen, dass damit eine große Verantwortung für das gesamte Hohe Haus einhergeht; denn im Zweifelsfall müsste der gesamte Deutsche Bundestag die Sachlage beurteilen. Das geht dann, wenn man die notwendige Vertraulichkeit wirklich herstellt; aber die müsste dann auch gewährleistet sein. Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei, drei Anmerkungen zu der gesamten Situation, in der wir uns befinden, machen. Wir beschließen dieses Paket zur Bankenunion in einer Zeit, in der die Staatsschuldenkrise noch nicht so richtig überwunden ist. Wenn man sich die Staatsschuldenquoten der einzelnen Euro-Länder genau anschaut, stellt man fest, dass sie seit Ausbruch der Krise nicht gesunken, sondern im Gegenteil gestiegen sind. Also darf man die Frage der Staatsverschuldung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Anders ausgedrückt: Wir haben einen Stabilitätspakt beschlossen. Wir haben einen Fiskalvertrag geschlossen. Wir haben die Verschärfungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts beschlossen. Derzeit wird auf europäischer Ebene vorwiegend über Wachstumsimpulse und weniger über die Frage der Stabilität diskutiert. Das ist etwas, was uns mit Sorge erfüllt; denn wir sind der Auffassung, dass das eine nicht ohne das andere zu denken ist und dass man die Balance zwischen Wachstumsimpulsen und Stabilitätsbemühungen wahren muss. Wer den Wachstumspakt genau studiert und wer den Fiskalvertrag genau liest, der stellt sehr schnell fest, dass es dort vorwiegend um Stabilität, um Defizitreduzierung und nicht um Konjunkturprogramme und Ähnliches geht. Defizitabbau ist der Kernpunkt all dieser vertraglichen Vereinbarungen. Das sollten wir im Auge behalten, insbesondere dann, wenn in den kommenden Wochen und Monaten die Europäische Kommission die vorgelegten Haushalte anderer Mitgliedstaaten beurteilen muss. Wir sind sehr gespannt, wie dies erfolgt, und hoffen, dass damit der Wachstums- und Stabilitätspakt nicht beschädigt, sondern gestärkt wird. Danke. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Lothar Binding, SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute Vorlagen zur Schaffung der Europäischen Bankenunion im Wesentlichen, um künftig Krisen abzuwenden oder für den Fall der Krise gewappnet zu sein. Bei den Vorträgen von Manfred Zöllmer, von Vertretern der CDU/ CSU-Fraktion und von Bundesminister Schäuble gab es immer eine gewisse Nervosität auf der ganz linken Seite dieses Hauses. Man forderte, irgendwie mehr zu machen; schließlich ist geregelt, dass auf „schwere wirtschaftliche Störungen“ reagiert werden muss, um zu verhindern, dass allzu viel schiefgeht. An dieser Stelle geht mir ein Bild durch den Kopf, das vielleicht nicht in allen Punkten zutrifft: Sahra Wagenknecht und ich wandern in einem Gebirge, ({0}) und ich habe mein Geld vergessen. ({1}) - Das diskutieren wir ein andermal. - Sie bezahlt mein Frühstück. Wir wandern weiter und stürzen ab. Wir sind im freien Fall - stellen Sie sich das vor: der Binding und die Wagenknecht im freien Fall! -, und dann sagt Sahra Wagenknecht zu mir: Lass uns einmal über die Verzinsung der 10 Euro reden, die ich für dein Frühstück ausgegeben habe. Ich antworte: Nein, es ist viel besser, darüber zu reden, ob man nicht rechtzeitig an ein Netz hätte denken sollen oder an einen Zaun, der verhindert, dass wir abstürzen. - Wenn man jedenfalls im freien Fall ist, dann muss man mehr machen, als über die Zinsen für die 10 Euro, die sie mir für das Frühstück ausgelegt hat, zu diskutieren. ({2}) Das ist die Basis, auf der wir heute diskutieren. ({3}) - Wir waren preiswert unterwegs, und die Sahra ist sicher sparsam. ({4}) - Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Eine weitere Frage ist, ob es eigentlich gut ist, zu sagen: Wir wollen die Risiken vom Steuerzahler abwenden. Das sagen wir ja alle, und eigentlich ist das auch gut. Die Frage ist nur - einmal angenommen, wir hätten es wirklich geschafft, dogmatisch vom Steuerzahler die Lasten abzuwenden -: Wie ist es eigentlich, wenn plötzlich der Familienvater die Last trägt oder die Familienmutter oder der Sparer oder jemand, der für seine Altersvorsorge Geld angelegt hat, oder die Alleinerziehende, die zur Finanzierung der Ausbildung ihrer Kinder ein Sparbuch angelegt hat? Wenn wir nur über den Steuerzahler reden, dann ist es sicher gefährlich, nicht auch alle anderen in den Blick zu nehmen. Bei schwerer wirtschaftlicher Störung genügt es eben nicht, allein den Steuerzahler zu schützen; dann müssen wir die Gesamtgesellschaften vor solchen Risiken schützen. Deshalb ist es wichtig, dass die entsprechende Klausel vorhanden ist Lothar Binding ({5}) und dass die Europäische Bankenunion so beschlossen wird, wie wir es heute tun wollen. ({6}) Die Ausgangslage war recht gefährlich: Wir mussten Sorge haben, dass eine private Bank in irgendeinem europäischen Land relativ leichtfertig in einen öffentlich gespeisten Topf greifen kann. Das wäre die Finanzierung der Mittel zur Deckung der Kosten privater Risiken über öffentliche Steuern, über Steuern der Bürger. Dieser Idee wollten wir uns natürlich nicht anschließen, und deshalb war es klug, sich verstärkt Gedanken zu machen und zunächst die Lage der Banken ein bisschen genauer zu untersuchen. Da gibt es zwei Sachen. Bei der AQR, der Asset Quality Review, guckt man ein bisschen, wie die Aktiva in den Banken sind, ob sie risikoreich sind oder nicht. Beim Stresstest guckt man: Wie ist die Entwicklung, wenn eine Bilanz unter Druck gerät? Meines Erachtens ist nach dem Stresstest bei den Banken ein bisschen zu viel Selbstzufriedenheit aufgekommen. Ich habe gelesen, dass die Banken, die durch den Stresstest gefallen sind, gesagt haben: Das war 2013. Wir haben inzwischen Eigenkapital aufgebaut und sind jetzt so ausgestattet, wie es der Stresstest verlangt hat. Eigentlich sind die meisten jetzt auf der sicheren Seite. Da bin ich mir nicht ganz so sicher; denn das reduziert die Lösung unserer Probleme auf das Eigenkapital. Gerhard Schick hat gesagt: Wir brauchen eine Leverage Ratio, um das Risiko unabhängig noch etwas abzusichern. - Aber auch dazu sage ich: Wer nur an das Eigenkapital denkt, ist für die Zukunft nicht nachhaltig aufgestellt. Was meine ich damit? Ich nehme einmal an, alle Banken hätten genügend Eigenkapital in unserem Sinne. Dann muss man sich überlegen, wie das Verhalten der Banker ist, ob die Selbstbeschränkung bezogen auf ganz bestimmte Geschäftsmodelle funktioniert, ob die Verantwortung, die sie zu übernehmen bereit sind, ausreicht, ob - ich benutze einmal den Begriff, der im Bankwesen heute häufig zu finden ist - es eine neue Kultur gibt. Gibt es keine neue Kultur im Verhalten der Banker, dann kann das Eigenkapital so hoch sein, wie es will, es wird immer wieder zu Problemen kommen. ({7}) Die Bankenunion als großes Projekt mit ihren drei Teilen - Aufsicht, Abwicklungsregime, Notfallabwicklungsfonds - ist eine gute Idee. Trotzdem ist sie keine abschließende Lösung. Ich glaube, damit müssen wir uns noch befassen. Wir sind uns wahrscheinlich in den meisten Punkten einig. Was noch fehlt, ist zum Beispiel die Besteuerung von Finanztransaktionen. Es gibt im Bankwesen Modelle wie den Hochfrequenzhandel und andere Geschäfte, die besteuert gehören, um die Risiken, die dort erzeugt werden, in einer Abgabe abzubilden, um den Steuerzahler zu schützen. - Ich freue mich, dass du nickst, Hans Michelbach, denn ich weiß, dass das nicht hundertprozentig deine Meinung ist. Mit dem Nicken signalisierst du aber, dass wir darüber nachdenken können. So ähnlich ist es natürlich auch mit dem Trennbankensystem für große Banken. Auch da sind wir noch nicht am Ende. Wir müssen die Risiken im Spekulationsgeschäft von den Risiken, die das Realgeschäft betreffen, abtrennen; denn sonst wird die Realwirtschaft immer wieder unter Druck geraten, induziert durch Spekulanten, und das wollen wir natürlich vermeiden. ({8}) Es ist sicher auch zu fragen, ob die Ausstattung des Fonds mit 55 Milliarden Euro genügt. Wenn wir einmal an die Fonds denken, die die öffentliche Hand, die europäische Staaten aufgebaut haben, dann erkennen wir: Da besteht wenigstens eine Differenz um den Faktor 10 bis 20. Wir wollen die Banken nur so weit belasten, dass sie es überleben - das ist klar -, aber 55 Milliarden Euro sind zu wenig. Diese Größenordnung ist jetzt der Konsens. Ich will den ersten Schritt in die richtige Richtung nicht ablehnen, bloß weil wir noch nicht gleich am Ziel ankommen, aber zum Ziel ist es noch ein ganz schön weiter Weg. ({9}) - Ja; darauf komme ich noch. - Trotzdem ist die Größe des Topfes möglicherweise nicht hinreichend. Es gibt viele Dinge, die noch zu verbessern sind. Wir haben schon öfter über die EZB und darüber gesprochen, dass sie eigentlich die falsche Aufsichtsbehörde ist. Trotzdem sind wir dankbar, dass sie die Aufgabe übernimmt. Warum? Wir haben keine andere Behörde. Wir wissen, dass es falsch ist, weil Geld- und Währungspolitik von der Aufsichtsfunktion natürlich abzutrennen ist, aber wir haben keine andere Behörde. Deshalb sind wir erst einmal dankbar, dass die EZB das macht; aber wir sprechen ja von der Sunset Clause. Wir würden gern in einigen Jahren eine eigene Behörde gründen, die für die Aufsicht zuständig ist, die auch institutionell von der EZB, die für das Geld zuständig ist, abgetrennt ist. Dann wäre das nicht mehr in einer Hand. Geldpolitik und Aufsicht in einer Hand, das ist nämlich schwierig. Das wäre ein großer Schritt. Ich bin nicht sicher, ob das hier im Haus konsensfähig ist, aber zumindest in Europa wird es schwierig sein, das zu verhandeln. Dennoch sollten wir uns diesem Verhandlungsauftrag stellen. Es gibt ein weiteres Problem - darauf hat Axel Troost schon hingewiesen -, bei dem sicher noch etwas zu tun ist: Die Bankenunion, wenn auch mit einer Öffnungsklausel, umfasst nur die Euro-Zone. Die Euro-Zone ist aber nicht Europa; London wurde schon erwähnt. Das ist sicherlich ein großes Problem. Wir müssen uns vergegenwärtigen, was passiert, wenn es Krisen innerhalb oder außerhalb der Bankenunion gibt, inwieweit es Infektionskanäle hinein oder heraus gibt. Natürlich haben wir keine Lust, zu erleben, dass über solche Kanäle die Bankenunion oder überhaupt Europa infiziert wird. Des5828 Lothar Binding ({10}) halb ist es wichtig, zur Begrenzung künftiger Krisen darüber noch einmal nachzudenken. Mit Sicherheit ist später auch noch einmal über den Grundsatz „too big to fail“ nachzudenken. Eine Bank, die zu groß ist, darf - das sagt schon der Name - nicht scheitern. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, was eigentlich passiert, wenn es zu Schwarmeffekten kommt. Denn Kleinheit an sich ist ja noch kein Problem - Größe auch nicht. Auch eine kleine Bank kann große Sauereien treiben. Insofern müssen wir schauen, ob wir Schwarmeffekte, die sich aus dem gleichen Verhalten vieler Gleiche ergeben, nicht besser regulieren sollten. Das ist sicherlich eine sehr offene Frage. Zur Bankenabgabe an sich und der damit verbundenen Gewinnminderung in der eigenen Bilanz hat Manfred Zöllmer schon etwas gesagt. Steuersystematisch ist eine Bankenabgabe ja eine Ausgabe. Und Ausgaben sind natürlich kein Gewinn. Das heißt also, eigentlich müsste man diese Ausgabe - die Bankenabgabe als Betriebsausgabe abziehen dürfen. ({11}) - Ja, das Nettoprinzip. Jetzt machen wir aber an der Stelle eine Ausnahme, und das können wir auch sehr gut erklären. Denn wir richten diesen Topf ja zur Abschirmung von Risiken für die Steuerzahler ein, und wenn wir gleichzeitig einen Betriebsausgabenabzug zulassen, dann beteiligen wir den Steuerzahler an dieser für ihn gedachten Abschirmung mit 30 Prozent. Diesen Widersinn kann man nicht erklären. Vor diesem Hintergrund ist diese Ausnahmeregelung notwendig. Die Schwierigkeit ist - du hast darauf hingewiesen, Manfred -: In Europa sehen das manche anders. Da spürt man auch zum Teil eine etwas andere Kultur. Es gibt durchaus Länder, die zwar meinen, der Steuerzahler sollte vielleicht, eventuell - vermeintlich - ein wenig geschützt werden, aber in Wahrheit soll er es selber bezahlen. Das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen den Steuerzahler wirklich schützen. ({12}) Diese Abschirmwirkung soll letztendlich vergrößert werden. Darüber international zu verhandeln, ist sicherlich noch eine Aufgabe für Minister Schäuble - wenn auch keine beneidenswerte Aufgabe; das wissen wir alle. Warum spreche ich das an? Diese Ausnahmeregelung ist keine schöne Lösung; denn es werden in Europa Wettbewerbsverzerrungen erzeugt, wenn die deutschen Banken diesen Betriebsausgabenabzug nicht machen können, während andere, ausländische Banken die Möglichkeit dazu haben. Auf diesen Punkt wollen wir schauen; unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist hier noch sehr viel zu tun. Schließlich wollen wir einen weiteren Punkt genauer in den Blick nehmen: Diese Abgabe richtet sich ja heute im Wesentlichen nach der Größe. Wir glauben, dass sie sich im Wesentlichen nach der Risikobelastung richten muss. Denn die Risikobelastung ist ja der eigentliche Parameter, wenn es um eine Gefährdung in der Zukunft geht. Ich will noch etwas zu den Anträgen der Linken und der Grünen sagen, die in wesentlichen Teilen zustimmend formuliert sind. Der Antrag der Linken ist aus meiner Sicht ganz gut gelungen. Es steht aber auch wieder ein typisches K.-o.Argument drin: Ihr wollt die Großbanken vergesellschaften. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dann besser zurechtkommen würden als heute. Wahrscheinlich würden dann alle Fehler in wenigen Händen kumuliert. Das wollen wir natürlich nicht. Auch im Antrag der Grünen gibt es einen kleinen Pferdefuß. Wir haben den Soffin ja gerade um ein Jahr verlängert. Sie wollen diese Verlängerung rückgängig machen. Das ist für uns natürlich ein widersinniger Vorschlag, dem wir nicht folgen wollen. Ich möchte auch noch ein Wort zur Haftungskaskade sagen. Denn die Haftungskaskade - Sie können es vielleicht erkennen - ist ziemlich lang. Die Kaskade verläuft zwischen dem Risiko und der letztendlichen Belastung des Steuerzahlers. Und wenn man sieht, wie lang sie ist - ich zitiere das ganz kurz -

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Binding, aber bitte wirklich ganz kurz und nicht die ganze Kaskade!

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann zitiere ich das auch nicht ganz kurz, sondern beende meine Rede lieber mit folgender Bemerkung: Die Haftungskaskade ist lang, und diese Länge ist ein Zeichen dafür, wie stark wir den Steuerzahler vor den Haftungsrisiken der Banken schützen wollen. Deshalb ist die Bankenunion eine sehr gute Lösung, ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Alexander Radwan das Wort. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister! Als letzter Redner zu diesem Thema möchte ich gleich dort anschließen, wo der Herr Kollege Binding aufgehört hat. Denn das ist eigentlich die richtige Formulierung: Die Bankenunion ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, um die Finanzmärkte stabiler zu machen. Zunächst haben wir den Euro eingeführt. In den letzten Jahren haben wir die Regeln für den europäischen Binnenmarkt kreiert. Jetzt sind wir dabei, durch die Bankenunion die Aufsicht zu vollziehen. Wie gesagt: Das ist ein wichtiger, richtiger Schritt. Die Stabilität der FinanzAlexander Radwan märkte steht im Vordergrund; der Steuerzahler soll durch eine lange Haftungskaskade geschützt werden, wie der Herr Kollege Binding ausgeführt hat. Heute entscheiden wir darüber. Ein Ziel von uns war, erst zu wissen, was die Bankenabgabe auf europäischer Ebene bewirken soll. Wir haben dazu einen Vorschlag bekommen, und ich möchte mich hier beim Finanzminister bedanken, der sich massiv für die deutschen Interessen eingesetzt hat. Wir hoffen, dass diese Bankenabgabe nach der Prüfung das Europäische Parlament und den Rat passieren wird, damit das, was uns wichtig ist, für unsere regionalen Banken umgesetzt wird, nämlich die Annehmung der Institutssicherung, der verbundinternen Verbindlichkeiten und das Wahlrecht über 2016 hinaus bis 2023. Wenn es uns ermöglicht wird, gehen wir natürlich davon aus, dass diese Option auch gezogen wird. ({0}) Ich habe versucht, die Argumente der Opposition nachzuvollziehen und mir vorzustellen - meine Gedanken dazu will ich jetzt einmal darstellen -, wo wir heute wären, wenn sie umgesetzt würden. Zum einen ging es um den Vorwurf, IGA, also das Intergovernmental Agreement, abzuschließen, sei undemokratisch. Ich kann nur sagen - ich gehe jetzt nicht so weit wie das Bundesverfassungsgericht in der Beurteilung der Demokratie auf europäischer Ebene in Bezug auf das EP -: Wir entscheiden heute darüber. Das Gleiche gilt auch für den ESM. Da entscheiden die nationalen Parlamente. Darum kann ich daran nichts Undemokratisches finden, sondern es ist eher eine Stärkung der Demokratie auf nationaler Ebene, hier entsprechend einbezogen zu sein. Insofern sollten wir unsere Rechte wahrnehmen und über den Bundestag hinaus artikulieren und hochhalten. ({1}) Zum anderen geht es um eine ganz besondere Konstellation - das betrifft Herrn Troost, den ich persönlich sehr schätze -, nämlich die immer wiederkehrende Diskrepanz, einerseits zu fordern: „Wir müssen in Europa schneller werden, wir müssen schneller integrieren und Aufsicht sicherstellen“, aber gleichzeitig andererseits die europäischen Entscheidungen zu kritisieren nach dem Motto: „Das, was die Bankenabgabe jetzt für die kleinen Banken bedeutet, ist zu wenig“. Sie haben ja das Beispiel aus Wahlkreisen von Kollegen gebracht, in meinem Fall das Beispiel der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen. Ich danke dafür. Normalerweise wurde ich in den letzten Monaten auf eine andere Sparkasse angesprochen. ({2}) Das ist schon einmal ein kollegialer Zug, dass wir jetzt über die Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen reden. Also, auf der einen Seite zu fordern, dass wir schneller integrieren müssen - Sie kritisieren aber zugleich, dass inzwischen die Europäische Zentralbank diese Aufgaben wahrnimmt; da frage ich mich: Wenn sie sie nicht wahrnehmen würde, wo wären wir dann heute? -, und auf der anderen Seite, wenn Integration stattgefunden hat, zu kritisieren, dass das Ergebnis nicht ausreichend ist nach dem Motto: „Europa ist ein Wunschkonzert, und meine Vorgaben sollen eins zu eins umgesetzt werden“, reicht mir nicht. Ich werde mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, wie der Thüringer Landtag unter dem zukünftigen Ministerpräsidenten Beschlüsse zur europäischen Finanzmarktregulierung - Sie haben ja sogar New York genannt - fasst und diese dann global eins zu eins umsetzt. Europa ist das zähe Ringen, auf der einen Seite Schritt für Schritt die europäische Integration und die Kapitelmarktaufsicht voranzubringen und auf der anderen Seite gleichzeitig deutsche Interessen zu wahren und durchzusetzen. Und das ist Finanzminister Schäuble in den Runden hervorragend gelungen. Dafür ein herzliches Dankeschön. ({3}) Wir haben bei der Umsetzung der Richtlinie aus meiner Sicht die Möglichkeiten genutzt, die diese an Flexibilität bietet. Ich nenne hier die Diskussion um den Rechtsformwechsel. Das ist ja auch ein klassisches Beispiel im Rahmen des Drei-Säulen-Modells mit Genossenschaftsbanken und öffentlich-rechtlichen Banken. Wir haben jetzt das Modell, dass auf nationaler Ebene bei Bail-in der Rechtsformwechsel vorgesehen ist, aber es besteht auch die Möglichkeit, dass die Länder, wenn sie ein entsprechend gleichwertiges Bail-in regeln, in ihren Sparkassengesetzen Ausnahmen machen. Das zeigt für mich - das ist auch gelebte Subsidiarität -: Es ist wichtig, dass wir auf nationaler Ebene das, was wir auf europäischer Ebene jahrzehntelang zu Recht verteidigt und hochgehalten haben, auch auf nationaler Ebene behüten und nicht preisgeben. Hier haben wir also die Flexibilität der Richtlinie entsprechend ausgenutzt. Die Europäische Zentralbank hat jetzt die Aufsicht übernommen. Herr Troost, ich habe Sie so verstanden, dass Sie das für falsch halten. Möglicherweise habe ich Sie falsch verstanden. Das ist jedenfalls ein richtiger Schritt. Er ist nicht ideal, aber es ist ein richtiger Schritt. Das sollte man in diesem Zusammenhang auch von Ihrer Seite betonen. 120 Banken in Europa werden direkt beaufsichtigt. Auch bei diesem Punkt sage ich: Es ist ein Schritt. Wir werden zukünftig darauf achten müssen, wie diese Aufsicht funktioniert und wie sie sich entwickelt. Ein weiterer Kritikpunkt, der genannt wurde, ist, in einem Haus zusammen Geldpolitik und Aufsicht zu kombinieren. Auch ich halte das für problematisch. Aber wenn man das für problematisch hält, muss man auch sagen: Um das auszuschließen, bedarf es einer Änderung der Verträge. Wenn die Verträge geändert werden, dann ist der Weg frei. Ich kann mir nicht vorstellen, so wie ich Finanzminister Schäuble bisher verstanden habe, dass er diesen Weg nicht gehen will. Aber wir müssen auch pragmatisch herangehen und fragen: Was ist auf der europäischen Agenda als Nächstes möglich? Eine weitere Frage neben der nach der Aufsicht auf europäischer Ebene ist: Wie gehen wir in der EZB zukünftig mit den Regionalbanken um? Hier sehe ich durchaus auf Level 2 von Normierung und Aufsicht die Problematik, dass wir die Besonderheiten der Regionalbanken durch die Hintertür Stück für Stück zwar nicht preisgeben, aber den Kampf, den wir auf europäischer Ebene führen, dorthin verlagern. Denn die Europäische Zentralbank hat nicht nur unmittelbare Aufsicht über die Großbanken, sondern auch mittelbare Aufsicht über alle Banken. Über 40 Prozent der Regionalbanken, die nicht unmittelbar beaufsichtigt werden, befinden sich nun in Deutschland. Erster Ansatzpunkt ist hier das Meldewesen. Ich halte es - das muss ich ganz klar sagen - für falsch, dass immer mehr IFRS-Anforderungen durchgereicht werden. Daher bedarf es hier einer entsprechenden Governance und Vorgabe, wie es sich weiterentwickeln soll. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich die Lösung - ich habe mit mir gerungen über das Verhältnis von BaFin und Bundesbank zueinander; dabei gibt es gute Argumente für die eine wie für die andere Seite -, die wir gefunden haben, für gut: BaFin ist jetzt Ansprechpartner, aber wir betonen zugleich, dass das System der kollegialen Aufsicht durch Bundesbank und BaFin sich bewährt hat. Das sollte auch für die europäische Ebene eine Blaupause sein, indem wir uns dagegen wenden, dass alles auf einen Bereich konzentriert wird, und vielmehr die Splittung als Modell auf europäischer Ebene voranbringen. Wir wissen, dass wir uns bei den Trennbanken weiterentwickeln müssen. Wir haben auf nationaler Ebene eine Lösung. Wir haben auf europäischer Ebene einen Verordnungsvorschlag. Es ist umso wichtiger, dass dieser Vorschlag auf europäischer Ebene sich an den Kriterien und den Prioritäten, die wir in Deutschland haben, orientiert. Ich muss allerdings sagen: Die europäische Vorgabe ist für mich nicht ganz konsistent. Die Zeitvorgaben, die hier genannt werden, halte ich für bemerkenswert. Einmal habe ich einen Verordnungsvorschlag, der unmittelbar gilt, aber gleichzeitig können auf nationaler Ebene mithilfe von Regelungen, die einen gewissen Rahmen haben, Ausnahmen gemacht werden. Das ist für mich ein Widerspruch in sich. Das wird sicher eine ganz wichtige, aber auch langwierige Diskussion werden. Zum Thema Steuern - das hat auch der Kollege Binding angesprochen -: Ich halte es für richtig, dass wir zwischen den Staaten auf europäischer Ebene für Wettbewerbsgleichheit sorgen, dass wir versuchen, systematisch korrekt zu arbeiten. Darum werden wir dieses sicher in den nächsten Wochen und Monaten auf europäischer Ebene nicht nur verfolgen, sondern auch versuchen, die Mitgliedstaaten für unsere Haltung zu gewinnen. Letztendlich haben wir es auf europäischer Ebene geschafft, deutsche Standards entsprechend weiterzuentwickeln. Es ist auch wichtig, die Entscheidungen rechtzeitig richtig zu treffen. Vor diesem Hintergrund kann ich es mir nicht verkneifen, nachdem Sie, Herr Kollege Zöllmer, vorhin das Thema Griechenland angesprochen haben, noch ganz kurz zu sagen - das brauchen wir nicht zu sehr vertiefen -: Ich habe zumindest zu dem Zeitpunkt, als eine andere Bundesregierung zugestimmt hat, im Europäischen Parlament dagegen gestimmt. Ich war gegen die Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. - Wir sollten daraus jedenfalls gemeinsam lernen, dass wir uns rechtzeitig mit den richtigen Weichenstellungen in Europa befassen müssen. Wir müssen rechtzeitig unsere Stimme erheben, um die Weichen richtig zu stellen. Das schaffen wir heute mit dem Beschluss zur Bankenunion. Ich danke Minister Schäuble, dass er hier mit Augenmaß vorgegangen ist. Er sollte nicht dafür kritisiert werden, deutsche Interessen zu vertreten und trotzdem die Aufsicht in Europa zu europäisieren. Herzlichen Dank. Wir werden zustimmen. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 5 a: Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung einer Richtlinie des Euro- päischen Parlamentes und des Rates zur Festlegung ei- nes Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Ände- rung weiterer Richtlinien und Verordnungen des Euro- päischen Parlaments und des Rates - BRRD-Umset- zungsgesetz. Hierzu liegen mehrere Erklärungen gemäß § 31 unse- rer Geschäftsordnung vor.1) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3088, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/2575 und 18/2626 in der Ausschussfassung anzuneh- men. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, getrennt abzustimmen: zum einen über Artikel 5 Num- mern 6 bis 11, Nummern 12 a und 12 b, Nummer 13 a, Nummer 15 sowie Artikel 7 und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen. Ich rufe zunächst auf Artikel 5 Nummern 6 bis 11, Nummern 12 a und 12 b, Nummer 13 a, Nummer 15 so- wie Artikel 7 in der Ausschussfassung. Ich bitte diejeni- gen, die zustimmen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Artikel 5 Nummern 6 bis 11, Nummern 12 a und 12 b, Nummer 13 a, Nummer 15 sowie Artikel 7 sind mit den Stimmen der CDU/CSU- Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke in der Ausschussfassung angenommen. Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, um ihr Stimmzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann sind die übrigen 1) Anlage 2 bis 4 Vizepräsident Peter Hintze Teile des Gesetzentwurfs mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, den Stimmen der SPD-Fraktion und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und eine Stimme aus der CDU/CSU-Fraktion so beschlossen. Alle Teile des Gesetzentwurfes sind damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen zwei Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion und die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3091. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3092. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPDFraktion bei Enthaltung der Linken und Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3088, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/2576 und 18/2627 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes. Der Haushaltsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3082, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/2577 und 18/2629 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und den Stimmen der SPD-Fraktion gegen zwei Stimmen aus der CDU/CSUFraktion und die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion dann so angenommen worden. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Der Haushaltsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3082, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/2580 und 18/2628 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPDFraktion gegen die Fraktion Die Linke, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie gegen zwei Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum Antrag des Bundesministeriums der Finanzen mit dem Titel „Durchführungsbestimmungen zum Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3082, dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 18/2669 zuzustimmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden. Zusatzpunkt 1. Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses auf Drucksache 18/3088 fort. Vizepräsident Peter Hintze Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/97 mit dem Titel „Risiko und Haftung zusammenführen Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen“. Wir stimmen also über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses ab. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/98 mit dem Titel „Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden - Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanimus“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/774 mit dem Titel „Zum Schutz der Allgemeinheit vor Einzelinteressen - Für eine echte Europäische Bankenunion“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Damit sind wir am Ende dieser Reihe von Abstimmungen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das Massensterben an den EU-Außengrenzen beenden - Für eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union Drucksachen 18/288, 18/2946 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich die Aussprach eröffne, warten wir vielleicht noch einen Moment, bis alle ihren Platz gefunden haben. Diejenigen, die eine Aussprache über individuelle Themen wünschen, bitte ich, den Plenarsaal hierfür zu verlassen. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Bosbach. ({1})

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Neben dem Kampf gegen den Terror des sogenannten Islamischen Staates ist die Bewältigung der ja weltweiten Flüchtlingskrise und -problematik sicherlich die größte internationale und europäische Herausforderung sowie auch innenpolitische Herausforderung bei uns in Deutschland. Über 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, rund 33 Millionen sind Binnenvertriebene, an die 18 Millionen sind über Grenzen geflohen. Was sich wenige Flugstunden von uns entfernt abspielt, ist eine wahre Tragödie. Menschen fliehen vor brutalen Diktatoren, vor brutalen Diktaturen, sie fliehen vor Hungersnot, vor Epidemien und vor dem Terror der IS-Truppen. Wir erleben gerade eine Tragödie im Grenzgebiet der Länder Syrien/Irak/Türkei. Hunderttausende campieren dort unter freiem Himmel. Der Winter steht vor der Tür. Zuerst kommt der Regen, dann kommt die Kälte, dann kommt der Schnee, dann kommt der Tod. Wir wissen von den Tragödien im Mittelmeer. Wir wissen, dass Schlepper und Schleuserbanden mit der Not vieler Menschen brutale Geschäfte machen. Um einen Punkt in dieser Debatte gleich abzuräumen: Wenn Menschen in Not sind, wenn sie zu ertrinken drohen, dann fragen wir nicht nach der Staatsangehörigkeit, wir fragen nicht nach der Religion, wir fragen nicht nach der Rechtslage, sondern wir retten sie, wir werfen ihnen Rettungsringe zu. Dazu müssen wir vorher auch in keinem Gesetzesbuch nachlesen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Alles andere wäre im Übrigen unterlassene Hilfeleistung. ({0}) Ich glaube, da gibt es einen großen Konsens über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. Der Antrag der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen geht allerdings weit darüber hinaus. Im Grunde genommen ist es eine Anklageschrift gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten. ({1}) Aber der Inhalt dieser Anklageschrift wird den Realitäten in keiner Weise gerecht. ({2}) Von den 700 000 Flüchtlingen aus dem Balkan, zum Beispiel aus Bosnien-Herzegowina, hat Deutschland allein 350 000 Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland also die Hälfte, alle anderen Länder der Welt zusammen die andere Hälfte. Wir haben über 40 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo aufgenommen. Zurzeit nimmt kein Land in der Europäischen Union mehr Flüchtlinge auf als die Bundesrepublik Deutschland. Richtig ist: Es gibt Länder, die pro Kopf der Bevölkerung mehr Flüchtlinge als Deutschland aufnehmen, darunter auch sehr kleine Staaten, zum Beispiel die Insel Malta, wo sich aber auch nur sehr kleine Zahlen ergeben. Es gibt aber auch große Länder, die sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen - je nach Betrachtungsweise - vornehm zurückhalten oder schäbig verhalten; jeder mag das anders bewerten. Deutschland alleine wird in diesem Jahr mehr Flüchtlinge aufnehmen als Portugal, Spanien, Italien und Griechenland zusammen. In einer solchen Situation kann man ruhig einmal, wenn auch nur in einem Nebensatz, anerkennen, was Deutschland in der Vergangenheit bereits geleistet hat, was Deutschland heute leistet und auch in Zukunft leisten wird. ({3}) Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Situation in allen anderen Büros anders aussieht als bei mir. Alle Gespräche, alle Zuschriften sind angesichts der derzeitigen Lage von zwei Argumentationslinien geprägt. Die einen sagen: „Seht ihr nicht die Not der Menschen in der Welt, die Not der Menschen, die fliehen müssen? Kann ein reiches Land wie Deutschland nicht mehr tun?“, und die anderen sagen: „Seht ihr nicht, dass unsere Städte und Gemeinden an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angekommen sind? Viel mehr können wir nicht leisten.“ Für beide Haltungen gibt es übrigens gute Argumente. Angesichts der dramatischen Situation, wie ich sie eingangs geschildert habe, ist die Frage: „Kann Deutschland nicht noch mehr tun?“, oder: „Müsste Deutschland nicht noch mehr tun?“, legitim. Es gibt im Übrigen eine enorme Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung jenen gegenüber, die tatsächlich verfolgt sind, die tatsächlich politisch Verfolgte sind, die tatsächlich vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen. Unser Problem ist aber doch, dass wir jedes Jahr auch sehr viele Menschen aufnehmen, die nicht politisch verfolgt sind, die nicht vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen, die keinen Rechtsanspruch auf einen Daueraufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die allermeisten Menschen von denen werden das auch wissen. Eine vernünftige Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass nicht alle, aber viele Städte und Gemeinden unseres Landes an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt sind. Eine Schlagzeile von heute Morgen in einer Kölner Zeitung: „Roters will keine weiteren Flüchtlinge“. Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse: Es handelt sich nicht um einen CDU-Oberbürgermeister oder um einen CSU-Oberbürgermeister, sondern es handelt sich um den SPD-Oberbürgermeister der Stadt Köln. Die Stadt Köln wird von einer rot-grünen Ratsmehrheit regiert. Ist Herr Roters xenophob? Ist er ausländerfeindlich? ({4}) Ist er ein latenter Rassist? Nein, er hat Not. Er weiß nicht mehr, wo er die vielen Flüchtlinge unterbringen kann. Und das führt zu Spannungen. Das führt zu Spannungen in der Gesellschaft, das führt zu Spannungen vor Ort. Wenn wir Politiker, die wir unmittelbar politische Verantwortung tragen, den Menschen draußen signalisieren, dass uns die Probleme vor Ort nicht interessieren, dass wir uns gar nicht damit beschäftigen, dass wir sie ignorieren in der Hoffnung, dass den Menschen gar nicht auffällt, dass es diese Probleme gibt, dann werden sie sich anderen politischen Kräften zuwenden, die heute - darüber sind wir froh - nicht im Deutschen Bundestag vertreten sind. ({5}) Wir haben auch, aber nicht nur eine Verantwortung gegenüber den bedrängten Menschen in der Welt. Dieser Verantwortung wird Deutschland gerecht; wobei ich nicht sagen würde, dass man nicht noch mehr tun könnte. Mir fällt in der Politik überhaupt kein Thema ein, zu dem ich sagen könnte: Da könnte man nicht noch mehr tun. ({6}) Wir werden hier auch mehr tun müssen; aber wir können nicht diejenigen aufnehmen, die politisch verfolgt sind, und diejenigen, die es nicht sind, auch. Wir können nicht diejenigen aufnehmen, die vor Krieg fliehen, und diejenigen, die nicht vor Krieg fliehen, auch. ({7}) Deswegen ist es wichtig, dass wir die Fluchtursachen vor Ort bekämpfen, damit die Menschen sich erst gar nicht auf eine lebensgefährliche Reise begeben müssen. ({8}) Deshalb ist es wichtig, dass wir die Schlepper- und Schleuserkriminalität bekämpfen. Ein letzter Punkt: Europa kümmert sich sonst um alles: um Glühbirnen und neuerdings auch um die Saugkraft von Staubsaugern; sie muss europaweit einheitlich geregelt werden. Es wäre schön, wenn wir uns auch oder wenigstens darüber einig wären, dass Europa sich auch darum kümmern muss, dass wir einheitliche Mindeststandards für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern in allen Ländern der Europäischen Union bekommen. ({9}) Dass humanitäre Mindeststandards eingehalten werden, ist übrigens nicht nur eine völkerrechtliche Verpflichtung; das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das schulden wir denjenigen, die wirklich bedrängt sind, die wirklich in Not sind. Denen wird in Deutschland niemals nicht geholfen werden. Da sind wir aufnahmebereit wie kaum ein anderes Land in der Welt. Auch das könnte man im Rahmen der Beschreibung der großen Probleme, die wir haben, ruhig einmal anerkennen. Wir dürfen unser eigenes Land ruhig einmal loben. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Bosbach, kein Mensch flieht ohne Not, verlässt sein Land ohne Not und möglicherweise auch seine Familie. ({0}) Anlass für den Antrag der Linksfraktion, über den wir heute hier reden, waren die Tragödien, die sich im Herbst vorigen Jahres im Mittelmeer vor der Insel Lampedusa ereigneten. Dort sind 400 Menschen ertrunken. Eine Woche später gab es ein weiteres Unglück mit 250 Toten. Ich möchte hier einmal die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, zitieren, die damals von einem regelrechten Massaker an den Flüchtlingen gesprochen hat. Es sei wie im Krieg, sagte sie, und weiter: Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass die europäische Einwanderungspolitik diese Menschenopfer in Kauf nimmt, um die Migrationsflüsse einzudämmen …, dass ihr Tod für Europa eine Schande ist. ({1}) Genau das ist der Grund, warum die europäische Flüchtlingspolitik grundlegend geändert werden muss. Das UNO-Flüchtlingswerk bzw. der UNHCR führt eine grausame Statistik über die Menschen, die seit Jahren im Mittelmeer ums Leben gekommen sind. Fast 2 Prozent aller Flüchtlinge im Mittelmeer sind darin ertrunken. In diesem Jahr gab es allein bis Ende August mindestens 3 200 Tote. Je dichter die Abschottung, desto gefährlicher werden die Fluchtrouten. Das treibt die Todeszahlen in die Höhe. Dieser grausamen Logik muss man endlich ein Ende bereiten. ({2}) Doch leider kommt von den für diese Flüchtlingspolitik Verantwortlichen, Herr Bosbach, außer Betroffenheitsfloskeln überhaupt nichts. Es heißt einfach: Weiter so! An diesem Montag zum Beispiel sind 24 Flüchtlinge im Bosporus ertrunken; sie wollten über das Schwarze Meer, um nach Rumänien, also nach Europa, zu gelangen. Das ist das Ergebnis der Politik der Abschottung an den EU-Außengrenzen. Das Massaker, von dem Frau Nicolini sprach, fordert jeden Tag neue Opfer. Einzig Italien hat noch im Oktober vorigen Jahres eine Aktion unter dem Titel Mare Nostrum gestartet. Wir alle wissen, dass Italien ein Asylsystem mit schweren Mängeln hat. Aber für diese Rettungsaktion verdient das Land Anerkennung. ({3}) Italien hat die EU um Unterstützung gebeten. Deutschland und auch kein anderer EU-Staat waren aber bereit, sich an den Kosten zu beteiligen, Herr Kollege Bosbach. Diese Aktion kostet in der Tat monatlich 9 Millionen Euro; diese Kosten könnten aber auf viele EU-Staaten verteilt werden. Statt Mare Nostrum und Seenotrettung hat die EU am Montag dieser Woche mit einem Einsatz zur Grenzüberwachung begonnen, den sie Triton nennt. Er bedeutet noch mehr Abschottung, kostet aber nur 3 Millionen Euro im Monat. Man stellt sich hier doch ernsthaft die Frage: Ist es billiger, die Menschen ertrinken zu lassen, als sie zu retten und sich auch für Rettungsaktionen einzusetzen? Für solch einen Zynismus können wir nur abgrundtiefe Verachtung empfinden. ({4}) Der Bundesinnenminister hat vor einigen Wochen mit anderen Kollegen aus EU-Staaten einen Brief an das EU-Innenkommissariat gesandt. Was steht in dem Brief? Ehrlich gesagt, nur die alte Leier: dichtere Überwachung der EU-Außengrenzen, engere Zusammenarbeit mit Transitstaaten, um Flüchtlinge schon in Afrika aufzuhalten, verstärkte Bekämpfung von Schleuserbanden, aber kein Wort zur Rettung von Flüchtlingen. Auch der Innenminister hat meiner Meinung nach aus den Tragödien, die wir im vergangenen Jahr im Mittelmeer erlebt haben, überhaupt nichts gelernt. Stattdessen pflegt er eine absolut unangemessene bürokratische Kleinkariertheit, wenn er etwa darüber doziert, im Rahmen von Frontex dürfe nur Grenzüberwachung durchgeführt werden und Frontex habe für Seenotrettung - ich zitiere ihn - „weder das Mandat noch die erforderlichen Ressourcen“. Ich sage Ihnen: Für die Rettung aus Seenot braucht man kein Mandat. Im Gegenteil: Das ist eine Pflicht. Wer sich dieser Pflicht bewusst verweigert, macht sich an weiteren Massakern mitschuldig. Ich gebe Herrn Bosbach recht, dass hier etwas passieren muss und nicht nur geredet werden darf. ({5}) Noch etwas. Wenn Frontex nicht dafür geschaffen ist, Flüchtlinge zu retten, dann, so sagt die Linke, muss Frontex eben abgeschafft und durch ein effektives Seenotrettungssystem ersetzt werden. Was die Bekämpfung von Schleusern angeht, will ich die Frage aufwerfen: Haben Sie sich eigentlich schon einmal überlegt, dass es Schleuser nur deswegen gibt, weil sich die EU weigert, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge auf legalem Wege nach Europa kommen können? Es ist doch die EU selbst, die die Flüchtlinge damit regelrecht in die Hände von Schleusern treibt. Die richtige Antwort, die wir in unserem Antrag beschreiben, lautet deswegen nicht: „Noch mehr Repression und noch mehr Abschottung“, sondern: Menschen in Not muss, ohne dass sie sich in Lebensgefahr begeben müssen, ermöglicht werden, in Europa Asyl zu beantragen. Das könnte ganz einfach durch eine Liberalisierung der Visapolitik geschehen. ({6}) Statt mit Staaten wie Libyen zu kooperieren, wo Flüchtlinge eingesperrt sind - übrigens zurzeit 100 000 oder einfach in der Wüste ausgesetzt werden, gilt es, Kapazitäten für Aufnahmeprogramme zu schaffen, die in akuten Lagen wie etwa jetzt in der Syrien-Krise auch kurzfristig greifen. Es ist doch ein Trauerspiel - ich sage ja nicht, dass wir nichts tun -, dass es Monate und Jahre dauert, bis wir in Deutschland ein paar Tausend Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, nur weil wir dabei eine unglaubliche Bürokratie an den Tag legen. Meine Damen und Herren, es muss endlich das unwürdige Dublin-System abgeschafft werden, mit dem Schutzsuchende gezwungen werden, in dem Land Asyl zu beantragen, das sie zuerst betreten haben. Für die Flüchtlinge bedeutet es eine inhumane und zudem völlig nutzlose Schikane, wenn sie in Deutschland noch vor der Prüfung ihres Asylantrages festgenommen und zum Beispiel nach Italien abgeschoben werden. Übrigens hat erst gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wieder festgestellt, was vielen Flüchtlingen in Italien blüht - das ist vielen immer noch nicht klar -: Entweder sie bleiben ganz ohne Unterkunft, oder sie werden in überfüllte Lager mit - so das Gericht - gesundheitsgefährdenden und gewalttätigen Zuständen gesteckt. - Es ist wesentlich humaner - es spricht überhaupt nichts dagegen -, sie dorthin gehen zu lassen, wo sie Verwandte haben, wo sie die Sprache beherrschen, wo sie besser integrierbar sind. Innerhalb der EU könnte das auch mit einem Finanzausgleich geregelt werden. Meine Damen und Herren, zum Schluss kann ich nur an das Haus appellieren: Die europäische Flüchtlingspolitik tötet. Deswegen ist es an der Zeit, sie radikal zu ändern. Mit noch mehr Abschottung wird nur noch mehr Tod und Leid provoziert. Ein Weiter-so in der europäischen Flüchtlingspolitik darf es einfach nicht geben. Deswegen werden wir noch weitere Anträge einbringen, zumal Sie diesen Antrag heute ablehnen werden. Es muss endlich etwas passieren, damit Menschen nicht mehr ums Leben kommen. Danke schön. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Christina Kampmann, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Christina Kampmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Januar dieses Jahres habe ich meine erste Rede im Deutschen Bundestag zu genau diesem Antrag und zu genau diesem Thema gehalten. Seitdem ist rund ein Dreivierteljahr vergangen. Insofern ist es jetzt an der Zeit, die Frage zu stellen, was seitdem eigentlich passiert ist. Den Bürgerkrieg in Syrien gab es damals schon, und er hat nichts von seiner Brutalität und Grausamkeit verloren. Der Konflikt in Syrien ist aber nur einer von vielen, der in diesem Jahr täglich Menschenleben kostet. Seit einiger Zeit erschüttern uns auch die Gräueltaten einer Terrorgruppe namens „Islamischer Staat“, die mit einer Gewalttätigkeit und Grausamkeit agiert und überall dort, wo sie auftaucht, solch unfassbares Leid hinterlässt, dass die Nachvollziehbarkeit derartigen Handelns längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Das sind aber nur zwei Konflikte zusätzlich zu denen, die tagtäglich stattfinden, weil Menschen Hunger leiden, weil Menschen aus ihren Dörfern vertrieben werden oder schlichtweg keine Perspektive mehr für sich und ihre Familie sehen. Dies sind Gründe genug, um sich heute die Frage zu stellen: Was ist seitdem eigentlich passiert? Was haben wir getan, um unseren Worten vom 17. Januar Taten folgen zu lassen? Da sei zunächst die finanzielle Unterstützung von rund 520 Millionen Euro genannt, die wir Syrien haben zukommen lassen und die vor allem der humanitären Hilfe dient. Aber auch das THW leistet vor Ort und in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Nordirak vor allem durch die Bereitstellung der Wasserversorgung jeden Tag eine immens wichtige Hilfe. Im Juni haben wir uns auf ein weiteres Aufnahmeprogramm geeinigt, sodass wir insgesamt 20 000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufnehmen werden. Bei der Syrien-Flüchtlingskonferenz in der vergangenen Woche hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier deutlich gemacht, dass wir uns über die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge hinaus auch um die Stabilität der Aufnahmeländer kümmern müssen, die schon jetzt an ihre Grenzen gekommen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Tatsache, dass sich weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht befinden, ist das vielleicht nicht viel. Angesichts dessen, was andere europäische Länder, insbesondere wenn es um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge geht, beigetragen haben, ist das aber eine ganze Menge. Wir können uns gewiss nicht darauf ausruhen, wir können es aber als Basis für unser weiteres Handeln nehmen. ({0}) Aber blicken wir auf die europäische Ebene. Da macht in diesen Tagen ein Einsatz namens Triton von sich reden. Wir müssen uns die Frage stellen: Hilft Triton weiter, wenn es darum geht, das in dem Antrag formulierte Ziel der Rettung von in Seenot geratenen Menschen zu erreichen? Die Zweifel, die daran aufkommen, sind berechtigt. ({1}) Das italienische Programm Mare Nostrum durch ein europäisches zu ersetzen, ist zunächst einmal richtig. Wir haben uns dazu entschlossen, gemeinsame Außengrenzen zu haben; deshalb ist es auch unsere gemeinsame europäische Aufgabe, für das, was an diesen Grenzen passiert, Verantwortung zu übernehmen. ({2}) Verantwortung bedeutet nicht nur, aber auch, diese Grenzen zu schützen. Deshalb lehnen wir die im Antrag der Linken formulierte Forderung nach der Auflösung von Frontex entschieden ab. ({3}) Verantwortung bedeutet aber vor allem, die Menschen, die ihre letzte Hoffnung darin sehen, sich unter Gefährdung ihres eigenen Lebens und oft auch des Lebens ihrer Kinder auf einem überfüllten Boot auf den Weg nach Europa zu machen, zu retten, wenn sie in Seenot geraten sind. Darüber sollten wir nicht diskutieren; denn das ist unsere elementarste menschliche Pflicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Herr Bosbach, es ist gut, wenn wir uns in diesem Ziel einig sind; aber Rettung fällt eben nicht vom Himmel dafür muss auch die entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden, ({5}) und es hilft nicht, da auf Europa zu zeigen; denn wir sind ein Teil von Europa. Wir müssen uns gemeinsam dafür starkmachen, dass wir genau dieses Ziel erreichen. ({6}) Wir fordern deshalb: Triton muss mindestens genauso gut ausgestattet sein wie Mare Nostrum; das bezieht sich sowohl auf den Umfang des Mandats als auch auf die finanzielle Ausstattung. Alles andere ist eine Farce, die in keiner Weise nachvollziehbar ist und die für uns auch nicht akzeptabel ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Wenn wir es wirklich ernst meinen mit der Rettung von in Seenot geratenen Menschen, wenn wir ein weiteres Unglück, wie es sich vor Lampedusa ereignet hat, verhindern wollen, dann brauchen wir für Frontex ein eindeutiges Mandat, das über den Grenzschutz hinausgeht und sich in aller Deutlichkeit auch zur Seenotrettung bekennt. Dann brauchen wir auch eine bessere finanzielle Ausstattung als die rund 3 Millionen Euro, die derzeit vorgesehen sind. Wenn wir es wirklich ernst meinen mit den europäischen Werten, die wir jeden Tag aufs Neue verteidigen, dann müssen wir hier noch eine Schippe drauflegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Europäische Flüchtlingspolitik darf sich aber nicht nur auf die beschränken, die über das Mittelmeer auf dem Weg zu uns sind. Wenn Europa es ernst meint mit Werten wie Solidarität, Gerechtigkeit und Menschlichkeit, dann müssen wir auch über eine Reform des Dublin-Systems reden. Dublin III funktioniert nämlich so, wie es derzeit ausgestaltet ist, nicht. ({9}) Es ist zum einen unsolidarisch, weil die Länder, die an den Außengrenzen sind, stärker belastet werden als andere; das ist ein eindeutiger Fakt, der sich nicht wegdiskutieren lässt. ({10}) Es ist zum anderen ungerecht gegenüber den Flüchtlingen; denn wenn Länder wie Griechenland und Italien stärker belastet werden als andere, dann ist es für diese natürlich auch schwieriger, angemessene Unterkünfte, Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und alles, was man für ein einigermaßen menschenwürdiges Existenzminimum braucht, zur Verfügung zu stellen. Deshalb muss Dublin III besser heute als morgen reformiert werden. ({11}) Der Linken sage ich mit Blick auf Alternativen: Das von Ihnen vorgeschlagene Free-Choice-Verfahren, wonach sich jeder das Aufnahmeland selbst aussuchen kann, ({12}) stellt nur vordergründig eine wirklich gute Alternative dar; denn das - dessen bin ich mir sicher - würde in einem Wettbewerb um die niedrigsten Standards enden. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein und ist auch nicht im Sinne der Flüchtlinge. ({13}) Unser Vorschlag dazu ist ein Quotensystem, das sich an Kriterien wie zum Beispiel Wirtschaftswachstum, Bevölkerungszahl und Arbeitslosigkeit orientieren könnte und damit zu einer gesamteuropäischen Lösung beiträgt, die solidarisch und gerecht gegenüber den Flüchtlingen ist, weil sie - da bin ich mir sicher - zu besseren Standards in den Aufnahmelagern und während des Asylverfahrens führen wird, auch dann, wenn es darum geht, dass diese Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das ist aus unserer Sicht die beste Alternative. Für diese werden wir uns weiterhin starkmachen. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, tote Menschen vor den Küsten Europas sind längst zur Alltäglichkeit geChristina Kampmann worden. Mehr als 3 000 Menschen sind seit Anfang dieses Jahres im Mittelmeer ertrunken. Ich wünsche mir, dass wir uns jeden einzelnen Tag vor Augen führen, wie beschämend allein diese Tatsache ist. Ich wünsche mir, dass wir uns jeden Tag die Frage stellen: Was treibt einen Menschen an, sein Zuhause zu verlassen, mehr Geld zu zahlen, als er sich eigentlich jemals hätte leisten können, seine Familie zurückzulassen oder auf einen Weg mitzunehmen, dessen Ziel er nicht kennt und von dem er noch nicht einmal weiß, ob er es jemals erreichen wird, und das alles in dem Wissen, dass dieser Weg vielleicht das eigene Leben und auch das Leben der eigenen Kinder kosten könnte? Ich frage Sie ehrlich: Könnte irgendjemand von Ihnen sich das vorstellen? Kann sich irgendjemand vorstellen, wie verzweifelt ein Mensch sein muss, um diesen Weg dennoch zu gehen? Ich sage ehrlich: Ich kann es mir nicht vorstellen. Gerade weil dieser Schritt alles übersteigt, was ich mir vorstellen kann, sage ich: Egal, worüber wir in Europa diskutieren, egal, welche Pläne die neue Kommission hat: Die menschliche Tragödie, die sich täglich an den Küsten Europas abspielt, muss ihre Grenze in dem finden, was unser Dasein als Menschen ausmacht: in Mitmenschlichkeit, in Achtung voreinander und in einem Minimum an Respekt vor dem Leben jedes einzelnen Menschen. Danke schön. ({15})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Bosbach, ich muss zwei Punkte in Ihrer Rede klarstellen. Der eine Punkt ist, dass der vorliegende Antrag nur von der Linken und nicht von uns Grünen ist, wie Sie gesagt haben. Der andere Punkt ist, dass wir mitnichten irgendjemandem in den Kommunen unterstellt haben, rassistisch zu sein, nur weil er deutlich macht, dass die derzeitige Situation in den Kommunen schlichtweg nur noch mit „Überforderung“ zu beschreiben ist. Deshalb haben wir als Grünenfraktion gesagt: Wir wollen einen nationalen Asylgipfel, bei dem die Interessen des Bundes, der Länder und der Kommunen harmonisiert werden. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diesen Gipfel vorzubereiten. Es muss auch um eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes und eine Entlastung der Kommunen gehen. All diese Punkte haben wir angeführt. Auch heute Nachmittag bei der Debatte um das Thema Unterbringung von Flüchtlingen gehen wir auf die Kommunen zu und sagen: Ja, in bestimmten Ausnahmefällen muss es möglich sein, Flüchtlinge in einem Gewerbegebiet unterzubringen, wenn gewisse Standards erfüllt werden. Da können Sie uns nicht vorwerfen, dass wir uns der Debatte verweigern. ({0}) Wir nehmen die Sorgen vor Ort ernst. Aber heute geht es um die europäische Flüchtlingspolitik. „Wir können nicht zulassen, dass das Mittelmeer ein Meer des Todes ist.“ Das war die Antwort des italienischen Ministerpräsidenten Letta auf die Tragödie, die Katastrophe von Lampedusa. Noch im selben Monat startete Italien die Militäroperation Mare Nostrum. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich muss einräumen, dass wir von den Grünen zu Beginn dieser Operation sehr skeptisch waren. Wir haben nicht daran geglaubt, und es war für uns schlichtweg unvorstellbar, dass die italienische Marine tatsächlich ein Programm auf den Weg bringt, das ausschließlich auf die Rettung von Menschenleben abzielt. Ich muss sagen: Ich habe mich damals getäuscht. Mare Nostrum hätte von Anfang an ein europäisches Programm sein müssen. Es hätte unsere gemeinsame Antwort auf das Sterben im Mittelmeer sein müssen. ({1}) Es wurde schon gesagt: In wenigen Wochen wird das Programm Mare Nostrum eingestellt, weil es die europäischen Staaten nicht über das Herz brachten, dieses Programm zu finanzieren. Im Gegenteil: Auch auf Betreiben der Bundesregierung haben sich die Staaten dafür eingesetzt, dass Mare Nostrum eingestellt wird. Dafür hat die EU - auch das wurde schon erwähnt - die Frontex-Mission „Triton“ ins Leben gerufen, die vor wenigen Tagen anlief und Mare Nostrum zwar zeitlich ablöst, aber ganz bestimmt nicht in dem Ziel, Menschenleben im Mittelmeer zu retten. Das geht auch gar nicht; denn Triton steht nur ein Drittel der finanziellen Ressourcen zur Verfügung. Im Gegensatz zur italienischen Marine, die auch auf hoher See gerettet hat, überwacht Triton lediglich einen Küstenstreifen. Damit ist die Rettung von Flüchtlingen auf hoher See leider nicht gewährleistet. Deshalb frage ich mich ernsthaft: Wer soll diese Aufgabe in Zukunft übernehmen? Italien hat dieses Jahr 112 Millionen Euro in die Flüchtlingsrettung investiert, und das Einzige, was uns dazu einfällt, ist, nackte Zahlen gegeneinanderzustellen und uns dafür zu feiern, dass wir mehr Flüchtlinge aufnehmen als Italien oder Portugal. Wir sind die viertstärkste Wirtschaftsnation in der Welt. Wir haben mit dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel, der ganze Gegenden aussterben lässt, zu kämpfen. Aber bei der Flüchtlingsaufnahme machen wir eine zahlenmäßige Spitz-auf-Knopf-Abrechnung mit Ländern wie Bulgarien und Portugal. Ich finde nicht, dass uns das gut steht. ({2}) Inhaltlich ist festzustellen: Wir haben zu Triton nachgefragt und sind erst einmal davon ausgegangen, dass diese Mission tatsächlich ein Ersatz für Mare Nostrum ist. Uns wurde aber relativ schnell klar, dass dies kein Ersatz dafür ist. Das Kuriose ist, dass die Bundesregierung der Frontex-Mission Triton zugestimmt hat und im Nachgang dazu in den Ausschüssen, aber auch im Plenum nicht in der Lage war, unsere Fragen dazu zu beantworten: Welche konkreten Aufgaben wird Triton haben? Wie hoch ist die finanzielle Beteiligung der Bundesrepublik? Wie gedenkt man, die Mission menschenrechtskonform zu gestalten, wenn jetzt schon klar ist, dass eine ihrer Aufgaben sein wird, Flüchtlingen bereits an Bord Fingerabdrücke abzunehmen, und zwar im Zweifel auch gegen ihren Willen? Alles, was Sie auf diese vielen Fragen entgegnen können, ist die zynische Rationalisierung des eigenen Versagens, Menschenleben zu retten. Das wird aus den Reihen der Union ganz deutlich. So wollen Sie die Abschaffung von Mare Nostrum, weil es angeblich Wasser auf die Mühlen der Schleuser ist. Was Schleusern aber tatsächlich zugutekommt, sind abgeschottete Land- und Seegrenzen. ({3}) Das ist auch absolut klar. Denn je schwieriger es für Menschen wird, an den Zäunen vorbei über das Mittelmeer zu gelangen, desto lukrativer wird das Geschäft für diejenigen, die es betreiben, und desto gefährlicher und teurer wird es für die, die es in Anspruch nehmen müssen. Ich sage bewusst „müssen“, weil es kaum Möglichkeiten gibt, legal in die Europäische Union einzureisen, um hier Schutz zu beantragen. Man kann es noch plastischer machen. Unser Innenminister hat seine Amtskollegen überzeugt, Libyen beim Aufbau eines Grenzsystems zu unterstützen - welche Staatlichkeit gibt es dort eigentlich? -, obwohl man weiß, dass die libyschen Grenzbeamten schon seit langem mit Schleusern zusammenarbeiten. Aber Mare Nostrum soll Wasser auf die Mühlen von Schleusern sein? Das ist eine Verdrehung von Tatsachen. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Denken Sie bitte an die Redezeit, Frau Kollegin. Sie haben sie schon überschritten.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen. Sie haben immer betont, dass man Menschen vor Ort helfen und die Situation in den Heimatländern verändern muss. Auch das ist richtig, aber dann frage ich mich, warum die humanitäre Hilfe so drastisch gekürzt wird, ({0}) dass das Welternährungsprogramm seine Programme in Syrien um 40 Prozent kürzen muss. Das fehlt den Menschen vor Ort. Ich sage abschließend noch etwas zu unserem Abstimmungsverhalten. Auch wir haben nicht auf alles eine Antwort. Aber wir wollen konstruktiv an Lösungen arbeiten, Herr Bosbach, auch in der Frage legaler Einreisemöglichkeiten und einer anderen Verteilung innerhalb Europas. Wir haben Vorschläge gemacht. Unser Wunsch ist es, darüber zu einem Austausch zu kommen. Wir sind nicht mit der Linken einer Meinung, wenn sie einfach fordert, Frontex bzw. den Grenzschutz abzuschaffen, weil das eine unrealistische Forderung ist. Aber man kann Grenzschutz auch menschenrechtskonform gestalten, und das muss unsere Aufgabe sein. Bitte lasst uns uns in die Mitte bewegen und endlich daran arbeiten. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich das Wort der Abgeordneten Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken, um den es in der heutigen Debatte geht, blendet sämtliche Fortschritte der europäischen Asylpolitik aus, die in jüngster Vergangenheit erzielt wurden. Dazu zählen die Schaffung von gemeinsamen Standards für eine menschenwürdige Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern in Europa sowie Maßnahmen zur Beseitigung von Fluchtursachen und zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Gefordert werden von den Linken stattdessen die Auflösung der Grenzschutzagentur Frontex, die Einführung eines sogenannten humanitären Visums, sodass Asylbewerber ihr Aufnahmeland frei wählen können, sowie ein Freizügigkeitsrecht für alle Asylberechtigten innerhalb der EU. Die Annahme dieser Forderungen würde nicht nur die Fortschritte der europäischen Asylpolitik zunichtemachen, sondern sie wäre auch keine Lösung für die Situation im Mittelmeer und damit ein völlig falsches Signal. ({0}) Die Auflösung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex würde das Ende jeglicher Grenz- und Migrationskontrolle bedeuten, was im Hinblick auf illegale Einreisen, Menschenhandel und Drogenkriminalität schlichtweg eine Katastrophe wäre, ganz zu schweigen von den zurückkehrenden Dschihadisten. Mit der Einführung eines sogenannten humanitären Visums könnte jeder, der auch nur vorgibt, schutzbedürftig zu sein, problemlos in die EU einreisen. Die Folge für uns in Deutschland wäre eine Vielzahl von Personen, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht in der EU zusteht. Auch sie landen letztlich in unserem Asylsystem, wo sie die Kapazitäten in Anspruch nehmen, die eigentlich für Menschen gedacht sind, die in ihrer Heimat systematisch verfolgt werden und die tatsächlich jeden Tag um ihr Überleben bangen müssen. Auch die Bundeskanzlerin hat in diesem Zusammenhang am vergangenen Wochenende betont, es sei weniger christNina Warken lich, „wenn wir zu viele aufnehmen und dann keinen Platz mehr finden für die, die wirklich verfolgt sind“. ({1}) Eine Auflösung von Frontex und die Einführung eines sogenannten humanitären Visums würden das schon heute vorhandene Problem des Asylmissbrauchs noch verstärken. Leittragende wären dann in erster Linie die tatsächlich Schutzbedürftigen. Hinzu kommt die Situation in unseren Kommunen. Es ist leicht, die Aufnahme von mehr und mehr Menschen zu fordern, wenn man sich keinerlei Gedanken darüber macht, wie die Konsequenzen vor Ort aussehen. Die Berichte aus unseren Landkreisen, Städten und Gemeinden sind schon jetzt alarmierend und häufen sich. Bei den Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen stehen viele Landkreise schon heute - ich zitiere mehrere Landräte „mit dem Rücken zur Wand“. Daher dürfen wir die Folgen, die eine Annahme des Antrags der Linken hätte, unseren ohnehin mit der Unterbringung und Versorgung überforderten Kommunen nicht zumuten. Noch, meine Damen und Herren, noch herrscht bei uns in der Bevölkerung weitestgehend Solidarität mit den Flüchtlingen, die zu uns kommen. Das ist gut so; denn das ist wichtig. Auch ohne den Antrag der Linken müssen wir leider davon ausgehen, dass der Flüchtlingsstrom durch die vielen gewaltsamen Konflikte weltweit nicht so schnell abreißen wird. Wenn wir aber diese Solidarität nicht gefährden wollen, dann muss die Politik berechenbar und verlässlich bleiben. Dazu gehört auch, dass wir gewährleisten, dass bei abgelehnten Asylbewerbern der Aufenthalt zügig beendet wird. Der Antrag der Linken verfehlt das eigentliche Ziel einer solidarischen und humanen Flüchtlingspolitik vollkommen. Es kann uns doch nicht darum gehen, so viele Flüchtlinge wie möglich nach Europa zu holen. Stattdessen sollten wir uns darum bemühen, dass wir durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten die Fluchtursachen durch die Verbesserung der Bedingungen vor Ort beseitigen. ({2}) Beschlossene Maßnahmen wie die zusätzlichen Hilfsmittel von rund 640 Millionen Euro für die Anrainerstaaten Syriens, in denen viele Flüchtlinge Schutz gefunden haben, sind hier der richtige Weg. Nur so packen wir im Endeffekt das Problem bei der Wurzel. Die ganze Absurdität sieht man schon daran, dass in dem vorliegenden Antrag von „humanitär handelnden Fluchthelfern“ gesprochen wird. Das ist in meinen Augen geradezu zynisch. ({3}) Denn die Schleuser handeln keineswegs aus humanitären Gründen, sondern aus reiner Profitgier. ({4}) Wer das nicht sieht oder nicht sehen will, kann in der Asylpolitik nicht ernst genommen werden. ({5}) Die Linke spricht weiter von eklatanten Mängeln im gemeinsamen europäischen Asylsystem, fordert die Abschaffung des Dublin-Systems und stattdessen für jeden Asylbewerber die freie Wahl des Aufnahmestaates und ein Freizügigkeitsrecht innerhalb der EU. ({6}) Auch diese Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, gehen völlig an der Realität vorbei; denn das Problem sind nicht - damit möchte ich zum Ende kommen - die bestehenden gemeinsamen Regelungen und Standards, sondern deren Umsetzung durch alle Mitgliedstaaten. Es kann doch nicht sein, dass von 28 EU-Mitgliedstaaten nur 10 überhaupt Asylbewerber aufnehmen. Hierunter sind es gerade die nördlichen Mitgliedstaaten - allen voran Deutschland -, wohin die Asylsuchenden gezielt weiterreisen. Die freie Wahl des Aufnahmelandes und die Freizügigkeit innerhalb der EU würden diesen Effekt der einseitigen Belastung einzelner Länder verstärken. Die Folge wäre, dass in einem solchen Fall die Hauptaufnahmeländer die Standards ihrer Asylsysteme deutlich reduzieren werden, um weniger Asylbewerber aufnehmen zu müssen. Es würde hier zu einem fatalen Abwärtswettlauf kommen. Dies wäre weder im Sinne einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik noch im Sinne der Betroffenen. Für ein gerechtes Asylsystem brauchen wir wirksame Grenzkontrollen, um die tatsächlich Schutzbedürftigen zu identifizieren und gleichzeitig zügig diejenigen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, denen kein Aufenthaltsrecht in Europa zusteht. Lassen Sie uns deshalb diesen Antrag, der in die völlig falsche Richtung geht, mit breiter Mehrheit ablehnen und damit dem Bundesinnenminister bei seiner Initiative auf europäischer Ebene für eine bessere Kontrolle der EU-Außengrenzen, für die Einhaltung der vereinbarten Regeln des gemeinsamen Asylsystems, für die Bekämpfung von Schleuserkriminalität und Menschenhandel sowie für eine bessere Verzahnung der europäischen Außen-, Flüchtlings- und Entwicklungspolitik gegenüber den Herkunfts- und Transitländern den Rücken stärken. Vielen Dank. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bosbach - er ist jetzt schon nicht mehr da hat vorhin gesagt ({0}) - na wunderbar -: Die Tragödie im Mittelmeer muss aufhören; das ist hier Konsens. - Das müsste auch Konsens sein, ist es aber nicht. Sie reden so - auch Frau Kampmann hat so geredet -, als wären Sie nicht in der Regierung. Die Italiener haben mit der Aktion Mare Nostrum etwas gegen das Sterben im Mittelmeer unternommen. Sie haben gesagt, dass sie europäische Hilfe brauchen; aber diese europäische Hilfe haben sie nicht bekommen. Jetzt sagt Herr Bosbach: Europa muss sich kümmern. - Ja, die Mitgliedstaaten müssen sich kümmern und sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen. ({1}) Wo war denn die deutsche Initiative, um die Dublin-Regeln abzuschaffen oder zu verbessern, Frau Kampmann? Das lag offenbar nicht im Interesse der deutschen Vertretung, und da wird dann nichts gemacht. Genau das ist das Problem. Und dann wird Frontex Plus erfunden. Als Ersatz für Mare Nostrum. Frontex ist in der Tat ein bürokratisches Monster. Dagegen tun Sie nichts. Das ist ein technisches, bürokratisches, militärisches Verfahren, das gleichzeitig die Flüchtlinge abschrecken und retten soll. Das geht nicht, und das wissen Sie. ({2}) Am vergangenen Montag hat es der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration, IOM, wieder gesagt: Keine Grenzschutzmission wird die Flüchtlinge dieser humanitären Katastrophen in der Welt aufhalten. Angesichts solcher Notlagen wie in Syrien, wie in Somalia, wie in Eritrea und wie im Irak wird es keinen geben, der diese Flüchtlinge aufhält. Es ist eine Illusion, zu glauben, irgendjemanden abschrecken zu wollen oder zu können. Deshalb stimmt es einfach nicht, dass Dublin II alternativlos ist. Kein bisschen! Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, aber auch von der SPD, Sie sollten nicht glauben, dass das, was wir da machen, nur auf die Flüchtlinge wirkt. Das wirkt auch auf uns, das wirkt auch auf die Bürgerinnen und Bürger der EU. Wo bleiben wir denn mit unserem Glauben an die europäischen Werte, mit unserem Glauben an die Menschenrechte? Triton ist nicht billig, Triton ist sehr teuer und kostet mehr als Geld. Wir können uns doch ein Beispiel an den Nachbarländern der Krisenherde nehmen. Die haben die Grenzen nicht zugemacht. Libanon hat die Grenzen nicht zugemacht, auch Irak macht die Grenzen nicht zu, Jordanien macht die Grenzen nicht zu. Auch in der schlimmsten Zeit haben Tunesien und Ägypten die Grenzen nicht zugemacht, obwohl dort ganz andere Zahlen von Flüchtlingen zu verzeichnen waren und obwohl diese Länder unter ganz anderen Verhältnissen Flüchtlinge aufnehmen müssen. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. ({3}) Abschließend: Wenn wir schon so kleinmütig sind, dass wir keinen Konsens finden, wie wir das Sterben im Mittelmeer beenden, wenn wir uns schon nicht trauen, irgendetwas an dem heiligen, alternativlosen Unwort des Jahres „Dublin-System“ zu ändern, dann sollten wir wenigstens die Nachbarstaaten der Krisenherde, die anders herangehen, großzügig durch humanitäre Hilfe unterstützen und nicht die entsprechenden Haushaltstitel kürzen bzw. schmälern. ({4}) Hier ist eine Führungsrolle angesagt. Wenn wir eine solche einnehmen wollen, wie es der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin und der Außenminister immer wieder sagen, dann sage ich: Bei den Flüchtlingen könnten wir anfangen. Vielen Dank. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir brauchen eine europäische Antwort; denn die Außengrenzen Europas liegen in europäischer Verantwortung. Als Menschenrechtspolitiker sage ich: Es besteht Handlungsbedarf. Daher freue ich mich, dass wir heute über europäische Flüchtlingspolitik diskutieren. Werte Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr Antrag enthält mehrere Vorschläge, die zur Verbesserung der europäischen Flüchtlingspolitik beitragen können. Die Gemeinsamkeiten hat heute meine Kollegin der SPD Christina Kampmann und haben in der ersten Lesung mein SPD-Kollege Rüdiger Veit und meine SPD-Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler deutlich gemacht. Bezüglich der Probleme und des Handlungsbedarfs besteht ohne Zweifel über alle Fraktionen hinweg Einigkeit. Das Ziel einer solidarischen und humanen Flüchtlingspolitik teilen wir alle hier im Hause. Wir, die SPD-Fraktion, sind aber anderer Auffassung, was die Lösung dieser Probleme angeht. Der Antrag der Linken enthält neben einigen guten Ansätzen auch Vorschläge, die das Ziel verfehlen, wie beispielsweise die Forderung zur Abschaffung von Frontex. Sie stehen alleine mit dieser Forderung. ({0}) Schließlich hat Frontex im Auftrag der EU eine wichtige ordnungspolitische Funktion. Daher unterstützt meine Fraktion Ihren Antrag nicht. Lassen Sie mich nun zu den diskussionswürdigen Ansätzen kommen. Wir brauchen für in Europa Asylsuchende Möglichkeiten der legalen und sicheren Einreise, damit sie nicht lebensgefährliche Wege gehen müssen. Ja, wir brauchen neben der Möglichkeit, als Hochqualifizierte nach Deutschland zu kommen, auch andere legale Wege. Ob wir dafür nun ein humanitäres Visum, wie die Grünen es vorschlagen, brauchen oder ob wir andere Wege gehen müssen, ist noch offen. ({1}) Die Richtung stimmt aber. Im Gespräch zwischen dem Bundesinnenminister und dem Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration kam die Frage auf, ob es möglich sei, ein Willkommenszentrum in Nordafrika aufzubauen. Das ist keine neue Idee. Die Vorschläge zeigen aber, werte Kolleginnen und Kollegen, dass wir gemeinsam ernsthaft und konstruktiv an Möglichkeiten der legalen Einreise Asylsuchender arbeiten müssen. Damit komme ich zum Aspekt der Verantwortungsteilung innerhalb der Europäischen Union. Das DublinSystem ist dringend reformbedürftig; darin sind wir uns fast alle einig. Wir brauchen eine Flexibilisierung, um die Verantwortung für die Flüchtlinge fair und solidarisch in der Europäischen Union zu teilen. Bislang trägt Deutschland einen Löwenanteil, und das ist gut so. Auch die anderen europäischen Länder müssen ihrer Verantwortung nachkommen. Wir kennen die Vorschläge, wie eine solidarische Verantwortungsteilung in Europa aussehen könnte. Dabei können ähnlich dem Königsteiner Schlüssel Quoten für jedes Mitgliedsland berechnet werden. Die Einwohnerzahl, die Wirtschaftskraft, teilweise auch die Flächengröße und die Arbeitslosenquote werden einbezogen. Dabei dürfen wir die Erfahrung der Länder mit Vielfalt und Einwanderung nicht vergessen. Neben angemessenen Quoten für die europäischen Staaten dürfen wir die Wünsche der Flüchtlinge nicht ignorieren. Aspekte wie Verwandtschaftsbeziehungen, Sprachkompetenzen und Ähnliches erleichtern die Teilhabe und Integration vor Ort. Auch das sollte in diesem Prozess berücksichtigt werden. Wir brauchen natürlich auch vergleichbare Standards in allen europäischen Ländern, was die Verfahren angeht - das wurde von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt -, angefangen bei der Registrierung über die Verfahrensdauer bis hin zu den Schutzquoten. So wie es jetzt ist, darf es nicht bleiben: ({2}) unterschiedliche Schutzquoten, je nachdem, wo der Asylantrag gestellt werden kann, wohlgemerkt bei gleichen Herkunftsländern. Wir dürfen in Europa keine Anreize für die Mitgliedstaaten schaffen, ihre Standards in der Asylpolitik zu senken. Ansonsten wird der Druck auf die Länder steigen, die ein hohes Niveau an Schutzquoten und Sozialstandards bieten, und das ist nicht mein Verständnis von einem solidarischen Europa. ({3}) Wir alle wissen: Nur ein Bruchteil der Rückführungen von Flüchtlingen kann stattfinden; denn noch immer gibt es Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen in den europäischen Grenzstaaten. Hier spreche ich vor allem von Griechenland und Italien; das ist nicht neu. Gerade erst hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass Flüchtlinge nur dann nach Italien zurückgeschickt werden dürfen, wenn das Land eine menschenrechtskonforme Unterbringung und Sozialleistungen gewährleistet. ({4}) Dieses Urteil wird weitreichende Konsequenzen haben: für das italienische und das europäische Asylsystem. Das Urteil legt den Finger in die Wunde. Nächster Aspekt, meine Damen und Herren: Das deutsche Resettlement-Programm für Flüchtlinge aus dem syrischen Krisengebiet ist gut. Die Bundesländer und der Bund haben in gemeinsamer Anstrengung mehr als 20 000 Flüchtlinge zusätzlich zu den normalen Asylverfahren aufgenommen, und das ist gut so. Ralf Jäger, Vorsitzender der Innenministerkonferenz, hat recht, wenn er sagt: Statt sich hinter Stacheldraht zu verschanzen, brauchen wir ein gesamteuropäisches Aufnahmeprogramm, das den Menschen schnell und wirksam hilft. Den Appell von dort möchte ich wiederholen: Auch die anderen europäischen Länder sollten sich stärker für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge engagieren. Der Bürgerkrieg in Syrien, meine Damen und Herren, ist eine der größten humanitären Krisen unserer Zeit. Syriens Nachbarstaaten bieten Flüchtlingen in bemerkenswerter Zahl Schutz und vorübergehend Heimat. Dafür brauchen sie unsere Unterstützung. ({5}) Daher ist es gut, dass wir bislang etwa 130 Millionen Euro an humanitärer Hilfe leisten und perspektivisch 500 Millionen Euro insgesamt in den nächsten drei Jahren für die Region bereitstellen. Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich Danke sagen. Ich freue mich über die große Hilfsbereitschaft in Deutschland. Es gibt unzählige Ehrenamtliche, die Verantwortung übernehmen und den traumatisierten Flüchtlingen das Ankommen erleichtern. Ich möchte ihnen danken. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das wäre an sich ein sehr schöner Schluss, Herr Kollege, zumal die Zeit schon weit überschritten ist.

