Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte
nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den zurückliegenden Tagen feierte der Kollege Dr. Heinz
Riesenhuber seinen 78. Geburtstag
({0})
und der Kollege Dr. Christoph Bergner seinen 65. Geburtstag.
({1})
Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu nachträglich sehr herzlich und wünsche Ihnen beiden alles erdenklich Gute.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfraktionellen Absprache soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln.
({2})
Die Fraktion Die Linke hat beantragt, die Wahl der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit - Tagesordnungspunkt 15 - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
({3})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat jetzt der Kollege
Jan Korte von der Linken. Bitte schön.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte kurz begründen, warum wir beantragen, die
für heute vorgesehene Wahl des oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
abzusetzen.
Erstens. Wir erleben zurzeit - das ist ja schwerlich zu
übersehen - einen der größten Geheimdienstskandale,
nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf internationaler Ebene. Viele Menschen sind verunsichert. Mithin ist die freie Kommunikation auch in diesem Land gefährdet und infrage gestellt.
({0})
Zunehmend mehr Menschen sind dadurch verunsichert
und werden daran gehindert, ihr Grundrecht auf freie
Kommunikation wahrzunehmen. Deswegen - ich glaube,
da müsste hier im Hause eigentlich Einigkeit herrschen müssen wir dafür sorgen, dass mit Beginn dieser Legislaturperiode eine neue Ära hinsichtlich des Datenschutzes und der Bürgerrechte anbricht.
({1})
In dieser Frage kommt dem Bundesbeauftragten natürlich eine Schlüsselstellung zu.
Wir haben, wie nicht anders zu erwarten, einen sehr
klugen und schlauen Vorschlag gemacht.
({2})
Wir schlagen Ihnen vor, dass wir, statt heute die Wahl
des Bundesdatenschutzbeauftragten durchzuführen, über
die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg versuchen, einen gemeinsamen Kandidaten oder eine gemeinsame
Kandidatin zu finden, die dieses im Moment und vor allem in Zukunft so wichtige Amt fachlich ausgezeichnet
ausfüllen kann.
({3})
Wir sind bereit, mit Ihnen gemeinsam zu schauen, wer
dafür infrage kommt, vielleicht sogar jemand, der unabhängig bzw. parteilos ist. Es gibt unter den Datenschutzbeauftragten auch der Länder exzellente Kolleginnen
und Kollegen, die hier sehr kompetent agieren könnten.
Das ist unser Vorschlag.
Zweitens sollten wir, wenn wir denn einen neuen Datenschutzbeauftragten wählen, auch dafür sorgen, dass
gleich ein großer Wurf gelingt. Das bedeutet, dass wir
auch strukturell eine substanzielle Aufwertung der Behörde des Bundesdatenschutzbeauftragten herbeiführen
sollten. Das bedeutet vor allem - das ist ganz entscheidend - die Herstellung der völligen Unabhängigkeit des
Datenschutzbeauftragten, also die endgültige Herauslösung aus dem Bundesinnenministerium. Dafür ist es
höchste Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Lange Rede, kurzer Sinn: Wir möchten, dass wir uns
überfraktionell darüber verständigen. Deswegen schlagen wir vor, diese Wahl nicht heute durchzuführen und
möglichst schnell eine überfraktionelle Kommission
oder Arbeitsgruppe einzurichten, die sich auf den Weg
macht, jemanden zu finden, der fachkompetent ist, also
zwar für uns alle anstrengend, aber fachlich optimal.
Zu der von der Regierung vorgeschlagenen Kandidatin nur so viel: Ich kenne die ehemalige Kollegin
Voßhoff und halte sie für eine integre Person. Aber eines
will ich politisch schon sagen: In Anbetracht der gegenwärtigen Debatten über die NSA- und Geheimdienstaffären will ich zumindest infrage stellen, ob es wirklich
das politisch richtige Zeichen wäre, ausgerechnet eine
Person zur Bundesdatenschutzbeauftragten zu wählen,
die in den vergangenen Legislaturperioden die Vorratsdatenspeicherung, die Onlinedurchsuchung und die Erweiterung der Kompetenzen der Geheimdienste unterstützt hat. Denken Sie darüber angesichts der aktuellen
Ereignisse noch einmal nach. Wir bitten um Vertagung
dieses Tagesordnungspunktes.
Schönen Dank.
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Michael Grosse-Brömer das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir bestimmen heute, wer Datenschutzbeauftragter bzw. -beauftragte werden soll. Wir alle, die wir
hier sitzen, sind frei gewählt und demokratisch legitimiert. Deswegen können wir eine solche Wahl durchführen. Wir haben uns für eine sehr renommierte Kollegin
entschieden, die fraktionsübergreifend als gute Rechtspolitikerin, als gute Juristin bekannt ist und viele Jahre
Mitglied des Deutschen Bundestages war. Wir haben uns
entschieden, Ihnen heute dieses hervorragende Angebot
zu machen.
({0})
Ich muss in Richtung Linke sagen, Herr Korte: Wir
haben auf Entscheidungen, die Ihre Fraktion getroffen
hat, sehr viel Rücksicht genommen. Es ist auch gut, dass
die Fraktionen ihre Personalangebote selbst bestimmen
und die anderen Fraktionen sich bei der Bewertung zurückhaltend verhalten.
({1})
Nur das wünschen wir uns heute auch von Ihnen. Die
Zeit, in der die SED oder ihre Rechtsnachfolgerin bestimmt hat,
({2})
was andere Fraktionen vorzuschlagen haben und welche
Personalentscheidungen zu treffen sind, ist vorbei.
({3})
Wir schlagen Ihnen heute eine Kollegin vor, die während ihrer Arbeit im Deutschen Bundestag unter Beweis
gestellt hat, dass sie in der Lage ist, datenschutzrechtlich
nüchtern zu analysieren und datenschutzrechtlich klug
zu handeln. Diese Wahl muss heute stattfinden, weil dies
der richtige Zeitpunkt ist. Diese Kandidatin muss nach
unserer festen Überzeugung gewählt werden, weil sie
eine gute und die richtige Kandidatin für dieses Amt ist.
Herzlichen Dank.
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Britta
Haßelmann.
({0})
Na ja, wenn Herr Kauder schon gespannt ist! - Guten
Morgen zusammen!
({0})
Nach § 22 des Bundesdatenschutzgesetzes wird der oder
die Bundesdatenschutzbeauftragte von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Deutschen Bundestag gewählt. Ich mache keinen Hehl daraus, dass unserer Fraktion der Personalvorschlag, der gemacht wurde, nicht
passt, und zwar nicht, weil wir irgendwelche Zweifel an
der Integrität der Person hätten, sondern weil wir uns
fragen: Was soll sozusagen die Auszeichnung der Person
beim Thema Datenschutz sein angesichts der bisherigen
Positionierung der Person zum Thema Datenschutz, zum
Thema Vorratsdatenspeicherung, zum Thema Netzsperren und zu vielen anderen Fragen, bei denen es um die
datenschutzrechtliche Abgrenzung von Freiheits- und
Bürgerrechten ging. Deshalb haben meine Kolleginnen
und Kollegen, die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker,
an dem Besetzungsvorschlag öffentlich massive Kritik
geübt.
Aber den Weg, den die Linke vorschlägt, also die
Wahl des oder der Bundesdatenschutzbeauftragten von
der Tagesordnung abzusetzen, können wir, ehrlich gesagt, auch nicht nachvollziehen. Was würde das denn bedeuten? Was würde das nach außen für ein Signal sein?
Wir haben seit dem 16. Dezember keinen Bundesdatenschutzbeauftragten mehr, und das in einer Situation,
in der wir in dieser Republik dringend einen Datenschutzbeauftragten brauchen. Durch den NSA-Skandal
ist doch überdeutlich geworden, dass das Thema „Einschränkung der Bürger- und Freiheitsrechte“ bzw. die
Wahrung gerade dieser beiden elementaren Grundrechte
von zentraler Bedeutung ist. Deshalb brauchen wir eine
Datenschutzbeauftragte oder einen Datenschutzbeauftragten, und zwar sofort.
({1})
Wir halten es für absolut falsch, wie man mit Peter
Schaar umgegangen ist. Peter Schaar ist in Sachen Datenschutz eine hochqualifizierte, hochanerkannte Persönlichkeit.
({2})
Sein Engagement ist weit über die Parteigrenzen hinaus
in der Öffentlichkeit bekannt und hochakzeptiert gewesen.
({3})
Es war total falsch, wie insbesondere Innenminister
Friedrich mit Peter Schaar in der Situation umgegangen
ist, als seine Amtszeit abgelaufen war und wir keinen
Bundesdatenschutzbeauftragten mehr hatten. Da keinen
Übergang zu schaffen, das war schon ein starkes Stück,
das war schon peinlich. Ich glaube, Sie haben ihn noch
nicht einmal vernünftig verabschiedet. Ich finde das
wirklich unmöglich.
({4})
So geht man mit Leuten, die jahrelang hervorragende
Arbeit geleistet haben, nicht um; das sage ich auch einmal in Richtung SPD. Man hätte während der Koalitionsverhandlungen auch einmal darauf drängen können,
dass mit dem Kollegen vernünftig umgegangen wird.
Eines ist aber völlig klar: Wir haben von Anfang an
gesagt, dass es einen nahtlosen Übergang geben muss,
dass diese Stelle, diese Funktion auf gar keinen Fall unbesetzt bleiben darf, Jan Korte.
({5})
Wir können hier doch jetzt nicht sagen: Wir haben zwar
einen der größten Skandale im Hinblick auf die Bürgerund Freiheitsrechte,
({6})
aber wir überlegen jetzt erst einmal ein paar Monate, wie
wir das ganze Thema managen und setzen eine große
Findungskommission ein. Ich halte diesen Vorschlag für
falsch.
({7})
Meine Fraktion wird entsprechend abstimmen. Fachlich
beurteilen wir das völlig anders; aber wir können es uns
jetzt nicht leisten, monatelang zu überlegen, welche
neuen Funktionen der Bundesdatenschutzbeauftragte
beim Thema Datenschutz bekommen soll. Dazu ist der
Zeitpunkt viel zu brisant. Wir müssen diese Funktion
schnell neu besetzen.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Christine
Lambrecht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wird Sie nicht sonderlich verwundern, dass auch wir,
die SPD-Fraktion, diesem Antrag nicht zustimmen. Lieber Jan Korte, Sie haben die Begründung quasi mitgeliefert. Wenn man gemäß Ihrem Antrag im Angesicht des
NSA-Skandals, in dem wir doch über einen Datenschutzbeauftragten sprachfähig sein müssen, die Wahl
verschiebt und eine interfraktionelle Findungskommission aufsetzt - das erinnert mich ein bisschen an eine
Casting-Show -,
({0})
würde das ja bedeuten, dass wir noch länger - die Situation besteht ja jetzt - nicht sprachfähig sind. Allein aus
diesem Grund werden wir diesem Antrag heute nicht zustimmen.
({1})
Wir brauchen ganz dringend wieder einen handlungsfähigen, einen unabhängigen Datenschutzbeauftragten
bzw. in diesem Fall eine Datenschutzbeauftragte.
({2})
Der ehemalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar
- ich möchte ihm an dieser Stelle ausdrücklich für seine
Arbeit danken; diese hat er wirklich gut gemacht ({3})
hat uns eindringlich davor gewarnt, es nicht zu einer
Kontrolllücke kommen zu lassen. Deswegen muss die
Wahl heute sein. Wir können uns nicht erlauben, dieses
Amt nicht zu besetzen, nur weil irgendjemandem, weil
euch eine Person nicht gefällt. Das geht so nicht.
({4})
Deswegen brauchen wir diese Entscheidung hier und
heute.
Ich will noch etwas zur politischen Unabhängigkeit
sagen. Selbstverständlich muss die Bundesdatenschutzbeauftragte unabhängig sein, sie muss politisch unabhängig agieren. Das wird sie auch tun; das hat auch Peter
Schaar bewiesen. Das bedeutet aber nicht, dass man deswegen parteilos sein muss.
({5})
Das war bei Peter Schaar auch nicht der Fall. Es kommt
vielmehr darauf an, wie man dieses Amt ausfüllt und
wahrnimmt.
Aus den genannten Gründen werden wir diesem Antrag nicht zustimmen und treten dafür ein, heute Nachmittag diese Wahl durchzuführen. Wir sind nämlich der
Meinung, dass es dringend notwendig ist, diese Stelle
endlich wieder zu besetzen.
Vielen Dank.
({6})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
beantragte Absetzung des Tagesordnungspunktes 15? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Geschäfts-
ordnungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Einsetzung von Ausschüssen
- Drucksache 18/211 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung eines Ausschusses Deutsche Ein-
heit
- Drucksache 18/109 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung eines Ausschusses für kommunale Angelegenheiten
- Drucksache 18/110 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor drei Monaten, am 22. September, wurde in
Deutschland ein neuer Bundestag, der 18. Bundestag,
gewählt. Es war die Entscheidung der Wähler, dass
CDU/CSU 41,5 Prozent Stimmenanteil erhielten, SPD
25,7 Prozent, die Linke 8,6 Prozent und Bündnis 90/Die
Grünen 8,4 Prozent. Es war auch die Entscheidung der
Wähler, dass die FDP mit 4,8 Prozent nicht mehr im
Bundestag vertreten ist. Der 18. Deutsche Bundestag hat
631 Abgeordnete, 10 Abgeordnete mehr als der
17. Deutsche Bundestag.
Wahlergebnis, Sondierungsgespräche, Koalitionsverhandlungen und die Mitgliederbefragung bei der SPD
führten dazu, dass wir heute zur Einsetzung der ständigen Bundestagsausschüsse, der Bundestagsfachausschüsse, kommen können. Dass dies drei Monate nach
der Bundestagswahl geschieht, heißt aber nicht, dass das
Parlament nicht arbeitsfähig ist und nicht gearbeitet hat.
Mit der Einsetzung eines Hauptausschusses am 28. November war die Arbeitsfähigkeit hergestellt. Mit dem
heutigen Einsetzungsbeschluss für 22 ständige Ausschüsse und deren Arbeitsaufnahme Mitte Januar wird
der Hauptausschuss seine Tätigkeit wieder einstellen
können.
Die ständigen Ausschüsse werden in jeder Wahlperiode neu besetzt. Dabei kann die Anzahl der Ausschüsse durchaus variieren. So hatte der erste Bundestag
1949 insgesamt 40, der sechste Bundestag hingegen nur
17 ständige Ausschüsse.
Bei der Bildung der Ausschüsse hat der Bundestag
nicht völlig freie Hand. Einige Ausschüsse schreibt das
Grundgesetz vor, andere ergeben sich zwangsläufig aus
bestimmten gesetzlichen Formulierungen. Zu diesen
Ausschüssen gehören zum Beispiel der Petitionsausschuss oder auch der Verteidigungsausschuss.
In der Geschäftsordnung des Bundestages werden die
ständigen Ausschüsse als „vorbereitende Beschlußorgane des Bundestages“ bezeichnet. In diesen ständigen
Ausschüssen bzw. Fachausschüssen wird ein Großteil
der parlamentarischen Arbeit zu leisten sein. Jeder Abgeordnete wird mindestens eine ordentliche Mitgliedschaft erhalten.
Für die Kontrollfunktion des Parlamentes ist es wichtig, dass sich die Ausschüsse spiegelbildlich zu den
Ministerien abbilden. In der Regel steht also jedem Bundesministerium ein ständiger Ausschuss gegenüber, und
es macht auch Sinn, jeden Ausschuss einem Ministerium
zuzuordnen.
Die Größen der einzelnen Bundestagsfraktionen finden ihre Entsprechung in den noch zu konkretisierenden
Ausschussvorsitzen. So entfallen auf die Linksfraktion
und Bündnis 90/Die Grünen je zwei Ausschussvorsitze,
auf die SPD sieben und auf CDU/CSU elf.
Anhand des heute zu debattierenden Antrages zur
Einsetzung der Ausschüsse muss und kann noch etwas
zum Thema Minderheitenrechte gesagt werden:
Die Größe der Ausschüsse bzw. deren Zahl von Sitzen wird zu Beginn jeder Legislaturperiode durch die
Fraktionen neu festgelegt - so auch diesmal. Dabei differiert die Zahl der Mitglieder zwischen 14 im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und 46 im Ausschuss für Wirtschaft und Energie.
Nach dem Berechnungsverfahren zur Stellenverteilung nach Sainte-Laguë/Schepers haben die Oppositionsfraktionen, also Bündnis 90/Die Grünen und Linke,
in Ausschüssen oder anderen Gremien mit 8 oder 16 Sitzen automatisch 25 Prozent der Sitze und damit alle
Minderheitenrechte. Eine solche Gremiengröße hätte
sich somit für alle Ausschüsse angeboten, in denen 16
eine angemessene Größe hätte sein können, also auch für
den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Leider ist davon nur einmal Gebrauch
gemacht worden, nämlich beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe.
Es ist das gute Recht der Opposition, im Rahmen der
interfraktionellen Abstimmung über die Ausschüsse andere Präferenzen geltend zu machen, doch wenn man die
gegebenen Möglichkeiten zur Durchsetzung der Minderheitenrechte nicht nutzt, dann sollte man öffentlich nicht
gar so laut über fehlende Minderheitenrechte oder gar
Diskriminierung klagen.
Zurück zum vorliegenden Antrag: Man kann über
einzelne Ausschusszuschnitte und -größen streiten, sicher ist, dass wir in und mit diesen Ausschüssen ab jetzt
arbeiten können. Der Einsetzungsbeschluss ist Beleg für
die Funktionsfähigkeit, aber auch für die Konsensfähigkeit unseres Parlamentes.
Dank gilt denen, die den Einsetzungsantrag ausgehandelt haben. Er hat eine breite und auch eine fraktionsübergreifende Zustimmung verdient.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus, Fraktion
die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zur Einsetzung von
ständigen Ausschüssen stimmen wir selbstverständlich
zu. Das ist auch ein schönes Zeichen für die Öffentlichkeit: Es geht doch, etwas gemeinsam zu unternehmen.
Zudem schlägt Ihnen meine Fraktion vor, zwei weitere Ausschüsse, nämlich einen für kommunale Angelegenheiten und einen für die deutsche Einheit, zu bilden.
({0})
Um es vorwegzunehmen: Der Untergang des Abendlandes stünde mit der Annahme dieser Anträge nicht ins
Haus, weil es beide Ausschüsse in dieser oder ähnlicher
Form im Deutschen Bundestag bereits gegeben hat.
Wir wollen darüber reden und entscheiden, wo und
wie sich die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die das Grundgesetz bekanntlich vorschreibt, vollzieht. Dabei geht es sehr viel um den Osten, aber nicht
nur. Wir wissen auch um strukturschwache Regionen im
Ruhrgebiet; Gelsenkirchen ist gewissermaßen ein Beispiel dafür.
Und natürlich haben wir die Aufgabe, Struktur- und
Regionalpolitik neu zu denken. Schauen Sie sich nur
einmal an, welche Auswirkungen die Finanzmarktpolitik
auf die Regional- und Strukturpolitik hat. Finanzmärkte
ordnen ausschließlich Metropolen. Den Zusammenhang
zwischen Metropolregionen und ländlichen Räumen
wiederherzustellen, wäre eine Aufgabe, die wir in einem
solchen Ausschuss für die deutsche Einheit ausdrücklich
zu besprechen hätten.
({1})
Wir wollen natürlich auch nicht verhehlen, dass die
Ost-West-Differenzen seit vielen Jahren nicht kleiner
werden, sich die Schere also nicht schließt, sondern weiter öffnet. Wir haben nach wie vor keine einzige Firmenzentrale im Osten Deutschlands. Bei einem Blick auf das
Ranking der Landkreise in Deutschland wird deutlich:
Unter den 50 letztplatzierten Landkreisen in diesem
Ranking sind 49 ostdeutsche Landkreise.
Außerdem wollen wir erreichen, dass die Erfahrungen, die in Ostdeutschland im Umgang mit Umbruchsund Transformationsprozessen gemacht wurden, endlich
bundesweit genutzt werden. Das sind Erfahrungen mit
einer wirksamen Entwicklung der Sparkassenstrukturen. Das sind Erfahrungen mit ostdeutschen Chemieparks, deren Vorteile schon jetzt in die industriepolitische Sicht einfließen. Das ist die Erfahrung der guten
Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung
durch eine entsprechende Kinderbetreuungsstruktur. Das
sind aber auch Erfahrungen mit einer modernen und zukunftsorientierten Landwirtschaft.
Wir alle wissen: Wenn Sie einen solchen Ausschuss
nicht bilden, dann bilden sich da, wo die Strukturen fehlen, informelle Zusammenschlüsse. Wir als die Verantwortlichen der Fraktionen für den Osten haben uns immer in informellen Runden getroffen. Jetzt sollte man
diese institutionalisieren.
({2})
Ich will Sie an dieser Stelle auch darüber unterrichten,
dass meine Fraktion Sie in einer weiteren Frage nicht in
Ruhe lassen wird, nämlich in der Frage der noch immer
zweigeteilten Bundesregierung. Dass noch immer fast
die Hälfte der Bundesregierung in Bonn und nicht in der
Bundeshauptstadt Berlin sitzt, ist für uns ein Punkt, den
wir extra thematisieren werden.
({3})
Wir schlagen Ihnen zudem vor, einen Ausschuss für
kommunale Angelegenheiten einzusetzen, und zwar vor
dem Hintergrund, dass sich der Bund mit seiner Gesetzgebung und mit seiner exekutiven Politik - das wissen
Sie alle - in viele Tausend kommunale Angelegenheiten
einmischt. Der Bundestag wäre deshalb gut beraten, sich
im Rahmen eines solchen Ausschusses für kommunale
Angelegenheiten für die Auswirkungen seines Tuns zu
interessieren, um zu sehen, wie sich das, was wir hier im
Bundestag beschließen, auswirkt. Sie wissen: In den
Kommunen findet das reale Leben statt. Sich da Rat zu
holen, würde uns als Bundestagsabgeordneten gut zu
Gesicht stehen.
({4})
Ich will als letzten Punkt anführen: Wir sollten durchaus aus der Geschichte lernen. Der erste Ausschuss für
Kommunales wurde im Bonner Bundestag im Jahre
1951 mit guten Gründen eingesetzt. Der damalige CDUAbgeordnete Dr. Dresbach führte abschließend zur Begründung seines Antrags das Argument ein: Kommunalpolitiker aller Parteien, vereinigt euch! - So sein Wort.
Ein kluges Wort!
({5})
Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Vereinigung würde am
besten in einem solchen Ausschuss funktionieren.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion Christine
Lambrecht.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn es dieses Mal etwas länger gedauert hat:
Jetzt kann es losgehen. Der Koalitionsvertrag ist unterzeichnet. Die Regierung ist gewählt. Jetzt werden die
entsprechenden Fachausschüsse eingesetzt. Ich glaube,
wir alle freuen uns darauf, dass nun wieder das normale
Parlamentsleben einziehen kann.
Wir beschließen die Einsetzung der ständigen Ausschüsse. Dabei sind die thematischen Zuschnitte der
Ausschüsse entsprechend den Zuschnitten der jeweiligen
Ministerien gewählt worden. Beispielsweise wird in Zukunft der Rechtsausschuss nicht mehr allein „Rechtsausschuss“ heißen, sondern wird entsprechend dem Zuschnitt des Ministeriums eben zum „Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz“. Auch der Wirtschaftsausschuss, der früher „Ausschuss für Wirtschaft und Technologie“ hieß, wird jetzt entsprechend dem Zuschnitt des
Ministeriums zum „Ausschuss für Wirtschaft und Energie“. Ich denke, das macht durchaus Sinn.
Das Warten hat sich jedoch auch an einer anderen
Stelle gelohnt. In der letzten Legislaturperiode haben wir
22 ständige Ausschüsse eingesetzt. Heute machen wir
das auch. Aber es wird ein weiterer Ausschuss dazukommen, nämlich der Ausschuss, der sich mit den Fragen Internet und digitale Agenda beschäftigt. Zur Einsetzung
dieses Ausschusses wird es im Februar nächsten Jahres
kommen. Es ist ganz wichtig, dass bei dieser Thematik
deutlich wird, dass wir mit einem solchen Ausschuss ein
Zeichen setzen und über die vielen Fachbereiche hinweg
eine Bündelung vornehmen.
({0})
Die Einsetzung der Enquete-Kommission „Internet
und digitale Gesellschaft“ wurde vom Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen. Bislang gab es lediglich
den Unterausschuss Neue Medien.
Netzpolitik ist jedoch viel mehr. Es ist ein Querschnittsthema - das brauche ich heute nicht näher auszuführen - von Arbeit bis zur Wirtschaft, vom Datenschutz
bis zum Urheberrecht und Verbraucherschutz. Die Digitalisierung ist eine in alle Lebensbereiche eingreifende
Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlossen ist und
bei der noch ganz viel im Fluss ist. Deswegen halten wir
es für wichtig, dass es dafür einen eigenständigen,
selbstständigen Ausschuss gibt.
Deswegen machen wir die Ansage, dass wir das Tableau im Februar noch erweitern werden. Schön, dass
wir uns auch in diesem Punkt einigen konnten. Ich will
an der Stelle auch den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführern Dank sagen, mit denen dieses Tableau
ausgehandelt wurde. Als Neue in diesem Bund sage ich
vielen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit.
Meine Kolleginnen und Kollegen, nicht für sinnvoll
halten wir allerdings den Antrag der Linken auf Einsetzung eines Ausschusses Deutsche Einheit sowie eines
Ausschusses für kommunale Angelegenheiten. Man
könnte fast sagen: Alle Jahre wieder bzw. jede Legislaturperiode wieder kommt dieser Antrag.
Um es vorwegzusagen: Ich bin mir der Wichtigkeit
dieser beiden Themenkomplexe durchaus bewusst und
möchte die besondere Bedeutung sowohl des Auftrags
zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als
auch der kommunalen Angelegenheiten in keiner Weise
schmälern. Ganz im Gegenteil: Ich habe lange Jahre
Kommunalpolitik gemacht und weiß um deren Bedeutung und was vor Ort alles an Wichtigem geschieht.
Frau Kollegin Lambrecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Notz?
Na klar.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Können Sie uns
die Frage beantworten, warum der Internetausschuss
nicht heute, sondern erst im Februar eingesetzt wird, und
können Sie uns sagen, für welche Themen er die federführende Zuständigkeit bekommt? - Vielen Dank.
Sie haben quasi die Antwort vorweggenommen, Herr
von Notz. Um all diese Fragestellungen geht es noch.
Wir sind am Verhandeln. Es wird einen Ausschuss geben. Das ist die klare Ansage. Aber dabei geht es um folgende Fragen: Ist er mitberatend? Wo ist er angesiedelt?
Gibt es überhaupt eine solche Ansiedlung, oder ist es sozusagen ein frei schwebender Ausschuss? Das sind alles
Fragestellungen, die noch geklärt werden.
Aber die Ansage ist ganz klar: Dieses Thema soll prominent mit einem eigenständigen, selbstständigen Ausschuss behandelt werden. Ich bitte um ein paar Wochen
Geduld. Das wird, glaube ich, noch auszuhalten sein.
