Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
einen wunderschönen sonnigen guten Morgen!
({0})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften
Buches Sozialgesetzbuch - Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorgefonds
({1})
Drucksachen 18/1798, 18/2379
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2})
Drucksache 18/2909
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/2910
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia
Zimmermann, Sabine Zimmermann ({5}),
Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen -
Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiter-
entwickeln
Drucksachen 18/1953, 18/2909
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia
Zimmermann, Sabine Zimmermann ({7}),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Deckungslücken der Sozialen Pflegeversicherung schließen und die staatlich geförderten
Pflegezusatzversicherungen - sogenannter
Pflege-Bahr - abschaffen
Drucksachen 18/591, 18/2901
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
drei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag und ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über zwei Änderungsanträge und die beiden
Entschließungsanträge werden wir später namentlich abstimmen. Wir werden also vier namentliche Abstimmungen durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind und dass das damit beschlossen ist.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn
Bundesminister Hermann Gröhe.
({8})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Vor fast 20 Jahren, am 1. Januar 1995, trat die Pflegeversicherung in Kraft. Mit ihr gelang es, die Bewohnerinnen
und Bewohner von Pflegeeinrichtungen in erheblichem
Umfang unabhängig von der Unterstützung durch Sozialhilfe zu machen. Vor allen Dingen aber gelang es
erstmals, insbesondere denjenigen, die zu Hause pflegebedürftige Angehörige betreuen, Anspruch auf solidarische Unterstützung und auf Leistungen der Pflegeversicherung zu gewähren und sie in ihrem unermüdlichen
Einsatz zu unterstützen. Ich freue mich darüber, dass wir
mit dem vorliegenden ersten Pflegestärkungsgesetz
gleichsam zum 20. Geburtstag dieser wichtigen Reform
unseres Sozialstaats, die sich in besonderer Weise mit
dem Namen Norbert Blüm verbindet, eine wichtige und
umfassende Reform der Pflegeversicherung beschließen.
Ich weiß mich einig mit den Pflegebedürftigen, mit
ihren Angehörigen, aber auch mit den Pflegekräften,
wenn ich sage, dass es uns darum gehen muss, die Pflege
individueller zu machen, damit sie den konkreten Bedürfnissen der einzelnen Pflegebedürftigen besser gerecht wird und angemessen erfolgt. Das wünschen sich
diese. Das wünschen sich die Angehörigen. Das ist aber
nicht zuletzt auch der Anspruch der Pflegekräfte selbst an
ihre wichtige Arbeit. Dazu bedarf es eines veränderten
Rechtsrahmens. Dazu bedarf es aber auch in besonderer
Weise eines erheblichen Ausbaus der entsprechenden
Leistungen der Pflegeversicherung. Beides beschließen
wir heute mit Wirkung vom 1. Januar 2015.
Ich weiß, dass das Thema „individuellere Pflege“ für
viele mit der Diskussion um den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff verbunden ist. Ich will ausdrücklich sagen: Ja,
diesen werden wir in dieser Legislaturperiode umsetzen.
Sie wissen, dass wir die letzten Monate zu Erprobungsphasen genutzt haben, in denen parallel Begutachtungen
nach dem alten und dem neuen Begutachtungssystem
durchgeführt und 4 000 Pflegebedürftige entsprechend
eingestuft wurden, um daraus zu lernen. Derzeit wird
diese Erprobungsphase in Gutachten ausgewertet. Die
Ergebnisse werden uns dann im Jahr 2015 bei der Erarbeitung des nächsten Pflegestärkungsgesetzes leiten.
Aber es ging uns darum, nicht mit den notwendigen
Leistungsverbesserungen zu warten, bis das in den Pflegeeinrichtungen implementiert wird, sondern diese
schon zum 1. Januar 2015 vorzunehmen.
({0})
Diese Verbesserungen werden 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in diesem Lande, ihren Angehörigen, aber
auch dem unermüdlichen Tun der Pflegekräfte zugutekommen.
Weil manche der Debatten in den letzten Wochen,
auch im Hinblick auf die Pflegeversicherung, sich ein
bisschen sehr um die Frage gedreht haben: „Was tun die
Jungen für die Alten?“, sei ausdrücklich gesagt: Wiewohl eine große Zahl der Pflegebedürftigen hochbetagte
ältere Menschen sind, leben auch jüngere Menschen
- Menschen jedes Alters - mit dem Risiko, durch Krankheit oder Unfall pflegebedürftig zu werden. Für sie alle
ist es wichtig, dass wir ein leistungsstarkes Pflegesystem
in unserem Land haben.
Ausgangspunkt ist der Wunsch der Menschen - zwei
Drittel aller Pflegebedürftigen sagen dies -, nach Möglichkeit zu Hause, in den eigenen vier Wänden, gepflegt
zu werden und dort zu leben. 70 Prozent derer, die zu
Hause pflegen, tun dies ohne tagtägliche Unterstützung
durch professionelle Pflegedienste. Dies ist ein enormes
Engagement in unseren Familien, das Unterstützung und
vor allen Dingen auch Anerkennung verdient.
({1})
Diese Menschen, die sich in dieser Weise für ihre Angehörigen einsetzen, haben aber auch Anspruch darauf,
dass wir ihnen bei dieser Arbeit helfen. Deswegen regelt
dieses Pflegestärkungsgesetz den Ausbau der Verhinderungs-, der Kurzzeit-, der Tages- und der Nachtpflege.
Es geht darum, dass diese Menschen die Gelegenheit zu
einer Atempause haben, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Verhinderungspflege ist dann gleichsam so etwas wie eine Urlaubsvertretung. Wir bauen diese Leistungen aus, wir machen sie untereinander besser
kombinierbar, und - das ist mir ganz wichtig - wir eröffnen erstmals Angehörigen von Pflegebedürftigen der
Pflegestufe 0, also demenziell Erkrankten ohne eine Einstufung in die Pflegestufe 1, die Möglichkeit, diese
wichtigen Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Denn es kann gerade am Beginn einer demenziellen Erkrankung, am Beginn der Pflegephase zu Hause so
wichtig sein, dass beispielsweise Unterstützung in der
Nachtpflege zu einer erholsamen Nachtruhe verhilft,
dass es die Möglichkeit gibt, einmal Atem zu schöpfen.
Ich weise für die Familien ausdrücklich darauf hin,
dass wir am Mittwoch im Kabinett das Pflegeunterstützungsgeld beschlossen haben und heute mit dem Pflegestärkungsgesetz dafür die entsprechende finanzielle Absicherung in der Pflegeversicherung schaffen.
({2})
Wir bauen niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote aus. Wir haben damit gute Erfahrungen
bei der Begleitung demenziell erkrankter Menschen gemacht. Sie werden ausgebaut und für alle Pflegebedürftigen geöffnet. Ich weiß, das hat im parlamentarischen
Verfahren zu Diskussionen geführt. Klar ist: Solche Angebote dürfen und können nicht die Grundpflege ersetzen - das sollen sie nicht -, und solche Angebote müssen
von den Ländern zugelassen werden. Somit können sie
in guter Weise das Tun in der Pflege und das Tun der
Angehörigen ergänzen. Wir vertrauen den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, die in diesem Zusammenhang übrigens gezielt beraten werden, dass sie selbst am
besten wissen, wie das Paket der Unterstützung angesichts der jeweiligen Familiensituation aussehen sollte ein wichtiger Schritt zu individuellerer Betreuung und
Pflege.
({3})
Wir stärken den Umbau der eigenen vier Wände mit
entsprechenden Zuschüssen. Schließlich tragen wir auch
den veränderten Formen des Zusammenlebens Rechnung: mit vermehrten Zuschüssen und verstärkter Unterstützung für Wohngruppen, für das Miteinander-Wohnen
von älteren, auch pflegebedürftigen Menschen. - Das
waren die Leistungsverbesserungen im ambulanten Bereich.
In der stationären Arbeit geht es um eine Dynamisierung - diese erfolgt auch in der ambulanten Pflege - sowie um eine Stärkung des Aspekts der Betreuung. Wir
werden die Zahl der Betreuungskräfte, die heute schon
in vielen Altenpflegeeinrichtungen segensreich wirken,
von 25 000 auf bis zu 45 000 erhöhen. Das trägt im ÜbBundesminister Hermann Gröhe
rigen dazu bei, den Alltag, das Leben in den Altenpflegeeinrichtungen besser, menschengerechter, individueller zu gestalten.
({4})
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Fachkräfte betonen - mein Dank geht hier an Karl-Josef Laumann -,
dass wir das Thema Bürokratieabbau in der Pflege,
nachdem eine entsprechende Studie zum Abbau unnötiger Belastungen in der Dokumentation veröffentlicht
wurde, in der Fläche angehen werden. Karl-Josef
Laumann wird dafür die Verantwortung übernehmen.
Wir wissen von den Pflegekräften, dass sie für die Pflegebedürftigen da sein wollen und nicht für das Ausfüllen
von Papieren. Deswegen muss die Dokumentation auf
das für die Qualitätssicherung notwendige Maß beschränkt und unnötige Bürokratie abgebaut werden.
({5})
Lassen Sie mich auch erwähnen, dass sich die Vertragspartner 2012 im Rahmen der Ausbildungs- und
Qualifizierungsoffensive Altenpflege verpflichtet haben,
die auf Landesebene getroffene Rahmenvereinbarung
über Personalschlüssel zu überarbeiten mit dem Ziel,
den Notwendigkeiten angemessener, individueller Altenpflege gerecht zu werden. Das ist seitdem in vier
Bundesländern geschehen, in einem weiteren ist es derzeit im Gang. Ich hoffe, dass möglichst viele schnell
diesem Beispiel folgen. Wir brauchen angemessene Personalschlüssel, und dafür ist eine entsprechende Verabredung der Vertragspartner Voraussetzung, meine Damen, meine Herren.
({6})
Diese umfassenden Leistungsverbesserungen gibt es
nicht zum Nulltarif. Deswegen enthält das Pflegestärkungsgesetz ein klares Bekenntnis zu einer notwendigen
paritätisch zu finanzierenden Beitragssteigerung um
0,3 Prozentpunkte. 2,4 Milliarden Euro davon gehen in
die Leistungsverbesserung, 1,4 Milliarden Euro in die
ambulante Pflege, 1 Milliarde Euro in die stationäre
Pflege.
Mit 1,2 Milliarden Euro bauen wir einen Pflegevorsorgefonds auf, der dann, wenn die geburtenstarken
Jahrgänge ins Pflegealter kommen, dazu beitragen wird,
den Beitragsanstieg abzumildern. Ich bin zuversichtlich,
dass die Debatten darüber, wie sicher das Geld dort angelegt ist, dazu beitragen, dass dieser Vorsorgefonds für
alle Zeiten so tabu ist für Zweckentfremdung wie das
Gold der Bundesbank. Jeder, auch derjenige, der sich
kritisch dazu äußert, leistet einen Beitrag dazu, dass dieses Geld sicher ist; ob Sie das nun wollen oder nicht.
({7})
Meine Damen und Herren, wir werden in einem weiteren Schritt, im Zuge der Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die Beiträge erneut um 0,2 Prozentpunkte anheben. Damit wird im Rahmen der Arbeit
dieser Koalition das Leistungsvolumen der Pflegeversicherung künftig um 5 Milliarden Euro pro Jahr erhöht,
also eine Leistungsausweitung von über 20 Prozent. Ich
bin davon überzeugt: Unsere starke Gesellschaft kann
dies stemmen. Ich bin davon überzeugt: Wir schulden
dies den pflegebedürftigen Menschen in unserem Land.
Ich danke für die guten Beratungen in den zurückliegenden Wochen und bitte Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetz.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Katja Kipping.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
soeben den zuständigen Minister gehört, der die angeblichen Verbesserungen des vorliegenden Pflegestärkungsgesetzes gelobt hat. Ich möchte die knappe Redezeit
meiner Fraktion nutzen, um über die entscheidenden
Leerstellen und die grundlegenden Fehler des vorliegenden Gesetzentwurfs zu sprechen.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
sieht vor, dass von dem Geld der Beitragszahlenden ein
kapitalgedeckter Vorsorgefonds angelegt werden soll.
Kapitalgedeckter Vorsorgefonds - dieser etwas sperrige
Begriff meint letztlich Folgendes: Geld der Beitragszahlenden soll abgezweigt werden, um es auf die Finanzmärkte zu werfen. Wir als Linke kritisieren die schwarzroten Pläne für einen Kapitalstock, und zwar aus drei
Gründen.
Erstens. Die Beitragszahlenden müssen jetzt dreifach
zahlen: für den Aufbau des Fonds, für die bestehende
Pflegeversicherung und, da hier das Teilkaskoprinzip
gilt, auch noch für die hohen Eigenleistungen.
Zweitens. Damit werden Gelder der Beitragszahlenden ins globale Finanzkasino gespeist. Wir aber meinen:
Mit dem Geld der Beitragszahlenden darf nicht spekuliert werden. Das ist finanzpolitisches Harakiri. Das
müssten Sie doch aus der Finanzmarktkrise gelernt haben.
({0})
Drittens. Jeder Euro, der in den Kapitalstock fließen
soll, fehlt heute für eine menschenwürdige Pflege.
Menschenwürdiges Leben bedeutet mehr, als satt und
sauber im Bett zu liegen. Menschenwürdige Pflege
heißt, dass auch Pflegebedürftige weiterhin soziale Kontakte pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben
können.
({1})
Menschenwürdige Pflege heißt für uns auch, dass die
Betroffenen selber bestimmen können, wie sie ihren Alltag regeln. Das gilt sowohl für Menschen mit demenziellen Erkrankungen wie für Menschen mit Assistenzbe5650
darf. Deshalb setzen wir uns voller Energie für einen
neuen Pflegebegriff ein.
({2})
Herr Gröhe, Sie haben es angesprochen: In dem vorliegenden Gesetzentwurf fehlt jegliche Aussage zum
neuen Pflegebegriff. Ich finde, dieses Schweigen von
Schwarz-Rot zum neuen Pflegebegriff zeigt das pflegepolitische Versagen dieser Bundesregierung.
({3})
Meine Damen und Herren, ich habe verschiedene
Pflegeeinrichtungen besucht. Ich habe, wie sicherlich
auch einige von Ihnen, im Rahmen der Aktion „Perspektivwechsel“ auch einmal Pflegeeinrichtungen von innen
erlebt,
({4})
bin also in den Arbeitsalltag eingetaucht, wenn auch nur
für einen kurzen Zeitraum. Ich muss sagen: Ich habe
höchsten Respekt vor den Menschen, die dort einer
schwierigen und wichtigen Arbeit nachgehen, und das
zu viel zu niedrigen Gehältern und unter wirklich
schwierigen Arbeitsbedingungen.
({5})
Arbeit in der Pflege bedeutet nur zu oft Arbeit im Akkord sowie Personalbemessung am Limit. Sobald es einen Krankheitsfall gibt, wird der Schichtplan zur Makulatur. Insofern ist es kein Wunder, dass Burn-out und
stressbedingte Krankheiten inzwischen zum Alltag in
Pflegeberufen gehören. Wenn Pflegekräfte ständig am
Limit arbeiten und im Minutentakt rackern müssen, dann
kommt der Mensch unter die Räder, und zwar auf beiden
Seiten. Wir aber meinen: Pflege ist keine Fließbandarbeit. Deshalb braucht es deutlich mehr Personal im
Pflege- und Assistenzbereich.
({6})
Menschenwürdige Pflege heißt auch, dass Menschen
selbst entscheiden können, wie lange sie in ihrer gewohnten Umgebung leben wollen. Wir haben aber leider
eine Situation, in der immer noch der Geldbeutel entscheidet; denn nur wer sich überhaupt eine Pflegeeinrichtung leisten kann, hat wirklich Wahlmöglichkeiten.
Noch ein weiterer Aspekt muss angesprochen werden, wenn wir über die Entscheidung für das Zuhausebleiben reden: Ich meine, in einer Gesellschaft, in der
Barrierefreiheit weitgehend verwirklicht ist, fällt die
Entscheidung für die Pflege zu Hause leichter. Tragen
wir also mit dazu bei, dass bei jedem Neubau und bei jeder Wohnungssanierung die Barrierefreiheit gleich mitgeplant wird; denn Barrierefreiheit bedeutet mehr Freiheit für alle.
({7})
Mir ist bewusst, dass es in diesem Gesetzentwurf
nicht um die Frage Ein- oder Zweibettzimmer geht. Aber
wir müssen uns - das hat Herr Gröhe ja auch angedeutet hier über eine grundsätzlich notwendige Ausstattung
verständigen. Insofern möchte ich auf diesen Aspekt zu
sprechen kommen. Ich weiß, es gibt Fälle, in denen die
Zweibettlösung eine akzeptable oder sogar angenehme
Lösung ist. Ich weiß aber auch, dass es für viele eine
Horrorvorstellung ist - das weiß ich auch von meiner
Großmutter -, für unbestimmte Zeit mit einer unbekannten Person Tag für Tag, Nacht für Nacht das Zimmer teilen zu müssen, womöglich mit einer Person, die nachts
vor Schmerzen schreit oder von Albträumen geplagt aufschreckt. Deswegen glaube ich, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass wirklich jeder, der ein Einbettzimmer
will, die Möglichkeit bekommt, auch in einer Pflegeeinrichtung einen letzten privaten Rückzugsraum zu haben.
Lassen Sie uns also mit dafür Sorge tragen, dass genügend Geld ins System kommt, um allen im Pflegefall
auch eine gute Unterbringung zu ermöglichen.
({8})
Wir wissen, die häusliche Pflegearbeit wird vor allem
von Töchtern, Ehefrauen, Schwiegertöchtern - kurzum:
von Frauen - verrichtet, von Frauen, die dafür viel in
Kauf nehmen: Gehaltseinbußen, Verluste bei den Rentenanwartschaften, Verzicht auf Freizeit. Sie haben mehr
verdient als tätschelnde Lobesworte in Sonntagsreden.
Um pflegende Angehörige wirklich zu entlasten und um
gute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen in den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, brauchen wir eine gute
Finanzierung der Pflege.
({9})
Auch deswegen setzt sich die Linke für eine solidarische
Bürgerversicherung ein, für eine Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen und von der alle
gleichermaßen profitieren, die Pflegerin ebenso wie die
Millionärin.
({10})
Meine Damen und Herren, Pflege gehört nicht an den
Rand der Gesellschaft, sondern in die Mitte der Gesellschaft. Pflege gehört in die gemeinsame Verantwortung
für die öffentliche Daseinsvorsorge.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis,
SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist wirklich schön, dass wir heute hier über die erste
Stufe einer umfassenden Pflegereform debattieren und
sie verabschieden können. Uns als SPD ist es ein fundamental wichtiges Anliegen, Menschen, die pflegebedürftig geworden sind, zu unterstützen und damit auch imHilde Mattheis
mer den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit zu
transportieren. Denn Menschen haben am Lebensende
ein Anrecht darauf, dass wir alle in unserer Gesellschaft
solidarisch für sie einstehen. Das ist unser Anliegen.
({0})
Alle, die heute nicht für die Leistungsverbesserungen
stimmen, müssen in ihre Wahlkreise gehen und sagen:
Ich habe nicht dafür gestimmt,
({1})
dass Menschen, egal ob sie in einer stationären Einrichtung wohnen oder ambulant gepflegt werden, diese Leistungsverbesserungen für sich in Anspruch nehmen können. Das müssen sie dann verantworten.
({2})
Wir wollen in dieser Legislaturperiode mit dem Pflegestärkungsgesetz I den ersten wichtigen Baustein setzen. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wollen wir - das
haben wir uns vorgenommen - unser zentrales Anliegen,
die Definition eines Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der
sich am Teilhabebegriff orientiert, durchsetzen. Denn
wir wollen nicht mehr die Mangelerhebung, sondern den
Teilhabeaspekt in unserer Pflegepolitik herausheben.
Das ist zentral wichtig und ein zweiter wichtiger Baustein.
({3})
Aber wir haben noch weitere Bausteine. Denn wir
wissen: Pflegereform bedeutet einen ganzen Fächer an
Maßnahmen. Pflegereform ist nicht einfach nur ein Konzept für die Reform eines Punktes.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wir wollen in der
Bund-Länder-Kommission miteinander klären, was eine
gute Pflegepolitik für die Kommunen bedeutet. Was bedeutet das? Welche Rahmenbedingungen müssen wir als
Bund setzen? Was müssen die Länder dazu beitragen,
dass die Infrastruktur vor Ort passgenau ist? Das können
wir hier in Berlin nicht machen. Also brauchen wir eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, um die Rolle der Kommunen zu definieren. Dabei müssen wir die Kommunen unterstützen.
({4})
Diese Woche konnten wir ja Gott sei Dank aus dem
Familienministerium schon sehr genau vernehmen, dass
es auch um die Entlastung von Angehörigen geht. Das
Pflegezeitgesetz spielt hier eine wichtige Rolle.
({5})
Denn alle, die mit Pflege konfrontiert sind, brauchen vor
allen Dingen eines: Zeit, um sich zu kümmern. Es ist
nicht einmal schnell mit einem Telefonat erledigt, pflegebedürftige Menschen zu unterstützen. Das ist nicht
schnell erledigt, wenn die Kinder weit weg wohnen. Sie
brauchen Zeit, um sich zu kümmern. Nicht die schnellste
Lösung ist als die beste Lösung anzusehen, sondern man
muss dafür sorgen, dass dem Wunsch des Vaters oder der
Mutter Rechnung getragen wird und, wenn sie in der eigenen Häuslichkeit bleiben wollen, flankiert von Maßnahmen, um dies organisieren zu können. Dazu braucht
man Zeit. Deshalb vielen Dank an das Ministerium.
({6})
Uns geht es natürlich auch darum, den Beruf der Pflegefachkraft in der Altenpflege zu unterstützen. Das brauche ich hier gar nicht zu wiederholen; denn wir haben
hier mehrfach darüber diskutiert, an was es dort krankt.
Wir brauchen nicht nur mehr Leute, die sich für diesen
Beruf engagieren, sondern sie müssen auch im Beruf
verbleiben können, sprich: Sie brauchen eine gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen, damit sie länger
als sieben Jahre Spaß an der Arbeit haben, ihr Engagement nicht verlieren und dieser psychischen Belastung
standhalten können.
({7})
Deshalb wollen wir eine generalistischere Ausbildung
und Umstiegsmöglichkeiten von der Altenpflege in die
Krankenpflege und auch in die Kinderkrankenpflege
schaffen. Denn es ist wichtig, Menschen, die ein hohes
Engagement für diesen Beruf mitgebracht haben, zu unterstützen und ihnen die Belastungen nicht so schwer auf
die Schultern zu packen, dass sie sie eines Tages nicht
mehr tragen können.
({8})
Eines unserer zentralen Anliegen war deshalb - alles
hängt ja mit allem zusammen -, jetzt im Pflegestärkungsgesetz I für eine tarifliche Entlohnung der Pflegefachkräfte zu sorgen - ich bin allen dankbar, die diese
Forderung der SPD mitgetragen haben - und sicherzustellen, dass Einrichtungen und Träger nicht als unwirtschaftlich gelten, wenn sie nach Tariflohn zahlen.
({9})
- Das ist richtig gut; für dieses zentrale Anliegen von
uns könnte hier vor allen Dingen von den Linken auch
einmal ein bisschen Applaus kommen. - Ich glaube, es
ist wichtig, dass die Kostenträger ein Anrecht haben, einen Nachweis zu bekommen, dass in den stationären
Einrichtungen, dass von den Diensten diese Vereinbarung gegenüber den Beschäftigten eingehalten wird.
({10})
Es muss nämlich nachweisbar sein, dass die Beschäftigten auch nach Tarif bezahlt werden. All das ist in diesem
Pflegestärkungsgesetz I.
Ich will gerne noch einmal auf die Leistungsansprüche zu sprechen kommen, die wir jetzt hier verankert haben.
Es geht um mehr Flexibilität, es geht um Passgenauigkeit; denn nicht jeder, nicht jede hat den gleichen Bedarf.
Es geht darum, die Leistungen auszuweiten, sie zu
dynamisieren. Der Leistungsanspruch ist seit Bestehen
der Pflegeversicherung nicht dynamisiert worden, es
kam jedoch zu exorbitanten Kostensteigerungen. Das
fangen wir mit plus 4 Prozent für alle Leistungen ein
Stück weit auf.
Wir wollen die Kurzzeit- und Verhinderungspflege
flexibilisieren. Es muss möglich sein, den einen Bereich
für den anderen zu nutzen; das ist wichtig.
Und wir wollen vor allen Dingen auch Betreuungsund Entlastungsleistungen stärken; denn Menschen, die
an Demenz erkrankt sind, haben nicht unbedingt für den
gesamten Sachleistungsanspruch einen rein pflegerischen Bedarf. Es geht vielmehr auch um Unterstützung
bei der Strukturierung des Tages, es geht um die kleinen
Begleitgänge - zum Friedhof, zum Arzt, zum Friseur -,
es geht darum, kleine Dinge zu ermöglichen, dass also
der Angehörige/die Angehörige nicht die ganze Zeit
festgehalten ist, sondern auch einmal weggehen kann,
ohne Angst haben zu müssen, was in der Häuslichkeit
passiert, wenn die Tür von außen zugeschlossen wird.
({11})
All das ist der erste Baustein, und, ja, das ist ein Stück
weit ein Vorgriff auf die Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Es ist an uns, zu kommunizieren, dass
wir jetzt schon Leistungsverbesserungen anbieten, die
dann natürlich auch dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff entsprechen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind
uns doch in einem einig - bei diesem Thema bestand in
diesem Haus immer große Einigkeit -: dass es um fundamentale Ansprüche von Menschen in Lebenssituationen
geht, die wir alle für uns selber nicht unbedingt als Zukunftsvision haben wollen, und dass wir diese Menschen, ihre Angehörigen und die Menschen, die sie professionell unterstützen, im Blick haben. Vor dem
Hintergrund dieses Dreiklangs haben wir unsere Arbeit
im Bereich der Pflegepolitik immer verstanden: Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Unterstützung für
pflegende Angehörige und natürlich auch Respekt und
gute Berufsaussichten für Pflegefachleute. In diesem
Dreiklang sehe ich einen wichtigen Baustein für die umfassende Pflegereform, die wir heute verabschieden.
Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns bei aller politischen Auseinandersetzung den Blick nicht selber verstellten und das, was wir in anderen Konstellationen längst miteinander vereinbart hatten, gemäß diesem
Dreiklang auch hier heute verabschieden könnten.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({13})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Elisabeth Scharfenberg.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Minister, nachdem Sie und auch Hilde Mattheis sich nun
schon kräftig auf die Schultern geklopft haben, werden
Sie, denke ich, sicherlich stark genug sein, auch ein paar
andere Töne über das Pflegestärkungsgesetz zu hören.
({0})
Schließlich sind wir als Opposition nicht dafür da, die
Claqueure der Regierungsfraktionen zu sein.
({1})
Sie sagen ja selbst, dass noch viel zu tun ist, und Sie
vertrösten die Menschen schon heute auf die zweite
Stufe der Pflegereform, die dann irgendwann kommen
soll.
({2})
Diese liegt wie eine ferne Oase weit weg im Nebel. Entsprechend sind auch die Reaktionen der Fachwelt und in
der Bevölkerung auf dieses Gesetz. Die Menschen reagieren eher nüchtern oder, sagen wir besser, argwöhnisch, vielleicht sogar schon resignierend. Das geht nach
dem Motto: Inzwischen weiß man ja, dass man auf die
Versprechungen der Pflegepolitik nicht allzu viel geben
kann.
Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Ja, es
wird endlich mehr Geld für die Pflege in die Hand genommen. Ehrlich gesagt: Das war überfällig.
({3})
Doch überwiegt der Eindruck: Die Pflegeversicherung
wird teurer, aber wirklich besser wird sie kaum.
({4})
Ich weiß, gerade Jens Spahn und auch Hilde Mattheis
finden dieses Urteil ungerecht. Aber damit kann ich, ehrlich gesagt, ganz gut leben. Für mich und meine Fraktion
ist klar: Diese Reform verkörpert keine Idee. Diese Reform ist teuer. Diese Reform ist luftleer. Diese Reform
ist ohne Visionen.
({5})
Sie geben den Pflegebedürftigen, den Angehörigen und
den professionell Pflegenden vor allem mehr vom Gleichen. Das ist mit Sicherheit kein Paradigmenwechsel.
({6})
Im Übrigen sprechen wir, Hilde Mattheis, von Menschen
jeden Alters. Pflege ist keine Frage des Alters. Pflegebedürftig kann man auch schon in sehr jungen Jahren werden.
Sie schicken die Menschen in eine Warteschleife. Mir
kommt diese wie eine Endlosschleife vor; denn auf das
Herzstück der Reform warten wir immer noch. Das Reformprojekt, das seit Jahren alle einmütig fordern, haben
Sie wieder verschoben. Sie wissen ganz genau, was ich
meine: die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes.
({7})
Um ehrlich zu sein: Man kann diesen Begriff kaum noch
hören, so viel haben wir in den letzten Jahren darüber
diskutiert.
({8})
Im neuen Pflegebegriff manifestiert sich nicht nur die
Erwartung, dass Demenzkranke in der Pflegeversicherung endlich gleichberechtigt sind. Nein, es geht um die
Hoffnung, dass wir zu einem anderen Verständnis von
Pflege kommen, einem Verständnis, mit dem die Bedürfnisse des Einzelnen in den Mittelpunkt gestellt werden:
dass die Pflegeleistungen so gestrickt sind, dass jede und
jeder wirklich das Gefühl haben kann, dass diese Leistungen ihm helfen, dass man wirklich wählen kann, dass
man Zeit für den Pflegebedürftigen hat und dass er am
gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.
({9})
Es mag sein, dass diese Erwartungen mittlerweile
überhöht sind. Ja, es braucht sicherlich noch viel mehr
Anstrengungen, um strukturell und finanziell zu einer
wirklichen Reform der Pflege zu kommen. Nur: Wenn
man eine ganz große Reform verspricht und dann nur
eine vorgaukelt, so wie Sie das mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz tun, dann verlieren die Menschen irgendwann vollständig das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Pflegepolitik. Das wird dann passieren, wenn
die Pflegebedürftigen und ihre Familien in ihrem Alltag
bemerken, dass diese Pflegereform ein Scheinriese ist.
({10})
Diese Reform wird den professionell Pflegenden weiterhin nur die für sie unerträgliche Minutenpflege zumuten.
Hier wird Vertrauen verspielt, Vertrauen, das Sie mit
viel Geld zu kaufen versuchen. Genau das tun Sie: Sie
stecken viel Geld - übrigens das Geld der Versicherten in diese Reform und simulieren damit Aktion. Aber noch
einmal: Mehr Geld für mehr vom Gleichen ist noch
lange keine Reform. Worauf wir vergeblich warten, ist
eine nachhaltige und gerechte Finanzierung der Pflegeversicherung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, zumindest
Sie wissen doch, dass kein Weg an der Bürgerversicherung vorbeiführt. Aber passiert ist nichts. Stattdessen
wenden Sie viel Geld und viel Energie für Dinge auf, die
außer Herrn Spahn keiner gut findet und die vor allem
keiner braucht. Ich rede vom Pflegevorsorgefonds.
({11})
Lieber Jens Spahn, da haben Sie sich ein schönes
Denkmal gebaut, und die SPD ist sich nicht zu schade,
dieses Denkmal auch noch zu enthüllen. Man könnte ja
meinen, dass so ein Unsinn nur ein Ausrutscher ist, aber
weit gefehlt. Das scheint bei der Union Methode zu haben.
({12})
Vor etwa zwei Jahren - damals regierten noch CDU/
CSU und die heutige Nichtregierungsorganisation FDP ({13})
mussten wir an dieser Stelle eine der größten sozialpolitischen Unsinnigkeiten der letzten Jahrzehnte diskutieren, den sogenannten Pflege-Bahr. Wir alle wissen
sehr gut: Es ist ein äußerst ungerechtes, äußerst überflüssiges und äußerst erfolgloses Produkt. Gerade einmal
500 000 Menschen haben in diesem Land solche Verträge abgeschlossen. Da können Sie diese Menge von
500 000 Verträgen noch so schönreden, in Wirklichkeit
ist das ein Witz, und das wissen Sie.
({14})
Dennoch halten Sie daran fest, übrigens auch die
SPD, die damals sehr heftig dagegen gewettert hat.
Dieser unsinnige Pflege-Bahr bekommt jetzt einen
ebenso unsinnigen Weggefährten, den Pflegevorsorgefonds.
({15})
Auch zu diesem Vorsorgefonds sagen wir und alle Experten, dass er überflüssig ist und dass er erfolglos sein
wird. Das wissen Sie wie damals beim Pflege-Bahr
selbst ganz genau, und Sie setzen es trotzdem um.
({16})
Sie versenken in diesem Fonds über 1 Milliarde Euro
pro Jahr. Dieses Geld wird uns für die Umsetzung des
neuen Pflegebegriffs fehlen. Das behaupten wir nicht
einfach so, das zeigen ganz klare Schätzungen von seriösen Ökonomen, und das wissen auch Sie ganz genau,
aber Sie reagieren nicht, sondern halten stur an diesem
Unsinn fest.
({17})
Herr Spahn, wenn das die Vorboten der Agenda 2020
sind, die Sie von der Bundeskanzlerin fordern, dann
schwant mir, ehrlich gesagt, Böses. Das wird eine sehr
nutzlose, aber dafür sehr teure Agenda werden.
({18})
Wer den neuen Pflegebegriff will, der kann sich diesen Fonds einfach nicht leisten. Diese Koalition hält aber
daran fest. Das zeigt mir, wie ernst Sie es mit Ihren wirk5654
lichen Pflegereformen meinen. Das ist keine Große Koalition, das ist der kleinste gemeinsame Nenner, das ist
viel heiße Luft, und das ist viel und reine Symbolpolitik.
Nichtsdestotrotz weigere ich mich als Optimistin
- selbst in Zeiten Ihrer gemeinsamen Koalition -, die
Hoffnung aufzugeben.
({19})
Sie haben für 2016/2017 die zweite Stufe der Pflegereform versprochen. Wir glauben das aber erst, wenn wir
es sehen. Zu oft haben unionsgeführte Regierungen in
den letzten Jahren die Erwartungen der Menschen in der
Pflege enttäuscht.
({20})
Vorschusslorbeeren bekommen Sie wahrlich nicht. Da
sind Sie im Zugzwang, und da werden Sie hoffentlich
liefern. Aber wie gesagt: Wir glauben das erst, wenn wir
das sehen.
Die zentrale pflegepolitische Aufgabe der nächsten
Jahre wird sein, die Kommunen starkzumachen. In den
Kommunen findet die Pflege statt, dort leben die Menschen, von denen wir hier reden. Obwohl immer mehr
Demente und Pflegebedürftige unter uns leben, leben sie
doch nicht in unserer Mitte, nein, sie leben am Rand.
Diesen Menschen müssen wir ein Signal geben, dass sie
zu uns gehören, dass sie an dieser Gesellschaft teilhaben
können. Dieses Signal geht von Ihrer Reform nicht aus!
({21})
Im Gegenteil: Sie speisen diese Menschen mit großen
Versprechen ab.
Aber auch hier bin ich Optimistin. Wir setzen große
Hoffnung in die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rolle
der Kommunen, die Sie im September einberufen haben.
Aber Sie können schon jetzt Ihr Reförmchen enorm aufwerten: Es steht gleich ein Änderungsantrag der grünen
Bundestagsfraktion zur Abstimmung. Inhalt ist die Streichung des Pflegevorsorgefonds aus Ihrem Gesetzentwurf. Stimmen Sie diesem Antrag zu, verwenden Sie das
Geld wirklich für die Versicherten, zum Beispiel für die
Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Zeigen Sie, dass es Ihnen ernst ist!
Vielen Dank.
({22})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein spricht jetzt für die
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Mit
dem Pflegestärkungsgesetz legt diese Koalition eine
Fülle von Verbesserungen und Entlastungen vor, und
zwar für Pflegebedürftige, um die es nämlich geht, für
die pflegenden Angehörigen - sie tragen eine wesentliche Last - und für die professionellen Pflegekräfte, die
wir in Zukunft, so wie es die Kollegin Mattheis beschrieben hat, vermehrt brauchen. Zusätzlich werden wir - das
hat die Kollegin Scharfenberg gerade massiv kritisiert einen Pflegevorsorgefonds in Höhe von 1,2 Milliarden Euro jährlich einführen und damit ein Element der
Generationengerechtigkeit und Zukunftssicherung schaffen.
Frau Kollegin Scharfenberg, von einer Partei, die
sonst immer über Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit spricht,
({0})
hätte ich eigentlich erwartet, dass sie genau diese Maßnahme positiv würdigt.
({1})
Stattdessen war von Ihnen, in schöne Worte gekleidet,
eine Fülle von Allgemeinheiten zu hören.
({2})
Das Einzige, was in dem Zusammenhang durchaus charmant und ehrlich war, war Ihr einleitender Satz, es sei
Aufgabe der Opposition, Wasser in den Wein zu gießen.
Das ist aber nicht überzeugend gelungen, muss ich sagen.
({3})
Man kann zwar kritisieren, dass wir für diese Maßnahmen Geld brauchen und dafür den Beitragssatz erhöhen. Aber wenn man den Gesetzentwurf genau liest,
dann stellt man fest: Wir finanzieren eine ganze Menge
von wirklich wichtigen Verbesserungen,
({4})
und wir tragen dafür Sorge, dass das Geld auch wirklich
bei den Pflegenden ankommt - auch das muss man erst
hinbekommen - und sie tatsächlich etwas davon haben.
({5})
Deshalb werden Sie erleben, dass unser Vorhaben entgegen Ihrer Kritik relativ schnell in der Gesellschaft wie
auch in der Wirtschaft akzeptiert wird.
Weil es infrage gestellt wurde, möchte ich betonen:
Es handelt sich um einen ersten Schritt. Wir gehen demnächst einen wohlüberlegten zweiten Schritt, indem wir
den Pflegebegriff neu definieren. Auch dafür werden wir
entsprechend Geld in die Hand nehmen,
({6})
sodass auch die Kritik, die von der Linken gekommen
ist, nämlich am Ende würde uns das Geld dafür fehlen,
von der Hand zu weisen ist.
Wir führen parallel dazu mit einem anderen Gesetz einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit ein. Beschäftigte, die Pflegezeit oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, werden zugleich einen Anspruch auf
finanzielle Förderung zur besseren Bewältigung des Lebensunterhalts während der Freistellung erhalten.
({7})
Die bis zu zehntägige Auszeit für Angehörige, die
kurzfristig Zeit für die Organisation einer neuen Pflegesituation benötigen, wird künftig mit einer Lohnersatzleistung gekoppelt. Das ist eine enorme Verbesserung für
die pflegenden Angehörigen, meine Damen und Herren.
Es ist aber auch eine Belastung für die Wirtschaft, die
wir in Kauf nehmen, weil wir wissen, dass es darauf ankommt, dass Beschäftigte die Chance bekommen, für
pflegebedürftige Angehörige da zu sein. Auch dazu hätte
ich mir von Ihnen anerkennende Worte zu den Freiräumen und finanziellen Voraussetzungen gewünscht, die
wir für diesen großartigen Einsatz schaffen. Es wäre
wirklich angebracht gewesen, dazu etwas Positives zu
sagen, meine Damen und Herren.
Mit dem Pflegestärkungsgesetz werden wir alle Leistungsbeträge anheben und damit dynamisieren. Das ist
überfällig. Wir setzen einen besonderen Schwerpunkt,
indem wir die Rahmenbedingungen für die häusliche
Pflege weiter verbessern. Bei aller Wertschätzung - ich
sage das ganz deutlich, um Missverständnisse zu vermeiden - für die Leistung der Pflegeheime und der dort
arbeitenden Pflegekräfte, wie sie die Kollegin Mattheis
richtig beschrieben hat, wissen wir, dass es ein Anliegen
der Pflegebedürftigen ist, solange es irgendwie geht, in
ihrem eigenen Heim zu bleiben. Weil das so ist und das
Zuhause immer höher geschätzt wird als ein Heim, haben wir in dem Gesetzentwurf einen entsprechenden
Schwerpunkt gesetzt. Schon deshalb bitte ich Sie alle,
diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({8})
Wir eröffnen den Pflegebedürftigen und den sie pflegenden Angehörigen eine bedarfsgerechtere und flexiblere Inanspruchnahme mit mehr Wahlmöglichkeiten.
Die Leistungsverbesserungen kommen somit direkt bei
den Pflegebedürftigen an. So können zukünftig alle zuhause lebenden Pflegeleistungsempfänger 40 Prozent
des Sachleistungsbetrages für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote verwenden. Dies sind
zum Beispiel kleinere Erledigungen im Haushalt, Botengänge oder die Begleitung zu Arztterminen, also lauter
Tätigkeiten, die wichtig sind und die gesunden Menschen ganz selbstverständlich erscheinen. Aber in einer
Pflegesituation wird deutlich, was für eine große Bedeutung sie haben.
„Niedrigschwellig“ klingt erst einmal ein wenig wie
„nachrangig“. Aber die Regelung stärkt die Flexibilität
und erweitert die finanziellen Spielräume der Pflegebedürftigen zu Recht, wie ich meine. Für einen gebrechlichen Senior mit Demenzerkrankung ist die Hilfe im
Alltag eine fundamentale Voraussetzung, um zu Hause
wohnen zu können. Darum geht es uns.
({9})
Der einzelne Pflegebedürftige kann sich erstmals aussuchen, welche Leistungen er braucht. Er kann sich ein
Paket schnüren. Gerade für Pflegebedürftige, die Unterstützung im Haushalt und im Pflegealltag benötigen, für
die aber die klassischen Sachleistungen nicht passgenau
sind, bieten sich dadurch Gestaltungsoptionen, um ihre
Bedarfe zu decken. Das ist ein entscheidender, ein wirklich wichtiger Fortschritt. Dies trägt wesentlich zur
Selbstbestimmung und zur Verbesserung der Lebensqualität vieler Betroffener bei.
Im Übrigen haben Studien ergeben - das sage ich an
die Adresse der Linken -, dass niedrigschwellige Angebote insbesondere bei Personen aus einfachen Milieus,
wenn es um den Zugang zu pflegerischen Hilfen geht,
sehr bedeutsam sind. Hier werden persönliche Beziehungen als eine wichtige Strategie zur Bewältigung von
Pflegebedürftigkeit empfunden, die im Rahmen dieser
niederschwelligen Angebote in viel größerem Maße gewährleistet sind. Ich bitte, das nachzuvollziehen.
Wir stärken damit auch das Potenzial familiärer und
ehrenamtlicher Versorgungsstrukturen und leisten einen
Beitrag zur Weiterentwicklung einer generationengerechten Infrastruktur. Dies ist auch aufgrund des spürbaren Fachkräftemangels eine wichtige Maßnahme. Wer in
der eigenen Wohnung gepflegt werden möchte, aber dafür Umbaumaßnahmen durchführen muss, um zum Beispiel die Dusche begehbar zu machen oder Türen zu verbreitern, kann Zuschüsse in Höhe von bis zu 4 000 Euro
bekommen. Auch das ist eine wichtige Maßnahme. Man
sollte nicht vergessen, wie viel dadurch letztendlich eingespart wird.
Viele lamentieren über die Kosten. Aber wir sprechen
viel zu wenig darüber, was auf der anderen Seite der Bilanz steht. Das ist gut investiertes Geld. Durch einen altersgerechten Umbau kann der Umzug von Pflegebedürftigen in ein Heim vermieden oder hinausgeschoben
werden. Wenn Sie sich eine Studie der Prognos AG zu
Gemüte führen, dann lesen Sie, dass das unser Sozialsystem um bis zu 3 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Wir
tätigen also sehr wohl überlegte, gute Investitionen.
Eine weitere Voraussetzung ist, dass in den Ländern
und Kommunen das soziale Lebensumfeld und die bestehenden Wohnangebote zum Beispiel durch Quartierskonzepte alters- und bedarfsgerechter ausgebaut werden.
Auch wohnortnahe Beratungs- und Dienstleistungsstrukturen zum Beispiel durch den Ausbau der ehrenamtlichen Unterstützung müssen wir verstärkt anbieten. Dazu
haben wir die bereits angesprochene Bund-Länder-Ar5656
beitsgruppe eingerichtet. Wir setzen große Hoffnungen
darauf.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem kritisierten, viel
gescholtenen Generationenfonds sagen. Ich möchte ganz
klar herausstellen, dass wir das sehr bewusst machen
und nicht auf besonderen Wunsch eines Einzelnen. Vielmehr sind wir der Überzeugung, dass wir Vorsorge treffen müssen. Wir machen uns Gedanken über die Frage,
ob wir gerüstet sind, wenn die geburtenstarken Jahrgänge - 1964 ist der stärkste Jahrgang aller Zeiten - in
die Pflegesituation kommen. Eigentlich müsste das
Ganze positiv begleitet werden. Das würde auch passieren, wenn wir in der Politik nicht alles infrage stellen
und uns selber misstrauen würden. Was ist das denn für
ein Einwand, zu sagen: „Um durch den Fonds nicht in
Versuchung geführt zu werden, sollten wir ihn lieber
weglassen. Er hat keinen Zweck, weil irgendwann einmal eine politische Generation in die Versuchung geraten könnte, in den prall gefüllten Topf zu fassen“?
