Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/5/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund auf Drucksache 18/2848 dem Haushaltsausschuss zur Mitberatung zu überweisen. Darüber hinaus sollen die Unterrichtungen der Bundesregierung zu Stellungnahmen des Bundesrates und Gegenäußerungen der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3000 und 18/3004 zu den bereits überwiesenen Gesetzentwürfen zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes bzw. zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf den Drucksachen 18/2581 und 18/2592 an die entsprechenden federführenden und mitberatenden Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes - Ausweitung der Lkw-Maut. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Herr Alexander Dobrindt. - Bitte schön, Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nicht nur in Deutschland, sondern an vielen Stellen in Europa Diskussionen darüber, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum unserer Wirtschaft und Arbeitsplätze in Zukunft verstetigen können. Eine der Grundlagen dafür ist immer Zustand, Qualität und Ausbau der Infrastruktur. Deswegen hat sich die Bundesregierung zu Fragen der Infrastrukturfinanzierung in der Vergangenheit immer dahin gehend geäußert, dass wir einen Investitionshochlauf organisieren werden, der die Chance bietet, mehr Geld in Infrastruktur zu investieren. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Hochlaufs ist das 5-MilliardenEuro-Paket, das in dieser Wahlperiode einen Hochlauf der Investitionen um 500 Millionen Euro mehr in diesem Jahr, 1 Milliarde Euro mehr im nächsten Jahr usw. vorsieht, bis dann im Jahre 2017 in der Gesamtsumme der Investitionen ein Spitzenwert von 12 Milliarden Euro erreicht werden kann. Wir begleiten diesen Investitionshochlauf unter anderem mit der stärkeren Nutzerfinanzierung. Ein Teil dieser Nutzerfinanzierung ist die Lkw-Maut. Sie wissen, dass gerade der Güterverkehr in den nächsten Jahren weiter massiv ansteigen wird: auf der Straße, auf der Schiene und auf den Wasserwegen. Wir werden in den nächsten 15 Jahren auf der Straße einen Zuwachs von 40 Prozent beim Güterverkehr zu verzeichnen haben. Das zeigt auch schon die Herausforderungen: erstens für die Belastung der Straßen und zweitens für Unterhalt, Reparatur und auch Neubau von Straßen. Wir haben im Rahmen der Beratungen des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes heute beschlossen, dass wir im nächsten Jahr die Verbreiterung und Vertiefung der LkwMaut vornehmen werden. Verbreiterung und Vertiefung heißt, dass zum 1. Juli die vierspurigen Bundesstraßen in das Mautsystem und zum 1. Oktober 2015 die LkwKlasse von 7,5 bis 12 Tonnen in das Mautsystem einbezogen werden. Zusammen werden diese beiden Maßnahmen in einem ganzen Jahr Mehreinnahmen in Höhe von 380 Millionen Euro erbringen. Im Startjahr, dem Rumpfjahr 2015, werden es in der Summe circa 115 Millionen Euro sein. Das ist klar, weil wir erst Mitte bis Ende des Jahres, also zum 1. Juli bzw. zum 1. Oktober, starten können. Langfristig stärkt das unsere Möglichkeiten zu mehr Investitionen in unsere Straßeninfrastruktur. Perspektivisch planen wir, die Lkw-Maut im Jahr 2018 auf alle Bundesstraßen auszudehnen. Das Finanzvolumen wird durch ein entsprechendes Wegekostengutachten ermittelt werden. Dieses Gutachten wird perspektivisch bereits vorbereitet. Wenn wir das Ziel, die Einbeziehung von Lkws mit 7,5 Tonnen bis 12 Tonnen und von vierspurigen Bundesstraßen, erreicht haben, werden wir einen wesentlichen Teil der Investitionslücke schließen können, die gemäß dem Wegekostengutachten aufgrund von Mindereinnahmen bei der bisherigen Lkw-Maut entstanden ist. Diese gehen auf einen Zinseffekt zurück: Zinsvorteile aufgrund der geringen Zinsen, die zurzeit herrschen, müssen nämlich an die Nutzer der Straße weitergegeben werden. Straße ist letztlich gebundenes Kapital und wird zumindest nach der bisherigen Lesart auch mit Zinsen versehen. Ich habe in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass ich mir im Sinne einer langfristigen und verlässlichen Finanzierungsstruktur wünschen würde, dass der Zinseffekt bei der Berechnung der Mautgebühren nicht so durchschlägt. Wir sind deswegen in Brüssel initiativ geworden. Wir wollen gemeinsam mit den Kollegen der Kommission dafür sorgen, dass bei zukünftigen Wegekostengutachten, die ja die Grundlage für Mautgebühren sind, der Zinseffekt geringer ausfällt und dadurch mehr Verlässlichkeit bei den Einnahmen und damit für die Finanzierung der Infrastruktur sichergestellt werden kann. In der jetzigen Wahlperiode helfen uns die gerade dargestellten Maßnahmen, die entstandene Lücke zu schließen. Wir werden sie auch überkompensieren. Das heißt, am Schluss wird von den Einnahmen, die wir über Verbreiterung und Vertiefung erreichen, auch zusätzliches Geld für Investitionen in die Infrastruktur übrig bleiben. Das sind also Maßnahmen, die auf dem Weg zur stärkeren Nutzerfinanzierung einen weiteren Meilenstein darstellen und umgehend, das heißt schon im nächsten Jahr, haushaltswirksam werden können. Ich freue mich, dass dies allgemein sehr positiv aufgenommen wird. Es ebnet uns den Weg zur Hereinnahme aller Bundesstraßen in die Lkw-Maut 2018 und damit zu einer noch stärkeren Nutzerfinanzierung. Danke schön.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir haben eine ganze Reihe von Fragen. Ich lese die Fragesteller vor, damit sich jeder geistig darauf einstellen kann: Frau Dr. Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Behrens, Fraktion Die Linke, Herr Bilger, CDU/CSU-Fraktion, Frau Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, und Frau Leidig, Fraktion Die Linke. Ich gebe jetzt Frau Dr. Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Dobrindt, Sie haben eben gesagt, Sie wollen im Rahmen der Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut auf 7,5 Tonnen heruntergehen. Hier klafft aber noch eine Lücke zu Ihrem Referentenentwurf, der letzte Woche auf der Pressekonferenz zum Thema „Pkw-Maut“ bekannt geworden ist; da hat man dies vernehmen können. Es gibt jetzt die schöne Lücke zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen. Aus welchem Grund nehmen Sie eigentlich diese Fahrzeuge - mit Ausnahme der Wohnmobile aus? Was steckt dahinter? Ich kann das irgendwie nicht nachvollziehen. Auch solche Fahrzeuge nutzen doch die Straßen und nutzen sie in irgendeiner Weise ab. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Verzeihung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Frau Wilms schon fertig ist. - Liebe Frau Wilms, wenn Sie sich den Gesetzentwurf, wie wir ihn heute im Kabinett beschlossen haben, anschauen, dann werden Sie feststellen, dass da ein Prüfauftrag formuliert worden ist, nämlich zu prüfen, wie und ob - wahrscheinlich eher: wie - man die Klasse von Fahrzeugen zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen in ein Mautsystem miteinbeziehen kann. Das war auch ausdrücklicher Wunsch von beteiligten Ressorts. Ich teile nicht hundertprozentig Ihre Einschätzung, dass es eine Lücke gibt. Wir haben vielmehr zwei Systeme, die nebeneinander existieren: zum einen das System der Güterverkehre, das von den Lkws abgebildet wird, zum anderen das System der Personenverkehre, das von den Pkws abgebildet wird. Sie existieren nebeneinander und unterliegen daher sehr unterschiedlichen Regelungen. Sie wissen: In der Eurovignetten-Richtlinie, also dem europäischen Regelwerk, sind Regelungen für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen aufwärts formuliert - nicht darunter. Es gibt aktuell keine Überlegungen im Haus, was die Bemautung der 3,5- bis 7,5-Tonner betrifft; aber im Gesetzentwurf ist ein diesbezüglicher Prüfauftrag deutlich formuliert. Der Prüfauftrag wird auch umgesetzt werden. Von daher kann man davon ausgehen, dass wir uns in naher Zukunft mit dieser Frage beschäftigen müssen. Das wird allerdings nicht mehr in diesem Jahr sein. Ergebnisse einer Prüfung kann ich - da bitte ich um Verständnis - beim besten Willen nicht vorwegnehmen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Frage: Herr Abgeordneter Gastel, Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Minister, ich habe eine Frage, die sich auf einen datenschutzrechtlichen Vergleich zwischen der bestehenden Lkw-Maut und Ihrer geplanten Pkw-Maut bezieht. Sie planen ja, die Daten bei der PkwMaut einen Monat länger, als das jeweils abgelaufene Jahr dauert, zu speichern. Was ist da der Hintergrund? Planen Sie ein ähnliches Vorgehen, eine entsprechende Änderung auch im Bereich der Lkw-Maut, wo die Daten ja bisher sofort wieder gelöscht werden?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Lieber Kollege Gastel, wir haben die Regelungen zum Datenschutz, die wir aus dem Bereich der LkwMaut kennen - es sind die schärfsten Datenschutzregelungen, die bisher in einem Gesetz zu finden sind -, gerade was die ausschließliche Verwendung dieser Daten für das Mautsystem und den Ausschluss der Verwendung der Daten für andere Zwecke - sprich: auch durch andere Behörden - anbelangt, in unseren Gesetzentwurf zur Infrastrukturabgabe, der sogenannten Pkw-Maut, übernommen. Das heißt - ich habe auch dies schon öffentlich formuliert -, dass wir ausdrücklich widersprechen, dass die Daten einer anderen Nutzung zugeführt werden. ({0}) Dass dies passiert, ist sogar explizit ausgeschlossen. Die Kontrolldaten, die wir erheben, werden grundsätzlich unverzüglich gelöscht. Das ist im Gesetz so vorgesehen. Bei der erstmaligen Kontrolle innerhalb des Gültigkeitszeitraumes einer Jahresvignette werden das Kennzeichen und der Tag der Kontrolle festgehalten, wobei die Aufbewahrungszeit je nach Zeitpunkt der Kontrolle innerhalb des Zeitraums der Gültigkeit einer Jahresvignette 1 Monat bis maximal 13 Monate betragen kann. Es geht dabei darum, dass wir uns für Härtefälle eine Erstattung auf Antrag vorstellen können, wenn nachgewiesen wird, dass ein Kraftfahrzeug im gesamten Entrichtungszeitraum nicht genutzt worden ist. Um jedoch ungerechtfertigten Erstattungen vorzubeugen, ist vorgesehen, dass einmalig innerhalb der Gültigkeit der Jahresvignette das Kennzeichen und der Tag der Kontrolle des Kfz mit einer Jahresvignette gespeichert werden können. Es geht dabei um die einmalige Feststellung der Nutzung des Netzes innerhalb des Gültigkeitszeitraums einer Jahresvignette. Die Feststellung findet ausschließlich über das Kennzeichen und den Tag der Nutzung statt. Eine Verwendung dieser Daten ist ausschließlich für den Zweck der Erstattung vorgesehen. Eine Übermittlung oder Beschlagnahme dieser Daten für andere Zwecke ist nicht zulässig. ({1}) Von daher sehen Sie, worum es an dieser Stelle geht, nämlich darum, einmalig festzuhalten, ob ein Befahren des Netzes stattgefunden hat. Grund dafür ist, Erstattungen oder Erstattungsanfragen möglich zu machen bzw. unberechtigte Anfragen entsprechend zu beantworten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Ich bin von der Fraktion Die Linke darauf hingewiesen worden, dass die Abgeordneten und die Regierungsmitglieder bitte die Redezeitampel beachten. Die Frage war allerdings so komplex, dass eine ausführliche Antwort aus meiner Sicht für das Haus wichtig war. ({0}) Herr Kollege Behrens von der Fraktion Die Linke stellt die nächste Frage.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich würde mich über eine kurze, aber hoffentlich inhaltsreiche Antwort freuen. - Sie stellen jetzt einen von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf vor, in dem es um die Frage der Ausweitung der Maut für Lkw geht. Dieses Thema ist nicht neu. Wir haben bereits im letzten Jahr darüber gesprochen, dass es eigentlich notwendig ist, weitere Straßen mit einer Lkw-Maut zu belegen. Zum damaligen Zeitpunkt war das angeblich aus technischen Gründen nicht möglich. Das Argument ist jetzt aufgehoben. Aber auch in der zweiten Runde sind es nicht mehr als 1 000 Kilometer Bundesstraßen, die zusätzlich in die Bemautung einbezogen werden können. Das ist eindeutig zu wenig, weil dahinter nicht nur steht, dass wir mehr Geld für das Verkehrssystem brauchen, sondern wir auch eine verkehrspolitische Maßnahme damit verbinden wollen, nämlich eine Lenkungswirkung erzielen wollen. Darum sind die Anforderungen an eine Maut einfach andere als die bloße Überlegung, ob wir damit genug Geld hereinbekommen oder nicht. Die Zeitspanne der Verbändeanhörung - nun zu meiner Frage - war sehr kurz bemessen. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung hat das angemahnt. Warum ist die Frist für die Verbändeanhörung so kurz gewesen? Wie viele Stellungnahmen gab es? Welche dieser Stellungnahmen haben Sie in Ihrem neuen Entwurf eingebaut?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das waren jetzt schon drei Fragen und damit eigentlich zwei mehr, als die Geschäftsordnung vorsieht. Deswegen braucht der Minister auch die Zeit, sie zu beantworten. - Bitte, Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Behrens, bemängeln Sie zwar, dass die Entscheidung zur Bemautung der vierspurigen Bundesstraßen zu spät getroffen worden sei, aber Sie begrüßen, dass sie kommt. ({0}) - Bitte? Der Schritt ist gut? ({1}) Die von Ihnen angesprochenen 1 000 Kilometer sind tatsächlich 1 100 Kilometer. Das heißt, dass alle vierspurigen Bundesstraßen, die an Autobahnen angebunden sind, in das Mautsystem aufgenommen werden. Das ist dann letztlich ein flächendeckendes Netz von Autobahnen und vierspurigen Bundesstraßen. In der Tat gab es in vergangenen Zeiten offensichtlich technische Fragen, die aber auf dem Weg bis hierhin geklärt werden konnten, sodass dies jetzt möglich ist. Des Weiteren wissen Sie, dass wir einen Betreibervertrag haben. Dieser Betreibervertrag ist eindeutig und lässt zu, dass wir ihn um diese beiden Maßnahmen erweitern. Eine Bemautung von allen Bundesstraßen braucht deutlich längere Vorbereitungen, weil sie erstens technisch kompliziert ist - sie muss aufgebaut werden und zweitens auch inhaltlich kompliziert ist. Eine Vergabe an ein bestehendes System halte ich nicht für möglich; vielmehr müssen wir, bevor wir alle Bundesstraßen bemauten, dafür sorgen, dass auch die Frage, wer dies durchführt, vorbereitet und geregelt wird. Hier unterliegen wir auch den europarechtlichen Rahmenbedingungen. Wir haben innerhalb der Frist in der Tat Stellungnahmen erhalten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Stellungnahmen eingegangen sind, aber ich reiche das gerne nach, wenn dies für Sie von besonderem Interesse ist. Ich stelle fest, dass die allgemeine Zustimmung zu unserer Entscheidung für diese Entscheidung groß ist, vor allem, weil jeder weiß, dass die Einnahmen, die wir durch die Maßnahmen erzielen, direkt wieder in die Infrastruktur investiert werden. Alle Beteiligten, auch beteiligte Verbände, profitieren davon, dass wir eine stabile Infrastruktur haben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Herr Kollege Bilger von der CDU/CSU-Fraktion.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben dargestellt, wie Sie sich den Weg hin zu einer Erhöhung der Einnahmen für die Infrastruktur vorstellen. Wie hoch schätzen Sie denn den nötigen Bedarf, wenn wir den Rückstau beim Erhalt aufholen, aber auch die fehlenden Mittel für den nötigen Ausbau aufbringen wollen? Wie ist sichergestellt, dass die durch die Ausweitung der Lkw-Maut und die durch die Einführung der Pkw-Maut eingenommenen Mittel dann auch tatsächlich für die Infrastruktur zur Verfügung stehen?

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Sehr geehrter Kollege Bilger, wir wissen, dass es in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Kommissionen gegeben hat, die versucht haben, den nötigen Mittelbedarf zu spezifizieren. Die Daehre/Bodewig-Kommission als letzte Kommission, die darüber getagt hat, hat einen jährlichen Mehrbedarf von 7,5 Milliarden Euro beziffert, der allerdings Bund, Länder und Kommunen erfasst, sodass wohl von einem ungefähren Mehrbedarf beim Bund von 3,5 bis 4 Milliarden Euro auszugehen ist. Wir haben einen Investitionshochlauf vorgezeichnet. Innerhalb des Zeitraums, den die Daehre/Bodewig-Kommission vorsieht, nämlich über das Jahr 2018 hinaus, soll der entsprechende Finanzierungsbedarf gedeckt werden. Durch die Schritte hin zu einer Verbreiterung und Vertiefung der Lkw-Maut, insbesondere ab 2018 die Ausweitung auf alle Bundesstraßen, durch die Einführung der Pkw-Maut, sprich: der Infrastrukturabgabe, durch ÖPPModelle, das heißt durch neue öffentlich-private Partnerschaften, durch eine Verstetigung der Investitionsmittel aus dem Haushalt und durch eine klare Priorisierung und das Bekenntnis „Erhalt vor Neubau“, was wir durch unser Brückenmodernisierungsprogramm deutlich unterstrichen haben, werden wir die notwendigen Investitionen für die Zukunft, wie sie auch von der Daehre/ Bodewig-Kommission vorgeschlagen worden sind, sicherstellen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Frau Kollegin Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie sprachen gerade im Rahmen der zusätzlichen Vorschläge zur Lkw-Maut von einem Investitionshochlauf. Ich glaube, wir können hier eher von einem Fliegenschiss reden. Wir sprechen bei Ihren Änderungen bei der LkwMaut, die ja unzureichend ist im Hinblick auf die Nichterfassung von Fahrzeugen mit einem Gewicht von 3,5 bis 7,5 Tonnen, von einer zusätzlichen Erfassung auf 1 100 Kilometern. Angesichts der Tatsache, dass wir 40 000 Kilometer Bundesstraßen haben, fragen wir uns als Grüne schon, weshalb Sie ein so kleinteiliges Konzeptchen so groß feiern.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Liebe Frau Haßelmann, wenn ich die Diskussionen der letzten Tage auch in den Medien richtig verfolgt habe, würde ich mich an Ihrer Stelle an noch mehr Punkten fragen; ich denke da an Äußerungen, die von maßgeblichen Personen aus Ihrer Partei zu diesem ganzen Thema zu lesen waren. Wir haben aufgenommen, dass viele Beteiligte eine Unterfinanzierung im Investitionsbereich beklagt haben, und wir haben einen Lösungsansatz erarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Paketlösung, mit der wir - das habe ich gerade schon in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Bilger gesagt - die von der Daehre/ Bodewig-Kommission formulierte Lücke füllen können. ({0}) Ein Teil dieser Paketlösung befindet sich in dem vorgelegten Gesetzentwurf: 380 Millionen Euro MehreinBundesminister Alexander Dobrindt nahmen pro Jahr. Dass Sie 380 Millionen Euro Mehreinnahmen pro Jahr als irrelevant bezeichnet haben - ({1}) - Ich habe „irrelevant“ verstanden. - Dass Sie das als irrelevant bezeichnet haben, kann ich nicht nachvollziehen. Für die meisten Menschen in diesem Land sind 380 Millionen Euro immer noch relativ viel Geld. Für mich auch, und für das Bundesverkehrsministerium auch. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Herr Minister, Sie haben kundgetan, dass Sie die Mauterhebungslücke bei Lkws mit 3,5 bis 7,5 Tonnen zunächst nicht schließen wollen, sondern einen Prüfauftrag in den Gesetzentwurf haben schreiben lassen. Es gibt das Wegekostengutachten, in dem die den verschiedenen Fahrzeugklassen anzulastenden Wegekosten stehen. Sie können mir jetzt sicherlich erklären, wie hoch die Einnahmen wären, die der Bund zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur verwenden könnte, wenn man Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen in die Bemautung einbeziehen würde.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Sehr geehrter Herr Kühn, nein, diese Frage kann man nicht beantworten, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es keine Vorschrift gibt, wie die Klasse von 3,5 bis 7,5 Tonnen zu bemauten ist. ({0}) Wenn Sie eine Antwort auf diese Frage haben wollen, müssen Sie erst einmal festlegen, in welchem System und mit welchen Bedingungen Sie die Maut für diese Klasse ausgestalten wollen. Wenn Sie das formuliert haben, dann können Sie am Ende einen Betrag errechnen. Ohne eine klare Formulierung, mit welchem Mautsystem man diese Klasse bemauten will, ist kein Euro-Betrag zu ermitteln. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie wollen hier jetzt die Botschaft vermitteln, dass Sie die Lkw-Maut ausweiten. Vor einigen Wochen haben wir hier die Senkung der Lkw-Maut beschlossen. Wenn ich die Zahlen richtig zusammenbringe, ist das ein Nullsummenspiel. Das kennen wir schon von der Pkw-Maut. Das Nullsummenspiel ist, glaube ich, typisch für Sie. Sie haben viel über Verbreitung und Vertiefung gesprochen. Ja, die Einschätzung teile ich: In Deutschland verbreiten und vertiefen sich die Schlaglöcher. Das ist auch Folge der Politik der vergangenen Jahre, die von Ihnen fortgesetzt wird. Es gibt viele Studien und Untersuchungen - auch das Wegekostengutachten liefert Anhaltspunkte dafür -, in denen festgestellt wird, dass weit über 90 Prozent - manche sprechen sogar von 98 Prozent - der Schäden im Bereich unserer Straßeninfrastruktur - Brücken und Belag - von Lkws verursacht werden, dass die Pkws hinsichtlich des Verschleißes also nur eine marginale Rolle spielen. Meine Frage ist: Wie soll nach Ihrer Vorstellung sichergestellt werden, dass die Lkws in Zukunft verursachergerecht zum Erhalt der Straßeninfrastruktur beitragen? Durch eine Ausweitung der Lkw-Maut auf weitere 1 000 Kilometer gegenüber dem heutigen Stand scheint dies nicht möglich zu sein.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

In den letzten Tagen gab es gerade auch von Ihnen Meldungen, dass Sie eine Verstetigung, Verbreiterung, Vertiefung, Ausweitung der Lkw-Maut befürworten. Das sei das richtige Konzept. Die Bundesregierung hat heute beschlossen, die Lkw-Maut auszuweiten - nicht unbedingt in Erfüllung Ihrer Aufforderung, vielmehr aus eigenem Antrieb, weil wir es für notwendig erachten, die Nutzerfinanzierung konsequenter umzusetzen. Deswegen habe ich heute auch sehr deutlich formuliert, dass wir alle Vorbereitungen dazu treffen, die Lkw-Maut im Jahr 2018 auf alle Bundesstraßen anzuwenden. Diesen Schritt fordern, glaube ich, auch Sie. Auch diesen Schritt gehen wir, und zwar nicht, um Ihrer Forderung nachzukommen, sondern weil wir es für dringend geboten halten, die Nutzerfinanzierung hier zu stärken. ({0}) - Nein. Es ist in der Tat einige Zeit Vorbereitung notwendig, damit es auf 40 000 Kilometern Straße funktionieren kann. Wir erheben bisher Lkw-Maut auf 13 000 Kilometern Autobahnen. Jetzt kommen 1 100 Kilometer vierspurige Bundesstraßen dazu; 1 200 Kilometer vierspurige Bun5736 desstraßen sind bereits im System enthalten. Wir wollen dann auf 40 000 Kilometern Mautgebühr erheben, so wie wir es heute für die genannten Straßen umgesetzt haben. Es ist bekannt, dass entsprechende Vorbereitungen notwendig sind. Sie werden innerhalb dieses Zeitraums möglich sein. Dadurch wird dann nutzerfinanziert ein erheblicher Mehrbeitrag für Investitionen zur Verfügung stehen. Dies ist auch richtig, weil die Lkws in der Tat zu einem erheblichen Teil die Belastung der Straße ausmachen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Frau Leidig, Fraktion Die Linke.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte gerne zwei kurze Fragen stellen. Die erste Frage bezieht sich auf die Antwort, die Sie Herrn Behrens gegeben haben. Ich möchte fragen, ob ich es richtig verstanden habe - auch in der jetzigen Antwort -, dass Sie im Grunde perspektivisch das Ziel verfolgen, alle Straßen für Lkws zu bemauten. ({0}) Außerdem möchte ich fragen, ob dieser Plan derzeit daran scheitert, dass das Erfassungssystem, sprich Toll Collect, dafür nicht geeignet ist.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Liebe Kollegin Leidig, Sie haben beides falsch verstanden. ({0}) Ich will die Lkw-Maut nicht auf allen Straßen in Deutschland einführen, sondern auf den Bundesstraßen in Deutschland im Jahr 2018. Die Tatsache, dass jetzt keine Ausweitung über das System von Toll Collect möglich ist, liegt nicht daran, dass das System das nicht kann, sondern es liegt daran, dass es sich um eine Größenordnung handelt, bei der die Vergabe nach europäischen Vorschriften organisiert werden muss. Deswegen kann dies von uns nicht einfach direkt zur Bemautung an ein existierendes Unternehmen gegeben werden, das dann die Mauteinnahmen generieren würde. Das Generieren der Mauteinnahmen in einem großen System von 40 000 Kilometern ist unter europäischen Vergaberechtsbedingungen auszuschreiben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Frau Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich will den „Fliegenschiss“ einmal ein bisschen definieren. Sie haben uns vorhin gesagt, dass Sie mit 40 Prozent Zuwachs beim Güterverkehr rechnen. Sie haben uns vorgerechnet, dass die jetzt bei der Lkw-Maut beabsichtigten Reformen 380 Millionen Euro einbringen sollen. Bisher bringt die Maut, glaube ich, mindestens 4 Milliarden Euro ein. 380 Millionen Euro sind also nur ein relativ geringer Teil davon. Schon heute - das hat Kollege Krischer gerade ausgeführt -, also ohne 40-prozentigen Zuwachs, verursachen die Lkws 90 Prozent der Straßenschäden. Jetzt machen Sie mir bitte einmal die Rechnung auf, wie diese 380 Millionen Euro angesichts der Dimensionen, über die wir reden - die Lücke beträgt 7,5 Milliarden Euro -, etwas anderes sind als ein Fliegenschiss.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Liebe Frau Kotting-Uhl, offensichtlich tun Sie sich schwer, ein Paket zu beschreiben, das aus vielerlei Maßnahmen besteht und in der Gesamtsumme zu einem erheblichen Mehr an Investitionen führt. ({0}) Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie sich aus ideologischen Gründen etwas dagegen wehren, dass wir mehr Geld in die Straße investieren wollen. ({1}) Aber es ist trotzdem unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Güter- und Personenverkehr auch auf der Straße weiterhin stattfinden kann. Wenn man die Zahlen nimmt, die Sie gerade beschrieben haben ({2}) die heutige Summe und das, was wir durch Verbreiterung und Vertiefung schaffen -, dann heißt das, dass man im Bereich der Lkw-Maut nahezu 10 Prozent mehr zur Verfügung hat. Ein Anwachsen um 10 Prozent ist für mich ein relevantes Anwachsen. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Herr Beck, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie sind vorhin schon auf die Frage des Kollegen Gastel eingegangen. In der Presse haben Sie sich noch viel eindeutiger geäußert. Sie haben den Bürgern nämlich versprochen: Die Mautdaten werden ausschließlich für die Mautentrichtung aufgenommen und unter keinen Umständen - unter keinen Umständen! anderen Zwecken zur Verfügung gestellt, auch nicht dem Bundeskriminalamt oder anderen Sicherheitsbehörden. Aus dem Bundeskriminalamt kam prompt die Forderung, genau dies solle erfolgen. ({0}) Wenn das unter keinen Umständen geschehen soll, wie Sie sagen, wie wollen Sie dann gesetzlich verhindern, dass ein künftiger Gesetzgeber durch einen neuen Gesetzesbeschluss ({1}) nach einer schlimmen Kriminaltat beschließt, dass die Daten den Sicherheitsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen zur Bekämpfung schwerster Kriminalität zugänglich gemacht werden? ({2}) Ich meine, eine Technologie, die nicht von Anfang an auf Datenarmut zielt, ist kein guter Datenschutz. Deshalb frage ich Sie: Mit welchen gesetzgeberischen Kniffen wollen Sie in der Verfassung verhindern - wollen Sie es zum Beispiel mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat im Gesetz absichern? -, ({3}) dass mit einfacher Mehrheit eine neue Mehrheit hier in diesem Hohen Hause genau das Gegenteil von dem beschließt, was Sie allen Bürgerinnen und Bürgern hier so vollmundig garantieren wollen? ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Erstens. Das Zitat ist richtig und bleibt richtig. ({0}) Zweitens. Das ist schon ein erhöhtes Maß an Heuchelei vor dem Hintergrund, ({1}) dass Ihre Fraktion und Ihre Partei jetzt Woche für Woche nach einer intelligenten Maut schreien, ({2}) die verkehrslenkend wirken ({3}) und deswegen nach Tagen und Tageszeiten unterscheiden und in einzelnen Regionen unterschiedlich bemauten soll. ({4}) - Sie haben verkündet, dass Sie die Autofahrer - je nachdem, wo der einzelne Autofahrer sich zu welcher Tageszeit gerade befindet - unterschiedlich bemauten wollen. ({5}) Das sichert das absolute Profil eines Autofahrers. ({6}) Derjenige, der das fordert, fragt jetzt bei mir nach: Wie können Sie das für die nächsten 100 Jahre sicherstellen? Ich stelle das im Gesetz sicher, und Gesetze gelten, Herr Beck. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Hartmann, SPD-Fraktion.