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein letzter Satz, Herr Präsident. - Wir in diesem Hause können zwar politische Rahmenbedingungen setzen; das Miteinander lebt aber von der aktiven Bürgergesellschaft. Danke schön. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ab und zu ein Blick auf die Zeit, das wäre solidarisch mit allen Anwesenden. Ich rufe als nächste Rednerin die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, auf. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Grundanliegen des vorliegenden Antrags ist absolut richtig: Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden. Trotzdem lehne ich den Antrag ab; denn er basiert auf einer falschen Problemanalyse, er ignoriert die tatsächlichen Fluchtursachen, und er zieht kurzsichtige Schlussfolgerungen. ({0}) Ein Großteil der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa strömen, stammt aus Syrien und Eritrea. Aus diesen Ländern stammt ein Drittel der Asylanträge in Deutschland. Die Menschen fliehen vor Krieg, vor dem IS-Terror, vor Diktatoren wie Assad in Syrien und Afewerki in Eritrea. Diese zentralen Fluchtursachen erwähnt der Antrag aber mit keinem Wort. Stattdessen werden der Freihandel, die EU und vor allen Dingen die Bundesregierung als Problem hingestellt. Diese Problemanalyse des Antrags kann nur zu falschen Schlussfolgerungen führen. ({1}) In diesem Jahr werden voraussichtlich über 200 000 Asylanträge in Deutschland gestellt. Die Schutzquote des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge beträgt derzeit fast 30 Prozent. Angesichts dieser Fakten wirkt der Vorwurf einer Abschottungspolitik in Deutschland absurd. Allein 60 000 Flüchtlinge aus Syrien wurden bereits aufgenommen, Tendenz stark steigend. Die Bundesregierung engagiert sich zudem massiv mit Blick auf die Fluchtursachen vor Ort. Deutschland hat allein in den letzten zwei Jahren 635 Millionen Euro bereitgestellt, um die Flüchtlingskrise rund um Syrien einzudämmen. Weitere 500 Millionen Euro wurden zugesagt. Der UNO-Flüchtlingskommissar Guterres lobte Deutschland kürzlich - ich zitiere ihn -: Deutschland spielt eine führende Rolle beim Flüchtlingsschutz und dient als positives Beispiel, dem andere europäische Staaten folgen können. ({2}) Das sagen nicht wir, das sagt nicht die Bundesregierung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, Kollege Liebich von der Fraktion Die Linke möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie sie zulassen, oder möchten Sie weitersprechen?

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Abgeordneter Liebich.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Kollegin, dass Sie uns nicht recht geben, ist sehr bedauerlich. ({0}) Deswegen möchte ich auf eine Äußerung einer Ihrer Kolleginnen verweisen. Ihre Kollegin Dagmar Wöhrl hat kürzlich ein Flüchtlingslager in Nürnberg besucht. Sie hat gesagt, sie schäme sich für die Politik der Bayerischen Staatsregierung, weil die Bayerische Staatsregierung nicht rechtzeitig verantwortungsbewusst gehandelt habe. Am Mittwoch war Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im Auswärtigen Ausschuss zu Gast. Auch er hat gesagt, Deutschland müsse mehr tun. Er hat auf eine Stadt in Jordanien verwiesen, die er kürzlich besucht hat, die 60 000 Einwohner hat und 100 000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Wenn Sie also unsere Vorschläge nicht teilen, dann möchte ich gerne wissen, was Sie auf diese Hinweise hin tun möchten.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, wenn ich Ihnen dazu antworten darf: Mit Blick darauf, was unsere bayerischen Kommunen derzeit leisten - und als ehemalige stellvertretende Landrätin weiß ich das -, kann ich Ihnen nur sagen: Bayern tut viel, und Bayern tut mehr als alle anderen Bundesländer. ({0}) Dieser massive Zustrom, der insbesondere auch dadurch bedingt ist, dass die Flüchtlinge von Italien ungehindert nach Bayern durchgewunken werden, war so nicht absehbar. Nichtsdestotrotz gab es Missstände, die eingeräumt wurden, die aber auch ausgeräumt werden. Wir in Bayern tun sehr viel für die Flüchtlinge. ({1}) - Ich habe es gerade dargestellt. Es geht nicht einfach nur darum, die Menschen vor Ort unterzubringen; es geht zum Beispiel auch darum, die Kinder einzuschulen. Die Menschen werden bei uns in Bayern aufgenommen und ordnungsgemäß untergebracht, und zwar in vielen bayerischen Kommunen. Wenn Sie hier sagen, die bayerische Politik wäre verantwortungslos hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen, ({2}) dann weise ich das mit aller Entschiedenheit zurück. ({3}) Das ist ein Schlag gegen alle ehrenamtlichen Helfer, alle Bürgermeister, alle Landräte, alle Stadträte und alle, die mit dieser Problematik befasst sind. ({4}) Ich stehe heute für die CSU hier, die Sie angegriffen haben. Ich nehme das, was Dagmar Wöhrl gesagt hat, zur Kenntnis. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Mängel, die es in Bayern gab, abgestellt wurden bzw. noch werden. Ich hoffe, dass das auch in allen anderen Bundesländern der Fall ist. Zu Ihrer zweiten Bemerkung, zu Herrn Müller: Ich weiß, dass wir noch mehr tun müssen. Aber vielleicht lassen Sie mich meine Rede erst einmal zu Ende bringen. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zwischenfrage, eine Zwischenfrage des Kollegen Max Straubinger. ({0}) - Moment, wir müssen erst fragen, ob sie sie zulässt.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich lasse sie zu.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das weiß man unter Parteifreunden nicht immer. ({0}) Bitte schön.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Lindholz, würden Sie bestätigen ({0}) oder können Sie bestätigen, dass die Bayerische Staatsregierung im Gegensatz zur Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Kommunen nicht hängen lässt, ({1}) sondern deren Kosten voll übernimmt?

