Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, zu unserer 56. Sitzung und darf Ihnen zunächst eine amtliche Mitteilung vortragen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Unterrichtung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates und zur Gegenäußerung der Bundesregierung
auf Drucksache 18/2709 zu dem bereits überwiesenen
Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes an den federführenden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie zur Mitberatung an den Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz, den Haushaltsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie
den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zu
überweisen.
Ebenso soll die Stellungnahme des Bundesrates auf
Drucksache 18/2657 zu dem bereits überwiesenen Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes an den federführenden Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und zur
Mitberatung an den Haushaltsausschuss sowie den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit überwiesen werden.
Darf ich Ihr Einvernehmen zu diesen Überweisungsvorschlägen feststellen? - Das sieht doch sehr danach
aus. Dann haben wir das somit beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung
von Flüchtlingen - Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates.
Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Barbara Hendricks.
Ich wäre ganz dankbar, soweit es bereits Wortmeldungen für Nachfragen gibt, wenn mir die Geschäftsführer
einen Hinweis geben könnten. Dann kann man diese
schon sortieren. - Frau Ministerin.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Flüchtlinge, die zu uns kommen, werden aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen verfolgt und
häufig mit dem Tod bedroht. Es ist unser aller Aufgabe,
dort zu helfen, wo wir helfen können, und zwar jede und
jeder an der Stelle, wo wir es vermögen. Ich kann und
will dabei mithelfen, dass die Flüchtlinge schnell ein
Dach über den Kopf bekommen. Ich möchte, dass wir
sie so aufnehmen, dass sie in Würde bei uns leben können.
Unser Bauplanungsrecht hält zwar schon auch jetzt
eine Vielzahl von Instrumenten bereit, die den Bau von
Flüchtlingsunterkünften auch kurzfristig ermöglichen. In
der jetzigen Situation können und wollen wir die Länder
und Kommunen dabei unterstützen, noch schneller Hilfe
leisten zu können.
Ich habe heute dem Kabinett vorgeschlagen, der Bundesratsinitiative vom 19. September 2014 zu folgen. Einige Änderungen im Gesetzentwurf des Bundesrates sollen allerdings aus meiner Sicht helfen, dem Anliegen in
rechtlicher Hinsicht noch besser gerecht zu werden. Wir
schlagen Ihnen also in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates einige Änderungen vor; der
Bundestag wird sich selbstverständlich damit befassen.
Dazu gehört, dass wir als Bundesregierung anstreben,
dass die vorgesehenen Regelungen bundesweit gelten.
Der Bundesrat war von landesgesetzlichen Anordnungen
ausgegangen. Mir liegt daran, dass das Baugesetzbuch
vom Bund einheitlich weitergeführt wird. Wir wollen
mit den Änderungen des Baugesetzbuches für Klarstellungen und auch für befristete Erleichterungen sorgen.
Die Erleichterungen sollen, wie gesagt, befristet sein; die
Klarstellungen sollen natürlich auf Dauer helfen.
Insgesamt sollen Kommunen von bestimmten Festsetzungen des Bebauungsplanes abweichen können, um
die Flüchtlingsunterbringung unkomplizierter zu ermöglichen. Wir wollen es zum Beispiel ermöglichen, Flüchtlingsunterkünfte im Innenbereich auch dann zuzulassen,
wenn sie sich - anders als sonst im Bauplanungsrecht
verlangt - nicht in die nähere Umgebung einfügen. Das
betrifft beispielsweise Büro- oder Geschäftsgebäude, die
dann als Unterkünfte dienen können. Außerdem wollen
wir gestatten, dass Flüchtlinge auf Flächen untergebracht
werden, die unmittelbar an einen bebauten Ortsteil anschließen. Und wir wollen den Kommunen die Möglichkeit geben, Flüchtlingsunterkünfte eingeschränkt und
befristet in Gewerbegebieten einzurichten.