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Minister, auf den Ausgangspunkt der Befragung zurückkommend, möchte ich auf das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes eingehen und vor allen Dingen Ihren Bericht aufgreifen. Vielen Dank auch für Ihre Klarstellung im Hinblick auf den Weg, der, glaube ich, auch im Koalitionsvertrag aufgezeigt worden ist, was die Ausweitung und die Verbreitung der Maut angeht. Sie haben in Ihrem Bericht auf die Rolle Europas und die der EU-Kommission hingewiesen. In dem Entwurf ist auch enthalten, dass die Kosten für Luftschadstoffe entsprechend angelastet werden können. Nun gab es ja den Hinweis, dass man bestimmte Einnahmen einer be5738 stimmten Kategorie nur in geringem Maße als wirklich relevant bezeichnet. Wie würde es sich denn auswirken, wenn die Kosten für Luftschadstoffe vollumfänglich angelastet würden? Haben Sie jenseits des Themas der Zins- und Kapitalkosten auch in dieser Richtung noch Gespräche geführt? Welche Möglichkeiten gäbe es, wenn die EU-Kommission uns dort entgegenkäme?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Sehr geehrter Herr Hartmann, unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die Kosten für Luftschadstoffe mit angelastet werden. Dies ist theoretisch auch möglich. Allerdings muss der explizite Nachweis geführt werden, wie hoch die Schadstoffbelastung im Laufe einer Strecke ist. Dazu müssten erhebliche Messungen durchgeführt werden. Diese Möglichkeit steht uns zurzeit nicht auf der gesamten bemauteten Strecke zur Verfügung. Unser Ziel ist es, dass diese Daten in naher Zukunft zur Verfügung stehen, damit wir bei der nächsten Änderung der Mautsätze die Kosten für die Luftschadstoffe mit einbeziehen und relevant machen können in dem Sinne, dass der Nutzer, der verstärkt Luftschadstoffe emittiert, deutlich mehr belastet wird als der Nutzer, der dies in geringerem Maße tut.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Wir haben zwar das Ende der für die Regierungsbefragung vereinbarten Zeit erreicht, aber ich lasse die mir vorliegenden vier weiteren Fragen noch zu und ziehe dann einen Strich darunter. Zu Wort gemeldet haben sich noch Frau Dr. Wilms von Bündnis 90/Die Grünen, Herr Behrens von den Linken, Herr Kühn von Bündnis 90/Die Grünen und Herr Krischer von Bündnis 90/Die Grünen. Sind Sie einverstanden, dass wir dann die Befragung der Bundesregierung beenden? - Dann machen wir das so. Frau Dr. Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, bitte.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich komme noch einmal zurück auf unser Lieblingsthema Toll Collect, also auf das System, mit dem zurzeit die Lkw-Maut erfasst und berechnet wird. Ich möchte das in Zusammenhang bringen mit der Aussage meiner lieben Kollegin Haßelmann, die von einem „Fliegenschiss“ sprach. Sie haben gerade gesagt, dass wir das, was eigentlich notwendig ist, nämlich eine Ausweitung auf alle Bundesstraßen, angeblich gar nicht können, weil wir dann eine Vergabe machen müssten. Gleichzeitig haben Sie aber gesagt, dass das System Toll Collect dies leisten könnte. Presseberichten habe ich entnommen, dass Sie den Vertrag verlängern wollen, sodass Sie die Möglichkeit nutzen könnten, die der derzeitige Vertrag bietet, nämlich das System Toll Collect als Bund zu übernehmen, indem Sie die Call-Option ziehen, und dann in eigener Regie eine Ausweitung auf die 40 000 Kilometer Bundesstraßen vorzunehmen. Dann bräuchten wir nämlich keine Ausschreibung. So hätten Sie doch sofort die Chance, diesen „Fliegenschiss“ zu nutzen und die riesige Verbreiterung und Vertiefung umzusetzen. Wie weit sind Sie mit Ihren Entscheidungen in Sachen Toll-Collect-Vertragsverlängerung bzw. Call-Option?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Liebe Frau Wilms, die bisherigen Aussagen heute waren korrekt. Weitere Entscheidungen müssen Sie abwarten. Der Betrieb eines Mautsystems auf 40 000 Kilometern Bundesstraßen wäre auszuschreiben. Ihr Plädoyer für eine Call-Option nehme ich gerne zur Kenntnis. Entscheidungen werden aber getroffen und dann entsprechend mitgeteilt. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Frage: Abgeordneter Behrens, Fraktion Die Linke.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, dass die ökologische Lenkungswirkung der Maut durchaus berücksichtigt worden sei. Allerdings haben wir beim Zweiten Änderungsgesetz gerade an diesem Punkt eher einen Rückschritt dadurch gemacht, dass wir ab dem 1. Januar 2015 die Maut nach Achsen berechnen. Ein Schadstoffzuschlag kommt zwar hinzu; aber die differenzierte Möglichkeit, die wir vorher hatten, nämlich die Steuerung über Emissionsklassen, war auf jeden Fall näher an einer ökologischen Verkehrspolitik dran. Darauf hat auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung hingewiesen und insbesondere kritisch angemerkt, dass schon jetzt klar ist, dass wir ab 1. Oktober 2015 eine veränderte Mautstruktur und andere Sätze brauchen, weil andere Fahrzeugkategorien einbezogen werden. Was ist vor diesem Hintergrund der Wert dieses in gewisser Weise Schnellschusses, den Sie hier gemacht haben, der weder die tiefgehende Substanz einer ökologischen Verkehrspolitik hat, noch vom Ertrag her so ausreichend ist, dass er einen enormen finanziellen Schub bringt?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Herr Behrens, das Zweite Änderungsgesetz, das zu Beginn nächsten Jahres in Kraft tritt, war notwendig, weil wir aufgrund des Wegekostengutachtens die Mautsätze anpassen müssen. Die ökologische Lenkungswirkung, wie Sie es nennen - Umweltkomponente würde ich es nennen -, haben wir berücksichtigt, indem wir mit der Euroklasse 6 eine eigene Klasse eingeführt haben, sodass die betreffenden Fahrzeuge besser dastehen als andere. Das erachte ich übrigens für überzeugend und richtig. Von daher sind Anforderungen, die Sie stellen, umgesetzt, denke ich. Dass wir dies nicht zum 1. Juli und 1. Oktober des nächsten Jahres mit der Verbreiterung und Vertiefung in einen zeitlichen Einklang bringen können, versteht sich von selber, weil die technische Umsetzung entsprechend vorbereitet werden muss.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Frage: Abgeordneter Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - In der Frage der LkwMaut ist es das Ziel, entsprechend der Inanspruchnahme und Abnutzung der Infrastruktur die Nutzer zur Kasse zu bitten. Wir hatten in den vergangenen Jahren auf unseren Straßen eine sprunghafte Zunahme an Großraum- und Schwerlastverkehren mit Sondergenehmigung zu verzeichnen, die mit deutlich mehr als 40 bzw. 44 Tonnen Lasten - also deutlich höheren Lasten - gerade unsere Brücken zusätzlich in Anspruch nehmen. Diese Verkehre zahlen aber trotz der deutlich höheren Last und der damit verbundenen Inanspruchnahme und Beschädigung der Infrastruktur nicht mehr als ein 40-Tonner oder 44Tonner im kombinierten Verkehr, weil sich die Mautsätze nach der Anzahl der Achsen richten. Halten Sie es vor dem Hintergrund der besonderen Inanspruchnahme bzw. Beschädigung der Infrastruktur gerade auch vor dem Hintergrund des dramatischen Zustands vieler Brücken für richtig, so weiter zu verfahren, oder wäre es nicht sinnvoll, über einen höheren Mautsatz gerade für solche Verkehre nachzudenken? Wie ist Ihre Position dazu?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Schwerlastverkehre sind spezifisch genehmigungspflichtig. Von daher haben wir eine genaue Kontrolle, unter welchen Bedingungen der Schwerlastverkehr auf der Straße unterwegs ist. Dem ist auch eine besondere Berücksichtigung des Zustands der Straßeninfrastruktur hinterlegt. Daneben wird die direkte Beschädigung bei den Schwerlastverkehren explizit aufgenommen und muss auch umgehend ersetzt werden. Von daher gibt es schon heute eine andere Behandlung von Schwerlastverkehren als von normalen Lkw-Verkehren.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Letzte Frage in der Regierungsbefragung: Abgeordneter Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben uns gerade erklärt, dass Sie 2018, in der nächsten Legislaturperiode, die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen und damit auf 40 000 Kilometer vornehmen wollen. Die Begründung für diesen Zeitpunkt war, dass das aufwendig ist und eine Menge vorzubereiten ist. Wir diskutieren das Thema seit Jahren. Damit erklären Sie natürlich auch, dass Sie in dem Ressort, das schon länger in der Verantwortung der CSU liegt, in der Vergangenheit an der Stelle nichts gemacht haben und es insofern ein Versagen gibt und dass wir die Lkw-Maut deshalb erst später ausweiten können. Ich frage Sie: Warum beschäftigen Sie die Republik jetzt mit einer Ausländermaut für Pkw, während nicht einmal die Ressourcen für die notwendige Ausweitung der Lkw-Maut zur Verfügung stehen? Warum konzentrieren Sie nicht das Handeln Ihres Ministeriums bzw. aller Ressorts der Bundesregierung auf die Ausweitung der Lkw-Maut, statt sich mit einer Pkw-Maut oder, genauer gesagt, einer Ausländermaut zu beschäftigen, die, wenn überhaupt, nur einen winzigen Bruchteil der notwendigen Einnahmen erbringen würde?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Minister.

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Ich verfolge aus persönlicher Sympathie alle Ihre Aussagen dezidiert ({0}) und stelle fest, dass es sich in dieser Wahlperiode - und wahrscheinlich wird es sich auch in der letzten Wahlperiode so verhalten haben - um ein Versagen der Opposition handelt. Deswegen muss ich Ihnen noch einmal mitteilen: Es geht um ein Gesamtpaket, um die Infrastrukturinvestitionen zu stärken. Dieses Gesamtpaket hat mehrere Elemente. Ein Element davon ist die Infrastrukturabgabe, die sogenannte Pkw-Maut.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 1. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/3013 Vizepräsident Peter Hintze Ich rufe die Fragen in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Uwe Beckmeyer bereit. Die Fragen 1 und 2 beschäftigen sich mit dem Thema Fracking. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Hubertus Zdebel von der Fraktion Die Linke auf: Sieht sich die Bundesregierung angesichts erhöhter Krebsraten in Gasförderregionen ({0}) veranlasst, die Beweislast für mögliche Schäden an Mensch und Natur durch die Gasförderung im Rahmen ihrer Gesetzesvorschläge zur Regulierung der Fracking-Gasfördertechnik den Unternehmen aufzuerlegen, und ist es aus Sicht der Bundesregierung möglich, bestehende bergrechtliche Genehmigungen zu entziehen, sofern sich Verdachtsfälle erhärten, in denen bergbauliche Maßnahmen gravierende Schäden für Mensch und Natur verursacht haben? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung beabsichtigt, die Beweislastumkehr im Bundesberggesetz auf den Bohrlochbergbau auszudehnen. Diese Beweislasterleichterung gilt jedoch nur für typische Bergschäden, zu denen Krebserkrankungen nicht zählen. Weitergehende Änderungen der Beweislastregeln sind zurzeit nicht geplant. Die zuständigen Landesbergbehörden haben die Möglichkeit, Förderbetriebe vorläufig ganz oder teilweise einzustellen, wenn eine unmittelbare Gefahr für Beschäftigte oder Dritte besteht. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, falls sich Verdachtsfälle erhärten sollten, obliegt der Entscheidung der zuständigen Landesbergbehörde.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Zdebel? Bitte schön.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine Zusatzfrage. - Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, können schon geltende bergrechtliche Genehmigungen entzogen werden. Meine Frage lautet: Beabsichtigen Sie, eine Regelung zur Entziehung geltender bergrechtlicher Genehmigungen in Schadensfällen in den Gesetzentwurf zur Regelung des Fracking aufzunehmen, ja oder nein?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Die Frage ist so einfach nicht zu beantworten, Herr Kollege, weil ganz bestimmte Voraussetzungen berücksichtigt werden müssen. Es ist festzuhalten, dass die Erdgasförderung bzw. die Fortsetzung der Erdgasgewinnung in Deutschland durchaus Folgen haben können. Sollten mögliche Zusammenhänge nachgewiesen werden, müssen die zuständigen Bergbehörden alle ursächlichen Tätigkeiten verbieten bzw. dürfen sie nicht genehmigen. Das gilt schon jetzt. Insofern stellt bereits das geltende Bergrecht die erforderlichen Instrumentarien, zum Beispiel Betriebsplanungsgenehmigung, allgemeine Anordnungsbefugnisse betreffend das Ergreifen von Sicherheitsmaßnahmen und zur Verhinderung des Austritts von Schadstoffen sowie Betriebsstilllegung, zur Verfügung. Welche Maßnahmen dies im Einzelfall sein können, lässt sich vor Feststellung der konkreten Ursache nicht bestimmen. Wir werden keine weiteren Maßnahmen ergreifen; denn es gibt bereits diverse Möglichkeiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Kollege Zdebel? - Bitte schön.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich habe noch eine Zusatzfrage betreffend die Beweislastumkehr. Meines Wissens wollen die Bundesregierung bzw. die Bundesminister Gabriel und Hendricks in ihrem Eckpunktepapier eine Beweislastumkehr bei möglichen Schäden an Mensch und Natur durch die Gasförderung vorsehen. Ich bin nun ein bisschen irritiert über Ihre Äußerung betreffend die Krebsfälle. Sie haben gesagt, dass solche Fälle nicht vorgesehen seien. Sie wissen aber sicherlich, dass entsprechende Zusammenhänge in Studien aus den USA stärker gesehen werden, gerade in Gebieten, in denen es Gasförderung gibt. Ich frage Sie daher noch einmal: Wäre es nicht geboten, wenn es zu einer signifikant höheren Zahl an Krebsfällen wie in der Region Bothel kommt, entsprechende Regelungen bezüglich der Beweislastumkehr im Rahmen der Fracking-Gesetzgebung vorzusehen?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Die Beweislastumkehr ist kein Allheilmittel. Vielmehr geht es darum, welche Fracking-Technologien und welche Frack-Flüssigkeiten eingesetzt werden. Sie haben behauptet, dass diese in den USA untersucht worden seien. Ich kann dazu nur so viel sagen: Den Einsatz der in den USA gängigen Frack-Flüssigkeiten können wir uns hier in Deutschland nicht vorstellen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre Ausführungen zum Thema Beweislastumkehr und Fracking. Ich habe es so verstanden, dass Sie da keine Beweislastumkehr vorsehen. Wir haben ja - das ist von der Bundesregierung angekündigt worden - das Thema Beweislastumkehr auch in anderen Themenbereichen, zum Beispiel beim obertägigen Braunkohlebergbau. Hier gibt es einen einstimmigen Beschluss des Landtages Nordrhein-Westfalen; es gibt eine Bundesratsinitiative aus NordrheinWestfalen, die von mehreren Ländern unterstützt wird. Meine Frage: Plant die Bundesregierung im Rahmen der angekündigten Änderungen im Bereich Bergbau und Fracking eine Beweislastumkehr für den obertägigen Braunkohlebergbau, wie wir es heute schon bei der Steinkohle haben?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Wir werden uns sicherlich in diesem Zusammenhang diverse Gesetze anschauen. Das ist einmal das Wasserhaushaltsgesetz, Herr Abgeordneter, zum anderen sind es die Allgemeine Bundesbergverordnung, aber auch die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung; darin sind unter anderem auch bergbauliche Vorhaben abgedeckt. Das Bundesberggesetz mit Einwirkungsbereich-Bergverordnung dehnt unter anderem den Anwendungsbereich der Bergschadensvermutung und damit die Beweislastumkehr zugunsten der Geschädigten auf den Bergbau durch Tiefbohrungen und die Errichtung und den Betrieb von Kavernen aus. Das ist zurzeit vorgesehen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage hat der Abgeordnete Behrens, Fraktion Die Linke.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie haben darauf hingewiesen, dass derzeit keine Planung besteht, die Beweislastumkehr gesetzlich zu regeln. Nun haben wir in einer Fragestunde über das Thema erhöhter Krebsraten in Bothel, das nahe an einer Gasförderstelle liegt, gesprochen. In diesem Zusammenhang haben Sie uns geantwortet, dass derzeit von den zuständigen Landesgesundheits- und -bergbehörden untersucht werde, was dort vor sich geht. Wann kann man mit dem Ergebnis dieser Prüfung rechnen?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Uns liegen noch keine Ergebnisse der Landesbehörden vor. Wir werden auf sie noch zu warten haben. Ich habe die Hoffnung, dass dann, wenn entsprechende Erkenntnisse in Niedersachsen gewonnen worden sein werden, diese der Bundesregierung unmittelbar zur Verfügung gestellt werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Lenkert, Fraktion Die Linke.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Staatssekretär, Sie führten vorhin aus, dass in dem Fall, dass sich die Gesundheitsgefahren bestätigen, eine Betriebsstilllegung drohe. Wie ist es für Betroffene möglich, zu Entschädigung, zu Schadensersatz für ihre Schäden zu kommen, wenn Sie die Beweislastumkehr ausschließen? Dann muss ja jeder Einzelne diesen Beweis gesondert führen. Wie soll dies praktikabel sein? Oder wollen Sie das anders regeln?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Wir haben ein gültiges Bergrecht, in dem alle erforderlichen Instrumentarien, die ich Ihnen eben vorgetragen habe, enthalten sind. All diese Instrumentarien werden von den für das Bergrecht verantwortlichen Landesbehörden genutzt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen damit zur Frage 2, die ebenfalls vom Abgeordneten Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, gestellt wurde: Wie begründet die Bundesregierung ihren Standpunkt, dass bereits nach geltendem Bergrecht eine ausreichende Gefahrenprävention bei der Gasförderung gegeben sei ({0}) vor dem Hintergrund bekannter und möglicher Auswirkungen der Gasförderung mittels Fracking und der Entsorgung von Lagerstättenwasser auf Mensch und Natur ({1}), und welche konkreten Maßnahmen zur Gefahrenprävention leitet sie aus den geltenden bergrechtlichen Regelungen ab? Herr Staatssekretär, bitte.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Für die Bundesregierung beantworte ich die Frage wie folgt: Im Bundesberggesetz wird die Gefahrenprävention dadurch erreicht, dass im bergrechtlichen Genehmigungsverfahren Vorsorge gegen Gefahren für Leben und Gesundheit getroffen werden muss. Ausführende Vorschriften werden von den Ländern erlassen. Im Hinblick auf das besondere Risikopotenzial beim Einsatz der Fracking-Technologie sollen zudem Ergänzungen im Bergrecht sowie im Wasser- und Naturschutzrecht aufgenommen werden. Das ist die Aufgabe der Länder. Da die Bundesregierung nicht für die Ausführung der bergrechtlichen Regelungen zuständig ist, kann sie daraus keine konkreten Maßnahmen zur Gefahrenprävention ableiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege Zdebel? - Bitte schön.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung wie ich, dass die Gefahrenprävention versagt hat, wenn erst nachdem erhöhte lokale Krebsraten bekannt werden eine mögliche Gefährdung durch naheliegende Bohrungen untersucht wird?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Die Aufklärung der Ursachen für die ungewöhnliche Häufung der Krebsneuerkrankungen liegt in der Zuständigkeit der Landesbehörden. Ich unterstreiche das noch einmal. Die Ursachen der Häufung der Krebserkrankungen werden derzeit von den zuständigen Gesundheitsbehörden im Landkreis Rotenburg, in dem die Samtgemeinde Bothel liegt, mit Unterstützung durch das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie des Landes Niedersachsen untersucht. Sie sollen zeitnah in einer Arbeitsgruppe der Vertreter des Landkreises, des Krebsregisters und der örtlichen Bürgerinitiativen ausgewertet und kommuniziert werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Kollege Zdebel. Bitte schön.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nach meiner Meinung macht dies noch einmal deutlich, wie schwach die Regelungen in dieser Angelegenheit sind. Ich frage deshalb nach, ob es unter den gegebenen Umständen - es geht ja auch um eine Bundesgesetzgebung bezüglich des Fracking, die Sie jetzt in Vorbereitung haben - nicht doch erforderlich wäre, bei einer solchen vermuteten Gesundheitsgefährdung bundeseinheitliche Regelungen für eine Gefahrenprävention zu treffen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Wir werden sehen, in welcher Form sich diese Gesundheitsgefährdung aufgrund von Fracking oder Erdgasgewinnung in dem dortigen Landkreis tatsächlich zeigt. Meines Erachtens wird es dann zu einer Bewertung durch das Land Niedersachsen kommen, und wir werden dann eine erneute Diskussion auch auf Bundesebene führen. Zurzeit ist dieser Zusammenhang nicht abschließend sicher bestätigt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage des Abgeordneten Krischer, Bündnis 90/ Die Grünen. Bitte schön.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Beckmeyer, ich muss noch einmal bezüglich Ihrer Antwort auf meine Nachfrage von vorhin nachfragen. Sie haben gesagt, Sie wollen die Bergschadensvermutung und Beweislastumkehr für unterirdische Bohrungen und Kavernen einführen; so habe ich es jedenfalls verstanden. Meine Frage, die Sie auch ganz kurz mit Ja oder Nein beantworten können, lautet: Plant die Bundesregierung die Einführung der Bergschadensvermutung für den obertägigen Braunkohleabbau, ja oder nein?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Wir sind dabei, bei typischen Bergschäden die Beweislastumkehr letztendlich anzudenken, und dies deshalb, weil Senkungen, Pressungen und Zerrungen der Erdoberfläche typische Bergschäden aufgrund von untertägigen Bergbautätigkeiten sind, die dem Einblick der Betroffenen naturgemäß entzogen sind. Das ist eigentlich der Grund für eine Beweislastumkehr. ({0}) Eine Beweislastumkehr im Bergrecht, was den Umgang mit Chemikalien angeht, ist zurzeit nicht vorgesehen. ({1}) - Und ich habe von dem unterirdischen Bergbau gesprochen. ({2}) Daraus können Sie den Schluss ziehen, dass es für den anderen Bereich nicht vorgesehen ist. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Behrens, Fraktion Die Linke.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, dass es im Moment nicht erforderlich und auch nicht möglich sei, entsprechende bundesgesetzliche Regelungen zu treffen, weil für verschiedene Bereiche die Länder zuständig seien? Sie sagten aber auch, dass man sich dieses Problems dann noch einmal annehmen müsse, wenn es entsprechende Berichte seitens der Landesbehörden gebe, die auf ein besonderes neues Gefahrenpotenzial, nämlich erhöhte Krankheitsraten oder erhöhte Anzahl von Krebserkrankungen in der Nähe von Fracking-Bohrstellen, hinweisen, das vielleicht in der VerHerbert Behrens gangenheit noch nicht ausreichend reflektiert worden ist. Deutet das darauf hin, dass wir unter Umständen doch zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen müssen, um diese Unterschiedlichkeit in den Ländern für die Betroffenen zu verhindern?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Ich wäre töricht, wenn ich sagte, das schließe ich generell aus. Gleichwohl ist Folgendes der entscheidende Punkt: Der Fragesteller bezieht sich ja auf einen Fall in der Nähe von Rotenburg in Niedersachsen. Der Zusammenhang mit Fracking-Technologien ist aus meiner Sicht zurzeit sehr unwahrscheinlich, da potenzielle Gefahrenquellen wie Benzol, Quecksilber oder auch freigesetztes Methan, die möglicherweise eine krebserregende Wirkung haben, dort nicht vorhanden gewesen sind. Nach meiner Kenntnis hat dort eine einzelne Erdgasförderung im Sandstein mit Einsatz von Fracking-Technologien stattgefunden - eine einzige! Dabei sind FrackFlüssigkeiten mit Zusatzstoffen verwendet worden, in denen lediglich ein einziger Bestandteil potenziell krebserregend ist, und sein Anteil belief sich auf einen verschwindend geringen Wert von 0,03 Prozent. Es ist nun die Frage an das Land Niedersachsen zu richten: Hat dieser Bestandteil in diesem Fluid dazu beigetragen, dass die Wirkung, die Sie beschrieben haben, tatsächlich eingetreten ist? Ich kann den Zusammenhang zurzeit nicht begründen. Ich denke, das Land Niedersachsen wird uns darüber aufklären.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Zusatzfrage ist von dem Abgeordneten Tiefensee, SPD-Fraktion.

