Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/17/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen einen wunderschönen sonnigen guten Morgen! ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorgefonds ({1}) Drucksachen 18/1798, 18/2379 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2}) Drucksache 18/2909 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2910 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann ({5}), Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen - Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiter- entwickeln Drucksachen 18/1953, 18/2909 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann ({7}), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Deckungslücken der Sozialen Pflegeversicherung schließen und die staatlich geförderten Pflegezusatzversicherungen - sogenannter Pflege-Bahr - abschaffen Drucksachen 18/591, 18/2901 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen drei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über zwei Änderungsanträge und die beiden Entschließungsanträge werden wir später namentlich abstimmen. Wir werden also vier namentliche Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Weil ich keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind und dass das damit beschlossen ist. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn Bundesminister Hermann Gröhe. ({8})

Hermann Gröhe (Minister:in)

Politiker ID: 11002666

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor fast 20 Jahren, am 1. Januar 1995, trat die Pflegeversicherung in Kraft. Mit ihr gelang es, die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen in erheblichem Umfang unabhängig von der Unterstützung durch Sozialhilfe zu machen. Vor allen Dingen aber gelang es erstmals, insbesondere denjenigen, die zu Hause pflegebedürftige Angehörige betreuen, Anspruch auf solidarische Unterstützung und auf Leistungen der Pflegeversicherung zu gewähren und sie in ihrem unermüdlichen Einsatz zu unterstützen. Ich freue mich darüber, dass wir mit dem vorliegenden ersten Pflegestärkungsgesetz gleichsam zum 20. Geburtstag dieser wichtigen Reform unseres Sozialstaats, die sich in besonderer Weise mit dem Namen Norbert Blüm verbindet, eine wichtige und umfassende Reform der Pflegeversicherung beschließen. Ich weiß mich einig mit den Pflegebedürftigen, mit ihren Angehörigen, aber auch mit den Pflegekräften, wenn ich sage, dass es uns darum gehen muss, die Pflege individueller zu machen, damit sie den konkreten Bedürfnissen der einzelnen Pflegebedürftigen besser gerecht wird und angemessen erfolgt. Das wünschen sich diese. Das wünschen sich die Angehörigen. Das ist aber nicht zuletzt auch der Anspruch der Pflegekräfte selbst an ihre wichtige Arbeit. Dazu bedarf es eines veränderten Rechtsrahmens. Dazu bedarf es aber auch in besonderer Weise eines erheblichen Ausbaus der entsprechenden Leistungen der Pflegeversicherung. Beides beschließen wir heute mit Wirkung vom 1. Januar 2015. Ich weiß, dass das Thema „individuellere Pflege“ für viele mit der Diskussion um den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff verbunden ist. Ich will ausdrücklich sagen: Ja, diesen werden wir in dieser Legislaturperiode umsetzen. Sie wissen, dass wir die letzten Monate zu Erprobungsphasen genutzt haben, in denen parallel Begutachtungen nach dem alten und dem neuen Begutachtungssystem durchgeführt und 4 000 Pflegebedürftige entsprechend eingestuft wurden, um daraus zu lernen. Derzeit wird diese Erprobungsphase in Gutachten ausgewertet. Die Ergebnisse werden uns dann im Jahr 2015 bei der Erarbeitung des nächsten Pflegestärkungsgesetzes leiten. Aber es ging uns darum, nicht mit den notwendigen Leistungsverbesserungen zu warten, bis das in den Pflegeeinrichtungen implementiert wird, sondern diese schon zum 1. Januar 2015 vorzunehmen. ({0}) Diese Verbesserungen werden 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in diesem Lande, ihren Angehörigen, aber auch dem unermüdlichen Tun der Pflegekräfte zugutekommen. Weil manche der Debatten in den letzten Wochen, auch im Hinblick auf die Pflegeversicherung, sich ein bisschen sehr um die Frage gedreht haben: „Was tun die Jungen für die Alten?“, sei ausdrücklich gesagt: Wiewohl eine große Zahl der Pflegebedürftigen hochbetagte ältere Menschen sind, leben auch jüngere Menschen - Menschen jedes Alters - mit dem Risiko, durch Krankheit oder Unfall pflegebedürftig zu werden. Für sie alle ist es wichtig, dass wir ein leistungsstarkes Pflegesystem in unserem Land haben. Ausgangspunkt ist der Wunsch der Menschen - zwei Drittel aller Pflegebedürftigen sagen dies -, nach Möglichkeit zu Hause, in den eigenen vier Wänden, gepflegt zu werden und dort zu leben. 70 Prozent derer, die zu Hause pflegen, tun dies ohne tagtägliche Unterstützung durch professionelle Pflegedienste. Dies ist ein enormes Engagement in unseren Familien, das Unterstützung und vor allen Dingen auch Anerkennung verdient. ({1}) Diese Menschen, die sich in dieser Weise für ihre Angehörigen einsetzen, haben aber auch Anspruch darauf, dass wir ihnen bei dieser Arbeit helfen. Deswegen regelt dieses Pflegestärkungsgesetz den Ausbau der Verhinderungs-, der Kurzzeit-, der Tages- und der Nachtpflege. Es geht darum, dass diese Menschen die Gelegenheit zu einer Atempause haben, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Verhinderungspflege ist dann gleichsam so etwas wie eine Urlaubsvertretung. Wir bauen diese Leistungen aus, wir machen sie untereinander besser kombinierbar, und - das ist mir ganz wichtig - wir eröffnen erstmals Angehörigen von Pflegebedürftigen der Pflegestufe 0, also demenziell Erkrankten ohne eine Einstufung in die Pflegestufe 1, die Möglichkeit, diese wichtigen Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Denn es kann gerade am Beginn einer demenziellen Erkrankung, am Beginn der Pflegephase zu Hause so wichtig sein, dass beispielsweise Unterstützung in der Nachtpflege zu einer erholsamen Nachtruhe verhilft, dass es die Möglichkeit gibt, einmal Atem zu schöpfen. Ich weise für die Familien ausdrücklich darauf hin, dass wir am Mittwoch im Kabinett das Pflegeunterstützungsgeld beschlossen haben und heute mit dem Pflegestärkungsgesetz dafür die entsprechende finanzielle Absicherung in der Pflegeversicherung schaffen. ({2}) Wir bauen niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote aus. Wir haben damit gute Erfahrungen bei der Begleitung demenziell erkrankter Menschen gemacht. Sie werden ausgebaut und für alle Pflegebedürftigen geöffnet. Ich weiß, das hat im parlamentarischen Verfahren zu Diskussionen geführt. Klar ist: Solche Angebote dürfen und können nicht die Grundpflege ersetzen - das sollen sie nicht -, und solche Angebote müssen von den Ländern zugelassen werden. Somit können sie in guter Weise das Tun in der Pflege und das Tun der Angehörigen ergänzen. Wir vertrauen den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, die in diesem Zusammenhang übrigens gezielt beraten werden, dass sie selbst am besten wissen, wie das Paket der Unterstützung angesichts der jeweiligen Familiensituation aussehen sollte ein wichtiger Schritt zu individuellerer Betreuung und Pflege. ({3}) Wir stärken den Umbau der eigenen vier Wände mit entsprechenden Zuschüssen. Schließlich tragen wir auch den veränderten Formen des Zusammenlebens Rechnung: mit vermehrten Zuschüssen und verstärkter Unterstützung für Wohngruppen, für das Miteinander-Wohnen von älteren, auch pflegebedürftigen Menschen. - Das waren die Leistungsverbesserungen im ambulanten Bereich. In der stationären Arbeit geht es um eine Dynamisierung - diese erfolgt auch in der ambulanten Pflege - sowie um eine Stärkung des Aspekts der Betreuung. Wir werden die Zahl der Betreuungskräfte, die heute schon in vielen Altenpflegeeinrichtungen segensreich wirken, von 25 000 auf bis zu 45 000 erhöhen. Das trägt im ÜbBundesminister Hermann Gröhe rigen dazu bei, den Alltag, das Leben in den Altenpflegeeinrichtungen besser, menschengerechter, individueller zu gestalten. ({4}) Lassen Sie mich im Hinblick auf die Fachkräfte betonen - mein Dank geht hier an Karl-Josef Laumann -, dass wir das Thema Bürokratieabbau in der Pflege, nachdem eine entsprechende Studie zum Abbau unnötiger Belastungen in der Dokumentation veröffentlicht wurde, in der Fläche angehen werden. Karl-Josef Laumann wird dafür die Verantwortung übernehmen. Wir wissen von den Pflegekräften, dass sie für die Pflegebedürftigen da sein wollen und nicht für das Ausfüllen von Papieren. Deswegen muss die Dokumentation auf das für die Qualitätssicherung notwendige Maß beschränkt und unnötige Bürokratie abgebaut werden. ({5}) Lassen Sie mich auch erwähnen, dass sich die Vertragspartner 2012 im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege verpflichtet haben, die auf Landesebene getroffene Rahmenvereinbarung über Personalschlüssel zu überarbeiten mit dem Ziel, den Notwendigkeiten angemessener, individueller Altenpflege gerecht zu werden. Das ist seitdem in vier Bundesländern geschehen, in einem weiteren ist es derzeit im Gang. Ich hoffe, dass möglichst viele schnell diesem Beispiel folgen. Wir brauchen angemessene Personalschlüssel, und dafür ist eine entsprechende Verabredung der Vertragspartner Voraussetzung, meine Damen, meine Herren. ({6}) Diese umfassenden Leistungsverbesserungen gibt es nicht zum Nulltarif. Deswegen enthält das Pflegestärkungsgesetz ein klares Bekenntnis zu einer notwendigen paritätisch zu finanzierenden Beitragssteigerung um 0,3 Prozentpunkte. 2,4 Milliarden Euro davon gehen in die Leistungsverbesserung, 1,4 Milliarden Euro in die ambulante Pflege, 1 Milliarde Euro in die stationäre Pflege. Mit 1,2 Milliarden Euro bauen wir einen Pflegevorsorgefonds auf, der dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ins Pflegealter kommen, dazu beitragen wird, den Beitragsanstieg abzumildern. Ich bin zuversichtlich, dass die Debatten darüber, wie sicher das Geld dort angelegt ist, dazu beitragen, dass dieser Vorsorgefonds für alle Zeiten so tabu ist für Zweckentfremdung wie das Gold der Bundesbank. Jeder, auch derjenige, der sich kritisch dazu äußert, leistet einen Beitrag dazu, dass dieses Geld sicher ist; ob Sie das nun wollen oder nicht. ({7}) Meine Damen und Herren, wir werden in einem weiteren Schritt, im Zuge der Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die Beiträge erneut um 0,2 Prozentpunkte anheben. Damit wird im Rahmen der Arbeit dieser Koalition das Leistungsvolumen der Pflegeversicherung künftig um 5 Milliarden Euro pro Jahr erhöht, also eine Leistungsausweitung von über 20 Prozent. Ich bin davon überzeugt: Unsere starke Gesellschaft kann dies stemmen. Ich bin davon überzeugt: Wir schulden dies den pflegebedürftigen Menschen in unserem Land. Ich danke für die guten Beratungen in den zurückliegenden Wochen und bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Herzlichen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Katja Kipping. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben den zuständigen Minister gehört, der die angeblichen Verbesserungen des vorliegenden Pflegestärkungsgesetzes gelobt hat. Ich möchte die knappe Redezeit meiner Fraktion nutzen, um über die entscheidenden Leerstellen und die grundlegenden Fehler des vorliegenden Gesetzentwurfs zu sprechen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass von dem Geld der Beitragszahlenden ein kapitalgedeckter Vorsorgefonds angelegt werden soll. Kapitalgedeckter Vorsorgefonds - dieser etwas sperrige Begriff meint letztlich Folgendes: Geld der Beitragszahlenden soll abgezweigt werden, um es auf die Finanzmärkte zu werfen. Wir als Linke kritisieren die schwarzroten Pläne für einen Kapitalstock, und zwar aus drei Gründen. Erstens. Die Beitragszahlenden müssen jetzt dreifach zahlen: für den Aufbau des Fonds, für die bestehende Pflegeversicherung und, da hier das Teilkaskoprinzip gilt, auch noch für die hohen Eigenleistungen. Zweitens. Damit werden Gelder der Beitragszahlenden ins globale Finanzkasino gespeist. Wir aber meinen: Mit dem Geld der Beitragszahlenden darf nicht spekuliert werden. Das ist finanzpolitisches Harakiri. Das müssten Sie doch aus der Finanzmarktkrise gelernt haben. ({0}) Drittens. Jeder Euro, der in den Kapitalstock fließen soll, fehlt heute für eine menschenwürdige Pflege. Menschenwürdiges Leben bedeutet mehr, als satt und sauber im Bett zu liegen. Menschenwürdige Pflege heißt, dass auch Pflegebedürftige weiterhin soziale Kontakte pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. ({1}) Menschenwürdige Pflege heißt für uns auch, dass die Betroffenen selber bestimmen können, wie sie ihren Alltag regeln. Das gilt sowohl für Menschen mit demenziellen Erkrankungen wie für Menschen mit Assistenzbe5650 darf. Deshalb setzen wir uns voller Energie für einen neuen Pflegebegriff ein. ({2}) Herr Gröhe, Sie haben es angesprochen: In dem vorliegenden Gesetzentwurf fehlt jegliche Aussage zum neuen Pflegebegriff. Ich finde, dieses Schweigen von Schwarz-Rot zum neuen Pflegebegriff zeigt das pflegepolitische Versagen dieser Bundesregierung. ({3}) Meine Damen und Herren, ich habe verschiedene Pflegeeinrichtungen besucht. Ich habe, wie sicherlich auch einige von Ihnen, im Rahmen der Aktion „Perspektivwechsel“ auch einmal Pflegeeinrichtungen von innen erlebt, ({4}) bin also in den Arbeitsalltag eingetaucht, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. Ich muss sagen: Ich habe höchsten Respekt vor den Menschen, die dort einer schwierigen und wichtigen Arbeit nachgehen, und das zu viel zu niedrigen Gehältern und unter wirklich schwierigen Arbeitsbedingungen. ({5}) Arbeit in der Pflege bedeutet nur zu oft Arbeit im Akkord sowie Personalbemessung am Limit. Sobald es einen Krankheitsfall gibt, wird der Schichtplan zur Makulatur. Insofern ist es kein Wunder, dass Burn-out und stressbedingte Krankheiten inzwischen zum Alltag in Pflegeberufen gehören. Wenn Pflegekräfte ständig am Limit arbeiten und im Minutentakt rackern müssen, dann kommt der Mensch unter die Räder, und zwar auf beiden Seiten. Wir aber meinen: Pflege ist keine Fließbandarbeit. Deshalb braucht es deutlich mehr Personal im Pflege- und Assistenzbereich. ({6}) Menschenwürdige Pflege heißt auch, dass Menschen selbst entscheiden können, wie lange sie in ihrer gewohnten Umgebung leben wollen. Wir haben aber leider eine Situation, in der immer noch der Geldbeutel entscheidet; denn nur wer sich überhaupt eine Pflegeeinrichtung leisten kann, hat wirklich Wahlmöglichkeiten. Noch ein weiterer Aspekt muss angesprochen werden, wenn wir über die Entscheidung für das Zuhausebleiben reden: Ich meine, in einer Gesellschaft, in der Barrierefreiheit weitgehend verwirklicht ist, fällt die Entscheidung für die Pflege zu Hause leichter. Tragen wir also mit dazu bei, dass bei jedem Neubau und bei jeder Wohnungssanierung die Barrierefreiheit gleich mitgeplant wird; denn Barrierefreiheit bedeutet mehr Freiheit für alle. ({7}) Mir ist bewusst, dass es in diesem Gesetzentwurf nicht um die Frage Ein- oder Zweibettzimmer geht. Aber wir müssen uns - das hat Herr Gröhe ja auch angedeutet hier über eine grundsätzlich notwendige Ausstattung verständigen. Insofern möchte ich auf diesen Aspekt zu sprechen kommen. Ich weiß, es gibt Fälle, in denen die Zweibettlösung eine akzeptable oder sogar angenehme Lösung ist. Ich weiß aber auch, dass es für viele eine Horrorvorstellung ist - das weiß ich auch von meiner Großmutter -, für unbestimmte Zeit mit einer unbekannten Person Tag für Tag, Nacht für Nacht das Zimmer teilen zu müssen, womöglich mit einer Person, die nachts vor Schmerzen schreit oder von Albträumen geplagt aufschreckt. Deswegen glaube ich, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass wirklich jeder, der ein Einbettzimmer will, die Möglichkeit bekommt, auch in einer Pflegeeinrichtung einen letzten privaten Rückzugsraum zu haben. Lassen Sie uns also mit dafür Sorge tragen, dass genügend Geld ins System kommt, um allen im Pflegefall auch eine gute Unterbringung zu ermöglichen. ({8}) Wir wissen, die häusliche Pflegearbeit wird vor allem von Töchtern, Ehefrauen, Schwiegertöchtern - kurzum: von Frauen - verrichtet, von Frauen, die dafür viel in Kauf nehmen: Gehaltseinbußen, Verluste bei den Rentenanwartschaften, Verzicht auf Freizeit. Sie haben mehr verdient als tätschelnde Lobesworte in Sonntagsreden. Um pflegende Angehörige wirklich zu entlasten und um gute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen in den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, brauchen wir eine gute Finanzierung der Pflege. ({9}) Auch deswegen setzt sich die Linke für eine solidarische Bürgerversicherung ein, für eine Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen und von der alle gleichermaßen profitieren, die Pflegerin ebenso wie die Millionärin. ({10}) Meine Damen und Herren, Pflege gehört nicht an den Rand der Gesellschaft, sondern in die Mitte der Gesellschaft. Pflege gehört in die gemeinsame Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge. Vielen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis, SPD. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich schön, dass wir heute hier über die erste Stufe einer umfassenden Pflegereform debattieren und sie verabschieden können. Uns als SPD ist es ein fundamental wichtiges Anliegen, Menschen, die pflegebedürftig geworden sind, zu unterstützen und damit auch imHilde Mattheis mer den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit zu transportieren. Denn Menschen haben am Lebensende ein Anrecht darauf, dass wir alle in unserer Gesellschaft solidarisch für sie einstehen. Das ist unser Anliegen. ({0}) Alle, die heute nicht für die Leistungsverbesserungen stimmen, müssen in ihre Wahlkreise gehen und sagen: Ich habe nicht dafür gestimmt, ({1}) dass Menschen, egal ob sie in einer stationären Einrichtung wohnen oder ambulant gepflegt werden, diese Leistungsverbesserungen für sich in Anspruch nehmen können. Das müssen sie dann verantworten. ({2}) Wir wollen in dieser Legislaturperiode mit dem Pflegestärkungsgesetz I den ersten wichtigen Baustein setzen. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wollen wir - das haben wir uns vorgenommen - unser zentrales Anliegen, die Definition eines Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der sich am Teilhabebegriff orientiert, durchsetzen. Denn wir wollen nicht mehr die Mangelerhebung, sondern den Teilhabeaspekt in unserer Pflegepolitik herausheben. Das ist zentral wichtig und ein zweiter wichtiger Baustein. ({3}) Aber wir haben noch weitere Bausteine. Denn wir wissen: Pflegereform bedeutet einen ganzen Fächer an Maßnahmen. Pflegereform ist nicht einfach nur ein Konzept für die Reform eines Punktes. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wir wollen in der Bund-Länder-Kommission miteinander klären, was eine gute Pflegepolitik für die Kommunen bedeutet. Was bedeutet das? Welche Rahmenbedingungen müssen wir als Bund setzen? Was müssen die Länder dazu beitragen, dass die Infrastruktur vor Ort passgenau ist? Das können wir hier in Berlin nicht machen. Also brauchen wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, um die Rolle der Kommunen zu definieren. Dabei müssen wir die Kommunen unterstützen. ({4}) Diese Woche konnten wir ja Gott sei Dank aus dem Familienministerium schon sehr genau vernehmen, dass es auch um die Entlastung von Angehörigen geht. Das Pflegezeitgesetz spielt hier eine wichtige Rolle. ({5}) Denn alle, die mit Pflege konfrontiert sind, brauchen vor allen Dingen eines: Zeit, um sich zu kümmern. Es ist nicht einmal schnell mit einem Telefonat erledigt, pflegebedürftige Menschen zu unterstützen. Das ist nicht schnell erledigt, wenn die Kinder weit weg wohnen. Sie brauchen Zeit, um sich zu kümmern. Nicht die schnellste Lösung ist als die beste Lösung anzusehen, sondern man muss dafür sorgen, dass dem Wunsch des Vaters oder der Mutter Rechnung getragen wird und, wenn sie in der eigenen Häuslichkeit bleiben wollen, flankiert von Maßnahmen, um dies organisieren zu können. Dazu braucht man Zeit. Deshalb vielen Dank an das Ministerium. ({6}) Uns geht es natürlich auch darum, den Beruf der Pflegefachkraft in der Altenpflege zu unterstützen. Das brauche ich hier gar nicht zu wiederholen; denn wir haben hier mehrfach darüber diskutiert, an was es dort krankt. Wir brauchen nicht nur mehr Leute, die sich für diesen Beruf engagieren, sondern sie müssen auch im Beruf verbleiben können, sprich: Sie brauchen eine gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen, damit sie länger als sieben Jahre Spaß an der Arbeit haben, ihr Engagement nicht verlieren und dieser psychischen Belastung standhalten können. ({7}) Deshalb wollen wir eine generalistischere Ausbildung und Umstiegsmöglichkeiten von der Altenpflege in die Krankenpflege und auch in die Kinderkrankenpflege schaffen. Denn es ist wichtig, Menschen, die ein hohes Engagement für diesen Beruf mitgebracht haben, zu unterstützen und ihnen die Belastungen nicht so schwer auf die Schultern zu packen, dass sie sie eines Tages nicht mehr tragen können. ({8}) Eines unserer zentralen Anliegen war deshalb - alles hängt ja mit allem zusammen -, jetzt im Pflegestärkungsgesetz I für eine tarifliche Entlohnung der Pflegefachkräfte zu sorgen - ich bin allen dankbar, die diese Forderung der SPD mitgetragen haben - und sicherzustellen, dass Einrichtungen und Träger nicht als unwirtschaftlich gelten, wenn sie nach Tariflohn zahlen. ({9}) - Das ist richtig gut; für dieses zentrale Anliegen von uns könnte hier vor allen Dingen von den Linken auch einmal ein bisschen Applaus kommen. - Ich glaube, es ist wichtig, dass die Kostenträger ein Anrecht haben, einen Nachweis zu bekommen, dass in den stationären Einrichtungen, dass von den Diensten diese Vereinbarung gegenüber den Beschäftigten eingehalten wird. ({10}) Es muss nämlich nachweisbar sein, dass die Beschäftigten auch nach Tarif bezahlt werden. All das ist in diesem Pflegestärkungsgesetz I. Ich will gerne noch einmal auf die Leistungsansprüche zu sprechen kommen, die wir jetzt hier verankert haben. Es geht um mehr Flexibilität, es geht um Passgenauigkeit; denn nicht jeder, nicht jede hat den gleichen Bedarf. Es geht darum, die Leistungen auszuweiten, sie zu dynamisieren. Der Leistungsanspruch ist seit Bestehen der Pflegeversicherung nicht dynamisiert worden, es kam jedoch zu exorbitanten Kostensteigerungen. Das fangen wir mit plus 4 Prozent für alle Leistungen ein Stück weit auf. Wir wollen die Kurzzeit- und Verhinderungspflege flexibilisieren. Es muss möglich sein, den einen Bereich für den anderen zu nutzen; das ist wichtig. Und wir wollen vor allen Dingen auch Betreuungsund Entlastungsleistungen stärken; denn Menschen, die an Demenz erkrankt sind, haben nicht unbedingt für den gesamten Sachleistungsanspruch einen rein pflegerischen Bedarf. Es geht vielmehr auch um Unterstützung bei der Strukturierung des Tages, es geht um die kleinen Begleitgänge - zum Friedhof, zum Arzt, zum Friseur -, es geht darum, kleine Dinge zu ermöglichen, dass also der Angehörige/die Angehörige nicht die ganze Zeit festgehalten ist, sondern auch einmal weggehen kann, ohne Angst haben zu müssen, was in der Häuslichkeit passiert, wenn die Tür von außen zugeschlossen wird. ({11}) All das ist der erste Baustein, und, ja, das ist ein Stück weit ein Vorgriff auf die Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Es ist an uns, zu kommunizieren, dass wir jetzt schon Leistungsverbesserungen anbieten, die dann natürlich auch dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff entsprechen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns doch in einem einig - bei diesem Thema bestand in diesem Haus immer große Einigkeit -: dass es um fundamentale Ansprüche von Menschen in Lebenssituationen geht, die wir alle für uns selber nicht unbedingt als Zukunftsvision haben wollen, und dass wir diese Menschen, ihre Angehörigen und die Menschen, die sie professionell unterstützen, im Blick haben. Vor dem Hintergrund dieses Dreiklangs haben wir unsere Arbeit im Bereich der Pflegepolitik immer verstanden: Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Unterstützung für pflegende Angehörige und natürlich auch Respekt und gute Berufsaussichten für Pflegefachleute. In diesem Dreiklang sehe ich einen wichtigen Baustein für die umfassende Pflegereform, die wir heute verabschieden. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns bei aller politischen Auseinandersetzung den Blick nicht selber verstellten und das, was wir in anderen Konstellationen längst miteinander vereinbart hatten, gemäß diesem Dreiklang auch hier heute verabschieden könnten. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Elisabeth Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, nachdem Sie und auch Hilde Mattheis sich nun schon kräftig auf die Schultern geklopft haben, werden Sie, denke ich, sicherlich stark genug sein, auch ein paar andere Töne über das Pflegestärkungsgesetz zu hören. ({0}) Schließlich sind wir als Opposition nicht dafür da, die Claqueure der Regierungsfraktionen zu sein. ({1}) Sie sagen ja selbst, dass noch viel zu tun ist, und Sie vertrösten die Menschen schon heute auf die zweite Stufe der Pflegereform, die dann irgendwann kommen soll. ({2}) Diese liegt wie eine ferne Oase weit weg im Nebel. Entsprechend sind auch die Reaktionen der Fachwelt und in der Bevölkerung auf dieses Gesetz. Die Menschen reagieren eher nüchtern oder, sagen wir besser, argwöhnisch, vielleicht sogar schon resignierend. Das geht nach dem Motto: Inzwischen weiß man ja, dass man auf die Versprechungen der Pflegepolitik nicht allzu viel geben kann. Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Ja, es wird endlich mehr Geld für die Pflege in die Hand genommen. Ehrlich gesagt: Das war überfällig. ({3}) Doch überwiegt der Eindruck: Die Pflegeversicherung wird teurer, aber wirklich besser wird sie kaum. ({4}) Ich weiß, gerade Jens Spahn und auch Hilde Mattheis finden dieses Urteil ungerecht. Aber damit kann ich, ehrlich gesagt, ganz gut leben. Für mich und meine Fraktion ist klar: Diese Reform verkörpert keine Idee. Diese Reform ist teuer. Diese Reform ist luftleer. Diese Reform ist ohne Visionen. ({5}) Sie geben den Pflegebedürftigen, den Angehörigen und den professionell Pflegenden vor allem mehr vom Gleichen. Das ist mit Sicherheit kein Paradigmenwechsel. ({6}) Im Übrigen sprechen wir, Hilde Mattheis, von Menschen jeden Alters. Pflege ist keine Frage des Alters. Pflegebedürftig kann man auch schon in sehr jungen Jahren werden. Sie schicken die Menschen in eine Warteschleife. Mir kommt diese wie eine Endlosschleife vor; denn auf das Herzstück der Reform warten wir immer noch. Das Reformprojekt, das seit Jahren alle einmütig fordern, haben Sie wieder verschoben. Sie wissen ganz genau, was ich meine: die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes. ({7}) Um ehrlich zu sein: Man kann diesen Begriff kaum noch hören, so viel haben wir in den letzten Jahren darüber diskutiert. ({8}) Im neuen Pflegebegriff manifestiert sich nicht nur die Erwartung, dass Demenzkranke in der Pflegeversicherung endlich gleichberechtigt sind. Nein, es geht um die Hoffnung, dass wir zu einem anderen Verständnis von Pflege kommen, einem Verständnis, mit dem die Bedürfnisse des Einzelnen in den Mittelpunkt gestellt werden: dass die Pflegeleistungen so gestrickt sind, dass jede und jeder wirklich das Gefühl haben kann, dass diese Leistungen ihm helfen, dass man wirklich wählen kann, dass man Zeit für den Pflegebedürftigen hat und dass er am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. ({9}) Es mag sein, dass diese Erwartungen mittlerweile überhöht sind. Ja, es braucht sicherlich noch viel mehr Anstrengungen, um strukturell und finanziell zu einer wirklichen Reform der Pflege zu kommen. Nur: Wenn man eine ganz große Reform verspricht und dann nur eine vorgaukelt, so wie Sie das mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz tun, dann verlieren die Menschen irgendwann vollständig das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Pflegepolitik. Das wird dann passieren, wenn die Pflegebedürftigen und ihre Familien in ihrem Alltag bemerken, dass diese Pflegereform ein Scheinriese ist. ({10}) Diese Reform wird den professionell Pflegenden weiterhin nur die für sie unerträgliche Minutenpflege zumuten. Hier wird Vertrauen verspielt, Vertrauen, das Sie mit viel Geld zu kaufen versuchen. Genau das tun Sie: Sie stecken viel Geld - übrigens das Geld der Versicherten in diese Reform und simulieren damit Aktion. Aber noch einmal: Mehr Geld für mehr vom Gleichen ist noch lange keine Reform. Worauf wir vergeblich warten, ist eine nachhaltige und gerechte Finanzierung der Pflegeversicherung. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, zumindest Sie wissen doch, dass kein Weg an der Bürgerversicherung vorbeiführt. Aber passiert ist nichts. Stattdessen wenden Sie viel Geld und viel Energie für Dinge auf, die außer Herrn Spahn keiner gut findet und die vor allem keiner braucht. Ich rede vom Pflegevorsorgefonds. ({11}) Lieber Jens Spahn, da haben Sie sich ein schönes Denkmal gebaut, und die SPD ist sich nicht zu schade, dieses Denkmal auch noch zu enthüllen. Man könnte ja meinen, dass so ein Unsinn nur ein Ausrutscher ist, aber weit gefehlt. Das scheint bei der Union Methode zu haben. ({12}) Vor etwa zwei Jahren - damals regierten noch CDU/ CSU und die heutige Nichtregierungsorganisation FDP ({13}) mussten wir an dieser Stelle eine der größten sozialpolitischen Unsinnigkeiten der letzten Jahrzehnte diskutieren, den sogenannten Pflege-Bahr. Wir alle wissen sehr gut: Es ist ein äußerst ungerechtes, äußerst überflüssiges und äußerst erfolgloses Produkt. Gerade einmal 500 000 Menschen haben in diesem Land solche Verträge abgeschlossen. Da können Sie diese Menge von 500 000 Verträgen noch so schönreden, in Wirklichkeit ist das ein Witz, und das wissen Sie. ({14}) Dennoch halten Sie daran fest, übrigens auch die SPD, die damals sehr heftig dagegen gewettert hat. Dieser unsinnige Pflege-Bahr bekommt jetzt einen ebenso unsinnigen Weggefährten, den Pflegevorsorgefonds. ({15}) Auch zu diesem Vorsorgefonds sagen wir und alle Experten, dass er überflüssig ist und dass er erfolglos sein wird. Das wissen Sie wie damals beim Pflege-Bahr selbst ganz genau, und Sie setzen es trotzdem um. ({16}) Sie versenken in diesem Fonds über 1 Milliarde Euro pro Jahr. Dieses Geld wird uns für die Umsetzung des neuen Pflegebegriffs fehlen. Das behaupten wir nicht einfach so, das zeigen ganz klare Schätzungen von seriösen Ökonomen, und das wissen auch Sie ganz genau, aber Sie reagieren nicht, sondern halten stur an diesem Unsinn fest. ({17}) Herr Spahn, wenn das die Vorboten der Agenda 2020 sind, die Sie von der Bundeskanzlerin fordern, dann schwant mir, ehrlich gesagt, Böses. Das wird eine sehr nutzlose, aber dafür sehr teure Agenda werden. ({18}) Wer den neuen Pflegebegriff will, der kann sich diesen Fonds einfach nicht leisten. Diese Koalition hält aber daran fest. Das zeigt mir, wie ernst Sie es mit Ihren wirk5654 lichen Pflegereformen meinen. Das ist keine Große Koalition, das ist der kleinste gemeinsame Nenner, das ist viel heiße Luft, und das ist viel und reine Symbolpolitik. Nichtsdestotrotz weigere ich mich als Optimistin - selbst in Zeiten Ihrer gemeinsamen Koalition -, die Hoffnung aufzugeben. ({19}) Sie haben für 2016/2017 die zweite Stufe der Pflegereform versprochen. Wir glauben das aber erst, wenn wir es sehen. Zu oft haben unionsgeführte Regierungen in den letzten Jahren die Erwartungen der Menschen in der Pflege enttäuscht. ({20}) Vorschusslorbeeren bekommen Sie wahrlich nicht. Da sind Sie im Zugzwang, und da werden Sie hoffentlich liefern. Aber wie gesagt: Wir glauben das erst, wenn wir das sehen. Die zentrale pflegepolitische Aufgabe der nächsten Jahre wird sein, die Kommunen starkzumachen. In den Kommunen findet die Pflege statt, dort leben die Menschen, von denen wir hier reden. Obwohl immer mehr Demente und Pflegebedürftige unter uns leben, leben sie doch nicht in unserer Mitte, nein, sie leben am Rand. Diesen Menschen müssen wir ein Signal geben, dass sie zu uns gehören, dass sie an dieser Gesellschaft teilhaben können. Dieses Signal geht von Ihrer Reform nicht aus! ({21}) Im Gegenteil: Sie speisen diese Menschen mit großen Versprechen ab. Aber auch hier bin ich Optimistin. Wir setzen große Hoffnung in die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rolle der Kommunen, die Sie im September einberufen haben. Aber Sie können schon jetzt Ihr Reförmchen enorm aufwerten: Es steht gleich ein Änderungsantrag der grünen Bundestagsfraktion zur Abstimmung. Inhalt ist die Streichung des Pflegevorsorgefonds aus Ihrem Gesetzentwurf. Stimmen Sie diesem Antrag zu, verwenden Sie das Geld wirklich für die Versicherten, zum Beispiel für die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Zeigen Sie, dass es Ihnen ernst ist! Vielen Dank. ({22})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Dr. Georg Nüßlein spricht jetzt für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Mit dem Pflegestärkungsgesetz legt diese Koalition eine Fülle von Verbesserungen und Entlastungen vor, und zwar für Pflegebedürftige, um die es nämlich geht, für die pflegenden Angehörigen - sie tragen eine wesentliche Last - und für die professionellen Pflegekräfte, die wir in Zukunft, so wie es die Kollegin Mattheis beschrieben hat, vermehrt brauchen. Zusätzlich werden wir - das hat die Kollegin Scharfenberg gerade massiv kritisiert einen Pflegevorsorgefonds in Höhe von 1,2 Milliarden Euro jährlich einführen und damit ein Element der Generationengerechtigkeit und Zukunftssicherung schaffen. Frau Kollegin Scharfenberg, von einer Partei, die sonst immer über Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit spricht, ({0}) hätte ich eigentlich erwartet, dass sie genau diese Maßnahme positiv würdigt. ({1}) Stattdessen war von Ihnen, in schöne Worte gekleidet, eine Fülle von Allgemeinheiten zu hören. ({2}) Das Einzige, was in dem Zusammenhang durchaus charmant und ehrlich war, war Ihr einleitender Satz, es sei Aufgabe der Opposition, Wasser in den Wein zu gießen. Das ist aber nicht überzeugend gelungen, muss ich sagen. ({3}) Man kann zwar kritisieren, dass wir für diese Maßnahmen Geld brauchen und dafür den Beitragssatz erhöhen. Aber wenn man den Gesetzentwurf genau liest, dann stellt man fest: Wir finanzieren eine ganze Menge von wirklich wichtigen Verbesserungen, ({4}) und wir tragen dafür Sorge, dass das Geld auch wirklich bei den Pflegenden ankommt - auch das muss man erst hinbekommen - und sie tatsächlich etwas davon haben. ({5}) Deshalb werden Sie erleben, dass unser Vorhaben entgegen Ihrer Kritik relativ schnell in der Gesellschaft wie auch in der Wirtschaft akzeptiert wird. Weil es infrage gestellt wurde, möchte ich betonen: Es handelt sich um einen ersten Schritt. Wir gehen demnächst einen wohlüberlegten zweiten Schritt, indem wir den Pflegebegriff neu definieren. Auch dafür werden wir entsprechend Geld in die Hand nehmen, ({6}) sodass auch die Kritik, die von der Linken gekommen ist, nämlich am Ende würde uns das Geld dafür fehlen, von der Hand zu weisen ist. Wir führen parallel dazu mit einem anderen Gesetz einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit ein. Beschäftigte, die Pflegezeit oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, werden zugleich einen Anspruch auf finanzielle Förderung zur besseren Bewältigung des Lebensunterhalts während der Freistellung erhalten. ({7}) Die bis zu zehntägige Auszeit für Angehörige, die kurzfristig Zeit für die Organisation einer neuen Pflegesituation benötigen, wird künftig mit einer Lohnersatzleistung gekoppelt. Das ist eine enorme Verbesserung für die pflegenden Angehörigen, meine Damen und Herren. Es ist aber auch eine Belastung für die Wirtschaft, die wir in Kauf nehmen, weil wir wissen, dass es darauf ankommt, dass Beschäftigte die Chance bekommen, für pflegebedürftige Angehörige da zu sein. Auch dazu hätte ich mir von Ihnen anerkennende Worte zu den Freiräumen und finanziellen Voraussetzungen gewünscht, die wir für diesen großartigen Einsatz schaffen. Es wäre wirklich angebracht gewesen, dazu etwas Positives zu sagen, meine Damen und Herren. Mit dem Pflegestärkungsgesetz werden wir alle Leistungsbeträge anheben und damit dynamisieren. Das ist überfällig. Wir setzen einen besonderen Schwerpunkt, indem wir die Rahmenbedingungen für die häusliche Pflege weiter verbessern. Bei aller Wertschätzung - ich sage das ganz deutlich, um Missverständnisse zu vermeiden - für die Leistung der Pflegeheime und der dort arbeitenden Pflegekräfte, wie sie die Kollegin Mattheis richtig beschrieben hat, wissen wir, dass es ein Anliegen der Pflegebedürftigen ist, solange es irgendwie geht, in ihrem eigenen Heim zu bleiben. Weil das so ist und das Zuhause immer höher geschätzt wird als ein Heim, haben wir in dem Gesetzentwurf einen entsprechenden Schwerpunkt gesetzt. Schon deshalb bitte ich Sie alle, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({8}) Wir eröffnen den Pflegebedürftigen und den sie pflegenden Angehörigen eine bedarfsgerechtere und flexiblere Inanspruchnahme mit mehr Wahlmöglichkeiten. Die Leistungsverbesserungen kommen somit direkt bei den Pflegebedürftigen an. So können zukünftig alle zuhause lebenden Pflegeleistungsempfänger 40 Prozent des Sachleistungsbetrages für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote verwenden. Dies sind zum Beispiel kleinere Erledigungen im Haushalt, Botengänge oder die Begleitung zu Arztterminen, also lauter Tätigkeiten, die wichtig sind und die gesunden Menschen ganz selbstverständlich erscheinen. Aber in einer Pflegesituation wird deutlich, was für eine große Bedeutung sie haben. „Niedrigschwellig“ klingt erst einmal ein wenig wie „nachrangig“. Aber die Regelung stärkt die Flexibilität und erweitert die finanziellen Spielräume der Pflegebedürftigen zu Recht, wie ich meine. Für einen gebrechlichen Senior mit Demenzerkrankung ist die Hilfe im Alltag eine fundamentale Voraussetzung, um zu Hause wohnen zu können. Darum geht es uns. ({9}) Der einzelne Pflegebedürftige kann sich erstmals aussuchen, welche Leistungen er braucht. Er kann sich ein Paket schnüren. Gerade für Pflegebedürftige, die Unterstützung im Haushalt und im Pflegealltag benötigen, für die aber die klassischen Sachleistungen nicht passgenau sind, bieten sich dadurch Gestaltungsoptionen, um ihre Bedarfe zu decken. Das ist ein entscheidender, ein wirklich wichtiger Fortschritt. Dies trägt wesentlich zur Selbstbestimmung und zur Verbesserung der Lebensqualität vieler Betroffener bei. Im Übrigen haben Studien ergeben - das sage ich an die Adresse der Linken -, dass niedrigschwellige Angebote insbesondere bei Personen aus einfachen Milieus, wenn es um den Zugang zu pflegerischen Hilfen geht, sehr bedeutsam sind. Hier werden persönliche Beziehungen als eine wichtige Strategie zur Bewältigung von Pflegebedürftigkeit empfunden, die im Rahmen dieser niederschwelligen Angebote in viel größerem Maße gewährleistet sind. Ich bitte, das nachzuvollziehen. Wir stärken damit auch das Potenzial familiärer und ehrenamtlicher Versorgungsstrukturen und leisten einen Beitrag zur Weiterentwicklung einer generationengerechten Infrastruktur. Dies ist auch aufgrund des spürbaren Fachkräftemangels eine wichtige Maßnahme. Wer in der eigenen Wohnung gepflegt werden möchte, aber dafür Umbaumaßnahmen durchführen muss, um zum Beispiel die Dusche begehbar zu machen oder Türen zu verbreitern, kann Zuschüsse in Höhe von bis zu 4 000 Euro bekommen. Auch das ist eine wichtige Maßnahme. Man sollte nicht vergessen, wie viel dadurch letztendlich eingespart wird. Viele lamentieren über die Kosten. Aber wir sprechen viel zu wenig darüber, was auf der anderen Seite der Bilanz steht. Das ist gut investiertes Geld. Durch einen altersgerechten Umbau kann der Umzug von Pflegebedürftigen in ein Heim vermieden oder hinausgeschoben werden. Wenn Sie sich eine Studie der Prognos AG zu Gemüte führen, dann lesen Sie, dass das unser Sozialsystem um bis zu 3 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Wir tätigen also sehr wohl überlegte, gute Investitionen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass in den Ländern und Kommunen das soziale Lebensumfeld und die bestehenden Wohnangebote zum Beispiel durch Quartierskonzepte alters- und bedarfsgerechter ausgebaut werden. Auch wohnortnahe Beratungs- und Dienstleistungsstrukturen zum Beispiel durch den Ausbau der ehrenamtlichen Unterstützung müssen wir verstärkt anbieten. Dazu haben wir die bereits angesprochene Bund-Länder-Ar5656 beitsgruppe eingerichtet. Wir setzen große Hoffnungen darauf. Lassen Sie mich noch etwas zu dem kritisierten, viel gescholtenen Generationenfonds sagen. Ich möchte ganz klar herausstellen, dass wir das sehr bewusst machen und nicht auf besonderen Wunsch eines Einzelnen. Vielmehr sind wir der Überzeugung, dass wir Vorsorge treffen müssen. Wir machen uns Gedanken über die Frage, ob wir gerüstet sind, wenn die geburtenstarken Jahrgänge - 1964 ist der stärkste Jahrgang aller Zeiten - in die Pflegesituation kommen. Eigentlich müsste das Ganze positiv begleitet werden. Das würde auch passieren, wenn wir in der Politik nicht alles infrage stellen und uns selber misstrauen würden. Was ist das denn für ein Einwand, zu sagen: „Um durch den Fonds nicht in Versuchung geführt zu werden, sollten wir ihn lieber weglassen. Er hat keinen Zweck, weil irgendwann einmal eine politische Generation in die Versuchung geraten könnte, in den prall gefüllten Topf zu fassen“? Wir betreiben Vorsorge und legen das Geld gut an. Wir schmeißen es nicht in den Rachen der Finanzmärkte, wie Sie es in Ihrem Duktus gesagt haben. Wir stellen im Übrigen durch solche Debatten sicher, dass sich niemand trauen wird, dieses Geld anzufassen. ({10}) Zu sparen und für schwierige Situationen, die programmiert sind, Vorsorge zu treffen, kann nichts Schlechtes sein. Das entspricht aber nicht Ihrer Vorstellung von Schulden machen, Geld aufs Spiel setzen und nicht für die Zukunft zu sorgen. Sie sorgen vielmehr dafür, dass spätere Generationen in Schwierigkeiten kommen. Das werden wir nicht tun. Wir machen das gut, wir machen das zielorientiert. Dafür ist dieses Gesetz ein wichtiger erster Schritt; wir freuen uns auf den zweiten. Vielen herzlichen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Pia Zimmermann spricht jetzt als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrter Herr Minister Gröhe, wie bewegt man sich, ohne wirklich von der Stelle zu kommen? Eine mögliche Antwort auf diese Frage liefert das sogenannte Pflegestärkungsgesetz; denn gemessen an den gravierenden Problemen, mit denen wir im Pflegebereich konfrontiert sind, und gemessen an den Zukunftsherausforderungen in diesem Bereich ist dieses Gesetz der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. ({0}) Mit Ihrem Gesetz, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, täuschen Sie die Menschen in diesem Land; denn das, was Sie heute abschließend zur Abstimmung stellen, hat nichts mit der so dringend notwendigen und von den Betroffenen so sehr erwarteten großen Pflegereform zu tun. Dass die Bundesregierung in dem Pflegeproblem herumstochert und es nicht wirklich anpackt, haben wir in dieser Woche erneut mit der sogenannten Familienpflegezeit demonstriert bekommen. Was vom Titel her gut klingt, geht an der Realität vieler Familien jedoch vorbei. Es wird nur noch einmal deutlich, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die zahlreichen Probleme in der Pflege zu lösen; stattdessen wälzt sie diese Probleme auf die Familien ab. Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht der dauerhaften Entwertung von Leistungen aus der Pflegeversicherung durch eine jährliche Leistungsdynamisierung entgegensteuern. ({1}) Ich frage mich auch, warum nicht alle Menschen mit Pflegebedarf einen Anspruch auf häusliche Betreuungsleistung haben, sondern nur jene, die keine Sozialleistungen bekommen. Ebenso frage ich mich: Warum fassen Sie die Leistung zur Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und die zusätzlichen Betreuungsleistungen nicht in einer einheitlichen Entlastungspflege in Form eines Entlastungsbetrages zusammen? ({2}) Oder: Warum ist in Ihrem Gesetzentwurf nichts zu finden, wie Sie zur Sicherung der Qualität in der Pflege einen bundesweit einheitlichen und verbindlichen Standard im Hinblick auf eine qualitätsbezogene Personalbemessung einführen wollen? Nebenbei bemerkt: Das Wort „Fachkräfte“ kommt in Ihrem Entwurf sowieso nur beiläufig vor. Das ist sehr bedauerlich für alle Pflegekräfte, die tagtäglich zum Beispiel im Dreischichtsystem unter schwierigsten Bedingungen sehr gute Arbeit leisten. ({3}) Bringen Sie endlich die bundeseinheitliche Personalbemessung auf den Weg. Das wäre wirklich einmal etwas, was Sie gut anpacken könnten. ({4}) Die Linke hat wiederholt zu diesen Fragen Vorschläge für eine problemadäquate und soziale Pflegereform in die Debatte eingebracht. Die wichtigsten Punkte will ich hier an dieser Stelle noch einmal anführen. Führen Sie endlich einen umfassenden Pflegebegriff ein; denn Menschen mit kognitiven und/oder psychischen Beeinträchtigungen müssen endlich genauso wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen erfasst werden. Um den Wert der Pflegeleistungen auch in Zukunft zu erhalten, braucht es eine Leistungsdynamisierung, die sich an den realen Lohn- und Preisentwicklungen orientiert. Die Gesetzeslücke bei Hilfe zur Pflege ist zu schließen. Häusliche Betreuung muss zu den Leistungen nach § 28 Absatz 1 SGB XI hinzugefügt werden, damit alle einen Anspruch auf häusliche Pflege erhalten. ({5}) Die Fraktion Die Linke fordert weiterhin: Streichen Sie die Regelung für eine Wartezeit von sechs Monaten für die Inanspruchnahme von Verhinderungspflege. Verhindern Sie weiteres Lohndumping in der Pflege, und erhöhen Sie den flächendeckenden gesetzlichen Pflegemindestlohn für die Beschäftigten, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege erbringen, in Ost und West auf 12,50 Euro pro Stunde, wie es auch die Gewerkschaft Verdi fordert. ({6}) In diesem Zusammenhang will ich auch noch erwähnen, dass ich mit großer Sorge - Herr Nüßlein, im Gegensatz zu Ihnen - die Umwandlung von 40 Prozent des Sachleistungsbetrags in Geldleistungen für niedrigschwellige Betreuungsleistungen verfolge; denn damit wird das Pflegestärkungsgesetz zum Anheizer eines neuen privaten Pflegemarktes. Können Sie sich nicht vorstellen, was in einer Branche passiert, in der es nur um Geld und Zeit geht? Führen Sie sich einmal vor Augen, wie es dann weitergehen wird. Man muss wohl keine hellseherische Fähigkeit haben, um vorauszusagen, dass sich der Trend zur Minutenpflege noch weiter verstärken wird. Außerdem werden weitere Tore für noch mehr prekäre Beschäftigung geöffnet werden. Das kann nicht in unserem Sinne sein, meine Damen und Herren. ({7}) Es ist ebenso voraussehbar, dass es zur Vermischung von Grundpflege, Hauswirtschaft und Betreuungsangeboten kommt. Das wäre ein Einfallstor zu einer Absenkung der Qualitätsstandards, die wir wirklich nicht wollen. Wenigstens das müsste Sie doch wachrütteln. ({8}) Weiterhin sind wir der Auffassung: Lassen Sie die Finger von dem unsäglichen Vorsorgefonds, über den wir bereits gesprochen haben. Nutzen Sie das Geld lieber dort, wo es dringend gebraucht wird. Meine Fraktion wird in dieser Frage auch dem Änderungsantrag der Grünen zustimmen. Führen Sie lieber die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege ein. Schaffen Sie die Beitragsbemessungsgrenze ab, und beziehen Sie alle Einkommensarten ein. Damit können Sie die Pflegeleistung deutlich ausweiten und deren Finanzierung endlich auf eine solide Grundlage stellen. Der Pflege-Bahr gehört abgeschafft - auch das haben wir heute schon gehört -; denn er sorgt dafür, dass das Geld vor allen Dingen in die Versicherungswirtschaft fließt und nicht in die Leistungen für die Versicherten, die sie dann im Alter benötigen, wenn sie Pflegebedarf haben. In unserem vorliegenden Antrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, gehen wir noch einmal auf die wichtigsten Punkte ein. Diese Punkte würden Ihren Gesetzentwurf im Sinne einer sozialen Pflegepolitik aufwerten - für die Pflegebedürftigen, die Angehörigen und die in der Pflege Beschäftigten. Hören Sie mit Ihrem Klein-Klein auf, und gehen Sie das Problem endlich wirklich nachhaltig an. Dann haben Sie uns, Die Linke, an Ihrer Seite. Mit Ihrer derzeitigen Politik schieben Sie die Probleme aber nur auf. ({9}) - Jetzt sind Sie endlich einmal wach geworden. Das freut mich sehr. ({10}) Daher können wir dem, was Sie bisher gesagt haben, und Ihrem Gesetzentwurf nicht folgen. Danke schön. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Mechthild Rawert, SPD, das Wort. ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gesagt. Getan. Gerecht.“ Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben im SPD-Regierungsprogramm und dann auch in unserem gemeinsamen Koalitionsvertrag versprochen, die Situation der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Menschen, die in der Pflege arbeiten, zu verbessern. Und jetzt halten wir unsere Versprechen. Ich freue mich, Ihnen über den Erfolg der ersten Stufe der Reform der sozialen Pflegeversicherung zu berichten. ({0}) Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz I viele Menschen bessergestellt. Dieses Gesetz ist Teil eines größeren Pflegereformvorhabens in dieser Legislaturperiode. Hierzu gehören das Pflegezeitgesetz - das übrigens sehr viel besser ist, als Sie es gerade dargestellt haben, Frau Zimmermann -, das Pflegeberufegesetz und vor allen Dingen das Pflegestärkungsgesetz II mit dem neuen Begriff der Pflegebedürftigkeit und einem neuen Begutachtungsverfahren. Wer jetzt noch Begrifflichkeiten wie „Minutentakt“, „zu wenig Zeit“ benutzt und beklagt, Pflege beschränke sich nur auf das Saubermachen, der muss wissen: Das ist ein vorübergehender Zustand. Wir ändern vieles schon mit diesem Gesetz. ({1}) Wir verfolgen einen politischen roten Faden und setzen langjährige Forderungen der SPD um. ({2}) Hier ist zu nennen: Wir schaffen deutliche Verbesserungen für Pflegebedürftige. Wir stärken die häusliche Pflege. Wir berücksichtigen sehr viel stärker die individuellen Bedarfe. Wir sorgen für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf; denn wir wissen, dass ein jedes Unternehmen nur dann wirtschaftlichen Erfolg hat, wenn es sich tatsächlich um das große Thema „Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Kinderbetreuung und Pflege“ kümmert. ({3}) Wir sorgen auch für eine materielle Aufwertung der Pflegeberufe und für gute Arbeit in der Pflege. Wir sorgen für mehr Teilhabe pflegebedürftiger Menschen. Zweifeln Sie nicht - Frau Scharfenberg, Sie haben es erwähnt -: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden in einer älter werdenden Gesellschaft in einer neuen Legislaturperiode die Finanzierung der Pflege noch auf andere Füße stellen - mit der Bürgerversicherung. ({4}) Dies ist ein Gebot der Solidarität. Jetzt erfüllen wir aber unseren Koalitionsvertrag. Wir denken Pflege vom Menschen her. Eine häusliche, eine ambulante oder eine stationäre pflegerische Versorgung und Beratung müssen sich immer verfeinern. Wir sind nah dran an den Menschen in ihren vielfältigen Lebenswelten und ihren differenzierten Betreuungs- und Pflegebedarfen. Ich denke zum Beispiel an die Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten, von Menschen mit Behinderungen, von Schwulen, Lesben und transidenten Menschen, von Menschen mit eingeschränkten Alltagsfähigkeiten. Sie alle haben ein Bedürfnis und ein Recht auf eine diskriminierungsfreie qualifizierte Pflege. Um die Würde als Mensch zu stärken - wir alle sind daran interessiert, dass sie nicht verloren geht -, müssen wir Freiheit und, soweit als möglich, auch selbstbestimmte Entscheidungen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen ermöglichen. Dazu bedarf es aber des Abbaus von Zugangsbarrieren. Hierzu leisten wir mit diesem Pflegestärkungsgesetz I einen wichtigen Beitrag. Wir alle, unsere ganze Gesellschaft, müssen es ermöglichen, dass Pflegebedürftige sich zugehörig und aufgehoben fühlen. Unser Ziel ist ein verstärktes Zugehörigkeitsgefühl. Die UN-Behindertenrechtskonvention nennt es ein „enhanced sense of belonging“. ({5}) - Ich habe es gerade gesagt, Herr Spahn. Das heißt „verstärktes Zugehörigkeitsgefühl“. Außerdem wollen wir mehr Geschlechtergerechtigkeit. Die scheinbare Selbstverständlichkeit, dass Frauen auch in Zukunft die Hauptlast der Pflegearbeit tragen, ist trügerisch - nicht aus Mangel an Liebe der Frauen zu ihren Familien, sondern aufgrund von zunehmender Erwerbstätigkeit und höherer Mobilität. Ich bin froh über die vielen Leistungsverbesserungen im Pflegestärkungsgesetz I, über den Ausbau und die flexiblere Inanspruchnahme von Kurzzeit- und Verhinderungspflege und der Tages- und Nachtpflege, über die Zunahme der niedrigschwelligen Angebote, über die Erhöhung des Wohngruppenzuschlags und über - darauf bin ich als Sozialdemokratin besonders stolz - die bessere Förderung des barrierefreien Umbaus der eigenen Wohnung. ({6}) Denn Barrierefreiheit ist Voraussetzung dafür, dass Menschen zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung, bleiben können. Wir werden so den Alltag und die Organisation der häuslichen Pflege verbessern. Ja, Pflegende und Pflegebedürftige haben ein Recht auf bessere Lebensqualität. Wir als Politik werden dafür sorgen, dass dieses Recht für die ambulante, die teilstationäre und die stationäre Versorgung gilt. Wir haben hier alles umfassend im Blick. Daher dieser erste positive Schritt; der zweite folgt in Kürze. ({7}) Wir haben gut verhandelt. Die SPD hat sich für die Anerkennung der Tariflöhne bei Pflegesatz- und Pflegegüteverhandlungen sehr starkgemacht. Niemand darf mehr eine Bezahlung nach Tarif als unwirtschaftlich ablehnen, und niemand darf eine entsprechende Vergütung nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen als unwirtschaftlich ablehnen. ({8}) Ich bin dem Bundesministerium für Gesundheit dankbar für diese Ergänzung, zumal ich selber auch schon bei öffentlichen und kirchlichen Trägern gearbeitet habe und daher weiß, wie bedeutsam es ist, hier das Arbeitsrecht einzuhalten. Wir haben durchgesetzt, dass vereinbarte Tariflöhne tatsächlich bei den Beschäftigten anzukommen haben und nicht zwischendurch kleben bleiben dürfen. ({9}) Wir setzen uns also für die konsequente tarifliche Bezahlung auch in der Pflege ein. Auch Pflegeeinrichtungen profitieren von diesem Gesetz durch weniger Bürokratie. Vorhin ist gesagt worden, wir würden hier einen Markt entwickeln, der unreguliert ist. Wir werden zeitnah eine Evaluation vorlegen; denn niemand ist daran interessiert, dass sich ein Markt von personenorientierten Dienstleistungen tatsächlich unreguliert entwickelt. Auch hier wird das Arbeitsrecht in jedem Fall gelten. Dazu ist die Evaluation da. ({10}) Zusammenfassend: Niemand soll glauben: Das war’s schon. Jetzt kommt das Pflegestärkungsgesetz I. Dann kommt das Pflegezeitgesetz. Dann kommt das Pflegeberufegesetz.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Liebe Frau Kollegin Rawert, denken Sie an die Redezeit.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin beim letzten Satz. - Dann kommt vor allen Dingen noch das Pflegestärkungsgesetz II. Wir sorgen auch für eine sichere und nachhaltige Finanzierung. ({0}) Ich freue mich darauf, dass wir in zwei Wochen gemeinsam weiter daran schaffen, damit es auch insgesamt zügig vorangeht. Danke schön. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Maria Klein-Schmeink.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es scheint mir zu gelten: Froh zu sein bedarf es wenig. ({0}) Die Frage ist: Ist das eigentlich angemessen für die Pflege und für die Situation, die wir in der Pflege vorfinden? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, ich meine, Sie hätten hier eigentlich etwas mehr Demut und etwas mehr Realismus an den Tag legen müssen. Sie haben vier Jahre verloren. Das ist verlorene Zeit für die Pflegebedürftigen und für die Pflegenden gewesen. Da haben Sie fast nichts gemacht. Jetzt kommt eine Pflegereform in Trippelschritten daher. Das ist der Grund, warum die Leute jetzt so enttäuscht sind und sagen: Dieses Pflegestärkungsgesetz reicht uns nicht. ({1}) Dieser Meinung sind nicht nur die Grünen, dieser Meinung ist nicht nur die Linke, sondern dieser Meinung sind auch viele Sachverständige gewesen. Auch aus der Bevölkerung und aus der Pflege selbst ist große Enttäuschung zu spüren. ({2}) Dieser Enttäuschung, liebe SPD, müsst ihr euch stellen. Ich kann gut nachvollziehen, dass es ganz schön schwierig ist, zu erreichen, dass die Union in die Pötte kommt. ({3}) Trotzdem muss man sagen: Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist zu wenig. ({4}) Sie erhöhen den Beitragssatz nur um 0,3 Prozentpunkte. 0,1 Prozent bleiben allein schon für den Pflegevorsorgefonds auf der Strecke. Die Mittel kommen nicht bei den Pflegenden und nicht bei den Pflegebedürftigen an. ({5}) Das ist ein Depot für die Zukunft. 20 Jahre lang werden 0,1 Prozent angespart, um das Geld in 20 Jahren auszugeben. Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun? Nichts! Das ist doch die Wahrheit. ({6}) Dann bleiben noch 0,2 Prozentpunkte. Von den daraus resultierenden Mitteln sind ungefähr 880 Millionen Euro nur dafür da, um die Leistungen, die wir schon jetzt haben, zu erhalten. Noch nicht einmal das gelingt Ihnen wirklich. Der Preisverfall wird nicht voll ausgeglichen; das haben uns die Sachverständigen deutlich gesagt. Die Dynamisierung, die Sie jetzt ein Mal vornehmen - das ist noch nicht einmal regelgebunden, also nicht verlässlich -, ({7}) reicht noch nicht einmal, um sozusagen den Verfall der Pflegeleistungen, die man von der Pflegeversicherung bekommt, aufzuhalten. Das ist doch die Wahrheit, die wir anschauen müssen. ({8}) Dann bleibt tatsächlich noch etwas für Verbesserungen in der Pflege übrig, aber nicht für die entscheidenden Verbesserungen, die wir eigentlich bräuchten, ({9}) um zum Beispiel die Minutenpflege wirklich abstellen zu können. Es geht doch auch um die Frage: Wie kriegen wir Pflege teilhabegerechter hin? Da werden wir allein mit dem, was Sie jetzt an Flexibilisierung vorsehen, nicht auskommen; da brauchen wir viel mehr. Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Die weitere Pflegereform steht doch noch aus. Wir wissen schon heute - das haben uns die Sachverständigen sehr deutlich gesagt -, dass diese weitere Stufe unterfinanziert sein wird. Man wird mit dem Beitragssatz von 0,2 Prozent, den Sie bereit sind draufzulegen, diese weitere Stufe nicht hinbekommen. Sie ist schon jetzt unterfinanziert, und Sie haben keinen Plan dafür, wie das gehen soll. Das ist doch die Wahrheit. ({10}) Ich hörte, dass Herr Kauder vorhin sagte: Wie, da soll noch mehr Geld hin? - Genau das bezeichnet nämlich Ihre Haltung zur Pflege. Es geht Ihnen nicht darum, zu schauen, was wir wirklich brauchen, um zukunftsfähig zu sein. Ihnen geht es nur um die Frage, wie Sie die Kosten bei den Beitragssätzen deckeln können. Das ist auch deshalb so, weil Sie mit den Beitragssätzen wesentliche andere Aufgaben finanzieren wollen. Sie lassen anstelle der Steuerzahler die Beitragszahler zahlen. ({11}) Das ist Ihre Methode, mit der Sie an die Lösung von Zukunftsproblemen herangehen wollen. Das ist verfehlt. ({12}) - Nein, sie sind nicht lang, sondern ich zeige genau auf, wo wir mit diesem Pflegestärkungsgesetz landen werden. Das ist eine Pflegereform nur in Trippelschritten, und wir müssen leider fürchten, dass die weiteren Stufen nicht wirklich kommen. Das ist die Wahrheit, um die es hier eigentlich geht. ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kipping, was Sie hier gerade gesagt haben, war schon entlarvend. Sie haben im ersten Teil Ihrer Rede in Stamokap-Rhetorik ({0}) über Finanzfantasien gesprochen. Sie haben es geschafft, hier minutenlang zu reden, ohne einmal diejenigen zu erwähnen, um die es in der Pflege wirklich geht, nämlich um die Menschen, das heißt um die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Sie befinden sich in irgendwelchen Theoriegebäuden, und wir sind bei den Menschen. Das ist heute hier wieder deutlich geworden. ({1}) Worum geht es bei der Pflege? Worum geht es, wenn man pflegebedürftig ist? Es geht darum, dass man Unterstützung im Alltag braucht, dass man Unterstützung braucht, wenn man morgens nicht mehr allein aufstehen und sich waschen kann. Das ist für diejenigen, die langsam erkennen müssen, diese Hilfe zu brauchen, nachdem sie 60, 70 oder 80 Jahre lang im Leben ihren Mann bzw. ihre Frau gestanden haben, ({2}) die merken, dass sie es nicht mehr alleine schaffen, eine ganz große Herausforderung. Es geht um eine Situation, in der Menschen - die Pflegebedürftigen wie auch ihre pflegenden Angehörigen - Unterstützung brauchen. Darüber ein wenig zu reden, ({3}) das wäre heute Morgen angemessen gewesen - und nicht das Geschrei, das Sie hier veranstaltet haben. ({4}) Genau diese Unterstützung im Alltag wollen wir auch liefern. Worum geht es den meisten, die man fragt, was sie brauchen und worum es in der Pflege eigentlich geht? Die meisten sagen dann: Wir brauchen mehr Zeit und mehr Pflegekräfte bzw. ein Stück weit mehr Unterstützung dabei, uns kümmern zu können. Das brauchen wir, um als pflegende Angehörige auch einmal eine Insel der Erholung zu haben. ({5}) Genau da, beim ambulanten Bereich der Pflege, setzen wir an. ({6}) - So wie Sie hier krakeelen, Frau Kipping, scheint das ja wehgetan zu haben. Bei der ambulanten Pflege geht es darum, dass man nicht nur die klassischen Pflegeunterstützungen - die soll es natürlich auch weiterhin geben - im Alltag bekommt, sondern dass es für pflegende Angehörige mehr Möglichkeiten gibt, sich Inseln des Luftholens zu verschaffen. Es geht um Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Es geht darum, dass man weiß, dass zweimal in der Woche - am Dienstag- oder Donnerstagnachmittag jemand für drei oder vier Stunden da ist, sodass man seinen Hobbys nachgehen und seine Freundschaften pflegen kann. Zu Hause pflegender Angehöriger zu sein, heißt, sieben Tag die Woche 24 Stunden lang im Einsatz zu sein. Genau diesen Menschen wollen wir helfen, Inseln der Entlastung im Alltag zu haben. Das machen wir mit den Betreuungs- und Entlastungsleistungen möglich. ({7}) Das Gleiche gilt für die stationären Einrichtungen. Pro 20 Pflegebedürftige wird es eine Betreuungskraft geben. Das macht im Ergebnis für Deutschland 50 000 Betreuungskräfte. Das ist - dies wird von den Pflegekräften bestätigt, mit denen wir in den Einrichtungen reden Jens Spahn eine enorme Entlastung. Die Pflegekräfte sagen: Wir haben es gemerkt, dass es neue Kräfte schon in einem ersten Schritt gab. Wir werden auch das merken, was ihr jetzt tut: dass es mehr Personal gibt. Es entlastet uns im Alltag. Wir haben insgesamt wieder mehr Zeit. - Deshalb sind beide Maßnahmen - sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich - ein wichtiges Signal für mehr Zeit und Unterstützung in der Pflege. ({8}) Insofern ist das, liebe Frau Scharfenberg und liebe Frau Klein-Schmeink, was Sie hier gesagt haben, schon ein bisschen Hohn. Sie sagen, das sei luftleer bzw. irgendwie Kosmetik oder Arithmetik. Auch sprachen Sie von „Trippelschritten“. Wir können ja einmal mit den pflegenden Angehörigen, den Pflegekräften und den Pflegebedürftigen sprechen. ({9}) Ich war in diesen Tagen bei einer Selbsthilfegruppe pflegender Angehöriger. Die sagen: Wir brauchen genau das: Entlastung bzw. Hilfen im Alltag und Inseln der Erholung. - Genau das geben wir ihnen. Es ist einfach ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen, wenn Sie sagen: Das ist nichts. Das ist luftleer. Das sind Trippelschritte. Für die pflegenden Angehörigen ist es eine enorme Hilfe. ({10}) Auch da hat die Linke in ihrer Argumentation wieder etwas Besonderes geschafft; das haben wir gerade gehört. Sie sind es, die wirklich bei jeder Gelegenheit kritisieren, dass es private Anbieter in der Pflege oder im Gesundheitswesen gibt. Alles, was privat und nicht staatlich ist, ist bei Ihnen schlecht. Bei der Argumentation zu den Entlastungsleistungen schaffen Sie es, die Stellungnahme des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste bis in die Wortwahl eins zu eins aufzugreifen und zu zitieren. Sie stellen sich damit gegen den Sozialverband Deutschland, gegen den VdK und gegen die BAG Selbsthilfe. Die Sozialverbände sagen: Das, was ihr tut, ist richtig. Die privaten Anbieter sagen: Das ist falsch. ({11}) Die Linken sind aufseiten der privaten Anbieter. Es ist bemerkenswert, das heute hier festzustellen. Sie sind mit Ihrer Argumentation nicht aufseiten der Sozialverbände, Sie sind aufseiten der privaten Anbieter. ({12}) - Ja, ja, ich weiß, es tut weh, wenn man sich verrannt hat, aber am Ende ist es so. ({13}) Worum geht es noch, wenn wir über Zeit reden? Die Pflegenden sagen uns: Es geht auch darum, dass ihr Bürokratie abbaut. Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, Häkchen zu machen, um zu dokumentieren, was wir den ganzen Tag gemacht haben, und kommen viel zu wenig dazu, uns um die Menschen zu kümmern. - Genau das - der Minister hat es gesagt - steht zwar nicht im Gesetz, aber wir regeln es parallel, indem wir bei der Dokumentation zu Veränderungen kommen. Hier geht es eigentlich um etwas ganz Banales, etwas sehr Vernünftiges. Wir müssen davon wegkommen, alles zu dokumentieren, dass man all das nachweisen muss, was den ganzen Tag abgelaufen ist. Wir wollen hin zu dem einfachen Prinzip, nur noch das zu dokumentieren, was ungewöhnlich, was anders als am Vortag war. Jeder sieht, dass Dokumentation nötig ist, um die Qualität nachvollziehbar zu machen. Am Ende muss es aber ein vernünftiges Maß und vernünftige Regeln zur Dokumentation geben. Hier gehen wir einen wichtigen Schritt nach vorne. Das sagen auch diejenigen, die in der Pflege tätig sind. Das bringt 20 bis 30 Prozent weniger Pflegebürokratie. Selbst wenn es nur die Hälfte wäre, wäre es ein guter Schritt nach vorne, weil dies mehr Zeit für die Pflegbedürftigen bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({14}) Kommen wir zu dem, was die Menschen wollen. Sie von der Opposition sagen, all das, was wir jetzt tun, gehe an den Zielen der Menschen vorbei. Ein wichtiger Aspekt dabei ist - er ist bereits angesprochen worden -: Die Menschen wollen möglichst lange zu Hause bleiben, möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Dafür gibt es die Entlastungs- und Betreuungsleistungen. Dazu gehört aber auch die Möglichkeit, das eigene Zuhause umzubauen, etwa etwas an der Dusche zu verändern, das Bad insgesamt umzubauen oder die Türen zu verbreitern. Wir erhöhen den Zuschuss, den die Pflegeversicherung für solche Umbaumaßnahmen vorsieht, auf 4 000 Euro pro Maßnahme. Frau Ministerin Hendricks hat gerade angekündigt, dass die KfW das altersgerechte Umbauen von Wohnungen durch günstige Kredite und entsprechende Zuschüsse weiter fördern wird. Auch hier helfen wir den Menschen, ihren größten Wunsch, länger in den Wohnungen bleiben zu können, umzusetzen. Deswegen ist dies ein guter Tag für Pflegende und Pflegebedürftige in Deutschland. ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Spahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jederzeit.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben jetzt sehr beredt verschiedene Verbesserungen aufgezählt. Das waren sehr einfache Dinge, wie zum Beispiel die Wohnraumanpassung. Das ist leicht verständlich. Warum haben Sie es in den letzten vier Jahren nicht geschafft, genau diese Dinge auf den Weg zu bringen? Warum hat es diese Leistung zur Entlastung pflegender Angehöriger nicht schon längst gegeben? Warum hat es den Bürokratieabbau nicht gegeben? Sie hatten dafür extra eine Fachbeauftragte. Warum hat es das alles nicht gegeben? Warum müssen wir jetzt darüber reden und müssen gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass die eigentliche Pflegereform schon wieder verschoben worden ist? ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, auch Sie sind schon ein bisschen länger dabei. Wenn Sie an die letzten Jahre denken, wüssten Sie genauso gut wie ich, dass wir in der christlich-liberalen Koalition in der letzten Legislaturperiode mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz schon ganz wichtige erste Schritte in Richtung mehr Betreuung gegangen sind. ({0}) Wir haben zum ersten Mal in größerem Umfang Demenz, die Einschränkung kognitiver Fähigkeiten, berücksichtigt. Wir haben zum ersten Mal Hilfe gegeben. Wir gehen diese Schritte jetzt weiter. Das ganze Leben ist Evolution, Weiterentwicklung. ({1}) - Wenn das einzige Argument, das Sie hier noch haben, um dagegen zu stimmen, ist, dass es zu spät und zu wenig ist, dann ist das ein schlechtes Argument, das Sie hier vorbringen, um am Ende Nein sagen zu müssen und den Menschen nicht im Alltag zu helfen. Das ist das einzige Argument, das Sie hier vorbringen. ({2}) Sie wissen genau, dass die Dinge sich entwickeln müssen. Sie wissen genau, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff jetzt erst einmal in der Praxis getestet werden muss. Eines ist nämlich klar: Wir machen kein Experiment mit 1 Million Menschen in Deutschland. Jedes Jahr werden 1 Million Menschen neu in der Pflegeversicherung eingestuft - „eingestuft“ ist so ein furchtbares Wort -, ({3}) oder besser gesagt: Man schaut, welche Hilfe sie brauchen. Wir sagen: Nur weil es theoretische Konzepte gibt, wie das zu verändern wäre und wie man das anders sehen könnte, können wir diese nicht mal eben 1 Million Menschen überstülpen, sondern wir müssen das erst in Modellprojekten in der Praxis erproben und fragen: Was ist vorher? Was ist nachher? Wenn wir dann sehen, dass es gut ist und ohne Fehler funktioniert, machen wir es für alle. Das ist vernünftig. Dann bricht auch kein Chaos aus, und es ist vor allen Dingen Planungssicherheit gegeben. Deswegen dauert es noch ein paar Monate, und die werden wir uns noch gedulden müssen, liebe Frau Kollegin. ({4}) Ich komme zum Vorsorgefonds, der hier schon mehrfach angesprochen wurde. 1964 wurden 1,4 Millionen Menschen in Deutschland geboren - der Kollege Nüßlein hat gerade darauf hingewiesen -, der geburtenstärkste Jahrgang, den es jemals in Deutschland gab. Diese Menschen wurden oder werden in diesem Jahr alle 50 Jahre alt. In diesem Jahr werden, wenn es gut läuft, 650 000 Kinder geboren - halb so viele. Das heißt, wir wissen jetzt schon: Wenn die Menschen dieses geburtenstarken Jahrgangs in 25, 30 oder 35 Jahren teilweise pflegebedürftig werden - bis zu einem Drittel jedes Jahrgangs braucht wahrscheinlich Unterstützung im Alter -, dann wird es wesentlich weniger Beitragszahler, wesentlich weniger junge Menschen in Deutschland geben, die das am Ende mitfinanzieren müssen. Dass wir heute anfangen, zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungssystem gezielt eine Rücklage für diese Zeit zu bilden, ({5}) ist übrigens nicht nur ein Schutz für künftige Beitragszahler, sondern vor allem auch ein Schutz für künftige Pflegebedürftige; denn nur dann, wenn finanzielle Spielräume da sind, wird nicht über Leistungskürzungen geredet. Ja, natürlich ist Sparen im Heute immer schwerer, als Geld auszugeben. Sie haben immer ganz viele Ideen, was man alles noch finanzieren könnte. Die hätten wir auch. Sparen ist immer anstrengender, weil es Konsumverzicht im Heute bedeutet. Aber eine kluge Gesellschaft sorgt für das Morgen vor, wenn sie weiß, was da passiert. Genau das tun wir an dieser Stelle. ({6}) Man hätte sich im Übrigen - es ist schon darauf hingewiesen worden - gerade von den Grünen gewünscht, die doch sonst immer von Nachhaltigkeit reden und davon, dass man an spätere Generationen denken müsse, dass sie in ihrer Argumentation einmal etwas mehr auf diese demografische Veränderung in Deutschland eingehen. Wir werden weniger, und wir werden älter. Das ist ja erst einmal etwas Schönes. Aber das Ganze muss am Ende auch noch gestaltbar und finanzierbar sein. Man hätte sich gewünscht, dass Sie auch dazu einmal zwei oder drei Sätze grundsätzlicher Art sagen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Kollege Spahn, die Kollegin Scharfenberg hätte auch gern eine Zwischenfrage gestellt oder eine Zwischenbemerkung gemacht.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie hat zwar auch schon geredet, aber gerne. ({0}) - Offensichtlich.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich hätte noch einmal eine Frage zu dem Vorsorgefonds. Es gab ja Anhörungen. Da gab es kaum einen Experten, der diesem Pflegevorsorgefonds, über den wir heute abstimmen, etwas Positives abgewinnen konnte. Das hatte unterschiedliche Facetten; aber es gab eigentlich niemanden, der gesagt hat: Das ist der große Wurf, und das wird etwas bringen. Warum führen Sie ihn trotzdem ein? Warum stellen Sie sich gegen die Expertenmeinungen? Es ist ja nicht nur die Opposition, die das hier moniert.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist ja wie immer bei Anhörungen: Man sucht sich die Meinung heraus, die zur eigenen am besten passt. ({0}) - Jetzt lassen Sie mich einmal den Gedanken zu Ende führen. - Ein Teil der Experten hat gesagt: Eigentlich müsstet ihr noch mehr zurücklegen. ({1}) Dafür hätte ich die Grünen hier gerne kämpfen sehen. Wenn Sie die angebliche Partei der Nachhaltigkeit und derjenigen, die an morgen denken, sind - so deklarieren Sie sich ja immer -, dann müssten eigentlich Sie hier sitzen und sagen: Ihr müsst noch mehr zurücklegen, und nicht weniger. - Das wäre die Argumentation, die ich mir von Ihnen gewünscht hätte. ({2}) Trotzdem ist es am Ende besser, überhaupt einmal anzufangen. Ein Teil der Experten hat gesagt: Es ist richtig, dass ihr anfangt; aber eigentlich müsstet ihr mehr tun. Übrigens haben selbst die deutschen Gewerkschaften gesagt, dass es sinnvoll sei, in der Rentenversicherung Rücklagen zu bilden, wenn wir alle immer älter werden. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip. Ich würde mir zumindest einmal wünschen, dass Sie in Ihren Reden nicht nur immer an das Heute denken und daran, wie wir möglichst viel heute tun können. Sie haben in keiner Ihrer Reden auf die Herausforderung hingewiesen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland in den nächsten Jahren steigen wird. ({3}) Sie sind immer nur im Jetzt, und das war ich von Ihnen eigentlich anders gewohnt. ({4}) Abschließend muss man mit Blick auf das Finanzvolumen sagen: Wir werden den Leistungsumfang der gesetzlichen Pflegeversicherung insgesamt um etwa 10 Prozent erhöhen. Das ist die größte Erhöhung, die es jemals in einem sozialen Sicherungssystem gegeben hat um 2,4 Milliarden Euro. Wir werden dies - es gehört zur Wahrheit dazu; das muss man ehrlich sagen - über eine Erhöhung des Beitragssatzes finanzieren. Ja, für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Rentner werden höhere Beiträge fällig. Aber das Spannende ist: In dieser Debatte in Deutschland gibt es niemanden, der diese Beitragssatzerhöhung kritisiert - Arbeitgeber nicht, Gewerkschaften nicht, Sozialverbände nicht, Pflegeeinrichtungen nicht. Alle sagen, jeder erkennt an - wahrscheinlich, weil jeder schon in der eigenen Familie erlebt hat, was in der Pflege eigentlich nötig ist, um eine bessere Unterstützung zu leisten -, dass wir hier einen richtigen Schritt tun, dass es richtig ist, mehr zu investieren. Ich glaube, das ist die umstrittenste Beitragssatzerhöhung, die es seit langer Zeit in der Bundesrepublik gegeben hat. ({5}) - Sorry! Eine wichtige Silbe fehlte - sehr richtiger Hinweis -: unumstrittenste Beitragssatzerhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. - Dass sie so unumstritten ist, zeigt eben, dass wir in Deutschland am Ende einen ganz wichtigen, richtigen, großen Schritt tun für die Pflegebedürftigen, für ihre Angehörigen und für die Pflegekräfte. ({6}) Insofern könnte man erwarten, dass Sie von Ihrer Brachialrhetorik wegkommen, die weit weg von dem ist, was die Menschen im Alltag erleben, ({7}) und anerkennen, dass wir hier Gutes tun. Die Kollegin hat so schön gesagt: „Froh zu sein bedarf es wenig.“ Ich ergänze: Und wer froh ist, ist ein König. - Seien Sie mal ein bisschen froh über das Gute, das wir hier tun. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Heike Baehrens hat als nächste Rednerin das Wort für die Sozialdemokraten. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Pflegekräfte brauchen eine gute Bezahlung. Denn in der Zukunft werden wir engagiertes und gut qualifiziertes Personal nur dann bekommen, wenn in diesem Beruf ordentlich verdient werden kann. ({0}) Darum stellen wir heute klar, dass das Zahlen von Tarifgehältern in der Pflege nicht mehr von Pflegekassen und Sozialhilfeträgern als unwirtschaftlich abgelehnt werden darf. ({1}) Es hatte gravierende Auswirkungen, dass tarifliche Bezahlung bei der Aushandlung von Pflegesätzen weitgehend nicht anerkannt wurde. Denn das, was Pflegekräfte heute an Druck im Arbeitsalltag erleben, hängt einerseits mit der überbordenden Bürokratie zusammen - daran werden wir jetzt etwas verändern -, andererseits aber ganz wesentlich damit, dass der wirtschaftliche Druck bei den Pflegeanbietern dazu geführt hat, weniger Personal anzustellen und vom Einzelnen immer mehr zu fordern. In den Verhandlungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern, die ich in den letzten 15 Jahren an verantwortlicher Stelle hautnah erlebt habe, kamen wir uns oft vor wie auf einem Teppichbasar. Unter Verweis auf den sogenannten externen Vergleich wurden Pflegesätze fast völlig ohne Berücksichtigung der nachgewiesenen tarifbedingten Personalkostensteigerungen festgesetzt. Langwierige Verhandlungen, aufwendige Schiedsverfahren und gar jahrelang im Raum schwebende Sozialgerichtsverfahren haben alle Verhandlungsbeteiligten zermürbt, haben unendlich viel Arbeitszeit bei den Pflegeanbietern und ihren Verbänden und ebenso bei den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern gebunden. Nicht einmal Tarife wie die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, die sich nachweislich am Tarif des öffentlichen Dienstes orientieren, wurden bei Pflegesatzverhandlungen anerkannt. So entstand über die Jahre ein wirtschaftlicher Druck, der direkt beim Personal und damit auch bei den pflegebedürftigen Menschen angekommen ist. ({2}) In der ambulanten Pflege mussten immer mehr Pflegebedürftige von immer weniger Pflegekräften versorgt werden. In der stationären Pflege, in der es vereinbarte Personalschlüssel gibt und damit kein Absenken des Personals möglich ist, gliederten immer mehr Pflegeunternehmen einzelne Leistungsbereiche in sogenannte Serviceunternehmen aus, um beispielsweise Reinigungskräfte oder hauswirtschaftliches Personal untertariflich zu bezahlen. Gute Stimmung in der Pflege macht so etwas nicht. ({3}) Wettbewerb war in der Pflegeversicherung zwar von Anfang an gewollt, es war aber nicht gewollt, dass die Pflegedienste, die ihrem Personal Tarifgehälter zahlen, dies letztlich damit bezahlen müssen, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege und damit auch die Qualität der Pflegeleistungen verschlechtern. So war es ein Befreiungsschlag, aber ein längst überfälliger, dass sich das Bundessozialgericht im Jahr 2013 nach mehreren Musterverfahren endlich dazu durchgerungen hat, höchstrichterlich zu entscheiden, dass die Einhaltung der Tarifbindung und die Zahlung ortsüblicher Gehälter grundsätzlich als wirtschaftlich angemessen zu werten sind und den Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung entsprechen. ({4}) Es ist folgerichtig, dass wir heute diese wichtige Erkenntnis in das SGB XI aufnehmen und damit den Rahmenvertragspartnern in den Bundesländern eine klare Richtschnur geben. ({5}) Das ist mitnichten nur eine handwerkliche Klarstellung. Es ist zuallererst ein fundamentaler Beitrag zur Stärkung der Pflege. ({6}) Damit erkennen wir gute Bezahlung an, damit stärken wir jenen Pflegediensten den Rücken, die mit verlässlichen Arbeitsbedingungen und ordentlicher Bezahlung ihrer Mitarbeiter eine qualitativ gute Pflege leisten; denn sie sind diejenigen, die in unserer Gesellschaft das Ansehen des Pflegeberufes hochhalten. Wir geben heute ein klares Signal an die Verhandlungspartner auf Länderebene, solche geordneten Verhältnisse anzuerkennen und bei der Preisgestaltung einzukalkulieren. Wir senden eine klare Botschaft an die Pflegeanbieter, ihr Personal weiterhin nach Tarif oder kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien zu bezahlen, sich in der Pflege für Tarifbindung in der Fläche einzusetzen und die praktizierten Fluchtbewegungen wieder einzustellen. ({7}) Wir rufen jenen Anbietern, die derzeit ihr Personal noch nicht angemessen bezahlen - dafür gibt es leider jede Menge schlechter Beispiele aus den Medien -, zu: Zahlen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pflege endlich das, was ihnen für ihre wertvolle Arbeit zusteht, nämlich ein anständiges Gehalt, auf das sie sich verlassen können! ({8}) Die heutige gesetzliche Klarstellung - noch dazu, wenn sie, wie sich im Ausschuss abgezeichnet hat, einstimmig beschlossen werden sollte - ist ein starkes Signal der Politik an alle, denen eine würdevolle Pflege bei Krankheit und im Alter am Herzen liegt. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Erwin Rüddel spricht als Nächster für die CDU/CSU. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute zum Wohle der Pflegebedürftigen, ihrer Familienangehörigen und der Pflegekräfte beschließen, ist von meinen Vorrednern aus der Koalition ausgiebig - und ich sage ausdrücklich: zu Recht - gewürdigt worden. Denn dieses erste Pflegestärkungsgesetz ist ein großer Reformschritt, der vielen Menschen mehr Rechte, mehr Geld und flexiblere Leistungen bringen wird. Darin hat uns die Expertenanhörung zu diesem Gesetz bestärkt. Es ist eine überzeugende Reform. Es ist der erste Schritt zum großen Wurf, den wir gemeinsam im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode versprochen haben. Dazu gehört selbstverständlich auch die zweite Stufe der Reform, mit der wir ab 2017 die Menschen mit demenziellen Erkrankungen in der Pflegeversicherung entscheidend besserstellen werden. Aber ich denke auch an eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen, die die Lage pflegebedürftiger Menschen substanziell verbessern werden. Dazu gehört zweifellos die Familienpflegezeit, die das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg gebracht hat. Mindestens ebenso wichtig ist die Optimierung der medizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen. Eine gute flächendeckende Versorgung von Pflegebedürftigen kann nur gelingen, wenn gleichzeitig auch eine gute flächendeckende ambulante und stationäre Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. ({0}) Dem Bundesgesundheitsminister gebührt deshalb Dank für den zielführenden Referentenentwurf des kommenden Versorgungsstärkungsgesetzes; denn dieser geht genau in die richtige Richtung: ({1}) Wir brauchen mehr Arztpraxen in ländlichen Regionen. Wir werden die dafür entscheidenden Anreize setzen. Wir brauchen, vor allem auf dem Land, neue, sektorübergreifende Versorgungsformen, die wir mit dem künftigen Innovationsfonds fördern werden. Wir werden den Ausbau der Ärztenetze unterstützen. Wir setzen den Koalitionsvertrag um und machen die Förderung von Praxisnetzen verbindlich, womit wir nicht zuletzt auch die Versorgung pflegebedürftiger Menschen verbessern. Wir sorgen dafür, dass Zahnärzte künftig häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen in Pflegeheime kommen. Wir werden das entsprechend honorieren und erhöhen die Leistungen zur zahnmedizinischen Prävention. Wir schaffen mit einem Betreuungspaket ein maßgeschneidertes Entlassmanagement für die Zeit nach Krankenhausaufenthalten. Und wir werden mit dem Versorgungsstärkungsgesetz künftig auch die ärztliche Delegation fördern: Nicht jede Behandlung muss von einem Arzt vorgenommen werden. Bestimmte Tätigkeiten können auch unter Anleitung eines Arztes durch andere Gesundheitsberufe erfolgen. Das entlastet die Pflegekräfte und hilft den Pflegebedürftigen. Parallel zu diesen Maßnahmen müssen wir uns um ein optimiertes Medikamentenmanagement kümmern, und zwar sowohl in der stationären wie auch in der ambulanten Versorgung. Die Patientensicherheit erfordert gerade bei Multimorbidität ab einer bestimmten Anzahl von Wirkstoffen eine speziell honorierte Lotsenfunktion im System. Das elektronische Rezept oder eine passgenaue Verblisterung können in der stationären Versorgung auch die Pflege entlasten, mehr Zeit für Zuwendung schaffen, aber auch die Chance für einen längeren Verbleib in häuslicher Umgebung erhöhen und den Arzneimittelverbrauch reduzieren. Wenn dadurch Klinikaufenthalte entfallen, entlastet dies zugleich die Krankenkassen, besonders aber die Pflegebedürftigen. ({2}) Ein weiteres wichtiges Thema ist der Bürokratieabbau. Die Dokumentationspflichten müssen reduziert werden. Das ist aber alles kein Selbstläufer. Wir brauchen eine starke Moderation bei der Überarbeitung der Qualitätskriterien. Hier habe ich vollstes Vertrauen in unseren Pflegebeauftragten, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, und die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach. ({3}) Politik, Selbstverwaltung und Träger müssen an einem Strang ziehen. Ziel ist und bleibt, nicht mehr die Strukturqualität, sondern die Ergebnisqualität zu prüfen. Die gewonnene Zeit steigert die Qualität und stärkt die Pflege. Dabei kommt es darauf an, Qualität, Bürokratieabbau und Transparenz in der Pflege nicht gesondert zu betrachten, sondern als Dreiklang. Nur dann ist wirklich ein Systemwechsel möglich. Nötig ist schließlich auch eine Reform der Pflegeausbildung - hier baue ich darauf, dass die Familienministerin eine ebenso umsichtige wie schlüssige Konzeption vorlegen wird -; denn immer mehr ältere und pflegebedürftige Menschen benötigen viele gut ausgebildete und vielfach einsetzbare Pflegekräfte. Wenn uns dies alles in dieser Legislaturperiode gelingt - daran habe ich keinen Zweifel -, haben wir viel erreicht für pflegebedürftige Menschen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte in unserem Land. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Kollege Rüddel. - Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Dr. Karl Lauterbach. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal versuche ich, unaufgeregt darzustellen, was die Substanz dieser Reform ist. ({0}) Denn das scheint zum Teil in Vergessenheit geraten zu sein. Diesen Eindruck kann man haben, wenn man hier zuhört. Was haben wir beschlossen? Ist es wirklich gut? Ist es nicht gut? Ist es übertrieben? Also: Wie ist die Gesamtlage einzuschätzen? Ich fange mit dem an, was wir insgesamt für die Pflege, also für die ambulante und für die stationäre Pflege, machen. Wir geben insgesamt 2,4 Milliarden Euro mehr aus. Wir verteilen das Geld, indem wir die Leistungen dynamisieren, indem wir neue Leistungen einführen, indem wir zum Beispiel Demente, die noch nicht pflegebedürftig im klassischen Sinne sind, besser versorgen. Was spricht dagegen, dass wir bestehende Leistungen deutlich besser bezahlen und neue Leistungen, die sinnvoll sind, die gefordert werden, auf einen Schlag einführen? Was spricht dagegen, dieser Reform in diesen Belangen zuzustimmen? ({1}) Wir entsprechen dem Wunsch, die Betreuung in der Pflege zu verbessern. Oft kommt man nicht zur Betreuung in der Pflege, weil die Zeit fehlt. Die Menschen brauchen Betreuung. Sie brauchen jemanden, der mit ihnen spricht. Es kommt nicht allein darauf an, gut zu pflegen. Vielmehr braucht derjenige, der gepflegt wird, auch jemanden, der mit ihm spricht, der ein Spiel mit ihm macht, der einen Spaziergang mit ihm macht, der auf ihn aufpasst. All dies können nur Betreuungskräfte leisten. Wir bezahlen zusätzliche 25 000 Betreuungskräfte. Das ist die größte Aufstockung der Zahl der Betreuungskräfte seit Einführung der Pflegeversicherung. Was spricht dagegen, dieser Ausdehnung, Erweiterung der Anzahl und Besserbezahlung der Betreuungskräfte zuzustimmen? Ich halte das für eine Errungenschaft. ({2}) In der ambulanten Pflege ist der größte Stressfaktor, wenn man pflegt - den Angehörigen ist dies zu danken; es ist wirklich zu danken, dass wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern so viele Angehörige haben, die bereit sind, ihre Lieben, ihre Verwandten zu pflegen -, dass man kurzfristig bei einem Ausfall nicht klarkommt. Jetzt flexibilisieren und dynamisieren wir die Tages-, die Nachtpflege, die Verhinderungspflege und die Kurzzeitpflege. Das macht das Pflegen durch Angehörige schlicht und ergreifend viel erträglicher. Das nimmt den Druck heraus. Das nimmt den Stress weg. Es verringert diesen Dauerdruck, der dazu führen kann, dass man über die Pflege der Angehörigen selbst krank oder zum Pflegefall wird. ({3}) Was spricht dagegen, den Angehörigen diesen Wunsch zu erfüllen? Der Wunsch wurde immer wieder an uns herangetragen. Jetzt machen wir es möglich. Darüber geht das halbe Plenum hier einfach hinweg. Das ist eine aus meiner Sicht wesentliche Errungenschaft, auf die die Angehörigen viel zu lange gewartet haben. ({4}) Ich glaube auch, dass die Reform sehr gerecht ist. Den Arbeitgeberverbänden, aber auch allen politischen Gruppierungen ist zu danken. Es hat kaum Kritik daran gegeben, dass die Finanzierung paritätisch erfolgt. Wenn man überlegt, wie hart derzeit um jede zusätzliche Belastung der Wirtschaft gerungen werden muss - zu Recht -, wird man einsehen: Das ist eine großartige solidarische Leistung unserer gesamten Gesellschaft. Niemand hat hier protestiert. Wir erhöhen die Ausgaben insgesamt um 6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon wird von den Arbeitgebern gezahlt. Daher danke an alle, die dies unterstützen. Das ist ein Ausbau unseres Solidarsystems - den wir in anderen Bereichen derzeit nicht sehen -, wie wir ihn uns gewünscht haben und wie er in unseren Wahlprogrammen stand. Das ist eine gemeinsame Leistung dieser Gesellschaft, der Arbeitnehmer, Tarifparteien und Arbeitgeber. Das muss gewürdigt werden. ({5}) Ich persönlich halte auch die Einführung des Vorsorgefonds für gerecht. Selbstverständlich ist es richtig: Wenn es keine demografischen Veränderungen geben würde, dann wäre der Vorsorgefonds völlig überflüssig; das ist ganz klar. Aber wenn in 30 Jahren halb so viele junge Leute in den Beruf eintreten, wie alte Leute von da an gepflegt werden müssen, wenn sich dieses Verhältnis so verändert, dann muss man dafür Geld zurücklegen. Natürlich kann man wie Sie von der Linken darauf setzen, dass die Produktivität dramatisch ansteigt. Ihren eigenen Beitrag dazu lasse ich einmal dahingestellt. Aber wer weiß denn, ({6}) ob in den alternden Gesellschaften der Welt und in Europa diese Produktivitätszuwächse überhaupt erzielt werden können? Das ist doch reine Spekulation. Man muss doch sicher sein, dass man die Pflege finanzieren kann. Was die jungen Leute heute finanzieren, das muss ihnen in Zukunft auch selbst geboten werden. Daher legen wir dieses Geld zurück. ({7}) Das ist auch kein Pflege-Bahr. Die Versicherungsindustrie ist gegen diesen Vorschlag gewesen. Das Geld wird nur angelegt, es wird damit nicht spekuliert. Nicht jede Anlage, Frau Kipping, ist automatisch Spekulation. ({8}) Wir hinterlegen das Geld bei der Bundesbank. Es gibt ganz strenge Regeln. Wir haben es eben nicht den privaten Versicherungen, nicht den privaten Anbietern zur Verfügung gestellt. Wir sind dafür kritisiert worden. Die Anlage ist eine Anlage mit Augenmaß: eine Anlage mit vertretbarer Rendite, aber sehr geringem Risiko. Das halte ich für richtig. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr. Lauterbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, sehr gern.