Wir betreiben Vorsorge und legen das Geld gut an.
Wir schmeißen es nicht in den Rachen der Finanzmärkte,
wie Sie es in Ihrem Duktus gesagt haben. Wir stellen im
Übrigen durch solche Debatten sicher, dass sich niemand
trauen wird, dieses Geld anzufassen.
({10})
Zu sparen und für schwierige Situationen, die programmiert sind, Vorsorge zu treffen, kann nichts Schlechtes
sein. Das entspricht aber nicht Ihrer Vorstellung von
Schulden machen, Geld aufs Spiel setzen und nicht für
die Zukunft zu sorgen. Sie sorgen vielmehr dafür, dass
spätere Generationen in Schwierigkeiten kommen.
Das werden wir nicht tun. Wir machen das gut, wir
machen das zielorientiert. Dafür ist dieses Gesetz ein
wichtiger erster Schritt; wir freuen uns auf den zweiten.
Vielen herzlichen Dank.
({11})
Die Kollegin Pia Zimmermann spricht jetzt als
nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Verehrter Herr Minister Gröhe, wie bewegt man sich,
ohne wirklich von der Stelle zu kommen? Eine mögliche
Antwort auf diese Frage liefert das sogenannte Pflegestärkungsgesetz; denn gemessen an den gravierenden
Problemen, mit denen wir im Pflegebereich konfrontiert
sind, und gemessen an den Zukunftsherausforderungen
in diesem Bereich ist dieses Gesetz der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
({0})
Mit Ihrem Gesetz, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, täuschen Sie die Menschen in diesem Land; denn das, was Sie heute abschließend zur Abstimmung stellen, hat nichts mit der so
dringend notwendigen und von den Betroffenen so sehr
erwarteten großen Pflegereform zu tun.
Dass die Bundesregierung in dem Pflegeproblem herumstochert und es nicht wirklich anpackt, haben wir in
dieser Woche erneut mit der sogenannten Familienpflegezeit demonstriert bekommen. Was vom Titel her gut
klingt, geht an der Realität vieler Familien jedoch vorbei. Es wird nur noch einmal deutlich, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die zahlreichen Probleme
in der Pflege zu lösen; stattdessen wälzt sie diese Probleme auf die Familien ab.
Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Gesetzentwurf
nicht der dauerhaften Entwertung von Leistungen aus
der Pflegeversicherung durch eine jährliche Leistungsdynamisierung entgegensteuern.
({1})
Ich frage mich auch, warum nicht alle Menschen mit
Pflegebedarf einen Anspruch auf häusliche Betreuungsleistung haben, sondern nur jene, die keine Sozialleistungen bekommen. Ebenso frage ich mich: Warum fassen
Sie die Leistung zur Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und die zusätzlichen Betreuungsleistungen nicht
in einer einheitlichen Entlastungspflege in Form eines
Entlastungsbetrages zusammen?
({2})
Oder: Warum ist in Ihrem Gesetzentwurf nichts zu
finden, wie Sie zur Sicherung der Qualität in der Pflege
einen bundesweit einheitlichen und verbindlichen Standard im Hinblick auf eine qualitätsbezogene Personalbemessung einführen wollen? Nebenbei bemerkt: Das
Wort „Fachkräfte“ kommt in Ihrem Entwurf sowieso nur
beiläufig vor. Das ist sehr bedauerlich für alle Pflegekräfte, die tagtäglich zum Beispiel im Dreischichtsystem
unter schwierigsten Bedingungen sehr gute Arbeit leisten.
({3})
Bringen Sie endlich die bundeseinheitliche Personalbemessung auf den Weg. Das wäre wirklich einmal etwas, was Sie gut anpacken könnten.
({4})
Die Linke hat wiederholt zu diesen Fragen Vorschläge
für eine problemadäquate und soziale Pflegereform in
die Debatte eingebracht. Die wichtigsten Punkte will ich
hier an dieser Stelle noch einmal anführen. Führen Sie
endlich einen umfassenden Pflegebegriff ein; denn Menschen mit kognitiven und/oder psychischen Beeinträchtigungen müssen endlich genauso wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen erfasst werden. Um den
Wert der Pflegeleistungen auch in Zukunft zu erhalten,
braucht es eine Leistungsdynamisierung, die sich an den
realen Lohn- und Preisentwicklungen orientiert.
Die Gesetzeslücke bei Hilfe zur Pflege ist zu schließen. Häusliche Betreuung muss zu den Leistungen nach
§ 28 Absatz 1 SGB XI hinzugefügt werden, damit alle
einen Anspruch auf häusliche Pflege erhalten.
({5})
Die Fraktion Die Linke fordert weiterhin: Streichen
Sie die Regelung für eine Wartezeit von sechs Monaten
für die Inanspruchnahme von Verhinderungspflege. Verhindern Sie weiteres Lohndumping in der Pflege, und erhöhen Sie den flächendeckenden gesetzlichen Pflegemindestlohn für die Beschäftigten, die überwiegend
pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege erbringen,
in Ost und West auf 12,50 Euro pro Stunde, wie es auch
die Gewerkschaft Verdi fordert.
({6})
In diesem Zusammenhang will ich auch noch erwähnen, dass ich mit großer Sorge - Herr Nüßlein, im Gegensatz zu Ihnen - die Umwandlung von 40 Prozent des
Sachleistungsbetrags in Geldleistungen für niedrigschwellige Betreuungsleistungen verfolge; denn damit
wird das Pflegestärkungsgesetz zum Anheizer eines
neuen privaten Pflegemarktes. Können Sie sich nicht
vorstellen, was in einer Branche passiert, in der es nur
um Geld und Zeit geht? Führen Sie sich einmal vor Augen, wie es dann weitergehen wird. Man muss wohl
keine hellseherische Fähigkeit haben, um vorauszusagen, dass sich der Trend zur Minutenpflege noch weiter
verstärken wird. Außerdem werden weitere Tore für
noch mehr prekäre Beschäftigung geöffnet werden. Das
kann nicht in unserem Sinne sein, meine Damen und
Herren.
({7})
Es ist ebenso voraussehbar, dass es zur Vermischung
von Grundpflege, Hauswirtschaft und Betreuungsangeboten kommt. Das wäre ein Einfallstor zu einer Absenkung der Qualitätsstandards, die wir wirklich nicht wollen. Wenigstens das müsste Sie doch wachrütteln.
({8})
Weiterhin sind wir der Auffassung: Lassen Sie die
Finger von dem unsäglichen Vorsorgefonds, über den
wir bereits gesprochen haben. Nutzen Sie das Geld lieber dort, wo es dringend gebraucht wird. Meine Fraktion
wird in dieser Frage auch dem Änderungsantrag der
Grünen zustimmen. Führen Sie lieber die solidarische
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege ein.
Schaffen Sie die Beitragsbemessungsgrenze ab, und beziehen Sie alle Einkommensarten ein. Damit können Sie
die Pflegeleistung deutlich ausweiten und deren Finanzierung endlich auf eine solide Grundlage stellen.
Der Pflege-Bahr gehört abgeschafft - auch das haben
wir heute schon gehört -; denn er sorgt dafür, dass das
Geld vor allen Dingen in die Versicherungswirtschaft
fließt und nicht in die Leistungen für die Versicherten,
die sie dann im Alter benötigen, wenn sie Pflegebedarf
haben.
In unserem vorliegenden Antrag, der heute ebenfalls
zur Abstimmung steht, gehen wir noch einmal auf die
wichtigsten Punkte ein. Diese Punkte würden Ihren Gesetzentwurf im Sinne einer sozialen Pflegepolitik aufwerten - für die Pflegebedürftigen, die Angehörigen und
die in der Pflege Beschäftigten.
Hören Sie mit Ihrem Klein-Klein auf, und gehen Sie
das Problem endlich wirklich nachhaltig an. Dann haben
Sie uns, Die Linke, an Ihrer Seite. Mit Ihrer derzeitigen
Politik schieben Sie die Probleme aber nur auf.
({9})
- Jetzt sind Sie endlich einmal wach geworden. Das
freut mich sehr.
({10})
Daher können wir dem, was Sie bisher gesagt haben, und
Ihrem Gesetzentwurf nicht folgen.
Danke schön.
({11})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Mechthild
Rawert, SPD, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen,
liebe Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gesagt.
Getan. Gerecht.“ Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben im SPD-Regierungsprogramm und
dann auch in unserem gemeinsamen Koalitionsvertrag
versprochen, die Situation der Pflegebedürftigen, ihrer
Angehörigen und der Menschen, die in der Pflege arbeiten, zu verbessern. Und jetzt halten wir unsere Versprechen. Ich freue mich, Ihnen über den Erfolg der ersten
Stufe der Reform der sozialen Pflegeversicherung zu berichten.
({0})
Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz I viele
Menschen bessergestellt. Dieses Gesetz ist Teil eines
größeren Pflegereformvorhabens in dieser Legislaturperiode. Hierzu gehören das Pflegezeitgesetz - das übrigens sehr viel besser ist, als Sie es gerade dargestellt haben, Frau Zimmermann -, das Pflegeberufegesetz und
vor allen Dingen das Pflegestärkungsgesetz II mit dem
neuen Begriff der Pflegebedürftigkeit und einem neuen
Begutachtungsverfahren. Wer jetzt noch Begrifflichkeiten wie „Minutentakt“, „zu wenig Zeit“ benutzt und beklagt, Pflege beschränke sich nur auf das Saubermachen,
der muss wissen: Das ist ein vorübergehender Zustand.
Wir ändern vieles schon mit diesem Gesetz.
({1})
Wir verfolgen einen politischen roten Faden und setzen langjährige Forderungen der SPD um.
({2})
Hier ist zu nennen: Wir schaffen deutliche Verbesserungen für Pflegebedürftige. Wir stärken die häusliche
Pflege. Wir berücksichtigen sehr viel stärker die individuellen Bedarfe. Wir sorgen für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf; denn wir wissen,
dass ein jedes Unternehmen nur dann wirtschaftlichen
Erfolg hat, wenn es sich tatsächlich um das große Thema
„Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Kinderbetreuung und
Pflege“ kümmert.
({3})
Wir sorgen auch für eine materielle Aufwertung der
Pflegeberufe und für gute Arbeit in der Pflege. Wir sorgen für mehr Teilhabe pflegebedürftiger Menschen.
Zweifeln Sie nicht - Frau Scharfenberg, Sie haben es erwähnt -: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden in einer älter werdenden Gesellschaft in einer
neuen Legislaturperiode die Finanzierung der Pflege
noch auf andere Füße stellen - mit der Bürgerversicherung.
({4})
Dies ist ein Gebot der Solidarität. Jetzt erfüllen wir aber
unseren Koalitionsvertrag.
Wir denken Pflege vom Menschen her. Eine häusliche, eine ambulante oder eine stationäre pflegerische
Versorgung und Beratung müssen sich immer verfeinern.
Wir sind nah dran an den Menschen in ihren vielfältigen
Lebenswelten und ihren differenzierten Betreuungs- und
Pflegebedarfen. Ich denke zum Beispiel an die Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten, von Menschen
mit Behinderungen, von Schwulen, Lesben und transidenten Menschen, von Menschen mit eingeschränkten
Alltagsfähigkeiten. Sie alle haben ein Bedürfnis und ein
Recht auf eine diskriminierungsfreie qualifizierte Pflege.
Um die Würde als Mensch zu stärken - wir alle sind daran interessiert, dass sie nicht verloren geht -, müssen
wir Freiheit und, soweit als möglich, auch selbstbestimmte Entscheidungen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen ermöglichen. Dazu bedarf es aber des
Abbaus von Zugangsbarrieren. Hierzu leisten wir mit
diesem Pflegestärkungsgesetz I einen wichtigen Beitrag.
Wir alle, unsere ganze Gesellschaft, müssen es ermöglichen, dass Pflegebedürftige sich zugehörig und
aufgehoben fühlen. Unser Ziel ist ein verstärktes Zugehörigkeitsgefühl. Die UN-Behindertenrechtskonvention
nennt es ein „enhanced sense of belonging“.
({5})
- Ich habe es gerade gesagt, Herr Spahn. Das heißt „verstärktes Zugehörigkeitsgefühl“.
Außerdem wollen wir mehr Geschlechtergerechtigkeit. Die scheinbare Selbstverständlichkeit, dass Frauen
auch in Zukunft die Hauptlast der Pflegearbeit tragen, ist
trügerisch - nicht aus Mangel an Liebe der Frauen zu ihren Familien, sondern aufgrund von zunehmender Erwerbstätigkeit und höherer Mobilität.
Ich bin froh über die vielen Leistungsverbesserungen
im Pflegestärkungsgesetz I, über den Ausbau und die
flexiblere Inanspruchnahme von Kurzzeit- und Verhinderungspflege und der Tages- und Nachtpflege, über die
Zunahme der niedrigschwelligen Angebote, über die Erhöhung des Wohngruppenzuschlags und über - darauf
bin ich als Sozialdemokratin besonders stolz - die bessere Förderung des barrierefreien Umbaus der eigenen
Wohnung.
({6})
Denn Barrierefreiheit ist Voraussetzung dafür, dass Menschen zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung, bleiben
können. Wir werden so den Alltag und die Organisation
der häuslichen Pflege verbessern.
Ja, Pflegende und Pflegebedürftige haben ein Recht
auf bessere Lebensqualität. Wir als Politik werden dafür
sorgen, dass dieses Recht für die ambulante, die teilstationäre und die stationäre Versorgung gilt. Wir haben
hier alles umfassend im Blick. Daher dieser erste positive Schritt; der zweite folgt in Kürze.
({7})
Wir haben gut verhandelt. Die SPD hat sich für die
Anerkennung der Tariflöhne bei Pflegesatz- und Pflegegüteverhandlungen sehr starkgemacht. Niemand darf
mehr eine Bezahlung nach Tarif als unwirtschaftlich ablehnen, und niemand darf eine entsprechende Vergütung
nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen als unwirtschaftlich ablehnen.
({8})
Ich bin dem Bundesministerium für Gesundheit dankbar
für diese Ergänzung, zumal ich selber auch schon bei öffentlichen und kirchlichen Trägern gearbeitet habe und
daher weiß, wie bedeutsam es ist, hier das Arbeitsrecht
einzuhalten.
Wir haben durchgesetzt, dass vereinbarte Tariflöhne
tatsächlich bei den Beschäftigten anzukommen haben
und nicht zwischendurch kleben bleiben dürfen.
({9})
Wir setzen uns also für die konsequente tarifliche Bezahlung auch in der Pflege ein.
Auch Pflegeeinrichtungen profitieren von diesem Gesetz durch weniger Bürokratie.
Vorhin ist gesagt worden, wir würden hier einen
Markt entwickeln, der unreguliert ist. Wir werden zeitnah eine Evaluation vorlegen; denn niemand ist daran interessiert, dass sich ein Markt von personenorientierten
Dienstleistungen tatsächlich unreguliert entwickelt.
Auch hier wird das Arbeitsrecht in jedem Fall gelten.
Dazu ist die Evaluation da.
({10})
Zusammenfassend: Niemand soll glauben: Das war’s
schon. Jetzt kommt das Pflegestärkungsgesetz I. Dann
kommt das Pflegezeitgesetz. Dann kommt das Pflegeberufegesetz.
Liebe Frau Kollegin Rawert, denken Sie an die Redezeit.
Ich bin beim letzten Satz. - Dann kommt vor allen
Dingen noch das Pflegestärkungsgesetz II. Wir sorgen
auch für eine sichere und nachhaltige Finanzierung.
({0})
Ich freue mich darauf, dass wir in zwei Wochen gemeinsam weiter daran schaffen, damit es auch insgesamt zügig vorangeht.
Danke schön.
({1})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Maria Klein-Schmeink.
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es scheint mir zu gelten: Froh zu sein bedarf es
wenig.
({0})
Die Frage ist: Ist das eigentlich angemessen für die
Pflege und für die Situation, die wir in der Pflege vorfinden? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, ich meine, Sie hätten hier eigentlich etwas mehr
Demut und etwas mehr Realismus an den Tag legen
müssen.
Sie haben vier Jahre verloren. Das ist verlorene Zeit
für die Pflegebedürftigen und für die Pflegenden gewesen. Da haben Sie fast nichts gemacht. Jetzt kommt eine
Pflegereform in Trippelschritten daher. Das ist der
Grund, warum die Leute jetzt so enttäuscht sind und sagen: Dieses Pflegestärkungsgesetz reicht uns nicht.
({1})
Dieser Meinung sind nicht nur die Grünen, dieser
Meinung ist nicht nur die Linke, sondern dieser Meinung
sind auch viele Sachverständige gewesen. Auch aus der
Bevölkerung und aus der Pflege selbst ist große Enttäuschung zu spüren.
({2})
Dieser Enttäuschung, liebe SPD, müsst ihr euch stellen.
Ich kann gut nachvollziehen, dass es ganz schön schwierig ist, zu erreichen, dass die Union in die Pötte kommt.
({3})
Trotzdem muss man sagen: Das, was jetzt auf dem Tisch
liegt, ist zu wenig.
({4})
Sie erhöhen den Beitragssatz nur um 0,3 Prozentpunkte. 0,1 Prozent bleiben allein schon für den Pflegevorsorgefonds auf der Strecke. Die Mittel kommen nicht
bei den Pflegenden und nicht bei den Pflegebedürftigen
an.
({5})
Das ist ein Depot für die Zukunft. 20 Jahre lang werden
0,1 Prozent angespart, um das Geld in 20 Jahren auszugeben. Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun? Nichts!
Das ist doch die Wahrheit.
({6})
Dann bleiben noch 0,2 Prozentpunkte. Von den daraus
resultierenden Mitteln sind ungefähr 880 Millionen Euro
nur dafür da, um die Leistungen, die wir schon jetzt haben, zu erhalten. Noch nicht einmal das gelingt Ihnen
wirklich. Der Preisverfall wird nicht voll ausgeglichen;
das haben uns die Sachverständigen deutlich gesagt. Die
Dynamisierung, die Sie jetzt ein Mal vornehmen - das
ist noch nicht einmal regelgebunden, also nicht verlässlich -,
({7})
reicht noch nicht einmal, um sozusagen den Verfall der
Pflegeleistungen, die man von der Pflegeversicherung
bekommt, aufzuhalten. Das ist doch die Wahrheit, die
wir anschauen müssen.
({8})
Dann bleibt tatsächlich noch etwas für Verbesserungen in der Pflege übrig, aber nicht für die entscheidenden Verbesserungen, die wir eigentlich bräuchten,
({9})
um zum Beispiel die Minutenpflege wirklich abstellen
zu können. Es geht doch auch um die Frage: Wie kriegen
wir Pflege teilhabegerechter hin? Da werden wir allein
mit dem, was Sie jetzt an Flexibilisierung vorsehen,
nicht auskommen; da brauchen wir viel mehr. Das ist die
große Herausforderung, vor der wir stehen.
Die weitere Pflegereform steht doch noch aus. Wir
wissen schon heute - das haben uns die Sachverständigen sehr deutlich gesagt -, dass diese weitere Stufe unterfinanziert sein wird. Man wird mit dem Beitragssatz
von 0,2 Prozent, den Sie bereit sind draufzulegen, diese
weitere Stufe nicht hinbekommen. Sie ist schon jetzt unterfinanziert, und Sie haben keinen Plan dafür, wie das
gehen soll. Das ist doch die Wahrheit.
({10})
Ich hörte, dass Herr Kauder vorhin sagte: Wie, da soll
noch mehr Geld hin? - Genau das bezeichnet nämlich
Ihre Haltung zur Pflege. Es geht Ihnen nicht darum, zu
schauen, was wir wirklich brauchen, um zukunftsfähig
zu sein. Ihnen geht es nur um die Frage, wie Sie die Kosten bei den Beitragssätzen deckeln können. Das ist auch
deshalb so, weil Sie mit den Beitragssätzen wesentliche
andere Aufgaben finanzieren wollen. Sie lassen anstelle
der Steuerzahler die Beitragszahler zahlen.
({11})
Das ist Ihre Methode, mit der Sie an die Lösung von Zukunftsproblemen herangehen wollen. Das ist verfehlt.
({12})
- Nein, sie sind nicht lang, sondern ich zeige genau auf,
wo wir mit diesem Pflegestärkungsgesetz landen werden. Das ist eine Pflegereform nur in Trippelschritten,
und wir müssen leider fürchten, dass die weiteren Stufen
nicht wirklich kommen. Das ist die Wahrheit, um die es
hier eigentlich geht.
({13})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jens
Spahn.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kipping, was Sie hier gerade gesagt haben,
war schon entlarvend. Sie haben im ersten Teil Ihrer
Rede in Stamokap-Rhetorik
({0})
über Finanzfantasien gesprochen. Sie haben es geschafft,
hier minutenlang zu reden, ohne einmal diejenigen zu erwähnen, um die es in der Pflege wirklich geht, nämlich
um die Menschen, das heißt um die Pflegebedürftigen
und ihre Angehörigen. Sie befinden sich in irgendwelchen Theoriegebäuden, und wir sind bei den Menschen.
Das ist heute hier wieder deutlich geworden.
({1})
Worum geht es bei der Pflege? Worum geht es, wenn
man pflegebedürftig ist? Es geht darum, dass man Unterstützung im Alltag braucht, dass man Unterstützung
braucht, wenn man morgens nicht mehr allein aufstehen
und sich waschen kann. Das ist für diejenigen, die langsam erkennen müssen, diese Hilfe zu brauchen, nachdem
sie 60, 70 oder 80 Jahre lang im Leben ihren Mann bzw.
ihre Frau gestanden haben,
({2})
die merken, dass sie es nicht mehr alleine schaffen, eine
ganz große Herausforderung. Es geht um eine Situation,
in der Menschen - die Pflegebedürftigen wie auch ihre
pflegenden Angehörigen - Unterstützung brauchen. Darüber ein wenig zu reden,
({3})
das wäre heute Morgen angemessen gewesen - und nicht
das Geschrei, das Sie hier veranstaltet haben.
({4})
Genau diese Unterstützung im Alltag wollen wir auch
liefern.
Worum geht es den meisten, die man fragt, was sie
brauchen und worum es in der Pflege eigentlich geht?
Die meisten sagen dann: Wir brauchen mehr Zeit und
mehr Pflegekräfte bzw. ein Stück weit mehr Unterstützung dabei, uns kümmern zu können. Das brauchen wir,
um als pflegende Angehörige auch einmal eine Insel der
Erholung zu haben.
({5})
Genau da, beim ambulanten Bereich der Pflege, setzen wir an.
({6})
- So wie Sie hier krakeelen, Frau Kipping, scheint das ja
wehgetan zu haben.
Bei der ambulanten Pflege geht es darum, dass man
nicht nur die klassischen Pflegeunterstützungen - die
soll es natürlich auch weiterhin geben - im Alltag bekommt, sondern dass es für pflegende Angehörige mehr
Möglichkeiten gibt, sich Inseln des Luftholens zu verschaffen. Es geht um Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Es geht darum, dass man weiß, dass zweimal in
der Woche - am Dienstag- oder Donnerstagnachmittag jemand für drei oder vier Stunden da ist, sodass man seinen Hobbys nachgehen und seine Freundschaften pflegen kann. Zu Hause pflegender Angehöriger zu sein,
heißt, sieben Tag die Woche 24 Stunden lang im Einsatz
zu sein. Genau diesen Menschen wollen wir helfen, Inseln der Entlastung im Alltag zu haben. Das machen wir
mit den Betreuungs- und Entlastungsleistungen möglich.
({7})
Das Gleiche gilt für die stationären Einrichtungen.
Pro 20 Pflegebedürftige wird es eine Betreuungskraft geben. Das macht im Ergebnis für Deutschland 50 000 Betreuungskräfte. Das ist - dies wird von den Pflegekräften
bestätigt, mit denen wir in den Einrichtungen reden Jens Spahn
eine enorme Entlastung. Die Pflegekräfte sagen: Wir haben es gemerkt, dass es neue Kräfte schon in einem ersten Schritt gab. Wir werden auch das merken, was ihr
jetzt tut: dass es mehr Personal gibt. Es entlastet uns im
Alltag. Wir haben insgesamt wieder mehr Zeit. - Deshalb sind beide Maßnahmen - sowohl im ambulanten als
auch im stationären Bereich - ein wichtiges Signal für
mehr Zeit und Unterstützung in der Pflege.
({8})
Insofern ist das, liebe Frau Scharfenberg und liebe
Frau Klein-Schmeink, was Sie hier gesagt haben, schon
ein bisschen Hohn. Sie sagen, das sei luftleer bzw. irgendwie Kosmetik oder Arithmetik. Auch sprachen Sie
von „Trippelschritten“. Wir können ja einmal mit den
pflegenden Angehörigen, den Pflegekräften und den
Pflegebedürftigen sprechen.
({9})
Ich war in diesen Tagen bei einer Selbsthilfegruppe pflegender Angehöriger. Die sagen: Wir brauchen genau
das: Entlastung bzw. Hilfen im Alltag und Inseln der Erholung. - Genau das geben wir ihnen. Es ist einfach ein
Schlag ins Gesicht dieser Menschen, wenn Sie sagen:
Das ist nichts. Das ist luftleer. Das sind Trippelschritte. Für die pflegenden Angehörigen ist es eine enorme
Hilfe.
({10})
Auch da hat die Linke in ihrer Argumentation wieder
etwas Besonderes geschafft; das haben wir gerade gehört. Sie sind es, die wirklich bei jeder Gelegenheit kritisieren, dass es private Anbieter in der Pflege oder im Gesundheitswesen gibt. Alles, was privat und nicht
staatlich ist, ist bei Ihnen schlecht. Bei der Argumentation zu den Entlastungsleistungen schaffen Sie es, die
Stellungnahme des Bundesverbandes privater Anbieter
sozialer Dienste bis in die Wortwahl eins zu eins aufzugreifen und zu zitieren. Sie stellen sich damit gegen den
Sozialverband Deutschland, gegen den VdK und gegen
die BAG Selbsthilfe. Die Sozialverbände sagen: Das,
was ihr tut, ist richtig. Die privaten Anbieter sagen: Das
ist falsch.
({11})
Die Linken sind aufseiten der privaten Anbieter. Es ist
bemerkenswert, das heute hier festzustellen. Sie sind mit
Ihrer Argumentation nicht aufseiten der Sozialverbände,
Sie sind aufseiten der privaten Anbieter.
({12})
- Ja, ja, ich weiß, es tut weh, wenn man sich verrannt
hat, aber am Ende ist es so.
({13})
Worum geht es noch, wenn wir über Zeit reden? Die
Pflegenden sagen uns: Es geht auch darum, dass ihr Bürokratie abbaut. Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt,
Häkchen zu machen, um zu dokumentieren, was wir den
ganzen Tag gemacht haben, und kommen viel zu wenig
dazu, uns um die Menschen zu kümmern. - Genau das
- der Minister hat es gesagt - steht zwar nicht im Gesetz,
aber wir regeln es parallel, indem wir bei der Dokumentation zu Veränderungen kommen.
Hier geht es eigentlich um etwas ganz Banales, etwas
sehr Vernünftiges. Wir müssen davon wegkommen, alles
zu dokumentieren, dass man all das nachweisen muss,
was den ganzen Tag abgelaufen ist. Wir wollen hin zu
dem einfachen Prinzip, nur noch das zu dokumentieren,
was ungewöhnlich, was anders als am Vortag war. Jeder
sieht, dass Dokumentation nötig ist, um die Qualität
nachvollziehbar zu machen. Am Ende muss es aber ein
vernünftiges Maß und vernünftige Regeln zur Dokumentation geben. Hier gehen wir einen wichtigen Schritt
nach vorne. Das sagen auch diejenigen, die in der Pflege
tätig sind. Das bringt 20 bis 30 Prozent weniger Pflegebürokratie. Selbst wenn es nur die Hälfte wäre, wäre es
ein guter Schritt nach vorne, weil dies mehr Zeit für die
Pflegbedürftigen bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({14})
Kommen wir zu dem, was die Menschen wollen. Sie
von der Opposition sagen, all das, was wir jetzt tun, gehe
an den Zielen der Menschen vorbei. Ein wichtiger
Aspekt dabei ist - er ist bereits angesprochen worden -:
Die Menschen wollen möglichst lange zu Hause bleiben,
möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Dafür gibt es die Entlastungs- und Betreuungsleistungen.
Dazu gehört aber auch die Möglichkeit, das eigene
Zuhause umzubauen, etwa etwas an der Dusche zu verändern, das Bad insgesamt umzubauen oder die Türen zu
verbreitern. Wir erhöhen den Zuschuss, den die Pflegeversicherung für solche Umbaumaßnahmen vorsieht, auf
4 000 Euro pro Maßnahme. Frau Ministerin Hendricks
hat gerade angekündigt, dass die KfW das altersgerechte
Umbauen von Wohnungen durch günstige Kredite und
entsprechende Zuschüsse weiter fördern wird. Auch hier
helfen wir den Menschen, ihren größten Wunsch, länger
in den Wohnungen bleiben zu können, umzusetzen. Deswegen ist dies ein guter Tag für Pflegende und Pflegebedürftige in Deutschland.
({15})
Herr Kollege Spahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Klein-Schmeink?
Jederzeit.
Sie haben jetzt sehr beredt verschiedene Verbesserungen aufgezählt. Das waren sehr einfache Dinge, wie zum
Beispiel die Wohnraumanpassung. Das ist leicht verständlich. Warum haben Sie es in den letzten vier Jahren
nicht geschafft, genau diese Dinge auf den Weg zu bringen? Warum hat es diese Leistung zur Entlastung pflegender Angehöriger nicht schon längst gegeben? Warum
hat es den Bürokratieabbau nicht gegeben? Sie hatten
dafür extra eine Fachbeauftragte. Warum hat es das alles
nicht gegeben? Warum müssen wir jetzt darüber reden
und müssen gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass die
eigentliche Pflegereform schon wieder verschoben worden ist?
({0})
Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, auch Sie sind
schon ein bisschen länger dabei. Wenn Sie an die letzten
Jahre denken, wüssten Sie genauso gut wie ich, dass wir
in der christlich-liberalen Koalition in der letzten Legislaturperiode mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz
schon ganz wichtige erste Schritte in Richtung mehr Betreuung gegangen sind.
({0})
Wir haben zum ersten Mal in größerem Umfang Demenz, die Einschränkung kognitiver Fähigkeiten, berücksichtigt. Wir haben zum ersten Mal Hilfe gegeben.
Wir gehen diese Schritte jetzt weiter. Das ganze Leben
ist Evolution, Weiterentwicklung.
({1})
- Wenn das einzige Argument, das Sie hier noch haben,
um dagegen zu stimmen, ist, dass es zu spät und zu wenig ist, dann ist das ein schlechtes Argument, das Sie
hier vorbringen, um am Ende Nein sagen zu müssen und
den Menschen nicht im Alltag zu helfen. Das ist das einzige Argument, das Sie hier vorbringen.
({2})
Sie wissen genau, dass die Dinge sich entwickeln
müssen. Sie wissen genau, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff jetzt erst einmal in der Praxis getestet werden
muss. Eines ist nämlich klar: Wir machen kein Experiment mit 1 Million Menschen in Deutschland. Jedes Jahr
werden 1 Million Menschen neu in der Pflegeversicherung eingestuft - „eingestuft“ ist so ein furchtbares Wort -,
({3})
oder besser gesagt: Man schaut, welche Hilfe sie brauchen. Wir sagen: Nur weil es theoretische Konzepte gibt,
wie das zu verändern wäre und wie man das anders sehen könnte, können wir diese nicht mal eben 1 Million
Menschen überstülpen, sondern wir müssen das erst in
Modellprojekten in der Praxis erproben und fragen: Was
ist vorher? Was ist nachher? Wenn wir dann sehen, dass
es gut ist und ohne Fehler funktioniert, machen wir es
für alle. Das ist vernünftig. Dann bricht auch kein Chaos
aus, und es ist vor allen Dingen Planungssicherheit gegeben. Deswegen dauert es noch ein paar Monate, und die
werden wir uns noch gedulden müssen, liebe Frau Kollegin.
({4})
Ich komme zum Vorsorgefonds, der hier schon mehrfach angesprochen wurde. 1964 wurden 1,4 Millionen
Menschen in Deutschland geboren - der Kollege
Nüßlein hat gerade darauf hingewiesen -, der geburtenstärkste Jahrgang, den es jemals in Deutschland gab.
Diese Menschen wurden oder werden in diesem Jahr alle
50 Jahre alt. In diesem Jahr werden, wenn es gut läuft,
650 000 Kinder geboren - halb so viele. Das heißt, wir
wissen jetzt schon: Wenn die Menschen dieses geburtenstarken Jahrgangs in 25, 30 oder 35 Jahren teilweise
pflegebedürftig werden - bis zu einem Drittel jedes Jahrgangs braucht wahrscheinlich Unterstützung im Alter -,
dann wird es wesentlich weniger Beitragszahler, wesentlich weniger junge Menschen in Deutschland geben, die
das am Ende mitfinanzieren müssen. Dass wir heute anfangen, zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungssystem gezielt eine Rücklage für diese Zeit zu bilden,
({5})
ist übrigens nicht nur ein Schutz für künftige Beitragszahler, sondern vor allem auch ein Schutz für künftige
Pflegebedürftige; denn nur dann, wenn finanzielle Spielräume da sind, wird nicht über Leistungskürzungen geredet. Ja, natürlich ist Sparen im Heute immer schwerer,
als Geld auszugeben. Sie haben immer ganz viele Ideen,
was man alles noch finanzieren könnte. Die hätten wir
auch. Sparen ist immer anstrengender, weil es Konsumverzicht im Heute bedeutet. Aber eine kluge Gesellschaft sorgt für das Morgen vor, wenn sie weiß, was da
passiert. Genau das tun wir an dieser Stelle.
({6})
Man hätte sich im Übrigen - es ist schon darauf hingewiesen worden - gerade von den Grünen gewünscht,
die doch sonst immer von Nachhaltigkeit reden und davon, dass man an spätere Generationen denken müsse,
dass sie in ihrer Argumentation einmal etwas mehr auf
diese demografische Veränderung in Deutschland eingehen. Wir werden weniger, und wir werden älter. Das ist
ja erst einmal etwas Schönes. Aber das Ganze muss am
Ende auch noch gestaltbar und finanzierbar sein. Man
hätte sich gewünscht, dass Sie auch dazu einmal zwei
oder drei Sätze grundsätzlicher Art sagen.
Kollege Spahn, die Kollegin Scharfenberg hätte auch
gern eine Zwischenfrage gestellt oder eine Zwischenbemerkung gemacht.
Sie hat zwar auch schon geredet, aber gerne.
({0})
- Offensichtlich.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich hätte noch einmal
eine Frage zu dem Vorsorgefonds. Es gab ja Anhörungen. Da gab es kaum einen Experten, der diesem Pflegevorsorgefonds, über den wir heute abstimmen, etwas
Positives abgewinnen konnte. Das hatte unterschiedliche
Facetten; aber es gab eigentlich niemanden, der gesagt
hat: Das ist der große Wurf, und das wird etwas bringen. Warum führen Sie ihn trotzdem ein? Warum stellen Sie
sich gegen die Expertenmeinungen? Es ist ja nicht nur
die Opposition, die das hier moniert.
Es ist ja wie immer bei Anhörungen: Man sucht sich
die Meinung heraus, die zur eigenen am besten passt.
({0})
- Jetzt lassen Sie mich einmal den Gedanken zu Ende
führen. - Ein Teil der Experten hat gesagt: Eigentlich
müsstet ihr noch mehr zurücklegen.
({1})
Dafür hätte ich die Grünen hier gerne kämpfen sehen.
Wenn Sie die angebliche Partei der Nachhaltigkeit und
derjenigen, die an morgen denken, sind - so deklarieren
Sie sich ja immer -, dann müssten eigentlich Sie hier sitzen und sagen: Ihr müsst noch mehr zurücklegen, und
nicht weniger. - Das wäre die Argumentation, die ich
mir von Ihnen gewünscht hätte.
({2})
Trotzdem ist es am Ende besser, überhaupt einmal anzufangen. Ein Teil der Experten hat gesagt: Es ist richtig,
dass ihr anfangt; aber eigentlich müsstet ihr mehr tun. Übrigens haben selbst die deutschen Gewerkschaften gesagt, dass es sinnvoll sei, in der Rentenversicherung
Rücklagen zu bilden, wenn wir alle immer älter werden.
Das ist ein ganz wichtiges Prinzip. Ich würde mir zumindest einmal wünschen, dass Sie in Ihren Reden nicht nur
immer an das Heute denken und daran, wie wir möglichst viel heute tun können. Sie haben in keiner Ihrer
Reden auf die Herausforderung hingewiesen, dass die
Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland in den nächsten Jahren steigen wird.
({3})
Sie sind immer nur im Jetzt, und das war ich von Ihnen
eigentlich anders gewohnt.
({4})
Abschließend muss man mit Blick auf das Finanzvolumen sagen: Wir werden den Leistungsumfang der gesetzlichen Pflegeversicherung insgesamt um etwa
10 Prozent erhöhen. Das ist die größte Erhöhung, die es
jemals in einem sozialen Sicherungssystem gegeben hat um 2,4 Milliarden Euro. Wir werden dies - es gehört zur
Wahrheit dazu; das muss man ehrlich sagen - über eine
Erhöhung des Beitragssatzes finanzieren. Ja, für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Rentner werden höhere Beiträge fällig. Aber das Spannende ist: In dieser Debatte in
Deutschland gibt es niemanden, der diese Beitragssatzerhöhung kritisiert - Arbeitgeber nicht, Gewerkschaften
nicht, Sozialverbände nicht, Pflegeeinrichtungen nicht.
Alle sagen, jeder erkennt an - wahrscheinlich, weil jeder
schon in der eigenen Familie erlebt hat, was in der
Pflege eigentlich nötig ist, um eine bessere Unterstützung zu leisten -, dass wir hier einen richtigen Schritt
tun, dass es richtig ist, mehr zu investieren. Ich glaube,
das ist die umstrittenste Beitragssatzerhöhung, die es seit
langer Zeit in der Bundesrepublik gegeben hat.
({5})
- Sorry! Eine wichtige Silbe fehlte - sehr richtiger Hinweis -: unumstrittenste Beitragssatzerhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. - Dass sie so unumstritten
ist, zeigt eben, dass wir in Deutschland am Ende einen
ganz wichtigen, richtigen, großen Schritt tun für die
Pflegebedürftigen, für ihre Angehörigen und für die
Pflegekräfte.
({6})
Insofern könnte man erwarten, dass Sie von Ihrer Brachialrhetorik wegkommen, die weit weg von dem ist,
was die Menschen im Alltag erleben,
({7})
und anerkennen, dass wir hier Gutes tun. Die Kollegin
hat so schön gesagt: „Froh zu sein bedarf es wenig.“ Ich ergänze: Und wer froh ist, ist ein König. - Seien Sie
mal ein bisschen froh über das Gute, das wir hier tun.
({8})
Die Kollegin Heike Baehrens hat als nächste Rednerin das Wort für die Sozialdemokraten.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Pflegekräfte brauchen eine gute Bezahlung. Denn in der
Zukunft werden wir engagiertes und gut qualifiziertes
Personal nur dann bekommen, wenn in diesem Beruf ordentlich verdient werden kann.
({0})
Darum stellen wir heute klar, dass das Zahlen von Tarifgehältern in der Pflege nicht mehr von Pflegekassen und
Sozialhilfeträgern als unwirtschaftlich abgelehnt werden
darf.
({1})
Es hatte gravierende Auswirkungen, dass tarifliche
Bezahlung bei der Aushandlung von Pflegesätzen weitgehend nicht anerkannt wurde. Denn das, was Pflegekräfte heute an Druck im Arbeitsalltag erleben, hängt einerseits mit der überbordenden Bürokratie zusammen
- daran werden wir jetzt etwas verändern -, andererseits
aber ganz wesentlich damit, dass der wirtschaftliche
Druck bei den Pflegeanbietern dazu geführt hat, weniger
Personal anzustellen und vom Einzelnen immer mehr zu
fordern.
In den Verhandlungen zwischen Leistungserbringern
und Kostenträgern, die ich in den letzten 15 Jahren an
verantwortlicher Stelle hautnah erlebt habe, kamen wir
uns oft vor wie auf einem Teppichbasar. Unter Verweis
auf den sogenannten externen Vergleich wurden Pflegesätze fast völlig ohne Berücksichtigung der nachgewiesenen tarifbedingten Personalkostensteigerungen
festgesetzt. Langwierige Verhandlungen, aufwendige
Schiedsverfahren und gar jahrelang im Raum schwebende Sozialgerichtsverfahren haben alle Verhandlungsbeteiligten zermürbt, haben unendlich viel Arbeitszeit
bei den Pflegeanbietern und ihren Verbänden und ebenso
bei den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern gebunden.
Nicht einmal Tarife wie die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, die sich nachweislich am Tarif des öffentlichen Dienstes orientieren, wurden bei Pflegesatzverhandlungen anerkannt. So entstand über die Jahre ein
wirtschaftlicher Druck, der direkt beim Personal und damit auch bei den pflegebedürftigen Menschen angekommen ist.
({2})
In der ambulanten Pflege mussten immer mehr Pflegebedürftige von immer weniger Pflegekräften versorgt
werden. In der stationären Pflege, in der es vereinbarte
Personalschlüssel gibt und damit kein Absenken des
Personals möglich ist, gliederten immer mehr Pflegeunternehmen einzelne Leistungsbereiche in sogenannte
Serviceunternehmen aus, um beispielsweise Reinigungskräfte oder hauswirtschaftliches Personal untertariflich
zu bezahlen. Gute Stimmung in der Pflege macht so etwas nicht.
({3})
Wettbewerb war in der Pflegeversicherung zwar von
Anfang an gewollt, es war aber nicht gewollt, dass die
Pflegedienste, die ihrem Personal Tarifgehälter zahlen,
dies letztlich damit bezahlen müssen, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege und damit auch die Qualität der Pflegeleistungen verschlechtern.
So war es ein Befreiungsschlag, aber ein längst überfälliger, dass sich das Bundessozialgericht im Jahr 2013
nach mehreren Musterverfahren endlich dazu durchgerungen hat, höchstrichterlich zu entscheiden, dass die
Einhaltung der Tarifbindung und die Zahlung ortsüblicher Gehälter grundsätzlich als wirtschaftlich angemessen zu werten sind und den Grundsätzen wirtschaftlicher
Betriebsführung entsprechen.
({4})
Es ist folgerichtig, dass wir heute diese wichtige Erkenntnis in das SGB XI aufnehmen und damit den Rahmenvertragspartnern in den Bundesländern eine klare
Richtschnur geben.
({5})
Das ist mitnichten nur eine handwerkliche Klarstellung.
Es ist zuallererst ein fundamentaler Beitrag zur Stärkung
der Pflege.
({6})
Damit erkennen wir gute Bezahlung an, damit stärken
wir jenen Pflegediensten den Rücken, die mit verlässlichen Arbeitsbedingungen und ordentlicher Bezahlung
ihrer Mitarbeiter eine qualitativ gute Pflege leisten; denn
sie sind diejenigen, die in unserer Gesellschaft das Ansehen des Pflegeberufes hochhalten. Wir geben heute ein
klares Signal an die Verhandlungspartner auf Länderebene, solche geordneten Verhältnisse anzuerkennen und
bei der Preisgestaltung einzukalkulieren. Wir senden
eine klare Botschaft an die Pflegeanbieter, ihr Personal
weiterhin nach Tarif oder kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien zu bezahlen, sich in der Pflege für Tarifbindung in der Fläche einzusetzen und die praktizierten
Fluchtbewegungen wieder einzustellen.
({7})
Wir rufen jenen Anbietern, die derzeit ihr Personal
noch nicht angemessen bezahlen - dafür gibt es leider
jede Menge schlechter Beispiele aus den Medien -, zu:
Zahlen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in
der Pflege endlich das, was ihnen für ihre wertvolle Arbeit zusteht, nämlich ein anständiges Gehalt, auf das sie
sich verlassen können!
({8})
Die heutige gesetzliche Klarstellung - noch dazu, wenn
sie, wie sich im Ausschuss abgezeichnet hat, einstimmig
beschlossen werden sollte - ist ein starkes Signal der
Politik an alle, denen eine würdevolle Pflege bei Krankheit und im Alter am Herzen liegt.