Wolfgang Tiefensee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich möchte unmittelbar an das anschließen, was Sie gerade ausgeführt haben. Wir diskutieren nicht zum ersten Mal über Fracking. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass wir auf der einen Seite zwar den hier in der Fragestunde konkret angesprochenen Fall in Niedersachsen, veröffentlicht in den Medien, sehen müssen, auf der anderen Seite aber mehr dafür tun müssen, dass dieser konkrete Fall in der allgemeinen Debatte von solchen Fällen unterschieden wird, die zum Teil noch gar nicht aufgeklärt sind? Die allgemeine Debatte ist nötig. Dabei muss die Diskussion über das konventionelle Fracking - das heißt, über das herkömmliche Fracking, welches Fragen des Wasserhaushaltsgesetzes und des Bergrechts betrifft, nämlich wo gefrackt werden darf und wie es sich mit der Beweislastumkehr verhält - von der Diskussion über das unkonventionelle Fracking getrennt werden, das jetzt auf der Tagesordnung steht und zu dem die Bundesregierung und die Koalition eindeutig gesagt haben, dass wir umwelttoxische Bedingungen ausschließen wollen. Müssen wir nicht mehr dafür tun, dass die heutige Debatte nicht mit der generellen Debatte vermischt wird und dass zwischen den beiden Fracking-Methoden unterschieden wird? Sonst leisten wir einer Diskussion in der Öffentlichkeit Vorschub, die eher auf Angst als auf konkrete Fakten setzt.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Ich stimme Ihnen zu, dass wir vermeiden müssen, dass diese beiden Debatten vermischt werden. Die Kollegen wissen - zumindest einer kommt aus Niedersachsen -, dass seit mindestens 45 bis 50 Jahren in Niedersachsen Tight Gas gefördert wird. Die Technologie, über die wir jetzt reden, ist aber eine andere und könnte den Einsatz anderer Stoffe umfassen, den wir in Deutschland nicht befürworten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Abgeordneter Lenkert, Fraktion Die Linke, bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben davon, dass Sie vermutlich krebserregende Schädigungen durch Quecksilber, Methan etc. ausschließen können. Inwieweit sind Untersuchungen im Gange, um zu prüfen, ob Lagerstättenwasser durch Verdrängung eventuell das Grundwasser erreicht haben könnte oder auf andere Art und Weise mit Menschen in Kontakt gekommen ist?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Lagerstättenwasser ist - wer sich damit beschäftigt hat, weiß das - ein natürlicher Bestandteil von Erdgaslagerstätten und wird bei der Gewinnung von Erdgas und Erdöl mit gefördert. Das ist bekannt. Das Wasser besteht aus verschiedenen Substanzen, gelösten Salzen, Kohlenwasserstoffen usw. Es kann teilweise bei Leckagen in bestimmten Bereichen zu einer Verunreinigung führen; das will ich gar nicht ausschließen. Die Frage ist, ob das ursächlich miteinander verbunden werden kann und etwas miteinander zu tun hat. Ich denke, dass die niedersächsische Landesregierung und die einschlägigen Behörden auch das genau untersuchen werden. Wir werden darüber Nachricht bekommen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. Wir verlassen damit den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Inge Höger auf: Vizepräsident Peter Hintze Beabsichtigt die Bundesregierung, in der UN-Vollversammlung der bevorstehenden Ächtung von DU-Munition - Uranmunition - durch eine erneute Resolution zuzustimmen, und wenn nicht, wie begründet sie diese Änderung des Abstimmungsverhaltens angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland bisher den Resolutionen zum Thema DU-Munition immer zugestimmt hat und die einzige Änderung gegenüber dem Text der früheren Resolutionen darin besteht, dass der Resolutionstext um die Forderung nach weiteren Studien über den Einfluss von Uranmunition auf Gesundheit und Umwelt sowie die Forderung, dass Staaten wie der Irak, die durch den Einsatz von Uranmunition langfristigen und schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsschäden ausgesetzt sind, von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden sollen, erweitert wurde? Herr Staatsminister, bitte.

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Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete Höger, ich möchte zu Beginn meiner Antwort feststellen: Anders als möglicherweise Ihre Frage nahelegt, geht es in der Resolution, auf die Sie in Ihrer Frage Bezug nehmen, nicht um eine Entscheidung zur Ächtung von Munition mit abgereichertem Uran, sondern es geht um mögliche Auswirkungen ihres Einsatzes. Sie wissen auch, dass die Bundesregierung bereits im Jahr 2012 der eingebrachten Vorgängerresolution zu den Auswirkungen des Einsatzes von Waffen und Munition, die abgereichertes Uran enthalten, mit Einschränkungen zugestimmt hat. Diese Resolution aus dem Jahr 2012 ist damals von Indonesien und den blockfreien Staaten im Ersten Ausschuss der 69. VN-Generalversammlung eingebracht worden. In einer Stimmerklärung hat die Bundesregierung bereits damals kritisiert, dass diese Resolution den Inhalt eines Berichts des Weltumweltprogramms vom 21. Juli 2010 nicht ausgewogen wiedergibt. Die Bundesregierung begrüßt weiterhin Untersuchungen, die zum Ziel haben, die Auswirkungen des Einsatzes von Munition mit abgereichertem Uran wissenschaftlich zu erforschen, und sie hatte deshalb ebenso wie zahlreiche weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehofft, dass die bisherige Darstellung im Resolutionsentwurf 2014 richtiggestellt würde. Diese Hoffnung stützte sich vor allem auf die Tatsache, dass das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, also UNEP, die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA, die Weltgesundheitsorganisation WHO und die EU bereits umfangreiche Untersuchungen zu eventuellen Gesundheits- und Umwelteinflüssen durch Munition mit abgereichertem Uran durchgeführt haben. Diese Studien ergaben übereinstimmend, dass Rückstände von abgereichertem Uran, das geringer radioaktiv ist als Natururan, in der Umwelt kein radiologisches Risiko für die Bevölkerung vor Ort darstellen. Die Bundesregierung bedauert, dass diese Erkenntnisse bei der diesjährigen Resolution abermals nicht berücksichtigt wurden und dass damit wiederum der Stand der Forschung zu diesem Thema nicht angemessen berücksichtigt wurde. Das war der Grund, warum sich die Bundesregierung in diesem Jahr bei der Abstimmung gemeinsam mit vielen weiteren EU-Mitgliedstaaten enthalten hat. Wir haben die detaillierten Gründe für unsere Enthaltung in einer Stimmerklärung erläutert.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Antwort. - Da Sie 2012 einer Resolution zur Ächtung von DU-Munition zugestimmt haben, erschließt sich mir nicht, wieso Sie es jetzt nicht mehr machen. Gerade in der neuen Resolution ist angemahnt, dass neue Studien notwendig sind, um die Gefährlichkeit von DU-Munition nachzuweisen. Alles, was ansonsten darüber bekannt ist, ist - das habe ich zum Beispiel auf meinen Reisen auf dem Balkan erlebt und durch zahlreiche Berichte erfahren -, dass wir es in allen Bereichen, wo die DU-Munition eingesetzt wird, mit erheblich erhöhten Krebsraten zu tun haben, dass die Umwelt über Jahrzehnte, Jahrtausende verseucht ist und dass Menschen an den Folgen sterben. Darüber so einfach hinwegzusehen, kann ich nicht verstehen. Meine Nachfrage: Geht es Ihnen um zusätzliche Studien, oder geht es Ihnen darum, die Mittel zur Deckung der Folgekosten nicht finanzieren zu wollen? Was ist der Unterschied zum bisherigen Abstimmungsverhalten?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete Höger, ich habe in meiner ersten Antwort schon klargestellt, dass es in der von Ihnen in Rede gestellten Resolution nicht um eine Ächtung dieser Munition geht. Selbstverständlich nehmen wir die Sorgen, die dieser Resolution zugrunde liegen, sehr ernst. Ich habe aber auch schon darauf hingewiesen, dass es eine Reihe von Studien der genannten Organisationen, unter anderem der UNEP und der Europäischen Union, gibt, die den Zusammenhang, den Sie jetzt dargestellt haben, nicht bestätigen. Das haben wir noch einmal deutlich gemacht. Unsere klare Erwartungshaltung ist, dass weitere Studien vorgelegt werden bzw. dass man die vorhandenen Studien entsprechend bei der Bewertung und bei der Formulierung einer Resolution berücksichtigt. Es geht um Ausgewogenheit, Frau Kollegin Höger - das ist der entscheidende Punkt -, und darum, dass einschlägige Studien, deren Qualität bislang niemand in Zweifel gezogen hat, angemessen Berücksichtigung finden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Hat diese Stimmenthaltung vielleicht etwas mit aktuellen Bürgerkriegssituationen in dieser Welt zu tun? Die USA haben angedroht, gegenüber dem IS DU-Munition zum Einsatz zu bringen oder die Peschmerga im Nordirak mit MILAN-Raketen zu beliefern. MILANInge Höger Raketen enthalten ja Thorium. Das ist genauso gefährlich wie DU-Munition und würde genauso die Umwelt belasten.

Not found (Gast)

Nein.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage des Abgeordneten Lenkert, Fraktion Die Linke.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Staatsminister, ich möchte nicht in Zweifel ziehen, dass nach den Studien eine radiologische Belastung durch die Uranmunition nicht stattfindet. Aber Uran ist ein Schwermetall und als solches hochgiftig. Nicht umsonst beträgt der Trinkwasservorsorgewert in Deutschland 10 Mikrogramm je Liter. Durch die mit Uran angereicherte Munition gelangen Unmengen eines Schwermetalls, das hochgiftig ist, nämlich Uran, in die Umgebung, in die Umwelt, und verseuchen das Trinkwasser und die Atemluft. Die Folgewirkungen von Schwermetallbelastungen sind Fehlgeburten, Missbildungen bei neugeborenen Kindern und extrem erhöhte Krebsraten. All dies ist in den Gebieten, in denen Uranmunition angewendet wurde, nachweislich feststellbar. Ich frage Sie: Sind außer den radiologischen Auswirkungen auch die sozusagen ganz einfachen Auswirkungen der erhöhten Schwermetallbelastung durch die massive Uranverwendung in den betroffenen Ländern untersucht worden, und haben Sie diese in Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt, oder haben Sie sie außer Acht gelassen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, Ihre Überlegungen, Ihre Kritik widersprechen den einschlägigen Studien, die ich in meiner Antwort mehrfach zitiert habe. Das sind Studien von UNEP, WHO und IAEO. Diese Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Schädigungen und der Munition mit abgereichertem Uran nicht besteht. Die Bundesregierung hat bislang überhaupt gar keinen Anlass, an der Seriosität dieser Studien zu zweifeln. Weil es aber solche kritischen Stimmen wie die Ihrige gibt, haben wir nach wie vor ein großes Interesse daran, dass weitere Untersuchungen vorgelegt werden, die zum Ziel haben, ungeklärte Fragen hinsichtlich der Auswirkungen des Einsatzes von Munition mit abgereichertem Uran wissenschaftlich zu erforschen. Meine Antwort gründet sich auf den vorliegenden Studien, und die widersprechen dem, was Sie hier zum Ausdruck gebracht haben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich darf die Damen und Herren von der Presse auf der Tribüne bitten, sich an die Akkreditierungsregeln zu halten, dort nicht mit Beleuchtung zu arbeiten und dort auch keine Interviews zu führen. Ich bitte auch die Kollegen vom Plenarassistenzdienst, sich darum zu kümmern. Schönen Dank. Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Hänsel, Fraktion Die Linke.

Not found (Gast)

Jetzt kommt eigentlich die Frage des Kollegen Movassat.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein. Ich habe eine Nachfrage. Aber gut, dass Sie aufpassen. Das war jetzt ein kleiner Test.

Not found (Gast)

Entschuldigen Sie, Frau Kollegin Hänsel.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatsminister, das Präsidium hat alles im Blick.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, meine Kollegin haben Sie ein bisschen barsch abgefertigt; deshalb meine Nachfrage: Was sagen Sie denn ganz konkret zu dem Einsatz von MILAN-Raketen, die radioaktives Thorium enthalten? IPPNW hat beklagt, dass es mindestens genauso gefährlich ist wie DU. Wird die Bundesregierung solchen Vorwürfen nachgehen und in der Richtung forschen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Hänsel, ich will für alle hier im Plenarsaal sitzenden Abgeordneten noch einmal klarstellen, dass die Bundeswehr, also der Bereich, auf den wir unmittelbar einwirken können und Einfluss haben, keinerlei Munition mit abgereichertem Uran besitzt. Wir haben auch nie solche Munition besessen. Wir haben uns auch noch einmal mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Verbindung gesetzt. Dieses Komitee, das Ihnen hinreichend bekannt ist, hat angesichts der Faktenlage bislang keinen Anlass gesehen, ein Moratorium für diese Munition zu fordern. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Zdebel möchte jetzt auch noch eine Nachfrage stellen; im letzten Moment erkannt. Bitte.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben gerade in Ihrer Antwort auf die Frage von meinem Kollegen Lenkert auf die vorliegenden Studien verwiesen. Ich habe dazu noch eine Nachfrage. Beziehen sich diese Studien auch auf radiologische Auswirkungen, also auf Strahlungsauswirkungen der Uranmunition?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Ich habe erst einmal keinen Anlass, daran zu zweifeln, biete aber ausdrücklich an, das noch einmal en détail zu klären.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Abgeordnete Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, auch ich muss mich noch einmal auf eine Aussage von Ihnen beziehen. Sie sagten, nach den Studien, auf die Sie und die Bundesregierung Ihre Haltung zu diesem Thema gründen, sei es so, dass kein Zusammenhang zwischen der verwendeten Uranmunition und gesundheitlichen Schäden bei Menschen bestehe.

Not found (Gast)

Ja.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Besteht dieser Zusammenhang tatsächlich nicht, oder ist er nicht nachweisbar? Ihre Aussage nimmt mich sehr wunder; denn Zusammenhänge können in Studien nicht bewiesen werden. Jetzt aber soll der Nichtzusammenhang bewiesen worden sein. Stand in der Studie vielleicht nur, dass ein Zusammenhang nicht nachweisbar ist?

Not found (Gast)

Ich will mit Blick auf Ihre Nachfrage deutlich machen, dass die bereits vorliegenden umfangreichen Untersuchungen eventuelle Gesundheits- und Umwelteinflüsse beinhaltet haben. Ich kann jetzt nur wiederholen, Frau Abgeordnete Kotting-Uhl, dass diese Studien bislang übereinstimmend deutlich gemacht haben, dass Rückstände von abgereichertem Uran in der Umwelt kein radiologisches Risiko für die Bevölkerung vor Ort darstellten. Das abgereicherte Uran ist geringer radioaktiv als das Natururan.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Wir kommen damit zur Frage 4 des Abgeordneten Niema Movassat: Warum hat die Bundesregierung bisher die im Mai 2014 von der Vereinigung für internationale Katastrophenhilfe e. V. angebotenen Hilfeleistungen für die von Ebola betroffenen westafrikanischen Länder, über 18 Millionen Untersuchungshandschuhe, 900 Liter Handdesinfektionsmittel, 44 ad hoc verfügbare Behandlungsbetten in Isolationszellen sowie weitere aus Norwegen abrufbare Isolationsbetten und insbesondere deren einsatzbereites medizinisches Hilfspersonal, nicht abgerufen ({0}), und wie plant sie, diese Hilfe in naher Zukunft, beispielsweise mit der Zurverfügungstellung von geeigneten Transportkapazitäten und sonstigen bürokratischen Erleichterungen, umzusetzen ({1})?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Movassat, Bundestag und Bundesregierung stimmen sicherlich darin überein, dass wir nichts unversucht lassen wollen, um den Kampf gegen Ebola entschieden zu führen, und wir für jedes Hilfsangebot ausgesprochen dankbar sind. Unser Krisenstab und viele Kolleginnen und Kollegen in den Ministerien sind wirklich rund um die Uhr damit beschäftigt, die dramatische Lage in Afrika zu verbessern, auch im Rahmen der Europäischen Union und im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft. Deswegen haben wir natürlich den Zeitungsartikel in der taz vom 27. Oktober 2014 sehr ernst genommen, in dem von einem Angebot der Vereinigung für internationale Katastrophenhilfe gesprochen wurde, das bereits im Mai dieses Jahres unterbreitet worden sei. Ich kann Ihnen dazu, Herr Abgeordneter, nur sagen, dass das Auswärtige Amt den Leiter der Vereinigung für internationale Katastrophenhilfe, Herrn Teichert, kontaktiert hat und ihn telefonisch und per E-Mail gebeten hat, uns das erwähnte Angebot zu übersenden. Das war unsere Bitte. Das Bundesministerium für Gesundheit erhielt am 29. September dieses Jahres ein Schreiben, in dem Herr Teichert unter anderem nach Fördermöglichkeiten für einen solchen Einsatz fragte. Das Angebot, von dem in dem Artikel der taz die Rede war, lag uns bis dato aber überhaupt nicht vor. In dem Schreiben vom 29. September an das Bundesgesundheitsministerium wurde nach eventuellen Fördermöglichkeiten für einen Einsatz gefragt. Noch am selben Tag hat es eine erste telefonische Rückmeldung gegeben. Am 1. Oktober wurde Herrn Teichert durch das BMG die zuständige Ansprechpartnerin in meinem Hause per E-Mail genannt. Erst vor anderthalb Tagen, am 3. November und damit nach der Veröffentlichung in der taz, hat Herr Teichert per E-Mail ein Schreiben mit konkreten Vorschlägen zur Ebolabekämpfung in Westafrika an mein Haus übersandt. Diese prüfen wir derzeit. Ich kann eine Aussage über eine mögliche Zurverfügungstellung geeigneter Transportkapazitäten und über sonstige bürokratische Erleichterungen - das war die Bitte von Herrn Teichert - erst nach Prüfung dieser Vorschläge machen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Movassat?

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Staatsminister, für die Antwort. Trotzdem möchte ich eine detaillierte Nachfrage stellen. Es ist offensichtlich, dass es ein ziemlich umfassendes Hilfsangebot einer Organisation gibt: 18 Millionen Untersuchungshandschuhe, 900 Liter Handdesinfektionsmittel, 44 Behandlungsbetten. Also genau das, was wir gerade brauchen, wird angeboten. Derjenige, der dies anbietet, wird aber von Stelle zu Stelle verwiesen. Das Bundesgesundheitsministerium verweist ihn an Sie, und bei Ihnen dauert die interne Befassung lange. Es gibt seit dem 20. Oktober dieses Jahres eine E-Mail-Adresse der Ebolataskforce. Diese Taskforce hat die Organisation bisher dreimal angeschrieben, aber keine Antwort erhalten. Möglicherweise wurde Ihnen die dritte E-Mail vorgelegt, die versandt wurde. Es läuft in Ihrem Hause doch offensichtlich etwas falsch. Daher meine Frage: Wie kann es sein, dass ein Angebot dermaßen lange herumliegt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich kann nur noch einmal klarstellen: Das Angebot lag uns überhaupt nicht vor. Erstmals ging ein Angebot am 3. November, also vor anderthalb Tagen, bei uns ein. Ich weiß nicht, was daran so kompliziert sein soll, wenn auf eine E-Mail an das Bundesgesundheitsministerium prompt eine Mitarbeiterin den Absender auf die verantwortliche Ansprechpartnerin im Auswärtigen Amt hinweist. Das ist keine bürokratische Überforderung. Es ging um genau zwei Ansprechpartner: Erster Ansprechpartner ist das Bundesgesundheitsministerium, und zweiter Ansprechpartner ist das Auswärtige Amt, weil wir im Wesentlichen mit der Koordination betraut sind.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Movassat?

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich auf die Hilfe der Bundesregierung insgesamt. Es gibt ein sogenanntes 60-70-70-Ziel der WHO. Das besagt: Wir müssen innerhalb von 60 Tagen die Kapazitäten bereitstellen, um 70 Prozent der Infizierten zu isolieren und 70 Prozent der Toten fachgerecht zu beerdigen. Nur dann kann eine weitere Ausbreitung der Epidemie gestoppt werden. Das Erreichen dieses Ziels war für Ende Oktober vorgesehen. Die internationale Gemeinschaft hat die Anforderungen nicht erfüllt, die die WHO aufgestellt hat. Mich würde interessieren: Was hat die Bundesregierung konkret zur Erreichung des 60-70-70-Ziels getan? Wo sieht sie Defizite? Was wird sie noch tun?

Not found (Gast)

Sie wissen, dass die Bundesregierung sowohl auf internationaler Ebene, aber auch insbesondere im Rahmen der Europäischen Union darauf gedrängt hat, zu einer bestmöglichen Koordination der nationalen Aktivitäten zu kommen. Die Europäische Union stellt insgesamt - das ist ein riesiger Kraftakt - 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Der größte Geber innerhalb der Europäischen Union ist die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben Haushaltsmittel in Höhe von 108,7 Millionen Euro bereitgestellt. Die Kosten für den Betrieb der Luftbrücke sind in dem Paket überhaupt noch nicht eingerechnet. Ich finde, wir müssen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Ich gebe aber unumwunden zu, dass es selbstverständlich noch eine Reihe von Problemen gibt. Wir sind nicht so schnell und umfassend vor Ort tätig gewesen, wie es nötig gewesen wäre. Deswegen drängen wir auch auf eine entsprechende internationale Koordination. Wir selbst - darüber sprach ich schon - haben die Luftbrücke eingerichtet. Wir stellen medizinische Ausrüstung und Materialien zur Verfügung, und wir entsenden auch - das wissen Sie - Hilfskräfte. Wir arbeiten dabei sehr eng mit dem Deutschen Roten Kreuz, dem Technischen Hilfswerk, dem Bernhard-Nocht-Institut, dem Robert-Koch-Institut und weiteren kompetenten Hilfsorganisationen zusammen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nachfrage des Abgeordneten Lenkert, Fraktion Die Linke.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, plant die Bundesregierung wegen der Ebolaepidemie einen Abschiebestopp für abgelehnte Asylbewerber nach Liberia, Sierra Leone und Guinea?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, davon ist mir nichts bekannt. Ich müsste das prüfen und reiche das gerne nach.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Nachfrage der Abgeordneten Frau Höger, Fraktion Die Linke.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben eben gemeint, die bürokratischen Hürden in Deutschland seien nicht besonders hoch und Sie würden sich nach Kräften bemühen, in der Ebolakrise zu helfen. Wie steht es um die vielen Helfer - dem medizinischen Personal, den Ärzten -, die sich gemeldet haben? Sind sie im Einsatz? Wie lange dauert das noch?

Not found (Gast)

Selbstverständlich sind schon Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz. Aber wir arbeiten derzeit in enger Abstimmung mit unseren Partnern daran, die Zahl der Einsatzkräfte zu erhöhen. Ich glaube, es geht nicht allein um die Quantität, sondern vor allem um die Einsatzbedingungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort sind erheblichen Belastungen ausgesetzt. Insofern achten wir sehr darauf, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch unter diesen denkbar schwierigen Rahmenbedingungen ihre Arbeit bestmöglich erledigen können. Diesem Anspruch sollten wir gerecht werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage der Abgeordneten Pau, Fraktion Die Linke. Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Kriterien, die Sie eben genannt haben, sind durchaus nachvollziehbar. Wir haben da auch eine Fürsorgepflicht. Können Sie uns vielleicht sagen, wie viele Kräfte tatsächlich schon im Einsatz sind?

Not found (Gast)

Die genaue Zahl kann ich Ihnen nicht sagen. Ich könnte Ihnen nur die nennen, wie viele Todesfälle wir zu beklagen haben. Über die Finanzmittel habe ich Sie schon im Einzelnen informiert. ({0}) - Ja, natürlich. Ich reiche das nach.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Dann kommen wir zur Frage 5 ebenfalls des Abgeordneten Niema Movassat: Wie bewertet die Bundesregierung die derzeitige politische Lage in Burkina Faso, bei der es bei dem Versuch einer einseitigen Verfassungsänderung mit dem Ziel des Machterhalts des autoritären Präsidenten Blaise Compaoré über das Jahr 2015 hinaus zu massiven Protesten und Unruhen und der Stürmung des Parlaments und anderer öffentlicher Gebäude am 30. Oktober 2014 gekommen ist ({0}), und inwiefern versucht die Bundesregierung, über ihre diplomatischen Kanäle Einfluss auf die Situation im Sinne der Bevölkerung und zu derem Schutz zu nehmen? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter Movassat, die Beantwortung dieser Frage fällt mir nicht ganz leicht, weil sich die Lage in Burkina Faso stündlich verändert. Deswegen bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass das, was ich jetzt sage, möglicherweise nicht die aktuellsten Entwicklungen wiedergibt. Ich versuche trotzdem mein Bestes. Die Lage ist, wie Sie sich angesichts solch einer Revolution vorstellen können, derzeit sehr instabil. Es hat Massenproteste der Bürgerinnen und Bürger gegeben, und diese führten zum Rücktritt des Präsidenten von Burkina Faso am 31. Oktober. Dann, nach dem Rücktritt des Präsidenten, ist das Militär in dieses Machtvakuum getreten. Jetzt wird es kompliziert: Der Generalstabschef Traoré hat zunächst die Regierungsgeschäfte übernommen und das Parlament aufgelöst. Nur wenige Stunden später wurde er vom stellvertretenden Kommandeur der Präsidentengarde, Oberstleutnant Isaac Zida, abgesetzt. Zida kann sich nun der Unterstützung des Militärs sicher sein. Er hat die Verfassung außer Kraft gesetzt. Die Opposition lehnt seine Machtübernahme derzeit ab. Es kam daraufhin am 2. November zu Demonstrationsaufrufen. Den Aufrufen sind aber nur noch sehr wenige Einwohner Ouagadougous gefolgt. Am 3. November hat sich Zida, also der Übergangspräsident bzw. der selbst ernannte Präsident, im Außenministerium dem Diplomatischen Korps als „Président du Burkina Faso“ vorgestellt. Er will einen Übergangsprozess hin zu Wahlen einleiten, basierend auf umfassenden, auf Konsens ausgerichteten Gesprächen mit allen Akteuren. - Herr Movassat, da Sie die Frage gestellt haben, wissen Sie vermutlich, dass die Bevölkerung und die politischen Verantwortungsträger in Burkina Faso sehr konsensorientiert sind. Die Bundesregierung versteht die Geschehnisse in Burkina Faso als einen von großen Teilen der Bevölkerung begrüßten Prozess, der aber zu einem Machtvakuum geführt hat, das nun das Militär gefüllt hat. Wir fordern zur schnellstmöglichen Rückkehr zu verfassungsgemäßen Verhältnissen auf.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Zusatzfrage, Herr Movassat? - Bitte.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Es ist ja so, dass der gestürzte Präsident Compaoré selber durch einen Putsch vor 27 Jahren an die Macht gekommen ist und seinen Vorgänger Thomas Sankara sozusagen abgesetzt hat. Es gibt bis heute zahlreiche Hinweise, dass Compaoré in zahlreiche westafrikanische Kriege wie in Liberia, Sierra Leone und der Elfenbeinküste verstrickt war. Es gibt zudem viele Vorwürfe hinsichtlich Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Todesfällen bei den Protesten am 30. und 31. Oktober. Deshalb würde mich interessieren, ob sich die Bundesregierung, wie es große Teile der Zivilgesellschaft Burkina Fasos fordern, für eine Zurrechenschaftziehung Compaorés einsetzt - Deutschland selbst oder über die Kanäle innerhalb der Europäischen Union -, um die Vorwürfe hinsichtlich dieser Verbrechen aufzuklären, die sich gegen Compaoré richten.