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Lauterbach. - Wenn Sie selber feststellen, dass zur Umsetzung Ihres Pflegebedürftigkeitsbegriffs 1 Milliarde Euro fehlt - das ist nachzulesen in der Frankfurter Rundschau und auch in der Berliner Zeitung -, und Experten sagen: „Es wäre doch schlau, die Milliarde, die jetzt woanders fehlt, tatsächlich nicht zurückzulegen, sondern das in die Pflege zu stecken“, frage ich Sie: Wie wollen Sie denn diese Milliarde, die, wie Sie selber sagen, jetzt schon fehlt, aufholen? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal muss ich Abstand nehmen: Ich bin ganz sicher, dass ich mit dem, was Sie gerade der Frankfurter Rundschau entnommen haben, nicht zitiert werde. Oder wollen Sie unterstellen, dass das ein Zitat von mir ist? ({0}) - Sie sagen: „die SPD“. Sie müssen dann schon spezifischer werden. Sie haben gesagt, ich hätte das gesagt. Das stimmt eben nicht. Ich werde nicht zitiert; daher habe ich das auch nicht zu vertreten. ({1}) Aber ich weise ausdrücklich darauf hin: Diese Reform bringt die größte Ausdehnung der Mittel, die es überhaupt gab. Natürlich kann man immer mehr ausgeben; dann muss man aber auch klar sagen, woher das Geld kommen soll. Wir nehmen jetzt insgesamt 6 Milliarden Euro in die Hand und finanzieren das paritätisch. Das ist keine Kleinigkeit, ({2}) das ist die größte Ausdehnung, die wir je gemeinsam beschlossen haben. Darauf kann man auch ein Stück weit stolz sein. Von daher stehen wir zu unserem Wort: Der Pflegefonds kommt. Umgekehrt bedanke ich mich dafür - das war uns sehr wichtig -, dass mit dieser Reform ein Beitrag dazu geleistet wird, dass die Einrichtungen das Geld auch für die Pflege ausgeben: dass sie nach Tarif bezahlen, dass sie die Pflegekräfte einstellen. Das haben wir sichergestellt - auch da höre ich kein Wort des Lobes -, indem wir in der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Tariftreue heranziehen und prüfen, ob das Geld auch tatsächlich in der Pflege ankommt. Auch dieser Schritt war überfällig. ({3}) Somit ist das eine ausgewogene Reform, die auch die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften stärkt. Das ist ein weiterer Grund, warum die Linke zustimmen sollte. Das war schließlich - ohne dass ich jetzt eine Zeitung zitieren muss - eine Forderung, die Sie immer gestellt haben. Dafür haben wir uns eingesetzt, und das haben wir durchgesetzt. ({4}) Ich komme zum Schluss. In der Summe ist die Reform aus meiner Sicht ein gelungenes, komplettes Stück. Sie bringt eine Entbürokratisierung, sie bringt eine Ausdehnung. Das ist eine gerechte Reform. Das ist eine zukunftsfeste Reform. Das ist eine Reform, die auch die Generationengerechtigkeit in den Blick nimmt. Das ist eine Reform, die den Angehörigen hilft, aber auch denjenigen, die in der Pflege arbeiten. Im Großen und Ganzen ist diese Reform aus meiner Sicht ein gelungenes Gesamtwerk. Nichts ist perfekt - es wird immer Bedarf für weitere Reformen geben; das erkennen wir an -; aber das ist ein sehr wichtiger Schritt. Aus meiner Sicht ist das ein großer Tag für die Pflegeversicherung in Deutschland. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU. Ich darf vorbeugend noch einmal darauf hinweisen: Es ist nichts Ungewöhnliches, dass vor einer oder mehreren namentlichen Abstimmungen der Geräuschpegel etwas höher ist. Ich bitte aber dennoch, jetzt gerade auch dem letzten Redner die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es haben nun schon einige Rednerinnen und Redner zum ersten Pflegestärkungsgesetz gesprochen. Ich darf nun den Abschluss machen. Ich möchte unterstreichen, dass wir damit endlich den ersten Schritt einer komplexen Verbesserung der Pflege in Deutschland beschließen. Nach 20-jährigem Bestehen der gesetzlichen Pflegeversicherung, in deren Verlauf zwar schon eine Reihe von Weiterentwicklungen vorgenommen wurde, ist nun diese große Reform fällig. Dabei betone ich ausdrücklich: Die Pflegereform ist als Ganzes für diese Legislatur zu begreifen, die in verschiedenen Teilabschnitten und -schritten Verbesserungen bringen wird. Erstens. Das Gesetz, das wir heute verabschieden, bringt ab dem 1. Januar 2015 deutliche Leistungsverbesserungen für hausärztliche, ambulante und stationäre Pflege und Betreuung. Zweitens. Auf die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, dessen gesetzliche Grundlage wir in 2015 auf Basis der beiden aktuell durchgeführten Studien schaffen, werden sich alle Beteiligten im Jahr 2016 vorbereiten können, damit dann die vollständige Umstellung 2017 gelingen kann. Das ist seriöse Politik. ({0}) Drittens. Unter einer großen Pflegereform sind in meinen Augen auch das Pflegezeitgesetz und das geplante Pflegeberufegesetz zu verstehen. ({1}) Der eine oder andere wird sich jetzt fragen, warum eine Pflegereform so weit zu fassen ist. Ich möchte das nochmals ausführen. Es geht zum einen um die pflegebedürftigen Menschen, für die wir hier verbesserte und passgenaue Leistungen anbieten. Es geht zum anderen natürlich auch um die Angehörigen, für die wir hier Entlastungen und Unterstützungen verankern. Aber - das ist enorm wichtig - es geht auch um die Stärkung der Männer und vor allem auch der Frauen, die Pflege zu ihrem Beruf gemacht haben. Das ist absolut notwendig. ({2}) Für mich ist vollkommen klar, dass diese Pflegereform hier und jetzt begonnen werden muss. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Erhöhung des Beitragssatzes - vergessen wir nicht: auch vonseiten der Wirtschaft - ist in meinen Augen Ausdruck des Reformbedarfs, den wir in der Pflege haben und den uns die Menschen jeden Tag zu verstehen geben. Doch klar ist auch, dass diese große Pflegereform nicht alle bestehenden Probleme sofort verbessern oder auch sofort lösen kann; so ehrlich müssen wir sein. Wir werden mit dem ersten und zweiten Pflegestärkungsgesetz eine Beitragserhöhung vornehmen, die, auf das System gerechnet, so hoch ist, wie es sie in keiner anderen Sozialversicherungsart in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat. Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir für eine umfassende Pflegereform - das wurde vorher schon erwähnt - Zeit brauchen. Wir brauchen Zeit, um in einer so umfassenden Entwicklung wie dem demografischen Wandel eine angemessene Struktur zu finden. Dies geschieht auf unterschiedlichste Art und Weise, auch auf verschiedensten Ebenen. Aber diese Zeit benötigen wir auch für ein anderes Selbstverständnis, damit wir begreifen, was es bedeutet, alt, gebrechlich und hilfsbedürftig zu sein. In unserer Gesellschaft müssen wir auch im öffentlichen Leben noch lernen, wie wir im Alltag damit umgehen, wenn wir zum Beispiel Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Demenz begegnen. Wir bringen heute mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz eine Reihe von Entlastungen, gerade auch für Angehörige, auf den Weg. Ich befürworte das, weil es ein unabdingbares Element in unserer Pflegeverbesserungsstrategie ist. Für uns als Union ist auch die Stärkung der tariflichen Bezahlung in der Pflege sehr wichtig; denn Qualität in der Pflege kann es nur dann geben, wenn die in der Pflege arbeitenden Menschen in unser Reformvorhaben einbezogen werden. ({3}) Es ist daher ein Anliegen dieser Bundesregierung, eine umfassende Reform der Ausbildung in den Pflegeberufen auf den Weg zu bringen. Diese muss von umfassenden Maßnahmen zur Stärkung der Pflegeberufe begleitet werden. Das tun wir heute. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung besteht darin, dass wir durch eine Umstrukturierung der Ausbildung der Pflegeberufe besser auf die neuen Herausforderungen der Pflege vorbereiten wollen. Dieses wird im Rahmen einer generalistischen Ausbildung erfolgen. Aber ich warne hier auch: Wir müssen vorsichtig sein, damit die Altenpflege nicht hinten herunterfällt. Zugleich ist es in meinen Augen ein unhaltbarer Zustand, dass wir in Deutschland einen Fachkräftemangel in der Pflege beklagen, Auszubildende für diese Berufe aber oftmals in einigen Bundesländern noch persönlich Schulgeld für ihre Ausbildung zahlen müssen. Der Missstand muss der Vergangenheit angehören. ({4}) Wer gute Pflege haben will, muss Pflegekräfte angemessen bezahlen, ihnen berufliche Perspektiven bieten und dafür sorgen, dass sie lange, gerne und verantwortungsvoll ihren Beruf ausüben. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um eine angemessene Versorgung pflegebedürftiger Menschen geht, muss auch die medizinische Versorgung weiterentwickelt werden. Gerade der Ärztemangel in manchen Regionen stellt uns hier vor Herausforderungen, die wir für die Pflegebedürftigen angehen müssen. Als zuständiger Berichterstatter für meine Fraktion für zahnmedizinische Versorgung ist es mir wichtig, dass wir schon im Rahmen dieses Gesetzes die Zahn- und Mundgesundheit bei Pflegebedürftigen angehen. Prävention und Mundhygiene sind uns wichtig. Zum Abschluss möchte ich schon auch noch zu dieser Debatte über Sterbehilfe und dergleichen etwas sagen: Unsere Antwort in dieser Diskussion ist zum einen natürlich, die Versorgung durch Hospiz- und Palliativmedizin zu steigern, vollkommen klar. Aber hier ist auch die Pflege ein wesentlicher Ansatzpunkt, damit wir nicht nur darüber reden, wie Menschen in Würde sterben können, sondern dass wir auch Lösungen dafür anbieten, wie Menschen die letzten Lebensjahre in Würde verbringen können. Das ist uns wichtig. ({6}) Deshalb bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Es ist eine wichtige Reform in der Pflege, und es ist ein Signal: Wir investieren in Menschen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, bitte ich kurz um Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden zunächst über zwei Änderungsanträge namentlich abstimmen. Danach folgen weitere einfache Abstimmungen über Änderungsanträge. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen muss ich die Sitzung kurz unterbrechen. Danach folgen zwei weitere nament- liche Abstimmungen und weitere einfache Abstimmun- gen. Wir haben also eine ziemlich große Zahl an Abstim- mungen vor uns. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Leis- tungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorge- fonds. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/2909, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/1798 und 18/2379 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit den beiden Ände- rungsanträgen, zu denen namentliche Abstimmung ver- langt wurde. Zunächst der Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2912. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen und mir ein Signal zu geben, sobald das geschehen ist. - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Damit eröffne ich die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mit- glied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht ab- gegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2915 namentlich ab. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2915. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme für die zweite na- mentliche Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der namentli- chen Abstimmung werden Ihnen später bekannt gege- ben.1) Jetzt möchte ich Sie bitten, sich zu setzen, weil wir mit den einfachen Abstimmungen fortfahren. Wir kommen nun zur Abstimmung über zwei weitere Änderungsanträge der Fraktion Die Linke. Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Linken auf Drucksache 18/2913 abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Das sind die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Koalition. Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/2914. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Ich unterbreche die Sitzung. Ich hoffe, dass wir die Sitzung in einigen Minuten fortsetzen können. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben sehr schnell ausgezählt. Deshalb liegen die Ergebnisse bereits vor. Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke bekannt: abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 113, mit Nein haben gestimmt 463. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt worden. 1) Ergebnis zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen Seite 5672 A Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 112 nein: 464 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold ({1}) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({2}) Volker Beck ({3}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({4}) Christian Kühn ({5}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({6}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({7}) Axel E. Fischer ({8}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({9}) Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({10}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({11}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({12}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer ({14}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({15}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({16}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({17}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({18}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({19}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({20}) Sabine Weiss ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({22}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({23}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({24}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({25}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({26}) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({27}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({28}) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({29}) Dr. Wilhelm Priesmeier Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann Michael Roth ({30}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({31}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({32}) Matthias Schmidt ({33}) Dagmar Schmidt ({34}) Carsten Schneider ({35}) Ursula Schulte Swen Schulz ({36}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({37}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Kenntnis: abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein haben gestimmt 460. Damit ist dieser Änderungsantrag ebenfalls abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 113 nein: 460 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold ({38}) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({39}) Volker Beck ({40}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({41}) Christian Kühn ({42}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({43}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({44}) Axel E. Fischer ({45}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({46}) Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({47}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({48}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({49}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Wilfried Oellers Florian Oßner Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({50}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer ({51}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({52}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({53}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({54}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({55}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({56}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({57}) Sabine Weiss ({58}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({59}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({60}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({61}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({62}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({63}) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({64}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({65}) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({66}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann Michael Roth ({67}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({68}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({69}) Matthias Schmidt ({70}) Carsten Schneider ({71}) Ursula Schulte Swen Schulz ({72}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({73}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte nun diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschussfassung auf den Drucksachen 18/1798, 18/2379 und 18/2909 zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Zu dieser Abstimmung liegt zusätzlich eine Reihe von schriftlichen Erklärungen vor.1) 1) Anlagen 2 und 3 Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in drit- ter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Jetzt kommen wir zu den Abstimmungen über die Entschließungsanträge, über die ebenfalls namentliche Abstimmungen verlangt wurden, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 18/2916. Ich bitte wiede- rum die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Sind an allen Urnen die Schriftführerin- nen und Schriftführer anwesend? - Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 18/2916. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme für die dritte namentliche Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2917. - Sind die Plätze an den Urnen mit den Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt? - Das ist der Fall. Dann er- öffne ich die namentliche Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2917. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme für die vierte namentliche Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Die Ergebnisse der Abstimmungen, liebe Kollegin- nen und Kollegen, werden Ihnen später bekannt gegeben.1) Jetzt möchte ich Sie wieder bitten, Ihre Plätze einzu- nehmen, damit wir in der Beratung fortfahren können. Das gilt besonders für die Kolleginnen und Kollegen, die sich vor der Regierungsbank versammelt haben. Es wäre nett, wenn auch Sie, meine Damen und Herren, sich set- zen würden. Tagesordnungspunkt 21 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen - Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/2909, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1953 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschluss- empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung des Bündnisses 90/ Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 21 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Deckungslücken der Sozialen Pflegeversicherung schließen und die staatlich geförder- ten Pflegezusatzversicherungen - sogenannter Pflege- Bahr - abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2901, den An- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/591 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Die Linke. Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali- tion gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden. 1) Ergebnisse Seite 5680 D und 5683 A Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen Drucksache 18/2870 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({74}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Nicole Gohlke das Wort. ({75})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das Wintersemester hat gerade angefangen. In diesen Tagen beginnt eine halbe Million Erstsemester ein Studium; das ist absoluter Rekord. Für die meisten Studis heißt das, dass sie in eine neue Stadt ziehen und sich dort eine Bleibe suchen müssen: eine kleine Wohnung, ein WGZimmer oder einen Wohnheimplatz. Das ist dieser Tage noch schwieriger, als den gewünschten Studienplatz zu bekommen; denn gerade in den Hochschulstädten ist die Lage am Wohnungsmarkt wirklich über die Maßen angespannt. Ich komme aus München, und ich kann Ihnen sagen: Für die 18 000 Studienanfängerinnen und Studienanfänger dort ist die Situation wirklich prekär. 13,40 Euro kostet der Quadratmeter hier durchschnittlich. Für ein WG-Zimmer bezahlt man um die 500 Euro. Jetzt ist München bekanntermaßen der Spitzenreiter bei dieser Entwicklung. Wir reden hier von einer Stadt, die sich fast nur noch Berufsgruppen wie Börsenmakler und Steuerberater leisten können. Aber die Situation sieht in anderen Hochschulstädten leider kaum anders aus. Aus der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks wissen wir, dass Studierende in Städten wie Hamburg, Köln oder Frankfurt für Wohnraum im Schnitt 350 Euro hinblättern müssen. Der Durchschnitt für alle Hochschulstädte liegt immer noch bei stolzen 298 Euro. Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012. Wir alle wissen, wie schnell die Mieten seitdem schon wieder gestiegen sind. Dass die Bundesregierung da offenbar gar keinen Handlungsbedarf sieht, ist wirklich ein starkes Stück. ({0}) In dem vorliegenden Antrag der Linken schlagen wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor, mit denen wir die Situation für Studierende sowie für Mieterinnen und Mieter allgemein verbessern wollen. Man muss doch beides zusammen angehen. Ein Sache darf nämlich nicht passieren: Die Studierenden, die relativ oft umziehen weil sie zum Beispiel für den Wechsel zum Masterstudium wieder in eine neue Stadt müssen -, dürfen nicht gewissermaßen zum Brandbeschleuniger für den allgemeinen Mietmarkt werden, weil Vermieter die Situation ausnutzen und bei jeder Neuvermietung die Miete noch einmal erhöhen. ({1}) Dazu muss ich jetzt an die Adresse der Regierung sagen: Sie platzen fast vor Stolz, weil Sie die Wohnkostenpauschale im BAföG zum Herbst 2016 - also erst in zwei Jahren - auf gerade einmal 250 Euro anheben wollen. Das ist für diejenigen, die gerade davon ihre Miete bezahlen sollen, ein schlechter Witz. ({2}) Noch einmal zum Mitschreiben: Wenn man 2012 - also vor zwei Jahren - beim Studieren in München oder Köln schon 350 Euro Miete zahlen musste, wie sollen dann 250 Euro - also 100 Euro weniger - im Jahre 2016 zum Bezahlen der Miete ausreichen? Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Ihnen wurde in der Debatte zum BAföG schon mehrfach gesagt - ich sage es Ihnen jetzt hier auch noch mal -: Nutzen Sie die aktuelle BAföG-Reform, und erhöhen Sie die Wohnkostenpauschale zum Anfang des nächsten Jahres wenigstens auf die durchschnittlichen Mietkosten. ({3}) Die nächste große Baustelle sind die Studierendenwohnheime. Die Zahl der Wohnheimplätze mit ihren deutlich günstigeren Mieten halten nicht im Ansatz mit der steigenden Zahl der Studierenden Schritt. Anfang Oktober haben die Studentenwerke ihre aktuellen Zahlen veröffentlicht. Nicht einmal mehr 10 Prozent der Studierenden haben einen Wohnheimplatz. Zum Vergleich: Anfang der 90er-Jahre lag diese Quote noch bei 15 Prozent. Lassen Sie sich jetzt diese Zahlen einmal auf der Zunge zergehen: Im Vergleich zu 1991 gibt es heute bundesweit 12 000 Wohnheimplätze weniger, dafür aber 700 000 Studierende mehr. In München stehen gerade 6 800 Studierende auf der Warteliste für einen Wohnheimplatz. Aber auch hier gibt es keine Ideen und weitestgehende Tatenlosigkeit bei der Regierung! Der Bundesbauminister der letzten Koalition, Herr Ramsauer, hatte wenigstens zu einem Runden Tisch geladen. Es gab zwar kein Ergebnis, aber immerhin einen Runden Tisch. Von Ministerin Hendricks haben wir zu diesem Thema noch gar nichts gehört. Dabei benötigen wir dringend eine Wohnheimoffensive für Studierende. ({4}) Wir als Linke schlagen ein Bund-Länder-Programm vor, mit dem wir innerhalb der nächsten vier Jahre 45 000 neue Wohnheimplätze in Trägerschaft der Studentenwerke fertigstellen wollen. Mit ihnen wollen wir perspektivisch zu einer Versorgungsquote von 15 Prozent zurückkommen. Bund und Länder sollen die Errichtungskosten, die für die Wohnheimplätze nötig sind, mit 60 Prozent bezuschussen. Der Bund soll dabei zwei Drittel der Kosten übernehmen. Solch eine öffentlich geförderte Maßnahme hätte auch enorme Entspannungseffekte auf dem allgemeinen Miet- und Wohnungsmarkt. Da wollen wir doch hin. Wir wollen dahin, dass die Städte für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen, für Geringverdienende und Studierende wieder bezahlbar und bewohnbar werden und nicht nur noch aus Luxuslofts, überteuerten Läden und Bürogebäuden bestehen. ({5}) Deswegen wollen wir diese Maßnahmen zum studentischen Wohnen auch mit einer echten Mietpreisbremse und dem sozialen Wohnungsbau koppeln. Darauf wird meine Kollegin Caren Lay gleich noch eingehen. Kolleginnen und Kollegen, das Problem der Wohnungsnot und der steigenden Mieten gerade in Hochschulstädten ist heutzutage eines der größten sozialen Probleme. Mit einer Haltung nach dem Motto „Der Markt wird es schon regeln“ wird man weder dem Gedanken einer sozialen Stadt gerecht noch dem Anspruch, den Hochschulausbau mit sozialer Durchlässigkeit zu verbinden. Es wird immer mehr zu einer sozialen Frage, ob man überhaupt noch in Städten wie München, Köln oder Frankfurt studieren kann. Darauf muss diese Regierung eine Antwort geben. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Sylvia Jörrißen das Wort. ({0})