({9})
Der Kollege Erwin Rüddel spricht als Nächster für
die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute zum Wohle der Pflegebedürftigen,
ihrer Familienangehörigen und der Pflegekräfte beschließen, ist von meinen Vorrednern aus der Koalition
ausgiebig - und ich sage ausdrücklich: zu Recht - gewürdigt worden. Denn dieses erste Pflegestärkungsgesetz ist ein großer Reformschritt, der vielen Menschen
mehr Rechte, mehr Geld und flexiblere Leistungen bringen wird. Darin hat uns die Expertenanhörung zu diesem
Gesetz bestärkt.
Es ist eine überzeugende Reform. Es ist der erste
Schritt zum großen Wurf, den wir gemeinsam im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode versprochen haben. Dazu gehört selbstverständlich auch die zweite
Stufe der Reform, mit der wir ab 2017 die Menschen mit
demenziellen Erkrankungen in der Pflegeversicherung
entscheidend besserstellen werden.
Aber ich denke auch an eine ganze Reihe weiterer
Maßnahmen, die die Lage pflegebedürftiger Menschen
substanziell verbessern werden. Dazu gehört zweifellos
die Familienpflegezeit, die das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg gebracht hat.
Mindestens ebenso wichtig ist die Optimierung der
medizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen. Eine
gute flächendeckende Versorgung von Pflegebedürftigen
kann nur gelingen, wenn gleichzeitig auch eine gute flächendeckende ambulante und stationäre Versorgung der
Bevölkerung sichergestellt ist.
({0})
Dem Bundesgesundheitsminister gebührt deshalb Dank
für den zielführenden Referentenentwurf des kommenden Versorgungsstärkungsgesetzes; denn dieser geht genau in die richtige Richtung:
({1})
Wir brauchen mehr Arztpraxen in ländlichen Regionen. Wir werden die dafür entscheidenden Anreize setzen. Wir brauchen, vor allem auf dem Land, neue, sektorübergreifende Versorgungsformen, die wir mit dem
künftigen Innovationsfonds fördern werden.
Wir werden den Ausbau der Ärztenetze unterstützen.
Wir setzen den Koalitionsvertrag um und machen die
Förderung von Praxisnetzen verbindlich, womit wir
nicht zuletzt auch die Versorgung pflegebedürftiger
Menschen verbessern.
Wir sorgen dafür, dass Zahnärzte künftig häufiger zu
Vorsorgeuntersuchungen in Pflegeheime kommen. Wir
werden das entsprechend honorieren und erhöhen die
Leistungen zur zahnmedizinischen Prävention.
Wir schaffen mit einem Betreuungspaket ein maßgeschneidertes Entlassmanagement für die Zeit nach Krankenhausaufenthalten.
Und wir werden mit dem Versorgungsstärkungsgesetz
künftig auch die ärztliche Delegation fördern: Nicht jede
Behandlung muss von einem Arzt vorgenommen werden. Bestimmte Tätigkeiten können auch unter Anleitung eines Arztes durch andere Gesundheitsberufe erfolgen. Das entlastet die Pflegekräfte und hilft den
Pflegebedürftigen.
Parallel zu diesen Maßnahmen müssen wir uns um
ein optimiertes Medikamentenmanagement kümmern,
und zwar sowohl in der stationären wie auch in der ambulanten Versorgung. Die Patientensicherheit erfordert
gerade bei Multimorbidität ab einer bestimmten Anzahl
von Wirkstoffen eine speziell honorierte Lotsenfunktion
im System. Das elektronische Rezept oder eine passgenaue Verblisterung können in der stationären Versorgung
auch die Pflege entlasten, mehr Zeit für Zuwendung
schaffen, aber auch die Chance für einen längeren
Verbleib in häuslicher Umgebung erhöhen und den Arzneimittelverbrauch reduzieren. Wenn dadurch Klinikaufenthalte entfallen, entlastet dies zugleich die Krankenkassen, besonders aber die Pflegebedürftigen.
({2})
Ein weiteres wichtiges Thema ist der Bürokratieabbau. Die Dokumentationspflichten müssen reduziert
werden. Das ist aber alles kein Selbstläufer. Wir brauchen eine starke Moderation bei der Überarbeitung der
Qualitätskriterien. Hier habe ich vollstes Vertrauen in
unseren Pflegebeauftragten, Staatssekretär Karl-Josef
Laumann, und die Parlamentarische Staatssekretärin
Ingrid Fischbach.
({3})
Politik, Selbstverwaltung und Träger müssen an einem
Strang ziehen. Ziel ist und bleibt, nicht mehr die Strukturqualität, sondern die Ergebnisqualität zu prüfen. Die
gewonnene Zeit steigert die Qualität und stärkt die
Pflege. Dabei kommt es darauf an, Qualität, Bürokratieabbau und Transparenz in der Pflege nicht gesondert zu
betrachten, sondern als Dreiklang. Nur dann ist wirklich
ein Systemwechsel möglich.
Nötig ist schließlich auch eine Reform der Pflegeausbildung - hier baue ich darauf, dass die Familienministerin eine ebenso umsichtige wie schlüssige Konzeption
vorlegen wird -; denn immer mehr ältere und pflegebedürftige Menschen benötigen viele gut ausgebildete und
vielfach einsetzbare Pflegekräfte.
Wenn uns dies alles in dieser Legislaturperiode gelingt - daran habe ich keinen Zweifel -, haben wir viel
erreicht für pflegebedürftige Menschen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte in unserem Land.
({4})
Vielen Dank, Kollege Rüddel. - Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Dr. Karl Lauterbach.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal versuche ich, unaufgeregt
darzustellen, was die Substanz dieser Reform ist.
({0})
Denn das scheint zum Teil in Vergessenheit geraten zu
sein. Diesen Eindruck kann man haben, wenn man hier
zuhört. Was haben wir beschlossen? Ist es wirklich gut?
Ist es nicht gut? Ist es übertrieben? Also: Wie ist die Gesamtlage einzuschätzen?
Ich fange mit dem an, was wir insgesamt für die
Pflege, also für die ambulante und für die stationäre
Pflege, machen. Wir geben insgesamt 2,4 Milliarden
Euro mehr aus. Wir verteilen das Geld, indem wir die
Leistungen dynamisieren, indem wir neue Leistungen
einführen, indem wir zum Beispiel Demente, die noch
nicht pflegebedürftig im klassischen Sinne sind, besser
versorgen. Was spricht dagegen, dass wir bestehende
Leistungen deutlich besser bezahlen und neue Leistungen, die sinnvoll sind, die gefordert werden, auf einen
Schlag einführen? Was spricht dagegen, dieser Reform
in diesen Belangen zuzustimmen?
({1})
Wir entsprechen dem Wunsch, die Betreuung in der
Pflege zu verbessern. Oft kommt man nicht zur Betreuung in der Pflege, weil die Zeit fehlt. Die Menschen
brauchen Betreuung. Sie brauchen jemanden, der mit ihnen spricht. Es kommt nicht allein darauf an, gut zu pflegen. Vielmehr braucht derjenige, der gepflegt wird, auch
jemanden, der mit ihm spricht, der ein Spiel mit ihm
macht, der einen Spaziergang mit ihm macht, der auf ihn
aufpasst. All dies können nur Betreuungskräfte leisten.
Wir bezahlen zusätzliche 25 000 Betreuungskräfte. Das
ist die größte Aufstockung der Zahl der Betreuungskräfte seit Einführung der Pflegeversicherung. Was
spricht dagegen, dieser Ausdehnung, Erweiterung der
Anzahl und Besserbezahlung der Betreuungskräfte zuzustimmen? Ich halte das für eine Errungenschaft.
({2})
In der ambulanten Pflege ist der größte Stressfaktor,
wenn man pflegt - den Angehörigen ist dies zu danken;
es ist wirklich zu danken, dass wir in Deutschland im
Vergleich zu anderen Ländern so viele Angehörige haben, die bereit sind, ihre Lieben, ihre Verwandten zu
pflegen -, dass man kurzfristig bei einem Ausfall nicht
klarkommt. Jetzt flexibilisieren und dynamisieren wir
die Tages-, die Nachtpflege, die Verhinderungspflege
und die Kurzzeitpflege. Das macht das Pflegen durch
Angehörige schlicht und ergreifend viel erträglicher. Das
nimmt den Druck heraus. Das nimmt den Stress weg. Es
verringert diesen Dauerdruck, der dazu führen kann,
dass man über die Pflege der Angehörigen selbst krank
oder zum Pflegefall wird.
({3})
Was spricht dagegen, den Angehörigen diesen Wunsch
zu erfüllen? Der Wunsch wurde immer wieder an uns
herangetragen. Jetzt machen wir es möglich. Darüber
geht das halbe Plenum hier einfach hinweg. Das ist eine
aus meiner Sicht wesentliche Errungenschaft, auf die die
Angehörigen viel zu lange gewartet haben.
({4})
Ich glaube auch, dass die Reform sehr gerecht ist.
Den Arbeitgeberverbänden, aber auch allen politischen
Gruppierungen ist zu danken. Es hat kaum Kritik daran
gegeben, dass die Finanzierung paritätisch erfolgt. Wenn
man überlegt, wie hart derzeit um jede zusätzliche Belastung der Wirtschaft gerungen werden muss - zu Recht -,
wird man einsehen: Das ist eine großartige solidarische
Leistung unserer gesamten Gesellschaft. Niemand hat
hier protestiert. Wir erhöhen die Ausgaben insgesamt um
6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon wird von den Arbeitgebern gezahlt. Daher danke an alle, die dies unterstützen. Das ist ein Ausbau unseres Solidarsystems - den
wir in anderen Bereichen derzeit nicht sehen -, wie wir
ihn uns gewünscht haben und wie er in unseren Wahlprogrammen stand. Das ist eine gemeinsame Leistung
dieser Gesellschaft, der Arbeitnehmer, Tarifparteien und
Arbeitgeber. Das muss gewürdigt werden.
({5})
Ich persönlich halte auch die Einführung des Vorsorgefonds für gerecht. Selbstverständlich ist es richtig:
Wenn es keine demografischen Veränderungen geben
würde, dann wäre der Vorsorgefonds völlig überflüssig;
das ist ganz klar. Aber wenn in 30 Jahren halb so viele
junge Leute in den Beruf eintreten, wie alte Leute von da
an gepflegt werden müssen, wenn sich dieses Verhältnis
so verändert, dann muss man dafür Geld zurücklegen.
Natürlich kann man wie Sie von der Linken darauf
setzen, dass die Produktivität dramatisch ansteigt. Ihren
eigenen Beitrag dazu lasse ich einmal dahingestellt.
Aber wer weiß denn,
({6})
ob in den alternden Gesellschaften der Welt und in Europa diese Produktivitätszuwächse überhaupt erzielt
werden können? Das ist doch reine Spekulation. Man
muss doch sicher sein, dass man die Pflege finanzieren
kann. Was die jungen Leute heute finanzieren, das muss
ihnen in Zukunft auch selbst geboten werden. Daher legen wir dieses Geld zurück.
({7})
Das ist auch kein Pflege-Bahr. Die Versicherungsindustrie ist gegen diesen Vorschlag gewesen. Das Geld
wird nur angelegt, es wird damit nicht spekuliert. Nicht
jede Anlage, Frau Kipping, ist automatisch Spekulation.
({8})
Wir hinterlegen das Geld bei der Bundesbank. Es gibt
ganz strenge Regeln. Wir haben es eben nicht den privaten Versicherungen, nicht den privaten Anbietern zur
Verfügung gestellt. Wir sind dafür kritisiert worden. Die
Anlage ist eine Anlage mit Augenmaß: eine Anlage mit
vertretbarer Rendite, aber sehr geringem Risiko. Das
halte ich für richtig.
({9})
Herr Kollege Dr. Lauterbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann?
({0})
Ja, sehr gern.
Vielen Dank, Herr Lauterbach. - Wenn Sie selber
feststellen, dass zur Umsetzung Ihres Pflegebedürftigkeitsbegriffs 1 Milliarde Euro fehlt - das ist nachzulesen
in der Frankfurter Rundschau und auch in der Berliner
Zeitung -, und Experten sagen: „Es wäre doch schlau,
die Milliarde, die jetzt woanders fehlt, tatsächlich nicht
zurückzulegen, sondern das in die Pflege zu stecken“,
frage ich Sie: Wie wollen Sie denn diese Milliarde, die,
wie Sie selber sagen, jetzt schon fehlt, aufholen?
({0})
Zunächst einmal muss ich Abstand nehmen: Ich bin
ganz sicher, dass ich mit dem, was Sie gerade der Frankfurter Rundschau entnommen haben, nicht zitiert werde.
Oder wollen Sie unterstellen, dass das ein Zitat von mir
ist?
({0})
- Sie sagen: „die SPD“. Sie müssen dann schon spezifischer werden. Sie haben gesagt, ich hätte das gesagt. Das
stimmt eben nicht. Ich werde nicht zitiert; daher habe ich
das auch nicht zu vertreten.
({1})
Aber ich weise ausdrücklich darauf hin: Diese Reform
bringt die größte Ausdehnung der Mittel, die es überhaupt gab. Natürlich kann man immer mehr ausgeben;
dann muss man aber auch klar sagen, woher das Geld
kommen soll. Wir nehmen jetzt insgesamt 6 Milliarden
Euro in die Hand und finanzieren das paritätisch. Das ist
keine Kleinigkeit,
({2})
das ist die größte Ausdehnung, die wir je gemeinsam beschlossen haben. Darauf kann man auch ein Stück weit
stolz sein. Von daher stehen wir zu unserem Wort: Der
Pflegefonds kommt.
Umgekehrt bedanke ich mich dafür - das war uns
sehr wichtig -, dass mit dieser Reform ein Beitrag dazu
geleistet wird, dass die Einrichtungen das Geld auch für
die Pflege ausgeben: dass sie nach Tarif bezahlen, dass
sie die Pflegekräfte einstellen. Das haben wir sichergestellt - auch da höre ich kein Wort des Lobes -, indem
wir in der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Tariftreue heranziehen und prüfen, ob das Geld auch tatsächlich in
der Pflege ankommt. Auch dieser Schritt war überfällig.
({3})
Somit ist das eine ausgewogene Reform, die auch die
Arbeitnehmer und die Gewerkschaften stärkt. Das ist ein
weiterer Grund, warum die Linke zustimmen sollte. Das
war schließlich - ohne dass ich jetzt eine Zeitung zitieren muss - eine Forderung, die Sie immer gestellt haben.
Dafür haben wir uns eingesetzt, und das haben wir
durchgesetzt.
({4})
Ich komme zum Schluss. In der Summe ist die Reform aus meiner Sicht ein gelungenes, komplettes Stück.
Sie bringt eine Entbürokratisierung, sie bringt eine Ausdehnung. Das ist eine gerechte Reform. Das ist eine zukunftsfeste Reform. Das ist eine Reform, die auch die
Generationengerechtigkeit in den Blick nimmt. Das ist
eine Reform, die den Angehörigen hilft, aber auch denjenigen, die in der Pflege arbeiten. Im Großen und Ganzen
ist diese Reform aus meiner Sicht ein gelungenes Gesamtwerk. Nichts ist perfekt - es wird immer Bedarf für
weitere Reformen geben; das erkennen wir an -; aber
das ist ein sehr wichtiger Schritt. Aus meiner Sicht ist
das ein großer Tag für die Pflegeversicherung in
Deutschland.
({5})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU.
Ich darf vorbeugend noch einmal darauf hinweisen:
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass vor einer oder mehreren namentlichen Abstimmungen der Geräuschpegel
etwas höher ist. Ich bitte aber dennoch, jetzt gerade auch
dem letzten Redner die gebührende Aufmerksamkeit zu
schenken.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
haben nun schon einige Rednerinnen und Redner zum
ersten Pflegestärkungsgesetz gesprochen. Ich darf nun
den Abschluss machen. Ich möchte unterstreichen, dass
wir damit endlich den ersten Schritt einer komplexen
Verbesserung der Pflege in Deutschland beschließen.
Nach 20-jährigem Bestehen der gesetzlichen Pflegeversicherung, in deren Verlauf zwar schon eine Reihe
von Weiterentwicklungen vorgenommen wurde, ist nun
diese große Reform fällig. Dabei betone ich ausdrücklich: Die Pflegereform ist als Ganzes für diese Legislatur
zu begreifen, die in verschiedenen Teilabschnitten und
-schritten Verbesserungen bringen wird.
Erstens. Das Gesetz, das wir heute verabschieden,
bringt ab dem 1. Januar 2015 deutliche Leistungsverbesserungen für hausärztliche, ambulante und stationäre
Pflege und Betreuung.
Zweitens. Auf die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, dessen gesetzliche Grundlage wir in
2015 auf Basis der beiden aktuell durchgeführten Studien schaffen, werden sich alle Beteiligten im Jahr 2016
vorbereiten können, damit dann die vollständige Umstellung 2017 gelingen kann. Das ist seriöse Politik.
({0})
Drittens. Unter einer großen Pflegereform sind in
meinen Augen auch das Pflegezeitgesetz und das geplante Pflegeberufegesetz zu verstehen.
({1})
Der eine oder andere wird sich jetzt fragen, warum
eine Pflegereform so weit zu fassen ist. Ich möchte das
nochmals ausführen. Es geht zum einen um die pflegebedürftigen Menschen, für die wir hier verbesserte und
passgenaue Leistungen anbieten. Es geht zum anderen
natürlich auch um die Angehörigen, für die wir hier Entlastungen und Unterstützungen verankern. Aber - das ist
enorm wichtig - es geht auch um die Stärkung der Männer und vor allem auch der Frauen, die Pflege zu ihrem
Beruf gemacht haben. Das ist absolut notwendig.
({2})
Für mich ist vollkommen klar, dass diese Pflegereform hier und jetzt begonnen werden muss. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Erhöhung des Beitragssatzes - vergessen wir nicht: auch vonseiten der Wirtschaft
- ist in meinen Augen Ausdruck des Reformbedarfs, den
wir in der Pflege haben und den uns die Menschen jeden
Tag zu verstehen geben. Doch klar ist auch, dass diese
große Pflegereform nicht alle bestehenden Probleme sofort verbessern oder auch sofort lösen kann; so ehrlich
müssen wir sein.
Wir werden mit dem ersten und zweiten Pflegestärkungsgesetz eine Beitragserhöhung vornehmen, die, auf
das System gerechnet, so hoch ist, wie es sie in keiner
anderen Sozialversicherungsart in den vergangenen
Jahrzehnten gegeben hat. Gleichzeitig möchte ich darauf
aufmerksam machen, dass wir für eine umfassende Pflegereform - das wurde vorher schon erwähnt - Zeit brauchen. Wir brauchen Zeit, um in einer so umfassenden
Entwicklung wie dem demografischen Wandel eine angemessene Struktur zu finden. Dies geschieht auf unterschiedlichste Art und Weise, auch auf verschiedensten
Ebenen. Aber diese Zeit benötigen wir auch für ein anderes Selbstverständnis, damit wir begreifen, was es bedeutet, alt, gebrechlich und hilfsbedürftig zu sein. In unserer Gesellschaft müssen wir auch im öffentlichen
Leben noch lernen, wie wir im Alltag damit umgehen,
wenn wir zum Beispiel Mitbürgerinnen und Mitbürgern
mit Demenz begegnen.
Wir bringen heute mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz eine Reihe von Entlastungen, gerade auch für Angehörige, auf den Weg. Ich befürworte das, weil es ein
unabdingbares Element in unserer Pflegeverbesserungsstrategie ist. Für uns als Union ist auch die Stärkung der
tariflichen Bezahlung in der Pflege sehr wichtig; denn
Qualität in der Pflege kann es nur dann geben, wenn die
in der Pflege arbeitenden Menschen in unser Reformvorhaben einbezogen werden.
({3})
Es ist daher ein Anliegen dieser Bundesregierung,
eine umfassende Reform der Ausbildung in den Pflegeberufen auf den Weg zu bringen. Diese muss von umfassenden Maßnahmen zur Stärkung der Pflegeberufe begleitet werden. Das tun wir heute.
Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung besteht
darin, dass wir durch eine Umstrukturierung der Ausbildung der Pflegeberufe besser auf die neuen Herausforderungen der Pflege vorbereiten wollen. Dieses wird im
Rahmen einer generalistischen Ausbildung erfolgen.
Aber ich warne hier auch: Wir müssen vorsichtig sein,
damit die Altenpflege nicht hinten herunterfällt.
Zugleich ist es in meinen Augen ein unhaltbarer Zustand, dass wir in Deutschland einen Fachkräftemangel
in der Pflege beklagen, Auszubildende für diese Berufe
aber oftmals in einigen Bundesländern noch persönlich
Schulgeld für ihre Ausbildung zahlen müssen. Der Missstand muss der Vergangenheit angehören.
({4})
Wer gute Pflege haben will, muss Pflegekräfte angemessen bezahlen, ihnen berufliche Perspektiven bieten und
dafür sorgen, dass sie lange, gerne und verantwortungsvoll ihren Beruf ausüben.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um eine
angemessene Versorgung pflegebedürftiger Menschen
geht, muss auch die medizinische Versorgung weiterentwickelt werden. Gerade der Ärztemangel in manchen
Regionen stellt uns hier vor Herausforderungen, die wir
für die Pflegebedürftigen angehen müssen.
Als zuständiger Berichterstatter für meine Fraktion
für zahnmedizinische Versorgung ist es mir wichtig, dass
wir schon im Rahmen dieses Gesetzes die Zahn- und
Mundgesundheit bei Pflegebedürftigen angehen. Prävention und Mundhygiene sind uns wichtig.
Zum Abschluss möchte ich schon auch noch zu dieser
Debatte über Sterbehilfe und dergleichen etwas sagen:
Unsere Antwort in dieser Diskussion ist zum einen natürlich, die Versorgung durch Hospiz- und Palliativmedizin zu steigern, vollkommen klar. Aber hier ist auch die
Pflege ein wesentlicher Ansatzpunkt, damit wir nicht nur
darüber reden, wie Menschen in Würde sterben können,
sondern dass wir auch Lösungen dafür anbieten, wie
Menschen die letzten Lebensjahre in Würde verbringen
können. Das ist uns wichtig.
({6})
Deshalb bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Es ist eine wichtige Reform in der Pflege, und es
ist ein Signal: Wir investieren in Menschen.
Danke schön.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, bitte ich
kurz um Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden zunächst
über zwei Änderungsanträge namentlich abstimmen.
Danach folgen weitere einfache Abstimmungen über
Änderungsanträge. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse
der namentlichen Abstimmungen muss ich die Sitzung
kurz unterbrechen. Danach folgen zwei weitere nament-
liche Abstimmungen und weitere einfache Abstimmun-
gen. Wir haben also eine ziemlich große Zahl an Abstim-
mungen vor uns.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Leis-
tungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorge-
fonds. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/2909, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/1798 und 18/2379 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir
zuerst abstimmen. Wir beginnen mit den beiden Ände-
rungsanträgen, zu denen namentliche Abstimmung ver-
langt wurde. Zunächst der Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/2912. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen
und mir ein Signal zu geben, sobald das geschehen ist. -
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Damit eröffne
ich die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mit-
glied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht ab-
gegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die
Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2915
namentlich ab. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? -
Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstim-
mung über den Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2915.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme für die zweite na-
mentliche Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Das
ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der namentli-
chen Abstimmung werden Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
Jetzt möchte ich Sie bitten, sich zu setzen, weil wir
mit den einfachen Abstimmungen fortfahren.
Wir kommen nun zur Abstimmung über zwei weitere
Änderungsanträge der Fraktion Die Linke.
Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Linken auf Drucksache 18/2913 abstimmen. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? - Das sind die Fraktion Die
Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Koalition. Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/2914. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das
sind die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist dieser Änderungsantrag
mit den Stimmen der Koalition und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt worden.
Ich unterbreche die Sitzung. Ich hoffe, dass wir die
Sitzung in einigen Minuten fortsetzen können.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet. Unsere Kolleginnen und
Kollegen haben sehr schnell ausgezählt. Deshalb liegen
die Ergebnisse bereits vor.
Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die
Linke bekannt: abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben
gestimmt 113, mit Nein haben gestimmt 463. Damit ist
der Änderungsantrag abgelehnt worden.
1) Ergebnis zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen Seite 5672 A
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 112
nein: 464
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({1})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({2})
Volker Beck ({3})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({4})
Christian Kühn ({5})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({7})
Axel E. Fischer ({8})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({9})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({10})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({12})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({14})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({16})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({18})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({19})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({22})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({23})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({24})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({25})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({26})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({27})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({28})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({29})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
Michael Roth ({30})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({31})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({32})
Matthias Schmidt ({33})
Dagmar Schmidt ({34})
Carsten Schneider ({35})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({36})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({37})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Kenntnis: abgegebene
Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein haben gestimmt 460. Damit ist dieser Änderungsantrag
ebenfalls abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 573;
davon
ja: 113
nein: 460
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({38})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({39})
Volker Beck ({40})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({41})
Christian Kühn ({42})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({43})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({44})
Axel E. Fischer ({45})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({46})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({47})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({48})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({49})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({50})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({51})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({52})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({53})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({54})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({55})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({56})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({57})
Sabine Weiss ({58})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({59})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({60})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({61})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({62})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({63})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({64})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({65})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({66})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
Michael Roth ({67})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({68})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({69})
Matthias Schmidt ({70})
Carsten Schneider ({71})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({72})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({73})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte nun diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der
Ausschussfassung auf den Drucksachen 18/1798, 18/2379
und 18/2909 zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke. Gibt es Enthaltungen? - Das ist
nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Zu dieser Abstimmung liegt
zusätzlich eine Reihe von schriftlichen Erklärungen
vor.1)
1) Anlagen 2 und 3
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in drit-
ter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.
Jetzt kommen wir zu den Abstimmungen über die
Entschließungsanträge, über die ebenfalls namentliche
Abstimmungen verlangt wurden, und zwar zunächst zur
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/2916. Ich bitte wiede-
rum die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze
einzunehmen. - Sind an allen Urnen die Schriftführerin-
nen und Schriftführer anwesend? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/2916.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme für die dritte namentliche Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme jetzt zur
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2917. -
Sind die Plätze an den Urnen mit den Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? - Das ist der Fall. Dann er-
öffne ich die namentliche Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/2917.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme für die vierte namentliche Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Die Ergebnisse der Abstimmungen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, werden Ihnen später bekannt
gegeben.1)
Jetzt möchte ich Sie wieder bitten, Ihre Plätze einzu-
nehmen, damit wir in der Beratung fortfahren können.
Das gilt besonders für die Kolleginnen und Kollegen, die
sich vor der Regierungsbank versammelt haben. Es wäre
nett, wenn auch Sie, meine Damen und Herren, sich set-
zen würden.
Tagesordnungspunkt 21 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Menschenrecht auf gute Pflege
verwirklichen - Soziale Pflegeversicherung solidarisch
weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/2909, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1953 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer
stimmt dagegen? - Die Fraktion Die Linke. Wer enthält
sich? - Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 21 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Deckungslücken der Sozialen
Pflegeversicherung schließen und die staatlich geförder-
ten Pflegezusatzversicherungen - sogenannter Pflege-
Bahr - abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2901, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/591 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Die Linke.
Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist
die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden.
1) Ergebnisse Seite 5680 D und 5683 A
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen
Drucksache 18/2870
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({74})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Nicole Gohlke das Wort.
({75})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das
Wintersemester hat gerade angefangen. In diesen Tagen
beginnt eine halbe Million Erstsemester ein Studium;
das ist absoluter Rekord. Für die meisten Studis heißt
das, dass sie in eine neue Stadt ziehen und sich dort eine
Bleibe suchen müssen: eine kleine Wohnung, ein WGZimmer oder einen Wohnheimplatz. Das ist dieser Tage
noch schwieriger, als den gewünschten Studienplatz zu
bekommen; denn gerade in den Hochschulstädten ist die
Lage am Wohnungsmarkt wirklich über die Maßen angespannt.
Ich komme aus München, und ich kann Ihnen sagen:
Für die 18 000 Studienanfängerinnen und Studienanfänger dort ist die Situation wirklich prekär. 13,40 Euro
kostet der Quadratmeter hier durchschnittlich. Für ein
WG-Zimmer bezahlt man um die 500 Euro. Jetzt ist
München bekanntermaßen der Spitzenreiter bei dieser
Entwicklung. Wir reden hier von einer Stadt, die sich
fast nur noch Berufsgruppen wie Börsenmakler und
Steuerberater leisten können. Aber die Situation sieht in
anderen Hochschulstädten leider kaum anders aus.
Aus der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks wissen wir, dass Studierende in Städten wie
Hamburg, Köln oder Frankfurt für Wohnraum im Schnitt
350 Euro hinblättern müssen. Der Durchschnitt für alle
Hochschulstädte liegt immer noch bei stolzen 298 Euro.
Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012. Wir alle
wissen, wie schnell die Mieten seitdem schon wieder gestiegen sind. Dass die Bundesregierung da offenbar gar
keinen Handlungsbedarf sieht, ist wirklich ein starkes
Stück.
({0})
In dem vorliegenden Antrag der Linken schlagen wir
ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor, mit denen wir die
Situation für Studierende sowie für Mieterinnen und
Mieter allgemein verbessern wollen. Man muss doch
beides zusammen angehen. Ein Sache darf nämlich nicht
passieren: Die Studierenden, die relativ oft umziehen weil sie zum Beispiel für den Wechsel zum Masterstudium wieder in eine neue Stadt müssen -, dürfen nicht
gewissermaßen zum Brandbeschleuniger für den allgemeinen Mietmarkt werden, weil Vermieter die Situation
ausnutzen und bei jeder Neuvermietung die Miete noch
einmal erhöhen.
({1})
Dazu muss ich jetzt an die Adresse der Regierung sagen: Sie platzen fast vor Stolz, weil Sie die Wohnkostenpauschale im BAföG zum Herbst 2016 - also erst in
zwei Jahren - auf gerade einmal 250 Euro anheben wollen. Das ist für diejenigen, die gerade davon ihre Miete
bezahlen sollen, ein schlechter Witz.
({2})
Noch einmal zum Mitschreiben: Wenn man 2012
- also vor zwei Jahren - beim Studieren in München
oder Köln schon 350 Euro Miete zahlen musste, wie sollen dann 250 Euro - also 100 Euro weniger - im Jahre
2016 zum Bezahlen der Miete ausreichen? Kolleginnen
und Kollegen von der Großen Koalition, Ihnen wurde in
der Debatte zum BAföG schon mehrfach gesagt - ich
sage es Ihnen jetzt hier auch noch mal -: Nutzen Sie die
aktuelle BAföG-Reform, und erhöhen Sie die Wohnkostenpauschale zum Anfang des nächsten Jahres wenigstens auf die durchschnittlichen Mietkosten.
({3})
Die nächste große Baustelle sind die Studierendenwohnheime. Die Zahl der Wohnheimplätze mit ihren
deutlich günstigeren Mieten halten nicht im Ansatz mit
der steigenden Zahl der Studierenden Schritt. Anfang
Oktober haben die Studentenwerke ihre aktuellen Zahlen
veröffentlicht. Nicht einmal mehr 10 Prozent der Studierenden haben einen Wohnheimplatz. Zum Vergleich:
Anfang der 90er-Jahre lag diese Quote noch bei 15 Prozent. Lassen Sie sich jetzt diese Zahlen einmal auf der
Zunge zergehen: Im Vergleich zu 1991 gibt es heute
bundesweit 12 000 Wohnheimplätze weniger, dafür aber
700 000 Studierende mehr. In München stehen gerade
6 800 Studierende auf der Warteliste für einen Wohnheimplatz. Aber auch hier gibt es keine Ideen und weitestgehende Tatenlosigkeit bei der Regierung!
Der Bundesbauminister der letzten Koalition, Herr
Ramsauer, hatte wenigstens zu einem Runden Tisch geladen. Es gab zwar kein Ergebnis, aber immerhin einen
Runden Tisch. Von Ministerin Hendricks haben wir zu
diesem Thema noch gar nichts gehört. Dabei benötigen
wir dringend eine Wohnheimoffensive für Studierende.
({4})
Wir als Linke schlagen ein Bund-Länder-Programm
vor, mit dem wir innerhalb der nächsten vier Jahre
45 000 neue Wohnheimplätze in Trägerschaft der Studentenwerke fertigstellen wollen. Mit ihnen wollen wir
perspektivisch zu einer Versorgungsquote von 15 Prozent zurückkommen. Bund und Länder sollen die Errichtungskosten, die für die Wohnheimplätze nötig sind, mit
60 Prozent bezuschussen. Der Bund soll dabei zwei Drittel der Kosten übernehmen. Solch eine öffentlich geförderte Maßnahme hätte auch enorme Entspannungseffekte auf dem allgemeinen Miet- und Wohnungsmarkt.
Da wollen wir doch hin. Wir wollen dahin, dass die
Städte für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen, für Geringverdienende und Studierende wieder bezahlbar und bewohnbar werden und nicht nur noch aus
Luxuslofts, überteuerten Läden und Bürogebäuden bestehen.
({5})
Deswegen wollen wir diese Maßnahmen zum studentischen Wohnen auch mit einer echten Mietpreisbremse
und dem sozialen Wohnungsbau koppeln. Darauf wird
meine Kollegin Caren Lay gleich noch eingehen.
Kolleginnen und Kollegen, das Problem der Wohnungsnot und der steigenden Mieten gerade in Hochschulstädten ist heutzutage eines der größten sozialen
Probleme. Mit einer Haltung nach dem Motto „Der
Markt wird es schon regeln“ wird man weder dem Gedanken einer sozialen Stadt gerecht noch dem Anspruch,
den Hochschulausbau mit sozialer Durchlässigkeit zu
verbinden. Es wird immer mehr zu einer sozialen Frage,
ob man überhaupt noch in Städten wie München, Köln
oder Frankfurt studieren kann. Darauf muss diese Regierung eine Antwort geben.
Vielen Dank.
({6})
Als nächste Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Sylvia Jörrißen das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken gibt
uns heute Anlass, über zwei wesentliche Bereiche zu
diskutieren, die unser gesellschaftliches Leben in
Deutschland ausmachen: Wohnen und Bildung. Eine angemessene Versorgung mit Wohnraum gehört zweifelsohne zu den Grundbedürfnissen im Hinblick auf ein
menschenwürdiges Leben. Der vorliegende Antrag befasst sich mit dem studentischen Wohnen und stellt damit eine Querverbindung zum Bereich „Bildung“ her.
Bildung ist das Grundkapital der Gesellschaft. Bildungsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes. Dafür macht sich
die Große Koalition stark.
Meine Damen und Herren, der Antrag der Linken
geht auf ein Problem ein, das uns nicht nur bekannt ist,
sondern auf das wir bereits reagieren. Lassen Sie mich
auf einzelne Punkte eingehen.
Die großen deutschen Städte erfahren derzeit einen Ansturm junger Menschen. Diese ziehen in die Metropolen,
da sich dort gute Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten
sowie Kultur- und Freizeitangebote konzentrieren. Bei
Studierenden ist diese Entwicklung besonders deutlich.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes belief sich
die Zahl der Studierenden für das vergangene Wintersemester auf insgesamt über 2,6 Millionen. Seit 2003 bedeutet das eine Steigerung von über einem Drittel. Dies
ist zuallererst eine positive Nachricht. Ich bin sehr froh
darüber, dass sich heute so viele junge Menschen dazu
entschließen, ein Studium aufzunehmen.
({0})
Gerade im Hinblick auf den uns bevorstehenden
Fachkräftemangel brauchen wir sehr gut ausgebildete
Nachwuchskräfte. Zunächst muss festgehalten werden,
dass sich der Zuwachs an Studenten keineswegs gleichmäßig auf die Universitätsstädte verteilt. Eine aktuelle
Studie hat die Wohnungssituation von 81 Hochschulstädten in Deutschland verglichen und in einem Ranking
dargestellt. Ja, die Studie sieht eine Verschärfung der
Wohnsituation für Studierende, jedoch konzentriert auf
einige Städte. Angeführt wird das Ranking von München, Hamburg und Frankfurt. Daneben werden aber
auch Hochschulstädte mit wenig angespanntem Wohnungsmarkt aufgezeigt. Für mich wird daraus deutlich,
dass hier nur maßgeschneiderte und zielgerichtete Lösungen wirkungsvoll sind. Darauf setzt die Regierungskoalition. Eine flächendeckende Mietpreisbremse, wie
es die Linke fordert, wäre keineswegs eine adäquate
Maßnahme, um den Wohnungsmangel in einigen Metropolen zu bekämpfen.
({1})
Wir haben gemeinsam mit der SPD eine Mietpreisbremse entwickelt, die gezielt den Druck aus den überhitzten Märkten nimmt. Sie ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass Mieten auch für Normalverdiener bezahlbar
bleiben.
({2})
Mietsteigerungen von 30 bis 40 Prozent, die in manchen
Ballungsräumen teilweise zur Praxis gehörten, ist nun
ein Riegel vorgeschoben. Mieten dürfen in Zukunft die
ortsübliche Vergleichsmiete nur noch höchstens um
10 Prozent übersteigen. Entscheidend dabei ist, dass dort
die Länder und Kommunen verpflichtet werden, Maßnahmen zu entwickeln, die die Ursachen des Problems
bekämpfen. Die Mietpreisbremse ist ein Instrument, das
die Symptome lindert. Langfristig löst sie allerdings unsere Probleme nicht; denn sie baut keine einzige neue
Wohnung.
({3})
Der Bau neuer Wohnungen ist und bleibt das einzige
Mittel, um den Wohnungsmangel in den Griff zu bekommen.
({4})
Die Mietpreisbremse darf also keine Investitionsbremse
sein. Deshalb muss der Neubau ausgenommen sein.
({5})
Meine Damen und Herren, wir müssen ein Klima
schaffen, in dem Investitionen in den Neubau getätigt
werden, und das zu bezahlbaren Preisen. In diesem Zusammenhang sollten wir auch darüber nachdenken, ob
sich steuerliche Begünstigungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt realisieren lassen.
({6})
Auf diese Weise könnten Investitionen genau dort, wo
Angebot und Nachfrage weit auseinanderfallen, angeregt werden.
Doch auch an anderer Stelle greift der Bund unterstützend ein. Aktuell werden die BAföG-Regelungen überarbeitet. Der Entwurf des 25. BAföG-Änderungsgesetzes sieht vor, die Bedarfssätze generell um 7 Prozent zu
erhöhen. Der Wohnzuschlag wird überproportional auf
250 Euro angehoben. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um den gestiegenen Mietkosten Rechnung zu tragen.
({7})
Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass die Situation auf dem studentischen Wohnungsmarkt derzeit in
einigen Städten sehr angespannt ist. Bund und Länder
reagieren bereits. Allerdings ist es auch wichtig, die mittel- und langfristige demografische Entwicklung nicht
außer Acht zu lassen. Die gestiegene Zahl der Studienanfänger ist begründet im Aussetzen der Wehrpflicht
und der Einführung der achtjährigen Gymnasialzeit. Die
Studentenzahlen werden in wenigen Jahren schon wieder rückläufig sein. Für langfristige Lösungsansätze bedarf es daher auch Planungen über die mögliche
Nachnutzung von Gebäuden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie fordern in Ihrem Antrag den Bau von 100 000 zusätzlichen
Wohnheimplätzen zu Kosten von 60 000 Euro pro Platz.
Der Bund soll davon 60 Prozent übernehmen. Offen
bleibt jedoch, woher in Zeiten der Haushaltskonsolidierung ein Betrag von 3,6 Milliarden Euro kommen soll.
Wir leben hier nicht im Lande „Wünsch dir was“. Das
Allerwichtigste, was wir für die kommende Generation
tun können, ist, einen ausgeglichenen Haushalt ohne
Neuverschuldung zu präsentieren.
({8})
Nebenbei sei hierzu noch gesagt, dass Sie mit den
Vorschlägen über wilde Kreuz- und Quersubventionen in
Ihrem Antrag unser föderales System aushebeln. Seit der
Föderalismusreform 2006 tragen die Länder die ausschließliche Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung und damit auch für den Bau von Wohnraum
für Studierende. Die Länder erhalten bis Ende 2019
518 Millionen Euro jährlich aus Kompensationsmitteln.
Diese Mittel müssen jedoch auch für den vorgesehenen
Zweck eingesetzt werden. Hier muss an die Verantwortung der Länder appelliert werden.
Unbeschadet der Zuständigkeit der Länder sieht die
Große Koalition es als ihre gesellschaftspolitische Aufgabe, einen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten,
und setzt ihre Aktivitäten zur Schaffung von zusätzli5678
chem studentischen Wohnraum fort. Dazu hat das Bauministerium das Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen ins Leben gerufen. Im Juli 2014 fand unter der
Leitung der Ministerin die erste Sitzung statt. Beteiligt
sind Vertreter aller föderalen Ebenen und zahlreiche Verbände rund um das Thema „Wohnen und Bauen“. Damit
sitzen alle beteiligten Akteure an einem Tisch. Das ist
wichtig, um langfristige und zukunftssichere Lösungen
zu entwickeln. Handlungsschwerpunkte sind, bezahlbare
Mieten und eine soziale Sicherung des Wohnens zu erreichen. Eine besonders wichtige Rolle messe ich der
Baukostensenkungskommission bei;
({9})
denn nur wenn das Bauen bezahlbar ist, sind es auch die
Mieten.
({10})
Ich setze große Hoffnungen auf das Bündnis und erwarte, dass zügig Lösungen präsentiert und umgesetzt
werden.
({11})
Nur so lässt sich in dem in Schieflage geratenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wieder ein Gleichgewicht herstellen, besonders im Interesse der Studierenden in unserem Land. Meine Damen und Herren, Sie
sehen: Wir haben das Problem erkannt, arbeiten an zielgerichteten und wirkungsvollen Maßnahmen und haben
bereits vieles in die Tat umgesetzt.
Danke schön.
({12})
Als nächster Redner hat der Kollege Kai Gehring das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin und Bildungsministerin
a. D.! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Lust auf ein Studium ist
ungebrochen. Rund eine halbe Million neue Studierende
wird 2014 an den Hochschulen erwartet. Die meisten
von ihnen starten in diesen Tagen ins Wintersemester.
Wir wünschen allen Erstsemestern ein gutes und erfolgreiches Studium!
({0})
Damit aus Anfängern auch Absolventen werden,
müssen die Studienbedingungen flächendeckend verbessert werden. Studierende brauchen nicht nur einen Studienplatz, sondern sie brauchen auch einen Platz im Hörsaal und im Seminarraum. Sie brauchen Bibliotheken
und Mensen, eine Studienberatung, und sie brauchen ein
Dach über dem Kopf. Ein erfolgreiches Studieren erfordert eine verlässliche soziale Infrastruktur auf dem Campus.
({1})
Mithilfe des Hochschulpaktes zwischen Bund und
Ländern konnten seit 2010 sehr viele zusätzliche Studienplätze zur Verfügung gestellt werden. Ende Oktober
ist hoffentlich eine Einigung über die dritte Paktphase
für die Jahre 2016 bis 2020 erzielt. Das ist auch unerlässlich, damit Studienberechtigte, Hochschulen und letztlich auch Hochschulstädte klare Perspektiven haben.
Statt Studienplatzmangel braucht es Chancen für alle.
({2})
Mit dem Hochschulpakt allein ist der erfreuliche Studierendenboom, der übrigens auch im nächsten Jahrzehnt anhalten wird, nicht zu bewältigen, liebe Koalition. Es fehlt auch eine zügige BAföG-Erhöhung. An
vier Jahre ohne Anpassung will diese Koalition zwei
weitere Jahre mit Nullrunden dranhängen. Diese Warteschleife für Studierende müssen Sie stoppen. Zwölf Semester ohne BAföG-Erhöhung - das geht doch nicht.
({3})
Auch deshalb steht eine echte soziale Öffnung der
Universitäten und Fachhochschulen noch aus. Genau
deswegen haben wir zusätzliche Hürden wie Studiengebühren in den Ländern mittlerweile flächendeckend abgeschafft, - und das war auch gut so. Wir wollen mehr
Bildungsgerechtigkeit
({4})
Wir brauchen endlich mehr soziale Vielfalt im Hörsaal.
Wir brauchen breitere Zugänge zum Campus für unterrepräsentierte Gruppen. Wir brauchen mehr junge Menschen, die als Erste aus ihren Familien studieren.
Dabei, meine Damen und Herren, hilft auch der Ausbau sozialer Infrastrukturen in den Hochschul- und Unistädten. Dazu zählt eben auch das studentische Wohnen.
Hier kann und muss auch der Bund endlich einen Beitrag
leisten.