Dann kann es mit der Arbeit losgehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte noch ein
paar Takte zum Ausschuss Deutsche Einheit sagen. Wir
haben uns nicht aus bösem Willen vor einigen Jahren gegen einen solchen selbstständigen Ausschuss entschieden, sondern, wie ich finde, mit sehr stichhaltigen Argumenten. Lassen Sie mich das ausführen. Beim Aufbau
Ost - das brauche ich nicht im Einzelnen auszuführen ist viel geschafft worden. Jetzt, im 24. Jahr nach der
Wiederherstellung der deutschen Einheit und zur Halbzeit des seit 2005 laufenden Solidarpaktes II, weisen die
ostdeutschen Länder nach dem diesjährigen Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen
Einheit, den wir demnächst auch debattieren, insgesamt
eine gute Lebensqualität auf.
Trotz dieser in der Gesamtbetrachtung positiven Entwicklung gibt es einen nicht zu vernachlässigenden
Handlungsbedarf bei der Herstellung der gleichen Lebensverhältnisse. Nur ist dieser Handlungsbedarf kein
ganz grundsätzlicher mehr, wie es ursprünglich bei der
Einsetzung dieses Ausschusses erforderlich war, sondern
er hat mit ganz vielen unterschiedlichen Themen zu tun.
Er ist nicht mehr grundsätzlich, sondern erstreckt sich
auf viele Fachbereiche. Deswegen muss dieses Thema
nach unserer Meinung fachspezifisch behandelt werden
und nicht in einem gesonderten Ausschuss.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen - ich
habe das vorhin schon angesprochen; das hat auch etwas
mit meiner Vita zu tun, da ich sehr lange und auch schon
sehr früh Kommunalpolitik gemacht habe -, dass Kommunalpolitik meiner Meinung nach eine Querschnittsaufgabe ist. Dazu gehören Themen wie „Soziale Stadt“,
Finanzen, aber auch Inneres in der Kommune. Deswegen sind wir der Meinung, dass das Thema als Querschnittsaufgabe behandelt werden muss. Aber ich glaube
nicht, dass es dafür eines eigenständigen Ausschusses
bedarf, sondern man kann das auch wie bisher in einem
Unterausschuss behandeln. Darin sind wir in der Gestaltung frei. Das Thema Kommunales muss natürlich intensiv behandelt werden können. Dem stehen wir nicht im
Weg. Im Gegenteil: Das werden wir entsprechend forcieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Britta Haßelmann für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 19. Dezember. Am 22. September wurde gewählt. Ich finde, die
Zeit ist reif - eigentlich ist es längst überfällig -, dass
heute endlich die Ausschüsse eingesetzt werden, wenn
auch mit Verspätung.
({0})
Ich glaube, dass die letzten Monate uns nicht gut getan
haben, was die Arbeitsfähigkeit des Parlaments angeht.
({1})
Im Nachgang möchte ich bei allem Verständnis sagen:
Falls es noch einmal zu der Situation kommt, dass lange
Koalitionsverhandlungen geführt werden, muss die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes früher hergestellt werden.
Es kann nicht sein, dass 631 Abgeordnete sich damit abfinden müssen, dass einige Mitglied eines extra eingesetzten Hauptausschusses werden, der auch noch sehr
zweifelhafte Geschäftsordnungsgrundlagen für seine Arbeit hat, während die meisten von ihnen dazu verdammt
sind, abzuwarten, in welchem Ausschuss sie irgendwann
landen werden. Ich habe absolutes Verständnis für all
diejenigen, die sagen: Das geht so nicht. Ein Parlament
im Wartestand - das waren wir jetzt die ganze Zeit -, das
war falsch, und das kann man heute auch nicht schönreden.
({2})
Ich bin froh, dass wir heute endlich die Einsetzung
der Ausschüsse beschließen und arbeitsfähig werden.
Jetzt muss der Hauptausschuss, für den Sie sich, meine
Damen und Herren von der Großen Koalition, so gefeiert haben, noch liquidiert werden. Ich bin gespannt, wer
das nun einleitet. Wir stehen dann vor der Aufgabe, dass
alle Vorlagen, die Sie an den Hauptausschuss überwiesen haben - eine großartige Beratungsschleife -, an die
ordentlichen Ausschüsse, die wir heute einsetzen, überwiesen werden. Wer sich das von außen einmal genauer
anschaut, der sieht, was für eine Posse dieser Hauptausschuss bzw. seine Einsetzung war.
({3})
Herr Grund, mitnichten ist das Thema Minderheitenrechte mit der Einsetzung der 22 Ausschüsse abgehandelt. Sie haben auf die Größe der Ausschüsse verwiesen.
Wir können gerne noch einmal über die gestrigen Verhandlungen reden, über den Wunsch, Ausschüsse mit 16,
18, 31 oder noch mehr Mitgliedern einzusetzen. Aber an
der Größe der Ausschüsse lässt sich nicht erkennen, ob
die Minderheitenrechte ausreichend berücksichtigt werden. Wir haben die klare Vorstellung, dass die Minder286
heitenrechte der beiden Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag in der Geschäftsordnung und anderen
gesetzlichen Regelungen verbrieft werden müssen. Es
reicht nicht, dass der Bundestag in einer Absichtserklärung beschließt, die Minderheitenrechte einhalten zu
wollen. Wir haben schon beim Streit über die Redezeiten
gemerkt, wie schwierig das ist. Meine Fraktion will auf
keinen Fall auf den Goodwill Ihrer beiden großen Fraktionen angewiesen sein. Vielmehr wollen wir verbriefte
Minderheitenrechte für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, die Einsetzung einer Enquete-Kommission und die Durchführung öffentlicher Anhörungen
und viele andere Punkte. Das alles ist in der Geschäftsordnung und anderen gesetzlichen Bestimmungen zu regeln. Ich hoffe, dass wir im Januar oder im Februar
nächsten Jahres endlich dazu kommen, das alles verbindlich festzuschreiben.
({4})
Über die Einsetzung der 22 Ausschüsse haben wir
Einvernehmen hergestellt; das haben meine Vorredner
schon dargelegt. Wir haben uns darauf verständigt. Wir
sind sehr für die Einsetzung eines 23. Ausschusses. Die
Enquete-Kommission, in der vier Jahre lang mit Sachverständigen über Fragen betreffend die digitale Welt,
das Internet und die Netzpolitik sehr intensiv diskutiert
wurde, hat uns ganz klar empfohlen, einen entsprechenden Ausschuss des Deutschen Bundestags einzusetzen.
Das halten wir für richtig und notwendig. Die beiden
Koalitionsfraktionen haben uns die Einsetzung eines
solchen Ausschusses im Januar oder Februar zugesagt.
Daran werden wir Sie messen. Ich hoffe, dass das auch
geschieht. Ein solcher Ausschuss braucht natürlich anständige Kompetenzen. Sonst brauchen wir ihn erst gar
nicht einzusetzen.
({5})
Noch kurz zur Linken. Herr Claus, es tut mir leid,
aber das muss ich einfach sagen. Im November nächsten
Jahres feiern wir den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Nun
kommen Sie mit einem Antrag auf Einsetzung eines
Ausschusses Deutsche Einheit. Ich bitte Sie!
({6})
Es geht nicht um Himmelsrichtungen. Es geht nicht um
die Frage, wo Strukturschwächen bestehen, wo demografischer Wandel herrscht
({7})
oder wo es Regionen gibt, die sich abgehängt fühlen.
Vielmehr geht es darum, dass wir strukturschwache Regionen unterstützen, und zwar sowohl im Westen als
auch im Osten Deutschlands.
({8})
Dazu brauchen wir nicht die Einsetzung eines Ausschusses Deutsche Einheit 25 Jahre nach dem Fall der Mauer.
Beim Thema Kommunen sehen wir das anders. Dabei
unterstützen wir Sie, weil klar ist, dass der Unterausschuss, den wir in der letzten Legislatur hatten, sehr wirkungslos war. Hier wäre es wichtig, etwas im Interesse
der Kommunen zu tun.
Danke.
({9})
Als letzter Redner in der Debatte hat jetzt der Kollege
Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Zuerst von meiner Seite aus ein Wort des Dankes an die 47 Mitglieder im Hauptausschuss, der, wenn
wir den Beschluss über die Einsetzung der 22 Fachausschüsse fassen werden, aufgehört haben wird zu existieren. Ich glaube, Frau Kollegin Haßelmann, das war
keine Posse, sondern das war eine pragmatische Notwendigkeit in einer schwierigen Übergangszeit. Ich
glaube, dass wir letztendlich gemeinsam, Opposition
und jetzige Regierungsfraktionen, in einer pragmatischen und effizienten Art und Weise die Arbeit verrichtet haben. In meinen Dank möchte ich den Herrn Vorsitzenden, unseren Kollegen und Bundestagspräsidenten
Norbert Lammert, einschließen. Wer in diesem Ausschuss war, hat eine historische Zeit genossen, und es
war keine schlechte Zeit; das muss ich Ihnen sagen.
({0})
Herr Kollege Rehberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Immer gerne.
Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege, hier in den Reihen gibt es allgemein das Bedürfnis, dass Sie dem Hohen Hause vielleicht ganz kurz - ich schenke Ihnen dadurch zusätzliche
Redezeit - die wichtigsten Ergebnisse der Beratungen
des Hauptausschusses kundtun, damit wir alle das entsprechend würdigen können.
({0})
Die wichtigen Ergebnisse dieses Ausschusses, Herr
Kollege Beck, wurden Ihnen allen per E-Mail zugesandt.
({0})
Es gibt Protokolle und Beschlüsse der jeweiligen Sitzungen. Wenn Sie lesen können, können Sie auch die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen.
({1}):
Also nichts!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Claus, wer wirklich gesamtdeutsche Verantwortung
wahrnehmen will - im Jahr 2014 feiern wir 25 Jahre Fall
der Mauer und im Jahr 2015 25 Jahre deutsche Einheit -,
der kann aus meiner Sicht nicht sagen: Wir lösen die
Probleme einer Region im Osten - mit Berlin sind das
sechs Länder -, indem wir einen separaten Ausschuss
einrichten.
Meine Erfahrung und meine Wahrnehmung als Haushälter sind andere. Ich habe links einen Kollegen aus Baden-Württemberg und rechts einen aus Bayern sitzen.
Natürlich gibt es dort unterschiedliche Interessenlagen.
Ich muss akzeptieren, dass, wenn die Kollegen über
Ortsumgehungen reden, sie über 40 000, 50 000 oder
60 000 Fahrzeuge pro Tag reden. Das akzeptiere ich. Ich
muss gleichzeitig darauf hinweisen, dass von den rund
15 Milliarden Euro für die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ knapp 5 Milliarden Euro in die alten Bundesländer geflossen sind. Aber das war notwendig.
Ich glaube, die Ergebnisse der letzten vier Jahre zeigen die Bedeutung der einzelnen Fachausschüsse. Herr
Kollege Claus, wir sind eine stolze Truppe von 59 Abgeordneten aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Thüringen und Sachsen. Wir
sind deswegen besonders stolz, weil wir in den Flächenländern bis auf einen einzigen Wahlkreis alle Wahlkreise
direkt gewonnen haben.
({2})
Deswegen werden wir uns in den einzelnen Fachausschüssen gemeinsam mit den Kollegen aus Niedersachsen oder aus Bayern - es gibt immer wieder Gemeinsamkeiten, zum Beispiel bei der Gemeinschaftsaufgabe zur
Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur - für die
entsprechenden Themen und Fachgebiete einsetzen.
Wenn Sie meinen, extra für den kommunalen Bereich einen eigenen Ausschuss zu brauchen, dann will ich Ihnen
entgegenhalten, dass die größte Entlastung der Kommunen in den letzten vier Jahren stattgefunden hat.
Leider ist die damals in Mecklenburg-Vorpommern
zuständige Sozialministerin, die heutige Bundesministerin Schwesig, heute nicht anwesend. In dem von ihr verantworteten Gesetzentwurf, der in den Landtag Mecklenburg-Vorpommern eingebracht wurde, schrieb sie
- ich zitiere -, „ab 2014 ergeben sich insgesamt erhebliche Entlastungen für das Land und die Kommunen“. Die
zusätzlichen Einnahmen der Kommunen im kommenden
Jahr lägen voraussichtlich bei etwa 38 Millionen Euro
und die des Landes voraussichtlich bei etwa 17 Millionen Euro. Dies komme der Finanzierung der Grundsicherung im Alter zugute.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau
Schwesig schrieb „erhebliche Entlastungen“. Herr Kollege Claus, ich will Ihnen den Grund dafür nennen.
Wenn Sie sich die Statistik der Altersarmut, sprich: der
Empfänger von Grundsicherung im Alter, anschauen,
dann stellen Sie fest: In den neuen Bundesländern beträgt der Anteil der Betroffenen an der Gesamtbevölkerung mit rund 1,3 Prozent strukturell nur etwa die Hälfte
des Anteils in Deutschland insgesamt, nämlich 2,7 Prozent. Ein Gutachten der Universität Rostock besagt, dass
mit keinem signifikanten Anstieg der Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter in den nächsten zehn
Jahren gerechnet werden muss.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen an dieser Stelle eine weitere Zahl nennen: In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit der Kanzlerschaft von Angela Merkel
- Herr Kollege Claus, Sie reden ständig von Ungerechtigkeiten - von 120 000 im Jahr 2006 auf 60 000 in diesem Jahr halbiert.
({3})
Angesichts einer solchen Zahl muss ich Ihnen ganz einfach sagen: Wir brauchen weder einen Ausschuss Deutsche Einheit noch einen Ausschuss für kommunale
Angelegenheiten. Meine Auffassung hierzu ist: Kommunale Interessen und Interessen der jeweiligen Region
kann man viel besser gemeinsam in den jeweiligen Fachausschüssen wahrnehmen.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/211 zur Einsetzung von
Ausschüssen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/109 zur Einsetzung eines Ausschusses Deutsche Einheit. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
Bündnis 90/Die Grünen und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/110 zur Einsetzung eines Ausschusses für kommunale Angelegenheiten. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD288
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen
- Drucksache 18/212 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf Drucksache 18/212. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Antrag ist mit den Stimmen des gesamten Hauses
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
({0})
- Drucksache 18/200 Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses
- Drucksache 18/206 ({1}) Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Heidtrud Henn
Kerstin Andreae
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. Der
Hauptausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/206 ({2}), den Gesetzentwurf
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/200 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
({3})
- Zwei Enthaltungen. Also noch einmal: Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei zwei Enthaltungen mit den Stimmen fast des gesamten Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist bei zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung
des Rates über das Programm „Europa für
Bürgerinnen und Bürger“ für den Zeitraum
2014 - 2020
- Drucksache 18/13 Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses
- Drucksache 18/177 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Caren Marks
Manuel Sarrazin
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. Der
Hauptausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/177, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/13 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, Bündnis 90/
Die Grünen und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Inverkehrbringen eines genetisch
veränderten, gegen bestimmte Lepidopteren
resistenten Maisprodukts ({4}) für den Anbau gemäß der Richtlinie
2001/18/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates
KOM({5}) 758 endg.; Ratsdok. 16120/13
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 für den Anbau in der EU
- Drucksache 18/180 Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung über ihren Antrag auf Drucksache 18/180 in
der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Gesundheit
sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit.
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über
den Antrag auf Drucksache 18/180 in der Sache nicht ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({6}), Sven-Christian Kindler,
Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erneute Überprüfung der Deutschen EnergieAgentur ({7}) durch den Bundesrechnungshof
- Drucksache 18/181 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/181 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung
für das Jahr 2014 ({8})
- Drucksache 18/187 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller.
({10})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag, ein
guter Tag nicht nur für die Deutsche Rentenversicherung, sondern auch für viele Menschen; denn sie können
sich auf deren Stabilität verlassen. Viele Länder beneiden uns um unser stabiles, um unser solidarisches Rentenrecht. Wir wollen es mit dieser Regierung nicht nur
weiterhin stabil halten, sondern auch noch ein wenig gerechter machen. Das setze ich gern an den Anfang.
Wir begrüßen den Gesetzentwurf der die Regierung
tragenden Fraktionen zur rentenpolitischen Entscheidung für das kommende Jahr. Ja, wir sagen: Wir wollen
die Höhe des Beitragssatzes für das Jahr 2014 einfrieren.
Um dies zu erreichen, muss der Gesetzgeber handeln.
Denn würden wir keine Entscheidung hier im Deutschen
Bundestag treffen, stünde uns eine weitere Senkung des
Rentenversicherungsbeitrags ins Haus.
Ich weise darauf hin - viele sagen ja: das ist immer
eine gute Sache, wenn man Beiträge senkt -: Wir haben
2011 den Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung
deutlich gesenkt, bis heute um insgesamt 1 Prozentpunkt. Insofern haben wir in der Vergangenheit eine Beitragssenkung vorgenommen, aber wir haben gute
Gründe, sie für das kommende Jahr auszusetzen.
({0})
- Diese guten Gründe werde ich gerne erläutern. - Die
Grundlage für diese Gründe wurde im Koalitionsvertrag
klipp und klar dargelegt. Ich denke, dass diese großen
rentenpolitischen Maßnahmen viel Sinn machen. Betroffene werden sie begrüßen. Experten sagen: Das ist die
richtige Richtung, um ein stabiles System gerechter zu
machen.
Wir sorgen als Erstes dafür - das ist ein Herzensanliegen unserer Ministerin -, dass Erwerbsminderung kein
Armutsrisiko ist. Das ist ein wesentlicher Schritt. Viele
büßen ihre Erwerbsfähigkeit ein, weil sie hart arbeiten.
Deshalb darf es nicht sein, dass sie doppelt bestraft werden. Das wird ein großes rentenpolitisches Projekt sein.
({1})
Wir wollen endlich auch Schluss machen - das sage
ich an prominenter Stelle - mit den unterschiedlichen
Rentenlagen in Ost und West.
({2})
Nach so vielen Jahren, in denen unser Land zusammengewachsen ist, ist es dringend geboten, dass wir dieses
zweifelsfrei schwierige Kapitel zu einem Abschluss
bringen.
Das ist mitnichten alles, was rentenpolitisch in dieser
Legislatur auf der Tagesordnung steht. Was wollen wir
noch? Wir wollen die Stichtagsregelung bei Kindererziehungszeiten auflösen. Das ist gut, das ist richtig, und das
werden viele begrüßen, die vor dem Jahr 1992 Kinder
geboren haben. Auch auf diese Entscheidung freue ich
mich, und wir werden sie vorbereiten.
({3})
Wir haben als Koalition - ich sage: das ist nicht einfach gewesen; viele konnten das mitverfolgen - zwei
Modelle solidarischer Absicherung von Lebensleistung
verknüpft. Das kann man auch schon am Titel sehen.
Wir arbeiten nämlich an einer solidarischen Lebensleistungsrente. Sie wird vielen helfen, die viele Jahre hart
gearbeitet haben, aber leider keine hohe Vergütung dafür
bekommen haben und dementsprechend mit ihren Rentenversicherungsbeiträgen nicht dafür sorgen konnten,
dass sie im Alter sorgenfrei, das heißt armutsfrei, leben
können. Auch das ist ein großes Projekt, und auch das
nehmen wir in Angriff.
({4})
Jetzt werden Sie sagen: Da fehlt doch noch etwas. Ja, das stimmt. Bei meinen Ausführungen zu dem, was
fehlt, mute ich Ihnen Persönliches zu: Ich bin im Jahre
1951 geboren, werde also im nächsten Jahr 63 Jahre alt.
Ich freue mich schon auf meinen Geburtstag. Mein erster
Arbeitstag war der Beginn meiner Lehre als Buchhändlerin am 1. Dezember 1966.
Für viele Einzelhändler und Einzelhändlerinnen ist
das Weihnachtsgeschäft die härteste Zeit. So habe auch
ich das erlebt. Ich will an dieser Stelle sagen: Diese Kolleginnen und Kollegen - egal ob sie im Einzelhandel, in
der Logistikbranche oder im Versandhandel arbeiten, ob
sie Bücher oder anderes verkaufen - arbeiten genauso
hart wie jene, die Kranke pflegen, Alte versorgen, Stahl
kochen oder Dächer decken. Auch jahrzehntelange Arbeit im Einzelhandel geht ganz schön auf die Knochen.
({5})
Diesen Kolleginnen und Kollegen kann ich heute zurufen: Haltet aus! Noch einmal ein hartes Weihnachtsgeschäft - nächstes Jahr steht ihr auf der anderen Seite. Da
habt ihr die Chance, ohne Abschlag Altersrente zu beziehen. Dann könnt ihr die schwierigen Kunden sein, unter
denen ihr heute leidet.
Ich wünsche uns frohe Weihnachten.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Zimmermann,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst möchte ich Frau Ministerin Nahles zur Berufung
in ihr neues Amt gratulieren. Ich wünsche uns weiterhin
eine gute Zusammenarbeit; das sage ich auch als Gewerkschafterin. Eines muss ich Ihnen trotzdem sagen:
Wir hoffen, dass wir von Ihnen mehr erwarten können
als das Wenige, das in der Koalitionsvereinbarung steht.
({0})
Ich will nicht lange drum herumreden. Ihre neue Rentenpolitik ist eigentlich nichts anderes als die von
Schwarz-Gelb; sie hat nur eine andere, schönere Verpackung. Auch Sie tun fast nichts, um zu verhindern, dass
die Menschen Angst davor haben müssen, ihren Lebensabend nach einem langen, harten Arbeitsleben in Armut
zu verbringen. Was die gesetzliche Rentenversicherung
jetzt wirklich bräuchte, wäre eine Stabilisierung des
Rentenniveaus. Aber davon ist in Ihrem Koalitionsvertrag nichts, aber auch rein gar nichts zu lesen.
({1})
Diese Große Koalition behält den fatalen Kurs der
Rentenkürzung bei. Das bedeutet: Die Renten in
Deutschland werden weiter sinken. Das ist ein Skandal.
({2})
Daran ändern auch die einzelnen Korrekturen nichts,
die die Regierung vorsieht. Seien Sie einmal ehrlich:
Eine Konzeption ist hinter diesem Sammelsurium von
Maßnahmen nicht zu erkennen. Es gibt weder einen Plan
noch ein Ziel. Außerdem sind die von Ihnen vorgesehen
Korrekturen auch noch schlecht gemacht.
Auch im Hinblick auf die Kindererziehungszeiten setzen Sie eine richtige Sache falsch um. So ist es zwar
mehr als überfällig, Erziehungszeiten von vor 1992 geborenen Kindern bei der Rente stärker zu berücksichtigen. Erklären Sie den Betroffenen aber doch einmal, warum Sie ihnen die vollständige Gleichstellung von Ost
und West verweigern und ihnen nur einen Rentenpunkt
gewähren.
({3})
Erklären Sie der Mutter im Osten, warum ihre Erziehungsleistung weniger wert ist als die einer Mutter im
Westen. Erklären Sie vor allen Dingen den Beitragszahlern, warum Sie ihnen die Finanzierung aufbürden wollen, anstatt diese familienpolitische Leistung systemgerecht aus Steuermitteln zu bezahlen.
({4})
Liebe Frau Ministerin Nahles, seien Sie doch ehrlich:
Hier zahlt die SPD einen Preis, und zwar in der Form,
dass Sie Ihre richtigen und notwendigen Umverteilungsforderungen aus dem Wahlkampf aufgegeben haben. Die
Reichensteuer kommt nicht. Stattdessen werden Beitragszahler angezapft, und Sie plündern die Rentenkasse.
Die nächste Mogelpackung ist die Rente ab 63. Wir
als Linke begrüßen alle Schritte, das angestrebte Renteneintrittsalter von 67 Jahren zurückzunehmen.
({5})
Es ist gut, dass langjährig Versicherte künftig ab einem
Alter von 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen
können. Zur Ehrlichkeit gehört doch aber auch dazu, zuzugeben, dass die Altersgrenze schrittweise auf 65 Jahre
angehoben wird
Sabine Zimmermann ({6})
({7})
und dass diese Möglichkeit nur einer Minderheit in
Deutschland offensteht. Denn viele erreichen die erforderlichen 45 Beitragsjahre nicht.
({8})
Zwei Drittel aller Neurentner werden keinen Zugang zu
solch einer vorzeitigen Rente haben. Bei den Frauen
sieht das sogar noch wesentlich schlechter aus.
Unter dem Strich bleibt zu sagen: Auch in Zukunft
werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer drastische
Abschläge hinnehmen müssen, wenn sie vor ihrem 67.
Geburtstag in Rente gehen wollen. Da sagen wir als
Linke ganz klar: Weg mit der Rente ab 67! Spätestens
mit 65 muss Schluss sein!
({9})
Wer nicht mehr kann, muss vorher abgesichert in
Rente gehen können. Wer lange eingezahlt hat, muss mit
60 Jahren abschlagsfrei die Rente genießen dürfen. Damit niemand im Alter in Armut leben muss, brauchen
wir zudem eine solidarische Mindestrente, die ihren Namen auch verdient.
({10})
Mit diesem Koalitionsvertrag wird die Angleichung
der Ostrenten wieder aufgeschoben. Im letzten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP wurde uns eine
Angleichung wenigstens versprochen. Aber jetzt versprechen Sie nur, die Angleichung bis 2017 zu prüfen.
Na toll! Wissen Sie: Der Stahlarbeiter, der über 40 Jahre
in Riesa hart gearbeitet hat, hat schon längst die Hoffnung aufgegeben, dass er einmal die Rente eines Stahlarbeiters aus Bochum bekommen wird. Das ist ein Skandal
im 24. Jahr der deutschen Einheit.
({11})
Deswegen muss ich Ihnen widersprechen, Frau
Haßelmann. Die deutsche Einheit haben wir vor 25 Jahren mit der Öffnung der Grenze eingeleitet - das ist richtig -, aber die soziale Einheit haben wir noch lange
nicht. Daran müssen wir noch arbeiten.
({12})
Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Ihr Koalitionsvertrag trägt
den Titel „Deutschlands Zukunft gestalten“. Anscheinend verstehen Sie darunter, die Renten weiter zu kürzen
und dem Zug in Richtung Altersarmut freie Fahrt zu geben. Bremsen werden Sie ihn nur noch können, wenn
alle Menschen in die gesetzliche Rentenversicherung
einzahlen: vom Abgeordneten über den Rechtsanwalt bis
hin zu den Beamten. So können Sie bei der Rente
Deutschlands Zukunft gestalten, aber dazu fehlt Ihnen
der Wille, und es fehlen natürlich auch die Gemeinsamkeiten in dieser Großen Koalition.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir zunächst einen herzlichen Glückwunsch an die neue Bundesarbeitsministerin, Frau Nahles. Ihnen alles Gute, eine glückliche Hand, Gottes Segen für Ihr Wirken!
Gemeinsam mit den neuen Parlamentarischen Staatssekretärinnen, Frau Lösekrug-Möller und Frau Kramme,
haben wir den Koalitionsvertrag ausgehandelt. Es war das ist gar keine Frage - ein schwieriger Weg, den wir
miteinander zurücklegen mussten, auch und gerade im
Bereich der Rentenpolitik. All das, was wir uns vorgenommen haben, ist im Koalitionsvertrag festgelegt. Er
ist die Basis für die nun anlaufenden Gesetzgebungsverfahren.
Bevor ich fortfahre, möchte ich die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle Ihrer Vorgängerin, Frau Bundesministerin von der Leyen, herzlich zu danken für die Arbeit, die sie in den letzten vier Jahren in hervorragender
Weise für uns geleistet hat.
({0})
Auch den Staatssekretären, den beamteten wie den parlamentarischen, an dieser Stelle einen herzlichen Dank!
Sie übernehmen ein gut bestelltes Haus, eine gute
Grundlage für die gemeinsame Arbeit. Wir freuen uns
darauf.