Sylvia Jörrißen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004314, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken gibt uns heute Anlass, über zwei wesentliche Bereiche zu diskutieren, die unser gesellschaftliches Leben in Deutschland ausmachen: Wohnen und Bildung. Eine angemessene Versorgung mit Wohnraum gehört zweifelsohne zu den Grundbedürfnissen im Hinblick auf ein menschenwürdiges Leben. Der vorliegende Antrag befasst sich mit dem studentischen Wohnen und stellt damit eine Querverbindung zum Bereich „Bildung“ her. Bildung ist das Grundkapital der Gesellschaft. Bildungsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes. Dafür macht sich die Große Koalition stark. Meine Damen und Herren, der Antrag der Linken geht auf ein Problem ein, das uns nicht nur bekannt ist, sondern auf das wir bereits reagieren. Lassen Sie mich auf einzelne Punkte eingehen. Die großen deutschen Städte erfahren derzeit einen Ansturm junger Menschen. Diese ziehen in die Metropolen, da sich dort gute Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie Kultur- und Freizeitangebote konzentrieren. Bei Studierenden ist diese Entwicklung besonders deutlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes belief sich die Zahl der Studierenden für das vergangene Wintersemester auf insgesamt über 2,6 Millionen. Seit 2003 bedeutet das eine Steigerung von über einem Drittel. Dies ist zuallererst eine positive Nachricht. Ich bin sehr froh darüber, dass sich heute so viele junge Menschen dazu entschließen, ein Studium aufzunehmen. ({0}) Gerade im Hinblick auf den uns bevorstehenden Fachkräftemangel brauchen wir sehr gut ausgebildete Nachwuchskräfte. Zunächst muss festgehalten werden, dass sich der Zuwachs an Studenten keineswegs gleichmäßig auf die Universitätsstädte verteilt. Eine aktuelle Studie hat die Wohnungssituation von 81 Hochschulstädten in Deutschland verglichen und in einem Ranking dargestellt. Ja, die Studie sieht eine Verschärfung der Wohnsituation für Studierende, jedoch konzentriert auf einige Städte. Angeführt wird das Ranking von München, Hamburg und Frankfurt. Daneben werden aber auch Hochschulstädte mit wenig angespanntem Wohnungsmarkt aufgezeigt. Für mich wird daraus deutlich, dass hier nur maßgeschneiderte und zielgerichtete Lösungen wirkungsvoll sind. Darauf setzt die Regierungskoalition. Eine flächendeckende Mietpreisbremse, wie es die Linke fordert, wäre keineswegs eine adäquate Maßnahme, um den Wohnungsmangel in einigen Metropolen zu bekämpfen. ({1}) Wir haben gemeinsam mit der SPD eine Mietpreisbremse entwickelt, die gezielt den Druck aus den überhitzten Märkten nimmt. Sie ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass Mieten auch für Normalverdiener bezahlbar bleiben. ({2}) Mietsteigerungen von 30 bis 40 Prozent, die in manchen Ballungsräumen teilweise zur Praxis gehörten, ist nun ein Riegel vorgeschoben. Mieten dürfen in Zukunft die ortsübliche Vergleichsmiete nur noch höchstens um 10 Prozent übersteigen. Entscheidend dabei ist, dass dort die Länder und Kommunen verpflichtet werden, Maßnahmen zu entwickeln, die die Ursachen des Problems bekämpfen. Die Mietpreisbremse ist ein Instrument, das die Symptome lindert. Langfristig löst sie allerdings unsere Probleme nicht; denn sie baut keine einzige neue Wohnung. ({3}) Der Bau neuer Wohnungen ist und bleibt das einzige Mittel, um den Wohnungsmangel in den Griff zu bekommen. ({4}) Die Mietpreisbremse darf also keine Investitionsbremse sein. Deshalb muss der Neubau ausgenommen sein. ({5}) Meine Damen und Herren, wir müssen ein Klima schaffen, in dem Investitionen in den Neubau getätigt werden, und das zu bezahlbaren Preisen. In diesem Zusammenhang sollten wir auch darüber nachdenken, ob sich steuerliche Begünstigungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt realisieren lassen. ({6}) Auf diese Weise könnten Investitionen genau dort, wo Angebot und Nachfrage weit auseinanderfallen, angeregt werden. Doch auch an anderer Stelle greift der Bund unterstützend ein. Aktuell werden die BAföG-Regelungen überarbeitet. Der Entwurf des 25. BAföG-Änderungsgesetzes sieht vor, die Bedarfssätze generell um 7 Prozent zu erhöhen. Der Wohnzuschlag wird überproportional auf 250 Euro angehoben. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um den gestiegenen Mietkosten Rechnung zu tragen. ({7}) Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass die Situation auf dem studentischen Wohnungsmarkt derzeit in einigen Städten sehr angespannt ist. Bund und Länder reagieren bereits. Allerdings ist es auch wichtig, die mittel- und langfristige demografische Entwicklung nicht außer Acht zu lassen. Die gestiegene Zahl der Studienanfänger ist begründet im Aussetzen der Wehrpflicht und der Einführung der achtjährigen Gymnasialzeit. Die Studentenzahlen werden in wenigen Jahren schon wieder rückläufig sein. Für langfristige Lösungsansätze bedarf es daher auch Planungen über die mögliche Nachnutzung von Gebäuden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie fordern in Ihrem Antrag den Bau von 100 000 zusätzlichen Wohnheimplätzen zu Kosten von 60 000 Euro pro Platz. Der Bund soll davon 60 Prozent übernehmen. Offen bleibt jedoch, woher in Zeiten der Haushaltskonsolidierung ein Betrag von 3,6 Milliarden Euro kommen soll. Wir leben hier nicht im Lande „Wünsch dir was“. Das Allerwichtigste, was wir für die kommende Generation tun können, ist, einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung zu präsentieren. ({8}) Nebenbei sei hierzu noch gesagt, dass Sie mit den Vorschlägen über wilde Kreuz- und Quersubventionen in Ihrem Antrag unser föderales System aushebeln. Seit der Föderalismusreform 2006 tragen die Länder die ausschließliche Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung und damit auch für den Bau von Wohnraum für Studierende. Die Länder erhalten bis Ende 2019 518 Millionen Euro jährlich aus Kompensationsmitteln. Diese Mittel müssen jedoch auch für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden. Hier muss an die Verantwortung der Länder appelliert werden. Unbeschadet der Zuständigkeit der Länder sieht die Große Koalition es als ihre gesellschaftspolitische Aufgabe, einen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten, und setzt ihre Aktivitäten zur Schaffung von zusätzli5678 chem studentischen Wohnraum fort. Dazu hat das Bauministerium das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ins Leben gerufen. Im Juli 2014 fand unter der Leitung der Ministerin die erste Sitzung statt. Beteiligt sind Vertreter aller föderalen Ebenen und zahlreiche Verbände rund um das Thema „Wohnen und Bauen“. Damit sitzen alle beteiligten Akteure an einem Tisch. Das ist wichtig, um langfristige und zukunftssichere Lösungen zu entwickeln. Handlungsschwerpunkte sind, bezahlbare Mieten und eine soziale Sicherung des Wohnens zu erreichen. Eine besonders wichtige Rolle messe ich der Baukostensenkungskommission bei; ({9}) denn nur wenn das Bauen bezahlbar ist, sind es auch die Mieten. ({10}) Ich setze große Hoffnungen auf das Bündnis und erwarte, dass zügig Lösungen präsentiert und umgesetzt werden. ({11}) Nur so lässt sich in dem in Schieflage geratenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wieder ein Gleichgewicht herstellen, besonders im Interesse der Studierenden in unserem Land. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir haben das Problem erkannt, arbeiten an zielgerichteten und wirkungsvollen Maßnahmen und haben bereits vieles in die Tat umgesetzt. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Kai Gehring das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin und Bildungsministerin a. D.! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lust auf ein Studium ist ungebrochen. Rund eine halbe Million neue Studierende wird 2014 an den Hochschulen erwartet. Die meisten von ihnen starten in diesen Tagen ins Wintersemester. Wir wünschen allen Erstsemestern ein gutes und erfolgreiches Studium! ({0}) Damit aus Anfängern auch Absolventen werden, müssen die Studienbedingungen flächendeckend verbessert werden. Studierende brauchen nicht nur einen Studienplatz, sondern sie brauchen auch einen Platz im Hörsaal und im Seminarraum. Sie brauchen Bibliotheken und Mensen, eine Studienberatung, und sie brauchen ein Dach über dem Kopf. Ein erfolgreiches Studieren erfordert eine verlässliche soziale Infrastruktur auf dem Campus. ({1}) Mithilfe des Hochschulpaktes zwischen Bund und Ländern konnten seit 2010 sehr viele zusätzliche Studienplätze zur Verfügung gestellt werden. Ende Oktober ist hoffentlich eine Einigung über die dritte Paktphase für die Jahre 2016 bis 2020 erzielt. Das ist auch unerlässlich, damit Studienberechtigte, Hochschulen und letztlich auch Hochschulstädte klare Perspektiven haben. Statt Studienplatzmangel braucht es Chancen für alle. ({2}) Mit dem Hochschulpakt allein ist der erfreuliche Studierendenboom, der übrigens auch im nächsten Jahrzehnt anhalten wird, nicht zu bewältigen, liebe Koalition. Es fehlt auch eine zügige BAföG-Erhöhung. An vier Jahre ohne Anpassung will diese Koalition zwei weitere Jahre mit Nullrunden dranhängen. Diese Warteschleife für Studierende müssen Sie stoppen. Zwölf Semester ohne BAföG-Erhöhung - das geht doch nicht. ({3}) Auch deshalb steht eine echte soziale Öffnung der Universitäten und Fachhochschulen noch aus. Genau deswegen haben wir zusätzliche Hürden wie Studiengebühren in den Ländern mittlerweile flächendeckend abgeschafft, - und das war auch gut so. Wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit ({4}) Wir brauchen endlich mehr soziale Vielfalt im Hörsaal. Wir brauchen breitere Zugänge zum Campus für unterrepräsentierte Gruppen. Wir brauchen mehr junge Menschen, die als Erste aus ihren Familien studieren. Dabei, meine Damen und Herren, hilft auch der Ausbau sozialer Infrastrukturen in den Hochschul- und Unistädten. Dazu zählt eben auch das studentische Wohnen. Hier kann und muss auch der Bund endlich einen Beitrag leisten. ({5}) Nahezu alle Hochschulstädte berichten von Wohnungsknappheit und sehr langen Wartelisten bei Studierendenwohnheimen. Auf dem freien Wohnungsmarkt haben es Studierende und einkommensarme Gruppen insgesamt schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Die Bundesregierung muss deshalb endlich mit konkreten Initiativen kommen und nicht, wie meine Kollegin vorher, nur die Hoffnung beschwören. Hier darf man nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muss konkret werden. Für weniger als 10 Prozent aller Studierenden bundesweit stehen Wohnheimplätze zur Verfügung. Die Länder haben das Problem mittlerweile erkannt, und die meisten investieren sehr fleißig in den Bau neuer Wohnheime. ({6}) Beispiel Nordrhein-Westfalen: Die CDU-FDP-Vorgängerregierung unter Ministerpräsident a. D. Rüttgers hatte den Wohnheimbau schlicht komplett vernachlässigt. Unter Rot-Grün geht‘s aufwärts: ({7}) Zwei Wohnheimbauprogramme mit einem Gesamtvolumen von 80 Millionen Euro hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht. ({8}) Über 3 000 Wohnheimplätze sind damit im Bau. RotGrün bringt damit NRW in die Spitzengruppe bei der Versorgung mit Wohnheimplätzen zurück. Nach der schwarz-gelben Rüttgers-Delle ist das auch dringend notwendig. Das ist eine gute Nachricht für die Studierenden im Land. ({9}) Zweites gutes Beispiel: Baden-Württemberg. Schon 2 200 Wohnheimplätze mehr als 2011 gibt es im Ländle. Über 1 700 Wohnheimplätze sind im Bau bzw. in Planung. Mit einer Versorgungsquote von knapp 13 Prozent ist Baden-Württemberg Spitzenreiter der westdeutschen Bundesländer. Das, meine Damen und Herren, ist vorbildliches Länderhandeln. ({10}) Den vielfältigen Aktivitäten der Länder steht Tatenlosigkeit der Bundesregierung gegenüber. Ein Paradebeispiel dafür sind die runden Tische bei Ex-Bauminister Ramsauer; 2012 und 2013 haben mehrere davon stattgefunden. Außer Vorwürfen an die Länder gab es einzig und allein einen Prüfauftrag: Es sollte geprüft werden, Studierende in alten, leerstehenden Kasernen unterzubringen. Gehört hat man davon aber eigentlich nichts mehr. Kreative Kommunen haben das sowieso längst getan. Wir sagen: Studierende brauchen ein Dach über dem Kopf - keine Inszenierung von Aktionismus, keine neuen runden Tische, sondern endlich Lösungen. ({11}) Nichtstun ist also keine Option, liebe Koalition. Daher sind wir sehr gespannt auf neue, frische Initiativen von Bundesbauministerin Hendricks. Insofern greift der Antrag der Linksfraktion natürlich ein wichtiges Thema auf und weist in die richtige Richtung, auch wenn wir in einzelnen Punkten nicht mitgehen können. Studentenbuden in Leipzig, Görlitz, Hamburg oder München sind sehr unterschiedlich teuer. Deswegen haben wir als Grüne in der vergangenen Sitzungswoche beantragt, die regional unterschiedlichen Mietstufen des Wohngeldgesetzes im BAföG zu verankern. Das wäre deutlich zielgenauer und gerechter als die derzeitige bundeseinheitliche und viel zu niedrige Pauschalierung. Also zurück zur regionalen Staffelung! Das wäre gerechter. ({12}) Wir haben in der letzten Wahlperiode ergänzend zum Hochschulpakt einen Aktionsplan zum studentischen Wohnen vorgeschlagen, damit Studierende nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Wohnraum vorfinden. Dazu gehört natürlich auch, Zwischennutzungen von Bundesliegenschaften endlich zu erleichtern. Anstatt ungenutzte und leerstehende Gebäude des Bundes an private Investoren zu verkaufen, die dort zum Beispiel teure Eigentumswohnungen hochziehen, sollten diese Gebäude für günstiges studentisches Wohnen geöffnet werden. Der Bund muss also endlich von seiner Zuschauertribüne herunterkommen. Studentische Wohnungsnot müssen Bund und Länder gemeinsam überwinden. Es gibt viele Ideen. Wir warten auf Ihre Initiativen. Jetzt braucht es einen gemeinsamen Vorstoß der Bundesbauministerin und der Bundeswissenschaftsministerin. Darauf warten wir, und wir machen weiterhin Druck; denn studentisches Wohnen muss bezahlbar bleiben. ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Michael Groß das Wort. ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Wohnungsnot ist über die Zeit der Einschreibung hinaus ein wichtiges Thema. Ich schließe mich gerne den Wünschen an, dass die jetzt beginnenden Studentinnen und Studenten ihr Studium gut durchziehen und erfolgreich abschließen mögen. Ich selber bin ein betroffener Vater. Meine Tochter hat gerade eine Wohnung in Essen gefunden. Ich stelle fest: In Essen sieht die Welt völlig anders aus als in München oder Köln; das müssen wir berücksichtigen. In Essen findet man noch Wohnraum für 6 Euro pro Quadratmeter. Wir haben gehört, dass der Preis in München ebenso wie in Köln bei 14 Euro pro Quadratmeter liegt. Es ist wichtig, dass wir hier punktgenaue Lösungen finden. Aufstieg durch Bildung, sozialer Aufstieg durch Bildung, ein selbstbestimmtes Leben durch Bildung - das ist das Ziel, das wir Sozialdemokraten seit mehr als 150 Jahren verfolgen, und der Lebensalltag gibt uns recht: Das ist eines der wichtigsten Ziele. ({0}) Wohnen - das wurde schon beschrieben - ist eine wichtige Grundlage für ein erfolgreiches Leben. Wohnen darf aus unserer Sicht nicht zu einem Luxusgut werden, sondern Wohnen muss sozial eingebettet sein. Wir wollen ein bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt. Deswegen beobachten wir mit großer Sorge die Entwicklung in den Großstädten und den Hochschulstädten. Studentinnen und Studenten befinden sich mit anderen Wohnungsuchenden in Konkurrenz um den knappen Wohnraum. Natürlich muss auch die Frage gestellt werden: Können sie den Wohnraum noch bezahlen? Laut Statistik werden zurzeit 11 000 Studentenwohnheime geplant bzw. gebaut. Aber bei einer Versorgungsquote von 10 Prozent reicht das bei weitem nicht aus. Wir alle wissen, dass wir Partner und Akteure brauchen. Deswegen sind wir Frau Ministerin Hendricks sehr dankbar, dass sie sehr schnell das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen in Angriff genommen hat. Unser gemeinsames Ziel ist es, mit dem Ministerium einen runden Tisch einzuberufen - obwohl er gerade kritisiert wurde -, und zwar mit allen Akteuren, vom Mieterbund bis zur Wohnungswirtschaft, um passgenaue Lösungen für die Städte zu finden. Ich bin mir ganz sicher, dass wir das Ziel gemeinsam mit Frau Hendricks und dem Ministerium schnell erreichen werden. ({1}) Das ist umso wichtiger, weil die Studentenzahlen enorm gestiegen sind, was wir natürlich sehr begrüßen. Waren es zur Jahrtausendwende noch circa 1,8 Millionen Studierende, so sind es heute mehr als 2,4 Millionen Studierende. Man muss aber bedenken: Etwa ein Drittel der Studentinnen und Studenten wohnt in den eigenen vier Wänden, etwa ein Viertel wohnt bei den Eltern, ein Viertel lebt in Wohngemeinschaften und der Rest sucht sich in Studentenwohnheimen ein Zuhause. Der Bund arbeitet aktuell an einer umfangreichen Novelle zum BAföG. Die Bundesregierung bzw. das Parlament haben in den letzten Wochen sehr viele wohnungsbaupolitische, städtebaupolitische und mietrechtliche Verbesserungen beschlossen, um die Wohnsituation zu verbessern. Wir werden den Anstieg der Mietpreise in den von den Ländern auszuweisenden Regionen bremsen. Davon werden nach unseren Schätzungen circa 5 Millionen Wohnungen betroffen sein. 500 000 Mieter, darunter auch viele Studentinnen und Studenten, werden davon profitieren, dass die Mietpreise nicht mehr exorbitant wachsen können. Es gefällt mir sehr gut, dass eben Nordrhein-Westfalen gelobt wurde. Man muss natürlich auch den Blick nach Baden-Württemberg richten. Der NRW-Bauminister, mit dem ich heute sprechen konnte, und Nils Schmid haben gesagt, sie werden die Mietpreisbremse in den entsprechenden Regionen anwenden. ({2}) Wir haben uns in der Koalition darüber hinaus darauf verständigt, die Städtebauförderung mit 700 Millionen Euro zu unterstützen. Wir wollen uns insbesondere um die Bereiche Energieeinsparung und Energieeffizienz kümmern und die entsprechenden Vorhaben zeitnah in die Beratung einbringen; denn wir wissen, dass die „zweite Miete“ bei den Wohnkosten eine große Rolle spielt. Ebenso wollen wir die Genossenschaften fördern. Wir brauchen aber auch starke Städte mit starken Wohnungsbaugesellschaften, die als Korrektiv vor Ort auftreten können. Schließlich brauchen wir auch die Privatvermieter und die Wohnungswirtschaft. Der Staat - das wurde gerade schon angesprochen - kann das alles nicht alleine lösen. Ich will aber sehr deutlich betonen, dass die Wohnungswirtschaft nicht als Spielfeld genutzt werden darf, weil die Renditen auf dem Finanzmarkt ausfallen. Das müssen wir verhindern. ({3}) Wichtige Akteure bleiben die Länder und die Städte. Wir brauchen starke Städte; das habe ich schon gesagt. Die Länder sind verantwortlich für die Schaffung von Wohnraum und für die Förderung von sozialem Wohnraum. In diesem Zusammenhang will ich noch auf einen Punkt eingehen: Der Bund muss Vorbild sein; er muss mit seinen Liegenschaften vorbildhaft umgehen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Liegenschaften verbilligt an Städte und Gemeinden abgeben wollen, um Wohnraum zu schaffen. Wir müssen auch vorbildhaft mit unseren Wohnungen umgehen. Dabei geht es um die Qualität der Wohnungen und um die energetische Sanierung. Wir brauchen also alle Akteure. Wir brauchen Lösungen, die passen. Wir wollen mit Menschen für Menschen bauen - in einer sozialen Stadt. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen kurz die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen zur Kenntnis bringen. Zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2916: An der Abstimmung über diesen Entschließungsantrag der Linken haben sich 577 beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 55, mit Nein haben gestimmt 465 und enthalten haben sich 57 Kollegen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 55 nein: 464 enthalten: 57 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold ({0}) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({2}) Axel E. Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({5}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({6}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({7}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({8}) Lothar Riebsamen Josef Rief Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({10}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({11}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({12}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({13}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({14}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({15}) Sabine Weiss ({16}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({17}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({18}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({19}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({20}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({21}) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({22}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({23}) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({24}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann Michael Roth ({25}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({26}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({27}) Matthias Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Carsten Schneider ({30}) Ursula Schulte Swen Schulz ({31}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({32}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({33}) Volker Beck ({34}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({35}) Christian Kühn ({36}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Bei der vierten namentlichen Abstimmung ging es um den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2917: Es sind insgesamt 576 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 112 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 464 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 112 nein: 464 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Katrin Kunert Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold ({37}) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({38}) Volker Beck ({39}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({40}) Christian Kühn ({41}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Julia Bartz Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({42}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({43}) Axel E. Fischer ({44}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({45}) Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({46}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({47}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({48}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({49}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht Anita Schäfer ({50}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({51}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({52}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({53}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({54}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({55}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({56}) Sabine Weiss ({57}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({58}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({59}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({60}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({61}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({62}) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({63}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({64}) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({65}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann Michael Roth ({66}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({67}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({68}) Matthias Schmidt ({69}) Dagmar Schmidt ({70}) Carsten Schneider ({71}) Ursula Schulte Swen Schulz ({72}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({73}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Wir fahren in der Debatte fort. Der Kollege Dr. JanMarco Luczak erhält das Wort. ({74})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren und - das kann man bei dieser Debatte sagen liebe Studenten in unserem Land! Ich möchte eines vorwegschicken: Die Union will, dass sich auch weiterhin viele junge Menschen dafür entscheiden, ein Studium aufzunehmen. ({0}) Die Union will, dass sich Menschen qualifizieren und dadurch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. So erarbeiten sie sich Perspektiven für ihre Zukunft und für ein gutes Leben. Natürlich müssen wir als Politiker dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen richtig gesetzt sind. Ein Studium darf keine unzumutbaren finanziellen Belastungen mit sich bringen. Niemand soll aus Geldmangel von einem Studium abgehalten werden. Deswegen unternimmt die Bundesregierung sehr viel, um Studenten zu helfen. Das könnte die Linke ruhig einmal zur Kenntnis nehmen. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass die Kollegin Gohlke am Anfang ihrer Rede sagte, dass die Bundesregierung auf diesem Gebiet keinen Handlungsbedarf sehen würde. Wir tun in der Tat sehr viel; darauf ist gerade schon hingewiesen worden. Wir haben kürzlich intensiv über das BAföG diskutiert und beschlossen, die Bedarfssätze um immerhin 7 Prozent anzuheben ({1}) und den Wohnzuschlag auf immerhin 250 Euro anzuheben. Damit stehen den Studenten, die BAföG beziehen, monatlich bis zu 735 Euro zur Verfügung. Wir machen noch viel mehr: Die Freibeträge vom Einkommen der Eltern heben wir deutlich an, sodass bis zu 110 000 Studenten mehr in den Genuss von BAföG kommen. ({2}) Auch die Hinzuverdienstgrenzen haben wir erhöht. Den Kinderbetreuungszuschlag haben wir erhöht. Die Vermögensfreibeträge werden erhöht. - Das ist eine ganze Menge. Wir können also wirklich sagen: Der Bund nimmt seine Verantwortung sehr ernst, und er nimmt sie auch wahr. Dafür werden wir immerhin über 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Ab 2016 wird es noch einmal mehr sein. Ich finde, das kann man ruhig einmal zur Kenntnis nehmen. Das, was der Bund an dieser Stelle macht, ist keine Kleinigkeit. ({3}) Es hätte mich aber auch gewundert, wenn die Linke trotz dieser Anstrengungen, die der Bund bereits unternimmt, nicht wieder gerufen hätte: Wir wollen mehr! Wir wollen mehr! Wir wollen mehr! - Das Rufen nach mehr Staat, das Rufen nach mehr Geld ist ein wiederkehrender Reflex bei den Linken. Das scheint in der DNA Ihrer Partei verankert zu sein. Das wird es mit uns aber in dieser Form nicht geben. Ich will ein Beispiel der Forderungen der Linken nennen. Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass die Kompensationsmittel des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau - immerhin sind es derzeit fast 700 Millionen Euro - um weitere 270 Millionen Euro erhöht werden sollen. Das ist eine Steigerung von immerhin fast 40 Prozent. Ich darf Sie erinnern: Dieses Geld, das Sie hier verteilen wollen, muss erst einmal erwirtschaftet werden, bevor es ausgegeben werden kann. ({4}) Man muss sagen: Wir haben natürlich gegenüber den Studierenden Verantwortung, aber wir haben auch Verantwortung gegenüber allen Menschen in unserem Land, gegenüber den heranwachsenden nächsten Generationen. Dieser Verantwortung werden Sie mit Ihrem Ruf nach mehr Staat, nach mehr Geld und damit nach immer mehr Schulden nicht gerecht. Das blenden Sie völlig aus. ({5}) Das wird es in einer unionsgeführten Bundesregierung nicht geben. Wir legen hier das erste Mal seit Jahrzehnten einen ausgeglichenen Haushalt vor. ({6}) Diese schwarze Null steht. Damit werden wir unserer Verantwortung für die Menschen in unserem Land gerecht. Deswegen wird an dieser schwarzen Null auch nicht gerüttelt. ({7}) Richtig ist: Die Wohnkosten stellen natürlich einen erheblichen Teil der Belastungen für Studierende dar. Gerade in Hochschulstädten, in Ballungszentren, dort, wo wir attraktive Universitäten haben, ist das in der Tat ein Problem. Das ist uns aber sehr wohl bewusst. Wir brauchen die Linken nicht, um uns darauf hinzuweisen. ({8}) Wir tun über das BAföG hinaus schon viel. Ich weiß nicht, ob es Ihnen entgangen ist, aber es ist schon in der Diskussion erwähnt worden. Wir haben gerade eine Mietpreisbremse durch das Kabinett gebracht, mit der genau auf diese Zuspitzung in den angespannten Wohnungsmärkten und damit auch in den Universitätsstädten reagiert werden soll. ({9}) - Vielen Dank den Kollegen von der SPD. Auch für uns als Union ist völlig klar, dass Wohnen für Studenten, aber auch für alle anderen Menschen in unserem Land bezahlbar bleiben muss. Wir wollen nicht, dass Menschen aus ihren angestammten Kiezen verdrängt werden. Uns unterscheidet von Ihnen aber Folgendes: Wir haben ganz andere Auffassungen davon, wie wir dieses Ziel erreichen wollen. Man muss schon sagen: Wenn ich mir die Wohnungsbaupolitik und die Vorschläge der Linken anschaue, denke ich, dass wir bis 1989 gesehen haben, welches Ergebnis dabei herauskommt, nämlich zerfallene Wohnbestände. ({10}) Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich will jedenfalls nicht zu einer solchen Situation zurück. ({11}) Insofern muss man sagen: Diese Polemik, die man zum Teil auch in Ihrem Antrag findet - auf der einen Seite der raffgierige Vermieter und auf der anderen Seite der schutzlos dem Wohnungsmarkt ausgelieferte Mieter -, trifft einfach nicht die Realität. ({12}) Es kann doch nicht darum gehen, Vermieter und Mieter gegeneinander auszuspielen. Unser Ziel muss es doch sein, ein vernünftiges Miteinander zu erreichen. Das haben wir in unserem Land mit wirklich ausgewogenen mietrechtlichen Regelungen geschafft und sichergestellt. Mit diesem guten Mieterschutz, den wir in unserem Land haben, brauchen wir uns vor keinem anderen Land zu verstecken. Das ist so, und das wird auch in Zukunft so bleiben. ({13}) Ich will noch zwei Dinge zur Mietpreisbremse sagen. Wir haben sie jetzt gerade durch das Kabinett gebracht. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Ich persönlich finde an dieser Stelle ganz wichtig - das haben wir immer gesagt -: Wenn man nach den Ursachen von steigenden Mieten fragt, kommt man ganz schnell zu der Erkenntnis, dass das einzige Mittel, das den Mietern wirklich nachhaltig hilft, mehr Wohnungsneubau ist. Deswegen ist es, glaube ich, sehr, sehr gut, dass wir auf unser Drängen hin erreicht haben, dass Neubauten im Kabinettsentwurf jetzt ausgenommen werden. Damit senden wir ein Signal an diejenigen, die Geld in die Hand nehmen wollen, die Wohnungen neu bauen wollen und die damit dafür sorgen, dass das Angebot auf den Wohnungsmärkten verbreitert wird und somit die Mieten nicht mehr so stark steigen müssen. Sie haben nun weiterhin Planungssicherheit. Deswegen ist es gut, dass Neubauten aus diesem Entwurf herausgenommen worden sind. Wir sind jetzt im parlamentarischen Verfahren. Da wird es naturgemäß immer noch Änderungen geben. Es gibt ein paar Punkte, die mir persönlich noch wichtig sind. Dabei geht es zum Beispiel darum, welche Kriterien man zugrunde legt, um herauszufinden, was eigentlich ein angespannter Wohnungsmarkt ist. Wir müssen uns, glaube ich, noch einmal darüber unterhalten, welche Bezugsgrößen genannt werden und ob es richtig ist, auf den Bundesdurchschnitt abzustellen. Wir müssen, glaube ich, auch schauen, dass das ein Instrument wird, das Rechtssicherheit schafft. Ich denke zum Beispiel an die Frage: Inwieweit können wir qualifizierte Mietspiegel bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranziehen? Ich glaube, wir müssen uns auch noch einmal Gedanken machen, ob, wenn Vermieter Geld in die Hand nehmen und ihre Wohnungen modernisieren, sich das nicht in irgendeiner Form über den Begriff der umfassenden Modernisierung hinaus widerspiegeln muss. Ich will nur sagen: Wir sind da trotzdem auf einem guten Weg - der jedenfalls viel besser ist als all das, was die Linke uns hier vorstellt. Wenn die Linke fordert, Mietsteigerungen nur noch in Höhe der Inflation zuzulassen, sollten wir uns einmal fragen: Was passiert denn, wenn wir diesen Vorschlag umsetzen? Jeder Vermieter würde doch hingehen und eine indexbasierte Miete vereinbaren, das heißt: Steigt die Inflation, steigt die Miete ganz automatisch. Das würde passieren, wenn wir diesen Vorschlag umsetzten. Man muss auch sehen: Wie haben sich denn in der Vergangenheit die Kaltmieten im Verhältnis zur Inflation entwickelt? In den letzten 20 Jahren ist die Inflation viel höher gewesen als der Anstieg der Kaltmieten, das heißt, was die Linke uns hier vorschlägt, wäre im Endeffekt sogar kontraproduktiv für die Mieter - da werden sich die Mieter in unserem Land wahrscheinlich bedanken. Der Vorschlag ist also in der Sache völliger Unsinn; deswegen werden wir das auch nicht mitmachen, meine Damen und Herren. ({14}) Ich will am Schluss einen einzigen Punkt aus dem Antrag der Linken aufgreifen, der in der Tat überlegenswert ist. ({15}) Sie schlagen vor, dass der Bund sich überlegt, wie er mit seinen Liegenschaften umgeht. Das ist die Diskussion im Zusammenhang mit der BImA: Wie können wir - möglicherweise über die gesetzlichen Regelungen, die wir im BImA-Gesetz und in der Bundeshaushaltsordnung haben, hinaus - dafür sorgen, dass bezahlbarer Wohnraum in angespannten Wohnungsmärkten auch zur Verfügung gestellt wird? ({16}) Ich bin sehr dafür, dass wir uns dem Ziel verschreiben - und das tut die Bundesregierung ja auch -, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür brauchen wir aber eine Gesamtstrategie; das heißt, wir dürfen nicht nur über die Mietpreisbremse diskutieren - durch die wir letztlich den privaten Eigentümern Verantwortung aufbürden -, sondern müssen auch schauen, was wir als Bund tun können. ({17}) Deswegen bin ich persönlich sehr dafür - auch aus meiner Perspektive hier aus Berlin -, dass wir uns anschauen, ob wir nicht das BImA-Gesetz und die Bundeshaushaltsordnung anreichern müssen um Kriterien, bei denen es um wohnungspolitische Gesichtspunkte und um Stadtentwicklungsgesichtspunkte geht. ({18}) Es ist, glaube ich, vernünftig und richtig, wenn wir hierfür eine Gesamtstrategie entwickeln. Darüber werden wir uns in der Koalition noch verständigen. Unter dem Strich, meine Damen und Herren: Was die Linke uns hier vorschlägt, ist kontraproduktiv für die Mieter und beseitigt die Probleme, die wir haben, in keiner Weise. Deswegen werden wir diesem Antrag auch nicht zustimmen. Danke schön. ({19})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner in dieser Debatte hat die Kollegin Caren Lay das Wort. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal stelle ich fest: Das Problem ist nicht zu leugnen. Wer jetzt zu Semesterbeginn in die Zeitungen schaut oder die Meldungen der ASten zur Grundlage nimmt, der liest: Tausende stehen auf den Wartelisten der Wohnheime in Berlin. In anderen Städten - wie in Mainz, in Greifswald, in Heidelberg - gibt es das sogenannte Couchsurfing als wirklich tollen Start in das Studium. In manchen Städten berichten die ASten sogar davon, dass Studierende in Turnhallen übernachten müssen. In Düsseldorf gibt es inzwischen die sogenannten Kellerkinder: Sie übernachten im Souterrain von Wohnheimen. In Göttingen hat eine Initiative sogar Zeltlager als Notunterkünfte für Erstsemester aufgestellt. - All diese Studierenden, meine Damen und Herren, können sich von der schwarzen Null der Koalition wirklich überhaupt nichts leisten. ({0}) Wir führen heute keine haushaltspolitische Debatte - das ist klar -; aber weil hier immer wieder behauptet wird, dass die Linke das Geld zum Fenster herauswerfen wolle und gar kein Geld da sei, will ich nur sagen: Ich kann es nicht mehr hören, wie hier seit Jahren und Jahrzehnten Studierenden und Rentnern gesagt wird, sie sollen den Gürtel enger schnallen. Nein, meine Damen und Herren, das Geld ist da, es befindet sich nur in den falschen Händen - bei den Vermögenden und bei den Reichen -, und da wollen wir als Linke auch ran. ({1}) Es ist völlig klar, dass wir hier ein ganzes Bündel von Maßnahmen brauchen. Ich kann allerdings nicht erkennen, was die Koalition in dieser Legislaturperiode Großartiges getan hätte, dass sie sich damit brüsten könnte. Nehmen wir die Mietpreisbremse, die ja im Übrigen noch gar nicht in diesem Parlament eingebracht wurde. Die Idee ist schön, wir unterstützen sie. Nur, so wie es die Koalition jetzt plant, wird das einfach nichts werden. Das beginnt damit, dass die Umsetzung der Mietpreisbremse von den Bundesländern abhängen wird. Das heißt, die CDU- und CSU-geführten Länder können sich dann einfach verweigern, und im Ergebnis wird die Mietpreisbremse in Städten wie München, Bamberg, Dresden und Leipzig nicht gelten. Das, meine Damen und Herren, kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein. Wir brauchen eine Mietpreisbremse, die für alle Bundesländer gilt. ({2}) Auch die Deckelung bei 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete, die Sie vorschlagen, halte ich nicht für zielführend; denn in der Praxis kann das bedeuten - gerade in Städten, in denen die Mieten rasant angestiegen sind, wie in Hamburg, Frankfurt, Berlin -, dass dann der Nachmieter locker das Doppelte wie der Vormieter zahlen muss, weil die Vergleichsmiete so stark angezogen hat. Das ist wirklich kein sinnvoller Deckel. ({3}) Als würde es nicht ausreichen, dass es hier genügend Ausnahmen und Schlupflöcher gibt, hat die Koalition auf Druck der CDU/CSU auf den letzten Metern Neubauten komplett aus der Regelung zur Mietpreisbremse herausgenommen, selbst bei der Wiedervermietung von neugebauten Wohnungen. ({4}) Das können wir aus folgendem Grund nicht akzeptieren: Nicht nur die Wohnung in dem neugebauten Wohnhaus ist dann teuer. Die Dynamik des Mietspiegels wird dazu führen, dass nach und nach auch die Miete der Oma in der alten Wohnung nebenan ansteigen wird. Das akzeptieren wir als Linke nicht. ({5}) Wir brauchen eine Mietpreisbremse; aber das, was die Koalition vorlegen wird, verdient diesen Namen nicht. Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen: Es muss mehr gebaut werden; selbstverständlich. Die Frage ist nur: Was soll neu gebaut werden? Ich finde, es sind wirklich sehr viele Luxuslofts und Townhouses gebaut worden; das sehen Sie in jeder deutschen Großstadt. Wir wollen vor allen Dingen, dass für die Mittelschichten mehr gebaut wird, für Menschen mit geringen Einkommen. Auch brauchen wir endlich einen Neustart im sozialen Wohnungsbau; dahin muss die Reise gehen. ({6}) Es ist völlig unstrittig, dass wir einen Neustart im sozialen Wohnungsbau brauchen. Die Situation ist so, dass der Bedarf bei weitem nicht gedeckt werden kann. Nur 30 Prozent des Bedarfs im sozialen Wohnungsbau können gedeckt werden; die Tendenz ist fallend. Die Regierung musste auf meine schriftlichen Anfragen zugeben, dass der Anteil der Sozialwohnungen in den letzten zehn Jahren über ein Drittel gesunken ist. Daran hat leider auch die Regierungsbeteiligung der SPD bisher nichts geändert. Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen verwirrt darüber, was die Koalition hier will. Von Frau Hendricks lese ich immer, dass auch sie will, dass mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Die CDU/CSU sagt: Was haben wir damit zu tun? Das ist Sache der Länder. - Ich bin gespannt, was wir von der Koalition zu erwarten haben. Bisher ist dafür kein einziger Cent mehr in den Bundeshaushalt eingestellt. Ich kann Sie nur warnen: Verstecken Sie sich hier nicht hinter der Verantwortung der Länder! Es ist die Aufgabe des Bundes, dafür zu sorgen, dass endlich wieder mehr Sozialwohnungen gebaut werden. ({7}) Zu guter Letzt möchte ich auf das Thema BImA und öffentliche Wohnungen eingehen; vielen Dank, dass Sie dieses Thema schon angesprochen haben. Es ist so: Im Bundesbesitz befinden sich immer noch 45 000 Wohnungen und weitere Liegenschaften. Man könnte jetzt schauen: Wie können wir diese Wohnungen nutzen, um tatsächlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Stattdessen verkauft die BImA, also die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, diese Wohnungen selbst auf angespannten Märkten zu Höchstpreisen. In Berlin in der Großgörschenstraße zum Beispiel wollte die landeseiCaren Lay gene GEWOBAG die Häuser zu einem fairen Preis kaufen. Sie hat den Zuschlag nicht bekommen. Eine Genossenschaft der Mieterinnen und Mieter, also der Bewohnerinnen und Bewohner, wollte ihr Haus kaufen. Auch sie haben den Zuschlag nicht bekommen, denn es wird immer nur zu Höchstpreisen verkauft. Das ist einfach inakzeptabel. ({8}) Deswegen finde ich es falsch, dass Sie noch letzte Woche im Ausschuss den Antrag der Linken abgelehnt haben, in dem wir ein Moratorium verlangt haben. Diese Ablehnung hilft den Bewohnerinnen und Bewohnern überhaupt nicht weiter. Wir haben einen neuen Antrag eingebracht, in dem wir sagen: Wir wollen, dass das Kriterium der Gemeinwohlorientierung endlich gesetzlich verankert wird. Ich bin sehr gespannt, welches Schicksal diesem Antrag beschieden sein wird. Ich hoffe, Sie werden ihm zustimmen. ({9}) Meine Damen und Herren, Innenstädte, die nur noch aus Bürogebäuden, Townhouses und Luxuslofts bestehen, sind nicht nur ungerecht, sondern auch langweilig. Wir als Linke wollen lebendige Innenstädte, in denen Studierende, Rentnerinnen und Rentner, junge Familien, Menschen aus allen Einkommensgruppen, vor allen Dingen Menschen mit geringem Einkommen und aus den Mittelschichten, leben können. Dafür stehen wir ein. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Wiese das Wort. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es gibt auch unnötige Anträge, die zur Politikverdrossenheit beitragen. ({0}) Das ist in Teilbereichen bei Ihrem Antrag so. Ein Antrag, so wie Sie ihn hier heute vorgelegt haben - das sage ich als Mitglied des Rechtsausschusses -, ist gerade beim Thema Mietpreisbremse reine Schaufensterpolitik und hat mit vernünftiger Politik nichts zu tun. ({1}) Allein an dem, was Sie zur Bundeshaushaltsordnung hineingeschrieben haben, kann ich schon sehen, dass dieser ganze Antrag nicht ernst gemeint ist. Darüber kann ich, ehrlich gesagt, nur mit dem Kopf schütteln. ({2}) Wir in der Großen Koalition machen eine Mietpreisbremse für alle Bürgerinnen und Bürger. Lassen Sie mich dazu einen Satz sagen: Ich freue mich wirklich ganz besonders, dass wir in den Beratungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten gehabt haben, Sie, Herr Kollege Luczak, ein bisschen auf den Pfad der Tugend zurückbringen konnten, ({3}) dass wir Sie sozusagen vom Dr. No zum Anhänger der Mietpreisbremse machen konnten. ({4}) Das ist ein richtig guter Tag. Dass wir Sie dahin bringen konnten, das freut uns an dieser Stelle richtig. ({5}) Zu Ihrer Anmerkung, die Sie gerade gemacht haben, kann ich sagen: Manchmal ist es gut, wenn wir das Struck’sche Gesetz außer Kraft lassen und das Ganze an dieser Stelle schnell auf den Weg bringen. ({6}) Ich glaube, die Mietpreisbremse ist richtig. Die Mietpreisbremse wird dazu führen, dass in gewissen Hotspots, die es nun einmal gibt - das ist nicht nur München, das an dieser Stelle immer erwähnt wird, das ist genauso Marburg, das ist Münster; das sind kleine Universitätsstädte, in denen wir Probleme haben, zu begrenzen -, der Mietpreisanstieg bei Wiedervermietung begrenzt wird. Es ist gut, dass wir das an dieser Stelle machen. Ich will aber noch eine Sache ansprechen, weil mir etwas, ehrlich gesagt, nicht passt: Der Großteil der Vermieter in Deutschland vermietet ordentlich. Die vermieten ordentlich an ihre Mieter, die schauen nicht auf die höchstmögliche Rendite, die machen eine gute Arbeit, die haben ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern. Wir wollen an die herangehen, die auf Wucher setzen, die die Situation schamlos ausnutzen. Darum ist die Mietpreisbremse an dieser Stelle der absolut richtige Weg. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Wiese, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay zu?