Natürlich soll bei alldem darauf geachtet werden, dass
die Unterkünfte menschenwürdig sind. Bei weitem nicht
jedes Gewerbegebiet eignet sich dazu, Menschen dort
wohnen zu lassen. Die Prüfung muss in den Kommunen
sachgerecht vorgenommen werden.
Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Flüchtlingsunterbringung bei der Aufstellung von Bebauungsplänen
zu berücksichtigen ist, und es wird klargestellt, dass die
Unterbringung von Flüchtlingen zu den Belangen des
Allgemeinwohls gehört. Das macht die Unterbringung
vor Ort tatsächlich leichter und sorgt dafür, dass die Klagemöglichkeiten, die die Anwohner sonst hätten, eingeschränkt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetzgebungsverfahren kann noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Damit wäre nicht nur den Ländern und Kommunen
geholfen, sondern auch den Flüchtlingen. Es muss unser
Hauptaugenmerk darauf liegen, dass wir jedenfalls vor
dem Winter feste Unterkünfte für die Flüchtlinge haben
und nicht hier oder da mit Zelten arbeiten müssen.
Ich bin mir absolut der Tatsache bewusst, dass es die
Länder und Kommunen vor große Herausforderungen
stellt, quasi über Nacht Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung stellen zu müssen und die menschenwürdige und
angemessene Versorgung der Flüchtlinge sicherzustellen. Ich will bei dieser Gelegenheit allen Verantwortlichen in den Ländern und den Kommunen meinen herzlichen Dank dafür aussprechen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir rufen jetzt zunächst Nachfragen zu diesem Bericht auf. Als Erster erteile ich der Kollegin Kerstin Kassner das Wort.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wir wissen: In der Bundesrepublik stehen circa 2 Millionen Wohnungen leer.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass es angesichts dieser
Möglichkeiten viel besser wäre, Flüchtlingsfamilien und
traumatisierte Flüchtlinge dezentral unterzubringen, anstatt sie in Gewerbegebieten oder sogar auf dem freien
Feld unterzubringen, wo vieles, was an Infrastruktur
dringend notwendig wäre, nur schwer zu organisieren
ist?
Frau Kollegin, ich teile Ihre Auffassung durchaus.
Wir haben aber in der Bundesrepublik Deutschland einen sehr unterschiedlich aufgestellten Wohnungsmarkt.
Ich bin in der Tat dafür, dass in den Kommunen, in denen es leerstehende Wohnungen gibt, alle Möglichkeiten
genutzt werden, um insbesondere Flüchtlingsfamilien
dezentral, also in Wohnungen unterzubringen. Bei einzelnen Flüchtlingen ist es wiederum anders; bei ihnen
bieten sich Gemeinschaftsunterkünfte möglicherweise
sogar als erste Wahl an. Das muss aber vor Ort entschieden werden.
Wir haben Ballungsräume und Ballungsrandzonen, in
denen es keinen Leerstand gibt. Den entsprechenden
Kommunen werden aber gleichzeitig auch Flüchtlinge
zur Aufnahme zugewiesen, sodass es nicht überall gelingen kann, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen.
Das ist in manchen Gegenden verhältnismäßig leicht
möglich, in manchen Gegenden hingegen praktisch unmöglich.
Im Übrigen ist es aber nicht vorgesehen, Flüchtlinge
- wie Sie es gesagt haben - „auf dem freien Feld unterzubringen“, sondern allenfalls am Rande einer Bebauung. Sie müssen sich das so vorstellen: An einem Ortsrand gibt es auf der einen Straßenseite Bebauung, auf der
anderen Straßenseite beginnt der Geltungsbereich des
§ 35 Baugesetzbuch; dort ist zwar eigentlich freies Feld,
aber die Infrastruktur ist vorhanden. Unterkünfte können
nur in unmittelbarer Nähe einer Bebauung errichtet werden; denn man muss für jede Unterkunft eine Infrastruktur im Sinne von Versorgung mit Strom und Wasser und
Entsorgung von Abwasser usw. haben.