Meine Damen und Herren, der Koalitionsvertrag ist,
wie ich gerade schon sagte, die Grundlage der Gesetzgebungsverfahren. In diesem Koalitionsvertrag sind die
Dinge vereinbart worden, die Frau Staatssekretärin
Lösekrug-Möller gerade vorgetragen hat, nämlich die
Rente mit 63, die Mütterrente, die Erwerbsminderungsrente, die solidarische Lebensleistungsrente und - nicht
zu vergessen - auch die potenzielle Anhebung der Mittel
für die Rehabilitation.
Um dieses alles finanzieren zu können, hat die Bundeskanzlerin bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages
am 27. November vor der Bundespressekonferenz gesagt, dass der Rentenversicherungsbeitrag im kommenden Jahr stabil bleibt und nicht abgesenkt wird. Deswegen kann ich manche Aufregungen nicht verstehen.
Übrigens haben einen Tag später alle Debattenredner im
Hohen Haus genau dieses über alle Fraktionsgrenzen
hinweg ebenfalls bestätigt.
Daher können all die, die ein Gutachten in Auftrag
gegeben haben, um festzustellen, ob dies verfassungsgemäß ist oder nicht, getrost davon ausgehen, dass die Bevölkerung, die Arbeitgeber, die Versicherten wissen,
dass der Rentenversicherungsbeitrag auch in 2014
18,9 Prozent betragen wird. Das wird dadurch erreicht,
dass heute in erster Lesung das entsprechende Gesetz
durch die beiden Koalitionsfraktionen eingebracht wird.
Morgen wird es als Ankündigung im Bundesanzeiger
veröffentlicht, sodass damit die rechtlichen Grundlagen
gelegt sind. Sofern der Ausschuss für Arbeit und Soziales auf weitere Anhörungen gesonderter Art verzichtet,
werden wir das Gesetz schon im Februar im Bundesrat
verabschieden können.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union
verwirklicht damit das große Anliegen: Für die Mütter,
die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, werden die Erziehungszeiten im Rentenrecht besser anerkannt.
({2})
Es geht in der Frage soziale Gerechtigkeit - das sage ich
mit Blick auf das, was an öffentlicher Debatte im Augenblick läuft - in der Tat darum, den Frauen zu danken,
die eine Leistung für dieses Rentensystem erbracht haben. Diese Frauen haben nämlich Kinder geboren und zu
lebenstüchtigen Menschen erzogen, die später mit ihrer
Hände Arbeit dazu beitragen, dass das solidarische Rentensystem weiter bestehen kann.
({3})
Herr Kollege.
Deswegen geht es bei der Frage der Gerechtigkeit
nicht nur um die jüngere Generation, die die damit verbundenen Mehrkosten zu tragen hat. Es geht auch darum, jetzt die Lebensleistung von Frauen anzuerkennen
- in aller Regel waren es Frauen -, die sie mit der Erziehung ihrer Kinder erbracht haben, ohne dass es Kinderkrippen gab und ohne dass es Rahmenbedingungen gab,
die es ermöglichten, Beruf und Familie miteinander zu
verbinden. Daher soll die Lücke zwischen drei Rentenpunkten und einem Rentenpunkt wenigstens etwas geschlossen werden.
({0})
Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthias W. Birkwald?
Ja.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Sie kommt jetzt einen Moment später wegen der Höflichkeit der Präsidentin; denn sie hat Sie erst noch weiter
reden und zum nächsten Thema kommen lassen.
Herr Kollege Schiewerling, Sie haben eben gesagt:
Die Kanzlerin habe Ende November mitgeteilt, der Rentenversicherungsbeitrag werde nicht abgesenkt. - Sie
sagten, da sei das politisch klar gewesen. Dann frage ich
Sie: Warum haben Sie es denn technisch nicht ordentlich
umgesetzt? Wir haben ja heute nur die erste Lesung. Die
zweite und die abschließende dritte Lesung werden nicht
mehr im Kalenderjahr 2013 stattfinden können, was aber
gesetzlich eigentlich so vorgeschrieben ist. Sie tricksen.
Erst im Januar werden Sie rückwirkend mitteilen können, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht sinken.
Ich sage Ihnen hier eines: Sie hätten die Gelegenheit
dazu gehabt, das handwerklich ordentlich zu machen.
Sie haben diese Gelegenheit versäumt. Wir, die Linke,
haben nämlich bereits am 14. November einen Gesetzentwurf zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgelegt. Der ist dann an
diesen unsäglichen Hauptausschuss überwiesen worden,
({0})
wo ja angeblich die Arbeit der Ausschüsse geleistet werden sollte. Was haben dann SPD und CDU/CSU in diesem Hauptausschuss gemacht? Sie haben gegen unseren
Willen, gegen die Stimmen der einreichenden Fraktion,
diesen Gesetzentwurf abgelehnt und das Thema auf das
nächste Jahr vertagt.
({1})
Deswegen sagen ich Ihnen: Das ist unsauber.
Herr Kollege Birkwald, bei aller Höflichkeit: Würden
Sie jetzt Ihre Frage stellen?
({0})
Ich stelle meine Frage: Was sagen Sie zur Einschätzung der Zeitung Die Welt vom 4. Dezember? Ich zitiere:
Einen Ausweg aus der Zeitnot bot am Mittwoch
ausgerechnet die Linkspartei: In dem provisorischen Hauptausschuss des Bundestags … legte die
Fraktion einen Gesetzesentwurf zur Stabilisierung
der Rentenbeitragssätze vor - und damit zwei Wochen früher, als die Vorlage von Union und SPD geplant ist.
Hätten sich Union, SPD und Linke … auf eine gemeinsame Gesetzesinitiative verständigen können,
wäre das Gesetz aller Voraussicht nach noch pünktlich zum Jahreswechsel in Kraft getreten. Ohne
große Trickserei. Aber die Vertreter von Union und
SPD wiesen den Gesetzesentwurf einmütig zurück Parteiräson geht vor.
Die Welt schreibt also: „ausgerechnet die Linkspartei“.
Jetzt aber bitte die Frage, Herr Kollege.
Wir haben es richtig gemacht. Warum haben Sie es
nicht korrekt gemacht?
({0})
Herr Kollege Birkwald, ich will die Debatte nicht unnötig verlängern. Deswegen eine kurze Antwort:
Erstens. Wir machen es korrekt, indem wir die Verfahren einhalten, die der Deutsche Bundestag dafür vorsieht,
({0})
nämlich die Gründung von Ausschüssen und die Behandlung im entsprechenden Ausschuss. Wenn alles gut
geht, wird das Gesetz im Februar vom Bundesrat verabschiedet. Ihr Vorschlag war ordentlich, unserer ist ordentlicher, und deswegen haben wir Ihren abgelehnt.
({1})
Zweitens. Sie äußerten die Bitte, einen Zeitungskommentar zu kommentieren. Wissen Sie, wenn wir die
Kommentare der Zeitungen in ihrer Meinungsvielfalt im
Einzelnen analysieren wollten, dann müssten wir uns
ranhalten. Auch wenn die Linkspartei diesmal gut weggekommen ist, kommentiere ich es nicht.
({2})
Meine Damen und Herren, wir halten in dieser Frage ein
ordnungsgemäßes Verfahren ein.
({3})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf den Punkt der
Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht und
die Frage der Finanzierung zurückkommen, weil dies im
Augenblick einer der heftig diskutierten Punkte ist. Die
Sicherstellung der Finanzierung ist einer der Gründe,
warum wir den Rentenversicherungsbeitrag nicht absenken.
Wir geben pro Jahr circa 245 Milliarden Euro für
Rentenleistungen aus. Diese Summe stammt zu einem
Drittel von den Beiträgen der Versicherten, zu einem
Drittel von den Beiträgen der Arbeitgeber und zu einem
Drittel aus dem Bundeszuschuss. Die Rücklage von
31 Milliarden Euro beinhaltet deshalb circa 10 Milliarden Euro Steuermittel. Wir finanzieren die sogenannte
Mütterrente, die ein Gesamtvolumen von 6,5 Milliarden Euro ausmacht, zunächst einmal aus den Rücklagen
der Rentenversicherung. Wir senken den Beitrag nicht
ab, um den Beitragszufluss in Höhe von 7,5 Milliarden Euro für das nächste und die folgenden Jahre zu erhalten. Ich glaube, dass dieses Vorgehen angesichts der
Steuermittel, die der Rentenversicherung bereits zufließen, zu vertreten ist. Ich bin ganz sicher, dass die Allgemeinheit auf diesem Weg in angemessenem Maße an
den Kosten für die sogenannte Mütterrente beteiligt
wird.
Herr Kollege Schiewerling, ich darf Sie an die Redezeit erinnern.
Ich bleibe dabei: Wir werden über das Rentenpaket
intensiv und gut verhandeln und es miteinander auf den
Weg bringen, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart
haben. Wir werden dafür sorgen, dass die Rentnerinnen
und Rentner angstfrei in die Zukunft schauen können,
und wir werden dafür sorgen, dass das Gesetz so ausgestaltet ist, dass es von den Generationen getragen werden
kann. Hier und heute geht es der Unionsfraktion darum
- das ist der erste Schritt -, den Leistungsträgerinnen unserer Gesellschaft, also denjenigen, die Kinder erzogen
haben und dafür sorgen, dass unser Sozialsystem überhaupt funktionieren kann, mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Das ist unser Ziel.
Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen auf diesem
Weg ein frohes Weihnachtsfest und Gottes Segen für das
neue Jahr.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Begründung des Gesetzentwurfs ist ein Hohn. Darin
steht, zur Gewährleistung von Stabilität und Planungssicherung in der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung müsse dieses Gesetz jetzt auf den Weg gebracht werden.
({0})
Ja, geht’s noch? Das ist reiner Etikettenschwindel, und
das wissen Sie auch.
({1})
Sie wollen doch nur Ihre Wahlversprechen finanzieren. Sie plündern die Rentenkasse, um die Mütterrente
und die Rente mit 63 finanzieren zu können. Die Mütterrente kostet - das wurde gerade eben noch einmal gesagt pro Jahr 6,5 Milliarden Euro. Sie wird bezahlt aus der
Rentenkasse, von dem Geld der Beitragszahler. Sie alle
hier zahlen nicht in die Rentenkasse ein. Ihre Mütter und
teilweise auch Ihre Großmütter kommen in den Genuss
der Mütterrente. Bezahlen müssen das Ihre Mitarbeiter,
aber nicht Sie. Das ist weder fair noch seriös. Das ist
schlicht das Plündern der Rentenkasse.
({2})
Die damalige Große Koalition war mutig, als sie die
Rente mit 67 auf den Weg gebracht hat. Das war eine
durchaus unpopuläre Maßnahme, aber eine richtige. Angesichts der demografischen Entwicklung war diese Entscheidung richtig. Anscheinend sind wir die Einzigen,
die diese Entscheidung noch verteidigen. Sie schlagen
sich in die Büsche.
({3})
Bei der Rente mit 67 ist es aber notwendig, flexible
Übergänge zu schaffen, damit die Leute, auch die Buchhändlerin, die Chance haben, ihren Beruf bis 67 auszuüben. Deswegen ist es notwendig, Reha-Leistungen zu
finanzieren.
Doch was ist mit den Leuten, die wirklich nicht mehr
können?
({4})
Für diese Leute brauchen wir eine Erwerbsminderungsrente. Die Grünen sind absolut dafür, die Mittel für die
Erwerbsminderungsrente zu erhöhen. Dabei geht es um
Leute, die wirklich krank sind. Es ist nicht in Ordnung,
was diesbezüglich in den letzten Jahren gemacht wurde.
Es ist nicht in Ordnung, dass das Niveau der Erwerbsminderungsrente gesenkt wurde. Wir brauchen hierfür
mehr Mittel. Dafür ist die Rentenkasse da. Die Erwerbsminderungsrenten aufzustocken, wäre die erste und
wichtigste rentenpolitische Maßnahme. Es macht aber
keinen Sinn, mit der Rente mit 63 alle positiven Effekte
der Rente mit 67 kaputtzumachen. Aber genau das machen Sie gerade.
({5})
Jetzt zum Verfahren. Herr Schiewerling, Sie haben
hier dreist behauptet, dieses Verfahren sei in Ordnung.
Sie haben gesagt, dass die Bundeskanzlerin am 27. November 2013 beschlossen hat, dass die Rentenbeiträge
bitte so zu bleiben haben, wie sie sind. Das hat aber nicht
sie zu beschließen. Das macht das Parlament, und zwar
in einem geordneten, geregelten Verfahren.
({6})
Und das läuft so: erste Lesung im Plenum, Anhörung der
Sachverständigen im Ausschuss und danach zweite und
dritte Lesung inklusive Debatte.
Glauben Sie denn ernsthaft, dass Sie so Vertrauensschutz gewährleisten? Sie sagen: Wir haben hier die
erste Lesung gemacht und deutlich gemacht, was wir
wollen, und danach schreiben wir es in den Bundesanzeiger. - Wenn Sie so vorgehen, dann können Sie sich
jede Anhörung, jede Debatte im Ausschuss sparen, weil
klar ist, dass es überhaupt keine Änderung mehr gibt. Sie
können doch nicht ernsthaft Sachverständige zu einer
Anhörung einladen und ihnen sagen: Redet einmal schön
darüber, es ist uns nur leider herzlich egal, was ihr dazu
sagt. - Das, was Sie hier machen, ist mitnichten ein geordnetes Verfahren. Sie geben - ohne einen parlamentarischen Ablauf - schlicht vor, was Sie wollen. Das müssen Sie doch sehen.
({7})
Insgesamt muss ich sagen, dass ich ein bisschen geschockt darüber bin, welche Richtung die Debatte genommen hat. Bei der Mütterrente, die Sie - ich sage es
noch einmal -, wenn Sie sie denn wollen, steuerfinanzieren müssen, geht es in den kommenden vier Jahre um
26 Milliarden Euro. In dieser Legislaturperiode nehmen
Sie gerade einmal 6 Milliarden Euro für Bildung und
Kinderbetreuung in die Hand. Das ist doch kein ausgewogenes Verhältnis; das ist doch nicht mehr generationengerecht. Das, was Sie hier machen, zeigt eine absolute Schieflage bei der Prioritätensetzung. Sie vergessen
die Generationengerechtigkeit.
({8})
Ich sage Ihnen ganz klar: Sie trauen sich nicht, den
Weg eines normalen Verfahrens einzuschlagen. Sie
trauen sich nicht, eine Anhörung durchzuführen und das
Wissen der Sachverständigen zu berücksichtigen; denn
die würden Ihnen Ihr Vorhaben um die Ohren hauen. Sie
trauen sich nicht, ehrlich zu sein und die Mütterrente aus
Steuern zu finanzieren.
Sie sagen: Die Koalition gestaltet die Zukunft. - Mitnichten ist das der Fall. Sie verbrauchen die Zukunft und
die Mittel auch für zukünftige Generationen. Das hat mit
Planungssicherheit nichts zu tun. Das hat mit Stabilität
nichts zu tun, und mit Generationengerechtigkeit hat es
erst recht nichts zu tun. Sie können mit unserem entschlossenen Widerstand gegen solch ein Verfahren, gegen diese Art von Politik und gegen Ihre Unehrlichkeit
rechnen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat Sven Morlok, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Bitte schön.
Sven Morlok, Staatsminister ({0}):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Mit dem hier von den Koalitionsfraktionen
vorgelegten Gesetzentwurf werden die Leistungsträger
in unserer Gesellschaft belastet und die Zukunftschancen
der jungen Generation gefährdet. Schauen Sie sich beispielsweise die Auswirkungen auf eine vierköpfige Familie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von
4 500 Euro an. Eine solche Familie wird mit 165 Euro
im Jahr belastet. Eine Fachverkäuferin, Anfang 30, mit
einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2 500 Euro
wird mit 90 Euro im Jahr zusätzlich belastet.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie belasten die
Menschen, die jeden Morgen aufstehen, die sich krumm
machen, die sich im Beruf engagieren, um ihre Familie
zu ernähren. Das, was Sie hier vorhaben, ist ein Schlag
ins Gesicht dieser Leistungsträger.
Staatsminister Sven Morlok ({1})
Die OECD bezeichnet die Rentenpläne der Koalition
als Jobvernichter. Sie empfiehlt, den Faktor Arbeit zu
entlasten. Sie tun genau das Gegenteil. Sie machen Arbeit teurer, und zwar um 2,9 Milliarden Euro pro Jahr.
Das ist sozusagen ein 2,9-Milliarden-Euro-Rucksack auf
dem Buckel der deutschen Unternehmen.
({2})
Das beeinträchtigt die internationale Wettbewerbsfähigkeit, und Sie schaden damit dem Wirtschaftsstandort
Deutschland.
Ich möchte Sie einmal daran erinnern, wie einige Mitglieder Ihrer Koalition dieses Thema sehen. Vizekanzler
Sigmar Gabriel sagte dazu am 7. Dezember der Braunschweiger Zeitung - ich zitiere -:
Die Finanzierung der Mütterrente erfolgt früher
oder später aus Steuern, zumindest teilweise. Auf
Dauer kann man das so nicht durchhalten, sonst
steigen die Beiträge der Rentenversicherung.
So der Vizekanzler.
In einem Memorandum von verschiedenen CDU-Abgeordneten heißt es - ich zitiere -:
Unsere Sorge, dass das vereinbarte Rentenpaket inklusive der abschlagsfreien Rente mit 63 die Erfolge der Rentenpolitik der letzten 15 Jahre gefährden könnte, bleibt.
Und der Kollege von Stetten brachte es auf den Punkt,
als er das Vorhaben als „Verbrechen an der nächsten Generation“ bezeichnete.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie haben kein Erkenntnisproblem. Sie haben ein Umsetzungsproblem.
Sie wissen, dass es so nicht geht, aber Sie machen es
trotzdem. Sie täuschen die Menschen.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Jurk?
Sven Morlok, Staatsminister ({0}):
Gerne.
Herr Staatsminister Morlok, ist das, was Sie uns gerade vortragen, die Position der Sächsischen Staatsregierung?
({0})
Sven Morlok, Staatsminister ({1}):
Sehr geehrter Herr Jurk, die Sächsische Staatsregierung setzt sich bei vielen aktuellen Fragen dafür ein,
dass, wenn in den Kassen zusätzliche Einnahmen verfügbar sind, diese zusätzlichen Einnahmen bzw. Überschüsse in allererster Linie dafür genutzt werden, die
entsprechenden Beiträge zu senken und die Bürgerinnen
und Bürger zu entlasten. Ministerpräsident Tillich hat,
als bekannt wurde, dass wir in der Kasse der Rundfunkanstalten einen erheblichen Überschuss haben, die Initiative ergriffen, um eine Beitragssenkung herbeizuführen.
Wir haben darüber jüngst, in dieser Woche, eine Debatte
im Sächsischen Landtag geführt. In dieser Debatte ist
deutlich geworden, dass die übergroße Mehrheit des Parlaments hinter dieser Initiative des sächsischen Ministerpräsidenten steht.
Das, was für die vollen Kassen bei den Rundfunkanstalten gilt, gilt natürlich auch für die vollen Kassen bei
der Rentenversicherung. Anstatt sich über zusätzliche
Ausgaben Gedanken zu machen, wäre es richtig, die
Beiträge denen zurückzugeben, die sie bezahlt haben,
nämlich den Beitragszahlern, den Versicherten und den
Arbeitgebern.
Die Regierung, sehr geehrte Damen und Herren, ist
gerade einmal zwei Tage im Amt, und schon greift sie
den Beitragszahlern schamlos in die Tasche.
({2})
Es waren knapp 6 Milliarden Euro in zwei Tagen. Ich
möchte mir nicht ausmalen, wie es in vier Jahren aussieht. Das macht mir Angst. Wenn die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft im Bundestag fehlt, muss sie eben
aus den Ländern kommen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Mast für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Auch ich will der neuen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und ihrer gesamten Hausspitze, insbesondere unseren beiden Parlamentarischen
Staatssekretärinnen Anette Kramme und Gabriele
Lösekrug-Möller, im Namen meiner Fraktion recht herzlich zum neuen Amt gratulieren. Wir alle freuen uns auf
die Zusammenarbeit und die Umsetzung der vielen
Punkte, die wir uns in der Koalition gemeinsam vorgenommen haben.
({0})
Herr Morlok, eigentlich wollte ich gar nichts zu Ihnen
sagen, weil ich finde, das sollte die Fraktion machen, auf
deren Redezeit Ihre Redezeit angerechnet wird; aber
jetzt sage ich trotzdem etwas. Ich halte es für hochzynisch, wenn Sie sagen, Sie würden für die Leistungsträger in dieser Gesellschaft reden, dabei aber die Mütter in
dieser Gesellschaft ignorieren.
({1})
Wir diskutieren hier und heute über einen Gesetzentwurf, in dem es darum geht, den Beitragssatz zur Rentenversicherung bei 18,9 Prozent zu stabilisieren, statt
ihn auf 18,3 Prozent zu senken.
({2})
Wir haben uns, was die Rentenversicherung betrifft, viel
vorgenommen. Weil die Kollegin Zimmermann gesagt
hat, diese Bundesregierung bzw. diese Koalition würde
keinen Beitrag zur Stabilisierung des Rentenniveaus
leisten, muss ich ihr an dieser Stelle von ganzem Herzen
widersprechen. Sie vergaßen nämlich, in Ihrer Rede darauf hinzuweisen, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn und eine verbesserte Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen dazu führen
werden, dass sich die Einkommenssituation der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verbessern und damit
automatisch eine Stabilisierung des Rentenniveaus stattfinden wird. Ich sage Ihnen: Wir sind verdammt stolz,
dass wir das hinbekommen haben. Sie wissen, wie lange
gestritten wurde, bis wir die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns - ab 2015 in Ost und
West - durchgesetzt haben.
({3})
- Da ein Kollege dazwischenruft, ich solle zur Sache reden: Ich rede über Rentenpolitik, und zur Rentenpolitik
gehört die Bekämpfung der Erwerbsarmut.
({4})
Zu unseren Vorhaben. Meine Kollegen haben schon
angesprochen, dass wir die Anrechnung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder gemeinsam
verbessern wollen. Damit wollen wir insbesondere die
Anerkennung verbessern.
Es gibt in der Koalition einen kleinen Dissens in der
Frage, wie wir das finanzieren. Wir sind gemeinsam
schon so weit gekommen, dass wir das langfristig über
Steuern finanzieren wollen. Wir sind jetzt an dem Punkt,
dass wir sagen: Dazu brauchen wir auch Mittel aus der
Rentenversicherung. Aber nach den aktuellen Wortmeldungen von Horst Seehofer und Ursula von der Leyen,
die der Rentenversicherung ab 2018 Steuermittel im
Umfang von 2 Milliarden Euro zukommen lassen will,
bin ich zuversichtlich, dass wir in der Koalition auch
diesen Konflikt gemeinsam lösen werden.
({5})
Frau Kollegin Mast, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Kurth?
Ja.
Frau Kollegin Mast, Sie haben davon gesprochen,
dass Sie „einen kleinen Dissens“ bei der Finanzierung
haben.
({0})
Stimmen Sie mir zu, dass es bei der Mütterrente immerhin um den stattlichen Betrag von 6,5 Milliarden Euro
- und zwar jährlich - geht, und sehen Sie diesen Betrag
mit dem Begriff „kleiner Dissens“ angemessen beschrieben? Und stimmen Sie mir zu, dass die Besserstellung
von Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren sind, geboten sein mag - darüber kann man diskutieren -, dass dies
aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und daher
vollständig durch Steuermittel zu finanzieren ist und
nicht von den Beitragszahlern?
({1})
Lieber Kollege Kurth, natürlich handelt es sich bei
der Mütterrente um eine versicherungsfremde Leistung.
Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
({0})
und sollte aus Steuermitteln finanziert werden.
({1})
Ich habe kein Problem damit, das einzugestehen; denn
das war schon immer die Position der SPD-Bundestagsfraktion. Wir sind aber in einer Koalition, und in einer
Koalition geht es darum, Kompromisse zu schließen.
({2})
Wir finden - im Gegensatz zu Ihnen -, dass wir hier
keine faulen Kompromisse geschlossen haben. Wir finden, dass wir es den Müttern in Deutschland schuldig
sind, dass wir auch dort ihre Situation verbessern.
({3})
Lassen Sie mich aber zu einem weiteren Punkt kommen, was unsere gemeinsamen Vorhaben angeht. Ich
persönlich finde, dass das wichtigste Vorhaben in der
Rentenpolitik ist, dass wir bei der Erwerbsminderungsrente deutliche Fortschritte in Angriff nehmen. Heute ist
es so, dass Menschen, die in Erwerbsminderungsrente
gehen, das höchste Risiko von Altersarmut haben. Die
Erwerbsminderungsrenten sind von 2000 bis 2012 deutlich gesunken - ich nenne nur die Zahl für Männer -: um
15 Prozent, im Westen von im Schnitt 780 Euro auf
647 Euro. Das liegt deutlich unter der Grundsicherung
im Alter. Das heißt, die Erwerbsminderungsrente hat
nicht mehr die Funktion, vor Altersarmut zu schützen.
Deshalb nehmen wir uns in dieser Koalition vor, der Altersarmut an dieser Stelle durch verschiedene MaßnahKatja Mast
men entschieden entgegenzutreten. Das ist - vorhin
wurde es schon gesagt - für uns Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten und für unsere Ministerin in der
Rentenpolitik ein Kernanliegen.
Wir haben uns vorgenommen, die solidarische Lebensleistungsrente einzuführen sowie eine abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Arbeitsjahren. Die Ost-WestAngleichung setzen wir Schritt für Schritt um.
Das alles sind für uns Punkte, wozu wir sagen: Dafür
lohnt es sich, vier Jahre gemeinsam Politik zu machen.
Dafür lohnt es sich auch, die Beitragssätze in der Rentenversicherung zu stabilisieren. Wir haben viel vor, und
wir wollen die Gerechtigkeitslücken auch in der Rentenversicherung schließen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Rentenkasse ist unter der unionsgeführten Bundesregierung seit Ende 2005 wieder auf Vordermann gebracht worden. Die Rentenfinanzen sind stabilisiert, die Rücklage ist gut gefüllt. Aufgrund der guten
Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung werden die
Reserven der Rentenversicherung Ende 2013 rund
31 Milliarden Euro betragen. Das entspricht 1,75 Monatsausgaben und ist somit der höchste Stand seit 20 Jahren. Frau Andreae, Sie wären froh gewesen, wenn Sie zu
Ihrer Regierungszeit Ähnliches erreicht hätten.
({0})
- Ihr habt sie geplündert. Dazu komme ich noch.
Im Rentenversicherungsbericht 2010, also vor drei
Jahren, ging die Bundesregierung für 2014 noch von einem Rentenversicherungsbeitrag von 19,3 Prozent aus.
Heute geht es darum, den Beitrag im kommenden Jahr
entweder auf 18,3 Prozent zu senken oder bei 18,9 Prozent stabil zu halten. Das zeigt: Der deutsche Arbeitsmarkt brummt. Wir haben mehr Erwerbstätige, weniger
Arbeitslose, deutlich mehr sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte und aktuell immerhin über 430 000 offene
Stellen. Unsere Arbeitsmarktpolitik wirkt. Deutschland
steht international blendend da.