({5})
Nahezu alle Hochschulstädte berichten von Wohnungsknappheit und sehr langen Wartelisten bei Studierendenwohnheimen. Auf dem freien Wohnungsmarkt haben es
Studierende und einkommensarme Gruppen insgesamt
schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Die Bundesregierung muss deshalb endlich mit konkreten Initiativen
kommen und nicht, wie meine Kollegin vorher, nur die
Hoffnung beschwören. Hier darf man nicht die Hände in
den Schoß legen, sondern muss konkret werden.
Für weniger als 10 Prozent aller Studierenden bundesweit stehen Wohnheimplätze zur Verfügung. Die
Länder haben das Problem mittlerweile erkannt, und die
meisten investieren sehr fleißig in den Bau neuer Wohnheime.
({6})
Beispiel Nordrhein-Westfalen: Die CDU-FDP-Vorgängerregierung unter Ministerpräsident a. D. Rüttgers hatte
den Wohnheimbau schlicht komplett vernachlässigt. Unter Rot-Grün geht‘s aufwärts:
({7})
Zwei Wohnheimbauprogramme mit einem Gesamtvolumen von 80 Millionen Euro hat die Landesregierung
Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht.
({8})
Über 3 000 Wohnheimplätze sind damit im Bau. RotGrün bringt damit NRW in die Spitzengruppe bei der
Versorgung mit Wohnheimplätzen zurück. Nach der
schwarz-gelben Rüttgers-Delle ist das auch dringend
notwendig. Das ist eine gute Nachricht für die Studierenden im Land.
({9})
Zweites gutes Beispiel: Baden-Württemberg. Schon
2 200 Wohnheimplätze mehr als 2011 gibt es im Ländle.
Über 1 700 Wohnheimplätze sind im Bau bzw. in Planung. Mit einer Versorgungsquote von knapp 13 Prozent
ist Baden-Württemberg Spitzenreiter der westdeutschen
Bundesländer. Das, meine Damen und Herren, ist vorbildliches Länderhandeln.
({10})
Den vielfältigen Aktivitäten der Länder steht Tatenlosigkeit der Bundesregierung gegenüber. Ein Paradebeispiel dafür sind die runden Tische bei Ex-Bauminister
Ramsauer; 2012 und 2013 haben mehrere davon stattgefunden. Außer Vorwürfen an die Länder gab es einzig
und allein einen Prüfauftrag: Es sollte geprüft werden,
Studierende in alten, leerstehenden Kasernen unterzubringen. Gehört hat man davon aber eigentlich nichts
mehr. Kreative Kommunen haben das sowieso längst getan. Wir sagen: Studierende brauchen ein Dach über dem
Kopf - keine Inszenierung von Aktionismus, keine
neuen runden Tische, sondern endlich Lösungen.
({11})
Nichtstun ist also keine Option, liebe Koalition. Daher sind wir sehr gespannt auf neue, frische Initiativen
von Bundesbauministerin Hendricks. Insofern greift der
Antrag der Linksfraktion natürlich ein wichtiges Thema
auf und weist in die richtige Richtung, auch wenn wir in
einzelnen Punkten nicht mitgehen können.
Studentenbuden in Leipzig, Görlitz, Hamburg oder
München sind sehr unterschiedlich teuer. Deswegen haben wir als Grüne in der vergangenen Sitzungswoche beantragt, die regional unterschiedlichen Mietstufen des
Wohngeldgesetzes im BAföG zu verankern. Das wäre
deutlich zielgenauer und gerechter als die derzeitige
bundeseinheitliche und viel zu niedrige Pauschalierung.
Also zurück zur regionalen Staffelung! Das wäre gerechter.
({12})
Wir haben in der letzten Wahlperiode ergänzend zum
Hochschulpakt einen Aktionsplan zum studentischen
Wohnen vorgeschlagen, damit Studierende nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Wohnraum vorfinden.
Dazu gehört natürlich auch, Zwischennutzungen von
Bundesliegenschaften endlich zu erleichtern. Anstatt ungenutzte und leerstehende Gebäude des Bundes an private Investoren zu verkaufen, die dort zum Beispiel
teure Eigentumswohnungen hochziehen, sollten diese
Gebäude für günstiges studentisches Wohnen geöffnet
werden. Der Bund muss also endlich von seiner Zuschauertribüne herunterkommen. Studentische Wohnungsnot müssen Bund und Länder gemeinsam überwinden.
Es gibt viele Ideen. Wir warten auf Ihre Initiativen.
Jetzt braucht es einen gemeinsamen Vorstoß der Bundesbauministerin und der Bundeswissenschaftsministerin.
Darauf warten wir, und wir machen weiterhin Druck;
denn studentisches Wohnen muss bezahlbar bleiben.
({13})
Als nächster Redner hat der Kollege Michael Groß
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema Wohnungsnot ist über die Zeit der Einschreibung
hinaus ein wichtiges Thema. Ich schließe mich gerne
den Wünschen an, dass die jetzt beginnenden Studentinnen und Studenten ihr Studium gut durchziehen und erfolgreich abschließen mögen.
Ich selber bin ein betroffener Vater. Meine Tochter hat
gerade eine Wohnung in Essen gefunden. Ich stelle fest:
In Essen sieht die Welt völlig anders aus als in München
oder Köln; das müssen wir berücksichtigen. In Essen
findet man noch Wohnraum für 6 Euro pro Quadratmeter. Wir haben gehört, dass der Preis in München
ebenso wie in Köln bei 14 Euro pro Quadratmeter liegt.
Es ist wichtig, dass wir hier punktgenaue Lösungen finden.
Aufstieg durch Bildung, sozialer Aufstieg durch Bildung, ein selbstbestimmtes Leben durch Bildung - das
ist das Ziel, das wir Sozialdemokraten seit mehr als
150 Jahren verfolgen, und der Lebensalltag gibt uns
recht: Das ist eines der wichtigsten Ziele.
({0})
Wohnen - das wurde schon beschrieben - ist eine
wichtige Grundlage für ein erfolgreiches Leben. Wohnen
darf aus unserer Sicht nicht zu einem Luxusgut werden,
sondern Wohnen muss sozial eingebettet sein. Wir wollen ein bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt. Deswegen beobachten wir mit großer Sorge die Entwicklung
in den Großstädten und den Hochschulstädten. Studentinnen und Studenten befinden sich mit anderen Wohnungsuchenden in Konkurrenz um den knappen Wohnraum. Natürlich muss auch die Frage gestellt werden:
Können sie den Wohnraum noch bezahlen?
Laut Statistik werden zurzeit 11 000 Studentenwohnheime geplant bzw. gebaut. Aber bei einer Versorgungsquote von 10 Prozent reicht das bei weitem nicht aus.
Wir alle wissen, dass wir Partner und Akteure brauchen.
Deswegen sind wir Frau Ministerin Hendricks sehr
dankbar, dass sie sehr schnell das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen in Angriff genommen hat. Unser
gemeinsames Ziel ist es, mit dem Ministerium einen runden Tisch einzuberufen - obwohl er gerade kritisiert
wurde -, und zwar mit allen Akteuren, vom Mieterbund
bis zur Wohnungswirtschaft, um passgenaue Lösungen
für die Städte zu finden. Ich bin mir ganz sicher, dass wir
das Ziel gemeinsam mit Frau Hendricks und dem Ministerium schnell erreichen werden.
({1})
Das ist umso wichtiger, weil die Studentenzahlen
enorm gestiegen sind, was wir natürlich sehr begrüßen.
Waren es zur Jahrtausendwende noch circa 1,8 Millionen Studierende, so sind es heute mehr als 2,4 Millionen
Studierende. Man muss aber bedenken: Etwa ein Drittel
der Studentinnen und Studenten wohnt in den eigenen
vier Wänden, etwa ein Viertel wohnt bei den Eltern, ein
Viertel lebt in Wohngemeinschaften und der Rest sucht
sich in Studentenwohnheimen ein Zuhause.
Der Bund arbeitet aktuell an einer umfangreichen Novelle zum BAföG. Die Bundesregierung bzw. das Parlament haben in den letzten Wochen sehr viele wohnungsbaupolitische, städtebaupolitische und mietrechtliche
Verbesserungen beschlossen, um die Wohnsituation zu
verbessern.
Wir werden den Anstieg der Mietpreise in den von
den Ländern auszuweisenden Regionen bremsen. Davon
werden nach unseren Schätzungen circa 5 Millionen
Wohnungen betroffen sein. 500 000 Mieter, darunter
auch viele Studentinnen und Studenten, werden davon
profitieren, dass die Mietpreise nicht mehr exorbitant
wachsen können.
Es gefällt mir sehr gut, dass eben Nordrhein-Westfalen gelobt wurde. Man muss natürlich auch den Blick
nach Baden-Württemberg richten. Der NRW-Bauminister, mit dem ich heute sprechen konnte, und Nils Schmid
haben gesagt, sie werden die Mietpreisbremse in den
entsprechenden Regionen anwenden.
({2})
Wir haben uns in der Koalition darüber hinaus darauf
verständigt, die Städtebauförderung mit 700 Millionen
Euro zu unterstützen. Wir wollen uns insbesondere um
die Bereiche Energieeinsparung und Energieeffizienz
kümmern und die entsprechenden Vorhaben zeitnah in
die Beratung einbringen; denn wir wissen, dass die
„zweite Miete“ bei den Wohnkosten eine große Rolle
spielt.
Ebenso wollen wir die Genossenschaften fördern. Wir
brauchen aber auch starke Städte mit starken Wohnungsbaugesellschaften, die als Korrektiv vor Ort auftreten
können. Schließlich brauchen wir auch die Privatvermieter und die Wohnungswirtschaft. Der Staat - das wurde
gerade schon angesprochen - kann das alles nicht alleine
lösen. Ich will aber sehr deutlich betonen, dass die Wohnungswirtschaft nicht als Spielfeld genutzt werden darf,
weil die Renditen auf dem Finanzmarkt ausfallen. Das
müssen wir verhindern.
({3})
Wichtige Akteure bleiben die Länder und die Städte.
Wir brauchen starke Städte; das habe ich schon gesagt.
Die Länder sind verantwortlich für die Schaffung von
Wohnraum und für die Förderung von sozialem Wohnraum. In diesem Zusammenhang will ich noch auf einen
Punkt eingehen: Der Bund muss Vorbild sein; er muss
mit seinen Liegenschaften vorbildhaft umgehen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Liegenschaften verbilligt an Städte und Gemeinden abgeben
wollen, um Wohnraum zu schaffen. Wir müssen auch
vorbildhaft mit unseren Wohnungen umgehen. Dabei
geht es um die Qualität der Wohnungen und um die energetische Sanierung.
Wir brauchen also alle Akteure. Wir brauchen Lösungen, die passen. Wir wollen mit Menschen für Menschen
bauen - in einer sozialen Stadt.
Herzlichen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in der
Debatte fortfahren, möchte ich Ihnen kurz die von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen zur Kenntnis bringen.
Zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2916:
An der Abstimmung über diesen Entschließungsantrag
der Linken haben sich 577 beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 55, mit Nein haben gestimmt 465 und enthalten
haben sich 57 Kollegen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 55
nein: 464
enthalten: 57
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({0})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({2})
Axel E. Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({5})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({8})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({21})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
Michael Roth ({25})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({27})
Matthias Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Carsten Schneider ({30})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({31})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({32})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({33})
Volker Beck ({34})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Christian Kühn ({36})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Bei der vierten namentlichen Abstimmung ging es um
den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/2917: Es sind insgesamt
576 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt
112 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 464 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist auch
dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 112
nein: 464
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({37})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({38})
Volker Beck ({39})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({40})
Christian Kühn ({41})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({42})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({43})
Axel E. Fischer ({44})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({45})
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({46})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({47})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({48})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({49})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({50})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({51})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({52})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({53})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({54})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({55})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({56})
Sabine Weiss ({57})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({58})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({59})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({60})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({61})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({62})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({63})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({64})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({65})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
Michael Roth ({66})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({67})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({68})
Matthias Schmidt ({69})
Dagmar Schmidt ({70})
Carsten Schneider ({71})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({72})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({73})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Wir fahren in der Debatte fort. Der Kollege Dr. JanMarco Luczak erhält das Wort.
({74})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren und - das kann man bei dieser Debatte sagen liebe Studenten in unserem Land! Ich möchte eines vorwegschicken: Die Union will, dass sich auch weiterhin
viele junge Menschen dafür entscheiden, ein Studium
aufzunehmen.
({0})
Die Union will, dass sich Menschen qualifizieren und
dadurch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. So
erarbeiten sie sich Perspektiven für ihre Zukunft und für
ein gutes Leben. Natürlich müssen wir als Politiker dafür
sorgen, dass die Rahmenbedingungen richtig gesetzt
sind. Ein Studium darf keine unzumutbaren finanziellen
Belastungen mit sich bringen. Niemand soll aus Geldmangel von einem Studium abgehalten werden.
Deswegen unternimmt die Bundesregierung sehr viel,
um Studenten zu helfen. Das könnte die Linke ruhig einmal zur Kenntnis nehmen. Ich kann überhaupt nicht
nachvollziehen, dass die Kollegin Gohlke am Anfang ihrer Rede sagte, dass die Bundesregierung auf diesem Gebiet keinen Handlungsbedarf sehen würde. Wir tun in
der Tat sehr viel; darauf ist gerade schon hingewiesen
worden. Wir haben kürzlich intensiv über das BAföG
diskutiert und beschlossen, die Bedarfssätze um immerhin 7 Prozent anzuheben
({1})
und den Wohnzuschlag auf immerhin 250 Euro anzuheben. Damit stehen den Studenten, die BAföG beziehen,
monatlich bis zu 735 Euro zur Verfügung.
Wir machen noch viel mehr: Die Freibeträge vom
Einkommen der Eltern heben wir deutlich an, sodass bis
zu 110 000 Studenten mehr in den Genuss von BAföG
kommen.
({2})
Auch die Hinzuverdienstgrenzen haben wir erhöht. Den
Kinderbetreuungszuschlag haben wir erhöht. Die Vermögensfreibeträge werden erhöht. - Das ist eine ganze
Menge. Wir können also wirklich sagen: Der Bund
nimmt seine Verantwortung sehr ernst, und er nimmt sie
auch wahr. Dafür werden wir immerhin über 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Ab 2016 wird es noch
einmal mehr sein. Ich finde, das kann man ruhig einmal
zur Kenntnis nehmen. Das, was der Bund an dieser
Stelle macht, ist keine Kleinigkeit.
({3})
Es hätte mich aber auch gewundert, wenn die Linke
trotz dieser Anstrengungen, die der Bund bereits unternimmt, nicht wieder gerufen hätte: Wir wollen mehr!
Wir wollen mehr! Wir wollen mehr! - Das Rufen nach
mehr Staat, das Rufen nach mehr Geld ist ein wiederkehrender Reflex bei den Linken. Das scheint in der DNA
Ihrer Partei verankert zu sein. Das wird es mit uns aber
in dieser Form nicht geben.
Ich will ein Beispiel der Forderungen der Linken nennen. Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass die
Kompensationsmittel des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau - immerhin sind es derzeit fast
700 Millionen Euro - um weitere 270 Millionen Euro erhöht werden sollen. Das ist eine Steigerung von immerhin fast 40 Prozent. Ich darf Sie erinnern: Dieses Geld,
das Sie hier verteilen wollen, muss erst einmal erwirtschaftet werden, bevor es ausgegeben werden kann.
({4})
Man muss sagen: Wir haben natürlich gegenüber den
Studierenden Verantwortung, aber wir haben auch Verantwortung gegenüber allen Menschen in unserem Land,
gegenüber den heranwachsenden nächsten Generationen. Dieser Verantwortung werden Sie mit Ihrem Ruf
nach mehr Staat, nach mehr Geld und damit nach immer
mehr Schulden nicht gerecht. Das blenden Sie völlig aus.
({5})
Das wird es in einer unionsgeführten Bundesregierung
nicht geben. Wir legen hier das erste Mal seit Jahrzehnten einen ausgeglichenen Haushalt vor.
({6})
Diese schwarze Null steht. Damit werden wir unserer
Verantwortung für die Menschen in unserem Land gerecht. Deswegen wird an dieser schwarzen Null auch
nicht gerüttelt.
({7})
Richtig ist: Die Wohnkosten stellen natürlich einen
erheblichen Teil der Belastungen für Studierende dar.
Gerade in Hochschulstädten, in Ballungszentren, dort,
wo wir attraktive Universitäten haben, ist das in der Tat
ein Problem. Das ist uns aber sehr wohl bewusst. Wir
brauchen die Linken nicht, um uns darauf hinzuweisen.
({8})
Wir tun über das BAföG hinaus schon viel. Ich weiß
nicht, ob es Ihnen entgangen ist, aber es ist schon in der
Diskussion erwähnt worden. Wir haben gerade eine
Mietpreisbremse durch das Kabinett gebracht, mit der
genau auf diese Zuspitzung in den angespannten Wohnungsmärkten und damit auch in den Universitätsstädten
reagiert werden soll.
({9})
- Vielen Dank den Kollegen von der SPD.
Auch für uns als Union ist völlig klar, dass Wohnen
für Studenten, aber auch für alle anderen Menschen in
unserem Land bezahlbar bleiben muss. Wir wollen nicht,
dass Menschen aus ihren angestammten Kiezen verdrängt werden. Uns unterscheidet von Ihnen aber Folgendes: Wir haben ganz andere Auffassungen davon,
wie wir dieses Ziel erreichen wollen. Man muss schon
sagen: Wenn ich mir die Wohnungsbaupolitik und die
Vorschläge der Linken anschaue, denke ich, dass wir bis
1989 gesehen haben, welches Ergebnis dabei herauskommt, nämlich zerfallene Wohnbestände.
({10})
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich will jedenfalls
nicht zu einer solchen Situation zurück.
({11})
Insofern muss man sagen: Diese Polemik, die man
zum Teil auch in Ihrem Antrag findet - auf der einen
Seite der raffgierige Vermieter und auf der anderen Seite
der schutzlos dem Wohnungsmarkt ausgelieferte Mieter -,
trifft einfach nicht die Realität.
({12})
Es kann doch nicht darum gehen, Vermieter und Mieter
gegeneinander auszuspielen. Unser Ziel muss es doch
sein, ein vernünftiges Miteinander zu erreichen. Das haben wir in unserem Land mit wirklich ausgewogenen
mietrechtlichen Regelungen geschafft und sichergestellt.
Mit diesem guten Mieterschutz, den wir in unserem
Land haben, brauchen wir uns vor keinem anderen Land
zu verstecken. Das ist so, und das wird auch in Zukunft
so bleiben.
({13})
Ich will noch zwei Dinge zur Mietpreisbremse sagen.
Wir haben sie jetzt gerade durch das Kabinett gebracht.
Wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Ich persönlich finde an dieser Stelle ganz wichtig - das haben
wir immer gesagt -: Wenn man nach den Ursachen von
steigenden Mieten fragt, kommt man ganz schnell zu der
Erkenntnis, dass das einzige Mittel, das den Mietern
wirklich nachhaltig hilft, mehr Wohnungsneubau ist.
Deswegen ist es, glaube ich, sehr, sehr gut, dass wir auf
unser Drängen hin erreicht haben, dass Neubauten im
Kabinettsentwurf jetzt ausgenommen werden. Damit
senden wir ein Signal an diejenigen, die Geld in die
Hand nehmen wollen, die Wohnungen neu bauen wollen
und die damit dafür sorgen, dass das Angebot auf den
Wohnungsmärkten verbreitert wird und somit die Mieten
nicht mehr so stark steigen müssen. Sie haben nun weiterhin Planungssicherheit. Deswegen ist es gut, dass
Neubauten aus diesem Entwurf herausgenommen worden sind.
Wir sind jetzt im parlamentarischen Verfahren. Da
wird es naturgemäß immer noch Änderungen geben. Es
gibt ein paar Punkte, die mir persönlich noch wichtig
sind. Dabei geht es zum Beispiel darum, welche Kriterien man zugrunde legt, um herauszufinden, was eigentlich ein angespannter Wohnungsmarkt ist. Wir müssen
uns, glaube ich, noch einmal darüber unterhalten, welche
Bezugsgrößen genannt werden und ob es richtig ist, auf
den Bundesdurchschnitt abzustellen. Wir müssen,
glaube ich, auch schauen, dass das ein Instrument wird,
das Rechtssicherheit schafft. Ich denke zum Beispiel an
die Frage: Inwieweit können wir qualifizierte Mietspiegel bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranziehen? Ich glaube, wir müssen uns auch
noch einmal Gedanken machen, ob, wenn Vermieter
Geld in die Hand nehmen und ihre Wohnungen modernisieren, sich das nicht in irgendeiner Form über den Begriff der umfassenden Modernisierung hinaus widerspiegeln muss.
Ich will nur sagen: Wir sind da trotzdem auf einem
guten Weg - der jedenfalls viel besser ist als all das, was
die Linke uns hier vorstellt. Wenn die Linke fordert,
Mietsteigerungen nur noch in Höhe der Inflation zuzulassen, sollten wir uns einmal fragen: Was passiert denn,
wenn wir diesen Vorschlag umsetzen? Jeder Vermieter
würde doch hingehen und eine indexbasierte Miete vereinbaren, das heißt: Steigt die Inflation, steigt die Miete
ganz automatisch. Das würde passieren, wenn wir diesen
Vorschlag umsetzten.
Man muss auch sehen: Wie haben sich denn in der
Vergangenheit die Kaltmieten im Verhältnis zur Inflation
entwickelt? In den letzten 20 Jahren ist die Inflation viel
höher gewesen als der Anstieg der Kaltmieten, das heißt,
was die Linke uns hier vorschlägt, wäre im Endeffekt sogar kontraproduktiv für die Mieter - da werden sich die
Mieter in unserem Land wahrscheinlich bedanken. Der
Vorschlag ist also in der Sache völliger Unsinn; deswegen werden wir das auch nicht mitmachen, meine Damen und Herren.
({14})
Ich will am Schluss einen einzigen Punkt aus dem
Antrag der Linken aufgreifen, der in der Tat überlegenswert ist.
({15})
Sie schlagen vor, dass der Bund sich überlegt, wie er mit
seinen Liegenschaften umgeht. Das ist die Diskussion
im Zusammenhang mit der BImA: Wie können wir
- möglicherweise über die gesetzlichen Regelungen, die
wir im BImA-Gesetz und in der Bundeshaushaltsordnung haben, hinaus - dafür sorgen, dass bezahlbarer
Wohnraum in angespannten Wohnungsmärkten auch zur
Verfügung gestellt wird?
({16})
Ich bin sehr dafür, dass wir uns dem Ziel verschreiben
- und das tut die Bundesregierung ja auch -, bezahlbaren
Wohnraum zu schaffen. Dafür brauchen wir aber eine
Gesamtstrategie; das heißt, wir dürfen nicht nur über die
Mietpreisbremse diskutieren - durch die wir letztlich
den privaten Eigentümern Verantwortung aufbürden -,
sondern müssen auch schauen, was wir als Bund tun
können.
({17})
Deswegen bin ich persönlich sehr dafür - auch aus meiner Perspektive hier aus Berlin -, dass wir uns anschauen, ob wir nicht das BImA-Gesetz und die Bundeshaushaltsordnung anreichern müssen um Kriterien, bei
denen es um wohnungspolitische Gesichtspunkte und
um Stadtentwicklungsgesichtspunkte geht.
({18})
Es ist, glaube ich, vernünftig und richtig, wenn wir hierfür eine Gesamtstrategie entwickeln. Darüber werden
wir uns in der Koalition noch verständigen.
Unter dem Strich, meine Damen und Herren: Was die
Linke uns hier vorschlägt, ist kontraproduktiv für die
Mieter und beseitigt die Probleme, die wir haben, in keiner Weise. Deswegen werden wir diesem Antrag auch
nicht zustimmen.
Danke schön.
({19})
Als nächster Redner in dieser Debatte hat die Kollegin Caren Lay das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst einmal stelle ich fest: Das Problem ist nicht zu leugnen.
Wer jetzt zu Semesterbeginn in die Zeitungen schaut
oder die Meldungen der ASten zur Grundlage nimmt,
der liest: Tausende stehen auf den Wartelisten der Wohnheime in Berlin. In anderen Städten - wie in Mainz, in
Greifswald, in Heidelberg - gibt es das sogenannte
Couchsurfing als wirklich tollen Start in das Studium. In
manchen Städten berichten die ASten sogar davon, dass
Studierende in Turnhallen übernachten müssen. In Düsseldorf gibt es inzwischen die sogenannten Kellerkinder:
Sie übernachten im Souterrain von Wohnheimen. In Göttingen hat eine Initiative sogar Zeltlager als Notunterkünfte für Erstsemester aufgestellt. - All diese Studierenden, meine Damen und Herren, können sich von der
schwarzen Null der Koalition wirklich überhaupt nichts
leisten.
({0})
Wir führen heute keine haushaltspolitische Debatte
- das ist klar -; aber weil hier immer wieder behauptet
wird, dass die Linke das Geld zum Fenster herauswerfen
wolle und gar kein Geld da sei, will ich nur sagen: Ich
kann es nicht mehr hören, wie hier seit Jahren und Jahrzehnten Studierenden und Rentnern gesagt wird, sie sollen den Gürtel enger schnallen. Nein, meine Damen und
Herren, das Geld ist da, es befindet sich nur in den falschen Händen - bei den Vermögenden und bei den Reichen -, und da wollen wir als Linke auch ran.
({1})
Es ist völlig klar, dass wir hier ein ganzes Bündel von
Maßnahmen brauchen. Ich kann allerdings nicht erkennen, was die Koalition in dieser Legislaturperiode Großartiges getan hätte, dass sie sich damit brüsten könnte.
Nehmen wir die Mietpreisbremse, die ja im Übrigen
noch gar nicht in diesem Parlament eingebracht wurde.
Die Idee ist schön, wir unterstützen sie. Nur, so wie es
die Koalition jetzt plant, wird das einfach nichts werden.
Das beginnt damit, dass die Umsetzung der Mietpreisbremse von den Bundesländern abhängen wird. Das
heißt, die CDU- und CSU-geführten Länder können sich
dann einfach verweigern, und im Ergebnis wird die
Mietpreisbremse in Städten wie München, Bamberg,
Dresden und Leipzig nicht gelten. Das, meine Damen
und Herren, kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein. Wir
brauchen eine Mietpreisbremse, die für alle Bundesländer gilt.
({2})
Auch die Deckelung bei 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete, die Sie vorschlagen, halte ich
nicht für zielführend; denn in der Praxis kann das bedeuten - gerade in Städten, in denen die Mieten rasant angestiegen sind, wie in Hamburg, Frankfurt, Berlin -, dass
dann der Nachmieter locker das Doppelte wie der Vormieter zahlen muss, weil die Vergleichsmiete so stark
angezogen hat. Das ist wirklich kein sinnvoller Deckel.
({3})
Als würde es nicht ausreichen, dass es hier genügend
Ausnahmen und Schlupflöcher gibt, hat die Koalition
auf Druck der CDU/CSU auf den letzten Metern Neubauten komplett aus der Regelung zur Mietpreisbremse
herausgenommen, selbst bei der Wiedervermietung von
neugebauten Wohnungen.
({4})
Das können wir aus folgendem Grund nicht akzeptieren: Nicht nur die Wohnung in dem neugebauten Wohnhaus ist dann teuer. Die Dynamik des Mietspiegels wird
dazu führen, dass nach und nach auch die Miete der Oma
in der alten Wohnung nebenan ansteigen wird. Das akzeptieren wir als Linke nicht.
({5})
Wir brauchen eine Mietpreisbremse; aber das, was die
Koalition vorlegen wird, verdient diesen Namen nicht.
Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen: Es muss mehr gebaut
werden; selbstverständlich. Die Frage ist nur: Was soll
neu gebaut werden? Ich finde, es sind wirklich sehr viele
Luxuslofts und Townhouses gebaut worden; das sehen
Sie in jeder deutschen Großstadt. Wir wollen vor allen
Dingen, dass für die Mittelschichten mehr gebaut wird,
für Menschen mit geringen Einkommen. Auch brauchen
wir endlich einen Neustart im sozialen Wohnungsbau;
dahin muss die Reise gehen.
({6})
Es ist völlig unstrittig, dass wir einen Neustart im sozialen Wohnungsbau brauchen. Die Situation ist so, dass
der Bedarf bei weitem nicht gedeckt werden kann. Nur
30 Prozent des Bedarfs im sozialen Wohnungsbau können gedeckt werden; die Tendenz ist fallend. Die Regierung musste auf meine schriftlichen Anfragen zugeben,
dass der Anteil der Sozialwohnungen in den letzten zehn
Jahren über ein Drittel gesunken ist. Daran hat leider
auch die Regierungsbeteiligung der SPD bisher nichts
geändert.
Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen verwirrt darüber,
was die Koalition hier will. Von Frau Hendricks lese ich
immer, dass auch sie will, dass mehr Sozialwohnungen
gebaut werden. Die CDU/CSU sagt: Was haben wir damit zu tun? Das ist Sache der Länder. - Ich bin gespannt,
was wir von der Koalition zu erwarten haben. Bisher ist
dafür kein einziger Cent mehr in den Bundeshaushalt
eingestellt. Ich kann Sie nur warnen: Verstecken Sie sich
hier nicht hinter der Verantwortung der Länder! Es ist
die Aufgabe des Bundes, dafür zu sorgen, dass endlich
wieder mehr Sozialwohnungen gebaut werden.
({7})
Zu guter Letzt möchte ich auf das Thema BImA und
öffentliche Wohnungen eingehen; vielen Dank, dass Sie
dieses Thema schon angesprochen haben. Es ist so: Im
Bundesbesitz befinden sich immer noch 45 000 Wohnungen und weitere Liegenschaften. Man könnte jetzt
schauen: Wie können wir diese Wohnungen nutzen, um
tatsächlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Stattdessen verkauft die BImA, also die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben, diese Wohnungen selbst auf angespannten Märkten zu Höchstpreisen. In Berlin in der
Großgörschenstraße zum Beispiel wollte die landeseiCaren Lay
gene GEWOBAG die Häuser zu einem fairen Preis kaufen. Sie hat den Zuschlag nicht bekommen. Eine Genossenschaft der Mieterinnen und Mieter, also der
Bewohnerinnen und Bewohner, wollte ihr Haus kaufen.
Auch sie haben den Zuschlag nicht bekommen, denn es
wird immer nur zu Höchstpreisen verkauft. Das ist einfach inakzeptabel.
({8})
Deswegen finde ich es falsch, dass Sie noch letzte
Woche im Ausschuss den Antrag der Linken abgelehnt
haben, in dem wir ein Moratorium verlangt haben. Diese
Ablehnung hilft den Bewohnerinnen und Bewohnern
überhaupt nicht weiter. Wir haben einen neuen Antrag
eingebracht, in dem wir sagen: Wir wollen, dass das Kriterium der Gemeinwohlorientierung endlich gesetzlich
verankert wird. Ich bin sehr gespannt, welches Schicksal
diesem Antrag beschieden sein wird. Ich hoffe, Sie werden ihm zustimmen.
({9})
Meine Damen und Herren, Innenstädte, die nur noch
aus Bürogebäuden, Townhouses und Luxuslofts bestehen, sind nicht nur ungerecht, sondern auch langweilig.
Wir als Linke wollen lebendige Innenstädte, in denen
Studierende, Rentnerinnen und Rentner, junge Familien,
Menschen aus allen Einkommensgruppen, vor allen Dingen Menschen mit geringem Einkommen und aus den
Mittelschichten, leben können. Dafür stehen wir ein.
Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank.
({10})
Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Wiese das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es gibt auch
unnötige Anträge, die zur Politikverdrossenheit beitragen.
({0})
Das ist in Teilbereichen bei Ihrem Antrag so. Ein Antrag,
so wie Sie ihn hier heute vorgelegt haben - das sage ich
als Mitglied des Rechtsausschusses -, ist gerade beim
Thema Mietpreisbremse reine Schaufensterpolitik und
hat mit vernünftiger Politik nichts zu tun.
({1})
Allein an dem, was Sie zur Bundeshaushaltsordnung hineingeschrieben haben, kann ich schon sehen, dass dieser ganze Antrag nicht ernst gemeint ist. Darüber kann
ich, ehrlich gesagt, nur mit dem Kopf schütteln.
({2})
Wir in der Großen Koalition machen eine Mietpreisbremse für alle Bürgerinnen und Bürger. Lassen Sie
mich dazu einen Satz sagen: Ich freue mich wirklich
ganz besonders, dass wir in den Beratungen, die wir in
den letzten Wochen und Monaten gehabt haben, Sie,
Herr Kollege Luczak, ein bisschen auf den Pfad der Tugend zurückbringen konnten,
({3})
dass wir Sie sozusagen vom Dr. No zum Anhänger der
Mietpreisbremse machen konnten.
({4})
Das ist ein richtig guter Tag. Dass wir Sie dahin bringen
konnten, das freut uns an dieser Stelle richtig.
({5})
Zu Ihrer Anmerkung, die Sie gerade gemacht haben,
kann ich sagen: Manchmal ist es gut, wenn wir das
Struck’sche Gesetz außer Kraft lassen und das Ganze an
dieser Stelle schnell auf den Weg bringen.
({6})
Ich glaube, die Mietpreisbremse ist richtig. Die Mietpreisbremse wird dazu führen, dass in gewissen Hotspots, die es nun einmal gibt - das ist nicht nur München, das an dieser Stelle immer erwähnt wird, das ist
genauso Marburg, das ist Münster; das sind kleine Universitätsstädte, in denen wir Probleme haben, zu begrenzen -, der Mietpreisanstieg bei Wiedervermietung begrenzt wird. Es ist gut, dass wir das an dieser Stelle
machen.
Ich will aber noch eine Sache ansprechen, weil mir etwas, ehrlich gesagt, nicht passt: Der Großteil der Vermieter in Deutschland vermietet ordentlich. Die vermieten ordentlich an ihre Mieter, die schauen nicht auf die
höchstmögliche Rendite, die machen eine gute Arbeit,
die haben ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern. Wir
wollen an die herangehen, die auf Wucher setzen, die die
Situation schamlos ausnutzen. Darum ist die Mietpreisbremse an dieser Stelle der absolut richtige Weg.
({7})
Herr Wiese, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay zu?
Ja, na klar, Frau Lay.
Verehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie meine
Zwischenfrage zulassen. - Sie haben gesagt, wir brauchen eine Mietpreisbremse für alle Bürgerinnen und
Bürger. Sie haben auch nicht abgestritten, dass in einer
Stadt wie München und vielen anderen Großstädten und
Ballungszentren im ganzen Bundesgebiet
({0})
eine angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt
herrscht. Wie können Sie es denn dann gut finden, dass
der Entwurf, der jetzt das Kabinett passiert hat, beispielsweise dem Freistaat Bayern ermöglicht, die Mietpreisbremse überhaupt nicht umzusetzen? Finden Sie
das richtig, oder hätten Sie sich hier eine andere Regelung gewünscht?
({1})
Frau Kollegin Lay, ich muss Ihnen leider an der Stelle
widersprechen und Ihnen sagen: Da müssen Sie sich den
Gesetzentwurf einmal ganz genau ansehen. Wir geben
den Ländern die Möglichkeit, in der angespannten Lage
in Ballungszentren die Mietpreisbremse umzusetzen,
({0})
weil die Länder am besten beurteilen können, wie die Situation vor Ort ist. Darum ist das an dieser Stelle völlig
richtig.
({1})
Bayern ist schon bei den Änderungen in Bezug auf
die Kappungsgrenze vorangegangen. Darum kann ich
Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich den Referentenentwurf genau an, und lesen Sie das noch einmal nach.
({2})
Der zweite Punkt, den ich heute erwähnen will - das
darf man nicht verschweigen -, ist, dass in vielen Städten das Problem besteht, dass die Maklerkosten immer
auf den Mieter abgewälzt werden. Darum ist heute ein
guter Tag; denn wenn wir die Mietpreisbremse Anfang
nächsten Jahres in Gesetzesform gießen, zieht im Jahr
2015 endlich auch für die Makler die soziale Marktwirtschaft ein. Das ist viel zu lange nicht passiert. Darum
sind die Änderungen im Maklerrecht absolut richtig.
({3})
Auf den dritten Punkt, den ich ansprechen möchte, ist
mein Kollege Michael Groß schon eingegangen: Es ist
natürlich so, dass die Mietpreisbremse keinen zusätzlichen Wohnraum schafft. Das ist völlig richtig. Das ist
mit der Mietpreisbremse aber auch nicht beabsichtigt.
Darum müssen wir gleichzeitig den Wohnungsbau stärken.
({4})
Darum ist es richtig, die Ausnahme der Mietpreisbremse
für den Neubau zuzulassen. Da bin ich voll auf Ihrer
Seite. Das müssen wir machen, weil wir zusätzlichen
Wohnungsbau brauchen.
({5})
Herr Gehring, ich habe mich gefreut, dass Sie Nordrhein-Westfalen erwähnt haben, weil Nordrhein-Westfalen ein Beispiel dafür ist,
({6})
dass man Geld vom Bund für den sozialen Wohnungsbau in die Hand nimmt. NRW-Bauminister Michael
Groschek nimmt bis 2017 800 Millionen Euro jährlich
für den sozialen Wohnungsbau in die Hand. Das ist Politik für die Städte in NRW und für den ländlichen Raum.
Wir als SPD machen in Nordrhein-Westfalen und im
Bund Politik für die Städte und für den ländlichen Raum
- Stadt und Land Hand in Hand. Darum ist es gut, dass
die SPD an dieser Stelle regiert.
({7})
Ich möchte am Ende noch ganz kurz einen Punkt ansprechen. Neben den Kosten, die die Bürgerinnen und
Bürger für die Miete haben, müssen wir uns auch die
Nebenkosten ansehen. Die Nebenkosten sind die zweite
Miete. Das ist ein Problem. Darum müssen wir auch
schauen, dass wir es bei den Nebenkosten hinbekommen, über eine sogenannte Betriebskostenbremse und
darüber nachzudenken, was man in dem Bereich machen
kann. Ich finde das gar nicht verkehrt, weil diese Kosten
für die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls enorm sind. Da
muss man etwas machen.
Wir machen eine echte Mietpreisbremse. Ich kann Ihnen nur sagen: Stimmen Sie dem zu, wenn Sie etwas Gutes für die Bürgerinnen und Bürger im Land tun wollen!
Ich glaube, das ist richtig. Allen Studierenden kann ich
nur einen guten Start ins Semester wünschen. Ich hoffe,
alle haben die O-Woche ganz gut überstanden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Als nächster Redner hat der Kollege Christian Kühn
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Studenten im Land! Der Staat hat in einer Wissensgesellschaft die Aufgabe, nicht nur ein auskömmliches BAföG
zur Verfügung zu stellen - Ihr BAföG, das 2016 reformiert werden soll, wird weniger wert sein als das BAföG
2010, und es dauert auch noch zwei Jahre, bis es so weit
ist -, sondern auch exzellente Universitäten, attraktive
Studierendenplätze und ausreichend Wohnheimplätze.
Denn ich finde, Studenten haben ein Recht darauf, ein
Dach über dem Kopf zu haben.
({0})
Christian Kühn ({1})
Der Problemdruck in den Universitätsstädten ist
enorm. Vergleicht man die Zahlen, was die Kluft zwischen Bestandsmieten und Neuvertragsmieten angeht,
stellt man fest, dass drei Städte, die allesamt Universitätsstädte sind, an der Spitze stehen: Regensburg, Freiburg und Heidelberg. Dort liegen die Neuvertragsmieten
zum Teil über 9 Euro pro Quadratmeter, und die Abstände zwischen den Mieten betragen über 30 Prozent.
Das zeigt ganz klar: Es gibt einen riesigen Problemdruck. Auf diesen Wohnungsmärkten, die ohnehin
schon unter Stress stehen, konkurrieren nun Studenten
mit anderen einkommensschwachen Haushalten. Deswegen brauchen wir deutlich mehr Wohnheimplätze in
Deutschland. Die Belegungsquote liegt derzeit unter
10 Prozent. Ich finde, das ist ein Riesenskandal. Eigentlich müssten bei den Ländern, aber auch beim Bund alle
Alarmglocken läuten.
({2})
Alle Jahre wieder haben wir das gleiche Problem. Im
Herbst, wenn das Semester beginnt, kommt dieses
Thema hoch. Wir sind uns dann auch immer ganz
schnell einig in der Analyse, dass wir ein Problem haben
und etwas tun müssen. 2012 hat Herr Ramsauer dann einen Runden Tisch einberufen, bei dem nichts herausgekommen ist.
({3})
Vonseiten der Großen Koalition führen Sie nun das
Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen an. Das
wird bei allen wohnungs- und baupolitischen Themen
als Standardargument benutzt.
({4})
Mir reicht ein Verweis auf eine Plauderrunde nicht aus.
Ich will Maßnahmen, und ich will von Ihnen konkret
wissen, welche Instrumente Sie ergreifen, um die Wohnungsmärkte in Deutschland zu beruhigen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich
finde, der Antrag beschreibt das Problem gut. Aber Sie
lassen mich mit diesem Antrag trotz der gemeinsamen
Opposition ein bisschen ratlos zurück. Denn Sie haben
aus meiner Sicht diesen Antrag wohnungs- und baupolitisch nicht durchdacht. Ich finde, für eine kluge Oppositionspolitik machen Sie es der Regierung mit Ihrem Antrag leider viel zu leicht, ausweichen zu können.
({6})
Mir fehlt Ihre Bauexpertin Heidrun Bluhm heute in der
Debatte. Sie hätte in wohnungspolitischer Hinsicht dieser Debatte gutgetan.
({7})
Wir brauchen eine kluge Subjekt- und Objektförderung und mietrechtliche Änderungen. Das sehe ich leider
weder bei der Großen Koalition noch bei der Linken.
Die Mietpreisbremse wurde monatelang angekündigt,
dann verzögert, und am Ende wird die Ausnahme zur
Regel. Dass Sie den Neubau von der Mietpreisbremse
ausgenommen haben, ist falsch. Ihr Argument, dass der
Neubau das einzige Instrument ist, mit dem man sozialen Wohnraum sichern kann, ist falsch. Man kann zum
Beispiel auch Belegungsrechte kaufen.
Es kommt aber nicht nur darauf an, dass gebaut wird,
sondern auch darauf, dass jemand baut, der am Ende
auch bezahlbaren Wohnraum bereitstellt. Darüber machen Sie sich viel zu wenig Gedanken. Ich finde, hier
muss man mehr in genossenschaftlichen Strukturen denken und kommunale Akteure, die bezahlbaren Wohnraum bereitstellen, sowie Studentenwerke, die für die
Wohnheime zuständig sind, mit einbeziehen.
({8})
Beim Wohngeld gilt das Gleiche. Davon profitieren
auch Studierende, die kein BAföG beziehen. Beim
Wohngeld kürzen Sie erst. Dann erhöhen Sie es wieder
und wollen sich dafür feiern lassen. Aber die strukturellen Probleme beim Wohngeld gehen Sie nicht an. Ich
finde, Sie halten Sonntagsreden über Ihre Instrumente.
Das sind reine Lippenbekenntnisse. Sie müssen in der
Großen Koalition deutlich mehr liefern.
({9})
Ich weiß, dass der eine oder andere in diesem Hause
wieder mit einem Konjunkturprogramm liebäugelt. Falls
Sie in dieser Großen Koalition wie in der letzten auf die
Idee kommen sollten, Konjunkturprogramme durchzuführen, kann ich Sie nur auffordern: Stecken Sie das
Geld in den sozialen Wohnungsbau, und bauen Sie Studentenwohnheime, statt Autos abzuwracken!
({10})
Die Situation ist dramatisch. In vielen Universitätsstädten beginnen Studierende, selbst Verantwortung für
den Wohnraum zu übernehmen. In meiner Heimatstadt
Tübingen gibt es eine ganze Reihe von Projekten genossenschaftlichen Wohnens, die sehr erfolgreich sind. Ich
finde es schade, dass es einen linken Antrag zum studentischen Wohnen gibt, in dem nicht einmal das Wort „Genossenschaften“ vorkommt. Dabei leisten Genossenschaften einen großen Beitrag. Hier muss Politik mehr
tun und bessere Rahmenbedingungen für Genossinnen
und Genossen vor Ort organisieren, damit Studierende
Wohnraum in Selbstverwaltung übernehmen können.