Niemand käme auf die Idee, Unterkünfte auf einem
freien Feld zu errichten, weil die entsprechende Infrastruktur nicht vorhanden ist. Die Nutzung von Gewerbegebieten ist natürlich nur dann möglich, wenn diese zum
Beispiel nicht mit besonderen Emissionen belastet sind.
Das muss vor Ort geprüft werden.
Ich bitte noch einmal, gelegentlich auf die Uhr zu gucken. - Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Luise
Amtsberg.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben eben auf
die regionalen Unterschiede hingewiesen. Es ist augenscheinlich, dass es einen Unterschied macht, ob man die
Menschen auf dem Land oder in der Stadt unterbringt.
Letzte Woche hat sich der grüne Ministerpräsident
des Landes Baden-Württemberg an die Kanzlerin mit
dem Vorschlag gewandt, einen nationalen Asylgipfel
einzurichten und dort Fragen, die eng mit diesem Thema
verknüpft sind - beispielsweise die Aufstockung des
Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die aufgrund der regionalen Unterschiede notwendige Koordinierung, aber auch die Abschaffung des
Asylbewerberleistungsgesetzes -, zu diskutieren. Vor
diesem Hintergrund frage ich Sie, ob die Bundesregierung gesprächsbereit und bereit ist, auf diese einzelnen
Punkte zur besseren Koordinierung einzugehen?
Was die einzelnen Punkte anbelangt, so ist die Bundesregierung nicht untätig geblieben, zum Beispiel wird
das Personal des Bundesamts aufgestockt. Die Mittel dafür sind bereits im Haushaltsentwurf enthalten. Ob es
tatsächlich sinnvoll ist, einen sogenannten Asylgipfel
einzurichten - das sehe ich mit gewisser Skepsis. Nach
meiner Kenntnis hat gerade die grüne Fraktion früher die
„Gipfelitis“ immer kritisiert.
Nächster Fragesteller: Christian Kühn.
Danke, Herr Präsident. - Meine Nachfrage bezieht
sich auf die Fragestellung, wie man es gewährleisten
kann, Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, und
zwar nicht nur in Gewerbegebieten, sondern auch in den
Städten und Kommunen, also dort, wo es Wohnungen
gibt.
Die BImA zum Beispiel verfügt über eine ganze
Reihe von Liegenschaften. Inwieweit plant die Bundesregierung weitere Liegenschaften - nicht nur Konversionsliegenschaften, wie die Kaserne in Heidelberg - bereitzustellen, um Flüchtlinge jetzt in dieser konkreten
Notsituation unterzubringen?
Herr Kollege, die BImA bietet seit längerem für die
Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen den
betroffenen Kommunen und Landratsämtern grundsätzlich sämtliche freie Gebäude und Grundstücke an.
Grundlage hierfür ist eine seit 2012 fortlaufende Untersuchung ihres Immobilienbestandes darauf, ob und inwieweit Liegenschaften den kommunalen oder Landesbehörden für die Notunterbringung des in Rede
stehenden Personenkreises zur Verfügung gestellt werden können.
Standen dabei zunächst vor allem die ehemals von der
Bundeswehr genutzten Liegenschaften und die von den
Gaststreitkräften freigegebenen Areale im Fokus der
Prüfung, hat die BImA im Hinblick auf die veränderte
Situation in den vergangenen Wochen und Monaten ihr
Angebotsportfolio - in Anführungszeichen - „offensiv“
erweitert und bietet nunmehr grundsätzlich alle verfügbaren Immobilien, auch Freiflächen, als Asyl- und
Flüchtlingsunterkünfte an. Freiflächen können selbstverständlich nur für die Aufstellung von Wohncontainern
genutzt werden und nicht für Zelte.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
haben eingangs die dramatische Situation der Flüchtlinge in Deutschland geschildert, insbesondere die Situation der Kommunen vor Ort, die Sie zu Ihrer Maßnahme
veranlasst. Meine Frage ist: Warum weigert sich die
Bundesregierung bis heute, über den Vorschlag unserer
Fraktion und Fraktionsvorsitzenden und auch des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg nachzudenken,
eine nationale Flüchtlingskonferenz unter Beteiligung
von Bund, Ländern und Gemeinden durchzuführen, um
endlich die Hilfe zu koordinieren?