Die Sozialkassen profitieren von diesen Erfolgen. Wir
haben uns bei der Rentenkasse zusätzliche Spielräume
erwirtschaftet, an denen wir die Menschen teilhaben lassen können. Die Rentenkasse ist keine Sparkasse. Wir
machen Sozialpolitik für die Menschen. In den letzten
beiden Jahren haben wir die Beitragszahler durch Senkung des Rentenbeitrages von 19,9 Prozent auf 18,9 Prozent bereits massiv entlastet. Jetzt sind die Mütter an der
Reihe.
({1})
Für uns gilt: Mütterrente kommt vor einer weiteren Senkung des Rentenbeitrages, Schaffung von Gerechtigkeit
vor weiteren Entlastungen. Das haben wir vor der Wahl
versprochen. Nach der Wahl halten wir unsere Versprechen.
({2})
Durch den Verzicht auf eine mögliche Senkung des
Rentenbeitrages zum 1. Januar 2014 erzielt die Rentenkasse Mehreinnahmen von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr,
also von 30 Milliarden Euro zusätzlich in dieser Wahlperiode. Die Rentenfinanzen werden damit deutlich gestärkt.
Die Einführung der Mütterrente war für uns in den
Koalitionsverhandlungen die vorrangigste rentenpolitische Forderung. Es ist ein großer Erfolg der CSU und
unserer Schwesterpartei, dass wir die Mütterrente in den
Koalitionsverhandlungen durchsetzen konnten. Die Mütterrente kommt zum 1. Juli 2014; so steht es ausdrücklich im Koalitionsvertrag. Wir verbessern auf diese
Weise die rentenrechtliche Situation von Müttern, die
Kinder vor 1992 geboren haben, mit einem zusätzlichen
Entgeltpunkt.
Zur Frage, warum wir das nicht steuerfinanziert machen, sondern über das Rentensystem: Die Geburt von
Kindern vor 1992 ist die wesentliche Grundlage dafür,
dass unser heutiges Rentenversicherungssystem funktioniert. Frau Andreae, das ist also eine Conditio sine qua
non, eine Bedingung, ohne die das System nicht funktionieren würde.
({3})
Deshalb ist es durchaus vertretbar und begründbar, die
Mütterrente zum großen Teil aus dem System zu finanzieren.
In den Rücklagen von über 30 Milliarden Euro sind
immerhin etwa 10 Milliarden Euro steuerfinanzierte
Mittel enthalten, die jetzt für diesen Zweck, also für
mehr Gerechtigkeit für Mütter, eingesetzt werden. Das
halte ich für den richtigen Weg. Ich halte auch die Finanzierung für korrekt und für sauber durchgerechnet,
meine Damen und Herren.
({4})
Mit der Mütterrente schaffen wir eine klare Anerkennung der Erziehungsleistung. Der generative Beitrag ist
für den Fortbestand des Generationenvertrages von zentraler Bedeutung. Deshalb wollen wir die Generationenkomponente in der gesetzlichen Rentenversicherung
stärken. Ohne die Mütter von damals gäbe es nicht die
Beitragszahler von heute und morgen. Herr Kurth, Sie
müssen die Menschen, die berufstätig sind, nur einmal
fragen, ob sie lieber 6 oder 7 Euro mehr pro Monat im
Geldbeutel haben wollen oder ob sie ihrer Mutter
28 Euro mehr Rente pro Monat gönnen. Das ist die Gretchenfrage, die Sie in der Bevölkerung stellen müssen,
statt die Generationen gegeneinander auszuspielen.
({5})
Hier müssen wir für Gerechtigkeit sorgen. Das schaffen wir mit unserer neuen Bundesarbeits- und -sozialministerin Andrea Nahles; an die neuen Namen muss ich
mich erst noch gewöhnen.
({6})
Ich wünsche Ihnen nun eine frohe Weihnachtszeit und
ein gutes Jahr 2014.
Herzlichen Dank.
({7})
Als letzter Redner in der Debatte hat jetzt das Wort
der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man kann natürlich über Gesetzestechnik und
-verfahren diskutieren. Dazu ist festzustellen: Normalerweise wird der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegt. In diesem Fall ist die Opposition
überhaupt nicht beteiligt. Wir haben uns entschlossen,
den Beitragssatz durch ein Gesetz festzulegen. Dadurch
ist die Opposition am Verfahren beteiligt.
({0})
Ich sehe deswegen überhaupt keinen Grund, warum sich
die Opposition beschweren sollte. Sie ist dabei, wenn
wir den Beitrag festlegen, und kann mitdiskutieren.
({1})
- Ein bisschen Stolz sollte man als Parlamentarier schon
haben. Ich finde es eine gute Entscheidung von uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern, dass der Rentenversicherungsbeitrag durch das Parlament festgelegt
wird. Wir und nicht die Bundesregierung legen den Rentenversicherungsbeitrag diesmal fest.
({2})
Das ist auch nicht ungewöhnlich. Auch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist der Rentenversicherungsbeitrag mehrmals durch das Parlament und nicht
durch die Regierung festgelegt worden - übrigens auch
zu Zeiten, in denen die Grünen an Bundesregierungen
mitbeteiligt waren.
Um was geht es uns eigentlich?
({3})
Wir wollen den Rentenversicherungsbeitrag stabil bei
18,9 Prozent belassen. Das ist der niedrigste Rentenversicherungsbeitrag seit 15 Jahren. Wir haben die Unternehmen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
beim Rentenversicherungsbeitrag jetzt über Jahre hinweg entlastet, und wir wollen dafür sorgen, dass diese
Entlastung dauerhaft bestehen bleibt. Darum geht es.
({4})
- Es wird niemandem etwas weggenommen, vielmehr
wollen wir die Entlastung erhalten.
Was wäre denn die Folge, wenn man den Beitrag senken würde? Eine jetzige Beitragssenkung würde in wenigen Jahren automatisch zu einer deutlichen Beitragserhöhung führen. Das heißt, das, was man in dem einen
Jahr gegeben hat, muss man in den nächsten Jahren wieder einkassieren.
({5})
Den Beitrag bei 18,9 Prozent zu belassen, bedeutet,
dass dieser Beitrag voraussichtlich über seinen sehr langen Zeitraum stabil bleibt. Für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, aber auch für die Unternehmen ist die
Stabilität des Beitragssatzes und damit Planungssicherheit das Wichtigste. Diese Planungssicherheit wollen wir
per Gesetz schaffen.
({6}) - Abg. Katja Keul ({7}) meldet sich zu einer
Zwischenfrage)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte schön.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Weiß, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Sie haben gerade gesagt, Sie verhindern durch das, was Sie jetzt tun, zukünftige Beitragssteigerungen. Das verstehe ich nicht ganz; denn es
ist doch, glaube ich, nicht so, dass diese zusätzlichen
Beitragseinnahmen, die Sie erhalten, weil Sie den Beitragssatz jetzt nicht senken, nachhaltig für die zukünftigen Generationen vorgehalten werden, sondern Sie haben vor, dieses Geld im nächsten Jahr unmittelbar
wieder auszuzahlen, um Ihre Wahlgeschenke zu bezahlen. Das Geld ist doch weg und kommt den zukünftigen
Generationen nicht in Form von weiteren Anwartschaften zugute.
({0})
Verehrte Frau Kollegin, die Beibehaltung des Beitragssatzes von 18,9 Prozent führt nach allen Berechnungen über einen langen Zeitraum zu Beitragssatzstabilität,
und das ist uns wichtig.
Richtig ist, dass alle hier im Bundestag vertretenen
Fraktionen, auch die Ihrige, im September dieses Jahres
mit unterschiedlichen rentenpolitischen Reformvorhaben in den Bundestagswahlkampf gezogen sind und
diese allesamt auch Folgen für die Beitragsseite haben.
Frau Kollegin Andreae hat in ihrer Rede zum Beispiel
die Erwerbsminderungsrente und Verbesserungen, die
dort notwendig sind, angesprochen. Das ist eine klassische Aufgabe, die aus den Beiträgen zu finanzieren ist.
({0})
Deshalb möchte ich uns allen folgenden Rat geben
- gerne auch den Grünen -: Wenn man in seine Wahlprogramme rentenpolitische Maßnahmen hineinschreibt,
dann sollte man sich die Möglichkeit, diese eventuell zu
verwirklichen, nicht gleich zu Beginn der Legislaturperiode durch falsche Beschlüsse zum Rentenversicherungsbeitrag kaputtmachen. Darum geht es.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die neue
Große Koalition hat in der Tat eine Reihe von rentenpolitischen Maßnahmen ins Auge gefasst. Für uns als
Union ist es besonders wichtig, dass wir die Erziehungsleistungen in der Rentenversicherung besser anerkennen
- auch für vor 1992 geborene Kinder - und dass wir in
den Rentenversicherung Leistungsgerechtigkeit für all
diejenigen schaffen, die ein Leben lang gearbeitet, wenig
verdient und geringe Rentenansprüche haben und sich
darauf verlassen können sollen, dass ihre Rente, wenn
sie sie beantragen, so aufgestockt wird, dass man davon
auch leben kann und keine zusätzliche staatliche Unterstützung beantragen muss.
({2})
Ich will hinzufügen: Genauso wichtig, vielleicht noch
wichtiger ist, dass wir die Erwerbsminderungsansprüche
besser berechnen. Demjenigen, der gerne länger arbeiten
würde, aber aufgrund von Krankheit oder eines Unfalls
vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden muss, sagen wir: Aus deinen Ansprüchen in der Rentenversicherung ergibt sich eine Leistung, die so hoch ist, dass du
nicht um staatliche Unterstützung anstehen musst.
Wir werden in den kommenden Monaten und Jahren
die Gelegenheit haben, die Gesetzentwürfe dazu im Detail zu diskutieren. Aber ich finde, es gehört auch zur
Wahrhaftigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, dass wir klar und deutlich sagen: Dazu benötigen
wir finanzielle Mittel. Es wäre unklug, die jetzigen finanziellen Mittel kurzfristig zu verringern und nachher
durch große Beitragserhöhungen wieder Mittel hereinzuholen. Deshalb geht es bei diesem Gesetzentwurf um
Stabilität und damit Planungssicherheit: für die Unternehmen und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es wird niemandem etwas weggenommen. Wer das
behauptet, behauptet etwas Falsches.
Es geht darum, dass wir als Parlament unser Recht
wahrnehmen, diese Frage per Gesetz zu regeln. Ich freue
mich auf die Beratungen zu diesem Gesetzentwurf. Ich
bin überzeugt, dass wir die richtige Entscheidung treffen.
Weil wir den letzten Sitzungstag vor Weihnachten haben, möchte ich uns allen ein frohes und gesegnetes
Weihnachtsfest wünschen.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/187 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Diana
Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für
Personen gleichen Geschlechts
- Drucksache 18/8 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Petzold, Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Besucher auf der Tribüne, die noch verblieben sind! „Du entscheidest! - 100 % Gleichstellung
nur mit uns.“
({0})
Dieses Plakat hat groß an einem Lastkraftwagen geprangt, mit dem die SPD die Christopher-Street-Demonstrationen und -Paraden in diesem Jahr in allen deutschen Großstädten begleitet hat.
Sie haben zu früh geklatscht, liebe Kolleginnen und
Kollegen; denn ich muss Ihnen nach Lesen des Koalitionsvertrages leider sagen: Sie sind den Tausenden
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen in diesem Land, die von Ihnen tatsächlich
hundertprozentige Gleichstellung erwartet haben, im
wahrsten Sinne des Wortes in die Parade gefahren.
({1})
Deswegen habe ich mich entschlossen, meine erste
Rede hier in diesem Hohen Hause nicht leise, brav und
diplomatisch zu halten,
({2})
sondern gleich in die Vollen zu gehen, weil ich genauso
wie die vielen Tausend, denen ich hier eine Stimme geben will, enttäuscht darüber bin, dass wir wieder nur vertröstet und hingehalten werden und es keine hundertprozentige Gleichstellung gibt. Ich sage Ihnen klar und
deutlich: Wir haben es satt, hingehalten zu werden, uns
weiter verstecken und verstellen zu müssen und keine
Gleichstellung zu erreichen.
({3})
Ich habe mein gesamtes politisches Leben dafür gekämpft, dass sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle nicht mehr verstellen und verstecken müssen.
({4})
Sie können die Umfragen dazu lesen, wie das Outing im
Berufsleben aussieht. Ich will, dass sich diese Menschen
nicht länger wegducken müssen. Ich habe gemeinsam
mit engagierten Mitstreiterinnen und Mitstreitern in
Brandenburg Aufklärungstouren durch das Land organisiert. Wir haben inzwischen seit 1990 in jeder kleinen
Gemeinde und in jeder kleinen Stadt haltgemacht und
dort die Regenbogenflagge gehisst. Jeder Bürgermeister,
der sich geweigert hat oder sich hinter der korrekten
preußischen Flaggenordnung des Landes Brandenburg
verstecken wollte, konnte sich sicher sein: Wir kommen
wieder, bis die Regenbogenflagge gehisst ist und bis klar
und deutlich ist: Wir sind willkommen - in jeder Stadt,
in jeder Gemeinde in Brandenburg.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde
es niemals vergessen, wie bei einer solchen Aktion in
Wittstock zwei über 70-jährige lesbische Frauen mit Tränen in den Augen vor mir gestanden und gesagt haben:
Dass wir das noch erleben, dass in unserer Heimatstadt
die Regenbogenflagge weht.
Ich denke, wir sind bei diesen Menschen im Wort.
Deswegen werde ich nicht nur leise und höflich darum
bitten, endlich in diesem Land gleichbehandelt zu werden und die gleichen Rechte zu erhalten, die Sie alle, wie
Sie hier sitzen, ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Mit unserer Diskriminierung, mit Ungleichbehandlung und mit der Verweigerung von Gleichstellung darf in diesem Land nicht weiter Staat gemacht
werden.
({6})
Im Koalitionsvertrag ist von Respekt die Rede. Aber
was ist das für ein Respekt, wenn ich fünf Zeilen weiter
lesen muss, dass die Gleichbehandlung gerade einmal so
weit verwirklicht werden soll, wie das Bundesverfassungsgericht es als Minimum in einem konkreten Fall
entscheidet! Was ist das für ein Respekt?
Seit 2002 urteilt das Bundesverfassungsgericht in
ständiger Rechtsprechung und inzwischen mit einstimmigen Urteilen: Stellt endlich gleich! Wenn Sie sich die
Begründung dieser Urteile durchlesen, dann werden Sie
merken, dass inzwischen auch die Richterinnen und
Richter davon genervt sind, dass das nicht stattfindet.
({7})
- Herr Kahrs, ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf.
Ich könnte Ihnen den Stapel von Erklärungen vorlegen,
mit denen Sie der Öffentlichkeit immer wieder zu Recht
mitgeteilt haben,
({8})
dass damit Schluss sein muss, dass das Bundesverfassungsgericht das vorgibt. Aber Sie setzen das nicht um.
({9})
Meine Damen und Herren, ich bin stolz darauf, dass
ich Mitglied der Fraktion bin, die sich bislang am konsequentesten für die Gleichstellung aller Lebensweisen
eingesetzt hat.
({10})
Bereits im Sommer 2010 hat meine Amtsvorgängerin
Barbara Höll einen entsprechenden Antrag zur Öffnung
der Ehe für alle eingebracht und begründet. Ich bin
Harald Petzold ({11})
Barbara Höll für ihr unermüdliches Engagement in diesem Hohen Hause sehr dankbar.
({12})
Ich bin ihr dankbar dafür, dass sie das gemacht hat und
seit 1990 hier für die Gleichstellung von Lesben und
Schwulen gekämpft hat.
({13})
Aber vor allen Dingen - damit bin ich wieder am
Ausgangspunkt - bin ich für das Engagement der vielen
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen dankbar, die ein Recht darauf haben, dass
wir ihre Forderung endlich erhören, dass wir tatsächlich
vor diesem Engagement Respekt zeigen und endlich die
Ehe öffnen. Meine Damen und Herren, kommen Sie
endlich in der Lebenswirklichkeit an, und folgen Sie
dem Beispiel von vielen Ländern in der Welt: von unseren europäischen Partnern wie Dänemark, Belgien,
Niederlande, Frankreich, sogar dem konservativen
Großbritannien, von lateinamerikanischen Ländern wie
Argentinien und Uruguay, vom Südafrika Nelson
Mandelas bis hin zu einzelnen Bundesstaaten in den
USA! Folgen wir diesem Beispiel endlich!
Mit einer Öffnung der Ehe setzen wir im Übrigen
auch ein Zeichen in Richtung der osteuropäischen Länder und Russlands. Das wäre ein viel machtvolleres und
unübersehbareres Zeichen, als einfach nicht zu den
Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu fahren.
({14})
Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin in Warschau bei CSDParaden und -Demos mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen worden. Ich habe es am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, als Lesben und Schwule Angst haben zu müssen vor einem öffentlichen Klima, das gegen
einen gerichtet ist.
Wir werden nur dann wirkungsvoll etwas dagegen tun
können, wenn wir als Land selbst mit gutem Beispiel vorangehen und damit deutlich machen: Der Weg in ein gemeinsames Europa führt nur über die Gleichstellung aller Menschen und über die Unantastbarkeit der Würde
aller. Ich fordere Sie deswegen auf: Setzen Sie mit uns
gemeinsam dieses Zeichen!
({15})
Ich sage abschließend: Denken Sie nach diesem Redebeitrag nicht schlecht von mir, nur weil ich in meiner
ersten Rede gleich Tacheles geredet habe. Manchmal
muss man auch gegen die Tischmanieren verstoßen.
({16})
Ich wünsche Ihnen allen trotzdem frohe Weihnachten
und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Vielen Dank.
({17})
Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. Das war Ihre
erste Rede. Auch von unserer Seite herzlichen Glückwunsch! Und: In diesem Haus darf man immer Tacheles
reden.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Silberhorn
von der CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, unterliegt
nicht dem Urheberrecht der Linken. Meine Damen und
Herren von der Linken, Sie haben in dritter Auflage einen Entwurf eingebracht, den wir schon in der letzten
Legislaturperiode diskutiert und mit großer Mehrheit abgelehnt haben. Es ist also schon alles gesagt, aber eben
noch nicht von der Linken. Ich will Ihnen gerne noch
einmal vortragen, weshalb Ihr Gesetzentwurf aus unserer Sicht in die falsche Richtung geht und nicht auf unsere Zustimmung stößt.
({0})
Ich will vorausschicken, dass es nicht um die Frage
des Respekts vor unterschiedlichen Lebensentwürfen
geht. Wir achten alle Lebensentwürfe, bei denen es um
ein respektvolles Miteinander geht. CDU und CSU erkennen an, wenn Menschen in gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften füreinander einstehen und Verantwortung füreinander tragen.
({1})
Gegenstand dieser Debatte ist etwas ganz anderes,
nämlich ein Gesetzentwurf, der Ehe gleichstellen will
({2})
- Entschuldigung, umgekehrt -, der darauf abzielt, das
Institut der Ehe zu öffnen und Lebenspartnerschaften mit
der Ehe gleichzustellen. Das wollen wir nicht. Es gibt
eine weitgehende Gleichbehandlung von Lebenspartnern
und Eheleuten. Ausgangspunkt war das Lebenspartnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2001. Aber selbst mit diesem Gesetz haben Sie damals unter Rot-Grün im Kern
den kategorialen Unterschied zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft anerkannt. Möglicherweise ging es
damals darum, zu vermeiden, dass das Lebenspartnerschaftsgesetz vom Bundesverfassungsgericht ausgehebelt wird. Deswegen hat man den Begriff der Ehe ganz
bewusst nicht umdefiniert, sondern den Begriff der Lebenspartnerschaft eingeführt. Insofern ist Lebenspartnerschaft keine Ehe mit falschem Etikett, sondern etwas anderes.
({3})
Das wurde im Übrigen durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts in einer kontinuierlichen Linie bestätigt.
Herr Kollege Silberhorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Ich würde gerne noch erläutern, wie das Bundesverfassungsgericht die im Lebenspartnerschaftsgesetz enthaltenen kategorialen Unterschiede zwischen Ehe und
Lebenspartnerschaft bestätigt hat.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat die Qualifizierung
der Ehe als Verbindung von Mann und Frau in allen Entscheidungen, die seither ergangen sind, immer wieder
bestätigt. Es gibt in der Sache eine weitestgehende
Gleichbehandlung, bis hin zur Sukzessivadoption.
({1})
Wir als CDU/CSU verstehen uns als Verfassungsparteien und werden deshalb umsetzen, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat. Auch unser
Koalitionsvertrag sieht die Umsetzung der Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption vor.
({2})
Allerdings ist auch klar, Herr Kollege, dass bei der Sukzessivadoption ein Sonderfall vorliegt. Hier lebt das
Kind bereits mit beiden Lebenspartnern zusammen. Deswegen steht es - ähnlich wie bei der Stiefkindadoption in einem Verwandtschaftsverhältnis zu einem der beiden
Lebenspartner. Das wird nun durch die Sukzessivadoption zusätzlich rechtlich abgesichert. Bei der gemeinschaftlichen Adoption liegt der Sachverhalt anders. Deswegen macht es einen Unterschied, ob ein Kind in eine
Ehe von Mann und Frau oder zu zwei gleichgeschlechtlichen Partnern kommt.
Nach Ihrer Vorstellung soll die Ehe als eine Verbindung von Mann und Frau aufgehoben werden. Zur Begründung führen Sie nicht mehr an, als dass es einen
grundlegenden Wandel des traditionellen Eheverständnisses in unserer Gesellschaft gebe. Ich kann das nirgendwo erkennen, erst recht nicht mit Blick auf andere
Länder, die Sie anführen. Ich teile Ihre Vorstellungen
nicht.
({3})
Sie wollen im Ergebnis eine Verfassungsänderung auf
kaltem Wege erreichen. Das wird aber nicht funktionieren. Das können Sie mit einem einfachen Gesetz nicht
tun. Dann müssen Sie schon eine Verfassungsänderung
vorschlagen und eine entsprechende Mehrheit erzielen.
({4})
Die Ehe gehört schließlich zum Kernbereich der Verfassung. Deswegen kann man das nicht mithilfe eines einfachen Gesetzes uminterpretieren.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2008 zum Transsexuellengesetz entschieden, dass zum Gehalt der Ehe gehört, „dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer
Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft
ist“. Das ist der Ausgangspunkt. Damit ist Ihr Gesetzentwurf nicht vereinbar. Von Verfassungs wegen ist die Ehe
der Beziehung von Mann und Frau vorbehalten.
Es gibt nun eine weitestgehende Gleichbehandlung
von Ehe und Lebenspartnerschaft; das ist Realität. Aber
eine Gleichstellung in der Form, wie sie nun vorgeschlagen wird, können wir nicht mitmachen. Wir können
Gleichbehandlung nicht um den Preis gewähren, dass
man das Verfassungsinstitut der Ehe aushöhlt.
({5})
Die Ehe bleibt die Verbindung von Mann und Frau,
weil die Ehe etwas anderes als Lebenspartnerschaft ist.
Das bedeutet nicht, dass wir andere Formen des menschlichen Zusammenlebens geringschätzen würden,
({6})
aber es ist etwas Unterschiedliches. Wir lehnen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften deshalb ab.
({7})
Daher lautet unsere Weihnachtsbotschaft für Eheleute
und Familien: Sie stehen unter dem besonderen Schutz
des Grundgesetzes und der CDU/CSU.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Stefan Liebich das Wort.
Lieber Kollege Silberhorn, Sie haben meine Frage
nicht zugelassen, aber zum Glück haben wir hier das Instrument der Kurzintervention, damit wir auch muntere
Debatten haben.
Das, was Sie hier eben vorgetragen haben, ist nicht
nur bitter für viele Tausende Lesben und Schwule in unserem Land, das ist nicht nur bitter für die SPD-Fraktion,
sondern das ist auch bitter für viele Mitglieder Ihrer
Fraktion;
({0})
denn inzwischen gibt es auch bei Ihnen mehr und mehr
Leute, die diese Position nicht mehr teilen. Es ist aus
meiner Sicht auch aus CDU-Perspektive nicht sinnvoll,
weil es sehr viele konservative Schwule gibt, die wahrscheinlich sehr gerne die CDU wählen würden, wenn sie
nicht eine so blödsinnige Politik auf diesem Feld machen
würde. Aber das ist Ihre Schuld.
({1})
Was ich an dieser Stelle ansprechen möchte, ist Folgendes: Wenn wir Menschen in unserem Lande gleiche
Rechte versagen, dann ist das aus meiner Sicht eine
Gewissensfrage. Ich würde sehr gerne an Ihre Fraktionsführung und auch an die Fraktionsführung der SPD appellieren - wie ich höre, gibt es entsprechende Diskussionen -, so eine Frage nicht einfach entlang der
üblichen Regeln eines Koalitionsvertrags zu entscheiden. Wenn das hier zur Abstimmung steht, dann sollte
jeder Abgeordnete im Deutschen Bundestag seinem Gewissen gemäß entscheiden können, ohne Druck und
ohne Zwänge; denn nur so können wir wissen, wie die
Volksvertretung über die Gleichstellung von Lesben und
Schwulen denkt.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege Silberhorn, Sie haben jetzt die Möglichkeit, darauf zu antworten.
({0})
Ich will, Herr Kollege, nur auf einen Umstand hinweisen. Ich verstehe die Befindlichkeit, wenn es um Fragen der Gleichbehandlung und Gleichberechtigung geht.
Da haben wir viel erreicht, auch in der letzten Legislaturperiode,
({0})
und es bleibt im Ergebnis eine zentrale Frage offen,
nämlich die Frage der gemeinschaftlichen Adoption, in
der wir unterschiedlicher Auffassung sind.
Aber etwas ganz anderes ist der Gesetzentwurf, den
Sie heute vorgelegt haben. Der zielt im Ergebnis darauf
ab, dass sich bisherige Lebenspartner künftig auch Eheleute nennen können.
({1})
Ich teile nicht die Auffassung, dass die Befindlichkeit
der gleichgeschlechtlichen Lebenspartner davon abhängt, sich künftig Eheleute nennen zu können.
({2})
Wenn es um Gleichberechtigung geht, müssen wir
uns unterhalten, wie weit wir gehen. Ich glaube, Sie
müssen auch sehr deutlich zwischen den Instituten unterscheiden und sehen, dass die inhaltliche Gleichstellung
beider Institute nicht das Instrument für eine Lösung bei
der Gleichberechtigung sein kann, die Sie anmahnen.
({3})
Vielen Dank. - Ich erteile jetzt dem Kollegen Volker
Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, dass Herr Silberhorn so viel über die Befindlichkeit der in Lebenspartnerschaften Lebenden in diesem
Land weiß.
({0})
Offensichtlich ist er der neue Sprecher des Lesben- und
Schwulenverbandes in Deutschland.
({1})
Ich sage Ihnen: Die Lesben und Schwulen wollen in
dieser Gesellschaft auf Augenhöhe mit den heterosexuellen Bürgerinnen und Bürgern leben, und sie wollen
deshalb die Öffnung der Ehe; denn sie ist der Ausdruck
der Gleichberechtigung und der Gleichheit vor dem Gesetz. Alles andere als Gleichberechtigung ist Diskriminierung.
({2})
Sie kommen hier mit der Verfassung. Wie viele Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, angefangen
von 2001 mit der Klage der Bayerischen Staatsregierung
gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz, haben Sie in die304
Volker Beck ({3})
ser Frage denn schon verloren? Ihre Rechtsauffassung
von der Ungleichheit der Homosexuellen wird von dem
Bundesverfassungsgericht, das die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützt, eben nicht geteilt.