Not found (Gast)

Wir haben erst einmal allergrößtes Interesse daran, dass anstelle dieses Machtvakuums eine verfassungsmäßige Ordnung eintritt und man wieder zu stabilen Verhältnissen zurückkehrt. Alles Weitere werden wir mit unseren internationalen Partnern, auch im Rahmen der Europäischen Union, eng abstimmen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Movassat? Bitte schön.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der ehemalige Präsident Compaoré ist in die Elfenbeinküste geflohen, was dort durchaus umstritten ist. Es sollen auch Geldmittel mitgenommen worden sein, die möglicherweise dem Staat Burkina Faso und damit der dortigen Bevölkerung gehören. Es ist nicht ganz unüblich, dass in diesen Fällen auch die Vermögenswerte einer solchen Machtclique eingefroren werden, um erst einmal eine gewisse Sicherheit zu schaffen. Mich würde interessieren: Hat sich die Bundesregierung für solch ein Einfrieren der Geldmittel bzw. der Vermögenswerte der Familie Compaoré eingesetzt?

Not found (Gast)

Solche Verfahren sind Ihnen - so traurig das auch immer sein mag - ja bekannt, Herr Kollege Movassat. Wir haben ein Interesse daran - das ist unsere oberste Priorität -, dass wir helfen, schnellstmöglich eine verfassungsgemäße Ordnung herzustellen, die den Menschen dort das notwendige Maß an Sicherheit gewährt. Ansonsten stimmen wir weitere Maßnahmen, wie ich es eben schon gesagt habe, mit unseren EU-Partnern, aber auch mit der internationalen Gemeinschaft ab. Von weiteren Aktivitäten ist mir nichts bekannt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Dann kommen wir zur Frage 6 des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke: Welche Argumente haben die Bundesregierung dazu bewogen, auf der diesjährigen UN-Vollversammlung, wie schon in den Vorjahren, gemeinsam mit der überwältigenden Mehrheit der UN-Mitgliedsländer gegen die Stimmen der USA und Israels für eine sofortige Aufhebung der US-amerikanischen Blockade gegen Kuba zu stimmen? Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Vielen Dank, lieber Kollege Wolfgang Gehrcke. Das ist keine neue Entscheidung gewesen. Die EU hat wie in den vielen Jahren zuvor geschlossen für eine sofortige Aufhebung des US-amerikanischen Embargos gegen Kuba votiert. Da gibt es großen Konsens in der Europäischen Union. Es gibt nur wenige Partner auf der internationalen Ebene, die den Vereinigten Staaten da zugestimmt haben. Sie haben nach dem Grund gefragt, warum die Bundesregierung so votiert hat. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die US-amerikanischen Maßnahmen wegen ihrer Drittwirkung rechtswidrig sind. Sie berühren unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und der Europäischen Union. Deshalb können wir ihnen nicht zustimmen. Wir haben ihnen auch in den vergangenen Jahren nicht zugestimmt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage des Abgeordneten Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Staatsminister, ich habe lange nachgedacht, ob ich eine Frage finde, bei der ich die Bundesregierung einmal loben kann. Jetzt habe ich eine gefunden: Würden Sie das Lob denn annehmen, dass es sehr vernünftig war, wie in den letzten Jahren für die Aufhebung der bürgerrechtswidrigen Blockade Kubas zu stimmen und Aktivitäten in diese Richtung in Gang zu setzen?

Not found (Gast)

Ich habe Ihnen die Begründung dargelegt, die die Bundesregierung dazu veranlasst hat, gegen dieses Embargo zu stimmen. Das ist keine neue Entscheidung. Ich persönlich freue mich natürlich sehr darüber, von - das darf ich jetzt mal so sagen - dir ein Lob zu empfangen. Das ist, glaube ich, das erste Mal, seitdem ich im Amt bin. ({0}) Das empfinde ich als eine große Genugtuung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Abgeordneter Gehrcke?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, klar. Wenn ich schon lobe, dann will ich dafür auch noch etwas haben. - Ich möchte natürlich nicht nur wissen, was die Bundesregierung wie in den vergangenen Jahren zu dieser Entscheidung bewogen hat - das finde ich alles ganz toll -, sondern ich möchte wissen, was die Bundesregierung jetzt macht, um ihre Entscheidung zur Aufhebung der Blockade durchzusetzen und zusammen mit anderen EU-Partnern in die Praxis umzusetzen. Sie könnte etwa in der EU vorstellig werden, um den sogenannten Gemeinsamen Standpunkt gegenüber Kuba aufzuheben.

Not found (Gast)

Sie wissen, Herr Kollege Gehrcke, dass die Bundesregierung Gesprächen über den Ausbau der Beziehungen zu Kuba offen gegenübersteht. Es laufen bereits diverse intensive Gespräche innerhalb der Europäischen Union. Wir sehen den Beginn von Verhandlungen zwischen der EU und Kuba über ein Abkommen zum politischen Dialog und zur Zusammenarbeit nicht als einen grundlegenden Wandel unserer Kubapolitik; denn wir haben diese Position schon immer vertreten. Wir haben uns aber - im Rahmen des Verhandlungsmandats der Europäischen Union - insbesondere dafür eingesetzt, dass der Entwicklung der Menschenrechtslage bereits während der Verhandlungen eine zentrale Bedeutung zukommen muss. Die jüngst ausgeschiedene Hohe Repräsentantin der Europäischen Union, Lady Ashton, hat dies nach dem Ratsbeschluss über das Mandat für die Verhandlungen mit Kuba auch noch einmal ausdrücklich bestätigt. Das liegt nun schon wieder neun Monate zurück; es war im Februar dieses Jahres.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Nachfrage der Abgeordneten Frau Hänsel, Die Linke. - Bitte.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Jetzt gibt es trotzdem den Fall, dass europäische Banken aufgrund von Verstößen gegen das Embargo zu Strafzahlungen verdonnert wurden. Meine Frage lautet: Was machen Sie konkret dagegen? Gibt es eine gemeinsame Initiative? Wie gehen Sie dagegen vor?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete Hänsel, Ihre Frage deckt sich mit der Frage 7 des Abgeordneten Gehrcke, die als Nächstes aufgerufen werden soll. Herr Präsident, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Ich beantworte jetzt die Frage der Abgeordneten Hänsel, dann wäre die Frage des Abgeordneten Gehrcke schon beantwortet, oder ich beantworte jetzt die Frage des Abgeordneten Gehrcke, die er schriftlich eingereicht hat.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir machen es so: Sie beantworten die Frage 7 des Abgeordneten Gehrcke. Somit hat er die Möglichkeit, zwei Nachfragen zu stellen. Damit ist allen inhaltlich und auch formal am besten gedient, Herr Staatsminister. Ich rufe also die Frage 7 des Abgeordneten Gehrcke auf: Gedenkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer ablehnenden Haltung zur US-amerikanischen Blockade gegenüber der Republik Kuba, sich auch aktiv für die deutschen Unternehmen und Banken einzusetzen, die wie zuletzt die Deutsche Bank AG und die Commerzbank Aktiengesellschaft von Strafmaßnahmen durch die USA aufgrund ihrer Finanzbeziehungen zu Ländern wie Kuba bedroht sein sollen ({0})?

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter Gehrcke, Frau Abgeordnete Hänsel, Sie können sich vorstellen, dass sich die Bundesregierung in berechtigten Fällen und im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen grundsätzlich für deren Anliegen einsetzt. Sie haben in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter Gehrcke, zwei Beispiele genannt. Aber die Voraussetzung dafür, dass wir uns für diese Unternehmen einsetzen, ist, dass sich die Unternehmen mit der Bundesregierung ins Benehmen setzen und den Kontakt und das Gespräch suchen. Ich muss Ihnen sagen, dass entsprechende Bitten deutscher Unternehmen bislang nicht an die Bundesregierung herangetragen worden sind. Das beschränkt die Handlungsmöglichkeiten ziemlich deutlich.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gehrcke? - Bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie merken, wie ich mich heute bewege: Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich in einer Frage oder in einer politischen Erklärung dafür votiere, die Deutsche Bank in Schutz zu nehmen. Sonst habe ich immer gegenteilige Äußerungen von mir gegeben. ({0}) Kann ich Ihre Antwort so interpretieren, dass Sie deutschen Unternehmen, die von den USA auf Grundlage der Embargomaßnahmen gelistet werden - benutzen wir einmal diesen Ausdruck -, Rechtssicherheit und Rechtsvertretung versprechen, wenn sich diese Unternehmen an Sie wenden? Das wäre ein beachtlicher Fortschritt.

Not found (Gast)

Ich hatte schon in der Antwort auf die vorhergehende Frage darauf hingewiesen, dass das zentrale Argument, warum die Bundesregierung gegen das Embargo eintritt, die negativen Auswirkungen auf die europäische und die deutsche Wirtschaft sind. Das ist rechtswidrig; das habe ich Ihnen erklärt. Insofern haben wir natürlich ein Interesse daran, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Interessen bestmöglich zu wahren. Aber das setzt voraus, dass diese Unternehmen auch den Kontakt und das Gespräch mit der Bundesregierung suchen. Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass wir uns - das ist bislang die Tradition aller Regierungen gewesen - im Rahmen des Außenhandels selbstverständlich für die Interessen der deutschen Unternehmen einsetzen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. - Ich freue mich, dass die Bundesregierung endlich aktiv wird. Wenn Sie sagen, das sei schon immer so gewesen, dann ist mir das auch recht. Haben Sie dabei bedacht, Herr Staatsminister, dass ein solches verbessertes Verhältnis zu Kuba auch eine Eintrittskarte für bessere Beziehungen zu anderen lateinamerikanischen Staaten sein kann, die sich zusammen mit Kuba immer mehr für eine andere Wirtschaftspolitik in Lateinamerika einsetzen?

Not found (Gast)

Sie wissen, dass mein Haus an bestmöglichen Beziehungen zu den lateinamerikanischen und mittelamerikanischen Ländern interessiert ist. Gerade in den vergangenen Jahren haben wir intensiv dafür geworben, dass es konkrete Projekte nicht nur wirtschaftlicher, sondern vor allem auch zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit - Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Stärkung von Demokratie und Freiheit, Unabhängigkeit der Justiz - gibt. Wenn wir uns in diese Richtung bewegen, dann steht dem überhaupt nichts entgegen. Wenn wir im Zuge solcher Aktivitäten auch andernorts, beispielsweise bei der Beurteilung des Embargos gegen Kuba, vorankommen, dann soll mir das nur recht sein.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Damit kommen wir zur Frage 8 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen: Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Bewertung der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und ihrer syrischen Schwesterpartei PYD als terroristische Vereinigung, nachdem PKKMitglieder im Nordirak in weltweit gefeiertem, erfolgreichem militärischem Einsatz gegen den IS die Bevölkerung der Jesiden vor Zwangsbekehrung, Versklavung und Mord geschützt hatten und PYD-Mitglieder in Syrien in und um Kobane die Stadt und die verbliebene Bevölkerung erfolgreich gegen den IS schützen, und sieht die Bundesregierung die Unterstützung dieser Parteien, etwa durch militärische Luftschläge oder Waffenlieferungen in den Nordirak und nach Syrien oder durch Sammeln von Spenden in Deutschland, als strafbares Handeln an, das in Deutschland zu verfolgen ist? Herr Staatsminister, bitte schön.

Not found (Gast)

Vielen herzlichen Dank. - Herr Abgeordneter Ströbele, die Frage „Wie gehen wir jetzt mit der PKK um?“ treibt nicht wenige um; wenn ich das so sagen darf. Ich will Ihnen erst einmal den Sachstand kurz darstellen. Die sogenannte Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK, ist in Deutschland schon seit 1993 als eine ausländische terroristische Vereinigung eingestuft, und sie steht - das ist das für unsere Entscheidung wesentliche Element auf der EU-Terrorsanktionsliste. Die Vorgaben dieser Terrorsanktionsliste setzt Deutschland uneingeschränkt um. Der Bundesinnenminister hat im November 1993 vereinsrechtliche Betätigungsverbote gegen die PKK und die PKK-Europaführung verhängt. Bund und Länder haben in der Folge zahlreiche weitere PKK-Organisationen verboten, zuletzt im Jahr 2007 den PKK-TVSender und dessen Deutschlandstudio. Diese Organisationen verstoßen gegen Strafgesetze. Sie richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, und sie gefährden nach wie vor die innere Sicherheit Deutschlands. Auf das Konto der PKK gehen außerdem zahlreiche terroristische Anschläge in der Türkei, von denen auch Zivilisten betroffen waren. Nun versucht die PKK, sich wegen des Kampfes der Kurden gegen den sogenannten Islamischen Staat als Verfechter von Menschenrechten darzustellen. Sie hat zwar, wenn auch erst seit 1996 unter dem Eindruck der Verbote, weitgehend von massenmilitanten öffentlichen Aktionen abgelassen, sie kalkuliert aber unbeschadet aller bisherigen Friedensbekundungen den weiteren Einsatz von Gewalt und Militanz, auch in Europa, ein. Die Unterstützung der Bundesregierung für die Kräfte der Region im Norden des Iraks, in Kurdistan, kann überhaupt nicht mit einer Unterstützung der PKK gleichgesetzt werden. Die Kräfte der Region im Norden des Iraks, in Kurdistan, sind nämlich verfassungsmäßiger Bestandteil der irakischen Sicherheitsarchitektur. Falls es konkrete Fälle des Sammelns von Spenden für die PKK in Deutschland gibt, so ist die Strafbarkeit in Deutschland von Ermittlungsbehörden oder Gerichten zu beurteilen. Dazu kann ich nichts weiter ausführen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Abgeordneter Ströbele, Zusatzfrage? - Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ich weiß nicht, ob ich mich für diese Antwort bedanken soll. Ich lasse es mal ({0}) und stelle eine Zusatzfrage: Herr Staatsminister, können Sie verstehen, dass ein Mensch, der in Deutschland verhaftet wird - das ist vor ein paar Monaten geschehen und in Untersuchungshaft genommen wird unter der Beschuldigung, dass er Spenden für die PKK in Deutschland gesammelt und damit eine terroristische Vereinigung unterstützt hat, mit der Politik der Bundesregierung schwer klarkommt, da er gleichzeitig über das Fernsehen und die Zeitung zur Kenntnis nehmen muss, dass diese PKK, die er angeblich - wir wissen es ja nicht genau durch eine Geldsammlung hier unterstützt hat, von der Bundesregierung, den USA und anderen Staaten im Nordirak massiv unterstützt wird, sogar durch Gewalthandlungen, durch Bombenangriffe und Ähnliches? Können Sie das verstehen und nachvollziehen? Was sagen Sie einem solchen Menschen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Ströbele, ich habe in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, dass man die Aktivitäten, auch die militärischen Verteidigungsaktivitäten der Kurdinnen und Kurden im Norden Iraks, die sich im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung des Iraks bewegen, nicht gleichsetzen kann mit den Aktivitäten einer Terrororganisation namens PKK. Das würde ich auch diesem Bürger gerne erklären. Wenn er für eine terroristische Organisation in Deutschland Geld gesammelt haben sollte, ist dies zu ahnden. Da stehen - auch das habe ich Ihnen bereits gesagt - die Ermittlungsbehörden bzw. die Gerichte in Verantwortung. In dieses juristische Verfahren möchte ich nicht in irgendeiner Weise bewertend eingreifen. Aber Sie können hier doch nicht allen Ernstes einen unmittelbaren Zusammenhang herstellen. Sie wissen - diese Einschätzung teilt die große Mehrheit dieses Hauses -, dass der sogenannte Islamische Staat auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Deswegen haben wir ja die umstrittene Entscheidung getroffen, entsprechende Ausrüstungs- bzw. Waffenlieferungen an die Kräfte der Region Kurdistan/Irak zu gewähren. Dies geschieht aber alles in enger Abstimmung mit der irakischen Regierung, und es gibt entsprechende Kontrollund Abstimmungsmechanismen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele? Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ist es für die Bundesregierung nicht ein Anlass, ihre Politik gegenüber der PKK hier in Deutschland zu überprüfen, wenn dieselbe Organisation ja nicht nur im Nordirak, sondern die Schwesterorganisation auch im Norden Syriens, insbesondere in Kobane, offenbar sehr humanitäre Aktionen, insbesondere zur Rettung von Frauen und Kindern vor Mord, durchführt? Diese sind zwar militärisch, aber bieten Schutz und Hilfe für die Bevölkerung. Muss die Bundesregierung dann nicht über ihre Politik, vielleicht auch die gemeinsame europäische Politik, gegenüber einer solchen Organisation nachdenken? Ich füge hinzu: Sind der Bundesregierung nicht viele andere Fälle bekannt, in denen Organisationen als terroristische Vereinigung gestartet sind und sich dann später so entwickelt haben, dass sie sogar den Staatspräsiden5752 ten stellen, wie es derzeit in El Salvador und in Uruguay der Fall ist?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Ströbele, Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung angesichts der dramatischen Lage in dieser Region, der Tausende von Menschen zum Opfer gefallen sind, ständig darüber nachdenkt: Was ist besser zu tun? Wo müssen wir bisherige Strategien kritisch überprüfen? Wo ist ein Neustart notwendig? Wo ist Hilfe zu leisten? Sie als Parlamentarier werden in diesen Prozess des Nachdenkens, Überlegens und Abwägens eng eingebunden. Sie haben zum Schluss Ihrer ausführlichen Frage einen ganz wesentlichen Akteur genannt, nämlich die Europäische Union. Es wird und es kann keine Alleingänge der Bundesregierung geben. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Einstufung der PKK als Terrororganisation maßgeblich auf der Terrorsanktionsliste der Europäischen Union fußt. Bislang sind wir in den Institutionen der Europäischen Union zu keiner anderen Auffassung gekommen; es bleibt dabei. Aber wir sind in einem ständigen Prozess des Abwägens - und dazu haben einige Abgeordnete schon entsprechende persönliche Beiträge geleistet; das gilt auch für Mitglieder der Bundesregierung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hänsel, Fraktion Die Linke.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Ich möchte da noch einmal nachhaken, Herr Staatsminister. Konkret möchte ich fragen, ob sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür eingesetzt hat, dass die PKK anders eingeschätzt wird. Wenn ich höre, dass Sie sagen, dass der Stand weiterhin ist, dass sie als terroristische Vereinigung eingestuft wird, ist es dann richtig, dass der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hier vor kurzem in Erwägung gezogen hat, Waffen an die PKK zu liefern, also in Erwägung gezogen hat, eine terroristische Vereinigung mit Waffen zu unterstützen? Ist das die richtige politische Analyse?

Not found (Gast)

Die Frage müssten Sie dem Abgeordneten Kauder selber stellen. ({0}) Ich bin Regierungsmitglied, und ich werde hier nicht über Aussagen eines einzelnen Abgeordneten spekulieren. ({1}) Das steht mir als Mitglied der Bundesregierung und Staatsminister auch überhaupt nicht zu. Im Übrigen habe ich schon deutlich gemacht, dass die Bundesregierung derzeit keinen Anlass dazu sieht, die Einstufung der PKK als Terrororganisation zu verändern. Sollten wir das tun, wird das nur in einer engen Abstimmung mit den Partnern innerhalb der EU geschehen. Derzeit sehe ich diese Situation noch nicht.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen zur Frage 9 ebenfalls des Abgeordneten Ströbele: Plant die Bundesregierung, sich der deutschen kolonialen Verantwortung zu stellen und die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht in Kamerun aufzuarbeiten, insbesondere sich für die Rehabilitierung des Häuptlings Manga Bell einzusetzen, der von der deutschen Kolonialjustiz im August 1914 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde, weil er sich - ausnahmslos friedlich - etwa mit rechtlichen, parlamentarischen und publizistischen Mitteln in Deutschland gegen die umfassende Enteignung des Grundeigentums der Ethnie Douala zur Wehr setzte, und auf welche Gründe und Fakten stützt die Bundesregierung die Ablehnung der Forderung der Vertreter der Douala aus Kamerun, den „Vater des Landes“, Manga Bell, zu rehabilitieren und mit einem solchen Rechtsakt und einer solchen Geste ein klares Bekenntnis zur historischen Verantwortung abzulegen ({0})? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Vielen Dank. - Herr Abgeordneter Ströbele, die Bundesregierung ist sich selbstverständlich der historischen Verantwortung aus den Jahren der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun sehr bewusst. Sie haben die geschichtliche Erforschung der von Ihnen angeführten Vorgänge angemahnt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist das in erster Linie Aufgabe der Wissenschaft. Eine Forderung der Vertreter der Douala aus Kamerun zur Rehabilitierung von Rudolf Douala Manga Bell wurde gegenüber der Bundesregierung bislang nicht erhoben. Im Jahr 2006 hat die Bundesregierung aus Mitteln des Auswärtigen Amts im Rahmen des Kulturerhalts ein Projekt in Douala finanziell unterstützt, mit dem unter anderem an das Schicksal von Manga Bell und die Verantwortung der deutschen Kolonialverwaltung erinnert wird. Die Deutsche Botschaft hat dabei sehr eng mit den Nachfahren des Königs von Douala zusammengearbeitet. Es wird auch entsprechende Feierlichkeiten zum 100. Todestag von Manga Bell geben. Diese Feierlichkeiten werden von der Bundesregierung finanziell unterstützt. Auch unsere Botschaft in Jaunde hat ihre Bereitschaft bekundet, an diesen Feierlichkeiten zu Ehren des Verstorbenen teilzunehmen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele? - Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, es ist ja fast genau 100 Jahre her, dass Manga Bell verurteilt und hingerichtet worden ist, nachdem er von einem deutschen Kolonialgericht wegen parlamentarischer und anderer friedlicher und ziviler Aktivitäten für sein Volk in Deutschland zum Tode verHans-Christian Ströbele urteilt worden ist. Nicht nur Manga Bell selber, sondern über 150 Menschen sind seinerzeit in der deutschen Kolonie hingerichtet worden. Es geht hier nicht nur um die historische Forschung - da gebe ich Ihnen ja recht; das ist im Wesentlichen Aufgabe der Wissenschaft -, sondern meine Frage geht auch dahin, ob die Bundesregierung bereit ist, ein Rehabilitationsverfahren einzuleiten oder eine solche Erklärung hier im Deutschen Bundestag und gegenüber dem Volk der Douala abzugeben, ganz unabhängig davon, ob dazu ein förmlicher Antrag vorliegt.

Not found (Gast)

Aber es ist schon entscheidend, ob es ein solches Begehren und einen solchen Wunsch gibt. Er ist bislang nicht an uns herangetragen worden. Wir stehen mit den Nachkommen des Ermordeten und mit vielen anderen in engem Kontakt. Wir werden auch an den Feierlichkeiten mitwirken und sie finanziell unterstützen. Wie andere Regierungen vor uns stehen auch wir selbstverständlich zu diesem ganz schwierigen Kapitel der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika. Wir wissen um unsere historische Verantwortung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele? Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, wollen Sie sich oder will sich der Minister nicht vielleicht ein Beispiel an der früheren Entwicklungshilfeministerin Frau Wieczorek-Zeul nehmen, die in die ehemalige Kolonie Deutschlands, nach Namibia, gereist ist und dort eine sehr bewegende und sehr zutreffende Erklärung zu dem Völkermord, den die deutschen Kolonialtruppen dort zu verantworten hatten, abgegeben hat? Ich glaube, das hat den Beziehungen zu Afrika, aber insbesondere natürlich zu dem betroffenen Land damals gutgetan. Das würde auch in diesem Falle erheblich helfen.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Ströbele, Ihre positive Würdigung der auch im Namen der Bundesregierung vorgetragenen Bitte um Entschuldigung und Vergebung durch die damalige Bundesentwicklungshilfeministerin teile ich ausdrücklich; das sehe ich genauso wie Sie. Ich werde gerne einmal mit dem Bundesminister des Auswärtigen darüber sprechen, wie wir mit unserer historischen Verantwortung in Kamerun umgehen. Kamerun war immer ein Schwerpunkt unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Seit der Unabhängigkeit sind im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit über 900 Millionen Euro in konkrete Projekte in Kamerun geflossen. Dass Geld die historische Verantwortung, die wir haben, nicht in irgendeiner Weise zu relativieren vermag, ist mir natürlich klar. Aber wir stehen zu dieser Verantwortung. Wir stehen insbesondere zu Kamerun. Das ist ja auch kein abgeschlossener Prozess.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Dazu gibt es keine weiteren Nachfragen. Dann kommen wir zur Frage 10 der Abgeordneten Heike Hänsel: Teilt die Bundesregierung die Position des EU-Botschafters in Mexiko, Andrew Standley, dass für das Verschwinden der 43 Studierenden in Iguala nicht der Staat verantwortlich ist und deshalb auch keine Konsequenzen bezüglich der Beziehungen mit der EU gezogen werden - speziell das Freihandelsabkommen betreffend ({0})?