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Straubinger, ich habe in meiner Antwort gerade schon versucht, zu sagen, dass Bayern mehr tut als viele andere. Ich hoffe, dass auch andere Länder, in denen noch Defizite bestehen, nachziehen. Aber es geht heute meines Erachtens nicht darum, irgendwelche Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern darum, uns der Lösung der Probleme zu widmen. Ich merke, jetzt rennt mir die Redezeit davon. Ich fahre jetzt mit meiner Rede fort.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, ich hatte vergessen, die Uhr anzuhalten. Sie bekommen für Straubinger gleich noch eine Minute extra. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte an dieser Stelle das Lob und den Dank des UNO-Flüchtlingskommissars, den ich gerade zitiert habe, an die Menschen vor Ort weitergeben, an die Helfer in den Flüchtlingslagern, aber auch bei uns in den Kommunen, an die Organisationen und vor allem auch an die vielen ehrenamtlich Engagierten. Es ist eine großartige Leistung, die die Menschen in Deutschland derzeit vollbringen. Es ist unsere Aufgabe, die Akzeptanz für unser Asylsystem und diese überwältigende Hilfsbereitschaft der Menschen zu erhalten, um anderen am rechten Rand keine Chance zu geben. Wir müssen daher alles daransetzen, damit unsere Kräfte nicht überstrapaziert werden. Es geht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht nur darum, einfach Menschen in einer großen Vielzahl zu uns zu holen, sondern es geht auch um eine gute Versorgung und Unterbringung vor Ort. Dazu gehört mehr als ein Dach über dem Kopf. Dazu gehören Beschulung, Integration, Sprachkurse und vieles mehr. ({0}) Ihr Antrag fordert, Europa solle die Steuerung von Migration aufgeben, seine Grenzen öffnen und jedem ein Visum gewähren. Das können wir nicht leisten. Die Fluchtursachen würden damit auch nicht behoben. ({1}) Es gibt heute so viele Flüchtlinge auf der Welt wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die UN rechnen mit über 50 Millionen Vertriebenen. Europa verspricht den Menschen Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Natürlich versuchen daher viele, zu uns zu kommen. Die italienische Marine hat laut der Internationalen Organisation für Migration innerhalb eines Jahres rund 150 000 Flüchtlinge mit militärischen Mitteln gerettet. Im gleichen Zeitraum wurden aber auch 3 200 Todesfälle registriert. Das sind fünfmal so viele Fälle wie im Jahr vor Mare Nostrum. Auch diese Mission konnte das Sterben nicht verhindern. ({2}) Laut Frontex steigen allein in Libyen jede Woche bis zu 4 000 Flüchtlinge in ein Boot nach Europa. Eine flächendeckende Überwachung ist trotz der militärischen Mittel von Mare Nostrum angesichts der riesigen Fläche nicht möglich. Mare Nostrum wird zurückgefahren, und wir müssen genau beobachten, ob Frontex im Rahmen der Mission Triton unsere humanitären Verpflichtungen auf dem Mittelmeer erfüllen kann. Können sie nicht erfüllt werden, müssen wir meines Erachtens nachsteuern. Letztendlich kann das Sterben auf dem Mittelmeer aber nur beendet werden, wenn wir verhindern, dass die Menschen überhaupt in Boote steigen. Dabei stellen sich für uns drei zentrale Herausforderungen: Erstens müssen wir Transitländer wie Libyen und Ägypten unterstützen, um den menschenverachtenden Schleuserbanden das Handwerk zu legen. ({3}) Der italienischen Marine fehlen die dafür notwendigen polizeilichen Befugnisse, die Frontex hat. Zweitens muss Europa seine Mittel stärker bündeln, um die Fluchtursachen effektiver zu bekämpfen. Unsere Innenpolitik muss stärker mit der Außen- und Entwicklungspolitik der EU verknüpft werden. Die EU ist mit Abstand der weltweit größte Geldgeber bei der Entwicklungshilfe. Ein gezielter Einsatz dieser Mittel kann substanziell zur Stabilisierung der Anrainerstaaten, wie zum Beispiel Libanon, beitragen; denn die meisten dort untergekommenen Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat, sobald es ihnen möglich ist. Drittens muss endlich die Blockade im europäischen Asylsystem gelöst werden. Wir brauchen ein faires und solidarisches Asylsystem in Europa, das diesen Namen auch verdient. Es gibt dafür bereits alle erforderlichen Regelungen. Europa muss das bestehende Regelwerk nur richtig umsetzen und praxistauglich machen. Länder wie Italien und Griechenland fordern unsere Unterstützung beim Schutz der Außengrenzen. Gleichzeitig ignorieren sie aber zentrale Regeln des Asylsystems. Auf Deutschland entfallen heute über 30 Prozent aller Asylanträge in Europa, während auf Italien trotz des großen Zustroms nur rund 10 Prozent entfallen. Warum ist das so? Italien ignoriert zum Beispiel zentrale Regeln und europäische Standards für die humanitäre Versorgung von Flüchtlingen. Das können und dürfen wir nicht zulassen. ({4}) Solidarität in der EU darf keine Einbahnstraße sein. Alle Flüchtlinge müssen direkt nach der Einreise in die EU registriert werden, so wie es die Dublin-Verordnung festlegt. Erst dann kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, die es schon angesprochen haben, ein notwendiges europäisches Quotensystem installiert werden, an dem sich alle EU-Staaten solidarisch beteiligen müssen. Deutschland hat bereits Sonderprogramme für syrische Flüchtlinge aufgelegt. Diesem Beispiel sollte Europa endlich folgen. Mit der EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen gibt es dafür in Europa bereits eine Rechtsgrundlage. Alle EU-Staaten müssen sich der langfristigen Folgen der Fluchtursachen bewusst werden und den Sinn eines praxistauglichen europäischen Asylsystems anerkennen. Deutschland alleine als mahnende Stimme reicht hierfür nicht aus. Die komplette Auflösung der bestehenden Regelungen des Asylsystems, sehr geehrte Damen und Herren von der Linken, wie sie Ihr Antrag fordert, bietet keine Lösung. Sie wäre ein klarer Rückschritt. Vielen Dank. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Frank Heinrich, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, dass alle Fraktionen es unterstützen, dass in dieser Debatte, die eine innenpolitische Debatte ist, auch die menschenrechtlichen Aspekte eine große Rolle spielen. Die letzte Stunde hat das sehr deutlich gemacht. Ich habe ein Symbol mitgebracht, ein Symbol für mich: ein Liederbuch aus dem Norden Nigerias. Vor 14 Tagen fand ich es in einer zerstörten Kirche in einem zerstörten Dorf in einem Haufen von Müll. Die Bewohner wurden am 24. und 26. August vertrieben. Das letzte Mal war dort Gottesdienst Ende August. Warum dieses Symbol und die Erinnerung an dieses Erlebnis? Es steht dafür, dass ganz viele Menschen - einige Kollegen haben es gesagt - vor realen, lebensbedrohlichen Gefahren auf der Flucht sind. In Nigeria ist es zumeist Binnenflucht; das ist nur ein Beispiel. Wir kennen die Folgen des IS und wissen von den vielen Vertriebenen. Wir wissen von den Krisen in anderen Staaten. Herr Bosbach hat es gerade gesagt: Terror, brutale Verhältnisse, Tragödien, Dinge, die uns zum Weinen bringen müssen, sind Ursachen, warum sich Menschen auf den Weg, auch auf den Weg nach Europa, machen. Eine humane und dem Grundgesetz entsprechende Flüchtlingspolitik darf Menschen allerdings nicht einfach unter den Generalverdacht stellen, dass sie Wirtschaftsflüchtlinge seien. Humanität ist mehr, als nur Grenzen zu ziehen. Allerdings darf ein verantwortungsvoller Antrag - das geht an die Adresse der Linken, die den Antrag eingebracht hat - auch nicht die EU oder die Frank Heinrich ({0}) Bundesrepublik einfach unter Generalverdacht stellen und kritisieren, dass sie Ignoranz und Ablehnung an den Tag legen würden. ({1}) Das Wort „Massensterben“ in der Überschrift Ihres Antrages ist für mich billige Polemik, und das ist nicht hilfreich für diejenigen, über die wir heute sprechen. Massen sterben in Kriegen und humanitären Katastrophen, zum Beispiel - das wurde gerade gesagt - in Syrien, im Norden des Iraks, in Liberia, in Zentralafrika und in vielen anderen Krisengebieten. Nicht die EUPolitik, wie Sie es gesagt haben, Frau Jelpke, treibt die Menschen in den Tod. Ganz im Gegenteil: Die Hilfe für Flüchtlinge rettet Leben. Dennoch sind die Flüchtlingszahlen - wir haben es gehört - gestiegen und werden angesichts der Weltlage wahrscheinlich weiter steigen. Die italienische Regierung spricht von 150 000 Bootsflüchtlingen allein in diesem Jahr. Das Bootsunglück von Lampedusa im Oktober letzten Jahres, das schon angesprochen wurde, bei dem 390 Tote zu beklagen waren, hat die Debatte ausgelöst. Auch aktuell gab es Meldungen bei Spiegel Online - Sie haben es wahrscheinlich verfolgt -: im Schwarzen Meer Dutzende Flüchtlinge, 24 Leichen, einige davon Kinder. Am 10. September sind in der Nähe von Malta rund 500 Menschen ertrunken. Seit Jahresbeginn kamen je nach Schätzung 2 500 bis 3 000 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben. Aber auch auf anderen Fluchtwegen sind Todesfälle zu verzeichnen, zum Beispiel auf den Wegen durch die Sahara. Deshalb müssen wir - das haben alle betont - die Anstrengungen erhöhen. Jeder einzelne Tote an den Grenzen der EU und auf dem Mittelmeer ist einer zu viel. Wir wollen und wir werden - einige Begründungen haben Sie schon gehört - unsere Verantwortung wahrnehmen. Dies ist in letzter Zeit in Deutschland, auch in der Gesetzgebung, schon passiert. Neben den genannten Einsätzen des THW und der Erhöhung der Mittel - Frau Kampmann, Sie haben darauf hingewiesen - gibt es Bestrebungen, das Asylrecht zu verändern. Die Residenzpflicht wird gelockert, Asylbewerber dürfen früher arbeiten, es gibt den Vorrang von Geldleistungen. Was ist noch passiert? Es wurde vorhin das Lob des Flüchtlingskommissars Guterres zitiert, das er uns ausgesprochen hat, was insbesondere die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen angeht. Wir haben die Quote weit übererfüllt. Das muss uns nicht nur mit Stolz erfüllen. Aber, wie mein Kollege Bosbach gesagt hat, man darf im Nebensatz auch einmal sagen, was hier schon alles passiert. ({2}) Allerdings sind wir in diesem Konzert nicht alleine; wir sind als EU unterwegs. Hier müssen schon noch einige Dinge getan werden, zum Beispiel ein besseres Programm zur Rettung der Seeflüchtlinge. Dass Mare Nostrum in Triton übergeht, ist ein guter Schritt. Aber Aufstockung, Verifizierung und Ausweitung sind notwendig. Schleuserbanden muss das Handwerk mit all unseren Möglichkeiten gelegt werden. An dieser Stelle kann ich es nicht anders sagen: Es kommt mir hoch, wenn ich höre, dass auf dem Rücken der Verletztesten in unserer Welt Geld gemacht wird und Sie diese Personen auch noch als Helfer bezeichnen. Eine Vereinheitlichung der humanitären Standards, etwa bei der Unterbringung und den Rechtsverfahren, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Ich bin sehr nah bei Ihrem Vorschlag, liebe Kollegen von der SPD, eine feste EU-Quote für die Aufnahme von Flüchtlingen in Verbindung mit einem möglichen Finanzausgleich einzuführen. Darum werden wir den Antrag ablehnen: rein sachlich wegen der Polemik, die weit über das vernünftige Maß in einer Auseinandersetzung hinausgeht, und wegen der unsinnigen Schuldzuweisungen darin, wegen der Verknüpfung mit Kritik an der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik, ({3}) nicht zuletzt, weil wir der Abschaffung von Frontex nicht zustimmen können, da dies die Sicherheit an den Grenzen tatsächlich beeinträchtigen würde, die gerade von mir emotional angesprochene Tätigkeit der Schleuser eher begünstigen und eine Kontrollierbarkeit ausschließen würde. Zum Ende noch einmal zum Symbol dieses Liederbuchs. Das vorrangige Ziel von Politik, auch bei uns, muss sein, dass Menschen - in diesem Fall in Nigeria, aber auch in vielen anderen Ländern - in Frieden ihre Lieder singen und ihre Gebete sprechen können, sei es in einer Synagoge, in einer Moschee oder in einer Kirche. Dafür stehen wir unter anderem: für Humanität. Wir engagieren uns mit humanitärer Hilfe vor Ort und in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit; Sie haben es genannt. Solidarität und Humanität müssen sich am Schluss in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der Übernahme von Verantwortung in Krisen erweisen. Da bin ich ganz bei dem Satz, den Sie, Frau Kampmann, gesagt haben: Lassen Sie uns da noch die eine oder andere Schippe drauflegen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus- schusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Das Massensterben an den EU-Außengrenzen be- enden - Für eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2946, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/288 abzulehnen. Wer für die Be- Vizepräsident Peter Hintze schlussempfehlung stimmt, den bitte ich um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG Drucksache 18/2953 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht Drucksache 18/2954 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Artikel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen - Bestehende Strafbarkeitslücken bei sexueller Gewalt und Vergewaltigung schließen Drucksache 18/1969 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis 37 i sowie den Zusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 37 a: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Einführung des europäischen elektronischen Mautdienstes Drucksache 18/2656 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3}) Drucksache 18/2988 - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2991 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2988, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2656 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer dagegen stimmt, möge bitte aufstehen. - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPDFraktion ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 37 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 15 vom 24. Juni 2013 zur Änderung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Drucksache 18/2847 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({5}) Drucksache 18/3072 Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3072, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2847 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ohne Enthaltung angenommen worden.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Änderung der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({1}) Drucksachen 18/2849, 18/2931, 18/3065 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3065, auf eine Änderung oder Ablehnung der Verordnung auf Drucksache 18/2849 zu verzichten. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ohne Enthaltung angenommen worden. Tagesordnungspunkt 37 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/2921 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit Zustimmung aller Fraktionen ohne Gegenstimme oder Enthaltung angenommen worden. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 37 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 103 zu Petitionen Drucksache 18/2889 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 103 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 37 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 104 zu Petitionen Drucksache 18/2890 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 104 mit Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 37 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 105 zu Petitionen Drucksache 18/2891 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist diese Sammelübersicht 105 mit den Stimmen aller Fraktionen ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 37 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 106 zu Petitionen Drucksache 18/2892 ({7}) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 106 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 37 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 107 zu Petitionen Drucksache 18/2893 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 107 ist damit angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ohne Enthaltung. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen - Stopp des Programms MobiPro-EU sofort aufheben Drucksachen 18/1343, 18/1531 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1531, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1343 abzulehnen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung ab. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ({10}) Vizepräsident Peter Hintze bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu den alarmierenden Ergebnissen des Weltklimaberichts und dem Handlungsbedarf für mehr Klimaschutz Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Oliver Krischer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen hat der Weltklimarat seinen zusammenfassenden Bericht vorgelegt, der zwei zentrale Botschaften enthält. Die eine Botschaft ist: Der Klimawandel schreitet voran, und zwar viel stärker, als es die Forscher noch vor wenigen Jahren erwartet hätten. Es ist längst klar: Wir können eigentlich nicht mehr, wie es auf dem Bericht vorne draufsteht, vom Klimawandel reden, sondern wir müssen von der Klimakatastrophe sprechen. Diese Katastrophe findet nicht nur irgendwo in der Arktis statt. Sie findet ganz real auch bei uns hier in Deutschland statt. 2014 wird wahrscheinlich das Jahr werden, das als das wärmste in die Geschichte der Wetteraufzeichnung eingeht. Die sogenannten Jahrhundertfluten kommen inzwischen alle fünf Jahre, also in immer schnellerer Folge, und verursachen Milliardenschäden. Die zweite Botschaft des Weltklimarates ist positiv. Wir können, wenn wir wollen, das Schlimmste noch verhindern, wenn wir konsequent handeln, wenn die Weltgemeinschaft etwas unternimmt. Das Allerbeste ist: Sie muss dafür weniger als 0,1 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts, der Wertschöpfung, aufwenden, um den Klimawandel aufzuhalten. Das bietet eine riesige Chance für Entwicklung und Wohlstand auf der ganzen Welt. Diese positive Botschaft sollten wir aufgreifen. ({0}) Dass es bis heute noch kein globales Klimaschutzabkommen gibt, liegt daran, dass es viele nationale Egoismen gibt. Wenn wir endlich vorankommen wollen, dann braucht es Vorreiter, die die Sache in die Hand nehmen. Man kann es nicht anders sagen: Deutschland war über viele Jahre hinweg Vorreiter, angefangen - und ich hätte nicht gedacht, dass ich das hier einmal sage - bei Helmut Kohl über die rot-grüne Bundesregierung bis hin zur letzten Großen Koalition. ({1}) Wir erinnern uns alle daran, wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel in schönen roten Anoraks vor Gletschern standen. Von da an ging es mit dem Klimaschutz in Deutschland nur noch bergab. Die Anoraks sind längst in der Abfallmitverbrennung in einem Braunkohlekraftwerk zu CO2 verbrannt worden; diese Geschichte ist vorbei. Deutschland ist schon lange kein Vorreiter mehr. Wir haben Jahre des Nichthandelns, des Stillstandes und des Rückschrittes erlebt. Die Bundesregierung steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Klimapolitik. Es sieht ganz so aus, dass wir das Klimaschutzziel, die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent, krachend verfehlen werden. Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Emissionen aus dem Energiesektor immer weiter steigen, weil Uraltkraftwerke und Kohlekraftwerke rund um die Uhr laufen, weil wir im Wärmebereich nur in Trippelschritten vorankommen. Mit Klimaschutz in der Verkehrspolitik haben wir noch gar nicht angefangen. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft steigen auch die Emissionen in diesem Sektor immer weiter. Hätten wir nicht die Wall-Fall-Profits - das ist der Rückgang der CO2-Emissionen durch den Niedergang der DDR-Wirtschaft, Stichwort „25 Jahre Mauerfall“ und hätten wir nicht das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Sie vor der Sommerpause noch verstümmelten, dann wären Deutschlands Emissionen gegenüber 1990 noch gestiegen. Das ist die Bilanz. Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Aber Sie liefern keine Antworten auf die drängenden Fragen. ({2}) Ich kann nur sagen: Ich finde es absolut zynisch, dass Sie trotz der schlechten Bilanz und der vor uns stehenden Herausforderungen die Vorlage des Weltklimaberichtes dafür nutzen, eine Debatte darüber anzustoßen, ob man das Ziel nicht streichen solle nach dem Motto „Wir schaffen es nicht, dann canceln wir das ganze Ziel“. Nun schicken Sie Herrn Homann, den Präsidenten der Bundesnetzagentur, vor, um die Reaktion der Öffentlichkeit auf einen solchen Vorschlag zu testen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, liebe Frau Hendricks, ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie das Klimaschutzziel 2020 beerdigen, dann ist das nicht nur der Abschied von der Vorreiterrolle - die ist schon lange weg -, dann ist das das Ende jeder Klimaschutzpolitik in Deutschland. Das müssen Sie sich dann ins Stammbuch schreiben. ({3}) Eines ist klar: Man könnte handeln. Es gäbe in Deutschland die Möglichkeit, das Klimaschutzziel bis 2020 noch zu erreichen. Dazu müsste man das „dreckige Dutzend“, die schmutzigsten Kohlekraftwerke aus den 1960er-Jahren, die im Moment rund um die Uhr laufen, abschalten. Die Möglichkeiten dazu haben Sie. Das wäre im Sinne der Energiewende und im Sinne eines modernen Strommarktes erforderlich, um der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung, den Gaskraftwerken und dem Bereich der erneuerbaren Energien eine Chance zu geben. Diesbezüglich kommt von Ihnen aber gar nichts. Ich erwarte, dass das Maßnahmenprogramm, das einst mittelfristiges Sofortprogramm hieß, das dann den Namen geändert hat und vielleicht irgendwann im Dezember kommt, klare Vorschläge enthält. Ich erwarte, dass wir in diese Richtung gehen und die schmutzigsten Kohlekraftwerke endlich vom Markt nehmen. ({4}) Vor allen Dingen - das ist das Allerwichtigste - sollten Sie Klimaschutz endlich als Chance begreifen. Es geht um Effizienz, Nachhaltigkeit und grüne Wirtschaft. Mit grüner Wirtschaft schwarze Zahlen schreiben, das ist die Zukunft. Der Klimaschutz liefert uns die richtige Vorlage dafür. Darauf müssen Sie sich einstellen. Auf diesem Gebiet müssen Sie Maßnahmen liefern. Frau Hendricks, ich erwarte, dass das, was am 3. Dezember 2014 endlich vorgelegt werden soll, mit konkreten Maßnahmen hinterlegt ist, damit wir das Klimaschutzziel erreichen. Eine Aufgabe des Klimaschutzziels wäre eine Versündigung am Weltklima.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre eine Versündigung an der nachhaltigen Wirtschaft. Das wäre eine Versündigung an unseren Kindern und Enkeln. Danke schön. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das Präsidium hat Milde walten lassen, aber es wäre ganz gut, wenn wir alle darauf achten würden, die Vereinbarungen zur Aktuellen Stunde, auch was die Redezeiten angeht, liebevoll und solidarisch einzuhalten. Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Dr. Anja Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als Umweltpolitikerin bin auch ich der Meinung, dass Klimaschutz ein sehr wichtiges Thema ist. Aber ich halte es nicht für zielführend - das möchte ich an dieser Stelle auch ganz klar sagen -, dass das Thema in jeder Sitzungswoche auf die Tagesordnung gesetzt wird, heute unter dem Motto: Haltung der Bundesregierung zu den alarmierenden Ergebnissen des IPCC-Rates. Dazu muss ich erst einmal Folgendes sagen: Das ist kein neuer IPCC-Bericht, sondern das ist eine Zusammenfassung für die Entscheidungsträger, ({0}) und die Haltung der Bundesregierung ändert sich nicht von Woche zu Woche. Derzeit arbeitet die Bundesregierung mit uns zusammen an einem Klimaschutz-Aktionsprogramm. Dieses Klimaschutz-Aktionsprogramm wird am 3. Dezember 2014 im Kabinett verabschiedet, rechtzeitig vor der Lima-Konferenz. Darin werden CO2-Minderungspotenziale in allen Sektoren aufgezeigt und konkrete Handlungsmaßnahmen vorgeschlagen. Das ist doch nicht mehr lange hin. Warten Sie das doch erst einmal ab. Das sind unsere Antworten auf den IPCC-Bericht. ({1}) Seit der letzten Debatte ist etwas Positives passiert: Ende Oktober haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten verbindliche Klimaziele beschlossen. Die Tatsache, dass sich 28 EU-Mitgliedstaaten auf ambitionierte Klimaziele einigen, ist einzigartig in der Welt. Wir sind damit die Ersten. Was wurde erreicht? Es wurde beschlossen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent im Verhältnis zu 1990 zu reduzieren, den Anteil der erneuerbaren Energien EUweit auf mindestens 27 Prozent auszuweiten und den Gesamtenergieverbrauch in der EU um mindestens 27 Prozent zu senken. ({2}) Damit sendet Europa ein klares Signal: Schaut her, wir sind bereit. Das ist unser Beitrag zur internationalen Klimapolitik. Nun seid ihr an der Reihe. Es ist kein Geheimnis - das sage ich an dieser Stelle auch ganz klar -, dass Deutschland gerne weitergegangen wäre. Wir wollten zum Beispiel, dass das Ziel bezüglich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, das auf EU-Ebene verbindlich verabredet wurde, auf die nationale Ebene heruntergebrochen wird. Das sage ich ganz ehrlich an dieser Stelle. Wir wollten auch 30 Prozent als Ziel; das sage ich auch ganz klar. Aber die Verhandlungen waren schwierig. Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei wollten nicht mitmachen, haben auf die Bremse gedrückt. Es war nicht klar, ob es überhaupt gelingen würde, verbindliche Klimaziele zu verabreden. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz klar: Das ist ein Erfolg. Es steht jeweils das Wörtchen „mindestens“ drin. Das heißt, es sind Mindestziele. Wir können weitergehen, wenn die äußeren Umstände, etwa die wirtschaftliche Lage, es zulassen. Also: Es gibt wirklich keinen Grund, in die Defensive zu gehen. Die Bundeskanzlerin hat ein gutes Ergebnis erzielt. Wir können mit diesem Ergebnis selbstbewusst und mit Rückenwind nach Lima und Paris reisen, meine Damen und Herren. ({3}) Trotzdem sage ich: Wir dürfen uns auf diesem Zwischenerfolg nicht ausruhen. Wir müssen mit diesem Ergebnis im Rücken jetzt den Druck auf internationaler Ebene erhöhen, die anderen Staaten mitreißen und auch von anderen Ländern, egal ob es Industrieländer oder Entwicklungs- und Schwellenländer sind, einen Beitrag einfordern - wir alleine können das Klima nicht retten -; sonst können wir das 2-Grad-Ziel nicht erreichen. Wir brauchen dafür alle Staaten der Welt. Auch der Stern-Bericht besagt ganz klar: Wenn wir es schaffen, gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Weichen von Anfang an in Richtung einer kohlenstoffarmen und energieeffizienten Technologie zu stellen, dann haben wir viel gewonnen. ({4}) Deswegen müssen wir in diesen Ländern massiv ansetzen, auch mit Geldern, die zum Beispiel wir Deutsche zur Verfügung zu stellen bereit sind. Außerdem geben auch die Äußerungen vonseiten der USA und Chinas Anlass zu leiser Hoffnung. Diesen Worten müssen jetzt allerdings Taten folgen. ({5}) - Das war auch an diese Länder gerichtet. Wir haben mit den europäischen Beschlüssen schon Taten geliefert, meine Damen und Herren. ({6}) Auch diese anderen Länder, nämlich die USA und China, müssen jetzt liefern, und zwar bis zu den Klimakonferenzen in Lima und Paris. Zuallerletzt möchte ich noch sagen: Mir ist ganz wichtig, dass es uns gelingt, ein verbindliches Abkommen hinzubekommen, das transparent ist und überprüfbare Kriterien enthält, die auch kontrolliert werden können ({7}) und es ermöglichen, andere Länder, die diese Ziele nicht einhalten, an den Pranger zu stellen bzw. zu ermutigen, die Erreichung dieser Ziele wirklich ehrgeizig anzustreben. Denn nur ein ehrgeiziges, beherztes Handeln aller Länder der Welt führt letztendlich zu einem Erfolg beim internationalen Klimaschutz. Vielen Dank. ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer guten Nachricht beginnen: Der Kohleausstieg, den die Linke schon lange fordert, ist endlich in trockenen Tüchern. ({0}) Die Regierung hat am Wochenende angekündigt, dass Strom aus Kohle 2025 Geschichte sein wird. Jetzt will man sich mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Gesellschaft an einen Tisch setzen, um die schrittweise Abschaltung der Kohlekraftwerke in die Tat umzusetzen. Ausschlaggebend waren die Erkenntnisse der Klimaforschung bzw. die Handlungsempfehlungen dazu. Der letzte Bericht des Weltklimarats gibt der Politik einen klaren Auftrag: Es muss endlich Schluss sein mit der Stromproduktion aus fossilen Energieträgern, und zwar ohne Wenn und Aber, ({1}) oder, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Weltklima fliegt uns um die Ohren, mit allen uns bekannten Folgen. Jetzt die schlechte Nachricht, die leider lautet: Nicht Deutschland hat hier seine Klimahausaufgaben erledigt, sondern unser Nachbar Dänemark hat den Kohleausstieg beschlossen. Die dortige Mitte-Links-Regierung hat, wie ich finde, eine reife politische Entscheidung getroffen, statt nur darauf zu warten, dass der Energiemarkt das Kohleproblem löst. Im Übrigen funktioniert das sowieso nicht. In Schweden gibt es ähnliche Entwicklungen. Da frage ich mich natürlich: Warum hören die Skandinavier auf die Wissenschaft, während in Deutschland Monat für Monat neue Rekorde bei der Stromgewinnung aus Kohle aufgestellt werden? Die Linke sagt: Der Bund muss endlich eine klare Entscheidung treffen. ({2}) Nur mit einem Kohleausstiegsgesetz, das den Firmen Planbarkeit ermöglicht, wird die Energiewende zu einem Erfolg; da bin ich mir sicher, meine Damen und Herren. Gerade die Landesregierungen brauchen eine Vorgabe vom Bund für diesen klimapolitisch notwendigen Schritt nicht nur, sondern sie fordern diese sogar immer öfter ein. ({3}) Handeln Sie endlich, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, und lassen Sie uns gemeinsam dem Beispiel der Dänen folgen. Im Übrigen ist im Staate Dänemark nichts faul. Im Gegenteil, das Beispiel zeigt uns, dass Klimaschutz im nationalen Alleingang machbar ist. Die Wärmewende hat Dänemark auch schon geschafft, weil Dänemark gleich nach der Ölkrise Ende der 70er-Jahre fleißig auf Effizienzsteigerung gesetzt hat, während in der Bundesrepublik Doppelfenster eingebaut wurden. Beklagenswerterweise funktioniert Politik hierzulande noch immer nach dem Schwarzer-Peter-Prinzip: Regt sich Protest gegen ein Kohlekraftwerk oder einen Tagebau, dann zeigt der Bürgermeister mit dem Finger auf die Landesregierung. Die Landesregierung wiederum zeigt mit dem Finger auf den Bund. Das UmweltmiEva Bulling-Schröter nisterium klagt dann über das Wirtschaftsministerium. Berlin verweist auf Brüssel. Ähnlich wie beim Emissionshandel fielen in Brüssel die Entscheidungen. - Daran sind Sie aber eigentlich maßgeblich beteiligt. - Bei der EU heißt es dann, in Zeiten der Globalisierung schwäche mehr Klimaschutz Europas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China oder den USA. - Das ist übrigens ein Ball, der oft und gerne über Bande gespielt wird. Wir kennen diese Argumentation ja von der Lohndrückerei und vom Sozialabbau. Nein, meine Damen und Herren, wo kommen wir denn da hin? Wir brauchen ein schlagkräftiges Klimaschutz-Aktionsprogramm, das seinen Namen wirklich verdient. Alle Sektoren müssen einen Beitrag zur Schließung der Klimaschutzlücke leisten. Um 7 bis 9 Prozent werden wir bei einem Weiter-so die Marke verfehlen. Ein Verschlafen des 40-Prozent-Ziels bis 2020 wäre ein schlimmer Rückschlag. ({4}) Dabei ist der Energiesektor in der Bringschuld. Die EU-Kommission hat es vorgerechnet: Deutschland ist das EU-Land mit der größten Fördersumme für Kohle. Von 1970 bis 2007 wurden EU-weit 380 Milliarden Euro Steuergelder zur Förderung des Kohlestroms ausgegeben, der Großteil davon in Deutschland. In 37 Jahren macht das einen Jahresschnitt von über 10 Milliarden Euro aus. Zudem verursacht dieser Marshallplan für die Energieriesen immense Folgekosten. Allein 2012 sind durch die Nutzung fossiler Energien 42 Milliarden Euro Folgekosten für Mensch, Umwelt und Klima entstanden. Darüber reden Sie aber nicht. Die Fakten liegen auf dem Tisch, auch dem Wirtschaftsministerium: Zurzeit liegen 8 Tonnen Kohle von Greenpeace vor dem Wirtschaftsministerium. Ich finde, wir brauchen mutige Entscheidungen. Ich wünsche der Koalition den Mut, den wir für eine mutige Politik brauchen. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort für die Bundesregierung Frau Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bekämpfung des Klimawandels - wir wissen es alle - ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit. Die Generationen, die nach uns kommen, werden uns dafür danken, dass wir sie bewältigt haben, oder sie werden uns fragen, warum wir nicht den Mut gefunden haben, uns der Zerstörung unseres Planeten in den Weg zu stellen. Der IPCC-Bericht, der am Wochenende vorgelegt worden ist, ist aus meiner Sicht erschreckend und ermutigend zugleich. Er ist erschreckend, weil der Klimawandel keine ferne Bedrohung ist, sondern bereits stattfindet. Das wird auch von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Das war vor einigen Jahren - auch in manchen Wissenschaftskreisen - noch anders. Dies hat sich jetzt auch in Wissenschaftskreisen erledigt. Es gibt allerdings noch einzelne Regierungen, wie zum Beispiel die neue Regierung in Australien, die anderer Auffassung sind. Im Prinzip wird das aber nicht mehr bestritten. Der nun vorliegende IPCC-Bericht ist aber zugleich ermutigend, weil wir noch ein wenig Zeit haben, den Klimawandel in den Grenzen zu halten, in denen er noch beherrschbar ist. Der Bericht macht ganz klar: Die Begrenzung der Erwärmung auf 2 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit ist noch möglich; aber dafür ist entschlossenes und schnelles Handeln natürlich die Voraussetzung. ({0}) - Ja, wir haben nicht mehr viel Zeit; das ist gar nicht zu bestreiten. Es muss gelingen, den Ausstoß der Treibhausgase bis 2050 gegenüber 2010 global um 40 bis 70 Prozent zu senken; bis 2100 müssen es 100 Prozent sein. Deutschland muss Europa mitreißen und wird dies auch weiter tun, ({1}) und Europa muss die Welt mitreißen. ({2}) Wahr ist: In Deutschland hat sich schon viel bewegt. Wir verfügen über die notwendigen technischen Mittel, um den Energiesektor schrittweise zu dekarbonisieren, die Energieeffizienz deutlich zu steigern und ehrgeizige Einsparungen in privaten Haushalten, in der Industrie, im Gebäude- und Transportbereich und bei der Landnutzung zu erzielen; auch das ist uns möglich. ({3}) Jetzt, in diesem Jahr, haben die erneuerbaren Energien bei uns einen Anteil an der Stromerzeugung von fast 30 Prozent: Aktuell sind es etwa 28,5 Prozent, und wir sind noch nicht am Ende dieses Jahres. Damit liegt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung erstmals vor dem Anteil von Kohle. Das war bisher noch nie der Fall. Das ist ein Erfolg. ({4}) Wahr ist aber auch: Die Anstrengungen sind seit einer Reihe von Jahren - unabhängig davon, wer die politische Verantwortung getragen hat - zu keinem Zeitpunkt ausreichend gewesen. Deswegen gibt es eine prognostizierte Lücke bei der Erreichung unseres Minderungsziels von 40 Prozent bis 2020 von 5 bis 8 Prozent. Die Zielerreichung ist keineswegs trivial, sondern durchaus schwierig. Das heißt aber nicht, dass ich mich etwa davon verabschieden wollte, Herr Krischer. Wir werden vor dieser Aufgabe nicht davonlaufen, und wir werden unsere Ansprüche nicht relativieren. ({5}) Meine Kolleginnen und Kollegen, es besteht kein Zweifel: Das Erreichen des 40-Prozent-Ziels ist die zentrale Herausforderung für mich als Bundesumweltministerin und eines der wichtigsten Projekte dieser Bundesregierung. ({6}) Deswegen werden wir am 3. Dezember im Kabinett unser Aktionsprogramm verabschieden. ({7}) - Doch. - Wir werden damit rechtzeitig vor der in Lima beginnenden Konferenz ein Signal geben. Die Eckpunkte sind klar: Wir müssen den Anteil fossiler Energieträger reduzieren. Das Ziel ist, den CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Das macht deutlich: Das Zeitalter der fossilen Energie wird sich - natürlich muss das in einem planmäßigen Prozess geschehen - Stück für Stück dem Ende nähern. Natürlich brauchen wir auch noch größere Anstrengungen im Gebäudebereich und bei der Energieeffizienz; das liegt auf der Hand. Auch dazu werden wir die notwendigen Aussagen in unserem Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ und auch im „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“, der verschränkt mit unserem Aktionsprogramm zeitgleich in der Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers erarbeitet wird, zum 3. Dezember vorlegen. Nach dem Aktionsprogramm, das in der Verantwortung meines Hauses liegt, werden wir dann weitere konkrete Schritte angehen, um Maßnahmen für die Zeit zwischen 2020 und 2050 zu entwickeln, mit überprüfbaren Zwischenzielen, etwa - das liegt ja auf der Hand - in Zehnjahresmargen. Meine Damen und Herren, die entscheidende Phase der Klimaschutzpolitik haben wir jetzt vor uns, insbesondere im Hinblick auf die Ende des nächsten Jahres in Paris stattfindende internationale Konferenz. Die Bundesregierung - das wissen Sie - engagiert sich gerade im Hinblick auf diese international notwendigen Abstimmungen Ende des nächsten Jahres mit aller Kraft. In diesem Zusammenhang möchte ich mich sehr herzlich bei der Bundeskanzlerin bedanken für die Verhandlungen im Europäischen Rat vor knapp zwei Wochen. Das war ein großer Erfolg, und es ist nicht zuletzt der Beharrlichkeit der Bundeskanzlerin zu verdanken - neben den guten Vorarbeiten -, dass dies gelingen konnte. ({8}) Es ist kein Geheimnis: Wir hätten uns, insbesondere in den Bereichen „Energieeffizienz“ und „erneuerbare Energien“, noch etwas ehrgeizigere Ziele gewünscht. ({9}) Das ist keine Frage. Aber der Beschluss ist ein großer Schritt nach vorne. Europa hat damit Handlungsfähigkeit und Weitsicht unter Beweis gestellt. Dies wird auch international durchaus anerkannt. - Ich weiß, Herr Kollege Krischer, wenn man das aus dem Blickfeld des Aachener Reviers sieht, guckt man vielleicht nicht ganz so weit. ({10}) Aber zum Beispiel Ban Ki-moon, der die Welt im Blick hat, hat uns dazu beglückwünscht. ({11}) Erstens. Wir in Europa sind die Ersten, die einen Beitrag zum neuen Klimaschutzabkommen vorlegen können und eben vorgelegt haben. Wir werden unsere Emissionen um 40 Prozent absenken können. Das ist ein sehr deutliches Signal. Das Ziel ist selbstverständlich verbindlich. Es ist nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft. Jeder Investor in Europa weiß jetzt, worauf er sich in den nächsten 16 Jahren einstellen muss und welche Investitionen sich langfristig lohnen und welche nicht. Das Ganze ist also auch ein Modernisierungsprogramm für unsere Volkswirtschaften. Zweitens. Der Beschluss enthält das Wörtchen „mindestens“. Andere Staaten müssen jetzt nachziehen. Wir haben im Rahmen des Petersberger Klimadialogs von China gehört, dass es einen Beitrag leisten wird. Wir sind gespannt, wie dieser Beitrag aussehen wird, aber zugleich zuversichtlich, dass er weit über das hinausgeht, was wir von China bisher gesehen haben. Wie ich höre - man wird sehen, wie das nach den „midterm elections“ weitergeht -, wollen auch andere Schwellenländer und nicht zuletzt auch die USA Anfang 2015 ihre Beiträge vorlegen. Ich weiß, dass es für Präsident Obama schwer wird. Deswegen arbeitet die amerikanische Administration an einer Lösung, die man auch dann umsetzen kann, wenn man keine Mehrheit im Repräsentantenhaus hat. ({12}) Wenn sich diese Dynamik fortsetzt - da bin ich zuversichtlich -, dann werden wir in Paris erfolgreich sein und ein gutes Abkommen erreichen. Dann sollte die EU bereit sein, noch einmal nachzulegen, wenn denn auch andere Länder ehrgeizige Pläne vorlegen. Dann können auch wir in der Tat noch einmal nachlegen; das Wörtchen „mindestens“ bedeutet nicht zuletzt dies. ({13}) Drittens. Der Rat hat sich eindeutig zu einem funktionierenden und reformierten Emissionshandel bekannt. Wir werden weiterhin darauf achten, dass dies so bald als möglich, nämlich 2017, geschieht. Das gibt Rückenwind. Zugleich bedeutet das natürlich auch, dass die 900 Millionen Zertifikate, die sich im Prozess des Backloadings befinden, sofort in die Stabilitätsreserve überführt werden müssen; denn wir müssen natürlich den Emissionshandel wieder auf Kurs bringen. Der nächste Schritt ist die Klimakonferenz in Lima; das wissen wir. Das Aktionsprogramm und die europäischen Klimaziele unterstreichen die Vorreiterrolle, die wir einnehmen wollen und die von uns erwartet wird. Der Wandel in eine Zeit ohne fossile Energieträger hat längst begonnen: Windräder werden gebaut, Solarpanels installiert, energieneutrale Gebäude geplant und errichtet. Die Aussage, Klimaschutz schade der Wirtschaft, haben wir längst in die Märchenwelt verbannt. ({14}) Klimaschutz lohnt sich; nicht zu handeln, kostet - das macht auch der IPCC-Bericht klar. Wir brauchen einen langen Atem. Wir werden das Problem des Klimawandels nicht allein in dieser Legislaturperiode lösen und auch nicht in diesem Jahrzehnt. Vielleicht wird es länger dauern, als dass meine Generation die Früchte dieser Politik wird ernten können. Wir werden diesen Weg entschlossen gehen, und zwar in der Zeit unserer jeweiligen Verantwortung, so wie es nötig ist und unseren Möglichkeiten entspricht - und die sind umfangreich. Darauf kann man sich verlassen. ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Thomas Gebhart das Wort. ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Temperaturen steigen, der Meeresspiegel steigt, Wetterextreme häufen sich: Der Klimawandel ist da. Dieser Klimawandel wird aller Wahrscheinlichkeit nach - dies zeigt uns der Bericht, der jetzt auf dem Tisch liegt - weitergehen, wenn es uns nicht gelingt, die Emissionen von Treibhausgasen erheblich zu senken. Wir müssen dazu beitragen - das ist Teil unserer Verantwortung, und es ist auch eine ethische Pflicht und entspricht der ökonomischen Vernunft -, dass es gelingt; denn viele Untersuchungen zeigen inzwischen ganz klar, dass es günstiger ist, weltweit jetzt entschieden gegen den Klimawandel vorzugehen, als einfach alles laufen zu lassen und zum Schluss für die Schäden und die Folgekosten zu bezahlen. ({0}) Die spannende Frage wird sein, wie es uns gelingt. Wir müssen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass es sich um ein weltweites Problem handelt. Auf Deutschland kommen gut 2 Prozent der weltweiten Emissionen. ({1}) Deutschland wird dieses Problem nicht allein lösen können. Auch Europa wird dieses Problem nicht allein lösen können. Was wir brauchen, sind weltweite Anstrengungen, und genau aus diesem Grund sind die Weltklimakonferenzen der Vereinten Nationen so wichtig. ({2}) Wir alle haben in den letzten Jahren erlebt, wie zäh und schwierig die Verhandlungen sind und dass es immer nur in kleinen Schritten vorangeht. Aber diejenigen, die jetzt die Konsequenz ziehen und sagen, wir sollten es besser sein lassen, irren gewaltig. Denn letzten Endes gibt es keine vernünftige Alternative dazu, dass wir auf dieser Ebene miteinander sprechen, verhandeln, kooperieren und möglichst gemeinsame Lösungen finden. Deswegen brauchen wir auch einen Erfolg. Wir müssen im nächsten Jahr in Paris zu einem Ergebnis kommen. Wir brauchen ein weltweites Abkommen über den Klimaschutz, und in wenigen Wochen bei der nächsten Konferenz in Lima müssen wir den Weg dazu bereiten. Genau darauf müssen wir hinarbeiten, mit Nachdruck und möglichst alle gemeinsam. ({3}) Meine Damen und Herren, Europa hat vorgelegt. Europa hat beschlossen, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent zu senken. Europa geht voran. Dies ist ambitioniert, und Deutschland geht nochmals darüber hinaus, indem wir sagen: 40 Prozent nicht erst 2030, sondern bereits bis zum Jahr 2020. ({4}) Wir wissen auch: Dies reicht noch nicht. Es gibt eine Lücke. Wir müssen noch erhebliche Anstrengungen unternehmen. Deswegen wird es - die Ministerin hat es angesprochen - ein Aktionsprogramm geben. Ich bin sehr dafür, dass wir in diesem Aktionsprogramm den Fokus auch auf Bereiche lenken, die bislang noch nicht so im Mittelpunkt standen. Ich nenne das Beispiel Kreislaufwirtschaft. Unser Ziel ist es, aus Abfällen mehr Rohstoffe zu gewinnen, mehr Recycling zu betreiben und den Rohstoffverbrauch zu senken. Dies ist ein effektiver Beitrag zum Klimaschutz, und es ist vor allem eine Frage technologischer Innovation. Hier haben wir noch erhebliche Potenziale, die wir in den nächsten Jahren nutzen müssen. ({5}) Auf einem wichtigen Feld ist Deutschland vorangegangen: bei der Energiewende. Wir haben enorm viel gemacht. Das zeigen die Zahlen. Im Jahr 2005, vor neun Jahren, betrug der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung 10 Prozent. Wir sind heute bei 25 Prozent. Dies ist eine rasante Entwicklung. ({6}) Es wird international sehr genau beobachtet - das erleben wir auch auf den Klimakonferenzen -, was wir in Deutschland machen. Man spricht von der „German Energiewende“. Aber es wird auch immer klar: Ob die deutsche Energiewende zu einem Modell wird, ob uns andere folgen und diese Energiewende nachahmen, was wir uns wünschen, hängt letztlich davon ab, ob die Energiewende bei uns, im eigenen Land, gelingt. ({7}) Die Frage, ob die Energiewende gelingt, bedeutet im Klartext: Sie muss unter ökologischen Gesichtspunkten gelingen; sie muss aber auch in der Weise gelingen, dass die Preise bezahlbar bleiben und die Wirtschaft und die Industrie am Ende damit klarkommen. Es geht also darum, die richtige Balance zu halten. Es geht darum, eine nachhaltige Politik zu betreiben. Deswegen sage ich gerade auch an die Adresse der Grünen: Wer an dieser Stelle überzieht und die Wettbewerbsfähigkeit einseitig über Gebühr belastet, ({8}) der schadet nicht nur der Energiewende, sondern auch dem Klimaschutz. ({9}) Sie erweisen ihm einen Bärendienst, weil uns nämlich niemand in der Welt folgen wird. Das müssen wir beachten. Es bleibt dabei: Die Energiewende muss gelingen. Das ist unsere Aufgabe. Sie muss unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten gelingen. Das ist unsere Herausforderung und zugleich unsere Chance. Diese müssen wir nutzen. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Ralph Lenkert. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! Täglich prasseln Schlagzeilen zu den Folgen des Klimawandels hernieder. Beklemmung macht sich breit, genauso wie ein Ohnmachtsgefühl. Trotz der vielen Klimagipfel steigt der weltweite CO2-Ausstoß. Die schlechten Nachrichten über einen abrutschenden Eisschild in der Antarktis und über Kiribati, einen Inselstaat, der im Pazifik versinkt, bereiten Sorgen. Aber wie kommt es, dass bei Menschen trotz der Kenntnis der zukünftigen riesigen Probleme durch den Klimawandel ein kollektiver Verdrängungsmechanismus einsetzt? Wie kommt es, dass diese Bundesregierung weitermacht wie bisher? Laut Soziologen liegt die Ursache darin, dass sowohl das Problem als auch die Lösung für einen einzelnen Menschen schwer fassbar sind. Sie sind einfach zu gigantisch. Deshalb wird Handeln unterlassen, auch von dieser Bundesregierung. Berichte über vertagte Klimaschutzverhandlungen und angekündigte Vorhaben gibt diese Bundesregierung ständig ab. Doch bei all dem gilt: Außer Spesen bisher nicht viel gewesen! ({0}) Betrachten Sie neben dem globalen Klimaschutz unsere Region; das ist greifbar. Das Klima in Deutschland verändert sich. Die Wettergrenze zwischen dem maritim beeinflussten Süden und Westen der Republik und dem kontinental geprägten Nordosten verschärft sich. Im Südwesten steigt die Anzahl heftiger Gewitter mit Hagelschlag und lokalen Überschwemmungen. Im Osten wird es im Sommer immer trockener und wärmer. Wenn es regnet, dann gibt es zumeist Unwetter. Im Morgenmagazin der ARD lautete die heutige Zahl des Tages: 635 000. Das ist die Anzahl der in diesem Jahr durch Hagel und Unwetter beschädigten Pkw. Der Schaden beläuft sich auf 1,5 Milliarden Euro. Das ist ein Allzeitrekord. Hinzu kommen - für mich viel gravierender - Tote und Verletzte, zerstörte Häuser, beschädigte Infrastruktur und nicht arbeitsfähige Firmen. All diese Auswirkungen der Unwetter könnten wir mit Maßnahmen vor Ort verhindern oder verringern. Hier lässt sich das eine mit dem anderen verbinden. Für die Linke ist das Prinzip klar. Der Natur muss man möglichst viel Raum zurückgeben, und das dauerhaft. Die Renaturierung und Wiederbelebung von Feuchtgebieten wirken der Austrocknung von Böden entgegen, dienen gleichzeitig dem Hochwasserschutz bei Starkregen und verbessern das Mikroklima. Es wird regional im Sommer etwas kühler. Zusätzliche Grünanlagen in städtischen Bereichen fungieren als Wasserspeicher bei Starkregen und Trockenheit. Sie können Innenstädte an heißer werdenden Sommertagen abkühlen, senken damit sogar den Energiebedarf von Klimaanlagen und dienen gleichzeitig dem Staub- und Lärmschutz. In Thüringen werden wir zukünftig mehr Flächen entsiegeln und renaturieren. Ehemalige Militärflughäfen und alte Industriebrachen werden grün, speichern Wasser im Boden, und die optischen Schandflecken verschwinden. Das verringert zudem die Hochwassergefahr. Ganz nebenbei bindet die zusätzliche Grünmasse CO2, was wiederum dem Klimaschutz dient. All diese Maßnahmen kann man im kleinen Maßstab beginnen. Es sind Mosaiksteinchen bei der Lösung des großen Klimaproblems. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie behaupten, Deutschland allein könne beim Klimaschutz nichts bewirken. Das ist der Klassiker: Verdrängung. Beginnen Sie im Kleinen! Legen Sie Klimaschutz- und Klimaanpassungsprogramme langfristig an! Es ist Schwachsinn, wenn man bei der Jahrhundertaufgabe Klimaschutz Projekte nach wenigen Jahren auslaufen lässt. Viele Kommunen, ob im Ruhrgebiet oder in Ostdeutschland, können sich Klimaschutzmaßnahmen nicht leisten, weil sie nicht in der Lage sind, die benötigten Eigenmittel aufzubringen. Deswegen fordern wir Förderprogramme, die ohne Eigenmittel auskommen. Gehen wir die kleinen Schritte zum Klimaschutz vor Ort. Das gibt vielleicht auch Ihnen die Kraft, die großen Schritte international zu gehen. ({1}) Die Bundesregierung hat genug geredet. Lassen Sie uns im Bundestag mit Handeln anfangen, zuerst im Kleinen, im Greifbaren, und dann mit Mut zum Großen. Wir Abgeordnete, wir bestimmen die Gesetze, wir machen den Haushalt, wir können entscheiden. Danke. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist richtig, dass die Grünen diese Aktuelle Stunde nutzen, um den Bericht des Weltklimarats zum Thema zu machen. Es ist gut, dass wir immer wieder über dieses Thema reden. Wenn man die Gazetten richtig wahrnimmt, dann ist es auch in Deutschland immer noch so, dass an einigen Stellen gezweifelt wird. Deswegen will ich am Anfang für meine Fraktion sehr deutlich machen: Es geht nicht nur um Klimaschutz, sondern es geht auch darum, weitaus höhere volkswirtschaftliche Folgekosten - nach Sir Nicholas Stern das Fünffache - zu vermeiden. Klimaschutz ist auch eine wirtschaftliche Frage. ({0}) Oft wird ein Gegensatz zwischen Wirtschaft und Ökologie gesehen. Dazu muss man aber sagen: Es geht letztlich auch um das Verhindern von Abhängigkeiten von anderen Staaten; denn die Ressourcen sind endlich, sie sind begrenzt. Auch deswegen ist Klimaschutz mehr als eine ökologische Frage, es ist ein urökonomisches Erfordernis, in den Klimaschutz zu investieren. ({1}) Herr Krischer, seien Sie beruhigt. Herr Homann ist nun wirklich alles andere als von uns vorgeschickt worden. Ich will an der Stelle sagen - ich finde es richtig, dass auch die Bundesumweltministerin das hier gesagt hat -: Herr Homann, die 40 Prozent sind unverhandelbar. ({2}) Kümmern Sie sich um gute Netzplanung, aber nicht um das Klimaschutzziel! ({3}) Ich finde es richtig, dass Sie, Herr Lenkert, die Frage stellen, wie wir das hier im Parlament machen. Aber ich fände es gut, erst einmal hinzuhören. Wir haben eine Bundesumweltministerin, die sich hier eindeutig zum Klimaschutz und zu dem 40-Prozent-Ziel bekannt hat. ({4}) - Das hat sie. Das können Sie im Protokoll von heute nachlesen. Sie hat es gerade eben an diesem Pult gesagt. ({5}) Es gehört schon zur Redlichkeit, zuzuhören. - Sie hat seit ihrer Amtseinführung gesagt, dass wir bis jetzt ein Defizit haben und uns 7 bis 8 Prozent fehlen. ({6}) Deswegen finde ich es richtig, dass wir, die wir alle einer Meinung sind - ich hoffe es jedenfalls -, sie in diesem Vorhaben unterstützen und sagen: Ja, es ist richtig gewesen, alle Ressorts aufzufordern. Denn es darf nicht nur die Aufgabe des Bundesumweltministeriums in dieser Regierung sein, die Klimaziele zu erreichen. ({7}) Wir hatten in den letzten Jahren eine Blockade zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium. Die weichen wir auf. Wir haben jetzt, glaube ich, eine Allianz zwischen dem Umweltressort, dem Wirtschaftsressort und auch der Bundeskanzlerin. Das sage ich hier ganz deutlich. Ich bin mir sehr sicher, dass diese drei auch ihre Kolleginnen und Kollegen im Kabinett mitnehmen und wir am 3. Dezember beginnen können, über ein Maßnahmenpaket zu reden. Ich finde, ein Vorlauf von einem Jahr für eine neue Bundesregierung ist recht und billig. Aber wir müssen als Parlament auch schauen, ob das ausreicht. Insofern bin ich der Bundesumweltministerin genauso dankbar dafür, dass sie am Montag die Frage gestellt hat, wie es mit der Versorgung mit fossiler Energie weitergeht. Frau Bulling-Schröter, das alles ist nicht einfach. Das wissen auch Sie. In Brandenburg ist das Verhältnis der Linken zur Kohle auch nicht so ganz einfach. ({8}) - Ja, Herr Krischer, auch in NRW ist das nicht so einfach mit den Grünen. Danke für den Zwischenruf. - Ich will damit sagen: Dass die Bundesumweltministerin dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, ist richtig. Wir sollten sie dabei unterstützen; denn es kann nicht sein, dass hochflexible Gaskraftwerke vom Netz gehen und alte Kohlemöhren sich rechnen. Dabei müssen wir sie unterstützen. ({9}) Deswegen, Herr Hofreiter, glaube ich, sollten wir noch einmal Luft holen und schauen, was die Bundesregierung im Dezember vorlegt. Wir sollten - da bin ich mir ganz sicher - diese Bundesumweltministerin unterstützen ({10}) im Einsatz dafür, dass das eintritt, was wir wollen, nämlich die Vorreiterrolle Deutschlands in der Europäischen Union und die Vorreiterrolle der Europäischen Union im UN-Konzert. Unsere Glaubwürdigkeit wird sich letztlich an der Vorreiterrolle messen lassen müssen. - In der Aktuellen Stunde gibt es leider nicht die Möglichkeit nach einer Zwischenfrage; deswegen kann ich sie nicht zulassen. Frau Umweltministerin, Sie werden mit Sicherheit in den nächsten Monaten viel Kraft brauchen; denn das, was Sie angestoßen haben, war in den letzten Jahren nicht durchsetzbar. Das muss man hier immer wieder sagen. Sie haben uns und, ich hoffe, das ganze Haus an Ihrer Seite. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht Annalena Baerbock.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da Matthias Miersch gleich losmuss, fange ich gleich mit Ihnen an: Wir würden die Bundesumweltministerin ja gerne unterstützen. Liebe Frau Hendricks, dann müssen Sie aber auch ehrlich sein. Sie haben groß angekündigt: Wir wollen eine Reform des ETS, am besten 2017. - Das wird nicht eintreten, und jetzt sagen Sie hier: Die Ergebnisse sind ein großer Erfolg. - Das passt vorne und hinten nicht zusammen. ({0}) Sie haben groß angekündigt: Wir wollen aus der KfW-Finanzierung für Kohlekraftwerke aussteigen. Jetzt ist relativ klar, dass das nicht die IPEX-Projekte betreffen wird. Auch das kann man nicht als Erfolg verkaufen. ({1}) Sie haben außerdem groß angekündigt: Kohlekraftwerke müssen vom Markt. - Wir wollen Sie da unterstützen. Aber darum haben wir gehofft, dass Sie jetzt hier das tun, was Herr Miersch mittlerweile gemacht hat, nämlich zu sagen: Wir halten an dem 40-Prozent-Ziel fest. ({2}) - Nein, sie hat gesagt: Wir halten am 2-Grad-Ziel für 2050 fest. ({3}) Außerdem hätten Sie Herrn Homann eine deutliche Absage erteilen sollen und hätten sagen sollen, dass es nicht sein kann, dass wir dieses Klimaziel aufkündigen. Wenn Sie das täten, unterstützen wir Sie dabei; aber dann kämpfen Sie auch dafür. Lieber Herr Miersch, kämpfen Sie in der SPD dafür, dass das auch im Wirtschaftsministerium so gesehen wird. Es ist ja nicht so, dass es von irgendeiner anderen Partei geführt wird. An dessen Spitze sitzt die SPD, und aus diesem Hause wird dieses Ziel infrage gestellt. Deswegen ist es Ihre Verantwortung, für die Erreichung dieses Ziels ordentlich zu kämpfen. ({4}) Was klar ist: Mit den Zielen, die beim EU-Gipfel festgelegt wurden, erreichen wir das 2-Grad-Ziel eben nicht. Daher kann es doch nicht richtig sein, die Ergebnisse des EU-Gipfels hier als Erfolg zu verkaufen. Wir müssen eine Schippe oben drauflegen. Wenn Sie, wie hier immer propagiert, die Vorreiterin sind, warum machen Sie es dann nicht wie Dänemark? Frau Weisgerber, Dänemark hat nach dem Gipfel verkündet: Das reicht uns nicht; deswegen legen wir eine Schippe oben drauf und sagen: Wir wollen nicht erst 2030 aus der Kohle aussteigen, sondern schon 2025. - Solche Worte kamen aus Deutschland nicht. Man stellt hier eher das Klimaziel infrage. So etwas macht doch kein Vorreiter. ({5}) - Frau Weißgerber, ich weiß, Sie wollen darüber nicht reden; Sie haben ja eben noch einmal offiziell zu Protokoll gegeben, dass es Sie nervt, alle zwei Wochen über Klimafragen zu reden. Wir aber wollen darüber reden. Weil es ja viel zu tun gibt, legen wir nicht die Hände in den Schoß; vielmehr müssen wir Antworten geben, und genau das erwarten wir auch von Ihnen als Regierungsfraktionen. ({6}) - Ja, dann machen Sie mal. ({7}) Der IPCC hat uns klar gesagt, wir müssen jetzt und nicht irgendwann in 20 Jahren mit dem Klimaschutz anfangen. Das sagt nicht nur der IPCC, sondern das sagen auch große Wirtschaftsunternehmen. Sie haben Ihnen vor dem EU-Ratsgipfel doch einen Brief geschrieben und haben gesagt: Wir brauchen ambitionierte 2030Ziele, weil wir sonst im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Ignorieren Sie doch nicht einfach, was Ihnen die Wirtschaft da rät. ({8}) Andere Länder wie Schweden gehen voran. Schweden sagt: Unser Staatskonzern Vattenfall soll aus der Kohleverstromung aussteigen. Was ist die Antwort aus Deutschland? Die SPD-Linken-Regierung in Brandenburg sagt - man muss es leider so klar feststellen -: Oh, mein Gott, die Schweden wollen aus der Kohleverstromung aussteigen; dann steigen wir als Land Brandenburg am besten ein. - Das würde das nur künstlich verlängern. Weil sich aus wirtschaftlichen Gründen kein Unternehmen findet, das dieses Risiko eingehen will, erwägt jetzt der neue Ministerpräsident Woidke sogar, öffentliche Bürgschaften auszureichen, damit es einen neuen Betreiber von Kohleverstromung gibt. Das ist mehr als absurd. ({9}) Wir fordern Sie daher noch einmal eindringlich auf: Machen Sie als Bundesumweltministerin, als SPD-Fraktion, als Klimapolitiker innerhalb der CDU/CSU deutlich: Hände weg vom Klimaziel! Wir müssen bei dem 40-Prozent-Ziel für 2020 bleiben. Wir müssen dabei bleiben, den Wandel im fossilen Kraftwerkspark einzuleiten, und zwar nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen; denn wir wissen: So kann es im Strommarkt nicht weitergehen. Wenn Sie am 3. Dezember nicht zu dieser Erkenntnis kommen sollten, dann können Sie gleich die Hotelbuchungen für Lima stornieren; denn wir brauchen gar nicht nach Lima zu fahren, wenn Deutschland dort nichts vorzutragen hat. Wenn Sie sagen: „Wir wollen da nichts weiter tun“, dann schlagen Sie doch einmal im IPCC-Report nach! In dem Bericht steht deutlich: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wenn wir an die fossilen Energien nicht herangehen, dann wird es zu einer Erderwärmung um mehr als 4 Grad Celsius kommen. Wenn es zu einer Erderwärmung um mehr als 4 Grad Celsius kommt, dann steigt der Meeresspiegel um mindestens 80 Zentimeter. - Sie können in Ihre zukünftigen Haushalte schon einmal die Milliarden einstellen, die wir brauchen, um Deutschland davor zu schützen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht der Kollege Andreas Jung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte vor dieser Aktuellen Stunde ging es um Flüchtlingsfragen, um die Frage, wie Flüchtlinge gerettet werden können, und um die Frage der Aufnahme von Flüchtlingen. Natürlich wurde dort wieder darauf hingewiesen, dass wir eine besondere Verantwortung haben, dazu beizutragen, dass Menschen ihre Heimat erst gar nicht verlassen müssen. Dabei ging es angesichts der aktuellen Krisen natürlich um sicherheitspolitische Fragen. Ich will die Debatte jetzt aber nutzen, um noch einmal darauf hinzuweisen: Das ist selbstverständlich auch ein Thema für die Klimapolitik. Auch bei dieser Frage entscheidet sich, ob Menschen ihre Lebensgrundlage, ihre Heimat verlieren oder ob sie in ihrer Heimat bleiben können. Ich erinnere mich an die Weltklimakonferenz in Bali. Dort hat der Umweltminister von Papua-Neuguinea gesagt: Bei der Frage des Klimaschutzes geht es für mein Land, für meine Insel, für die Menschen in meiner Heimat nicht um irgendeine politische Frage; es geht um Leben und Überleben. - Er hat an die Weltgemeinschaft appelliert, diese Verantwortung für die Menschen in seiner Heimat und für die Menschen überall auf der Welt wahrzunehmen. Das führt uns der IPCC-Bericht erneut vor Augen. Er zeigt uns nochmals und noch eindringlicher das, was in den letzten Jahren und in den vorausgegangenen Berichten schon herausgearbeitet wurde. Es gibt keine Ausreden, und es darf keine Ausreden geben. Wir brauchen ein gemeinsames, international abgestimmtes Vorgehen. Wir brauchen ein wirksames Klimaschutzabkommen auf internationaler Ebene. ({0}) Weil die Debattenbeiträge hier durchaus differenziert waren, will ich darauf hinweisen, dass die letzten Klimakonferenzen doch nie daran gescheitert sind, dass Deutschland oder die Europäische Union nicht bereit gewesen wäre, mitzumachen. Wir haben immer anderes signalisiert. Wir haben dafür gekämpft, wir haben darauf gedrungen, dass es ein Klimaabkommen gibt. Wir waren bereit, zu unterschreiben. Wir haben versucht, andere mitzunehmen. Wir haben auch schon wichtige Schritte unternehmen können. Deutschland ist hier über viele Bundesregierungen unterschiedlicher parteipolitischer Prägung hinweg immer treibender Motor gewesen und ist es auch weiterhin. Wir stehen dazu und stehen auch zu dieser Verantwortung. ({1}) Das ist so, und das bleibt so, jetzt vor Lima und dann auch vor der Konferenz im nächsten Jahr in Paris. Wenn ich sage: „Es gibt keine Ausreden“, dann will ich gleichzeitig sagen: Es gibt gar kein Vertun; die Klimaziele bleiben. - Sie haben sich teilweise auf einen Debattenbeitrag von Herrn Homann gestern bezogen. Ich glaube, es ist in dieser Aktuellen Stunde deutlich geworden: Das ist nicht die Haltung der Bundesregierung. Das ist nicht die Haltung der Koalition. Das ist nicht die Haltung der Unionsfraktion. In dieser Debatte sprechen von unserer Seite fünf Redner; alle bekennen sich zu diesem Klimaziel. ({2}) Sie haben die Bundesumweltministerin gehört; auch sie hat sich klar dazu geäußert. Sie hat darauf hingewiesen, dass es eine enge Abstimmung zwischen ihr und der Bundeskanzlerin gibt. Es ist klar: Niemand wird vorgeschickt; das wird entschieden zurückgewiesen. Die Klimaziele bleiben bestehen. Wir diskutieren jetzt darüber, wie wir auch in der Europäischen Union zu ambitionierten Klimazielen kommen können. Wir haben in Brüssel einen ersten Schritt machen können. Es ist doch wahr - das ist auch von der Bundesregierung so vertreten und öffentlich kommuniziert worden -: Wir Deutsche wären auch bereit gewesen, darüber hinauszugehen. Deshalb war es uns wichtig, dass formuliert wurde, dass der CO2-Ausstoß in der EU bis 2030 um mindestens 40 Prozent sinken soll. Mindestens - das heißt, da ist Spielraum nach oben. Wir als Deutsche haben für diesen Spielraum geworben. Aber andere wollten noch nicht einmal das mitmachen. Deshalb war es ein Verhandlungserfolg der Kanzlerin und der Bundesregierung, dass das erreicht wurde. ({3}) Darauf gilt es jetzt bei den nächsten Schritten aufzubauen; denn unsere besondere Verantwortung besteht nicht nur darin, Ziele zu formulieren, sondern auch darin, diese zu erreichen. Es wurde gefragt: Wo bleibt denn die Ehrlichkeit? Ich finde, es ist schon eine besondere Form von Transparenz, wenn Ziele dargestellt werden und gleichzeitig gesagt wird, dass es im Moment noch eine Lücke gibt und wir etwas tun müssen, um sie zu schließen. Genau darüber wird jetzt nicht nur diskutiert, sondern das wird im Dezember vom Bundeskabinett entschieden. Dann werden wir im Bundestag darüber entscheiden und damit unseren Beitrag dazu leisten. ({4}) Das klare Signal ist: Deutschland hat ehrgeizige Ziele und ergreift ehrgeizige Maßnahmen, um sie umzusetzen. Wir stehen zur Reform des Emissionshandels, die wir brauchen, damit der CO2-Ausstoß von Kohlekraftwerken reduziert wird, und wir sind uns sicher, dass die G 7 dabei eine wichtige Rolle übernehmen müssen. Das haben die Kanzlerin und die Bundesumweltministerin angekündigt. Deutschland und die Bundesregierung werden weiter eine drängende Rolle, eine Vorreiterrolle in der Klimapolitik spielen. ({5}) - Herr Krischer, Sie haben gesagt, Sie hätten sich nicht vorstellen können, dass Sie die Regierung Kohl einmal als Vorreiter bezeichnen würden. Möglicherweise kommen Sie in einigen Jahren auch zu einem milderen Urteil über diese Bundesregierung. Ich bin mir sicher, wir können die Weichen dafür in den nächsten Wochen stellen. Danke. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Frank Schwabe das Wort. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben beim Thema Klimaschutz eigentlich zwei Probleme. Das erste Problem ist die Ungleichzeitigkeit von Handeln und Wirkung. Wenn CO2 in die Atmosphäre gelangt, dauert es, bis wir sehen, welche Auswirkungen das hat. Das ist, glaube ich, ein gravierendes Problem. Das zweite gravierende Problem ist - der Kollege Lenkert hat ja dargestellt, welche Probleme mittlerweile auch in Deutschland sichtbar sind -, dass wir und andere in der Welt leider für den Klimawandel verantwortlich sind, aber zuerst andere in der Welt die Auswirkungen zu tragen haben. Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn das anders wäre, würde man weltweit anders über Klimaschutz reden, und dann wären wir deutlich weiter. Trotzdem will ich optimistisch sein. Der Weg ist international eigentlich durchaus klar. Ich sehe auch gute Entwicklungen: weg von fossilen Energien, hin zu erneuerbaren Energien, hin zur Energieeinsparung. Die Welt ist zwar zum Teil durchaus indifferent, aber es gibt auch Fortschritte. Deswegen bin ich auch optimistisch, dass wir 2015 in Paris ein gutes Abkommen erreichen werden. Wahr ist - das ist hier mehrfach betont worden -: Die Welt schaut beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf Deutschland. Wir waren diejenigen, die aus Deutschland heraus die Energierevolution - so muss man das, glaube ich, benennen - weltweit ermöglicht haben. ({0}) - Ja, natürlich: zunächst einmal „waren“. Wir haben einen Anstoß gegeben, sodass die Preise weltweit deutlich gefallen sind. - Man schaut aber auch auf das, was bei uns „Energiewende“ genannt wird, und darauf, wie wir das in Deutschland organisieren. Ich will deutlich machen, dass der Beschluss zu den Klimazielen für 2030 für Europa ein Kompromiss war. Wir hätten uns in der Tat mehr gewünscht. ({1}) Aber am Ende müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass mit Blick auf eine Einigung der 28 Staaten zurzeit nicht mehr möglich ist. Das betrifft die drei Ziele, über die wir reden. Das betrifft aber auch den Sektor des Emissionshandels. Auch dort ist viel zu wenig passiert. Deswegen ist es richtig und notwendig, dass das, was wir hier verabredet haben, über alle Fraktionen hinweg eingehalten wird. Ich schätze ja vieles an den Grünen, und Sie müssen uns treiben - das ist auch richtig so -; aber es geht natürlich nicht, dass Sie der Ministerin Falsches unterstellen. Ich habe noch einmal den Redetext der Ministerin durchgesehen. Wenn dort steht: „Es besteht kein Zweifel: Das Erreichen des 40-Prozent-Ziels ist die zentrale Herausforderung für mich als Bundesumweltministerin“ - ich zitiere Frau Hendricks; das hat sie so gesagt - „und eines der wichtigsten Projekte dieser Regierung“, dann ist das doch, glaube ich, nicht in Zweifel zu ziehen ({2}) und dann sollten Sie das an dieser Stelle auch nicht tun. Sie sollten sich auch nicht an Herrn Homann orientieren, der vielleicht eher im Nachklang seines ehemaligen Wirtschaftsministers bestimmte private Philosophien vertritt. Ich finde, man kann ihm sagen, dass er das eigentlich nicht tun sollte. Er muss wissen, dass Dinge anders einsortiert werden, wenn er sich in irgendwelchen Diskussionsrunden dahin gehend äußert. Aber das gilt ganz gewiss nicht für diese Bundesregierung. Das gilt auch für uns alle nicht. Das gilt im Übrigen auch nicht für den Bundeswirtschaftsminister. Ich habe gerade noch einmal Revue passieren lassen, wie es eigentlich zu dem Reduktionsziel von 40 Prozent gekommen ist. Wenn man das einmal historisch einordnet, war es Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der in den Jahren 2005 bis 2009 dafür gekämpft hat, dieses Ziel bei uns in Deutschland festzuschreiben. Insofern wäre es natürlich völlig absurd, ihm zu unterstellen, dass er dieses Ziel unterminieren möchte. ({3}) Ganz im Gegenteil: Er wird in der Tat gemeinsam mit Barbara Hendricks dafür sorgen, dass dieses Ziel auch eingehalten werden kann. ({4}) Obwohl ich es hier schon mehrfach gesagt habe, will ich es noch einmal betonen: Das große Verdienst von Barbara Hendricks ist, dass wir uns ehrlich machen in der Debatte; denn in den letzten Jahren haben wir uns in die Tasche gelogen. Ich muss leider auch noch einmal sagen: Insbesondere in den letzten vier Jahren gab es eher Rückschritte als Fortschritte. ({5}) In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auch darüber zu diskutieren, dass es im Jahr 2016 einen Klimaschutzplan gibt, weil wir endlich, wie ich finde, gesetzlich überprüfbar deutlich machen müssen, ({6}) welche Schritte wir im Klimaschutz gegangen sind und welche wir noch gehen müssen. Deswegen ist es wichtig, dass wir am 3. Dezember 2014 ein solches Klimaaktionsprogramm präsentiert bekommen. Eines bleibt, auch nach dem 3. Dezember: Wir werden hoffentlich ein gutes Programm - ich kenne es auch noch nicht - für den Bereich der nichtemissionshandelspflichtigen Sektoren sehen. Was problematisch bleibt, ist der Bereich der emissionshandelspflichtigen Sektoren; gar keine Frage. Wir werden Antworten finden müssen, was passiert, wenn der Emissionshandel auf europäischer Ebene nicht ausreichend funktioniert. Das hat dann auch etwas mit Kraftwerksparks in Deutschland zu tun. Diese Frage werden wir miteinander diskutieren müssen. ({7}) Ansonsten wird das 40-Prozent-Ziel in der Tat nicht zu erreichen sein. Das ist die Diskussion, die wir in den nächsten Monaten gemeinsam zu führen haben. ({8}) Ich hätte jetzt gerne zitiert, was Sigmar Gabriel bei der Klimakonferenz in Bali 2007 gesagt hat. Zeit dafür habe ich leider nicht mehr. Ich kann das irgendwann einmal nachliefern. Dort hat er nämlich deutlich gemacht, dass es genau darum geht, dass am Ende die Energieversorgungsunternehmen in Deutschland begreifen, dass wir weg müssen vom herkömmlichen Kraftwerkspark hin zu erneuerbaren Energien. ({9}) Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmen auf einem guten Weg sind. Unternehmen wie Eon und andere lob5860 byieren mittlerweile für einen höheren CO2-Preis im Emissionshandel. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht? Insofern bin ich optimistisch. Wir sollten Vertrauen in die Bundesregierung haben und abwarten, was am 3. Dezember auf den Tisch kommt. Dann werden wir hier sicherlich wieder zusammenkommen und das diskutieren. Ein herzliches Glückauf. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht der Kollege Matern von Marschall. ({0})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir im Dezember nach Peru fahren, dann werden Deutschland und auch die Staaten der Europäischen Union deutlich machen: Wir stehen zu unseren auf dem Europäischen Rat am 23. und 24. Oktober 2014 eingegangenen Verpflichtungen, und wir stehen zu unserer globalen Verantwortung. Wir können klar und deutlich sagen, wohin die Reise geht. Mit Blick auf die Konferenz in Paris müssen wir einen klaren und verbindlichen Fahrplan vorlegen. Einen Streik können wir uns in diesem Zusammenhang nicht mehr leisten. Die Bundeskanzlerin - das ist gesagt worden - hat diese ambitionierten Ziele auf dem Europäischen Rat durchgesetzt. Dafür sind wir ihr sehr dankbar; Ministerin Hendricks hat es ausgeführt, und ich möchte das auch noch einmal sehr ausdrücklich sagen. ({0}) Dass Europa solche ambitionierten Ziele vorträgt, entspricht auch der besonderen Verantwortung Europas. Bei einem Blick in die Geschichte Europas müssen wir nämlich sagen: Die industrialisierten Länder sind maßgeblich verantwortlich für die Schädigung des Klimas, die wir heute sehen. Das bedeutet auf der anderen Seite aber nicht, dass weniger industrialisierte Länder keine Anstrengungen unternehmen müssen. Im Gegenteil, sie müssen es sehr wohl. Wir wollen und werden ihnen dabei helfen, und zwar unter anderem mit dem Green Climate Fund, der, wie Sie wissen, bis zum Jahr 2020 mit 100 Milliarden Dollar aufgestockt werden muss. Auch diese Verpflichtung wollen wir gegenüber den weniger industrialisierten Ländern eingehen. Eine Klimapolitik, die erfolgreich sein will, ist aber eine Klimapolitik - davon bin ich ganz fest überzeugt -, die nicht anklagen und nicht verurteilen darf, sondern die praktisch und verbindlich vorangehen muss. Darum geht es in Lima, und darum geht es dann in Paris. ({1}) Die Frage, wie wir diese ambitionierten Klimaziele vor Ort erreichen, bezieht sich auf ein riesiges Themenfeld. Vieles davon ist heute angesprochen worden. Ich glaube, wir sollten eine Thematik ganz genau in den Fokus nehmen: Forschung und Entwicklung. Wir haben die deutsche Hightech-Strategie, wir haben nationale Programme angehängt, wir haben ein Horizon-2020-Programm in Europa. Wir müssen diese Programme verstärken und verstetigen. Es geht im Wesentlichen darum, dass Unternehmen und Forschung den Weg in eine marktreife Technologieentwicklung CO2-armer Produkte gemeinsam gehen. Das ist von ganz außerordentlicher Bedeutung. Frau Staatssekretärin Bär, wir hatten vorgestern - jetzt kommt ein Punkt, den ich ganz besonders betonen möchte - eine Veranstaltung in der amerikanischen Botschaft - manche wird das wundern -, bei der wir uns die dies- und jenseits des Atlantiks befindliche Entwicklung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie angeschaut haben. Kalifornien - für sich genommen die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt - ist dabei, ein Wasserstofftankstellennetz aufzubauen, das bis zum Jahr 2021/ 2022 fertiggestellt sein soll. Dann können in diesem großen amerikanischen Bundesstaat die Menschen CO2-frei mobil unterwegs sein. Weil wir gerade über die Vorreiterrolle diskutieren, will ich schon deutlich sagen, dass wir uns in Europa und in Deutschland auch aus wirtschaftlicher und technologischer Perspektive anstrengen müssen, unsere technologische Vorreiterrolle zu halten. ({2}) Ich will noch einmal ganz deutlich sagen: In Kalifornien steht das Silicon Valley. Es stellt sich die Frage, was von dort in Zukunft an technologischer Vorreiterrolle noch zu erwarten ist. Die Amerikaner sind eben nicht hinter dem Mond, wie Sie es von den Grünen immer meinen. ({3}) Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass das TTIP, das Sie so kritisieren, in dieser Hinsicht schädlich ist. Ganz im Gegenteil, es wird den Wettbewerb auch um diese herausragenden neuen Technologien beflügeln. Dann werden wir sehen, ob Amerika bei dieser modernen CO2-armen Technologie nicht plötzlich vor uns ist. Wir müssen uns anstrengen. ({4}) Ich glaube daher, dass wir auf europäischer Ebene besonders stark in Forschung und Entwicklung investieren müssen. Gehen wir also mit Freude, aber auch mit Ehrgeiz und Kraft an diese Herkulesaufgabe! Glauben wir im Übrigen an das Machbare und weniger an die Katastrophe! Gehen wir nach Peru mit folgender Einstellung: Prima Klima in Lima. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Nina Scheer. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der IPCC-Report verlangt die vollständige Dekarbonisierung in allen Sektoren bis spätestens zum Jahr 2100. Daraus folgt zuallererst für uns in Deutschland, dass wir natürlich nicht das Minderungsziel von 40 Prozent bis 2020 infrage stellen. Ich bin froh, dass das hier so deutlich klargestellt wurde. Zu den Äußerungen von Herrn Homann ist alles gesagt worden. Man sollte sie nicht mit der Bundesregierung in Verbindung bringen. Darüber hinaus - das wurde auch gesagt müssen wir uns für die Schlussfolgerungen einsetzen, die der IPCC-Report nahelegt, um daraus in Paris entsprechende Handlungserfordernisse zu beschließen. Wenn wir uns die Chronologie der Klimareporte der letzten Jahre anschauen, so erkennen wir, dass die Reporte stets eine eindeutige Aussage enthalten: Ein Nichthandeln ist auf jeden Fall viel teurer als ein Handeln, als eine engagierte Klimapolitik. ({0}) Bereits heute können wir sehen: Die Vollkosten neuer Wind- und Solaranlagen sind auf dem gleichen Niveau wie die Vollkosten neuer Steinkohle- und Gaskraftwerke. Die emissionsarmen Technologien verursachen somit heute schon keine höheren Kosten mehr als die fossilen Energieträger, die einen großen Rucksack an externen Kosten mit sich schleppen. Insofern ist es jetzt wichtig, in den Bereichen der Erneuerbare-EnergienTechnologien, der Effizienzsteigerungsmöglichkeiten und der Wärmeenergiewende endlich auf die Chancen zu blicken und, wenn wir uns diesen neuen Technologien widmen, nicht so sehr die damit einhergehenden Belastungen in den Fokus zu nehmen. Die ErneuerbareEnergien-Technologien, durch deren Anwendung wir den Ausbau in den letzten Jahren erfolgreich hinbekommen haben - darauf ist hingewiesen worden -, zeigen uns auf, welche wirtschaftlichen Chancen in ihnen stecken; wir müssen sie einfach nur besser wahrnehmen. Die im Bericht dargestellten Herausforderungen liegen also darin, endlich die Chancen einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik und einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu erkennen und uns auf eine zukunftsfeste Wirtschafts- und Industriepolitik einzuschwören. Die Energiewende ist der Schlüssel zu ebendieser Industriepolitik. Das ist eine Erkenntnis, die wir aus dem Report zu ziehen haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zitat von Ban Ki-moon, dem UN-Generalsekretär, anbringen. Er sagte auch in Richtung großer Investoren, dass sie mehr Geld in erneuerbare Energien als in fossile Brennstoffe stecken sollen. Damit sagt er nicht nur, dass wir die erneuerbaren Energien voranbringen sollen, sondern auch, dass wir etwas abbauen sollen, dass wir aussteigen sollen. ({1}) Es geht um die Debatte über das sogenannte Devestment. Das hört sich ein bisschen rückwärtsgewandt an; es ist aber vorwärtsgewandt. Das genau ist der Anknüpfungspunkt. Ban Ki-moon weist richtigerweise darauf hin, dass es nicht nur um den Ausbau erneuerbarer Energien geht, sondern auch um einen Strukturwandel, um den Ausstieg aus veralteten Energiegewinnungsformen. ({2}) Dieser Herausforderung müssen wir uns natürlich auch in Deutschland stellen, gerade vor dem Hintergrund der immensen Überkapazitäten am Strommarkt. Ich finde es richtig, dass unsere Umweltministerin genau dieses Themenspektrum benannt hat. Angesichts der Überkapazitäten bedarf es eines klimaschutzgerechten Abbaus, und zwar nur eines solchen. Dafür müssen wir aber einen Perspektivwechsel vornehmen. Jetzt werde ich vielleicht etwas philosophisch. Aber wenn es um einen Perspektivwechsel geht, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass eine Belohnung von Nachhaltigkeitspolitiken in vielen Bereichen nicht angezeigt ist. Wenn wir schauen, wie Ratingagenturen aufgestellt sind, wie das Handeln nicht nur von Investoren, sondern auch von Staaten bewertet wird, dann sehen wir, dass die Bewertungen häufig nicht an Zukunftsfestigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Vielleicht wäre es eine Idee, die Entlastungseffekte, die Investitionen in Zukunftstechnologien mit sich bringen, sowie die Langfristigkeit und Zukunftsfestigkeit dieser Investitionen in der Bewertung des Staatshandelns abzubilden. ({3}) Ich sehe, ich bin schon am Ende meiner Redezeit. Insofern möchte ich an dieser Stelle nur einen letzten Aspekt nennen - das wäre eine weitere Forderung an uns selbst -: Bei internationalen Verhandlungen sollten wir im Blick behalten, dass im Hinblick auf das internationale Verständnis von Klimaschutzpolitik Korrekturbedarf besteht. Ich finde es nicht gut, dass die Atomenergie dort nach wie vor - das ist ja nicht erst seit heute so - als eine klimafreundliche Technologie angesehen wird. Das ist eine Hausaufgabe, die Deutschland hat; denn wir sind mit diesem Gedanken schon weit fortgeschritten. Wir müssen das auch international auf die Beine stellen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Redner in der Debatte spricht der Kollege Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde ist eine abermalige gute Möglichkeit, die Haltung der Bundesregierung zu einem Thema zu unterstreichen, das sie sehr ernst nimmt, nämlich dem Klimaschutz. Ich will dafür gerne einige wenige Belege anführen: Wir haben uns verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Dazu stehen wir ohne Wenn und Aber. Mit dem „Aktionsplan Klimaschutz 2020“, an dem intensiv gearbeitet wird und der in allernächster Zeit sehr scharfe Konturen annehmen wird, leiten wir die entscheidenden Schritte ein. Wir denken auch darüber hinaus; denn das große Ziel, das über allem steht, ist eine Absenkung der klimaschädlichen Emissionen bis zum Jahr 2050 um rund 95 Prozent. In Ihrem recht maßvoll gehaltenen Beitrag, Herr Kollege Lenkert, haben Sie an sich die zentrale Frage der heutigen Debatte gestellt, nämlich: Warum macht die unionsgeführte Bundesregierung in der Klimaschutzpolitik so weiter wie bisher? - Sie haben leider keine Antwort gegeben. Ich will sie Ihnen gern geben: weil wir uns grundsätzlich auf dem richtigen Weg befinden. ({0}) - Herr Krischer, zu Ihnen komme ich gleich noch. Deswegen ist es gut, dass Deutschland entgegen Ihren Behauptungen nach wie vor eine Vorreiterrolle in Europa spielt, Bundeskanzlerin Angela Merkel nach wie vor Klimakanzlerin ist ({1}) und weltweit mit ihren Äußerungen intensiv beobachtet wird. Meine Damen und Herren, das Ziel steht fest: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduziert werden. ({2}) Ich will mit Blick auf die europäische Ebene etwas Wasser in den Wein geben und einräumen, dass ich mir bei der Frage des Anteils der erneuerbaren Energien durchaus ambitioniertere Ziele bei der Festlegung hätte wünschen können. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Energieeffizienz. Herr Krischer, jetzt sind Sie dran. ({3}) Sie haben mit der Kollegin Baerbock in dieser Diskussion mächtig auf den Eimer gehauen, und zwar so mächtig, dass ich noch einmal nachschauen musste, aus welchem Heimatbundesland Sie eigentlich stammen. Ich habe nachgeschaut: Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen. Sie waren sogar eine Zeit lang in der Landtagsfraktion tätig; bei der einen oder anderen Gelegenheit ist das immer einmal angesprochen worden. Das Land Nordrhein-Westfalen hat nun ein Klimaschutzgesetz beschlossen. Ich weiß nicht, ob Sie an den ersten Vorläufern beteiligt waren. Aber ehrlich gesagt ist das eine herbe Enttäuschung - leider haben Sie es aus unserer Sicht völlig unterlassen, Frau Baerbock, sich dazu einzulassen -: Leider steht in diesem Klimaschutzgesetz, das von einer rot-grünen Landesregierung auf den Weg gebracht und verabschiedet wurde und das von einem grünen ressortzuständigen Minister ganz wesentlich in die Wege geleitet wurde, ein CO2-Minderungsziel von 25 Prozent. ({4}) - Herr Krischer, ehrlich gesagt: Nutzen Sie Ihre künftigen Redezeiten, um diese Peinlichkeiten zu erklären! ({5}) Ich mache etwas anderes, weil die Zeit voranschreitet. Ich erspare Ihnen die Peinlichkeit, die von der Landesregierung im Internet eingestellte Sprachregelung, wie man am besten antworten soll, wenn man diese kritische Frage gestellt bekommt, in der Langversion vorzulesen. ({6}) Ich gebe Ihnen die Antwort, die richtig ist: weil es die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen nicht kann und - das befürchte ich - weil sie das nicht will. ({7}) Am besten verwenden Sie, wie gesagt, beim nächsten Mal etwas Redezeit darauf. Meine Damen und Herren, Klimaschutzpolitik ist sehr konkret. Dazu müssen alle Bereiche ihren Beitrag leisten. Ich will im Wesentlichen einen Beitrag herausgreifen, damit es auch konkret wird, nämlich den Bereich des Verkehrs. Zwischen 1999 und 2012 haben wir in der Bundesrepublik - das untermauert die Vorreiterrolle - die CO2-Emissionen um 31 Millionen Tonnen gesenkt. Wir haben das mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen erreicht, die auch weitergeführt werden sollen, beispielsweise zum Thema „Elektromobilität“. Da sind wir mit der Bundesregierung auf einem klugen Weg. Das Elektromobilitätsgesetz ist mit einer Vielzahl von Anreizen auf den Weg gebracht worden und wird intensiv diskutiert. Ich finde das richtig. Ich finde es auch richtig, dass wir zu intelligenten Verkehrsverlagerungen gekommen sind. Angesichts der aktuellen Situation muss ich allerdings anmerken, dass bei diesem Ziel, das so wichtig ist, der aktuelle Streik der Lokführer in der Bundesrepublik durchaus kontraproduktiv ist. ({8}) Carsten Müller ({9}) Das ist ein Ansatz, wie man Klimapolitik mit kleinen und insofern auch unrichtigen Maßnahmen unterminieren kann. Ich will allerdings gern noch einige Hinweise geben, was aus meiner und aus unserer Sicht in Angriff genommen werden sollte, beispielsweise ein stärkeres Setzen auf alternative Antriebe und alternative Treibstoffe. Die steuerliche Begünstigung von Autos mit Gasantrieb muss weiterhin gewährleistet sein, und auch Rußpartikelfilter - das habe ich mehrfach gesagt, auch im Koalitionsvertrag steht das eindeutig - sollten weiterhin steuerlich gefördert werden. Frau Hendricks, hier müssten Sie bitte noch nachbessern und auch schneller liefern. Gestatten Sie mir zum Schluss, damit es konkret wird, eine Bemerkung zu einem Bereich, der mir sehr am Herzen liegt. Klimaschutz wird nur dann für alle besonders gut nachvollziehbar und umsetzbar, wenn wir uns gemeinsam um die steuerliche Förderung von energetischer Gebäudesanierung kümmern. Ich hoffe, dass wir hier in diesem Hause sehr schnell einen breiten Konsens herstellen können. Wenn wir hier in diesem Hause Konsens erreichen, dann werden wir auch die Bundesregierung dazu bewegen, dieses wichtige Thema künftig schneller und entschlossener anzugehen, als sie es bisher getan hat. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aktuelle Stunde. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/ EU und weiterer Vorschriften Drucksachen 18/2581, 18/3004 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) Drucksache 18/3077 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3083 Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat der Staatssekretär Dr. Günter Krings das