({4})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Traditionelles
Eheverständnis war - es ist richtig - die lebenslange Verbindung von Mann und Frau in einer Ehe. Dieses traditionelle Rechtsverständnis wurde aber vom Bundesverfassungsgericht selbst infrage gestellt. Das
Bundesverfassungsgericht hat die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen mit seiner Entscheidung zum Transsexuellengesetz geschaffen und wir das Ganze - diese
Entscheidung - nachvollzogen. Wir, der Gesetzgeber,
hätten Transsexuellen nach der Geschlechtsumwandlung
gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
eine Lebenspartnerschaft mit völlig gleichen Rechten
und Pflichten wie in der Ehe anbieten können. Wir sind
das nicht angegangen, und damit haben wir hingenommen, dass es in Deutschland erstmals mit allen Rechten
versehene Ehen von Mann und Mann oder Frau und Frau
im Sinne des Personenstandsrechtes gibt. Damit ist Ihre
ganze verfassungsrechtliche Argumentation in sich zusammengefallen.
({5})
Schauen wir uns an, was unsere Bevölkerung denkt:
Über 60 Prozent der Bevölkerung sagen Ja zur Öffnung
der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.
({6})
Man spricht auch heute schon davon, dass ein gleichgeschlechtliches Paar, das zum Standesamt geht, heiratet.
Die Bevölkerung vollzieht die bestehende Differenzierung, an der Sie sich seit Jahren festklammern und die
Sie einbetonieren wollen, nicht nach.
({7})
Dieses Einbetonieren wird Ihnen aber am Ende des Tages nicht gelingen. Da bin ich mir sicher.
Schauen Sie sich die internationale Rechtsentwicklung an. Als 1993 das Verfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden zur Aktion Standesamt abgelehnt hat,
gab es weltweit noch keine Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren. Heute gibt es sie von Brasilien bis Norwegen und Schweden,
({8})
von Südafrika bis Dänemark. Überall gibt es Staaten, die
die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet haben.
In der Mehrheit der Staaten in Westeuropa gibt es die
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, von Portugal bis zu
den Niederlanden. Das zeigt doch: Die Rechtsentwicklung ist auf unserer Seite. Wir werden durch Ihre rechtliche Haltung näher an Länder wie Russland und die
Ukraine gerückt als an Frankreich,
({9})
Großbritannien, Spanien oder Portugal, die alle die Öffnung der Ehe beschlossen haben.
({10})
Sie behaupten hier so vollmundig, eigentlich sei ja
schon fast alles gleichgestellt: In den letzten vier Jahren,
seitdem Sie von der Union mit der FDP zusammen regiert haben, wurde aber auch nicht ein Jota zugunsten
der Lebenspartnerschaft verändert, ohne dass es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gab.
Vielleicht meinen Sie, Sie hätten Ihre Arbeit getan
- ich habe Herrn Kauder gerade versprochen, ihm nachher die entsprechende Liste zu geben -: Es gibt 27 Gesetze, in denen die eingetragene Lebenspartnerschaft
anders behandelt wird als die Ehe. Das geht vom Bundeskindergeldgesetz über das Versammlungsrecht über
das Sprengstoffgesetz über Approbationsordnungen für
Ärzte bis hin zur Höfeordnung, einer Sonderrechtsregelung im Erbrecht. In einer Zeit von „Bauer sucht Mann“
ist es notwendig, dass das Erbrecht für Bauern in dem
Maße angepasst wird, wie Sie die Ehen schützen.
({11})
Das ist überfällig. Ich gebe Ihnen gern die Hausaufgaben
mit.
Sie haben sich im Koalitionsvertrag etwas vorgenommen. Da steht, Herr Silberhorn:
Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften schlechterstellen, werden
wir beseitigen.
Wenn Sie diese Beseitigung bei allen solchen Regelungen vornehmen würden, würde ich Ihnen schon konzedieren: Da machen Sie einen Fortschritt. Aber im
nächsten Satz im Koalitionsvertrag wird der vorherige
Satz gleich völlig aufgehoben:
Bei Adoptionen werden wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption zügig
umsetzen.
Das ist aber freundlich, dass Sie ein Urteil des Verfassungsgerichtes, das unmittelbar Rechtskraft erlangt hat,
auch tatsächlich umsetzen werden. Das ist dann Ihre
gleichstellungspolitische Meisterleistung? Nein, das ist
eben nicht die Beseitigung aller Benachteiligungen von
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Wenn Sie
diese Benachteiligungen beseitigen wollen, dann müssen
Sie auch die gemeinsame Adoption für gleichgeschlechtliche Paare einführen; denn das Verfassungsgericht hat
in seinem Urteil zur Sukzessivadoption unter Randziffer 104 festgestellt: Es gibt keine Rechtfertigung für eine
Volker Beck ({12})
unterschiedliche Behandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft bei der Adoption. ({13})
Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, und setzen Sie
das gemeinsam mit der SPD um!
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mittels
Gerichtsurteilen keine politische Option ist.
({14})
Wir wollen die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften öffnen und diese damit auch
im Adoptionsrecht und im Steuerrecht gleichstellen.
- Jetzt erwarte ich Applaus von Ihnen; das ist aus Ihrem
Wahlprogramm.
({15})
Sie haben versprochen, Sie würden die Ehe öffnen,
Sie würden nicht auf das nächste Urteil zur Adoption
warten, und Sie würden hier jetzt endlich klar Schiff machen. Das haben Sie im Koalitionsvertrag aber leider
nicht durchgesetzt. Da haben Sie den Mund zu voll genommen.
Es gibt eine Mehrheit hier im Haus für die Öffnung
der Ehe. Wenn Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner an
diesem Punkt nicht einigen können, dann geben Sie die
Abstimmung frei,
({16})
lassen Sie nicht nur eine Handvoll Abgeordnete dissentierend abstimmen, sondern realisieren Sie die Mehrheit
in der Bevölkerung und die Mehrheit im Deutschen Bundestag für die Öffnung der Ehe! Das wäre der richtige
und konsequente Weg. Die Union darf hier nicht immer
die Sperrminorität haben. Gleichheit vor dem Gesetz dazu gibt es keine Alternative. Das ist ein verfassungsrechtliches Gebot.
({17})
Schließen Sie sich uns und den Linken in dieser Position
an!
({18})
- Herr Petzold, Sie haben eine Frage?
Eigentlich, Herr Kollege Beck, haben Sie die Redezeit bereits gut ausgeschöpft. Aber wenn Sie noch eine
Zwischenfrage annehmen wollen, dann gestatte ich die
selbstverständlich. - Herr Kollege Petzold.
Nach der Jungfernrede kann man es ihm nicht abschlagen.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass ich die Frage stellen darf. - Herr Kollege Beck, ich wollte Sie noch fragen, ob denn jetzt unter Schwarz-Grün in Hessen
({0})
mit einer Initiative aus diesem Bundesland zu rechnen
ist, die uns hier vonseiten des Bundesrats noch Unterstützung zuteilwerden lassen wird.
({1})
Ich kenne den Koalitionsvertrag nicht. Ich habe allerdings gesehen, dass bei queer.de stand: Die Forderungen
der Lesben- und Schwulenverbände in Hessen wurden
von den Grünen im Koalitionsvertrag mit der CDU alle
durchgesetzt.
({0})
Das nehme ich erst einmal wohlwollend zur Kenntnis.
Ansonsten können Sie Priska Hinz, die verhandelt hat
und da viel sachkundiger ist als ich, fragen, ob auch eine
Bundesratsinitiative geplant ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hessen so etwas am Ende nicht mittragen
würde.
({1})
Aber das müssen Sie die Hessen bei uns fragen. Ich war
nicht dabei.
Noch eine Sache zu Ihrem Gesetzentwurf: Den fand
ich total gut. Den kannte ich. Der war nämlich von mir.
Den haben wir in der letzten Wahlperiode zweimal, einmal allein und einmal zusammen mit den Sozialdemokraten, eingebracht. Aber Sie hätten sich die Mühe machen können, die Sachen, die sich seither ergeben haben
- wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einkommensteuer -, aufzunehmen, den Entwurf upzudaten
({2})
und zur Kenntnis zu nehmen, dass weitere fünf US-Bundesstaaten und Brasilien inzwischen die Ehe geöffnet haben. Das alles fehlt in Ihrer Begründung. Also: Wenn
schon Copy-and-paste, dann immer noch mal kontrollieren, ob alles noch so ist, wie es der Autor geschrieben
hat, von dem man abschreibt!
({3})
Ich erteile jetzt das Wort als Nächstes dem Kollegen
Johannes Kahrs, SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Vergangenheit habe ich hier immer die
gleiche Rede halten dürfen - jahrein, jahraus.
({0})
Jetzt habe ich ein kleines Problem, aber, ich glaube, das
kriege ich hin.
Zum einen, zu der Linken: Man sollte schon einen eigenen Entwurf vorlegen. Der Kollege Beck hat es ja gesagt. Abschreiben ist wirklich keine Meisterleistung.
({1})
In der Sache - das muss ich aber zugeben - ist der Entwurf gut; er ist ja auch mit von uns, und deswegen kann
er nicht schlecht sein. Also, in der Sache ist der vorgelegte Entwurf richtig, wichtig und gut.
({2})
- Wir stimmen heute nicht ab, Herr Kollege.
Zum anderen: Im Koalitionsvertrag steht auf Seite 105:
Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende
Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen auf Grund
ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen
Bereichen beendet werden.
({3})
Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden
wir beseitigen.
({4})
Dann heißt es:
Bei Adoptionen werden wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption zügig
umsetzen.
Dass dieser Satz da steht, liegt daran, dass es bei der
CDU in der Vergangenheit mit der Umsetzung von Urteilen des Verfassungsgerichts schwierig war. Da wollten
wir sichergehen.
({5})
Wenn man das liest, stellt man fest, dass CDU/CSU
und SPD sich einig sind, bestehende Diskriminierungen
abzubauen.
({6})
Jetzt diskutieren wir also mit den Kollegen von der
Union die Frage: Was ist eine Diskriminierung? Der
Kollege Silberhorn hat seine geschätzte Interpretation ja
zum Besten gegeben.
Ich sehe das anders: Wenn man nicht gleichbehandelt,
diskriminiert man. Das ist eigentlich eine ganz einfache
Geschichte.
({7})
Das betrifft die Bereiche Ehe, Adoption und - Art. 3
Grundgesetz - sexuelle Identität. Das sind die drei
Punkte, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Alles
andere haben wir im Koalitionsvertrag geregelt.
Was die Ehe angeht, gibt es verschiedene Interpretationen, die man hier auch vortragen kann. Ich möchte
aber anmerken, Herr Silberhorn, dass auch Koalitionsverträge nicht vor der Wirklichkeit schützen. Wir werden
in den nächsten vier Jahren dieses Thema Diskriminierung auf die Tagesordnung setzen, weil im Koalitionsvertrag steht, dass bestehende Diskriminierungen abgebaut werden sollen. Das heißt, wir gehen erst einmal
davon aus, dass wir in den nächsten Jahren alles das, was
eine rechtliche Nichtgleichbehandlung von Lebenspartnerschaften darstellt, beseitigen werden.
({8})
Erst danach streiten wir uns um den Begriff der Ehe.
Herr Kauder, wir haben das hier ja häufiger diskutiert.
Sie haben einmal gesagt, dass es keinen Koalitionsvertrag geben wird, der die Öffnung der Ehe enthält. Ich
muss sagen: Sie haben sich durchgesetzt. Leider Gottes
muss man bei Koalitionsverträgen Kompromisse machen. Dieser ist mir ganz besonders schwergefallen. Für
mich als Sozialdemokrat ist das einer der Punkte, bei
dem man sagen muss: Das ist schwierig. Das will ich
nicht. Das mag ich nicht. - Aber man muss es in der Gesamtheit betrachten.
Deswegen möchte ich hier darauf hinweisen, dass wir
als Sozialdemokraten der Meinung sind und uns auch
dafür einsetzen werden, die eben angesprochenen
Punkte - Art. 3, Ehe und Adoption - in dieser Legislaturperiode mit diesem, von uns neuerdings geschätzten
Koalitionspartner umzusetzen.
({9})
Dazu wollen und werden wir vorschlagen, die Abstimmung zu diesem Punkt freizugeben, weil es eine Gewissensfrage ist.
({10})
Wenn man die Abstimmung freigeben würde, würden
auch Sie, Herr Kauder, und die Union merken, dass ein
Großteil der Kollegen von CDU und CSU dem zustimmen würde. Denn es ist ja nicht so, dass das, was Sie hier
vertreten, eine allgemeine Meinung innerhalb der Union
ist. Zwar hat es dazu einen Beschluss auf dem Bundesparteitag der CDU gegeben, aber es gibt ja in Ihren Reihen ein Fähnlein Aufrechter.
Man muss sehen, dass das Leben sich weiterentwickelt. Das Problem, das wir immer wieder haben, ist,
dass bei den Diskussionen hier im Deutschen Bundestag
von einer Lebenswirklichkeit ausgegangen wird, die es
im realen Leben nicht gibt. Bei den Menschen gibt es
eine andere Empfindung. Da ist es so, dass Menschen
heute diskriminiert werden. Da ist es so - das kann man
vielleicht nachvollziehen -, dass sich im Arbeitsleben
viele nicht outen, weil sie Nachteile befürchten. Da ist es
so, dass viele, die lesbisch oder schwul sind, auf Schulhöfen ein Problem haben, sich zu outen, weil das eines
der am häufigsten gebrauchten Schimpfwörter ist. Da ist
es so, dass es in Familien Probleme beim Outing gibt.
Dass dann über die Fernseher auch noch vermittelt
wird, dass die Bundeskanzlerin sich in den Reden im
Wahlkampf hinstellt und sagt: „Die Gleichbehandlung
von Lesben und Schwulen ist kein Anliegen. Wir werden
die Öffnung der Ehe verhindern“, ist für junge Menschen natürlich eine Katastrophe, ist etwas, was nicht
geht.
({11})
Wir als Sozialdemokraten werden - ich mache das
hier im Deutschen Bundestag seit 1998; wir haben hier
alle Konstellationen erlebt - weiterhin für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen kämpfen, weil Gleichstellung etwas damit zu tun hat, wie man mit Menschen
in diesem Land umgeht und ob man sie achtet.
({12})
Es genügt nicht, dass man respektiert, dass einige
vielleicht ein bisschen anders sind, sondern es ist wichtig, dass man akzeptiert, dass sie so sind. Wer die gleichen Pflichten hat, der hat auch die gleichen Rechte zu
haben.
({13})
Ich glaube, das ist einer der Punkte, für den wir als
Sozialdemokraten in der 150-jährigen Geschichte unserer Partei immer gekämpft haben. Ich glaube auch, dass
es stimmt, was der Kollege Petzold von der Linken am
Anfang gesagt hat. Er hat ein Schild hochgehalten: Vollständige Gleichstellung gibt es nur mit der SPD. - Daran
hat sich nichts geändert.
Glück auf!
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth
Winkelmeier-Becker, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst Ihnen, Herrn Kahrs, dass Sie
ausgeführt haben, was der Koalitionsvertrag alles an guten Dingen enthält und dass wir diese umsetzen wollen.
Ein erster Schritt ist gemacht, indem die Liste der Gesetze, die wir uns noch einmal anschauen müssen, weitergegeben worden ist. Wir werden das gerne aufgreifen.
({0})
Wir haben diesen Gesetzentwurf, über dessen Urheberschaft Sie sich streiten oder die Sie sich auch teilen,
vorliegen.
({1})
Dieser Entwurf fordert nicht mehr und nicht weniger als
die Umdefinition eines wirklich zentralen Begriffes des
Familienrechts und der Gesellschaftspolitik. Es ist ein
Begriff, den nicht der aktuelle Gesetzgeber und den auch
nicht der Gesetzgeber des BGB im Jahre 1900 erfunden
hat.
({2})
Diesen Begriff haben die Verfasser des BGB im Jahre
1900 bereits so vorgefunden. Er hat eine lange historische, kulturelle, religiöse und rechtliche Vorprägung.
Man kann nicht einfach hingehen und aufgrund eines
Umfrageergebnisses eine Umdefinition vornehmen.
({3})
Wenn man bei Wikipedia reinschaut, liest man Folgendes: Die Kulturgeschichte der Ehe fängt für Juden,
Christen und Muslime mit Adam und Eva an. - Das ist
schwer zu datieren. Es geht aber auch genauer. So findet
man in den beiden ältesten juristischen Kodizes der
Menschheitsgeschichte, dem Kodex Ur-Nammu von
2100 vor Christus und dem Kodex Hammurabi aus dem
18. Jahrhundert vor Christus, bereits Regelungen, die die
Ehe betreffen. Unter dem Begriff „Ehe“ wird dort immer
die lebenslange Gemeinschaft, die auf Dauer angelegte
Gemeinschaft einer Frau und eines Mannes verstanden.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Neu?
Gerne.
Bitte schön, Herr Dr. Neu.
Liebe Kollegin, wir kennen uns aus unserem Wahlkreis, dem Rhein-Sieg-Kreis. Dort haben Sie vehement
- verbal zumindest - für die Gleichbehandlung gekämpft. Stehen Sie dazu, oder stehen Sie nicht dazu?
({0})
Danke, lieber Kollege, für die Frage. So kann ich ein
bisschen weiter ausholen.
({0})
Ich habe mich hier über lange Zeit sehr dafür eingesetzt, dass wir bei wichtigen Punkten, bei der Gleichstellung im Steuerrecht angefangen, zu einer rechtlichen
Gleichstellung kommen. Ich habe aber auch immer differenziert zwischen einer Öffnung der Ehe, die noch eine
andere Kategorie darstellt, und eben der Angleichung
von Positionen, bei denen Rechte und Pflichten zueinander passen müssen - da gebe ich Herrn Kahrs absolut
recht -, und wo ich es auch als große und verletzende
Ungerechtigkeit empfunden habe, dass man mit zweierlei Maß misst. Das ist an einer Stelle aufgehoben worden. Wir werden uns im Hinblick auf diesen Aspekt
noch weitere Punkte anschauen. Wir werden schauen, ob
noch weitere Dinge nicht zusammenpassen und diese
dann gegebenenfalls aufgreifen und verändern. In diesem Punkt haben Sie mich absolut auf Ihrer Seite.
Wir sprechen hier allerdings über einen anderen
Punkt, und zwar über die Öffnung der Ehe. Diese hat
eine lange kulturgeschichtliche und juristische Vorgeschichte.
({1})
Man kann daher nicht einfach hingehen und sagen: Wir
definieren das anders. Man muss da schon ein bisschen
genauer hinschauen.
Ich habe nicht nur in Wikipedia oder in den Kodex
Hammurabi geschaut, sondern habe mir auch die Protokolle des Parlamentarischen Rates aus der Zeit der Entstehung des Grundgesetzes angeschaut. Es gibt eine Fassung vom 10. Dezember 1948. In der damaligen Fassung
steht darin unter Art. 7 a:
Die Ehe als die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und
die mit ihr gegebene Familie … stehen unter dem
… Schutz der Verfassung.
({2})
Drei Tage später ist die Definition im Text entfallen.
Seither heißt es unverändert im Grundgesetz:
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.
Was ist hier passiert? Man hat die Definition von Ehe
nicht deshalb aus dem Text herausgestrichen, weil man
in diesen drei Tagen unter dem Vorsitz von Konrad
Adenauer zu der Überlegung gekommen ist, dass man
unter Ehe nicht mehr die Lebensgemeinschaft von Mann
und Frau versteht und daher auf die Hervorhebung der
Verschiedengeschlechtlichkeit verzichten möchte. Vielmehr hat man gedacht, dass sie so selbstverständlich und
selbsterklärend ist, dass man sie weglassen kann.
({3})
Der Begriff „Ehe“ hat seine Bedeutung auch außerhalb
unserer zivilen und öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung.
Er hat den klaren Inhalt: Lebensgemeinschaft von Frau
und Mann.
Frau Kollegin Winkelmeier-Becker, der Kollege Beck
möchte eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Herr Kollege Beck, Sie haben das Wort.
Mit dem Kodex Hammurabi kenne ich mich nicht
aus, aber über das Zustandekommen des Grundgesetzes
weiß ich ein bisschen.
({0})
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass Sie im Parlamentarischen Rat schlichtweg die Abstimmung über die
Definition des Art. 6 Grundgesetz verloren haben? Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass sich die Begriffe „Ehe“ und „Familie“, die in Art. 6 Grundgesetz
genannt werden, gewandelt haben? Das Bundesverfassungsgericht hat uns nämlich bei der Reform des Kindschaftsrechts, die dem Parlament aufgezwungen werden
musste, gesagt: Auch Alleinerziehende mit Kindern und
nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern sind
Familie.
Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr bei den Entscheidungen über das Adoptionsrecht und das Steuerrecht ausdrücklich gesagt hat, dass Lebenspartnerschaften mit
Kindern unter den grundgesetzlichen Schutz der Familie
Volker Beck ({1})
fallen und damit der Groschen beim Wandel des Begriffs
„Ehe“ langsam fällt?
({2})
Frau Kollegin, bevor Sie jetzt antworten, habe ich
eine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen, die hier eine
Vielzahl wichtiger Gespräche führen - Sie machen es
damit den Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte
folgen wollen, nicht leichter -: Bitte stellen Sie diese
Gespräche ein oder verlegen Sie sie nach draußen, damit
hier die notwendige Aufmerksamkeit gefunden wird.
({0})
Frau Winkelmeier-Becker, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, über die Details der Protokolle des Parlamentarischen Rates können wir gerne noch einmal
sprechen. Meine Dokumentationen sind aus meiner
Sicht vollständig. Wenn Sie noch weitere Erkenntnisse
haben, lade ich Sie gerne auf einen Kaffee ein und Sie
zeigen mir diese.
Zu den anderen Problemen. Ja, es ist problematisch,
dass wir Dinge vermischen. Wer stellt infrage, dass
gleichgeschlechtliche Eltern oder ein Elternteil mit dem
neuen Partner und dessen Kind eine Familie bilden?
({0})
Dass diese Familien alles, was sich rechtlich anknüpft, in
Anspruch nehmen, ist doch selbstverständlich. Das ist
überhaupt nicht in Abrede zu stellen. Bei den Urteilen,
die Sie in Ihrem Gesetzentwurf nennen, geht es um den
familienrechtlichen oder grundgesetzlichen Schutz für
die sozialfamiliäre Gemeinschaft aus eingetragener Lebenspartnerschaft und dem leiblichen oder angenommenen Kind des Lebenspartners. Zugestanden, eine Familie
steht unter diesem besonderen Schutz. Das hat aber alles
nichts zu tun mit der hier anstehenden, sehr spezifischen
Frage der Öffnung der Ehe. Auch das Urteil zur Adoption verwirft die Differenzierung zwischen der Stiefkindadoption und der Sukzessivadoption, hat aber mit
der Öffnung der Ehe insgesamt nichts zu tun.
Mit Verlaub, es ist auch Blödsinn, hier auf das Transsexuellengesetz zu rekurrieren und zu behaupten, dieses
habe das kollektive Bewusstsein geändert. Wie viele
Fälle sind es?
({1})
Sind es zweistellige Fallzahlen? Es ist kein Phänomen,
das das Bewusstsein und das Bild dessen, was Ehe ausmacht, verändern könnte. Abgesehen davon, auch in diesen Konstellationen hat am Anfang eine verschiedengeschlechtliche Ehe vorgelegen, die unter dem Schutz von
Art. 6 GG steht. Es bleibt also dabei, dass wir - wie es
Herr Papier im Übrigen 2002 formuliert hat - an den
„Wesensgehalt“ der Ehe gebunden sind.
Ich komme zu noch einem Irrtum. Eine Annäherung
bei den Rechtsfolgen, die wir jetzt schon in vielen Punkten vollzogen haben - wir schauen uns gerne weitere
Fälle an -, muss nicht dazu führen, dass man schon auf
der Tatbestandsseite die Dinge im Wege der Umdefinition gleichsetzt. Da gibt es andere Möglichkeiten, etwa
die Gleichsetzung der Rechtsfolgen über Einzelnormen,
Fiktionen oder wie auch immer. Es gibt deshalb keinen
Grund, keine Notwendigkeit, den sehr traditionellen Begriff der Ehe zu verändern. Es kann beim Begriff der Ehe
für die Lebensgemeinschaft von Frau und Mann bleiben
und beim Begriff der eingetragenen Lebenspartnerschaft
für die Lebensgemeinschaft eines gleichgeschlechtlichen
Paares bleiben.
Wie gesagt: Ein Teilaspekt des Gesetzentwurfs ist berechtigt. Wir müssen uns die Punkte, bei denen es noch
Handlungsbedarf gibt, ansehen. Wir stellen jedoch fest,
dass es für unseren Ansatz mehr Zustimmung gibt; da ist
es interessant, sich die Umfrageergebnisse anzuschauen,
die Sie sonst immer heranziehen. Ich möchte sogar für
uns in Anspruch nehmen, dass unsere Diskussion in der
Union das Umdenken in der Gesellschaft auch bei den
vielen, die noch mit einem ganz anderen Denken aufgewachsen sind, mit befördert hat, gerade weil bei uns
nachvollziehbar ist, dass wir um gute Lösungen ringen.
Ich denke, das führt in der Gesellschaft zu einer höheren
Akzeptanz.
({2})
Ein weiterer Irrtum. Sie setzen jemanden, der gegen
eine Öffnung der Ehe ist, mit jemandem gleich, der Vorbehalte gegenüber Menschen mit anderer sexueller
Orientierung hat.
({3})
Ich kann für mich ebenso wie für viele andere, die ich
kenne, wirklich glaubwürdig in Anspruch nehmen, dass
diese Gleichsetzung nicht angemessen ist. Im Übrigen:
Ob eine Lebenspartnerschaft gelingt, hängt doch nicht
vom Begriff ab, den man dafür verwendet.
({4})
Wie es bei Ehen ist, so ist es auch bei Lebenspartnerschaften: Es gibt welche, die gelingen, und welche, die
eben nicht gut gelingen.
({5})
- Sie sollten nicht immer eine „Diskriminierung“ hineininterpretieren, wenn es sie nicht gibt, wenn sie nicht
empfunden wird, wenn es nicht als solche gemeint ist.
({6})
Ich glaube, dass Sie damit dem eigenen Anliegen keinen
sinnvollen Dienst erweisen.
({7})
Wir gehen auf dem Weg weiter, den Rot-Grün eingeschlagen hat: Gleichstellung in den Rechtsfolgen dort,
wo es richtig ist. Es wird einigen Handlungsbedarf geben. Für diesen Gesetzentwurf heißt das allerdings, dass
er voraussichtlich abgelehnt wird.
Ich möchte mit guten Weihnachtswünschen schließen, an alle Formen von Familien, an alle Menschen, die
zusammenleben oder alleine sind, schlichtweg an alle,
die uns zuhören, an alle Menschen in Deutschland.
Danke schön.
({8})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Edgar Franke,
SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Haus
schon mehrmals mit der Öffnung der Ehe beschäftigt.
Wir haben engagiert diskutiert, auch heute wieder - Herr
Beck und vor allen Dingen Herr Kahrs haben wieder losgelegt. Die beiden haben daran erinnert, dass es einen
gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen gab; es war
ein guter Antrag. Uns liegt heute die dritte Auflage dieses Antrags vor, eingebracht von den Linken.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, Herr Petzold, man kann nicht einfach einen
Antrag wörtlich abschreiben und ihn als Gesetzentwurf
ein Dreivierteljahr später wieder einbringen; denn es ist
einiges passiert.