({11})
Da wir die Fragen des sozialen Wohnungsbaus und
die Beziehungen zu den Ländern unter verfassungsrechtlichen Aspekten in den Blick nehmen, will ich anmerken, dass wir gemeinsam hier in diesem Haus nach 2019
ein Problem bekommen werden. Wenn die Entflechtungsmittel auslaufen, dann weiß ich nicht, wie die Länder ihrer Verpflichtung nachkommen wollen, gleichzeitig die Vorgaben der Schuldenbremse und die Aufgaben
des sozialen Wohnungsbaus sowie des Wohnungsbaus
für Studierende zu stemmen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, gemeinsam
mit den Ländern eine Vereinbarung zu treffen, die es
Christian Kühn ({12})
dem Bund ermöglicht, bei den Wohnheimen, aber auch
im sozialen Wohnungsbau unterstützend tätig zu sein.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Semester hat
begonnen. In Göttingen sind Zeltlager aufgestellt. In
Heidelberg gibt es Notunterkünfte. Woanders schlafen
Studierende auf Couchen oder in Wohnwägen. Wer
heute ein Studium aufnimmt, hat das Recht auf angemessenen Wohnraum; denn wenn man ein Studium startet, dann ist das eine schwierige Phase der Neuorientierung. Es ist ein Start in einen neuen Lebensabschnitt.
Hier hat jeder Studierende ein Recht auf einen Wohnheimplatz. Ich finde, wenn der Bund Eliteuniversitäten
fördert, kann er auch für bezahlbaren Wohnraum sorgen.
Danke schön.
({14})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Yvonne
Magwas das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Dazu gehört, meine Damen und Herren von den
Linken, dass man sich die Wohnpräferenzen und die
Wohnwünsche der Studierenden anschaut. Ein genauer
Blick in die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ist da durchaus erhellend. Demnach möchte
nämlich die Mehrzahl der Studenten nicht in Studentenwohnheimen wohnen.
({0})
Stattdessen werden Wohngemeinschaften oder allein bewohnte Wohnungen bevorzugt. Wenn also etwas für das
studentische Wohnen getan werden soll, dann sollten dafür die gewünschten Wohnformen stärker berücksichtigt
werden. Die Forderung der Linken nach 100 000 neuen
Wohnheimplätzen geht deshalb an der Realität vorbei.
({1})
Hier hilft allein der klassische Wohnungsneubau.
Ich bin zwar erst ein Jahr Abgeordnete im Deutschen
Bundestag. Aber der eine oder andere mag heute ein
Déjà-vu-Erlebnis haben; denn diese Debatte wurde bereits en détail und im gleichen Duktus am 18. April 2013
geführt.
({2})
Es handelt sich also um einen alten Teebeutelantrag, der
leider durch den zweiten Aufguss nicht besser wird.
({3})
Denn der Grundsatz ist und bleibt, dass in unserem föderalen System die Bundesländer für den sozialen Wohnungsbau zuständig sind und das auch sein wollen.
({4})
Unser Ziel ist, 2015 einen ausgeglichenen Haushalt
zu haben. Uns geht es um die schwarze Null. So haben
wir das auch in der Koalition vereinbart. Für mich ist das
eine Frage der Generationengerechtigkeit.
({5})
Die Linke hat aber leider ein anderes Verhältnis zum
Geld. Für Sie hat der Bund scheinbar unbegrenzte Geldquellen.
({6})
Für Sie ist der Bund Zahlmeister der Nation. Spätere Generationen scheinen Ihnen gleichgültig zu sein. Stattdessen geben Sie den Etat des Bundes jede Legislaturperiode gedanklich gerne viermal aus. So kann man keine
verantwortungsvolle Politik für unser Land machen.
({7})
Dennoch hilft der Bund den Ländern und Kommunen,
ihre Aufgaben zu bewältigen. Allein in diesem Jahr beläuft sich die direkte und indirekte Unterstützung des
Bundes für die Kommunen auf 22 Milliarden Euro. Ich
würde mich freuen, wenn die Kollegen und Kolleginnen
der Linken dies auch einmal positiv zur Kenntnis nehmen würden.
Um aber beim Thema zu bleiben, lassen Sie mich
kurz erläutern, was der Bund zur Verbesserung der
Wohnraumsituation tut. Es wurde schon angedeutet: Im
Rahmen von Kompensationsleistungen zahlen wir an die
Bundesländer bis 2019 jährlich 518 Millionen Euro für
die Aufgaben des sozialen Wohnungsbaus. Leider, so
muss man konstatieren, gehen die Länder recht unterschiedlich mit diesen Mitteln um.
({8})
Primus unter den Bundesländern ist der Freistaat Bayern. Er gibt seine Mittel zweckgerichtet aus. Das Land
Berlin hat hingegen gerade unter der rot-roten Regierung
keinen einzigen Cent dieser Mittel für den sozialen Wohnungsneubau ausgegeben.
({9})
So viel zur verantwortungsvollen Wohnungspolitik der
Linken, wenn sie denn mitregiert.
({10})
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
Mietpreisbremse. Diese haben wir im Koalitionsvertrag
vereinbart, und den vorliegenden Gesetzentwurf hat das
Kabinett am 1. Oktober auch so beschlossen. Kollege
Luczak ist schon ausführlich auf die Inhalte eingegangen. Ich möchte lediglich eine Forderung aus dem Antrag der Linken herausgreifen. Das ist nämlich eine Forderung, die für mich keinen Sinn macht.
Erklären Sie mir doch einmal, warum die Mietpreise
in Studentenwohnheimen durch ein Moratorium gedeckelt werden müssen. Mit einer Warmmiete von 223 Euro
im Monat - die Zahl ist vom Studentenwerk - ist das
eine der kostengünstigsten Wohnformen für Studenten.
Hier besteht definitiv keine Gefahr einer Mietpreisexplosion. Im Übrigen entsteht durch die Deckelung des Preises kein einziges Studentenzimmer zusätzlich. Auch hier
gilt der Grundsatz: bauen, bauen, bauen.
({11})
Wir werden auch die Einnahmenseite der Studenten
verbessern. Das wurde schon angedeutet. Wir werden
das BAföG anpassen, indem wir den Satz von 670 Euro
auf 735 Euro erhöhen. Durch die Reform wird auch der
Kreis der Förderberechtigten ausgeweitet und die Hinzuverdienstgrenze auf 450 Euro angepasst. Wer also mehr
als das BAföG benötigt, kann so einen adäquaten Betrag
hinzuverdienen. Ehrlich, meine Damen und Herren: Für
mich sind Nebenjobs während des Studiums auch im
Rahmen des Zumutbaren.
({12})
Was wird der Bund nun in Zukunft noch angehen?
Wir bringen derzeit eine Wohngeldnovelle auf den Weg.
Unser Ziel ist es, denjenigen zu helfen, die arbeiten gehen und dennoch nur ein geringes Einkommen haben.
Diesen wollen wir ein gutes Wohnen ermöglichen. So
werden wir die Leistungen des Wohngeldes weiter verbessern. Leistungshöhe und Miethöchstbeträge wollen
wir an die Bestandsmietenentwicklung und die Einkommensentwicklung der letzten Jahre anpassen. Im aktuellen Haushaltsentwurf haben wir dafür 630 Millionen
Euro eingestellt. Der Bund schafft damit die finanziellen
Spielräume. Mit Spannung erwarten wir nun die konkrete Ausgestaltung des Gesetzentwurfs unserer Bauministerin Barbara Hendricks.
({13})
Klar ist, dass bei steigenden Studentenzahlen der Bedarf für studentischen Wohnraum wächst. Deswegen
möchte ich an dieser Stelle auch einmal die Studentenwerke loben. Sie leisten nämlich flächendeckend gute
Arbeit. Ihnen ein herzliches Dankeschön.
({14})
Den Bundesländern möchte ich noch etwas auf den
Weg geben. Sie schaffen an den Hochschulen mehr Studienplätze. Das ist gut und richtig so. Aber dann - das ist
für mich die logische Konsequenz - müssen die Wissenschafts- und Bauminister der Länder auch darauf achten,
dass an den Hochschulstandorten ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht. Empfehlenswert wäre zum
Beispiel, vor Ort mit allen Beteiligten lokale Bündnisse
für bezahlbares Wohnen und Bauen anzugehen.
({15})
Der Bund hält an seinem Engagement für den sozialen Wohnungsbau und die Unterstützung von sozial bedürftigen Mietern fest, und nicht nur das: Wir bauen
dieses Engagement auch noch aus. Mietpreisbremse,
Wohngeldnovelle und BAföG-Erhöhung - das sind die
zentralen Schlagworte.
Nun sind die anderen Beteiligten aufgerufen, dem
gleichzutun. Länder und Kommunen sind ebenso gefordert. Sie müssen das Ihre tun, damit sich der Wohnungsmarkt insgesamt entspannt. Ich wiederhole es gern: Gegen Wohnungsnot hilft nur eins: bauen, bauen, bauen.
({16})
Liebe Freunde der Linken, mit einem pauschalen Ruf
nach dem Bund ist es nun nicht mehr getan. Da hilft
auch der Zweitaufguss Ihres Teebeutelantrags nicht.
Vielen Dank.
({17})
Als nächster Redner hat der Kollege Oliver
Kaczmarek das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Schöne an diesem Antrag war, dass man wieder Gelegenheit hatte, sich mit der Realität des studentischen
Wohnens und dem Bedarf zu beschäftigen. Das Problem
ist in der Tat unbestritten. Ich glaube nur, dass der Antrag der Realität nicht gerecht wird. Dazu würde ich
gerne drei Feststellungen machen.
Die erste Feststellung: Der Bedarf ist regional unterschiedlich. Das ist hier schon angesprochen worden.
({0})
Ihren Antrag beginnen Sie mit dem Satz:
Insbesondere in klassischen Studierendenstädten ist
die Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt.
Als jemand, der in Bochum studiert hat, frage ich Sie zuerst: Was ist eigentlich eine klassische Studierendenstadt? Denn das hat sich mittlerweile ziemlich ausdifferenziert. Im Umkreis von 50 oder 60 Kilometern um
meinen Wohnort Kamen herum liegen der Hochschulstandort Münster - ja, das ist eine klassische Universitätsstadt -, aber auch Dortmund, Bochum, Essen und
Wuppertal als traditionelle Pendlerstandorte - 30 Prozent und mehr der Studierenden wohnen zu Hause - sowie Städte wie Hamm, Iserlohn, Nordkirchen und Me5694
schede. Die Realität des studentischen Wohnens ist also
vielfältiger, als wir das in diesem Antrag lesen können.
Deshalb brauchen wir einerseits lokal passende Ideen
für Wohnheimbauten.
({1})
Ja, das ist richtig. Auch Bestandssanierungen gehören
dazu. Da nehmen die Studentenwerke auch viel Geld in
die Hand. Daneben brauchen wir eine Strategie für die
Umwidmung leerstehenden Wohnraums. Allein in Duisburg - übrigens auch eine Universitätsstadt - stehen
12 000 Wohnungen leer. Dort muss man doch versuchen,
den Bedarf und das zur Verfügung Stehende übereinanderzubringen. Gleichzeitig brauchen wir flexibel nutzbare Wohneinheiten.
Alles das findet im Antrag der Linken nicht statt. Deswegen wird er der regionalen Vielfalt des studentischen
Wohnens nicht gerecht.
({2})
Die zweite Feststellung: Der Bedarf verändert sich
natürlich auch mit veränderten Lebensformen der Studierenden. Die Konstellationen haben sich gewandelt.
Studieren mit Kind bzw. mit Familie nimmt zu; Wohnen
mit Partner nimmt zu. Nach der Sozialerhebung des
DSW wohnen allein 20 Prozent der Studierenden mit ihren Partnerinnen und Partnern zusammen.
Das heißt: Wir benötigen nicht nur die eine Angebotsform. Der Ausbau und die Modernisierung von Wohnheimplätzen sind sinnvoll. Das wird niemand infrage
stellen. Sie decken aber eben nicht den Bedarf aller Studierenden ab. Dazu brauchen wir auch privaten Wohnraum und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.
Nur durch das Zutun aller Akteure wird man dieser Vielfalt gerecht.
({3})
Die dritte Feststellung: Ja, es ist wahr, dass Studierende von der Mietsituation in den Metropolen besonders betroffen sind - aber eben nicht allein. Deswegen
ist es wichtig, das in eine Strategie einzubetten, die unter
anderem auch einkommensschwache Familien in den
Mittelpunkt rückt, wenn es um bezahlbaren Wohnraum
geht.
Die Ministerin knüpft hier mit ihrem Bündnis übrigens auch an Erfahrungen aus den Hochschulstandorten
an, indem sie sich für Runde Tische einsetzt, die in den
Hochschulstädten gegründet worden sind. So sollen die
Akteure an einen Tisch gebracht werden, um damit den
ersten Schritt zu machen.
Auch die Länder können einen wichtigen Beitrag leisten. Das Bundesland Berlin hat sich vorgenommen, bis
2016 30 000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen. 15 000
sind schon realisiert worden. Daran zeigt sich, dass die
Länder auch klar ihrer verfassungsgemäßen Verantwortung nachkommen und in so wichtigen Städten wie Berlin durchaus Wohnraum schaffen.
({4})
Was getan werden muss, ist die Umsetzung einer
Strategie der Vielfalt, bei der man den realen Bedarf des
Studierendenwohnens aufnimmt und nicht nach dem
Gießkannenprinzip vorgeht.
Die Länder können etwas tun. Nordrhein-Westfalen
ist hier schon als Beispiel genannt worden. Dort stellt die
Landesregierung 50 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Damit können 750 Wohnheimplätze pro Jahr gebaut werden. Man verbindet das mit der Aussage, dass
dann auch Impulse für die Stadtentwicklung gesetzt werden müssen; denn 2025 sind die Studierendenzahlen in
Nordrhein-Westfalen wieder auf dem Stand von 2009.
Deshalb muss man sich auch überlegen: Was passiert eigentlich danach mit diesem Wohnraum?
Der Bund leistet mit der BAföG-Novelle einen substanziellen Beitrag. Das ist hier gerade schon angesprochen worden. Ich will das noch einmal betonen. Laut der
letzten statistischen Veröffentlichung des DSW beträgt
die Monatsmiete in Wohnanlagen der Studentenwerke
derzeit im Durchschnitt 223 Euro. Wir werden die Wohnpauschale für auswärts wohnende Studierende - auch
wenn das nicht allen gerecht wird - auf 250 Euro anheben. Allein für diesen Posten werden wir im Bundeshaushalt jedes Jahr 160 Millionen Euro mobilisieren.
({5})
Das ist ein substanzieller Beitrag zur Verbesserung der
Lage.
Ich komme zum Schluss. Lassen Sie uns an dieser
Stelle nicht nur Überschriften produzieren, sondern lassen Sie uns auch schauen, wie wir substanzielle Verbesserungen herbeiführen können.
Herzlichen Dank.
({6})
Als nächster Redner spricht der Kollege Dr. Volker
Ullrich.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erfolgreiches Lernen braucht gutes Leben.
100 000 Studenten schicken sich in diesen Tagen an, ihr
Studium aufzunehmen. Sie arbeiten für ihren eigenen
Lebenserfolg und mehren damit auch den Wohlstand
und die Innovationskraft unserer gesamten Gesellschaft.
Viele machen sich auf, um nicht nur eine neue Lebenswirklichkeit und Lebensumgebung kennenzulernen, sondern auch, um sich auf ihr Studium zu konzentrieren. In
einigen wenigen Städten ist dies im Augenblick nicht in
dem Umfang möglich, wie wir es uns alle wünschen
würden. Es gibt vereinzelt Quadratmeterpreise im zweistelligen Bereich, Wohnheimzimmer mit einem Preis
von 400 bis 500 Euro und Wartelisten für Studentenwohnheime. Die damit verbundenen Sorgen teilen wir.
Diese Sorgen haben dazu geführt, dass diese Koalition
gehandelt hat und auch weiterhin erfolgreich handeln
wird.
({0})
Lassen Sie uns zunächst vielleicht auf die Ursachen
der Probleme zu sprechen kommen. Eine Ursache ist
doch der Erfolg unserer eigenen Bildungspolitik. Die
Anzahl der Studenten in Deutschland hat sich in den
letzten 20 Jahren beinahe verdoppelt. In den letzten
10 Jahren ist die Anzahl der Studenten in einem sechsstelligen Bereich gestiegen. Wir bekommen glücklicherweise immer mehr Anfragen von Studenten aus aller
Welt, die diesen Standort auch dank unserer Politik attraktiv finden und in Deutschland ein Studium aufnehmen wollen.
Dieser Erfolg der eigenen Politik hat in einigen Städten zweifelsohne zu einer Verknappung des Wohnraums
geführt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Die
entscheidende Frage ist aber: Wie gehen wir mit dieser
Gemengelage um? Da drängen sich einige Antworten
auf. Ich kann Ihnen ehrlich sagen: Wenn wir hier in diesem Hohen Hause auch nur eine Maßnahme beschließen
würden, die die Linken gefordert haben, dann würden
wir das Problem nicht lösen, sondern sogar noch verstärken.
({1})
Dies ist nicht die erste Debatte, bei der ganz reellen
Problemen durch Scheinlösungen entgegenzutreten versucht wird. Das, glaube ich, tut den Studenten in diesem
Land nicht gut.
({2})
Wir müssen uns zunächst einmal auf die wirklichen
Lösungsansätze konzentrieren. Ein solcher Ansatz ist
zunächst einmal die angesprochene Mietpreisbremse.
Die Mietpreisbremse schafft keinen zusätzlichen Wohnraum. Sie wird dafür sorgen, dass der Mietpreisanstieg in
manchen Gebieten begrenzt wird.
({3})
Das ist eine flankierende Maßnahme; aber sie ist sicherlich keine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Studenten
jetzt und in den nächsten Jahren mehr Wohnraum zur
Verfügung haben. Ganz im Gegenteil: Eine flächendeckende, einheitliche Mietpreisbremse für ganz Deutschland ist ein Programm zur Verhinderung von Investitionen.
({4})
Ein weiterer Punkt ist die Frage: Wie gehen die Länder mit den Mitteln um, die durch die von diesem Haus
beschlossene BAföG-Reform frei werden? 1,17 Milliarden Euro ist die Höhe des Entlastungsbetrages für die
Länder in den nächsten Jahren. Wir werden sehr genau
hinsehen, ob die Länder, in denen auch die Linke und die
Grünen in Verantwortung sind, jeden Cent für die Bildung und möglicherweise auch für die Schaffung von
studentischem Wohnen ausgeben oder nicht. Die Signale, wenn ich einmal so formulieren darf, sind nicht
positiv.
({5})
Die Formulierung muss sein: Die Länder sind in der
Pflicht,
({6})
diese Mittel für Studenten auszugeben; sie dürfen sie
nicht für andere Aufgaben verwenden.
({7})
Dann kommen wir zur Erhöhung des BAföG. Ich
meine, in einer Zeit, in der der Schwerpunkt auf haushaltstechnischer Konsolidierung liegt und wir uns unserer finanzpolitischen Verantwortung bewusst sind, ist die
deutliche Erhöhung des BAföG 2016/17 ein großartiger
Schritt und ein tolles Signal; das sollte man nicht kleinreden.
({8})
Zum Thema Wohnraum. Der beste Wohnraum ist derjenige, der neu gebaut wird.
({9})
Deswegen sind unsere Anstrengungen darauf gerichtet,
neuen Wohnraum zu schaffen. Wir werden die entsprechenden Instrumente auch liefern.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber
unterhalten, unter welchen steuerlichen Bedingungen
wir zukünftig Wohnraum schaffen werden. Ein Instrument wäre mit am wirksamsten - das haben Sie gar nicht
angesprochen, aber darüber werden wir nachdenken -,
und das ist die Wiedereinführung der degressiven AfA.
Derjenige, der investiert, soll die Möglichkeit haben,
schnell von der Steuer dafür belohnt zu werden, dass er
privates Kapital lockermacht, um auf dem Wohnungsmarkt Akzente zu setzen.
({10})
Abschließend sei daran erinnert, dass wir bei all der
Freude über die Entwicklung in Hochschulstädten auch
darüber nachdenken müssen, ob wir insgesamt immer
die rechte Balance finden. Wir müssen betonen, dass die
berufliche Bildung, die Ausbildung zum Meister in einem Handwerksberuf, gerade auch im ländlichen Raum,
gleichwertig ist und dass es nicht immer ein Allheilmittel ist, ein Studium anzustreben, sondern ganz im Gegenteil. Wir haben die Gleichwertigkeit von akademischer
und beruflicher Bildung zu einem unserer zentralen
Handlungsfelder gemacht. Wenn wir diese Gleichwertigkeit bedenken, wenn wir Politik machen, dann können
wir vielleicht auch die Überhitzungsreaktionen in eini5696
gen Großstädten zurückfahren. Das, glaube ich, ist ein
ganz wichtiger Aspekt.
({11})
Meine Damen und Herren, eines steht für uns fest:
Die Länder und die Kommunen sind in der Pflicht, durch
Bauleitplanungen, durch Aktionsprogramme, durch finanzielle Unterstützung mehr Wohnraum für Studenten
zu schaffen oder Anreize dafür zu setzen, dass Private
das machen. Unserer Auffassung nach muss das auch im
Herzen der Städte geschehen. Das Miteinander der Generationen, der Menschen in den Städten, die Begegnung, die Inspiration, Kunst und Kultur, das ist für uns
eine Leitschnur für städtebauliches Handeln.
Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich auf die
Große Koalition!
({12})
Wir werden dafür sorgen, dass es mehr Wohnraum gibt
und dass die Sorgen der Studenten in diesem Land behoben werden. In diesem Sinne alles Gute zum Studienanfang!
Herzlichen Dank.
({13})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulli Nissen das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über den Antrag der
Linken „Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen“. Es ist wie so oft
bei Ihren Anträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Der Titel klingt klasse - so wie „Reichtum für alle“.
Aber es gibt ja nicht nur den Titel, sondern auch den
Text.
Ihr Antrag ist ein einziger Wunschzettel - wir haben
bald Weihnachten -, egal wie es in unserem politischen
System geregelt ist. Sie wissen doch: Seit der Föderalismusreform 2006 ist die soziale Wohnraumförderung
- dazu gehört das studentische Wohnen - Ländersache.
Deshalb ist es gut, dass die Länder 518 Millionen Euro
jährlich als Kompensationszahlung erhalten, um Wohnraum zu fördern.
Ich komme aus der Banken- und Hochschulstadt
Frankfurt und weiß, wie schwer es in Ballungsräumen
ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Für Studierende
ist es dort besonders schwierig: Die Mieten sind hoch,
und Studierende haben in der Regel wenig Geld. Ein
WG-Zimmer in Frankfurt kostet durchschnittlich
418 Euro. Nur München ist mit 521 Euro teurer. Zu Semesterbeginn zeigt sich dieses Problem immer wieder
deutlich.
In Frankfurt gibt es derzeit 65 000 Studierende. Das
sind fast 10 Prozent der Bevölkerung. Bei uns suchen
viele Studenten einen Wohnheimplatz. Rund 2 000 Studentinnen und Studenten stehen auf der Warteliste für einen Wohnheimplatz. So ist es nicht nur in Frankfurt,
sondern auch in Hessen und im gesamten Bundesgebiet.
Die rot-schwarze Regierungskoalition kennt das Problem. Deshalb handeln wir auch. Wir kümmern uns aber
um alle Mieterinnen und Mieter - um die Studierenden,
aber auch um die Rentnerinnen und Rentner sowie um
die Gering- und Normalverdiener. Alle sollen die Möglichkeit haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
({0})
Wir machen als Große Koalition unsere Hausaufgaben dort, wo wir können und wo wir es laut Grundgesetz
auch dürfen. Wir haben eine Mietpreisbremse auf den
Weg gebracht. Selbst Herr Luczak hat da zum Schluss
mitgemacht. Sie schafft zwar keine neuen Wohnungen,
trägt aber dazu bei, dass die Mieten nicht mehr so stark
steigen.
Ich bin unserer Bundesministerin Barbara Hendricks
dafür dankbar, dass sie auf Bundesebene ein Bündnis für
bezahlbares Wohnen und Bauen initiiert hat. Auch dort
werden diese Probleme angegangen, damit Bund, Länder und Kommunen gemeinsam etwas Gutes erarbeiten
können. Das geht, Herr Kühn, nicht von einem Tag auf
den anderen. Wir wollen es nämlich gut machen.
({1})
Wir wollen nicht nur mehr, sondern mehr bezahlbaren
Wohnraum. Was tun wir? Wir erhöhen das Wohngeld,
und ich persönlich setze mich intensiv auch für die Wiedereinführung der Energiekostenkomponente ein. Außerdem haben wir die Mittel für die Städtebauförderung
deutlich erhöht. Das bringt auch den Ländern und Kommunen Entlastung.
Natürlich lassen wir die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben nicht aus der Pflicht. Zum einen gibt es
die Möglichkeit, Liegenschaften und Konversionsflächen zu verbilligten Konditionen an Kommunen abzugeben, wenn es der Wohnraumförderung dient. Das kann
natürlich auch studentisches Wohnen bedeuten. Weiterhin prüfen wir natürlich auch, wie wir die Aufgaben der
BImA mit unseren wohnungs- und sozialpolitischen Zielen in Einklang bringen können. Ich gehe davon aus,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
dass wir hier gemeinsam auf einen guten Weg kommen.
({2})
All das wird in Gesamtheit dazu führen, dass sich die
Wohnungsnot für alle entspannen wird. Die guten Nachrichten bezüglich des BAföG sind schon von Kollegen
erwähnt worden. Ab nächstem Jahr - das ist wirklich
wichtig - werden die Länder um 1,2 Milliarden Euro pro
Jahr entlastet.
({3})
Natürlich wäre es - das ist überhaupt kein Thema toll, wenn die erhöhten BAföG-Sätze, die ab August
2016 kommen, eher eingeführt werden würden.
({4})
Die Erhöhung auf 250 Euro beim Wohnzuschlag ist aber
auch ganz wichtig.
Sie von den Linken haben eine tolle Forderung. Sie
fordern, dass in Hochschulstädten die Mehrkosten für
Miete übernommen werden sollen. Super! Die Vermieter
werden sich freuen und „Klasse!“ sagen. Sie werden das
nutzen, um die Mieten zu erhöhen. Damit lösen Sie die
Probleme nicht, sondern schaffen neue.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wenig hilfreich, in einem Antrag Dinge vom Bund zu fordern, die
nicht in seiner Kompetenz liegen. Sie tun so, als täten
die Länder, Städte und Hochschulen gar nichts.
({5})
- Die Linken interessieren sich nicht dafür; aber ich
fände es schön, wenn Sie zuhören würden!
({6})
Bei der Grundsteinlegung eines neuen Studentenwohnheimes merkte der Frankfurter Oberbürgermeister
Peter Feldmann richtigerweise an, dass Stadt, Land,
Hochschulen und Studentenwerke zusammenarbeiten
müssen.
({7})
Auf dem Frankfurter Riedberg wird das Gebäude auf einem erbpachtfreien Grundstück mit zinsfreien Krediten
der Stadt Frankfurt finanziert. Das ist vielleicht ein Vorbild für andere Städte. Das Motto des Frankfurter Oberbürgermeisters lautet immer „Bauen, bauen, bauen!“ Da kann ich ihm nur voll zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dank Ihres Antrages
konnten wir einiges klarstellen. - Natürlich wollen auch
wir Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in
Hochschulstädten bekämpfen; aber wir wollen das nicht
nur in Hochschulstädten, sondern auch auf anderen angespannten Wohnungsmärkten. Wir wollen nicht nur etwas machen, sondern wir tun bereits eine Menge, um
Wohnen bezahlbar zu machen; aber wir wissen auch,
dass gemeinsame Anstrengungen aller nötig sind. Bund,
Länder und Kommunen zusammen können es schaffen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit. - Von dieser Stelle
aus möchte ich einen kurzen Gruß an meinen Sohn Moritz schicken, der heute 27 wird.
({8})
Dem schließen wir uns alle an. - Als nächster Redner
hat der Kollege Karsten Möring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich schließe mich dem Glückwunsch an.
({0})
Ich hoffe, er hat sein Studium schon hinter sich. - Es gibt
ein Spiel, bei dem man zu bestimmten Worten ganz
schnell assoziativ Ergänzungen bringen muss. Wenn ich
dieses Spiel mit den Kollegen von der Linken mache und
das Wort „Wohnung“ nenne, dann kommt das Wort
„Not“ als nächstes Wort. Wenn ich „Miete“ sage, dann
kommt „Hai“, „Steigerung“, „Wucher“. Zwei dieser Varianten haben Sie in der Überschrift Ihres Antrages
schon gewählt.
({1})
- Passen Sie einmal auf: Wenn Sie einem Investor nicht
zugestehen, dass er für sein Geld eine Verzinsung erhält,
die ein bisschen über dem liegt, was er von der Bank bekommen würde, dann sind wir an dem Punkt, den Sie
wollen: Dann darf nur der Staat bauen. Wohin das führt,
haben wir in den letzten Jahren in einem Teil Deutschlands mehr als genug erlebt.
({2})
Ihr Instrumentenkasten besteht aus staatssozialistischen
Ladenhütern. Damit kommen wir überhaupt nicht weiter.
({3})
- Ja, es ist schön. Sozialer Wohnungsbau braucht auch
private Investoren. Wenn Sie die nicht haben, dann können Sie sich das an den Hut stecken, dann wird nicht gebaut - ganz einfach. Gewisse Regeln werden hier immer
eingehalten. Die gelten unabhängig davon, ob Sie sie
gutheißen oder nicht, weil es das normale Verhalten aller
Beteiligten ist.
Als darauf hingewiesen worden ist, dass Sie den vorliegenden Antrag schon einmal in wenig veränderter
Form gestellt haben - er kehrt immer wieder -,
({4})
haben Sie dazwischengerufen: Es ist ja nichts passiert! Ich erinnere mich dunkel, dass die Linke in Berlin zehn
Jahre mitregiert hat, dass sie viele Jahre den Senator für
Stadtentwicklung gestellt hat.
({5})
Ich frage einmal: Was ist in dieser Zeit in Berlin für studentisches Wohnen passiert? Extrem wenig, bis nichts.
An den Regierungen, an denen Sie sonst beteiligt sind,
sehe ich auch nicht, dass in diesem Bereich Klimmzüge
oder Meisterleistungen erbracht werden. Dabei ist das
Problem klar. Sie schreiben in Ihrem Antrag immer: für
die Studenten, für die Studenten. Wir sind nicht der Auf5698
fassung, dass man unsere Bevölkerungsgruppen schön
auseinanderdividieren kann.
({6})
Wir machen unsere Wohnungspolitik und unsere Wohnungsbaupolitik für die gesamte Bevölkerung, die es nötig hat. Dazu gehören die Studenten. Dazu gehören
Gruppen mit geringem Einkommen, und dafür haben wir
verschiedene Instrumente.
Es ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass
die Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Ich sage einmal
ganz einfach: Die BAföG-Erhöhung, die wir haben, füllt
nicht nur den Geldbeutel der Studenten und versetzt sie
in die Lage, mehr Geld auszugeben als bisher, sondern
der Bund - dadurch, dass er den gesamten Bereich übernimmt - entlastet auch die Länder und erleichtert damit
die Wohnbauförderung. Die Förderung studentischen
Wohnraums ist primär und fast ausschließlich Sache der
Länder. Das soll auch so bleiben.
({7})
518 Millionen Euro ist die jährliche Zuweisung des
Bundes an die Länder. Frau Kollegin Magwas hat darauf
hingewiesen, dass leider nicht alle Länder dieses Geld
zweckentsprechend verwenden. Bayern tut es - ich
komme gleich darauf zurück -, auch Nordrhein-Westfalen tut es. Eben hat ein Kollege die Situation in Nordrhein-Westfalen lobend erwähnt. Dort will man bis 2018,
2020 - ich habe die Zahl nicht mehr genau im Kopf 800 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau und
für studentisches Wohnen einsetzen. Ich stimme in das
Lob sofort ein, wenn das Land es gleichzeitig schafft,
seine Schulden und seinen Haushalt besser in den Griff
zu bekommen; denn das sind die beiden Seiten einer Medaille.
({8})
Ansonsten - alle Achtung, wenn es so geschieht stimme ich dem zu, und es ist lobenswert.
Herr Kollege Möring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiese?
({0})
Innerhalb der Koalition sowieso sehr gerne, Herr Kollege.
Herr Kollege Möring, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Würden Sie mir zustimmen, dass
die mittelfristige Finanzplanung der schwarz-gelben Koalition unter Jürgen Rüttgers für Nordrhein-Westfalen
eine Nettoneuverschuldung für das Jahr 2014 von über
6 Milliarden Euro vorsah? Würden Sie mir zustimmen,
dass in diesem Jahr der Haushalt in NRW nicht gut ist,
aber eine Nettoneuverschuldung von ungefähr 3 Milliarden Euro vorsieht? Würden Sie mir zustimmen, dass das
eine enorme Differenz im Gegensatz zum Haushalt, den
Schwarz-Gelb in NRW geplant hatte, ist?
({0})
Ja. - Ja. - Nein; aber erst am Ende der Periode, die
Sie angesprochen haben, würde ich mir ein abschließendes Urteil erlauben.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn eine
Debatte über solch einen Antrag 96 Minuten dauert,
dann besteht das Problem,
({1})
dass man entweder alles wiederholen muss, was schon
gesagt worden ist, oder seine Redezeit nicht ausnutzen
kann. Nun weiß ich aus meinem früheren Leben, dass
Wiederholungen eigentlich positiv sind, weil sie zur Festigung des Gesagten beitragen.
({2})
Aber meine Vermutung ist, dass das in diesem Fall in
Bezug auf die Kolleginnen und Kollegen der Linken
auch nichts hilft.
({3})
Insofern will ich mir die inhaltlichen Wiederholungen
sparen.
({4})
Ich möchte Sie stattdessen einladen, einen Blick auf
Köln zu werfen.
Zunächst noch eine kleine Vorbemerkung: Ich habe in
Anbetracht der vielen Aussagen, wie teuer das Wohnen
ist - in München, in Frankfurt, in Hamburg -, festgestellt, dass wir offensichtlich alle von unterschiedlichen
Zahlen ausgehen. Die Zahlen für Köln, die ich vom Studentenwerk und anderen interessierten Gruppen habe,
belegen eindeutig, dass in Köln am teuersten gewohnt
wird. Eben habe ich aber gehört, dass München am teuersten ist, und dann habe ich gehört, dass Frankfurt am
teuersten ist. Ich habe den Eindruck, dass es hier einen
Wettlauf darum gibt, wo es am schlimmsten ist.
({5})
In Wirklichkeit haben wir aber - das ist auch schon angedeutet worden - eine sehr differenzierte Situation,
weil wir zwar in einigen Bereichen wirklich ein Problem
mit der Unterbringung haben, in vielen Bereichen aber
nicht.
({6})
Einmal abgesehen davon, dass Studenten ihren Studienort nicht in allen Fällen frei wählen können, sind sie
- auch darauf möchte ich hinweisen - sehr wohl in der
Lage, Einfluss darauf zu nehmen, wo sie studieren,
({7})
und dass sie damit auch eine Entscheidung darüber treffen, wie hoch ihre Lebenshaltungskosten sind.
({8})
Das zu entscheiden, liegt in der Freiheit des Einzelnen.
Da kann man dann nur sagen: Nutzt diese Freiheit und
entscheidet, was ihr euch leisten wollt und was ihr euch
nicht leisten wollt.
({9})
Ich will gar nicht so weit gehen, zu hinterfragen, wie
viel Geld für’s Wohnen, wie viel Geld für’s Auto oder
wie viel Geld für den Urlaub ausgegeben wird. Das muss
jeder für sich entscheiden: jeder normale Arbeitnehmer,
jede Familie und letztlich auch alle Studenten.
({10})
- Ja, ist völlig klar. Ich weiß, Studieren kostet Geld. Ich
habe es ja auch selbst einmal erlebt.
Kommen wir jetzt auf Köln zu sprechen. Wir brauchen außer Geld sicher auch kreative Lösungen. Deshalb
lade ich Sie ein, einmal einen Blick nach Köln zu werfen.
Erster Punkt. Dort hat das Studentenwerk eine alte
Polizeistation, deren Eigentümer das städtische Wohnungsunternehmen ist, angemietet, die Räume umgebaut
- nicht die Zellen; die werden versiegelt - und bietet
dort studentisches Wohnen an. Das ist ein Weg, wie es
geht.
Zweiter Punkt. Die Stadt - einvernehmlich, über alle
Fraktionen hinweg - betreibt eine Liegenschaftspolitik,
bei der sie bestimmte Liegenschaften, die sie ja auch
zum Verkehrswert verkaufen muss, als Objekte bzw. Gebiete für studentisches Wohnen definiert. Da kommen
dann Investoren zum Zuge, die studentischen Wohnraum
bauen und anbieten wollen. Wenn man das exklusiv für
einen solchen Zweck ausweist, dann hat man auch keine
Konkurrenz zwischen Bewerbern, die ganz andere Vorstellungen haben und höhere Preise zahlen würden.
({11})
Es liegt in der Hand der Kommunen, mit solchen Instrumenten studentisches Wohnen zu fördern.
Ein letzter Punkt - da ist wieder ein bisschen Kritik
an Studenten enthalten -: Die kommunalen Wohnungsunternehmen in Köln haben vor ungefähr zwei Jahren
aus ihrem Bestand 700 bis 800 Wohnungen - kleine
Wohnungen, für Wohngemeinschaften brauchbare Wohnungen - für studentisches Wohnen angeboten. Bevor
das Projekt wirklich spruchreif war, hat der AStA eine
Stellungnahme abgegeben und gesagt: Die Wohnungen
kommen nicht infrage; die sind nicht geeignet; die sind
in einem zu schlechten Zustand - obwohl dort bis dahin
andere Mieter wohnten -, und die liegen zu weit verteilt
über die Stadt und zu weit entfernt von der Uni.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn zumutbar bei der Bezahlbarkeit, aber auch beim Weg? Wenn
ich fünf Minuten von der Uni entfernt wohnen will,
wenn ich fünf Minuten von der Altstadtszenerie entfernt
wohnen will - in Köln heißt das Kwartier Latäng - zahle
ich natürlich mehr. Jeder normale Arbeitnehmer, der
morgens zur Arbeit fährt und abends zurück, nimmt Wegezeiten in Kauf, die viele Studenten für sich ablehnen.
So, meine ich, geht das nicht.
({12})
Ein letzter Satz; denn ich habe gemerkt, dass meine
Redezeit tatsächlich schon vorüber ist - so schnell kann
das gehen. Herr Gehring, Sie haben auf den Runden
Tisch des Kollegen Ramsauer hingewiesen und ein bisschen darüber gespottet.
({13})
Kollege Ramsauer hat da etwas über die Zuständigkeit
des Bundes hinaus gemacht: Er hat diejenigen, die damit
zu tun haben, an einen Tisch gebracht. - Sie haben nun
gesagt: Dabei ist aber nichts herausgekommen.
({14})
Doch! Dabei ist ein Informationsaustausch zwischen den
Beteiligten herausgekommen, und wir setzen ihn im
Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen fort.
({15})
Damit wird nicht gebaut, aber damit werden die Interessen und die Möglichkeiten abgeglichen, Ideen gesammelt und geklärt, was man braucht.
Wirklich letzter Satz: Wenn wir zu dem Ergebnis
kommen, dass wir in der Baunutzungsverordnung die
eine oder andere Anpassung vornehmen müssen, um die
Umwidmung von Büroraum, der nicht mehr modern genug ist, zu Wohnmöglichkeiten für Studenten oder Ähnlichem zu eröffnen, dann ist auch das eine positive Folge
solcher Gespräche.
Wir werden hier Schritt für Schritt weitergehen und
uns nicht durch solche Anträge aufhalten lassen - allerhöchstens 96 Minuten lang.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Dennis Rohde für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Uns liegt heute ein Antrag der Linken zur Situation auf
dem Wohnungsmarkt speziell in Hochschulstädten vor.
Ich gebe ihnen in dem einen Punkt recht: Hochschulstädte haben oftmals ein Wohnraumproblem, und sie haben somit auch ein Problem mit steigenden Mietpreisen.
Wir wissen aber auch, dass wir nicht nur über eine isolierte Lösung für Studierende nachdenken sollten;
({0})
denn natürlich sind auch in Hochschulstädten andere gesellschaftliche Gruppen ebenfalls betroffen. Wir müssen
auch über Lösungen für Menschen mit niedrigem Einkommen, für Sozialleistungsempfänger, für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit kleinen Renten und - das
ist leider oftmals auch nötig - für Alleinerziehende nachdenken. All das müssen wir mitbedenken. Wir brauchen
Lösungen, die allen gerecht werden und die insbesondere nicht die eine Gruppe gegen die andere ausspielen.
({1})
Wir werden dieses Problem in der Großen Koalition
entschlossen angehen, und zwar im Rahmen des Verfassungsrechts; das ist etwas, was Sie in Ihrem Antrag insbesondere im Hinblick auf die Mietpreisbremse nicht beachten; ich komme gleich kritisch darauf zu sprechen.
Wir werden das Problem angehen, indem wir insbesondere die Städtebauförderung aufstocken und das Bestellerprinzip bei den Immobilienmaklern einführen, also
dafür Sorge tragen, dass Menschen nicht mehr dadurch
vom Abschluss eines Mietvertrages abgehalten werden,
dass sie sich die hohe Einmalzahlung nicht leisten können. Und ja, wir werden eine Mietpreisbremse einführen, die wirkt.
({2})
Wenn man sich anschaut, welche Forderungen sich da
innerhalb der Koalition gegenüberstanden - wir haben
sie leider nicht nur immer intern diskutiert, sondern sie
wurden manchmal auch öffentlich kommuniziert -, dann
muss man sagen: Es wird eine Mietpreisbremse mit klarer sozialdemokratischer Handschrift. Wir haben uns
nicht vom Weg abbringen lassen. Wir haben uns durchgesetzt, und darauf sind wir auch stolz.
({3})
Jetzt zur Mietpreisbremse der Linken. Ich finde Ihre
Forderung einfach nicht seriös, und ich glaube, ein Gesetz auf Basis Ihrer Vorschläge würde im Endeffekt keiner Mieterin und keinem Mieter helfen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solches Gesetz bei der
erstbesten Möglichkeit vom Bundesverfassungsgericht
wieder kassiert werden würde. Denn das, was Sie vorschlagen, ist ja keine Mietpreisbremse; das ist eine Wohnungsmarktvollbremsung im dichten Stadtverkehr. Da
ist der Auffahrunfall leider vorprogrammiert.
({4})
Denn was fordern Sie? Sie fordern erstens, eine „Mieterhöhung allein wegen der Wiedervermietung“ auszuschließen. Zu Deutsch: Sie fordern die Abschaffung des
marktwirtschaftlichen Prinzips von Angebot und Nachfrage. Sie wollen nicht einmal einen Rahmen für Mietabschlüsse bieten. Sie wollen Mietabschlüsse diktieren.
Das ist eine Reduktion der Vertragsfreiheit fast auf null.
Das ist weder richtig noch verfassungskonform. Solche
Sachen wird es mit uns Sozialdemokraten nicht geben.
({5})
Sie fordern zweitens, dafür zu sorgen, dass Mieterhöhungen im Bestand nur noch zum Ausgleich der Inflation zulässig sind. Ich bitte Sie alle, sich einmal vorzustellen, was los wäre, wenn wir morgen eine solche
Regelung einführen würden. Damit würden wir nämlich
genau diejenigen bestrafen, die in den letzten Jahren, im
letzten Jahrzehnt auf Mieterhöhungen verzichtet haben.
Es gibt ja nicht nur den bösen Vermieter und den guten
Mieter. Ich kenne auch viele Vermieter, die sagen: Mein
Mieter hat ein kleines Einkommen; ich habe deswegen
seit Jahren auf Mieterhöhungen verzichtet, damit die
Person in meiner Wohnung bleiben kann. - Wenn wir
diesen Vermietern jetzt sagen: „Wenn der Mieter einmal
ausgezogen ist, dann darfst du die Miete nicht bzw. nur
in Höhe der Inflationsrate erhöhen“, dann wird nur eine
Miete erzielt werden können, die dauerhaft unter der
ortsüblichen Vergleichsmiete bleibt, und der eigentlich
Soziale ist am Ende der Bestrafte. Das kann nicht richtig
sein.
({6})
Dann wird immer wieder gefordert, dass die Mietpreisbremse auch für Neubauten gelten solle. Für die
SPD sage ich: Neubauten ähnlich wie jetzt schon von einer solchen Regelung auszunehmen, ist richtig; denn
eine Mietpreisbremse schafft keinen zusätzlichen Wohnraum; sie lindert das Symptom. Aber wir müssen die Ursache bekämpfen, und die Ursache bekämpfen wir nur,
indem wir Angebot und Nachfrage wieder ins richtige
Verhältnis setzen, indem wir Anreize für Neubau setzen
und ihn nicht noch zusätzlich blockieren.
({7})
Ich sage Ihnen auch: Eine Gefährdung der Mietpreisbremse besteht nicht. Es gibt 42 Millionen Bestandswohnungen, und jedes Jahr kommen circa 250 000 Neubauwohnungen - das sind rund 0,6 Prozent - dazu. Wer
da von einer Gefährdung der Mietpreisbremse spricht,
der macht sich selbst etwas vor.