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Sitzung liegt dem Deutschen Bundestag der Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften zur abschließenden Beratung vor. Grundlage dieses Gesetzentwurfs - das wissen wir - ist der Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses der Bundesregierung, der sich mit „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ - so der ausführliche Titel - befasst hat. Der Ausschuss war notwendig und richtig, weil es zwei bewussten oder auch unbewussten Fehlbewertungen der Armutszuwanderung innerhalb der EU entgegenzutreten galt. Es war und ist nicht klug, diese Zuwanderungsprobleme innerhalb der EU zu überschätzen. Aber es war und ist mindestens ebenso gefährlich für die Akzeptanz der europäischen Integration, wenn Politiker die damit zusammenhängenden Probleme ignorieren oder die Belastungen für Bürger und Städte gar tabuisieren. Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung zentrale Vorschläge des Ausschusses zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht sowie zur Entlastung betroffener Kommunen konsequent um. Verschiedene Kommunen und kommunale Spitzenverbände haben in dringlichen Appellen wiederholt auf die Belastungen hingewiesen, die mit einer steigenden Zuwanderung aus der EU verbunden sind. Die Berichte der Kommunen zeigen aber auch: Es gab und es gibt hier kein flächendeckendes Problem. Eine Reihe von Kommunen, in erster Linie einige Großstädte, sieht sich aber zu Recht durch die Folgen eines stetig wachsenden Zuzugs aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union belastet. Die Bundesregierung hat hier einen Handlungsbedarf erkannt. Die Bundesregierung hat mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf einen Handlungsvorschlag gemacht. Die Zuwanderung aus anderen EU-Staaten bringt für unser Land und auch für die zuziehenden Menschen in erster Linie viele Vorzüge mit sich. Der weit überwiegende Teil der Zuwanderer kommt zu uns, um eine Arbeit oder eine Ausbildung aufzunehmen. Ich will es deshalb noch einmal sehr deutlich betonen: Die Freizügigkeit in Europa ist eine der bedeutendsten Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses und einer der sichtbarsten Vorzüge Europas für seine Bürger. ({0}) Die europäische Freizügigkeit hat aber klare rechtliche Voraussetzungen. Sie gilt insbesondere für die Aufnahme einer Ausbildung oder einer Arbeit oder zu einer Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings konkreten Suche nach einem Arbeitsplatz. Es gibt keinen europarechtlichen Grundsatz, wonach zum Beispiel nur die Mehrheit der Zuwanderer, die aus einem Mitgliedstaat nach Deutschland kommt, die rechtlichen Voraussetzungen der Freizügigkeit erfüllen muss. Die Voraussetzung für dieses Recht muss jeder Einzelne erfüllen. Gerade weil die Europäische Union mehr ist als ein Staatenbund, gerade weil sie eine Union der Bürger ist, müssen die Voraussetzungen der Freizügigkeit bei jedem einzelnen Zuwanderer, in seiner Person, vorliegen. Darauf bestehen wir. Wir dürfen nicht so tun, als ob mit einem steigenden Zuzug von Menschen aus anderen Mitgliedstaaten vor Ort, in den Städten und Gemeinden, nicht auch Probleme verbunden sein könnten. Betroffene Städte und Gemeinden berichten von einer steigenden Belastung ihrer Systeme der kommunalen Daseinsvorsorge und von einer Verschärfung sozialer Probleme. Dabei geht es etwa um den Bereich der Schule, um die Versorgung mit Wohnraum, um die unberechtigte Inanspruchnahme sozialer Leistungen oder um die Gesundheitsversorgung. Aktuell sehen sich Städte und Gemeinden zusätzlich belastet, weil sie eine stetig steigende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufnehmen sollen; darüber haben wir heute Mittag in diesem Hause debattiert. Auch diesbezüglich will der Bund im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beitragen, rasch Lösungen zu finden. Das letztgenannte Thema ist zwar nicht das Thema dieser Debatte, man muss aber sehen, dass diese beiden zusätzlichen Aufgaben viele Kommunen vor große Herausforderungen stellen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen wir zwei zentrale Ziele: Erstens. Wir wollen die betroffenen Kommunen substanziell entlasten. Zweitens. Wir wollen die Akzeptanz in unserer Gesellschaft für die Freizügigkeit in Europa nachhaltig sichern. Gerade deshalb ist es wichtig, gegen Missbrauch im Zusammenhang mit diesem Recht gezielt vorzugehen. Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die Hilfen für unsere Kommunen werfen: Wir stocken die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch II um 25 Millionen Euro auf. Das Geld kann, so wir das hier beschließen, noch in diesem Jahr an die Länder fließen, in denen die besonders involvierten Städte und Gemeinden liegen, damit es dann möglichst umgehend - hoffentlich - an die betroffenen Kommunen zielscharf weitergegeben werden kann. Künftig sollen durch eine Änderung im Sozialgesetzbuch V die Impfkosten für Kinder und Jugendliche mit ungeklärtem Krankenversicherungsstatus übernommen werden. Zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Reihe von Maßnahmen vor: Im Freizügigkeitsrecht sollen befristete Wiedereinreisesperren im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug ermöglicht werden. Das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche soll in Übereinstimmung mit dem Europarecht befristet und die Erschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durch falsche Angaben konsequent unter Strafe gestellt werden. Beim Kindergeld wollen wir wirksam Doppelzahlungen unterbinden. ({1}) Künftig wird die Kindergeldzahlung von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern und Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifikationsnummer abhängig sein. Ferner wollen wir entschieden gegen Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit vorgehen. Dazu sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Regelung vor, mit der die Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert wird. Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung können jedoch in keinem Fall allein zu einer Lösung der anstehenden Probleme beitragen. Wir wollen den betroffenen Menschen, die sich mit Recht hier aufhalten, die Integration erleichtern. Wir werden Integrationskurse in besonders betroffenen Kommunen stärker auf den Bedarf von zuziehenden EU-Bürgern zuschneiden und gezielt spezifische Hemmnisse für eine Teilnahme an Integrationsangeboten abbauen. Damit unterstützen wir nicht nur zuziehende EU-Bürger, sondern wir leisten hiermit auch einen Beitrag zur Entlastung der Kommunen bei der Integration vor Ort. Meine Damen und Herren, die Zuwanderung nach Deutschland ist nicht statisch, sondern ein Prozess, der in seiner Form, seinem Ablauf und seinen Gründen einem kontinuierlichen Wandel unterworfen ist. Damit verändern sich auch die sich daraus ergebenden politischen Herausforderungen. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, kann auch aus diesem Grund keine Antwort auf alle Probleme im Zusammenhang mit dem Zuzug aus anderen EU-Staaten geben. Er ist aber ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Kommunen und zur Unterbindung von Missbrauch. Damit wollen wir zugleich die Aufnahmebereitschaft in unserer Gesellschaft insbesondere für Menschen erhalten, die zu uns kommen und unserer Hilfe in besonderer Weise bedürfen. Diese Koalition bleibt dabei: Wir treten für Freizügigkeit, aber auch gegen den Missbrauch von Rechten ein. ({2}) Genau das schaffen wir hiermit. Außerdem ist dies ein großer Beitrag zur Entlastung der Kommunen. Wir zeigen, dass diese Koalition auch die kommunalen Probleme ernst nimmt und sie nicht unter den Teppich kehrt. Diese Koalition sorgt sich um die Städte und Kommunen in unserem Land und arbeitet daran mit, dass die Probleme, die dort entstehen, gelöst werden. Aus diesem Grunde bitte ich Sie ganz herzlich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das Wort. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man muss hier deutlich sagen: Vor einem Jahr wurde mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ insbesondere von der CSU eine doch recht populistische Debatte befeuert, die vor allen Dingen darauf aus war, Menschen aus Bulgarien und Rumänien und insbesondere Roma, die hierher zuwandern, auszugrenzen und zu treffen. ({0}) Bis heute hat es keinen einzigen Beleg gegeben, dass es diesen Missbrauch ernsthaft gibt. Natürlich gibt es Einzelfälle. ({1}) Aber dass über 400 000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien eingewandert sind, hier arbeiten, Steuern zahlen, in die Sozialsysteme einzahlen und die deutsche Gesellschaft davon im Grunde genommen auch profitiert, hört man hier nie. Es wird immer auf die Minderheit abgestellt, von der der eine oder andere im Hinblick auf den Sozialhilfebedarf vielleicht einmal falsch vorgegangen ist. Ich will hier ganz deutlich sagen: Die Linke ist dafür, dass EU-Bürgerinnen und -Bürger ihre sozialen Rechte wahrnehmen können und vor allen Dingen der Bund Unterstützung leisten muss, wenn es in den Kommunen der Hilfe bedarf, insbesondere was Ausbildung und Fortbildung angeht. Meine Damen und Herren, die sozialen Rechte der Unionsbürgerinnen und -bürger werden von dieser Bundesregierung unter Vorbehalt gestellt. Laut Gesetzentwurf soll sein Aufenthaltsrecht verlieren, wer nach sechs Monaten noch keine Arbeit gefunden hat. Diese Regelung ist pauschal und sehr restriktiv. Mir soll einmal jemand zeigen, wie das gehen soll, wenn man in einem anderen EU-Staat völlig neu anfängt. Damit nicht genug: In Zukunft sollen auch Kindergeldstellen, Jobcenter und Krankenkassen prüfen, ob Unionsbürger und -bürgerinnen möglicherweise länger als ein halbes Jahr in Deutschland verbleiben können, weil sie die Voraussetzungen erfüllen müssen. In der Sachverständigenanhörung, die wir im Innenausschuss durchgeführt haben, haben wir einige Beispiele gehört, die gezeigt haben, wie absurd die Folgen sein können. Ein Beispiel: Eine EU-Bürgerin aus Dänemark, die mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Deutschland gekommen ist, wird von ihrem Mann verlassen. Sie hat die Kinder inzwischen aber gut integriert; sie gehen in den Kindergarten, sie haben Freunde, sie sprechen die deutsche Sprache. Deshalb möchte die Frau gerne hierbleiben. Aber wenn sie nicht schnell genug Arbeit findet, kann ihr Folgendes passieren: Die Kindergeldstelle lehnt ihren Kindergeldantrag ab, die Krankenkasse verweigert den Versicherungsschutz, das Jobcenter lehnt den Antrag auf Hartz IV und Qualifikationsmaßnahmen ab. Am Ende kommt die Ausländerbehörde aber zu einem ganz anderen Ergebnis und bestätigt ihr Aufenthaltsrecht. Die Familie darf bleiben, verliert aber ihre sozialen Rechte. Wie perfide ist denn das? Was ist denn das für ein Bürokratiekram? ({2}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie wollen wieder Einreisesperren einführen, wie wir eben schon gehört haben, beispielsweise dann, wenn ein EU-Bürger die Behörden getäuscht hat. ({3}) Doch den Unionsbürgerrechten zufolge sind Einreisesperren nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlaubt. Der Gesetzentwurf geht also weit über das Erlaubte hinaus und setzt eine Täuschung der Behörden mit einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit gleich; auch das ist doch völlig absurd. In Sonntagsreden betonen wir hier immer wieder, wie wichtig die Freizügigkeit der EU ist; das haben wir eben auch wieder gehört. Aber hier schaffen Sie Regelungen, die dieses Recht aushöhlen. Das nenne ich eindeutig Heuchelei. ({4}) Ich will noch kurz auf den vermeintlichen sozialen Missbrauch eingehen. Ich habe es eben schon einmal gesagt: Im vergangenen Jahr gab es 91 Fälle, in denen der Verdacht bestand, dass Sozialhilfemissbrauch bzw. -betrug begangen wurde. Wie gesagt, dem steht gegenüber, dass über 400 000 Menschen hier arbeiten. Man fragt sich also wirklich: Warum dieser Aufwand? Warum diese Einschränkung bei einem ganz wichtigen Recht der EU, nämlich bei der Freizügigkeit? Dazu hat zu der Anhörung eine zuständige Bezirksstadträtin aus Berlin-Neukölln in ihrer Stellungnahme geschrieben, dass europäische Unionsbürger lediglich ihr Recht auf Freizügigkeit nutzten und die damit verbundenen Sozialleistungen in Anspruch nähmen. Dabei könne nicht automatisch von einem Missbrauch oder Sozialleistungsbetrug gesprochen werden, sondern in vielen Fällen lediglich von einer Wahrnehmung von Rechten. Man kann es auch anders ausdrücken: Sie stellen mit diesem Gesetz und Ihrem weiteren Vorhaben das Freizügigkeitsrecht infrage, weil es vereinzelte Fälle von Missbrauch geben mag. Das nenne ich, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. ({5}) Meine Damen und Herren, die Linke nimmt den Grundgedanken der Europäischen Union ernst. Wir sind dafür, dass alle Unionsbürger und -bürgerinnen die gleichen Rechte haben. So sollte man es auch weiter praktizieren. Das Gesetz ist völlig überflüssig und reine Schikane. Danke. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Castellucci das Wort. ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zwei Feststellungen: Deutschland braucht Zuwanderung, und Deutschland profitiert von Zuwanderung. ({0}) Deutschland braucht Zuwanderung, weil wir in einigen Jahren, in einigen Jahrzehnten auch noch Leute haben müssen, die die Steuern zahlen, die wir für den Erhalt unserer Infrastruktur brauchen, weil wir Leute brauchen, die in die Sozialversicherungssysteme einzahlen, damit unter anderem die Renten meiner Generation auch noch finanziert sind, damit die Angehörigen meiner Generation und der vielen Generationen, die hoffentlich noch nachkommen, gepflegt werden können, und wir brauchen Leute für andere Bereiche, in denen Fachkräftemangel herrscht. Außerdem profitieren wir von Zuwanderung. So ist es im Bericht des Staatssekretärs eindeutig festgehalten. Das gilt insbesondere - darum ging es ja - für die Menschen, die aus Europa zu uns kommen. ({1}) Gleichzeitig - das ist ja kein Wunder - ist Zuwanderung bzw. das Zusammenleben insgesamt immer mit Problemen behaftet. Das will ja niemand in Abrede stellen. Wo stellen sich diese Probleme? Sie stellen sich bei den Kommunen; denn da kommen die Menschen an, und da brauchen sie im Zweifel Wohnraum. Ferner müssen die Kinder in die Schule gehen; denn für sie gilt die Schulpflicht. Außerdem stellt sich die Frage von Arbeit. Da stellt sich die Frage, was passiert, wenn jemand krank wird, usw. ({2}) Deswegen ist es gut - und das ist auch für uns der zentrale Inhalt dieses Gesetzesvorhabens -, dass wir die Kommunen entlasten und mit 25 Millionen Euro für Kosten der Unterkunft unterstützen ({3}) und dass Impfkosten für Kinder von EU-Bürgerinnen und -Bürgern übernommen werden. ({4}) Zuwanderung ist nicht nur selbst gut, sondern man muss sie auch gut machen. Was heißt steuern und gestalten? ({5}) Man könnte in Abwandlung eines alten Spruches sagen: Wer morgen sicher leben will, der muss heute Zuwanderung nicht nur zulassen, sondern er muss sie steuern und gestalten. ({6}) Wer nicht immer nur in kurzfristigen Zeiträumen denkt, der weiß, dass wir in den vergangenen Jahren - nehmen wir einfach das abgelaufene Jahrzehnt - nicht nur Jahre mit steigenden Zuwanderungszahlen hatten, sondern sogar Minuszahlen. Wir sind also weit entfernt von der Zuwanderung, die wir brauchen für den Infrastrukturerhalt, für die Sozialversicherungsbeiträge und für Steuern in der Zukunft. Wir machen die Zuwanderung nicht gut genug, damit sich diese Versprechen in Steuern, in Sozialversicherungsbeiträgen und in Integration einlösen können. Wir haben hier wirklich noch eine große Gemeinschaftsaufgabe vor uns. Es gibt eine Fülle von legalen Zugangswegen. Diese Fülle von legalen Zugangswegen ergibt aber noch kein Gesamtkonzept. Daran müssen wir weiter arbeiten. ({7}) Jetzt zur EU-Freizügigkeit. Das ist eine große Errungenschaft. Das ist zu Recht schon gesagt worden. Ich finde, das ist fantastisch. Für mich - dabei denke ich an Sonntag - wächst da ein Stück weit zusammen, was in Europa zusammengehört. Ich habe das Fernziel, dass wir irgendwann einmal eine vollständige Freizügigkeit in Europa haben. ({8}) Ich weiß nicht, ob ich das jemals erleben werde. ({9}) Aber vielleicht kann ich ein Stück weit dafür arbeiten. In jedem Fall wird es eine Zeit mit einem Übergang geben, und es ist nicht richtig, wenn wir Übergänge difDr. Lars Castellucci famieren, die wir doch brauchen, weil die Zuwanderung auch gestaltet und geregelt werden muss. Zu einer Regelung können, wie es hier vorgesehen ist, auch Elemente von Befristung oder Wiedereinreisesperren gehören. Bei Letzteren geht es um Einzelfälle, um schwerwiegende Einzelfälle. Wir haben zugesagt, dass wir in zwei Jahren ganz sachlich und nüchtern analysieren werden, ob da weiterer Steuerungsbedarf besteht. ({10}) Ich möchte gerne etwas aufgreifen, was häufig genannt wird: dass wir die Ängste der Menschen ernst nehmen sollen. Das finde ich richtig. ({11}) Gleichzeitig muss man fragen: Was heißt es denn, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen? Nehmen wir einmal an, jemand hat Angst vorm schwarzen Mann bitte nicht politisch verstehen! ({12}) Dann nehme ich das vielleicht erst einmal ernst; aber man kann ja nicht regieren, indem man einen schwarzen Mann, ({13}) den es gar nicht gibt, ausweist oder mit einer Wiedereinreisesperre belegt, sondern müsste an die Wurzeln der Ängste herangehen. Die Wurzeln von Ängsten stehen aus meiner Sicht gar nicht unbedingt eng mit der Frage der Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern in Zusammenhang, sondern haben etwas damit zu tun, dass die Menschen selbst keinen sicheren Stand haben. Es ist die Frage, ob sie mithalten können in einer Gesellschaft, die so extrem auf Konkurrenz, auf Leistungsdruck aufbaut, wie wir das in den letzten Jahren zugelassen haben. Wir müssen also die Menschen ernst nehmen in ihren Ängsten; aber wir dürfen die Ängste nicht zum Maßstab unserer Politik machen, sondern müssen an den Wurzeln ansetzen. ({14}) Es gibt nicht nur Menschen mit Ängsten, es gibt auch die andere Seite: Fast die Hälfte der Menschen sagt, wir sollten sogar mehr tun, wenn es um Flüchtlinge, beispielsweise aus dem Irak oder aus Syrien, geht. Ich will, dass wir hier als Politikerinnen und Politiker Unterstützer und Ermöglicher sind für alle die, die sich für dieses Miteinander in Deutschland einsetzen. Darüber, wie das gelingen kann, würde sich eine Debatte wahrlich lohnen. Anfang der Woche ist der Deutsche Dialogpreis verliehen worden. Das war eine ganz wunderbare Veranstaltung, bei der unter anderem Dr. Navid Kermani ausgezeichnet worden ist, der im Mai dieses Jahres hier eine beeindruckende Rede gehalten hat. Das sind Menschen, die sich für interreligiösen Dialog, für interkulturellen Dialog einsetzen, Menschen, die sich anderen, die fremd sind, nähern und dadurch sich selbst ein Stück weit besser kennenlernen, Menschen, die in vielen Projekten für ein gutes Miteinander arbeiten. Mein Wunsch ist, dass wir in unserem Reden und unserem Tun uns diese Menschen, diese Brückenbauerinnen und Brückenbauer, zum Vorbild nehmen. ({15}) Ich schließe mit einem der Preisträger, dem Rabbiner Ben-Chorin. Er hat an dem Abend gesagt: Mauern, die wir nicht sehen, sind gefährlicher als die, die wir sehen. ({16}) Mit Blick auf die morgige Feierstunde will ich sagen: Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten, Mauern abzutragen: um Europa, in Europa und in unseren Köpfen. ({17}) So tragen wir die Fackel der friedlichen Revolution weiter. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Castelluci, Sie haben zu vielem gesprochen, aber nicht zu dem Gesetzentwurf, um den es heute geht. ({0}) Ich kann das in gewisser Weise verstehen: Es war Ihnen schon im Ausschuss anzumerken, dass Ihnen ziemlich unwohl ist bei diesem Gesetzesvorhaben. Ich bin mit Ihnen von der Koalition einig: Wo Sozialbetrug stattfindet, müssen wir ihn bekämpfen. Deshalb stimme ich der Regelung, als Voraussetzung für das Kindergeld die Steueridentifikationsnummer zu verlangen, auch vollkommen zu. Niemand soll für seine Kinder doppelt Kindergeld beziehen. ({1}) Volker Beck ({2}) Das ist richtig und unterstützenswert, hat mit der EUFreizügigkeit aber überhaupt nichts zu tun. ({3}) Es waren 2 400 deutsche Beamte, die doppelt Kindergeld bezogen haben. Ihr Staatssekretärsbericht weist nicht einen einzigen doppelten Kindergeldbezug von Bulgaren oder Rumänen nach. Sie haben von Ängsten gesprochen. Schüren Sie keine Ängste! Erfinden Sie keine Ängste in der Bevölkerung! Reden Sie den Menschen nicht ein, es gäbe bei Bulgaren und Rumänen Sozialbetrug, den es in Wirklichkeit bei den deutschen Beamten gegeben hat, wie der Bundesrechnungshof festgestellt hat. ({4}) So betreiben Sie nämlich gemeinsam mit Ihrer Kampagne „Wer betrügt, fliegt“ das Geschäft der AfD und nicht das Geschäft eines demokratischen, friedlichen und rechtsstaatlichen Europas. ({5}) Auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit oder die bessere Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden, die Impfaktionen für Kinder aus Europa - ich finde, man könnte auch die Kinder aus Staaten der EWR impfen, wenn der Krankenversicherungsstatus nicht geklärt ist -, all das unterschreiben wir. Die Entlastung der Kommunen durch die Übernahme von 25 Millionen ist nicht genug, aber besser als nichts. Darüber gibt es keinen Streit. Aber was Sie dann bei der EU-Freizügigkeit machen, wird durch keine Tatsache in Ihrem Staatssekretärsbericht gedeckt. Das machen Sie nur, um der CSU sagen zu können: Für eure Kampagne gab es tatsächlich einen Grund. Es gab dafür keinen Grund; das haben Sie selber aus dem Staatssekretärsbericht richtig zitiert. Es ist infam, jetzt die EU-Freizügigkeit einzuschränken. ({6}) Ich bin da näher bei der Kanzlerin als bei der Koalition. Die Mitglieder dieser Koalition und die Kanzlerin sind heute Gott sei Dank kaum da. ({7}) Die Kanzlerin hat gesagt: Deutschland wird an dem Grundprinzip der Bewegungsfreiheit in der EU nicht rütteln. ({8}) Die Abgeordneten der Koalition, die heute da sind, werden nachher, wenn sie dem Gesetzentwurf zustimmen, sehr wohl an der Freizügigkeit rütteln. ({9}) Sie regeln Wiedereinreisesperren für EU-FreizügigkeitsBerechtigte über das vorhandene Maß hinaus, das wir heute schon haben - für Menschen, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit in Deutschland sind, haben wir diese Regelung schon -, für Fälle, bei denen das nicht zulässig ist. Es kann schon sein, dass einmal ein EU-Bürger, nicht nur ein Deutscher, einen Fehler beim Ausfüllen eines Antrags beim Jobcenter macht. Das ist nicht okay, egal ob es vorsätzlich oder fahrlässig ist. Aber dann zu sagen, dieser Bürger dürfe nicht wieder einreisen, ist eindeutig europarechtswidrig. ({10}) Auch den Fall, dass jemand zum Beispiel vortäuscht, er habe einen 400-Euro-Job, den er gar nicht hat, um als Aufstocker sein Freizügigkeitsrecht zu untermauern und seine Sozialbezüge zu erhalten, kann man sich ausdenken und könnte es theoretisch geben. Nachgewiesen, dass das in relevanter Zahl vorkommt, haben Sie nicht. In diesen Fällen wäre auch eine Wiedereinreisesperre rechtlich nicht zulässig. ({11}) Sie können ihn rausschmeißen. Aber wenn er zwei Jahre später - die Einreisesperre soll fünf Jahre dauern - einen Deutschen oder einen in Deutschland lebenden Ausländer heiratet oder sich verpartnern lässt, dann darf er natürlich wieder einreisen. Dass Sie das hier verbieten wollen, verstößt gegen die Richtlinie zur Freizügigkeit der Europäischen Union. Ich garantiere Ihnen: Früher oder später wird Sie der Europäische Gerichtshof darauf hinweisen, und zwar zu Recht. ({12}) Es ist klar - da lag Frau Jelpke nicht ganz richtig -: Natürlich ist die Freizügigkeit zur Arbeitsaufnahme im europäischen Recht auf sechs Monate begrenzbar; darüber darf man auch reden. Jetzt steht noch eine Begrenzung von drei Monaten im Gesetz. Bloß, bislang haben wir gesagt: Es reicht aus, wenn sich die hier lebenden EU-Bürger ernsthaft um Arbeit bemühen. Sie wollen jetzt, dass dies mit „Aussicht auf Erfolg“ geschieht; auch darüber könnte man reden. Aber das soll jetzt auf einmal das Ausländeramt beurteilen. Mit welcher Expertise sollen die Mitarbeiter das denn machen? Wenn diese Menschen keine Sozialleistungen beanspruchen: Warum wollen Sie sie dann rausschmeißen? Das ist eine Begrenzung der EU-Freizügigkeit, wie wir sie politisch nicht wollen und wie wir sie auch nicht brauchen, weil die Möglichkeiten, aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten, schon nach jetzigem Recht bestehen. Aber bürokratisieren Sie diesen Quatsch nicht dadurch, indem Sie Ämtern Aufgaben zuweisen, die diese aus eigener Erkenntnis überhaupt nicht bewältigen können. Dabei kommen falsche Entscheidungen heraus. Volker Beck ({13}) Das geht zulasten der Freizügigkeit. Deshalb lehnen wir diese Regelung ab. Wir schlagen Ihnen vor: Beschließen Sie die Entlastung der Kommunen. Beschließen Sie die Regelung zum Kindergeld, und nehmen Sie den Artikel 1 mit der Beschränkung der EU-Freizügigkeit einfach wieder aus dem Gesetzentwurf heraus. Sie haben eine letzte Chance, bevor der Gesetzentwurf in den Bundesrat geht. Sie können das heute durch Zustimmung zu unserem Änderungsantrag korrigieren. Ich weiß, Herr Castellucci, im Herzen sind Sie auf jeden Fall dabei, wenn wir nachher darüber abstimmen. Ich wünschte mir, es wäre dann auch in der Realität so. ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Lindholz das Wort. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Freizügigkeit ist und bleibt der zentrale Bestandteil unseres gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraumes, von dem Deutschland als Exportnation besonders profitiert: Deutschland verkauft 60 Prozent seiner Exporte zollfrei innerhalb der EU. 40 Prozent unserer Exporte gehen in den Euro-Raum; sie sind sowohl von Zöllen als auch von teuren Währungsschwankungen befreit. Die europäische Integration fördert aber nicht nur den deutschen Außenhandel. Unsere Wirtschaft profitiert auch von den vielen qualifizierten und motivierten Migranten aus der EU. Angesichts unserer überalternden Bevölkerung und der geringen Geburtenrate kann daran auch kein Zweifel bestehen. Von 3,1 Millionen EU-Bürgern, die letztes Jahr in Deutschland lebten, waren 146 000 arbeitslos gemeldet. Das entspricht knapp 5 Prozent aller Arbeitslosen in Deutschland. Die große Mehrheit der ausländischen EUBürger in Deutschland arbeitet, zahlt Steuern und Sozialabgaben und trägt zu unserem Wohlstand bei. ({0}) Ihr Freizügigkeitsrecht bleibt völlig unbestritten. Trotzdem muss man klarstellen, dass es in den EUVerträgen kein uneingeschränktes Recht auf Freizügigkeit gibt. Wir Bundesbürger haben ein unbedingtes bzw. unbeschränktes Freizügigkeitsrecht nur innerhalb Deutschlands, aber nicht in der gesamten EU. In den EU-Verträgen heißt es wörtlich: Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich … vorbehaltlich der … in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen … Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Diese Durchführungsvorschriften sollte unter anderem die Freizügigkeitsrichtlinie näher definieren. Ihre Vorgaben sind allerdings ungenau. Das Resultat ist, dass es auf nationaler Ebene teilweise erhebliche Rechtsunsicherheiten gibt. Fest steht aber, dass die Mitgliedstaaten gewisse Handlungsspielräume besitzen, um die Freizügigkeit auszugestalten und zu steuern. Darauf hat auch die Kommission immer wieder hingewiesen. ({1}) - Herr Kollege Beck, ich kenne die Artikel, aber ich glaube, Sie kennen sie nicht alle. - Artikel 35 der Freizügigkeitsrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten ausdrücklich, Herr Kollege Beck, ({2}) Missbrauch und Betrug im Rahmen der Freizügigkeit zu bekämpfen. ({3}) Aus Artikel 7 der Richtlinie geht zudem hervor, dass speziell das Freizügigkeitsrecht von Personen, die nicht arbeiten, an Bedingungen geknüpft ist. ({4}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nutzt die Bundesregierung ihren rechtlichen Spielraum und zieht wesentliche erste Schlüsse aus dem Bericht des Staatssekretärsausschusses zur Armutsmigration. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu?

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, ich komme noch zu dem Punkt. Aber wir können es gerne schon vorher diskutieren. Die Zeit wird ja angehalten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ja. Gut.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Würden Sie mir zustimmen, dass in Artikel 35 der Freizügigkeitsrichtlinie, auf die Sie sich gerade bezogen haben, anders als in Artikel 15 das Wort „Wiedereinreisesperren“ nicht vorkommt? Dort heißt es nämlich: Die Mitgliedstaaten können die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z. B. durch Eingehung von Scheinehen - zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen. Volker Beck ({0}) Das ist eine abschließende Aufzählung. Dann heißt es weiter, „solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein“ und sich „nach den Artikeln 30 und 31“ im Verfahrensrecht richten. Damit ist eindeutig klar, dass Artikel 15 die Spezialregelung ist, und diese regelt die Wiedereinreisesperren abschließend aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Das, was Sie vorgetragen haben, betrifft aber nicht öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. ({1})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, Sie wissen doch, dass wir dazu eine völlig andere Rechtsauffassung haben. Sie sprechen jetzt schon konkret die Wiedereinreisesperren an, die wir in § 7 Absatz 2 des Freizügigkeitsgesetzes betreffend die Fälle des § 2 Absatz 7 des Freizügigkeitsgesetzes regeln. Da ist bereits festgestellt, dass keine Freizügigkeit mehr besteht. Die Rechtsexperten, die nach unserer Auffassung die korrekte Rechtsauffassung vertreten, sehen Artikel 35 der Freizügigkeitsrichtlinie als Lex specialis zu Artikel 15 der Freizügigkeitsrichtlinie, den Sie gerade so schön zitiert haben. ({0}) Da steht ausdrücklich, dass wir die Konsequenzen daraus ziehen dürfen. Das tun wir in § 7 Absatz 2, Herr Kollege Beck, indem wir Wiedereinreisesperren gegen diejenigen verhängen, die nach § 2 kein Freizügigkeitsrecht mehr haben. ({1}) Ich gehe davon aus, dass wieder Professoren oder möglicherweise auch Richter darüber zu befinden haben werden, wer nun am Ende recht hat. ({2}) Wir sind der Auffassung: Unsere Regelungen sind europarechtskonform. Herr Beck, Sie haben sich schon mit meinem Vorgänger, Herrn Geis, immer auseinandergesetzt. Ich sage immer wieder: Dass wir diese Tradition fortsetzen, freut zumindest die Bürgerinnen und Bürger in meinem Wahlkreis. Ich setze nun meine Rede fort. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nutzt die Bundesregierung ihren rechtlichen Spielraum und zieht wesentliche erste Schlüsse aus dem Bericht des Staatssekretärsausschusses zur Armutsmigration. Sie setzt ein wichtiges Signal, indem sie sagt: Betrug und Missbrauch werden nicht toleriert. Darüber hinaus greift die Bundesregierung den Kommunen bei den Kosten unter die Arme. Das geschieht im Wesentlichen mit fünf Maßnahmen. Erstens werden im Falle von Betrug und Rechtsmissbrauch Wiedereinreisesperren ermöglicht. Zweitens wird das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern zur Arbeitsuche auf sechs Monate befristet. Warum? Weil auch hier Artikel 7 der Freizügigkeitsrichtlinie nur die ersten drei Monate regelt. Danach werden sehr strenge Anforderungen gestellt, wann und unter welchen Voraussetzungen jemand in einem Land bleiben darf. Er muss nämlich seinen Lebensunterhalt weitestgehend selbst sicherstellen. Indem wir die Geltungsdauer des Merkmals der Arbeitsuche von drei auf sechs Monate verlängern, kommen wir den Menschen sogar entgegen. Dass eine begründete Aussicht auf Arbeit bestehen muss, ist aus meiner Sicht gerechtfertigt, genauso wie die Tatsache, dass darüber verschiedene Stellen zu befinden haben. Denn es gibt unterschiedliche Anspruchsgrundlagen: Möchte jemand Arbeitslosengeld beziehen, oder bezieht er nur Kindergeld, oder braucht er nur Unterstützung von der Krankenkasse? Wir werden sehen, sehr geehrter Herr Kollege Castellucci, ob sich die Regelungen in der Praxis bewähren oder ob Nachbesserungsbedarf besteht. Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich das für richtig. Drittens sorgen wir dafür, dass Doppelzahlungen beim Kindergeld vermieden werden. Indem bei jedem Kindergeldantrag die steuerliche Identifikationsnummer angegeben werden muss, geben wir den Behörden die Möglichkeit, leichter Überprüfungen vorzunehmen. Viertens wird die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit verbessert, indem die zuständigen Behörden besser vernetzt werden. Die Gewerbeämter sollen künftig schon beim ersten Verdacht auf Scheinselbstständigkeit prüfen und Verdachtsfälle direkt an die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll melden. Fünftens werden die Kommunen mit zusätzlichen 35 Millionen Euro unterstützt. Diese Unterstützung ergänzt das bereits im März in Folge des Zwischenberichts beschlossene Entlastungspaket für die Kommunen in Höhe von über 200 Millionen Euro. Dazu wurde das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ aufgestockt sowie Programme des Europäischen Sozialfonds und ein EU-Hilfsfonds so zugeschnitten, dass vor allem die stark belasteten Kommunen von diesen Programmen in den nächsten Jahren profitieren können. Die Bundesregierung und der Bundestag packen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf offensichtliche Probleme im Rahmen der europäischen Freizügigkeit an. Die kommunalen Spitzenverbände begrüßen ausdrücklich, dass wir uns endlich mit den Problemen der Armutszuwanderung aus der EU befassen. Die Kommunen werten unsere Initiative als wichtigen ersten Schritt in die richtige Richtung. Auch das haben uns die Sachverständigen von der kommunalen Ebene in der Anhörung am 13. Oktober bestätigt. Der Gesetzentwurf kann nur ein erster Schritt sein. Wir alle wissen, dass es unklar ist, ob und unter welchen Bedingungen ein EU-Bürger, der sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten darf, in dieser Zeit Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen hat. Deutsche Gerichte haben in dieser Frage aufgrund widersprüchlicher Vorgaben in den Richtlinien unterschiedlich geurteilt. Das Urteil des EuGH im Dano-Fall wird am 11. November wohl für etwas mehr Klarheit sorgen. Gerichte sollten allerdings nicht die Rolle des Gesetzgebers übernehmen. Die demokratisch legitimierten Institutionen in Europa sind gefordert, in so weitreichenden Fragen Rechtssicherheit zu schaffen. Auf nationaler Ebene unternehmen wir heute einen ersten Schritt im Rahmen des Aufenthalts- und Freizügigkeitsrechts und schaffen etwas mehr Rechtssicherheit. Nach dem DanoUrteil müssen weitere Schritte folgen. Wir wollen und brauchen die Freizügigkeit in Europa. Die öffentliche Akzeptanz dieses Rechts ist aber keine Selbstverständlichkeit. Es steht außer Frage, dass weitere Schritte kommen müssen. Auch die offene Frage, ob EU-Bürger in Deutschland für ihre im Ausland lebenden Kinder Kindergeld in voller Höhe wie in Deutschland bekommen sollen, gehört für mich dazu. Die Politik auf europäischer und nationaler Ebene trägt Verantwortung dafür, dass eine Akzeptanz sichergestellt wird. Mit diesem Gesetzentwurf tragen wir dazu bei. Ich bitte Sie daher heute um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Josip Juratovic das Wort. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kürzlich bei der Anhörung der Sachverständigen zum geplanten Freizügigkeitsgesetz hat Frau Dr. Giffey, Bezirksstadträtin von Neukölln, einen entscheidenden Beitrag zu dieser Debatte geleistet. Frau Giffey begrüßte viele der neuen Regelungen, betonte aber auch, dass in Neukölln nicht der Missbrauch die größten Schwierigkeiten bereitet. Kommunen brauchen vor allem Unterstützung, um mit legaler und gerechtfertigter Zuwanderung zurechtzukommen. Ich kann Frau Giffey nur zustimmen. ({0}) Es ist entscheidend, dass wir die Kommunen ausreichend unterstützen, und wir haben mit den geplanten Entlastungen einen wichtigen Schritt dafür geleistet. Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich müssen wir Gesetze auf den Weg bringen, die sich auch um Missbrauchsfälle kümmern. Daher finde ich die neuen Regelungen zur zeitlichen Begrenzung der Arbeitssuche oder zum Kindergeldmissbrauch gerechtfertigt. Es ist aber auch entscheidend, dass wir dem Missbrauch nicht mehr Aufmerksamkeit schenken, als er verdient. ({1}) Die meisten Menschen, die zu uns kommen, missbrauchen nicht die Freizügigkeit, sondern machen nur von ihrem Recht Gebrauch. Dieses hohe Gut wollen und müssen wir schützen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe offen zu, dass ich verärgert bin angesichts des bewussten Spiels mit Ängsten und Vorurteilen der Bevölkerung, zu dem sich mancher Kollege auch aus diesem Haus im vergangenen Jahr hat hinreißen lassen. Es kann nicht sein, dass, wenn grenzüberschreitende Mobilität im Einzelfall zu gesellschaftspolitischen Problemsituationen führt, wie es in manchen deutschen Kommunen tatsächlich der Fall ist, statt Unterstützung zu bieten, reflexartig nach Abschottung gerufen wird. ({3}) Es ist die hohe Aufgabe der Politik, nicht dem Reiz zu erliegen, selbst populistische Meinungsmache zu betreiben. Kolleginnen und Kollegen, es ist unmoralisch, die Zuwanderung nur auf wirtschaftliche Nützlichkeit zu reduzieren. Deshalb sollten wir gemeinsam ein positives Bild der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union prägen. ({4}) Die Art und Weise, wie wir das Thema Freizügigkeit behandeln, gibt nämlich Aufschluss darüber, was für ein Europa wir haben wollen. Was macht uns als Europa aus? Freizügigkeit darf nicht nur eine Freizügigkeit der Waren und Dienstleistungen sein, sondern sie ist vor allem das demokratische Grundrecht der Menschen in Europa. ({5}) Es gibt keine gute und schlechte Zuwanderung, es gibt aber sehr wohl eine gute oder schlechte Aufnahme. ({6}) Deshalb danke ich den vielen Menschen bei uns, den Kirchen, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen, die die Willkommenskultur in Deutschland pflegen. Die Freizügigkeit ist ein Zugewinn für alle und fördert den Zusammenhalt Europas und die gegenseitige Solidarität. ({7}) Kolleginnen und Kollegen, Zuwanderung muss selbstverständlich auch politisch gesteuert werden, wie mit dem aktuellen Gesetz geplant. Auch in Zukunft bleibt es entscheidend, die Menschen zu schützen und das Miteinander zu erleichtern. Wir müssen Willkommenscenter stärken und Anlaufstellen für Arbeitsmigranten ausbauen, die den Migranten den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Besonders wichtig: Missbrauch der Arbeitsmigranten durch Schwarzarbeit muss verhindert werden. Es darf aber nicht sein, dass wir uns darauf konzentrieren, diejenigen zu bestrafen, die aus Not handeln, während diejenigen, die diesen Missstand ausnutzen, unbestraft davonkommen. Deshalb gilt auch weiterhin: Je besser und sicherer die Bedingungen für Arbeitsmigrantinnen oder -migranten auf unserem Markt gesetzlich geregelt werden, desto weniger Missbrauchsfälle wird es geben. Der vorliegende Kompromiss geht aus meiner Sicht in die richtige Richtung, hindert uns aber nicht daran, weiterzudenken und zu handeln. Übrigens, wir dürfen nicht der Illusion erliegen, das alles sei einfach.

Not found (Gast)

„Offen sein ist anstrengend.“ Ich bitte um Ihre Zustimmung für das geplante Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich die Debatte zu diesem Tagesord- nungspunkt. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3077, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/2581 und 18/3004 anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3079 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt da- gegen? - Das ist die Koalition. Wer enthält sich? - Die Fraktion Die Linke. Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt für den Gesetzentwurf? - Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wer enthält sich? - Das ist niemand. Damit ist der Gesetzent- wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Ge- setzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wir kommen zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3080. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Linke und Bünd- nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Koalition. Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist dieser Entschließungsantrag auf Drucksache 18/3080 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- tion abgelehnt worden. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3081. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Opposi- tion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalition. Gibt es je- manden, der sich enthält? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abge- lehnt worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes Drucksachen 18/2592, 18/3000 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) Drucksache 18/3073 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3084 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Luise Amtsberg, Kerstin Andreae, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes Drucksache 18/2736 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) Drucksache 18/3073 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann ({4}), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozialrechtliche Diskriminierung beenden Asylbewerberleistungsgesetz aufheben Drucksachen 18/2871, 18/3073 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Hierzu liegen mir mehrere Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Daniela Kolbe das Wort, das sie dann sofort bekommt, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze gewechselt haben. - Das ist jetzt der Fall.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in beunruhigend unruhigen Zeiten. Weltweit gibt es derzeit so viele Flüchtlinge wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr: mehr als 50 Millionen Menschen - Tendenz steigend. Natürlich ist das auch in Deutschland spürbar, hier bei uns. In diesem Jahr rechnen wir mit etwa 200 000 Asylanträgen. Ich denke, dass ich für das gesamte Haus spreche, wenn ich sage: Wir wollen und wir werden dieser Verantwortung gerecht werden. ({0}) Wie groß diese Verantwortung ist, kann man erleben, wenn man derzeit ein Asylbewerberheim besucht. Dort trifft man eigentlich immer auf erschütternde Geschichten, gerade von Menschen aus Syrien. Meine letzte Begegnung war mit einer Familie: ein Handwerker, seine Frau, ein Kleinkind und ein Säugling. Ihre Geschichte war, dass der Mann sich mit seinem zweijährigen Kind und der hochschwangeren Frau am Mittelmeer in ein Boot gesetzt hat in dem Wissen, dass das Boot vor diesem gesunken war. - Solche Geschichten gibt es zu Zehntausenden. Sie lassen uns nachvollziehen und spüren, wie groß die Verantwortung ist, die wir hier zu erfüllen haben. Wir wissen auch, wie groß die Herausforderung in den Kommunen ist, wie dort geächzt wird, wie dort nach Unterbringungsmöglichkeiten gesucht wird. Wir verschließen vor der Verantwortung in beiden Bereichen die Augen nicht. Wir wissen: Es ist eine gemeinsame Verantwortung, und der einzig mögliche Weg hier ist, akzeptable Bedingungen für alle Flüchtlinge zu organisieren. Nur so werden wir auch die Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten. ({1}) Wir machen heute den ersten Schritt, allerdings nur den ersten Schritt in einer ganz schön langen Etappe. Wir setzen das Verfassungsgerichtsurteil aus dem Juli 2012 eins zu eins um ({2}) nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Berechnung der Leistungen wird endlich transparent und rechtssicher. Wir sorgen dafür, dass Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten können. Das hilft diesen Kindern enorm. Es wird erstmals einen kleinen Vermögensfreibetrag und einen höheren Einkommensfreibetrag geben. Das hilft natürlich den Betroffenen, aber auch den Verwaltungen. Wir verkürzen die Dauer des Bezugs von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 48 Monaten auf 15 Monate. Das ist einfach nur sachgerecht. Wir nehmen einige Gruppen aus dem Leistungsbezug nach diesem Gesetz heraus: Opfer von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung sowie solche Menschen, deren Abschiebung schon seit mehr als anderthalb Jahren aus rechtlichen oder humanitären Gründen ausgesetzt ist. Durch diesen letzten Schritt entlasten wir unsere Kommunen jährlich um mehr als 40 Millionen Euro. Außerdem wird es einen Nothelferparagrafen geben, der sicherstellt, dass Asylbewerber definitiv Nothilfe erhalten und die Helfer eine Vergütung dafür bekommen. Ich finde gut, dass wir dieses Urteil im Gesetzentwurf jetzt eins zu eins umsetzen. Mein Dank gilt dem Ministerium und der Ministerin. Ich finde es gut, dass diese Regierung dieses Urteil so zügig umgesetzt hat. Das ist etwas, was der letzten Regierung nicht so schnell von der Hand gehen wollte. Aber es ist nur der erste Schritt. Weitere Schritte sind bereits in der Vorbereitung oder in der Umsetzung - ich mache das jetzt einmal im Stakkato, weil das schon recht viel ist -: Wir werden im BAMF mehr Mitarbeiter einstellen, um eine kürzere Antragsbearbeitungsdauer hinzubekommen. Wir werden die Residenzpflicht weitgehend abschaffen. Seit heute können Asylsuchende, wenn sie drei Monate in Deutschland sind, eine Arbeit aufnehmen. Ab nächster Woche wird, wenn die Menschen 15 Monate in Deutschland sind, auch die Vorrangprüfung wegfallen. Wir werden das Sachleistungsprinzip weitgehend abschaffen. Es gibt auch noch einige wenige Punkte, an denen wir weiterhin hart arbeiten und die wir noch klären müssen. Es bleibt die große Frage der Entlastung der Länder und Kommunen - diese Frage ist eminent wichtig; darüber müssen wir, glaube ich, nicht diskutieren -, und es bleibt die Frage der Gesundheitsversorgung; das ist definitiv verbesserungsbedürftig, wie unsere Anhörung gezeigt hat. Das Bremer Modell, das auch in Hamburg und in abgewandelter Form in Berlin angewandt wird, weist uns hier womöglich den richtigen Weg. Zusammengefasst: Diese Koalition wird ihrer Verantwortung gerecht: gegenüber den Flüchtlingen, gegenüber den Kommunen und gegenüber der Gesellschaft. Das Gesetz ist ein erster großer Schritt in die richtige Richtung, und es setzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eins zu eins um. Insofern bitte ich um Zustimmung. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das Wort. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes will die Koalition an der sozialrechtlichen Sonderbehandlung von Asylsuchenden, Flüchtlingen und geduldeten Menschen festhalten. Dagegen fordert die Linke, dass diese Menschen wie alle anderen auch Zugang zu regulären Sozialleistungen erhalten und dass Beschränkungen - egal welcher Art beim Zugang zu Arbeit und Ausbildung unbedingt abgeschafft werden müssen. ({0}) Soziale Rechte dürfen nicht unter aufenthaltsrechtlichen Vorbehalt gestellt werden. Meine Damen und Herren, das Asylbewerberleistungsgesetz besteht seit über 20 Jahren. Keine Bundesregierung wollte daran rütteln. Geboren ist es übrigens aus dem Gedanken der Abschreckung von Flüchtlingen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2012 klargestellt, dass auch Asylsuchende ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben. ({1}) Der zentrale Satz des Urteils lautet: Die Menschenwürde ist „migrationspolitisch nicht zu relativieren“. ({2}) Das sollte auch die Koalition in diesem Haus endlich einmal ernst nehmen. ({3}) Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem gefordert, das Asylbewerberleistungsgesetz nur auf jene anzuwenden, die sich voraussichtlich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten. Doch wenn man sich den vorliegenden Gesetzentwurf genau anschaut, muss man feststellen, dass auch Menschen mit humanitären Aufenthaltstiteln aus den regulären sozialen Sicherungssystemen herausgehalten werden. Das betrifft zum Beispiel die syrischen Flüchtlinge. Über drei Jahre dauert dieser Krieg inzwischen an, und leider ist nicht abzusehen, wann er beendet wird. Und trotzdem unterliegen diese Flüchtlinge dem Asylbewerberleistungsgesetz, als könne man davon ausgehen, dass sie spätestens nächste Woche das Land wieder verlassen können. Das ist doch schlicht Realitätsverweigerung und obendrein zynisch gegenüber diesen Menschen. ({4}) Das Asylbewerberleistungsgesetz soll auch weiter für Menschen gelten, deren Asylantrag abgelehnt wurde, deren Aufenthalt in Deutschland aber weiter geduldet wird, weil sie auf längere Sicht nicht abgeschoben werden können. Auch deren Aufenthalt ist weder kurzzeitig noch vorübergehend. Deswegen müssen auch sie aus diesem Gesetz herausgenommen werden. In einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales wurden von einer Reihe von Sachverständigen Verbesserungen - das ist ein ganz wichtiges Thema - bei der Gesundheitsversorgung angemahnt. Derzeit erhalten Menschen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, allenfalls Hilfe in akuten Notsituationen. Chronische Erkrankungen werden nicht behandelt; die Folgen sind oft Verschlimmerungen der Erkrankung bis hin zu schweren Behinderungen. Auch Todesfälle hat es schon gegeben. In der Expertenanhörung des Sozialausschusses wurden schlimme Beispiele geschildert. In einem Fall verweigerte das Sozialamt die Operation von Augenkrebs bei einem Kind. In einem anderen Fall wurde die medizinisch notwendige Nachsorge einfach nicht geleistet, weil das Sozialamt Rechnungen nicht bezahlt hatte. Das Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit darf nicht von einem Aufenthaltsstatus abhängig gemacht werden, meine Damen und Herren. Deswegen darf es so nicht weitergehen. ({5}) Meine Damen und Herren, besonders eklatant ist, dass die Bundesregierung daran festhalten will, geduldeten Flüchtlingen das Taschengeld zu streichen, wenn sie an ihrer Abschiebung angeblich nicht mitwirken. Dieses Strafregime verletzt ganz klar das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie müssen sich vorwerfen lassen, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht ernst genommen zu haben. ({6}) Meine Damen und Herren, dasselbe gilt für den Vorrang von Sachleistungen vor Bargeld. Die Asylsuchenden erhalten fertig gepackte Esspakete, die oft nur mangelhafte Waren enthalten. Diese Form der Versorgung ist absolut entmündigend. ({7}) Auch hier wird die Würde der Betroffenen mit Füßen getreten. Damit muss endlich Schluss sein! ({8}) Deshalb fordert die Linke, das System der sozialen Diskriminierung von Flüchtlingen endlich zu beenden und Sondergesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht als Option durchaus im Sinn gehabt, und das wäre eigentlich auch das Richtige. Schönen Dank. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat jetzt Jutta Eckenbach das Wort. ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass wir - hier möchte ich an das anschließen, was meine Kollegin Frau Kolbe vorhin ausgeführt hat - uns wieder ins Bewusstsein rufen müssen, mit wem wir es letztendlich zu tun haben. Wer jemals in ein Übergangsheim gegangen ist, mit den Menschen dort gesprochen hat, in die Kinderaugen gesehen hat und festgestellt hat, wie traumatisiert manche Kinder waren, der wird zustimmen, dass wir unserer Verantwortung in Deutschland gerecht werden und diesen Menschen helfen müssen. Das tun wir mit voller Überzeugung. ({0}) Ich komme darauf, weil gerade das Wort „Strafregime“ gefallen ist. Es ist unangebracht. Es trifft keinesfalls auf das zu, was wir hier in Deutschland vorfinden. Ich weise diesen Vorwurf mit aller Schärfe zurück. Deutschland hat kein Strafregime, und so etwas gibt es auch nicht in Deutschland. ({1}) Die Anhörung der Sachverständigen am Montag hat ergeben, dass die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts rechtlich nicht zu beanstanden ist. ({2}) Ebenso ist das Festhalten am Asylbewerberleistungsgesetz notwendig. Da ja nicht alle bei dieser Anhörung anwesend waren, will ich Ihnen auch sagen, warum. Der Grundgedanke des sogenannten Asylkompromisses von 1992/1993 war, dass unser Sozialleistungssystem keinen Anreiz für Zuwanderung bieten sollte. ({3}) Wie die Zahlen zeigten, gingen die Anträge auf Asyl damals schlagartig zurück. Also gab es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen der Wahl des aufnehmenden Landes und den dort angebotenen Leistungen. Dass es diesen Zusammenhang immer noch gibt, wird auch durch die neueren Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bestätigt. ({4}) So war, unmittelbar nachdem das Bundesverfassungsgericht im Juli 2012 das Urteil verkündet hatte, über das wir heute reden und das die Grundlage für das heute vorgelegte Gesetz ist, wieder ein Anstieg der Anzahl der Anträge zu verzeichnen. Während noch im Juni 2012, also vor Verkündung des Urteils, 770 Anträge gestellt wurden, wurden im August bereits 1 163, im September 2 257 und im Oktober 4 303 Anträge gestellt. ({5}) Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der sich im Rahmen des Verfahrens herausgestellt hatte, war die Frage der Gesundheitsversorgung nach den §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz. In einigen Stellungnahmen der Sachverständigen klang immer wieder an, dass die Gesundheitsversorgung nicht ausreichend sei, es ein Martyrium sei, medizinische Hilfe zu erhalten, und der Bund seiner Fürsorgepflicht nicht nachkomme. Ich will nur der Ordnung halber darauf hinweisen, dass die Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht allein in der Zuständigkeit des Bundes liegt, sondern dass hierfür auch die Länder zuständig sind. Genau das ist in der Anhörung ja auch noch einmal am Beispiel des Landes Bremen deutlich geworden, das hier anderweitig tätig wird. Das machen übrigens auch andere Länder, indem sie eine Krankenversorgung, wie sie im Rahmen der normalen gesetzlichen Krankenversicherung üblich ist, gewährleisten. Dort gibt es eine Krankenkassenkarte. Ich wünsche mir natürlich, dass alle Länder dieses Modell übernehmen, auch im Interesse der Gesundheitsversorgung. Die Länder haben es also selbst in der Hand, die gesundheitlichen Versorgungsleistungen für Asylbewerber zu regeln. Egal wie die aktuelle Ausgestaltung aussehen wird: Ich will, weil das von den Linken gerade beanstandet wurde, an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, dass der Bundesregierung aus der Zeit von 2004 bis 2014 offiziell kein Fall bekannt ist, bei dem das angebliche Vorenthalten bzw. Verzögern einer medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung bei einer Person, die dem Asylbewerberleistungsgesetz unterworfen war, zu körperlichen Schäden oder gar zum Tod geführt hätte, wie das von den Linken gerade behauptet wurde. Die Opposition malt an dieser Stelle immer wieder den Teufel an die Wand und stellt irgendwelche Schreckensbilder dar, was meinem Erachten nach völlig unbegründet ist. Es sei auch noch einmal erwähnt, dass sich zahlreiche Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wie auch der Aufnahmeeinrichtungen vor Ort tagtäglich um die Bedürftigen kümmern. Dass diese Arbeit immer nur zum Nachteil der Asylbewerber sei, kann und will ich hier nicht gelten lassen. Deswegen wollen wir auch heute an diese Menschen denken und ihnen herzlich danken; denn ihre Aufgabe in diesen Einrichtungen vor Ort ist nicht einfach. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf die Forderung der Opposition eingehen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz in die Leistungssysteme des SGB II und XII einzubetten sei. Dies ist nicht möglich, da die Zielrichtungen andere sind; denn während das Asylbewerberleistungsgesetz auf Hilfen für einen vorübergehenden Aufenthalt gerichtet ist, haben das SGB II und XII dauerhaft in Deutschland lebende Personen im Blick. Insofern machen zum Beispiel arbeitsmarktpolitische Instrumente in den Erstaufnahmeeinrichtungen wenig Sinn. Meine Damen und Herren, dass wir alle Fragen der Asylpolitik allein mit den Änderungen, die für das Asylbewerberleistungsgesetz anstehen, nicht bewältigen werden, ist mir bewusst. Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir alle helfen wollen. Jedoch muss die Hilfe auch machbar sein. Ich danke zum Abschluss all denen herzlich, die sich ehrenamtlich bemühen, in den Einrichtungen für Ruhe und Frieden zu sorgen, die dort tagtäglich ein- und ausgehen und für die Menschen in den Asylbewerbereinrichtungen und -heimen da sind. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin Eckenbach, ich bitte doch um ein bisschen mehr Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. ({0}) Sie haben eben schon wieder - Kollegin Jelpke hat auf den Satz im Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen - versucht, einen Zusammenhang zwischen der Leistung im Asylbewerberleistungsgesetz und der Zahl der Menschen, die hierhinkommen, herzustellen. Man kann darüber streiten. Meines Erachtens ist das, was in der Anhörung genannt worden ist, methodisch angreifbar. Aber selbst wenn es so wäre: Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt, dass migrationspolitische Argumente bei der Menschenwürde keine Rolle spielen dürfen. ({1}) Das heißt, diese Argumente dürfen hier im Bundestag in der Debatte, die wir führen, überhaupt nicht verwendet werden. Sie haben es aber in der Ausschussanhörung getan. Herr Kollege Stracke, das gehört sich nicht. Es geht hier um die Verfassung, die Menschenwürde und um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bitte unterlassen Sie das. ({2}) - Stellen Sie eine Zwischenfrage, Herr Straubinger, wenn Sie darüber etwas mehr erfahren wollen. Ich finde es grundsätzlich problematisch, dass wir hier häufig Gesetzentwürfe besprechen, die an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit sind, und wir auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten müssen, ob sie verfassungsgemäß sind oder nicht. Bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist das schon wieder so. Ich bin kein Jurist, aber meines Erachtens ist dieser Entwurf gerade eben noch verfassungsgemäß. Aber wir haben in der Ausschussanhörung diverse Argumente von den Expertinnen und Experten gehört, die aufzeigten, wo es verfassungsrechtliche Probleme gibt. Ich habe dazu in der Ausschusssitzung etwas länger Stellung genommen und die Punkte noch einmal erwähnt. Hier habe ich nicht die Zeit dazu, weil ich dann meine Redezeit um ein Vielfaches überschreiten würde. Ich fände es schön, wenn wir mehr Gesetze verabschieden würden, bei denen von vornherein klar ist, dass sie der Verfassung entsprechen. ({3}) Ein weiterer wichtiger Punkt. Wir finden es wichtig, dass es endlich eine einheitliche Grundsicherung gibt und keine Dreiklassengrundsicherung, wie wir sie derzeit vorfinden. ({4}) Anknüpfend an die letzte Debatte sage ich: Unionsbürger, die zu uns kommen, verlieren irgendwann ihren Anspruch auf Grundsicherung, ein Teil ist davon ausgeschlossen. Asylbewerber erhalten zwar eine Leistung, aber sie liegt unterhalb der Leistung, die andere Menschen in diesem Lande erhalten. ({5}) Das ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar. Wir wollen da eine Vereinfachung. Ihre Vorlage offenbart das Menschenbild der Großen Koalition: Es gibt die guten Menschen, die hier länger leben, und es gibt die schlechten Menschen; das sind diejenigen, die aus der EU oder von weiter weg zu uns kommen. ({6}) Wir finden: Alle Menschen müssen und sollten gleich behandelt werden. ({7}) Ich komme ganz kurz auf ein paar wichtige Probleme zu sprechen. Es wird hier behauptet, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum würden hier eins zu eins umgesetzt. Das Existenzminimum ist ein Grundrecht nach Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es umfasst ein physisches Existenzminimum und ein gewisses Maß an sozialer Teilhabe. Und dann gibt es § 1 a Asylbewerberleistungsgesetz, den Frau Jelpke als Strafregime bezeichnet hat. Unabhängig davon, wie man es bezeichnet, ({8}) besagt § 1 a, dass Leistungskürzungen möglich sind. Es ist überhaupt nicht festgelegt, in welcher Größenordnung sie erfolgen können. Das ist auch in der Ausschussanhörung kritisiert worden. Diese Leistungskürzungen können auch dauerhaft vorgenommen werden. Leistungskürzungen, die dauerhaft eine Senkung unter das Existenzminimum bewirken, widersprechen eigentlich ganz eindeutig dem Grundrecht auf eine existenzsichernde Leistung. Im Asylbewerberleistungsgesetz sind, anders als im SGB II und im SGB XII, keine Mehrbedarfe, zum Beispiel für Alleinerziehende und Schwangere, vorgesehen. Das ist schon ein Problem. Die Regelleistung selber ist 10 Prozent niedriger als die Leistung für Menschen, die Arbeitslosengeld II oder die Grundsicherung im Alter beziehen. Begründet wird dies damit, dass bestimmte Leistungen als Sachleistungen bereitgestellt werden, zum Beispiel Hausrat und Gesundheitsleistungen. Teilweise ist es ziemlich absurd, was in der Begründung steht. Zum Beispiel wird ein Teil dieser Differenz damit begründet, dass Asylbewerber keine Praxisgebühr zahlen müssen. ({9}) - Richtig. - Wie auch Sie von der Koalition wissen sollten, gibt es die Praxisgebühr gar nicht mehr. Das macht zwar nur 2,64 Euro der Differenz zwischen SGB-IILeistungen und den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wie Sie es vorgelegt haben, aus; aber es zeigt, wie Sie an dieses Gesetz herangegangen sind, nämlich korinthenkackerisch, sehr kleinlich, nicht wirklich fundiert und auch nicht transparent. Offensichtlich ist es Ihnen nicht einmal aufgefallen, dass die Ausgaben für die Praxisgebühr herausgerechnet wurden. Deswegen gibt es keinen Grund, Asylbewerbern 2,64 Euro weniger zu geben als anderen. ({10}) Für uns ist wichtig, die Selbstbestimmung und Freiheit der Menschen zu stärken. An der Stelle sind die Sachleistungen ein Riesenproblem. Auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollten eine Geldleistung kriegen, mit der sie selbstbestimmt entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten. Die Ausschussanhörung hat deutlich gemacht, dass das Existenzminimum auch an dieser Stelle nicht unbedingt gesichert ist, ({11}) weil die Sachleistungen möglicherweise nicht existenzsichernd sind; das ist schwer zu kontrollieren. Auch an der Stelle wären Geldleistungen sehr viel sinnvoller als Sachleistungen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut. Dann komme ich zum Schluss. - Leider kann ich zum Punkt Gesundheit nicht mehr viel sagen; aber er ist schon genannt worden. Auch beim Thema Gesundheit gibt es ein zentrales Problem; auch hier ist das physische Existenzminimum gefährdet. Ich wünsche der Kollegin Kolbe viel Glück dabei, an der Stelle Veränderungen zu erreichen. Es gibt da auch einen Beschluss des Bundesrates, der einen Weg aufzeigt. Ich finde, das Gesetz, wie es jetzt vorliegt, ist nicht christlich; Sie sollten vielleicht einmal über den Begriff „christlich“ in Ihren Parteinamen nachdenken. ({0}) Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorsieht und eine Gleichstellung schafft. Er ist im Bundesrat von allen Ländern unterstützt worden, in denen Grüne und SPD zusammen regieren.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege, der letzte Satz war schon längere Zeit angekündigt. Er muss jetzt auch erfolgen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Deswegen bitten wir Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Denn nur so kriegen wir wirklich ein Gesetz, das der Verfassung entspricht, Bürokratie abbaut und die entwürdigende Diskriminierung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern tatsächlich abschafft. Vielen Dank. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese für die Sozialdemokraten. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinem Vorredner will ich zum Thema „Respekt“ Folgendes sagen: Ich verstehe, dass man immer noch mehr wollen kann. Auch ich kann mir noch viele Dinge vor5878 stellen, was wir tun können, um die soziale Situation von Flüchtlingen in unserem Land zu verbessern. Aber ich fände es auch ein Zeichen von Respekt, wenn Sie anerkennen, dass wir die Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt haben, dass wir jetzt einen richtig großen Schritt machen und an sechs Punkten die Situation von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in unserem Land deutlich verbessern. ({0}) Die Anhörung am Montag hat eindeutig ergeben, dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eins zu eins umgesetzt haben. Die Experten haben gesagt, das sei angemessen und richtig umgesetzt. Die Sätze sind nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt worden. ({1}) Das ist ein wichtiger erster Schritt, dieses Urteil umzusetzen. Die Anhörung hat auch ergeben - den Punkt will ich noch einmal aufgreifen -, dass wir uns beim Thema Gesundheitsleistungen - da sind wir uns sicherlich einig in der Tat Verbesserungen vorstellen können. Wir haben darüber sehr konkret mit dem Experten der AOK Bremen diskutiert. Dazu gehört etwa die Idee, dass die Gesundheitsleistungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern über Krankenkassen abgerechnet werden. Diese Sache finden wir gut. In diese Richtung müssen wir gemeinsam mit den Ländern gehen. ({2}) Ich muss aber auch deutlich sagen: Wir verbessern jetzt im Asylbewerberleistungsgesetz die Notfallhilfe, indem wir für Notfallsituationen regeln, dass die Träger das Geld für die entstandenen Kosten direkt an Krankenhaus oder Arzt überweisen. ({3}) Ich will aber auch deutlich sagen - das habe ich in der ersten Lesung schon einmal getan -: Was an schrecklichen Fällen in Flüchtlingsheimen passiert ist - da wurde kein Arzt gerufen -, ist auch schon nach heutiger Gesetzeslage rechtswidrig. In Notfallsituationen haben selbstverständlich Flüchtlinge Anrecht auf medizinische Behandlung in Deutschland. Ein dritter Punkt aus der Anhörung ist mir wichtig; er betrifft das, was wir aus der Stadt Dortmund gehört haben. Die Stadt Dortmund zählt sicherlich nicht zu den reichsten Städten. ({4}) - Der Kollege darf zustimmend nicken, weil er von dort kommt. - Diese Stadt verfolgt seit vielen Jahren die Politik, die Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen. Sie hat damit sehr positive Erfahrungen gemacht. Dort gibt es keine Konflikte, weil die Privatsphäre gewahrt wird und weil Gemeinschaftsaktivitäten auf freiwilliger Basis angeboten werden. Diese Unterbringung in Wohnungen ist ein erstrebenswertes Ziel, weil es damit auf der kommunalen Ebene so positive Erfahrungen gibt. Jetzt braucht man sicherlich noch eine Zeit lang Gemeinschaftseinrichtungen, da die Zahl der Flüchtlinge höher ist. Die Unterbringung in Wohnungen ist aber ein ganz entscheidender Schritt in Richtung einer positiven Integration. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Anmerkung des Kollegen Kurth?