({0})
Es gab ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Urteil ist umgesetzt worden. Lieber Herr
Petzold, wenn Sie schon einen Antrag von uns abschreiben, dann müssen Sie ihn wenigstens aktualisieren. Das
wäre, glaube ich, nicht schlecht gewesen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Jahren gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften in allen Konstellationen mit klassischen Ehen von Mann und Frau
gleichgestellt: bei der Adoption, bei der Hinterbliebenenversorgung, bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer,
beim Familienzuschlag, bei der Grunderwerbsteuer und
sogar beim Ehegattensplitting. Hier hat sich also nicht
nur gesellschaftlich etwas getan, auch juristisch ist viel
verändert worden; das wird zu einer Gleichstellung führen.
Der Kollege Petzold macht heute von seinem Recht,
Zwischenfragen zu stellen, reichlich Gebrauch. Herr
Kollege Franke, lassen Sie die Zwischenfrage zu?
Ja.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr
Kollege Franke. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass wir durch die Einbringung dieses Gesetzentwurfs in
unveränderter Form Ihre Vorlage würdigen und Ihnen
dadurch vor allen Dingen die Möglichkeit bieten, zuzustimmen? Wir wollten Ihnen keinen Anlass geben, mit
uns hier über Kommas zu feilschen und Ihre Zustimmung wegen kleiner Änderungen an Ihrem guten Entwurf zu verweigern. Wir wollten Ihnen keinerlei Angriffsfläche bieten, sondern Ihnen die Möglichkeit
geben, uneingeschränkt zuzustimmen. Würden Sie mir
diesbezüglich zustimmen?
Herr Petzold, ich würde Ihnen immer Folgendes entgegnen: Wenn man Anträge schreibt, muss man aktuelle
Anträge schreiben und vor allen Dingen eigene.
({0})
Ich war bei der Bemerkung, dass sich gesellschaftlich
viel verändert hat. Gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern stehen inzwischen ganz selbstverständlich unter
dem Schutz von Art. 6 des Grundgesetzes. Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt: Familie ist da, wo Kinder
sind.
({1})
Ich bin Vater von zwei Töchtern. Für mich ist Familie
- gleich ob es sich um ein gleichgeschlechtliches Paar
oder ein Paar aus Mann und Frau handelt -, wenn man
sich um Kinder kümmert. Ich glaube, das hat absolute
Priorität.
Im Übrigen steht auch die kinderlose Ehe unter dem
Schutz von Art. 6 des Grundgesetzes. Wenn die kinderlose Ehe unter dem Schutz von Art. 6 des Grundgesetzes
steht, dann müssen auch gleichgeschlechtliche Paare unter den Schutz von Art. 6 gestellt werden.
({2})
Mein hochgeschätzter Kollege Johannes Kahrs hat recht,
wenn er sagt: Jemand, der die gleichen Pflichten übernimmt, muss auch die gleichen Rechte bekommen. Das
nennt man Gleichbehandlung, und daher gilt der Schutz
durch Art. 3 Grundgesetz.
({3})
Gesellschaftlicher Fortschritt und die Gleichbehandlung im Familienrecht mussten immer erst vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten werden. Es darf aber
nicht sein, dass die Politik dem gesellschaftlichen Wandel hinterherhinkt und man das Gericht bemühen muss,
damit die gesellschaftliche Realität, wenn Sie so wollen,
abgebildet wird. Unser Koalitionsvertrag - auch den hat
Johannes Kahrs schon zitiert - enthält unser Anliegen,
zusammengefasst in drei Punkten:
Erstens. Wir wollen Familien stärken, auch Regenbogenfamilien. Es ist ganz egal, wie die Menschen zusammenleben.
({4})
Zweitens. Wir wollen Menschen, die dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, unabhängig von ihrer sexuellen Identität unterstützen.
Drittens. Wir wollen rechtliche Regelungen, die
gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechterstellen, beseitigen. Ich glaube, das ist ein wichtiger
Punkt, mit dem auch Sie, Herr Petzold, etwas anfangen
können.
({5})
Es stellt sich nur die Frage nach dem Wie. Ich glaube,
es versteht sich von selbst, dass man einer Koalition Zeit
geben muss, um politische Prioritäten zu setzen und den
Koalitionsvertrag umzusetzen. Ich bin mir sicher, dass
der gesellschaftliche Wandel hinsichtlich des traditionellen Verständnisses von Ehe und Familie vor den Toren
der geschätzten Union nicht Halt macht.
({6})
Wer die Debatten in der Union verfolgt hat - auch das
hat Herr Kahrs schon angedeutet -, weiß, dass sich in der
Union politisch einiges bewegt, dass über viele Themen,
über die vor 10 oder 15 Jahren nicht diskutiert werden
konnte, inzwischen zumindest diskutiert wird. Ich bin
mir sicher, dass im Bereich des Familienrechts in dieser
Koalition das eine oder andere bewegt werden kann.
Wir haben aber noch einen ordentlichen Weg bis zur
vollständigen rechtlichen und vor allen Dingen gesellschaftlichen Gleichstellung vor uns. Es ist wichtig, dass
die komplette Gesellschaft die ausstehenden Schritte in
die richtige Richtung geht; denn nur wer das Ziel kennt,
findet letztlich auch den Weg.
Ich danke Ihnen.
({7})
Hiermit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Wahl der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom 17. Dezember dieses Jahres Frau Andrea Voßhoff für die Wahl
vorgeschlagen.
({0})
Für die Wahl ist die Mehrheit der Stimmen der Mitglie-
der des Bundestages erforderlich, das heißt mindestens
316 Stimmen.
Sie benötigen eine Stimmkarte sowie den grünen
Wahlausweis aus Ihrem Stimmkartenfach. Meine Bitte
an alle Kolleginnen und Kollegen ist, dass Sie kontrol-
lieren, ob der Wahlausweis auch Ihren Namen trägt. Die
Stimmkarten selbst erhalten Sie jetzt hier im Saal. Die
Wahl ist nicht geheim. Sie können deshalb die Stimm-
karte an Ihren Plätzen ankreuzen und müssen keine Ka-
bine aufsuchen. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem
Kreuz bei entweder „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“.
Noch eine Bitte: Bevor Sie die Stimmkarte in eine Wahl-
urne werfen, übergeben Sie Ihren Wahlausweis den
Schriftführern. Die Abgabe des Wahlausweises gilt als
Nachweis der Teilnahme an der Wahl.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Wahlurnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne den
Wahlgang.
Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarten abgege-
ben? - Dann schließe ich hiermit die Wahl und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Wahlergebnis wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Beratungen fort.
({1})
- Ich bitte um Aufmerksamkeit. Diejenigen, die noch
weitere wichtige individuelle Beratungen durchzuführen
haben, bitte ich, diese Beratungen außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Diana
Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes
- Drucksache 18/5 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
1) Ergebnis Seite 315 A
Vizepräsident Johannes Singhammer
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die
Kollegin Diana Golze, Die Linke. Hiermit erteile ich Ihnen das Wort.
({3})
- Darf ich noch einmal darum bitten, die Gespräche einzustellen oder draußen fortzusetzen? - Frau Kollegin
Golze, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es wäre schön, wenn wir - ({0})
- Oh, das habe ich auch noch nicht erlebt; eine Premiere. - Man könnte, passend zur Jahreszeit, sagen: Alle
Jahre wieder geht es um das Thema Betreuungsgeld.
Aber es ist ja doch einiges anders. Es gibt eine andere
Regierungskoalition, und es gibt eine andere Ministerin,
die ich auf der Regierungsbank leider vermisse. Aber
Caren Marks ist da, also eine Kollegin, die sich mit diesem Thema auskennt.
Auch wenn die Ministerin selber nicht dazu Stellung
nehmen kann, will ich für alle Anwesenden ein Zitat aus
einer Pressemitteilung vom 10. September dieses Jahres
anführen, in der sie erklärt hat:
Das Betreuungsgeld ist grundsätzlich falsch und
richtet in seiner fehlerhaften Ausgestaltung viel
Schaden an.
({1})
Diese Auffassung teile ich uneingeschränkt. Ich kann
mir vorstellen, dass es für eine frischgebackene Bundesministerin ein schöneres Thema für ihre erste Debatte
gegeben hätte. Vielleicht hat das zu ihrer Entscheidung
beigetragen, dass sie heute nicht hier sein kann.
Frau Schwesig hat während der Koalitionsverhandlungen gesagt, sie sei nicht zum Kuscheln da. Dabei
hätte ich sie gerne beim Wort genommen. Ich möchte ihr
nicht absprechen, dass in der Arbeitsgruppe Familie in
den Koalitionsverhandlungen hart verhandelt worden ist;
aber auch die Opposition, auch wir sind nicht zum Kuscheln da. Deshalb frage ich mich schon: Womit hat sich
die Ministerin, womit hat sich die SPD die Abkehr von
ihrer strikten Ablehnung des Betreuungsgeldes abpressen lassen?
({2})
Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare
- dieses Thema hatten wir gerade - kann es anscheinend
nicht sein; denn das wird von der Koalition abgelehnt.
War es die sogenannte Mütterrente, also die Besserstellung von Frauen, die vor 1992 ein Kind bekommen haben? Auch die wird es nur halb geben: Es wird nur
1 Rentenpunkt geben. Die Mütterrente hatte die CDU/
CSU-Fraktion ihrer Frauenunion bereits in der letzten
Legislatur versprochen. Das kann es also auch nicht gewesen sein. War es die Angleichung der Bezahlung von
Frauen und Männern? Auch da finden sich im Koalitionsvertrag nur sehr schwammige Formulierungen. Das
kann es also auch nicht gewesen sein. Oder hat der - sicher
hart erkämpfte - Prüfauftrag im Koalitionsvertrag, ob
man als Bund vielleicht doch ein bisschen mehr Geld für
den Kitaausbau zur Verfügung stellt, etwas damit zu tun,
dass die SPD diese Kehrtwende vollzogen hat? Ich kann
es mir nicht vorstellen. Ich weiß, wie dick die Bretter
sind, die man in Verhandlungen mit der Union zu bohren
hat, wenn es darum geht, mehr Geld für den Kitaausbau
zu bekommen. Aber ein bloßer Prüfauftrag als Gegenleistung für den Verzicht auf eine Abschaffung des Betreuungsgeldes? Na, ich weiß nicht.
Nicht nur meine Fraktion, auch die Grünen und eben
auch die SPD haben in diesem Saal mehrfach betont,
dass, um wirkliche Wahlfreiheit herzustellen, die Milliarden, die in das Betreuungsgeld fließen, in den Kitaausbau fließen müssten. Nun fließen sie weiter als Betreuungsgeld. In dieser Hinsicht steht im Koalitionsvertrag nichts
von prüfen, es wird nicht einmal erwähnt. Dabei war es
doch die SPD, die sogar ein Rechtsgutachten vorgelegt
hat, in dem die Verfassungsmäßigkeit des Betreuungsgeldgesetzes infrage gestellt wurde. Nun wird das Betreuungsgeld kommentarlos beibehalten. Nein, Frau
Schwesig, nein, liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD, bei allem Wissen um die Härte von Koalitionsverhandlungen und bei größtem Verständnis dafür, dass so
unterschiedliche Partner Kompromisse eingehen müssen: Das Verhandlungsergebnis in Sachen Betreuungsgeld ist kein Kompromiss, sondern eine Kapitulationserklärung.
({3})
Die Tatsache, dass das Betreuungsgeld trotz klarer Positionierung des Bundesrates - an welcher sicherlich auch
Frau Schwesig mitgewirkt haben dürfte - kommentarlos
erhalten bleibt, ist nicht erklärbar.
Wir wissen: Dieses Betreuungsgeld ist gleichstellungspolitisch ein Katastrophenprogramm. Alle Erfahrungen in den Ländern, in denen es so etwas gegeben hat
- und wo es in der Zwischenzeit übrigens wieder abgeschafft wurde -, zeigen: Ein Betreuungsgeld verhindert
in erster Linie die Erwerbstätigkeit von Frauen. Das ist
ein billiger Ersatz für hochwertige frühkindliche Bildung. Darum bleibt meine Fraktion, darum bleibe ich dabei: Nur dort, wo es ein ausreichendes Angebot an Kindertagesbetreuungsplätzen gibt, kann man von wirklicher
Wahlfreiheit reden.
({4})
Dort, wo die Eltern aufgrund fehlender Kitaplätze
keine echte Wahlfreiheit haben, wird das Betreuungsgeld
zum Notanker. Das zeigen die Zahlen: In den Bundesländern, in denen es eine gute Infrastruktur für Kindertagesbetreuung gibt, wird das Betreuungsgeld kaum
nachgefragt. Ein Beispiel dafür ist Brandenburg:
624 Anträgen auf Betreuungsgeld stehen 30 960 Kinder
unter drei Jahren, die in öffentlichen Einrichtungen betreut werden, gegenüber. Das heißt, dort, wo Betreuungsplätze vorhanden sind, wird das Betreuungsgeld
nicht nachgefragt. Im Umkehrschluss heißt das: Wir
müssen Betreuungsplätze schaffen, bevor wir uns überlegen, ob wir uns ein Taschengeld leisten können.
({5})
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich darf daran erinnern: In den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und
Linken gab es bei diesem Thema eine große Übereinstimmung. Nach der Wahl des neuen Bundestages wäre
Zeit gewesen, um diese Mehrheit hier im Parlament dazu
zu nutzen, um diesen Gesetzentwurf zu beschließen. Wir
haben ihn frühzeitig eingebracht. Es waren die jetzigen
Koalitionäre, die Sitzungswochen auf einzelne Sondersitzungstage eingedampft haben, die keine wirkliche Befassung des Parlamentes mit diesen Vorlagen erlaubt haben. Deshalb kann dieser Gesetzentwurf erst jetzt
behandelt werden.
Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen, die dieses
Betreuungsgeld immer abgelehnt haben, auf, das zu tun,
was sie vor der Wahl versprochen haben: Schaffen Sie es
ab!
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin in dieser 38 Minuten dauernden
Aussprache ist die Kollegin Dorothee Bär.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich spreche als MdB und nicht als Parlamentarische Staatssekretärin, da ich zum Thema Betreuungsgeld quasi eine Abschiedsrede halten möchte.
Frau Kollegin Golze, Sie haben vorhin in Ihrer Rede
gesagt - das haben Sie Gott sei Dank nicht gesungen -:
Alle Jahre wieder. - Ich hoffe nicht, dass sich das durchsetzt, sondern dass Sie endlich akzeptieren, dass wir an
dieser Stelle einen Schlusspunkt setzen. Im Übrigen ist
unsere Familienpolitik nie gekennzeichnet gewesen von
„Alle Jahre wieder“, sondern von „Ihr Kinderlein kommet“.
({0})
Ich spreche auch deswegen in meiner ehemaligen
Funktion, weil ich meine Rede einem Kollegen widmen
möchte, der mich sehr unterstützt hat und der nicht mehr
im Bundestag ist, nämlich meinem Kollegen Norbert
Geis. Lieber Norbert, wenn du heute zuschaust: Diese
Rede ist auch für dich.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an sich ist es ja in
der Politik ehrenhaft, wenn man ein Ziel konsequent verfolgt und alles dafür tut, um dies zu erreichen. Frau Kollegin Golze, irgendwann muss man aber erkennen, dass
es nichts bringt, wenn man immer nur gegen die Betonwand rennt. Angesichts dessen, dass Sie hier auf absolut
aussichtlosem Posten sind,
({2})
verstehe ich nicht, warum Sie diese nervende Schaufensterpolitik machen. Das ist der eigentliche Punkt: Sie machen das nicht, weil Sie glauben, dass Sie Erfolg haben,
sondern machen hier eine nervige Schaufensterpolitik;
({3})
das Wort, das ich eigentlich sagen möchte, darf ich nicht
sagen, sonst rüffelt mich mein eigener Präsident.
({4})
Wir haben uns über dieses Thema schon unzählige
Male gestritten. Das Ganze geht seit über sieben Jahren.
Und das Schöne ist doch: In den letzten Tagen und Wochen sind viele Kolleginnen und Kollegen - ich weiß gar
nicht mehr, wie viele - auf mich zugekommen und haben gesagt: Ja, ich war auch irgendwann einmal dagegen, ich war auch skeptisch. Ich habe im Wahlkampf
aber gemerkt, was das für ein Bringerthema ist. - Das
waren Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fraktionen. Ich oute aber niemanden. Es ist schon spannend,
wie sich, wenn etwas umgesetzt ist, Meinungen verschieben.
Zahlen sind immer der beste Beweis. Viele Mütter
und Väter, viele Familien rufen dieses Betreuungsgeld
ab. Es gehen viele Dankesbriefe ein. Ich habe es noch
nie erlebt, dass zu einem Thema mehr Dankesschreiben
als Kritikschreiben kommen. Das ist unglaublich. Sie
werden nicht unterstellen können, dass Briefe gefiltert
werden. In den Regalen stehen meterlang Aktenordner
mit Briefen von Eltern - ich kann sie Ihnen zeigen -, in
denen sie schreiben: Danke, dass ihr anerkennt, dass wir
hier eine Leistung erbringen.
({5})
- Gerade die Erzieherinnen und Erzieher sind diejenigen, die sich dafür bedanken, dass es eine Alternative
gibt. In jedem Kindergarten, in jeder Kindertagesstätte,
die ich besucht habe, waren die Erzieherinnen und Erzieher die Ersten, die gesagt haben: Ja, unser Job ist wichtig, wir machen ihn mit Leidenschaft. - Sie sagen auch:
Danke, dass ihr trotzdem Alternativen bietet, weil wir als
Erzieherinnen und Erzieher so wie die Mütter und Väter
wissen, dass nicht alle Kinder gleich sind. Wir sind dagegen, dass es eine Gleichmacherpolitik gibt.
({6})
Selbst in einer Familie sind nicht alle Kinder gleich, jedes hat unterschiedliche Talente. Was für ein Kind mit
anderthalb oder zwei Jahren in einer Familie gut ist,
muss für ein anderes, dreijähriges Kind noch lange nicht
gut sein.
({7})
Deswegen sagen wir: Da es Unterschiede gibt, wollen
wir die Wahlfreiheit. Ich bin so dankbar, dass wir das
durchgesetzt haben.
({8})
Zu Ihrem Antrag. Sie haben selber gesagt: Alle Jahre
wieder. - Das haben wir heute schon öfter gehabt. Sie
haben keine neuen Ideen. Sie nehmen immer wieder die
alten Entwürfe und schreiben nur neue Drucksachennummern drauf. Das ist eine Art von Arbeitsverweigerung; das muss man an dieser Stelle einmal festhalten.
({9})
Das Einzige, was Sie hier wollen, ist: Sie versuchen,
einen Keil durch die neue Koalition zu treiben. Das wird
Ihnen natürlich nicht gelingen, weil Koalitionen immer
dann am erfolgreichsten sind, wenn sie nicht mit einer
rosaroten Brille, sondern mit einer ehrlichen Einschätzung angegangen werden, und ich glaube, dass wir alle
ins Gelingen verliebt sind. Deswegen sehe ich - da bin
ich positiv -, dass das eine Koalition der Vernunft ist, die
sich in den nächsten vier Jahren hier durchsetzen wird.
Ich bin der SPD dankbar dafür, dass wir in vielen
Punkten Kompromisse erreichen konnten. Ich weiß natürlich, dass sich die beiden neuen Staatssekretärinnen
im Familienministerium die Durchsetzung des Betreuungsgeldes nicht eingerahmt und über das Bett gehängt
haben - ich denke, hier können wir ehrlich miteinander
sein -, aber man sagt zumindest: Wir wollen einen Kompromiss eingehen; wir wollen gemeinsam regieren. Das finde ich sehr gut, und ich freue mich schon extrem
auf die Rede der Kollegin Ziegler nachher.
({10})
Das wird mir ein Fest sein.
({11})
Kompromisse sind das eine, aber ich möchte wirklich
auch noch einmal über die Eltern und über die Kinder
sprechen, für die das Geld angenommen wird:
Das zuständige Bundesfamilienministerium hat mitgeteilt, dass bundesweit mittlerweile mindestens - mindestens! - 95 000 Anträge auf Betreuungsgeld eingereicht wurden. Warum „mindestens 95 000“? Es sind
mindestens 95 000, weil bisher nur aus elf Bundesländern Zahlen vorliegen - von den anderen Ländern gibt es
noch keine Angaben - und diese teilweise auf dem Stand
von Oktober sind. Es kann also davon ausgegangen werden, dass es in Deutschland mittlerweile über 100 000
bewilligte Anträge auf Betreuungsgeld gibt; einige Zeitungen haben das ja auch geschrieben.
({12})
Man muss hier einmal ganz ernsthaft fragen: Wollen
Sie allen 100 000 Familien, die sich auf diese Leistung
gefreut haben und sie jetzt bekommen - sie freuen sich
über diese Anerkennung -, allen Ernstes sagen, dass sie
ein falsches, veraltetes Modell leben und altmodisch
sind? Wollen Sie die Familien diffamieren, die sich für
einen anderen Lebensweg entscheiden und für die auch
klar ist, dass Bildung nicht nur in Institutionen stattfindet, sondern dass die allererste Bildung selbstverständlich im Elternhaus erfolgt?
({13})
Es gibt ein altes gälisches Sprichwort, das übersetzt
lautet, dass die erste Bildung sowohl im Schoß als auch
auf dem Schoß der Mutter stattfindet. Das akzeptieren
wir nicht nur, sondern das wollen wir eben auch unterstützen.
({14})
Ich habe ja schon von Ihrem recycelten Gesetzentwurf gesprochen. Wie ernst es Ihnen damit tatsächlich
ist, sieht man natürlich auch daran, wie nachlässig er formuliert ist. Sie schreiben nämlich in dem auf den
23. Oktober 2013 datierten Antrag, Sie wollen die Einführung des Betreuungsgeldes verhindern. Leider zu
spät! Das Betreuungsgeld ist eingeführt, das Betreuungsgeld wird ausgezahlt, und mit dem Betreuungsgeld wird
viel Gutes getan. Wenn Sie also schon alte Texte aus der
Schublade ziehen, dann müssen Sie sich wenigstens die
Mühe machen, den Inhalt auf den aktuellen Stand zu
bringen. Das ist heute wesentlich leichter, als das früher
mit Schreibmaschinen der Fall war; heutzutage gibt es
nämlich Computer.
({15})
Sie behaupten, dass es für Familien keine echte Wahlfreiheit gibt. Auch das ist nicht richtig. Laut Angaben
des Deutschen Städte- und Gemeindebundes - das wissen wir alle - hat es seit dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs, als Sie alle möglichen Untergangsszenarien an
die Wand gemalt haben, bundesweit circa 50 Klagen von
Personen gegeben, die keinen ihnen genehmen Platz gefunden haben. Aber von den Kommunalpolitikern, den
Bürgermeistern und den Oberbürgermeistern vor Ort
wurden sehr unbürokratisch sehr gute Lösungen im Einvernehmen mit den Eltern erreicht. 50 Klagen sind 50 zu
viel, aber das ist zumindest nicht die Katastrophe, von
der Sie ausgegangen sind.
Eines möchte ich noch einmal zu den Bewilligungen
und zu den Zahlen sagen: Ich finde es schon spannend,
dass dort viele Anträge gestellt werden, wo die Bundesländer es den Eltern leicht machen. Deswegen möchte
ich mich an dieser Stelle - das muss gestattet sein - auch
einmal ganz herzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Bayreuth und Würzburg bedanken, die diese
Anträge für ganz Bayern bearbeiten. Sie sagen, dass es
spannend ist: Bei ihrer Hotline rufen hauptsächlich Eltern aus Bundesländern an, die sich weigern, diese Hilfe
unbürokratisch zur Verfügung zu stellen. Also, man kann
schon sehr viel tun. Man kann nämlich für Familien viel
verhindern, man kann auch viel für Familien tun. Man
kann das Ganze vor allem unbürokratisch ausgestalten.
Lustig fand ich in diesem Zusammenhang, wenn Zeitungen geschrieben haben, dass wir es den Eltern zu einfach machen würden, weil es sich nur um ein Formular
mit zwei Seiten handelt, das man ausfüllen und unterschreiben muss. Das müsste schon ein bisschen komplizierter sein. So einfach dürfe es nicht sein, an staatliches
Geld zu kommen. - Ich sage: Doch, so einfach muss es
sein.
Mir hat vorhin, in der letzten Debatte, der Satz von
Thomas Silberhorn gefallen, der gesagt hat, dass Ehe
und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und auch unter dem von CDU und
CSU. Ich freue mich jetzt, dass wir in diesem Fall auch
die SPD mit an Bord haben.
Schöne Weihnachten! - falls wir uns nicht mehr sehen.
({16})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dorothee Bär.
Bevor wir zur nächsten Rednerin kommen, darf ich
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-
telte Ergebnis der Wahl der Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit be-
kannt geben: abgegebene Stimmen 587, ungültige Stim-
men 2. Mit Ja haben gestimmt 403, mit Nein haben ge-
stimmt 151, Enthaltungen 31.1) Frau Andrea Voßhoff hat
damit die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zur
Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit gewählt.
({0})
Sie ist hier anwesend. Ich beglückwünsche Frau Voßhoff
zu diesem neuen, herausragenden Amt und wünsche viel
Erfolg und Gottes Segen.
Ich darf jetzt als nächste Rednerin Frau Dr. Franziska
Brantner bitten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Was wollte die SPD im Wahlkampf
nicht alles mit den Mitteln aus der Abschaffung des Betreuungsgeldes finanzieren! 200 000 neue Kitaplätze bis
2017, Verbesserung der frühkindlichen Bildung. Ich
glaube, in diesem Zusammenhang war sogar in der Debatte, die Kitagebühren abzuschaffen. All diese Pläne
sind geschmolzen wie Schnee in der Sonne. Was übrig
bleibt, ist ein kleines, graues, hässliches Häufchen: das
teure und kontraproduktive Betreuungsgeld.
({0})
Es wird nicht abgeschafft, und das Wort „Betreuungs-
geld“ kommt im Koalitionsvertrag nicht einmal vor. Das
ist für die SPD wahrscheinlich auch besser so.
1) Anlage 2
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe großen
Respekt vor der Leistung von Müttern und Vätern bei
der Erziehung, Unterstützung und Betreuung ihrer Kinder. Sie übernehmen eine herausfordernde, meistens
schöne, manchmal anstrengende, aber immer überaus
wichtige Aufgabe. Die Entscheidung darüber, ob und
von wem ich ein Kind in welchem Umfang betreuen lassen möchte, ist eine grundsätzlich private Entscheidung.
Diese Entscheidung respektieren wir absolut.
({1})
Ich habe mich deswegen wirklich bemüht, gute und
sachliche Gründe für das Betreuungsgeld zu finden. Ich
habe aber keine finden können. Das Argument der CSU
und von Teilen der CDU war und ist, wie wir heute wieder gehört haben, die Wahlfreiheit, die Wahl zwischen
arbeiten zu gehen und währenddessen sein Kind betreuen zu lassen oder nicht zu arbeiten und sein Kind selber zu betreuen. Mit dem Betreuungsgeld müsste Wahlfreiheit also bedeuten, dass ich mir diese Wahl leisten
kann.
({2})
Wahlfreiheit würde also bedeuten, dass man von
150 Euro im Monat leben kann. Das wäre vielleicht in
Nepal oder Mali zutreffend - ich weiß es nicht -, aber
auf keinen Fall in Deutschland. Es ist eben keine Wahlfreiheit, sondern teure Rechthaberei von Herrn Seehofer.