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete Hänsel, der EU-Botschafter in Mexiko, Andrew Standley, hat in einem Fernsehinterview für CNN am 23. Oktober dieses Jahres Folgendes klargestellt: Er sieht aufgrund der Vorfälle in Iguala keine Notwendigkeit von Konsequenzen für die Beziehungen zwischen der EU und Mexiko und für das mit Mexiko auf Bundesebene - das möchte ich ausdrücklich unterstreichen abgeschlossene Freihandelsabkommen, da die mexikanische Bundesregierung nicht Urheber der Menschenrechtsverletzungen im Gliedstaat Guerrero sei. Er hat dabei die mutmaßliche Verstrickung lokaler Behörden nicht erwähnt, aber auch nicht in Zweifel gezogen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Resolution des Europäischen Parlaments vom gleichen Tage, die nach seiner Meinung einen ausgewogenen Ton zwischen der Verurteilung der Taten und gleichzeitiger Zusage der Unterstützung der mexikanischen Regierung seitens der EU bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität trifft. Der Resolutionstext des Europäischen Parlaments, den wir ebenso unterstützen und auch würdigen, verweist im Übrigen, Frau Abgeordnete Hänsel, klar auf die mutmaßliche Verwicklung lokaler Behörden in diese schlimmen Vorfälle. Ich erspare es Ihnen jetzt, die entsprechende Formulierung auf Englisch vorzutragen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Hänsel, haben Sie eine Nachfrage dazu? - Dann haben Sie das Wort.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Dazu muss man sagen, viele Delegationen von uns reisen regelmäßig nach Mexiko. Wir sind dort seit Jahren mit einer fast 100-prozentigen Straflosigkeit auf allen Ebenen konfrontiert. Wenn Sie jetzt nach Mexiko fahren, stellen Sie eine 98-prozentige Straflosigkeit fest. Auch vor fünf Jahren bestand schon eine 98-prozentige Straflosigkeit. Das gilt unabhängig davon, welche Regierung an der Macht ist. Daher können Sie doch nicht davon sprechen, es gebe keine Verantwortung des Staates, wenn schlimme Verbrechen, egal auf welcher Ebene sie passieren, in großem Umfang nicht geahndet werden. Der derzeit amtierende Präsident Nieto war seinerzeit als Gouverneur des Bundesstaates Mexiko für einen brutalen Polizeieinsatz verantwortlich, den er befehligt hat. Über 200 Menschen wurden dabei verhaftet und übel misshandelt. Ein 14-Jähriger wurde getötet. 40 Frauen wurden massenvergewaltigt durch die Polizei. Das alles hatte keine Konsequenzen. Wie können Sie behaupten, dass es keine Verantwortung der Bundesebene für solche Verbrechen gibt? Die 43 Studierenden sind nur die Spitze des Eisbergs. In einem anderen Bundesstaat sind 21 Jugendliche in einem Kaufhaus öffentlich hingerichtet worden. Das heißt, es gibt natürlich eine Verantwortung des Bundesstaates. Diese können Sie hier auch nicht wegleugnen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Nicht nur Delegationen des Deutschen Bundestages, sondern auch Delegationen der Bundesregierung reisen nach Mexiko. Erst kürzlich hat meine Kollegin Böhmer aus dem Auswärtigen Amt Mexiko besucht, und zwar vom 19. bis zum 24. Oktober. Ich kann Ihnen versichern, dass Frau Staatsministerin Böhmer die Vorfälle, die von Ihnen kritisiert werden, gegenüber hoch- und höchstrangigen Stellen der mexikanischen Regierung angesprochen hat. Darüber hinaus hat sie sich zusammengesetzt mit Menschenrechtsverteidigern Mexikos. In Vorbereitung dieser Reise hat es eine Fülle von Gesprächen mit Vertretern hiesiger Menschenrechtsorganisationen zu diesem Thema gegeben. Das Auswärtige Amt hat bereits am 8. Oktober zu diesen Vorfällen Gespräche mit der Nichtregierungsorganisation Menschenrechtskoordination Mexiko und mit Amnesty International geführt. Ich darf hinzufügen, dass auch unser Menschenrechtsbeauftragter, Herr Strässer, ein Gespräch mit der NGO Menschenrechtskoordination Mexiko geführt hat. Darüber hinaus hat sich unsere Botschaft auch gegenüber der EU-Delegation in Mexiko für eine entsprechende EU-Erklärung eingesetzt. Diese lokale Erklärung wurde am 12. Oktober veröffentlicht. Ferner habe ich deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Resolution des Europäischen Parlaments teilt, das sich sehr kritisch geäußert hat. Nun möchte ich auf Ihre Forderung zurückkommen - ich insinuiere das jetzt einfach einmal so -, die Modernisierung des Freihandelsabkommens mit Mexiko auszusetzen bzw. das in Verhandlung befindliche Sicherheitsabkommen auszusetzen. Da es gerade um den Kampf gegen die organisierte Kriminalität geht, wäre es aus meiner Sicht geradezu hanebüchen, wenn wir jetzt vor dem Hintergrund dieser schrecklichen Verbrechen im Bundesstaat Guerrero unsere Verhandlungen aussetzen würden. Wir brauchen mehr Sicherheit. Wir müssen die Zusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ausweiten. Daher bin ich dafür, dass wir diese Verhandlungen entschieden fortsetzen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine zweite Nachfrage?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bitte schön.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatsminister, wenn Sie so umfassend mit Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und anderen sprechen, dann ist es eigentlich noch schlimmer, dass Sie nicht agieren, weil all diese Gruppen Ihnen wie auch uns allen bei allen Besuchen erzählen, dass der Staat Teil des Problems ist und dass diese Verbrechen nicht vonseiten der organisierten Kriminalität begangen werden, sondern von Teilen des Sicherheitsapparates, der Polizei auf lokaler Ebene und auf Bundesebene und von Teilen des Militärs. Genau deswegen fordern wir - damit komme ich zu meiner Frage -, dass man in dieser Situation einer massiven Unterwanderung seitens der Polizei- und Sicherheitskräfte, die Teil der organisierten Kriminalität und Täter dieser staatlichen Repressionen sind, kein Sicherheitsabkommen abschließt, bei dem es unter anderem darum geht, den Datenaustausch weiter zu forcieren und die Aufstandsbekämpfung weiter zu trainieren. Das heißt, man trainiert im Grunde Sicherheitskräfte, die kriminell vorgehen und für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Das können Sie nicht verantworten.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete Hänsel, ich teile Ihre Interpretation eines Sicherheitsabkommens ausdrücklich nicht. Es geht gerade darum, Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die individuelle Sicherheit zu erhöhen. Ich will auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung hinzufügen, dass nach aktuellem Stand auf der mexikanischen Seite die Generalstaatsanwaltschaft, die auch mit der Strafverfolgung der Täter des Verbrechens von Guerrero beauftragt wurde, gerade über 20 verdächtigte Polizeibeamte festgenommen hat. Insofern will ich das jetzt nicht weiter bewerten. Es tut sich etwas, aber Sie können sich darauf verlassen, dass wir in enger Abstimmung sind. Wir verlassen uns eben nicht nur auf die Gespräche mit der mexikanischen Regierung, sondern - ganz im Gegenteil - wir suchen den engen Austausch und das direkte Gespräch mit den NGOs, mit Amnesty und anderen Organisationen, die ich Ihnen eben genannt habe. Das fließt auch in unsere jeweilige Beurteilung mit ein. Die Beurteilung sieht aber anders aus als die Ihrige.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Ströbele hat noch eine weitere Nachfrage. Darum erteile ich ihm das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, ich glaube, Sie haben etwas an der Frage vorbei geantwortet. Ich finde es gut, dass Sie dort mit Oppositionellen, aber auch mit NGOs und gerade auch mit Menschenrechtsorganisationen reden. Das ist dringend erforderlich. Aber dann müssen Sie doch auch die Schreie aus den Massendemonstrationen zur Kenntnis genommen haben, die man aus Mexiko-Stadt bis nach Berlin hört. In Berlin findet derzeit - ich weiß nicht, ob Sie das wissen - eine 43-stündige Mahnwache im Gedenken an die Toten und an die Zustände in Mexiko statt. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Beschuldigungen sich nicht darauf beschränken, dass lokale Behörden eine direkte Verantwortung für die mutmaßliche Ermordung - wir wissen noch nicht genau, was passiert ist - haben, sondern dass man die gesamte Administration bis in die Regierung hinein der Komplizenschaft verdächtigt und beschuldigt. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen, statt einfach zu sagen: Wir liefern denen jetzt Waffen und machen Sicherheitsabkommen und alles Mögliche, weil wir der Regierung vertrauen. Uns interessiert: Welchen Wert legen Sie auf die Argumente der Menschenrechtsorganisationen und der Demonstranten, die solche Feststellungen oder Mutmaßungen äußern? Sagen Sie: „Da ist überhaupt nichts dran; die Regierung ist in jeder Hinsicht vertrauenswürdig und duldet diese schrecklichen Geschichten nicht, sondern sie macht wirklich etwas dagegen“? Die Beauftragung eines Generalstaatsanwalts ist wenig wert, solange man nicht weiß, ob er nicht selber mit den örtlichen Behörden in Verbindung steht. Deshalb ist meine Frage: Wie ernst nehmen Sie die anderen Darstellungen? Überprüfen Sie sie, und welche Meinung haben Sie dazu?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Ströbele, wir nehmen alle Vorwürfe sehr ernst. Deshalb befinden wir uns auch mit allen Verantwortlichen im engen Austausch. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin stolz darauf, für ein Auswärtiges Amt arbeiten zu dürfen, das sich nicht nur als Ministerium für internationale Beziehungen versteht, sondern vor allem als Menschenrechtsministerium. Das ist ein wesentliches Element unserer politischen Bemühungen auf der internationalen Ebene. Ich darf Ihnen versichern, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen, die in meinem Haus in Verantwortung stehen, der Stärkung der Menschenrechte und ihrer Universalität verpflichtet fühlen. Dabei ist uns völlig egal, um welches Land es geht. Wir setzen uns überall für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Ich freue mich, dass Sie dabei an unserer Seite stehen, Herr Abgeordneter Ströbele. ({0}) - Ich beantworte die Fragen so, wie ich meine, sie beantworten zu müssen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für eine weitere Nachfrage hat der Kollege Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Staatsminister, es gibt zumindest berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit von Behörden in einigen mexikanischen Bundesstaaten. Wir haben im Gegensatz zu Ihnen auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit einiger Verhaltensweisen der Zentralregierung in Mexiko. Vor dem Hintergrund, dass Schusswaffen, die von Heckler & Koch nach Mexiko geliefert wurden, in völlig andere Kanäle gelangt sind, möchte ich Sie fragen, ob Sie zukünftig planen, keine Waffenlieferungen nach Mexiko mehr zuzulassen.

Not found (Gast)

Wie Sie wissen, gibt es eine sehr restriktive Regelung betreffend den Export von Waffen in Länder außerhalb der Europäischen Union und der NATO. Wir werden weiterhin - hier ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie federführend - auf die restriktiven Maßstäbe bei der Umsetzung achten. Darauf können Sie sich verlassen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit kommen wir zu Frage 11 der Kollegin Heike Hänsel: Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob die extrem rechte Partei Swoboda vor allem deshalb trotz Scheiterns an der Fünfprozenthürde über Direktmandate im ukrainischen Parlament vertreten sein wird, weil die Partei des ukrainischen Präsidenten, Block Petro Poroschenko, in den Wahlkreisen, in denen Swoboda bei den vergangenen Wahlen Direktmandate geholt hat, als Dank für die Unterstützung bei der Auflösung des Parlaments und damit der Ausrichtung von vorgezogenen Wahlen auf eigene Kandidaten verzichtet bzw. nur schwache Kandidaten aufgestellt hat und somit dieser extrem rechten Partei einen Verbleib in der Werchowna Rada gesichert hat, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass diese Art der Organisation des Wahlergebnisses derjenigen stark ähnelt, die die Partei der Regionen unter dem Präsidenten Wiktor Janukowitsch bei den Parlamentswahlen 2012 angewandt hat ({0})? Das Wort hat wiederum der Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Vielen Dank. - Frau Abgeordnete Hänsel, in Ihrer Frage beziehen Sie sich auf die jüngsten Wahlen zum ukrainischen Parlament, zu der sogenannten Rada. Bei den Wahlen am 26. Oktober haben - das darf ich persönlich hinzufügen - erfreulicherweise extremistische, radikale Parteien - anders als noch im Jahr 2012 - einen ausgesprochen geringen Zulauf erhalten. Die Partei Rechter Sektor scheiterte sehr deutlich an der Fünfprozenthürde und konnte nur ein einziges Direktmandat erzielen. Die rechtsnationalistische Swoboda scheiterte ebenfalls an der Fünfprozenthürde. Die rechtspopulistische Radikale Partei blieb mit etwa 7,5 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus - das ist die Bewertung der Wahlergebnisse -, dass nationalistische, extremistische und radikale Kräfte keinen Einfluss auf die Politik der Ukraine haben werden. Auch dieser Hinweis sei mir gestattet: Solche schlechten Wahlergebnisse von Rechtsextremisten und Populisten würde ich mir auch in manchem Mitgliedsland der Europäischen Union wünschen. Der Bundesregierung sind Presseberichte bekannt, nach denen sich der Block Petro Poroschenko und die Partei Swoboda bei der Aufstellung von Direktkandidaten abgesprochen haben sollen. Bei dieser Absprache ging es vor allem darum, die Erfolgschancen der jeweiligen Kandidaten beider Parteien zu erhöhen. Absprachen dieser Art verstoßen nach Kenntnis der Bundesregierung nicht gegen ukrainisches Recht. Sie werden sich daran erinnern, dass noch im Jahr 2012 der Partei der Regionen klar rechtswidrige Handlungen vorgeworfen worden sind wie Wählerbestechung, Missbrauch administrativer Ressourcen und direkte Wahlfälschung. Nun liegen die vorläufigen Schlussfolgerungen der OSZE-Wahlbeobachtungsmission vor. Die OSZE hat bei den jüngsten Wahlen am 26. Oktober derartige Praktiken nicht beobachtet bzw. nur in einigen wenigen Einzelfällen. Dabei geht es um Wählerbestechung.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Hänsel, haben Sie dazu eine Nachfrage? - Bitte schön.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Staatsminister. - Teilen Sie eventuell die Auffassung, dass es schon etwas merkwürdig ist, dass sich nun der Poroschenko-Block mit Swoboda einigt, um die gegenseitigen Erfolgschancen zu erhöhen, und durch Absprachen vor Ort Swoboda sechs Sitze im ukrainischen Parlament ermöglicht hat? Zwar haben einzelne extremistische Parteien keinen großen Erfolg erzielt. Aber zahlreiche extrem rechte Kandidaten sind nun im Parlament vertreten. Sie haben Absprachen mit anderen Parteien getroffen und wurden so in das Parlament gewählt. Ich nenne als Beispiel die Volksfront von Jazenjuk. Dazu nur ein paar Beispiele: Zum Beispiel sind mittlerweile im Parlament der Gründer der neonazistischen Nationalen Partei der Ukraine, Andrej Parubij, der zugleich der Führer des Bataillons Dnjepr 1 ist, dann Tatjana Tschornowol, der die faschistische Miliz UNA-UNSO nicht radikal genug war und sie deswegen sogar verließ, Andrej Biletski, bekennender Neofaschist und Kommandeur des im Kern aus extrem Rechten bestehenden Asow-Bataillons - darüber wurde auch in den Medien berichtet - sowie eine weitere Anzahl von extrem Rechten. Würden Sie nicht sagen, dass diese Anzahl der rechtsextremen Abgeordneten auf alle Fälle einen Einfluss auf die Politikgestaltung des Landes hat?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete Hänsel, ich habe erst einmal darauf hingewiesen, dass im Vergleich zur Wahl 2012 der Einfluss von rechtsextremistischen, nationalistischen, populistischen Abgeordneten massiv zurückgegangen ist. Das ist ein großer Erfolg. Bei den Rada-Wahlen sind proeuropäische Kräfte, die sich der europäischen Wertegemeinschaft verpflichtet fühlen, gestärkt worden; sie stellen eine deutliche Mehrheit. Sie können sich darauf verlassen, Frau Abgeordnete Hänsel - wir haben uns hier schon in vielen Fragestunden darüber kritisch ausgetauscht -, dass diese Bundesregierung sehr wachsam ist, wenn es um Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, Gewalt gegen religiöse Minderheiten geht, egal wo, selbstverständlich auch in der Ukraine. Ich habe Ihnen immer wieder geschildert, dass wir klare Erwartungshaltungen auch an die ukrainische Regierung und die anderen ukrainischen Verantwortlichen haben. Nun sollten wir doch angesichts eines solchen Wahlergebnisses, das eine drastische Verminderung der Zahl von Abgeordneten aus populistischen, nationalistischen und rechtsextremen Bereichen zur Folge hatte, die Dinge nicht schlechter reden, als sie realiter sind. Das, was Sie kritisieren, nämlich, dass es vor einer Wahl Absprachen gegeben habe, steht ja zumindest nach unserer Kenntnis nicht im Widerspruch zu den Gesetzen der Ukraine. Da ist kein Gesetz und kein Recht infrage gestellt worden.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine weitere Frage? - Dann haben Sie das Wort dazu.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatsminister, so etwas muss man sich einmal in Deutschland vorstellen: Würde die CDU Kandidaten der NPD auf ihre Liste nehmen, gäbe es hier doch einen Aufschrei. Ihn gibt es doch schon bei der Frage, dass einzelne Abgeordnete in Erwägung ziehen, dass die AfD als Bündnispartner nicht ausgeschlossen werden dürfe. Daher müssen wir es doch absolut kritisieren - es gibt doch einen demokratischen Konsens -, wenn auf der Jazenjuk-Liste - er ist Ministerpräsident gewesen und wurde von den USA unterstützt - die Volksfront jetzt stärkste Kraft ist und Anführer des berüchtigten Asow-Bataillons und weitere andere faschistische Kandidaten stehen, die eindeutige NS-Bezüge in ihrer politischen Ausrichtung haben. Angesichts dessen kann ich doch nicht sagen, wir dürfen das jetzt nicht überbewerten. Der Poroschenko-Block, der von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird - da gibt es auch einen direkten Einfluss -, macht vor Ort Absprachen mit Abgeordneten der Swoboda-Partei. Das sind doch Zustände, die man nicht einfach so negieren kann. Dazu müssen Sie sich doch politisch verhalten!

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Not found (Gast)

Danke, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete Hänsel, darauf habe ich nun nur noch gewartet, dass jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika kommen und dann gleichzeitig insinuiert wird, dass die auch noch Faschisten in der Ukraine unterstützten. Dass dies genau auf Ihrer propagandistischen Linie lieg, das mag ja so sein. Aber ich habe darauf hingewiesen, dass diese Bundesregierung dem Kampf gegen Rechtsextremismus verpflichtet ist und dass wir alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun, um diesen auch zu ahnden. ({0}) Ich kann mich doch nur auf Wahlergebnisse und die Erkenntnisse der OSZE-Wahlbeobachtermission beziehen, die eine kritische und eine sehr aufmerksame Bewertung des Wahlergebnisses vorgenommen hat, und darauf vertrauen. Wenn uns gesagt wird, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen, die Zahl der gewählten Rechtsextremisten, Nationalisten und Populisten sei deutlich nach unten gegangen, dann kann ich mich doch nicht hier hinstellen und ein Gefahrengemälde an die Wand zeichnen, das sich mit der Realität nicht deckt. Gleichzeitig bin ich für jeden Hinweis dankbar, und wir werden diesen Hinweisen auch nachgehen. Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass wir sehr frühzeitig beispielsweise die jüdischen Gemeinden in der Ukraine eingeladen haben. Sofort, nachdem der Vorwurf erhoben wurde, es habe Handlungen gegen Jüdinnen und Juden in der Ukraine gegeben, haben wir uns mit den jüdischen Gemeinden in Verbindung gesetzt. Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben den Vorsitzenden des Vereins der jüdischen Gemeinden eingeladen und das Gespräch gesucht. Wir sollten doch hier nicht den Eindruck erwecken, als sei uns das alles egal oder als seien wir auf dem rechten Auge blind. Aber die Ukraine ist ein Land auf dem ganz schwierigen und langen Weg in eine Demokratie, in eine Rechtsstaatlichkeit, und wir wissen doch alle, dass da vieles noch im Argen liegt. Aber wir haben ein Interesse daran, dass unsere Wertvorstellungen, die sich mit rechtsextremistischen Vorstellungen nicht vereinen lassen, auch in der Ukraine dauerhaft mehrheitsfähig bleiben. Deshalb bleibe ich dabei - dies ist die Auffassung der Bundesregierung -, dass wir erst einmal froh darüber sind, dass Parteien und Kräfte, die sich der europäischen Wertegemeinschaft verpflichtet fühlen, am 26. Oktober bei den Rada-Wahlen eine deutliche Mehrheit bekommen haben. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für eine weitere Nachfrage hat das Wort der Kollege Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Verwunderung, dass die Kollegin Hänsel in einem gewagten Konstrukt einen Einfluss von vorgeblich faschistischen Kräften auf die kommende ukrainische Regierung konstruiert, aber gleichzeitig überhaupt kein Wort über den Einfluss der rechtsextremen Schirinowski-Partei auf die Moskauer Politik findet und auch kein Wort dazu sagt, dass rechtsextreme europäische Parteien, angefangen von der deutschen NPD über Le Pen in Frankreich, über Ataka aus Bulgarien bis hin zu Jobbik aus Ungarn, nach Moskau pilgern und sich dort die Klinke in die Hand geben, nicht aber nach dem angeblich faschistischen Kiew? Teilen Sie meine Verwunderung über dieses Konstrukt?

Not found (Gast)