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kerstin Griese, es freut mich, dass das Beispiel Dortmund genannt wurde. Die Stadt versucht in der Tat, Flüchtlinge nicht in Sammelunterkünften, sondern in Wohnungen unterzubringen. Allerdings muss ich dann doch die Frage stellen, warum denn zum Beispiel die Kosten für die Unterbringung weiterhin als Sachleistungen erbracht werden sollen. Können Sie das einmal begründen? Wenn die Unterbringung in Wohnungen in Ihren Augen eine so vorbildliche Praxis ist, müsste doch der gesetzliche Rahmen entsprechend gestaltet werden.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kurth, herzlichen Dank für diese Frage; denn sie gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir noch die Protokollerklärung des Bundesrates umsetzen werden. Diese sieht vor, dass wir dort Geldleistungen explizit vor Sachleistungen verankern werden, dass wir dort die Residenzpflicht aufheben werden - das ist eine ganz wichtige Sache für das praktische Leben der Asylbewerberinnen und Asylbewerber in unserem Land und dass wir außerdem mit einer Verwaltungsverordnung die sogenannte Vorrangprüfung bei einem Arbeitsplatz abschaffen werden. Das werden ganz wichtige Dinge sein, um das Leben der Flüchtlinge im Alltag bei uns zu verbessern. Es geht immer um zwei Dinge: darum, dass sie gut und anständig wohnen können, und darum, dass sie möglichst früh anfangen können, sich einen Arbeitsplatz zu suchen und zu arbeiten. Denn das ist das Wichtigste, um sich in diesem Land zu integrieren. Mit Arbeit kann man seinen Unterhalt sichern, was sich positiv auf das Selbstbewusstsein auswirkt. Insofern sind das richtige Schritte. Ich möchte Ihnen noch Folgendes kurz zu Dortmund sagen: Ich bin sehr froh, dass das Land Nordrhein-Westfalen auf seinem Flüchtlingsgipfel beschlossen hat, die Landespauschale für die Leistungen zu erhöhen. Damit werden die Kommunen in ihren Bemühungen unterstützt - gerade Kommunen wie Dortmund brauchen das -, um die Flüchtlinge ordentlich unterzubringen. ({0}) Dafür wird die Pauschale jetzt erhöht. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Der Flüchtlingsgipfel, der dort abgehalten wurde, war ein wichtiges Vorbild, wie man das in anderen Bundesländern machen könnte. ({1}) Ich will noch einen weiteren Punkt aus der Anhörung deutlich machen. Denn das Asylbewerberleistungsgesetz ist nicht dafür da, Migration zu steuern - weder nach oben noch nach unten. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist für die individuellen Leistungen und die individuellen Bedarfe der Asylbewerberinnen und Asylbewerber da. Es ist aber nicht dazu da, Migration zu regulieren. Dass es Veränderungen bei den Wanderungsbewegungen und Fluchtbewegungen auf dieser Welt gibt, hat mit den schlimmen weltweiten Krisen zu tun. Das sieht man allein daran, dass die meisten Flüchtlinge derzeit aus Syrien kommen. Die Veränderungen sind auch durch den Jahresverlauf bedingt. Mir ist wichtig, festzuhalten: Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz machen wir keine Migrationspolitik, indem wir Zuwanderung regeln, sondern wir regeln die soziale Situation und die Absicherung der Flüchtlinge in unserem Land. ({2}) Wir verbessern die Situation in sechs Bereichen: Wir heben die Bedarfssätze an, wir verkürzen die Wartefrist, Kinder und Jugendliche werden Bildungs- und Teilhabeleistungen erhalten, sie werden nicht mehr sanktioniert, wenn ihre Eltern Verstöße begehen, und wir nehmen Opfer von Menschenhandel und bestimmte Gruppen, die geduldet werden, aus dem Gesetz heraus, sodass sie heute schon Leistungen gemäß SGB II oder SGB XII erhalten. Dadurch entlasten wir die Kommunen erheblich. Wir führen außerdem eine Regelung ein, die in medizinischen Notfällen sehr schnell die Finanzierung sichert. Das sind gute Schritte. Es werden noch weitere folgen. Die wichtigsten sind für mich, dass wir ermöglichen, dass Flüchtlinge bei uns schneller arbeiten können. Auch die Unterbringung in guten Wohnungen hatte ich erwähnt. Wir werden außerdem die Residenzpflicht abschaffen und den Vorrang von Geldleistungen vor Sachleistungsbezug ermöglichen. Das ist eine ganze Menge. Damit zeigen wir, dass wir ein Land sind, das Flüchtlinge, die aus Situationen schwerster Bedrohung zu uns kommen, willkommen heißt. In diesem Zusammenhang danke ich allen, die sich ehrenamtlich vor Ort engagieren. Vielen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Matthäus Strebl. ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend über den Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes. Wir befassen uns des Weiteren mit einem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einem Antrag der Fraktion Die Linke, in denen die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert wird. Seit der ersten Beratung haben wir eine Reihe von Fachleuten zurate gezogen. Die öffentliche Anhörung mit den Sachverständigen am vergangenen Montag hat vor allem eines bestätigt: Wir müssen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, die Anhebung der Geldleistungen und die Erhöhung der Transparenz bei der Berechnung von Leistungen, zeitnah umsetzen. Mit der heutigen Verabschiedung werden wir das auch tun. Dieser Verpflichtung kommen wir mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nach. Wir gewährleisten insbesondere das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für die Asylbewerber in Deutschland. Das halte ich für zweifelsfrei wichtig und richtig. Erneut lehnen wir die Vorlagen der Opposition ab, in denen die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung gerade nicht die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert. ({0}) Die Situation der Empfänger von Leistungen gemäß Sozialgesetzbuch II ist zweifelsfrei eine andere als von Flüchtlingen. Bei vielen Flüchtlingen ist schlichtweg unklar, ob und wie lange sie eine Bleibeperspektive in Deutschland haben. Würde das Sozialgesetzbuch II auch für Asylbewerber gelten, müssten die ganzen arbeitsmarktpolitischen Instrumente auch für sie zur Verfügung stehen, egal ob der Aufenthaltsstatus geklärt wurde oder nicht. Das erscheint mir nicht nachvollziehbar. Das Recht auf Asyl in Deutschland ist im Grundgesetz Artikel 16 a verankert. Dieses Recht und die daraus resultierende Verantwortung wollen und werden wir den verfolgten Menschen weiterhin garantieren. Wir dürfen bei der ganzen Diskussion aber nicht vergessen, dass Deutschland für viele Flüchtlinge ein bevorzugtes Asylland ist. Dafür sprechen auch die sogenannten Pull-Faktoren, wie gute Arbeitsbedingungen, gute Arbeitsmarktchancen, stabile Verhältnisse und Religionsfreiheit. Deshalb sage ich klar und deutlich: Die finanziellen Leistungen für Asylbewerber dürfen keine Anreize für eine verstärkte Armutszuwanderung sein. Bestätigt wurde uns in der öffentlichen Anhörung auch, dass die Zahl der Anträge auf Asyl unmittelbar nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestiegen ist. ({1}) Nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stieg die Zahl der Asylanträge - Frau Kollegin Eckenbach hat es heute schon gesagt - von Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten. ({2}) - Die Zahlen belegen das. Passen Sie auf! - Die Zahl der Asylanträge stieg von 770 Anträgen im Juni 2012 auf 1 163 im August und 6 977 im Oktober des gleichen Jahres. Die Zahl der Anträge hat sich also innerhalb kürzester Zeit fast verzehnfacht. ({3}) Auch wenn sich die Zahl der Asylanträge bekanntermaßen im Herbst erhöht - das wissen wir -, kann angesichts dieser Zahlen nicht ausschließlich von einem jahreszeitbedingten Anstieg gesprochen werden. Im Rahmen der Asylpolitik hat sich der Bundestag mit den verschiedensten Fragestellungen beschäftigt. Dabei ging es insbesondere um die Frage der sicheren Herkunftsstaaten, um die Residenzpflicht oder auch um die Entscheidung für oder gegen Sachleistungen. In diesem Zusammenhang hat man auch auf die gestiegene Zahl der Asylanträge reagiert. Ich bin mir sicher, dass wir aufgrund der weltweiten Krisenherde auch in Zukunft über asylrechtliche Problematiken diskutieren werden. Deshalb appelliere ich an alle, sich der Flüchtlingspolitik verantwortungsvoll zu widmen. Mit der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist niemandem gedient, es muss vielmehr mit Leben ausgefüllt werden. Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes daher zustimmen und damit die Situation vieler Asylbewerber in Deutschland verbessern. Vielen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für die Sozialdemokraten ist der Kollege Josip Juratovic. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz endlich umgesetzt wird. Ich wage einmal zu sagen: Es war auch Zeit. Wir alle haben die Berichte über Vorfälle in Asylbewerberheimen mitbekommen. Die Vorfälle sind beschämend und einer modernen Gesellschaft wie unserer unwürdig. Umso wichtiger ist es, die Arbeit der Ehrenamtlichen rund um Flüchtlingsheime zu erwähnen. Sie dienen als großes Vorbild für unsere gesamte Gesellschaft. Die Ehrenamtlichen und auch die Angestellten sorgen dafür, dass die Ersterfahrung der Flüchtlinge mit unserem Land positiv ist. Sie sorgen dafür, dass die Ankommenden Vertrauen in unseren Staat fassen und sich auch langfristig als Teil unserer Gesellschaft fühlen. Sie sind offen dafür, dass sich unser Zuhause durch die Zuzüge positiv verändert. Sie sind diejenigen, die das neue deutsche Wir leben. ({0}) Als Integrationsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich, dass wir uns diese Menschen auch in der Politik zum Vorbild nehmen. Ihre Offenheit und Hilfsbereitschaft muss unser Ziel und das Maß unseres Handelns sein. Das betrifft die Freizügigkeit innerhalb der EU, über die wir gerade gesprochen haben, genauso wie die Lebensbedingungen der Flüchtlinge, die in dem aktuellen Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden. Meine Vorrednerinnen haben die wichtigen Neuerungen im Asylbewerberleistungsgesetz vorgestellt. Ich werde deshalb nur ganz kurz die Neuerungen nennen, die mir persönlich besonders am Herzen liegen: die Verkürzung des Asylbewerberleistungsbezugs, die Verbesserungen bei der medizinischen Versorgung und insbesondere die Aufnahme der Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets in das Asylbewerberleistungsgesetz. Diese und andere kleine Schritte sind zusammen ein großer Schritt, um den Menschen, die neu in Deutschland ankommen, von Beginn an das Gefühl zu vermitteln, dass das, wonach sie sich am meisten gesehnt haben, hier tatsächlich möglich ist: ein menschenwürdiges Leben für alle. ({1}) Wenn alle Neuankommenden dieses Gefühl vermittelt bekommen, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht. Dann haben wir unser Land, was das weltweite Ansehen betrifft, ein Stück weitergebracht, und dann haben wir als Vorbild für den zwischenmenschlichen Umgang dem Weltfrieden einen großen Dienst erwiesen. Daher bitte ich um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Martin Pätzold für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Martin Pätzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004373, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir novellieren das AsylbewerberleistungsDr. Martin Pätzold gesetz, weil wir dazu den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes haben und weil wir auf die Herausforderungen in der Welt, die uns in Deutschland betreffen, reagieren. Dieses Jahr werden über 200 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Alleine von Januar bis September dieses Jahres waren es 163 000 Menschen, die hier einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Wir erleben, dass die Konflikte, die es im Irak, in Syrien, im Nahen Osten im Allgemeinen und in den ehemaligen Republiken der Sowjetunion gibt, natürlich auch Auswirkungen auf die Politik hier in Deutschland haben. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir dieses Gesetz novellieren und deutliche Verbesserungen beschließen. Aus meiner Sicht sind vor allen Dingen drei Punkte von Bedeutung - vieles wurde ja schon angesprochen -, auf die ich als letzter Redner eingehen möchte und die mir mit Blick auf diese Gesetzesinitiative besonders wichtig sind, da wir den Betroffenen dadurch, wie ich glaube, helfen. Erstens. Im Hinblick auf das Bildungs- und Teilhabepaket beschließen wir, dass es eine verbindliche Unterstützung der Kinder von Flüchtlingen geben wird. Vorher war das eine Entscheidung, die von den Ländern teilweise unterstützt wurde. Jetzt gibt es einen Rechtsanspruch darauf. Das stärkt die Integration im lokalen Raum. Deswegen finde ich persönlich, dass das eine wichtige und gute Sache ist. ({0}) Zweitens. Wir verkürzen die Dauer der Vorläufigkeit auf 15 Monate. Auch hier ist es wichtig, den Übergang zu organisieren. Deswegen ist es gut, dass wir die Dauer der Vorläufigkeit deutlich reduzieren und auf 15 Monate festlegen. Auch der dritte Punkt ist wichtig, gerade für uns als christliche Partei - es wurde schon angesprochen, dass für uns die Prinzipien Subsidiarität, Solidarität und Personalität von besonderer Bedeutung sind -: Da es auch um Eigenverantwortung geht, ist es richtig, dass wir einen Freibetrag festlegen, dass es Freigrenzen gibt und dass auch für Flüchtlinge die Möglichkeit besteht, Geld anzusparen. ({1}) Dann kann man nämlich selbst entscheiden, welche Ausgaben man tätigt. Die Frage, die wir in dieser Diskussion andauernd hören, lautet: Ist es menschenwürdig, wie wir Flüchtlinge unterbringen, oder nicht? Da gibt es den Bundesgesetzgeber - das sind wir Abgeordnete -, der eine Verantwortung hat. Da gibt es aber auch Länder und Kommunen, die hier in der Verantwortung stehen. Ich war in der letzten Woche im Nahen Osten, unter anderem in Jordanien und Israel, und konnte sehen, wie Flüchtlinge dort untergebracht werden. Alleine Jordanien, ein Land mit ungefähr 6 Millionen Einwohnern, hat 620 000 Syrer aufgenommen. Erstens können wir dankbar sein, dass ein Land wie Jordanien Verantwortung übernimmt. Zweitens müssen wir aber feststellen, dass die Standards dort andere sind als bei uns. Das wird klar, wenn man sich diese Zahl vor Augen führt. Das wird aber auch klar, wenn man weiß, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse vor Ort sind. Wenn das der Bezugspunkt ist, dann sieht man, wie viel unsere Gesellschaft für diejenigen leistet, die hier Hilfe suchen. Wir leisten auch deswegen so viel, weil wir eine historische Verantwortung und eine humanitäre Verantwortung haben. ({2}) Mir persönlich ist wichtig - das habe ich bereits angesprochen -, dass wir als Gesetzgeber nicht nur einen menschenwürdigen Rahmen festsetzen, sondern dass wir auch die gesamte Gesellschaft und die Zivilgesellschaft zur Unterstützung ermutigen. In meinem Wahlkreis Lichtenberg im Berliner Norden ist es gelungen, mit der Zivilgesellschaft ordentlich und vernünftig zusammenzuarbeiten und dafür zu sorgen bzw. zu werben, dass es auch zu einer Beteiligung vor Ort kommt. So gibt es beispielsweise Deutschkurse, die von Menschen im Rentenalter geleitet werden, die dadurch die Kompetenzen, die sie erworben haben, weitergeben. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft und Anerkennung dafür, dass es uns gelingt, Flüchtlinge vernünftig zu integrieren. Ich beispielsweise sammle immer zu Weihnachten mit einem Einzelhändler vor Ort Geschenke für Flüchtlingskinder; das werde ich auch dieses Jahr machen. Jeder kann einen Beitrag dazu leisten, dass es in unserem Land in sozialer Hinsicht besser zugeht. Auch mit diesem Gesetzentwurf leisten wir als Bundestagsabgeordnete dazu einen vernünftigen Beitrag. Vielen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes. Dazu liegt mir eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung vor.1) Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un- ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/3073, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/2592 und 18/3000 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge- gen die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- 1) Anlage 5 Vizepräsident Johannes Singhammer entwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 8 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3073, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2736 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 8 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sozialrechtliche Diskriminierung beenden Asylbewerberleistungsgesetz aufheben“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3073, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2871 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen Drucksache 18/2881 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Ulle Schauws von Bündnis 90/Die Grünen.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste, die ich heute besonders begrüßen möchte! Kultur lebt von Vielfalt, und auf unsere kulturelle Vielfalt sind wir in Deutschland besonders stolz - zu Recht. Aber Vielfalt heißt nicht nur Auswahlmöglichkeiten aus einem möglichst breiten kulturellen Angebot. Nein, das heißt auch, die Unterschiedlichkeit in der Kultur zu fördern. Kunst als gesellschaftlicher Spiegel gewinnt durch die Vielfalt der verschiedenen Blickwinkel. Kunst gewinnt durch die unterschiedlichen Perspektiven derer, die sie machen. Darum müssen Frauen in allen Bereichen der Kunst und Kultur selbstverständlicher Teil sein, genauso wie Männer. Aber genau da liegt das Problem. Fakt ist: 2014 sind weder Bezahlung, Arbeit oder Macht bei den circa 1 Million Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland gerecht verteilt. Frauen haben hier - und ich rede von der bestausgebildetsten Frauengeneration, die es je gab - nach wie vor das Nachsehen. Für den Kulturbetrieb gilt das Gleiche wie für die Wirtschaft: Je höher Gehalt, Ansehen oder Funktion einer Stelle, desto geringer ist der Frauenanteil. Die Schieflage besteht - ich betone es nochmals - trotz einer steigenden Anzahl von Absolventinnen in den künstlerischen Studiengängen. Im Kulturbetrieb herrscht ein großes Ungleichgewicht in der Stellenverteilung zwischen Frauen und Männern, insbesondere in Leitungen bei Theatern, Orchestern und auch in den Film- und Fernsehproduktionen. Aktuell macht die Initiative Pro Quote Regie deutlich, wie stark diese Missstände sind: Im letzten Jahr waren unter den 115 aus dem Deutschen Filmförderfonds unterstützten Projekten nur 13 Projekte von Regisseurinnen. In Euro heißt das: 62 Millionen Euro Fördergelder für Männer gegen 6 Millionen für Frauen. Das heißt, weniger als 10 Prozent der Mittel gingen an Regisseurinnen. Und was glauben Sie wohl, wie viele der Folgen der beliebtesten deutschen Krimiserie Tatort 2013 unter der Regie einer Frau gedreht wurden? 3 von 82. Unglaublich, oder? Meine Damen und Herren, das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Das gilt auch für den Kulturbetrieb. Die Bundesregierung steht somit auch in der Verantwortung, Frauen in öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen und Projekten zu unterstützen. Wir fordern Sie daher auf: Verteilen Sie die öffentlichen Gelder geschlechtergerecht! ({0}) Die Förderkriterien für den Etat der Beauftragten für Kultur und Medien müssen sich für Frauen und Männer gleichermaßen gut auswirken; darum müssen Sie sie anpassen. Man sollte meinen, 2014 sei es selbstverständlich, dass Jurys zur Hälfte aus Frauen bestehen. Das ist leider eine Illusion. Deshalb wollen wir eine 50/50-Besetzung aller Gremien aus dem Hause der BKM, die Fördergelder vergeben, und wir brauchen eine paritätische Geschlechterverteilung bei der Vergabe von Förderprojekten und Preisen durch Jurys. Hier sollten nur in begründeten Einzelfällen Ausnahmen möglich sein. ({1}) Und, meine Damen und Herren, es kann ja wohl nicht sein, dass die Daten zur Situation von Frauen und Männern im Kulturbetrieb 15 Jahre alt sind. Da ist das Wegsehen der Bundesregierung quasi symbolisch. Diesen Mangel müssen Sie beheben. Ich höre die Kritikerinnen und Kritiker schon stöhnen: Jetzt auch noch eine Quote für den Kulturbetrieb! Wenn es um Inhalt, Talent und künstlerische Freiheit geht, setze sich Qualität schon durch, heißt es ja gerne. Nein, sagen wir, das ist kein Argument. Künstlerische Produktionen von Frauen leiden doch nicht an Qualitätsmangel. Künstlerinnen leiden unter den Strukturen in einem System, das ihnen Chancen verwehrt. Eine Quote bringt mehr künstlerische Freiheit, sie schützt die Freiheit der Kultur. ({2}) Wir wissen: Freiwillige Vereinbarungen und unverbindliche Regelungen haben für Frauen in der Wirtschaft bislang nichts verbessert. Darum fand ich es schon ganz schön hanebüchen, wie Sie von der CSU immer noch verzweifelt versuchen, die Frauenquote in der Wirtschaft noch mal zu verzögern. Dass Erfolge hingegen durch verbindliche Vorgaben erzielt werden können, dafür gibt es gute Beispiele. Schweden hat 2012 eine Quote für die Filmförderung eingeführt. 40 Prozent des Filmförderbudgets werden seitdem in den Positionen Regie, Drehbuch und Produktion an Frauen vergeben. So sieht für uns eine erfolgreiche Film- und eine geschlechtergerechte Kulturförderung aus. ({3}) Meine Damen und Herren, es geht um die Chancengleichheit für Frauen. Es geht nicht darum, ob Frauen und Männer besser oder schlechter arbeiten. Es geht um gleiche Arbeitsmöglichkeiten und gleiche Aufstiegschancen. Es geht um eine gerechte Verteilung von Geld und Perspektiven. Wenn wir als Bundespolitikerinnen und Bundespolitiker zulassen, dass der Kulturbetrieb einseitig gefördert wird, dass er selbstverständlich von Männern dominiert wird, bringen wir die Kultur um die Chancen der Vielfalt. Es kann doch nicht sein, dass möglichst viele Frauen Kultur konsumieren, aber möglichst wenige Frauen selbst gestalten und entscheiden können. Wir wollen die ungerechte berufliche Benachteiligung von Frauen beenden. Wir wollen, dass Frauen in Kulturbetrieben selbstverständlich sind, dass unser Meinungsbild durch weibliche Vielfalt bereichert wird, dass sich die Pluralität unserer Gesellschaft hier abbildet. Wir wollen das kreative Potenzial von Frauen nicht verpassen. Vielen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Dr. Herlind Gundelach. ({0})

Dr. Herlind Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich festgehalten, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern für uns eine hohe Priorität hat. Wir haben schon wichtige Punkte beschlossen und bringen derzeit weitere wichtige Gesetze auf den Weg. Allein in dieser Woche werden wir das Elterngeld Plus in zweiter und dritter Lesung beraten. Die flexibleren Lösungen beim Elterngeld und bei der Elternzeit bedeuten für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine ganz erhebliche Erleichterung. Jede Frau und jeder Mann sollten grundsätzlich jeden Beruf ergreifen können. Das müssen wir ihnen ermöglichen. Das ist für mich Gleichstellung. Ich weiß aber auch, dass das einfacher klingt, als es tatsächlich ist. Für mich bedeutet Gleichstellung außerdem, dass Frauen und Männer für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn bekommen. Die Problematik der Entgeltgleichheit ist übrigens besonders paradox; denn in der Praxis sind Frauen häufig besser ausgebildet, haben oft die besseren Noten und bekommen trotzdem weniger Gehalt für die gleiche Arbeit. Das ist auf Dauer nicht zu akzeptieren. Für mich bedeutet Gleichstellung aber auch, dass Frauen ihre Entscheidungsfreiheit nicht selber begrenzen. Ich war immer eine berufstätige Mutter. Ich weiß, dass es für Frauen reale Barrieren in der Berufswelt gibt. Aber es ist auch entscheidend, ob wir diese als Frauen hinnehmen oder aktiv dagegen angehen. Ich beobachte nämlich auch, dass junge Frauen oftmals Berufe danach auswählen, ob sie geeignet sind, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Das ist selbstverständlich absolut legitim; aber ich möchte Frauen ausdrücklich dazu ermutigen, ihre Wünsche laut zu äußern und sich selber zu erlauben, reale Entscheidungsfreiheit zu leben. Die Grenzen, die Frauen im Berufsleben erleben, sind über viele Jahrzehnte durch Geschlechter- und Rollenbilder entstanden und gewachsen. Wenn Frauen sich selber begrenzen, dann zementieren sie diese Bilder, und wir werden weiterhin zwischen Frauen- und Männerberufen unterscheiden. Ich habe aus meiner Meinung nie einen Hehl gemacht: Ich bin eigentlich keine Befürworterin der Quote. Aber wie die Erfahrung zeigt, ist sie zum jetzigen Zeitpunkt leider immer noch notwendig. Es wäre aber falsch, zu glauben, dass wir dadurch die Geschlechter- und Rollenbilder ändern können; denn das können nur wir selbst. Das fängt früh an, nämlich schon in der Art, wie wir unsere Kinder erziehen. Da finde ich übrigens selbst bei manchen Feministinnen ganz traditionelle Erziehungsmuster. Also, es gibt genug zu tun. Es gibt aber Branchen - ich glaube, darin sind wir uns einig -, in denen die Verbesserung der Arbeitsbedingun5884 gen und auch der Karrierechancen für Frauen nicht so einfach umzusetzen ist, wie wir das gerne hätten. Eine dieser Branchen ist zweifellos der Kulturbereich. Grundsätzlich begrüße ich daher den Antrag der Grünen, der die Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb thematisiert. Ich bin aber doch etwas verwundert darüber, dass der Antrag die besonderen Aspekte dieser Branche aus meiner Sicht überwiegend verkennt, dass dieser Antrag Themen adressiert, bei denen der Bund schlichtweg der falsche Ansprechpartner ist, und dass dieser Antrag die künstlerische Freiheit zum Teil völlig außer Acht lässt. So können und so sollten wir die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen im Kulturbereich nicht erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sprechen in Ihrem Antrag explizit durch Bundesmittel geförderte Filmprojekte an. Ja, es ist schade, dass die Zahl der Filme von Regisseurinnen niedriger ist als die von Regisseuren. Ich würde aber keine Kausalität zwischen Geschlecht und Förderung unterstellen. Das halte ich in diesem Fall schlichtweg für falsch. Einen ähnlichen Zusammenhang stellen Sie auch bei Theaterinszenierungen fest. Ja, die Stücke beim Berliner Theatertreffen haben zu großen Teilen männliche Regisseure. Auch wenn ich die Spielpläne der deutschen Theaterlandschaft insgesamt durchforste, stelle ich fest: Die meisten Stücke werden von Männern inszeniert. Aber ich stelle auch fest, dass es immer mehr Autorinnen und mehr weibliche Bühnen- und Kostümbildner und auch Co-Regisseurinnen gibt, vor allem an vielen kleineren, aber auch durchaus bedeutenden Theatern. Dass vor allem auch Intendantinnen wie Karin Beier und Shermin Langhoff besondere Aufmerksamkeit bekommen, ist zweifellos richtig und geschieht meiner Meinung nach völlig zu Recht. Denn diese Frauen leisten großartige Arbeit. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung machen. Wenn ich mir in den letzten Jahren beim Berliner Theatertreffen manche Stücke angeschaut habe, konnte ich zum Teil Geschlechterbilder erkennen, die mir sonst eher durch meine Großmutter vorgelebt worden waren. Aber diese Inszenierungen wurden gefeiert, und zwar von beiden Geschlechtern. Das ist auch in Ordnung; denn über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Vielleicht müssen wir eher die Rollenbilder in der Gesellschaft hinterfragen. Warum finden auch Frauen solche klischeehaften Darstellungen gut? Aber an dieser Stelle möchte ich ausdrücklich betonen: Für Inszenierungen und Produktionen muss die künstlerische Freiheit immer oberstes Gebot bleiben. Berufe im Kunst- oder Kulturbereich haben meistens besondere Arbeitsbedingungen, die sich nicht wegdiskutieren lassen. Manche Theater haben zum Beispiel Hausregisseure. Diese inszenieren dann vielleicht drei Stücke in einer Spielzeit und sind somit schätzungsweise sechs Monate eines Jahres an einen Ort gebunden. Die allermeisten Regisseure inszenieren aber im gesamten deutschsprachigen Raum und sind so meist nicht länger als zwei Monate in einer Stadt. Ich glaube nicht, dass bei der Verpflichtung eines Regisseurs das Geschlecht grundsätzlich eine Rolle spielt. Aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt bei der Berufswahl in diesem Fall ganz sicher eine Rolle. Denn Regisseurinnen und Regisseuren hilft auch eine Kita mit den besten Öffnungszeiten nichts, wenn sie alle zwei Monate umziehen müssen. Dann ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwer zu erreichen. Ähnliche Probleme haben übrigens beispielsweise auch freie Bühnen- und Kostümbildner. Die in dieser Woche zu beschließenden Änderungen beim Elterngeld Plus können für diese Frauen Erleichterung schaffen. Ich bin daher froh, dass wir damit mehr Flexibilität für alle schaffen. Denn so können nicht nur Frauen, sondern auch Paare im Kulturbereich ihre Elternzeit an die besonderen Gegebenheiten ihrer Berufe anpassen. Meine Damen und Herren, Quoten im Kulturbereich können beim besten Willen kein Weg sein. Wenn Menschen mehr Bilder von männlichen Malern kaufen, obwohl es genauso viele weibliche wie männliche Maler gibt, können wir ihnen letztendlich nichts anderes vorschreiben. Wir können den Geschmack nicht beeinflussen. Deswegen finde ich Ihre Vorschläge für die Vergabe von Preisen oder die Zusammenstellung von Ausstellungen nicht zielführend, vor allem, da selbstverständlich im Bereich der institutionellen Förderung durch Bund und Länder gleichermaßen - darauf haben auch Sie abgehoben - das Gleichstellungsgesetz und die Gremienbesetzungsgesetze durchaus Anwendung finden. Hier setzen wir uns für weitere Verbesserungen ein. Eine Novellierung dieser Gesetze ist in Arbeit. Außerdem sind die dauerhaft durch den Bund geförderten Einrichtungen gehalten, die Gleichstellungsanforderungen zu beachten. Auch gibt es konkrete Projektförderung mit frauenspezifischem Hintergrund. Ich bin durchaus dafür, dass solche Dinge ausgeweitet werden. Ich bin auch Ihrer Auffassung, dass es mit Blick auf weitere Maßnahmen, die zu ergreifen sind, vielleicht ganz sinnvoll wäre, zu einer Aktualisierung der Daten zu kommen. Sie sind in der Tat etwas zu alt, um von der heutigen Warte aus ein Urteil darüber zu erlauben, was tatsächlich nottut. Aber für mich und, wie ich glaube, auch für die CDU/ CSU insgesamt ist es ganz wichtig, dass im Bereich der Kunst immer künstlerische und kulturelle Kriterien maßgeblich sein müssen. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Sigrid Hupach. ({0})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank an die Kolleginnen und KolleSigrid Hupach gen von Bündnis 90/Die Grünen, dass wir heute über das wichtige Thema der Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb debattieren können. Ihrem Antrag werden wir zustimmen. Das haben wir schon in der letzten Legislatur getan, als dieser Antrag das erste Mal eingebracht wurde. Jetzt ist er bereichert um den aktuellen Aufruf der Initiative Pro Quote Regie, einer Initiative von rund 200 Regisseurinnen, die sich für Gleichbehandlung einsetzen. Auch ich habe diesen Aufruf mit meiner Unterschrift unterstützt. Gleichstellung im Kulturbetrieb, das sollte im Jahr 2014 eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber der Kulturbereich ist von Gleichberechtigung von Mann und Frau genauso weit entfernt wie unsere Gesellschaft insgesamt. Es gibt eklatant zu wenige Frauen in Leitungs- und Führungspositionen. Von Equal Pay kann keine Rede sein. Frauen verdienen, wie bereits gesagt, im Kulturbereich im Durchschnitt wesentlich weniger als Männer. Demzufolge sind Frauen in weit höherem Maße von Altersarmut betroffen. Altersarmut in Deutschland ist vorwiegend weiblich. Im Kulturbereich gibt es traditionell einen hohen Frauenanteil sowohl in der Ausbildung in Medien- und Kulturberufen als auch bei den Beschäftigten. Zunehmend ist dies im Journalismus so. Andere Bereiche wie Bibliotheken oder Museen sind heutzutage nahezu Frauendomänen. „Viele Frauen“ ist aber nicht gleichzusetzen mit „viele Frauen in wichtigen Entscheidungspositionen“. In ihrer Halbzeitbilanz vom Juni 2014 stellt die Initiative Pro Quote fest, dass der sogenannte Machtanteil von Journalistinnen bei fast allen großen Zeitungen unter 30 Prozent liegt. Was ist also zu tun? Der Antrag der Grünen zeigt einige Möglichkeiten auf. Wir brauchen belastbares Zahlenmaterial und Förderkriterien im Etat des Kapitel 5 des Einzelplans 04, die eine geschlechterparitätische Vergabe von Führungspositionen und Besetzungen von Orchestern, Ausstellungen und Jurys garantieren. Uns Linken geht das nicht weit genug. Die Linke ist für Pro Quote. Damit ist aber nicht das auf wackeligen Beinen stehende schwache Quotengesetz gemeint, das die Bundesregierung je nach Wirtschaftslage ab 2015 plant. Wir als Linke fordern eine Mindestquotierung aller politischen Mandate und öffentlichen Ämter von 50 Prozent ({0}) sowie ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft. Das bezieht auch den Kulturbereich ein, öffentlich gefördert oder nicht. Es gibt also für die Bundesregierung viel zu tun. Ich will hier nur einige Beispiele nennen, in denen ein zeitnahes Engagement der Koalition deutliche Verbesserungen für Frauen nicht nur im Kulturbereich bewirken würde: Erstes Beispiel, faire und gleiche Entlohnung. Mit der Einführung von Equal Pay in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen und Projekten kann die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und den Rechtsanspruch auf gleiche Entlohnung bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit für Frauen durchsetzen. Dazu gehört ein durchsetzungsstarkes Urhebervertragsrecht. Wir Linke haben hierzu schon in der letzten Legislatur einen Gesetzentwurf eingebracht. Dazu gehört auch die Frauenquote. Zweites Beispiel, soziale Absicherung. Der Koalitionsvertrag kündigt für Ende 2014 eine Anschlussregelung zum Arbeitslosengeld-I-Bezug für kurzzeitig Beschäftigte an, eine Regelung, die auch für viele Kulturschaffende von großer Bedeutung ist. ({1}) Vorgelegt hat die Koalition aber nichts. Stattdessen wird heute zu später Stunde in einem sogenannten Omnibusgesetz die Geltungsdauer der bestehenden ungenügenden Regelung um ein Jahr verlängert. Schade! Auch das wäre eine Möglichkeit gewesen, die soziale Absicherung im Kreativbereich zu verbessern. ({2}) Wir Linke haben mit unserem Antrag „Kurzzeitig Beschäftigten vollständigen Zugang zur Arbeitslosenversicherung ermöglichen“ das vorgelegt, was die Koalition verschlafen hat. Weitere Beispiele, die zu nennen wären, sind die Ausstellungsvergütung, die Problematik der Mehrwertsteuer im Kunsthandel und - last, but not least - der GabrieleMünter-Preis. Dieser europaweit einzigartige Preis für Künstlerinnen über 40 Jahre kann seit 2010 nicht mehr vergeben werden, weil sich das Bundesfamilienministerium aus der Finanzierung zurückgezogen hatte. Nach jahrelangem Ringen hat das Frauenmuseum in Bonn jetzt vom Ministerium einen Bewilligungsbescheid erhalten, um eine Vergabe des Preises für 2017 zu organisieren, aber mit der Hälfte des Geldes. Sieben Jahre ohne Preisvergabe und dann noch ein Sparpreis, das ist eine Blamage. Kein Mann hätte sich das wohl ohne Protest gefallen lassen. Danke. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist für die Sozialdemokraten die Kollegin Hiltrud Lotze. ({0})