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, na klar, Frau Lay.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. - Sie haben gesagt, wir brauchen eine Mietpreisbremse für alle Bürgerinnen und Bürger. Sie haben auch nicht abgestritten, dass in einer Stadt wie München und vielen anderen Großstädten und Ballungszentren im ganzen Bundesgebiet ({0}) eine angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt herrscht. Wie können Sie es denn dann gut finden, dass der Entwurf, der jetzt das Kabinett passiert hat, beispielsweise dem Freistaat Bayern ermöglicht, die Mietpreisbremse überhaupt nicht umzusetzen? Finden Sie das richtig, oder hätten Sie sich hier eine andere Regelung gewünscht? ({1})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Lay, ich muss Ihnen leider an der Stelle widersprechen und Ihnen sagen: Da müssen Sie sich den Gesetzentwurf einmal ganz genau ansehen. Wir geben den Ländern die Möglichkeit, in der angespannten Lage in Ballungszentren die Mietpreisbremse umzusetzen, ({0}) weil die Länder am besten beurteilen können, wie die Situation vor Ort ist. Darum ist das an dieser Stelle völlig richtig. ({1}) Bayern ist schon bei den Änderungen in Bezug auf die Kappungsgrenze vorangegangen. Darum kann ich Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich den Referentenentwurf genau an, und lesen Sie das noch einmal nach. ({2}) Der zweite Punkt, den ich heute erwähnen will - das darf man nicht verschweigen -, ist, dass in vielen Städten das Problem besteht, dass die Maklerkosten immer auf den Mieter abgewälzt werden. Darum ist heute ein guter Tag; denn wenn wir die Mietpreisbremse Anfang nächsten Jahres in Gesetzesform gießen, zieht im Jahr 2015 endlich auch für die Makler die soziale Marktwirtschaft ein. Das ist viel zu lange nicht passiert. Darum sind die Änderungen im Maklerrecht absolut richtig. ({3}) Auf den dritten Punkt, den ich ansprechen möchte, ist mein Kollege Michael Groß schon eingegangen: Es ist natürlich so, dass die Mietpreisbremse keinen zusätzlichen Wohnraum schafft. Das ist völlig richtig. Das ist mit der Mietpreisbremse aber auch nicht beabsichtigt. Darum müssen wir gleichzeitig den Wohnungsbau stärken. ({4}) Darum ist es richtig, die Ausnahme der Mietpreisbremse für den Neubau zuzulassen. Da bin ich voll auf Ihrer Seite. Das müssen wir machen, weil wir zusätzlichen Wohnungsbau brauchen. ({5}) Herr Gehring, ich habe mich gefreut, dass Sie Nordrhein-Westfalen erwähnt haben, weil Nordrhein-Westfalen ein Beispiel dafür ist, ({6}) dass man Geld vom Bund für den sozialen Wohnungsbau in die Hand nimmt. NRW-Bauminister Michael Groschek nimmt bis 2017 800 Millionen Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau in die Hand. Das ist Politik für die Städte in NRW und für den ländlichen Raum. Wir als SPD machen in Nordrhein-Westfalen und im Bund Politik für die Städte und für den ländlichen Raum - Stadt und Land Hand in Hand. Darum ist es gut, dass die SPD an dieser Stelle regiert. ({7}) Ich möchte am Ende noch ganz kurz einen Punkt ansprechen. Neben den Kosten, die die Bürgerinnen und Bürger für die Miete haben, müssen wir uns auch die Nebenkosten ansehen. Die Nebenkosten sind die zweite Miete. Das ist ein Problem. Darum müssen wir auch schauen, dass wir es bei den Nebenkosten hinbekommen, über eine sogenannte Betriebskostenbremse und darüber nachzudenken, was man in dem Bereich machen kann. Ich finde das gar nicht verkehrt, weil diese Kosten für die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls enorm sind. Da muss man etwas machen. Wir machen eine echte Mietpreisbremse. Ich kann Ihnen nur sagen: Stimmen Sie dem zu, wenn Sie etwas Gutes für die Bürgerinnen und Bürger im Land tun wollen! Ich glaube, das ist richtig. Allen Studierenden kann ich nur einen guten Start ins Semester wünschen. Ich hoffe, alle haben die O-Woche ganz gut überstanden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Christian Kühn das Wort.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Studenten im Land! Der Staat hat in einer Wissensgesellschaft die Aufgabe, nicht nur ein auskömmliches BAföG zur Verfügung zu stellen - Ihr BAföG, das 2016 reformiert werden soll, wird weniger wert sein als das BAföG 2010, und es dauert auch noch zwei Jahre, bis es so weit ist -, sondern auch exzellente Universitäten, attraktive Studierendenplätze und ausreichend Wohnheimplätze. Denn ich finde, Studenten haben ein Recht darauf, ein Dach über dem Kopf zu haben. ({0}) Christian Kühn ({1}) Der Problemdruck in den Universitätsstädten ist enorm. Vergleicht man die Zahlen, was die Kluft zwischen Bestandsmieten und Neuvertragsmieten angeht, stellt man fest, dass drei Städte, die allesamt Universitätsstädte sind, an der Spitze stehen: Regensburg, Freiburg und Heidelberg. Dort liegen die Neuvertragsmieten zum Teil über 9 Euro pro Quadratmeter, und die Abstände zwischen den Mieten betragen über 30 Prozent. Das zeigt ganz klar: Es gibt einen riesigen Problemdruck. Auf diesen Wohnungsmärkten, die ohnehin schon unter Stress stehen, konkurrieren nun Studenten mit anderen einkommensschwachen Haushalten. Deswegen brauchen wir deutlich mehr Wohnheimplätze in Deutschland. Die Belegungsquote liegt derzeit unter 10 Prozent. Ich finde, das ist ein Riesenskandal. Eigentlich müssten bei den Ländern, aber auch beim Bund alle Alarmglocken läuten. ({2}) Alle Jahre wieder haben wir das gleiche Problem. Im Herbst, wenn das Semester beginnt, kommt dieses Thema hoch. Wir sind uns dann auch immer ganz schnell einig in der Analyse, dass wir ein Problem haben und etwas tun müssen. 2012 hat Herr Ramsauer dann einen Runden Tisch einberufen, bei dem nichts herausgekommen ist. ({3}) Vonseiten der Großen Koalition führen Sie nun das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen an. Das wird bei allen wohnungs- und baupolitischen Themen als Standardargument benutzt. ({4}) Mir reicht ein Verweis auf eine Plauderrunde nicht aus. Ich will Maßnahmen, und ich will von Ihnen konkret wissen, welche Instrumente Sie ergreifen, um die Wohnungsmärkte in Deutschland zu beruhigen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich finde, der Antrag beschreibt das Problem gut. Aber Sie lassen mich mit diesem Antrag trotz der gemeinsamen Opposition ein bisschen ratlos zurück. Denn Sie haben aus meiner Sicht diesen Antrag wohnungs- und baupolitisch nicht durchdacht. Ich finde, für eine kluge Oppositionspolitik machen Sie es der Regierung mit Ihrem Antrag leider viel zu leicht, ausweichen zu können. ({6}) Mir fehlt Ihre Bauexpertin Heidrun Bluhm heute in der Debatte. Sie hätte in wohnungspolitischer Hinsicht dieser Debatte gutgetan. ({7}) Wir brauchen eine kluge Subjekt- und Objektförderung und mietrechtliche Änderungen. Das sehe ich leider weder bei der Großen Koalition noch bei der Linken. Die Mietpreisbremse wurde monatelang angekündigt, dann verzögert, und am Ende wird die Ausnahme zur Regel. Dass Sie den Neubau von der Mietpreisbremse ausgenommen haben, ist falsch. Ihr Argument, dass der Neubau das einzige Instrument ist, mit dem man sozialen Wohnraum sichern kann, ist falsch. Man kann zum Beispiel auch Belegungsrechte kaufen. Es kommt aber nicht nur darauf an, dass gebaut wird, sondern auch darauf, dass jemand baut, der am Ende auch bezahlbaren Wohnraum bereitstellt. Darüber machen Sie sich viel zu wenig Gedanken. Ich finde, hier muss man mehr in genossenschaftlichen Strukturen denken und kommunale Akteure, die bezahlbaren Wohnraum bereitstellen, sowie Studentenwerke, die für die Wohnheime zuständig sind, mit einbeziehen. ({8}) Beim Wohngeld gilt das Gleiche. Davon profitieren auch Studierende, die kein BAföG beziehen. Beim Wohngeld kürzen Sie erst. Dann erhöhen Sie es wieder und wollen sich dafür feiern lassen. Aber die strukturellen Probleme beim Wohngeld gehen Sie nicht an. Ich finde, Sie halten Sonntagsreden über Ihre Instrumente. Das sind reine Lippenbekenntnisse. Sie müssen in der Großen Koalition deutlich mehr liefern. ({9}) Ich weiß, dass der eine oder andere in diesem Hause wieder mit einem Konjunkturprogramm liebäugelt. Falls Sie in dieser Großen Koalition wie in der letzten auf die Idee kommen sollten, Konjunkturprogramme durchzuführen, kann ich Sie nur auffordern: Stecken Sie das Geld in den sozialen Wohnungsbau, und bauen Sie Studentenwohnheime, statt Autos abzuwracken! ({10}) Die Situation ist dramatisch. In vielen Universitätsstädten beginnen Studierende, selbst Verantwortung für den Wohnraum zu übernehmen. In meiner Heimatstadt Tübingen gibt es eine ganze Reihe von Projekten genossenschaftlichen Wohnens, die sehr erfolgreich sind. Ich finde es schade, dass es einen linken Antrag zum studentischen Wohnen gibt, in dem nicht einmal das Wort „Genossenschaften“ vorkommt. Dabei leisten Genossenschaften einen großen Beitrag. Hier muss Politik mehr tun und bessere Rahmenbedingungen für Genossinnen und Genossen vor Ort organisieren, damit Studierende Wohnraum in Selbstverwaltung übernehmen können. ({11}) Da wir die Fragen des sozialen Wohnungsbaus und die Beziehungen zu den Ländern unter verfassungsrechtlichen Aspekten in den Blick nehmen, will ich anmerken, dass wir gemeinsam hier in diesem Haus nach 2019 ein Problem bekommen werden. Wenn die Entflechtungsmittel auslaufen, dann weiß ich nicht, wie die Länder ihrer Verpflichtung nachkommen wollen, gleichzeitig die Vorgaben der Schuldenbremse und die Aufgaben des sozialen Wohnungsbaus sowie des Wohnungsbaus für Studierende zu stemmen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, gemeinsam mit den Ländern eine Vereinbarung zu treffen, die es Christian Kühn ({12}) dem Bund ermöglicht, bei den Wohnheimen, aber auch im sozialen Wohnungsbau unterstützend tätig zu sein. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Semester hat begonnen. In Göttingen sind Zeltlager aufgestellt. In Heidelberg gibt es Notunterkünfte. Woanders schlafen Studierende auf Couchen oder in Wohnwägen. Wer heute ein Studium aufnimmt, hat das Recht auf angemessenen Wohnraum; denn wenn man ein Studium startet, dann ist das eine schwierige Phase der Neuorientierung. Es ist ein Start in einen neuen Lebensabschnitt. Hier hat jeder Studierende ein Recht auf einen Wohnheimplatz. Ich finde, wenn der Bund Eliteuniversitäten fördert, kann er auch für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Danke schön. ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Yvonne Magwas das Wort. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004346, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Dazu gehört, meine Damen und Herren von den Linken, dass man sich die Wohnpräferenzen und die Wohnwünsche der Studierenden anschaut. Ein genauer Blick in die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ist da durchaus erhellend. Demnach möchte nämlich die Mehrzahl der Studenten nicht in Studentenwohnheimen wohnen. ({0}) Stattdessen werden Wohngemeinschaften oder allein bewohnte Wohnungen bevorzugt. Wenn also etwas für das studentische Wohnen getan werden soll, dann sollten dafür die gewünschten Wohnformen stärker berücksichtigt werden. Die Forderung der Linken nach 100 000 neuen Wohnheimplätzen geht deshalb an der Realität vorbei. ({1}) Hier hilft allein der klassische Wohnungsneubau. Ich bin zwar erst ein Jahr Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Aber der eine oder andere mag heute ein Déjà-vu-Erlebnis haben; denn diese Debatte wurde bereits en détail und im gleichen Duktus am 18. April 2013 geführt. ({2}) Es handelt sich also um einen alten Teebeutelantrag, der leider durch den zweiten Aufguss nicht besser wird. ({3}) Denn der Grundsatz ist und bleibt, dass in unserem föderalen System die Bundesländer für den sozialen Wohnungsbau zuständig sind und das auch sein wollen. ({4}) Unser Ziel ist, 2015 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben. Uns geht es um die schwarze Null. So haben wir das auch in der Koalition vereinbart. Für mich ist das eine Frage der Generationengerechtigkeit. ({5}) Die Linke hat aber leider ein anderes Verhältnis zum Geld. Für Sie hat der Bund scheinbar unbegrenzte Geldquellen. ({6}) Für Sie ist der Bund Zahlmeister der Nation. Spätere Generationen scheinen Ihnen gleichgültig zu sein. Stattdessen geben Sie den Etat des Bundes jede Legislaturperiode gedanklich gerne viermal aus. So kann man keine verantwortungsvolle Politik für unser Land machen. ({7}) Dennoch hilft der Bund den Ländern und Kommunen, ihre Aufgaben zu bewältigen. Allein in diesem Jahr beläuft sich die direkte und indirekte Unterstützung des Bundes für die Kommunen auf 22 Milliarden Euro. Ich würde mich freuen, wenn die Kollegen und Kolleginnen der Linken dies auch einmal positiv zur Kenntnis nehmen würden. Um aber beim Thema zu bleiben, lassen Sie mich kurz erläutern, was der Bund zur Verbesserung der Wohnraumsituation tut. Es wurde schon angedeutet: Im Rahmen von Kompensationsleistungen zahlen wir an die Bundesländer bis 2019 jährlich 518 Millionen Euro für die Aufgaben des sozialen Wohnungsbaus. Leider, so muss man konstatieren, gehen die Länder recht unterschiedlich mit diesen Mitteln um. ({8}) Primus unter den Bundesländern ist der Freistaat Bayern. Er gibt seine Mittel zweckgerichtet aus. Das Land Berlin hat hingegen gerade unter der rot-roten Regierung keinen einzigen Cent dieser Mittel für den sozialen Wohnungsneubau ausgegeben. ({9}) So viel zur verantwortungsvollen Wohnungspolitik der Linken, wenn sie denn mitregiert. ({10}) Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Mietpreisbremse. Diese haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und den vorliegenden Gesetzentwurf hat das Kabinett am 1. Oktober auch so beschlossen. Kollege Luczak ist schon ausführlich auf die Inhalte eingegangen. Ich möchte lediglich eine Forderung aus dem Antrag der Linken herausgreifen. Das ist nämlich eine Forderung, die für mich keinen Sinn macht. Erklären Sie mir doch einmal, warum die Mietpreise in Studentenwohnheimen durch ein Moratorium gedeckelt werden müssen. Mit einer Warmmiete von 223 Euro im Monat - die Zahl ist vom Studentenwerk - ist das eine der kostengünstigsten Wohnformen für Studenten. Hier besteht definitiv keine Gefahr einer Mietpreisexplosion. Im Übrigen entsteht durch die Deckelung des Preises kein einziges Studentenzimmer zusätzlich. Auch hier gilt der Grundsatz: bauen, bauen, bauen. ({11}) Wir werden auch die Einnahmenseite der Studenten verbessern. Das wurde schon angedeutet. Wir werden das BAföG anpassen, indem wir den Satz von 670 Euro auf 735 Euro erhöhen. Durch die Reform wird auch der Kreis der Förderberechtigten ausgeweitet und die Hinzuverdienstgrenze auf 450 Euro angepasst. Wer also mehr als das BAföG benötigt, kann so einen adäquaten Betrag hinzuverdienen. Ehrlich, meine Damen und Herren: Für mich sind Nebenjobs während des Studiums auch im Rahmen des Zumutbaren. ({12}) Was wird der Bund nun in Zukunft noch angehen? Wir bringen derzeit eine Wohngeldnovelle auf den Weg. Unser Ziel ist es, denjenigen zu helfen, die arbeiten gehen und dennoch nur ein geringes Einkommen haben. Diesen wollen wir ein gutes Wohnen ermöglichen. So werden wir die Leistungen des Wohngeldes weiter verbessern. Leistungshöhe und Miethöchstbeträge wollen wir an die Bestandsmietenentwicklung und die Einkommensentwicklung der letzten Jahre anpassen. Im aktuellen Haushaltsentwurf haben wir dafür 630 Millionen Euro eingestellt. Der Bund schafft damit die finanziellen Spielräume. Mit Spannung erwarten wir nun die konkrete Ausgestaltung des Gesetzentwurfs unserer Bauministerin Barbara Hendricks. ({13}) Klar ist, dass bei steigenden Studentenzahlen der Bedarf für studentischen Wohnraum wächst. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch einmal die Studentenwerke loben. Sie leisten nämlich flächendeckend gute Arbeit. Ihnen ein herzliches Dankeschön. ({14}) Den Bundesländern möchte ich noch etwas auf den Weg geben. Sie schaffen an den Hochschulen mehr Studienplätze. Das ist gut und richtig so. Aber dann - das ist für mich die logische Konsequenz - müssen die Wissenschafts- und Bauminister der Länder auch darauf achten, dass an den Hochschulstandorten ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht. Empfehlenswert wäre zum Beispiel, vor Ort mit allen Beteiligten lokale Bündnisse für bezahlbares Wohnen und Bauen anzugehen. ({15}) Der Bund hält an seinem Engagement für den sozialen Wohnungsbau und die Unterstützung von sozial bedürftigen Mietern fest, und nicht nur das: Wir bauen dieses Engagement auch noch aus. Mietpreisbremse, Wohngeldnovelle und BAföG-Erhöhung - das sind die zentralen Schlagworte. Nun sind die anderen Beteiligten aufgerufen, dem gleichzutun. Länder und Kommunen sind ebenso gefordert. Sie müssen das Ihre tun, damit sich der Wohnungsmarkt insgesamt entspannt. Ich wiederhole es gern: Gegen Wohnungsnot hilft nur eins: bauen, bauen, bauen. ({16}) Liebe Freunde der Linken, mit einem pauschalen Ruf nach dem Bund ist es nun nicht mehr getan. Da hilft auch der Zweitaufguss Ihres Teebeutelantrags nicht. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Oliver Kaczmarek das Wort. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Schöne an diesem Antrag war, dass man wieder Gelegenheit hatte, sich mit der Realität des studentischen Wohnens und dem Bedarf zu beschäftigen. Das Problem ist in der Tat unbestritten. Ich glaube nur, dass der Antrag der Realität nicht gerecht wird. Dazu würde ich gerne drei Feststellungen machen. Die erste Feststellung: Der Bedarf ist regional unterschiedlich. Das ist hier schon angesprochen worden. ({0}) Ihren Antrag beginnen Sie mit dem Satz: Insbesondere in klassischen Studierendenstädten ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt. Als jemand, der in Bochum studiert hat, frage ich Sie zuerst: Was ist eigentlich eine klassische Studierendenstadt? Denn das hat sich mittlerweile ziemlich ausdifferenziert. Im Umkreis von 50 oder 60 Kilometern um meinen Wohnort Kamen herum liegen der Hochschulstandort Münster - ja, das ist eine klassische Universitätsstadt -, aber auch Dortmund, Bochum, Essen und Wuppertal als traditionelle Pendlerstandorte - 30 Prozent und mehr der Studierenden wohnen zu Hause - sowie Städte wie Hamm, Iserlohn, Nordkirchen und Me5694 schede. Die Realität des studentischen Wohnens ist also vielfältiger, als wir das in diesem Antrag lesen können. Deshalb brauchen wir einerseits lokal passende Ideen für Wohnheimbauten. ({1}) Ja, das ist richtig. Auch Bestandssanierungen gehören dazu. Da nehmen die Studentenwerke auch viel Geld in die Hand. Daneben brauchen wir eine Strategie für die Umwidmung leerstehenden Wohnraums. Allein in Duisburg - übrigens auch eine Universitätsstadt - stehen 12 000 Wohnungen leer. Dort muss man doch versuchen, den Bedarf und das zur Verfügung Stehende übereinanderzubringen. Gleichzeitig brauchen wir flexibel nutzbare Wohneinheiten. Alles das findet im Antrag der Linken nicht statt. Deswegen wird er der regionalen Vielfalt des studentischen Wohnens nicht gerecht. ({2}) Die zweite Feststellung: Der Bedarf verändert sich natürlich auch mit veränderten Lebensformen der Studierenden. Die Konstellationen haben sich gewandelt. Studieren mit Kind bzw. mit Familie nimmt zu; Wohnen mit Partner nimmt zu. Nach der Sozialerhebung des DSW wohnen allein 20 Prozent der Studierenden mit ihren Partnerinnen und Partnern zusammen. Das heißt: Wir benötigen nicht nur die eine Angebotsform. Der Ausbau und die Modernisierung von Wohnheimplätzen sind sinnvoll. Das wird niemand infrage stellen. Sie decken aber eben nicht den Bedarf aller Studierenden ab. Dazu brauchen wir auch privaten Wohnraum und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Nur durch das Zutun aller Akteure wird man dieser Vielfalt gerecht. ({3}) Die dritte Feststellung: Ja, es ist wahr, dass Studierende von der Mietsituation in den Metropolen besonders betroffen sind - aber eben nicht allein. Deswegen ist es wichtig, das in eine Strategie einzubetten, die unter anderem auch einkommensschwache Familien in den Mittelpunkt rückt, wenn es um bezahlbaren Wohnraum geht. Die Ministerin knüpft hier mit ihrem Bündnis übrigens auch an Erfahrungen aus den Hochschulstandorten an, indem sie sich für Runde Tische einsetzt, die in den Hochschulstädten gegründet worden sind. So sollen die Akteure an einen Tisch gebracht werden, um damit den ersten Schritt zu machen. Auch die Länder können einen wichtigen Beitrag leisten. Das Bundesland Berlin hat sich vorgenommen, bis 2016 30 000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen. 15 000 sind schon realisiert worden. Daran zeigt sich, dass die Länder auch klar ihrer verfassungsgemäßen Verantwortung nachkommen und in so wichtigen Städten wie Berlin durchaus Wohnraum schaffen. ({4}) Was getan werden muss, ist die Umsetzung einer Strategie der Vielfalt, bei der man den realen Bedarf des Studierendenwohnens aufnimmt und nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgeht. Die Länder können etwas tun. Nordrhein-Westfalen ist hier schon als Beispiel genannt worden. Dort stellt die Landesregierung 50 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Damit können 750 Wohnheimplätze pro Jahr gebaut werden. Man verbindet das mit der Aussage, dass dann auch Impulse für die Stadtentwicklung gesetzt werden müssen; denn 2025 sind die Studierendenzahlen in Nordrhein-Westfalen wieder auf dem Stand von 2009. Deshalb muss man sich auch überlegen: Was passiert eigentlich danach mit diesem Wohnraum? Der Bund leistet mit der BAföG-Novelle einen substanziellen Beitrag. Das ist hier gerade schon angesprochen worden. Ich will das noch einmal betonen. Laut der letzten statistischen Veröffentlichung des DSW beträgt die Monatsmiete in Wohnanlagen der Studentenwerke derzeit im Durchschnitt 223 Euro. Wir werden die Wohnpauschale für auswärts wohnende Studierende - auch wenn das nicht allen gerecht wird - auf 250 Euro anheben. Allein für diesen Posten werden wir im Bundeshaushalt jedes Jahr 160 Millionen Euro mobilisieren. ({5}) Das ist ein substanzieller Beitrag zur Verbesserung der Lage. Ich komme zum Schluss. Lassen Sie uns an dieser Stelle nicht nur Überschriften produzieren, sondern lassen Sie uns auch schauen, wie wir substanzielle Verbesserungen herbeiführen können. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht der Kollege Dr. Volker Ullrich. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erfolgreiches Lernen braucht gutes Leben. 100 000 Studenten schicken sich in diesen Tagen an, ihr Studium aufzunehmen. Sie arbeiten für ihren eigenen Lebenserfolg und mehren damit auch den Wohlstand und die Innovationskraft unserer gesamten Gesellschaft. Viele machen sich auf, um nicht nur eine neue Lebenswirklichkeit und Lebensumgebung kennenzulernen, sondern auch, um sich auf ihr Studium zu konzentrieren. In einigen wenigen Städten ist dies im Augenblick nicht in dem Umfang möglich, wie wir es uns alle wünschen würden. Es gibt vereinzelt Quadratmeterpreise im zweistelligen Bereich, Wohnheimzimmer mit einem Preis von 400 bis 500 Euro und Wartelisten für Studentenwohnheime. Die damit verbundenen Sorgen teilen wir. Diese Sorgen haben dazu geführt, dass diese Koalition gehandelt hat und auch weiterhin erfolgreich handeln wird. ({0}) Lassen Sie uns zunächst vielleicht auf die Ursachen der Probleme zu sprechen kommen. Eine Ursache ist doch der Erfolg unserer eigenen Bildungspolitik. Die Anzahl der Studenten in Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren beinahe verdoppelt. In den letzten 10 Jahren ist die Anzahl der Studenten in einem sechsstelligen Bereich gestiegen. Wir bekommen glücklicherweise immer mehr Anfragen von Studenten aus aller Welt, die diesen Standort auch dank unserer Politik attraktiv finden und in Deutschland ein Studium aufnehmen wollen. Dieser Erfolg der eigenen Politik hat in einigen Städten zweifelsohne zu einer Verknappung des Wohnraums geführt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Die entscheidende Frage ist aber: Wie gehen wir mit dieser Gemengelage um? Da drängen sich einige Antworten auf. Ich kann Ihnen ehrlich sagen: Wenn wir hier in diesem Hohen Hause auch nur eine Maßnahme beschließen würden, die die Linken gefordert haben, dann würden wir das Problem nicht lösen, sondern sogar noch verstärken. ({1}) Dies ist nicht die erste Debatte, bei der ganz reellen Problemen durch Scheinlösungen entgegenzutreten versucht wird. Das, glaube ich, tut den Studenten in diesem Land nicht gut. ({2}) Wir müssen uns zunächst einmal auf die wirklichen Lösungsansätze konzentrieren. Ein solcher Ansatz ist zunächst einmal die angesprochene Mietpreisbremse. Die Mietpreisbremse schafft keinen zusätzlichen Wohnraum. Sie wird dafür sorgen, dass der Mietpreisanstieg in manchen Gebieten begrenzt wird. ({3}) Das ist eine flankierende Maßnahme; aber sie ist sicherlich keine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Studenten jetzt und in den nächsten Jahren mehr Wohnraum zur Verfügung haben. Ganz im Gegenteil: Eine flächendeckende, einheitliche Mietpreisbremse für ganz Deutschland ist ein Programm zur Verhinderung von Investitionen. ({4}) Ein weiterer Punkt ist die Frage: Wie gehen die Länder mit den Mitteln um, die durch die von diesem Haus beschlossene BAföG-Reform frei werden? 1,17 Milliarden Euro ist die Höhe des Entlastungsbetrages für die Länder in den nächsten Jahren. Wir werden sehr genau hinsehen, ob die Länder, in denen auch die Linke und die Grünen in Verantwortung sind, jeden Cent für die Bildung und möglicherweise auch für die Schaffung von studentischem Wohnen ausgeben oder nicht. Die Signale, wenn ich einmal so formulieren darf, sind nicht positiv. ({5}) Die Formulierung muss sein: Die Länder sind in der Pflicht, ({6}) diese Mittel für Studenten auszugeben; sie dürfen sie nicht für andere Aufgaben verwenden. ({7}) Dann kommen wir zur Erhöhung des BAföG. Ich meine, in einer Zeit, in der der Schwerpunkt auf haushaltstechnischer Konsolidierung liegt und wir uns unserer finanzpolitischen Verantwortung bewusst sind, ist die deutliche Erhöhung des BAföG 2016/17 ein großartiger Schritt und ein tolles Signal; das sollte man nicht kleinreden. ({8}) Zum Thema Wohnraum. Der beste Wohnraum ist derjenige, der neu gebaut wird. ({9}) Deswegen sind unsere Anstrengungen darauf gerichtet, neuen Wohnraum zu schaffen. Wir werden die entsprechenden Instrumente auch liefern. Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber unterhalten, unter welchen steuerlichen Bedingungen wir zukünftig Wohnraum schaffen werden. Ein Instrument wäre mit am wirksamsten - das haben Sie gar nicht angesprochen, aber darüber werden wir nachdenken -, und das ist die Wiedereinführung der degressiven AfA. Derjenige, der investiert, soll die Möglichkeit haben, schnell von der Steuer dafür belohnt zu werden, dass er privates Kapital lockermacht, um auf dem Wohnungsmarkt Akzente zu setzen. ({10}) Abschließend sei daran erinnert, dass wir bei all der Freude über die Entwicklung in Hochschulstädten auch darüber nachdenken müssen, ob wir insgesamt immer die rechte Balance finden. Wir müssen betonen, dass die berufliche Bildung, die Ausbildung zum Meister in einem Handwerksberuf, gerade auch im ländlichen Raum, gleichwertig ist und dass es nicht immer ein Allheilmittel ist, ein Studium anzustreben, sondern ganz im Gegenteil. Wir haben die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung zu einem unserer zentralen Handlungsfelder gemacht. Wenn wir diese Gleichwertigkeit bedenken, wenn wir Politik machen, dann können wir vielleicht auch die Überhitzungsreaktionen in eini5696 gen Großstädten zurückfahren. Das, glaube ich, ist ein ganz wichtiger Aspekt. ({11}) Meine Damen und Herren, eines steht für uns fest: Die Länder und die Kommunen sind in der Pflicht, durch Bauleitplanungen, durch Aktionsprogramme, durch finanzielle Unterstützung mehr Wohnraum für Studenten zu schaffen oder Anreize dafür zu setzen, dass Private das machen. Unserer Auffassung nach muss das auch im Herzen der Städte geschehen. Das Miteinander der Generationen, der Menschen in den Städten, die Begegnung, die Inspiration, Kunst und Kultur, das ist für uns eine Leitschnur für städtebauliches Handeln. Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich auf die Große Koalition! ({12}) Wir werden dafür sorgen, dass es mehr Wohnraum gibt und dass die Sorgen der Studenten in diesem Land behoben werden. In diesem Sinne alles Gute zum Studienanfang! Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulli Nissen das Wort. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über den Antrag der Linken „Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen“. Es ist wie so oft bei Ihren Anträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Titel klingt klasse - so wie „Reichtum für alle“. Aber es gibt ja nicht nur den Titel, sondern auch den Text. Ihr Antrag ist ein einziger Wunschzettel - wir haben bald Weihnachten -, egal wie es in unserem politischen System geregelt ist. Sie wissen doch: Seit der Föderalismusreform 2006 ist die soziale Wohnraumförderung - dazu gehört das studentische Wohnen - Ländersache. Deshalb ist es gut, dass die Länder 518 Millionen Euro jährlich als Kompensationszahlung erhalten, um Wohnraum zu fördern. Ich komme aus der Banken- und Hochschulstadt Frankfurt und weiß, wie schwer es in Ballungsräumen ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Für Studierende ist es dort besonders schwierig: Die Mieten sind hoch, und Studierende haben in der Regel wenig Geld. Ein WG-Zimmer in Frankfurt kostet durchschnittlich 418 Euro. Nur München ist mit 521 Euro teurer. Zu Semesterbeginn zeigt sich dieses Problem immer wieder deutlich. In Frankfurt gibt es derzeit 65 000 Studierende. Das sind fast 10 Prozent der Bevölkerung. Bei uns suchen viele Studenten einen Wohnheimplatz. Rund 2 000 Studentinnen und Studenten stehen auf der Warteliste für einen Wohnheimplatz. So ist es nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Hessen und im gesamten Bundesgebiet. Die rot-schwarze Regierungskoalition kennt das Problem. Deshalb handeln wir auch. Wir kümmern uns aber um alle Mieterinnen und Mieter - um die Studierenden, aber auch um die Rentnerinnen und Rentner sowie um die Gering- und Normalverdiener. Alle sollen die Möglichkeit haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden. ({0}) Wir machen als Große Koalition unsere Hausaufgaben dort, wo wir können und wo wir es laut Grundgesetz auch dürfen. Wir haben eine Mietpreisbremse auf den Weg gebracht. Selbst Herr Luczak hat da zum Schluss mitgemacht. Sie schafft zwar keine neuen Wohnungen, trägt aber dazu bei, dass die Mieten nicht mehr so stark steigen. Ich bin unserer Bundesministerin Barbara Hendricks dafür dankbar, dass sie auf Bundesebene ein Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen initiiert hat. Auch dort werden diese Probleme angegangen, damit Bund, Länder und Kommunen gemeinsam etwas Gutes erarbeiten können. Das geht, Herr Kühn, nicht von einem Tag auf den anderen. Wir wollen es nämlich gut machen. ({1}) Wir wollen nicht nur mehr, sondern mehr bezahlbaren Wohnraum. Was tun wir? Wir erhöhen das Wohngeld, und ich persönlich setze mich intensiv auch für die Wiedereinführung der Energiekostenkomponente ein. Außerdem haben wir die Mittel für die Städtebauförderung deutlich erhöht. Das bringt auch den Ländern und Kommunen Entlastung. Natürlich lassen wir die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben nicht aus der Pflicht. Zum einen gibt es die Möglichkeit, Liegenschaften und Konversionsflächen zu verbilligten Konditionen an Kommunen abzugeben, wenn es der Wohnraumförderung dient. Das kann natürlich auch studentisches Wohnen bedeuten. Weiterhin prüfen wir natürlich auch, wie wir die Aufgaben der BImA mit unseren wohnungs- und sozialpolitischen Zielen in Einklang bringen können. Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass wir hier gemeinsam auf einen guten Weg kommen. ({2}) All das wird in Gesamtheit dazu führen, dass sich die Wohnungsnot für alle entspannen wird. Die guten Nachrichten bezüglich des BAföG sind schon von Kollegen erwähnt worden. Ab nächstem Jahr - das ist wirklich wichtig - werden die Länder um 1,2 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. ({3}) Natürlich wäre es - das ist überhaupt kein Thema toll, wenn die erhöhten BAföG-Sätze, die ab August 2016 kommen, eher eingeführt werden würden. ({4}) Die Erhöhung auf 250 Euro beim Wohnzuschlag ist aber auch ganz wichtig. Sie von den Linken haben eine tolle Forderung. Sie fordern, dass in Hochschulstädten die Mehrkosten für Miete übernommen werden sollen. Super! Die Vermieter werden sich freuen und „Klasse!“ sagen. Sie werden das nutzen, um die Mieten zu erhöhen. Damit lösen Sie die Probleme nicht, sondern schaffen neue. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wenig hilfreich, in einem Antrag Dinge vom Bund zu fordern, die nicht in seiner Kompetenz liegen. Sie tun so, als täten die Länder, Städte und Hochschulen gar nichts. ({5}) - Die Linken interessieren sich nicht dafür; aber ich fände es schön, wenn Sie zuhören würden! ({6}) Bei der Grundsteinlegung eines neuen Studentenwohnheimes merkte der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann richtigerweise an, dass Stadt, Land, Hochschulen und Studentenwerke zusammenarbeiten müssen. ({7}) Auf dem Frankfurter Riedberg wird das Gebäude auf einem erbpachtfreien Grundstück mit zinsfreien Krediten der Stadt Frankfurt finanziert. Das ist vielleicht ein Vorbild für andere Städte. Das Motto des Frankfurter Oberbürgermeisters lautet immer „Bauen, bauen, bauen!“ Da kann ich ihm nur voll zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dank Ihres Antrages konnten wir einiges klarstellen. - Natürlich wollen auch wir Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen; aber wir wollen das nicht nur in Hochschulstädten, sondern auch auf anderen angespannten Wohnungsmärkten. Wir wollen nicht nur etwas machen, sondern wir tun bereits eine Menge, um Wohnen bezahlbar zu machen; aber wir wissen auch, dass gemeinsame Anstrengungen aller nötig sind. Bund, Länder und Kommunen zusammen können es schaffen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. - Von dieser Stelle aus möchte ich einen kurzen Gruß an meinen Sohn Moritz schicken, der heute 27 wird. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dem schließen wir uns alle an. - Als nächster Redner hat der Kollege Karsten Möring das Wort. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich schließe mich dem Glückwunsch an. ({0}) Ich hoffe, er hat sein Studium schon hinter sich. - Es gibt ein Spiel, bei dem man zu bestimmten Worten ganz schnell assoziativ Ergänzungen bringen muss. Wenn ich dieses Spiel mit den Kollegen von der Linken mache und das Wort „Wohnung“ nenne, dann kommt das Wort „Not“ als nächstes Wort. Wenn ich „Miete“ sage, dann kommt „Hai“, „Steigerung“, „Wucher“. Zwei dieser Varianten haben Sie in der Überschrift Ihres Antrages schon gewählt. ({1}) - Passen Sie einmal auf: Wenn Sie einem Investor nicht zugestehen, dass er für sein Geld eine Verzinsung erhält, die ein bisschen über dem liegt, was er von der Bank bekommen würde, dann sind wir an dem Punkt, den Sie wollen: Dann darf nur der Staat bauen. Wohin das führt, haben wir in den letzten Jahren in einem Teil Deutschlands mehr als genug erlebt. ({2}) Ihr Instrumentenkasten besteht aus staatssozialistischen Ladenhütern. Damit kommen wir überhaupt nicht weiter. ({3}) - Ja, es ist schön. Sozialer Wohnungsbau braucht auch private Investoren. Wenn Sie die nicht haben, dann können Sie sich das an den Hut stecken, dann wird nicht gebaut - ganz einfach. Gewisse Regeln werden hier immer eingehalten. Die gelten unabhängig davon, ob Sie sie gutheißen oder nicht, weil es das normale Verhalten aller Beteiligten ist. Als darauf hingewiesen worden ist, dass Sie den vorliegenden Antrag schon einmal in wenig veränderter Form gestellt haben - er kehrt immer wieder -, ({4}) haben Sie dazwischengerufen: Es ist ja nichts passiert! Ich erinnere mich dunkel, dass die Linke in Berlin zehn Jahre mitregiert hat, dass sie viele Jahre den Senator für Stadtentwicklung gestellt hat. ({5}) Ich frage einmal: Was ist in dieser Zeit in Berlin für studentisches Wohnen passiert? Extrem wenig, bis nichts. An den Regierungen, an denen Sie sonst beteiligt sind, sehe ich auch nicht, dass in diesem Bereich Klimmzüge oder Meisterleistungen erbracht werden. Dabei ist das Problem klar. Sie schreiben in Ihrem Antrag immer: für die Studenten, für die Studenten. Wir sind nicht der Auf5698 fassung, dass man unsere Bevölkerungsgruppen schön auseinanderdividieren kann. ({6}) Wir machen unsere Wohnungspolitik und unsere Wohnungsbaupolitik für die gesamte Bevölkerung, die es nötig hat. Dazu gehören die Studenten. Dazu gehören Gruppen mit geringem Einkommen, und dafür haben wir verschiedene Instrumente. Es ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass die Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Ich sage einmal ganz einfach: Die BAföG-Erhöhung, die wir haben, füllt nicht nur den Geldbeutel der Studenten und versetzt sie in die Lage, mehr Geld auszugeben als bisher, sondern der Bund - dadurch, dass er den gesamten Bereich übernimmt - entlastet auch die Länder und erleichtert damit die Wohnbauförderung. Die Förderung studentischen Wohnraums ist primär und fast ausschließlich Sache der Länder. Das soll auch so bleiben. ({7}) 518 Millionen Euro ist die jährliche Zuweisung des Bundes an die Länder. Frau Kollegin Magwas hat darauf hingewiesen, dass leider nicht alle Länder dieses Geld zweckentsprechend verwenden. Bayern tut es - ich komme gleich darauf zurück -, auch Nordrhein-Westfalen tut es. Eben hat ein Kollege die Situation in Nordrhein-Westfalen lobend erwähnt. Dort will man bis 2018, 2020 - ich habe die Zahl nicht mehr genau im Kopf 800 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau und für studentisches Wohnen einsetzen. Ich stimme in das Lob sofort ein, wenn das Land es gleichzeitig schafft, seine Schulden und seinen Haushalt besser in den Griff zu bekommen; denn das sind die beiden Seiten einer Medaille. ({8}) Ansonsten - alle Achtung, wenn es so geschieht stimme ich dem zu, und es ist lobenswert.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Möring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiese? ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Innerhalb der Koalition sowieso sehr gerne, Herr Kollege.