Wir tun für den Mietmarkt, was wir tun können. Wir
versprechen nicht das Blaue vom Himmel, eben weil wir
wissen, dass es keine kurzfristigen Lösungen gibt. Für
Entspannung auf dem Mietmarkt zu sorgen, ist ein langfristiger Prozess. Die Botschaft der Großen Koalition
des heutigen Tages ist aber auch: Wir sind bereit, diesen
Prozess anzugehen.
Vielen Dank.
({8})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Rohde hat sich eben trefflich mit dem Antrag
der Linken auseinandergesetzt. Ich möchte für mich festhalten: Ich finde es gut - auch wenn es 96 Minuten
sind -, dass wir uns mit der Wohnungsversorgung in
Universitäts- bzw. Hochschulstädten einerseits und der
Situation von Studierenden hier andererseits auseinandersetzen.
({0})
Man lernt auch dazu, etwa durch die Berichte der Kollegin Gohlke über München oder durch die vom Kollegen
Möring aus Köln eingebrachten Anregungen.
Ich selber komme nicht aus einer Universitätsstadt.
Ich komme aus dem Kreis Pinneberg, der in der Metropolregion Hamburg liegt. Selbstverständlich wird in
Hamburg im Ausbauprogramm für Wohnraum studentischer Wohnraum berücksichtigt. Trotzdem war es wichtig,
dass auch in einer Randstadt wie Pinneberg ein gemeinnütziger Wohnungsbauträger mit einem freien Finanzier gemeinsam überlegt hat, ob man dort - auch wenn die Entfernung zur Universität 20 Kilometer beträgt - in ein
großes Neubauvorhaben nicht auch studentischen Wohnraum integrieren kann.
Ich werbe ausdrücklich dafür, dass wir Abgeordneten
das zu unserem Anliegen machen und es nicht delegieren. Hier sind nicht nur die Metropolen gefragt, sondern
es geht um infrastrukturelle Gesamtnetze. So ist zu fragen: Müssen Studenten immer im Zentrum wohnen
- was sicherlich am schönsten ist; der Kollege hat es
eben angesprochen -, oder kann man das Problem nicht
auch dadurch lösen, dass man gut angebundene Wohnungen baut, die zwar in Randlage liegen, aber durch öffentlichen Nahverkehr gut zu erreichen sind? Unsere
Aufgabe ist es, dafür zu werben; und dabei müssen wir
auch die besonderen Bedürfnisse von studentischem
Wohnen ansprechen und um Verständnis werben.
Frau Magwas, ich bin nicht ganz Ihrer Meinung. Natürlich ist es so, dass sich Studierende wünschen, in der
Nähe einer lebendigen Hochschulkultur, die wir auch erhalten müssen, und am liebsten sogar noch neben dem
Institut, zu wohnen statt als Masse in Studentenwohnheimen. Zugleich freuen wir uns darüber, dass viele Studenten aus anderen Ländern zu uns kommen. Für diese ist
das Studentenwohnheim eine Art Eintrittskarte, um leicht
Anschluss zu finden, um sich angenommen zu fühlen.
Deshalb ist es so wichtig, den Bau studentischer Wohnheime weiter zu fördern.
({1})
Es ist ja nicht so - ich möchte an dieser Stelle konstruktiv auf die Position der Linken eingehen -, dass in
den Ländern nichts passieren würde. Wir erinnern uns an
frühere Mitteilungen des Deutschen Studentenwerkes,
aus denen noch vor wenigen Jahren hervorging, dass
sich nur zwei, drei Länder beim Wohnheimbau engagieren. An der Spitze stand Bayern, das mittlerweile von
NRW abgelöst wurde; auch Baden-Württemberg wurde
genannt. Inzwischen engagieren sich aber bis zu neun
Länder beim Bau von Studentenwohnheimen. Es wäre
gut, wenn es irgendwann einmal 16 Länder werden würden. Zugleich wissen wir, dass es eine differenzierte Bedarfslage gibt.
Ich will gerne über das Argument der Grünen reflektieren und fragen, ob es wirklich gut ist, wenn wir bei
der Wohnpauschale nach Wohngeldklassen differenzieren - das ist ein Gedanke, den wir auch schon hatten -,
oder kommt so nicht eher das zum Tragen, was Kollege
Möring angesprochen hatte, nämlich dass es unter Umständen einen Zustrom an Studienorte gibt, wo Wohnen
nicht so teuer ist. Das ist eine Abwägungsfrage, der wir
uns stellen müssen. Wenn andere Sozialleistungen nicht
nach Regionen differenziert werden, sollte ein einheitlicher BAföG-Satz vielleicht auch die Wohnpauschale
einschließen. Man kann das auch anders sehen. Ich
werbe aber dafür, dass wir Anreize setzen, die Kapazitäten, die es insgesamt an den Hochschulen in allen Bundesländern gibt, auszulasten.
Eine letzte Bemerkung: Nachdem wir heute schon
Anregungen mitnehmen konnten, so könnten weitere
Anregungen auch aus dem Parlament kommen, zum
Beispiel in Sachen BlmA, in Bezug auf die Allianz, die
die Bundeswohnungsbauministerin initiieren will, und
ein Werben, auch die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in den Dialog einzubeziehen.
Im Übrigen, um einen Gedanken der Grünen aufzugreifen, lassen wir uns ja auch ein kleines Hintertürchen
in Bezug auf ein Bundesengagement offen: Gemäß Artikel 91 b Grundgesetz - Stichwort Bildung - war bisher
mit der Begründung, dass das grundsätzlich ein Anliegen der Länder ist, die Förderung von sozialen Belangen
ausgeschlossen. Wir sollten aber bei einer Änderung des
Artikels Ihre Anregung zumindest im Hinterkopf behalten, damit wir dann, wenn es konjunkturbedingt Investitionsbedarfe gibt, auch das städtische Wohnen berücksichtigen können. Dies ließe sich im Zuge der
Grundgesetzänderung, die wir zum Ende des Jahres vornehmen, sehr wohl umsetzen.
Was bleibt, ist die Feststellung - ich finde, Oliver
Kaczmarek hat das am besten auf den Punkt gebracht -,
dass wir eine Strategie der Vielfalt brauchen. Jeder muss
in seinem Zuständigkeitsbereich das Maximale tun, um
studentisches Wohnen zu fördern.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2870 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD
zu der vereinbarten Debatte
Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der
Ebolaepidemie
Drucksachen 18/2607, 18/2841
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wenn die erforderlichen Umgruppierungen in den
Fraktionen abgeschlossen sind, kann ich die Aussprache
eröffnen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staatsministerin Dr. Maria Böhmer.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ebola bedroht den Frieden und die Sicherheit. Das hat
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Mitte September festgestellt - zum ersten Mal überhaupt bezüglich einer Krankheit. Die Welt hat die Epidemie zunächst unterschätzt; ich sage: auch wir. Inzwischen hat sich das
geändert. Es wird mit aller Kraft und vor allen Dingen
gemeinsam gehandelt. Das ist notwendig, denn Ebola
rafft Tausende Menschen dahin. Ebola ist nicht sichtbar,
nicht fassbar und kaum behandelbar, leider auch noch
nicht wirklich bekämpfbar.
Die Folgen der Katastrophe werden bleiben, auch
wenn die eigentliche Verbreitung der Seuche endlich
eingedämmt sein wird:
Ebola zerstört durch die Angst vor Ansteckung kulturelle und gesellschaftliche Traditionen, Traditionen der
Nähe und der Fürsorge.
Ebola verstärkt Hunger und Armut. Märkte werden
geschlossen, Bäuerinnen und Bauern können nichts
mehr verkaufen und anbauen.
Ebola trifft einige der zerbrechlichsten Volkswirtschaften ins Mark. Liberia, Sierra Leone und Guinea hatten in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum
gezeigt. Gerade Liberia war dabei, die Folgen des langen
Bürgerkriegs endlich zu überwinden. Jetzt wird es erneut
zurückgeworfen.
Leider sind von Ebola, wie so oft in solchen Fällen,
die Frauen überproportional häufig betroffen, denn den
Frauen obliegt in den Familien traditionell die Pflege.
Sie sind daher mit einem besonderen Ansteckungsrisiko
konfrontiert. Etwa zwei Drittel der Ebolainfizierten sollen Frauen sein.
Ich habe vor einer Woche die afrikanischen Botschafterinnen zu einem Gespräch getroffen. Das sind beeindruckende, starke Frauen. Wir alle, die wir an dem
Gespräch teilnahmen, waren erschüttert, als die Botschafterin aus Liberia berichtete: In Liberia ist das Gesundheitswesen faktisch zusammengebrochen. Behandlungsstationen sind vollkommen überfüllt. Überall
fehlen Medikamente, Schutzausrüstung, medizinisches
Gerät und vor allem Ärzte und Pflegekräfte. Die zu wenigen, die da sind, sind erschöpft und überfordert, manches Mal werden sie sogar isoliert und diskriminiert.
Was mich auch umtreibt, ist die Situation der Kinder,
die ihre Eltern an die Krankheit verloren haben. Sie können nicht, wie sonst gerade in Afrika üblich, in der
Großfamilie aufgefangen werden. Sie müssen aus
Schutz isoliert werden. Ich war tief bewegt, als während
des Gesprächs mit den Afrikanerinnen die Botschafterin
Botswanas ihrer Kollegin aus Liberia konkrete Hilfe anbot. Sie sagte: Wir haben in Botswana durch HIV/Aids
viel Erfahrung im Umgang mit Familien ohne Eltern.
Man könne doch sicher für die Ebolawaisen etwas von
den Aids-Waisen lernen.
Oft wird vergessen, dass auch die Patienten leiden,
die sich nicht mit Ebola infiziert haben. Denn viele
Krankenhäuser sind nicht mehr in der Lage, schwere,
aber eigentlich heilbare Krankheiten zu behandeln. Die
Zahl der durch Malaria oder Durchfallerkrankungen bedingten Todesfälle ist deutlich gestiegen.
Um die Ebolaepidemie erfolgreich bekämpfen zu
können, müssen nach Auffassung der Vereinten Nationen fünf strategische Ziele erreicht werden:
Erstens. Unterbrechung der Ansteckungskette.
Zweitens. Die Behandlung der Infizierten. Hier sage
ich: Auch unterstützende Maßnahmen können die Sterblichkeit verringern.
Drittens. Die Sicherstellung einer Basisgesundheitsversorgung und der Versorgung mit Nahrungsmitteln.
Viertens. Die Aufrechterhaltung von staatlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Stabilität.
Fünftens. Die Verhinderung des Übergreifens der
Ebolaepidemie auf bislang nicht betroffene Länder.
Ich möchte hier in aller Deutlichkeit hinzufügen: Um
eine erneute Epidemie für die Zukunft zu verhindern,
muss auch die Entwicklung eines Impfstoffs vorangetrieben werden.
({0})
Wir alle wissen, mit welchen Problemen das bei einer
Krankheit, die vor allem die Ärmsten der Armen betrifft,
verbunden sein kann. Aber wir sollten aus dieser Epidemie gelernt haben, dass wir hier nicht nachlassen dürfen.
({1})
Die Ebolaepidemie kann die internationale Gemeinschaft nur gemeinsam bewältigen. Deutschland leistet
hierbei einen beachtlichen Beitrag. Die Bundesregierung
will insgesamt weitere 85 Millionen Euro überplanmäßig bereitstellen, davon 50 Millionen Euro noch im laufenden Haushaltsjahr. Der Haushaltsausschuss hat dazu
am Mittwoch ein entsprechendes Votum abgegeben. Ich
möchte allen Kolleginnen und Kollegen einen sehr herzlichen Dank dafür aussprechen.
({2})
Zuvor waren bereits 17 Millionen Euro aus dem laufenden Haushalt zur Ebolabekämpfung eingesetzt worden. Sie wissen, mit 10 Millionen Euro wurde der Krisenplan der Weltgesundheitsorganisation unterstützt und
mit knapp 7 Millionen Euro die Hilfsmaßnahmen von
Nichtregierungsorganisationen, darunter Ärzte ohne
Grenzen und die Welthungerhilfe. Rechnet man noch
den deutschen Anteil an den Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union hinzu, so beläuft sich der Betrag nur in
diesem Jahr auf rund 100 Millionen Euro.
Ich sage hier aber auch: Die finanzielle Unterstützung
ist das eine, die große Hilfsbereitschaft in unserem Land
das andere. Ich denke, wir alle sind über die Resonanz
beeindruckt, die der Aufruf an Freiwillige gefunden hat.
Das gilt für das medizinische Fachpersonal, das gilt für
die vielen, vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land, und das gilt ganz besonders auch für unsere Soldatinnen und Soldaten.
({3})
Die gezielte Ausbildung der Freiwilligen hat bereits
begonnen. Dabei unterstützen uns renommierte Forschungsinstitute wie das Bernhard-Nocht-Institut und
das Robert-Koch-Institut. Der erste Hilfsflug der Bundeswehr ging am 3. Oktober von Dakar nach Monrovia.
Zentral für unsere Hilfe sind Behandlungsstationen und
mobile Krankenhäuser. Dabei sind THW und DRK besonders gefragt. Eine Vorausdelegation des Deutschen
Roten Kreuzes kommt heute aus Westafrika zurück.
Nach dem Applaus eben möchte ich auch noch einmal
im Namen der Bundesregierung allen Helferinnen und
Helfern sehr herzlich danken, und ich glaube, dieses
Haus teilt diesen Dank.
({4})
Wichtig für die Freiwilligen ist auch, dass sie sich darauf verlassen können, dass sie im Ansteckungsfall evakuiert werden. Die Bundesregierung wird ein Flugzeug
mit einer Isolierstation, die den höchsten medizinischen
Standards genügt, anmieten und ausrüsten. Denn es darf
kein Zweifel bestehen: Wir sind bereit und in der Lage,
an Ebola erkrankte Helferinnen und Helfer hier in
Deutschland zu behandeln. Das gilt auch für diejenigen,
die nicht deutscher Herkunft sind und aus dem Ausland
kommen.
({5})
Der Kampf gegen Ebola wird nur gelingen, wenn er
entsprechend koordiniert wird. Sie wissen, dass die Bundesregierung Botschafter Lindner zum Koordinator für
die Ebolabekämpfung ernannt hat. Er ist ein afrikaerfahrener Krisenmanager. Er ist jetzt vor Ort. Ich denke, das
wird hilfreich sein für alles, was es weiter einzuleiten
gilt. Doch wir wissen nicht genau, ob das alles ausreichen wird.
({6})
Ich möchte deshalb der Koalition einen herzlichen Dank
sagen für diesen Antrag, in dem weitere wichtige
Schritte aufgezeigt werden, Schritte, die wir mit ins
Auge fassen müssen. Denn wir wollen gemeinsam, Bundesregierung und Parlament, auch künftig alles daransetzen, dass im Rahmen unserer Möglichkeiten alle erforderlichen Mittel und Kapazitäten bereitgestellt werden.
Wir wollen und wir müssen die Ebolaepidemie stoppen
und bekämpfen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
finde es gut, dass der Bundestag gestern weitere 85 Millionen Euro zur Bekämpfung der Ebolaepidemie in
Westafrika bereitgestellt hat. Aber es geht eben nicht nur
um Geld; noch wichtiger ist die Entsendung medizinischen Fachpersonals.
({0})
Daran fehlt es vor Ort massiv: In Liberia kommt auf
100 000 Menschen ein Arzt. Erst spät hat die Bundesre5704
gierung nach Freiwilligen gesucht, die helfen wollen. Ich
hätte mir gewünscht, Herr Gröhe, dass Ihr Aufruf nicht
erst vor drei Wochen, sondern deutlich früher gekommen
wäre.
({1})
Leider ist es auch so, dass die Erfolgsmeldungen etwas voreilig sind. So haben sich zwar beim Roten Kreuz
1 600 Menschen beworben; davon wurden aber gerade
einmal 117 als geeignet eingestuft, darunter 43 Ärzte.
All diese Menschen genießen meinen größten Respekt.
({2})
Zum Vergleich: Das kleine Kuba schickt 165 medizinische Hilfskräfte. Der Präsident der Bundesärztekammer,
Montgomery, hat geschätzt, dass Deutschland, um den
Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation gerecht zu werden, 1 200 Helfer schicken müsste.
({3})
Das ist nicht unmöglich; dafür brauchen wir aber zum
Beispiel Freistellungsregeln für Krankenhäuser, damit
Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die helfen wollen, dies auch machen können.
({4})
Kollege Movassat, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Huber?
Nein, das mache ich nicht.
({0})
Er kann ja gerne, mit Ihrer Erlaubnis, nach meiner Rede
eine Intervention machen.
Im Entwicklungsausschuss sagte der Präsident von
Ärzte ohne Grenzen am 24. September: Es muss bei der
ohnehin zu späten Reaktion jetzt um Stunden und Tage
gehen, nicht um Wochen und Monate. - Jetzt, Wochen
später, sagte mir ein Arzt, der bis vor kurzem in Sierra
Leone war, dass vor Ort immer noch kaum zusätzliche
Hilfe ankommt. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland und die gesamte Welt, und es macht deutlich: Die
Bundesregierung muss die Hilfsmaßnahmen so schnell
wie möglich vor Ort umsetzen.
({1})
Vorgestern hatte die Linke zu einem Ebolafachgespräch hier im Haus verschiedene Experten eingeladen.
Was die Botschafterin Liberias da berichtete, war erschütternd. Sie sagte: Das öffentliche Leben ist zusammengebrochen. Ganze Familien gehen zugrunde. Kinder
werden zu Waisen. Die Menschen können ihren engsten
Verwandten nicht einmal die Hand halten, wenn sie sterben.
Düstere Worte kamen auch von Vertretern des UNWelternährungsprogramms: Wegen der Ebolakrise droht
1,3 Millionen Menschen eine Hungersnot. Die Felder
liegen brach, die Menschen sind arbeitslos, die Nahrungspreise steigen. Der Hunger könnte am Ende mehr
Menschen töten als die Ebolaepidemie selbst. Der
Kampf gegen den Hunger läuft zudem unter erschwerten
Bedingungen: Nahrungsmittelpakete können nicht an
Sammelstellen ausgegeben werden, weil sonst eine
Ebolaübertragung droht. Sie müssen von Haus zu Haus
gebracht werden.
180 Millionen Dollar braucht das Welternährungsprogramm für Logistik und Nahrungsmittel. Das ist doch im
Vergleich zu dem, was man für jeden Militäreinsatz ausgibt, eine Kleinigkeit.
({2})
Wir müssen in Westafrika nicht nur den Kampf gegen
Ebola führen, sondern auch den gegen den Hunger.
Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsnation der
Welt. Ich stimme Bundespräsident Gauck in dem Punkt
ausdrücklich zu, dass wir natürlich eine große internationale Verantwortung tragen. Doch diese ist eben nicht militärischer Natur, sondern das ist eine humanitäre Verantwortung.
({3})
Der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe hat sich
seit 2006 fast vervierfacht, aber die Gelder dafür sind
nicht ansatzweise so stark gestiegen. Der AfghanistanKrieg hat Deutschland bis 2012 8 Milliarden Euro gekostet. Mit einem Bruchteil dieser Summe kann man mit
humanitärer Hilfe Hunderttausende Menschenleben retten.
({4})
Wir brauchen in Deutschland endlich personelle und
logistische zivile Ressourcen, um internationale Hilfseinsätze effektiv durchführen zu können. Ich spreche
von einer eigenständigen, gut ausgestatteten zivilen Organisation. Ich nenne sie einmal Willy-Brandt-Korps,
also eine Organisation des Friedens und der Hilfe, die eigene Flugzeuge, Isolierstationen, Ärzte und Techniker
hat. Natürlich kostet das Geld. Aber Armeen und Kriege
kosten mehr Geld. Es gibt den Bedarf an international
einsetzbaren zivilen Helfern. Man muss nur die Prioritäten richtig setzen.
({5})
Abschließend möchte ich allen noch eine Sache zur
Kenntnis geben, die ich wirklich unfassbar finde. Die
Bild-Zeitung hat gestern unter der Überschrift „Todesseuche Ebola: Wie viel Angst muss ich in Deutschland
haben?“ die Frage gestellt - ich zitiere -:
Was mache ich, wenn ich glaube, der Mensch neben mir in Bus, Bar oder Kino hat Ebola?
Die Antwort:
Den Notruf unter 112 wählen! Dann werden Sie gefragt, ob die typischen Symptome zu beobachten
sind.
Die Bild-Zeitung schürt hier diffuse Ängste. Zudem
ist es mehr als fahrlässig, mit so einem Schwachsinn die
Notfallnummern der Feuerwehren zu überlasten. Ich appelliere wirklich an alle Journalisten, keine Panikmache
zu betreiben.
({6})
Ebola ist eine Erkrankung, die da ausbricht, wo es
schwache Gesundheitssysteme gibt. Länder wie Nigeria,
die im Vergleich zu Liberia ein gutes Gesundheitssystem
haben, haben die Epidemie in den Griff bekommen. Damit ist auch das Risiko in Deutschland fast gleich null.
Was wir tun müssen, ist, den betroffenen Ländern beim
Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme zu helfen,
damit dies die letzte Ebolaepidemie in der Geschichte
ist.
Danke schön.
({7})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Huber das
Wort.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Herr Movassat, ich
versuche, eine gewisse Logik in Ihre Rede zu bringen,
die sich mir so nicht erschlossen hat. Sie haben gesagt,
Herr Gröhe hätte viel früher Ärzte nach Afrika schicken
müssen. Ich habe jüngst einen Bericht von einem Verantwortlichen von der WHO gelesen, in dem dieser sagt:
Schickt uns nicht zuerst Ärzte und große Geldsummen,
sondern schickt uns Anthropologen, um erst einmal den
Impact einer Strategie zur Bekämpfung von Ebola sowie
die Akzeptanz und die Sicht der Bevölkerung auf diese
Strategie zu evaluieren.
Das war kurz nach dem Zeitpunkt - das ist Ihnen sicher geläufig -, als es Attacken auf Helfer, auf Ärzte
gab. - Da Sie jetzt so ein fragendes Gesicht machen, informiere ich Sie darüber, dass das in Guinea passiert ist.
Ich komme zu einem anderen Punkt. Sie haben vom
Ausbau der Gesundheitssysteme gesprochen. Da möchte
ich Sie einmal auf die Dimension des afrikanischen Kontinents hinweisen. Es ist so, dass es in den Ländern
Westafrikas - das ist mit Sicherheit die Ursache dafür,
dass man Ebola nicht von Anfang an wirkungsvoll bekämpfen konnte; da gebe ich Ihnen recht - keine Gesundheitssysteme gibt.
Meine Frage ist: Wenn diese Gesundheitssysteme von
den Verantwortlichen dieser Staaten vorher nicht aufgebaut worden sind, wie soll dann bei allem guten Willen
der Bundesregierung auf die Schnelle ein Gesundheitssystem aufgebaut werden?
Vielen Dank.
({0})
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Kollege
Huber, alle Experten, mit denen wir im Gespräch standen und stehen - das war auch vorgestern beim Fachgespräch so -, haben deutlich gemacht, dass es vor Ort an
Ärzten und Pflegern fehlt. Die Organisation Ärzte ohne
Grenzen ist mit ungefähr 3 000 Helfern vor Ort. Diese
sind überlastet: Sie müssen Menschen an den Türen der
Krankenhäuser und Stationen abweisen. Die kranken
Menschen sterben vor den Toren des Krankenhauses.
Es ist offensichtlich, dass vor Ort ein massiver Personalmangel besteht und dass die anwesenden Helferinnen
und Helfer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen sind. Die Schutzmaßnahmen bei Ebola, die die Helferinnen und Helfer einhalten müssen, sind nicht gering.
Das heißt, der Bedarf an Personal, um diese Maßnahmen
umzusetzen, ist sehr hoch.
Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen: Wir brauchen vor Ort Aufklärung; das ist keine Frage. Aber man
kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Deshalb
müssen wir einen größeren Beitrag leisten, um freiwillige Helferinnen und Helfer zu gewinnen, die geschult
werden und dann vor Ort helfen können.
({0})
Noch eine Bemerkung zum Thema Gesundheitssysteme, das Sie angesprochen haben. Es ist klar, dass man
jetzt nicht Gesundheitssysteme aus dem Boden stampfen
kann. Aber natürlich müssen wir darüber diskutieren,
wie wir mittel- und langfristig verhindern können, dass
wieder so eine Epidemie ausbricht. Es ist ganz klar, dass
die Bundesrepublik Deutschland auch einen Beitrag für
den Aufbau von Gesundheitssystemen leisten muss.
({1})
Keiner sagt, wir sollen da jetzt alleine solche Gesundheitssysteme aufbauen. Aber es geht darum, Unterstützung für diesen Aufbau zu leisten. Das ist nachhaltig,
und das verhindert in Zukunft auch solche Epidemien.
({2})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege HeinzJoachim Barchmann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mittlerweile
sind weit über 4 000 Menschen durch die anhaltende
Ebolaepidemie gestorben. In der Nacht zum Dienstag
dieser Woche erlag ein UN-Mitarbeiter in Deutschland,
der in Leipzig behandelt wurde, der furchtbaren Krank5706
heit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat erschreckende Hochrechnungen veröffentlicht: Sie rechnet im
Dezember mit 5 000 bis 10 000 neuen Infektionsfällen
pro Woche in den am stärksten betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone.
Die Ausmaße dieser Krise sind erschreckend. Unsere
Hilfe in den betroffenen westafrikanischen Ländern, die
zu den ärmsten Ländern zählen, ist dringend notwendig.
Sie ist meiner Meinung nach überfällig. Angesichts der
Krise muss man sagen: Die Gefahr wurde zu lange nicht
erkannt.
Wir sind allen Helferinnen und Helfern zu Dank verpflichtet, wie zum Beispiel denen von Ärzte ohne Grenzen. Sie haben lange vor der WHO auf die Tragödie in
Westafrika aufmerksam gemacht.
({0})
Die Ärzte sind unermüdlich im Einsatz, um Menschenleben zu retten. Allen Helferinnen und Helfern, die bis zur
Erschöpfung ihr Möglichstes tun, um die infizierten
Menschen zu retten, gebührt unser großer Dank für ihr
Handeln und für ihren Mut.
({1})
Was sich meiner Meinung nach gerade in dieser Situation in Guinea, Sierra Leone und Liberia schmerzvoll
zeigt, sind die frappierenden Defizite in den Gesundheitssystemen dieser Länder. Es sind in der Tat auch
Entwicklungsdefizite. Der erste Ausbruch von Ebola
liegt fast 40 Jahre zurück, das war im Jahr 1976. Über
400 Menschen sind damals gestorben. Eine Verbesserung der Gesundheitssysteme hat es seither kaum gegeben. Eine tragfähige öffentliche Gesundheitsversorgung
in zahlreichen afrikanischen Staaten gibt es nach wie vor
nicht. In Liberia wird die Lage besonders deutlich: Auf
100 000 Menschen kommt ein einziger Arzt. Dass es
hier zu einer Überforderung der Gesundheitssysteme
während einer Krise kommen muss, ist uns allen klar.
Die Überforderung ist auch schon ohne diese furchtbare
Epidemie massiv vorhanden.
Kollege Barchmann, gestatten Sie eine Bemerkung
oder Frage der Kollegin Vogler?
Ja, gern.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Kollege, dass Sie meine Frage zulassen. - Sie haben gerade selbst die desaströse Situation in den betroffenen
Ländern beschrieben. Können Sie mir vielleicht sagen,
wie Sie menschlich und politisch dazu stehen, dass in
Deutschland Gerichte immer noch Abschiebungen zum
Beispiel nach Guinea anordnen und Behörden gehalten
sind, diese auch zu vollziehen, und dass die Bundesregierung in Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner
Fraktion kürzlich gesagt hat, dass sie das nach wie vor
für in Ordnung hält? Würden Sie sich persönlich dafür
einsetzen wollen, dass solche Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone bis auf Weiteres unterbunden werden?
({0})
Liebe Kollegin Vogler, die Problematik der Abschiebung ist eine andere Problematik, als wir hier im Augenblick diskutieren.
({0})
Ich denke, das Problem Ebola ist so evident und offenkundig, dass wir die Problematiken durchaus voneinander
trennen sollten. Insofern ist das für mich im Augenblick
in diesem Zusammenhang kein Thema. Allerdings ist
Abschiebung ein Punkt, den wir ebenfalls behandeln
müssen. Ich nehme das auch gern auf.
({1})
Meine Damen und Herren, am Beispiel von Senegal
und Nigeria kann man aber auch gut sehen, wie entscheidend ein vergleichsweise gut funktionierendes Gesundheitssystem ist. In beide Länder ist jeweils eine infizierte
Person eingereist. Dank schneller Isolierung der betroffenen Personen und ihrer direkten Kontakte konnte sich
die Krankheit nicht weiter ausbreiten. In Nigeria kam es
zu 20 Fällen der Infektion. Im Senegal blieb es bei einer
Infektion. Das ist, glaube ich, hervorragend, und es sollte
auch erwähnt werden, dass man durchaus etwas machen
kann.
Die Bundesregierung hat gute Maßnahmen auf den
Weg gebracht, um bei der Eindämmung der Epidemie zu
helfen. Die finanziellen Mittel für die Krisenregionen
wurden vom Entwicklungsminister auf 10 Millionen
Euro angehoben. Auch das Auswärtige Amt hat die Hilfen für die betroffenen Länder um weitere 5 Millionen
Euro aufgestockt. Die Bundeswehr unterstützt mit einer
Luftbrücke den Transport von Hilfsgütern aus Deutschland und der Europäischen Union. Sie wird eine Krankenstation zur Verfügung stellen und dementsprechend
einrichten. Die von Frau Dr. Böhmer angesprochenen
85 Millionen Euro, die diese Woche im Haushaltsausschuss bewilligt worden sind, sind, glaube ich, auch eine
sehr wichtige Hilfe, die zur Linderung beiträgt.
Ich begrüße auch sehr, dass die Europäische Union
150 Millionen Euro bereitstellt, um die Epidemie zu bewältigen, und dass Deutschland auch einen Anteil dazu
beiträgt.
Doch um eine Wiederholung dieser Krise zu verhindern, müssen die betroffenen Länder mit Unterstützung
der internationalen Gemeinschaft entschlossen die strukturellen Probleme angehen. Die betroffenen Staaten
müssen wenigstens eine Grundsicherung im GesundHeinz-Joachim Barchmann
heitssystem anbieten können. Das gelingt nur durch ein
sozial gerechtes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
Nur wenn die Grundlagen stimmen, können Katastrophen wie diese eingedämmt werden. Dabei haben die
Weltgemeinschaft und auch wir eine entwicklungspolitische Verantwortung. Diese Verantwortung muss sich
auch in unserem Haushalt widerspiegeln.
({2})
Darum erlauben Sie mir einen kurzen Einwurf dazu:
Eine aktuelle Emnid-Umfrage besagt, dass 79 Prozent
der Deutschen sich dafür aussprechen, dass wir mehr
Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investieren
und unsere Zusage einhalten, einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit fließen zu lassen. Hier müssen wir,
liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr tun. Denn davon
sind wir noch weit entfernt.
({3})
Wir müssen dringend über weitere Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken, auf nationaler und internationaler Ebene.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ebolaepidemie
löst auch eine Nahrungsmittelkrise aus. Eine Hungerkatastrophe droht. Schon jetzt ist Liberia von drastischen
Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln betroffen.
Wir müssen davon ausgehen, dass alle betroffenen Länder Nahrungsmittelhilfe benötigen werden. Denn die
Landwirtschaft leidet enorm unter der Krise. Felder wurden nicht bestellt; Ernten werden ausbleiben.
Die zurzeit völlig überforderten Gesundheitssysteme
haben zur Folge, dass anderweitig Erkrankte oft keine
Behandlung mehr erhalten. Aus Angst vor Ansteckung
trauen sie sich nicht mehr zum Arzt. Menschen sterben
jetzt noch häufiger an Krankheiten, die ansonsten relativ
einfach zu behandeln wären.
Wer aufgrund einer Erkrankung nicht arbeitet, verdient kein Geld und kann sich und seine Familie nicht
ernähren. Es fehlt an sozialer Sicherung. Kinder können
nicht mehr zur Schule gehen. Wirtschaft und Landwirtschaft kommen zum Erliegen. Der Handel stagniert. Das
wirtschaftliche und soziale Leben liegt brach. Die Menschen in Sierra Leone, Guinea und Liberia fürchten sich
inzwischen vor Berührungen. Sie gehen nicht mehr aus
dem Haus und vermeiden Kontakte. Man schüttelt sich
aus Angst vor dem unsichtbaren Virus nicht mehr die
Hand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird nicht ausreichen, die Ebolaepidemie einzudämmen. Neben den
notwendigen und möglichst schnell umzusetzenden Krisenmaßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit wird die
weitere Entwicklung der betroffenen Staaten entscheidend sein. Die öffentliche Gesundheitsvorsorge ist dabei
ein wichtiger Teil.
Zur Stabilisierung der Staaten müssen wir jetzt humanitäre Hilfe leisten. Wir müssen in der Krise helfen, und
das tun wir. Langfristig muss allerdings eine nachhaltige
und mit unseren europäischen und internationalen Partnern koordinierte Entwicklungszusammenarbeit die Antwort sein. Dafür sollten wir uns alle einsetzen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe mir bei Ihrem Beitrag, Herr Huber, überlegt, ob
das die Position Ihrer gesamten Fraktion ist oder ob es
sich mehr um die Meinung eines Freigeistes handelt.
Wenn es die Meinung Ihrer Fraktion ist, dann sollten wir
darüber noch einmal intensiver diskutieren.
Am 23. März 2014 hat die WHO die ersten Ebolafälle
in Guinea gemeldet. Kurz darauf bestätigte sie weitere
Infektionen in Liberia. Im Mai wurde Ebola in Sierra Leone registriert. Noch vor der Sommerpause habe ich die
erste Anfrage an die Bundesregierung gestellt und in einer Pressemitteilung die Bundesregierung aufgefordert,
schnell und entschieden im Kampf gegen die Ebolaepidemie zu handeln.
Herr Barchmann, Sie sind schon sehr lange informiert. Das Problem ist also nicht unterschätzt worden.
Selbst auf WHO-Ebene ist das klar gesagt worden. Am
8. August hat die WHO den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Spätestens dann hätte die Regierung handeln müssen. Dass sie nicht auf meine Anfrage handelt, ist klar.
({0})
Aber vier Wochen später hätte sie aufgrund der WHOVerlautbarung handeln müssen.
({1})
Nun diskutieren wir drei Monate später über einen
Entschließungsantrag von Union und SPD, der überwiegend Prüfaufträge für die Bundesregierung vorsieht. Die
Zeit der Prüfaufträge ist aber meines Erachtens vorbei.
({2})
Sie bestätigen mit diesem Antrag, dass die Bundesregierung nicht willens oder vielleicht auch nicht fähig ist,
entschlossen und schnell zu handeln. In dieser dramatischen Situation geht es um Soforthilfe und humanitäre
Hilfe. Schauanträge, die zum großen Teil auf völlig veralteten Fakten basieren, helfen niemandem. Wir stimmen doch heute nicht ernsthaft darüber ab, dass die Bundesregierung die Verfügbarkeit von technischem
Material und Flugkapazitäten prüfen soll. Wir sind nicht
in der heute-show. Solche Anträge können Sie sich sparen.
({3})
Es ist eindeutig: Dieser Antrag bringt keinen Mehrwert. Er bestätigt letztlich nur das Versagen der Bundesregierung, und das nach einem dramatischen Aufruf von
Johnson Sirleaf an die Kanzlerin und nachdem der UNSicherheitsrat die Ebolaepidemie als eine Gefahr für
Frieden und Sicherheit in der Welt eingestuft hat. Eine
solche Einstufung erfolgt nicht aus Jux und Tollerei.
Kollege Kekeritz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Huber?
Aber selbstverständlich. Wenn es von Herrn Huber
kommt, immer.
Kollege Kekeritz, die Sache wäre ganz einfach, wenn
wir nicht über eine ansteckende Krankheit reden würden. Ich frage mich, wo die Expertise ist, wenn Sie
sagen: Schickt die Leute los; denn wir sind mit einem
Epidemieszenario konfrontiert.
Das, was ich vorhin zitiert habe, entstammt nicht den
Gehirnwindungen eines Freigeistes - das haben Sie mir
unterstellt -, sondern ist ein Zitat eines Experten der
WHO. Er wollte deutlich machen, dass zuallererst die
Einschätzung der WHO gefragt ist. Das letzte Mal, als
wir mit solchen epidemischen Szenarien zu tun hatten,
war während der Zeit der Pest. Damals war Herr Gröhe
noch nicht im Amt, sehr geehrter Herr Kekeritz. Eine
Expertise fehlt uns also.
Sie behaupten, die Bereitschaft, dieses Szenario
wahrzunehmen, sei nicht vorhanden. Dem ist nicht so.
Ich glaube, ich war der Erste, der gesagt hat: Ich werde
mir die Situation vor Ort gerne anschauen. - Der Grund
war: Ich weiß, wie der Impact auf die Bevölkerung ist,
wenn man vor Ort auftritt, insbesondere in Gebieten auf
dem Land, wo die Menschen zum Teil noch dem Naturglauben verhaftet sind. Glauben Sie nicht, dass die Menschen vor Ort, wenn Sie dort erscheinen, sofort erkennen, dass Sie ihnen helfen wollen!
Vielen Dank.
Herr Huber, herzlichen Dank für Ihre Frage. - Ich
weiß, dass Sie - Sie haben darauf schon oft verwiesen Ärzte ohne Grenzen Ihre Hilfe angeboten und diese Organisation aufgefordert haben, Sie zu begleiten, weil Sie
die Welt dort unten erklären können. Ärzte ohne Grenzen hat meines Erachtens zu Recht Ihr Angebot abgelehnt; denn die müssen sich mit den Kranken und Betroffenen beschäftigen und haben keine Zeit für deutsche
Bundestagsabgeordnete,
({0})
die da unten den Reiseführer spielen wollen.
({1})
Sie fragten auch, wo die Expertise steckt. Herr Huber,
wir diskutieren die Sache jetzt wirklich lange genug in
den Ausschüssen und auch hier in diesem Saal. Die
Expertise fing 1976 im Kongo an, als Ebola zum ersten
Mal aufgetreten ist. Wir haben seitdem an die 50 Ausbrüche gehabt. Die Weltgemeinschaft hat sich mit der
Thematik auseinandergesetzt. Auch wir hier haben
schon klar gemacht, dass die Ausbrüche, zum Beispiel in
Uganda, in Ruanda und - auch das wurde vorhin gesagt in Guinea, eingedämmt worden sind, und zwar sehr
schnell. Da sind die Gesundheitssysteme einfach weiter
und besser entwickelt. Das ist also keine Frage der Pest
oder ob Herr Gröhe damals schon Minister war. Diesen
Zusammenhang sehe ich überhaupt nicht.
Also, die Expertise ist da. Es ist die Frage, inwieweit
die Mittel für diese Expertise zur Verfügung gestellt werden und inwieweit die internationale Gemeinschaft darauf reagiert. Ich kann nochmals feststellen: Die Bundesregierung reagiert nur, wenn der öffentliche Druck groß
wird oder wenn sie es aufgrund des internationalen
Drucks nicht mehr schafft, nach unten wegzutauchen. Danke schön.
({2})
Jetzt hat die Bundesregierung finanziell aufgestockt.
Wir hören wieder, wir könnten stolz sein. Vor diesen
Verhandlungen und Haushaltsdebatten war das noch
nicht der Fall. Jetzt wird aufgestockt. Das ist mir eigentlich zu spät.
({3})
Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen wir gerettet hätten, wenn wir damals, nachdem der WHO-Aufruf
erfolgt ist, Mittel zur Verfügung gestellt hätten? Es geht
nicht nur um die infizierten Menschen, sondern es geht
um das ganze Land. Es ist vorhin von Frau Böhmer richtig skizziert worden. Liberia und Sierra Leone sind inzwischen in ihrer Gesamtheit schwer traumatisiert. Tausende weißer Plastiksäcke sind Symbole des Untergangs
des Landes, der Kultur und vor allem auch der Zukunft.
So empfinden es die Menschen dort.
Ich zitiere eine Mutter, die erläutert, was der Unterschied zwischen dem grausamen Bürgerkrieg, den beide
Länder über ein Jahrzehnt erlebt hatten, und Ebola ist:
Wir konnten - so die Mutter - die Soldaten und die Mörderbanden hören, wenn sie kamen, und konnten in den
Wald fliehen. Ebola ist plötzlich da. Du hörst Ebola
nicht, du riechst Ebola nicht, und du siehst es nicht.
Ebola macht uns zu einem Volk der Unberührbaren. Wir
umarmen uns nicht mehr, wir küssen unsere Kinder nicht
mehr, wir beerdigen unsere Väter und Mütter nicht mehr.
Kinder, die ohne Eltern sind, sind plötzlich alleine. Niemand nimmt sie mehr auf. Im Krieg war das anders. Wir
haben auch fremde Kinder aufgenommen und versorgt.
Heute haben wir Angst vor kleinen Kindern.
Wie sich allein gelassene Kinder in einer apokalyptischen Umwelt fühlen, kann niemand von uns tatsächlich
beschreiben. Die WHO spricht - auch das ist schon geUwe Kekeritz
sagt worden - von bis zu 10 000 Neuinfektionen pro
Woche. Bis gestern sind circa 4 500 Menschen gestorben. Wenn wir uns in 14 Tagen zur nächsten Sitzungswoche wiedersehen, werden es weit über 5 000 sein. Die
Dunkelziffer ist darin noch nicht eingerechnet.
Westafrika braucht dringend 3 000 Klinikbetten, Personal und Material. Die Expertise, wie das sinnvoll eingesetzt wird, Herr Huber, ist vorhanden. Ich appelliere
an dieser Stelle an die Kanzlerin - Ebola ist ja seit gestern Chefsache -, dass sie für das Jahr 2015 die richtigen
Weichen stellt. Es ist eine Blamage, dass wir heute feststellen müssen, dass am Mittwoch in der Frühe, um
9 Uhr, für das Haushaltsjahr 2015 1 Million Euro im
Haushaltsentwurf standen und nicht mehr. Sie haben
jetzt nachgebessert, aber das war das, Herr Huber, was
vor zwei Tagen noch geplant war. Das ist eigentlich eine
Schande.
({4})
Ich muss Ihnen sagen: Damit wird deutlich, dass dieser Haushalt der verlogenste Haushalt seit der Gründung
der Republik ist.
Danke schön.
({5})
Ich habe jetzt die Möglichkeit gegeben, den Zwischenruf vollständig zu dokumentieren. Nun hat aber die
Kollegin Sabine Weiss für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Schönen Dank. - Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr
Kekeritz, es gibt ja immer die Unermüdlichen, die erst
dann zufrieden sind, wenn sie für irgendein Problem, das
auf dieser Welt besteht, endlich den Schuldigen gefunden haben und ihn anprangern können. Außerdem gibt
es die ewigen Helden, die dann sagen: Ich habe das alles
schon vorher gewusst.
All das bringt uns nicht weiter. Wir sollten doch - das
ist mein Appell zu Beginn meiner Rede - jetzt endlich
einmal gemeinsam anfangen, die Sache konstruktiv anzugehen, wie die Bundesregierung und die Koalition das
bereits vorgemacht haben.
({0})
Frau Johnson Sirleaf, die Präsidentin von Liberia, hat
diese Woche im Spiegel-Interview zu einer Prognose, bis
Januar 2015 könne es 1,4 Millionen Ebolainfizierte in
Westafrika gegeben, gesagt - hören Sie jetzt bitte auch
ganz genau hin -:
Wir brauchen keine Untergangsszenarien, bei denen
wir uns nur noch zum Sterben niederlegen können.
Die Menschen brauchen Hoffnung, sie sollen wissen, dass wir die Seuche erfolgreich bekämpfen.
Das hat sie Anfang dieser Woche gesagt. Dieser Frau
können wir alle nur zustimmen.
({1})
Wir haben es bereits von den Vorrednern gehört: Die
Lage ist sehr ernst. Die Zahl der Infizierten und Toten
steigt. Diese Woche ist der Ebolatod auch bei uns in
Deutschland angekommen.
Wie brisant die Lage in Westafrika ist, sieht man zum
Beispiel am Streik des Pflegepersonals in Liberia diese
Woche und an den Übergriffen auf lokale und internationale Helfer, die in Guinea acht Helfern das Leben gekostet haben. Gerade auf diese Helfer kommt es aber an. Ein
wichtiges Element der Hilfe muss darin bestehen, das
örtliche Pflegepersonal angemessen zu bezahlen und insbesondere seinen Schutz in jeder Hinsicht zu gewährleisten.