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Besuchertribünen! 65 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes kann von einer tatsächlichen Gleichstellung in vielen Bereichen unserer Gesellschaft nicht die Rede sein. Das ist ein Fakt. Wenn es so weiterginge wie bisher, dann würden wir wahrscheinlich auch 65 Jahre später uns alle eingestehen müssen, dass es mit gutmütigen Appellen und mit Freiwilligkeit in der Privatwirtschaft nicht wirklich weiter vorangeht. Ich bin deswegen dankbar, dass wir mit Manuela Schwesig eine kompetente und sehr hartnäckige Ministerin haben, die trotz heftigen Gegenwinds - jetzt zitiere ich den Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz - „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinwirkt. Deswegen ist die Frauenquote ein immens wichtiger Beitrag zur Gleichstellung von Frau und Mann. ({0}) Die Indikatoren der Ungleichstellung von Frau und Mann, die wir in der Privatwirtschaft beobachten können, gelten größtenteils auch für den Kunst-, Kultur- und Medienbereich und sind uns mittlerweile mehr als gut bekannt. Frauen verdienen für gleiche Arbeit weniger, sie sind überdurchschnittlich von prekärer Beschäftigung betroffen, und wir treffen sie viel seltener auf den höheren Hierarchieebenen an, und das trotz nachweislich vorhandener sehr guter Qualifikationen. Sie sind auch noch viel stärker davon betroffen, dass sich nach wie vor Familie und Beruf so schlecht miteinander vereinbaren lassen. Es gibt aber eine Besonderheit im Bereich der Kultur-, Kreativ- und Medienwirtschaft, nämlich die, dass gerade hier die Möglichkeit für Frauen besonders groß ist, Karriere zu machen, und zwar jenseits von tradierten Berufsbildern, also typisch weiblichen und typisch männlichen Berufen. Die Digitalisierung, über die wir hier schon häufig intensiv gesprochen haben, verstärkt diesen Effekt noch. Unter den Selbstständigen im Kultur-, Medien- und Kreativbereich sind überdurchschnittlich viele Frauen. Es zeigt sich aber auch, dass Frauen in diesem Bereich besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind, jedenfalls stärker als Männer. Wir können also sagen, dass der Kreativ-, Kultur- und Medienbereich einerseits ein wichtiger und aus der Genderperspektive eigentlich traumhafter Arbeitsmarkt für Frauen ist, der im Übrigen ein großes Wachstums- und Beschäftigungspotenzial aufweist. Deswegen arbeiten wir intensiv am Kreativpakt. Er ist also eigentlich ein traumhafter Arbeitsmarkt, der aber andererseits für Frauen ein großes soziales Risiko birgt. Wir haben in Regierungsverantwortung bereits einige Weichen gestellt, um die Situation zu verbessern. Ich nenne als Beispiel nur den Mindestlohn, der positive Auswirkungen für die Beschäftigten im Kreativ-, Kulturund Medienbereich hat. Noch wichtiger zu erwähnen ist, dass wir umgehend nach der Regierungsbildung beschlossen haben, die Beiträge zur Künstlersozialkasse zu stabilisieren. Gerade für selbstständige Frauen, die in der KSK versichert sind und Mutter werden, ist die KSK eine ganz wichtige Stütze. Das sind zugegebenermaßen nur einige und verhältnismäßig kleine Steine, die wir aus dem Weg geräumt haben, aber sie sind sehr wichtig. Allerdings sind noch einige dicke Brocken zu bewegen. Es ist deswegen richtig und wichtig, dass der Antrag der Grünen dies heute hier thematisiert. Der Antrag ist nahezu wortgleich mit einem Antrag der Grünen aus der letzten Legislaturperiode. Damals hatte auch die SPD einen Antrag mit dem Titel „Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich“ vorgelegt. Ich denke - das ist hier schon angeklungen -, wir sind uns auch heute darüber einig, dass Handlungsbedarf besteht. Auch wenn ganz klar ist, dass die Kompetenz des Bundes aufgrund der Kulturhoheit der Länder begrenzt ist, sollte uns das hier nicht davon abhalten, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die Gleichstellung zu fördern. Der Antrag der Grünen und auch unser Antrag aus der letzten Legislaturperiode haben da die Richtung vorgegeben und die möglichen Handlungsfelder beschrieben. Ganz wichtig dabei ist, dass wir über die aktuelle Situation genau Bescheid wissen, sprich: Wir brauchen - ich zitiere aus dem Antrag - „… geschlechtsspezifisches Wissen über die sozialen Rahmenbedingungen der Kunstschaffenden, die Besetzung von Führungspositionen und Gremien sowie die Vergabe von Stipendien und anderen Fördermaßnahmen …“. Dieser Forderung aus dem Antrag der Grünen kann ich vorbehaltlos zustimmen. Gleichzeitig sehe ich, dass ein Bereich in diesem Antrag zu kurz kommt: der Medienbereich. Leider kommt der Begriff „Medien“ schon im Titel des Antrags nicht vor. Das ist für uns Grund genug, dieses Thema jetzt im Kultur-, Kreativ- und Medienbereich aufzugreifen, und zwar umfassend. Wir sollten uns für dieses wichtige Thema aber auch Zeit nehmen, um es gründlich zu behandeln. Ich schlage deswegen vor, dass wir im Ausschuss für Kultur und Medien ein Fachgespräch zu diesem Thema führen, um uns alle gemeinsam auf den neuesten Stand zu bringen. Als zuständige Berichterstatterin setze ich mich dafür ein, und ich bin mir sicher, dass ich da die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Union habe. - Ich sehe da schon Nicken. Eine Sache noch zum Schluss, die mir besonders wichtig ist. Wenn wir über Gleichstellung im Kultur-, Kreativ- und Medienbereich reden, dann gehört ein wichtiger Aspekt dazu: Das ist die Inklusion. Kultur für alle bedeutet nicht nur, dass wir allen den Zugang zur Kultur ermöglichen, sondern auch, dass jeder mitmachen kann. Wenn wir also unter dem Stichwort „Gleichstellung“ die Fördergrundsätze des Bundes im Kultur- und Medienbereich unter die Lupe nehmen, dann dürfen wir das nicht nur unter dem Genderaspekt machen, sondern wir müssen auch die UN-Behindertenrechtskonvention ernst nehmen und dabei die Inklusion mitdenken. ({1}) Ich freue mich darüber, dass wir das im Ausschuss gemeinsam mit allen Fraktionen anpacken wollen. Vielen Dank. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein spricht als Nächstes für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich habe mir Ihren Antrag sehr genau durchgelesen. Mir war er neu; ich bin ja zum ersten Mal hier. Ich habe wirklich überlegt, ob daraus noch eine runde Sache werden kann. Ich muss sagen: Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Ergebnis, dass ich Ihren Antrag eigentlich für ziemlichen Unsinn halte. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Da gibt es zum einen die kulturpolitischen Gründe, etwa die Kulturhoheit der Länder, die eben schon erwähnt wurde. Die Zuständigkeit für die Kulturförderung liegt zu einem Großteil bei den Ländern, vor allem aber bei den Kommunen. Sie wären die Hauptansprechpartner für Ihre Forderungen. Dort, in den Ländern und in den Kommunen, gelten natürlich schon jetzt, wie auch bei der Kulturförderung aus dem Bundesetat, die ganz allgemeinen gleichstellungspolitischen Grundsätze. Es mag in den Kommunen und in den Bundesländern mit der Gleichstellung unterschiedlich gut funktionieren. Für Bayern, mein Land, kann ich sagen: Dort werden Künstlerinnen durchaus ganz gezielt mit Programmen gefördert. Schaut man sich die Gewinnerinnen und Gewinner des Bayerischen Kunstförderpreises der vergangenen Jahre an, stellt man fest: Bei der „Darstellenden Kunst“ haben fast nur Schauspielerinnen und Sängerinnen den Preis gewonnen. In der Kategorie „Bildende Kunst“ ist es ebenso ausgeglichen wie in den Sparten „Musik und Tanz“ oder „Literatur“. Im Übrigen können Sie in Baden-Württemberg schon einmal damit anfangen, Ihre Forderungen umzusetzen; da regieren Sie ja. Ich habe aber aus dieser Richtung bisher eigentlich nichts gehört. ({0}) Außerdem ist da der Punkt „Freiheit der Kunst“. Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Ich bin sicher, dass niemand in diesem Hause dies bestreiten wird. Dieses Grundrecht steht natürlich in keinerlei Widerspruch zu Artikel 5 des Grundgesetzes, wonach die Kunst frei ist. Frauen dürfen in unserem Land ihre Kunst natürlich so frei betreiben wie Männer. Sie dürfen sich aber auch ganz frei entscheiden, ob sie sich um eine Stelle als Intendantin bewerben oder ob sie das nicht tun. Sie dürfen Karriere machen wollen, sie dürfen das aber auch nicht wollen, und sie dürfen Drehbücher einreichen, und sie dürfen das auch nicht wollen. Die Juroren eines Auswahlgremiums dürfen - ich meine sogar, sie müssen allein nach künstlerischen Kriterien beurteilen, und sie dürfen daher Frauen oder eben auch Männer prämieren. Ich will hier auch nicht unterstellen, dass Frauen bei Preisvergaben regelrecht aussortiert würden. Fakt ist nämlich: Frauen bewerben sich in einigen Bereichen auch heute noch viel seltener um Führungspositionen als Männer, ({1}) etwa um Intendanten- oder Dirigentenposten. Sie bewerben sich auch seltener um Preise. Damit sind wir schon mitten in einem weiteren Punkt: Ihren Zahlenspielereien. Sie stellen in Ihrem Antrag Zahlen relativ willkürlich gegeneinander und folgern daraus, dass es - ich zitiere - „strukturelle Schranken beim Zugang ins Berufsleben für Frauen im Kulturbetrieb“ gebe. Was Sie dabei unterschlagen, ist, dass es zwischen den einzelnen kulturellen Sparten ganz erhebliche Unterschiede bei der Anzahl von Frauen in Führungspositionen gibt. Sie zitieren leider nur die Negativbeispiele. Richtig ist aber, dass in den Kulturredaktionen der Rundfunkanstalten, in den Feuilletons der Zeitungen, in den Bibliotheken und Museen, in den Literaturhäusern ausgesprochen viele Frauen vertreten sind. Auch die Tatort-Redaktion des Bayerischen Fernsehens ist voller Frauen. ({2}) Ebenso ist das bei Ihrem Vergleich zwischen den freiberuflichen Künstlerinnen und Künstlern. Frauen verdienen danach im Schnitt weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist ein Fakt, den man überhaupt nicht bestreiten kann. In den allgemeinen Diskussionen um den Gender Pay Gap haben Sie korrekterweise schon einige Faktoren herausgerechnet. Der dann entstehende Unterschied ist die eigentliche Ungerechtigkeit. Aber auch hier muss man natürlich ganz genau hinschauen. Gerade bei den Selbstständigen ist von einer sehr großen Chancengleichheit auszugehen, weil eventuell diskriminierende Faktoren, die es bei Angestelltenverhältnissen mitunter noch geben kann, fehlen. Es ist doch sehr viel naheliegender, dass Frauen gerade diese Freiberuflichkeit im Kulturbereich nutzen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das führt mich zum nächsten Punkt. Es sind vermutlich gerade die Frauen, die diese Flexibilität im Kulturbereich nutzen und schätzen, um ihren Beruf ausüben zu können, auch wenn sie Kinder bekommen. Dann arbeiten sie natürlich nicht so viel wie jemand, der keine Kinder und keine Familie hat, und verdienen konsequenterweise auch weniger. ({3}) Aber sie sind vielleicht gar nicht unzufrieden mit ihrem Leben. Das muss kein Missstand sein. ({4}) Richtig ist auch, dass es in speziellen Branchen des Kulturbetriebs nach wie vor extrem schwierig ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Ich nenne hier einmal das Theater. Nirgendwo sonst gibt es so viele Wochenend- und Abendtermine. Nirgendwo sonst wird so viel zeitliche und örtliche Flexibilität verlangt. ({5}) Ein Intendant bringt bekanntlich sein eigenes Ensemble mit. Die Theaterleute sind in der ganzen Republik unterwegs, wie ein Wanderzirkus, und das muss man organisieren können, auch als Frau. ({6}) Es ist weder schlecht noch rückständig, wenn sich auch eine Sängerin, eine Regisseurin, eine Tänzerin um ihr Kind kümmern will. ({7}) Dieser Wunsch ist bei Frauen öfter vorhanden als bei Männern. In dieser Welt leben wir alle. Ich unterstelle trotzdem nicht, dass die Frauen allesamt unzufrieden sind oder an Schranken des Kulturbetriebs scheitern. ({8}) Ich sage einen Satz, auch wenn dieser fast an ein Tabu rührt: Vielleicht sind manche Frauen, wenn sie denn Kinder bekommen, in dem Moment gar nicht so stark an einer beruflichen Karriere interessiert. Ich könnte das auch nachvollziehen. ({9}) Meine Damen und Herren, Sie sprechen in Ihrem Antrag wörtlich von einer Diskriminierung von Frauen im Kulturbetrieb; Sie unterstellen also ein halbwegs gezieltes Vorgehen. Ich unterstelle das Gegenteil. Ich meine, dass gerade in der Kulturbranche die Bereitschaft, Frauen zu fördern und auf herausgehobene Positionen zu berufen, besonders ausgeprägt ist, eben weil Frauen - das stimmt ja - ein ganz besonders großes kreatives Potenzial mitbringen. Es wäre überhaupt nicht nachvollziehbar, dieses Potenzial nicht zu nutzen. Gerade deshalb übernehmen sehr viele Frauen die Leitung von Museen, Galerien, Literaturhäusern und Bibliotheken. Ich behaupte auch, dass nur in wenigen Branchen die Chancengerechtigkeit so hoch ist wie in der Kulturbranche, zum Beispiel weil bei Probespielen in der Regel hinter einem Vorhang gespielt wird, sozusagen als Schleier des Nichtwissens für die Juroren. Auch ich war schon in einer Findungskommission für einen neuen Intendanten. Es ging um eine städtische Bühne. In der Findungskommission saßen übrigens drei Frauen und ein Mann, nicht alle von der CSU; das sage ich nur, falls Sie meinen, das Ergebnis würde mit der Parteizugehörigkeit zusammenhängen. Am Schluss bekam ein Mann den Posten. Denn unter den vielen Dutzend Bewerbern war nur eine Handvoll Frauen, und die passten nicht in das Profil. Ich meine, wir müssen uns die Eigenheiten des Kulturbetriebes wirklich genauer anschauen. ({10}) Meine Damen und Herren, der Verweis auf die Kulturhoheit der Länder und die Freiheit der Kunst würde als Grund schon reichen, um Ihren Antrag abzulehnen. Ihr schräger Blick auf die Wirklichkeit des Kulturbetriebes und die Lebenswirklichkeit der Frauen tut ein Übriges. Für Ihren nächsten Antrag habe ich einen Tipp: Schlagen Sie doch vor, den Auktionshäusern zu verbieten, einen Gerhard Richter für mehr Geld zu versteigern als die Bilder seiner weiblichen Kolleginnen. Dann kommen Sie vermutlich ganz groß raus. Herzlichen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Burkhard Blienert von den Sozialdemokraten. ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle vorab fest: Der Antrag der Fraktion der Grünen ist in der Sache richtig. ({0}) Dass er allerdings nicht weit genug greift, darauf hat meine Kollegin Hiltrud Lotze schon hingewiesen. Denn darin sind einige Fragen nicht beantwortet. Insofern müssen wir uns mit dem Antrag und den noch offenen Fragen tatsächlich noch intensiver beschäftigen. ({1}) Und da Wiederholung tatsächlich das beste pädagogische Element ist, möchte ich an dieser Stelle auch auf die Situation von Frauen im Filmbereich eingehen. Dabei möchte ich klarmachen, dass wir es nicht nur mit einem gleichstellungspolitischen Thema zu tun haben; denn das Ganze hat natürlich auch eine kulturelle Dimension. Auch ich beziehe mich auf die aktuelle Initiative von Pro Quote Regie, die auch im Antrag der Grünen erwähnt wird. Sie hat uns in den letzten Wochen schon intensiv beschäftigt und wird uns auch noch weiter beschäftigen. Da haben sich - inzwischen über 200 - deutsche Regisseurinnen zusammengeschlossen und auf einen MissBurkhard Blienert stand hingewiesen, der mich in seiner Deutlichkeit schon überrascht hat: Nur 15 Prozent aller deutschen Kinound Fernsehfilme werden von Frauen gemacht, aber über 42 Prozent der Hochschulabsolventen im Fach Regie sind weiblich. Wie passt das zusammen? ({2}) Ich will noch auf andere Fakten aufmerksam machen, die auch eine Rolle spielen: Im vergangenen Jahr hat der DFFF, der Deutsche Filmförderfonds, 115 Filmprojekte gefördert, aber nur 13 Filme davon wurden von Frauen inszeniert. 2013 flossen aus dem DFFF insgesamt 62 Millionen Euro, aber nur 6 Millionen Euro gingen an Projekte von Regisseurinnen. Und noch ein beeindruckender Befund - die beliebteste deutsche Fernsehreihe ist schon angesprochen worden -: Im vergangenen Jahr sind ganze 3 von 82 Tatorten von Frauen gedreht worden. Angesichts dieser Zahlen wundert es mich, dass sich die kreativen Filmemacherinnen erst jetzt zu Wort gemeldet haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ruf nach einer Frauenquote im Kulturbereich irritiert zunächst trotzdem. Regulierung und künstlerische Freiheit passen auf den ersten Blick irgendwie nicht zusammen; das muss man berechtigterweise feststellen. Aber insgesamt ergeben sich doch wichtige Hinweise von alleine. Die Frage, ob eine Quote bei Förderentscheidungen die richtige Antwort ist ober ob nicht auch der Weg der Selbstverpflichtung der maßgeblichen Akteure bei Film und Fernsehen funktionieren kann, möchte ich zunächst offen lassen. Das ist nicht die entscheidende Frage, die wir uns jetzt stellen müssen. Zustimmen kann ich der Forderung nach paritätisch besetzten Fördergremien - so haben wir es in der letzten Legislaturperiode auch formuliert -; denn hier geht es schließlich um die Vergabe öffentlicher Mittel. Was wir aber vor allem brauchen, ist eine umfassende Untersuchung, die die strukturellen Ursachen der mangelnden weiblichen Präsenz in der Regie aufdeckt. Wichtig ist auch eine breite Sensibilisierung für diesen eklatanten Mangel an Gleichstellung im Filmbereich. Die heutige Debatte verstehe ich - mit allen Facetten als einen wichtigen Beitrag dazu. Dafür hat die Initiative Pro Quote Regie den Anstoß gegeben, und dafür können wir alle gemeinsam nur dankbar sein. Die Kulturpolitik ist und bleibt aufgefordert, die Gleichstellung im Kultur- und Medienbereich zu befördern. Die anstehende Novelle des Filmfördergesetzes bietet übrigens eine passende Gelegenheit dazu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange 85 Prozent der Filme von Männern gemacht sind, ist unsere Filmkultur in ihrer Vielfalt reduziert. Die Filmkultur kann davon nur profitieren, wenn künftig mehr Frauen auf dem Regiestuhl sitzen und ihre Filme drehen können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2881 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 10, den ich hiermit aufrufe: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen Drucksache 18/2752 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) Drucksache 18/3070 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Da ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundesregierung das Wort der Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks. ({1})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Kriegs- und Krisengebieten kommen zahlreiche Flüchtlinge zu uns, insbesondere aus Syrien, Eritrea und Afghanistan. Mehr als 130 000 Asylanträge wurden bis Ende September 2014 gestellt. Insgesamt werden in diesem Jahr mehr als 200 000 Flüchtlinge erwartet. Es ist eine Frage der Menschlichkeit, dass wir ihnen helfen. Es ist unsere Pflicht, diese Menschen aufzunehmen und angemessen unterzubringen. Das ist, wie wir wissen, für die Kommunen keine leichte Aufgabe. Dessen bin ich mir wohl bewusst. Deswegen ist es nach meiner Überzeugung die Aufgabe der Bundesregierung, die Kommunen zu unterstützen, wo es geht. Ich kann und will dabei mithelfen, dass die Flüchtlinge schnell ein Dach über dem Kopf bekommen und dass wir sie so aufnehmen, dass sie hier angemessen und in Würde leben können. ({0}) Die betroffenen Kommunen unternehmen große Anstrengungen, um möglichst rasch Unterkünfte in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Es müssen dazu geeignete Grundstücke zur Verfügung stehen. Es müssen geeignete Gebäude zur Verfügung stehen. Vielfach sind bauliche Anpassungen nötig. Oft sind leider auch Behelfsunterkünfte unvermeidbar. Die Kommunen unternehmen tatsächlich alle Anstrengungen. Vor kurzem habe ich in Heidelberg gesehen, wie eine gerade geräumte amerikanische Kaserne umgestaltet werden konnte - ein Glücksfall. So etwas hilft den Kommunen natürlich sehr, und die BImA kommt den Kommunen dabei natürlich auch sehr entgegen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzentwurf hält Instrumente bereit, die den Bau von Flüchtlingsunterkünften auch kurzfristig ermöglichen sollen. Zur Initiative des Bundesrates vom 19. September 2014 hat die Bundesregierung Stellung genommen und einige Änderungen vorgeschlagen. Dazu gehört, dass die vorgesehenen Regelungen bundesweit gelten sollen. Die Vorschläge der Bundesregierung haben breite Zustimmung gefunden. Auch die kommunalen Spitzenverbände haben sich durchweg positiv geäußert. Mit dem heute zu beschließenden Gesetz wollen wir im Baugesetzbuch neben einigen Klarstellungen auch befristete Erleichterungen schaffen. Wir wollen ermöglichen, Flüchtlingsunterkünfte auch dann im Innenbereich zuzulassen, wenn sie sich, wie es sonst im Baurecht heißt, nicht in die nähere Umgebung einfügen. Das könnte beispielsweise Büro- oder Geschäftsgebäude betreffen, die dann zu Unterkünften umgenutzt werden können. Außerdem ermöglichen wir, dass Flüchtlinge auf Flächen untergebracht werden können, die unmittelbar an einen bebauten Ortsteil anschließen. Und wir wollen den Kommunen die Möglichkeit geben, Flüchtlingsunterkünfte eingeschränkt und befristet in Gewerbegebieten zu ermöglichen. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir die Unterkünfte in Industriegebiete abschieben. Das ist nicht unsere Intention und auch nicht die des Bundesrates. Aber es gibt Gewerbegebiete, die sich dafür eignen. Und hier dürfen wir keine unüberwindbaren Hürden zulassen. Langfristig wird sich auswirken, dass in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehen ist, die Flüchtlingsunterbringung bei der Aufstellung von Bebauungsplänen zu berücksichtigen. Dies ist bisher nicht der Fall gewesen. Und wir stellen klar, dass die Unterbringung von Flüchtlingen zu den Belangen des Allgemeinwohls gehört. Auch dies ist neu im Baurecht. ({1}) Der Bundesrat wird bereits morgen den Gesetzentwurf abschließend beraten, sodass er noch im November, also in diesem Monat, in Kraft treten kann. Ich bin mir absolut bewusst, dass es für Kommunen nicht einfach ist, quasi über Nacht Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. Auch für die Länder ist es ein Kraftakt. Die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und in den Kommunen verdienen für ihren Einsatz große Anerkennung, und sie verdienen unsere konkrete Hilfe. Dazu dient diese Gesetzesänderung. Herzlichen Dank. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Heidrun Bluhm. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit den letzten Worten meiner Kollegin Jelpke vor circa einer Stunde. Sie sagte: Das System der sozialen Diskriminierung von Flüchtlingen müssen wir endlich beenden. Bei der Rede der Frau Ministerin hat sich alles ganz harmlos angehört. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sie bis zum Ende ihrer Rede das Wort „Gewerbegebiet“ gar nicht verwenden würde. Fairerweise hat sie das am Ende doch getan. Insofern wird jetzt deutlich, dass wir heute hier - das haben wir noch nie gemacht, wenn wir über eine Novelle des Baugesetzbuches in irgendeiner Weise verhandelt haben - keine Formalie verhandeln. Heute geht es nicht um Erleichterungen des Baus, sondern darum, dass wir Menschen, die in größter Not zu uns kommen, weil sie aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, Angehörige, Familienangehörige oder Freunde verloren haben, die ihre Gesundheit, ihre Wohnung und ihre Zukunft verloren haben, die nichts als ihr nacktes Leben haben, in Gewerbegebieten unterbringen wollen. ({0}) All das haben wir schon vor einer Stunde in der Diskussion über das Asylbewerberleistungsgesetz deutlich gemacht. Jetzt sollen wir also entscheiden, dass Asylbegehrende und Flüchtlinge in Gewerbegebieten wohnen werden. ({1}) In der öffentlichen Anhörung zu diesem Gesetzesentwurf am Montag hat einer der zwei Befürworter gesagt: Diese Leute - gemeint waren damit natürlich die Flüchtlinge - seien gottfroh und dankbar, dass sie hier angekommen sind und ein Dach über dem Kopf haben. Für mich fehlte nur noch der Zusatz: Das sollten sie gefälligst auch sein. ({2}) Die Krisengebiete, so hat es auch die Ministerin gesagt, von denen der Gesetzentwurf spricht, liegen durchweg in Weltregionen, die jahrhundertelang von europäischen Kolonialmächten beherrscht und ausgeplündert worden sind. Wir, die Europäer, verdanken diesen Ländern einen großen Teil unseres materiellen, wissenschaftlichen und kulturellen Reichtums. ({3}) Wir haben ihnen oft zerstörte Kulturen, geplünderte Natur und willkürlich gezogene Grenzen hinterlassen. Wenn wir also heute über Maßnahmen zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen reden, dann sprechen wir nicht über großzügige Almosen, die wir zeitHeidrun Bluhm weilig verteilen, um eine akute Notlage in irgendeiner Weise zu beheben, ({4}) sondern über Mitmenschlichkeit, über Solidarität, Unterstützung für Traumatisierte und aus ihrer Heimat Vertriebene. ({5}) Der Grundfehler dieser Gesetzesänderung, Herr Bartol, liegt in der Unterstellung, wir hätten es mit einem vorübergehenden Notstand zu tun, den wir unter anderem mithilfe einer Änderung im Bauplanungsrecht bis Ende 2019 wieder beheben können. Wie grotesk ist diese Vorstellung? ({6}) Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbegehrenden nach Europa wird nicht abreißen, sondern weiter zunehmen. Die Krisen und Kriege werden nicht plötzlich aufhören, und es besteht die reale Gefahr, dass zu den Flüchtlingen, die heute kommen, noch Klimaflüchtlinge hinzukommen werden, denen die zivilisierten Industrienationen die Lebensgrundlage buchstäblich abgegraben oder weggespült haben. ({7}) Wir haben es also mit einer dauerhaften, umfassenden europäischen, wenn nicht sogar globalen Aufgabenstellung zu tun. Der schnelle Aktionismus der Bundesregierung vermittelt hier den Eindruck einer prompten und einvernehmlichen Lösung zwischen Bund und Ländern. Wenn sich aber, so wie jetzt, hausgemachte, weil jahrelang ignorierte Probleme aufgestaut haben, wenn Kommunen, die vom Bund im Stich gelassen werden, verständlicherweise nach Auswegen suchen, dann sollten Gesetzes- und Verordnungsänderungen, wenn sie überhaupt notwendig sind, so ausgestaltet werden, dass sie ein Problem nicht nur aus der Sichtachse verdrängen, sondern auch keine neuen erzeugen. Mit diesem Gesetzentwurf wird eine Ausnahmesituation zu einem rechtssicheren Dauerzustand gemacht. Formale Sicherheit im Baurecht darf aber niemals dazu missbraucht werden, dass Menschenrechtsverletzungen zu geregelter Normalität werden. ({8}) Oder glaubt hier wirklich jemand, dass diese Regelungen in fünf Jahren wieder einkassiert werden? - Wohl nicht, es sei denn, die Linke regiert - dann vielleicht. ({9}) Selbst wenn es im Gesetzestext so nicht vorgesehen ist, bestätigt meine Erfahrung aus fast zehn Jahren Bundestag: So beständig wie ein Provisorium ist sonst kein Gesetz. ({10}) Und noch schlimmer: Es signalisiert geradezu, dass wir die Flüchtlinge nicht dauerhaft unter uns haben wollen, dass ihre Integration nicht organisiert, sondern verhindert werden soll. Dieses Gesetz ist also kein Anreiz, menschenwürdige Wohnverhältnisse für Flüchtlinge und Asylsuchende zu schaffen, sondern es fördert die dauerhafte Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen, denen wir Hilfe und Respekt schuldig sind. Was anstelle dieses Gesetzes notwendig ist, haben wir in unserem vorliegenden Entschließungsantrag beschrieben. Ich will sagen: Die eigentlichen Lösungen sind die, die wir lange kennen. Wir brauchen einen ausgewogenen sozialen Wohnungsbau. Wir müssen ihn wiederbeleben; die Bundesregierung spricht davon, aber bisher ist nichts zu sehen. Wir brauchen eine bedarfsgerecht ausgestattete Städtebauförderung mit neuen oder ergänzenden Programmen, die auch der dauerhaften Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland gerecht wird, sodass diese Menschen in unserer Mitte leben können. ({11}) Und wir brauchen eine bedarfsbezogene Vergabe von bundeseigenen Liegenschaften an die Kommunen anstelle des Höchstgebotskultes; morgen haben wir Gelegenheit, ausführlicher darüber zu reden. ({12}) Wenn wir all das umsetzen - verbunden mit einer nicht nur plakativen, sondern tatsächlich gelebten Willkommenskultur -, dann machen wir wirkliche Schritte in Richtung eines menschenwürdigen Umgangs mit Flüchtlingen und Asylsuchenden, ({13}) die nicht rechtssicher verwahrt, sondern Teil unserer Gesellschaft werden sollen. Schluss also mit der Lagerunterbringung der Vertriebenen in Deutschland! ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Kai Wegner. ({0})

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über Änderungen im Baugesetzbuch, mit denen wir eine schnellere und leichtere Flüchtlingsunterbringung gewährleisten, aber vor allen Dingen, liebe Frau Bluhm, den Städten und Kommunen, die unter einem enormen Druck stehen, neue Handlungsspielräume eröffnen. Die Städte brauchen schnelle Hilfe, und das gewährleistet heute der Deutsche Bundestag. ({0}) Das Gesetz, das wir heute beraten, geht auf eine Bundesratsinitiative Hamburgs zurück. Meine Damen und Herren, das ist keine große Überraschung; denn gerade die großen Städte, die Ballungsgebiete sind in besonderem Maße von den hohen Flüchtlingszahlen betroffen. Schauen wir uns die Zahlen an: Allein von Januar bis September 2014 haben rund 136 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Das bedeutet eine Steigerung um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Insgesamt erwarten wir in diesem Jahr in Deutschland 250 000 Asylbewerber. Meine Damen und Herren, dieser enorme Zustrom von hilfebedürftigen Menschen stellt unser Land vor große Herausforderungen und erfordert daher eine nationale Kraftanstrengung. Das betrifft zunächst vor allem die Unterbringung der Flüchtlinge in den Städten und Gemeinden. Die Bundesministerin hat es gesagt: Uns geht es in der Tat darum, schnell für Unterbringungsmöglichkeiten zu sorgen, aber auch darum, angemessene und würdige Unterbringungsformen für diese Menschen zu finden. Meine Damen und Herren, mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, versetzen wir Kommunen in die Lage, zeitnah und rechtssicher Unterkünfte für die Flüchtlinge zu schaffen. Gerade für Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt, liebe Frau Bluhm, ist das eine ganz wichtige Erleichterung. Damit zeigt auch der Bund, dass er seiner Verantwortung für eine würdige Unterbringung aller Schutzsuchenden nachkommt und die Städte und Gemeinden eben nicht im Stich lässt. ({1}) Aufgrund der hohen Fallzahlen geben wir den Städten und Gemeinden neue Handlungsmöglichkeiten an die Hand. So ermöglichen wir es den Kommunen, von bestimmten Festsetzungen des Bebauungsplans abweichen zu können. Außerdem können Flüchtlingsunterkünfte befristet auch dann im Innenbereich zugelassen werden, wenn sie sich nicht in die nähere Umgebung einfügen. Darüber hinaus wird die Unterbringung von Flüchtlingen befristet - ja, Frau Bluhm - auch in Gewerbegebieten und auf Flächen gestattet werden, die unmittelbar an einen bebauten Ortsteil anschließen. Dabei ist uns aber klar, dass Gewerbegebiete oder der Außenbereich immer nur die Ultima Ratio sein können. ({2}) Meine Damen und Herren, ich will das in aller Form klarstellen: Uns geht es wahrlich nicht darum, Flüchtlinge in Gewerbegebiete oder in die Außenbereiche von Siedlungen zu drängen. Es geht darum, Städten und Gemeinden schnell zu helfen, damit wir würdige und angemessene Unterbringungsräume schaffen. ({3}) In der Tat, Frau Bluhm: Das Gesetz löst nicht alle Probleme und begegnet nicht allen Herausforderungen, die wir bei dieser Thematik haben, aber es ist ein ganz wichtiger Baustein. Frau Bluhm, nun haben Sie leider nicht gesagt, was Sie eigentlich wollen. ({4}) Sie haben in Ihrem Antrag von Wohnungsunterbringung geschrieben. Ich frage mich, wie Sie das hinbekommen wollen. ({5}) Wir diskutieren oft im Deutschen Bundestag über die angespannte Situation des Wohnungsmarktes. ({6}) Wir machen uns Gedanken, wie wir bezahlbaren Wohnraum schaffen und wie wir es hinbekommen, neue Wohnungen zu bauen. Wir haben in vielen Städten Vollauslastung bei den Mietwohnungen. In Berlin haben wir eine Leerstandsquote von 2 Prozent. Das ist gleich null. Wo wollen Sie denn hier noch Flüchtlinge unterbringen, Frau Bluhm? ({7}) Sie bieten Lösungen an, die nicht kurzfristig helfen. Aber unsere Städte und Gemeinden brauchen kurzfristige Lösungen; denn die Menschen kommen jetzt zu uns. Sie sind jetzt da und wollen jetzt angemessen und würdig untergebracht werden, Frau Bluhm, nicht erst in zwei oder drei Jahren. ({8}) Meine Damen und Herren, wir müssen die Städte und Gemeinden noch weiter unterstützen. Wir haben hierfür Programme. Dazu gibt es eine Diskussion in der Koalition; das will ich gern noch einmal sagen. Wir sollten auch weitere Mittel aus dem Programm „Soziale Stadt“ für die Integration von Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Ich denke da an Deutschkurse für Flüchtlinge, an Nachbarschaftstreffen zwischen Flüchtlingen und angestammten Bewohnern. ({9}) Mir geht es bei allen Maßnahmen, die wir hier diskutieren, um die Akzeptanz der Bevölkerung für unser liberales Asylrecht. Auch diese Herausforderung ist in unserem Land nicht zu unterschätzen. ({10}) Meine Damen und Herren, wir sehen auch weitere wichtige Maßnahmen neben der Veränderung des Bauplanungsrechts vor. Ich nenne als Beispiel die Residenzpflicht oder die Neuregelung der sicheren Herkunftsstaaten, die heute in Kraft getreten ist. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die tatsächlich Hilfe brauchen, auch unsere Unterstützung bekommen. Wir müssen diejenigen zielgerichtet unterstützen, die tatsächliche Asylgründe haben. Aber wenn wir hier in Berlin erleben müssen, dass Plätze und Schulen illegal besetzt werden, dann dient das nicht der Akzeptanz unseres Asylrechts. ({11}) Das ist inakzeptabel, und das schadet dem eigentlichen Anliegen der Flüchtlinge. Meine Damen und Herren, ich begrüße ausdrücklich, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr Personal bekommen soll. Wir brauchen schnellere Asylverfahren, und die Flüchtlinge brauchen zeitnah Gewissheit darüber, wie ihr Aufenthaltsstatus ist. Deutschland steht für eine humane Flüchtlingspolitik. Das soll so bleiben. Wir stehen zu unserer Verantwortung. Mit diesem Gesetz beweisen wir, dass der Bund die Städte und Gemeinden bei der Bewältigung dieser Herausforderung nicht alleine lässt. Ich bitte Sie daher alle um Ihre Unterstützung; denn die Flüchtlinge brauchen unsere Hilfe, aber auch die Städte und Gemeinden. Herzlichen Dank. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Christian Kühn hat als Nächster jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Ich bin froh, dass es heute bei uns in Deutschland eine andere Willkommenskultur gibt und dass sich viele Menschen mit hohem Engagement für das Wohl der Flüchtlinge, die im Augenblick zu uns kommen, einsetzen. ({0}) Ich bin dankbar, dass wir, anders als Anfang der 90erJahre, eine andere Stimmung und eine andere Debatte in Deutschland haben. Ich will ganz klar sagen: Das Boot ist nicht voll; das Boot ist niemals voll. ({1}) Heute geht es um Grundrechte von Menschen, denen die Grundrechte in ihren Heimatländern versagt wurden, von Menschen, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, die Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Zerstörung, Tod und Katastrophen am eigenen Leib erlebt haben, von Menschen, die oft traumatisiert zu uns kommen. Diese Menschen brauchen eben nicht nur einfach ein Dach über dem Kopf, sie brauchen eine menschenwürdige Unterbringung, ein soziales Umfeld, das ihnen dabei hilft, ihre Verluste und die dramatischen Erfahrungen zu verarbeiten. Die Unterkunft ist ein zentraler Baustein einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik. Deswegen begrüßen wir es als Grüne, dass in diesem Gesetzentwurf erstmals die Flüchtlingsunterbringung als Allgemeinwohl festgeschrieben wird. Das ist ein großer Schritt. ({2}) Wir Baupolitiker können die Fehler und Versäumnisse der Flüchtlingspolitik der letzten zehn Jahre nicht mit einer Änderung des BauGB reparieren. Wir müssen aber beim Thema Unterbringung immer die Menschenwürde der Flüchtlinge im Blick behalten. ({3}) Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin skeptisch, ob Gewerbegebiete die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung erfüllen. Hier müssen wir alle genau hinschauen; das hat die Anhörung im Bauausschuss ganz klar gezeigt. ({4}) Die Unterbringung in Gewerbegebieten darf es - das ist meine Überzeugung - nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen, ({5}) nur als Notlösung und nur als reine Übergangslösung geben, also als Ultima Ratio. ({6}) Das steht leider nicht in dem vorliegenden Gesetzentwurf drin. Es ist nicht konditioniert. Das ist letztlich auch der Grund, warum wir uns heute enthalten. ({7}) Die Kommunen befinden sich in einer Notsituation. Ich verstehe nicht, warum man jetzt nur am BauGB Änderungen vornimmt. Frau Hendricks hat in ihrer Rede darauf hingewiesen, dass man Kommunen nun unterstützen muss, wo es geht. Ich finde, dass diese Bundesregierung die Kommunen eben nicht unterstützt, wo es geht. ({8}) Erstens. Organisieren Sie mit den Kommunen einen Flüchtlingsgipfel, wie wir das in Baden-Württemberg und auch in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit den Sozialdemokraten mit großem Erfolg getan haben. Man braucht einen Flüchtlingsgipfel auch auf nationaler Christian Kühn ({9}) Ebene, um klarzumachen, dass wir heute einen Rahmen brauchen, der Flüchtlinge nicht mehr rechtlich ausgrenzt und Kommunen wirklich hilft. Greifen Sie den Kommunen bei der Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge endlich unter die Arme. ({10}) Zweitens. Sorgen Sie endlich dafür, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Kommunen Liegenschaften für die Flüchtlinge zu fairen Bedingungen überlässt. ({11}) Es kann doch nicht sein, dass die BImA sich in dieser Situation - und das meine ich wirklich ernst - eine goldene Nase an der Notlage der Kommunen verdient. ({12}) Die Kommunen werden nicht unterstützt, sondern abgezockt. Das muss beendet werden. Sie müssen die Politik der BImA dringend ändern. ({13}) Drittens. Legen Sie ein Bauprogramm für eine verbesserte dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Wohngebieten auf. Das wäre eine schnelle Hilfe für die Kommunen; denn sie müssen die Liegenschaften jetzt anmieten oder erwerben und herrichten. Die Kommunen brauchen jetzt die Unterstützung bei den Baumitteln. Gerade die Kommunen in Haushaltsnotlagen brauchen Unterstützung, da die Kommunalaufsicht die benötigten Kredite nicht genehmigt. Der Bund muss diesen Kommunen mit einem Bauprogramm unter die Arme greifen. Sie von der Großen Koalition sagen bei fast jeder wohnungspolitischen Debatte, dass nur Bauen, Bauen, Bauen hilft. Halten Sie sich an Ihre eigenen Worte! ({14}) Zum Schluss. In der Debatte, die wir über das BauGB geführt haben, stellen wir eigentlich immer noch die falsche Frage, nämlich: Wie können wir Flüchtlinge auf Zeit unterbringen? Dabei werden 30 bis 60 Prozent der Asylsuchenden - je nachdem, welchen Experten man fragt -, die heute zu uns kommen, dauerhaft in Deutschland bleiben. Wir müssen uns deshalb endlich die Frage stellen: Wie können wir diese Menschen ab dem ersten Tag optimal integrieren und unterstützen, damit sie gut in unserer Gesellschaft ankommen, damit wir ihnen, da sie ihre alte Heimat gerade verloren haben, eine neue Heimat geben können? ({15}) Diese Frage müssen wir uns als Allererstes stellen. Danke. ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt als Mitglied des Bundesrates Senatorin Jutta Blankau-Rosenfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung der Freien und Hansestadt Hamburg. ({0})

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Steigerung der Flüchtlingszahlen stellt die Länder und viele deutsche Städte, auch Hamburg, und Gemeinden vor große Herausforderungen. Seit 2011 steigen die Flüchtlingszahlen wieder an. Für 2015 ist mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen zu rechnen. Bezogen auf Hamburg bedeutet das beispielsweise: 2011 kamen circa 2 000 Flüchtlinge nach Hamburg, 2014 werden es ungefähr 5 200 Flüchtlinge sein. Hinzu kommen rund 1 000 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Insgesamt sind das geschätzt 6 200 Flüchtlinge in diesem Jahr, für die wir geeignete, menschenwürdige Unterkünfte schaffen müssen. ({0}) Insbesondere in den Ballungsräumen in Deutschland ziehen Menschen zu. Diese Entwicklung ist völlig unabhängig davon, ob Flüchtlinge in die Städte kommen. Das spiegelt sich in einer riesigen Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum wider. Uns fehlt es in Hamburg an bezahlbarem Wohnraum. ({1}) Vor dem Hintergrund wachsender Bevölkerungszahlen hat Hamburg frühzeitig und erfolgreich die Weichen für mehr Wohnungsneubau gestellt. Der soziale Wohnungsbau ist uns dabei besonders wichtig. Unser 2011 geschlossenes Bündnis für das Wohnen in Hamburg mit den wohnungswirtschaftlichen Verbänden und den Mietervereinen ist Vorbild für das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen auf Bundesebene gewesen. Wir haben mittlerweile die Baugenehmigungs- und Fertigstellungszahlen maßgeblich steigern können, um der anhaltend hohen Nachfrage gerecht zu werden. Dafür nutzen wir die knappen Flächenpotenziale, die sich in einem dichtbesiedelten Ballungsraum wie Hamburg bieten. Wie viele andere Kommunen haben wir schnell auf den Zustrom von Flüchtlingen reagiert und nutzen jede kurzfristig verfügbare und geeignete Fläche sowie bestehende Gebäude, um dort Unterkünfte zu schaffen, die den Bedürfnissen der bei uns Schutz und Hilfe suchenden Menschen, häufig Familien mit Kindern, gerecht werden. Aber wir stoßen an Grenzen. Geeignete GrundSenatorin Jutta Blankau-Rosenfeldt ({2}) stücke lassen sich in Ballungsräumen nicht beliebig vermehren, und es wäre falsch, den dringend notwendigen Wohnungsneubau an dieser Stelle auszubremsen. Bei allem Verständnis für die Forderung, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen, weil die Integration so besser gelingt, was stimmt: Wohnungsbau braucht Zeit. ({3}) Aber die Menschen, die zu uns kommen, können nicht warten, bis diese Wohnungen fertig sind oder genügend Wohnungen frei werden. Sie brauchen jetzt geeignete Unterkünfte und keine Zelte. ({4}) Frau Bluhm, ich möchte auf eines hinweisen: Gewerbegebiete sind keine frei schwimmenden Inseln. Es ist gegen uns ein Urteil des Verwaltungsgerichts ergangen - es ging um eine Nachbarschaftsklage -, weil wir in einem Gewerbegebiet, das direkt an ein Wohngebiet angrenzt, Flüchtlinge unterbringen wollten. Das ging nicht. Auch deswegen haben wir die Initiative ergriffen. ({5}) Angesichts dieser Lage besteht ein dringender Bedarf an planungsrechtlichen Erleichterungen, um schneller und rechtssicherer als bisher Unterkünfte für Flüchtlinge schaffen zu können. Deshalb hat der Bundesrat einstimmig auf Initiative der Länder Baden-Württemberg, Bremen und Hamburg diesen Gesetzesantrag auf den Weg gebracht. Das macht einmal mehr deutlich, dass die Schaffung von menschenwürdigen Unterkünften für Flüchtlinge eine bundesweite Herausforderung darstellt, die alle Bundesländer betrifft. ({6}) Auch der Bund sieht sich in der Pflicht. Ich begrüße den im Gesetzgebungsverfahren gemachten Vorschlag der Bundesregierung, den jetzt die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD als Änderungsantrag aus der Mitte des Bundestages aufgegriffen haben. Unter Berücksichtigung der inhaltlichen Ziele des Gesetzesantrags des Bundesrates können die notwendigen Erleichterungen so noch schneller auf den Weg gebracht werden, als dies im Bundesratsentwurf vorgesehen war. Ich freue mich insoweit auch über diese Einigkeit. Der Gesetzentwurf stellt ein ausgewogenes Ergebnis dar. Er ist kein Freifahrtschein für eine wahl- und rücksichtslose Nutzung von Flächen für die Unterbringung von Flüchtlingen, ({7}) sondern schafft die planungsrechtlichen Voraussetzungen, auf prinzipiell dafür geeigneten Flächen im Innenund Außenbereich und in Gewerbegebieten Unterkünfte zu errichten und die Umnutzung von bestehenden Gebäuden - die Linke fordert übrigens immer die Umnutzung von Gewerberäumen und Büroflächen in Hamburg, weil wir ja bezahlbaren Wohnraum brauchen - zu erleichtern. ({8}) Es kommt dabei - auch das betone ich - auf den Einzelfall an. ({9}) Jede Fläche muss daraufhin geprüft werden, ob eine Unterbringung dort möglich und sinnvoll ist. Anbindung an den Nahverkehr, Einkaufsmöglichkeiten, Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene in der Nähe, das findet sich auch auf Flächen, die eigentlich für Gewerbe reserviert sind, insbesondere dann, wenn in der Nachbarschaft schon ein Wohngebiet vorhanden ist. Das wollen wir nutzen können. ({10}) Die Städte und Gemeinden setzen darauf, dass diese Änderungen im Baugesetzbuch schnell wirksam werden. Die Sachverständigenanhörung im zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, in der auch ein Vertreter meiner Behörde angehört worden ist, hat den Bedarf der Kommunen an planungsrechtlichen Erleichterungen noch einmal deutlich gemacht. Ich bin mir sicher, dass dieses Vorhaben auch hier im Deutschen Bundestag eine deutliche Mehrheit finden wird. Vielen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU die Kollegin Dr. Anja Weisgerber. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Weltweit nehmen die kriegerischen Auseinandersetzungen und politische Verfolgung zu. Dadurch kommen immer mehr Menschen in unser Land, die Schutz suchen und denen wir auch Schutz bieten wollen. Wir übernehmen humanitäre Verantwortung für diese Menschen, und das ist auch gut so. Wir haben es aber gerade von der Frau Senatorin gehört: Die Situation stellt uns vor große Herausforderungen, besonders die Kommunen. Unsere Städte, Kreise und Gemeinden leisten hier tagtäglich Außergewöhnliches. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich loben. ({0}) Doch sie stoßen eben vermehrt an ihre Grenzen. Die Zahlen der Asylbewerber steigen stetig. Zum Beispiel sind Anfang Oktober allein an einem Wochenende mehr als 700 Asylbewerber in Bayern angekommen. Das stellt eine Frage immer mehr in den Vordergrund: Wie können wir die Flüchtlinge angemessen unterbringen? Das bestehende Bauplanungsrecht ist momentan zu unflexibel, um kurzfristig auf den Zustrom reagieren zu können. Zudem gibt es immer wieder Klagen gegen Baugenehmigungen für Flüchtlingsunterkünfte. Das führte zu teils sehr zwiespältigen Urteilen. Ich möchte ein Beispiel nennen: In Baden-Württemberg hat ein Nachbar erfolgreich dagegen geklagt, dass in einem leerstehenden Lehrlingswohnheim in einem Gewerbegebiet Flüchtlinge untergebracht werden, mit der Folge, dass die Flüchtlinge aus dem Wohnheim aus- und in einen Container einquartiert werden mussten. Das kann doch nicht sein; das können wir doch nicht wollen. ({1}) Das zeigt, dass wir diese Änderungen im Baurecht brauchen. Mit dem Gesetz schaffen wir genau die nötige Rechtssicherheit, aber auch die nötige Flexibilität, und das ist gut so. Den Antrag der Linken habe ich aufmerksam durchgelesen. Sie fordern darin menschenwürdige Flüchtlingsunterkünfte. Das wollen wir alle. ({2}) Auch wir wollen menschenwürdige Unterkünfte. Auch wir wollen die Flüchtlinge in möglichst vielen dezentralen kleinen Einheiten unterbringen. Aber woher sollen wir diese Einheiten nehmen? Wir stoßen hier einfach an unsere Grenzen. Wir alle kennen die Situation in den Ballungsgebieten. Dort ist Wohnraum ohnehin knapp. Natürlich brauchen wir neuen Wohnraum, und wir müssen den öffentlichen Wohnungsbau stärken. Die Bundesländer müssen im Übrigen die Mittel, die sie dafür vom Bund bekommen, auch dafür verwenden. ({3}) Das müssen wir unbedingt angehen. Aber der notwendige Wohnraum wird eben nicht von heute auf morgen geschaffen. Das braucht Zeit, und diese Zeit haben wir derzeit nicht. Die Initiative Hamburgs im Bundesrat habe ich wie einen Hilferuf wahrgenommen. Wir dürfen die Kommunen in dieser Situation nicht im Stich lassen. Deswegen ist der Gesetzentwurf auch so wichtig. ({4}) Immer wieder wird kritisiert, die Unterbringung von Flüchtlingen in Ortsrand- oder Gewerbegebieten sei menschenunwürdig. Aber ich frage: Ist es denn aus Ihrer Sicht wirklich menschenwürdiger, diese Menschen im Winter, wenn es kalt ist, in Zelten oder Containern unterzubringen? ({5}) Genau das wollen wir eben nicht. Wichtig für die Flüchtlinge ist es doch, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Mit dem Gesetz geben wir den Ländern und den Kommunen ein Instrumentarium an die Hand, um schneller und unkomplizierter Hilfe leisten zu können. Befristet auf fünf Jahre bekommen die Kommunen mehr Handlungsoptionen. Für den Fall, dass die Kommunen die Asylbewerber nicht dezentral im Innenbereich oder im integrierten Wohnbereich unterbringen können, bekommen sie die Möglichkeit, Flüchtlinge in Außenbereichen unterzubringen, wenn diese unmittelbar an die bebaute Ortschaft angrenzen. Unter bestimmten Voraussetzungen - ich betone: unter bestimmten Voraussetzungen - können Unterkünfte in Gewerbegebieten entstehen. Die Unterbringung in Gewerbegebieten ist zudem nur auf Flächen möglich, auf denen bislang schon Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder zulässig sind. Außerdem müssen die Interessen der dort ansässigen Betriebe gewahrt werden, und die Unterbringung muss mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Das heißt, dass in Gebieten mit zu hoher Lärm- oder Geruchsbelästigung ohnehin niemand untergebracht wird. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Diese Voraussetzungen enthält das Gesetz. Ich bin der Meinung, mit diesem Maßnahmenpaket versetzen wir unsere Städte und Gemeinden in die Lage, den Menschen schnellstmöglich zu helfen. Doch - und das möchte ich abschließend noch sagen - das Gesetz ist eben nur ein Baustein zur Entlastung der Kommunen. Die Lösung der Flüchtlingsfrage ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ({6}) an der sich alle, auch unsere europäischen Nachbarn im Übrigen, beteiligen müssen. So ist es ein positives Signal, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verfügbare Immobilien und Freiflächen offensiv als Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte anbietet. ({7}) Aber auch das allein reicht nicht. Die Städte und Gemeinden brauchen mehr Flexibilität. Mit dem Gesetz senden wir heute ein wichtiges Signal an die Kommunen und die schutzbedürftigen Menschen aus, dass die notwendige Flexibilität jetzt geschaffen wird. Deshalb stimmen wir dem Gesetz auch aus Überzeugung zu. Ich fand es bemerkenswert, dass die Grünen gesagt haben, dass sie nicht dagegen stimmen, sondern sich enthalten werden. Ein gewisser Bedarf wird also vielleicht auch bei den Grünen gesehen. Vielen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Nina Warken, CDU/CSU. ({0})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Asylbewerberzahlen in Deutschland - das haben wir bereits gehört - haben in den letzten Jahren rapide zugenommen. 2008 waren es lediglich rund 28 000 Asylanträge. 2013 waren es mehr als 127 000 Asylanträge. In diesem Jahr werden über 230 000 Erstanträge erwartet. Gründe für diese erhebliche und plötzliche Zunahme sind unter anderem der Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien, die akute Bedrohung durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Irak und in Syrien, aber auch die Anziehungswirkung, die von unserem Asylsystem auf Menschen auf dem Balkan, in Afrika und anderen Ländern mit großer Armut ausgeht. Deutschland ist im Vergleich zu allen anderen EUMitgliedstaaten das Land mit den meisten Asylbewerbern und auch das Land, das die meisten Menschen aufnimmt. Dies liegt an den hohen Standards unseres Asylsystems. Das muss man bei der ganzen Kritik, die immer wieder bezüglich der Mindeststandards bei der Unterbringung vorgebracht wird, auch einmal klar betonen. Meine Damen und Herren, besonders betroffen vom rapiden Anstieg der Asylbewerberzahlen sind nun unsere Landkreise und Städte, da sie letztlich für die Unterbringung der Menschen verantwortlich sind. Vielerorts wissen die Kommunen schlicht nicht mehr, wo sie die Menschen unterbringen sollen. Hier brauchen wir eine kurzfristige und möglichst unbürokratische Lösung, die den Kommunen sofort bei der Unterbringung hilft. Es ist deshalb der richtige Weg, dass Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände derzeit gemeinsam darüber beraten, wie wir unsere Kommunen bei den voraussichtlich anhaltend hohen Asylbewerberzahlen entlasten können - natürlich mit der klaren Zielvorgabe einer menschenwürdigen Unterbringung. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Bauplanungsrechts ist eine solche Lösung. Er wird mit der Annahme des Änderungsantrages der Koalition sofort bundesweit wirksam und bedarf keiner Umsetzung mehr durch die Länder. Mit der Gesetzesänderung wird es künftig möglich sein, Asylbewerberunterkünfte auch in Gewerbegebieten einzurichten. Für viele Kommunen mit leerstehenden Gebäuden in Gewerbegebieten ist das eine erhebliche Erleichterung, da diese vergleichsweise schnell und kostengünstig umgewidmet werden können. Das Gleiche gilt für die Unterbringung von Asylbewerbern in ehemaligen Geschäfts-, Büro- oder Verwaltungsgebäuden. Hier reichte in der Vergangenheit häufig die Klage eines einzelnen Anwohners aus, die Kommunen zu zwingen, die Menschen wieder anderswo unterzubringen. Selbstverständlich kann die Unterbringung von Asylbewerbern nur mit der Akzeptanz der Anwohner gelingen; doch gerade angesichts des nahenden Winters kann es nicht sein, dass Asylbewerber bei eisigen Temperaturen in Zelten oder Containern hausen müssen. ({0}) Auch die Möglichkeit, dass Asylbewerberunterkünfte künftig in sogenannten Außenbereichsinseln bzw. im innenbereichsnahen Außenbereich gebaut werden dürfen, ist für viele Kommunen eine erhebliche Erleichterung bei der Schaffung von zusätzlichen Kapazitäten für die Unterbringung. Bei so vielen Vorteilen für die Kommunen tut sich selbst die Linke dabei schwer, den Gesetzentwurf zu kritisieren. Wenn man Ihren auf den letzten Drücker eingebrachten Antrag liest, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, merkt man aber, wie wenig Sie von der Situation in den Kommunen und Landkreisen wissen. Dort weiß man nicht mehr, wo man die Leute unterbringen soll, und Sie reden davon, man solle doch die Asylbewerber ihren Unterbringungsort selbst wählen lassen. Wenn es nach Ihnen geht, dürfen Gemeinschaftsunterkünfte nicht mehr als 50 Personen beherbergen und die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen darf maximal 6 bis 12 Wochen dauern. All das geht doch völlig an der Realität in den Landkreisen und Kommunen vorbei. ({1}) Dort geht es mittlerweile darum, den Leuten überhaupt ein Dach über dem Kopf geben zu können. ({2}) Meine Damen und Herren, als Stadt- und Kreisrätin kann ich Ihnen versichern, dass es unseren Landkreisen und Kommunen fernliegt, Asylbewerber menschenunwürdig unterzubringen. Es geht mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben auch nicht darum, Asylbewerber systematisch und dauerhaft in Gewerbegebiete oder in den Außenbereich abzuschieben; ein Beweis dafür ist doch schon die Befristung des Gesetzes bis zum Jahr 2019. Auch die Kritik bezüglich einer angeblich mangelnden Infrastruktur in diesen Gebieten entspricht nicht der Realität. Die Gewerbegebiete und Außenbereichsinseln, um die es hier geht, liegen oft nahe an Wohngebieten und können häufig sogar zu Fuß durchquert werden. Öffentliche Verkehrsmittel, Zugang zum Gesundheitssystem und zum Bildungssystem sowie sonstige Infrastruktur sind vorhanden. ({3}) Es gibt keinen Grund, der gegen diesen Gesetzentwurf spricht. Lassen Sie uns ihm also zustimmen, um unseren Kommunen damit etwas an die Hand zu geben, mit dem sie unbürokratisch, rechtssicher und in kürzester Zeit dem Anstieg der Asylbewerberzahlen gerecht werden und den Menschen vor dem nahenden Winter ein Dach über dem Kopf bieten können. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kollegin. - Schönen guten Abend von meiner Seite aus. Vizepräsidentin Claudia Roth Ich schließe diese Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3070, den Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 18/2752 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/ CSU- und SPD-Fraktion, Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die vorliegenden Entschließungsanträge, und zwar zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3075. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung der Linken, Ablehnung von CDU/CSU und SPD und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3076. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung von Bündnis 90/ Die Grünen und Ablehnung von CDU/CSU, SPD und Linken. Damit gibt es einen Themenwechsel und in der Regel auch einen Sitzwechsel. Ich wünsche denen, die jetzt gehen, einen schönen Restabend und freue mich, ziemlich zeitnah zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen zu dürfen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland Drucksachen 18/806, 18/2989 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Herbert Behrens für Die Linke. ({1})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Diskussion hier im Bundestag ging heute eine interessante Debatte im nordrhein-westfälischen Landtag voraus. Vielleicht haben Sie Gelegenheit gehabt, sich das anzuhören: Der SPD-Verkehrsminister will keine Murks-Maut, und der CDU-Abgeordnete Klaus Voussem sagt: „Keine Maut wäre sicher die beste Lösung.“ ({0}) Heute können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der CDU, Ihrem Verkehrsminister hier in Berlin ein Stück Orientierung geben. Folgen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen aus Düsseldorf! Verabschieden Sie sich von der Ausländermaut! Stimmen Sie unserem Antrag zu! ({1}) Die Linke fordert den sofortigen Stopp der Pläne für eine Pkw-Maut. Diese Maut ist weder erforderlich noch sinnvoll. Vielleicht war einigen von Ihnen das im März 2014 noch nicht so deutlich wie heute. Darum haben Sie sich zumindest im Ausschuss geweigert, sich inhaltlich mit unserem Antrag auseinanderzusetzen. Nach den vielen Diskussionen, die wir gehabt haben, muss aber heute jedem, der nicht an der Leine des bayerischen Ministerpräsidenten hängt, klar sein: Die Pkw-Maut bringt nicht mehr Geld, aber auf jeden Fall mehr bürokratischen Aufwand. ({2}) Eigentlich sollte hier, wie gesagt, gar keine Diskussion stattfinden. Man hat uns im Ausschuss eine Anhörung dazu verweigert mit dem Hinweis, es gebe irgendwann einen Gesetzentwurf dazu. Nun hat es in der vergangenen Woche zwar einen Gesetzentwurf gegeben. Den kennen wir alle aber gar nicht; denn er war erst einmal nur Gegenstand im Kabinett und geht jetzt in die Ressortabstimmung. Einiges aus diesem Entwurf ist aber bekannt geworden. So heißt es, dass 3,7 Milliarden Euro Einnahmen erwartet würden. Die Pkw-Maut werde zu einer Verkehrsinfrastrukturabgabe, die dann alle deutschen Autofahrer zu zahlen hätten. Das heißt, jeder Kfz-Halter hätte eine Zwangsmaut zu zahlen. Aber 3 Milliarden Euro sollen den deutschen Autofahrern im Rahmen eines Gesetzes, das der Finanzminister erarbeiten muss, zurückerstattet werden; dadurch werden sie entlastet. Aber auch dieser Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Wir haben den Eindruck, dass bei den 700 Millionen Euro Einnahmen, die nur die ausländischen Autofahrer einbringen sollen, ähnlich wie bei anderen Großprojekten Einnahmen hochgerechnet und Ausgaben heruntergerechnet werden. Der ADAC hat nachgefragt, ob dieser Betrag von 700 Millionen Euro, den die Firma AGES - ein Unternehmen, das sich mit Mauteintreiben beschäftigt - ermittelt hat, stimmt. Er hat nachgerechnet und ist auf 262 Millionen Euro gekommen. ({3}) Er hat auch festgestellt, dass der Aufwand wesentlich höher ist als vom Verkehrsminister vorgesehen. Er hat nämlich 357 Millionen Euro, die allein der Aufbau der Kontrollstrukturen kosten wird, gar nicht mit eingerechnet. Das heißt, die Berechnung des Verkehrsministers ist von vorne bis hinten falsch und anzuzweifeln. Das ist ein weiterer Grund, auf die Einführung der Maut zu verzichten. ({4}) Wir können Wetten abschließen, wer zuerst die schwarze Null erreicht: Herr Dobrindt mit seiner PkwMaut oder der Finanzminister bei seinem Haushalt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zwangsmaut ist aus unserer Sicht auch rechtlich nicht zu halten. Wie verhält es sich beispielsweise mit innerorts gelegenen Bundesstraßen? Haben die Städte jetzt Anspruch auf die Einnahmen aus der Maut, die dort zu zahlen wäre, oder ist es zulässig, die Maut nur außerorts einzutreiben? Auch diese Frage ist völlig ungeklärt. Beispielsweise in Berlin und anderen Großstädten gibt es viele Kilometer an innerörtlichen Bundesstraßen. Die Städte müssen dafür aufkommen; aber sie bekommen möglicherweise nichts von den Mauteinnahmen ab. Ist das zulässig? Ich vermute, es wird Klagen geben. Auf Menschen mit Behinderungen, die nur teilweise von der Kfz-Steuer befreit sind, wird auch mit keinem Wort eingegangen. Die, die voll entlastet werden sollen, werden nicht zusätzlich belastet. Das ist einfach umzusetzen. Aber wie mit dem Freibetrag bei nur teilweise Befreiten umgegangen werden soll, auch dazu ist kein Wort zu finden. Die Maut bringt also nicht nur keine zusätzlichen Einnahmen, sondern sie wirft auch erheblich mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Es geht aber nicht um ein Frage-und-Antwort-Spiel. Es geht vielmehr um die politische Entscheidung: Soll es in Deutschland eine PkwMaut geben, ja oder nein? Diese Frage ist zu beantworten. Darum bleibt es dabei: Wir brauchen eine politische Entscheidung gegen die Einführung. Lassen Sie uns die Pkw-Maut jetzt stoppen! Vielleicht trägt der Bundesfinanzminister dazu bei, indem er seinen Gesetzentwurf so lange schiebt, dass es nicht mehr zu einer Pkw-Maut kommen kann. Aber das wäre kein politischer Weg, sondern nur ein Ausweg. Aber den würde ich auch mitgehen. Danke schön. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege Behrens. - Nächster Redner in der Debatte ist Karl Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am kommenden Sonntag vor 25 Jahren, am 9. November 1989, hat die friedliche Revolution vieler Hunderttausend mutiger Menschen in der ehemaligen DDR das SED-Unrechtsregime nach jahrzehntelanger Schreckensherrschaft, Stasiterror und Todesschüssen an der Mauer in sich zusammenbrechen lassen. ({0}) Gott sei Dank! Ich bezeichne es als Wunder, dass dies friedlich möglich war. Die Wiedervereinigung Deutschlands, auf die die Unionsparteien seit Gründung der beiden deutschen Staaten hingewirkt haben, wurde eingeläutet und möglich. Der 9. November 1989 war und ist ein großartiger Tag in der deutschen Geschichte. Heute, 25 Jahre später, müssen wir uns mit einem Antrag der SED-Nachfolgepartei Die Linke beschäftigen, der sinnlos und, wie man bei uns zu Hause sagt, so überflüssig wie ein Kropf ist. ({1}) Die Fraktion Die Linke hat, wie Herr Behrens schon gesagt hat, im März 2014 einen Antrag eingebracht, nach dem der Deutsche Bundestag die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland ablehnen soll. Zudem, so die Forderung der Linken, soll die Bundesregierung alle Planungen für die Einführung einer Pkw-Maut unverzüglich einstellen. Sehr geehrte Damen und Herren, das tun wir natürlich nicht. Die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland war Bestandteil unseres Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2013. Auch dafür haben uns die Menschen gewählt und ihr Vertrauen ausgesprochen. Die Einführung einer Pkw-Maut ist neben vielen anderen guten Dingen Bestandteil des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD. ({2}) Es war also früh absehbar - auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, kennen sicherlich unseren sehr guten Koalitionsvertrag -, dass Verkehrsminister Dobrindt einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen wird. Vor der Sommerpause hat Minister Dobrindt die Eckpunkte zur Einführung einer Pkw-Maut dargelegt und kurz darauf angekündigt, bis Ende Oktober 2014 einen Gesetzentwurf vorzulegen. ({3}) Im Sinne eines geordneten Verfahrens wird nun im Verkehrsausschuss eine Anhörung zur Pkw-Maut durchgeführt; das stand immer fest. Eine Anhörung und eine inhaltliche Diskussion machen aber erst dann Sinn, wenn der Gesetzentwurf vorliegt. Dieser liegt nun vor. Unser Verkehrsminister hat sein Versprechen gehalten. ({4}) Der Gesetzentwurf wurde Ende Oktober vorgelegt, und er ist gut. Versprochen und Wort gehalten! ({5}) Die Große Koalition trägt die Bundesregierung. Wir machen eine erfolgreiche Politik für unser Land und damit für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Beratung der Pkw-Maut kann in Kürze im Deutschen Bundestag beginnen. Alles hat seine Ordnung. Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Unser erklärtes Ziel ist, den hohen Standard des deutschen Infrastrukturnetzes zu erhalten und weiter auszubauen. Nur so können wir den Verkehrszuwachs im Personen- und Güterverkehr bewältigen. Mit der kontinuierlichen Ausweitung der Nutzerfinanzierung erreichen wir eine größere Unabhängigkeit vom Bundeshaushalt. Die Planungssicherheit für die Finanzierung von dringend erforderlichen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen wird mit der Ausweitung der Lkw-Maut, über die wir in den letzten Tagen diskutiert haben, und der Einführung der Infrastrukturabgabe für Pkw gestärkt. Mit dem Gesetzentwurf unseres Verkehrsministers halten wir unser Wahlversprechen ein. Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen haben keine Mehrbelastungen. ({6}) Herr Behrens, Sie haben vorhin gefragt, wer sich traut, mit Ihnen zu wetten. Ich traue mich schon, mit Ihnen darum zu wetten, dass etwas übrig bleibt. Wir können als Wetteinsatz gerne 50 Liter Bier nehmen. Wir legen zudem einen europarechtskonformen Gesetzentwurf vor. Der Bonner Staatsrechtler Professor Christian Hillgruber stellt in seinem Gutachten fest, dass die Infrastrukturabgabe niemanden diskriminiere. Die Kompensation der Infrastrukturabgabe bei der KfzSteuer sei eine legitime Maßnahme. Der Preis für die Pkw-Jahresvignette bestimmt sich nach Hubraum und Umweltfreundlichkeit und wird bei 130 Euro gedeckelt. Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen können wählen zwischen einer Zehntagevignette für 10 Euro, einer Zweimonatsvignette für 22 Euro oder einer Jahresvignette zu den gleichen Bedingungen wie für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge. ({7}) Ich stelle abschließend fest, dass die Linke mit der Beantragung der heutigen Debatte eigentlich nichts anderes als heiße Luft produziert. Diese Debatte ist nicht notwendig. Wir werden den Antrag natürlich ablehnen. Ich freue mich auf die inhaltliche Beratung unseres Gesetzentwurfs in den kommenden Wochen ({8}) und wünsche Ihnen allen gute Fahrt auf deutschen Straßen. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege Holmeier. - Die Wette kommt in das Protokoll. Wenn man aber aus Bayern kommt, sind 50 Liter Bier günstig. Da könnte man schon etwas drauflegen. Ich werde das dann kontrollieren. Gut, die Wette gilt. Nächste Rednerin in der Debatte ist Dr. Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Als ich eben die Rede von Herrn Holmeier gehört habe, habe ich gedacht: Wo bin ich hier eigentlich? - Alles, was er erzählt hat, habe ich hier noch nicht erlebt. Es liegt doch noch gar kein Gesetzentwurf vor. Welche Märchen haben Sie uns aus Bayern wieder erzählt? Das funktioniert doch hinten und vorne nicht. ({0}) Es ist schön, dass auch das Ministerium jetzt vertreten ist, liebe Kollegin Bär. Ihr Minister hat nicht Wort gehalten. Monatelang hat er das Parlament hingehalten. Eine schon vor der Sommerpause von uns im Ausschuss kollegial gemeinschaftlich geplante Anhörung zu Ihrer CSU-Maut wurde im Oktober mir nichts, dir nichts abgeblasen. Der einzige Grund: Ihr lieber Minister Dobrindt hat nicht geliefert, was er versprochen hat. Es gibt auch jetzt noch keinen Gesetzentwurf. Ich darf vermuten, dass dem Minister sehr wohl bekannt ist, was ein Gesetzentwurf ist. ({1}) Das ist nämlich ein Dokument, das dem Bundestag schon zugeleitet sein müsste, zumindest aber dem Bundesrat. Davon habe ich noch lange nichts gesehen. Was bedeutet das? Es kursiert vielleicht nur ein Entwurf im Internet, über den wir hier mutmaßen dürfen. Das ist schlicht unverschämt. ({2}) Der Minister hält sich nicht an seine Versprechen. Statt dem Parlament, dem Gesetzgeber, wirklich etwas vorzulegen, über das wir entscheiden können, gibt er blumige Presseerklärungen alle paar Monate heraus. Das ist eine Missachtung des Parlaments. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns einmal die Details von dem anschauen, was man im Internet findet. Punkt eins: europäisches Recht. ({4}) Dazu gibt es ein Gutachten - man könnte dafür auch einen besonderen Begriff finden -, das man bestellt hat, in dem Sie sich die Vereinbarkeit der Maut mit dem europäischen Recht bescheinigen lassen. Alle anderen Experten kommen zum glatt gegenteiligen Schluss. Mit dem Gefälligkeitsgutachten haben Sie es sogar geschafft, dass Ihnen der Kommissar Kallas auf die Schulter geklopft hat. Der ist aber nicht mehr Kommissar, der ist weg. Ich bin gespannt, was das insgesamt dann wirklich wert ist; denn seit einer Woche haben wir eine neue Kommissarin, und die fühlt sich nicht an die Aussagen ihres Vorgängers gebunden, wie sie heute noch einmal ganz deutlich per Agenturmeldung hat mitteilen lassen. Ich sage: Auch jetzt diskriminiert Ihre CSU-Maut die EU-Ausländer. Sie ist und bleibt ein mittelalterlicher Wegezoll, der überhaupt nicht zum europäischen Gedanken passt. ({5}) Punkt zwei: die elektronische Vignette, wie wir letzte Woche dem Internet entnehmen konnten. Damit keine Bildchen an jeder Autoscheibe kleben, geben Sie sich ganz modern. - Da war doch einmal etwas: Minister für Modernität oder irgendetwas anderes. - Es müssen nur alle Fahrzeuge fotografiert werden. Das ist wie bei der Lkw-Maut, hat aber einen kleinen Haken. Die Daten werden bei den Pkw nämlich nicht sofort gelöscht. Sie sollen bis zu 13 Monate aufbewahrt werden. Damit werden Bewegungsprofile aller Autofahrer zentral erfasst. ({6}) Die lieben Kollegen vom BKA rufen schon nach den Daten zur Verbrechensbekämpfung. ({7}) Davor kann ich nur warnen. ({8}) Wenn Sie schon nicht die Finger von der unseligen Maut lassen können, dann korrigieren Sie wenigstens diese Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür. Aber die Vorratsdatenspeicherung ist ja eine CSU-Nummer. Punkt drei: Ihre Einnahmen. Aus den vollmundigen Ankündigungen ist nichts geworden. Stattdessen wurde es mit jeder Ankündigung weniger. 2013 wurden noch 900 Millionen Euro Einnahmen geschätzt, im Juli dieses Jahres hat der Minister von nur noch 600 Millionen Euro gesprochen. Inzwischen kommt er selbst durcheinander. Er sprach letzte Woche von deutlich mehr als 300 Millionen Euro, dann wieder von einer halben Milliarde Euro. Ja was denn nun? Sie wissen es offensichtlich selbst nicht im Ministerium. Vielleicht sind Ihnen auch ein paar Zahlen durcheinandergekommen. Das kann schon einmal passieren, wenn man Wohltaten für Bayern und die Republik durcheinanderbringt; denn das Verkehrsministerium arbeitet nicht nur an der CSU-Maut. Lassen Sie mich ein Beispiel aufzeigen. Im Sommer wurden fleißig Geschenke verteilt. Dabei hat der Minister natürlich auch an sich und seinen Wahlkreis gedacht. ({9}) Dort, in Oberau, soll die teuerste Ortsumgehung Bayerns gebaut werden. Zusammen mit drei geplanten Tunneln kostet das Ganze eine halbe Milliarde Euro, genauso viel, wie die CSU-Maut einbringen soll. ({10}) Wir werden genau hinsehen müssen, wohin das Geld am Ende geht.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin, ich komme jetzt zum Ende. Es bleibt festzuhalten: Die CSU-Maut ist untauglich und bürokratisch. Sie wird keines, aber auch wirklich keines unserer Probleme lösen, sondern viele neue schaffen. ({0}) Wer mit dummen Ideen ein Gesetz machen will, kann auch nur ein dummes Gesetz bekommen. Also, lassen Sie die Finger davon. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in dieser Debatte ist Sebastian Hartmann für die SPDFraktion. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wartet man darauf, was die Opposition sagt, bereitet sich vor und ist richtig gespannt. Und was passiert? Sie kritisieren, dass es nichts gibt und dass der Minister angeblich nichts vorgelegt hat. Dann reden Sie über das, was es nicht gibt - Frau Wilms sagt, dass es das nicht gibt -, und Sie arbeiten sich an irgendetwas ab, was es angeblich nicht gibt. Dabei profitiert Ihr Antrag, der sich eigentlich auf die Geschäftsordnung bezieht, lieber Kollege Behrens, ganz erheblich davon, dass der Minister Wort gehalten hat. ({0}) Sonst könnten Sie sich doch an keinem einzigen Vorschlag abarbeiten. Es ist eben ein Vorteil der deutschen Infrastruktur, dass es auch eine digitale Infrastruktur gibt und dass man im Internet manches Wichtige nachlesen kann, an dem Sie sich abarbeiten wollen. Der umgekehrte Fall: Wenn Sie kritisieren wollten, dass der Minister eben keinen Gesetzentwurf in dem 31 Tage zählenden Oktober vorgelegt hätte, worüber hätten Sie denn heute geredet? ({1}) Was wollen Sie denn? Sie wollen, dass die Pkw-Maut nicht kommt. Dann könnten Sie einfach einen Schlussstrich ziehen, und damit wäre die Debatte beendet. Dennoch arbeiten Sie sich an dem ab, was wir hier vielleicht zur Diskussion bekommen. ({2}) Es spricht doch für eine gute parlamentarische Debatte, dass man einen entsprechenden Vorschlag bekommt, dass man sich diesen Vorschlag anschaut und ihn da, wo er noch nicht so gut ist, besser macht. Dafür wird es ein geordnetes Verfahren geben. Dazu wird es eine Sachverständigenanhörung geben. Dann wird man das eine oder andere Gutachten, ob jetzt bestellt oder nicht, vielleicht um ein noch besseres Gutachten ergänzen. ({3}) Dann wird man sehen: Gilt der Koalitionsvertrag oder nicht? Das wird die Maßgabe der SPD, der CDU und der CSU sein. ({4}) Es ist ein offenes Geheimnis: Es gibt zwei große Parteien. Wenn sie die absolute Mehrheit verpassen - die eine deutlich, die andere knapp -, dann gibt es immer das Problem, dass man einen Kompromiss in der Sache schließen muss. Ja, wir haben es geschafft, den Mindestlohn und die Rente mit 63 durchzusetzen. Andere wollen vielleicht eine Infrastrukturabgabe für die deutsche Infrastruktur organisieren. Ja, das ist so, und das hat man in den Koalitionsvertrag geschrieben. Der Koalitionsvertrag wird auch die Maßgabe für das Infrastrukturabgabegesetz sein, das der Minister in einem ersten Referentenentwurf seinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett zugeleitet hat. Wenn sie darauf reagiert haben, dann wird es diesen Gesetzentwurf geben. Ich erinnere einmal daran, dass es für ein solches Gesetz ein paar klare Kriterien gibt. Über die werden wir reden, und die werden wir in der parlamentarischen Debatte genau abarbeiten. Wir als SPD und die andere tragende Fraktion werden streng darauf achten, dass diese Kriterien nicht unterlaufen werden; das garantiere ich Ihnen. ({5}) Ich lese Ihnen etwas vor, damit hier im Parlament keine Nebelkerzen gezündet werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den 9. November - vielen Dank für die Ausführungen dazu -; es ist ein besonderes Datum in unserer Geschichte. Ich möchte mich diesen Ausführungen natürlich anschließen, Herr Kollege Holmeier, auch wenn ich zunächst mit dem von der Geschäftsordnung vorgesehenen Bericht gerechnet habe und dann einen ganz anderen Einstieg vernehmen konnte. Ich zitiere: Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw erheben ({6}) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute. Die Ausgestaltung wird EU-rechtskonform erfolgen. Am 7. Juli 2014 wurde ein Konzept vorgestellt, und daran wurde gearbeitet. Wenn man die öffentliche Debatte verfolgt, stellt man fest: Aus einem Konzept wurde ein etwas verschärftes Konzept. Es wurde noch einmal nachgedacht, ob man die eine oder andere Straße in das Konzept hineinnimmt, und dann kam es zu dem Vorschlag, dass man sich vor allen Dingen auf die Bundesfernstraßen konzentriert; denn wir wollen ja nicht die Grenzregionen abhängen. ({7}) Das wollen wir nicht, und das werden wir auch nicht tun. Darauf können Sie sich verlassen. ({8}) - Genau, der kleine Grenzverkehr wird ein großes Plus werden. Kriterium für die Ausgestaltung dieses Gesetzes ist nicht nur, dass es EU-rechtskonform sein muss und dass Pkw-Halter in Deutschland nicht zusätzlich belastet werden. Es gibt ein konkludentes Kriterium. Der Kollege Wittke aus Nordrhein-Westfalen, aus meinem Heimatland, hat das so schön formuliert: Vernünftig muss die Regelung schon sein. Vernünftig heißt: Der Aufwand muss deutlich geringer sein als der Nettoertrag. ({9}) Beides muss in einem vernünftigen Verhältnis stehen … ({10}) Kollege Wittke, Sie haben 10 Prozent als Messlatte benannt. Das ist doch gut. ({11}) Mehr wollen wir doch nicht. Die Lkw-Maut ist die Messlatte, an der wir das messen werden. Ich mache Ihnen jetzt zwei Rechnungen auf, und diese Rechnungen werden die gesamte Mautdebatte der folgenden Monate bestimmen: 3,7 Milliarden Euro Einnahmen stehen nur 200 Millionen Euro Erhebungsaufwand gegenüber; das sind sagenhafte 5,4 Prozent. Wenn Sie es negativ rechnen, dann stehen 700 Millionen Euro Einnahmen 200 Millionen Euro Aufwand gegenüber; das sind 30 Prozent. So viel Rechnen muss sein. Daran werden wir arbeiten; denn das beste und effizienteste System wird unsere Maßgabe sein. Alle diejenigen, die das kritisieren, muss man fragen, ob 500 Millionen Euro für die deutsche Infrastruktur zu wenig sind, um sich auf den Weg zu machen. ({12}) Da wird die Frage sein, ob Sie den notwendigen Infrastrukturbeitrag anders darstellen können, ohne deutsche Autofahrerinnen und Autofahrer zusätzlich zu belasten. Wir werden in der Debatte sehr vernünftig darauf zu achten haben, dass wir uns genau an diesen Maßgaben orientieren. Zu guter Letzt. Es ist als Teil einer modernen Infrastrukturfinanzierung über eine Nutzerfinanzierung nachzudenken. Wenn Sie eine noch weiter gehende Maut auf allen Straßen - Kommunal-, Bundes- und Landesstraßen - nach Uhrzeit, nach Tageszeit getrennt, wollen, dann dürfen Sie sich im Plenum nicht darüber beschweren, wenn der Minister liefert und wir Ihnen zusagen, dass wir ein vernünftiges Gesetzgebungsverfahren durchführen, um den Koalitionsvertrag so umzusetzen, wie wir ihn vereinbart haben. Nicht mehr und nicht weniger werden wir tun. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege Hartmann. - Nächster Redner in der Debatte: Steffen Bilger für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, dass wir uns in der Unionsfraktion eigentlich auf die Mautdebatten in dieser Woche gefreut haben und ein bisschen spekuliert haben: Wird denn die Opposition eine Aktuelle Stunde dazu beantragen? ({0}) - Zumindest kann ich das für den Unionsteil der Koalition sagen. - Aber sie hat uns enttäuscht. Jetzt diskutieren wir zumindest in dieser Debatte über die Pkw-Maut. Aber das zeigt vielleicht auch, dass die Luft schon ein Stück weit raus ist, weil Erwartungen der Pkw-MautGegner nicht erfüllt wurden. Nach allem, was in den letzten Monaten gesagt wurde - „nicht europarechtskonform“, „Quadratur des Kreises, die nicht funktionieren wird“ -, zeigt sich, dass es anders aussieht und dass wir ein vernünftiges Gesetz beschließen können, um die Pkw-Maut in Deutschland einzuführen. Liebe Frau Kollegin Wilms, ich finde es dann auch nicht angemessen, von dummen Ideen und dummen Gesetzen zu sprechen. Wir machen eine vernünftige Lösung, die auch den Rückhalt in der Bevölkerung hat. ({1}) Den Linken will ich herzlich danken für den Antrag und damit auch für die Gelegenheit, jetzt über den Gesetzentwurf, den wir alle offensichtlich kennen, zu diskutieren und uns darüber hier im Plenum auseinanderzusetzen. Ich will mich auch auf Ihren konkreten Antrag beziehen; denn Sie stimmen in diesem Antrag beispielsweise in den Chor der Kritiker ein, die sagen: Was soll das denn mit der Pkw-Maut? Man sollte lieber die LkwMaut erhöhen. - In der Debatte darf man nicht vergessen: Das machen wir schließlich. Die Lkw-Maut - das sage ich für alle, die das noch nicht mitbekommen haben - wird ausgeweitet. ({2}) Man kann es gar nicht oft genug sagen: Wir gehen die Lücken in der Infrastrukturfinanzierung konsequent an. Dem Bund fehlen laut den verschiedenen Expertenkommissionen rund 4 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Problem werden wir lösen; so ist es in der Großen Koalition vereinbart. Das heißt: mehr Haushaltsmittel, 5 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode, geplant ab 2018 stetig 1,8 Milliarden Euro pro Jahr mehr aus dem Haushalt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Wilms?