Erst einmal, Herr Abgeordneter, danke ich allen hier im Hause, die uns dabei helfen, objektive Informationen über die Lage nicht nur in der Ukraine zu erhalten. Deswegen freue ich mich immer, wenn Sie die Länder besuchen, wenn Sie sich vor Ort intensiv informieren, wenn Sie kritisch nachfragen und auch nachhaken. Mich verwundert derzeit leider fast gar nichts mehr, Herr Abgeordneter Grund, was die teilweise einseitige Bewertung anbelangt. Ich kann Ihnen nur versichern, dass diese Regierung - egal, welches Land es betrifft sich immer verpflichtet fühlt, sich zu engagieren und konsequent für Respekt, für Demokratie, für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Wir treten immer für die Ächtung des Antisemitismus ein. Wir sind für ein friedliches Miteinander der Religionen, der Kulturen, der Ethnien. Dieses Verständnis liegt allen unseren Bewertungen zugrunde.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Frage 12 der Abgeordneten Marieluise Beck und die Frage 13 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Deshalb haben wir den Geschäftsbereich des Ministeriums des Auswärtigen abgeschlossen. Ich danke dem Herrn Staatsminister. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 14 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Deshalb kommen wir jetzt zur Frage 15 der Kollegin Petra Pau: Aufgrund welcher gewissenhaften und sachgerechten Überprüfungen des Sachverhalts kam die Bundesregierung dazu, die Frage, welche Differenzen es zwischen dem Bundesministerium des Innern, dem Generalbundesanwalt, dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, hinsichtlich der Definition des Rechtsterrorismus seit dem Jahr 1992 gab, wie folgt zu beantworten: „Der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt orientieren sich bei ihrer Aufgabenerfüllung an dem Begriff der terroristischen Vereinigung gemäß § 129 a des Strafgesetzbuchs und den hierzu vom Bundesgerichtshof ({0}) aufgestellten Voraussetzungen, z. B. zur Mitgliederzahl von mindestens drei Personen … Im Gegensatz dazu ist die verfassungsschutzrelevante Definition von ,Terrorismus‘ … nicht zwingend an mehrere Täter gebunden. Dieser Unterschied resultiert aus den jeweiligen gesetzlichen Aufgaben- und Befugnisnormen der verschiedenen Behörden. Differenzen zwischen dem BMI, dem Generalbundesanwalt, dem Bundeskriminalamt und dem BfV sind der Bundesregierung insoweit nicht bekannt“ ({1}), und würde die Bundesregierung diese Antwort nach wie vor für richtig halten? Das Wort hat der Staatssekretär Dr. Krings.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Vizepräsidentin, Differenzen zur Frage, ob terroristische Bedrohungen im Bereich des Rechtsextremismus vorlagen, sind der Bundesregierung aus dem Kontext dieser ganzen Aufarbeitung, darunter der des NSU-Komplexes, und auch nach nochmaligem Abgleich mit den Aussagen des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in der letzten, der 17. Wahlperiode, nicht bekannt. Deshalb: Ja, wir bleiben bei unserer Bewertung, die wir auch schon in der Antwort auf Ihre im September gestellte Kleine Anfrage gegeben haben.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie, Frau Kollegin, haben mit Sicherheit eine Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe Nachfragen. - Für all diejenigen, die die Frage gelesen haben, auf die sich die Antwort des Herrn Staatssekretärs bezieht, sage ich gleich: Die komplizierte Formulierung geht nicht etwa auf mich oder meine Fraktion zurück, sondern auf eine Antwort, die die Bundesregierung gegeben hat, vielleicht sogar der Herr Staatssekretär selbst im September unterschrieben hat. Uns interessierte, inwieweit man den Befund, den der Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex gefunden hat, nämlich dass es in den unterschiedlichen Behörden - Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Generalbundesanwalt und zum Schluss auch im Bundesinnenministerium - sehr unterschiedliche Einordnungen hinsichtlich der Existenz von rechtsterroristischen Strukturen und Gefahren gab, aufgearbeitet hat und ob man jetzt vielleicht zu einer gemeinsamen Definition gekommen ist. Sie haben eben gesagt, Sie hätten alles noch einmal überprüft. Ich will Ihnen helfen. In der 72. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 16. Mai 2013 hat die Leiterin des Referats Rechtsterrorismus im Bundesamt für Verfassungsschutz - an diesem Tag hieß sie Rita Dobersalzka - ausgeführt: Wir haben aber im BfV diesen Begriff Rechtsterrorismus nie so definiert, wie es der Begriff der terroristischen Vereinigung nahelegt und wie es auch von der Polizei oder vom GBA als Maßstab genommen wird, sondern wir haben immer nach den Ansätzen gesucht … Und diese Ansätze … haben wir eben in diesem Referat verfolgt. Dann hieß es weiter im Disput mit dem Kollegen Binninger von der CDU/CSU-Fraktion: Die Notwendigkeit für uns, immer zu sagen: „Es sind keine Strukturen erkennbar“, hat sich daraus ergeben, dass sich in der Zusammenarbeit mit der Polizei und mit dem Generalbundesanwalt, ja ich sage mal, definitorische Unterschiede ergaben. Wenn wir gesagt hätten: „Es gibt in Deutschland Rechtsterrorismus“, dann hätten wir das mit keinem Einzelfall belegen können. Deshalb, so geht es dann weiter, seien diese Fälle im Allgemeinen auch nicht verurteilt worden, obwohl Strukturen festgestellt worden seien, welche Waffen, Sprengstoff und anderes gehortet hätten. Also übersetzt: Wenn es nicht drei Personen waren, die Bomben gebaut und Waffen gehortet haben, sondern nur zwei, dann durften sie nicht als rechtsterroristische Vereinigung eingestuft werden. Meine Frage ist: Würden Sie das heute noch - nach NSU - so bewerten, oder gibt es jetzt eine gemeinsame Definition?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Sie haben zu Recht etwas weiter ausgeholt; auch ich möchte das tun. Die Frage, ob zwischen dem Bundeskriminalamt und insbesondere dem Bundesamt für Verfassungsschutz abweichende Auffassungen zur Einschätzung der terroristischen Bedrohungslage in concreto vorlagen, ist auch im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses differenziert nachgezeichnet worden. Man hat sich auch auf Diskussionen in der Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer und rechtsterroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte bezogen. Aufgabe auch dieser Informationsgruppe war es, Analysen zur Sicherheitslage zu erstellen. Hierzu wurden in dem Zeitraum, der hier untersucht wurde, Lagebilder zum Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus erörtert. 1999 führte das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa aus, dass es derzeit keine rechtsextremistische Organisation gebe, die zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele terroristische Aktionen plane. Ich könnte das weiter ausführen, will aber vor allem auf eines hinweisen. Das, was Sie ansprechen und ich nicht als Widerspruch sehe, sondern was ich als unterschiedlichen Zugang von verschiedenen Ämtern bezeichnen möchte, ist gerade die Folge der verschiedenen Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Wir wollen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern ein Frühwarnsystem haben, das schaut, wo es Ansätze und Strukturen gibt. Das gilt auch für den Bereich des Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus. Entsprechend weit gefasst muss natürlich der Begriff des Rechtsterrorismus sein, den die Verfassungsschutzämter zugrunde legen, während wir beim Generalbundesanwalt, bei den Polizeibehörden und dem Bundeskriminalamt von dem strafrechtlichen Begriff ausgehen, also insbesondere von § 129 a. Natürlich ist hier durch die Rechtsprechung ein ganz anderer Zugang definiert worden. Wenn es auf die konkrete Bewertung ankam, kam es in all den Jahren im Ergebnis in concreto nicht zu einer Differenz, so die Aussagen der Sicherheitsbehörden am heutigen Tag.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin, Sie haben eine weitere Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Jetzt kommen wir einmal zur Praxis im Jahr 2014. Wie ist es denn jetzt? Angenommen, das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt im Rahmen des Frühwarnsystems, wie Sie es gerade beschrieben haben, fest, dass nicht etwa drei, sondern zwei Personen unterwegs sind, die sich bewaffnen, die sich mit Sprengstoff ausrüsten, die Planungen vornehmen. Aber Gott sei Dank ist noch nichts passiert. Speisen Sie diesen Sachverhalt zumindest als mögliche rechtsterroristische Gefahr in das Gemeinsame Abwehrzentrum ein? Wird das dann adäquat behandelt, oder wird es aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten und Zugänge erst einmal beiseitegelegt, bis etwas passiert ist? Tauchen solche Strukturen im nächsten Verfassungsschutzbericht zumindest als heraufziehende rechtsterroristische Gefahr auf, oder wird das aufgrund dieser unterschiedlichen Definitionen in den einzelnen Behörden weiter unterschiedlich behandelt und nicht gemeinsam als Rechtsterrorismus bekämpft?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank. - Wir haben ja gerade deshalb diese Möglichkeiten des Informations- und Erfahrungsaustausches zwischen Behörden in den letzten Jahren geschaffen. Aus dem Grunde ist es aus meiner Sicht selbstverständlich, dass diese Informationen ausgetauscht werden und dass man zu einer gemeinsamen Bewertung kommt. Wenn es Anhaltspunkte für rechtsterroristische Strukturen gibt, wie Sie es eben dargestellt haben, gehe ich davon aus, dass das entsprechend berücksichtigt wird und dass das in die entsprechenden Berichterstattungen und in die entsprechenden Analysen aufgenommen wird.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Eine weitere Nachfrage, und zwar des Kollegen Lenkert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, wenn ich Sie jetzt richtig interpretiere - korrigieren Sie mich; ich hoffe, Sie können mich korrigieren -, haben Sie auch heute noch keine gemeinsame Definition für „rechtsterroristische Aktionen“ bzw. für „rechtsterroristische Aktivisten“?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Es kann keine im Wortlaut identische Definition geben. Das eine ist die strafrechtliche Definition nach § 129 a. Wir haben ja das Bestimmtheitsgebot und andere verfassungsrechtliche Grundsätze zu beachten. Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern muss natürlich - deshalb gibt es ihn auch - schon zu einem frühen Stadium ansetzen und Informationen sammeln. Wenn es eine solche Definition gäbe, wäre sie aus meiner Sicht zu eng. Aus dem Grunde brauchen wir die beiden Zugänge; aus dem Grunde brauchen wir Informationsaustausch. In concreto hat sich noch keine Differenz ergeben, etwa in der Form, dass die eine Behörde sagt: „Hier geht es um Rechtsterrorismus“ und dass eine andere sagt: Das ist weit weg davon. - Man hat also noch immer zueinandergefunden.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit ist auch Frage 15 beantwortet. Die Frage 16 der Kollegin Pau wird unter Hinweis auf Anlage 4 Nummer 2 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung - Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen - schriftlich beantwortet. Dahinter verbirgt sich, dass wir im Anschluss an die Fragestunde eine Vereinbarte Debatte zu diesem Gegenstand führen. Die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Martina Renner sowie die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Dr. André Hahn werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zu Frage 21 des Kollegen Markus Tressel: Ist es zutreffend, dass sich die Bundesregierung für die umfassende Speicherung von Fluggastdaten auf europäischer Ebene einsetzen will und sich folglich für eine solche anlasslose Datenspeicherung von mehr als 80 Millionen Deutschen und 500 Millionen reisenden Europäern ausspricht, und, wenn ja, aus welchem Grund?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Abgeordneter Tressel, das Thema Fluggastdatenspeicherung beschäftigt uns in diesem Hause schon länger. Ich will vorwegschicken: Dieses Thema bzw. die EU-Richtlinie, die in Arbeit ist, ist durch den Beschluss des Europäischen Rates vom August dieses Jahres und auch durch die VN-Resolution vom 24. September 2014 im Kontext mit den Terrorkämpfern und ihren Reisebewegungen natürlich drängender geworden. Die Europäische Kommission hat 2011 einen Vorschlag für eine Richtlinie für ein EU-PNR-System vorgelegt. Der Entwurf der Kommission sieht vor, dass die bei der Buchung von Flügen über EU-Außengrenzen erfassten Passagierdaten - also Sitzplatz, Reisebüro, Gepäcknummer usw. - an die jeweilige PNR-Zentralstelle der Mitgliedstaaten übermittelt werden. Es sollen aber nur die Daten angefordert werden, die bei den Fluggesellschaften ohnehin gesammelt werden. Das heißt, die Richtlinie begründet keine Pflicht für die Fluggesellschaften, zusätzliche PNR-Daten zu erfassen. Von dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission sind natürlich auch nicht die Daten, wie es in der Frage etwas plakativ heißt, von rund 80 Millionen Deutschen oder 500 Millionen Europäern erfasst, sondern nur die Daten derjenigen Bürger, die Linienflüge über EU-Außengrenzen antreten wollen. Die von den Behörden der Mitgliedstaaten erfassten PNR-Daten sollen ausschließlich zur Bekämpfung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität verarbeitet werden. Es bleibt darüber hinaus den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, zu entscheiden, ob und welche Daten einer Analyse unterzogen werden. Die Mitgliedstaaten sind somit nicht zu einer routinemäßigen Datenanalyse verpflichtet. Nach Ansicht der Bundesregierung ist wegen der Gefahr von Anschlägen durch aus Syrien und aus dem Irak zurückkehrende Dschihadisten dringliches Handeln geboten. Ein Element, um dieser Bedrohung der inneren Sicherheit zu begegnen, ist das Aufspüren verdächtiger Reisebewegungen. Hierzu könnten PNR-Daten wichtige Dienste leisten, indem sie unter anderem die Feststellung von Reisebewegungen von terrorismusverdächtigen Personen und Rückschlüsse auf den Aufenthalt solcher Personen in Terrorcamps oder in Kampfgebieten ermöglichen. Der Europäische Rat hat am 30. August 2014 vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die sogenannten Foreign Fighters den Rat und das Europäische Parlament ersucht, die Arbeiten an der EU-PNR-Richtlinie vor Ende dieses Jahres abzuschließen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Arbeiten an der Richtlinie zur Einrichtung eines EU-PNR-Systems zeitnah abgeschlossen werden. Deutschland wird sich hierbei weiterhin für Verbesserungen insbesondere im Bereich des Datenschutzes einsetzen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Tressel, ich vermute, Sie haben dazu eine Nachfrage. Dann erteile ich Ihnen dazu auch das Wort.

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass das zeitnah geschehen soll. Wann rechnen Sie mit einer Umsetzung der Fluggastdatenrichtlinie? Eine zweite Nachfrage. Um den 29. Oktober herum hat das Justizministerium verlauten lassen, man wolle Datenschutzschranken in die Fluggastdatenrichtlinie hineinverhandelt sehen. Ist das die Auffassung der gesamten Bundesregierung, und wie können solche Schranken Ihrer Auffassung nach aussehen?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank. - Ich habe mir abgewöhnt, bei solch sensiblen europäischen Richtlinien exakte Zeitpläne anzunehmen. „Zeitnah“ heißt natürlich: Wir sollten, wenn der Vorschlag in diesem Jahr vorliegt, im nächsten Jahr zu Ergebnissen kommen. Dann gibt es natürlich noch die Umsetzungsfristen. Einen genauen Zeitplan können Sie von mir heute leider nicht bekommen. Jedenfalls ist es angesichts der aktuellen Bedrohungslage eine dringliche Angelegenheit. Ich kenne die Verlautbarung der Kollegen aus dem Justizministerium und auch den exakten Hintergrund nicht, aber ich habe Ihnen in meiner Antwort schon gesagt, dass auch wir - da sind wir, glaube ich, die beiden Häuser und die gesamte Bundesregierung, nicht weit voneinander entfernt - auf hohe Datenschutzstandards drängen. Wir haben uns bereits in der Vergangenheit für relativ kurze Speicherfristen eingesetzt. Man kann auch überlegen, ob man stärkere Vorgaben braucht, wenn es um die Weitergabe von Daten an Drittstaaten und ähnliche Dinge geht. Verfahrensregelungen kann man verschärfen. Es ist eine ganze Fülle von datenschutzfreundlichen Regelungen denkbar und richtig.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Tressel, haben Sie dazu noch eine Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Frage 22, die ebenso vom Kollegen Tressel gestellt worden ist: Hält die Bundesregierung die Fluggastdatenspeicherung vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom April dieses Jahres zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie für mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar, und, wenn ja, aus welchen Erwägungen?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Diese Frage bewegt sich im gleichen thematischen Kontext und nimmt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Thema Vorratsdatenspeicherung Bezug. - Das Urteil des EuGH vom 8. April 2014 betrifft natürlich in erster Linie die Richtlinie 2006/24/EG zur Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten. Darin hatte der Europäische Gerichtshof unter anderem bemängelt, dass die Richtlinie keine ausreichenden Garantien für den Schutz der Grundrechte vorsah. Aus der Entscheidung folgt nicht, dass ein EU-System zur Speicherung von PNR-Daten gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen würde. Der Innenkommissar Avramopoulos hat erst kürzlich, in seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament am 30. September, angekündigt, den Entwurf für eine EUPNR-Richtlinie auch im Lichte des Urteils des EuGH zur Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu überprüfen. Unabhängig davon wird sich die Bundesregierung im Rahmen der weiteren Beratungen zwischen dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament über den Entwurf der EU-PNR-Richtlinie, wie ich das eben schon gesagt habe, für die Aufnahme weiterer Datenschutzgarantien einsetzen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Herr Kollege Tressel hat dazu keine Nachfrage. Dann können wir den Geschäftsbereich des Innenministeriums abschließen. Ich darf an dieser Stelle dem Vizepräsident Johannes Singhammer Herrn Staatssekretär für die Beantwortung herzlich danken. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die Frage 23 des Kollegen Hunko wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 24 und 25 der Kollegin Karawanskij werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Lösekrug-Möller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Corinna Rüffer auf: Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, die Kosten der Unterkunft in einem ersten Schritt ab 2018 in Höhe von 5 Milliarden Euro und ab 2020 komplett aus Bundesmitteln zu finanzieren, und welcher inhaltliche und zeitliche Zusammenhang besteht aus Sicht der Bundesregierung zwischen einer solchen finanziellen Entlastung der Kommunen und der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Verehrte Kollegin Rüffer, ich darf Ihnen auf Ihre Frage antworten: Nach dem Koalitionsvertrag sollen die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung eines Bundesteilhabegesetzes im Umfang von 5 Milliarden Euro jährlich von den Kosten der Eingliederungshilfe entlastet werden. Die Bundesregierung prüft auch den Vorschlag, eine Entlastung der Kommunen über eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft zu erreichen. Die Bundesregierung steht gleichzeitig zu ihrer Zusage, in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes zu erarbeiten, um das Teilhaberecht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterzuentwickeln.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin, haben Sie dazu eine Nachfrage?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Angesichts der Bedeutung dieses Gesetzgebungsvorhabens - unheimlich viele Menschen schauen darauf: betroffene behinderte Menschen, die sie vertretenden Verbände - ist es offensichtlich, dass ein Teil der Dynamik, die im Gesetzgebungsprozess von Anfang an wahrzunehmen war, damit zusammenhing, dass es eine enge Verbindung zwischen der Reform der Eingliederungshilfe, der Vorlage eines Bundesteilhabegesetzes auf der einen Seite und der Entlastung der Kommunen auf der anderen Seite gab. Der Vorschlag auf der Grundlage des Schäuble-Scholz-Papiers, der jetzt im Raum steht, geht in eine andere Richtung und sieht eine Entkoppelung dieses Zusammenhanges vor; so viel zum Hintergrund. Frau Nahles war heute Morgen im Ausschuss und hat klar gesagt, dass das BMAS dem Vorschlag, ab 2020 100 Prozent der KdU zu übernehmen, kritisch gegenübersteht. Daraus resultiert jetzt meine Frage: Welche alternativen Vorschläge werden gegenwärtig einer tieferen Prüfung unterzogen, um die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention mit der finanziellen Entlastung der Kommunen zu verknüpfen? Welche Rolle spielt dabei gegebenenfalls die stärkere Beteiligung der Sozialversicherung?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Ich kann Ihnen darauf gerne antworten. Auch ich war heute im Ausschuss zugegen und habe die Ministerin gehört. Für mich stand sehr im Vordergrund, dass sie gar keinen Zweifel daran gelassen hat, dass ein Bundesteilhabegesetz in dieser Legislatur nicht nur vorbereitet, sondern auch verabschiedet wird. Jetzt gibt es einen neuen Vorschlag über einen Finanzierungspfad. Ich würde mich wiederholen und merke nur an: Dieser Vorschlag wird geprüft. Der Koalitionsvertrag enthält außer der von mir zitierten Regelung keinen anderen Finanzierungsweg. Sie können versichert sein, dass wir in der fachlichen Vorbereitung des Gesetzes sehr stark voranschreiten. Sie wissen auch um den breiten Beteiligungsprozess, in den wir eingestiegen sind. Das ist der gegenwärtige Stand der Arbeit zu diesem aus der Sicht des Ministeriums wichtigen Gesetzesvorhaben.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Rüffer, haben Sie noch eine zweite Nachfrage? - Dann bitte ich Sie, diese zu stellen.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau. - Sie lautet wie folgt: Zieht die Bundesregierung in Betracht, im Zuge des angekündigten Bundesteilhabegesetzes ein Teilhabegeld zu schaffen? Wenn ja: Soll dieses Teilhabegeld in erster Linie der finanziellen Beteiligung des Bundes an den Ausgaben der Träger der Eingliederungshilfe oder der Schaffung eines Nachteilsausgleichs für Menschen mit Behinderung dienen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Rüffer, vielen Dank für diese Frage. Sie werden wissen, wir haben im Koalitionsvertrag zu diesem Thema aus gutem Grund einen Prüfauftrag vereinbart. Wir sind in diese Prüfung eingestiegen. Sie ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben noch kein Ergebnis. Deshalb kann ich Ihnen gar nicht sagen, worauf genau das hinauslaufen wird. Wir befassen uns sehr ernsthaft mit dem Thema, aber es liegt noch kein Ergebnis vor. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir kommen damit zum Ende der Fragestunde. Die vereinbarte Redezeit ist vorüber, und Sie haben auch noch Ihre beiden Zusatzfragen stellen können. Ich danke der Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller für das Bundeministerium für Arbeit und Soziales und beende damit die Fragestunde. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Vereinbarte Debatte anlässlich des 3. Jahrestages der Aufdeckung der NSU-Verbrechen am 4. November 2011 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung Herrn Bundesminister Dr. Thomas de Maizière. ({0})