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Möring, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Würden Sie mir zustimmen, dass die mittelfristige Finanzplanung der schwarz-gelben Koalition unter Jürgen Rüttgers für Nordrhein-Westfalen eine Nettoneuverschuldung für das Jahr 2014 von über 6 Milliarden Euro vorsah? Würden Sie mir zustimmen, dass in diesem Jahr der Haushalt in NRW nicht gut ist, aber eine Nettoneuverschuldung von ungefähr 3 Milliarden Euro vorsieht? Würden Sie mir zustimmen, dass das eine enorme Differenz im Gegensatz zum Haushalt, den Schwarz-Gelb in NRW geplant hatte, ist? ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Ja. - Nein; aber erst am Ende der Periode, die Sie angesprochen haben, würde ich mir ein abschließendes Urteil erlauben. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn eine Debatte über solch einen Antrag 96 Minuten dauert, dann besteht das Problem, ({1}) dass man entweder alles wiederholen muss, was schon gesagt worden ist, oder seine Redezeit nicht ausnutzen kann. Nun weiß ich aus meinem früheren Leben, dass Wiederholungen eigentlich positiv sind, weil sie zur Festigung des Gesagten beitragen. ({2}) Aber meine Vermutung ist, dass das in diesem Fall in Bezug auf die Kolleginnen und Kollegen der Linken auch nichts hilft. ({3}) Insofern will ich mir die inhaltlichen Wiederholungen sparen. ({4}) Ich möchte Sie stattdessen einladen, einen Blick auf Köln zu werfen. Zunächst noch eine kleine Vorbemerkung: Ich habe in Anbetracht der vielen Aussagen, wie teuer das Wohnen ist - in München, in Frankfurt, in Hamburg -, festgestellt, dass wir offensichtlich alle von unterschiedlichen Zahlen ausgehen. Die Zahlen für Köln, die ich vom Studentenwerk und anderen interessierten Gruppen habe, belegen eindeutig, dass in Köln am teuersten gewohnt wird. Eben habe ich aber gehört, dass München am teuersten ist, und dann habe ich gehört, dass Frankfurt am teuersten ist. Ich habe den Eindruck, dass es hier einen Wettlauf darum gibt, wo es am schlimmsten ist. ({5}) In Wirklichkeit haben wir aber - das ist auch schon angedeutet worden - eine sehr differenzierte Situation, weil wir zwar in einigen Bereichen wirklich ein Problem mit der Unterbringung haben, in vielen Bereichen aber nicht. ({6}) Einmal abgesehen davon, dass Studenten ihren Studienort nicht in allen Fällen frei wählen können, sind sie - auch darauf möchte ich hinweisen - sehr wohl in der Lage, Einfluss darauf zu nehmen, wo sie studieren, ({7}) und dass sie damit auch eine Entscheidung darüber treffen, wie hoch ihre Lebenshaltungskosten sind. ({8}) Das zu entscheiden, liegt in der Freiheit des Einzelnen. Da kann man dann nur sagen: Nutzt diese Freiheit und entscheidet, was ihr euch leisten wollt und was ihr euch nicht leisten wollt. ({9}) Ich will gar nicht so weit gehen, zu hinterfragen, wie viel Geld für’s Wohnen, wie viel Geld für’s Auto oder wie viel Geld für den Urlaub ausgegeben wird. Das muss jeder für sich entscheiden: jeder normale Arbeitnehmer, jede Familie und letztlich auch alle Studenten. ({10}) - Ja, ist völlig klar. Ich weiß, Studieren kostet Geld. Ich habe es ja auch selbst einmal erlebt. Kommen wir jetzt auf Köln zu sprechen. Wir brauchen außer Geld sicher auch kreative Lösungen. Deshalb lade ich Sie ein, einmal einen Blick nach Köln zu werfen. Erster Punkt. Dort hat das Studentenwerk eine alte Polizeistation, deren Eigentümer das städtische Wohnungsunternehmen ist, angemietet, die Räume umgebaut - nicht die Zellen; die werden versiegelt - und bietet dort studentisches Wohnen an. Das ist ein Weg, wie es geht. Zweiter Punkt. Die Stadt - einvernehmlich, über alle Fraktionen hinweg - betreibt eine Liegenschaftspolitik, bei der sie bestimmte Liegenschaften, die sie ja auch zum Verkehrswert verkaufen muss, als Objekte bzw. Gebiete für studentisches Wohnen definiert. Da kommen dann Investoren zum Zuge, die studentischen Wohnraum bauen und anbieten wollen. Wenn man das exklusiv für einen solchen Zweck ausweist, dann hat man auch keine Konkurrenz zwischen Bewerbern, die ganz andere Vorstellungen haben und höhere Preise zahlen würden. ({11}) Es liegt in der Hand der Kommunen, mit solchen Instrumenten studentisches Wohnen zu fördern. Ein letzter Punkt - da ist wieder ein bisschen Kritik an Studenten enthalten -: Die kommunalen Wohnungsunternehmen in Köln haben vor ungefähr zwei Jahren aus ihrem Bestand 700 bis 800 Wohnungen - kleine Wohnungen, für Wohngemeinschaften brauchbare Wohnungen - für studentisches Wohnen angeboten. Bevor das Projekt wirklich spruchreif war, hat der AStA eine Stellungnahme abgegeben und gesagt: Die Wohnungen kommen nicht infrage; die sind nicht geeignet; die sind in einem zu schlechten Zustand - obwohl dort bis dahin andere Mieter wohnten -, und die liegen zu weit verteilt über die Stadt und zu weit entfernt von der Uni. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn zumutbar bei der Bezahlbarkeit, aber auch beim Weg? Wenn ich fünf Minuten von der Uni entfernt wohnen will, wenn ich fünf Minuten von der Altstadtszenerie entfernt wohnen will - in Köln heißt das Kwartier Latäng - zahle ich natürlich mehr. Jeder normale Arbeitnehmer, der morgens zur Arbeit fährt und abends zurück, nimmt Wegezeiten in Kauf, die viele Studenten für sich ablehnen. So, meine ich, geht das nicht. ({12}) Ein letzter Satz; denn ich habe gemerkt, dass meine Redezeit tatsächlich schon vorüber ist - so schnell kann das gehen. Herr Gehring, Sie haben auf den Runden Tisch des Kollegen Ramsauer hingewiesen und ein bisschen darüber gespottet. ({13}) Kollege Ramsauer hat da etwas über die Zuständigkeit des Bundes hinaus gemacht: Er hat diejenigen, die damit zu tun haben, an einen Tisch gebracht. - Sie haben nun gesagt: Dabei ist aber nichts herausgekommen. ({14}) Doch! Dabei ist ein Informationsaustausch zwischen den Beteiligten herausgekommen, und wir setzen ihn im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen fort. ({15}) Damit wird nicht gebaut, aber damit werden die Interessen und die Möglichkeiten abgeglichen, Ideen gesammelt und geklärt, was man braucht. Wirklich letzter Satz: Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir in der Baunutzungsverordnung die eine oder andere Anpassung vornehmen müssen, um die Umwidmung von Büroraum, der nicht mehr modern genug ist, zu Wohnmöglichkeiten für Studenten oder Ähnlichem zu eröffnen, dann ist auch das eine positive Folge solcher Gespräche. Wir werden hier Schritt für Schritt weitergehen und uns nicht durch solche Anträge aufhalten lassen - allerhöchstens 96 Minuten lang. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dennis Rohde für die SPDFraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt heute ein Antrag der Linken zur Situation auf dem Wohnungsmarkt speziell in Hochschulstädten vor. Ich gebe ihnen in dem einen Punkt recht: Hochschulstädte haben oftmals ein Wohnraumproblem, und sie haben somit auch ein Problem mit steigenden Mietpreisen. Wir wissen aber auch, dass wir nicht nur über eine isolierte Lösung für Studierende nachdenken sollten; ({0}) denn natürlich sind auch in Hochschulstädten andere gesellschaftliche Gruppen ebenfalls betroffen. Wir müssen auch über Lösungen für Menschen mit niedrigem Einkommen, für Sozialleistungsempfänger, für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit kleinen Renten und - das ist leider oftmals auch nötig - für Alleinerziehende nachdenken. All das müssen wir mitbedenken. Wir brauchen Lösungen, die allen gerecht werden und die insbesondere nicht die eine Gruppe gegen die andere ausspielen. ({1}) Wir werden dieses Problem in der Großen Koalition entschlossen angehen, und zwar im Rahmen des Verfassungsrechts; das ist etwas, was Sie in Ihrem Antrag insbesondere im Hinblick auf die Mietpreisbremse nicht beachten; ich komme gleich kritisch darauf zu sprechen. Wir werden das Problem angehen, indem wir insbesondere die Städtebauförderung aufstocken und das Bestellerprinzip bei den Immobilienmaklern einführen, also dafür Sorge tragen, dass Menschen nicht mehr dadurch vom Abschluss eines Mietvertrages abgehalten werden, dass sie sich die hohe Einmalzahlung nicht leisten können. Und ja, wir werden eine Mietpreisbremse einführen, die wirkt. ({2}) Wenn man sich anschaut, welche Forderungen sich da innerhalb der Koalition gegenüberstanden - wir haben sie leider nicht nur immer intern diskutiert, sondern sie wurden manchmal auch öffentlich kommuniziert -, dann muss man sagen: Es wird eine Mietpreisbremse mit klarer sozialdemokratischer Handschrift. Wir haben uns nicht vom Weg abbringen lassen. Wir haben uns durchgesetzt, und darauf sind wir auch stolz. ({3}) Jetzt zur Mietpreisbremse der Linken. Ich finde Ihre Forderung einfach nicht seriös, und ich glaube, ein Gesetz auf Basis Ihrer Vorschläge würde im Endeffekt keiner Mieterin und keinem Mieter helfen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solches Gesetz bei der erstbesten Möglichkeit vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert werden würde. Denn das, was Sie vorschlagen, ist ja keine Mietpreisbremse; das ist eine Wohnungsmarktvollbremsung im dichten Stadtverkehr. Da ist der Auffahrunfall leider vorprogrammiert. ({4}) Denn was fordern Sie? Sie fordern erstens, eine „Mieterhöhung allein wegen der Wiedervermietung“ auszuschließen. Zu Deutsch: Sie fordern die Abschaffung des marktwirtschaftlichen Prinzips von Angebot und Nachfrage. Sie wollen nicht einmal einen Rahmen für Mietabschlüsse bieten. Sie wollen Mietabschlüsse diktieren. Das ist eine Reduktion der Vertragsfreiheit fast auf null. Das ist weder richtig noch verfassungskonform. Solche Sachen wird es mit uns Sozialdemokraten nicht geben. ({5}) Sie fordern zweitens, dafür zu sorgen, dass Mieterhöhungen im Bestand nur noch zum Ausgleich der Inflation zulässig sind. Ich bitte Sie alle, sich einmal vorzustellen, was los wäre, wenn wir morgen eine solche Regelung einführen würden. Damit würden wir nämlich genau diejenigen bestrafen, die in den letzten Jahren, im letzten Jahrzehnt auf Mieterhöhungen verzichtet haben. Es gibt ja nicht nur den bösen Vermieter und den guten Mieter. Ich kenne auch viele Vermieter, die sagen: Mein Mieter hat ein kleines Einkommen; ich habe deswegen seit Jahren auf Mieterhöhungen verzichtet, damit die Person in meiner Wohnung bleiben kann. - Wenn wir diesen Vermietern jetzt sagen: „Wenn der Mieter einmal ausgezogen ist, dann darfst du die Miete nicht bzw. nur in Höhe der Inflationsrate erhöhen“, dann wird nur eine Miete erzielt werden können, die dauerhaft unter der ortsüblichen Vergleichsmiete bleibt, und der eigentlich Soziale ist am Ende der Bestrafte. Das kann nicht richtig sein. ({6}) Dann wird immer wieder gefordert, dass die Mietpreisbremse auch für Neubauten gelten solle. Für die SPD sage ich: Neubauten ähnlich wie jetzt schon von einer solchen Regelung auszunehmen, ist richtig; denn eine Mietpreisbremse schafft keinen zusätzlichen Wohnraum; sie lindert das Symptom. Aber wir müssen die Ursache bekämpfen, und die Ursache bekämpfen wir nur, indem wir Angebot und Nachfrage wieder ins richtige Verhältnis setzen, indem wir Anreize für Neubau setzen und ihn nicht noch zusätzlich blockieren. ({7}) Ich sage Ihnen auch: Eine Gefährdung der Mietpreisbremse besteht nicht. Es gibt 42 Millionen Bestandswohnungen, und jedes Jahr kommen circa 250 000 Neubauwohnungen - das sind rund 0,6 Prozent - dazu. Wer da von einer Gefährdung der Mietpreisbremse spricht, der macht sich selbst etwas vor. Wir tun für den Mietmarkt, was wir tun können. Wir versprechen nicht das Blaue vom Himmel, eben weil wir wissen, dass es keine kurzfristigen Lösungen gibt. Für Entspannung auf dem Mietmarkt zu sorgen, ist ein langfristiger Prozess. Die Botschaft der Großen Koalition des heutigen Tages ist aber auch: Wir sind bereit, diesen Prozess anzugehen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Rohde hat sich eben trefflich mit dem Antrag der Linken auseinandergesetzt. Ich möchte für mich festhalten: Ich finde es gut - auch wenn es 96 Minuten sind -, dass wir uns mit der Wohnungsversorgung in Universitäts- bzw. Hochschulstädten einerseits und der Situation von Studierenden hier andererseits auseinandersetzen. ({0}) Man lernt auch dazu, etwa durch die Berichte der Kollegin Gohlke über München oder durch die vom Kollegen Möring aus Köln eingebrachten Anregungen. Ich selber komme nicht aus einer Universitätsstadt. Ich komme aus dem Kreis Pinneberg, der in der Metropolregion Hamburg liegt. Selbstverständlich wird in Hamburg im Ausbauprogramm für Wohnraum studentischer Wohnraum berücksichtigt. Trotzdem war es wichtig, dass auch in einer Randstadt wie Pinneberg ein gemeinnütziger Wohnungsbauträger mit einem freien Finanzier gemeinsam überlegt hat, ob man dort - auch wenn die Entfernung zur Universität 20 Kilometer beträgt - in ein großes Neubauvorhaben nicht auch studentischen Wohnraum integrieren kann. Ich werbe ausdrücklich dafür, dass wir Abgeordneten das zu unserem Anliegen machen und es nicht delegieren. Hier sind nicht nur die Metropolen gefragt, sondern es geht um infrastrukturelle Gesamtnetze. So ist zu fragen: Müssen Studenten immer im Zentrum wohnen - was sicherlich am schönsten ist; der Kollege hat es eben angesprochen -, oder kann man das Problem nicht auch dadurch lösen, dass man gut angebundene Wohnungen baut, die zwar in Randlage liegen, aber durch öffentlichen Nahverkehr gut zu erreichen sind? Unsere Aufgabe ist es, dafür zu werben; und dabei müssen wir auch die besonderen Bedürfnisse von studentischem Wohnen ansprechen und um Verständnis werben. Frau Magwas, ich bin nicht ganz Ihrer Meinung. Natürlich ist es so, dass sich Studierende wünschen, in der Nähe einer lebendigen Hochschulkultur, die wir auch erhalten müssen, und am liebsten sogar noch neben dem Institut, zu wohnen statt als Masse in Studentenwohnheimen. Zugleich freuen wir uns darüber, dass viele Studenten aus anderen Ländern zu uns kommen. Für diese ist das Studentenwohnheim eine Art Eintrittskarte, um leicht Anschluss zu finden, um sich angenommen zu fühlen. Deshalb ist es so wichtig, den Bau studentischer Wohnheime weiter zu fördern. ({1}) Es ist ja nicht so - ich möchte an dieser Stelle konstruktiv auf die Position der Linken eingehen -, dass in den Ländern nichts passieren würde. Wir erinnern uns an frühere Mitteilungen des Deutschen Studentenwerkes, aus denen noch vor wenigen Jahren hervorging, dass sich nur zwei, drei Länder beim Wohnheimbau engagieren. An der Spitze stand Bayern, das mittlerweile von NRW abgelöst wurde; auch Baden-Württemberg wurde genannt. Inzwischen engagieren sich aber bis zu neun Länder beim Bau von Studentenwohnheimen. Es wäre gut, wenn es irgendwann einmal 16 Länder werden würden. Zugleich wissen wir, dass es eine differenzierte Bedarfslage gibt. Ich will gerne über das Argument der Grünen reflektieren und fragen, ob es wirklich gut ist, wenn wir bei der Wohnpauschale nach Wohngeldklassen differenzieren - das ist ein Gedanke, den wir auch schon hatten -, oder kommt so nicht eher das zum Tragen, was Kollege Möring angesprochen hatte, nämlich dass es unter Umständen einen Zustrom an Studienorte gibt, wo Wohnen nicht so teuer ist. Das ist eine Abwägungsfrage, der wir uns stellen müssen. Wenn andere Sozialleistungen nicht nach Regionen differenziert werden, sollte ein einheitlicher BAföG-Satz vielleicht auch die Wohnpauschale einschließen. Man kann das auch anders sehen. Ich werbe aber dafür, dass wir Anreize setzen, die Kapazitäten, die es insgesamt an den Hochschulen in allen Bundesländern gibt, auszulasten. Eine letzte Bemerkung: Nachdem wir heute schon Anregungen mitnehmen konnten, so könnten weitere Anregungen auch aus dem Parlament kommen, zum Beispiel in Sachen BlmA, in Bezug auf die Allianz, die die Bundeswohnungsbauministerin initiieren will, und ein Werben, auch die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in den Dialog einzubeziehen. Im Übrigen, um einen Gedanken der Grünen aufzugreifen, lassen wir uns ja auch ein kleines Hintertürchen in Bezug auf ein Bundesengagement offen: Gemäß Artikel 91 b Grundgesetz - Stichwort Bildung - war bisher mit der Begründung, dass das grundsätzlich ein Anliegen der Länder ist, die Förderung von sozialen Belangen ausgeschlossen. Wir sollten aber bei einer Änderung des Artikels Ihre Anregung zumindest im Hinterkopf behalten, damit wir dann, wenn es konjunkturbedingt Investitionsbedarfe gibt, auch das städtische Wohnen berücksichtigen können. Dies ließe sich im Zuge der Grundgesetzänderung, die wir zum Ende des Jahres vornehmen, sehr wohl umsetzen. Was bleibt, ist die Feststellung - ich finde, Oliver Kaczmarek hat das am besten auf den Punkt gebracht -, dass wir eine Strategie der Vielfalt brauchen. Jeder muss in seinem Zuständigkeitsbereich das Maximale tun, um studentisches Wohnen zu fördern. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/2870 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der vereinbarten Debatte Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der Ebolaepidemie Drucksachen 18/2607, 18/2841 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wenn die erforderlichen Umgruppierungen in den Fraktionen abgeschlossen sind, kann ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staatsministerin Dr. Maria Böhmer. ({1})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ebola bedroht den Frieden und die Sicherheit. Das hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Mitte September festgestellt - zum ersten Mal überhaupt bezüglich einer Krankheit. Die Welt hat die Epidemie zunächst unterschätzt; ich sage: auch wir. Inzwischen hat sich das geändert. Es wird mit aller Kraft und vor allen Dingen gemeinsam gehandelt. Das ist notwendig, denn Ebola rafft Tausende Menschen dahin. Ebola ist nicht sichtbar, nicht fassbar und kaum behandelbar, leider auch noch nicht wirklich bekämpfbar. Die Folgen der Katastrophe werden bleiben, auch wenn die eigentliche Verbreitung der Seuche endlich eingedämmt sein wird: Ebola zerstört durch die Angst vor Ansteckung kulturelle und gesellschaftliche Traditionen, Traditionen der Nähe und der Fürsorge. Ebola verstärkt Hunger und Armut. Märkte werden geschlossen, Bäuerinnen und Bauern können nichts mehr verkaufen und anbauen. Ebola trifft einige der zerbrechlichsten Volkswirtschaften ins Mark. Liberia, Sierra Leone und Guinea hatten in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum gezeigt. Gerade Liberia war dabei, die Folgen des langen Bürgerkriegs endlich zu überwinden. Jetzt wird es erneut zurückgeworfen. Leider sind von Ebola, wie so oft in solchen Fällen, die Frauen überproportional häufig betroffen, denn den Frauen obliegt in den Familien traditionell die Pflege. Sie sind daher mit einem besonderen Ansteckungsrisiko konfrontiert. Etwa zwei Drittel der Ebolainfizierten sollen Frauen sein. Ich habe vor einer Woche die afrikanischen Botschafterinnen zu einem Gespräch getroffen. Das sind beeindruckende, starke Frauen. Wir alle, die wir an dem Gespräch teilnahmen, waren erschüttert, als die Botschafterin aus Liberia berichtete: In Liberia ist das Gesundheitswesen faktisch zusammengebrochen. Behandlungsstationen sind vollkommen überfüllt. Überall fehlen Medikamente, Schutzausrüstung, medizinisches Gerät und vor allem Ärzte und Pflegekräfte. Die zu wenigen, die da sind, sind erschöpft und überfordert, manches Mal werden sie sogar isoliert und diskriminiert. Was mich auch umtreibt, ist die Situation der Kinder, die ihre Eltern an die Krankheit verloren haben. Sie können nicht, wie sonst gerade in Afrika üblich, in der Großfamilie aufgefangen werden. Sie müssen aus Schutz isoliert werden. Ich war tief bewegt, als während des Gesprächs mit den Afrikanerinnen die Botschafterin Botswanas ihrer Kollegin aus Liberia konkrete Hilfe anbot. Sie sagte: Wir haben in Botswana durch HIV/Aids viel Erfahrung im Umgang mit Familien ohne Eltern. Man könne doch sicher für die Ebolawaisen etwas von den Aids-Waisen lernen. Oft wird vergessen, dass auch die Patienten leiden, die sich nicht mit Ebola infiziert haben. Denn viele Krankenhäuser sind nicht mehr in der Lage, schwere, aber eigentlich heilbare Krankheiten zu behandeln. Die Zahl der durch Malaria oder Durchfallerkrankungen bedingten Todesfälle ist deutlich gestiegen. Um die Ebolaepidemie erfolgreich bekämpfen zu können, müssen nach Auffassung der Vereinten Nationen fünf strategische Ziele erreicht werden: Erstens. Unterbrechung der Ansteckungskette. Zweitens. Die Behandlung der Infizierten. Hier sage ich: Auch unterstützende Maßnahmen können die Sterblichkeit verringern. Drittens. Die Sicherstellung einer Basisgesundheitsversorgung und der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Viertens. Die Aufrechterhaltung von staatlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Stabilität. Fünftens. Die Verhinderung des Übergreifens der Ebolaepidemie auf bislang nicht betroffene Länder. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit hinzufügen: Um eine erneute Epidemie für die Zukunft zu verhindern, muss auch die Entwicklung eines Impfstoffs vorangetrieben werden. ({0}) Wir alle wissen, mit welchen Problemen das bei einer Krankheit, die vor allem die Ärmsten der Armen betrifft, verbunden sein kann. Aber wir sollten aus dieser Epidemie gelernt haben, dass wir hier nicht nachlassen dürfen. ({1}) Die Ebolaepidemie kann die internationale Gemeinschaft nur gemeinsam bewältigen. Deutschland leistet hierbei einen beachtlichen Beitrag. Die Bundesregierung will insgesamt weitere 85 Millionen Euro überplanmäßig bereitstellen, davon 50 Millionen Euro noch im laufenden Haushaltsjahr. Der Haushaltsausschuss hat dazu am Mittwoch ein entsprechendes Votum abgegeben. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen einen sehr herzlichen Dank dafür aussprechen. ({2}) Zuvor waren bereits 17 Millionen Euro aus dem laufenden Haushalt zur Ebolabekämpfung eingesetzt worden. Sie wissen, mit 10 Millionen Euro wurde der Krisenplan der Weltgesundheitsorganisation unterstützt und mit knapp 7 Millionen Euro die Hilfsmaßnahmen von Nichtregierungsorganisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen und die Welthungerhilfe. Rechnet man noch den deutschen Anteil an den Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union hinzu, so beläuft sich der Betrag nur in diesem Jahr auf rund 100 Millionen Euro. Ich sage hier aber auch: Die finanzielle Unterstützung ist das eine, die große Hilfsbereitschaft in unserem Land das andere. Ich denke, wir alle sind über die Resonanz beeindruckt, die der Aufruf an Freiwillige gefunden hat. Das gilt für das medizinische Fachpersonal, das gilt für die vielen, vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, und das gilt ganz besonders auch für unsere Soldatinnen und Soldaten. ({3}) Die gezielte Ausbildung der Freiwilligen hat bereits begonnen. Dabei unterstützen uns renommierte Forschungsinstitute wie das Bernhard-Nocht-Institut und das Robert-Koch-Institut. Der erste Hilfsflug der Bundeswehr ging am 3. Oktober von Dakar nach Monrovia. Zentral für unsere Hilfe sind Behandlungsstationen und mobile Krankenhäuser. Dabei sind THW und DRK besonders gefragt. Eine Vorausdelegation des Deutschen Roten Kreuzes kommt heute aus Westafrika zurück. Nach dem Applaus eben möchte ich auch noch einmal im Namen der Bundesregierung allen Helferinnen und Helfern sehr herzlich danken, und ich glaube, dieses Haus teilt diesen Dank. ({4}) Wichtig für die Freiwilligen ist auch, dass sie sich darauf verlassen können, dass sie im Ansteckungsfall evakuiert werden. Die Bundesregierung wird ein Flugzeug mit einer Isolierstation, die den höchsten medizinischen Standards genügt, anmieten und ausrüsten. Denn es darf kein Zweifel bestehen: Wir sind bereit und in der Lage, an Ebola erkrankte Helferinnen und Helfer hier in Deutschland zu behandeln. Das gilt auch für diejenigen, die nicht deutscher Herkunft sind und aus dem Ausland kommen. ({5}) Der Kampf gegen Ebola wird nur gelingen, wenn er entsprechend koordiniert wird. Sie wissen, dass die Bundesregierung Botschafter Lindner zum Koordinator für die Ebolabekämpfung ernannt hat. Er ist ein afrikaerfahrener Krisenmanager. Er ist jetzt vor Ort. Ich denke, das wird hilfreich sein für alles, was es weiter einzuleiten gilt. Doch wir wissen nicht genau, ob das alles ausreichen wird. ({6}) Ich möchte deshalb der Koalition einen herzlichen Dank sagen für diesen Antrag, in dem weitere wichtige Schritte aufgezeigt werden, Schritte, die wir mit ins Auge fassen müssen. Denn wir wollen gemeinsam, Bundesregierung und Parlament, auch künftig alles daransetzen, dass im Rahmen unserer Möglichkeiten alle erforderlichen Mittel und Kapazitäten bereitgestellt werden. Wir wollen und wir müssen die Ebolaepidemie stoppen und bekämpfen. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass der Bundestag gestern weitere 85 Millionen Euro zur Bekämpfung der Ebolaepidemie in Westafrika bereitgestellt hat. Aber es geht eben nicht nur um Geld; noch wichtiger ist die Entsendung medizinischen Fachpersonals. ({0}) Daran fehlt es vor Ort massiv: In Liberia kommt auf 100 000 Menschen ein Arzt. Erst spät hat die Bundesre5704 gierung nach Freiwilligen gesucht, die helfen wollen. Ich hätte mir gewünscht, Herr Gröhe, dass Ihr Aufruf nicht erst vor drei Wochen, sondern deutlich früher gekommen wäre. ({1}) Leider ist es auch so, dass die Erfolgsmeldungen etwas voreilig sind. So haben sich zwar beim Roten Kreuz 1 600 Menschen beworben; davon wurden aber gerade einmal 117 als geeignet eingestuft, darunter 43 Ärzte. All diese Menschen genießen meinen größten Respekt. ({2}) Zum Vergleich: Das kleine Kuba schickt 165 medizinische Hilfskräfte. Der Präsident der Bundesärztekammer, Montgomery, hat geschätzt, dass Deutschland, um den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation gerecht zu werden, 1 200 Helfer schicken müsste. ({3}) Das ist nicht unmöglich; dafür brauchen wir aber zum Beispiel Freistellungsregeln für Krankenhäuser, damit Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die helfen wollen, dies auch machen können. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Movassat, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Huber?

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, das mache ich nicht. ({0}) Er kann ja gerne, mit Ihrer Erlaubnis, nach meiner Rede eine Intervention machen. Im Entwicklungsausschuss sagte der Präsident von Ärzte ohne Grenzen am 24. September: Es muss bei der ohnehin zu späten Reaktion jetzt um Stunden und Tage gehen, nicht um Wochen und Monate. - Jetzt, Wochen später, sagte mir ein Arzt, der bis vor kurzem in Sierra Leone war, dass vor Ort immer noch kaum zusätzliche Hilfe ankommt. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland und die gesamte Welt, und es macht deutlich: Die Bundesregierung muss die Hilfsmaßnahmen so schnell wie möglich vor Ort umsetzen. ({1}) Vorgestern hatte die Linke zu einem Ebolafachgespräch hier im Haus verschiedene Experten eingeladen. Was die Botschafterin Liberias da berichtete, war erschütternd. Sie sagte: Das öffentliche Leben ist zusammengebrochen. Ganze Familien gehen zugrunde. Kinder werden zu Waisen. Die Menschen können ihren engsten Verwandten nicht einmal die Hand halten, wenn sie sterben. Düstere Worte kamen auch von Vertretern des UNWelternährungsprogramms: Wegen der Ebolakrise droht 1,3 Millionen Menschen eine Hungersnot. Die Felder liegen brach, die Menschen sind arbeitslos, die Nahrungspreise steigen. Der Hunger könnte am Ende mehr Menschen töten als die Ebolaepidemie selbst. Der Kampf gegen den Hunger läuft zudem unter erschwerten Bedingungen: Nahrungsmittelpakete können nicht an Sammelstellen ausgegeben werden, weil sonst eine Ebolaübertragung droht. Sie müssen von Haus zu Haus gebracht werden. 180 Millionen Dollar braucht das Welternährungsprogramm für Logistik und Nahrungsmittel. Das ist doch im Vergleich zu dem, was man für jeden Militäreinsatz ausgibt, eine Kleinigkeit. ({2}) Wir müssen in Westafrika nicht nur den Kampf gegen Ebola führen, sondern auch den gegen den Hunger. Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Ich stimme Bundespräsident Gauck in dem Punkt ausdrücklich zu, dass wir natürlich eine große internationale Verantwortung tragen. Doch diese ist eben nicht militärischer Natur, sondern das ist eine humanitäre Verantwortung. ({3}) Der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe hat sich seit 2006 fast vervierfacht, aber die Gelder dafür sind nicht ansatzweise so stark gestiegen. Der AfghanistanKrieg hat Deutschland bis 2012 8 Milliarden Euro gekostet. Mit einem Bruchteil dieser Summe kann man mit humanitärer Hilfe Hunderttausende Menschenleben retten. ({4}) Wir brauchen in Deutschland endlich personelle und logistische zivile Ressourcen, um internationale Hilfseinsätze effektiv durchführen zu können. Ich spreche von einer eigenständigen, gut ausgestatteten zivilen Organisation. Ich nenne sie einmal Willy-Brandt-Korps, also eine Organisation des Friedens und der Hilfe, die eigene Flugzeuge, Isolierstationen, Ärzte und Techniker hat. Natürlich kostet das Geld. Aber Armeen und Kriege kosten mehr Geld. Es gibt den Bedarf an international einsetzbaren zivilen Helfern. Man muss nur die Prioritäten richtig setzen. ({5}) Abschließend möchte ich allen noch eine Sache zur Kenntnis geben, die ich wirklich unfassbar finde. Die Bild-Zeitung hat gestern unter der Überschrift „Todesseuche Ebola: Wie viel Angst muss ich in Deutschland haben?“ die Frage gestellt - ich zitiere -: Was mache ich, wenn ich glaube, der Mensch neben mir in Bus, Bar oder Kino hat Ebola? Die Antwort: Den Notruf unter 112 wählen! Dann werden Sie gefragt, ob die typischen Symptome zu beobachten sind. Die Bild-Zeitung schürt hier diffuse Ängste. Zudem ist es mehr als fahrlässig, mit so einem Schwachsinn die Notfallnummern der Feuerwehren zu überlasten. Ich appelliere wirklich an alle Journalisten, keine Panikmache zu betreiben. ({6}) Ebola ist eine Erkrankung, die da ausbricht, wo es schwache Gesundheitssysteme gibt. Länder wie Nigeria, die im Vergleich zu Liberia ein gutes Gesundheitssystem haben, haben die Epidemie in den Griff bekommen. Damit ist auch das Risiko in Deutschland fast gleich null. Was wir tun müssen, ist, den betroffenen Ländern beim Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme zu helfen, damit dies die letzte Ebolaepidemie in der Geschichte ist. Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Huber das Wort.

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Herr Movassat, ich versuche, eine gewisse Logik in Ihre Rede zu bringen, die sich mir so nicht erschlossen hat. Sie haben gesagt, Herr Gröhe hätte viel früher Ärzte nach Afrika schicken müssen. Ich habe jüngst einen Bericht von einem Verantwortlichen von der WHO gelesen, in dem dieser sagt: Schickt uns nicht zuerst Ärzte und große Geldsummen, sondern schickt uns Anthropologen, um erst einmal den Impact einer Strategie zur Bekämpfung von Ebola sowie die Akzeptanz und die Sicht der Bevölkerung auf diese Strategie zu evaluieren. Das war kurz nach dem Zeitpunkt - das ist Ihnen sicher geläufig -, als es Attacken auf Helfer, auf Ärzte gab. - Da Sie jetzt so ein fragendes Gesicht machen, informiere ich Sie darüber, dass das in Guinea passiert ist. Ich komme zu einem anderen Punkt. Sie haben vom Ausbau der Gesundheitssysteme gesprochen. Da möchte ich Sie einmal auf die Dimension des afrikanischen Kontinents hinweisen. Es ist so, dass es in den Ländern Westafrikas - das ist mit Sicherheit die Ursache dafür, dass man Ebola nicht von Anfang an wirkungsvoll bekämpfen konnte; da gebe ich Ihnen recht - keine Gesundheitssysteme gibt. Meine Frage ist: Wenn diese Gesundheitssysteme von den Verantwortlichen dieser Staaten vorher nicht aufgebaut worden sind, wie soll dann bei allem guten Willen der Bundesregierung auf die Schnelle ein Gesundheitssystem aufgebaut werden? Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Kollege Huber, alle Experten, mit denen wir im Gespräch standen und stehen - das war auch vorgestern beim Fachgespräch so -, haben deutlich gemacht, dass es vor Ort an Ärzten und Pflegern fehlt. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen ist mit ungefähr 3 000 Helfern vor Ort. Diese sind überlastet: Sie müssen Menschen an den Türen der Krankenhäuser und Stationen abweisen. Die kranken Menschen sterben vor den Toren des Krankenhauses. Es ist offensichtlich, dass vor Ort ein massiver Personalmangel besteht und dass die anwesenden Helferinnen und Helfer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen sind. Die Schutzmaßnahmen bei Ebola, die die Helferinnen und Helfer einhalten müssen, sind nicht gering. Das heißt, der Bedarf an Personal, um diese Maßnahmen umzusetzen, ist sehr hoch. Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen: Wir brauchen vor Ort Aufklärung; das ist keine Frage. Aber man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Deshalb müssen wir einen größeren Beitrag leisten, um freiwillige Helferinnen und Helfer zu gewinnen, die geschult werden und dann vor Ort helfen können. ({0}) Noch eine Bemerkung zum Thema Gesundheitssysteme, das Sie angesprochen haben. Es ist klar, dass man jetzt nicht Gesundheitssysteme aus dem Boden stampfen kann. Aber natürlich müssen wir darüber diskutieren, wie wir mittel- und langfristig verhindern können, dass wieder so eine Epidemie ausbricht. Es ist ganz klar, dass die Bundesrepublik Deutschland auch einen Beitrag für den Aufbau von Gesundheitssystemen leisten muss. ({1}) Keiner sagt, wir sollen da jetzt alleine solche Gesundheitssysteme aufbauen. Aber es geht darum, Unterstützung für diesen Aufbau zu leisten. Das ist nachhaltig, und das verhindert in Zukunft auch solche Epidemien. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege HeinzJoachim Barchmann. ({0})

Heinz Joachim Barchmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004005, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mittlerweile sind weit über 4 000 Menschen durch die anhaltende Ebolaepidemie gestorben. In der Nacht zum Dienstag dieser Woche erlag ein UN-Mitarbeiter in Deutschland, der in Leipzig behandelt wurde, der furchtbaren Krank5706 heit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat erschreckende Hochrechnungen veröffentlicht: Sie rechnet im Dezember mit 5 000 bis 10 000 neuen Infektionsfällen pro Woche in den am stärksten betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone. Die Ausmaße dieser Krise sind erschreckend. Unsere Hilfe in den betroffenen westafrikanischen Ländern, die zu den ärmsten Ländern zählen, ist dringend notwendig. Sie ist meiner Meinung nach überfällig. Angesichts der Krise muss man sagen: Die Gefahr wurde zu lange nicht erkannt. Wir sind allen Helferinnen und Helfern zu Dank verpflichtet, wie zum Beispiel denen von Ärzte ohne Grenzen. Sie haben lange vor der WHO auf die Tragödie in Westafrika aufmerksam gemacht. ({0}) Die Ärzte sind unermüdlich im Einsatz, um Menschenleben zu retten. Allen Helferinnen und Helfern, die bis zur Erschöpfung ihr Möglichstes tun, um die infizierten Menschen zu retten, gebührt unser großer Dank für ihr Handeln und für ihren Mut. ({1}) Was sich meiner Meinung nach gerade in dieser Situation in Guinea, Sierra Leone und Liberia schmerzvoll zeigt, sind die frappierenden Defizite in den Gesundheitssystemen dieser Länder. Es sind in der Tat auch Entwicklungsdefizite. Der erste Ausbruch von Ebola liegt fast 40 Jahre zurück, das war im Jahr 1976. Über 400 Menschen sind damals gestorben. Eine Verbesserung der Gesundheitssysteme hat es seither kaum gegeben. Eine tragfähige öffentliche Gesundheitsversorgung in zahlreichen afrikanischen Staaten gibt es nach wie vor nicht. In Liberia wird die Lage besonders deutlich: Auf 100 000 Menschen kommt ein einziger Arzt. Dass es hier zu einer Überforderung der Gesundheitssysteme während einer Krise kommen muss, ist uns allen klar. Die Überforderung ist auch schon ohne diese furchtbare Epidemie massiv vorhanden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Barchmann, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage der Kollegin Vogler?

Heinz Joachim Barchmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004005, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie meine Frage zulassen. - Sie haben gerade selbst die desaströse Situation in den betroffenen Ländern beschrieben. Können Sie mir vielleicht sagen, wie Sie menschlich und politisch dazu stehen, dass in Deutschland Gerichte immer noch Abschiebungen zum Beispiel nach Guinea anordnen und Behörden gehalten sind, diese auch zu vollziehen, und dass die Bundesregierung in Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion kürzlich gesagt hat, dass sie das nach wie vor für in Ordnung hält? Würden Sie sich persönlich dafür einsetzen wollen, dass solche Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone bis auf Weiteres unterbunden werden? ({0})

Heinz Joachim Barchmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004005, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Vogler, die Problematik der Abschiebung ist eine andere Problematik, als wir hier im Augenblick diskutieren. ({0}) Ich denke, das Problem Ebola ist so evident und offenkundig, dass wir die Problematiken durchaus voneinander trennen sollten. Insofern ist das für mich im Augenblick in diesem Zusammenhang kein Thema. Allerdings ist Abschiebung ein Punkt, den wir ebenfalls behandeln müssen. Ich nehme das auch gern auf. ({1}) Meine Damen und Herren, am Beispiel von Senegal und Nigeria kann man aber auch gut sehen, wie entscheidend ein vergleichsweise gut funktionierendes Gesundheitssystem ist. In beide Länder ist jeweils eine infizierte Person eingereist. Dank schneller Isolierung der betroffenen Personen und ihrer direkten Kontakte konnte sich die Krankheit nicht weiter ausbreiten. In Nigeria kam es zu 20 Fällen der Infektion. Im Senegal blieb es bei einer Infektion. Das ist, glaube ich, hervorragend, und es sollte auch erwähnt werden, dass man durchaus etwas machen kann. Die Bundesregierung hat gute Maßnahmen auf den Weg gebracht, um bei der Eindämmung der Epidemie zu helfen. Die finanziellen Mittel für die Krisenregionen wurden vom Entwicklungsminister auf 10 Millionen Euro angehoben. Auch das Auswärtige Amt hat die Hilfen für die betroffenen Länder um weitere 5 Millionen Euro aufgestockt. Die Bundeswehr unterstützt mit einer Luftbrücke den Transport von Hilfsgütern aus Deutschland und der Europäischen Union. Sie wird eine Krankenstation zur Verfügung stellen und dementsprechend einrichten. Die von Frau Dr. Böhmer angesprochenen 85 Millionen Euro, die diese Woche im Haushaltsausschuss bewilligt worden sind, sind, glaube ich, auch eine sehr wichtige Hilfe, die zur Linderung beiträgt. Ich begrüße auch sehr, dass die Europäische Union 150 Millionen Euro bereitstellt, um die Epidemie zu bewältigen, und dass Deutschland auch einen Anteil dazu beiträgt. Doch um eine Wiederholung dieser Krise zu verhindern, müssen die betroffenen Länder mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft entschlossen die strukturellen Probleme angehen. Die betroffenen Staaten müssen wenigstens eine Grundsicherung im GesundHeinz-Joachim Barchmann heitssystem anbieten können. Das gelingt nur durch ein sozial gerechtes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Nur wenn die Grundlagen stimmen, können Katastrophen wie diese eingedämmt werden. Dabei haben die Weltgemeinschaft und auch wir eine entwicklungspolitische Verantwortung. Diese Verantwortung muss sich auch in unserem Haushalt widerspiegeln. ({2}) Darum erlauben Sie mir einen kurzen Einwurf dazu: Eine aktuelle Emnid-Umfrage besagt, dass 79 Prozent der Deutschen sich dafür aussprechen, dass wir mehr Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investieren und unsere Zusage einhalten, einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit fließen zu lassen. Hier müssen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr tun. Denn davon sind wir noch weit entfernt. ({3}) Wir müssen dringend über weitere Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken, auf nationaler und internationaler Ebene. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ebolaepidemie löst auch eine Nahrungsmittelkrise aus. Eine Hungerkatastrophe droht. Schon jetzt ist Liberia von drastischen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln betroffen. Wir müssen davon ausgehen, dass alle betroffenen Länder Nahrungsmittelhilfe benötigen werden. Denn die Landwirtschaft leidet enorm unter der Krise. Felder wurden nicht bestellt; Ernten werden ausbleiben. Die zurzeit völlig überforderten Gesundheitssysteme haben zur Folge, dass anderweitig Erkrankte oft keine Behandlung mehr erhalten. Aus Angst vor Ansteckung trauen sie sich nicht mehr zum Arzt. Menschen sterben jetzt noch häufiger an Krankheiten, die ansonsten relativ einfach zu behandeln wären. Wer aufgrund einer Erkrankung nicht arbeitet, verdient kein Geld und kann sich und seine Familie nicht ernähren. Es fehlt an sozialer Sicherung. Kinder können nicht mehr zur Schule gehen. Wirtschaft und Landwirtschaft kommen zum Erliegen. Der Handel stagniert. Das wirtschaftliche und soziale Leben liegt brach. Die Menschen in Sierra Leone, Guinea und Liberia fürchten sich inzwischen vor Berührungen. Sie gehen nicht mehr aus dem Haus und vermeiden Kontakte. Man schüttelt sich aus Angst vor dem unsichtbaren Virus nicht mehr die Hand. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird nicht ausreichen, die Ebolaepidemie einzudämmen. Neben den notwendigen und möglichst schnell umzusetzenden Krisenmaßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit wird die weitere Entwicklung der betroffenen Staaten entscheidend sein. Die öffentliche Gesundheitsvorsorge ist dabei ein wichtiger Teil. Zur Stabilisierung der Staaten müssen wir jetzt humanitäre Hilfe leisten. Wir müssen in der Krise helfen, und das tun wir. Langfristig muss allerdings eine nachhaltige und mit unseren europäischen und internationalen Partnern koordinierte Entwicklungszusammenarbeit die Antwort sein. Dafür sollten wir uns alle einsetzen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir bei Ihrem Beitrag, Herr Huber, überlegt, ob das die Position Ihrer gesamten Fraktion ist oder ob es sich mehr um die Meinung eines Freigeistes handelt. Wenn es die Meinung Ihrer Fraktion ist, dann sollten wir darüber noch einmal intensiver diskutieren. Am 23. März 2014 hat die WHO die ersten Ebolafälle in Guinea gemeldet. Kurz darauf bestätigte sie weitere Infektionen in Liberia. Im Mai wurde Ebola in Sierra Leone registriert. Noch vor der Sommerpause habe ich die erste Anfrage an die Bundesregierung gestellt und in einer Pressemitteilung die Bundesregierung aufgefordert, schnell und entschieden im Kampf gegen die Ebolaepidemie zu handeln. Herr Barchmann, Sie sind schon sehr lange informiert. Das Problem ist also nicht unterschätzt worden. Selbst auf WHO-Ebene ist das klar gesagt worden. Am 8. August hat die WHO den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Spätestens dann hätte die Regierung handeln müssen. Dass sie nicht auf meine Anfrage handelt, ist klar. ({0}) Aber vier Wochen später hätte sie aufgrund der WHOVerlautbarung handeln müssen. ({1}) Nun diskutieren wir drei Monate später über einen Entschließungsantrag von Union und SPD, der überwiegend Prüfaufträge für die Bundesregierung vorsieht. Die Zeit der Prüfaufträge ist aber meines Erachtens vorbei. ({2}) Sie bestätigen mit diesem Antrag, dass die Bundesregierung nicht willens oder vielleicht auch nicht fähig ist, entschlossen und schnell zu handeln. In dieser dramatischen Situation geht es um Soforthilfe und humanitäre Hilfe. Schauanträge, die zum großen Teil auf völlig veralteten Fakten basieren, helfen niemandem. Wir stimmen doch heute nicht ernsthaft darüber ab, dass die Bundesregierung die Verfügbarkeit von technischem Material und Flugkapazitäten prüfen soll. Wir sind nicht in der heute-show. Solche Anträge können Sie sich sparen. ({3}) Es ist eindeutig: Dieser Antrag bringt keinen Mehrwert. Er bestätigt letztlich nur das Versagen der Bundesregierung, und das nach einem dramatischen Aufruf von Johnson Sirleaf an die Kanzlerin und nachdem der UNSicherheitsrat die Ebolaepidemie als eine Gefahr für Frieden und Sicherheit in der Welt eingestuft hat. Eine solche Einstufung erfolgt nicht aus Jux und Tollerei.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kekeritz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Huber?

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber selbstverständlich. Wenn es von Herrn Huber kommt, immer.

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Kekeritz, die Sache wäre ganz einfach, wenn wir nicht über eine ansteckende Krankheit reden würden. Ich frage mich, wo die Expertise ist, wenn Sie sagen: Schickt die Leute los; denn wir sind mit einem Epidemieszenario konfrontiert. Das, was ich vorhin zitiert habe, entstammt nicht den Gehirnwindungen eines Freigeistes - das haben Sie mir unterstellt -, sondern ist ein Zitat eines Experten der WHO. Er wollte deutlich machen, dass zuallererst die Einschätzung der WHO gefragt ist. Das letzte Mal, als wir mit solchen epidemischen Szenarien zu tun hatten, war während der Zeit der Pest. Damals war Herr Gröhe noch nicht im Amt, sehr geehrter Herr Kekeritz. Eine Expertise fehlt uns also. Sie behaupten, die Bereitschaft, dieses Szenario wahrzunehmen, sei nicht vorhanden. Dem ist nicht so. Ich glaube, ich war der Erste, der gesagt hat: Ich werde mir die Situation vor Ort gerne anschauen. - Der Grund war: Ich weiß, wie der Impact auf die Bevölkerung ist, wenn man vor Ort auftritt, insbesondere in Gebieten auf dem Land, wo die Menschen zum Teil noch dem Naturglauben verhaftet sind. Glauben Sie nicht, dass die Menschen vor Ort, wenn Sie dort erscheinen, sofort erkennen, dass Sie ihnen helfen wollen! Vielen Dank.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Huber, herzlichen Dank für Ihre Frage. - Ich weiß, dass Sie - Sie haben darauf schon oft verwiesen Ärzte ohne Grenzen Ihre Hilfe angeboten und diese Organisation aufgefordert haben, Sie zu begleiten, weil Sie die Welt dort unten erklären können. Ärzte ohne Grenzen hat meines Erachtens zu Recht Ihr Angebot abgelehnt; denn die müssen sich mit den Kranken und Betroffenen beschäftigen und haben keine Zeit für deutsche Bundestagsabgeordnete, ({0}) die da unten den Reiseführer spielen wollen. ({1}) Sie fragten auch, wo die Expertise steckt. Herr Huber, wir diskutieren die Sache jetzt wirklich lange genug in den Ausschüssen und auch hier in diesem Saal. Die Expertise fing 1976 im Kongo an, als Ebola zum ersten Mal aufgetreten ist. Wir haben seitdem an die 50 Ausbrüche gehabt. Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Thematik auseinandergesetzt. Auch wir hier haben schon klar gemacht, dass die Ausbrüche, zum Beispiel in Uganda, in Ruanda und - auch das wurde vorhin gesagt in Guinea, eingedämmt worden sind, und zwar sehr schnell. Da sind die Gesundheitssysteme einfach weiter und besser entwickelt. Das ist also keine Frage der Pest oder ob Herr Gröhe damals schon Minister war. Diesen Zusammenhang sehe ich überhaupt nicht. Also, die Expertise ist da. Es ist die Frage, inwieweit die Mittel für diese Expertise zur Verfügung gestellt werden und inwieweit die internationale Gemeinschaft darauf reagiert. Ich kann nochmals feststellen: Die Bundesregierung reagiert nur, wenn der öffentliche Druck groß wird oder wenn sie es aufgrund des internationalen Drucks nicht mehr schafft, nach unten wegzutauchen. Danke schön. ({2}) Jetzt hat die Bundesregierung finanziell aufgestockt. Wir hören wieder, wir könnten stolz sein. Vor diesen Verhandlungen und Haushaltsdebatten war das noch nicht der Fall. Jetzt wird aufgestockt. Das ist mir eigentlich zu spät. ({3}) Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen wir gerettet hätten, wenn wir damals, nachdem der WHO-Aufruf erfolgt ist, Mittel zur Verfügung gestellt hätten? Es geht nicht nur um die infizierten Menschen, sondern es geht um das ganze Land. Es ist vorhin von Frau Böhmer richtig skizziert worden. Liberia und Sierra Leone sind inzwischen in ihrer Gesamtheit schwer traumatisiert. Tausende weißer Plastiksäcke sind Symbole des Untergangs des Landes, der Kultur und vor allem auch der Zukunft. So empfinden es die Menschen dort. Ich zitiere eine Mutter, die erläutert, was der Unterschied zwischen dem grausamen Bürgerkrieg, den beide Länder über ein Jahrzehnt erlebt hatten, und Ebola ist: Wir konnten - so die Mutter - die Soldaten und die Mörderbanden hören, wenn sie kamen, und konnten in den Wald fliehen. Ebola ist plötzlich da. Du hörst Ebola nicht, du riechst Ebola nicht, und du siehst es nicht. Ebola macht uns zu einem Volk der Unberührbaren. Wir umarmen uns nicht mehr, wir küssen unsere Kinder nicht mehr, wir beerdigen unsere Väter und Mütter nicht mehr. Kinder, die ohne Eltern sind, sind plötzlich alleine. Niemand nimmt sie mehr auf. Im Krieg war das anders. Wir haben auch fremde Kinder aufgenommen und versorgt. Heute haben wir Angst vor kleinen Kindern. Wie sich allein gelassene Kinder in einer apokalyptischen Umwelt fühlen, kann niemand von uns tatsächlich beschreiben. Die WHO spricht - auch das ist schon geUwe Kekeritz sagt worden - von bis zu 10 000 Neuinfektionen pro Woche. Bis gestern sind circa 4 500 Menschen gestorben. Wenn wir uns in 14 Tagen zur nächsten Sitzungswoche wiedersehen, werden es weit über 5 000 sein. Die Dunkelziffer ist darin noch nicht eingerechnet. Westafrika braucht dringend 3 000 Klinikbetten, Personal und Material. Die Expertise, wie das sinnvoll eingesetzt wird, Herr Huber, ist vorhanden. Ich appelliere an dieser Stelle an die Kanzlerin - Ebola ist ja seit gestern Chefsache -, dass sie für das Jahr 2015 die richtigen Weichen stellt. Es ist eine Blamage, dass wir heute feststellen müssen, dass am Mittwoch in der Frühe, um 9 Uhr, für das Haushaltsjahr 2015 1 Million Euro im Haushaltsentwurf standen und nicht mehr. Sie haben jetzt nachgebessert, aber das war das, Herr Huber, was vor zwei Tagen noch geplant war. Das ist eigentlich eine Schande. ({4}) Ich muss Ihnen sagen: Damit wird deutlich, dass dieser Haushalt der verlogenste Haushalt seit der Gründung der Republik ist. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe jetzt die Möglichkeit gegeben, den Zwischenruf vollständig zu dokumentieren. Nun hat aber die Kollegin Sabine Weiss für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Sabine Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen Dank. - Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kekeritz, es gibt ja immer die Unermüdlichen, die erst dann zufrieden sind, wenn sie für irgendein Problem, das auf dieser Welt besteht, endlich den Schuldigen gefunden haben und ihn anprangern können. Außerdem gibt es die ewigen Helden, die dann sagen: Ich habe das alles schon vorher gewusst. All das bringt uns nicht weiter. Wir sollten doch - das ist mein Appell zu Beginn meiner Rede - jetzt endlich einmal gemeinsam anfangen, die Sache konstruktiv anzugehen, wie die Bundesregierung und die Koalition das bereits vorgemacht haben. ({0}) Frau Johnson Sirleaf, die Präsidentin von Liberia, hat diese Woche im Spiegel-Interview zu einer Prognose, bis Januar 2015 könne es 1,4 Millionen Ebolainfizierte in Westafrika gegeben, gesagt - hören Sie jetzt bitte auch ganz genau hin -: Wir brauchen keine Untergangsszenarien, bei denen wir uns nur noch zum Sterben niederlegen können. Die Menschen brauchen Hoffnung, sie sollen wissen, dass wir die Seuche erfolgreich bekämpfen. Das hat sie Anfang dieser Woche gesagt. Dieser Frau können wir alle nur zustimmen. ({1}) Wir haben es bereits von den Vorrednern gehört: Die Lage ist sehr ernst. Die Zahl der Infizierten und Toten steigt. Diese Woche ist der Ebolatod auch bei uns in Deutschland angekommen. Wie brisant die Lage in Westafrika ist, sieht man zum Beispiel am Streik des Pflegepersonals in Liberia diese Woche und an den Übergriffen auf lokale und internationale Helfer, die in Guinea acht Helfern das Leben gekostet haben. Gerade auf diese Helfer kommt es aber an. Ein wichtiges Element der Hilfe muss darin bestehen, das örtliche Pflegepersonal angemessen zu bezahlen und insbesondere seinen Schutz in jeder Hinsicht zu gewährleisten. Die New York Times berichtete am 1. Oktober 2014 unter der Überschrift „Ein Krankenhaus aus der Hölle“ über ein praktisch nicht mehr funktionsfähiges Krankenhaus in Sierra Leone. Dort lagen Leichen, auch von Kindern, auf dem Fußboden; das Pflegepersonal arbeitete ohne Handschuhe in Straßenkleidung. Es gibt also noch sehr viel zu tun. Darüber sind wir uns wohl alle einig; da gebe ich meinen Vorrednern recht. Dennoch - das muss man auch sagen, besonders mit Blick auf die Medien -: Die Krankheit ist beherrschbar, und die Ausbreitung kann gestoppt werden. Dies haben wir nach früheren Ausbrüchen in Uganda und Ruanda sehen können. Das Wichtigste aber ist - auch da stimme ich der Präsidentin von Liberia zu -: Wir müssen Panik vermeiden, Panik, die jetzt über die Medien auch nach Europa und in die USA schwappt. In den USA haben sich bereits Reinigungskräfte am Flughafen geweigert, aus Westafrika angekommene Flugzeuge zu reinigen. Die internationale Gemeinschaft wird durch wirksame und quantitativ notwendige Beiträge helfen, die Epidemie einzudämmen und zu besiegen und den Menschen in Liberia, Sierra Leone und Guinea Hoffnung auf ein Leben nach der Epidemie zu geben. Deutschland leistet dabei einen hohen Anteil. Frau Staatsministerin Böhmer hat das sehr eindrücklich dargestellt. Ja, es ist richtig und nicht zu leugnen, dass die Dimension von fast allen Gebern und auch den Institutionen zu spät erkannt worden ist. Die Hilfe ist dann auch tatsächlich zu langsam angelaufen. Dabei sollten wir aber berücksichtigen, Herr Kekeritz, dass diese Katastrophe aufgrund der Ansteckungsgefahren auch für die Hilfskräfte eine besondere Herausforderung darstellt. Die normalen Abläufe von Materialtransporten mit Begleithilfspersonal wie bei Erdbeben und Wirbelstürmen kommen hier nicht infrage. ({2}) Sabine Weiss ({3}) Umso größer sind deshalb meine Hochachtung und mein Respekt für die vielen Helfer vor Ort, seien es die Angestellten von Gesundheitseinrichtungen oder die freiwilligen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen. ({4}) In gleicher Weise finde ich es bewundernswert, dass sich mittlerweile mehr als 3 000 Freiwillige der Bundeswehr und über 1 000 Freiwillige - Freiwillige, Herr Movassat; wir können keine Ärzte abordnen ({5}) beim Deutschen Roten Kreuz für einen möglichen Einsatz gemeldet haben. Diese Hilfskräfte müssen in besonderer Weise - das sind wir ihnen schuldig - einen Schutz vor Ansteckung erhalten: durch angemessene Ausbildung, durch Vorbereitung auf den Einsatz in einem fremden Land, in einem schwierigen Umfeld und natürlich durch die Garantie des Rücktransports, falls sie sich doch anstecken sollten. Nach Umfragen in den Medien sagt die deutsche Bevölkerung zu 51 Prozent, Ebolainfizierte sollen gar nicht erst hierherkommen und behandelt werden. Angesichts dessen finde ich, wir alle sollten dagegenhalten, insbesondere die Medien. Ich bin der festen Überzeugung, dass die deutsche Bevölkerung es durchaus akzeptiert, wenn wir Menschen aus diesen Ländern und besonders den Helfern hier Hilfe anbieten und sie hier behandeln. ({6}) In unserem Entschließungsantrag behandeln wir die gesamte Bandbreite der notwendigen Hilfe. Herr Kekeritz, natürlich sind ganz viele Dinge - der Antrag wurde vor einigen Wochen formuliert - noch in der Umsetzung; einiges ist bereits getan. Auch die Frau Staatsministerin hat darauf hingewiesen, dass im Antrag einige Anregungen stehen, um die wir uns noch zu kümmern haben. Sehr wohl hat der Antrag auch heute noch einen deutlichen Mehrwert, weil durch ihn eine Menge angestoßen wird. Allein durch die heutige Debatte bewirkt dieser Antrag das, was er bewirken sollte. Es ist bereits gesagt worden: Wir müssen in den Ländern auch nach der Epidemie Hilfe leisten. Ich selbst habe vor etwa drei Jahren Liberia besucht. Damals war die Situation so, dass auch zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs dies das trostloseste Lebensumfeld war, das ich persönlich je gesehen habe. Selbst in den Augen der Kinder, die man sonst in verschiedenen Ländern auch in den schlimmsten Lebenslagen lachen hören kann, habe ich nur Traurigkeit gesehen. Auch wenn es in den letzten Jahren in diesem Land einen Trend zum Positiven gegeben haben mag, wird es sicherlich noch lange dauern, bis sich das Land vom Ebolaschock erneut erholt haben wird. Der Internationale Währungsfonds rechnet allein für 2015 mit einem Wachstumseinbruch von 12 Prozent. Dies wird auch im menschlichen Bereich ganz tiefe Spuren hinterlassen. Ja, auch ich bin der Meinung, dass wir uns darüber unterhalten müssen, wie wir entwicklungspolitisch verstärkt am Aufbau und an der Unterstützung der Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern arbeiten können, damit sie zukünftig selbst besser in der Lage sind, einer solchen Epidemie zu begegnen. ({7}) Die Bundeskanzlerin hat gestern hier erklärt, dass Ebola ein zentrales Thema des Euro-Gipfels und des ASEM-Gipfels sein wird. Sie hat sehr deutlich gemacht - da kann man ihr nur zustimmen -: Wir können dieses Problem nur alle gemeinsam, also international, wirksam bekämpfen. Gestern trafen sich die Gesundheitsminister auf EUEbene in Brüssel und haben die Maßnahmen abgestimmt. Das heißt, die internationale Gemeinschaft geht dieses Problem gemeinsam an. Die abgestimmten und jetzt in Gang kommenden Maßnahmen werden vor Ort zügig sichtbar sein. Dann können wir vielleicht sagen: Wir folgen dem Aufruf der Präsidentin von Liberia, Frau Johnson Sirleaf: Die Menschen brauchen Hoffnung. Sie sollen wissen, dass wir die Seuche erfolgreich bekämpfen. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich etwas zu der Debatte sagen, die ich hier verfolgt habe. In der Summe ist es so: Wir haben es hier mit einer Epidemie zu tun, die in dieser Form niemand jemals voraussehen konnte, die uns alle überrascht hat, die auch die WHO vor Ort und viele Experten vor Ort überrascht hat. Ich selbst habe in Burkina Faso und in dessen Umgebung Bekannte, die dort seit vielen Jahren als Ärzte und Forscher arbeiten und relativ nahe an den dortigen Geschehnissen sind. Niemand hat absehen können, wie es dann gekommen ist. Das hat uns alle betroffen gemacht und bestürzt. Man muss sagen, dass Ärzte ohne Grenzen die einzige Hilfsorganisation gewesen ist, die von Anfang an, und zwar schon über den Juli hinweg, eine andere Einschätzung hatte. ({0}) Ich sage hier ganz klar: Ärzte ohne Grenzen hatte recht. Wir haben uns getäuscht. Wir alle haben spät reagiert. Das hat aber, Herr Kollege Kekeritz, niemand sehen können. Das hat niemand absichtlich getan. ({1}) Daher hat es mich, offen gesagt, ein bisschen bestürzt, dass Sie gesagt haben, dass die Regierung hier nur auf öffentlichen Druck und auf internationale Veröffentlichungen reagieren würde. Wir sind über die Entwicklung genauso bestürzt gewesen wie Sie. Jeder von uns handelt, weil er das so für richtig hält, und er handelt nach seinem Gewissen. Über die Maßnahmen kann man streiten; aber zu unterstellen, dass hier einige ein Gewissen haben, aber andere nur auf Druck reagieren, das geht bei dieser Epidemie nicht. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lauterbach, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Kekeritz?