Ich komme zurück auf meine Beantwortung der Frage
Ihrer Kollegin. Auch die grüne Fraktion hat bis vor kurzer Zeit immer die sogenannte Gipfelitis kritisiert. Wir
sind in ständigen Gesprächen, sowohl mit den Ländern
als auch mit den kommunalen Spitzenverbänden. Die
Arbeiten gehen zügig voran.
Kollege Wunderlich.
Frau Ministerin Hendricks, vielen Dank. Sie haben
sich gerade dafür ausgesprochen, dass man nach allen
Möglichkeiten suchen soll, gerade Familien, die traumatisiert nach Deutschland kommen - wir wissen alle, was
die Flüchtlingsfamilien und insbesondere die Kinder erlebt haben -, dezentral unterzubringen.
Ich habe am Montag die ausdrückliche Erklärung der
Verwaltung meiner Heimatstadt erhalten - sie soll möglicherweise auch Flüchtlinge zugewiesen bekommen -,
dass sie sich für eine dezentrale Unterbringung im kommunalen Wohnraum starkmacht. Jetzt ist meine Frage:
Ist denn geklärt bzw. gibt es dahin gehende Überlegungen, wie bei einer dezentralen Unterbringung mit den
Kosten für den erhöhten Personalbedarf - dabei geht es
sowohl um die psychosoziale Betreuung als auch um den
Sicherheitsdienst, um die Flüchtlinge vor den, so sage
ich es einmal, national Verwirrten zu schützen - umgegangen werden soll? Soll für das Ganze seitens des Landes irgendein Ausgleich erfolgen, oder gar seitens des
Bundes?
Herr Kollege, die Unterbringung von Flüchtlingen
liegt nach unserer Rechtsordnung in der Verantwortung
der Länder. Die Länder können das selbstverständlich
nur in Zusammenarbeit mit den Kommunen, und so geschieht dies auch.
Kollegin Amtsberg.
Frau Ministerin, mich hat die Antwort nicht zufriedengestellt. Wir haben natürlich als grüne Fraktion Gipfel kritisiert, die keinen Sinn machen.
({0})
Mit unserer Forderung stehen wir aber nicht alleine, sondern es gibt prominente Unterstützer, zum Beispiel den
Deutschen Städtetag. Die Unterstützer sagen allesamt:
Es stimmt, dass die Kommunen momentan große
Schwierigkeiten haben, und sie brauchen eine Koordinierung. Wir müssen flexible Lösungen finden.
Deshalb noch einmal die Frage: Gibt es wenigstens,
was die finanzielle Entlastung angeht, irgendwelche Planungen seitens der Bundesregierung, sich an der Finanzierung der Unterbringung der Flüchtlinge zu beteiligen?
Das ist das, was die Kommunen tatsächlich fordern.
Ich weiß, dass die Kommunen das fordern. Überlegungen dazu sind in der Bundesregierung nicht abgeschlossen. Im Übrigen wird sich die Innenministerkonferenz zeitnah, nämlich nächste Woche, am 17. Oktober
2014, mit der Thematik befassen.
Kollege Kühn.
Auch ich kann Sie noch nicht rauslassen. Noch eine
Frage zur BImA: Plant die Bundesregierung, Wohnungen, Grundstücke, Liegenschaften zu dem Zweck, den
Asylsuchenden, den Flüchtlingen ein Dach über dem
Kopf zu geben, verbilligt an die Kommunen abzugeben?