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut zwei Jahre ist es her, da hielt Semiya Simsek, die Tochter eines der ersten Mordopfer des NSU, bei der zentralen Gedenkveranstaltung im Konzerthaus eine sehr bewegende Rede. Viele von uns waren dabei, und viele werden sich ihr Leben lang daran erinnern. Ein Satz von ihr ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben. Sie sagte: Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein. Dieser Satz fasst wie unter einem Brennglas das Versagen des deutschen Staates, vielleicht aber auch unserer Gesellschaft insgesamt, im Umgang mit dem NSU zusammen. Lange, viel zu lange hatten die Sicherheitsbehörden in die falsche Richtung ermittelt, die Lage falsch eingeschätzt. Sie haben damit den Opfern und ihren Familien - sicher unbeabsichtigt - im Ergebnis zusätzliches Leid zugefügt. Es waren aber nicht lediglich einzelne Fehler, Ermittlungspannen, die dafür gesorgt haben, dass der NSU so lange unentdeckt bleiben konnte. Nein, es waren auch die Strukturen und die Haltungen von Sicherheitsbehörden, von Verantwortlichen, die dazu führten, dass die Ermittlungen so lange auf das Umfeld der Opfer begrenzt blieben. Unser Staat - das ist mehrfach gesagt worden, auch bei dieser Veranstaltung, auch durch die Verantwortlichen der Sicherheitsbehörden selbst - hat mit diesem Versagen Schuld auf sich geladen. Diese Schuld und das, was wir den Opfern und ihren Familien damit angetan haben, können wir nicht ungeschehen machen. Es war, es ist und es bleibt deshalb unsere erste Pflicht, weiter aufzuklären, wie es zu diesem fürchterlichen Versagen kommen konnte, aufzuklären, welche Strukturen und Haltungen dieses Versagen begünstigt haben. Zugleich kommt es darauf an, das für die Zukunft abzustellen. ({0}) Vieles ist getan worden, um Licht in das Dunkel zu bringen, um besser zu werden, vor allem auch durch die Parlamente. Seit drei Jahren wurden und werden die Versäumnisse von insgesamt sechs parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet. Über die Arbeit des Untersuchungsausschusses dieses Parlaments haben wir viel geredet: 47 kluge, weitreichende und einstimmige Empfehlungen, die die Koalition komplett umsetzen möchte. Auf Länderseite haben die Untersuchungsausschüsse in Thüringen und Sachsen ihre Arbeit beendet. Die Untersuchungsausschüsse in Hessen und Nordrhein-Westfalen nehmen ihre Arbeit auf. Heute hat Baden-Württemberg beschlossen, auch einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Das Verfahren vor dem OLG München - am Anfang auch kritisch begleitet; es hieß: zu lang, zu aufwendig; gefragt wurde: „Wie ist es mit der Presseberichterstattung?“; wir erinnern uns daran - mit fünf Angeklagten, 90 Nebenklägern und 600 Zeugen zeigt in seinem bisherigen Verlauf eindrucksvoll, mit welcher großen Ernsthaftigkeit und Sorgfalt Gericht und Bundesanwaltschaft an der Aufklärung dieser konkreten Taten arbeiten. Das ist langsam, aber, glaube ich, gerade wegen der Gründlichkeit auch im Interesse der Opfer. Im Hintergrund ermitteln Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt unermüdlich und akribisch weiter gegen potenzielle weitere Täter. Sie gehen zahllosen Spuren nach, sehen sich Asservate immer und immer wieder im Lichte aktueller Erkenntnisse an. Bund und Länder arbeiten gemeinsam unaufgeklärte Mordfälle auf, die lange zurückliegen, in der Hoffnung, sie doch noch aufzuklären, indem man jetzt einen anderen Blick auf denkbare Ursachen, auch auf rechtsextremistische Tathintergründe richtet. Unmittelbar nach der Entdeckung der NSU-Terrorzelle sind die Behörden des Bundes im Verbund mit den Ländern aktiv geworden. Die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages läuft auf Hochtouren. Das gilt für die Justiz- und Polizeibehörden, aber auch für die Nachrichtendienste. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus hat sich in den vergangenen drei Jahren im Bund und in den Ländern sehr viel verändert: angefangen von der innerbehördlichen Organisation über die Zusammenarbeit der Behörden bis zur Ausund Fortbildung in vielen Bereichen. Stellvertretend für viele Einzelmaßnahmen steht das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus in Köln. Nach rund zwei Jahren hat es sich zu einer unverzichtbaren Kommunikations- und Kooperationsplattform für die Länder und den Bund entwickelt. Das bedeutet: Heute wissen wir besser, wer die sogenannten gefährdungsrelevanten Personen im Bereich rechts sind, auf wen wir also besonders achten müssen. Auch bei Empfehlungen, die nur von Bund und Ländern gemeinsam umgesetzt werden können, sind wir auf einem guten Weg. Viele Änderungen bei der ZusammenBundesminister Dr. Thomas de Maizière arbeit im Verfassungsschutzverbund sind durch die Innenministerkonferenz bereits beschlossen worden. Auch das Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ - das war ja, Herr Präsident, eben noch Gegenstand der Fragestunde - wird zurzeit zusammen mit den Ländern grundlegend auf Verbesserungsbedarf geprüft. Das Gesetz über die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist mit den Ländern weitgehend erörtert, und wir legen es in Kürze, das heißt in wenigen Wochen, vor, sodass es dann im Deutschen Bundestag beraten werden kann. Da geht es insbesondere um die Beschreibung und Führung von V-Leuten und die Informationsweitergabe - all das Dinge, die wir zu kritisieren hatten. Auch bei der Aus- und Fortbildung unserer Mitarbeiter besteht ein großer Handlungsbedarf. Darauf weisen auch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses immer wieder hin. Wir müssen kontinuierlich um Mitarbeiter werben, die eigene Migrationserfahrungen haben. Wir müssen das Versagen bei den Ermittlungen gegen den NSU auch im Hinblick auf unsere Schulungsmaßnahmen aufarbeiten, gerade mit Blick auf junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie müssen sich mit der Frage beschäftigen: Wie konnte das geschehen? Wir brauchen einen anderen Umgang mit Fehlern. Auch das ist ein Prozess, bei dem wir sicher noch nicht da angekommen sind, wo wir hinwollen. Aber wir haben im Bund und in den Ländern begonnen, Fehler aufzuarbeiten. Wir müssen unsere eigenen Mitarbeiter nachhaltig dazu ertüchtigen und ermutigen, Fehler und Zweifel an der Richtigkeit des bisher eingeschlagenen Weges auch anzusprechen. Nur so können wir aus den Fehlern und dem Versagen im Umgang mit dem NSU lernen. Semiya Simsek sprach vor zwei Jahren von ihrer Trauer um den ermordeten Vater und davon - das hat mich genauso bewegt -, dass Deutschland immer noch ihre Heimat sei und bleiben werde, auch wenn sie, die sie sich noch nie in ihrem Leben Gedanken über Integration gemacht habe, erkennen musste, dass es hier in unserem Land Menschen gibt, die zu Mördern werden, nur weil jemand aus einem anderen Land stamme. Gerade vor diesem Hintergrund - damit will ich schließen - ist es für mich unerträglich, dass vor gerade einmal zwei Wochen randalierende Rechtsextremisten gemeinsam mit anderen gewaltbereiten Chaoten in Köln rechtsradikale Parolen gebrüllt haben und die Menschen in der Kölner Innenstadt in Angst und Schrecken versetzt haben, Polizisten verletzt haben, und all das mit Alkohol und mit Ansage. Das können und werden wir nicht dulden. ({1}) Wir können es erst recht nicht dulden, dass sich diese Rechtsextremisten unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Islamisten in unseren Städten zusammenrotten. Hier muss unser Staat hart reagieren, um Grenzen aufzuzeigen. Wir sind und bleiben eine wehrhafte Demokratie, und wenn unsere Polizei, wenn unser Staat und wenn unser Zusammenleben derart angegriffen werden, so müssen wir alle Kräfte bündeln, um gemeinsam unser friedliches Zusammenleben zu verteidigen. Das kann auch mal ein Verbot einer Demonstration sein, vor allen Dingen, wenn sich absehen lässt, dass sie wahrscheinlich nicht friedlich verläuft. Ich möchte die Behörden in Hannover ausdrücklich ermuntern, diesen Weg so zu prüfen, dass ein solches Verbot möglichst auch vor Gericht Bestand hat. ({2}) Aber ein Verbot einer Demonstration allein löst das Problem natürlich auch nicht. Wir brauchen eine gesellschaftliche Isolierung von Gewalt als Mittel innenpolitischer Meinungsbildung. Toleranz und Vielfalt, Freiheit und Menschenwürde bleiben prägend für unser Land. Toleranz endet dort, wo Vielfalt, Freiheit und Menschenwürde gewaltsam angegriffen werden. Dies gemeinsam anzugehen, auch das sind wir den Opfern des NSU schuldig. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Petra Pau. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor 14 Monaten haben wir hier den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum NSU-NaziMord-Desaster und zum Staatsversagen debattiert. Mein Fazit seither: Die Fragezeichen sind nicht weniger, sondern mehr geworden. Der Aufklärungswille der Behörden verharrt weiterhin nahe null. Und: Von den beschlossenen Veränderungen ist so gut wie nichts tatsächlich schon abschließend umgesetzt. Kurzum: Das Staatsversagen geht weiter, so als wäre nichts geschehen. Das ist politisch nicht hinnehmbar, aber auch menschlich nicht. Sie sehen, Herr Minister: Ich befinde mich im deutlichen Widerspruch zu Ihrer Aussage. Ich komme nachher noch zu Beispielen. Gestern hat Barbara John, die Ombudsfrau für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer des NSU, ein Buch mit dem Titel Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen vorgestellt. Darin beschreiben Angehörige der NSU-Mordopfer, was ihnen seither widerfahren ist und wie mit ihnen umgegangen wurde von Staats wegen. Die Schilderungen sind sehr bedrückend. Ich gestehe: Beim Lesen ergriffen mich Wut und Scham. Seitdem geht mir das Wort „Opferperspektive“ nur noch schwer über die Lippen. Es ist mir zu distanziert, zu kalt, zu deutsch. Aber ich gestehe: Ich habe noch kein besseres gefunden. Dennoch oder gerade deshalb empfehle ich dieses Buch dringend. Es geht um Menschen und um Menschlichkeit. Sie rangieren am Rand der Aufklärung und gehören endlich ins Zentrum. Bei fast allen Betroffenen des NSU-Desasters ist das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat tief erschüttert. Wenn es doch noch einen Rest von Vertrauen gibt, hängt er an einem sehr seidenen Faden. Sie schauen auch mit Sorge auf den NSU-Prozess in München. Als Innenpolitikerin merke ich an: Wir haben nur einen Rechtsstaat, nicht etwa drei, also nicht etwa einen für Urdeutsche, einen für Migranten und einen dritten für Asylsuchende. Es gibt zwar für alle drei Gruppen unterschiedliche Rechte, was schon bedenklich genug ist, aber spätestens wenn es um Leib und Leben geht, gilt der Rechtsstaat entweder für alle oder für keinen. Deshalb betreffen die Schilderungen in diesem Buch uns alle. Umso mehr bringt es mich in Rage, wenn Behörden oder auch Regierungen immer noch versuchen, Untersuchungen zum NSU-Komplex zu behindern oder gar zu verhindern. Beispiele dieser Art gibt es viele - viel zu viele. Das vorerst jüngste stammte aus Brandenburg, wo sich der Verfassungsschutz weigerte, einen ehemaligen V-Mann mit NSU-Bezug vor dem Münchener Gericht befragen zu lassen. Ich finde: Wer so agiert, hat keinerlei Respekt vor den NSU-Opfern und ihren Angehörigen. ({0}) Außerdem treiben diese Hintertreiber die Bundeskanzlerin Angela Merkel damit zum Meineid, ohne dass sie etwas dagegen tun kann. Denn sie hat im Februar 2012 bedingungslose Aufklärung versprochen. Davon kann bislang keine Rede sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt im Bundestag aktuell keinen Untersuchungsausschuss zum NSUKomplex. Gleichwohl ist dieser Komplex für mich nicht abgeschlossen. Ich weiß mich darin einig mit der Kollegin Eva Högl von der SPD, dem Kollegen Clemens Binninger aus der CDU, der Kollegin Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen und natürlich vielen anderen hier im Haus. Aber: Der Innenausschuss des Deutschen Bundestages hat dieses Jahr das Gros seiner Zeit dem NSU-Komplex gewidmet. ({1}) Das kann kein Dauerzustand sein; denn die innenpolitische Palette ist viel breiter. Deshalb haben wir jetzt gemeinsam eine Lösung gefunden, die den Innenausschuss entlastet, ohne die offenen Fragen - auch nicht die neuen - aus dem Blick zu nehmen. Lassen Sie mich zur Illustration zwei neue Fragen andeuten. Im Frühjahr starb plötzlich ein ehemaliger V-Mann mit NSU-Bezug namens „Corelli“, ausgerechnet im Zeugenschutzprogramm und just, als seine Aussagen gefragt waren. Die Umstände sind bis heute unklar und die Darstellungen des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz dazu wenig überzeugend; ich habe mich jetzt sehr bemüht, das diplomatisch zu formulieren. ({2}) Im selben Zusammenhang wird bekannt, dass der Verfassungsschutz seit Jahren über CDs bzw. Datenträger aus der Naziszene - eben auch aus dem Hause „Corelli“ verfügt, die Bezüge zum NSU hatten. Wurden diese lediglich leichtfertig missachtet, oder wussten die Behörden lange vor dem 4. November 2011, dem Auffliegen der NSU-Bande, mehr, als sie bislang einräumen? Die Brisanz dieser Fragen dürfte klar sein. Deshalb wiederhole ich auch hier für die Linke: Erstens. Der NSU-Komplex und das Staatsversagen sind für uns nicht abgeschlossen; wir bleiben dran. Zweitens. Die Ämter für Verfassungsschutz sind als Geheimdienste aufzulösen, und die unsägliche V-Mann-Praxis ist sofort zu beenden. ({3}) Vor wenigen Wochen hatte die Fraktion Die Linke zu einer öffentlichen Fachtagung in den Bundestag zum Thema „NSU-Komplex: Bilanz und Ausblick“ eingeladen. Es ging um Rassismus in der Gesellschaft, um Entwicklungen in der Naziszene, um Probleme in Sicherheitsbehörden, um Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und vieles mehr. Die Tagung hat zu zwei Erkenntnissen geführt, die ich hier wiederholen möchte, obwohl sie nicht neu sind: Erstens. Die rechtsextremen Gefahren hierzulande werden offiziell noch immer unterschätzt und heruntergespielt. Herr Minister, Sie haben das Thema bereits angesprochen: Wer die aktuellen Ausschreitungen von Hooligans und Nazis gegen Salafisten lediglich als Orgien unter Gewalttätern brandmarkt, greift zu kurz. Es geht um militanten Nationalismus und Rassismus und um den Missbrauch von Religionen. Zweitens. Dagegen agieren Initiativen für Demokratie und Toleranz, regional und vor Ort. Ihre Förderung ist noch immer kurzatmig und unzureichend. Hier haben wir vor 14 Monaten fraktionsübergreifend Besserung gefordert. Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2015 hingegen birgt sogar Verschlechterungen - eine schwarze Null, die sich als braunes Plus erweisen könnte. Beides darf nicht so bleiben, weder die Unterschätzung des Rechtsextremismus noch die mangelnde Unterstützung der Initiativen dagegen. Dafür sollten wir uns über alle Fraktionen hinweg einsetzen. Ich danke Ihnen. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung spricht jetzt Bundesminister Heiko Maas. ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Verbrechen des NSU vor drei Jahren bekannt wurden, waren alle von uns vor allen Dingen eines, nämlich fassungslos: fassungslos angesichts der brutalen Taten, aber auch fassungslos, weil es uns nicht gelungen war, die Morde früher zu stoppen und unsere Mitbürger besser zu schützen, fassungslos auch wegen des Versagens unseres Staates und seiner Behörden. Wir waren aber auch fassungslos, dass neben dem Leid des Verlustes eines nahen Angehörigen anschließend noch das Leid durch Demütigung hinzukam, weil man vielfach aus Opfern Täter gemacht hat, etwa als sie in den Ermittlungen in den Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität gestellt worden sind. Man muss ganz klar sagen, sehr geehrte Frau Pau: Das Leid, das Terroristen angerichtet haben und das durch das Staatsversagen verstärkt wurde, können wir nicht wiedergutmachen. Aber was wir tun müssen, ist, dafür zu sorgen, dass sich das nie wiederholt. ({0}) Damit sich solche Taten nicht wiederholen, sind alle gefordert, die Rechtsprechung, die Gesetzgebung, die Exekutive, aber auch unsere Gesellschaft, wir alle. Die Rechtsprechung handelt zurzeit in München. Dort findet vor dem Oberlandesgericht der NSU-Prozess statt. Das ist kein einfaches Verfahren. Wir befinden uns beim 155. Verhandlungstag. Die Beteiligten bei Gericht sind mit großer Sorgfalt dabei, die schrecklichen Verbrechen aufzuarbeiten. Dies ist nicht nur sinnvoll, sondern bitter notwendig; denn es trägt dazu bei, neben der Aburteilung von Straftaten auch die Wahrheit ans Licht zu bringen, vor allen Dingen das, was noch nicht das Licht der Welt gesehen hat. Das ist wichtig für die Angehörigen der Opfer, und es hilft vor allen Dingen uns, verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen. Wie wir die Gesetze ändern müssen, damit rassistische oder fremdenfeindliche Taten künftig früher erkannt und vor allen Dingen auch verhindert werden, darüber werden wir zum Beispiel in der nächsten Woche hier im Plenum miteinander diskutieren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt vor. Er hat vor allen Dingen ein Ziel: In Zukunft sollen die Extremismusexperten vom Generalbundesanwalt häufiger und früher in Ermittlungen eingreifen und sie auch übernehmen können. Schließlich müssen wir darüber hinaus auch die ganz alltägliche Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verbessern. Auch das ist ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses gewesen. Staatsanwaltschaften müssen über die Arbeit des Verfassungsschutzes besser informiert werden und häufiger den Kontakt mit diesen Ämtern suchen. Außerdem wird der Generalbundesanwalt auch der Länderjustiz helfen, rechtsterroristische Zusammenhänge besser erkennen zu können: Welche Codes und Symbole nutzen die Rechtsextremisten? Wie erkennt man, dass sich Verdächtige auf ein Leben in der Illegalität vorbereiten? Diese und viele weitere Informationen müssen und werden wir innerhalb der Justiz besser aufarbeiten, weiter verbreiten und einfacher nutzbar machen, damit rechtsextreme Taten als solche rechtzeitig erkannt und auch verhindert werden können. Meine Damen und Herren, vor drei Jahren wurden die NSU-Verbrechen aufgedeckt. Ein Jahrestag - das klingt ein bisschen nach Geschichte. Tatsache ist aber leider: Rechte Gewalt ist keine Geschichte, sondern brennend aktuell. Rechte Hooligans und militante Neonazis haben das kürzlich mitten in Deutschland deutlich gemacht; Herr de Maizière hat es bereits angesprochen. Diese Gewalttaten - auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen - waren auch eine Kampfansage an unseren Rechtsstaat. Ich sage deshalb sehr deutlich: Wer die Gewalt auf unsere Straßen trägt, der wird die ganze Härte unseres Rechtsstaates zu spüren bekommen. ({1}) Wer die Versammlungsfreiheit für Gewaltexzesse missbraucht, für den wird es im Rechtsstaat keine Toleranz geben. Wir werden deshalb aber ganz sicherlich nicht das Demonstrationsrecht einschränken müssen. Es ist als Verlängerung der Meinungsfreiheit in einer Demokratie unantastbar. ({2}) Wir brauchen auch nichts einzuschränken; denn Verabredungen zur Gewaltausübung stehen ganz sicherlich nicht unter dem Schutz von Artikel 8 des Grundgesetzes. Ganz im Gegenteil: Landfriedensbruch ist die bessere Bezeichnung, und Landfriedensbruch kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden. Ich bin mir absolut sicher, dass Polizei und Justiz diese Gewalttäter entschlossen ermitteln und auch bestrafen werden. Und ja, wenn das zutrifft, was wir in den letzten Wochen wahrgenommen haben, wenn Hooligans und Rechtsextreme zukünftig nachhaltig gemeinsame Sache machen, dann werden wir auch überlegen müssen, ob auch Hooligans zukünftig ein Thema für den Verfassungsschutz werden können. Wir brauchen ein gutes und funktionierendes Frühwarnsystem gegen solche Gewalt. Gleichzeitig müssen wir aber auch verhindern, dass junge Leute in die rechte Szene abdriften. Deshalb ist die Präventionsarbeit so wichtig. Anfang 2015 startet das neue Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Es ist mit mehr als 30 Millionen Euro ausgestattet und schafft Planungssicherheit für die kommenden fünf Jahre. Dafür hat die Kollegin Schwesig mit gesorgt. Rechtstaatliche Härte gegen Gewalttäter und kluge Prävention, damit niemand zum Täter wird - ich meine, das sind die richtigen Antworten auf die rechte Gewalt. Diese Antworten sind wir den Opfern des NSU auch bitter schuldig. Ich danke Ihnen. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern vor drei Jahren kamen Ermittlungsbehörden den NSUMördern auf die Spur - und zwar nachdem ein Bandenmitglied ihr Wohnhaus in die Luft gesprengt hatte und zwei weitere in einem Wohnwagen - mittlerweile muss man sagen: vermutlich - Selbstmord begangen haben. Zuvor konnten sie unbehelligt mehr als ein Jahrzehnt durch Deutschland ziehen und morden, Angst und Schrecken verbreiten, Familien ins Unglück stürzen. Ich stehe mit vielen der Familien der Opfer in Kontakt. Jede geschredderte Akte, jede mit Geheimschutz begründete Aktenschwärzung und jeder verhinderte Zeuge ist ein weiterer Stich ins Herz der Opferangehörigen, immer wieder aufs Neue. In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger: Leistet sich eigentlich die Politik einen Nachrichtendienst und den entsprechenden Apparat, um Gefahren zu erkennen und abzuwehren, oder haben wir es hier mittlerweile mit einem gefährlichen Eigenleben der Nachrichtendienste zu tun? Ich stelle mir die Frage: Wer hat hier eigentlich gerade das Sagen: wir, die dafür vom Volk Gewählten, oder der Apparat? Ich finde, diese Frage muss sich jeder hier in diesem Hause stellen. ({0}) Ich will Ihnen eine weitere Frage der Opferangehörigen nicht vorenthalten. Es gibt sehr, sehr gute Berichte aus Thüringen. Ich war vor Ort, als der Bericht des Untersuchungsausschusses dort fraktionsübergreifend vorgestellt wurde. Es gibt einen ausgezeichneten Bericht dieses Hauses. Auch dieser wurde mit allen Fraktionen gemeinsam erstellt. Es gibt ein sehr gutes Buch von Stefan Aust und Dirk Laabs. Aber was es nicht gibt, ist, dass die Verantwortlichen irgendwo und irgendwann einmal auch zur Rechenschaft gezogen werden. Sicher, einige Behördenchefs mussten gehen. Aber was ist eigentlich mit dem Apparat selbst? Steht der Apparat vielleicht außerhalb der Gesetze, Herr de Maizière? Wo sind denn die strafrechtlichen Ermittlungen? Wo gibt es ein Disziplinarverfahren? Leute werden umgesetzt, okay. Aber reicht uns das wirklich? ({1}) Kann das ein frei gewähltes Parlament zufriedenstellen? Vielleicht wäre eine Voraussetzung dafür, dass wir auf diese Frage künftig anders antworten, dass wir endlich aufhören, von einer NSU-Zelle zu sprechen, sondern endlich darüber sprechen, was wirklich stattfand, nämlich darüber, dass wir es hier mit einem rechtsradikalen Netzwerk zu tun haben. Ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört, Herr Innenminister. Ihren Worten konnte man entnehmen, dass es sich möglicherweise nicht nur um drei Täter handelt. Aber wenn stimmt, was der Innenminister hier gesagt hat, dann heißt das ja im Klartext: Da draußen laufen rechtsradikale Mörder herum. Was heißt das dann? Was folgt daraus? Drei Jahre nachdem der NSU aufgedeckt wurde, haben wir mehr Fragen als Antworten. Ich will mit einem weiteren Mythos aufräumen. Der Verfassungsschutz war - das sage ich auch an die eigene Adresse - nicht so dumm, wie manche es dargestellt haben, und schon gar nicht faschistoid oder so etwas. Ganz offensichtlich waren die V-Männer sehr nahe dran; vielleicht war der Verfassungsschutz in Gänze deutlich näher an den Mördern dran, als wir wissen. Eines ist jedenfalls bereits heute klar: Die These, sobald die drei Täter - von denen zwei Selbstmord begingen und die Dritte gerade in München vor Gericht steht - endlich verurteilt sind, ist der Fall gelöst, gehört ins Reich der Märchen. Damit wird man den Fall nicht aufklären, meine Damen und Herren. ({2}) Mit Blick auf mein eigenes Bundesland will ich sagen: Die Theorie bzw. These, dass mit der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter ein Zufallsopfer getroffen wurde und dieser Fall aufgeklärt sei, da man jetzt die drei Täter habe, darf weder den Innenminister noch den Landtag von Baden-Württemberg zufriedenstellen. Darum, glaube ich, kann ich im Namen von uns allen hier im Hause sagen: Wir begrüßen, dass es jetzt endlich auch in Baden-Württemberg einen Untersuchungsausschuss gibt. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Zum Schluss will ich ein Wort des Dankes sagen, und zwar an all diejenigen, die hier im Haus immer noch die Geduld und die Kraft haben, an diesem Fall festzuhalten. Ich will aber ausdrücklich auch „NSU-Watch“ und „Tatort Theresienwiese“ danken, ohne die wir viele Erkenntnisse nicht hätten. Ich will den Medien, den Journalisten und denjenigen danken, die bei der Aufklärung große Verdienste haben und den Prozess in München nach wie vor besuchen, auch jetzt, da er nicht mehr auf Seite 1 der Zeitungen zu finden ist. Meine Damen und Herren, es wird uns nur gelingen, das Vertrauen der Angehörigen der Opfer zurückzugewinnen, wenn wir über diesen Fall nicht nur in Sonntagsreden und wichtigen Debatten reden, sondern wenn wir das nächste Mal auch sagen können, was tatsächlich geschehen ist, wer es war und welche Konsequenzen daraus gezogen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Clemens Binninger. ({0})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ernsthaftigkeit der Debattenbeiträge aller vorherigen Redner hat, glaube ich, deutlich gemacht, dass dieses Parlament dem Thema, die Verbrechen des NSU möglichst umfassend aufzuklären und den Opfern, so gut es eben geht, zu Genugtuung zu verhelfen, überfraktionell ein großes Interesse beimisst - nicht erst heute, am Jahrestag, sondern, wie ich glaube, immer wieder in den letzten drei Jahren. Dafür gilt der Dank allen. Er gilt auch Ihnen, Herr Minister de Maizière, weil Sie heute, wie ich finde, sehr klar und ohne es nur einen Deut abzuschwächen, für eine Zeit Verantwortung übernommen haben, die größtenteils gar nicht in Ihrem Verantwortungsbereich liegt, und deutlich gemacht haben, dass hier schwere Fehler passiert sind. Ich will aber auch sagen: Es gab nicht den einen Fehler, es gab nicht die eine Ursache. Fehler sind in diesem Zeitraum von 13 Jahren nahezu überall passiert: bei der Polizei, beim Verfassungsschutz, bei der Justiz - auch die Gesellschaft hat es nicht gesehen -, auch bei der Politik, in den Parlamenten. 4 der 47 Empfehlungen, die der Untersuchungsausschuss ausgesprochen hat, richten sich übrigens ganz gezielt an das Parlament. Es steht dort unter anderem sinngemäß drin: Eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Arbeit der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bekämpfung des Rechtsextremismus fand nicht statt. - Deshalb haben auch wir hier im Parlament Konsequenzen gezogen und das Parlamentarische Kontrollgremium reformiert. Wir haben den Reformprozess, der schon in der letzten Legislatur angestoßen worden ist, fortgesetzt. Wir haben eine Taskforce gebildet, wir haben wirkliche Kontrollaufträge definiert, und wir werden uns unter anderem sehr viel intensiver über das Instrument der V-Leute beugen als in der Vergangenheit. Wenn wir in den Spiegel schauen, stellen wir fest: Wir müssen ein Weiteres tun. Als der NSU bzw. das Trio am 4. November 2011 aufflog, war sehr schnell klar: Das sind Bankräuber und - weil man die Dienstwaffen im Wohnmobil gefunden hat - die mutmaßlichen Polizistenmörder aus Heilbronn. Aber niemand - niemand in den Medien, niemand in den Parlamenten, niemand sonst irgendwo - hat in den Tagen danach den Gedanken erwogen: Könnten das auch die Täter der - so wurden sie damals ja noch genannt - Ceska-Mordserie sein? Diesen Gedanken hat niemand geäußert, weder am 5. noch am 6. noch am 7. noch am 8. November 2011. Erst als am 9. November die Ceska im Brandschutt vor dem Haus in Zwickau gefunden wurde, war eine ganz andere Dimension des Verbrechens da. Es muss uns zu denken geben, dass wir nicht einmal, als dieses Trio namentlich präsent war und mit einem Verbrechen in Verbindung gebracht wurde, die richtige Ahnung hatten. Das heißt für uns alle: Wir alle haben in den vergangenen Jahren das Phänomen des gewaltbereiten bewaffneten Rechtsextremismus unterschätzt. Wenn wir eine Lehre ziehen wollen, dann doch die, dass sich diese fatale Unterschätzung nicht wiederholen darf. ({0}) Ich will nicht noch einmal vertieft auf die Fehler eingehen; denn das haben wir schon an vielen Stellen gemacht. Herr Kollege Özdemir, ich begrüße ebenfalls ausdrücklich, dass endlich auch in Baden-Württemberg ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden ist. Ich habe nie verstanden - Sie auch nicht; da waren wir uns vollkommen einig, obwohl wir unterschiedlichen Parteien angehören -, warum man in dem Land, in dem 52 Personen zum NSU und zum NSU-Umfeld nachweislich Kontakte gehabt haben, gesagt hat: Das Parlament muss das nicht untersuchen. Der Innenminister deckt das mit einem Bericht ab, und dann lassen wir es gut sein. - Das haben wir beide nie verstanden. Insofern ist die heutige Entscheidung eine gute und richtige Entscheidung. ({1}) Die Fehler sind genannt worden: Opfer wurden nochmals zu Opfern gemacht, schlechte Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz, Unterschätzung des gewaltbereiten Rechtsextremismus, schlechte Informationsweitergabe usw. Wichtig ist jetzt, dass wir uns immer wieder fragen, ob wir daraus gelernt haben. Ich will deshalb auf ein aktuelles Thema zu sprechen kommen, Herr Minister. Ein Problem bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus war in der Vergangenheit, dass wir geglaubt haben, immer alles in Schubladen stecken zu müssen. Wir haben für alles einen Begriff und eine Organisation gesucht. Da packt man es hinein, und dann hat man es im Blick. Dass dahinter häufig Personennetzwerke stecken, geht dabei ein bisschen verloren. Deshalb werden wir uns jetzt sehr gründlich ansehen müssen: Was steckt hinter der Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“? Ist das ein neues Instrument für Neonazis, um hier mehr Aktion zu finden? Ist das eine Vermischung der Szenen? Mischen noch andere mit? Ich empfehle uns, nicht zu früh einen Begriff dafür zu verwenden und das einer bestimmten Schublade zuzuordnen. Vielmehr sollten wir uns sehr genau ansehen, was es damit auf sich hat. Nur dann kann der Rechtsstaat richtig, treffsicher und zielgenau agieren und solche Umtriebe, die wir alle auf unseren Straßen nicht wollen, verhindern und auch für die Zukunft ausschließen. Wir sind heute an einem bestimmten Punkt angelangt. Sie haben den Großteil Ihrer Rede darauf verwandt, Herr Kollege Özdemir. Ich will auch ein paar Sekunden darauf verwenden und aufzeigen, dass es hier einen überfraktionellen Zusammenhalt gibt. Wir sind nicht bei allem einer Meinung; es wäre unseriös, so etwas zu behaupten. Wir müssen heute aber auch sagen, dass noch nicht alle Fragen geklärt sind. Wir haben das bereits nach der Arbeit des Untersuchungsausschusses gesagt. Da hatten wir nicht genügend Zeit. Wir sagen das auch angesichts der Gerichtsverhandlung in München. Es sind noch viele Fragen offen, die auch die Opferfamilien bewegen. Diese bitten uns dringend darum, Antworten auf diese Fragen zu finden. Wir sind dabei keine Ersatzermittler. Manchmal heißt es: Warum kümmert ihr euch jetzt schon wieder darum im Innenausschuss, im Kontrollgremium und im Parla5768 ment? Das ist doch Sache der Ermittlungsbehörden. Wir sind natürlich keine Ermittlungsbehörde und auch keine Ersatzermittler. Aber auch uns, dem Deutschen Bundestag, liegt die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land am Herzen. Außerdem ist es unsere Aufgabe, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass offene Fragen im Zusammenhang mit einer solchen Verbrechensserie geklärt werden, dass wir auf Antworten drängen, dass wir das Thema im Blick haben und mit den Instrumenten arbeiten, die wir haben, zum Bespiel den Sonderermittler im Geheimdienstgremium und die Berichterstatterrunde im Innenausschuss. Wir leisten als Deutscher Bundestag unseren Beitrag. Wir haben das in den vergangenen drei Jahren getan und werden es auch in Zukunft tun im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen in diesem Land. Das ist unsere Aufgabe. Herzlichen Dank. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gemeinsam erinnern wir uns heute an die Aufdeckung der grausamen Terrorserie des NSU. Die Familien und Freunde der Opfer - das haben heute schon viele völlig zutreffend beschrieben - werden das sicherlich niemals verwinden können. Auch drei Jahre danach stehen wir tief in der Verantwortung, wirklich rückhaltlos aufzuklären, wie es zu diesem eklatanten Versagen der Sicherheitsbehörden kommen konnte. Einige Details sind mittlerweile bekannt. Andere dagegen wurden hemmungslos geschreddert. Die unvollständige Aufarbeitung ist ein unfassbarer Skandal, der mit jedem weiteren Tag größer und größer wird. Genau an diesem Punkt würde ich mir wünschen, dass die Bundeskanzlerin - sie ist leider heute nicht anwesend - die Aufarbeitung bei den Behörden höchstpersönlich einfordert. Frau Merkel hat - und das war vollkommen richtig - den Familien der Opfer im Februar 2012 rückhaltlose Aufklärung versprochen. Sie steht dafür persönlich im Wort und damit auch in der Verantwortung. ({0}) Deshalb hätte ich auch gerne gewusst, wie das alles heute aus ihrer Sicht zu bewerten ist. Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bisher wirklich alles getan, um die Aufklärung im Parlament nach Kräften zu unterstützen? Was ist zum Beispiel mit der Frage, ob der Begriff „NSU“ dort früher schon bekannt gewesen ist? Was ist mit den V-Leuten oder mit der jetzt aufgetauchten NSU-CD, die seit Jahren beim Bundesamt für Verfassungsschutz irgendwo herumgelegen hat? Kann das alles so richtig sein? Wenn die Integrationsbeauftragte - sie wird gleich auch noch in dieser Debatte sprechen - diese Meinung zu haben scheint und sagt, dass die Behörden bereits auf die Fehler von damals reagiert hätten, dann kann ich nur sagen - und ich werde es nicht so diplomatisch ausdrücken wie die Kollegin Pau -: Die Reaktion der Behörden, die ich wahrnehme, ist vor allem Mauern, Vernebeln und Vertuschen. ({1}) Das hat mit proaktiver Aufklärung nicht das Geringste zu tun. Auch bei den Ermittlungen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts habe ich persönlich große Zweifel, was die Festlegung angeht, dass das Trio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt alleine gehandelt hat. Wie können wir denn sicher sein, dass der NSU nur aus drei Leuten bestand? Wenn die wahre Dimension des Rechtsterrorismus nicht erkannt wird, wäre das furchtbar für die Familien der Opfer und eine große Gefahr für das Erkennen solcher Strukturen in der Zukunft. Dass so etwas nicht erkannt wird, darf in Deutschland nie wieder passieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Politisch und in der öffentlichen Debatte müssen wir dem Rechtsterrorismus den Boden entziehen. Das bringt mich zu einem letzten Punkt, bei dem ich insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Union ansprechen möchte. Ich persönlich finde es unerträglich, wenn angesichts der aktuellen terroristischen Bedrohung durch Islamisten Mitglieder Ihrer Partei wieder allzu leicht Menschen mit Migrationshintergrund, die hier in Deutschland aufgewachsen und zum Teil auch hier geboren worden sind, als „Fremde“ oder als „Gäste“ bezeichnen, die man in ihre Heimatländer abschieben solle, so die Autoren eines Positionspapiers aus Ihrer Fraktion. ({3}) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bei aller Notwendigkeit, dem ISIS-Terror mit Maßnahmen, die auch greifen, zu begegnen, möchte ich die Saat solcher ausgrenzenden Äußerungen nicht aufgehen sehen. ({4}) Ich fordere Sie auf - das gilt auch für Herrn Kauder -, sich von einem solchen Sprachgebrauch ganz klar zu distanzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin - vielleicht hört sie uns irgendwo zu -, rückhaltlose Aufklärung ist mehr als nur eine Redewendung. Es geht um Verantwortung für das eigene Handeln, um Verantwortung für die Sicherheitsbehörden und um Verantwortung für unbedachte Äußerungen. Drei Jahre sind schon vergangen, Frau Merkel. Lösen Sie Ihr Versprechen ein! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Dr. Eva Högl spricht als nächste Rednerin für die Sozialdemokraten. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Morde und Sprengstoffanschläge des rechtsextremen Terrornetzwerks NSU waren Anschläge auf unsere Demokratie. Wir alle waren gemeint: unser friedliches Zusammenleben, unsere tolerante Gesellschaft und unser Rechtsstaat. Wir alle sollten getroffen werden durch diese Anschläge. Wir mussten vor drei Jahren schlagartig erkennen, dass wir in Deutschland rechtsextremen Terror haben. Wir mussten erkennen, wie gefährlich Rechtsextremismus ist und dass Rechtsextremisten zum Äußersten nicht nur bereit, sondern auch in der Lage sind. Das war für uns eine schlagartige Erkenntnis. Wir mussten leider auch feststellen - das ist sehr bitter -, dass niemand damit gerechnet hat, dass wir solche rechtsextremen Terrorstrukturen haben, dass niemand darauf vorbereitet war und dass die Sicherheitsbehörden weder in der Lage waren, das untergetauchte Trio zu fassen, noch bis in die letzten Tage hinein die Zusammenhänge zur Mordserie herzustellen. Deswegen - das wurde schon gesagt; ich betone das, weil das für uns alle eine Verpflichtung ist - ist es unsere Verantwortung, hier im Deutschen Bundestag alles dafür zu tun - das eint uns -, dass so etwas nie wieder passiert. ({0}) Zwei Botschaften sind für mich sehr wichtig; das ist schon angeklungen, und ich wiederhole es. Wir haben etwas daraus gelernt. Das ist die erste wichtige Botschaft. Der NSU stellt eine Zäsur dar, und wir haben etwas daraus gelernt. Die zweite Botschaft lautet: Wir lassen nicht locker. ({1}) Zwei Punkte möchte ich hervorheben. Das Erste ist: Die Aufklärung geht weiter. Wir sind bei der Aufklärung noch nicht am Ende. Es gibt noch viele offene Fragen. Ich will sie kurz nennen. Es hat uns nie überzeugt - auch im Untersuchungsausschuss nicht -, dass Michèle Kiesewetter, die Heilbronner Polizistin, ein Zufallsopfer gewesen sein soll. Es hat uns nie überzeugt, dass das Trio nur ein Trio sein sollte, plus ein paar Unterstützer. Wir sind der Auffassung, dass es sich um ein breites Netzwerk rechtsextremer Strukturen, verteilt über ganz Deutschland, handelt. Wir sind immer der Frage nachgegangen - das tun wir noch heute -: Gab es V-Leute, die mehr hätten wissen können und dichter dran waren? Das sind nur drei der vielen offenen Fragen, die uns auch hier im Bundestag bewegen. Es eint uns - hier sollten keine Differenzen herbeigeredet werden, die es nicht gibt -, dass wir alle gemeinsam weiter aufklären wollen. ({2}) Es ist sehr wichtig, dass auch die Landtage aufklären. Wir freuen uns, dass in Hessen und in Nordrhein-Westfalen Untersuchungsausschüsse eingesetzt wurden. Auch in Baden-Württemberg wurde endlich ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Die Thüringer denken darüber nach, ihren Untersuchungsausschuss fortzusetzen. Das steht noch zur Diskussion. Wir erwarten, dass er fortgesetzt wird. Wir im Bundestag bleiben ebenfalls dran. Wie gesagt, wir lassen nicht locker. Das machen wir fraktionsübergreifend, Stichwort „Corelli“. Wir gehen den offenen Fragen nach. Der zweite Punkt ist die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses. Hier geht es manchen nicht schnell genug. Manche Dinge brauchen aber auch Zeit. Es geht um die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern. Wir haben uns jedenfalls gemeinsam darauf verständigt, umfassende Reformen bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz einzuleiten. Dass es dringend erforderlich ist, dass wir besser aufgestellt sind, haben die Ereignisse rund um Köln bei der gewalttätigen Demonstration der Rechtsextremen gezeigt. Köln hat gezeigt, dass die Rechtsextremen in der Lage sind, ein breites Netzwerk zu bilden, sich mit Hooligans zu verbünden, breit zu mobilisieren, und zwar in ganz Deutschland, und mehrere Tausend Leute an einem Ort zu versammeln. Das muss uns große Sorgen machen. Wir müssen besser aufgestellt sein und dürfen die Gefahr des Rechtsextremismus auch bei solchen Demonstrationen auf keinen Fall unterschätzen. ({3}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses betrifft. Das ist unser Einsatz für Prävention und zivilgesellschaftliches Engagement gegen Extremismus. Wir haben bereits einen Punkt der Empfehlungen des NSUUntersuchungsausschusses umgesetzt. Ich bin sehr dankbar - ich schaue dabei unsere Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an -, dass wir es geschafft haben, die Programme verlässlicher zu gestalten, für mehr Planungssicherheit zugunsten von Verbänden, Vereinen und Organisationen zu sorgen und eine langfristigere Finanzierung zu ermöglichen. Das war eine wichtige Forderung, weil viele Projekte insbesondere unter der Kurzfristigkeit ihrer Förderung sehr gelitten haben. Was wir aber gemeinsam noch nicht geschafft haben, woran wir noch arbeiten müssen und wozu wir einen Auftrag haben - wir haben die Haushaltsdebatte hier im Plenum ja noch vor uns -, ist Folgendes: Wir müssen die Mittel aufstocken, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Wir brauchen mehr Geld im Kampf gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen politischen und religiösen Extremismus. Vor allen Dingen brauchen wir mehr Geld für Prävention. Wir müssen Anlaufstellen auch zum Beispiel für diejenigen schaffen, die sich jetzt den Salafisten anschließen. Es besorgt uns sehr, dass gerade junge Menschen den Salafismus attraktiv finden und sich dort in die Moscheen begeben. Deswegen werbe ich auch an dieser Stelle, bei dieser Debatte, dafür, dass wir uns gemeinsam dazu entschließen, die Mittel nicht nur zu verstetigen, sondern auch aufzustocken, und dass von dieser Debatte das klare Signal ausgeht: Kein Platz in Deutschland, in Europa und überall für Rassismus und Rechtsextremismus, kein Platz für Gewalt! Ich habe mich sehr gefreut, dass wir, drei Jahre nachdem der NSU aufgeflogen war, hier noch einmal zu diesem Thema diskutieren. Es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein; denn wir bleiben an diesem Thema dran. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU der Kollege Armin Schuster. ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Systemversagen, großes Leid, Schuld, die wir auf uns geladen haben - ich möchte nicht alles wiederholen -, all dies führt uns zu der Frage, was gut ein Jahr danach daraus folgt. Ich empfinde es heute Nachmittag jedenfalls als sehr eindrucksvoll, dass es nicht um eine routinemäßige Gedenkdebatte geht. Dass das nicht alles sein kann, wurde jetzt schon deutlich; dafür müsste ich nicht hier vorne ans Pult gehen. Nein, der Sinn dieser wertvollen 60 Minuten ist es, uns selbst den Finger in die Wunde zu legen, die für mich noch deutlich spürbar ist. Was ist aus unseren Empfehlungen geworden, wie werden sie umgesetzt? Diese Frage im deutschen Parlament jährlich zu stellen, halte ich im Sinne der Opfer noch eine ganze Zeit für unabdingbar, ja, sogar für würdig und angemessen. ({0}) Ich halte dies auch deshalb für angemessen, weil sich unsere Aufklärungsarbeit noch so unvollendet anfühlt; jedenfalls fühle ich es so. Viele Fragen bleiben offen; einige Rätsel sind ungelöst. Dass wir deswegen eine eigene Ermittlungsgruppe einsetzen, Herr Özdemir, erscheint mir irgendwie merkwürdig. Das ist hier immer noch das deutsche Parlament und nicht die Exekutive. Meine Damen und Herren, dass viele Fragen offengeblieben sind, heißt aber nicht, dass ich hier ein Plädoyer für den 3. Untersuchungsausschuss halte. Da sich die Kolleginnen und Kollegen nicht selber loben können, möchte ich an dieser Stelle für die vielfältigen Aktivitäten, die hier im Parlament ohne Untersuchungsausschuss seit 14 Monaten laufen, den Berichterstattern, wie ich hoffe, fraktionsübergreifend einmal danken, die diese Arbeit ohne Untersuchungsausschussreferenten und wen auch immer intensiv, sensibel und, Frau Mihalic, zumeist viel konsensualer leisten, als Sie es jetzt hier vorgestellt haben. Ich glaube, dass Clemens Binninger, Eva Högl, Petra Pau und Irene Mihalic dafür einmal einen großen Dank von uns entgegennehmen sollten. Das ist eine sehr aufwendige, aber wichtige Arbeit. ({1}) Frau Mihalic, die Unionsfraktion anzugreifen wegen ihrer Haltung zu Ausländern, ist ziemlich an der Sache vorbei. Wissen Sie, diese Fraktion sorgt seit neun Jahren in wechselnden Koalitionsbesetzungen dafür, dass wir das Einwanderungsland Nummer 2 auf der Welt sind. Wenn das nicht ein Erfolg von Integrations- und Zuwanderungspolitik ist! Davon träumen Sie doch in Wirklichkeit. ({2}) Meine Damen und Herren, ich werde wie viele andere Kollegen auch zu Polizei- und Verfassungsschutzbehörden eingeladen, um Vorträge über den NSU zu halten: 60 Minuten, 90 Minuten, 120 Minuten, toll. Vor allem in NRW - das muss ich einmal sagen - ist man hierbei vorbildlich. Aber unsere Empfehlung ging einen Schritt weiter. Die Idee, sich den NSU-Fall im Führungsnachwuchs des höheren Dienstes planspielartig gerne auch mehrere Tage vorzunehmen, hat einen besonderen Hintergrund. Fragen des Trennungsgebots, der überregionalen Zusammenarbeit verschiedenster Behörden deutschlandweit, Ermittlungspannen, Rechtsextremismus und Terrorismus sind schon rein kognitiv wichtige Lerneffekte. Wir wollten damit aber eigentlich etwas anderes: Planspiele sorgen für emotionale Betroffenheit. Diese würde ich gern beim Führungsnachwuchs des höheren Dienstes in Polizeibehörden und Verfassungsschutzbehörden sowie bei Staatsanwaltschaften auslösen. Das sorgt für die größte Multiplikationswirkung, die wir unbedingt brauchen, damit der Fall lebendig bleibt. ({3}) Auch mit und in der Gesellschaft ist das Thema nicht einfach abgehakt worden. Ich erlebe das sogar im eigenen Wahlkreis immer wieder und bin davon überrascht, wie viel Power da ist. Ich begrüße zum Beispiel die Initiative des Freiburger Filmemachers Peter Ohlendorf, der die Hintergründe zum Mord an Michèle Kiesewetter recherchieren und in einem Film verarbeiten möchte. Ich merke für diejenigen an, die Interesse haben: Das Projekt soll über Crowdfunding finanziert werden. Ich könnte viele andere Beispiele nennen. Es ist in unserer Gesellschaft angekommen, und deswegen sehe ich nicht alles negativ, Herr Özdemir. Meines Erachtens haben wir Grund zum Optimismus. Dies Armin Schuster ({4}) ersetzt nicht unsere Aufklärungsarbeit, aber es ergänzt sie. Was haben wir in gesetzgeberischer Hinsicht getan? Meine Damen und Herren, das GAR ist ein voller Erfolg. Es war sehr schnell, konsequent und hat sich komplett bewährt. Dafür stehen die Rechtsextremismusdatei und das Bundesamt für Verfassungsschutz mit einem umfangreichen Reformprozess, der nahezu abgeschlossen ist. In Kürze werden wir hier einen Entwurf des Ministers beraten, der insgesamt 48 Einzelregelungen beinhalten wird, die wir allesamt mit den Ländern abstimmen mussten. Wenn es Ihnen zu langsam geht, Frau Pau - leider regieren Sie ja hier und da mit in den Ländern, ({5}) zunehmend mehr -, ({6}) dann sollten Sie sich einmal dort informieren, warum das Verhalten hier und da so sperrig ist und ein Innenminister immer wieder persönlich Hand anlegen muss, damit die Dinge vorwärtsgehen. - Herr Dr. de Maizière, ich halte es jedenfalls für beachtlich, welches Megaprojekt das Innenministerium hierbei schultert; wir werden es demnächst hier im Deutschen Bundestag behandeln. ({7}) Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss noch zwei Punkte bringen, die mir sehr wichtig sind. Der erste Punkt bezieht sich auf Kritik. Ich halte es nicht für akzeptabel, dass angesichts eines Gesetzespakets, das zur Reform des Verfassungsschutzes kommen wird, und angesichts dessen, dass auch bei den Polizeien nichts passiert, die Länderinnenminister es kategorisch ablehnen, sich mit dem Bund auf einen Staatsvertrag zu einigen, in dem wir regeln, wie künftig ein NSU-Fall 2.0 oder andere Fälle länderübergreifend konsequent geführt werden sollen. Der Leiter der BAO Bosporus hat uns in seinem Erfahrungsbericht ins Stammbuch geschrieben: So kann kein Mensch führen. Das Gleiche würde wieder passieren, wenn wir debattieren und keine Bindungswirkungen entstehen. Solange Nordrhein-Westfalen Angst hat, von Bremen geführt zu werden, ändert sich nichts. ({8}) - Entschuldigung, wir finden Bremen gar nicht so schlecht. Immerhin holen wir uns von da, glaube ich, den BKA-Präsidenten. Das kann man doch einmal sagen. - Ich denke, wir brauchen diesen Staatsvertrag. Liebe Frau Dr. Högl, wenn ich nur eine Minute gehabt hätte, dann hätte ich dieses Thema herausgegriffen, das Gegenteil von Frau Pau: Wer dem Bundesamt für Verfassungsschutz so viele neue Aufgaben aufbürdet wie wir, sie ihm zu Recht aufbürdet, der muss nach dem Prinzip „Wer anschafft, bezahlt auch“ in Haushaltsverhandlungen dafür sorgen, dass diese Behörde unseren berechtigten Qualitäts- und Quantitätsanforderungen überhaupt gerecht werden kann. Das Motto „Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie“ kann nicht für das BfV gelten. Nach meiner Auffassung brauchen wir Nachrichtendienste. Ich hoffe, ihr schafft das in Thüringen nicht ab. Meines Erachtens sind Nachrichtendienste in dieser Sicherheitslage unverzichtbar. Das Land braucht mehr als soziale Sicherheit in diesen Tagen, und deshalb werbe ich darum, auf der Zielgeraden der Haushaltsverhandlungen noch einmal im Sinne des NSU-Abschlussberichts und unserer weitreichenden Forderungen, die entsprechenden Mittel in Köln zur Verfügung zu stellen. Ich danke Ihnen. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Staatsministerin Aydan Özoğuz spricht jetzt für die Bundesregierung. ({0})