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur ganz kurz. - Wollen Sie damit sagen, dass die Wissenschaft nicht weiß, wie sich solche Infektionszyklen, ob das Ebola, Grippe oder anderes ist, entwickeln? Sie wissen doch auch, dass nach dem Auftreten der ersten Infektionen das Personal noch reduziert worden ist, weil man einfach nicht wahrnehmen wollte, dass da ein Problem ist, weil man die Mittel nicht hatte. Wissenschaftlich besteht doch überhaupt kein Zweifel darüber, wie diese Ansteckungszyklen verlaufen. Oder vertreten Sie da eine andere Auffassung? ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal: Ich bin von der Ausbildung her Arzt und Epidemiologe ({0}) und habe einen entsprechenden Lehrstuhl an der Uni Köln. Von daher kenne ich mich aus. ({1}) Es ist tatsächlich so, dass jede Epidemie anders verläuft. ({2}) Die Ebolaepidemie, die diesmal zu beobachten ist, hat einen ganz anderen Verlaufstypus: Die Sterblichkeit ist etwas niedriger, und die Phase, in der jemand jemanden infizieren kann, ist etwas länger. Daher ist der Verlauf ein ganz anderer als bei den Epidemien, die wir vorher gehabt haben - bei dem gleichen Erreger übrigens. Es ist tatsächlich tragischerweise so, dass man das nicht weiß. Das ist so. Man weiß es nicht. ({3}) Richtig ist aber, dass vor Ort eine Einschätzung gegeben werden kann. Da hatte Ärzte ohne Grenzen die richtige Einschätzung. Die lokale WHO-Organisation hatte die falsche Einschätzung. Die Verantwortlichen sind ersetzt worden; das ist zu Recht passiert. Wir haben hier nicht erst auf Druck gehandelt, sondern wir haben uns wie bei den vergangenen Epidemien auf die lokale Berichterstattung der WHO und einiger anderer Organisationen verlassen. Das will ich jetzt nicht im Detail ausführen, weil das die Zeit sprengen würde. Aber es ist tatsächlich so gewesen: Ärzte ohne Grenzen war die einzige Organisation mit der richtigen Einschätzung. Noch am 4. August - Sie haben eben den 8. August genannt - hat die lokale WHO-Organisation gesagt, die Seuche verlaufe so wie bei den früheren Epidemien. Am 8. August hat man das korrigiert. Vorher war das also eine Fehleinschätzung. Dann haben wir aber unmittelbar reagiert. Ich könnte jetzt im Detail beschreiben, was passiert ist. Zum Beispiel haben wir zwei lokale Labore vor Ort unterhalten, um den Verlauf der Infektion vor Ort kontrollieren zu können. Es gab eine Vorabexpedition. Wir haben sehr früh einen Krisenstab eingerichtet. Es gibt eine Reihe von Dingen, die wir gemacht haben. Es kann sein, dass nicht alles gemacht wurde, was hätte gemacht werden sollen - das will ich gar nicht bestreiten -, aber wir sollten in dieser Diskussion ehrlich miteinander umgehen. ({4}) Es gab eine Fehleinschätzung, aber niemand hat hier gegen sein Gewissen gehandelt. ({5}) Wir haben jetzt konkret Folgendes vor: Wir bringen zwei Kliniken vor Ort in Betrieb - in Zusammenarbeit von THW, Bundeswehr und DRK. Freiwillige werden derzeit in Würzburg ausgebildet, übrigens gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen, aber auch mit dem DRK. Diese Ausbildung verläuft sehr gut. Nach dem, was wir bisher verfolgen können, wird diese Ausbildung zeitgerecht vorbereitet. Wir bilden eine Luftbrücke. Wir rüsten derzeit ein Flugzeug um, mit dem Helfer, die sich infizieren, zurückgebracht werden können. Wir haben 50 Klinikbetten an sieben Standorten. Nicht alle dieser 50 Klinikbetten können gleichzeitig betrieben werden. Man geht davon aus, dass zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht zwei Drittel betrieben werden können; der Rest kann aber in relativ kurzer Zeit hochgerüstet werden. Man kann zwar sagen: Die Kapazität ist zu gering. Das ist aber auf jeden Fall die höchste Kapazität, die ein europäisches Land derzeit vorhält. Das ist auch der Grund, weshalb wir derzeit Patienten aufnehmen, und zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer. Das machen wir zu Recht; denn wir haben eine gute Kapazität. Wir bringen sie voll ein. ({6}) Wir versuchen, unsere Bemühungen zu koordinieren. Wir arbeiten mit der speziellen Stelle zusammen, die dafür von der UN in New York eingerichtet worden ist. Ebenfalls sehr eng arbeiten wir mit einer entsprechenden europäischen Stelle, ECHO, zusammen. Diese beiden Einrichtungen arbeiten zusammen. Wir koordinieren unsere Pläne auch mit den Nichtregierungsorganisationen, insbesondere mit Ärzte ohne Grenzen, die sogar in unser Ausbildungsprogramm eingebunden sind. Es ist richtig, dass wir nicht sofort das Geld zur Verfügung gestellt haben, was wir hätten zur Verfügung stellen sollen. Wir stellen aber jetzt mehr zur Verfügung als jedes andere europäische Land. In der Summe sind es immerhin fast 150 Millionen Euro. Selbstverständlich sind wir bereit, mehr zur Verfügung zu stellen, wenn das notwendig sein sollte. ({7}) Ich will zum Abschluss noch etwas zu dem vorliegenden Entschließungsantrag sagen. Es ist klar, dass er zum Teil veraltet ist. ({8}) Das gilt - auch das ist ganz klar - für jeden Antrag. Wenn ein Antrag eingebracht wird, dauert es halt eine Zeit, bis er diskutiert wird. Insofern habe ich noch nie einen Antrag gesehen, der nicht ein Stück weit veraltet gewesen wäre. Der Antrag hatte das Ziel, diese wichtige Diskussion im Bundestag einmal offen und konstruktiv nach vorne gerichtet zu führen. ({9}) Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir in Zukunft - das ist jetzt keine Abrechnung mit den bisher erfolgten Redebeiträgen - zu einer konstruktiven, über die Fraktionsgrenzen hinweggehenden Zusammenarbeit kommen, damit wir für diejenigen ein Vorbild sind, bei denen ich mich abschließend im Namen der gesamten SPDFraktion bedanken möchte: Das sind die Menschen, die vor Ort, aus der ganzen Welt kommend, bei der Bekämpfung dieser Seuche zusammenarbeiten und dafür ihr Leben riskieren. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu der vereinbarten Debatte „Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der Ebola-Epidemie“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2841, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/2607 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung ({1}) Fernerkundung: Anwendungspotenziale in Afrika Drucksache 18/581 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Themen „Technikfolgenabschätzung“ bzw. „Satellitenfernerkundung in Afrika“ sind sicherlich nicht so emotional besetzt und so aktuell wie das Thema „Ebola“; aber ich denke schon, dass wir jetzt über Techniken sprechen, die uns in Zukunft auch bei der Entwicklungszusammenarbeit helfen können. Die Weltraumtechnik ist lebensnotwendig geworden. Das gilt nicht nur für das Telefonieren bzw. für das morgendliche Abrufen von Nachrichten oder des Wetters; denn längst bringt der Blick von fern - das heißt über Satelliten - ein präzises Bild von einer Vielfalt ökologischer und sozialer Herausforderungen weltweit. Die Satellitentechnik erlaubt es mittlerweile, Gegenstände von unter einem Meter Größe aus mehreren Hundert Kilometern Entfernung zu beobachten. Die Fernerkundungstechnologie ist die Zukunftstechnologie. Mit ihr können wir unseren Planeten auf das Genaueste erkunden, vermessen und verstehen. Die Frage, die auch im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung analysiert wurde, lautet für uns heute: Wie kann diese Technologie genutzt und weiterentwickelt werden, um einen möglichst großen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten? Welche Möglichkeiten bietet diese Technologie für Afrika? Nach Abschätzung des Weltklimarates ist Afrika der durch den Klimawandel am meisten bedrohte Kontinent. Wasser beispielsweise ist zu einer immer kostbareren Ressource in Teilen Afrikas geworden. Es gibt weltweit bereits mehrere Fernerkundungsinitiativen, um diese Folgen anzugehen. Die TIGER-Initiative der Europäischen Weltraumorganisation, ESA, beispielsweise bündelt verschiedene Einzelprojekte: von der Suche nach Grundwasser bis zur Hochwasserprävention in flussnahen Regionen. 1999 wurde von der ESA und der französischen Raumfahrtagentur CNES mit der Charta „Space and Major Disasters“ ein Verbund internationaler Raumfahrtagenturen gegründet. Dank der Charta können in Katastrophenfällen innerhalb kürzester Zeit Daten zur Verfügung gestellt werden, die für das schlichte Überleben der Menschen in Notsituationen wie im Südsudan entscheidend sein können. Als 2004 aufgrund der Konflikte in Darfur Millionen Menschen auf der Flucht waren, konnten mithilfe von satellitengestützten Daten ohne größeren Zeitverlust Plätze zur Brunnenbohrung gefunden werden. Erst im Juli dieses Jahres stellte der Verbund internationaler Raumfahrtagenturen genauestes Kartenmaterial zur Verfügung, welches das Ausmaß der starken Überflutungen in der Regenzeit skizziert. Dies war eine entscheidende Grundlage für die Arbeit der Hilfsorganisationen bei der Versorgung Zehntausender Obdachloser. Auch das DLR unter Führung von Professor Wörner ist seit 2010 Vollmitglied. Seitdem helfen Daten aus dem bayerischen Oberpfaffenhofen beim Krisenmanagement. Dieses System der schnellen, unbürokratischen Nothilfe der Charta zeigt besonders deutlich, dass die Erdbeobachtung dringend notwendige Geoinformationen wie kein anderes Instrumentarium liefert. Um diese Technologie weiter auszubauen und zukünftig stärker für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu nutzen, muss aus meiner Sicht erst einmal ein großes Missverständnis aus dem Weg geräumt werden, nämlich das Missverständnis, dass sich diese Technologie einmal selber tragen wird. Es ist eben nicht so, dass wir hier durch den Verkauf von Daten die Technik und die Innovationen absichern können. Satellitendaten sind die notwendige Infrastruktur. Es ist auch nicht so, dass BMW erst Straßen bauen muss, bevor es Autos verkaufen kann. Die Wertschöpfungskette in der Fernbeobachtung beginnt erst mit der Auswertung und nicht mit dem Bau von Satelliten. Daher ist es klar, dass wir ein staatliches Mandat dafür brauchen, das den freien Zugang zu diesen Daten absichert. Das Flaggschiffprogramm der Europäischen Union, die gemeinsame Mission COPERNICUS, setzt auf diesen Ansatz. Die Daten der europäischen Satellitenflotte, sogenannter Sentinels, sollen frei verfügbar sein. Die Kerndienste von COPERNICUS könnten auch für Afrika eine hilfreiche Fernerkundungsinfrastruktur bieten. Geoinformationen der Klimainformationsdienste beispielsweise können helfen, Strategien und politische Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu entwickeln. Daneben setzen wir aber auch Standards. In ihrer Raumfahrtstrategie von 2011 formulierte die Bundesregierung das Ziel, unsere Fähigkeiten im Bereich der X-Band-Radarsysteme auszubauen. Mit Missionen wie TerraSAR-X und TanDEM-X sind wir weltweit führend. Mit den zwei Satelliten soll zukünftig ein genaues, dreidimensionales Abbild unserer Erde ermöglicht werden. Insbesondere beim Katastrophenmanagement im Rahmen der Charta „Space and Major Disasters“ ist ein solches Lagebild notwendig. Wesentlich verantwortlich für die Mission, das heißt für die Analyse der Daten, aber auch für die Planung und Durchführung der Mission, ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Daher wundert es mich schon ein bisschen, dass - dies erkennt man, wenn man sich den TAB-Bericht durchliest - diese Forschungseinrichtung viel zu wenig Beachtung findet und mit den Spezialisten vor Ort nicht in notwendiger Weise diskutiert wurde. Ja, auch ich musste meine erste Euphorie etwas zügeln. Bei Erdfernbeobachtung sprechen wir von hochkomplexen Systemen. Nur wenige Länder in Afrika sind derzeit in der Lage, den notwendigen Technologieaufbau zu leisten. Lediglich Südafrika hat mit dem Bau und Betrieb von Satelliten in Eigenregie begonnen. Langfristig müssen wir an einem nachhaltigen Kapazitätenaufbau in Afrika arbeiten. Die afrikanischen Staaten sollten imstande sein, Geoinformationsdaten eigenständig zu verwerten. Das BMBF fördert bereits mit verschiedenen Projekten die Etablierung einer Forschungsinfrastruktur mit regionalen Kompetenzzentren. Seit 2001 stärkt die EU gemeinsam mit EUMETSAT in einem Technologietransferprogramm den Aufbau von Governance-Strukturen. Aber uns muss klar sein, dass dies ein langsamer und zäher Prozess ist. Darüber hinaus fehlen in vielen Ländern die notwendigen Nutzergruppen, sprich: die öffentlichen Institutionen. Kurzfristig sollte daher das DLR im Verbund mit internationalen Raumfahrtagenturen nicht nur die Satelliteninfrastruktur bereitstellen, sondern auch die Datenverarbeitung garantieren. Dennoch sehe ich bei keinem anderen Kontinent so viele Ansatzpunkte für die Verwendung von satellitengestützten Geoinformationssystemen. Afrika kann diese Chancentechnologie brauchen. Afrika ist für uns ein Zukunfts- und Chancenkontinent, und wir haben die richtige Technologie dafür. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke spricht der Kollege Niema Movassat. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über die Anwendungspotenziale der Fernerkundung in Afrika. Das klingt etwas sperrig. Worum geht es? Kurz gesagt geht es um den entwicklungspolitischen Beitrag, den satellitengestützte Systeme aktuell in Afrika leisten, und um die Frage, was diese Systeme potenziell leisten könnten. Hierzu liegt uns eine umfangreiche Studie vor. In unserer heutigen hochtechnologisierten Zeit sind der Zugang zur Fernaufklärung und die Kontrolle über solche Systeme von großer Bedeutung, auch und gerade für einen durch koloniale und neokoloniale Ausbeutung gebeutelten Kontinent wie Afrika. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle, allen voran die unmittelbar entwicklungsrelevanten Aspekte, auf die der Zugang zu gesammelten Daten aus Fernaufklärungssystemen Einfluss hat. Insbesondere in schwer zugänglichen Gegenden liegen die Vorteile auf der Hand: In den Bereichen der Ernährungssicherheit und -souveränität, der Bekämpfung von Wüstenbildung, des Erosionsschutzes, des Klimaschutzes sowie der Stadtentwicklung kann eine richtig eingesetzte Fernaufklärung von unschätzbarem Wert sein. Ich möchte ein Beispiel nennen, das dies ein wenig veranschaulicht: Die mobile Telekommunikation ist ebenfalls satellitengestützt. Sie hat in Afrika weitgehend das Festnetz überflüssig gemacht bzw. dafür gesorgt, dass es einen Sprung direkt zur mobilen Kommunikation gegeben hat. Der flächendeckende Aufbau der kostenintensiven Festnetztechnologie wurde damit unnötig. Plötzlich sind die abgelegensten Gebiete in das System der weltweiten Kommunikation eingebunden. Das nutzt auch der lokalen Wirtschaft in allen Sektoren. Hinzu kommt, dass die mitunter ausgefeiltesten Innovationen in diesem Bereich mittlerweile aus den Ländern Afrikas kommen. Am bekanntesten ist hier sicherlich das Bezahlsystem M-Pesa, das in Kenia entwickelt wurde. Es ermöglicht die bargeldlose Zahlung. Das Handy wird damit zum Bankkonto, das Guthaben darauf zum Zahlungsmittel. Die Sicherheit der Menschen wird erhöht, weil sie eben nicht mehr kilometerweite Reisewege zur nächsten Bank auf sich nehmen müssen. Diese Technologie hat sich von Kenia nach Afghanistan, Indien und Südafrika verbreitet und ermöglicht überall wirtschaftliche Entwicklung. Selbst in Europa wird teilweise über die Einführung diskutiert. Wir wissen jedoch spätestens seit der Entdeckung der Kernspaltung und der Entwicklung der Atombombe: Es gibt keine unschuldige Wissenschaft. Technologie ist eben nicht neutral. Alle Technologiebegeisterung muss ihre Grenzen finden, wenn es um grundlegende moralische, politische und wirtschaftliche Kernfragen geht. So wirft auch die Fernaufklärung Fragen auf, Fragen, die die Entwicklungspolitik benennen und diskutieren muss; denn wir reden bei der Fernaufklärung von einer Technologie, deren Anwendungspraxis zeigt, dass das Recht des Stärkeren gilt. Das beginnt damit, dass der 1986 international verabschiedete Prinzipienkatalog für die Fernaufklärung massiv staatliche Hoheitsrechte verletzt. Auch ohne vorherige Zustimmung und das Wissen der betroffenen Staaten können Erkundungsaktivitäten ihrer Staatsgebiete aus dem Weltraum vorgenommen werden. Das Urheberrecht bezüglich der gewonnenen Daten liegt ausschließlich beim Satellitenbetreiber. Das gilt zwar für alle gleichermaßen, aber in der Praxis sind davon natürlich vor allem die Länder des Südens betroffen, die nicht über Fernaufklärungssysteme verfügen, um selber die entsprechenden Daten erheben zu können. ({0}) Zynisch wird es, wenn umgekehrt die Industrieländer selbst hoheitsrechtliche Ansprüche auf hochauflösende Daten über ihre Territorien aus Sicherheitsgründen geltend machen. Meine Damen und Herren, die vorliegende Studie zeigt, dass die Fernaufklärung unschätzbare Entwicklungspotenziale bietet. Derzeit zementiert sie jedoch eher das ohnehin krasse weltweite Gefälle zwischen Nord und Süd. Sie ist natürlich auch militärisch nutzbar. Ohne Fernaufklärung wäre der Einsatz von Drohnen nicht möglich, von Drohnen, die Menschen töten wie in Somalia und damit die Sicherheit gefährden; denn aus dem US-Drohnenkrieg in Pakistan wissen wir, dass auch Zivilisten zu Opfern werden können. Wir als Linke begrüßen den Großteil der entwicklungspolitischen Handlungsoptionen, die die Studie aufzeigt. Zwei möchte ich herausgreifen, die ich für sehr wichtig halte: Erstens müssen die technologischen Entwicklungen unter politischer Kontrolle durch öffentliche Forschungs- und Technikeinrichtungen erfolgen und dürfen nicht privatisiert werden, und zweitens fordern wir die Bundesregierung und die EU auf, einen freien Zugang zu Fernerkundungsdaten zu gewährleisten. Dies ist in den USA schon lange der Fall. Auch China und Brasilien gehen da den richtigen Weg: Sie stellen den Anwendern in Afrika die Daten ihrer Fernerkundung kostenlos zur Verfügung. In diesem Zusammenhang brauchen wir natürlich auch einen Technologietransfer in die Länder Afrikas, also Schulungen, Kompetenzweitergabe und Unterstützung bei der Auswertung dieser Daten. Wenn wir das gewährleisten, dann kann die Fernaufklärung für die Länder Afrikas, gerade für die abgelegenen Gebiete, eine echte Entwicklungschance bieten. Danke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In vielen Ländern Afrikas mangelt es an ausreichenden Daten über Wasservorkommen, Wald, Landnutzung, Wüstenbildung und vieles mehr. Für die Planung von Entwicklung ist eine solide Datengrundlage aber unerlässlich. Nur wenn man weiß, wie sich der Waldbestand verändert, wenn man weiß, wo Entwaldung stattfindet, kann der Wald anGabriela Heinrich gemessen geschützt werden. Wenn Länder solche Daten nicht haben, fehlt ihnen eine wichtige Grundlage für Entwicklung. Bei der Fernerkundung zur zivilen Nutzung können mithilfe von Satelliten wichtige Geoinformationen gewonnen werden. Dabei geht es um ein breites Spektrum, das gerade auch für Afrika interessant ist. Klar ist jedoch: Die wenigsten Länder in Afrika verfügen über die finanziellen Ressourcen, eigene Satelliten zu finanzieren und auf diese Weise eigene Geoinformationen zu gewinnen. Wenn wir über Fernerkundung in Afrika und die Rolle der deutschen Entwicklungspolitik reden, muss es daher auch um das Thema Kooperation gehen. Ohne Einbeziehung der afrikanischen Länder besteht letztlich immer eine Abhängigkeit vom Wohlwollen der Länder, die sich in diesem Bereich engagieren. Deutschland kann hier Vorbild sein und sich auf europäischer Ebene und international für echte Kooperation mit Afrika einsetzen. Es kann dafür werben, dass relevante Informationen aus der Fernerkundung auch den Ländern zur Verfügung gestellt werden, die sich die Technik nicht leisten können. Und ich denke, genau für dieses Vorgehen ist der vorliegende Bericht eine gute Grundlage. Der vorliegende Bericht des Büros für TechnikfolgenAbschätzung beim Deutschen Bundestag liefert nicht nur einen umfassenden Überblick über die derzeitigen technischen Möglichkeiten der Erdfernerkundung, sondern stellt auch die Möglichkeiten für zukünftige Kooperationen mit Afrika in diesem Bereich vor. Wenn bereits verfügbare Fernerkundungsdaten der technologieführenden Länder verfügbar gemacht würden, wäre dies eine mögliche Alternative zum Bau eigener teurer Satelliten. Für politisch instabile Regionen sollte es die einzige Alternative sein. Denn bei der Fernerkundung besteht das Risiko, dass Satellitenbauteile oder Bodenstationen militärisch genutzt werden. In politisch instabile Regionen darf es daher keinen Technologietransfer geben. ({0}) Klar ist, dass die Fernerkundung derzeit keinen Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit darstellt und auch in Zukunft keiner sein wird. Es gibt aber durchaus Potenziale, vor allem in der Landpolitik, bei der Landnutzung und im Klimamonitoring. Gerade im Hinblick auf den Waldsektor geht der Bericht davon aus, dass die Anwendung von Fernerkundungsdaten durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wahrscheinlich weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die Veränderung der Umwelt erfolgt einerseits durch den Eingriff des Menschen, zum Beispiel durch die Nutzung von Holz, durch Viehhaltung und Entwaldung; hinzu kommt der Klimawandel. Jedoch verfügen ausgerechnet die Länder, die mit am stärksten unter den Veränderungen ihrer Umwelt leiden, oft nur über unzureichende Datenbestände. Hier können Satellitendaten eine wichtige Informationsgrundlage sein, um den Zustand und die Veränderung der Umwelt ausreichend zu erfassen. Eine bessere Datengrundlage könnte auch politische Diskussionen in einem Land voranbringen. Wir sehen das ja auch an Beispielen: Handlungsdruck entsteht meist durch Information. Der Schutz des Regenwaldes ist auch deswegen weltweit ein Thema, weil wir wissen, dass eine Entwaldung stattfindet, und wir wissen, in welchem Ausmaß sie stattfindet. Dieses Wissen steigert nicht nur den Handlungsdruck auf die Politik - sowohl in den betroffenen Ländern, als auch international -, sondern sensibilisiert auch die Bevölkerung. Voraussetzung dafür ist, dass die Daten veröffentlicht werden und einschlägige Nichtregierungsorganisationen auch Zugriff auf sie haben. Der Bericht verweist auf verschiedene Projekte im Bereich der Fernerkundung, an denen auch deutsche Institutionen beteiligt sind, zum Beispiel das Waldmonitoring in Somaliland oder die Maßnahmen zum Erhalt des größten grenzüberschreitenden Waldgebietes Westafrikas in der Elfenbeinküste. Der in Planung befindliche nationale Fernerkundungssatellit EnMAP soll unter anderem auch für Monitoringmaßnahmen zur Verhinderung von Entwaldung und Waldschädigungen konzipiert werden. Generell gilt, dass man insbesondere Luftbilder benötigt, um Waldschutz effektiv zu überwachen und Veränderungen nachzuverfolgen. Darauf basierend kann dann weitergehend analysiert werden, welche Typen von Vegetation im Wald in welchem Ausmaß wachsen. Ein weiteres Beispiel für die Verwendungsmöglichkeit der Fernerkundung - der Kollege Movassat hat es schon gesagt - ist die Urbanisierung in Afrika. Wir haben hier im Bundestag in Kürze eine Anhörung zu diesem Thema; denn die schnell wachsenden Städte stellen die Entwicklungspolitik einerseits vor große Herausforderungen, sie bieten andererseits aber auch viele Chancen. Im Bereich der Stadtentwicklung gab es bisher noch nicht viele Projekte der Fernerkundung mit deutscher Beteiligung. Der Bericht sieht aber auch hier durchaus Potenziale, zum Beispiel für die Kartierung von Siedlungsgebieten. Eine erfolgreiche Stadtplanung braucht - neben solchen Dingen wie Rechtssicherheit in Bezug auf Land- und Eigentumsrechte - auch eine gute Datengrundlage und Geoinformationen, auch deswegen, weil Urbanisierung und Katastrophenschutz zusammengehören. Der Weltrisikobericht 2014 hat darauf hingewiesen, dass schnell wachsende Städte besonders verwundbar sind, zumal gerade Slums oft in solchen Gebieten entstehen, die gegenüber Naturgefahren besonders exponiert sind, zum Beispiel an Flussufern und Hanglagen. ({1}) Für die deutsche Entwicklungspolitik geht es also auch darum, die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der schnell wachsenden Städte zu stärken. Damit können wir dazu beitragen, dass nicht jede Naturkatastrophe so viele Menschenleben kostet. Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung liefert Beispiele dafür, wie die Fernerkundung im Katastrophenschutz einsetzbar ist. So wurde 1999 unter anderem auf Initiative der Europäischen Weltraumorganisation ESA die Internationale Charta für Weltraum und Naturkatastrophen entwickelt. Im Falle einer Katastrophe können in diesem Rahmen Fernerkundungsdaten erhoben, ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden, um Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist ein Mitglied der Charta. In der Vergangenheit konnten zum Beispiel nach einem Zyklon oder einer Flut in Madagaskar entsprechende Daten an Katastrophenschutzorganisationen vor Ort weitergegeben werden. Das Beispiel der Charta zeigt jedoch auch ein Problem auf: Bisher sind lediglich Algerien und Nigeria als Kooperationspartner der Internationalen Charta für Weltraum und Naturkatastrophen beteiligt. Es ist gerade aus entwicklungspolitischer Sicht wichtig und sinnvoll, weitere Länder in Afrika einzubeziehen, und zwar ganz im Sinne der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung: als Partner. Der Bericht regt auch hier Leuchtturmpartnerschaften mit ausgewählten afrikanischen Ländern an. Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung weist auch darauf hin, dass die Grundlage für eine deutsche ressortübergreifende Strategie eine vorherige Inventur der bestehenden Aktivitäten in der Anwendung der Fernerkundung in Afrika ist. Ich zitiere: Mit einer solchen Inventur könnte ein Geoinformationssystem aufgebaut werden, das Daten zu Afrikaaktivitäten bündelt und dadurch die Planung zukünftiger Projekte wie auch die Transparenz der Entwicklungszusammenarbeit verbessern kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht weist auch darauf hin, dass es bei der Fernerkundung nicht in erster Linie darum geht, in Großprojekte der Weltraumtechnologie zu investieren. Es geht vor allem um die notwendige Stärkung der Auswerte- und Anwendungstechniken, zum Beispiel zugunsten des Umweltmonitorings. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Bericht auch in der Raumfahrtpolitik der Bundesregierung Berücksichtigung findet, und nicht nur hier. So mahnt der Bericht auch eine bessere Koordination der deutschen Technologie-, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Entwicklungspolitik an. Das kann ich nur unterstützen. Bei einer Weiterentwicklung der Raumfahrtstrategie müssen entwicklungspolitische Fragen stärker berücksichtigt werden. ({2}) Der uns vorliegende Bericht ist das beste Argument dafür. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Uwe Kekeritz hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Fernerkundung ist keine neue Technik. Es gibt sie schon seit relativ langer Zeit. Wir können heute feststellen, dass sie immer besser und immer effizienter wird, und es gibt in letzter Zeit auch immer mehr Einsatzgebiete. Herr Movassat und Frau Heinrich haben die Bereiche genannt: Klimaforschung, Erfassung von Bewegungsdaten, Dokumentation der Wüstenausbreitungen; auch in Bezug auf Tsunamis können die Daten eine große Hilfestellung sein. Erkenntnisse sind mit der Fernerkundung einfach zu gewinnen, wenn das System einmal etabliert ist. Dieses System ist, denke ich, als sehr effizient zu bezeichnen. Wir wissen allerdings, dass jede Technologie die Gefahr birgt, missbraucht zu werden. Es ist nicht unsere Aufgabe, Regeln und Methoden zu finden, wie man diesen Missbrauch eingrenzen kann. Da müssen die Experten ran. Sie müssen Maßnahmen und Regeln entwickeln, die einen Missbrauch verhindern. ({0}) Diese Gefahr sollten wir auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen. Es wären zum Beispiel folgende Fragen zu klären: Wer hat Zugriff auf die Daten? Wie werden die Daten politisch oder wirtschaftlich in Handlungsfelder umgesetzt? Natürlich ist auch zu fragen, welche Kosten den Ländern entstehen. Wenn wir jetzt sagen: „Für Afrika ist das eine gute Sache; wir wollen mit sämtlichen Ländern Partnerschaften eingehen“, dann müssen wir auch sagen: Wenn die Länder sich das leisten können, wenn sich diese Grenzkosten auszahlen, dann haben wir nichts dagegen. - Aber ich sehe das bei den meisten afrikanischen Ländern nicht. Wir sollten uns in den Beratungen in den Ausschüssen einem Punkt zuwenden, der im Bericht festgehalten ist: In der Bundesregierung sind die Zuständigkeiten für die Fernerkundung auf viele Ressorts verteilt. Eine systematische Zusammenstellung fehlt ganz offensichtlich. Damit ist die Frage nach der Kohärenz gestellt. Wir verschenken hier offensichtlich Potenzial. Vermutlich erhöhen wir auch das Missbrauchsrisiko. Es wäre besser, die Aktivitäten Deutschlands in der Bundesregierung zu bündeln und mit denen der EU-Partner zusammenzuführen. Das wäre ein Gewinn für uns und unsere afrikanischen Partner. Es ist schon sehr viel Richtiges gesagt worden. Ich möchte vor einem Argument warnen: Man sagt, dass dieses Fernerkundungssystem uns die Möglichkeit bietet, Hungerkatastrophen zu verhindern. In diesem Zusammenhang weist man in den Medien oft auf die Situation in Somalia im Jahr 2011 hin und sagt ganz lapidar: Hätte man dieses Fernerkundungssystem damals effektiv eingesetzt, dann hätte man gewusst, dass die Ernten nicht eingebracht werden können, weil es zu trocken ist; dann hätte die Weltgemeinschaft rechtzeitig reagieren können, und somit wären die vielen Zehntausend Menschen nicht verhungert. Werte Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon lange Hungerfrühwarnsysteme. In Somalia 2011 haben diese Hungerfrühwarnsysteme rechtzeitig Alarm geschlagen. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass der KolUwe Kekeritz lege Thilo Hoppe im Bundestag vor dieser Hungerkatastrophe gewarnt und die Regierung aufgefordert hat, aktiv zu werden. Das ist schlicht unterblieben. Jetzt kann man natürlich sagen: Der Kekeritz weiß hinterher immer alles besser. - Nein, es ist tatsächlich so: Das war bekannt, und wenn die Weltgemeinschaft damals rechtzeitig reagiert hätte, dann hätte man diese Hungerkatastrophe zumindest nicht in diesem Ausmaß erlebt. Deswegen glaube ich, dass man auf dem Teppich bleiben und der Fernerkundung keine zu große Bedeutung beimessen sollte. Wir wissen auch ohne diese Systeme, wie die Entwicklung in den Wäldern aussieht, wie sich die Wüsten ausdehnen, wie sich die Urbanisierung vollzieht. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Mittel auf solche Problembereiche konzentrieren. Wie ich schon sagte: Wenn die Länder sich das leisten können, ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden. Aber uns allen muss klar sein, dass man in der Politik Prioritäten setzen muss. Und eine Technisierung der Verhältnisse hat bisher nur ganz wenig zur Lösung der Probleme beigetragen. Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Charles M. Huber für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht wurde gesagt: Wenn wir über Afrika reden, sprechen wir nicht in erster Linie über Hochtechnologie, sondern wir sprechen über Krisenszenarien jeglicher Provenienz, im Moment gerade auch über Ebola. Nichtsdestotrotz ist es dem einen oder anderen bewusst, dass es in Afrika durchaus und besonders unter der Jugend eine Affinität zur Technik gibt. Das spiegelt sich unter anderem in der Häufigkeit der Nutzung von Internet und Mobiltelefonen wider. In einigen afrikanischen Ländern liegt die Zahl abgeschlossener Handyverträge pro 100 Einwohner deutlich über dem deutschen Wert. Wir haben gerade über die M-Pesa-Initiative gesprochen. Dieses System erlaubt es einem, kleinere oder größere Geldbeträge per Mobiltelefon zu überweisen. Ich habe jüngst, als ich in Tansania war, über einen Bekannten meine Fähre nach Sansibar auf diese Weise bezahlt. Es gibt die Bill-Gates-Cashew-Initiative - sie ist sehr sinnvoll -, mit deren Hilfe Bauern die Erzeugerpreise auf dem Weltmarkt per Handy abrufen können. Ich möchte mit Ihnen hier über die Technikfolgenabschätzung hinsichtlich der Fernerkundung sprechen. Sicherlich wissen die wenigsten, dass dies bereits in den 80er- und 90er-Jahren in den afrikanischen Ländern angekommen ist. Hier war nämlich ein erster Trend zur Anwendung dieser Technik im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu verzeichnen. Ich möchte kurz auf die Wirkungsweise dieser Technik eingehen und darauf, was es mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen auf sich hat. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Sonne oder einen anderen künstlichen Sender als Quelle, von der aus elektromagnetische Strahlung, EMS genannt, gesendet wird. Diese trifft dann auf ein Objekt und wird von diesem, je nach Beschaffenheit, absorbiert, transmittiert oder reflektiert. Daraus erhalten Sie dann Daten, die Sie anschließend unter verschiedenen Gesichtspunkten auswerten können und die Ihnen schließlich hilfreiche Informationen liefern. Das heißt, die Technologie unterteilt sich in den Aspekt der Infrastruktur und den Zugang zu Satellitendaten etc. einerseits und die weitere Datenaufbereitung, also Nutzbarmachung der gewonnenen Informationen, andererseits. Gerade Letztere muss vor dem Hintergrund eines nachhaltigen Technologietransfers an afrikanische Länder erfolgen. In der Vergangenheit ist, wie bereits angesprochen wurde, dieser Punkt jedoch eher zu kurz gekommen. Fatal wird dies meines Erachtens, wenn man sich die künftige Entwicklung Afrikas vor Augen führt: Der Kontinent steht unter einem enormen demografischen Druck und unter dem Druck enormer klimatischer Veränderungen, deren Auswirkungen akuten Handlungsbedarf implizieren. Ich nenne als Beispiele die Entwicklung und Planung urbaner Räume, die Erkundung von Wasser- und auch Rohstoffvorkommen und deren Management, aber auch Erntevorhersagen in der Landwirtschaft und das Katastrophenmanagement. Es sei hier angemerkt: Die Daten müssen auch genutzt werden. Die mittels Fernerkundung erfassten und aufbereiteten Daten könnten und müssten schon jetzt genutzt werden, damit man sich perspektivisch auf die Herausforderungen einstellen kann. Staaten müssen, wie gesagt, darauf reagieren. Herr Kekeritz, Sie haben vorhin Hungersnöte angesprochen. Es ist nicht immer so, dass wir hier von Europa aus primär auf die Hungersnöte reagieren müssen, sondern die Staaten müssen auch selbst reagieren. Ich nenne Ihnen als Beispiel die Hungersnot in Äthiopien unter Kaiser Haile Selassie. Da hat die Regierung eine aufkommende Hungersnot in der Öffentlichkeit negiert. Es geht also letztendlich darum, die Chancen der Fernerkundung konsequent zu nutzen. Am meisten beeindruckt an dieser Technik hat mich - ich versuche, die positiven Möglichkeiten herauszustellen, und nicht, wie manch anderer Kollege, die negativen -, dass man heute durch die Erfassung des Klimas, des Zusammenwirkens verschiedener klimatischer Parameter die Bedingungen feststellen kann, unter denen sich Malariamücken am besten vermehren. Wenn Sie sich vor Augen halten, wie viele Menschen pro Jahr an Malaria sterben - etwa 1 Million -, erkennen Sie, wie wichtig das Verständnis dieser Zusammenhänge ist. Allein daher ist diese Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die hier auch auf Anregung des BMZ auf den Weg gebracht wurde, mehr als unterstützenswert. Aus meiner Sicht stellt die Fernerkundung einen der besten strategischen Ansätze der deutschen Entwicklungspolitik überhaupt dar. Sozialer Frieden, wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilisierung von Strukturen erfordern eine dezidierte und detaillierte Bestandsaufnahme relevanter Informationen, die mit diesen Themen in Verbindung stehen; denn man halte sich vor Augen: Künftig werden Kriege nicht nur um Öl und sonstige Bodenschätze geführt werden, sondern vermehrt auch um Ressourcen wie Wasser und nutzbare Lebensräume. „Capacity Building vor Ort“ ist daher das zentrale Stichwort. Es braucht die Ausbildung von Fachkräften aus der einheimischen Bevölkerung, die über die Spezifika - das könnte sich auch noch einmal auf das Thema Ebola beziehen - der jeweiligen Region Bescheid wissen, damit eine sinnvolle Anpassung der Technologie an die Gegebenheiten vor Ort gewährleistet ist. Meine Damen und Herren, ich bin schon am Ende meiner Rede. Ich freue mich, dass EUMETSAT und das ESOC der ESA ihren Sitz in meinem Wahlkreis, Darmstadt, haben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld spricht nun ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion; er ist der letzte Redner in dieser Debatte.