Gilt weiterhin das Höchstpreisgebot auch vor dem Hintergrund dieser Notsituation, in der die Kommunen händeringend nach Liegenschaften suchen? Gibt es eine verbilligte Abgabe, zum Beispiel für Kommunen, die sich
in einer Haushaltsnotsituation befinden? Ist vielleicht
geplant, die Grundstücke zu einer verbilligten Pacht abzugeben?
Herr Kollege, in dieser Notsituation geht es nicht darum, dass die BImA Immobilien veräußert, sondern die
BImA stellt den Kommunen Mietobjekte zur Verfügung.
Wir müssen davon ausgehen, dass Kommunen auf Dauer
zum Beispiel mit Kasernen nicht wirklich etwas anfangen können. In manchen Ballungsgebieten kann man sie
sicherlich gut in Wohnraum umwandeln; dies ist aber
längst nicht überall dort der Fall, wo Kasernen von der
Bundeswehr oder von Gaststreitkräften freigemacht
wurden. Deshalb geht es hier nicht um Veräußerungen,
sondern allenfalls um Vermietung. Die BImA prüft das
regelmäßig mit gutem Ergebnis.
Gibt es weitere Wortmeldungen zu diesem Themenkomplex? - Bitte schön.
Herr Präsident, ich würde gerne eine Nachfrage zu
der letzten Antwort stellen. Mich würde interessieren,
wie die Instandsetzungsarbeiten, die die Kommunen
vornehmen, vergütet, abgegolten oder gegengerechnet
werden. Das wäre ja sonst sozusagen ein Geschäft zugunsten des Bundes, wenn er die Liegenschaften lediglich vermietet.
Herr Kollege, ich glaube, dass es am besten ist, wenn
die Kommunen und die BImA sich im Einzelfall verständigen, auf welche Art und Weise die Kommunen
eine BImA-Liegenschaft übernehmen wollen. Der Regelfall wird die Anmietung sein. Weiter gehende Fragestellungen zur Ausgestaltung der Verträge wird der Kollege Meister sicherlich schriftlich beantworten.
Herzlichen Dank.
({0})
Die Begeisterung ist wechselseitig. - Ich darf fragen,
ob es zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung
Fragen gibt. - Frau Haßelmann.
Nicht zur Kabinettssitzung, Entschuldigung, sondern
zu einem anderen Thema.
Nein, das machen wir der Reihe nach. - Also, gibt es
Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Herr Kekeritz, bitte schön.
Danke schön. - Ich hoffe, dass die Frage jetzt richtig
ist.
Sonst sage ich Ihnen das schon.
Ja. - Wir kennen ja die Situation in der Ostukraine.
Minister Müller hat angekündigt, einen Konvoi in die
Ostukraine zu schicken. Ich möchte wissen, ob das heute
im Kabinett Thema war. Ich möchte wissen, ob dies zwischen den einzelnen Ministerien, insbesondere zwischen
AA und BMZ, abgesprochen war. Ich möchte gerne auch
wissen, ob klar ist, wer das logistisch managt. Wenn man
100 Lkw in die Ostukraine schickt, dann müssen ja sehr
viele finanzielle Mittel dort hineinfließen. Ist das abgesprochen worden, und woher kommt das Geld?
Frau Ministerin.
Ich?
({0})
Ja, klar. Wir befinden uns immer noch in der Befragung der Bundesregierung.
Befragung der Bundesregierung ist Befragung der Bundesregierung. Ich sehe im Augenblick nur ein Mitglied
der Bundesregierung auf der Regierungsbank.
({0})
Herr Kollege Kekeritz, ich bitte um Entschuldigung.
Ich war abgelenkt, weil ich nicht damit gerechnet habe,
diese Antwort geben zu müssen. Können Sie Ihre Frage
bitte wiederholen?