({3})
Wenn man sich die Regierung und den Koalitionsvertrag so anschaut, dann kann man sich wirklich zu Recht
fragen, wofür es diese CSU noch gibt, außer um teure
Schnapsideen und ein gutes „Bringerthema“, wie Frau
Bär sagte, von Herrn Seehofer durchzudrücken ({4})
gegen jeden Sachverstand und gegen jede Vernunft!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD und
vor allen Dingen Frau Schwesig, Sie müssen an dieser
Kröte ja fast ersticken. Es wird auch nicht besser, wenn
man sich das gesamte Bild anschaut. Union und SPD
hatten große familienpolitische Erwartungen geweckt.
Die Union wollte die Familienförderung stärken, Kindergeld und Kinderfreibeträge sollten erheblich erhöht
werden. Sie von der SPD wollten die Kinderarmut wirksam bekämpfen, von einem Kindergeldzuschlag war seitens der SPD die Rede, auch die Angebote zur Kinderbetreuung sollten verbessert werden. Das Ergebnis ist für
die wirkliche Mehrheit der Familien enttäuschend:
({5})
null Einsatz gegen Kinderarmut, eine völlig unengagierte Förderung guter Kindertagesbetreuung und keine
Verbesserung der Familienförderung. Dafür aber bleibt
das teure und kontraproduktive Betreuungsgeld.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, arme Kinder werden zurückgelassen: Rund 2,5 Millionen Kinder leben in
Deutschland in Armut. Diese Kinder und ihre Familien
kommen im Koalitionsvertrag nicht vor. Im Koalitionsvertrag gibt es so viele Details; Fahrradhelme und alles
Mögliche werden erwähnt. Das Wort „Kinderarmut“
kann man suchen; man findet es aber nicht.
({6})
Das ist ein Koalitionsvertrag auch der SPD, in dem Kinderarmut nicht einmal vorkommt. Dabei ist das eine der
großen Hauptaufgaben, die wir vor uns haben.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Erhöhung des Kinderregelsatzes, keine Verbesserung des
Kinderzuschlags, keine Verbesserung des Bildungs- und
Teilhabepaketes und keine wirksame Unterstützung für
armutsgefährdete Alleinerziehende und ihre Kinder. Gut
ist - das möchte ich auch erwähnen -, dass endlich die
Lebenswirklichkeit von Familien zumindest teilweise
Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden hat, und zwar
im Bereich der Zeitpolitik. Der Vorstoß von Ministerin
Nahles zu familienfreundlichen Arbeitszeiten ist sehr zu
begrüßen. Es ist dringend notwendig, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt vom alleinverdienenden Mann mit
zwei Kindern, die zu Hause gut betreut werden, verabschiedet und sich auch der Lebensrealität von Müttern
und Vätern, die arbeiten, anpasst.
({8})
In anderen Ländern in Europa ist das übrigens längst der
Fall. Von daher: Viel Glück für Frau Nahles. Wir werden
sie dabei auf jeden Fall unterstützen.
Frau Schwesig, falls Sie doch noch die Kröte aus dem
Hals holen und das Betreuungsgeld abschaffen wollen:
Wir unterstützen Sie gerne.
Vielen Dank.
({9})
Frau Kollegin Dr. Brantner, das war Ihre erste Rede
hier im Hohen Hause. Es ist guter Brauch, Ihnen dazu zu
gratulieren und Glück zu wünschen. Alles Gute!
({0})
Es spricht jetzt als nächste Rednerin die Kollegin
Dagmar Ziegler, SPD.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegen insbesondere von der
Linksfraktion, die größte Oppositionsfraktion hat den
Anspruch, in der Oppositionsarbeit besonders kreativ zu
sein.
({0})
Das können wir zu Beginn dieser Legislaturperiode,
eben weil es wahr sein sollte, leider nicht feststellen.
Denn wenn Sie regelmäßig alte Anträge, die Sie irgendwann eingebracht bzw. die wir unterstützt haben, hervorholen und uns damit inhaltlich stellen wollen - wo wir
alle wissen, in welcher Konstellation die Bundesregierung aufgestellt ist -, sage ich: Wir alle wissen doch
ganz genau, wie die Reaktion unserer Fraktion ausfallen
wird.
({1})
Um zum Thema zu sprechen: Unsere Haltung ist natürlich genau die gleiche wie vor den Wahlen und auch
wie 2011 und 2012. Wir halten das Betreuungsgeld aus
bildungspolitischer Sicht für falsch. Wir halten es auch
mit Blick auf die Integration nicht für richtig. Das alles
ist SPD-Sicht und wird auch die nächsten vier Jahre
SPD-Sicht bleiben.
({2})
An unserer Einschätzung hat sich also überhaupt
nichts geändert. Liebe Dorothee Bär, das muss ich leider
sagen. Es wird in den nächsten vier Jahren ebenfalls einige Male so sein, dass sich die Haltung der CDU/CSU
zu einem bestimmten Thema nicht verändert hat und
konträr zu unserer steht. Wir sind Vertragspartner. Wir
haben ein Bündnis auf Zeit mit der Union, und wir halten uns an die Spielregeln, die vereinbart worden sind.
({3})
Wir haben natürlich darum gerungen, das Betreuungsgeld abzuschaffen, keine Frage; Dorothee Bär hat es
schon gesagt. Die CDU/CSU hat sich nicht darauf eingelassen. Für sie war es eine der größten Errungenschaften
in der 17. Wahlperiode. Das haben wir zu akzeptieren.
Wir haben in anderen Bereichen - auch das hat
Dorothee Bär dargelegt - einiges aus unserer Sicht Positive erreichen können. Wir haben beispielsweise die verbindliche Quote zur Besetzung von Aufsichtsräten ab
2016 vereinbart. Wir konnten ein Maßnahmenbündel zur
Herstellung von Entgeltgleichheit vereinbaren, womit
stückweise die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern erreicht werden soll, und wir haben schließlich vereinbart, dass 6 Milliarden Euro in den weiteren Ausbau
von Kitas, Ganztagsschulen und Universitäten zu investieren sind. Das ist kein Prüfauftrag - um das noch einmal richtigzustellen -, vielmehr ist im Vertrag ausdrücklich beim Mehrbedarf die Ausfinanzierung zugesichert.
({4})
Wir werden deshalb, wie es sich für Vertragspartner
gehört, vertragstreu handeln. Das würden Sie von der
Linksfraktion irgendwann im Fall einer Regierungsbeteiligung hoffentlich nicht anders machen. Darüber sollten Sie die nächsten vier Jahre nachdenken.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Marcus Weinberg,
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
ist tatsächlich so, wie es Dorothee Bär schon skizziert
hat: Es ist gewissermaßen ein Déjà-vu. Das alles haben
wir schon gehabt. Man könnte die alten Reden herausholen und ein bisschen modifizieren. Trotzdem habe ich
mich, Frau Golze, über den Gesetzentwurf Ihrer Fraktion
geärgert. Schließlich ist es nicht einige Monate, sondern
einige Ereignisse später. Deswegen ist es schon ärgerlich, dass wir die Diskussion der Vergangenheit aufnehmen müssen, die eigentlich vom Tisch sein sollte. Die
Menschen und insbesondere die Familien in Deutschland wollen diesen Kulturkampf nicht mehr. Sie haben
sich entschieden, und zwar im Übrigen bei der Bundestagswahl, die ein klares Ergebnis gebracht hat.
({0})
Frau Kollegin Dörner, gerade die Parteien, die bei der
Bundestagswahl mit einem sehr ideologiegeprägten Familienbild angetreten sind, sollten darüber nachdenken,
ob möglicherweise das Ergebnis der Bundestagswahl
eine Reaktion auf ihr Familienbild ist. Ich glaube schon,
dass dem so ist.
({1})
Was die Familien in Deutschland von der Politik wollen, ist, dass im Bereich der Familienpolitik sinnvolle
Rahmenbedingungen geschaffen und Alternativen entwickelt werden. Was sie aber nicht wollen, Frau Golze,
ist Ihr Ansatz. Sie stellen die Bedingungen so, dass es
nur eine Möglichkeit gibt. Das Ergebnis der Bundestagswahl und die neuesten Zahlen der Anträge auf Betreuungsgeld zeigen im Wesentlichen zweierlei. Das Erste
ist, dass die Familien - Verzeihung, Frau Ziegler - nicht
auf Ihre Argumentation im Wahlkampf hereingefallen
sind, dass sie sich davon losgelöst haben und nicht das
Zerrbild, das Sie noch im Wahlkampf gemalt haben,
übernommen haben. Das Zweite ist, dass Ihre Position
zu der Frage „Kita oder Betreuungsgeld?“ abgelehnt
wurde. Das lässt sich auch anhand der Zahlen belegen.
Über 100 000 junge Familien haben das Betreuungsgeld
beantragt. Zwei Drittel der jungen Familien befürworten
das Betreuungsgeld als familienpolitische Leistung.
71 Prozent der Eltern sagen, dass sie für sich entschieden
haben, dass ihre Kinder für eine externe Betreuung noch
zu jung sind.
Noch einmal - Frau Bär hat es bereits deutlich gemacht -: Wir reden hier nicht über vorschulische Bildung und stellen auch nicht die Bildungsimplikationen
von Kita und Krippe insgesamt infrage. Aber wir reden
hier über Klein- und Kleinstkinder. Da ist es schon auffällig, dass sehr viele Eltern für sich entschieden haben
- es sind weit über 50 Prozent -, dass ihre Kinder zu
klein sind, um sie schon so früh in eine Betreuung zu geben.
({2})
Das heißt aber nicht - das ist der Grundansatz unseres
Systems -, dass wir keine entsprechenden Angebote
schaffen. Frau Dörner, es besteht ein Rechtsanspruch auf
einen Krippenplatz. Das heißt, keine Familie wird ausgeschlossen. Ich erinnere mich noch daran, dass die Grünen in der letzten Debatte des Deutschen Bundestages
vor der Bundestagswahl Rechtsfälle skizziert haben, in
denen der Rechtsanspruch nicht umzusetzen sein wird.
Haben Sie jemals wieder etwas davon gehört? Nein.
Überall gibt es eine deutliche Zunahme der Angebote im
Bereich der Krippenversorgung. Die durchschnittliche
Betreuungsquote liegt bei 40,3 Prozent.
Mir sei noch die kleine Bemerkung gestattet, weil die
CSU immer so attackiert wurde: Die geringste Diskrepanz zwischen Nachfrage einerseits und Ausbau und angestrebter Quote andererseits besteht in den alten Bundesländern in Bayern mit knapp 10 Prozent. Die größte
Diskrepanz besteht in den neuen Ländern in Mecklenburg-Vorpommern. Aber ich gehe fest davon aus, dass
wir mit der neuen Ministerin und in Gesprächen mit den
Ländern dafür sorgen werden, dass die Länder, wo es
noch etwas schwächer aussieht, stärker aufgestellt werden.
Insgesamt wird Ihre Argumentation nicht besser. Das
sehen nicht nur viele Eltern so. Ich möchte Dr. Herzberg,
Landesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken in Thüringen zitieren, der es insbesondere im Hinblick auf die Debatten, die wir hier teilweise führen - so
ideologiegeprägt und entfernt von Sachpolitik -, deutlich auf den Punkt gebracht hat: „Was hier an Falschem,
Halb- und Unwahrheiten verbreitet wird, ist unerträglich.“ Ich glaube, es ist an der Zeit, hier einen Schlussstrich zu ziehen.
({3})
Wir haben die Wahlfreiheit, und ich glaube, es ist
auch durch die hohe Anzahl von Anträgen deutlich geworden, dass sich Familien entschieden haben, die Betreuung ihrer Kleinstkinder selbst zu übernehmen.
Im Übrigen ist es in Thüringen so - ich erwähne das,
weil es angesprochen wurde -, dass die Betreuungsquote
im Krippenbereich gestiegen ist, obwohl es im Land
Thüringen ein Erziehungsgeld gibt.
({4})
Das ist also kein Widerspruch an sich.
Ich war ganz fasziniert von der Formulierung in dem
Antrag der Linken. Die lautet sinngemäß: Leitgedanke
moderner Familienpolitik muss die Wahlfreiheit sein,
Marcus Weinberg ({5})
bezogen auf die individuelle Lebensführung. - Diese
Haltung teilen wir.
Herr Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert?
Immer.
Herr Kollege Lenkert, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ist Ihnen bekannt, dass
gleichzeitig mit der Einführung des Erziehungsgeldes in
Thüringen das Alter der Kinder, die einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz haben, von drei auf zwei
Jahre gesenkt worden ist und damit erst die Möglichkeit
für die betroffenen Eltern bestand, ihren Rechtsanspruch
geltend zu machen und ihr Kind in eine Kinderkrippe zu
geben, und ist Ihnen weiterhin bekannt, dass nach Umfragen der Träger der Freien Wohlfahrtspflege gerade die
Eltern, die besondere Unterstützung benötigen, weil sie
zu bildungsfernen Schichten gehören, das Erziehungsgeld eher in Anspruch nehmen als andere und damit das
Ganze im Prinzip kontraproduktiv wirkt?
({0})
Dazu darf ich sagen, dass von Ihnen immer behauptet
wurde: Wenn das Erziehungsgeld in Thüringen kommt,
wird es zu einer massiven Abnahme der Anmeldungen
im Krippenbereich kommen. Aber obwohl es ein Erziehungsgeld in Thüringen gibt, hat die Anzahl der Anmeldungen im Krippenbereich - das besagt das Zitat von
Dr. Herzberg - zugenommen. Im Übrigen könnte man
sehr viele Länder als Belege anführen, übrigens auch
Bayern - da gibt es das Landeserziehungsgeld schon länger -, dass sich Ihre Vermutung nicht bestätigt hat. Die
große Abmelderunde gibt es nicht.
Es handelt sich hier um zwei Dinge. Es gibt einen
Rechtsanspruch auf eine Krippenbetreuung. Wir hätten
das Betreuungsgeld möglicherweise anders diskutiert
und möglicherweise gar nicht eingeführt, wenn wir nicht
den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz geschaffen
hätten. Man muss dazu aber auch eine Alternative entwickeln, die anderen Wünschen, die Familien haben, gerecht wird.
Dazu muss ich sagen, liebe Kollegin Dr. Brantner
- übrigens herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede -,
dass Sie und Frau Golze dabei stehen geblieben sind. Im
Gesetzentwurf ist es nicht ganz deutlich formuliert. Wir
reden über Alternativen. Auf der einen Seite bieten wir
die Chance, durch den Rechtsanspruch Vollzeit zu arbeiten und Geld zu verdienen; auf der anderen Seite bieten
wir durch das Betreuungsgeld von 150 Euro zumindest
in kleinen Teilen eine Entschädigung. Ihre Logik ist folgende: Weil das irgendwie nicht ganz gerecht ist und es
hier eine Diskrepanz gibt, soll das Betreuungsgeld ganz
abgeschafft werden. - Das ist einseitig, und das schafft
keine Wahlfreiheit. Das bedeutet für viele Familien, dass
sie nur dann zurechtkommen, wenn sie Vollzeit arbeiten
und das Kind betreuen lassen. Das aber ist eine Einschränkung und nicht eine Stärkung der Wahlfreiheit.
({0})
- Die Kitagebühren? Ich war ehemals in Hamburg für
den Kitabereich verantwortlich. Sie wissen vielleicht,
dass in Hamburg ungefähr für die Hälfte der Kinder
keine Kitagebühren oder nur der geringste Satz gezahlt
werden muss, weil es eine soziale Staffelung gibt. Das
ist Aufgabe der Länder. Gemeinsam mit den Ländern
- da stimme ich Ihnen zu - wäre das durchaus denkbar.
Noch einmal zum Ausbau des Krippensystems insgesamt. 5,4 Milliarden Euro hat der Bund in den letzten
Jahren investiert. Ab 2014 werden noch einmal 770 Millionen Euro für die Betriebskosten zur Verfügung gestellt. Es wird für uns in der neuen Koalition eine Maßgabe sein, dass wir das Gute und das Erfolgreiche
bewahren wollen. Die Zahlen sprechen dafür, dass das
Betreuungsgeld angenommen wird. Das heißt aber auch,
dass wir mit den lieben Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, Frau Ziegler, in den nächsten Jahren schauen,
wo weitere Veränderungsmöglichkeiten in der Qualität
der Betreuung bestehen.
In den nächsten Jahren werden wir insbesondere die
Fragestellung betrachten müssen, wie wir nicht nur die
Anzahl der Betreuungsplätze, sondern auch die Qualität
erhöhen können. Es geht dabei um den Ausbau, die Qualität und die Standards, und es geht auch darum - das
steht im Koalitionsvertrag -, wie man Familienpolitik
flexibilisieren kann. Wie kann man es schaffen, dass sich
Familien flexibler auf ihre Situation - Stichwort: Elternzeit - einstellen können? Ich glaube, wir haben einiges
vor uns, was wir auch gemeinsam machen werden.
In einem - das sei festgehalten - sind wir klar, und da
werden wir in den nächsten Jahren weitere deutliche Erfolge verzeichnen können: Das Betreuungsgeld bleibt.
Es ist die zweite Komponente einer 2007 gemeinsam getroffenen Verabredung. Auf der einen Seite geht es um
eine vernünftige Versorgung mit Krippenplätzen und auf
der anderen Seite um die Möglichkeit, im Sinne der Familien Alternativen zu fördern. Insofern wünsche ich Ihnen und vor allen Dingen den Familien in Deutschland
frohe Weihnachten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kollege Sönke Rix, SPD.
Vizepräsident Johannes Singhammer
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer dann, wenn wir über das Betreuungsgeld sprechen,
sprechen wir auch über unsere Familienbilder und darüber, wie wir damit politisch umgehen. Es bleibt dabei
- das ist Grundsatz der SPD; ich habe die Hoffnung,
dass es auch bei der CDU so ist -: Jede Familie - Familie ist immer dort, wo Kinder sind, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht - soll selber entscheiden, wie sie
sich organisiert, ob sie Betreuung oder externe Bildung
in Anspruch nimmt oder ob man zu Hause betreut. Diese
Wahlfreiheit muss bestehen bleiben. Die Entscheidung
darüber muss in der Hand der Familie liegen.
({0})
Ich glaube, dass es im Koalitionsvertrag dafür ein
paar gute Grundlagen gibt. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit sich jede Familie so entscheiden kann, wie sie
es möchte. Das ist leider noch nicht an allen Stellen so.
Schon die letzte Große Koalition hat, was Elternzeit, Elterngeld und auch den Krippenplatzausbau betrifft, festgestellt: Ja, hier investieren wir; wir versuchen, die Rahmenbedingungen für Eltern zu verbessern, um am Ende
zu gewährleisten, dass es sich für junge Menschen lohnt,
eine Familie zu gründen. Junge Menschen müssen wissen, dass Gesellschaft und Staat helfen und sie dabei unterstützen, Kinderbetreuung so zu organisieren, wie sie
es wollen. Ich finde, damals haben wir gemeinsam Gutes
geleistet.
Auch in diesem Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, bei Elternzeit und Elterngeld zu neuen, flexibleren
Lösungen zu kommen. Es gilt, sich der Situation der Familien anzupassen. Für den Krippenplatzausbau haben
wir ebenfalls noch nicht genügend getan. Deshalb haben
wir ein 6-Milliarden-Euro-Paket vereinbart, sodass für
die Krippenplätze vor Ort Investitionsmittel zur Verfügung stehen. Wenn das nicht ausreicht, wird dieses Paket
bedarfsgerecht aufgefüllt werden. Es ist also nicht so,
dass wir Stillstand an dieser Stelle haben. Wir haben im
Koalitionsvertrag gute Dinge festgeschrieben.
({1})
Wenn wir darüber sprechen, wie wir Wahlfreiheit organisieren, dann zeigt sich: Es gibt ein Thema, bei dem
wir uns als Koalitionspartner nicht einig sind; das darf
man so formulieren. Es ist nicht so, dass die Sozialdemokraten mit Eintritt in die Große Koalition ihre Forderung aufgegeben haben, das Betreuungsgeld wieder abzuschaffen. Sie wissen aber alle, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Oppositionsfraktionen, dass man in einer
Koalition Kompromisse schließen und dicke Kröten
schlucken muss. Das ist leider auch in diesem Fall so.
Das wird in Hessen unter Schwarz-Grün mit Sicherheit
der Fall sein; das kennen die Linken aus Brandenburg
und aus Koalitionen in anderen Ländern: Man kann sich
nicht zu 100 Prozent durchsetzen. Das heißt aber nicht,
dass die Sozialdemokraten ihre Forderung nach Abschaffung des Betreuungsgeldes aufgeben. Wir sagen
nach wie vor: Das Betreuungsgeld ist das falsche Mittel.
({2})
Wir werden über den vorliegenden Gesetzentwurf in
den Ausschüssen beraten. Ich gebe ehrlich zu: Auch
nach den Reden der beiden Kollegen des jetzigen Koalitionspartners habe ich nicht die Hoffnung, dass sich
während der Beratungen vielleicht doch noch die Einsicht einstellt, dass es richtig ist, das Betreuungsgeld abzuschaffen. Das wird nicht der Fall sein.
Ich wünsche mir nicht nur - weil hier alle gute Wünsche äußern -, dass die Union irgendwann zur der entsprechenden Einsicht kommt, sondern möchte auch den
Grünen das Angebot machen, dass wir gemeinsam,
wenn andere Mehrheitsverhältnisse bestehen, das Betreuungsgeld abschaffen und die dicke Kröte, die wir
jetzt schlucken mussten, wieder ausspucken. Wenn die
Linkspartei dabei mitmacht, ist das auch kein Problem.
Liebe Dorothee Bär, das war nun Ihre letzte Rede in
Ihrer Eigenschaft als Familienpolitikerin. Jetzt wechseln
Sie schwerpunktmäßig nicht nur vom Parlament in die
Regierung, sondern auch das Fach. Ich freue mich natürlich darüber, weil ich es Ihnen gönne, eine neue Aufgabe
wahrzunehmen. Ich weiß nicht, ob ich es besonders
schade finde, die Debatten künftig ohne Sie zu führen.
Aber mit Sicherheit wird mir etwas fehlen. Ihnen also alles Gute für Ihre neue Aufgabe! Wir versuchen, in der
Familienpolitik neue Wege zu gehen. Vielleicht gelingt
dies erst in vier Jahren.
Herzlichen Dank.
({3})
Hiermit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Den NATO-Bündnisfall umgehend beenden
- Drucksache 18/202 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Verteidigungsausschuss
Vizepräsident Johannes Singhammer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke, Die Linke.
({1})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es sind jetzt zwölf Jahre, in denen
der NATO-Bündnisfall in Kraft ist, und damit auch
zwölf Jahre des Krieges gegen den Terror, zwölf Jahre
Afghanistan-Krieg und ein Hineinziehen Deutschlands
in diesen Krieg. Denken Sie noch einmal an den völlig
absurden Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers
Gerhard Schröder von der uneingeschränkten Solidarität. Uneingeschränkt bin ich nicht mal mit mir selbst solidarisch. Das war eine Bekenntnispolitik, die unerträglich ist.
({0})
Ich finde, jetzt muss man auch einmal den Mut haben,
nüchtern Bilanz zu ziehen.
Es gab damals drei Argumente: Man braucht den
Krieg gegen den Terror, um erstens die Gewalt einzudämmen, zweitens Abrüstung herbeizuführen und drittens Demokratie zu erreichen. Jetzt wollen wir uns das
einmal anschauen.
Zum ersten Argument. Der Krieg gegen den Terror
hat die Gefahr von Gewalt und die Gewalt selbst nicht
eingedämmt; ganz im Gegenteil. Dieser Krieg gegen den
Terror hat Zigtausende Menschen in verschiedenen Teilen der Welt in den terroristischen Untergrund getrieben
und damit den Terror erhöht. Gesellschaftsordnungen,
die akzeptieren, dass jeden Tag 57 000 Menschen in der
Welt verhungern, die sich abschotten, die das Mittelmeer
zum großen Friedhof gemacht haben, haben die Moral
verloren, mit der sich ein solcher Anspruch legitimieren
lässt.
({1})
Solche Gesellschaftsordnungen säen Gewalt und ernten
Hass. Also, Gewalt ist nicht abgebaut worden.
Zum zweiten Argument. Ist die Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen kleiner geworden? Sie ist größer geworden. Es sieht doch heute jeder,
dass sie größer geworden ist; es gibt chemische, biologische, bakteriologische Waffen in vielen Teilen der Welt.
Was die Entwicklung von Atomwaffen angeht, so stehen
viele Länder an der Schwelle, es zu können, wenn sie es
wollten. Es gibt zwei Lichtblicke. Das eine ist die Entscheidung, die syrischen Chemiewaffen zu vernichten
- das ist wirklich eine wichtige Entscheidung, weil es
eine Entscheidung gegen den Krieg und für Diplomatie
war -, und das andere ist die Vereinbarung mit dem Iran,
die in Fragen Atomwaffen im Nahen Osten außerordentlich wichtig ist. Also, der Krieg gegen den Terror hat die
Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht eingeschränkt.
Zum dritten Argument. Hat der Krieg gegen den Terror mehr Demokratie gebracht? Wissen Sie, ich habe den
Eindruck, dass wir dem, was wir zu bekämpfen vorgeben, immer ähnlicher werden, und das macht mich in einem außerordentlich großen Maße besorgt. Die Spionagegeschichte der NSA und anderer Geheimdienste, auch
des BND, wird damit begründet, dass man Terroristen
entlarven muss. Der Krieg gegen den Terror hat nicht
mehr Demokratie gebracht, sondern Demokratie vernichtet.
({2})
Schließlich - ich bitte Sie, sich das anzuschauen -:
Die doppelten Standards sind zum Normalfall geworden.
Deutsche Konzerne verkaufen Waffen auch in Spannungsgebiete - mit Billigung der Bundesregierung.
Heckler & Koch ist eine Umschreibung für „Mord und
Totschlag“ geworden; auch das sollte man einmal festhalten.
({3})
Mit korrupten und antidemokratischen Regimen wie
Saudi-Arabien, Katar und anderen ist unser Land verbündet. Auch das ist Ergebnis des Kriegs gegen den Terror, weil wir wahllos geworden sind.
Wenn das alles stimmt - wenn nicht, dann widerlegen
Sie mir das; das werden Sie nicht können -, dann muss
man den NATO-Bündnisfall aufheben - rechtlich ist er
sowieso überwunden -, die Beteiligung am Krieg gegen
den Terror einstellen und sofort und bedingungslos aus
Afghanistan abziehen. Das ist das Gebot der Stunde.
({4})
Vor Weihnachten darf man ein paar Wünsche äußern.
Ich wünsche mir, dass Sie an Weihnachten in sich gehen,
begreifen, dass diese ganze Politik falsch ist, zu einer anderen politischen Linie kommen, dass wir hier gemeinsam über Friedenspolitik reden können, dass Schluss ist
mit dem Krieg gegen den Terror, dass der NATO-Bündnisfall aufgehoben wird. Wenn Sie dabei, weil Sie an
mich denken, auch gleich noch entscheiden, die NATO
aufzulösen, bin ich natürlich außerordentlich dankbar.
Herzlichen Dank.