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ausgesprochen gern. ({0}) - Das ist die Wahrheit. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte schön.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Bilger, ich habe hier gerade eine Agenturmeldung, eine Meldung von AFP. Darin steht ganz deutlich: Die von Herrn Dobrindt geplante Pkw-Maut stößt in der Bevölkerung „überwiegend auf Ablehnung“. Wie passt denn das mit den Aussagen zusammen, die Sie eben getroffen haben? - Laut dieser Agenturmeldung sprechen sich 54 Prozent der Befragten gegen die Einführung einer PkwMaut auf den Autobahnen aus.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gibt ja im Laufe einer solchen Debatte viele Erhebungen. Als die Diskussion über die Pkw-Maut begonnen hat, lag die Unterstützung in der Bevölkerung für unser Gesetzesvorhaben bei 80 Prozent. Es mag sein, dass durch diese Diskussion die Zustimmung etwas gesunken ist. Aber ich bin mir sicher, wenn wir uns in einem halben Jahr wieder darüber unterhalten, wird die Zustimmung wieder deutlich gestiegen sein. Wir haben auf jeden Fall dauerhaft eine Unterstützung in der Bevölkerung für das Vorhaben der Pkw-Maut. Das kann ich Ihnen insbesondere als Baden-Württemberger sagen. ({0}) - Nun, lieber Herr Kollege Gastel, auch die Grünen in Baden-Württemberg haben sich immer mal wieder für Nutzerfinanzierung ausgesprochen, im Übrigen verbunden mit einem noch erheblicheren Aufwand - wenn wir schon über Datenschutz sprechen -, mit streckengenauer Abrechnung usw. Da sollten wir, glaube ich, bei der Wahrheit bleiben. ({1}) Zurück zu den Zahlen und zu unserem Vorhaben, die Infrastruktur in Deutschland vernünftig auszufinanzieren: Es geht, wie gesagt, um mehr Haushaltsmittel. Es geht aber auch um die Ausweitung der Lkw-Maut. Bisher stehen uns rund 4,4 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung. Die Lkw-Maut wird auf die 7,5-Tonner ausgeweitet. Das bringt rund 300 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr ab 2016. Wir werden die Lkw-Maut auf vierspurige Bundesstraßen - das sind weitere 1 100 Kilometer - ausweiten. Das bringt 80 Millionen Euro ab 2015. Schließlich werden wir sie ab 2018 auf alle Bundesstraßen ausweiten. Das wird etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Die Verkehrspolitiker kennen alle Schwierigkeiten, die es bei der Umsetzung einer Ausweitung einer LkwMaut geben kann. Ich will aber noch etwas dazu sagen, weil wir oft gefragt werden, warum das alles so lange dauert, warum das nicht schneller geht. Wir machen es so schnell wie möglich, aber es dauert einfach, bis ausgeschrieben ist, bis die Systeme errichtet sind. Die Lkw-Maut wird so schnell wie möglich - wie ich es eben dargestellt habe - ausgeweitet. Dann kommt noch die Pkw-Maut mit Einnahmen von rund 500 Millionen Euro im Jahr dazu. Wenn man das alles zusammenrechnet - die 1,8 Milliarden Euro aus dem Haushalt, die zusätzlichen 2 Milliarden aus der Lkw-Maut, die 500 Millionen Euro aus der Pkw-Maut -, dann sind das mehr als 4 Milliarden Euro pro Jahr für die Infrastruktur. Damit schließen wir die vorhin erwähnte, bisher bestehende Lücke. Deshalb, meine Damen und Herren: Nach Jahren des Redens über die mangelnde Finanzierung der Infrastruktur kann ich feststellen: Wir reden nicht nur, sondern wir handeln auch. Wir packen die Probleme, die sich bisher bei der Infrastrukturfinanzierung stellen, an. ({2}) In Ihrem Antrag äußern Sie größtes Verständnis für die ausländischen Fahrzeughalter. Sie schreiben: Ausländische Pkw zahlen in Deutschland etwa das Doppelte an Mineralölsteuer, als ihnen an Wegekosten zugerechnet werden kann. ({3}) Ich muss sagen: Es ist ja schön, dass Sie so viel Verständnis für die ausländischen Pkw-Fahrer haben. Aber, mit Verlaub, wen interessiert denn diese Frage in Österreich, in Frankreich oder in der Schweiz? Es ist eben doch auch eine Frage der Gerechtigkeit. Und wir beenden jetzt die Benachteiligung der deutschen Autofahrer, die lange Jahre bestanden hat. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Der Kollege Behrens von der Fraktion Die Linke möchte Ihnen auch eine Zwischenfrage stellen.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So viele Zwischenfragen hatte ich noch nie.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Bilger, Sie haben gesagt, in Österreich gebe es ein vergleichbares System der MautHerbert Behrens erhebung, über das Ausländer an der Finanzierung der Straßen beteiligt werden. Ist neben Österreich noch ein anderes europäisches Land genau in dieser Weise am Start, wie es der Verkehrsminister Dobrindt versucht, der die deutschen Autofahrer nicht über das hinaus belasten will, was sie schon jetzt beitragen, sondern nur die ausländischen Fahrer belasten will? Gibt es ein vergleichbares Modell, das mir bislang verborgen geblieben ist?

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihr Vergleich hinkt. Denn man muss ja sehen, dass die österreichischen Autofahrer zwar natürlich auch in ihr Mautsystem einzahlen, aber dadurch eine Entlastung des österreichischen Steuerzahlers gegeben ist. Allein deswegen kann man nicht konstruieren, dass hier eine Diskriminierung von Haltern ausländischer Fahrzeuge stattfinden würde. Wir haben bisher eine Benachteiligung der deutschen Autofahrer; denn sie müssen in fast allen Nachbarländern bezahlen. Diese Benachteiligung werden wir jetzt mit der Pkw-Maut beenden. Ich will noch ein anderes Thema Ihres Antrags beleuchten. ({0}) Denn Sie sagen ja oft, sie würden dafür stehen, dass den Menschen mit geringerem Einkommen Unterstützung zukommt. Das stellen Sie oft in den Mittelpunkt Ihrer Politik. In Ihrem Antrag schlagen Sie jetzt aber vor, eine Busmaut einzuführen. ({1}) Wir erinnern uns ja alle noch, dass wir uns bei der Reform des Personenbeförderungsgesetzes bewusst entschieden haben, keine Busmaut einzuführen, weil wir in Zeiten von teurer Mobilität mit dem Auto, der Luftverkehrsabgabe und von nicht ganz billigen Zugtickets eine kostengünstige Alternative bieten wollen. Deswegen haben wir mit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs eine Alternative geschaffen. Ich glaube, an einem Tag wie heute kann man nur sagen, dass wir froh sein können über dieses Erfolgsmodell Fernbusse, das eine gute und vor allem eine kostengünstige Alternative darstellt. Insofern kann ich nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet die Linken sich jetzt für eine Busmaut aussprechen, die dazu führen würde, dass die Fernbustickets teuer würden. ({2}) Der Fernbus ist eine hervorragende Ergänzung der Mobilitätsangebote, die wir haben. Er ist insbesondere für junge Menschen und für Menschen mit einem geringen Einkommen eine sehr gute Alternative. Vor diesem Hintergrund halte ich Ihre Pläne für falsch. Ihr Antrag ist zugegebenermaßen ja schon vor einigen Monaten gestellt worden, aber ich kann heute feststellen, dass Ihre Befürchtungen allesamt nicht eingetreten sind. Im Gegensatz zu den Ausführungen in Ihrem Antrag ist die vorgeschlagene Mautregelung europarechtskonform. Sie entspricht den Vorgaben, auf die wir uns im Koalitionsvertrag verständigt haben. Eines will ich auch noch einmal abschließend betonen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber bitte abschließend.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wirklich abschließend. - Alle, die sagen: „Das sind ja nur 500 Millionen Euro“, sollten sich einmal in Erinnerung rufen, wie wir im Verkehrsausschuss oder in anderen Ausschüssen des Deutschen Bundestages um wenige Millionen streiten. 500 Millionen Euro sind ein wesentlicher Beitrag, um bei der Infrastruktur in Deutschland voranzukommen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege Bilger. - Ich dränge, weil wir heute noch eine sehr lange Tagesordnung haben. Nächste Rednerin in der Debatte: Kirsten Lühmann für die SPD. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Linke hat beantragt, dass wir heute eine Debatte führen, um den Deutschen Bundestag über den Stand der Beratungen zu ihrem Antrag zur Maut zu informieren. Herr Behrens, genau darum geht es und nicht um den Inhalt Ihres Antrages. Diesen haben wir schon in erster Lesung beraten und werden ihn später noch behandeln. Ich übernehme es sehr gerne, die anwesenden Kolleginnen und Kollegen, die nicht Mitglied im Verkehrsausschuss sind, darüber zu informieren, was wir zu diesem Antrag schon alles gemacht haben. Wir haben uns nämlich zusammengesetzt und besprochen, dass wir eine Sachverständigenanhörung zur Pkw-Maut machen wollen. ({0}) Der Sinn dieser Anhörung ist, die Frage „Maut oder nicht Maut?“ zu klären. Wenn ich aber solch eine Frage stelle und die Sachverständigen sie sinnvoll erörtern sollen, dann muss ich auch eine Alternative haben. Das heißt, ich brauche einen Gesetzentwurf, der den Sachverständigen vorliegt und der etwas darüber aussagt, wie eine Mautregelung aussehen könnte. Erst wenn ich beides habe, kann ich vernünftig entscheiden, ob eine PkwMaut Sinn macht oder ob sie keinen Sinn macht. Diese Entscheidung, dass wir das zusammen beschließen wollen und dass wir zusammen die Anhörung machen wol5906 len, haben wir einvernehmlich getroffen, weil es richtig ist. ({1}) Dass nun die Vorlage des Gesetzentwurfs nicht so zeitig erfolgte, wie wir es geplant haben, mag man bedauern, ist aber eigentlich für den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens nicht besonders schlimm. Leider bestand darüber nach der Verlegung der Anhörung im Ausschuss kein Konsens mehr. Wir sagen aber immer noch: Ja, natürlich werden wir Ihren Antrag debattieren, und wir werden Ihren Vorschlag zusammen mit dem Vorschlag des Ministers in einer Anhörung und dann in einer gemeinsamen Debatte hier im Hohen Hause behandeln, weil es einfach sinnvoll ist, das so zu machen, Kollege Behrens. Die Anhörung ist auch deshalb für die SPD so wichtig, weil wir den Sachverständigen einige Fragen vorlegen wollen. Kollege Sebastian Hartmann hat das eine oder andere angesprochen. Mir ist auch noch etwas anderes wichtig: Ich bekomme im Moment sehr viele Briefe. Auch in den Bürgersprechstunden kommen die Menschen zu mir und sagen: Wir glauben euch das nicht so recht mit eurem Koalitionsvertrag. Ihr werdet dieses Mautgesetz beschließen, aber die Entlastung über die Kfz-Steuer wird dann nicht kommen. ({2}) Darum ist es für die Glaubwürdigkeit in diesem Hause und auch für die Glaubwürdigkeit unserer Politik ganz wichtig - weil wir Wort halten -, dass wir beides zusammen beschließen: zum einen das Mautgesetz und zum anderen das Entlastungsgesetz. ({3}) Zum Datenschutz haben wir diverse Modelle und auch Bundesverfassungsgerichtsurteile. Allerdings denke ich, dass wir das ein oder andere noch einmal deutlicher in dem Gesetzentwurf festschreiben müssen. Ich denke hier insbesondere an Speicherfristen. Ich glaube, wir sollten uns das eine oder andere Gerichtsurteil noch einmal ansehen und überlegen, ob man das nicht anders regeln kann. Aber die E-Vignette erfordert nicht nur Datenschutz, sie erfordert auch neue Technik. Der Minister hat gesagt, das Kraftfahrtbundesamt soll die Maut erheben und die Bundesanstalt für Güterverkehr soll sie kontrollieren. Beide Behörden brauchen dafür natürlich Fachpersonal. Die Fachleute haben uns gesagt, dass es erhebliches Personal beanspruchen wird. Der Minister hat jetzt gesagt, es gebe auch eine andere Lösung. Diese beiden Behörden könnten sich der Mitwirkung Dritter bedienen. ({4}) Was wir noch nicht festgelegt haben, ist die Frage: Wie werden diese Dritten ausgewählt? Welche Kosten entstehen dadurch, auch für die Technik? Das Ziel - der Kollege Hartmann hat es noch einmal aus dem Koalitionsvertrag vorgelesen - ist, dass wir in dieser Legislaturperiode mehr Geld für unsere bundeseigenen Straßen erlangen wollen. ({5}) Dann darf dieses Geld nicht von den Investitionen für Technik aufgefressen werden. Zu der Europarechtskonformität wurde schon einiges gesagt. Wir haben ein Gutachten. Es ist immer gut, eines im Vorfeld erstellen zu lassen. Wir haben aber auch eine neue Kommissarin. Violeta Bulc hat gesagt, dass sie sich den Gesetzentwurf anschauen wird, wenn er denn durch das Kabinett verabschiedet worden ist. Dann wird sie mit ihrem Sachverstand entscheiden. ({6}) Ich glaube, es ist gut und richtig so, dass sie das in dieser Reihenfolge macht. Ich komme zu unserem Thema zurück: Wann manchen wir die Anhörung? Natürlich ist für uns und die Sachverständigen auch diese Entscheidung von Frau Bulc eine Grundlage. Wir können nicht vorher eine Anhörung machen. Ein Stochern im Nebel hilft uns bei der Entscheidungsfindung nicht einen Deut weiter. ({7}) Das Fazit: Der Beschluss, die Expertenanhörung zu verschieben, bis wir genug Fakten haben, die die Experten auch beurteilen können, war und ist richtig. Es bleibt spannend. Herzlichen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin. - Letzter Redner in dieser Debatte ist Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Gesetzentwurf zur Maut ist da. Liebe Kollegin Wilms, ob Sie ihn formal bekommen haben oder nur unformal gelesen haben, ({0}) gelesen haben Sie ihn, weil Sie lesen können und auch über die modernen technischen Mittel verfügen. ({1}) Sie haben sich über diesen Gesetzentwurf gefreut, weil Sie gar nicht geglaubt haben, dass er kommt - es ist wie Weihnachten, wenn man hofft und wartet -, und wenn er dann doch da ist, dann denkt man sich: Hurra, wie schön. ({2}) Herr Kollege Hartmann, ich mache es nicht oft, aber ich muss wirklich sagen: Es hat mir und den Kollegen richtig Spaß gemacht, Ihnen heute zuzuhören; denn es war richtig gut. ({3}) Liebe Kollegen der Linken, zu dem, was Sie eigentlich diskutieren wollten, gibt es nichts zu sagen als: Guten Abend. Auf Wiedersehen. Das war die Debatte. ({4}) Lassen Sie mich doch noch ein paar Sätze anmerken. Der Minister hat Wort gehalten. Der Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch. Das ist das Entscheidende. ({5}) - Ein Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch, ({6}) ohne das formal bewerten zu wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht doch vor allem um eines: um die Parameter unseres Koalitionsvertrages. Diese Parameter sind - ich wiederhole sie gerne - nämlich zwei: mit EU-Recht vereinbar und keine Mehrbelastung für die deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer. Genau das haben wir vorgelegt. Auch bei der Europarechtskonformität, liebe Kollegin Wilms, wäre ich ganz beruhigt; denn auch wenn die Kommissarin wechselt, die Generaldirektion MOVE ist ja geblieben. Da wechselt ja nicht alles. Ich sage auch ganz direkt, was mein Verständnis vom deutschen Gesetzgeber ist: Zunächst einmal machen wir hier unsere Gesetze, bevor wir sie nach Europa tragen. Wir sind nicht die Vollzieher Europas. ({7}) Meine Kolleginnen und Kollegen, nachdem vorhin das Wort „Zwangsmaut“ gefallen ist, sage ich ganz deutlich: Es ist keine „Zwangsmaut“ und auch keine „Rachemaut“, sondern ganz klar eine Gerechtigkeitsmaut, die wir hier einbringen. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben sie eine Zwischenfrage von einem Kollegen der Linken? - Ja oder nein?

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich. Wir können doch noch länger reden. Wunderbar!

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das möchte ich laut hören. - Sie denken, bitte schön, an die lange Debatte, die wir heute noch haben.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das müssen Sie dem Kollegen der Linken sagen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, das sage ich ihm ja.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf drei Minuten darauf antworten.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie dürfen selbstverständlich darauf antworten. Keine Angst! Ich bin ganz gerecht - wie Ihre Maut. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist schneller gefragt, Frau Präsidentin, als belehrt. - Herr Kollege, wenn Sie denn von der Ernsthaftigkeit des Unternehmens, das Sie hier vortragen, so überzeugt sind und gewiss die Aussage des Bundesministers Dobrindt unterstützen, dass die Maut ab 1. Januar 2016 - so seine Formulierung - „scharf geschaltet“ werden soll, wie können Sie dann erklären, dass im Haushalt für das Jahr 2015, über den wir noch in diesem Jahr abstimmen müssen, keinerlei Vorsorge für all die Momente der umfangreichen technischen Erfassung getroffen wird? - Solange Sie diese Frage nicht beantworten können - im Haushalt steht dazu nichts drin -, sind Ihre Belehrungen zur Zukunftsfähigkeit der Maut nichts wert. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lange, bitte.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Claus, ich glaube, da können Sie ganz beruhigt sein. Wir haben am 13. November die Bereinigungssitzung, und Sie können davon ausgehen, dass da entsprechende Beschlüsse gefasst und die entsprechenden Mittel im Haushalt eingeplant werden. Ein Blick in das Gesetz zeigt: Es tritt 2016 in Kraft. Ich wäre da an Ihrer Stelle ganz beruhigt, dass wir das haushalterisch in den Griff bekommen. Wir arbeiten ja daran. Wir freuen uns dann auf Ihre Unterstützung in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Wenn Ihre einzige Sorge ist, dass es formal noch nicht im Haushalt steht, kann ich Ihnen sagen: Das werden wir am 13. November sicher klären können. Danke. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lange, Ihre Redezeit läuft weiter.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, 500 Millionen Euro zusätzlich - das sind fast 10 Prozent unseres Straßenverkehrsetats. Wer hier also davon spricht, dass es sich um „kein Geld“ handelt, der verkennt einfach den Verkehrshaushalt. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir 500 Millionen Euro zusätzlich an Steuermitteln verwenden würden, wäre das für alle Bürgerinnen und Bürger viel Geld. Auch das sollten wir in diesem Zusammenhang respektieren. ({1}) Was uns sehr wichtig ist, ist die Zweckbindung der entsprechenden Mittel - damit die Infrastrukturabgabe auch in der Verkehrsinfrastruktur, nämlich bei den Straßen, landet. Genau das wollen und werden wir erreichen. Nun, liebe Kollegin Wilms, müssen Sie noch fünf Minuten meinen Ausführungen zu den Daten zuhören.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Oh nein, fünf Minuten nicht - 58 Sekunden! ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

55 Sekunden zu den Daten. - Frau Wilms, passen Sie mal auf. Wir saßen doch gemeinsam beim NDR. Da haben Sie zu mir gesagt: Wenn es doch wenigstens eine intelligente Maut wäre, mit der man steuern und erfassen könnte, wie die Menschen auf der Straße unterwegs sind! ({0}) Das ist doch Heuchelei. Wenn man solch ein System einführt, dann gilt: Big Toni is watching us. ({1}) - Natürlich! Das wäre die Überwachung à la Grüne. ({2}) Das ist genau die Art, auf die Sie den Menschen vorschreiben wollen, wie sie sich zu bewegen haben. Sie wollen den Menschen vorschreiben, was sie zu essen haben, wann sie zu fahren haben. Nein, meine Damen und Herren, so nicht! Das ist heuchlerisch. ({3}) Mit einem solchen System könnte man Bewegungsprofile erstellen. Und dann denken Sie doch mal bitte an Ihr bürokratisches Monster Citymaut, das Sie auch noch in Ihrem Köcher haben! ({4}) Ich würde an Ihrer Stelle etwas vorsichtiger sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Pkw-Infrastrukturabgabe ({5}) hilft uns bei der Finanzierung. Sie ist ein Teil der Gerechtigkeit auf deutschen Straßen. ({6}) Dafür werden wir sie einführen. Danke schön. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Lange. - Ich schließe diese lebhafte und lebendige Aussprache. Die Wette gilt, Herr Holmeier: 50 Liter. Ich bitte diejenigen, die der nächsten Debatte nicht folgen wollen, die Plätze zu wechseln. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf - liebe Kollegen und Kolleginnen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen -: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({0}) auf Grundlage der Resolution 1996 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2155 ({2}) vom 27. Mai 2014 Drucksache 18/3005 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Debatte beginnt Dr. Ralf Brauksiepe, Staatssekretär, für die Bundesregierung. ({4})