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter der Unionsfraktion für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag möchte ich zum Abschluss der Debatte einige grundsätzliche Anmerkungen zur Arbeit des TAB machen, über den vorliegenden Bericht hinaus. Die Kernaufgabe des TAB ist die wissenschaftliche Politikberatung für den Deutschen Bundestag. Um einen TAB-Bericht wie den vorliegenden richtig einordnen zu können, muss man klar benennen, was solche Beratung leisten kann und was nicht. Ich möchte deshalb kurz drei Punkte näher beleuchten: die Themenauswahl, die Methodik der Berichterstellung und die politische Bewertung, die wir für den vorliegenden Bericht gerade durchgeführt haben. Die Themensetzung des TAB erfolgt durch uns, den Deutschen Bundestag, unter Federführung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wir haben den Prozess für die Projekte 2015 gerade durchexerziert. Alle Arbeitsbereiche und damit letztlich alle 631 Kolleginnen und Kollegen können Themenvorschläge einspeisen. Dabei hat sich das Verfahren bewährt, zunächst über die Arbeitsgruppen und die Berichterstatter der Bundestagsfraktionen die Vorschläge zu sammeln. Anschließend werden die Themen bewertet, verdichtet und in Diskussion mit dem TAB durch die Berichterstatter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen. Dabei folgen wir dem Konsensprinzip; durch dieses Verfahren soll gewährleistet werden, dass die Themenauswahl nicht durch die jeweilige Mehrheit des Hauses majorisiert wird. - Das gelingt nach meinem Eindruck sehr gut. In diesem Zusammenhang auch ein ausdrücklicher Dank an die Ausschussvorsitzende und die Berichterstatter aus den anderen drei Fraktionen für die bis dato sehr konstruktive Zusammenarbeit. Kurz zur Methodik der TAB-Berichterstellung: Hier ist vor allem herauszustellen - das sollte man immer im Hinterkopf haben -, dass das TAB in erster Linie eine intelligente Bewertung der existierenden Datenlage im Lichte der Aufgabenstellung vornimmt. Es ist nicht so, dass die Gutachter umfängliche und damit auch sehr teure eigenständige Forschungsprojekte durchführen, wenngleich sie kleinere Studien durchaus in Auftrag geben können. Bei der wissenschaftlichen Politikberatung geht es also primär um die Bewertung von Daten und Trends. Es wird dabei in der Regel nie die eine Wahrheit geben, meine Damen und Herren. Die Berichterstatter nehmen die Berichte ab und schreiben ein Vorwort. Auch hier gilt das Konsensprinzip; es ist also nicht möglich, per Mehrheitsvotum das Gutachten zu manipulieren. Es geht um Sachargumente - ein in der Wissenschaft eigentlich selbstverständliches Prinzip, aber ein Prinzip, welches in der heutigen medialpolitischen Welt nicht einfach durchzuhalten ist. Ich jedenfalls versuche, genau darauf zu achten, dass weder in Vorworten noch in den Berichten zu einfache, plakative Botschaften enthalten sind. Natürlich wollen Medien oder auch Verbände, Lobbyisten oder Aktivisten aber genau das: einfache, simple Argumente, knackige Zahlen, mit denen Kampagnen gefahren werden können. Das Prinzip der wissenschaftlichen Politikberatung wird aber missbraucht, wenn die Grenzen zwischen neutraler Erhebung mit abgewogener politischer Diskussion und einseitiger politmedialer Einfärbung bewusst oder unbewusst verwischt werden. ({0}) Richtig ist eine klare Trennung von Daten, Interpretationen und Kampagnen. Ich werde übrigens in der folgenden Debatte zum Antiziganismus darauf noch einmal kurz zurückkommen. Damit komme ich zum dritten und für das Parlament eigentlich wichtigsten Punkt: der politischen Bewertung der TAB-Berichte. Hier endet das Konsensprinzip; hier muss das Konsensprinzip enden. Sie haben es eben in der Debatte gemerkt, wobei hier die Kontroverse nicht so stark war. Wie dargestellt, gibt es in der Regel keine einfache Wahrheit. Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionen auf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor, die der Bundestag nur nachkochen muss. Wichtig ist hier die Rolle der Fachpolitiker. Dafür ist es wichtig, dass sich die Fachpolitiker mit den Gutachten tatsächlich intensiv beschäftigen; das ist nicht immer der Fall. Hier und heute haben wir ein sehr schönes Beispiel gesehen. Dafür möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bedanken. In diesem Sinne wünsche ich der weiteren Utilisierung dieses Berichts gutes Gelingen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/581 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Tom Koenigs, Claudia Roth ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antiziganismus erkennen und entschlossen bekämpfen Drucksache 18/1967 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Volker Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Antiziganismus und Antisemitismus sind tief in unserer Gesellschaft, in unserer Geschichte verankert. Wir als Grüne meinen: Wir müssen das Problem des Antiziganismus genauso ernst nehmen wie den Antisemitismus und fordern deshalb, dass wir uns in einer Expertenkommission mit diesem Thema beschäftigen. ({0}) 500 000 Sinti, Roma und Kalé wurden von den Nationalsozialisten im Dritten Reich ermordet. Nach dem Ende des Schreckens des Zweiten Weltkrieges und des Dritten Reiches war die Verfolgung der Sinti und Roma in Deutschland aber nicht zu Ende. Sie wurden bei der Entschädigung nicht als rassisch Verfolgte anerkannt. Erst 1956 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Verfolgungsmaßnahmen nach 1943, als Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau verschleppt wurden, als rassische Verfolgung anerkannt werden, aber die Deportationen der Sinti und Roma davor galten in der Bundesrepublik Deutschland als begründet in „ihrem angeblich kriminellen und asozialen Charakter“. Das zeigt, wie lange der Geist des Dritten Reiches gegenüber den Sinti und Roma in unserem Land fortbestand. Trotz aller Aufarbeitung und geschichtlicher Korrektur dieser Irrtümer der frühen Bundesrepublik Deutschland ist auch heute Antiziganismus tief in unserer Gesellschaft verankert, tief und nicht nur am Rande, bei den Rechtsextremen, die in den letzten Wahlkämpfen Kampagnen gegen Sinti und Roma geführt haben. Die Studie der Universität Leipzig zur „stabilisierten Mitte“ kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahre 2014 55,4 Prozent der Bevölkerung sagen: Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten. - Diese Zahl hat im Vergleich zu 2011 um 15 Prozent zugenommen. Bei der Frage, ob Sinti und Roma aus den Innenstädten zu verbannen seien, hat sich die Zahl der Befürworter faktisch verdoppelt. Ich meine, das ist genügend Anlass, sich mit diesem Thema gesellschaftlich, wissenschaftlich und mit politischen Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma auseinanderzusetzen. ({1}) Herr Lengsfeld hat es gerade angedeutet: Es gibt eine Auseinandersetzung um eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ich finde, wir sollten hier im Bundestag nicht um Zahlen und um Statistiken aus diesen Untersuchungen streiten. Mir ist es egal, ob eine Aussage von 20 Prozent oder 30 Prozent unserer Bevölkerung geteilt wird. Ein so hohes Maß an Minderheitenfeindlichkeit gegen eine Gruppe in dieser Gesellschaft darf uns als Demokraten nicht ruhig schlafen lassen; da ist Handlung gefragt. ({2}) Deshalb bitte ich Sie: Nehmen Sie die Frage des Antiziganismus genauso ernst, wie wir in diesem Hohen Hause das Thema Antisemitismus ernst nehmen. Wir saßen gestern - Frau Pau war dabei - mit den Berichterstattern für den nächsten Antisemitismusbericht zusammen. Ich wünsche mir, dass wir uns im Rahmen der Beratung im Ausschuss unter Berichterstattern zusammensetzen, um zu sagen: Ja, wir machen einen Antiziganismusbericht; wir wollen wissen, wie die Vorurteilsstrukturen funktionieren, und wir wollen dann Maßnahmen des Bundes ergreifen, um diese Haltung in der Gesellschaft demokratisch niederzuringen. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Bernd Fabritius, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Das lehrt uns nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Selbstverständlich sind damit Rassismus und Feindlichkeit gegenüber allen spezifischen Gruppen gemeint. Es betrifft beispielsweise Juden, es betrifft Flüchtlinge aus allen Krisengebieten, und es betrifft leider auch Sinti und Roma. Ich denke, auch darüber sind wir uns einig. Für die Unverbesserlichen in unserer Gesellschaft sind die Ziele ihres Hasses und ihrer Diskriminierung und häufig auch die Begründungen dafür einfach austauschbar - seien es unsägliche Attacken auf Menschen mit dunkler Hautfarbe, Anschläge auf Flüchtlinge oder eben die unbestreitbar manchmal anzutreffende abwertende Haltung gegenüber Sinti und Roma. Meist sind es dieselben Leute, die den einen wie auch den anderen Gruppen ablehnend gegenüberstehen. Einen solchen Schluss auf Austauschbarkeit lässt zweifellos auch die „Mitte“-Studie der Universität Leipzig zu, auf die Sie von den Grünen sich in der Begründung Ihres Antrags berufen. Es handelt sich daher offensichtlich um ein grundsätzlicheres Problem und weniger um spezifische Diskriminierung mit abgrenzbaren Gründen gerade gegenüber Sinti und Roma. Wir müssen uns weiterhin insgesamt der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit widmen, anstatt eine Gruppe herauszupicken, wenn es uns gerade passt. Um dieser Aufgabe keinen Bärendienst zu erweisen, ist es wichtig, bei der Bewertung der Lage ehrlich und möglichst nah an den Realitäten zu bleiben. Sie behaupten in der Begründung Ihres Antrags bereits im ersten Satz - ich zitiere -: Antiziganistische Vorurteile sind in allen Bereichen von Politik und Gesellschaft verbreitet - in Behörden, in der Wissenschaft, in Medien, in Kirchen und Religionsgemeinschaften … Das ist schlicht falsch und stellt nicht nur uns Politiker, ({0}) sondern gleich die gesamte Gesellschaft und sogar die Religionsgemeinschaften allgemein und undifferenziert unter einen Generalverdacht des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit. ({1}) Das polarisiert, schadet der Sache und ist zurückzuweisen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat kürzlich selbst eine Studie zu diesem Thema in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse den Auftraggebern dann offensichtlich nicht schockierend genug gewesen sind. Sogar der Spiegel weist darauf hin, dass Ergebnisse dieser Studie überzogen interpretiert und negative Einstellungen gegenüber Sinti und Roma überzeichnet wurden. ({2}) Die Ergebnisse der Forscher zeigten nämlich etwas anderes. Nun könnte man fragen, ob wir über Prozentzahlen debattieren müssen, um einen Unrechtsgehalt zu identifizieren. Sie, lieber Kollege Beck, haben diese Frage zu Recht angesprochen. Ich antworte darauf: bestimmt nicht. Antiziganismus ist leider unbestreitbar Realität in unserer Gesellschaft, und Quantifizierung macht diese weder besser noch schlechter. Das gilt im Übrigen auch für deutsche Heimatvertriebene. Die Manipulation ist es, die ich kritisiere. Eine solche benötigen wir nicht, und sie schadet den Betroffenen mehr, als sie ihnen nützt. Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes brachte teils sogar erfreuliche Ergebnisse zutage, wie zum Beispiel das Wissen um die Leiden der Sinti und Roma unter den Nationalsozialisten oder auch die Befürwortung eines freien Zugangs der allochthonen Sinti und Roma zum Arbeitsmarkt durch eine Mehrheit in unserer Gesellschaft. Leider bleiben genau diese Befunde jedoch von den Auftraggebern der Studie unerwähnt. Sie behaupten in der Begründung Ihres Antrags sinngemäß das Gegenteil. Warum? Ein solches Vorgehen ist in der Sache nicht hilfreich. Es schadet vielmehr in letzter Konsequenz den Anliegen der Sinti und Roma. ({3}) Meine Damen und Herren, Resultat solch unsauberer Darstellungen sind dann meist überzogene Forderungen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, der Kollege Beck fragt, ob er eine Zwischenfrage genehmigt bekommt.

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es passt sehr gut, dass Sie zu den überzogenen Forderungen unseres Antrags kommen, der zum Inhalt hat, dass wir das Gleiche machen wollen wie beim Thema Antisemitismus. Ist Ihnen bekannt, dass auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes diese wohl nicht überzogenen Forderungen erheben, und was ist Ihre Antwort darauf? Was wollen Sie in diesem Themenbereich konkret tun?

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, ich habe zu den Forderungen und dem Maß der Überziehung noch nichts gesagt. Dazu komme ich noch. Mir ist nicht bekannt, was der ZentralDr. Bernd Fabritius rat der Sinti und Roma dazu sagt. Ich bin davon ausgegangen, dass der Antrag von Ihnen, den Grünen, stammt. Wenn Sie sagen, dass Sie einen fremden Antrag übernommen haben, dann würde ich mich dem gerne nähern. ({0}) Aber ich gehe auf die Frage im Weiteren noch ein. Damit ist Ihre Frage beantwortet, und ich fahre mit meiner Rede fort. Resultat solch unsauberer Darstellungen sind, wie gesagt, meist überzogene Forderungen. Ich komme noch darauf zurück und nenne, was ich für überzogen halte. Auch hier müssen wir aufpassen, dass wir realitätsnah bleiben und nicht über das Ziel hinausschießen. Selbstverständlich dürfen auch Sinti und Roma weder bei Bildungsangeboten noch bei der Wohnungssuche, der Arbeitssuche oder sonst in irgendeiner Weise benachteiligt oder diskriminiert werden. Wenn jedoch zum Beispiel - ich nenne das nur, weil es oft Gegenstand der Debatte ist - Begriffe aus der Alltagssprache verbannt werden sollen, die gar keinen negativen Bezug haben, dann halte ich das für überzogen. ({1}) Müssen etwa Köche ihre Rezeptbücher umschreiben und aus dem beliebten „Zigeunerschnitzel“ ein „Schnitzel nach Art der mobilen ethnischen Minderheit“ zu machen, um nicht des Antiziganismus bezichtigt zu werden? ({2}) Darüber schütteln sogar Sinti und Roma den Kopf. Ich kenne gerade in Rumänien, wo ich 18 Jahre lang gelebt habe, viele, die sich selbst und stolz als Zigeuner bezeichnen. Sie wollen nun - damit komme ich zu Ihren Forderungen - ein eigenes Hochschulinstitut für Antiziganismus. Sie fordern eine Bestandsaufnahme zu Entstehungsgeschichte und Folgen, gerade so, als ob Antiziganismus etwas anderes - etwas Spezifischeres und Abgrenzbareres - wäre als schlichter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. ({3}) Ich halte derartige Forderungen für Aktionismus und bin der Auffassung, dass sie keinem helfen. Viel wichtiger ist es, dass wir uns weiterhin gegen rassistische Vorurteile und diskriminierende Einstellungen in einigen Köpfen in unserer Gesellschaft einsetzen. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. ({4}) Letztlich handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen. An einer einzigen Stelle in Ihrem Antrag haben Sie recht: Sie stellen fest, es gelte, „eine Zersplitterung der Forschung bzw. der Beobachtung und Analyse von Diskriminierung in Deutschland zu verhindern“. Sie haben völlig recht. Genau so ist es. Deswegen ist Ihr Antrag abzulehnen. Danke. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Petra Pau, Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, sich dem Antiziganismus zuzuwenden, also der vielfältigen Diskriminierung von Sinti und Roma. Das teilt die Linke ausdrücklich. ({0}) Professor Wolfgang Benz hat vor wenigen Tagen sein Buch Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit vorgestellt. ({1}) Ich war bei der Präsentation dabei und empfehle uns allen sein Buch. Darin erinnert er, dass diese Menschen als Zigeuner von jeher ausgegrenzt wurden. In der Nazizeit gipfelte das im Völkermord an den Sinti und Roma, den auch lange nach 1945 niemand wahrnehmen wollte. Auch heute werden Sinti und Roma oft wie Aussätzige behandelt, nicht nur in Osteuropa, sondern auch in der Bundesrepublik. Das ist nicht hinnehmbar. ({2}) Denn es geht hier nicht um irgendwelche Minderheitenrechte, sondern um allgemeine Menschenrechte, auch für Sinti und Roma. Aktiver Antiziganismus knüpft häufig an Ängste und Vorurteile an und facht sie fernab der Wahrheit an. Ich möchte Ihnen ein aktuelles Beispiel der Hetze gegen Sinti und Roma darlegen. In Halle an der Saale im Wohngebiet „Silberhöhe“ gibt es seit neuestem eine Bürgerinitiative via Facebook. Das Bündnis „Halle gegen Rechts - Bündnis für Zivilcourage“ hat einige Hetzparolen und falsche Behauptungen aufgegriffen. Die erste Behauptung, die dort verbreitet wird: Romakinder gehen generell nicht zur Schule. - Tatsache ist: Natürlich unterliegen sie wie alle Kinder der Schulpflicht und gehen selbstverständlich in die Schule. Zweite Behauptung: Die dort ansässigen Romafamilien vermüllen das Wohnhaus und die öffentlichen Flächen - Tatsache: Dem widersprechen vehement die Vermieterin und die Stadtverwaltung. Dritte Behauptung: Roma stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist. - Tatsache: Weder die Polizei noch der Supermarkt vor Ort bestätigen das. Vierte Behauptung: Wegen krimineller Roma wurde die Polizeipräsenz im Wohngebiet erhöht. - Tatsache: Der Polizeisprecher der Stadt Halle sagt: „Ja, wir mussten die Polizeipräsenz nach dem Auftauchen dieser Bürgerinitiative erhöhen, zum Schutz der Sinti und Roma“. Ich füge an: Solche Vorurteile werden nicht nur vom rechten Rand der Gesellschaft bedient, sondern auch aus ihrer Mitte. Vorwürfe oder Unterstellungen, Sinti und Roma seien Sozialschmarotzer, kommen leider auch aus dem politischen Raum. Ich halte das für unverantwortlich. ({3}) Gleichwohl, Herr Kollege Beck, sollten wir in Ruhe darüber beraten, ob die vorgeschlagene unabhängige Expertenkommission „Antiziganismus“ darauf die richtige Antwort ist. Ich befinde mich dazu auch in der Debatte mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Ich möchte uns alle an die Expertenkommission zum Antisemitismus erinnern. Die erste Expertise liegt seit über zwei Jahren vor, allerdings - wir sprachen gestern darüber - bisher weitgehend folgenlos. Eine Expertise, die folgenlos bleibt, nützt weder den Jüdinnen und Juden hier im Land noch, wenn wir denn eine solche Berichterstattung hier beschließen, den Sinti und Roma und übrigens auch nicht der Gesellschaft. Damit will ich abschließend uns alle daran erinnern: Seit drei Jahren kennen wir die Ergebnisse der Langzeitstudie über deutsche Zustände von Professor Heitmeyer und seinem Team an der Uni Bielefeld. Sein Befund: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, gegen Sinti und Roma, gegen Migrantinnen und Migranten, gegen Menschen mit Behinderungen, gegen Obdachlose und Arbeitslose usf. Auch darauf haben wir bisher im Bundestag, aber auch insgesamt noch nicht adäquat reagiert. Übrigens wird als Ursache für diese Entwicklung in der Studie ein Megatrend benannt, nämlich dass das Soziale ökonomisiert und die Demokratie entleert wird. Es reicht also nicht, dass wir die Probleme in den Innenausschuss überweisen oder sie Experten anheimstellen. Ich glaube und bin fest davon überzeugt: Wir müssen hier gemeinsam einen Politikwechsel bewerkstelligen. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In zwei Wochen werden wir Mitglieder des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Duisburg und Mannheim besuchen. Grund der Reise: Wir möchten uns in beiden Städten ein Bild verschaffen, wie Sinti und Roma in Deutschland leben. Wir werden mit ihnen reden, und wir werden uns über Projekte und Initiativen informieren, die es in den Stadtvierteln gibt, in die viele Roma aus Bulgarien und Rumänien zugezogen sind. Am 10. November wird der Menschenrechtsausschuss das Arnold-Fortuin-Haus in Berlin-Neukölln besuchen. Am 12. November wird es eine Expertenanhörung im Ausschuss geben, Thema: „Lage der Sinti und Roma in Deutschland und in der EU - Ausgrenzung und Teilhabe“. Warum plaudere ich hier über unseren Terminkalender? Alles das findet anlässlich des thematischen Schwerpunkts „Sinti und Roma“ im Menschenrechtsausschuss statt. Wir werden uns also in der unmittelbaren Zukunft wie geplant über Sinti und Roma und über Rassismus gegen Sinti und Roma informieren. Daraus leiten wir Handlungen ab, korrigieren vielleicht den eigenen Blickwinkel und lernen bestenfalls aus Fehlern. Um ehrlich zu sein, hat es mich deshalb schon gewundert, dass der Antrag „Antiziganismus erkennen und entschlossen bekämpfen“ vor diesen Aktivitäten des Menschenrechtsausschusses auf der Tagesordnung im Deutschen Bundestag steht. ({0}) Dagegen kann man argumentieren, dass es niemals zu früh sein kann, sich mit dieser speziellen Form von Rassismus auseinanderzusetzen. Das ist sicher richtig. Allerdings hat mich der Antrag der Grünen nicht überzeugt. Natürlich kann ich Ihnen nur zustimmen, wenn Sie sagen, dass antiziganistische Vorurteile für die Ausgrenzung vieler Sinti und Roma aus dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben mit ursächlich sind. Die Betonung muss hier allerdings auf dem Wörtchen „mit“ liegen. Rassismus gegen Sinti und Roma gibt es. Das kann niemand anzweifeln. Auch existent sind schlechtere Chancen für Sinti und Roma, große Probleme bei der Wohnungssuche und wenig Wissen bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Tom Koenigs hat in einem Vorwort zu einem Gutachten, das sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzt, geschrieben, die Bekämpfung von Rassismus gegen Sinti und Roma müsse auf drei Wegen erfolgen - ich zitiere -: durch die Veränderung oder Schaffung neuer gesetzlicher und normativer Regelungen, durch gesellschaftliche Aufklärung und durch die umgehende Verbesserung der sozialen Situation benachteiligter Roma. Wenn wir uns einig sind, dass die Bekämpfung des latenten und manifesten Rassismus diese drei Wege beschreiten muss, dann finde ich es deutlich zu kurz gegriffen, jetzt nur einen Expertenkreis und ein universitäres Zentrum einzurichten. Die Betonung liegt auf „nur“. Die Roma-Forschung sollte an den Universitäten besser installiert werden. Ich halte das für unstrittig. Mit einem Denkmal zur Erinnerung an die Ermordeten im Dritten Reich ist es nicht getan. Die geschichtliche Forschung über Sinti und Roma und den Holocaust muss ins Blickfeld von Historikern rücken, ebenso wie die Vorurteilsforschung - allerdings nicht unter der Prämisse, nur damit den Rassismus gegen Sinti und Roma zu beseitigen. Meine Damen und Herren, Rassismus darf in diesem Land niemals toleriert werden. Ich betone es noch einmal: Rassismus gegen Sinti und Roma, den gibt es. Aber er ist nicht allein verantwortlich für die oft problematische soziale Situation vieler Roma und auch nicht die aus ihm entstehende Diskriminierung. Sind wir nicht eigentlich weiter? In der politischen Debatte auf Bundesebene, aber auch in Gesprächen mit den Menschen in meinem Wahlkreis höre ich immer wieder, dass wir vor allem bei den sozialen Verhältnissen, bei Integration und bei Bildung ansetzen müssen. Es mag sein, dass mehr Bildung in den Ländern Südosteuropas nicht zum gewünschten Erfolg führt. Die Arbeitslosigkeit ist viel zu hoch; Bildung und Chancen sind dort entkoppelt. Aber niemand wird ernsthaft bestreiten, dass das in Deutschland anders ist. Nur mit vernünftiger Bildung und Ausbildung eröffnen sich hier Chancen auf Integration und Teilhabe. ({1}) Erinnern wir uns an den Beginn des Jahres. Wie auch schon erwähnt wurde, wurden Vorurteile und Ängste im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgarien und Rumänien geschürt. Gemeint waren Roma. Es wurden Vorurteile und Ängste vor den sogenannten Armutsflüchtlingen geschürt. Und die Empörung war groß, weil Studien den Deutschen Rassismus bescheinigten. Aber wie helfen wir denn Menschen, die aus unvorstellbarer Armut zum Beispiel aus Bulgarien zu uns kommen? Helfen wir ihnen - ich habe immer gesagt: nur mit einem jährlichen Antiziganismusbericht? Oder helfen wir ihnen, indem wir ihre soziale Situation verbessern? Ich meine nicht nur die soziale Situation in Deutschland, sondern auch die in den Herkunftsländern. Denken wir an die Kommunen. Helfen wir ihnen mit Rassismusforschung? Oder helfen wir ihnen, indem wir sie in die Lage versetzen, die Situation in bestimmten Stadtteilen zu verbessern? Ich werde in Mannheim und in Duisburg genau hinhören, was der Bund für die Neckarstadt-West oder für Rheinhausen tut. Dabei will ich die Mehrheitsgesellschaft nicht vergessen. Wie schaffen wir es denn, die Angst vor dem vermeintlich Fremden zu mindern? Schaffen wir das mit einem Lehrstuhl? Oder schaffen wir das mit Aufklärung, Menschenrechtsbildung und Begegnung? Müssen wir das Rad hier neu erfinden? In meiner Heimatstadt Nürnberg bestätigen mir alle, die in der Menschenrechtsbildung tätig sind, dass alle Formen des Rassismus Teil der Menschenrechtsbildung sind - auch Rassismus gegen Sinti und Roma. Wenn Sie Jugendliche fragen, welche Gruppen von Diskriminierung betroffen sind, werden auch immer Sinti und Roma genannt. Aber wir werden uns schwertun, Vorurteile abzubauen, wenn die Menschen immer wieder das Klischee sehen, das ihrem Vorurteil vermeintlich entspricht. Dass alle sozialen Probleme der Sinti und Roma - ich habe es eingangs ausgeführt - nur im Rassismus fußen, wie einige behaupten, ist zu kurz gegriffen. Nicht die Diskriminierung allein ist für die soziale Situation der Roma ursächlich. Vielmehr bedingen sich Diskriminierung, soziale Situation und Unwissenheit seitens der Mehrheitsbevölkerung gegenseitig. Wir müssen die Klischees aufbrechen, die in jeder Form von Rassismus vorkommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Europarat haben uns Maßnahmen aufgezeigt, die wir umsetzen müssen. Aus deren Vielzahl möchte ich hier nur ein einziges Thema herausgreifen: die Verbesserung der Situation der Romafrauen. Was wir auch in Deutschland schaffen müssen, ist unter anderem, folgende Forderungen umzusetzen: Die Grundrechte von Romafrauen und -kindern sicherstellen; sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel unter besonderer Berücksichtigung von Romafrauen bekämpfen; Romafrauen in die Lage versetzen, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu übernehmen. Diese Aufzählung kann man beliebig lange und noch sehr viel konkreter fortsetzen. Es ist nicht falsch, sich dabei wissenschaftlich und praktisch beraten zu lassen. Aber Politik für die Sinti und Roma muss über die theoretische Ebene hinaus auf europäischer Ebene, auf nationaler Ebene und auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Wiederum über alle Projekte hinaus müssen wir die Denkmuster in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft ändern und Wissen über die Minderheit fördern. Dass dieses Wissen noch Verbesserungspotenzial hat, streitet niemand ab. Das hat auch jüngst die Studie gezeigt - heute schon vielfach erwähnt -, die aufgrund der Interpretation der erhobenen Daten durchaus Unmut hervorgerufen hat. Ich werde hier nicht diskutieren, ob man nun den Skalenwert 5 zu 6 und 7 zählen darf. Ich habe mir diese Studie genau angeschaut. Für unser Thema ist wichtig, dass viele der Befragten den Sinti und Roma unwissend und gleichgültig gegenüberstehen. Dass sie Opfer des Holocaust waren, wussten noch viele, besonders Ältere; aber 34 Prozent der Befragten nannten „fahrendes Volk“ auf die Frage, was ihnen zu Sinti und Roma einfällt. Wir sehen, das geht an der Realität völlig vorbei. Unwissen, Gleichgültigkeit und Indifferenz der Mehrheitsgesellschaft hinsichtlich der Minderheit müssen wir angehen. Darüber hinaus muss die deutsche Politik - das sagen uns auch die Forderungen aus Brüssel und Straßburg - mehr für die Integration der Roma tun. Auch die Forderung nach Kampagnen, die den Rassismus gegen Sinti und Roma anprangern, sind völlig berechtigt. Aber es wird auch schon einiges getan. Stellvertretend für viele wichtige Projekte möchte ich hier nur eines nennen: Das Familienministerium unterstützt das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. seit 2009. Aus diesen Mitteln wurde letztes Jahr unter anderem ein Themenflyer zu Antiziganismus aufgelegt. Zum Schluss möchte ich noch werben: für das Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“. ({2}) Einer der Schwerpunkte ist Rassismus gegen Sinti und Roma. Das Projekt startet am 1. Januar 2015. Derzeit können Ideengeber und Initiativen ihr Interesse für Modellprojekte beim Familienministerium einreichen. Es werden noch Projekte gesucht. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss ist es mir eine große Freude und Ehre, heute kurzfristig für unsere menschenrechtspolitische Sprecherin Erika Steinbach diese Rede zu übernehmen. ({0}) - Ich möchte einfach nur darstellen, in welcher Position ich hier stehe, Kollege Koenigs. Kurz ein paar Fakten: In Deutschland leben Schätzungen zufolge circa 60 000 Sinti und 10 000 Roma. Dies sind deshalb Schätzwerte, weil in Deutschland keine bevölkerungsstatistischen oder sozioökonomischen Daten auf ethnischer Basis erhoben werden, keine außeramtlichen Quellen existieren und eine repräsentative Erhebung im Rahmen der amtlichen Stichprobenerhebungen nicht möglich ist. Deutsche Sinti und Roma haben selbstverständlich alle Rechte und Pflichten deutscher Staatsbürger. Neben Dänen, Friesen und Sorben sind sie als nationale Minderheit anerkannt. Wir wissen um die großen Probleme dieser Minderheit vor allem in den südosteuropäischen Ländern - wir können die europäische Situation hier ja nicht völlig ausblenden; das sollten wir schon mitdiskutieren -; dort lebt die Mehrheit der Roma. In den Ländern des Westbalkans stellt sich die Lebenssituation der Minderheit in vielen Lebensbereichen als sehr schwierig dar. Für die Integration der Roma bedarf es gerade dort besonderer Anstrengungen. Die europaweite Problematik von Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma ist offenkundig, wobei es aber auch eine gewisse Selbstausgrenzung gibt. Im April 2011 legte die Europäische Kommission einen Rahmen für nationale Strategien zur Eingliederung der Roma vor. Die Mitgliedstaaten haben der EU-Kommission jährlich über ihre Integrationsbemühungen zu berichten. Die Bundesregierung hat am 23. Januar 2014 einen zweiten Fortschrittsbericht über die Umsetzung des Berichts der Bundesrepublik Deutschland „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 Integrierte Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland“ an die Europäische Kommission übersandt. Auf über 60 Seiten informiert der Bericht über die seit 2011 erzielten Fortschritte auf Bundes- und Landesebene sowie über Pläne bis zum Jahr 2020 in den vier Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Unterkunft und gibt auch zur Antidiskriminierung detailliert Auskunft. Ich finde, wir haben bereits beachtliche Erfolge erzielt: So wurde im Oktober 2012 hier in Berlin-Mitte - es ist schon kurz erwähnt worden; aber man sollte es sich noch einmal klarmachen; es ist ja eine große Sache - das mit Mitteln des Bundes finanzierte zentrale Mahnmal für die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel eingeweiht. Die Bundesregierung steht in vielfältigem Kontakt mit Vertretern der nationalen Minderheit. Seit 2012 führt sie auch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Gespräche über die Bekämpfung extremistischer Gewaltaufrufe und Hass im Internet. Mehrfach im Jahr findet ein Gesprächskreis der nationalen Minderheiten in Deutschland unter Federführung des Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages statt, an dem Vertreter der nationalen Minderheiten, die Bundesregierung und Abgeordnete teilnehmen. Dessen Themen waren auch - natürlich - „Diskriminierung von Sinti und Roma“ sowie die „Erstellung eines Antiziganismusberichts“. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ fördert die Forschung zum Thema Antiziganismus. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und das Dokumentations- und Kulturzentrum in Heidelberg werden mit Bundesmitteln institutionell gefördert. Sie sehen, dass in Deutschland in diesem Bereich bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden. Speziell hervorheben möchte ich aus dem Fortschrittsbericht die seit 2011 durchgeführten Maßnahmen im Bereich Bildung; Bildung ist ja auch einer meiner Hauptbereiche. Bildung ist die Schlüsselkompetenz für gelingende Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Der Bericht zeigt die durchgeführten Maßnahmen und Projekte, die von vorschulischer Sprachförderung über Ferienfreizeitangebote, Familienbildung und -beratung bis hin zu bildungspolitischen Maßnahmen und Antirassismuskonzepten für Schulen reichen. Alle Maßnahmen werden mit Leben erfüllt und finden in Deutschland schon jetzt statt. Die Bemühungen im Bildungsbereich leisten einen wesentlichen Beitrag, vorhandene Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft abzubauen und die Angehörigen der Minderheit, die sich bisher zum Teil bildungsfern verhielten, zu erreichen. Das Recht auf Bildung muss aber mit der Akzeptanz der Schulpflicht in Deutschland einhergehen - das ist hier auch schon gesagt worden -; da besteht eine Verknüpfung. Integration funktioniert eben nicht als Einbahnstraße. Kommen wir zur aktuellen Lage. Auch dieser Punkt ist schon mehrfach angesprochen worden; ich möchte darauf etwas detaillierter eingehen, weil das hier so weggewischt wurde. Bereits im September veröffentlichte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine wissenschaftliche Studie zur Bevölkerungseinstellung gegenüber den Sinti und Roma. Ich vermute stark, dass das auch der Anlass für Ihren Antrag ist. ({1}) - Vielleicht nicht, aber es gibt eine gewisse zeitliche Koinzidenz. Hier muss man genau auf die Daten schauen. Ich finde, da darf man nicht der Versuchung erliegen, die Daten medial anzuschärfen. Das Beispiel müssen wir jetzt einmal, so quälend es für den einen oder anderen sein mag, durchexerzieren. Eine konkrete Frage in der Studie, die auch medial durchaus intensiv diskutiert wurde, lautete: Wie angenehm oder unangenehm wären Ihnen Sinti oder Roma als Nachbarn in der Nachbarschaft? Die von den Wissenschaftlern übrigens aus gutem Grund gewählte Skala zur Beantwortung reichte von 1 bis 7; das ist hier auch schon erwähnt worden. Man hätte auch eine andere Skala nehmen können, aber man hat aus gutem Grund eine Skala von 1 bis 7 gewählt. „4“ ist die neutrale Antwort. „5“ ist eine Schattierung, die leicht ins Unangenehme geht, also die erste negative Antwort in der Skala von 1 bis 7. Die Ergebnisse lauteten wie folgt: Positiv bis neutral - das sind die Werte 1 bis 4 - äußerten sich 48,7 Prozent der Befragten in dieser Studie. Den Wert 5 - eher negativ wählten 10,9 Prozent, den Wert 6 - „unangenehm“, schon ziemlich negativ - 8,5 Prozent und den negativsten Wert, den Wert 7 - „sehr unangenehm“ -, 11,9 Prozent. PR-Experten in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben daraus eine Presseerklärung gemacht, in deren Überschrift - das ist das Wichtige - als Erstes steht: „Jeder dritte Deutsche lehnt Sinti und Roma als Nachbarn ab“. Das ist das Ergebnis eines PR-Cookings dieser Zahlen. Wie gewollt, beherrscht genau diese Schlagzeile die Berichterstattung für eine ganze Weile. Das geht aus meiner Sicht so nicht. ({2}) Dieser Spin ist nicht durch die Studienergebnisse gedeckt. Wenn man nur die negativen Zahlen betonen wollte - ich sage gleich, dass das auch kein guter Blick auf eine solche Studie ist -, dann könnte oder müsste man gemäß der Studie sagen, dass 20,4 Prozent der Befragten - auch Kollege Beck hat es schon erwähnt - Sinti und Roma in ihrer Nachbarschaft als unangenehm oder sehr unangenehm empfinden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Beck?

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde das gern zu Ende führen. Dann können wir gern in eine zweite Runde gehen, wenn das dann noch nötig ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Schauen wir mal, wie wir das dann machen. ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gab in dieser Studie aber auch eine Vielzahl positiver Daten. Ich empfehle ganz klar, dass man diese Art von Studien nicht einseitig interpretiert, nicht diese Art von medialem Spin setzt, sondern die positiven und negativen Signale genau analysiert, um daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Meine Sicht auf die Studie lautet: Antiziganismus ist in Deutschland momentan kein weitverbreitetes Phänomen. Deshalb sehe ich den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auch kritisch, ohne dabei weiteren Handlungsbedarf aufgrund der Ergebnisse der Studie oder anderer Erkenntnisse zu negieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die Debatte hat gezeigt, dass wir Forschung und Erkenntnisse über Antiziganismus brauchen, und zwar mehr als bisher. ({0}) In dem Antrag geht es - Frau Heinrich hat das anscheinend gar nicht gesehen - nicht um Sinti und Roma und deren Wohlbefinden oder Nichtwohlbefinden, sondern es geht um uns, die Mehrheitsgesellschaft. ({1}) Der Antiziganismus ist in der Mehrheitsgesellschaft verwachsen, nicht bei den Sinti und Roma. Dieser Antrag befasst sich nur damit. ({2}) Davor haben wir uns lange mit Antisemitismus befasst, und auch da gab es immer welche, die gesagt haben: Das ist ja nicht so schlimm, ist ja nicht so viel; das gibt es gar nicht in dem Maße; es sind nur 24 Prozent. Aber dass es in der Mitte der Gesellschaft und nicht nur am rechten Rand Antiziganismus gibt, das ist der Kern des Problems. Diesen Antiziganismus gibt es seit Generationen. Es gibt ihn in allen Kulturen. Zum Beispiel gibt es ihn auch in der Literatur. Klaus-Michael Bogdal hat das in einem sehr interessanten Buch mit dem treffenden Titel „Europa erfindet die Zigeuner: Eine Geschichte von Faszination und Verachtung“ beschrieben. Diese Verachtung sehen wir. Faszination und Verachtung finden wir von Cervantes über Heine bis hin zu García Lorca und zur Volksliederkunst, „Zigeunerjunge“ oder was auch immer. Damit müssen wir uns befassen; auch Wissenschaftler müssen das machen. Das will der Antrag. Der Antiziganismus hat Geschichte, auch eine ganz spezielle deutsche Geschichte. Es handelt sich nicht nur, wie Herr Fabritius gesagt hat, um irgendeine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Es ist auch Rassismus, aber ein ganz spezifischer, auf eine ganz spezifische Gruppe konzentriert. Die Mitglieder dieser Gruppe, so unterschiedlich sie auch sind - Sinti, Roma, Zigeuner, Aschkali, Egyptians, Gypsies, Gitanos -, haben eines gemeinsam: Sie sind Opfer dieses Antiziganismus. Fragen Sie sie doch einmal! Sie alle haben das erlebt; jeder Einzelne hat es erlebt. In der Mehrheitsgesellschaft heißt es dann: Ich habe ja nichts gegen Zigeuner, aber bei uns im Frankfurter Stadtzentrum wollen wir sie doch nicht haben. - Die Ursache für die Diskriminierung der Sinti und Roma liegt bei uns, nicht bei den Sinti und Roma. ({3}) Damit müssen wir uns befassen. Dieser Antrag fordert, dass eine unabhängige Kommission dies erforschen soll. - By the way: Eine solche gibt es für Antisemitismus. Sie könnte aber sicher noch besser sein, als sie gegenwärtig ist. - Wir müssen darüber berichten - ganz offensichtlich, wenn es so viel besser geworden ist, wie Sie sagen. ({4}) Dass es kein einziges eigenständiges wissenschaftliches Forschungsinstitut für Antiziganismus gibt, ist doch ein Jammer. Das ist offensichtlich ein Fehler. ({5}) In diese Richtung geht der Antrag. Ich bitte Sie immer noch, diesen zu unterstützen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1967 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. November 2014, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zeit bis dahin. Die Sitzung ist geschlossen.