({5})
Als Nächster spricht der Kollege Ingo Gädechens für
die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits zum zweiten Mal liegt uns in dieser noch jungen
Wahlperiode ein Antrag zur Beendigung der Operation
Active Endeavour vor. Die dahinterstehende Absicht der
Linken, die Sie, Herr Gehrcke, hier sehr deutlich gemacht haben, liegt auf der Hand: Es geht Ihnen auch bei
diesem Antrag nicht um eine ernsthafte Diskussion über
die deutsche Sicherheitspolitik. Nein, Ihnen geht es ausIngo Gädechens
schließlich darum, Bündnispartnerschaft und Solidarität
infrage zu stellen.
({0})
Ganz nebenbei geht es Ihnen, wenn Sie so einen großen
Rundumschlag bis hin zur wehrtechnischen Industrie
machen, darum, mit Ihren Äußerungen politischen Unfrieden zu stiften. Das ist nicht nur allzu durchsichtig,
sondern das wird Ihnen, meine Damen und Herren von
der Linksfraktion, hier in diesem Haus nicht gelingen.
Im Gegensatz zu Ihnen befassen sich die koalitionstragenden Fraktionen ernsthaft mit einer glaubhaften und
verlässlichen Außen- und Sicherheitspolitik und übernehmen Verantwortung für Deutschland - mit unseren
Partnern und in den eingegangenen Bündnissen.
({1})
Damit bin ich bereits bei den Kernpunkten. Wir reden
nicht über den Afghanistan-Einsatz, sondern über Active
Endeavour. Im Rahmen dieser Operation geht es auch
um freien Zugang zum Mittelmeer und um Solidarität.
Für uns als führende Handelsnation, aber auch für unsere
Partner in der Europäischen Union ist das Mittelmeer ein
entscheidendes Transitmeer, auf dem wichtige Güter
transportiert werden.
Wenn wir uns die sicherheitspolitische Lage rund um
das Mittelmeer anschauen, dann gibt es wahrlich keinen
Grund zur Entwarnung. In Syrien wird, wenn man den
Presseberichten Glauben schenken darf, die Oppositionsbewegung nach und nach von radikalen Islamisten
übernommen. In Nord- und Zentralafrika ist die Terrorismusgefahr durch die Einsätze der internationalen Gemeinschaft, zum Beispiel in Mali, noch lange nicht abgewendet. Es liegt somit eine Bedrohung der Handelswege
und der Anrainerstaaten vor. Der Kampf gegen Aggressoren und gegen eine latente Instabilität, auch im maritimen Bereich, ist noch lange nicht beendet. Wachsamkeit
ist weiterhin notwendig. Diese Wachsamkeit wird unter
anderem durch Active Endeavour gewährleistet.
Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht ist diese
Operation als Beitrag zur maritimen Sicherheit, insbesondere aber zu einer Lagebilderstellung im Mittelmeer
überaus sinnvoll und erforderlich. Active Endeavour
leistet einen wichtigen Beitrag, dieses Lagebild in einer
politisch instabilen Region zu verdichten. Es ist aber
auch unsere Pflicht als Bündnispartner, einen Beitrag
zum Schutz unserer Verbündeten zu leisten. Schließlich
wissen gerade wir Deutschen zu schätzen, was jahrzehntelange Solidarität bedeutet.
Die deutsche Marine und der deutsche Anteil der
AWACS-Besatzungen haben im Rahmen von OAE einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit und Bündnissolidarität in dieser Region geleistet. Deutschland ist der
drittgrößte Truppensteller. Im Rahmen von Active Endeavour wird mit Seestreitkräften, Luftfahrzeugen und
unter Nutzung multinationaler, netzwerkgestützter Informationssysteme ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittelmeerraum erstellt. Die ständigen maritimen
Einsatzverbände der NATO bilden das wesentliche militärische Instrument für diese Operation. Diese Einsatzverbände gab es auch schon vor zwölf Jahren, also vor
Active Endeavour, in dieser Region. Diese Einsatzverbände hat Deutschland zu keiner Zeit infrage gestellt.
Natürlich - da gebe ich Ihnen recht - ist das Mandat
nicht auf ewig in Stein gemeißelt. Darum haben wir über
die NATO bereits Anträge zur Weiterentwicklung des
Mandats unter den genannten Aspekten eingebracht. Ich
möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, welch verheerende Signalwirkung der einseitige Ausstieg
Deutschlands aus der Bündnissolidarität hätte. Dass den
Verfassern des Antrages diese Folgen egal sind, ist bekannt. Aber wie ich eingangs erwähnte: CDU, CSU und
SPD tragen für Deutschlands Sicherheit Verantwortung.
Wir werden Active Endeavour aus dieser Verantwortung
heraus gemeinsam mit unseren Bündnispartnern weiterentwickeln oder beenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen ahnen oder wissen, wie schwer es gerade während der
Weihnachtszeit ist, fernab der Heimat seinen Dienst im
Einsatz zu verrichten.
({2})
Als ehemaliger Berufssoldat hatte auch ich das zweifelhafte Vergnügen, über die Feiertage meinen Dienst zu
verrichten. Deshalb grüße ich ganz besonders herzlich
unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten
und schließe alle mit ein, die auf der ganzen Welt Dienst
für die Bundesrepublik Deutschland leisten. Von dieser
Stelle aus wünsche ich ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch. Kommt heil und gesund in die Heimat
zurück!
Vielen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Antrag der Linken zur Beendigung des
NATO-Bündnisfalls. Dieser Antrag hat einen richtigen
Kern; dazu komme ich noch. Trotzdem komme ich nicht
zu dem Ergebnis, meiner Fraktion zu empfehlen, diesem
Antrag zuzustimmen.
Dieses Thema ist nicht neu. Wir Grüne haben bereits
Ende 2012 einen Antrag zur Beendigung des Bündnisfalls gestellt; Zustimmung gab es damals von der Linken
und der SPD. Wir haben auch vor zwei Wochen einen
Antrag zu Active Endeavour eingebracht. In diesem Antrag haben wir unsere Forderung wiederholt; sie bleibt
auch richtig.
Wir freuen uns immer, wenn andere von uns abschreiben. Dann aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, sollte man es auch richtig machen. Sie haben
in Ihrem Antrag geschrieben, dass Deutschland, wenn es
nicht so kommt, wie Sie es sich wünschen, den Bündnisfall einseitig beenden sollte. Das ist Zeugnis Ihrer großen Unkenntnis von Bündnissen und davon, wie sie
funktionieren. Was Sie eigentlich sagen wollen, ist: Raus
aus der NATO! Aber dann sagen Sie das doch auch so.
Legen Sie einen Antrag vor, in dem steht: Raus aus der
NATO! - Dann wäre klar, worüber Sie eigentlich sprechen möchten, und dann würden wir darüber abstimmen.
Ihr Antrag ist verklausuliert; so kenne ich Sie gar nicht.
Das ist aber auch ein Zeichen dafür, welch verkrampftes Verhältnis Sie auch zu VN-Einsätzen haben.
Wir erleben dieser Tage, dass gerade im Südsudan - hier
haben Sie sich ja immer kategorisch verweigert - eine
Situation herrscht, bei der man nicht einfach wegschauen kann.
({0})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken:
Das hat mit dem, was Sie „internationale Solidarität“
nennen, überhaupt nichts zu tun.
({1})
Im Kern bleibt es richtig, dass der NATO-Bündnisfall
beendet werden muss, und zwar deshalb, weil er mit einem Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika
begründet wurde. Das ist zwölf Jahre her. Wir leben
mittlerweile aber in einem komplett anderen Sicherheitszeitalter. Deshalb kann man nicht einfach sagen: Es geht
so weiter wie bisher. - Damals war es Konsens mit der
Sozialdemokratie, dass wir uns daran beteiligen. Die Begründung für das Mandat zur Beteiligung an der Operation Active Endeavour ist aber nicht Syrien. Die Rechtsgrundlage ist nicht die Situation am Mittelmeer. Die
Rechtsgrundlage lautet noch immer „America under attack“. Das ist heute aber nicht mehr aktuell. Insofern
kann man das auch nicht mit der Situation in Syrien und
dem dortigen Agieren der Islamisten begründen.
Das Problem ist, dass wir uns in der NATO seit zwölf
Jahren in einem permanenten Ausnahmezustand befinden. Dieser permanente Ausnahmezustand unterminiert
nachhaltig die Solidaritätsklausel der NATO. Es ist nicht
im Sinne eines Bündnisses - erst recht nicht im Sinne eines multilateralen Agierens -, dass dieser Ausnahmezustand weiter anhält. Deshalb muss der Bündnisfall endgültig beendet werden.
({2})
Die Frage, wie es mit OAE weitergeht, beschäftigt
uns natürlich. Bei aller Ablehnung der Grundlage dieses
Mandats und dieses Einsatzes und bei aller Dankbarkeit
für das, was von den Soldatinnen und Soldaten vor Ort
und ihren Familien geleistet wurde, stellen wir uns die
Frage: Wie gedenkt die Koalition mit der Parlamentsbeteiligung künftig umzugehen? Es gibt eine Kette von
Entscheidungen, die uns so langsam befremdlich erscheinen: erst das Agieren am Anfang, dass OAE keine
Mandatierung bräuchte, dann die Fragen bezüglich Zentralafrika. Es ist im Übrigen noch eine Klage von uns
Grünen wegen Pegasus anhängig, der aus unserer Sicht
völlig berechtigten Evakuierungsmission in Libyen. Ich
kann nur sagen, dass sich die Parlamentsarmee in unserem Land bewährt hat. Der Kern der Parlamentsarmee
ist die Parlamentsbeteiligung. Wir werden entschieden
Widerstand leisten, wenn sich abzeichnet, dass die
Große Koalition dies einschränken will. Im Koalitionsvertrag steht einiges, was uns Sorge macht. Das werden
wir ganz sicher nicht mitmachen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Bevor ich das Wort dem Kollegen Klingbeil gebe, erteile ich dem Kollegen Gehrcke das Wort für eine Kurzintervention.
Schönen Dank, Herr Präsident! - Ich möchte zwei Irrtümer ausräumen; denn sonst lohnt sich die Debatte
nicht. Wir haben keinen Antrag gestellt, die Operation
Active Endeavour zu beenden. Wir haben einen Antrag
gestellt, den NATO-Bündnisfall aufzuheben. Das geht
viel weiter als die Forderung, die Operation Active
Endeavour zu beenden. Außerdem kann man dies gar
nicht beantragen; denn die Operation läuft am 31. Dezember aus. Wenn sich die Bundesregierung kein neues
Mandat dafür holt, ist sie rechtlich beendet.
({0})
Sie wird vermutlich mit einem Trick kommen; aber der
Zusammenhang stimmt hier einfach nicht. Am 31. Dezember ist Schluss. Kein Soldat darf unter diesem Mandat weiter eingesetzt werden, oder man macht sich strafbar. Das ist Nummer eins.
Nummer zwei. Der Bündnisfall ist in der Geschichte
der NATO das erste Mal ausgerufen worden. Es gibt
keine Regel, wie man ihn wieder aufhebt. Es gibt keine
völkerrechtlich begründete Regel zur Aufhebung des
Bündnisfalles in der NATO. Deswegen ist unsere
Schlussfolgerung, dass auch einzelne Länder erklären
können, dass sie sich weiter an den Bündnisfall gebunden fühlen oder eben nicht. Die deutsche Bundesregierung hätte das Recht, erstens in der NATO zu beantragen, den Bündnisfall aufzuheben, und zweitens für
Deutschland zu erklären, dass wir uns nicht mehr an den
Bündnisfall gebunden fühlen. Die rechtliche Situation
haben wir in unserem Antrag geschildert.
Bei aller Sympathie: Die Grünen könnten einem Antrag der Linken auch endlich einmal zustimmen und sollten nicht wieder einknicken, wie es bisher immer der
Fall war.
({1})
Alle sachlichen Argumente sprechen für das, was wir in
unserem Antrag formuliert haben. Ich bin gespannt, mit
welchem Trick die Bundesregierung versuchen wird,
sich daraus herauszumogeln.
Es kommt noch ein Problem hinzu - ich bin einmal
auf die Ausführungen des sozialdemokratischen KolleWolfgang Gehrcke
gen gespannt -: Die SPD ist einmal mit gar nicht
schlechten Argumenten dafür eingetreten, die Operation
Active Endeavour zu beenden. Ich frage Sie jetzt, da Sie
an der Regierung sind: Taugen die Argumente nichts
mehr, oder sind Sie bei dieser Frage weggetaucht? Mit
großer Begeisterung warte ich darauf, wie sich das im
Januar gestaltet. Wir werden über die Anträge diskutieren, und dann werden wir sehen.
Herzlichen Dank, dass ich das noch sagen durfte.
({2})
Kollege Nouripour, Sie haben die Möglichkeit, darauf
zu antworten.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Kollege Gehrcke,
eines können wir Grünen Ihnen versprechen: Wenn Sie
richtig von uns abschreiben, dann stimmen wir auch zu.
({0})
Das haben Sie aber nicht getan. Sie haben den Kern unseres Anliegens übernommen, nämlich den Bündnisfall
zu beenden, und einfach etwas draufgepackt. Aber das,
was Sie draufgepackt haben, macht keinen Sinn, auch
nicht, wie Sie es erklärt haben; denn es ist offenkundig:
In den NATO-Statuten steht, wie man einen Bündnisfall
ausrufen kann. Ein Staat beantragt ihn, und der Bündnisfall wird einstimmig ausgerufen. In den Statuten steht
nicht expressis verbis, wie man ihn widerrufen kann.
Das ist aber politisch ganz eindeutig: Ein Staat beantragt, den Bündnisfall zu beenden, man diskutiert miteinander, und dann kann er beendet werden.
Es ist aus unserer Sicht offenkundig, dass bei den
Mitgliedstaaten der NATO die Einsicht besteht, dass der
permanente Ausnahmezustand auf der Grundlage von 9/11
nicht so bestehen bleiben kann. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, hierüber Gespräche zu führen und einen
entsprechenden Antrag einzubringen. Eine Aufhebung
des Bündnisfalls ermöglicht man nicht dadurch, dass
Deutschland aufsteht und den Tisch verlässt. So würden
wir uns im Bündnis ganz sicher kein Gewicht verschaffen und nicht dazu kommen, dass die NATO tatsächlich
diesen Schritt macht.
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Lars Klingbeil,
SPD, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist sehr nett, dass ich mich in diese Auseinandersetzung zwischen Grünen und Linken einmischen und auch ein paar Dinge für uns erklären darf. Ich
will mich ausdrücklich beim Kollegen Nouripour bedanken, der sich gerade sehr konstruktiv in die Diskussion
eingebracht hat.
({0})
Ich glaube, das ist der Geist, den wir auch im Januar
brauchen, wenn wir hier im Parlament über die Fortsetzung der Mission im Mittelmeerraum diskutieren werden.
Die Linke fordert in ihrem Antrag, den NATO-Bündnisfall zu beenden; die Bundesregierung soll bei der
NATO dafür werben. Wenn das nicht erfolgreich ist, sollen wir den Bündnisfall einseitig als beendet erklären
und umgehend jegliche deutsche Beteiligung an entsprechenden Einsätzen beenden. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Linken, lassen Sie mich sagen: Ich
verstehe die fachpolitische Motivation für den Antrag,
den wir am heutigen Tag diskutieren, nicht. Das alte
Mandat für die Operation Active Endeavour läuft aus;
das haben wir hier vor wenigen Wochen in einer Debatte
gemeinsam festgestellt. Wir waren uns einig, dass das
Mandat in der bisherigen Form nicht aufrechterhalten
werden soll. Im Januar wird das Kabinett über die Zukunft der Mission entscheiden, und dann werden wir uns
als Parlament selbstverständlich wieder mit dieser Mission beschäftigen. Es stellt sich mir die Frage: Warum
führen wir heute, im Dezember, diese Debatte, wo doch
nichts vorliegt, wo die Diskussion läuft, wo wir erst seit
zwei Tagen eine neue Regierung haben?
({1})
Für uns von der Sozialdemokratie war immer klar
- das haben wir in den letzten Jahren deutlich gesagt -,
dass zwölf Jahre nach 9/11 der Bündnisfall keine gerechtfertigte Rechtsgrundlage mehr für ein Mandat ist.
Deswegen drängen wir auf Veränderungen. Das haben
wir in den letzten Jahren immer wieder deutlich gesagt.
Wir haben aber auch klargemacht, dass wir die Tätigkeit
der Mission an sich, so wie sie seit Jahren praktiziert
wird, also die Überwachung und Aufklärung im Mittelmeerraum, nicht ablehnen, sondern als sinnvoll empfinden; lediglich die Rechtsgrundlage ist für uns problematisch. Deswegen wird die neue Bundesregierung auf
NATO-Ebene darauf drängen, dass es hier zu einer Änderung des Istzustandes kommt; das haben wir schon im
November deutlich gesagt.
Ich will betonen, dass auch die alte Bundesregierung
auf Veränderungen gedrängt hat. Gerade durch den Eintritt der Sozialdemokratie in die neue Bundesregierung
wird dieses Drängen noch energischer werden. Geben
Sie dem neuen Außenminister Steinmeier aber etwas
Zeit; er ist erst seit zwei Tagen im Amt. Ich bin mir sicher, dass Punkt 1, den Sie in Ihrem Antrag aufgeführt
haben, schon bald durch Regierungshandeln erledigt
sein wird.
Sie fordern in Ihrem Antrag auch, notfalls Konsequenzen zu ziehen und den Bündnisfall einseitig zu beenden. Hier will ich Ihnen schon deutlich sagen - das hat
der Kollege Nouripour bereits angesprochen -: Es hätte
mit verantwortungsvoller Sicherheitspolitik nichts zu
tun,
({2})
wenn wir hier im Bundestag darauf drängen würden,
einseitig Bündnisverpflichtungen aufzukündigen. Das,
was Sie hier vertreten, führt zu einer Renationalisierung
von Politik, was, wie ich finde, nicht mit dem Handeln
des Bundestages in Übereinstimmung zu bringen ist. Ich
halte nichts davon, zu einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik zu kommen. Dies zeigt, dass Ihr Antrag
unverantwortlich ist.
Herr Kollege Klingbeil, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Neu zu?
Sehr gern.
Herr Kollege Klingbeil, teilen Sie meine Einschätzung, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz bei einer
Verlängerung des Mandats - wie auch immer die Mission künftig heißen wird - auf jeden Fall Anwendung
finden muss, sofern der Bündnisfall aufrechterhalten
wird?
Vielen Dank für die Frage. Sie können sich setzen;
denn zu dem Thema komme ich noch. Im nächsten Absatz hätte ich etwas dazu gesagt.
({0})
- Ich habe sieben Minuten Redezeit und glaube, dass das
Thema ziemlich klar ist. Insofern vielen Dank für die
Frage; ich gehe gleich darauf ein.
Sie fordern in Ihrem Antrag weiter, dass jegliche
deutsche Beteiligung an Einsätzen, die mit dem Bündnisfall begründet sind, beendet werden soll. Das einzige
Mandat, das wir im Moment haben, ist das für die Operation Active Endeavour. Wir haben schon am 28. November über diese Frage diskutiert. Die Sachlage hat
sich in den letzten Wochen nicht geändert; das Mandat
läuft Ende des Jahres aus.
Jetzt kommt das, was Sie, Herr Dr. Neu, interessiert.
Für uns, die SPD, ist völlig klar, dass wir uns im Parlament damit beschäftigen werden, wenn wieder bewaffnete Streitkräfte ins Ausland geschickt werden. Natürlich gibt es eine Parlamentsbeteiligung. Wir werden zu
dieser Parlamentsbeteiligung stehen und sie einfordern.
Aber lassen Sie uns doch erst einmal schauen, was für
eine Debatte wir im Januar führen werden. Wir werden
uns dann hier im Parlament wieder fachpolitisch damit
auseinandersetzen.
({1})
Wir müssen uns aber in der Tat überlegen, wie wir als
Deutscher Bundestag damit umgehen, wenn der Bündnisfall auf NATO-Ebene bestehen bleibt. Ich will Ihnen
die Punkte nennen, die für uns, für die SPD-Bundestagsfraktion, in der Diskussion wichtig sind:
Erstens. Wenn der Bündnisfall gemäß Art. 5 des
NATO-Vertrages weiter gelten sollte, dann muss - das
ist für uns klar - das nächste Mandat, mit dem wir uns
hier beschäftigen, ein klar definiertes Übergangsmandat
sein.
Zweitens. Wenn es zu einem solchen Übergangsmandat kommt, dann darf es nicht länger als bis Ende 2014
gehen. Danach muss dann die Rechtsgrundlage „Bündnisfall“ wegfallen; es muss also eine reine Aufklärungsund Beobachtungsmission werden.
Drittens. Wenn es ein Übergangsmandat gibt, dann
muss es klar auf die Aufklärung und Überwachung des
Seeraums im Mittelmeer begrenzt sein. Die aktuell bestehenden exekutiven Befugnisse der Gewaltanwendung
dürfen nicht mehr Teil eines solchen Mandates sein.
Viertens. Der Einsatz sollte in Zukunft nur im Rahmen der ständigen Einsatzverbände der NATO erfolgen.
Das heißt, nationale Schiffe sollen sich nicht mehr einmelden müssen, wenn sie das Mittelmeer passieren.
Diese Verpflichtung sollte auf die vorgesehenen ständigen Einsatzverbände der NATO beschränkt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden im Januar diese Debatte führen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben eine klare Vorstellung, was wir im Zuge dieser Diskussion erreichen wollen. Wir freuen uns darauf.
Den heute vorliegenden Antrag der Linken lehnen wir
ab. Ich habe gerade begründet, warum das so ist.
Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit nutzen,
um mich bei denen zu bedanken, die von uns ins Ausland geschickt wurden, bei den Soldatinnen und Soldaten und den Zivilbeschäftigten. Es gibt viele zivile Helfer, die im Ausland helfen, weil wir als Parlament sie
geschickt haben bzw. sie gebeten haben, zu helfen. Ihnen
allen und uns allen frohe Weihnachten!
Im Januar wird diese Diskussion weitergeführt.
Vielen Dank.
({2})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Klingbeil. - Als abschließender Redner in dieser Debatte spricht der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Man kann den Sinn dieser Debatte eigentlich nur verstehen, wenn man die eigentliche Motivation und das Wahlprogramm der Linken kennt. Herr Gehrcke hat es in seinem letzten Satz angedeutet; es geht darum, die NATO
aufzulösen bzw., wenn das nicht möglich ist, darauf hinzuwirken, dass Deutschland aus dem Bündnis austritt.
({0})
Die Annahme dieses Antrages wäre ein Schritt auf diesem Weg.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, die große Mehrheit in
diesem Haus hat ein anderes Ziel - wir haben das auch
im Koalitionsvertrag festgeschrieben -: Wir wollen die
NATO stärken.
({2})
Die NATO ist nicht nur ein Militärbündnis. Die
NATO ist auch eine Wertegemeinschaft. Wir wollen
auch in Zukunft Verantwortung für Freiheit, Sicherheit
und Frieden in der Welt wahrnehmen. Wir können diese
Verantwortung nur gemeinsam mit unseren Verbündeten
wahrnehmen. Die NATO ist dafür eine Plattform.
({3})
Meine Damen und Herren von der Linken, es ist doch
ein großer gesellschaftlicher Fortschritt, dass der Einsatz
von Militär, wenn er als letztes Mittel notwendig ist,
({4})
nicht von einem einzelnen Staat ausgeht, sondern von einem auf Konsens ausgelegten Staatenbündnis. Wir werden erleben, dass dieses Bündnis in einer multipolaren
Welt mit neuen Risiken und Bedrohungen - wir alle kennen die Entwicklungen - in Zukunft eher noch wichtiger
werden wird.
Aber jedes Bündnis ist nur so stark wie die Solidarität
seiner Bündnispartner. Das wichtigste Versprechen, das
die Bündnispartner einander geben, ist, dass im Falle eines Angriffs auf einen Partner die anderen Partner für
ihn einstehen bzw. ihm auch militärisch beistehen. Dieser Bündnisfall wurde zum ersten und einzigen Mal nach
dem 11. September 2001 ausgerufen. Es gibt im Moment
nur noch eine einzige Mission, die darauf Bezug nimmt.
Das ist OAE. Wir haben es schon mehrfach diskutiert:
Man könnte diese Mission auch gut ohne diesen Bündnisfall begründen. Die Bundesregierung wirkt auch innerhalb der NATO darauf hin, dass eine Neuformulierung dieses Mandats erfolgt bzw. ein neuer Auftrag
erteilt wird.
Das Fortdauern des Bündnisfalls hat im Moment und
auch in Zukunft keine praktische militärische Relevanz
mehr.
({5})
Wenn wir ihn jetzt aber, wie Sie es fordern, einseitig für
beendet erklären, dann hätte das eine riesengroße symbolische Wirkung.
({6})
- Ja, genau. An dem Punkt sind wir auseinander. - Es
würde verstanden werden als eine brüske Aufkündigung
der Solidarität, und die grundsätzliche Bündnisfähigkeit
Deutschlands würde damit infrage gestellt werden. Das
kann man fordern, wenn man Deutschland außenpolitisch isolieren möchte. Das kann man fordern, wenn man
die NATO als Ganzes schwächen möchte. Das wäre für
mich aber, meine Damen und Herren, alles andere als ein
verantwortungsvolles politisches Handeln.
({7})
Frau Kollegin, in Wirklichkeit ist es Ihnen doch egal.
Denn Sie sind getrieben von einer Ideologie,
({8})
die pauschal jede Art des Einsatzes von Militär ablehnt
({9})
und die Sie blind macht für außenpolitische Realitäten,
insbesondere wenn sie nicht in Ihre Ideologie passen.
({10})
Das Schlimme bei Ihnen von den Linken - im Gegensatz zu anderen Parteien - ist: Wir können mit Ihnen darüber gar nicht richtig reden. Wir könnten beispielsweise
über die Frage der Konsensbildung in der NATO reden.
Wir könnten über den Auftrag von OAE reden. Wir
könnten über die rechtliche Frage reden, was es bedeutet, wenn der Bündnisfall noch gilt, und was es bedeutet,
wenn er nicht mehr gilt. Das alles sind fachliche Fragen,
über die man mit Ihnen eigentlich reden können müsste.
({11})
Aber wir können nicht mit Ihnen reden, weil es Ihnen im
Prinzip egal ist.
({12})
Ihre Antwort steht von vornherein sowieso schon fest.
Deswegen sind Sie für konstruktive Vorschläge und eine
konstruktive Diskussion nicht offen. Mit dieser Haltung
können Sie zwar Ihre eigene Klientel zufriedenstellen,
aber es bringt - seien Sie doch ehrlich - effektiv nichts.
Sie verändern damit nichts auf der Welt, und auch wenn
Sie den Antrag noch zehnmal stellen, wird dadurch
nichts anders.
Herr Gehrcke, Sie haben uns einen Auftrag gegeben.
Ich würde auch Ihnen nahelegen, einmal darüber nachzudenken. Sie haben jetzt über Weihnachten ein paar
Tage Zeit dafür. Vielleicht können wir ja im nächsten
Jahr in einer konstruktiveren Form darüber wieder diskutieren.
Danke.
({13})
Hiermit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/202 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung und auch am Ende eines ereignisreichen Jahres
2013 mit vielen Debatten und Beschlüssen hier in diesem Hohen Hause. Ich möchte Ihnen allen dafür danken.
Ich wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und hoffe, dass alle gut erholt im nächsten
Jahr wieder hier im Hohen Hause sein werden.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags berufe ich auf Mittwoch, den 15. Januar 2014, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.