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Tat jetzt über ein trauriges Thema zu reden; denn drei Jahre nach seiner Unabhängigkeit befindet sich der Südsudan in einer politischen und humanitären Krise, und das trotz des starken Engagements der internationalen Gemeinschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich betone nicht „wegen“, sondern „trotz“ des starken Engagements der internationalen Gemeinschaft. Wir haben es nicht zu verantworten, dass es so ist. Wir haben an vielen Stellen Not und Leid lindern können. Das ist auch in Zukunft unsere Aufgabe und unsere Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Seit Dezember 2013 kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Präsidenten Kiir und des ehemaligen Vizepräsidenten Machar. Der Konflikt zwischen Regierung und oppositionellen Rebellen hat sich auf große Teile des Landes ausgeweitet und zu großem Leid geführt. Über 10 000 Menschen sind ums Leben gekommen. Von den Einwohnern Südsudans mussten mehr als 1,4 Millionen ihre Häuser verlassen. Sie befinden sich im eigenen Land auf der Flucht. 450 000 Südsudanesen sind in die Nachbarländer geflohen. Mehrere Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das ist eine traurige Entwicklung, wenn man an den hoffnungsvollen Aufbruch vor drei Jahren denkt, als der Südsudan nach einer langen Periode von Auseinandersetzungen in die Unabhängigkeit entlassen wurde und die Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung bestand, die sich leider bisher nicht erfüllt hat. Umso wichtiger ist es, dass die internationale Gemeinschaft und Deutschland als ein Teil dieser Gemeinschaft die Menschen im Südsudan unterstützen und hier weiterhin Verantwortung übernehmen. Die bisherigen Versuche der nordafrikanischen Regionalorganisation IGAD, einen längerfristigen Waffenstillstand und ein Friedensabkommen zu erreichen, waren leider wenig erfolgreich. Weder Präsident Kiir noch sein früherer Vize Machar sind derzeit bereit, Zugeständnisse einzugehen und den Konflikt zu lösen. Vielmehr versuchen offensichtlich beide Seiten weiterhin, ihre militärische Ausgangslage zu verbessern bzw. eine militärische Konfliktlösung zu erreichen. Auch wenn inzwischen die bewaffneten Auseinandersetzungen zurückgegangen sind, bleibt die Lage im Land nach wie vor angespannt. Gerade die humanitäre und die allgemeine Sicherheitslage haben sich im gesamten Land massiv verschlechtert. UNMISS nimmt derzeit den Schutz der Zivilbevölkerung sowie alle anderen Aufgaben des Mandats unter schwierigen Bedingungen so gut wie möglich wahr. Knapp 100 000 Menschen sind aktuell in UNMISS-Lagern untergebracht, wo die VN-Mission für die Sicherheit der Flüchtlinge garantiert. Auf die bewaffneten Auseinandersetzungen hatte die Mission der Vereinten Nationen im Südsudan unmittelbar reagiert und ihre Lager für alle um Schutz suchenden Südsudanesen geöffnet und damit wahrscheinlich Tausende vor dem Tod bewahrt. Für dieses schnelle und verantwortungsvolle Handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen, gebühren allen Angehörigen der Mission unsere Anerkennung und unser herzlicher Dank. ({1}) Auch der Sicherheitsrat hat konsequent auf die Entwicklungen im Südsudan reagiert. In der Sicherheitsratsresolution 2155 sind die Aufgaben von UNMISS deutlich gestärkt und klar auf den Schutz der Zivilbevölkerung ausgerichtet worden. Die Zahl der maximal einzusetzenden Soldaten wurde deutlich von bisher 7 000 auf 12 500 angehoben. Wie gefährlich dieser Einsatz für die VN-Friedenstruppen ist, wird anhand der Geschehnisse im UNMISS-Lager in Bor am 17. April dieses Jahres deutlich. Dort versuchten bewaffnete Rebellen, das UNMISS-Camp zu stürmen, um Flüchtlinge anzugreifen. Nur durch den Gebrauch ihrer Waffen konnten die Peacekeeper verhindern, dass es zu einer Katastrophe kam. Das heißt: Nur durch die Entsendung bewaffneter Soldaten und die Ausstattung mit einem robusten Mandat durch den Sicherheitsrat kann die Zivilbevölkerung wirklich wirksam geschützt werden. Angesichts dieser schwierigen Lage im Südsudan und der zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich die VN-Friedensmission konfrontiert sieht, ist es deshalb umso wichtiger, dass Deutschland einen Teil zur Lösung des Konflikts beiträgt und sich wie bisher im Rahmen der Vereinten Nationen engagiert. Wir sind seit Beginn der Mission UNMISS als Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Wir haben uns mit Einzelpersonal in den Führungsstäben der Mission und mit Verbindungsoffizieren beteiligt, zuletzt mit 16 Soldatinnen und Soldaten und 7 Polizistinnen und Polizisten. Sie verrichten ihren Auftrag häufig abseits der medialen Aufmerksamkeit, aber hochprofessionell im Sinne der Sache. Ich möchte allen unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den eingesetzten Polizistinnen und Polizisten bei UNMISS meine - und ich hoffe unser aller - Hochachtung für ihr bemerkenswertes Engagement und für ihre Professionalität aussprechen. ({2}) Mit unserer fortgesetzten Beteiligung im Rahmen von UNMISS - auch künftig soll die Obergrenze bei 50 Soldatinnen und Soldaten liegen - setzen wir ein deutliches Zeichen, dass wir bereit sind, unserer Verantwortung in den VN-Missionen in Afrika weiterhin nachzukommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte dafür um Zustimmung. Danke. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Brauksiepe. - Nächster Redner in der Debatte: Jan van Aken für die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder einmal steht die Verlängerung der Teilnahme der Bundeswehr am UNMISS-Einsatz im Südsudan auf der Tagesordnung. Wieder einmal werben Sie hier mit viel Schönrednerei, aber auch mit einer gehörigen Portion Selbsttäuschung, Herr Brauksiepe, um Zustimmung. Unsere Zustimmung werden Sie dafür allerdings nicht bekommen. ({0}) Sie weisen hier auf die vielen Probleme, die es im Südsudan gibt, aber auch auf die Schwierigkeiten bei der Beendigung von Gewalt und auf den notwendigen Friedensprozess hin. Aber eine Sache blenden Sie alle völlig aus, nämlich die Tatsache, dass UNMISS das völlig falsche Instrument war und ist, um die Krise im Südsudan zu bewältigen. ({1}) UNMISS war von Anfang an ein Mandat mit Schieflage. Die Mission wurde 2011 eingerichtet, um die südsudanesische Regierung dabei zu unterstützen, Stabilität zu schaffen und den Friedensprozess voranzubringen. Das hatte aber von vornherein zwei ganz große Haken. Erstens. Stabilität und Frieden können nicht militärisch erkämpft werden, sondern nur durch eine aktive Friedenspolitik, durch Dialog, durch soziale, durch wirtschaftliche Entwicklung erreicht werden. ({2}) Zweitens gibt es ein ganz zentrales Problem: Die südsudanesische Regierung unter Salva Kiir ist, damals wie heute, Teil des Problems im Südsudan. Sie selbst ist eine der größten Bedrohungen für die Zivilbevölkerung im Sudan. ({3}) Bis heute jedoch braucht UNMISS für jeden einzelnen Schritt die Genehmigung genau dieser südsudanesischen Regierung. Das kann nicht funktionieren. ({4}) Unter den Augen von mehreren Tausend UN-Soldaten und Zivilpersonal eskalierte im letzten Dezember die Situation aufgrund eines Konfliktes innerhalb der Regierung. Seitdem kämpfen abtrünnige Milizen gegen die Zentralregierung. Mittlerweile sind 3,5 Millionen Menschen im Südsudan auf humanitäre Hilfe angewiesen, 450 000 Menschen sind in Nachbarstaaten geflohen, 1,3 Millionen Menschen sind auf der Flucht innerhalb des Südsudan und 100 000 von ihnen haben Zuflucht bei UNMISS gesucht. ({5}) Aber an diesem Punkt haben wir ein echtes Problem: UNMISS ist bis heute nicht auf die Versorgung von so vielen Menschen eingestellt. Überflutungen, drohende Krankheitsausbrüche, Mangelernährung und Gewalt all das sind alltägliche Probleme, auf die UNMISS überhaupt nicht eingestellt ist, mit der sie überhaupt nicht umgehen kann. Als Reaktion auf die Eskalation im letzten Dezember haben Sie das Mandat deutlich verändert: mehr Soldaten, weniger Staatsaufbau. Wir lehnen diesen Fokus auf das Militärische einfach ab. ({6}) Die UNO sitzt im Südsudan mittlerweile zwischen allen Stühlen: Die Regierung wirft UNMISS vor, die Opposition zu unterstützen, unter anderem dadurch, dass sie auch Rebellen in den Flüchtlingslagern unterbringt. Die Rebellen wiederum werfen UNMISS vor, die Regierung zu unterstützen und Regierungstruppen per Hubschrauber zu transportieren. Das ging so weit, dass sie sogar einen UNMISS-Hubschrauber abgeschossen haben. Und die Zivilbevölkerung hat überhaupt kein Vertrauen mehr in UNMISS, weil UNMISS sie eben nicht vor den Gewalttaten der Regierungstruppen schützt. ({7}) Das ist das große Drama von UNMISS im Moment. Anstatt jetzt so weiterzumachen und sich wieder einmal mit ein paar Soldaten und ein paar Polizisten aus der Verantwortung zu stehlen, sollte die Bundesregierung endlich einmal wirklich Verantwortung übernehmen. Da können Sie vieles tun und auch viel Gutes tun: Erstens. Warum unterstützen Sie eigentlich nicht die Forderung von 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen nach einem vollständigen Waffenembargo? Waffen und Munition kommen immer noch in dieses Land, auch direkt an die südsudanesische Regierung. Machen Sie sich doch als Bundesregierung diese Forderung zu eigen! ({8}) Sorgen Sie dafür, dass der Zufluss an Waffen und Munition in den Südsudan gestoppt wird! Zweitens. Stärken Sie die zivilgesellschaftlichen Organisationen im Südsudan! Die gibt es; die gibt es immer noch. Es ist doch gerade die Jugend im Südsudan, die die Zukunft darstellt. Diese Jugend brauchen wir in Zukunft. Diese Jugend braucht auch jetzt internationale Unterstützung. ({9}) Drittens und letztens. Vergessen Sie nicht, dass der Bürgerkrieg nicht überall ist. Unterstützen Sie doch vor allem die Regionen, in denen momentan nicht gekämpft wird, in denen auch die Dinka und die Nuer, die verschiedenen Volksgruppen, friedlich zusammenarbeiten. Wenn die Unterstützung dieser Regionen ein Erfolg wird, wenn in diesen Regionen Entwicklung funktioniert, dann können sie beispielgebend für den ganzen Südsudan sein. Deshalb sage ich Ihnen: Sie können im Südsudan im Moment sehr viel Gutes tun. Das Militärische gehört nicht dazu. ({10}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen exportieren sollte, natürlich auch nicht in den Südsudan. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege van Aken. - War das jetzt eine Wortmeldung? ({0}) - Gut. Ich glaube, Sie hätten sich deutlicher gemeldet. Ich wusste nicht, ob die Handbewegungen etwas zu bedeuten hatten. ({1}) Gut. Offensichtlich war das keine Wortmeldung. Nächster Redner: Thomas Hitschler für die SPD. ({2})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über eine deutsche Beteiligung an einer Mission der Vereinten Nationen. Eine Mission in einem Konflikt, der in der öffentlichen Wahrnehmung wenig präsent ist, der es nicht in die alltäglichen Schlagzeilen schafft, aber dennoch so grausam ist und unglaubliches menschliches Leid verursacht. Ein Konflikt, bei dem auch wir Verantwortung übernehmen müssen. Die Geschichte des Südsudan ist keine friedliche; aber gerade in den letzten Jahren waren Hoffnungen und fürchterliches Leid eng beieinander. Was als Auseinandersetzung zwischen Präsident und Vizepräsident angefangen hat, hat sich schnell militarisiert, als sich Teile der Streitkräfte auf verschiedene Seiten geschlagen haben. In der Folge steht der Südsudan, dieser junge Staat, der 2011 in die UN-Familie aufgenommen wurde, derzeit dem Scheitern näher als der erfolgreichen Staatsbildung. Perfiderweise wurden politische Konflikte mittlerweile auf die Ebene des Zusammenlebens unterschiedlicher Volksgruppen verschoben. Und inzwischen ist der Konflikt zu einem Bürgerkrieg zwischen zwei Ethnien, den Nuer und den Dinka, geworden, der die Gesellschaft des Südsudan zerrissen hat. Die Folgen: Hunderttausende Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, und viele Ausländer haben das Land verlassen. Hunger geht um und bedroht nach Oxfam-Schätzungen bis zu 2 Millionen Menschen. Vergewaltigungen und der Einsatz von Kindersoldaten sind alltäglich geworden. Gleichzeitig wird der Südsudan massiv beeinflusst von den Interessen größerer Nachbarstaaten, was eine diplomatische Lösung nicht unbedingt erleichtert. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat auf diese Entwicklung entsprechend reagiert und den Fokus von UNMISS in der Resolution 2155 angepasst: Der Auftrag von UNMISS ist nun verstärkt der bessere Schutz von Zivilisten, von Flüchtlingen, von humanitären Helferinnen und Helfern. Die Zahl der Blauhelmsoldaten im Land wird auf 12 500 erhöht. Damit bewegt sich UNMISS vom ursprünglichen Auftrag, festgelegt in der Resolution 1996, ein gutes Stück weit weg. Nach dieser Resolution sollte UNMISS nämlich der Unterstützung des Südsudans beim Aufbau staatlicher Institutionen dienen. Dass dieser Wechsel notwendig geworden ist, ist zutiefst bedauerlich. Dass auf eine verschlechterte Situation reagiert wird, ist allerdings nachvollziehbar. Die Verschiebung der Konfliktlinie auf die Ebene der ethnischen Zugehörigkeit erschwert die Konfliktbewältigung in besonderer Weise. Selbst wenn es zu einem politischen Friedensschluss kommt, werden die zwischen den Volksgruppen aufgerissenen Gräben noch lange wahrgenommen werden. Zu viel Blut ist dafür mittlerweile geflossen. So wurde erst im April dieses Jahres - der Staatssekretär hat es berichtet - ein Lager der Vereinten Nationen in der Stadt Bor angegriffen. In diesem Lager lebten 5 000 Flüchtlinge, als eine Gruppe von Männern, die vorgeblich eine Friedenspetition übergeben wollten, plötzlich das Feuer auf unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder eröffnete. Dabei starben 48 Menschen. Und diese Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, glaubten sich bereits in Sicherheit. Auch diese neue Form der Brutalität zwingt uns dazu, weiterhin Verantwortung zu übernehmen. Meine Damen und Herren, ein Abflauen der Kampfhandlungen im Südsudan, wie es in den vergangenen Wochen feststellbar war, zeigt nach Einschätzung der Mehrzahl der Experten leider keine Entspannung der Situation. Dies ist vielmehr jahreszeitlich bedingt. Die Regenzeit hat Teile des Landes unpassierbar und für größere militärische Kampagnen ungeeignet gemacht. Aber die Regenzeit endet in diesem Monat. Vor diesem Hintergrund, Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Aufgabe am heutigen Abend, über eine Verlängerung des Mandats zur deutschen Beteiligung an UNMISS zu entscheiden. Mit unserem deutschen Beitrag übernehmen wir dabei Verantwortung. Derzeit tragen 16 Soldaten und 7 Polizisten vor Ort zum Schutz von Zivilpersonen und humanitären Helferinnen und Helfern bei. Dabei handelt es sich nicht um kämpfende Einheiten, sondern um solche, die Führungs- und Unter5912 stützungsaufgaben wahrnehmen und ihren internationalen Kameradinnen und Kameraden bei technischer Ausstattung und Ausbildung helfen. Die Kosten für diesen Einsatz - für das kommende Kalenderjahr auf etwa 1 Million Euro beziffert - sind zu vernachlässigen angesichts dessen, was durch UNMISS erwirkt werden kann und was UNMISS in der Tat bereits geleistet hat. ({0}) Ich bin dem deutschen Kontingent für die Erfüllung der dortigen Aufgabe sehr dankbar. Sie sind nicht nur umgeben von schrecklichem menschlichen Leid, sondern arbeiten dort gemeinsam mit vielen anderen Nationen daran, ein Land aufzubauen, das eine gute Zukunft mehr als verdient hat. Lassen Sie uns mit der heutigen Entscheidung auch ein Signal der Unterstützung für die Polizisten und Soldaten vor Ort geben. Das haben sie mehr als verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir alle wissen - da stimme ich Herrn van Aken zu -, dass militärisches Engagement diesen Konflikt nicht beenden wird. Die Ursachen des Konflikts sind viel zu differenziert, historisch zu tief verwurzelt und regional zu weit verteilt. Zur Lösung des Konflikts sind diplomatische Initiativen, die auch auf die Anrainerstaaten des Südsudan und deren Partikularinteressen eingehen, sehr notwendig. Zu einer dauerhaften Verbesserung der Lage der Menschen im Südsudan ist der Aufbau eines funktionierenden und demokratischen Staatswesens, ja von Institutionen und Strukturen notwendig. Diese müssen kommen, und dazu wird auch unser Land einen wichtigen Beitrag leisten. Davon bin ich fest überzeugt. Für mich ist die Beteiligung an dieser Mission auch ein gutes Beispiel. Die Beteiligung zeigt, was mit den schwierigen Worten „Verantwortung in der Welt“ gemeint sein kann. Dies bedeutet eben nicht nur mehr Kampfeinsätze, sondern vor allem humanitäre Verantwortung, ({2}) Unterstützung beim Aufbau von Staaten und Hilfe zur Selbsthilfe sowie gleichzeitig - das darf auch nicht vernachlässigt werden - Schutz von Menschen, die Hilfe geben wollen. Auch deshalb bitte ich Sie, der Mandatsverlängerung zuzustimmen. Erlauben Sie mir, einen letzten Aspekt hinzuzufügen. Die Bevölkerung im Südsudan hat ein Trauma erlitten, dessen Folgen noch in Generationen spürbar sein werden. Daher müssen die Menschen, die unter diesem Konflikt gelitten haben, dringend auch Zugang zu Betreuungsmechanismen bekommen, welche helfen, die zwischenmenschlichen Konflikte zu lösen. Institutionen der Aussöhnung zwischen den Ethnien und den Bürgerkriegsparteien müssen gebildet und unterstützt werden, um zu verhindern, dass aus Feindschaft Tradition wird. Gerade wir Europäer können auch in diesem Jahr deutlich bestätigen, wie wichtig ein solcher Prozess ist. All dies muss geleistet werden, damit die Menschen im Südsudan eine Zukunft haben, an der sie arbeiten können, anstelle einer Gegenwart, in der sie kämpfen müssen. Dafür braucht es zunächst jedoch Sicherheit und Stabilität. Hier sind wir an dem Punkt angekommen, wo unsere Zustimmung zum Mandat wichtig wird. Was militärisches Engagement nämlich leisten kann und derzeit dringend leisten muss, ist der Schutz der Bevölkerung, die allein durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen unfreiwillig zu Bürgerkriegsparteien geworden sind. Diese Menschen haben sicher kein Interesse daran, dass ihr gerade einmal drei Jahre altes Heimatland verwüstet und auseinandergerissen wird. Für diese Menschen wollen wir gemeinsam mit anderen Nationen eine Umgebung errichten, in der ein friedvolles Zusammenleben möglich ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nach derzeitigem Stand nicht wahrscheinlich, dass der Konflikt im Südsudan den Rest der Region in Flammen setzt. Die Welt der Menschen im Südsudan selbst steht aber bereits in Flammen. Auch für diese Menschen bitte ich heute um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des Mandats für den deutschen Beitrag zu UNMISS. Ein Sprichwort aus der Region lautet: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Hitschler. Nächster Redner in der Debatte: Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vereinten Nationen stufen die Lage im Südsudan als eine der vier schwersten humanitären Krisen auf dieser Welt ein. Gemeinsam mit Syrien, dem Irak und der Zentralafrikanischen Republik gilt der Südsudan als sogenannter Level-3-Notfall. Das ist die höchste Alarmstufe der UNO. Insofern ist es unabdingbar, dass die UNO in einer solchen Situation interveniert. Es ist auf der anderen Seite erschreckend, dass der Südsudan schon fast wieder aus dem Fokus der internationalen Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit verschwunden ist. Man nennt das den CNN-Effekt: Wenn CNN nicht mehr berichtet, dann haben wir es mit einer schon fast wieder vergessenen Krise zu tun. Vergegenwärtigen Sie sich einmal die Berichterstattung: Das Thema kommt eigentlich fast nicht mehr vor, obwohl sich seit Dezember ein Bürgerkrieg entwickelt hat. Die Zahlen sind genannt worden: Knapp 1,9 Millionen Menschen wurden vertrieben oder mussten in die Nachbarstaaten flüchten. 3,8 Millionen Menschen sind schon auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es fehlt am Nötigsten. Und UNICEF warnt davor, dass in den nächsten Monaten allein 50 000 Kinder vom Hungertod bedroht sind. Deswegen kann man die Arbeit der Vereinten Nationen nicht hoch genug einschätzen. Man muss klar sagen: UNMISS leistet vor Ort einen unverzichtbaren Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Verteilung der humanitären Hilfe. ({0}) Ja, es stimmt, auch UNMISS hat große Probleme. Ja, es stimmt, UNMISS schafft es leider nicht, alle Flüchtlinge zu schützen. Gerade auch in Bezug auf die von den Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei vorgebrachten Argumente möchte ich sagen: Fakt ist, mehr als 100 000 Flüchtlinge sind in UNMISS-Camps geflüchtet und haben dort Schutz gefunden. ({1}) Das alleine ist doch Grund genug für eine Fortsetzung dieses Einsatzes. Insofern ist es notwendig, diesem Einsatz zuzustimmen. Ich kann nur sagen: Ein Abzug oder auch nur eine Schwächung von UNMISS hätte grauenvolle Konsequenzen für diese Menschen. Natürlich wird UNMISS alleine keine dauerhafte Lösung erreichen. Klar ist, ein Ende der Krise und das Ende der Gewalt können nur durch einen politischen Prozess, der alle Konfliktparteien mit einbezieht, herbeigeführt werden. Dabei ist auch die Bundesregierung gefordert. Sie muss sich energisch dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat endlich ein Waffenembargo beschließt. Die Europäische Union ist dabei soeben vorangegangen, und die UNO sollte folgen. ({2}) Die Vereinten Nationen beklagen außerdem seit langem einen eklatanten Personalmangel. Wir sollten also prüfen, ob wir die Mandatsobergrenze nicht ausschöpfen können. Auch im Bereich der Polizei sollten wir die Anstrengungen deutlich verstärken. Die UNO ist da in ihren Bitten und Wünschen sehr deutlich. ({3}) Doch vor allem sollte Deutschland noch mehr Verantwortung bei der Bekämpfung der humanitären Krise übernehmen. Die Vereinten Nationen rechnen für dieses Jahr mit Kosten von 1,8 Milliarden US-Dollar für humanitäre Nothilfe im Südsudan. Davon sind gerade einmal 62 Prozent finanziert. Deutschland stellt dafür im Augenblick 16,6 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist deutlich weniger als das, was Großbritannien, Japan oder Dänemark zur Verfügung stellen. Ich finde, hier kann und muss unser Land mehr leisten. ({4}) Dafür und auch für das vorliegende Mandat für die Bundeswehr haben Sie unsere politische Unterstützung. Danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frithjof Schmidt. - Letzter Redner in dieser Debatte: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Frithjof Schmidt ausdrücklich dankbar, nicht nur für seine Anregung hinsichtlich der Obergrenzen, sondern auch dafür, dass hier im Hause ein sehr breiter Konsens für das UNMISS-Mandat vorhanden ist. Dafür danke ich ausdrücklich Ihrer Fraktion. Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 8. Juli 2011 wurde das UNMISS-Mandat von den Vereinten Nationen beschlossen. Das war einen Tag vor der Unabhängigkeit des Südsudan. Es ist außergewöhnlich selten, dass die Vereinten Nationen ein Mandat vor der Gründung eines Staates ins Leben rufen. Das zeigt auch, wie ernst die Vereinten Nationen diese Staatenbildung nehmen. Ich erinnere mich noch sehr intensiv, mit welcher Ernsthaftigkeit wir - die eine oder andere Kollegin und der eine oder andere Kollegen und ich - im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention im Jahr 2011 die Teilung des Sudan verfolgt haben, mit welchen Befürchtungen wir das damals beraten haben. Ich muss sagen: Viele der Befürchtungen sind eingetreten. Dass es uns aber gelungen ist, ein Mandat - auch von deutscher Seite - bereits im Jahr 2011 einzurichten, zeugt von der Handlungsfähigkeit des Bundestages, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte deshalb auch klarstellen, dass das, was hier heute von der Linkspartei vorgestellt wurde, schlichtweg falsch ist. Die Vereinten Nationen verfolgen hier kein militärisches Mandat, sondern Militär leistet Unterstützung im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes. ({0}) Ich will das auch von der deutschen Seite her deutlich machen. Die militärische Seite des Mandats kostet uns etwa 1 Million Euro; zumindest wurde das in den Haushaltsberatungen für 2015 veranschlagt. Zeitgleich wenden wir 40 Millionen Euro auf für humanitäre Hilfe, für Nothilfe im Bereich des Welternährungsprogramms und für die Unterstützung von NGOs. Ein Verhältnis von 1 zu 40! Nennen Sie mir einen Einsatz, wo dieses Verhältnis noch einmal erreicht wird! Ich sage, hier wird ausdrücklich deutlich, dass die Bundesrepublik Deutsch5914 land den Schwerpunkt ihrer Förderung eindeutig auf die zivile Unterstützung legt. ({1}) Was leisten wir Deutsche noch? Ich möchte hier die Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung ansprechen, die im Frühjahr dieses Jahres verabschiedet worden sind. Klar, sie sind ein erster Schritt, sie umfassen gerade einmal 17 Seiten, aber sie machen eines deutlich: Wir wollen die Eigenverantwortung Afrikas stärken und auf der anderen Seite gute Regierungsführung unterstützen. Afrika ist ein Kontinent, der ungeheuer im Umbruch ist. Zurzeit leben in Afrika etwas mehr als 1 Milliarde Menschen. Zum Ende dieses Jahrhunderts sollen dort knapp 4 Milliarden Menschen leben, mehr als dreimal so viele wie jetzt. Wie wollen wir denn dafür Sorge leisten, wenn nicht dadurch, dass wir bereits jetzt im Sinne dieser Leitlinien mit der Stärkung der Eigenverantwortung und der Stärkung der jeweiligen Zivilgesellschaften beginnen? Die Afrikapolitischen Leitlinien verweisen ausdrücklich auch auf den Südsudan; aber sie reichen natürlich bei weitem nicht aus. Deshalb rege ich an, dass wir auch im Rahmen des Weißbuch-Prozesses stärker den Fokus darauf richten, mit welchen Partnern wir zusammenarbeiten wollen. Wir müssen in Afrika die Partner - sei es in der Zivilgesellschaft, sei es in den Regierungen -, die unterstützend wirken, stabilisieren. Dazu dienen einerseits die Einsätze; viele Einsätze der Bundeswehr werden in diesen Regionen durchgeführt. Zum anderen gehen auch unterstützende Leistungen, wie wir sie bei Ebola erleben, eindeutig in diese Richtung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie deshalb auch Afrika Teil unserer strategischen Überlegungen im WeißbuchProzess werden. Hier geht es auch darum, welche Aufgaben wir beispielsweise im Südsudan erfüllen wollen, wie wir die regionale Einbindung des Südsudans sichern wollen, im Übrigen auch, wie wir die rund 75 Prozent Christen unter den 11 Millionen Einwohnern vor einem zunehmenden Salafismus, zunehmenden Islamismus auch im afrikanischen Raum schützen können. Ein Letztes. Am Sonntag feiern wir den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Die Barrieren heute sind außerhalb Europas. Wir müssen alles dafür tun, dass die Barrieren außerhalb Europas nicht zu einer neuen Mauer werden. ({2}) Nehmen wir Deutsche den 25. Jahrestag des Mauerfalls zum Anlass, auch darüber nachzudenken, wie wir als Europäer aktiv daran mitwirken können, dass Afrika nicht ein Kontinent der Abschottung wird, sondern ein Kontinent der Teilhabe. Das ist Sicherheitspolitik von morgen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. Ich schließe die sehr intensive und sehr nachdenkliche Aussprache. Da wir heute nicht abstimmen, sondern interfraktionell beschlossen worden ist, die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3005 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorzunehmen, gehe ich davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. - Das ist der Fall. Dann ist damit die Überweisung beschlossen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 13 aufrufe, bitte ich darum, die Plätze zügig zu wechseln. Auch Ihnen wünsche ich noch einen schönen Restabend. ({0}) - Ja, wir sehen uns gleich wieder. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kündigung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien Drucksachen 18/2610, 18/2907 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre, ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort der ersten Rednerin in der Debatte, Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. ({2})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Schon zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode haben wir dieses doch wichtige Thema auf der Tagesordnung: eine Überprüfung der bilateralen Atomabkommen, nun den Fall des deutsch-brasilianischen Abkommens. Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, dass ich es wichtig finde, dass die Atomabkommen auf den Prüfstand kommen. Es ist an dieser Stelle aber auch festzustellen, dass es uns nicht gelingen wird, Ihrem Antrag dahin gehend zu entsprechen, dass Deutschland eine Kündigung dieses Vertrages herbeiführt. Dazu möchte ich Folgendes ausführen. Es steht fest, dass wir aus heutiger Sicht das 1975 geschlossene Atomabkommen so nicht mehr gutheißen können. Es stammt aus einer Zeit, in der Deutschland noch nicht den Atomausstieg beschlossen hatte, und ist natürlich in diesem Lichte zu sehen. Konsequenterweise muss natürlich eine Betrachtung des Atomabkommens aus heutiger Sicht zu der Einsicht führen, dass es so nicht aufrechterhalten werden kann bzw. überprüft werden muss. Ich schließe allerdings auch daraus, dass man in der Gemengelage, in der wir stecken, den Blick auf Elemente des Atomabkommens richten sollte, die möglicherweise beinhalten könnten, einen Informationsfluss mit Brasilien aufrechtzuerhalten und damit einen Rahmen zu gewinnen, wodurch dazu beigetragen werden kann, mit den Folgelasten von Atomenergienutzung in Brasilien verantwortlich umzugehen. ({0}) Ich weiß nicht, ob dies der Inhalt eines abzuändernden und anzupassenden Atomabkommens sein könnte und ob so etwas Bestand haben könnte. Wenn das aber möglich wäre, dann müssen wir uns dem stellen. Insofern finde ich es wichtig, dass ein regierungsinterner Austausch darüber stattfindet, ob nicht dieses Atomabkommen und auch andere Atomabkommen dahin gehend überarbeitet werden müssen. Wenn man in einem entsprechenden Abstimmungsprozess zu einem Ergebnis gekommen ist, sind daraus dann auch die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ich plädiere dafür, dass dieser Austausch offen geschieht. Offen heißt auch, dass möglicherweise weitere Kündigungen in Betracht gezogen werden müssen. Wir haben in der Vergangenheit auch schon einmal eine Kündigung vorgenommen. Aber die Wahrheit ist auch, dass unter Rot-Grün nur ein einziges Atomabkommen gekündigt wurde. Wir haben, wenn ich das jetzt richtig zusammenzähle, 183 Atomabkommen. All das ist, wie gesagt, bis heute nicht abschließend geklärt. Insofern hoffe ich, dass wir zu einer Klärung kommen; denn den Status quo aufrechtzuerhalten finde ich wie Sie nicht gut. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin Scheer. - Nächster Redner in der Debatte: Hubertus Zdebel für Die Linke. ({0})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Atomabkommen zwischen Deutschland und Brasilien wurde vor nunmehr 39 Jahren während der Militärdiktatur in Brasilien unterzeichnet. Alle fünf Jahre verlängert sich der Vertrag automatisch um weitere fünf Jahre, solange ihn keiner der zwei Staaten kündigt. Zum 18. November dieses Jahres, also in einigen Tagen, könnte die Bundesregierung das Abkommen per diplomatischer Note kündigen. Es würde dann zum 18. November nächsten Jahres auslaufen. Das sind die Fakten. Das deutsch-brasilianische Atomabkommen von 1975, das nach wie vor in Kraft ist, sieht sowohl die Gewinnung und Aufbereitung von Uranerzen als auch die Herstellung von Kernreaktoren und die Urananreicherung vor. Es ist also in dem Sinne ein Atomförderungsabkommen. Insgesamt acht Atomkraftwerke, eine Urananreicherungsanlage und eine Wiederaufbereitungsanlage sollten in Brasilien mit deutscher Technik gebaut werden. Dieser Atomvertrag war zu Beginn der 80er-Jahre für rund ein Drittel der brasilianischen Auslandsschulden verantwortlich und führte mithilfe einer deutschen Hermesbürgschaft zum Bau des Atomkraftwerks Angra 2, das weniger als 2 Prozent aller in Brasilien erzeugten Elektrizität produziert, obwohl es 14 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Siemens/KWU freute sich damals über den Milliardenauftrag. Es war ein „Bombengeschäft“, wie es damals wörtlich hieß. Stets hatten Kritikerinnen und Kritiker gemahnt, das brasilianische Militär habe versucht, mittels Urananreicherung in den Besitz von Atombomben zu gelangen. Nach dem Übergang zur Demokratie Anfang der 90erJahre bestätigte die brasilianische Regierung dies indirekt durch bestimmte Äußerungen. Auch das muss man wissen, weil die Rolle des Militärs in Brasilien immer noch sehr stark ist. Sehr geehrte Damen und Herren, die Linke meint: Atomausstieg in Deutschland und weitere Atomförderung im Ausland passen nicht zusammen. ({0}) Deutschland verweist gern auf den Atomausstieg. Bis 2022 sollen alle kommerziellen Reaktoren abgeschaltet werden. Das ist aber leider nur die halbe Wahrheit. Deutschland ist weiter ein Atomstaat. Nach 2022 wird weiter Uran aus aller Welt nach Deutschland geliefert, wie es auch jetzt immer noch der Fall ist. In den Anreicherungsanlagen in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen wird das radioaktive Material weiterverarbeitet und angereichert. Auch aus Brasilien treffen dort nach wie vor Lieferungen ein, nach wie vor. Das geschieht auf Basis des Atomabkommens von 1975, das weiterhin in Kraft ist. Wer ankündigt, sich im eigenen Land aus der Atomkraft verabschieden zu wollen, sollte keine doppelten moralischen Standards anwenden und kann deswegen auch nicht weiter den Ausbau der Atomkraft im Ausland unterstützen. Das ist nicht länger hinnehmbar. ({1}) Die Große Koalition will aber an dem deutsch-brasilianischen Abkommen festhalten. Deutschland und deutsche Konzerne sollen im internationalen Atomgeschäft weiter mitmischen können. Das finden wir auch völlig unakzeptabel. ({2}) Besonders schwierig und opportunistisch finde ich das Verhalten der SPD an dieser Stelle. Ich habe nicht vergessen, dass sich die SPD in der vergangenen Legislaturperiode und auch schon vorher, als sie in der Opposition war, dafür starkgemacht hat, dass keine Hermesbürgschaften für das geplante Atomkraftwerk Angra 3 in Brasilien erteilt werden - teilweise mit gutem Erfolg. Jetzt, wo Sie wieder mit der CDU/CSU in der Regierung sind, machen Sie wieder alles mit. Das finden wir extrem opportunistisch. ({3}) Deshalb fordert die Linke ganz klar: Das deutsch-brasilianische Abkommen zur Förderung von Atomenergie muss gekündigt werden, und zwar sofort. Wir werden den Antrag der Grünen unterstützen und entsprechend die Beschlussempfehlungen der Ausschüsse ablehnen. In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in der Debatte ist für die CDU/CSU-Fraktion Andreas Lämmel. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die Strategie, die Sie mit Ihrem Antrag der Bundesrepublik Deutschland empfehlen, nämlich die Kündigung des Atomvertrages mit Brasilien, ist genauso falsch wie die Entscheidung, sich jetzt mit den Linken in Thüringen in ein Boot zu setzen. ({0}) Das Boot wird absaufen, und Sie werden Mühe haben, den Untergang zu überleben. ({1}) Deswegen werden wir nicht den Fehler machen, aus dem Abkommen mit Brasilien auszusteigen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Es gibt das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Landes über seinen Energiemix. Wie Sie sicherlich sehr genau wissen, hat die Atomenergie in Brasilien nur einen verschwindend geringen Anteil an der Stromerzeugung. ({2}) Weltweit werden 436 Atomkraftwerke betrieben. 70 weitere sind geplant. Nun stellt sich die Frage, wer diese 70 Atomkraftwerke plant und baut. Deutschland unterstützt jedenfalls nirgendwo in der Welt den Bau von Atomreaktoren. Das bilaterale Abkommen mit Brasilien ist eines von fast 190 Abkommen, die die Bundesrepublik Deutschland mit vielen Ländern in der Welt geschlossen hat. Dieses Abkommen stellt also überhaupt keine Besonderheit dar, sondern es ist eines unter vielen. Die Bundesrepublik Deutschland hat allein mit Russland 16 bilaterale Abkommen geschlossen. ({3}) Meine Damen und Herren von der Linken, Sie haben das Abkommen nicht genau gelesen. Sie haben sich auf Fakten aus den 80er-Jahren gestützt. Wir schreiben aber das Jahr 2014. ({4}) Wenn Sie das alles nicht so schnell nachvollziehen können, kann ich Ihnen zwar nicht helfen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sich die Welt seit den 80er-Jahren weitergedreht hat, vielleicht bei Ihnen im Kopf nicht. ({5}) Welche Folgen hätte es, wenn wir dieses Abkommen kündigen würden? Das würde bedeuten, dass die gesamte bilaterale Zusammenarbeit mit Brasilien aufgekündigt würde. Auf dem diplomatischen Parkett würde die Frage gestellt werden, warum wir ein Abkommen mit einem demokratischen Staat kündigen. Brasilien hat - anders als es früher zu Ihrer Zeit in der DDR üblich war - gerade erst seine Präsidentin wiedergewählt. Brasilien ist ein demokratisches Land. ({6}) - Ja, aber das ist schon 30 Jahre her. ({7}) - Das hat doch damit nichts zu tun. Sie können sich ruhig ereifern. Sie können dann, wenn Sie Ihre Rede halten, alles in Ruhe darlegen. ({8}) Wir sind jedenfalls der Auffassung, dass uns dieses Abkommen die Möglichkeit bietet, auf Expertenebene Einfluss zu nehmen. Die deutschen Atomkraftwerke sind nach wie vor die sichersten der Welt. ({9}) Deutschland verfügt über ein enormes Know-how und enorme Erfahrungen auf dem Gebiet der Sicherheit und der Entsorgungstechnologie. Wir wären doch verrückt, wenn wir nicht die Möglichkeiten, die uns dieses Abkommen bietet, nutzen würden, unser Know-how und unsere Erfahrungen den Brasilianern beim Betrieb der Atomkraftwerke bzw. bei der Aufrüstung der sicherheitstechnischen Anlagen zu vermitteln. ({10}) Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie den Koalitionsvertrag mit den Linken in Thüringen kündigen würden, hätten Sie nichts mehr zu sagen; da könAndreas G. Lämmel nen Sie reden, wie Sie wollen. Genauso verhält es sich mit dem Abkommen mit Brasilien. Wenn man ein solches Abkommen kündigt, hat man praktisch keinen Partner mehr, mit dem man sprechen kann. Man sollte ruhig einmal einen Blick in das Abkommen werfen. Sie verschweigen, dass aus diesem Abkommen überhaupt keine Verpflichtungen für Deutschland entstehen. Es gibt keine Verpflichtung, den Brasilianern in schwierigen Fällen zu helfen. Es handelt sich vielmehr um ein Abkommen, das gewährleistet, dass man sich auf Expertenebene zu speziellen Fragen, die sich von Zeit zu Zeit stellen, austauscht. Aus diesem Grunde haben sich mehrfach deutsche Mitarbeiter in Brasilien aufgehalten. Sie haben sich zu speziellen Fragen betreffend die Sicherheitstechnik und die Entsorgung ausgetauscht. Den Brasilianern ist doch nicht verborgen geblieben, dass Deutschland aus der Atomenergie aussteigt. Aber deswegen verschwindet das entsprechende Know-how in Deutschland nicht. Wir sind stolz darauf, dass wir in Deutschland über eine solch geballte Ladung an Wissen und technischen Lösungen verfügen. Diese können wir anderen Ländern anbieten, um ihre Reaktoren sicherer zu gestalten. Der Kollege von der Linken hat das bereits erwähnt: Eine Hermesbürgschaft für den Bau neuer Atomanlagen wird Deutschland nicht geben. Das ist das Entscheidende. Wir tragen mit diesem Abkommen doch nicht dazu bei, dass neue Anlagen irgendwo in der Welt errichtet werden, und wir unterstützen nicht aktiv die Errichtung neuer Anlagen, sondern wir versuchen, mit unserem Wissen dazu beizutragen, dass die Welt sicherer wird und dass die Anlagen, die in Betrieb sind, sicherer werden. Deswegen gibt es keinen Grund, dieses Abkommen mit Brasilien zu kündigen. ({11}) Deswegen können wir als CDU/CSU-Fraktion und als Koalition Ihrem Antrag leider nicht zustimmen. Vielen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. - Nächste Rednerin in der Debatte ist Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lämmel, das war jetzt schon eine Zumutung, als Sie von „Aufrüstung“ usw. gesprochen haben. ({0}) Ich gehe davon aus, dass alle, die hier sitzen, wie das so üblich ist bei uns, diesen Antrag sorgfältig und gründlich gelesen haben. Trotzdem - vielleicht auch in der Hoffnung, dass wir nicht vollkommen aneinander vorbeireden - will ich Ihnen ein Stück daraus zitieren: Begründet wurde der Atomausstieg 2011 von der damaligen Bundesregierung unter der heute noch amtierenden Bundeskanzlerin mit dem Risiko, das der Gesellschaft nach Fukushima nicht mehr zumutbar sei. Wenn diese Begründung ernst gemeint war, dann ergeben sich aus ihr weitere Aufgaben: sich mit allen Möglichkeiten dafür einzusetzen, dass dieses Risiko auch anderen Gesellschaften nicht länger zugemutet wird. ({1}) Ich zitiere weiter: Selbstverständlich entscheidet jedes Land selbst über seine Energieversorgung und seine Energiequellen. Aber kein Land lebt in einer globalisierten Welt unter einer Glasglocke. Regierungen treffen ihre Entscheidungen nicht unbeeinflusst von Entwicklungen in anderen Ländern, von Beratungen und Absprachen mit diesen. Die deutsche Regierung kann direkt und indirekt Einfluss auf andere Länder nehmen, wenn sie sich nicht nur im eigenen Land, sondern auch international zum nicht zumutbaren Risiko durch Atomkraft bekennt. ({2}) Das ist die moralisch-ethische Begründung für unsere Forderung zur Aufkündigung dieses Abkommens, zumal eines Abkommens mit einem Land wie Brasilien, dessen beabsichtigter Atomweg nicht wirklich klar ist, da er sich der effektiven Kontrolle durch die IAEA entzieht. Vor der Sommerpause haben wir in der Tat bereits einen Antrag, der Brasilien und Indien zum Gegenstand hatte, behandelt. Es wurde beklagt, dass er zu kurzfristig eingereicht worden sei. Das war aber notwendig, weil das Abkommen mit Indien auslief und es genauso wie jetzt das Abkommen mit Brasilien - wenn es nicht zum 18. November gekündigt wird, dann läuft es auch automatisch fünf Jahre weiter - fünf Jahre weitergelaufen wäre. Die Hauptbegründung für die Ablehnung, wenigstens die der SPD, war damals, es sei keine Zeit für die Beratung gewesen. Dieses Mal war Zeit. Es wäre auch, Frau Scheer, Zeit für einen Abstimmungsprozess innerhalb der Regierung gewesen. Das Argument ist also nicht mehr brauchbar. So verschiebt sich die Argumentation. ({3}) Ich will für die neuen Argumente von Ihnen, Herr Lämmel, den Bericht des Ausschusses zitieren; denn der war etwas klarer als Ihre heutige Argumentation: Gegenstand des Abkommens sei eben nicht nur der Bau oder der Betrieb von Atomreaktoren. Das Abkommen enthalte vielmehr auch Regelungen zu Fragen der Sicherheit, der Entsorgung, des Strah5918 lenschutzes und der Nichtverbreitung von Kernbrennstoffen. … Bei einer Kündigung des Abkommens müsste man diese Aspekte neu verhandeln. Ich sage Ihnen: Ja, verhandeln Sie neu, verhandeln Sie besser, und verhandeln Sie vor allem wirklich Sicherheit! Das jetzige Abkommen, dessen Aufgabe die Förderung der Atomkraft ist, wozu auch der Bau von Angra 3 in einer erdrutschgefährdeten Bucht gehört, spottet, was die Sicherheitsvorstellungen betrifft, jeder Beschreibung. ({4}) Eine Forderung von unserem damaligen Antrag ist übrigens bereits umgesetzt. Die Hermesbürgschaften werden nicht mehr gegeben. Dazu hieß es in der letzten Debatte, damals noch von Frau Motschmann: Wenn die Hermesbürgschaften zurückgezogen werden, dann können diese Länder ihre Stromversorgung nicht gewährleisten und nicht finanzieren. Es geht doch trotzdem. Lernen Sie noch ein Stück weiter, und stimmen Sie heute unserem Antrag zu. Ich will Ihnen zum Schluss noch eine Begründung geben, warum für unsere internationale Glaubwürdigkeit die Aufkündigung dieses Abkommens so wichtig ist. Ich zitiere dazu aus einem Brief von 65 brasilianischen Organisationen, den alle Fraktionen bekommen haben und der einen Aufruf an die deutsche und an die brasilianische Regierung enthält. Sie schreiben: Aber die von der deutschen Regierung angekündigte Stilllegung umfasst weder die Forschungsreaktoren noch die Urananreicherungsanlagen noch die Brennelementefabriken. Diese Aktivitäten erfolgen auch auf Basis des noch gültigen deutschbrasilianischen Atomvertrags. Ein Teil des in Deutschland angereicherten Urans kommt aus Brasilien. … Dies bedeutet, dass Deutschland den Atomzyklus intern und im Ausland fortsetzt. Etwas weiter unten heißt es: Es ist nicht hinnehmbar, dass Deutschland für sein eigenes Territorium andere Sicherheitsregeln festlegt und gleichzeitig diese Art der Energieproduktion in anderen Ländern fördert. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Verhalten kommt dort als Doppelmoral an. Lassen Sie uns Klarheit schaffen. Lassen Sie uns zeigen, dass wir es auch international ernst meinen mit der Bewertung des Risikos. In Deutschland hat die Zivilgesellschaft den Atomausstieg erreicht. Helfen wir alle der brasilianischen Zivilgesellschaft, die nach britischen Studien zu 67 Prozent den Atomausstieg will, mit der Kündigung dieses antiquierten Abkommens. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Letzte Rednerin in der Aussprache ist Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion. ({0})

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schicke einmal vorweg: Ich komme aus dem Wahlkreis Lüchow-Dannenberg - Lüneburg. Da liegt Gorleben, und ich bin die Letzte, die hier eine Lanze für die Atomenergie brechen wird. ({0}) - Genau. Das empfehle ich. Wir haben schon gehört: Die Bundesrepublik Deutschland hat auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie die schon genannten 182 bilateralen Abkommen mit 56 Staaten. Wir werden uns auch für Kündigungen dieser Abkommen einsetzen, wenn sie hinsichtlich unserer deutschen Ausrichtung, aus der Atomenergie auszusteigen und die Energiewende zum Erfolg zu führen, nicht mehr tragbar sind. Bevor wir aber über Kündigungen reden, müssen wir uns die Realitäten etwas genauer anschauen. Dieses Abkommen mit Brasilien wurde 1975 geschlossen. Es ist ein Rahmenabkommen zum Austausch von Informationen und nicht eine Vereinbarung einer konkreten technischen Unterstützung. Einer der Initiatoren des hier vorliegenden Antrags, Jürgen Trittin - er sitzt da drüben -, war von 1998 bis 2005 Umweltminister in der rot-grünen Koalition. ({1}) - Genau. - Schon damals wussten wir alle, dass die Militärdiktatur dort dieses Abkommen mit unterschrieben hat. In der Amtszeit von Jürgen Trittin wurde genau ein solches Abkommen gekündigt. Es war aber eben nicht das mit Brasilien, sondern das mit dem Iran, und das zu Recht, sage ich. ({2}) - Bitte, lassen Sie mich ausreden. Ich rede ja weiter. Zuhören! Wir haben doch gerade verabredet, einander bis zum Ende zuzuhören. SPD und Grüne haben damals in der Koalition eine Linie verabredet, die auch heute noch gilt und umgesetzt wird: Die Verträge sollen daraufhin geprüft werden, ob sie mit den eigenen atompolitischen Grundsätzen noch übereinstimmen oder diesen zuwiderlaufen. Diese Überprüfungen finden regelmäßig statt. Im Übrigen haben meine Kollegin Nina Scheer und ich schon vor Wochen entsprechende Fragen gestellt und diese Überprüfung erneut angeregt. ({3}) Wir steigen also aus, und wir wollen weltweit natürlich auch andere gewinnen, das ebenfalls zu tun. Aber wir können uns in die Souveränität anderer Länder nicht einmischen. ({4}) Wir wollen ja auch nicht, dass andere in unsere Energiewende hineinreden. ({5}) Wir werden weiterhin Verträge wie den mit Brasilien überprüfen und entweder auf dem Verhandlungswege ändern oder notfalls kündigen. Ich sage „notfalls kündigen“, weil diese Verträge auch jetzt noch ihren Sinn haben: Durch den vereinbarten Informationsaustausch bleiben wir über das auf dem Laufenden, was in Sachen Atomenergie in anderen Ländern passiert. So sind wir sprachfähig, wenn wir über die Sicherheit von AKWs im internationalen Rahmen sprechen wollen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Liebe Kollegin, denken Sie an die Redezeit.

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Überzeugung ist: Wir sollten besser den Dialog mit anderen Ländern pflegen mit dem Ziel einer Anpassung der bestehenden Verträge an unsere neue energiepolitische Ausrichtung, und das bedeutet: keine Unterstützung bei Neubauten, Schwerpunkt des Informationsaustausches bei den Themen Stilllegung, Rückbau, Entsorgung und Endlagerung. Im Übrigen: Deutschland hat schon einen Vertrag mit Brasilien zu den erneuerbaren Energien abgeschlossen ({0}) unter Sigmar Gabriel als Umweltminister. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit.

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin schon am Ende. - Wir sind davon überzeugt, dass die Abkommen bei unseren beiden Ministern Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks in guten Händen sind. Auf alles andere werden wir aufpassen. Deswegen werden wir dem Antrag heute nicht zustimmen können. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kündigung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2907, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2610 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/ CSU und SPD, Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, bitte ich, gegebenenfalls die Plätze zu wechseln. Bitte noch einmal Konzentration! Jetzt ist der erste Redner nicht da, der Kollege Brauksiepe. ({0}) Mag jemand für ihn reden, oder soll ich einfach umstellen? ({1}) - Moment! Ich habe den Tagesordnungspunkt noch gar nicht aufgerufen. ({2}) - Herr Kollege Brauksiepe, haben Sie schon mal das Bier von der Wette getestet? ({3}) - Das war jetzt freundlich gemeint. Wir haben vorher gewettet; da waren Sie nicht da. - Er hat es nicht getestet. ({4}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-HybridOperation in Darfur ({5}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({6}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2173 ({7}) vom 27. August 2014 Drucksache 18/3006

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Auswärtiger Ausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, sehe auch keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Brauksiepe. - Danke, dass Sie noch rechtzeitig gekommen sind, Herr Brauksiepe! ({1})

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Entschuldigung. Ich war mit dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und einer internationalen Delegation im Abgeordnetenrestaurant - nachweislich mit Wasser; das steht noch auf den Tischen. ({0}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wendet sich heute an Sie mit der Bitte, der Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur zuzustimmen. UNAMID, die gemeinsam von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union geführte Friedensmission in Darfur, zählt zu einer der weltgrößten Friedenstruppen und hat nach wie vor eine entscheidende Funktion in der Region. Ihr Auftrag umfasst die Umsetzung des Darfur-Friedensabkommens, die Unterstützung des Friedensprozesses, den Schutz von Zivilisten und die Sicherung des humanitären Zugangs. Das ist weiß Gott kein einfacher Auftrag. Die Sicherheitslage in Darfur ist trotz der erzielten Fortschritte von UNAMID weiterhin angespannt und instabil. Dies ist besorgniserregend. Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Rebellengruppen halten auch im elften Jahr des Konflikts an. Die immer wieder aufflammenden Kämpfe in der Region führen zu Massenflucht, Zehntausenden neuer Binnenflüchtlinge und Flüchtlingsströmen in die Nachbarländer. All dies - man muss das wiederholen, was wir auch schon beim Südsudan diskutiert haben - gipfelt in einer humanitären Tragödie. Die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, ist 2014 wieder deutlich angestiegen. Waren Ende 2013 noch 3,5 Millionen Menschen in Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen, so ist die Zahl mittlerweile auf fast 3,9 Millionen angewachsen. Solange diese humanitäre Tragödie andauert und die Sicherheitslage so instabil ist, dass Vertriebene auf Flüchtlingslager und humanitäre Hilfe angewiesen sind, bedarf es weiterhin des Schutzes durch UNAMID. Ich will das ausdrücklich betonen: Die zivile Komponente leistet hervorragende Arbeit. Aber es hängt eben das Zivile mit dem militärischen Schutz zusammen. Ich möchte an der Stelle das, was der Kollege Schmidt in der Debatte zu UNMISS gesagt hat, aufgreifen: Alleine die Tatsache, dass wir denjenigen Schutz bieten, die in die Flüchtlingslager kommen, rechtfertigt die VN-Missionen und rechtfertigt auch, dass wir uns daran beteiligen, und zwar auch mit militärischem Schutz. Es ist zynisch, etwas anderes zu behaupten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Schon die bloße Gegenwart einer so großen internationalen Präsenz hat - bei allen Problemen, die es gibt eine mäßigende Wirkung auf die Konfliktparteien. UNAMID schafft den notwendigen Rahmen, innerhalb dessen sich die politischen Bemühungen um ein Ende der Krise in Darfur weiterentwickeln können - und das wird noch ein langer Weg sein. Mit der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 27. August wurde das UNAMID-Mandat bis zum 30. Juni 2015 verlängert. Seit Beginn der Mission ist Deutschland als einer der wenigen westlichen Truppensteller an der Mission beteiligt; es hat sich mit Einzelpersonal in den Führungsstäben und mit Verbindungsoffizieren an dieser Mission beteiligt. Mit unseren derzeit zehn deutschen Soldatinnen und Soldaten im Hauptquartier El Fasher und den fünf Polizeivollzugsbeamten unterstützen wir die Auftragsdurchführung der Mission. Das ist im Verhältnis zur Gesamtzahl an Personal in der Mission sicherlich nur ein kleiner Beitrag, aber er erfolgt an zentraler Stelle und setzt ein wichtiges Zeichen der Unterstützung der Mission. Die eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten arbeiten unter den schwierigsten Umständen. Oft sind sie auf sich alleine gestellt, und sie arbeiten - ähnlich wie im Südsudan; diese Situation ist bei UNMISS und UNAMID ähnlich - häufig abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aber - und auch das gilt für beide Missionen, liebe Kolleginnen und Kollegen - unsere Soldatinnen und Soldaten - und ich schließe die Polizistinnen und Polizisten an der Stelle ausdrücklich mit ein - verrichten ihren Auftrag unter schwierigen Umständen hoch professionell und vorbildlich. Dafür können wir ihnen dankbar sein, meine Damen und Herren. ({2}) Ich will auch die schon vom Kollegen Kiesewetter in der vorangegangenen Debatte erwähnten afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnen: Das, was wir im Rahmen von UNAMID tun, liegt genau auf der Linie dieser afrikapolitischen Leitlinien. Wir werden deshalb unsere Bereitschaft zur Hilfe und unser Engagement in Afrika weiterhin beibehalten. Bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten können demnach weiterhin bei dieser wichtigen VN-Mission eingesetzt werden. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, das Hohe Haus - auch den jetzt eingetroffenen Kollegen Mißfelder -, ({3}) herzlich um Unterstützung für dieses Mandat. Wir haben einen schwierigen Weg erfolgreich beschritten und sollten ihn gemeinsam weitergehen - im Interesse der Menschen, die auch in Darfur unsere Unterstützung, unsere Hilfe und eine Zuflucht brauchen. Herzlichen Dank, Kolleginnen und Kollegen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Brauksiepe. - Die nächste Rednerin in der Debatte ist Christine Buchholz für die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit sieben Jahren beteiligt sich die Bundeswehr nun an der Militärmission UNAMID in Darfur. Selbst die Bundesregierung muss zugeben: Die Ergebnisse sind mehr als ernüchternd. Die Kriminalität hat massiv zugenommen. Der bewaffnete Konflikt hat eine landesweite Dimension bekommen. 2014 sind in Darfur erneut fast eine halbe Million Menschen zu Flüchtlingen geworden. Der Antrag der Bundesregierung liest sich wie ein Dokument des Scheiterns. ({0}) Trotzdem fordern Sie eine Verlängerung der deutschen Beteiligung. Eine Begründung bleiben Sie schuldig. ({1}) Sie behaupten einfach - Sie eben auch, Herr Brauksiepe -, der Einsatz sei „unverzichtbar“ zur Stabilisierung der Sicherheitslage. Die frühere Sprecherin von UNAMID, Aicha Elbasri, ist da ehrlicher. Sie übergab Tausende interne UNAMIDDokumente dem amerikanischen Magazin Foreign Policy. In der Bilanz stellt sie der Mission ein vernichtendes Urteil aus. Frau Elbasri sagt - ich zitiere -: Die Präsenz von UNAMID Peacekeepern hat weder die Regierung noch die Rebellen von Angriffen gegen Zivilisten abgeschreckt. Eines ihrer vielen Beispiele ist die Entführung, Ausraubung und Misshandlung einer vielköpfigen Delegation von Flüchtlingen am 24. März 2013. Sie waren in drei Bussen unter UNAMID-Schutz auf dem Weg zu einer Friedenskonferenz. Opfer und Fahrer gaben zu Protokoll, dass UNAMID-Soldaten die Busse bereitwillig an eine bewaffnete Bande übergaben. Einige hätten den Entführern sogar Zustimmung signalisiert. Aber Frau Elbasris Dokumente zeigen auch, dass UNAMID Angriffe durch die Truppen der Regierung in Khartoum systematisch herunterspielt, und es ist auch so, wie mein Kollege Jan van Aken eben in Bezug auf UNMISS argumentiert hat, dass ihr Wohl und Wehe von der sudanesischen Regierung abhängig ist. Während die frühere Sprecherin von UNAMID also schwere Vorwürfe gegen die eigene Mission erhebt, geht die Bundesregierung schweigend darüber hinweg. Das kann doch wohl nicht wahr sein. ({2}) Es gibt noch ein weiteres Argument: Das Geld, das für diese Mission - die größte und teuerste Mission der UN ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle. UNAMID kostet jedes Jahr 1,3 Milliarden US-Dollar. Der deutsche Anteil daran beträgt nicht nur eine halbe Million Euro an Zusatzausgaben, die Sie im Antrag nennen, sondern insgesamt rund 91 Millionen US-Dollar. Hochgerechnet hat die Bundesrepublik Deutschland also für diesen Militäreinsatz bereits rund eine halbe Milliarde Dollar ausgegeben. Es wäre besser, das Geld in sinnvollen Hilfs- und Entwicklungsprojekten anzulegen, um endlich die Ursachen für Flucht und Gewalt in Darfur zu bekämpfen. ({3}) Sieben Jahre UNAMID-Militäreinsatz haben gezeigt: Weder die Mission noch die deutsche Beteiligung daran tragen etwas zur Lösung der Konflikte in Darfur bei. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Bundeswehreinsätze wie diese Beteiligung an UNAMID längst zum Selbstzweck geworden sind. Die Linke findet sich nicht damit ab, dass das zur Normalität werden soll. Wir werden der Verlängerung dieses Mandates nicht zustimmen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin Buchholz. - Nächster Redner in der Debatte: Dr. Karl-Heinz Brunner aus Illertissen für die SPD. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal ob in Neu-Ulm, Berlin oder al-Faschir, egal ob, Frau Präsidentin, in Illertissen, Babenhausen oder Nyala, eines vereint die Menschen überall: Sie wollen und brauchen eine Perspektive. Sie wollen wissen, dass das, was sie heute tun, auch morgen noch Bestand hat, und sie wollen, dass es ihren Kindern und ihrer Familie gut geht. Sie wollen ihre Wünsche, Meinungen, Ideen und Pläne offen und ohne Druck leben. Wenn wir heute allerdings den Blick auf Darfur werfen, blicken wir dabei - so möchte ich sagen - fast in ein dunkles Loch. Und doch ist dieses Land unserem Blick fast entschwunden. Die Gier nach Sensation lenkt den Blick auf Syrien, den Irak, die Ukraine, die Angst um Ebola den Blick weg vom täglichen Leid, von der Perspektivlosigkeit und von Angst und Schrecken in Darfur. Und doch: Die humanitäre Lage in der Region ist unverändert dramatisch. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen 2003 sind schätzungsweise 300 000 Menschen ums Leben gekommen. Die UNO vermutet über 2,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Der Sudan ist das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen schlechthin, ein Land, in dem seit 1999 wachsende Einnahmen aus der Erdölförderung wirtschaftliche und machtpolitische Konflikte entfachen. Man könnte fast sagen: Nicht Armut, sondern Gier ist die Triebfeder, die das Land auseinanderdriften lässt, ein Land, in dem ethnische Konflikte und politische Auseinandersetzungen stets angeheizt werden und in dem durch selbsternannte Befreiungsarmeen, zahlreiche Splittergruppen und nicht zuletzt den Staat Menschen instrumentalisiert werden. Es wurde sprichwörtlich mehr Öl ins Feuer gegossen, als Löschmittel zur Verfügung stehen könnten. Darfur ist ein Land, in dem die regierungsnahen Milizen Menschenrechtsverletzungen begehen, Frauen und Mädchen vergewaltigen, ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachen und Menschen aus ihrer angestammten Heimat vertreiben. Ich könnte die Aufzählung noch ewig weiterführen mit dem vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilten Präsidenten, mit der herrschenden Kriminalisierung, mit Straftaten gegen sexuelle Minderheiten und Homosexuelle, mit Entführungen und Gewalt, der sich auch unsere westlichen Helfer und NGOs ausgesetzt sehen. Fest aber steht: Der Sudan ist ein Land, das vor sich selbst flüchtet und keine Perspektiven und schon gar nicht die Sicherheit schafft, die Menschen benötigen. Dies ist nicht Schwarzmalerei, sondern bittere Realität. Das konnte ich vor wenigen Tagen von Hilde Johnson - bis Juli Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für den Südsudan - persönlich erfahren. Erlauben Sie mir eine Bemerkung am Rande: Wenn der Sudan es mit über 2 Millionen Binnenflüchtlingen zu tun hat, dann sollten wir angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen in Europa und Deutschland genug Mut haben, einigen Tausend Menschen den Neuanfang zu ermöglichen, die vor dem Schrecken und Morden des IS geflohen sind. Das wäre auch Verantwortung. ({0}) Kolleginnen und Kollegen, trotz vielfältiger Bemühungen konnten die Kämpfe in Darfur nicht beendet werden, geschweige denn ein dauerhafter Frieden etabliert werden. Absprachen werden, soweit sie überhaupt getroffen werden konnten, von allen Seiten gebrochen. Manchmal übermannt einen in dieser Situation der Wunsch, wie bei einem abgestürzten Rechner den ResetKnopf zu suchen und alles wieder auf Neuanfang, auf Start zu stellen, in der Hoffnung, beim zweiten Anlauf wird es besser. Das geht jedoch nicht; so funktioniert die Welt nicht. Eine politische Lösung ist daher nach meiner Auffassung unabdingbar. Und die internationale Gemeinschaft muss vor Ort sein. Unsere Unterstützung ist unabdingbar. Hier müssen wir Verantwortung übernehmen. Deswegen haben wir 2007 deutsche Soldatinnen und Soldaten sowie Polizistinnen und Polizisten dorthin geschickt. Sie sind Teil der vom Sicherheitsrat entsandten Friedenstruppe UNAMID. Sie sollen Zivilisten schützen, humanitäre Hilfe erleichtern, humanitäre Helfer sichern und die Friedensverhandlungen unterstützen. Keine leichte Aufgabe. Aber sie übernehmen Führungsaufgaben, beraten, geben technische Unterstützung und bilden die truppenstellenden Nationen aus. Das Ganze, meine Damen und Herren, ist jedoch kein Selbstläufer. Unsere Leute versuchen, stabile Strukturen, Sicherheit zu schaffen. Das zarte Pflänzchen eines gemeinsamen nationalen Dialogs gibt es bereits. Kann es wachsen? Die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens von 2011 geht langsam voran. Ob dies Anlass zur Hoffnung gibt, sei nach all den Rückschlägen dahingestellt. Bei einem bin ich mir aber sicher: Wenn ein möglicher Friedensprozess auch nur annähernd in Gang kommen soll, dann muss die humanitäre Notlage in Darfur dringend gelöst werden. UNAMID läuft übrigens nicht immer so rund, wie wir es uns wünschen; das haben die Vorredner bereits angesprochen. Die Kommunikation ist nicht gerade ideal. Das, was UNAMID vor Ort leisten kann, ist verbesserungsbedürftig. Aber sicherlich wird niemand erwarten, dass UNAMID und Deutschland alle Probleme dieser Welt lösen. Dennoch sollten wir den Mut haben, zu sagen, was wir eigentlich wollen: Ganz konkret Verantwortung übernehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das UNAMID-Mandat ist konkrete deutsche Verantwortung, ein Versuch zur Konfliktlösung im Sudan. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen zu dieser Verantwortung. Lassen Sie mich am Ende meiner Ausführungen den deutschen Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten, den Militärbeobachtern und den Stabsoffizieren ein herzliches Dankeschön für ihren Dienst sagen. Genauso möchte ich allen Hilfsorganisationen, den vielen ungenannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Sudan unter schwierigsten Bedingungen ihre Aufgabe erfüllen, meinen Respekt und Dank aussprechen. ({1}) Die SPD stimmt der Mandatsverlängerung zu. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Brunner. - Nächste Rednerin in der Debatte: Agnieszka Brugger für Bündnis 90/ Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit über zehn Jahren herrscht in Darfur im Sudan ein grausamer Bürgerkrieg. Um die Gewalt einzudämmen, haben die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen 2007 eine Friedensmission auf den Weg gebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit sieben Jahren debattieren wir dieses Mandat. Ich finde, wir sollten es nicht als reine Routineberatung betrachten, sondern wir haben dabei auch die Verantwortung, das schreckliche Schicksal vieler Menschen im Sudan wieder in Erinnerung und in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. ({0}) Die Eskalation von Gewalt findet nicht nur in Darfur statt, sondern mittlerweile auch in weiten Teilen des Landes, im Bundesstaat Blauer Nil oder in Südkordofan. In diesem Bürgerkrieg sind sowohl die vielen bewaffneten Rebellenorganisationen, aber auch die sudanesischen Truppen für das Leid und die Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung verantwortlich. Meine Damen und Herren, über 5 Millionen Menschen sind im Sudan von Hunger bedroht. 2,4 Millionen Menschen sind ihrer Heimat beraubt, und seit Anfang dieses Jahres sind aufgrund aufflammender Gewalt zusätzlich 400 000 auf der Flucht. Am Anfang dieses Monats gab es die schreckliche Meldung, dass 200 Frauen und Mädchen Opfer einer Massenvergewaltigung im Norden von Darfur geworden sein sollen. Dieses grauenhafte Verbrechen muss rückhaltlos aufgeklärt werden und die Täter zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. ({1}) Dabei ist es völlig inakzeptabel, dass das sudanesische Militär UNAMID daran hindert, diesen Vorwürfen nachzugehen. Meine Damen und Herren, ich finde diese Zahlen schwer vorstellbar; ich finde sie schockierend, und ich finde, sie dürfen uns auch nicht kaltlassen. Sie zeigen, dass sich die Sicherheitslage im Sudan wieder verschlechtert hat. Die Vereinten Nationen haben diese Mission bei der Mandatierung im Sicherheitsrat vom Auftrag her angepasst. Sie haben auch Lehren aus den letzten Jahren gezogen. Das Zentrum dieses Mandates bilden nun drei Aufgaben: An allererster Stelle steht der Schutz der Zivilbevölkerung, aber eben auch die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien sowohl auf nationaler als auch auf kommunaler Ebene. Und es ist klar: Dieser Konflikt und dieser Krieg können nur ein Ende finden, wenn es eine politische Lösung gibt. Dazu müssen alle gesellschaftlichen Gruppen in die Verhandlungen über eine gemeinsame Zukunft des Landes eingebunden werden. Die dritte Aufgabe von UNAMID ist aber auch wichtig: der Schutz von humanitären Helferinnen und Helfern; denn auch sie werden mittlerweile immer häufiger Opfer von Gewalt durch die Konfliktparteien und sind von Plünderungen und Übergriffen bedroht. Meine Damen und Herren, UNAMID kann sicherlich nicht alle Probleme lösen; aber die Mission ist ein wichtiger Beitrag für mehr Stabilität und Sicherheit im Sudan. Ich finde schon auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns die ehrliche Frage stellen müssen, ob diese Mission eigentlich gut genug ausgestattet ist, um diese Ziele zu erfüllen, und ob das deutsche Engagement der dramatischen Situation angemessen ist. ({2}) Die Lage hat sich verändert, die Vereinten Nationen haben das Mandat angepasst - nur eines bleibt gleich: der deutsche Beitrag. Und der ist, freundlich formuliert, mehr als bescheiden. Die personale Obergrenze, die in diesem Mandat festgeschrieben ist, beträgt 50 Bundeswehrangehörige; derzeit sind elf vor Ort. Die Zahl der Polizeikräfte, die nicht Teil dieses Mandates sind, ist noch geringer: Es sind fünf Polizistinnen und Polizisten. Diejenigen, die diese Mission erlebt haben, sagen uns immer wieder, dass gerade mehr Polizistinnen und Polizisten gebraucht werden, und zwar dringend. ({3}) Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass das Auswärtige Amt die finanzielle Unterstützung für die Ausbildung afrikanischer Polizeiangehöriger im letzten Jahr um mehr als die Hälfte gekürzt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist angesichts der Lage das völlig falsche Signal. Wir Grüne fordern Sie auf: Nehmen Sie diese Kürzung zurück! ({4}) Meine Damen und Herren, auch ich möchte all jenen danken, die sich mit oder ohne Uniform im Rahmen von UNAMID oder außerhalb für eine bessere Zukunft im Sudan einsetzen. Dass sie das auch unter persönlichen Entbehrungen und großen Risiken tun, zeigt nicht zuletzt der tragische Tod von drei UNAMID-Angehörigen im letzten Monat, die Übergriffen von Rebellen zum Opfer gefallen sind. Ihnen und den Menschen im Sudan, die bereits seit Jahren unermessliches Leid erfahren und trotzdem Glauben und Hoffnung nicht verlieren, sind es die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen schuldig, sich noch stärker zu engagieren. Denn es wird bei weitem nicht alles getan, was notwendig wäre; es wird bei weitem nicht alles getan, was getan werden könnte - auch nicht das, was getan werden müsste. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Agnieszka Brugger. - Letzte Rednerin in dieser Debatte: Julia Bartz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

1992, ein kleines schwarzafrikanisches Dorf in den Nuba-Bergen im Sudan. ({0}) - Kommt. - Spätabends spielt die zwölfjährige Mende Nazer gerade mit ihrer Katze. Plötzlich hört sie Schreie:“ Es brennt! Die Araber kommen!“ Sie rennt davon, wird aber von den Milizen aufgegriffen. Gemeinsam mit anderen Mädchen wird Mende verschleppt und an einen Sklavenhändler verkauft. Nach Jahren der Ausbeutung als Sklavin gelingt ihr schließlich die Flucht in die Freiheit. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mende Nazer ist heute als Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin bekannt. Ähnlich wie ihr erging und ergeht es heute noch immer vielen Mädchen und jungen Frauen in Darfur. Trotz umfangreicher Bemühungen der internationalen Gemeinschaft ist es noch nicht gelungen, den Konflikt in der Region beizulegen und einen dauerhaften, nachhaltigen Frieden zu sichern. Die Sicherheitslage in Darfur ist weiterhin äußerst angespannt. Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem sudanesischen Regime, Rebellengruppen und den verschiedenen Ethnien dauern an. Zudem ist die Kriminalität hoch. Entsprechend ist auch die humanitäre Lage prekär. In den vergangenen Monaten sind weitere 400 000 Menschen vor der Gewalt geflohen. Derzeit befinden sich insgesamt 2,4 Millionen Binnenflüchtlinge in Darfur. Deren Versorgung ist unter diesen Umständen nur beschränkt möglich. Denn sowohl die Zivilbevölkerung als auch die über 5 000 humanitären Helferinnen und Helfer, denen ich an dieser Stelle ganz herzlich für ihren Einsatz danken möchte, ({1}) werden immer wieder Ziel gewaltsamer Übergriffe und Plünderungen. Seit 2003 sind in Darfur über 300 000 Menschen getötet worden. Deshalb hat die internationale Gemeinschaft beschlossen, in Darfur aktiv zu werden. Seit 2007 stellen die Vereinten Nationalen und die Afrikanische Union eine Friedenstruppe für die Region. Heute beraten wir über die Verlängerung des Mandats mit der Obergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten, mit denen wir uns weiterhin an der UNAMID-Mission beteiligen wollen. Derzeit sind elf deutsche Soldatinnen und Soldaten sowie fünf Polizisten vor Ort. Angesichts der Gesamtstärke der UN-Mission von circa 16 000 Mann erscheint das möglicherweise gering. Die deutsche Beteiligung ist aber wichtig, um deutlich zu machen: Uns sind alle Länder in der Region wichtig. Für uns sind nicht nur womöglich direkt ableitbare Interessen ausschlaggebend. Somit können auch maximal 50 Soldatinnen und Soldaten einen wichtigen Beitrag leisten. Denn das Ziel dieser Friedensmission ist es, die Zivilbevölkerung in Darfur zu schützen. Ein weiteres Ziel ist es, die Sicherheit des humanitären Personals sicherzustellen. Denn nur wenn gewährleistet werden kann, dass entwicklungspolitische und humanitäre Helferinnen und Helfer vor Ort sicher wirken können, kann es uns gelingen, im Verbund von militärischen, diplomatischen und polizeilichen Instrumenten einen nachhaltigen Erfolg in einer Krisenregion zu erreichen. ({2}) So setzt zum Beispiel das Auswärtige Amt die Ausbildung afrikanischer Polizisten für Einsätze bei UNAMID fort. Auf der Wiederaufbaukonferenz in Doha hat Deutschland bereits 16 Millionen Euro für den Wiederaufbau Darfurs zugesichert. Die Mission ist also eingebettet in einen ressortübergreifenden und vernetzten Ansatz. Zudem haben wir als Handelsnation ein grundlegendes Interesse an stabilen Handelspartnern und freien Handelswegen auch und besonders in und um Afrika. Aus all diesen Gründen ist unsere Hilfe für die Afrikanische Union und die Region im Rahmen der UNAMID-Friedensmission wichtig. Schicksale wie das von Mende Nazer - ich denke, darüber sind wir uns alle in diesem Haus einig - sollen sich nicht wiederholen. Dies ist nur möglich, wenn in der Region ein dauerhafter und nachhaltiger Frieden gewährleistet ist, auch wenn der Weg dorthin noch lang sein wird. Irgendwann, meine Damen und Herren, will auch Mende Nazer wieder zurück in den Sudan. Eine Rückkehr sei erst, sagt sie, möglich, wenn in dem Land Sicherheit herrscht. Genau dieses Ziel, Sicherheit für die Menschen im Sudan, verfolgen wir mit dieser Friedensmission. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Bartz. - Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3006 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsidentin Claudia Roth Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann ({0}), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung ({1}) Drucksache 18/3042 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ({3}) - Ich sehe, dass einige Abgeordnete gehen. Wir haben aber noch reichlich Abstimmungen; das will ich nur sagen. ({4}) Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings Drucksache 18/1774 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5}) Drucksache 18/3066 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/3066, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1774 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- nommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - 1) Anlage 6 2) Anlage 8 Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken an- genommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsatzsteuerbetrug bekämpfen Drucksache 18/1968 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1968 an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes Drucksache 18/2707 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({6}) Drucksache 18/3064 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.4) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er- nährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/3064, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2707 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und den Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und den Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü- nen. 3) Anlage 7 4) Anlage 10 Vizepräsidentin Claudia Roth Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen Drucksache 18/2308 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({7}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Niemand ist dagegen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2308 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes Drucksache 18/2602 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({8}) Drucksache 18/3069 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/3069, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/2602 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und bei Ent- haltung der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen an- genommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/ CSU und SPD und Enthaltung der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatz- 1) Anlage 9 2) Anlage 11 protokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 Drucksache 18/2655 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({9}) Drucksache 18/3071 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/3071, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2655 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Ge- genstimmen der Linken. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen Drucksache 18/2846 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({10}) Drucksache 18/3068 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({12}), Sigrid Hu- pach, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kurzzeitig Beschäftigten vollständigen Zu- gang zur Arbeitslosenversicherung ermögli- chen Drucksachen 18/2786, 18/3067 Der Gesetzentwurf zur Durchführung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen in der Ausschussfassung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz beinhaltet Änderungen des Rechts- pflegergesetzes, des Gerichts- und Notarkostengesetzes, des Altersteilzeitgesetzes und des Dritten Buches Sozial- gesetzbuch. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.4) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. 3) Anlage 12 4) Anlage 13 Vizepräsidentin Claudia Roth Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23 a. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durchführung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3068, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2846 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 23 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kurzzeitig Beschäftigten vollständigen Zugang zur Arbeitslosenversicherung ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3067, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2786 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSUFraktion und SPD-Fraktion, bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes Drucksache 18/2141 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({13}) Drucksache 18/3078 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Innenaus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3078, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 18/2141 anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3089 vor, über den wir zuerst abstimmen müssen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer 1) Anlage 14 stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen, Ablehnung von CDU/CSU- und SPD-Fraktion und Enthaltung der Linken. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen: Zustimmung CDU/CSU- und SPD-Fraktion, Gegenstimmen Linke, Enthaltung Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen: Zustimmung von CDU/CSUund SPD-Fraktion, Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung, zur Durchführung der Verordnung ({14}) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Drucksache 18/2955 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({15}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Ich sehe, Sie sind einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/2955 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Nein, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen Drucksache 18/2956 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({16}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/2956 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es 2) Anlage 15 3) Anlage 16 Vizepräsidentin Claudia Roth anderweitige Vorschläge? - Nein, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/3017 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({17}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/3017 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Nein. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. No- 1) Anlage 17 vember 2008 über die Adoption von Kindern ({18}) Drucksache 18/2654 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({19}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/2654 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch dazu gibt es, wie ich sehe, keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. ({20}) Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 7. November, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Bitte denken Sie daran, möglichst frühzeitig von zu Hause loszufahren, damit Sie wirklich um 9 Uhr da sind. Schönen Abend!