Ihr Kollege Müller plant einen Konvoi in die Ostukraine. Ich wollte wissen: Ist das abgesprochen unter
den verschiedenen Ministerien, AA, BMZ und Finanzministerium? Wer stellt die Logistik zur Verfügung? Wer
stellt das Geld zur Beladung dieser Lkw mit Gütern zur
Verfügung? Da scheint es doch um erhebliche Beträge
zu gehen. War das Thema im Kabinett?
Herr Kollege Kekeritz, das ist nicht Gegenstand der
heutigen Kabinettsberatung gewesen. Ich gehe aber davon aus, dass entsprechend der Geschäftsordnung der
Bundesregierung dieses ordnungsgemäß zwischen den
beteiligten Ministerien abgesprochen worden ist und
dass Haushaltsmittel dafür zur Verfügung stehen.
Weitere Fragen zur Kabinettssitzung sind mir hier
jetzt jedenfalls nicht angezeigt. Daher frage ich, ob es
sonstige Fragen an die Bundesregierung gibt. - Frau
Kollegin Haßelmann.
Noch einmal vielen Dank, Herr Präsident. Ich war
vorhin zu schnell. - Ich habe eine Frage an die Bundesregierung, und zwar an das Bundeskanzleramt: In
welchem Umfang und in welchem Zeitraum hat der
Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten deutscher Staatsbürger an die NSA weitergegeben?
Herr Staatsminister.
Ich denke, Frau Kollegin, Sie sind mit mir einverstanden, dass wir Ihnen diese Frage schriftlich beantworten.
Nein, bin ich nicht. Denn diese Frage wurde Herrn
Ströbele in einer Fragestunde vor der Sommerpause
schon einmal beantwortet.
Gut, dann kann ich Ihnen die Antwort auf diese Frage
gerne übermitteln. Aber ich bin jetzt nicht in der Lage,
da wir die Frage vorher nicht kannten, Ihnen hier umfangreiche Informationen auch unter Berücksichtigung
aller Geheimschutzaspekte aus dem Kopf zu beantworten.
Dann beantrage ich hiermit, dass jemand aus der Bundesregierung, der diese Frage beantworten kann, hierher
kommt. - Vielen Dank.
({0})
Letzteres ist, wenn ich das richtig sehe, ein Antrag
zur Geschäftsordnung. Über diesen lasse ich jetzt abstimmen. Wer diesem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen - ich nehme an, dass Sie dies im Namen der
Fraktion beantragen - zustimmt, den bitte ich um das
Handzeichen. - Wer ist gegen diesen Antrag? - Das war
eine knappe Mehrheit, jedenfalls deutlich knapper, als es
den Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag
entspricht.
Damit setzen wir die Befragung der Bundesregierung
fort. Als nächste Wortmeldung habe ich die des Kollegen
Frithjof Schmidt notiert.
Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. Staatsminister Roth ist ja anwesend. Es geht darum, dass die
italienische Regierung angekündigt hat, dass die humanitäre Operation zur Aufnahme von Flüchtlingen im
Mittelmeer, „Mare Nostrum“, noch in diesem Monat beendet wird. Auf europäischer Ebene gibt es keine angemessene Ersatzoperation. Es werden zwei Frontex-Missionen, die aber nicht das gleiche Operationsgebiet
haben und nicht auf die humanitäre Aufnahme von
Flüchtlingen, die in Seenot sind, ausgerichtet sind, fort5154
gesetzt und zu einer Operation „Triton“ zusammengeführt.
Durch die Mission „Mare Nostrum“ sind im ersten
Halbjahr im Mittelmeer 108 000 Menschen gerettet worden. Bis jetzt sind es etwa 140 000 Menschen. Wenn
diese Mission de facto ersatzlos eingestellt wird und
auch nur 10 Prozent der Menschen, die bislang aus Seenot gerettet worden sind, ohne eine solche Operation ertrinken, dann können wir uns ausrechnen, dass in den
nächsten Monaten im Mittelmeer mehr als 10 000 Menschen ertrinken werden. Die Bundesregierung weiß das.