Die New York Times berichtete am 1. Oktober 2014
unter der Überschrift „Ein Krankenhaus aus der Hölle“
über ein praktisch nicht mehr funktionsfähiges Krankenhaus in Sierra Leone. Dort lagen Leichen, auch von Kindern, auf dem Fußboden; das Pflegepersonal arbeitete
ohne Handschuhe in Straßenkleidung. Es gibt also noch
sehr viel zu tun. Darüber sind wir uns wohl alle einig; da
gebe ich meinen Vorrednern recht. Dennoch - das muss
man auch sagen, besonders mit Blick auf die Medien -:
Die Krankheit ist beherrschbar, und die Ausbreitung
kann gestoppt werden. Dies haben wir nach früheren
Ausbrüchen in Uganda und Ruanda sehen können.
Das Wichtigste aber ist - auch da stimme ich der Präsidentin von Liberia zu -: Wir müssen Panik vermeiden,
Panik, die jetzt über die Medien auch nach Europa und
in die USA schwappt. In den USA haben sich bereits
Reinigungskräfte am Flughafen geweigert, aus Westafrika angekommene Flugzeuge zu reinigen.
Die internationale Gemeinschaft wird durch wirksame und quantitativ notwendige Beiträge helfen, die
Epidemie einzudämmen und zu besiegen und den Menschen in Liberia, Sierra Leone und Guinea Hoffnung auf
ein Leben nach der Epidemie zu geben. Deutschland
leistet dabei einen hohen Anteil. Frau Staatsministerin
Böhmer hat das sehr eindrücklich dargestellt.
Ja, es ist richtig und nicht zu leugnen, dass die
Dimension von fast allen Gebern und auch den Institutionen zu spät erkannt worden ist. Die Hilfe ist dann
auch tatsächlich zu langsam angelaufen. Dabei sollten
wir aber berücksichtigen, Herr Kekeritz, dass diese Katastrophe aufgrund der Ansteckungsgefahren auch für
die Hilfskräfte eine besondere Herausforderung darstellt.
Die normalen Abläufe von Materialtransporten mit Begleithilfspersonal wie bei Erdbeben und Wirbelstürmen
kommen hier nicht infrage.
({2})
Sabine Weiss ({3})
Umso größer sind deshalb meine Hochachtung und
mein Respekt für die vielen Helfer vor Ort, seien es die
Angestellten von Gesundheitseinrichtungen oder die
freiwilligen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wie
Ärzte ohne Grenzen.
({4})
In gleicher Weise finde ich es bewundernswert, dass
sich mittlerweile mehr als 3 000 Freiwillige der Bundeswehr und über 1 000 Freiwillige - Freiwillige, Herr
Movassat; wir können keine Ärzte abordnen ({5})
beim Deutschen Roten Kreuz für einen möglichen Einsatz gemeldet haben. Diese Hilfskräfte müssen in besonderer Weise - das sind wir ihnen schuldig - einen Schutz
vor Ansteckung erhalten: durch angemessene Ausbildung, durch Vorbereitung auf den Einsatz in einem fremden Land, in einem schwierigen Umfeld und natürlich
durch die Garantie des Rücktransports, falls sie sich
doch anstecken sollten. Nach Umfragen in den Medien
sagt die deutsche Bevölkerung zu 51 Prozent, Ebolainfizierte sollen gar nicht erst hierherkommen und behandelt
werden. Angesichts dessen finde ich, wir alle sollten dagegenhalten, insbesondere die Medien. Ich bin der festen
Überzeugung, dass die deutsche Bevölkerung es durchaus akzeptiert, wenn wir Menschen aus diesen Ländern
und besonders den Helfern hier Hilfe anbieten und sie
hier behandeln.
({6})
In unserem Entschließungsantrag behandeln wir die
gesamte Bandbreite der notwendigen Hilfe. Herr Kekeritz,
natürlich sind ganz viele Dinge - der Antrag wurde vor
einigen Wochen formuliert - noch in der Umsetzung; einiges ist bereits getan. Auch die Frau Staatsministerin
hat darauf hingewiesen, dass im Antrag einige Anregungen stehen, um die wir uns noch zu kümmern haben.
Sehr wohl hat der Antrag auch heute noch einen deutlichen Mehrwert, weil durch ihn eine Menge angestoßen
wird. Allein durch die heutige Debatte bewirkt dieser
Antrag das, was er bewirken sollte.
Es ist bereits gesagt worden: Wir müssen in den Ländern auch nach der Epidemie Hilfe leisten. Ich selbst
habe vor etwa drei Jahren Liberia besucht. Damals war
die Situation so, dass auch zehn Jahre nach Ende des
Bürgerkriegs dies das trostloseste Lebensumfeld war,
das ich persönlich je gesehen habe. Selbst in den Augen
der Kinder, die man sonst in verschiedenen Ländern
auch in den schlimmsten Lebenslagen lachen hören
kann, habe ich nur Traurigkeit gesehen. Auch wenn es in
den letzten Jahren in diesem Land einen Trend zum Positiven gegeben haben mag, wird es sicherlich noch
lange dauern, bis sich das Land vom Ebolaschock erneut
erholt haben wird. Der Internationale Währungsfonds
rechnet allein für 2015 mit einem Wachstumseinbruch
von 12 Prozent. Dies wird auch im menschlichen Bereich ganz tiefe Spuren hinterlassen.
Ja, auch ich bin der Meinung, dass wir uns darüber
unterhalten müssen, wie wir entwicklungspolitisch verstärkt am Aufbau und an der Unterstützung der Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern arbeiten können, damit sie zukünftig selbst besser in der Lage sind,
einer solchen Epidemie zu begegnen.
({7})
Die Bundeskanzlerin hat gestern hier erklärt, dass
Ebola ein zentrales Thema des Euro-Gipfels und des
ASEM-Gipfels sein wird. Sie hat sehr deutlich gemacht
- da kann man ihr nur zustimmen -: Wir können dieses
Problem nur alle gemeinsam, also international, wirksam
bekämpfen.
Gestern trafen sich die Gesundheitsminister auf EUEbene in Brüssel und haben die Maßnahmen abgestimmt. Das heißt, die internationale Gemeinschaft geht
dieses Problem gemeinsam an. Die abgestimmten und
jetzt in Gang kommenden Maßnahmen werden vor Ort
zügig sichtbar sein. Dann können wir vielleicht sagen:
Wir folgen dem Aufruf der Präsidentin von Liberia, Frau
Johnson Sirleaf: Die Menschen brauchen Hoffnung. Sie
sollen wissen, dass wir die Seuche erfolgreich bekämpfen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich etwas zu der Debatte sagen,
die ich hier verfolgt habe. In der Summe ist es so: Wir
haben es hier mit einer Epidemie zu tun, die in dieser
Form niemand jemals voraussehen konnte, die uns alle
überrascht hat, die auch die WHO vor Ort und viele Experten vor Ort überrascht hat. Ich selbst habe in Burkina
Faso und in dessen Umgebung Bekannte, die dort seit
vielen Jahren als Ärzte und Forscher arbeiten und relativ
nahe an den dortigen Geschehnissen sind. Niemand hat
absehen können, wie es dann gekommen ist. Das hat uns
alle betroffen gemacht und bestürzt.
Man muss sagen, dass Ärzte ohne Grenzen die einzige Hilfsorganisation gewesen ist, die von Anfang an,
und zwar schon über den Juli hinweg, eine andere Einschätzung hatte.
({0})
Ich sage hier ganz klar: Ärzte ohne Grenzen hatte recht.
Wir haben uns getäuscht. Wir alle haben spät reagiert.
Das hat aber, Herr Kollege Kekeritz, niemand sehen
können. Das hat niemand absichtlich getan.
({1})
Daher hat es mich, offen gesagt, ein bisschen bestürzt,
dass Sie gesagt haben, dass die Regierung hier nur auf
öffentlichen Druck und auf internationale Veröffentlichungen reagieren würde. Wir sind über die Entwicklung genauso bestürzt gewesen wie Sie. Jeder von uns
handelt, weil er das so für richtig hält, und er handelt
nach seinem Gewissen. Über die Maßnahmen kann man
streiten; aber zu unterstellen, dass hier einige ein Gewissen haben, aber andere nur auf Druck reagieren, das geht
bei dieser Epidemie nicht.
({2})
Kollege Lauterbach, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Kekeritz?
Ja, natürlich.
Nur ganz kurz. - Wollen Sie damit sagen, dass die
Wissenschaft nicht weiß, wie sich solche Infektionszyklen, ob das Ebola, Grippe oder anderes ist, entwickeln?
Sie wissen doch auch, dass nach dem Auftreten der ersten Infektionen das Personal noch reduziert worden ist,
weil man einfach nicht wahrnehmen wollte, dass da ein
Problem ist, weil man die Mittel nicht hatte. Wissenschaftlich besteht doch überhaupt kein Zweifel darüber,
wie diese Ansteckungszyklen verlaufen. Oder vertreten
Sie da eine andere Auffassung?
({0})
Zunächst einmal: Ich bin von der Ausbildung her Arzt
und Epidemiologe
({0})
und habe einen entsprechenden Lehrstuhl an der Uni
Köln. Von daher kenne ich mich aus.
({1})
Es ist tatsächlich so, dass jede Epidemie anders verläuft.
({2})
Die Ebolaepidemie, die diesmal zu beobachten ist, hat
einen ganz anderen Verlaufstypus: Die Sterblichkeit ist
etwas niedriger, und die Phase, in der jemand jemanden
infizieren kann, ist etwas länger. Daher ist der Verlauf
ein ganz anderer als bei den Epidemien, die wir vorher
gehabt haben - bei dem gleichen Erreger übrigens.
Es ist tatsächlich tragischerweise so, dass man das
nicht weiß. Das ist so. Man weiß es nicht.
({3})
Richtig ist aber, dass vor Ort eine Einschätzung gegeben werden kann. Da hatte Ärzte ohne Grenzen die richtige Einschätzung. Die lokale WHO-Organisation hatte
die falsche Einschätzung. Die Verantwortlichen sind ersetzt worden; das ist zu Recht passiert.
Wir haben hier nicht erst auf Druck gehandelt, sondern wir haben uns wie bei den vergangenen Epidemien
auf die lokale Berichterstattung der WHO und einiger
anderer Organisationen verlassen. Das will ich jetzt
nicht im Detail ausführen, weil das die Zeit sprengen
würde. Aber es ist tatsächlich so gewesen: Ärzte ohne
Grenzen war die einzige Organisation mit der richtigen
Einschätzung. Noch am 4. August - Sie haben eben den
8. August genannt - hat die lokale WHO-Organisation
gesagt, die Seuche verlaufe so wie bei den früheren Epidemien. Am 8. August hat man das korrigiert. Vorher
war das also eine Fehleinschätzung.
Dann haben wir aber unmittelbar reagiert. Ich könnte
jetzt im Detail beschreiben, was passiert ist. Zum Beispiel haben wir zwei lokale Labore vor Ort unterhalten,
um den Verlauf der Infektion vor Ort kontrollieren zu
können. Es gab eine Vorabexpedition. Wir haben sehr
früh einen Krisenstab eingerichtet. Es gibt eine Reihe
von Dingen, die wir gemacht haben. Es kann sein, dass
nicht alles gemacht wurde, was hätte gemacht werden
sollen - das will ich gar nicht bestreiten -, aber wir sollten in dieser Diskussion ehrlich miteinander umgehen.
({4})
Es gab eine Fehleinschätzung, aber niemand hat hier gegen sein Gewissen gehandelt.
({5})
Wir haben jetzt konkret Folgendes vor: Wir bringen
zwei Kliniken vor Ort in Betrieb - in Zusammenarbeit
von THW, Bundeswehr und DRK. Freiwillige werden
derzeit in Würzburg ausgebildet, übrigens gemeinsam
mit Ärzte ohne Grenzen, aber auch mit dem DRK. Diese
Ausbildung verläuft sehr gut. Nach dem, was wir bisher
verfolgen können, wird diese Ausbildung zeitgerecht
vorbereitet. Wir bilden eine Luftbrücke. Wir rüsten derzeit ein Flugzeug um, mit dem Helfer, die sich infizieren,
zurückgebracht werden können. Wir haben 50 Klinikbetten an sieben Standorten. Nicht alle dieser 50 Klinikbetten können gleichzeitig betrieben werden. Man geht
davon aus, dass zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht zwei
Drittel betrieben werden können; der Rest kann aber in
relativ kurzer Zeit hochgerüstet werden.
Man kann zwar sagen: Die Kapazität ist zu gering. Das ist aber auf jeden Fall die höchste Kapazität, die ein
europäisches Land derzeit vorhält. Das ist auch der
Grund, weshalb wir derzeit Patienten aufnehmen, und
zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer. Das
machen wir zu Recht; denn wir haben eine gute Kapazität. Wir bringen sie voll ein.
({6})
Wir versuchen, unsere Bemühungen zu koordinieren.
Wir arbeiten mit der speziellen Stelle zusammen, die dafür von der UN in New York eingerichtet worden ist.
Ebenfalls sehr eng arbeiten wir mit einer entsprechenden
europäischen Stelle, ECHO, zusammen. Diese beiden
Einrichtungen arbeiten zusammen. Wir koordinieren unsere Pläne auch mit den Nichtregierungsorganisationen,
insbesondere mit Ärzte ohne Grenzen, die sogar in unser
Ausbildungsprogramm eingebunden sind.
Es ist richtig, dass wir nicht sofort das Geld zur Verfügung gestellt haben, was wir hätten zur Verfügung stellen sollen. Wir stellen aber jetzt mehr zur Verfügung als
jedes andere europäische Land. In der Summe sind es
immerhin fast 150 Millionen Euro. Selbstverständlich
sind wir bereit, mehr zur Verfügung zu stellen, wenn das
notwendig sein sollte.
({7})
Ich will zum Abschluss noch etwas zu dem vorliegenden Entschließungsantrag sagen. Es ist klar, dass er zum
Teil veraltet ist.
({8})
Das gilt - auch das ist ganz klar - für jeden Antrag.
Wenn ein Antrag eingebracht wird, dauert es halt eine
Zeit, bis er diskutiert wird. Insofern habe ich noch nie einen Antrag gesehen, der nicht ein Stück weit veraltet gewesen wäre.
Der Antrag hatte das Ziel, diese wichtige Diskussion
im Bundestag einmal offen und konstruktiv nach vorne
gerichtet zu führen.
({9})
Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir in Zukunft
- das ist jetzt keine Abrechnung mit den bisher erfolgten
Redebeiträgen - zu einer konstruktiven, über die Fraktionsgrenzen hinweggehenden Zusammenarbeit kommen, damit wir für diejenigen ein Vorbild sind, bei denen
ich mich abschließend im Namen der gesamten SPDFraktion bedanken möchte: Das sind die Menschen, die
vor Ort, aus der ganzen Welt kommend, bei der Bekämpfung dieser Seuche zusammenarbeiten und dafür ihr Leben riskieren.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD zu der vereinbarten Debatte
„Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der Ebola-Epidemie“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2841, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 18/2607 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({1})
Fernerkundung: Anwendungspotenziale in
Afrika
Drucksache 18/581
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Themen „Technikfolgenabschätzung“ bzw. „Satellitenfernerkundung in Afrika“ sind sicherlich nicht so emotional besetzt und so aktuell wie das Thema „Ebola“; aber
ich denke schon, dass wir jetzt über Techniken sprechen,
die uns in Zukunft auch bei der Entwicklungszusammenarbeit helfen können. Die Weltraumtechnik ist lebensnotwendig geworden. Das gilt nicht nur für das Telefonieren bzw. für das morgendliche Abrufen von
Nachrichten oder des Wetters; denn längst bringt der
Blick von fern - das heißt über Satelliten - ein präzises
Bild von einer Vielfalt ökologischer und sozialer Herausforderungen weltweit.
Die Satellitentechnik erlaubt es mittlerweile, Gegenstände von unter einem Meter Größe aus mehreren Hundert Kilometern Entfernung zu beobachten. Die Fernerkundungstechnologie ist die Zukunftstechnologie. Mit
ihr können wir unseren Planeten auf das Genaueste erkunden, vermessen und verstehen. Die Frage, die auch
im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung analysiert wurde, lautet für
uns heute: Wie kann diese Technologie genutzt und weiterentwickelt werden, um einen möglichst großen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten? Welche Möglichkeiten bietet diese Technologie für Afrika?
Nach Abschätzung des Weltklimarates ist Afrika der
durch den Klimawandel am meisten bedrohte Kontinent.
Wasser beispielsweise ist zu einer immer kostbareren
Ressource in Teilen Afrikas geworden. Es gibt weltweit
bereits mehrere Fernerkundungsinitiativen, um diese
Folgen anzugehen. Die TIGER-Initiative der Europäischen Weltraumorganisation, ESA, beispielsweise bündelt verschiedene Einzelprojekte: von der Suche nach
Grundwasser bis zur Hochwasserprävention in flussnahen Regionen.
1999 wurde von der ESA und der französischen
Raumfahrtagentur CNES mit der Charta „Space and
Major Disasters“ ein Verbund internationaler Raumfahrtagenturen gegründet. Dank der Charta können in
Katastrophenfällen innerhalb kürzester Zeit Daten zur
Verfügung gestellt werden, die für das schlichte Überleben der Menschen in Notsituationen wie im Südsudan
entscheidend sein können.
Als 2004 aufgrund der Konflikte in Darfur Millionen
Menschen auf der Flucht waren, konnten mithilfe von
satellitengestützten Daten ohne größeren Zeitverlust
Plätze zur Brunnenbohrung gefunden werden. Erst im
Juli dieses Jahres stellte der Verbund internationaler
Raumfahrtagenturen genauestes Kartenmaterial zur Verfügung, welches das Ausmaß der starken Überflutungen
in der Regenzeit skizziert. Dies war eine entscheidende
Grundlage für die Arbeit der Hilfsorganisationen bei der
Versorgung Zehntausender Obdachloser.
Auch das DLR unter Führung von Professor Wörner
ist seit 2010 Vollmitglied. Seitdem helfen Daten aus dem
bayerischen Oberpfaffenhofen beim Krisenmanagement.
Dieses System der schnellen, unbürokratischen Nothilfe
der Charta zeigt besonders deutlich, dass die Erdbeobachtung dringend notwendige Geoinformationen
wie kein anderes Instrumentarium liefert.
Um diese Technologie weiter auszubauen und zukünftig stärker für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu nutzen, muss aus meiner Sicht erst einmal
ein großes Missverständnis aus dem Weg geräumt werden, nämlich das Missverständnis, dass sich diese Technologie einmal selber tragen wird. Es ist eben nicht so,
dass wir hier durch den Verkauf von Daten die Technik
und die Innovationen absichern können. Satellitendaten
sind die notwendige Infrastruktur. Es ist auch nicht so,
dass BMW erst Straßen bauen muss, bevor es Autos verkaufen kann. Die Wertschöpfungskette in der Fernbeobachtung beginnt erst mit der Auswertung und nicht
mit dem Bau von Satelliten. Daher ist es klar, dass wir
ein staatliches Mandat dafür brauchen, das den freien
Zugang zu diesen Daten absichert.
Das Flaggschiffprogramm der Europäischen Union,
die gemeinsame Mission COPERNICUS, setzt auf diesen Ansatz. Die Daten der europäischen Satellitenflotte,
sogenannter Sentinels, sollen frei verfügbar sein. Die
Kerndienste von COPERNICUS könnten auch für
Afrika eine hilfreiche Fernerkundungsinfrastruktur bieten. Geoinformationen der Klimainformationsdienste
beispielsweise können helfen, Strategien und politische
Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu entwickeln.
Daneben setzen wir aber auch Standards. In ihrer
Raumfahrtstrategie von 2011 formulierte die Bundesregierung das Ziel, unsere Fähigkeiten im Bereich der
X-Band-Radarsysteme auszubauen. Mit Missionen wie
TerraSAR-X und TanDEM-X sind wir weltweit führend.
Mit den zwei Satelliten soll zukünftig ein genaues, dreidimensionales Abbild unserer Erde ermöglicht werden.
Insbesondere beim Katastrophenmanagement im Rahmen der Charta „Space and Major Disasters“ ist ein solches Lagebild notwendig. Wesentlich verantwortlich für
die Mission, das heißt für die Analyse der Daten, aber
auch für die Planung und Durchführung der Mission, ist
das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Daher
wundert es mich schon ein bisschen, dass - dies erkennt
man, wenn man sich den TAB-Bericht durchliest - diese
Forschungseinrichtung viel zu wenig Beachtung findet
und mit den Spezialisten vor Ort nicht in notwendiger
Weise diskutiert wurde.
Ja, auch ich musste meine erste Euphorie etwas zügeln. Bei Erdfernbeobachtung sprechen wir von hochkomplexen Systemen. Nur wenige Länder in Afrika sind
derzeit in der Lage, den notwendigen Technologieaufbau
zu leisten. Lediglich Südafrika hat mit dem Bau und Betrieb von Satelliten in Eigenregie begonnen.
Langfristig müssen wir an einem nachhaltigen Kapazitätenaufbau in Afrika arbeiten. Die afrikanischen Staaten sollten imstande sein, Geoinformationsdaten eigenständig zu verwerten. Das BMBF fördert bereits mit
verschiedenen Projekten die Etablierung einer Forschungsinfrastruktur mit regionalen Kompetenzzentren.
Seit 2001 stärkt die EU gemeinsam mit EUMETSAT in
einem Technologietransferprogramm den Aufbau von
Governance-Strukturen.
Aber uns muss klar sein, dass dies ein langsamer und
zäher Prozess ist. Darüber hinaus fehlen in vielen Ländern die notwendigen Nutzergruppen, sprich: die öffentlichen Institutionen. Kurzfristig sollte daher das DLR im
Verbund mit internationalen Raumfahrtagenturen nicht
nur die Satelliteninfrastruktur bereitstellen, sondern auch
die Datenverarbeitung garantieren. Dennoch sehe ich bei
keinem anderen Kontinent so viele Ansatzpunkte für die
Verwendung von satellitengestützten Geoinformationssystemen. Afrika kann diese Chancentechnologie brauchen. Afrika ist für uns ein Zukunfts- und Chancenkontinent, und wir haben die richtige Technologie dafür.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke spricht der Kollege Niema
Movassat.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über die Anwendungspotenziale der
Fernerkundung in Afrika. Das klingt etwas sperrig. Worum geht es? Kurz gesagt geht es um den entwicklungspolitischen Beitrag, den satellitengestützte Systeme aktuell
in Afrika leisten, und um die Frage, was diese Systeme
potenziell leisten könnten. Hierzu liegt uns eine umfangreiche Studie vor.
In unserer heutigen hochtechnologisierten Zeit sind
der Zugang zur Fernaufklärung und die Kontrolle über
solche Systeme von großer Bedeutung, auch und gerade
für einen durch koloniale und neokoloniale Ausbeutung
gebeutelten Kontinent wie Afrika. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle, allen voran die unmittelbar entwicklungsrelevanten Aspekte, auf die der Zugang zu gesammelten Daten aus Fernaufklärungssystemen Einfluss
hat. Insbesondere in schwer zugänglichen Gegenden liegen die Vorteile auf der Hand: In den Bereichen der Ernährungssicherheit und -souveränität, der Bekämpfung
von Wüstenbildung, des Erosionsschutzes, des Klimaschutzes sowie der Stadtentwicklung kann eine richtig
eingesetzte Fernaufklärung von unschätzbarem Wert
sein.
Ich möchte ein Beispiel nennen, das dies ein wenig
veranschaulicht: Die mobile Telekommunikation ist
ebenfalls satellitengestützt. Sie hat in Afrika weitgehend
das Festnetz überflüssig gemacht bzw. dafür gesorgt,
dass es einen Sprung direkt zur mobilen Kommunikation
gegeben hat. Der flächendeckende Aufbau der kostenintensiven Festnetztechnologie wurde damit unnötig.
Plötzlich sind die abgelegensten Gebiete in das System
der weltweiten Kommunikation eingebunden. Das nutzt
auch der lokalen Wirtschaft in allen Sektoren.
Hinzu kommt, dass die mitunter ausgefeiltesten Innovationen in diesem Bereich mittlerweile aus den Ländern
Afrikas kommen. Am bekanntesten ist hier sicherlich
das Bezahlsystem M-Pesa, das in Kenia entwickelt
wurde. Es ermöglicht die bargeldlose Zahlung. Das
Handy wird damit zum Bankkonto, das Guthaben darauf
zum Zahlungsmittel. Die Sicherheit der Menschen wird
erhöht, weil sie eben nicht mehr kilometerweite Reisewege zur nächsten Bank auf sich nehmen müssen. Diese
Technologie hat sich von Kenia nach Afghanistan, Indien und Südafrika verbreitet und ermöglicht überall
wirtschaftliche Entwicklung. Selbst in Europa wird teilweise über die Einführung diskutiert.
Wir wissen jedoch spätestens seit der Entdeckung der
Kernspaltung und der Entwicklung der Atombombe: Es
gibt keine unschuldige Wissenschaft. Technologie ist
eben nicht neutral. Alle Technologiebegeisterung muss
ihre Grenzen finden, wenn es um grundlegende moralische, politische und wirtschaftliche Kernfragen geht. So
wirft auch die Fernaufklärung Fragen auf, Fragen, die
die Entwicklungspolitik benennen und diskutieren muss;
denn wir reden bei der Fernaufklärung von einer Technologie, deren Anwendungspraxis zeigt, dass das Recht
des Stärkeren gilt.
Das beginnt damit, dass der 1986 international verabschiedete Prinzipienkatalog für die Fernaufklärung massiv staatliche Hoheitsrechte verletzt. Auch ohne vorherige Zustimmung und das Wissen der betroffenen
Staaten können Erkundungsaktivitäten ihrer Staatsgebiete aus dem Weltraum vorgenommen werden. Das Urheberrecht bezüglich der gewonnenen Daten liegt ausschließlich beim Satellitenbetreiber. Das gilt zwar für
alle gleichermaßen, aber in der Praxis sind davon natürlich vor allem die Länder des Südens betroffen, die nicht
über Fernaufklärungssysteme verfügen, um selber die
entsprechenden Daten erheben zu können.
({0})
Zynisch wird es, wenn umgekehrt die Industrieländer
selbst hoheitsrechtliche Ansprüche auf hochauflösende
Daten über ihre Territorien aus Sicherheitsgründen geltend machen.
Meine Damen und Herren, die vorliegende Studie
zeigt, dass die Fernaufklärung unschätzbare Entwicklungspotenziale bietet. Derzeit zementiert sie jedoch
eher das ohnehin krasse weltweite Gefälle zwischen
Nord und Süd. Sie ist natürlich auch militärisch nutzbar.
Ohne Fernaufklärung wäre der Einsatz von Drohnen
nicht möglich, von Drohnen, die Menschen töten wie in
Somalia und damit die Sicherheit gefährden; denn aus
dem US-Drohnenkrieg in Pakistan wissen wir, dass auch
Zivilisten zu Opfern werden können.
Wir als Linke begrüßen den Großteil der entwicklungspolitischen Handlungsoptionen, die die Studie aufzeigt. Zwei möchte ich herausgreifen, die ich für sehr
wichtig halte: Erstens müssen die technologischen Entwicklungen unter politischer Kontrolle durch öffentliche
Forschungs- und Technikeinrichtungen erfolgen und
dürfen nicht privatisiert werden, und zweitens fordern
wir die Bundesregierung und die EU auf, einen freien
Zugang zu Fernerkundungsdaten zu gewährleisten. Dies
ist in den USA schon lange der Fall. Auch China und
Brasilien gehen da den richtigen Weg: Sie stellen den
Anwendern in Afrika die Daten ihrer Fernerkundung
kostenlos zur Verfügung.
In diesem Zusammenhang brauchen wir natürlich
auch einen Technologietransfer in die Länder Afrikas,
also Schulungen, Kompetenzweitergabe und Unterstützung bei der Auswertung dieser Daten.
Wenn wir das gewährleisten, dann kann die Fernaufklärung für die Länder Afrikas, gerade für die abgelegenen Gebiete, eine echte Entwicklungschance bieten.
Danke.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Gabriela Heinrich für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In vielen Ländern Afrikas mangelt es an ausreichenden Daten über
Wasservorkommen, Wald, Landnutzung, Wüstenbildung
und vieles mehr. Für die Planung von Entwicklung ist
eine solide Datengrundlage aber unerlässlich. Nur wenn
man weiß, wie sich der Waldbestand verändert, wenn
man weiß, wo Entwaldung stattfindet, kann der Wald anGabriela Heinrich
gemessen geschützt werden. Wenn Länder solche Daten
nicht haben, fehlt ihnen eine wichtige Grundlage für
Entwicklung.
Bei der Fernerkundung zur zivilen Nutzung können
mithilfe von Satelliten wichtige Geoinformationen gewonnen werden. Dabei geht es um ein breites Spektrum,
das gerade auch für Afrika interessant ist. Klar ist jedoch: Die wenigsten Länder in Afrika verfügen über die
finanziellen Ressourcen, eigene Satelliten zu finanzieren
und auf diese Weise eigene Geoinformationen zu gewinnen. Wenn wir über Fernerkundung in Afrika und die
Rolle der deutschen Entwicklungspolitik reden, muss es
daher auch um das Thema Kooperation gehen.
Ohne Einbeziehung der afrikanischen Länder besteht
letztlich immer eine Abhängigkeit vom Wohlwollen der
Länder, die sich in diesem Bereich engagieren. Deutschland kann hier Vorbild sein und sich auf europäischer
Ebene und international für echte Kooperation mit
Afrika einsetzen. Es kann dafür werben, dass relevante
Informationen aus der Fernerkundung auch den Ländern
zur Verfügung gestellt werden, die sich die Technik nicht
leisten können. Und ich denke, genau für dieses Vorgehen ist der vorliegende Bericht eine gute Grundlage.
Der vorliegende Bericht des Büros für TechnikfolgenAbschätzung beim Deutschen Bundestag liefert nicht
nur einen umfassenden Überblick über die derzeitigen
technischen Möglichkeiten der Erdfernerkundung, sondern stellt auch die Möglichkeiten für zukünftige Kooperationen mit Afrika in diesem Bereich vor. Wenn bereits
verfügbare Fernerkundungsdaten der technologieführenden Länder verfügbar gemacht würden, wäre dies eine
mögliche Alternative zum Bau eigener teurer Satelliten.
Für politisch instabile Regionen sollte es die einzige Alternative sein. Denn bei der Fernerkundung besteht das
Risiko, dass Satellitenbauteile oder Bodenstationen militärisch genutzt werden. In politisch instabile Regionen
darf es daher keinen Technologietransfer geben.
({0})
Klar ist, dass die Fernerkundung derzeit keinen
Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit darstellt und auch in Zukunft keiner sein wird. Es
gibt aber durchaus Potenziale, vor allem in der Landpolitik, bei der Landnutzung und im Klimamonitoring. Gerade im Hinblick auf den Waldsektor geht der Bericht
davon aus, dass die Anwendung von Fernerkundungsdaten durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
wahrscheinlich weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Die Veränderung der Umwelt erfolgt einerseits durch
den Eingriff des Menschen, zum Beispiel durch die Nutzung von Holz, durch Viehhaltung und Entwaldung;
hinzu kommt der Klimawandel. Jedoch verfügen ausgerechnet die Länder, die mit am stärksten unter den Veränderungen ihrer Umwelt leiden, oft nur über unzureichende Datenbestände. Hier können Satellitendaten eine
wichtige Informationsgrundlage sein, um den Zustand
und die Veränderung der Umwelt ausreichend zu erfassen.
Eine bessere Datengrundlage könnte auch politische
Diskussionen in einem Land voranbringen. Wir sehen
das ja auch an Beispielen: Handlungsdruck entsteht
meist durch Information. Der Schutz des Regenwaldes
ist auch deswegen weltweit ein Thema, weil wir wissen,
dass eine Entwaldung stattfindet, und wir wissen, in welchem Ausmaß sie stattfindet. Dieses Wissen steigert
nicht nur den Handlungsdruck auf die Politik - sowohl
in den betroffenen Ländern, als auch international -,
sondern sensibilisiert auch die Bevölkerung. Voraussetzung dafür ist, dass die Daten veröffentlicht werden und
einschlägige Nichtregierungsorganisationen auch Zugriff auf sie haben.
Der Bericht verweist auf verschiedene Projekte im
Bereich der Fernerkundung, an denen auch deutsche Institutionen beteiligt sind, zum Beispiel das Waldmonitoring in Somaliland oder die Maßnahmen zum Erhalt des
größten grenzüberschreitenden Waldgebietes Westafrikas in der Elfenbeinküste. Der in Planung befindliche
nationale Fernerkundungssatellit EnMAP soll unter anderem auch für Monitoringmaßnahmen zur Verhinderung von Entwaldung und Waldschädigungen konzipiert
werden. Generell gilt, dass man insbesondere Luftbilder
benötigt, um Waldschutz effektiv zu überwachen und
Veränderungen nachzuverfolgen. Darauf basierend kann
dann weitergehend analysiert werden, welche Typen von
Vegetation im Wald in welchem Ausmaß wachsen.
Ein weiteres Beispiel für die Verwendungsmöglichkeit der Fernerkundung - der Kollege Movassat hat es
schon gesagt - ist die Urbanisierung in Afrika. Wir haben hier im Bundestag in Kürze eine Anhörung zu diesem Thema; denn die schnell wachsenden Städte stellen
die Entwicklungspolitik einerseits vor große Herausforderungen, sie bieten andererseits aber auch viele Chancen. Im Bereich der Stadtentwicklung gab es bisher noch
nicht viele Projekte der Fernerkundung mit deutscher
Beteiligung. Der Bericht sieht aber auch hier durchaus
Potenziale, zum Beispiel für die Kartierung von Siedlungsgebieten. Eine erfolgreiche Stadtplanung braucht
- neben solchen Dingen wie Rechtssicherheit in Bezug
auf Land- und Eigentumsrechte - auch eine gute Datengrundlage und Geoinformationen, auch deswegen, weil
Urbanisierung und Katastrophenschutz zusammengehören.
Der Weltrisikobericht 2014 hat darauf hingewiesen,
dass schnell wachsende Städte besonders verwundbar
sind, zumal gerade Slums oft in solchen Gebieten entstehen, die gegenüber Naturgefahren besonders exponiert
sind, zum Beispiel an Flussufern und Hanglagen.
({1})
Für die deutsche Entwicklungspolitik geht es also auch
darum, die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der
schnell wachsenden Städte zu stärken. Damit können wir
dazu beitragen, dass nicht jede Naturkatastrophe so viele
Menschenleben kostet.
Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung liefert Beispiele dafür, wie die Fernerkundung im
Katastrophenschutz einsetzbar ist. So wurde 1999 unter
anderem auf Initiative der Europäischen Weltraumorganisation ESA die Internationale Charta für Weltraum und
Naturkatastrophen entwickelt. Im Falle einer Katastrophe können in diesem Rahmen Fernerkundungsdaten erhoben, ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden,
um Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist ein Mitglied der
Charta. In der Vergangenheit konnten zum Beispiel nach
einem Zyklon oder einer Flut in Madagaskar entsprechende Daten an Katastrophenschutzorganisationen vor
Ort weitergegeben werden.
Das Beispiel der Charta zeigt jedoch auch ein Problem auf: Bisher sind lediglich Algerien und Nigeria als
Kooperationspartner der Internationalen Charta für
Weltraum und Naturkatastrophen beteiligt. Es ist gerade
aus entwicklungspolitischer Sicht wichtig und sinnvoll,
weitere Länder in Afrika einzubeziehen, und zwar ganz
im Sinne der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung: als Partner. Der Bericht regt auch hier Leuchtturmpartnerschaften mit ausgewählten afrikanischen
Ländern an.
Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung weist auch darauf hin, dass die Grundlage für eine
deutsche ressortübergreifende Strategie eine vorherige
Inventur der bestehenden Aktivitäten in der Anwendung
der Fernerkundung in Afrika ist. Ich zitiere:
Mit einer solchen Inventur könnte ein Geoinformationssystem aufgebaut werden, das Daten zu Afrikaaktivitäten bündelt und dadurch die Planung zukünftiger Projekte wie auch die Transparenz der
Entwicklungszusammenarbeit verbessern kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht weist
auch darauf hin, dass es bei der Fernerkundung nicht in
erster Linie darum geht, in Großprojekte der Weltraumtechnologie zu investieren. Es geht vor allem um die notwendige Stärkung der Auswerte- und Anwendungstechniken, zum Beispiel zugunsten des Umweltmonitorings.
Deswegen ist es wichtig, dass dieser Bericht auch in der
Raumfahrtpolitik der Bundesregierung Berücksichtigung findet, und nicht nur hier. So mahnt der Bericht
auch eine bessere Koordination der deutschen Technologie-, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Entwicklungspolitik an. Das kann ich nur unterstützen. Bei einer
Weiterentwicklung der Raumfahrtstrategie müssen entwicklungspolitische Fragen stärker berücksichtigt werden.
({2})
Der uns vorliegende Bericht ist das beste Argument dafür.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Uwe Kekeritz hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Fernerkundung ist keine neue Technik. Es gibt sie schon
seit relativ langer Zeit. Wir können heute feststellen,
dass sie immer besser und immer effizienter wird, und es
gibt in letzter Zeit auch immer mehr Einsatzgebiete.
Herr Movassat und Frau Heinrich haben die Bereiche
genannt: Klimaforschung, Erfassung von Bewegungsdaten, Dokumentation der Wüstenausbreitungen; auch in
Bezug auf Tsunamis können die Daten eine große Hilfestellung sein.
Erkenntnisse sind mit der Fernerkundung einfach zu
gewinnen, wenn das System einmal etabliert ist. Dieses
System ist, denke ich, als sehr effizient zu bezeichnen.
Wir wissen allerdings, dass jede Technologie die Gefahr
birgt, missbraucht zu werden. Es ist nicht unsere Aufgabe, Regeln und Methoden zu finden, wie man diesen
Missbrauch eingrenzen kann. Da müssen die Experten
ran. Sie müssen Maßnahmen und Regeln entwickeln, die
einen Missbrauch verhindern.
({0})
Diese Gefahr sollten wir auf keinen Fall auf die leichte
Schulter nehmen. Es wären zum Beispiel folgende Fragen zu klären: Wer hat Zugriff auf die Daten? Wie werden die Daten politisch oder wirtschaftlich in Handlungsfelder umgesetzt? Natürlich ist auch zu fragen, welche
Kosten den Ländern entstehen.
Wenn wir jetzt sagen: „Für Afrika ist das eine gute
Sache; wir wollen mit sämtlichen Ländern Partnerschaften eingehen“, dann müssen wir auch sagen: Wenn die
Länder sich das leisten können, wenn sich diese Grenzkosten auszahlen, dann haben wir nichts dagegen. - Aber
ich sehe das bei den meisten afrikanischen Ländern
nicht.
Wir sollten uns in den Beratungen in den Ausschüssen einem Punkt zuwenden, der im Bericht festgehalten
ist: In der Bundesregierung sind die Zuständigkeiten für
die Fernerkundung auf viele Ressorts verteilt. Eine systematische Zusammenstellung fehlt ganz offensichtlich.
Damit ist die Frage nach der Kohärenz gestellt. Wir verschenken hier offensichtlich Potenzial. Vermutlich erhöhen wir auch das Missbrauchsrisiko. Es wäre besser, die
Aktivitäten Deutschlands in der Bundesregierung zu
bündeln und mit denen der EU-Partner zusammenzuführen. Das wäre ein Gewinn für uns und unsere afrikanischen Partner.
Es ist schon sehr viel Richtiges gesagt worden. Ich
möchte vor einem Argument warnen: Man sagt, dass
dieses Fernerkundungssystem uns die Möglichkeit bietet, Hungerkatastrophen zu verhindern. In diesem Zusammenhang weist man in den Medien oft auf die Situation in Somalia im Jahr 2011 hin und sagt ganz lapidar:
Hätte man dieses Fernerkundungssystem damals effektiv
eingesetzt, dann hätte man gewusst, dass die Ernten
nicht eingebracht werden können, weil es zu trocken ist;
dann hätte die Weltgemeinschaft rechtzeitig reagieren
können, und somit wären die vielen Zehntausend Menschen nicht verhungert.
Werte Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon lange
Hungerfrühwarnsysteme. In Somalia 2011 haben diese
Hungerfrühwarnsysteme rechtzeitig Alarm geschlagen.
Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass der KolUwe Kekeritz
lege Thilo Hoppe im Bundestag vor dieser Hungerkatastrophe gewarnt und die Regierung aufgefordert hat, aktiv
zu werden. Das ist schlicht unterblieben. Jetzt kann man
natürlich sagen: Der Kekeritz weiß hinterher immer alles
besser. - Nein, es ist tatsächlich so: Das war bekannt,
und wenn die Weltgemeinschaft damals rechtzeitig reagiert hätte, dann hätte man diese Hungerkatastrophe zumindest nicht in diesem Ausmaß erlebt.
Deswegen glaube ich, dass man auf dem Teppich
bleiben und der Fernerkundung keine zu große Bedeutung beimessen sollte. Wir wissen auch ohne diese Systeme, wie die Entwicklung in den Wäldern aussieht, wie
sich die Wüsten ausdehnen, wie sich die Urbanisierung
vollzieht. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Mittel auf solche Problembereiche konzentrieren. Wie ich
schon sagte: Wenn die Länder sich das leisten können,
ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden. Aber uns allen muss klar sein, dass man in der Politik Prioritäten
setzen muss. Und eine Technisierung der Verhältnisse
hat bisher nur ganz wenig zur Lösung der Probleme beigetragen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Charles M. Huber für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht
wurde gesagt: Wenn wir über Afrika reden, sprechen wir
nicht in erster Linie über Hochtechnologie, sondern wir
sprechen über Krisenszenarien jeglicher Provenienz, im
Moment gerade auch über Ebola. Nichtsdestotrotz ist es
dem einen oder anderen bewusst, dass es in Afrika
durchaus und besonders unter der Jugend eine Affinität
zur Technik gibt. Das spiegelt sich unter anderem in der
Häufigkeit der Nutzung von Internet und Mobiltelefonen
wider. In einigen afrikanischen Ländern liegt die Zahl
abgeschlossener Handyverträge pro 100 Einwohner
deutlich über dem deutschen Wert.
Wir haben gerade über die M-Pesa-Initiative gesprochen. Dieses System erlaubt es einem, kleinere oder größere Geldbeträge per Mobiltelefon zu überweisen. Ich
habe jüngst, als ich in Tansania war, über einen Bekannten meine Fähre nach Sansibar auf diese Weise bezahlt.
Es gibt die Bill-Gates-Cashew-Initiative - sie ist sehr
sinnvoll -, mit deren Hilfe Bauern die Erzeugerpreise
auf dem Weltmarkt per Handy abrufen können.
Ich möchte mit Ihnen hier über die Technikfolgenabschätzung hinsichtlich der Fernerkundung sprechen. Sicherlich wissen die wenigsten, dass dies bereits in den
80er- und 90er-Jahren in den afrikanischen Ländern angekommen ist. Hier war nämlich ein erster Trend zur
Anwendung dieser Technik im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu verzeichnen.
Ich möchte kurz auf die Wirkungsweise dieser Technik eingehen und darauf, was es mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen auf sich hat. Stellen Sie sich vor,
Sie haben die Sonne oder einen anderen künstlichen
Sender als Quelle, von der aus elektromagnetische Strahlung, EMS genannt, gesendet wird. Diese trifft dann auf
ein Objekt und wird von diesem, je nach Beschaffenheit,
absorbiert, transmittiert oder reflektiert. Daraus erhalten
Sie dann Daten, die Sie anschließend unter verschiedenen Gesichtspunkten auswerten können und die Ihnen
schließlich hilfreiche Informationen liefern.
Das heißt, die Technologie unterteilt sich in den Aspekt der Infrastruktur und den Zugang zu Satellitendaten
etc. einerseits und die weitere Datenaufbereitung, also
Nutzbarmachung der gewonnenen Informationen, andererseits. Gerade Letztere muss vor dem Hintergrund eines nachhaltigen Technologietransfers an afrikanische
Länder erfolgen. In der Vergangenheit ist, wie bereits angesprochen wurde, dieser Punkt jedoch eher zu kurz gekommen.
Fatal wird dies meines Erachtens, wenn man sich die
künftige Entwicklung Afrikas vor Augen führt: Der
Kontinent steht unter einem enormen demografischen
Druck und unter dem Druck enormer klimatischer Veränderungen, deren Auswirkungen akuten Handlungsbedarf implizieren. Ich nenne als Beispiele die Entwicklung und Planung urbaner Räume, die Erkundung von
Wasser- und auch Rohstoffvorkommen und deren Management, aber auch Erntevorhersagen in der Landwirtschaft und das Katastrophenmanagement. Es sei hier angemerkt: Die Daten müssen auch genutzt werden.