Not found (Gast)

Ja, und ich bin sehr tolerant. ({0}) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neun Menschen wurden offensichtlich umgebracht, weil sie eine Einwanderungsgeschichte hatten, und wir wissen auch heute noch nicht, warum gerade sie ausgewählt wurden. Eine Polizistin wurde umgebracht, und auch hier wissen wir immer noch nicht, warum. Die eine - „die Einzige“ will ich bewusst nicht sagen; mittlerweile haben wir durchaus einen anderen Eindruck -, die etwas dazu sagen könnte und die wir kennen, schweigt. Diese wichtigen Fragen können auch nach drei Jahren immer noch nicht beantwortet werden. Herr Binninger hat das angesprochen. Es sind viele weitere Fragen offen. Aus welchem Grund - ich wiederhole das - wurden diese Opfer ausgewählt? Wer hat auf sie aufmerksam gemacht? Wer hat tatsächlich auf sie geschossen? Ich glaube, dass diese Fragen für die Angehörigen nicht erst seit drei Jahren quälende Fragen sind. Wer hat den drei mutmaßlich Hauptverantwortlichen geholfen? Das ist eine weitere Frage, die uns sehr beschäftigt und die wir unmöglich unbeantwortet lassen können. All die anderen Fragen, zum Beispiel, was nun wirklich in dem Wohnmobil geschah, gehören natürlich auch dazu. Waren zwei so abgebrühte Menschen wirklich so leicht von nur einem Polizeiwagen aus der Fassung zu bringen? Ich bin den Kollegen Binninger und Ströbele sehr dankbar, dass sie dies in einem gemeinsa5772 men Interview noch einmal angesprochen und dargestellt haben, dass viele Fragen noch offen sind. Ich bin auch dem Kollegen Jerzy Montag sehr dankbar, der sich nun als Untersuchungsbeauftragter für den Bundestag zur Verfügung stellt. Ich denke, er weiß, welche schwierige Aufgabe vor ihm liegt. Er verdient jede mögliche Unterstützung dieses Hauses. ({1}) Was sich in der Öffentlichkeit festgesetzt hat - Frau Mihalic, ich würde es vielleicht ein bisschen anders ausdrücken -, sind natürlich diese Schredderaktionen. Fast jeder spricht einen darauf an. Das ist durchaus ein riesiger Vertrauensverlust. Da brauchen wir uns gar nichts vorzumachen. Daran erinnern sich viele. Nun kommt wieder etwas hinzu: die aktuellen Geschehnisse rund um den V-Mann Corelli, die Geschichte seines Ablebens, die plötzlich wiedergefundene CD mit den NSU-Bezügen. Ich will es an dieser Stelle etwas überspitzt formulieren: Manchmal kann man schon den Eindruck gewinnen, wir klärten auf, was vorher bewusst verschleiert wurde. Das ist eine sehr schreckliche Einsicht. Bei den eigentlichen Fragen, die ich ja eben angerissen habe, sind wir hingegen noch nicht zufriedenstellend weitergekommen. Richtig ist aber auch, dass die Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern eine sehr wichtige Aufgabe haben und hatten. Sie haben einiges in Sachen Aufklärung und Rückgewinnung von Vertrauen geleistet, natürlich nur ein Stück weit. Es ist für die Angehörigen der Opfer unglaublich wichtig, zu sehen, dass wir mit einer großen Ernsthaftigkeit dabei sind und dass sich nicht jeder mit einer Einwanderungsbiografie fragen muss: Wie geht man eigentlich mit mir um, wenn ich Opfer werde? Was ist mit meiner Familie? - Das ist doch eine schreckliche Frage für ein Einwanderungsland, das wir eben auch sind. Deswegen möchte ich an dieser Stelle schon daran erinnern, dass erst vor einigen Monaten der Europarat Fälle von Rassismus und Diskriminierung in Deutschland gerügt hat. Die dem Rat unterstehende Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat dabei auf Gewaltdelikte Bezug genommen, die durch Rassismus, Homophobie und Transphobie ausgelöst seien. Was nachdenklich macht, ist, dass die Kommission eben auch zu dem Schluss kommt, dass Opfer von Diskriminierung in Deutschland unzureichend unterstützt werden. Es kann, wie ich finde, kein verheerenderes Signal geben. An dieser Stelle müssen wir sehr stark ansetzen. Opferschutz - egal wer das Opfer ist - muss immer einen sehr hohen Stellenwert bei uns einnehmen; denn diejenigen, denen etwas Schreckliches angetan wurde, müssen wissen, dass wir alle neben ihnen stehen und ihnen jede Hilfe zukommen lassen. ({2}) Ich möchte zum Schluss nur noch eine Sache ansprechen. Ich glaube, dass es eine Daueraufgabe bleibt, das, was wir interkulturelle Kompetenz nennen, bei der Polizei, der Justiz und den Nachrichtendiensten zu steigern und den Anteil der Menschen, die Einwanderungsbiografien haben, überall, auch in den Länderpolizeien, zu erhöhen. Die genannten Einrichtungen sollen die Gesellschaft abbilden. Sie sollen ein Stück weit zeigen, dass sie für diese Gesellschaft arbeiten. Sie sollen verstehen, was in dieser Gesellschaft vor sich geht. Darum glaube ich, dass es so wichtig ist, dass wir uns vorgenommen haben, alle 47 Empfehlungen tatsächlich umzusetzen. Das wird ein bisschen Zeit erfordern. Ich glaube, man kann personalpolitische Vorstellungen dieser Art nicht in wenigen Monaten umsetzen. Wir alle sollten zusammen dafür sorgen, dass wir nächstes Jahr sagen können: Es hat sich an allen Punkten Erhebliches getan, und wir nehmen diese Empfehlung alle gemeinsam sehr ernst. Vielen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Volker Ullrich. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Begreifen … bedeutet … die Last, die uns durch die Ereignisse auferlegt wurde, zu untersuchen und bewußt zu tragen … Begreifen bedeutet, sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit, was immer sie ist oder war, zu stellen und entgegenzustellen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Worte stammen von Hannah Arendt. Sie sind in einem anderen, aber nicht wesensfremden Zusammenhang formuliert worden. Auch heute beschreiben diese Worte unsere Herausforderung, der wir uns drei Jahre nach Aufdeckung des Terrors des NSU zu stellen haben. Wir haben zu begreifen, dass sich ein Schatten auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land gelegt hat. Verbrechen sind geschehen, die durch ihre Skrupellosigkeit und Menschenverachtung unser Land erschüttert haben. Der Schatten bekommt ein Gesicht durch den Schmerz und die Trauer der Angehörigen. Ihnen gehören auch heute unser tiefes Mitgefühl und unsere aufrichtige Anteilnahme. Wir haben neben mitfühlenden Worten und Gesten eigene Wut zu verspüren. Es ist die Wut über sprachlos machende Versäumnisse bei denen, die von Berufs wegen unsere Verfassung schützen sollten und es nicht konnten. Unbehagen, ja, mehr noch, tiefe Scham haben wir zu empfinden, dass in der Öffentlichkeit die Opfer und ihre Angehörigen über lange Jahre oftmals mit nur wenig Mitgefühl und mit - was sich als zynisch herausgestellt hat - an sie selbst gerichteten Verdächtigungen zu kämpfen hatten. Wer also heute keine FassungslosigDr. Volker Ullrich keit über die Abgründe der Taten und das Umfeld, in denen sie geschehen konnten, besitzt, der hat die Dimension ihrer Angriffe auf die Menschlichkeit und das Miteinander in unserem Gemeinwesen nicht verstanden. Wir haben die Pflicht, verlorengegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat und die ihn schützenden Einrichtungen wiederherzustellen und zu festigen. Wesentlich dafür ist die Suche nach Wahrheit. Das meint „Begreifen“. Aufklärungsinteresse ist kein Spielball politischen Taktierens. Es ist daher ermutigend, dass der Bundestag und einige Landtage über Parteigrenzen hinweg Untersuchungsausschüsse eingesetzt und erfolgreich zu Ergebnissen geführt haben, die wir vollständig umsetzen werden. Wir suchen nach der Wahrheit nicht aus Interesse an einer historisch richtigen Geschichtsschreibung, sondern weil sich der wehrhafte Rechtsstaat die Pflicht zur allumfassenden Aufklärung zu eigen machen muss. Auch wenn dadurch nichts ungeschehen wird und Wunden vielleicht nicht heilen können: Die Wahrheitsfindung ist ein wichtiger Beitrag, damit die Angehörigen die Möglichkeit haben, einen inneren Frieden mit ihrer Trauer und mit ihrem Verlust zu finden. Es sind wesentliche Fragen, die noch der Beantwortung harren, beispielhaft sei genannt: Aus wie vielen Mitgliedern bestand das Terrornetzwerk tatsächlich? Ist die These, dass nur jene drei bekannten Personen den NSU gebildet haben, tatsächlich haltbar? Es ist zu fragen, wie es sein konnte, dass das Trio trotz zahlreicher V-Leute in der rechtsextremen Szene über ein Jahrzehnt unentdeckt blieb. Wir wollen wissen, was am 25. April 2007 und am 4. November 2011 in Eisenach tatsächlich passiert ist und wie sich die vielen Ungereimtheiten erklären lassen. Die Beantwortung von Fragen ist aber nicht ausreichend. Wir benötigen Vertrauen in die Geltung des Rechts und den Schutz unserer Verfassung. Dazu brauchen wir fortwährend eine von allen gelebte Kultur der Wehrhaftigkeit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Wissen um die Bedrohung der menschlichen Würde und die Zerbrechlichkeit unserer Freiheit zwingt uns stets zur Wachsamkeit. Das gilt in diesen Tagen besonders. Es darf zu keinem Zeitpunkt eine Situation entstehen, in welcher die tatsächliche Fähigkeit des Staates, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, ernsthaft infrage gestellt wird. Gleichwohl ist es keine allein staatliche Aufgabe. Der Einsatz gegen Gleichgültigkeit und Vorurteile, das Aufstehen für Toleranz und das Eintreten für eine demokratische und offene Gesellschaft gehen uns alle an. Es ist eine notwendige Anstrengung der gesamten Zivilgesellschaft. Diese Anstrengung für Demokratie und ein friedliches Miteinander ist nicht immer bequem. Manchmal sind Passivität und Gleichgültigkeit bei oberflächlicher Betrachtung ein einfacher Weg. Es ist aber der Weg des süßen Giftes. Wer sich nicht für die Werte einsetzt, die unsere Gemeinschaft begründen, wird morgen nicht mehr die Umgebung vorfinden, die ihm seine Bequemlichkeit erst ermöglicht hat. Manche mögen - abschließend - einwenden, dass keiner abzuschätzen vermag, ob unsere Anstrengungen von Erfolg gekrönt sein werden. Zweifel dürfen uns aber nicht erschüttern. Wir werden erfolgreich sein, weil das Vertrauen in die Idee der Unverletzlichkeit der Würde des Menschen unerschütterlich ist. Es ist die beste Idee, die wir haben. Hannah Arendt hat die Hoffnung in das Gelingen so formuliert: Es ist nur möglich „im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem - schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen - Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht.“ ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit zugleich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. November 2014, 9 Uhr, ein. Kommen Sie alle gesund wieder! Die Sitzung ist geschlossen.