Die mittels Fernerkundung erfassten und aufbereiteten Daten könnten und müssten schon jetzt genutzt werden, damit man sich perspektivisch auf die Herausforderungen einstellen kann. Staaten müssen, wie gesagt,
darauf reagieren. Herr Kekeritz, Sie haben vorhin Hungersnöte angesprochen. Es ist nicht immer so, dass wir
hier von Europa aus primär auf die Hungersnöte reagieren müssen, sondern die Staaten müssen auch selbst reagieren. Ich nenne Ihnen als Beispiel die Hungersnot in
Äthiopien unter Kaiser Haile Selassie. Da hat die Regierung eine aufkommende Hungersnot in der Öffentlichkeit negiert.
Es geht also letztendlich darum, die Chancen der Fernerkundung konsequent zu nutzen. Am meisten beeindruckt an dieser Technik hat mich - ich versuche, die
positiven Möglichkeiten herauszustellen, und nicht, wie
manch anderer Kollege, die negativen -, dass man heute
durch die Erfassung des Klimas, des Zusammenwirkens
verschiedener klimatischer Parameter die Bedingungen
feststellen kann, unter denen sich Malariamücken am
besten vermehren. Wenn Sie sich vor Augen halten, wie
viele Menschen pro Jahr an Malaria sterben - etwa
1 Million -, erkennen Sie, wie wichtig das Verständnis
dieser Zusammenhänge ist. Allein daher ist diese Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die hier auch auf Anregung des BMZ auf den
Weg gebracht wurde, mehr als unterstützenswert.
Aus meiner Sicht stellt die Fernerkundung einen der
besten strategischen Ansätze der deutschen Entwicklungspolitik überhaupt dar. Sozialer Frieden, wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilisierung von Strukturen
erfordern eine dezidierte und detaillierte Bestandsaufnahme relevanter Informationen, die mit diesen Themen
in Verbindung stehen; denn man halte sich vor Augen:
Künftig werden Kriege nicht nur um Öl und sonstige
Bodenschätze geführt werden, sondern vermehrt auch
um Ressourcen wie Wasser und nutzbare Lebensräume.
„Capacity Building vor Ort“ ist daher das zentrale Stichwort. Es braucht die Ausbildung von Fachkräften aus der
einheimischen Bevölkerung, die über die Spezifika - das
könnte sich auch noch einmal auf das Thema Ebola beziehen - der jeweiligen Region Bescheid wissen, damit
eine sinnvolle Anpassung der Technologie an die Gegebenheiten vor Ort gewährleistet ist.
Meine Damen und Herren, ich bin schon am Ende
meiner Rede. Ich freue mich, dass EUMETSAT und das
ESOC der ESA ihren Sitz in meinem Wahlkreis, Darmstadt, haben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen
Tag.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld spricht nun ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion; er ist der letzte Redner
in dieser Debatte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter der
Unionsfraktion für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag möchte ich zum Abschluss der Debatte einige grundsätzliche Anmerkungen
zur Arbeit des TAB machen, über den vorliegenden Bericht hinaus.
Die Kernaufgabe des TAB ist die wissenschaftliche
Politikberatung für den Deutschen Bundestag. Um einen
TAB-Bericht wie den vorliegenden richtig einordnen zu
können, muss man klar benennen, was solche Beratung
leisten kann und was nicht. Ich möchte deshalb kurz drei
Punkte näher beleuchten: die Themenauswahl, die Methodik der Berichterstellung und die politische Bewertung, die wir für den vorliegenden Bericht gerade durchgeführt haben.
Die Themensetzung des TAB erfolgt durch uns, den
Deutschen Bundestag, unter Federführung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wir haben den Prozess für die Projekte 2015
gerade durchexerziert. Alle Arbeitsbereiche und damit
letztlich alle 631 Kolleginnen und Kollegen können Themenvorschläge einspeisen. Dabei hat sich das Verfahren
bewährt, zunächst über die Arbeitsgruppen und die Berichterstatter der Bundestagsfraktionen die Vorschläge zu
sammeln. Anschließend werden die Themen bewertet,
verdichtet und in Diskussion mit dem TAB durch die Berichterstatter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen. Dabei folgen wir dem Konsensprinzip; durch
dieses Verfahren soll gewährleistet werden, dass die
Themenauswahl nicht durch die jeweilige Mehrheit des
Hauses majorisiert wird. - Das gelingt nach meinem
Eindruck sehr gut. In diesem Zusammenhang auch ein
ausdrücklicher Dank an die Ausschussvorsitzende und
die Berichterstatter aus den anderen drei Fraktionen für
die bis dato sehr konstruktive Zusammenarbeit.
Kurz zur Methodik der TAB-Berichterstellung: Hier
ist vor allem herauszustellen - das sollte man immer im
Hinterkopf haben -, dass das TAB in erster Linie eine intelligente Bewertung der existierenden Datenlage im
Lichte der Aufgabenstellung vornimmt. Es ist nicht so,
dass die Gutachter umfängliche und damit auch sehr
teure eigenständige Forschungsprojekte durchführen,
wenngleich sie kleinere Studien durchaus in Auftrag geben können. Bei der wissenschaftlichen Politikberatung
geht es also primär um die Bewertung von Daten und
Trends. Es wird dabei in der Regel nie die eine Wahrheit
geben, meine Damen und Herren. Die Berichterstatter
nehmen die Berichte ab und schreiben ein Vorwort.
Auch hier gilt das Konsensprinzip; es ist also nicht möglich, per Mehrheitsvotum das Gutachten zu manipulieren. Es geht um Sachargumente - ein in der Wissenschaft eigentlich selbstverständliches Prinzip, aber ein
Prinzip, welches in der heutigen medialpolitischen Welt
nicht einfach durchzuhalten ist. Ich jedenfalls versuche,
genau darauf zu achten, dass weder in Vorworten noch in
den Berichten zu einfache, plakative Botschaften enthalten sind.
Natürlich wollen Medien oder auch Verbände, Lobbyisten oder Aktivisten aber genau das: einfache, simple
Argumente, knackige Zahlen, mit denen Kampagnen gefahren werden können. Das Prinzip der wissenschaftlichen Politikberatung wird aber missbraucht, wenn die
Grenzen zwischen neutraler Erhebung mit abgewogener
politischer Diskussion und einseitiger politmedialer Einfärbung bewusst oder unbewusst verwischt werden.
({0})
Richtig ist eine klare Trennung von Daten, Interpretationen und Kampagnen. Ich werde übrigens in der folgenden Debatte zum Antiziganismus darauf noch einmal
kurz zurückkommen.
Damit komme ich zum dritten und für das Parlament
eigentlich wichtigsten Punkt: der politischen Bewertung
der TAB-Berichte. Hier endet das Konsensprinzip; hier
muss das Konsensprinzip enden. Sie haben es eben in
der Debatte gemerkt, wobei hier die Kontroverse nicht
so stark war. Wie dargestellt, gibt es in der Regel keine
einfache Wahrheit. Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionen auf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor, die der Bundestag nur nachkochen muss.
Wichtig ist hier die Rolle der Fachpolitiker. Dafür ist
es wichtig, dass sich die Fachpolitiker mit den Gutachten
tatsächlich intensiv beschäftigen; das ist nicht immer der
Fall. Hier und heute haben wir ein sehr schönes Beispiel
gesehen. Dafür möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bedanken.
In diesem Sinne wünsche ich der weiteren Utilisierung dieses Berichts gutes Gelingen und bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/581 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({0}), Tom Koenigs, Claudia Roth ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Antiziganismus erkennen und entschlossen
bekämpfen
Drucksache 18/1967
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Volker Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Antiziganismus und Antisemitismus sind tief in unserer Gesellschaft, in unserer Geschichte verankert. Wir als Grüne
meinen: Wir müssen das Problem des Antiziganismus
genauso ernst nehmen wie den Antisemitismus und fordern deshalb, dass wir uns in einer Expertenkommission
mit diesem Thema beschäftigen.
({0})
500 000 Sinti, Roma und Kalé wurden von den Nationalsozialisten im Dritten Reich ermordet. Nach dem
Ende des Schreckens des Zweiten Weltkrieges und des
Dritten Reiches war die Verfolgung der Sinti und Roma
in Deutschland aber nicht zu Ende. Sie wurden bei der
Entschädigung nicht als rassisch Verfolgte anerkannt.
Erst 1956 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
Verfolgungsmaßnahmen nach 1943, als Sinti und Roma
nach Auschwitz-Birkenau verschleppt wurden, als rassische Verfolgung anerkannt werden, aber die Deportationen der Sinti und Roma davor galten in der Bundesrepublik Deutschland als begründet in „ihrem angeblich
kriminellen und asozialen Charakter“.
Das zeigt, wie lange der Geist des Dritten Reiches gegenüber den Sinti und Roma in unserem Land fortbestand.
Trotz aller Aufarbeitung und geschichtlicher Korrektur dieser Irrtümer der frühen Bundesrepublik Deutschland ist
auch heute Antiziganismus tief in unserer Gesellschaft
verankert, tief und nicht nur am Rande, bei den Rechtsextremen, die in den letzten Wahlkämpfen Kampagnen
gegen Sinti und Roma geführt haben.
Die Studie der Universität Leipzig zur „stabilisierten
Mitte“ kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahre 2014
55,4 Prozent der Bevölkerung sagen: Ich hätte Probleme
damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten. - Diese Zahl hat im Vergleich zu 2011 um 15 Prozent zugenommen. Bei der Frage, ob Sinti und Roma aus
den Innenstädten zu verbannen seien, hat sich die Zahl
der Befürworter faktisch verdoppelt. Ich meine, das ist
genügend Anlass, sich mit diesem Thema gesellschaftlich, wissenschaftlich und mit politischen Maßnahmen
gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma auseinanderzusetzen.
({1})
Herr Lengsfeld hat es gerade angedeutet: Es gibt eine
Auseinandersetzung um eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ich finde, wir sollten hier im
Bundestag nicht um Zahlen und um Statistiken aus diesen Untersuchungen streiten. Mir ist es egal, ob eine
Aussage von 20 Prozent oder 30 Prozent unserer Bevölkerung geteilt wird. Ein so hohes Maß an Minderheitenfeindlichkeit gegen eine Gruppe in dieser Gesellschaft
darf uns als Demokraten nicht ruhig schlafen lassen; da
ist Handlung gefragt.
({2})
Deshalb bitte ich Sie: Nehmen Sie die Frage des Antiziganismus genauso ernst, wie wir in diesem Hohen
Hause das Thema Antisemitismus ernst nehmen. Wir saßen gestern - Frau Pau war dabei - mit den Berichterstattern für den nächsten Antisemitismusbericht zusammen. Ich wünsche mir, dass wir uns im Rahmen der
Beratung im Ausschuss unter Berichterstattern zusammensetzen, um zu sagen: Ja, wir machen einen Antiziganismusbericht; wir wollen wissen, wie die Vorurteilsstrukturen funktionieren, und wir wollen dann
Maßnahmen des Bundes ergreifen, um diese Haltung in
der Gesellschaft demokratisch niederzuringen.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich Herrn Abgeordneten
Dr. Bernd Fabritius, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen
in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Das lehrt uns
nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Ich denke, in diesem Punkt
sind wir uns alle einig. Selbstverständlich sind damit
Rassismus und Feindlichkeit gegenüber allen spezifischen Gruppen gemeint. Es betrifft beispielsweise Juden, es betrifft Flüchtlinge aus allen Krisengebieten, und
es betrifft leider auch Sinti und Roma. Ich denke, auch
darüber sind wir uns einig.
Für die Unverbesserlichen in unserer Gesellschaft
sind die Ziele ihres Hasses und ihrer Diskriminierung
und häufig auch die Begründungen dafür einfach austauschbar - seien es unsägliche Attacken auf Menschen
mit dunkler Hautfarbe, Anschläge auf Flüchtlinge oder
eben die unbestreitbar manchmal anzutreffende abwertende Haltung gegenüber Sinti und Roma. Meist sind es
dieselben Leute, die den einen wie auch den anderen
Gruppen ablehnend gegenüberstehen. Einen solchen
Schluss auf Austauschbarkeit lässt zweifellos auch die
„Mitte“-Studie der Universität Leipzig zu, auf die Sie
von den Grünen sich in der Begründung Ihres Antrags
berufen. Es handelt sich daher offensichtlich um ein
grundsätzlicheres Problem und weniger um spezifische
Diskriminierung mit abgrenzbaren Gründen gerade gegenüber Sinti und Roma.
Wir müssen uns weiterhin insgesamt der Bekämpfung
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit widmen, anstatt eine Gruppe herauszupicken, wenn es uns gerade
passt. Um dieser Aufgabe keinen Bärendienst zu erweisen, ist es wichtig, bei der Bewertung der Lage ehrlich
und möglichst nah an den Realitäten zu bleiben. Sie behaupten in der Begründung Ihres Antrags bereits im ersten Satz - ich zitiere -:
Antiziganistische Vorurteile sind in allen Bereichen
von Politik und Gesellschaft verbreitet - in Behörden, in der Wissenschaft, in Medien, in Kirchen und
Religionsgemeinschaften …
Das ist schlicht falsch und stellt nicht nur uns Politiker,
({0})
sondern gleich die gesamte Gesellschaft und sogar die
Religionsgemeinschaften allgemein und undifferenziert
unter einen Generalverdacht des Rassismus und der
Fremdenfeindlichkeit.
({1})
Das polarisiert, schadet der Sache und ist zurückzuweisen.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat kürzlich selbst eine Studie zu diesem Thema in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse den Auftraggebern dann offensichtlich nicht schockierend genug gewesen sind. Sogar
der Spiegel weist darauf hin, dass Ergebnisse dieser Studie überzogen interpretiert und negative Einstellungen
gegenüber Sinti und Roma überzeichnet wurden.
({2})
Die Ergebnisse der Forscher zeigten nämlich etwas anderes.
Nun könnte man fragen, ob wir über Prozentzahlen
debattieren müssen, um einen Unrechtsgehalt zu identifizieren. Sie, lieber Kollege Beck, haben diese Frage zu
Recht angesprochen. Ich antworte darauf: bestimmt
nicht. Antiziganismus ist leider unbestreitbar Realität in
unserer Gesellschaft, und Quantifizierung macht diese
weder besser noch schlechter. Das gilt im Übrigen auch
für deutsche Heimatvertriebene.
Die Manipulation ist es, die ich kritisiere. Eine solche
benötigen wir nicht, und sie schadet den Betroffenen
mehr, als sie ihnen nützt.
Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
brachte teils sogar erfreuliche Ergebnisse zutage, wie
zum Beispiel das Wissen um die Leiden der Sinti und
Roma unter den Nationalsozialisten oder auch die Befürwortung eines freien Zugangs der allochthonen Sinti und
Roma zum Arbeitsmarkt durch eine Mehrheit in unserer
Gesellschaft.
Leider bleiben genau diese Befunde jedoch von den
Auftraggebern der Studie unerwähnt. Sie behaupten in
der Begründung Ihres Antrags sinngemäß das Gegenteil.
Warum? Ein solches Vorgehen ist in der Sache nicht hilfreich. Es schadet vielmehr in letzter Konsequenz den
Anliegen der Sinti und Roma.
({3})
Meine Damen und Herren, Resultat solch unsauberer
Darstellungen sind dann meist überzogene Forderungen.
Herr Kollege, der Kollege Beck fragt, ob er eine Zwischenfrage genehmigt bekommt.
Aber gerne.
Bitte.
Es passt sehr gut, dass Sie zu den überzogenen Forderungen unseres Antrags kommen, der zum Inhalt hat,
dass wir das Gleiche machen wollen wie beim Thema
Antisemitismus. Ist Ihnen bekannt, dass auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes diese wohl nicht überzogenen
Forderungen erheben, und was ist Ihre Antwort darauf?
Was wollen Sie in diesem Themenbereich konkret tun?
Herr Kollege Beck, ich habe zu den Forderungen und
dem Maß der Überziehung noch nichts gesagt. Dazu
komme ich noch. Mir ist nicht bekannt, was der ZentralDr. Bernd Fabritius
rat der Sinti und Roma dazu sagt. Ich bin davon ausgegangen, dass der Antrag von Ihnen, den Grünen, stammt.
Wenn Sie sagen, dass Sie einen fremden Antrag übernommen haben, dann würde ich mich dem gerne nähern.
({0})
Aber ich gehe auf die Frage im Weiteren noch ein. Damit ist Ihre Frage beantwortet, und ich fahre mit meiner
Rede fort.
Resultat solch unsauberer Darstellungen sind, wie gesagt, meist überzogene Forderungen. Ich komme noch
darauf zurück und nenne, was ich für überzogen halte.
Auch hier müssen wir aufpassen, dass wir realitätsnah
bleiben und nicht über das Ziel hinausschießen.
Selbstverständlich dürfen auch Sinti und Roma weder
bei Bildungsangeboten noch bei der Wohnungssuche,
der Arbeitssuche oder sonst in irgendeiner Weise benachteiligt oder diskriminiert werden. Wenn jedoch zum
Beispiel - ich nenne das nur, weil es oft Gegenstand der
Debatte ist - Begriffe aus der Alltagssprache verbannt
werden sollen, die gar keinen negativen Bezug haben,
dann halte ich das für überzogen.
({1})
Müssen etwa Köche ihre Rezeptbücher umschreiben und
aus dem beliebten „Zigeunerschnitzel“ ein „Schnitzel
nach Art der mobilen ethnischen Minderheit“ zu machen, um nicht des Antiziganismus bezichtigt zu werden?
({2})
Darüber schütteln sogar Sinti und Roma den Kopf. Ich
kenne gerade in Rumänien, wo ich 18 Jahre lang gelebt
habe, viele, die sich selbst und stolz als Zigeuner bezeichnen.
Sie wollen nun - damit komme ich zu Ihren Forderungen - ein eigenes Hochschulinstitut für Antiziganismus.
Sie fordern eine Bestandsaufnahme zu Entstehungsgeschichte und Folgen, gerade so, als ob Antiziganismus
etwas anderes - etwas Spezifischeres und Abgrenzbareres - wäre als schlichter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
({3})
Ich halte derartige Forderungen für Aktionismus und bin
der Auffassung, dass sie keinem helfen. Viel wichtiger ist
es, dass wir uns weiterhin gegen rassistische Vorurteile
und diskriminierende Einstellungen in einigen Köpfen in
unserer Gesellschaft einsetzen. Wir brauchen einen
ganzheitlichen Ansatz zur Bekämpfung von Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit.
({4})
Letztlich handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen.
An einer einzigen Stelle in Ihrem Antrag haben Sie
recht: Sie stellen fest, es gelte, „eine Zersplitterung der
Forschung bzw. der Beobachtung und Analyse von Diskriminierung in Deutschland zu verhindern“. Sie haben
völlig recht. Genau so ist es. Deswegen ist Ihr Antrag
abzulehnen.
Danke.
({5})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Petra Pau, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, sich dem Antiziganismus zuzuwenden, also der vielfältigen Diskriminierung von Sinti und Roma. Das teilt die Linke ausdrücklich.
({0})
Professor Wolfgang Benz hat vor wenigen Tagen sein
Buch Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit
vorgestellt.
({1})
Ich war bei der Präsentation dabei und empfehle uns allen sein Buch. Darin erinnert er, dass diese Menschen als
Zigeuner von jeher ausgegrenzt wurden. In der Nazizeit
gipfelte das im Völkermord an den Sinti und Roma, den
auch lange nach 1945 niemand wahrnehmen wollte.
Auch heute werden Sinti und Roma oft wie Aussätzige
behandelt, nicht nur in Osteuropa, sondern auch in der
Bundesrepublik. Das ist nicht hinnehmbar.
({2})
Denn es geht hier nicht um irgendwelche Minderheitenrechte, sondern um allgemeine Menschenrechte, auch
für Sinti und Roma.
Aktiver Antiziganismus knüpft häufig an Ängste und
Vorurteile an und facht sie fernab der Wahrheit an. Ich
möchte Ihnen ein aktuelles Beispiel der Hetze gegen
Sinti und Roma darlegen. In Halle an der Saale im
Wohngebiet „Silberhöhe“ gibt es seit neuestem eine Bürgerinitiative via Facebook. Das Bündnis „Halle gegen
Rechts - Bündnis für Zivilcourage“ hat einige Hetzparolen und falsche Behauptungen aufgegriffen. Die erste
Behauptung, die dort verbreitet wird: Romakinder gehen
generell nicht zur Schule. - Tatsache ist: Natürlich unterliegen sie wie alle Kinder der Schulpflicht und gehen
selbstverständlich in die Schule.
Zweite Behauptung: Die dort ansässigen Romafamilien vermüllen das Wohnhaus und die öffentlichen Flächen - Tatsache: Dem widersprechen vehement die Vermieterin und die Stadtverwaltung.
Dritte Behauptung: Roma stehlen, was nicht niet- und
nagelfest ist. - Tatsache: Weder die Polizei noch der Supermarkt vor Ort bestätigen das.
Vierte Behauptung: Wegen krimineller Roma wurde
die Polizeipräsenz im Wohngebiet erhöht. - Tatsache:
Der Polizeisprecher der Stadt Halle sagt: „Ja, wir mussten die Polizeipräsenz nach dem Auftauchen dieser Bürgerinitiative erhöhen, zum Schutz der Sinti und Roma“.
Ich füge an: Solche Vorurteile werden nicht nur vom
rechten Rand der Gesellschaft bedient, sondern auch aus
ihrer Mitte. Vorwürfe oder Unterstellungen, Sinti und
Roma seien Sozialschmarotzer, kommen leider auch aus
dem politischen Raum. Ich halte das für unverantwortlich.
({3})
Gleichwohl, Herr Kollege Beck, sollten wir in Ruhe darüber beraten, ob die vorgeschlagene unabhängige Expertenkommission „Antiziganismus“ darauf die richtige
Antwort ist. Ich befinde mich dazu auch in der Debatte
mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Ich
möchte uns alle an die Expertenkommission zum Antisemitismus erinnern. Die erste Expertise liegt seit über
zwei Jahren vor, allerdings - wir sprachen gestern darüber - bisher weitgehend folgenlos. Eine Expertise, die
folgenlos bleibt, nützt weder den Jüdinnen und Juden
hier im Land noch, wenn wir denn eine solche Berichterstattung hier beschließen, den Sinti und Roma und übrigens auch nicht der Gesellschaft.
Damit will ich abschließend uns alle daran erinnern:
Seit drei Jahren kennen wir die Ergebnisse der Langzeitstudie über deutsche Zustände von Professor Heitmeyer
und seinem Team an der Uni Bielefeld. Sein Befund: Die
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, gegen Sinti und Roma, gegen Migrantinnen und Migranten, gegen Menschen mit Behinderungen, gegen Obdachlose und Arbeitslose usf. Auch darauf haben wir
bisher im Bundestag, aber auch insgesamt noch nicht adäquat reagiert.
Übrigens wird als Ursache für diese Entwicklung in
der Studie ein Megatrend benannt, nämlich dass das Soziale ökonomisiert und die Demokratie entleert wird. Es
reicht also nicht, dass wir die Probleme in den Innenausschuss überweisen oder sie Experten anheimstellen. Ich
glaube und bin fest davon überzeugt: Wir müssen hier
gemeinsam einen Politikwechsel bewerkstelligen.
({4})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In zwei Wochen
werden wir Mitglieder des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Duisburg und Mannheim
besuchen. Grund der Reise: Wir möchten uns in beiden
Städten ein Bild verschaffen, wie Sinti und Roma in
Deutschland leben. Wir werden mit ihnen reden, und wir
werden uns über Projekte und Initiativen informieren,
die es in den Stadtvierteln gibt, in die viele Roma aus
Bulgarien und Rumänien zugezogen sind.
Am 10. November wird der Menschenrechtsausschuss
das Arnold-Fortuin-Haus in Berlin-Neukölln besuchen.
Am 12. November wird es eine Expertenanhörung im
Ausschuss geben, Thema: „Lage der Sinti und Roma in
Deutschland und in der EU - Ausgrenzung und Teilhabe“.
Warum plaudere ich hier über unseren Terminkalender? Alles das findet anlässlich des thematischen Schwerpunkts „Sinti und Roma“ im Menschenrechtsausschuss
statt. Wir werden uns also in der unmittelbaren Zukunft
wie geplant über Sinti und Roma und über Rassismus
gegen Sinti und Roma informieren. Daraus leiten wir
Handlungen ab, korrigieren vielleicht den eigenen Blickwinkel und lernen bestenfalls aus Fehlern. Um ehrlich zu
sein, hat es mich deshalb schon gewundert, dass der Antrag „Antiziganismus erkennen und entschlossen bekämpfen“ vor diesen Aktivitäten des Menschenrechtsausschusses auf der Tagesordnung im Deutschen
Bundestag steht.
({0})
Dagegen kann man argumentieren, dass es niemals zu
früh sein kann, sich mit dieser speziellen Form von Rassismus auseinanderzusetzen. Das ist sicher richtig. Allerdings hat mich der Antrag der Grünen nicht überzeugt.
Natürlich kann ich Ihnen nur zustimmen, wenn Sie sagen, dass antiziganistische Vorurteile für die Ausgrenzung vieler Sinti und Roma aus dem wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Leben mit ursächlich sind. Die
Betonung muss hier allerdings auf dem Wörtchen „mit“
liegen.
Rassismus gegen Sinti und Roma gibt es. Das kann
niemand anzweifeln. Auch existent sind schlechtere
Chancen für Sinti und Roma, große Probleme bei der
Wohnungssuche und wenig Wissen bei der deutschen
Mehrheitsbevölkerung. Tom Koenigs hat in einem Vorwort zu einem Gutachten, das sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzt, geschrieben, die Bekämpfung
von Rassismus gegen Sinti und Roma müsse auf drei
Wegen erfolgen - ich zitiere -:
durch die Veränderung oder Schaffung neuer gesetzlicher und normativer Regelungen, durch gesellschaftliche Aufklärung und durch die umgehende
Verbesserung der sozialen Situation benachteiligter
Roma.
Wenn wir uns einig sind, dass die Bekämpfung des latenten und manifesten Rassismus diese drei Wege beschreiten muss, dann finde ich es deutlich zu kurz gegriffen, jetzt nur einen Expertenkreis und ein universitäres
Zentrum einzurichten. Die Betonung liegt auf „nur“. Die
Roma-Forschung sollte an den Universitäten besser installiert werden. Ich halte das für unstrittig. Mit einem
Denkmal zur Erinnerung an die Ermordeten im Dritten
Reich ist es nicht getan. Die geschichtliche Forschung
über Sinti und Roma und den Holocaust muss ins Blickfeld von Historikern rücken, ebenso wie die Vorurteilsforschung - allerdings nicht unter der Prämisse, nur damit den Rassismus gegen Sinti und Roma zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, Rassismus darf in diesem
Land niemals toleriert werden. Ich betone es noch einmal: Rassismus gegen Sinti und Roma, den gibt es. Aber
er ist nicht allein verantwortlich für die oft problematische soziale Situation vieler Roma und auch nicht die
aus ihm entstehende Diskriminierung. Sind wir nicht eigentlich weiter?
In der politischen Debatte auf Bundesebene, aber
auch in Gesprächen mit den Menschen in meinem Wahlkreis höre ich immer wieder, dass wir vor allem bei den
sozialen Verhältnissen, bei Integration und bei Bildung
ansetzen müssen. Es mag sein, dass mehr Bildung in den
Ländern Südosteuropas nicht zum gewünschten Erfolg
führt. Die Arbeitslosigkeit ist viel zu hoch; Bildung und
Chancen sind dort entkoppelt. Aber niemand wird ernsthaft bestreiten, dass das in Deutschland anders ist. Nur
mit vernünftiger Bildung und Ausbildung eröffnen sich
hier Chancen auf Integration und Teilhabe.
({1})
Erinnern wir uns an den Beginn des Jahres. Wie auch
schon erwähnt wurde, wurden Vorurteile und Ängste im
Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für
Bulgarien und Rumänien geschürt. Gemeint waren
Roma. Es wurden Vorurteile und Ängste vor den sogenannten Armutsflüchtlingen geschürt. Und die Empörung war groß, weil Studien den Deutschen Rassismus
bescheinigten.
Aber wie helfen wir denn Menschen, die aus unvorstellbarer Armut zum Beispiel aus Bulgarien zu uns
kommen? Helfen wir ihnen - ich habe immer gesagt: nur mit einem jährlichen Antiziganismusbericht? Oder helfen wir ihnen, indem wir ihre soziale Situation verbessern? Ich meine nicht nur die soziale Situation in
Deutschland, sondern auch die in den Herkunftsländern.
Denken wir an die Kommunen. Helfen wir ihnen mit
Rassismusforschung? Oder helfen wir ihnen, indem wir
sie in die Lage versetzen, die Situation in bestimmten
Stadtteilen zu verbessern? Ich werde in Mannheim und
in Duisburg genau hinhören, was der Bund für die
Neckarstadt-West oder für Rheinhausen tut.
Dabei will ich die Mehrheitsgesellschaft nicht vergessen. Wie schaffen wir es denn, die Angst vor dem vermeintlich Fremden zu mindern? Schaffen wir das mit einem Lehrstuhl? Oder schaffen wir das mit Aufklärung,
Menschenrechtsbildung und Begegnung? Müssen wir
das Rad hier neu erfinden?
In meiner Heimatstadt Nürnberg bestätigen mir alle,
die in der Menschenrechtsbildung tätig sind, dass alle
Formen des Rassismus Teil der Menschenrechtsbildung
sind - auch Rassismus gegen Sinti und Roma.
Wenn Sie Jugendliche fragen, welche Gruppen von
Diskriminierung betroffen sind, werden auch immer
Sinti und Roma genannt. Aber wir werden uns schwertun, Vorurteile abzubauen, wenn die Menschen immer
wieder das Klischee sehen, das ihrem Vorurteil vermeintlich entspricht. Dass alle sozialen Probleme der
Sinti und Roma - ich habe es eingangs ausgeführt - nur
im Rassismus fußen, wie einige behaupten, ist zu kurz
gegriffen. Nicht die Diskriminierung allein ist für die soziale Situation der Roma ursächlich. Vielmehr bedingen
sich Diskriminierung, soziale Situation und Unwissenheit seitens der Mehrheitsbevölkerung gegenseitig. Wir
müssen die Klischees aufbrechen, die in jeder Form von
Rassismus vorkommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische
Kommission, das Europäische Parlament und der Europarat haben uns Maßnahmen aufgezeigt, die wir umsetzen müssen. Aus deren Vielzahl möchte ich hier nur ein
einziges Thema herausgreifen: die Verbesserung der
Situation der Romafrauen. Was wir auch in Deutschland
schaffen müssen, ist unter anderem, folgende Forderungen umzusetzen: Die Grundrechte von Romafrauen und
-kindern sicherstellen; sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel unter besonderer Berücksichtigung von
Romafrauen bekämpfen; Romafrauen in die Lage versetzen, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu übernehmen.
Diese Aufzählung kann man beliebig lange und noch
sehr viel konkreter fortsetzen. Es ist nicht falsch, sich dabei wissenschaftlich und praktisch beraten zu lassen.
Aber Politik für die Sinti und Roma muss über die theoretische Ebene hinaus auf europäischer Ebene, auf nationaler Ebene und auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Wiederum über alle Projekte hinaus müssen wir die
Denkmuster in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft
ändern und Wissen über die Minderheit fördern. Dass
dieses Wissen noch Verbesserungspotenzial hat, streitet
niemand ab. Das hat auch jüngst die Studie gezeigt
- heute schon vielfach erwähnt -, die aufgrund der Interpretation der erhobenen Daten durchaus Unmut hervorgerufen hat.
Ich werde hier nicht diskutieren, ob man nun den Skalenwert 5 zu 6 und 7 zählen darf. Ich habe mir diese Studie genau angeschaut. Für unser Thema ist wichtig, dass
viele der Befragten den Sinti und Roma unwissend und
gleichgültig gegenüberstehen. Dass sie Opfer des Holocaust waren, wussten noch viele, besonders Ältere; aber
34 Prozent der Befragten nannten „fahrendes Volk“ auf
die Frage, was ihnen zu Sinti und Roma einfällt. Wir sehen, das geht an der Realität völlig vorbei.
Unwissen, Gleichgültigkeit und Indifferenz der Mehrheitsgesellschaft hinsichtlich der Minderheit müssen wir
angehen. Darüber hinaus muss die deutsche Politik - das
sagen uns auch die Forderungen aus Brüssel und Straßburg - mehr für die Integration der Roma tun. Auch die
Forderung nach Kampagnen, die den Rassismus gegen
Sinti und Roma anprangern, sind völlig berechtigt.
Aber es wird auch schon einiges getan. Stellvertretend für viele wichtige Projekte möchte ich hier nur eines nennen: Das Familienministerium unterstützt das
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. seit 2009. Aus diesen Mitteln wurde
letztes Jahr unter anderem ein Themenflyer zu Antiziganismus aufgelegt.
Zum Schluss möchte ich noch werben: für das Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“.
({2})
Einer der Schwerpunkte ist Rassismus gegen Sinti und
Roma. Das Projekt startet am 1. Januar 2015. Derzeit
können Ideengeber und Initiativen ihr Interesse für Modellprojekte beim Familienministerium einreichen. Es
werden noch Projekte gesucht.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss ist es
mir eine große Freude und Ehre, heute kurzfristig für unsere menschenrechtspolitische Sprecherin Erika Steinbach
diese Rede zu übernehmen.
({0})
- Ich möchte einfach nur darstellen, in welcher Position
ich hier stehe, Kollege Koenigs.
Kurz ein paar Fakten: In Deutschland leben Schätzungen zufolge circa 60 000 Sinti und 10 000 Roma. Dies
sind deshalb Schätzwerte, weil in Deutschland keine bevölkerungsstatistischen oder sozioökonomischen Daten
auf ethnischer Basis erhoben werden, keine außeramtlichen Quellen existieren und eine repräsentative Erhebung im Rahmen der amtlichen Stichprobenerhebungen
nicht möglich ist. Deutsche Sinti und Roma haben
selbstverständlich alle Rechte und Pflichten deutscher
Staatsbürger. Neben Dänen, Friesen und Sorben sind sie
als nationale Minderheit anerkannt.
Wir wissen um die großen Probleme dieser Minderheit vor allem in den südosteuropäischen Ländern - wir
können die europäische Situation hier ja nicht völlig ausblenden; das sollten wir schon mitdiskutieren -; dort lebt
die Mehrheit der Roma. In den Ländern des Westbalkans
stellt sich die Lebenssituation der Minderheit in vielen
Lebensbereichen als sehr schwierig dar. Für die Integration der Roma bedarf es gerade dort besonderer Anstrengungen. Die europaweite Problematik von Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma ist offenkundig, wobei
es aber auch eine gewisse Selbstausgrenzung gibt. Im
April 2011 legte die Europäische Kommission einen
Rahmen für nationale Strategien zur Eingliederung der
Roma vor. Die Mitgliedstaaten haben der EU-Kommission jährlich über ihre Integrationsbemühungen zu berichten.
Die Bundesregierung hat am 23. Januar 2014 einen
zweiten Fortschrittsbericht über die Umsetzung des Berichts der Bundesrepublik Deutschland „EU-Rahmen für
nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 Integrierte Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland“ an die Europäische Kommission übersandt. Auf über 60 Seiten
informiert der Bericht über die seit 2011 erzielten Fortschritte auf Bundes- und Landesebene sowie über Pläne
bis zum Jahr 2020 in den vier Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Unterkunft und
gibt auch zur Antidiskriminierung detailliert Auskunft.
Ich finde, wir haben bereits beachtliche Erfolge erzielt:
So wurde im Oktober 2012 hier in Berlin-Mitte - es
ist schon kurz erwähnt worden; aber man sollte es sich
noch einmal klarmachen; es ist ja eine große Sache - das
mit Mitteln des Bundes finanzierte zentrale Mahnmal für
die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten Sinti
und Roma durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel eingeweiht.
Die Bundesregierung steht in vielfältigem Kontakt
mit Vertretern der nationalen Minderheit. Seit 2012 führt
sie auch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Gespräche über die Bekämpfung extremistischer Gewaltaufrufe und Hass im Internet.
Mehrfach im Jahr findet ein Gesprächskreis der nationalen Minderheiten in Deutschland unter Federführung
des Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen
Bundestages statt, an dem Vertreter der nationalen Minderheiten, die Bundesregierung und Abgeordnete teilnehmen. Dessen Themen waren auch - natürlich - „Diskriminierung von Sinti und Roma“ sowie die „Erstellung
eines Antiziganismusberichts“.
Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ fördert die Forschung zum Thema Antiziganismus.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und das Dokumentations- und Kulturzentrum in Heidelberg werden
mit Bundesmitteln institutionell gefördert.
Sie sehen, dass in Deutschland in diesem Bereich bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden. Speziell
hervorheben möchte ich aus dem Fortschrittsbericht die
seit 2011 durchgeführten Maßnahmen im Bereich Bildung; Bildung ist ja auch einer meiner Hauptbereiche.
Bildung ist die Schlüsselkompetenz für gelingende Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Der Bericht zeigt die durchgeführten Maßnahmen und Projekte,
die von vorschulischer Sprachförderung über Ferienfreizeitangebote, Familienbildung und -beratung bis hin zu
bildungspolitischen Maßnahmen und Antirassismuskonzepten für Schulen reichen. Alle Maßnahmen werden
mit Leben erfüllt und finden in Deutschland schon jetzt
statt.
Die Bemühungen im Bildungsbereich leisten einen
wesentlichen Beitrag, vorhandene Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft abzubauen und die Angehörigen der
Minderheit, die sich bisher zum Teil bildungsfern verhielten, zu erreichen. Das Recht auf Bildung muss aber
mit der Akzeptanz der Schulpflicht in Deutschland einhergehen - das ist hier auch schon gesagt worden -; da
besteht eine Verknüpfung. Integration funktioniert eben
nicht als Einbahnstraße.
Kommen wir zur aktuellen Lage. Auch dieser Punkt
ist schon mehrfach angesprochen worden; ich möchte
darauf etwas detaillierter eingehen, weil das hier so weggewischt wurde. Bereits im September veröffentlichte
die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine wissenschaftliche Studie zur Bevölkerungseinstellung gegenüber den Sinti und Roma. Ich vermute stark, dass das
auch der Anlass für Ihren Antrag ist.
({1})
- Vielleicht nicht, aber es gibt eine gewisse zeitliche
Koinzidenz.
Hier muss man genau auf die Daten schauen. Ich
finde, da darf man nicht der Versuchung erliegen, die
Daten medial anzuschärfen. Das Beispiel müssen wir
jetzt einmal, so quälend es für den einen oder anderen
sein mag, durchexerzieren.
Eine konkrete Frage in der Studie, die auch medial
durchaus intensiv diskutiert wurde, lautete:
Wie angenehm oder unangenehm wären Ihnen Sinti
oder Roma als Nachbarn in der Nachbarschaft?
Die von den Wissenschaftlern übrigens aus gutem Grund
gewählte Skala zur Beantwortung reichte von 1 bis 7;
das ist hier auch schon erwähnt worden. Man hätte auch
eine andere Skala nehmen können, aber man hat aus gutem Grund eine Skala von 1 bis 7 gewählt. „4“ ist die
neutrale Antwort. „5“ ist eine Schattierung, die leicht ins
Unangenehme geht, also die erste negative Antwort in
der Skala von 1 bis 7.
Die Ergebnisse lauteten wie folgt: Positiv bis neutral
- das sind die Werte 1 bis 4 - äußerten sich 48,7 Prozent
der Befragten in dieser Studie. Den Wert 5 - eher negativ wählten 10,9 Prozent, den Wert 6 - „unangenehm“,
schon ziemlich negativ - 8,5 Prozent und den negativsten Wert, den Wert 7 - „sehr unangenehm“ -, 11,9 Prozent. PR-Experten in der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes haben daraus eine Presseerklärung gemacht, in
deren Überschrift - das ist das Wichtige - als Erstes
steht: „Jeder dritte Deutsche lehnt Sinti und Roma als
Nachbarn ab“. Das ist das Ergebnis eines PR-Cookings
dieser Zahlen. Wie gewollt, beherrscht genau diese
Schlagzeile die Berichterstattung für eine ganze Weile.
Das geht aus meiner Sicht so nicht.
({2})
Dieser Spin ist nicht durch die Studienergebnisse gedeckt.
Wenn man nur die negativen Zahlen betonen wollte
- ich sage gleich, dass das auch kein guter Blick auf eine
solche Studie ist -, dann könnte oder müsste man gemäß
der Studie sagen, dass 20,4 Prozent der Befragten - auch
Kollege Beck hat es schon erwähnt - Sinti und Roma in
ihrer Nachbarschaft als unangenehm oder sehr unangenehm empfinden.
Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Beck?
Ich würde das gern zu Ende führen. Dann können wir
gern in eine zweite Runde gehen, wenn das dann noch
nötig ist.
Schauen wir mal, wie wir das dann machen.
({0})
Es gab in dieser Studie aber auch eine Vielzahl positiver Daten. Ich empfehle ganz klar, dass man diese Art
von Studien nicht einseitig interpretiert, nicht diese Art
von medialem Spin setzt, sondern die positiven und negativen Signale genau analysiert, um daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Meine Sicht auf die Studie lautet: Antiziganismus ist
in Deutschland momentan kein weitverbreitetes Phänomen. Deshalb sehe ich den vorliegenden Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen auch kritisch, ohne dabei weiteren Handlungsbedarf aufgrund der Ergebnisse der Studie
oder anderer Erkenntnisse zu negieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die Debatte hat gezeigt, dass wir Forschung und
Erkenntnisse über Antiziganismus brauchen, und zwar
mehr als bisher.
({0})
In dem Antrag geht es - Frau Heinrich hat das anscheinend gar nicht gesehen - nicht um Sinti und Roma
und deren Wohlbefinden oder Nichtwohlbefinden, sondern es geht um uns, die Mehrheitsgesellschaft.
({1})
Der Antiziganismus ist in der Mehrheitsgesellschaft verwachsen, nicht bei den Sinti und Roma. Dieser Antrag
befasst sich nur damit.
({2})
Davor haben wir uns lange mit Antisemitismus befasst,
und auch da gab es immer welche, die gesagt haben: Das
ist ja nicht so schlimm, ist ja nicht so viel; das gibt es gar
nicht in dem Maße; es sind nur 24 Prozent.
Aber dass es in der Mitte der Gesellschaft und nicht
nur am rechten Rand Antiziganismus gibt, das ist der
Kern des Problems. Diesen Antiziganismus gibt es seit
Generationen. Es gibt ihn in allen Kulturen. Zum Beispiel gibt es ihn auch in der Literatur. Klaus-Michael
Bogdal hat das in einem sehr interessanten Buch mit
dem treffenden Titel „Europa erfindet die Zigeuner: Eine
Geschichte von Faszination und Verachtung“ beschrieben. Diese Verachtung sehen wir.
Faszination und Verachtung finden wir von Cervantes
über Heine bis hin zu García Lorca und zur Volksliederkunst, „Zigeunerjunge“ oder was auch immer. Damit
müssen wir uns befassen; auch Wissenschaftler müssen
das machen. Das will der Antrag. Der Antiziganismus
hat Geschichte, auch eine ganz spezielle deutsche Geschichte. Es handelt sich nicht nur, wie Herr Fabritius
gesagt hat, um irgendeine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Es ist auch Rassismus, aber ein ganz spezifischer, auf eine ganz spezifische Gruppe konzentriert.
Die Mitglieder dieser Gruppe, so unterschiedlich sie
auch sind - Sinti, Roma, Zigeuner, Aschkali, Egyptians,
Gypsies, Gitanos -, haben eines gemeinsam: Sie sind
Opfer dieses Antiziganismus. Fragen Sie sie doch einmal! Sie alle haben das erlebt; jeder Einzelne hat es erlebt.
In der Mehrheitsgesellschaft heißt es dann: Ich habe
ja nichts gegen Zigeuner, aber bei uns im Frankfurter
Stadtzentrum wollen wir sie doch nicht haben. - Die Ursache für die Diskriminierung der Sinti und Roma liegt
bei uns, nicht bei den Sinti und Roma.
({3})
Damit müssen wir uns befassen. Dieser Antrag fordert, dass eine unabhängige Kommission dies erforschen
soll. - By the way: Eine solche gibt es für Antisemitismus. Sie könnte aber sicher noch besser sein, als sie gegenwärtig ist. - Wir müssen darüber berichten - ganz offensichtlich, wenn es so viel besser geworden ist, wie Sie
sagen.
({4})
Dass es kein einziges eigenständiges wissenschaftliches
Forschungsinstitut für Antiziganismus gibt, ist doch ein
Jammer. Das ist offensichtlich ein Fehler.
({5})
In diese Richtung geht der Antrag. Ich bitte Sie immer
noch, diesen zu unterstützen.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1967 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. November 2014, 13 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zeit bis dahin.
Die Sitzung ist geschlossen.