Meine Frage lautet: Was gedenkt die Bundesregierung
zu tun, um das zu verhindern? Um noch eine Zahl zu
nennen: Der Finanzierungsbedarf -
Herr Kollege, die Minute ist längst überschritten.
Pardon.
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Kollege, für die Frage. Sie wissen
- darüber haben wir uns schon mehrfach ausgetauscht -,
dass die Bundesregierung das Engagement der italienischen Regierung im Rahmen von „Mare Nostrum“ sehr
zu schätzen weiß. Das ist als ein wesentlicher Beitrag
zur humanitären Lösung einer Tragödie zu sehen.
Ich persönlich habe mich in der vergangenen Woche
mit meinem italienischen Kollegen darüber ausgetauscht. Die Bundesregierung ist sehr daran interessiert,
dass die bislang rein national geführte und organisierte
Mission „Mare Nostrum“ im Rahmen eines EU-weiten
Mandats fortgesetzt wird. Die Möglichkeiten dafür sind
jedoch rechtlich gesehen begrenzt. Sie haben Frontex
angesprochen. Nichtsdestotrotz leisten wir zum Schutz
von Flüchtlingen auch weiterhin im Rahmen unserer
Möglichkeiten die humanitäre Hilfe, die nötig ist, auch
durch Kampf gegen Schlepperbanden.
Kollege Petzold.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe ebenfalls
eine Frage an das Auswärtige Amt. Gestern gab es ja den
Hilferuf des UN-Generalsekretärs im Zusammenhang
mit den Ereignissen in Syrien und Nordirak. Wie gedenkt die Bundesregierung auf diesen Hilferuf zu reagieren?
Herr Kollege, da mir für die anschließende Fragestunde eine entsprechende Frage gestellt wurde, biete ich
Ihnen ausdrücklich an, die Frage nachher ausführlich zu
beantworten. Sowohl die Kollegin Hänsel als auch eine
Kollegin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben
eine ähnliche Frage gestellt.
Kann man denn nicht zumindest den Kern der Frage
jetzt beantworten unter ausdrücklichem Hinweis auf eine
später noch detaillierter erfolgende Antwort? Mir leuchtet zwar der Verfahrensvorschlag ein; denn der Staatsminister möchte sicherstellen, dass nicht schon jetzt die
Antwort auf eine Frage, die andere Kollegen gestellt haben, erfolgt.
({0})
- Auch Frau Hänsel wäre damit einverstanden, wenn
jetzt schon mal auf den Kern der Frage Bezug genommen würde.
Selbstverständlich leisten wir im Rahmen der humanitären Hilfe alles, was in unseren Möglichkeiten steht.
Wir haben ja die Hilfen massiv aufgestockt. Derzeit sind
wir sehr stark engagiert, die Hilfsmaßnahmen auf die
von Ihnen genannte Region Kobane zu konzentrieren.
Die Bundesregierung - das wissen Sie - ist bisher
nicht angefragt worden, sich an Luftschlägen gegen den
IS auf syrischem Gebiet zu beteiligen. Bislang tun das
sechs Staaten unter Führung der Vereinigten Staaten von
Amerika. Die Frage nach einem Einsatz von Bodentruppen stellt sich für uns auch nicht.
Herr Krischer.
Herzlichen Dank für die Möglichkeit, die Bundesregierung hier zu einem Thema zu befragen, das in der Öffentlichkeit breiten Raum einnimmt. - Der bayerische
Ministerpräsident und Parteivorsitzende der CSU hat
sich ja nicht nur zum Verlauf einer einzelnen geplanten
Stromleitung kritisch geäußert, sondern stellt den Netzausbau insgesamt infrage. Meine Frage an die Bundesregierung wäre: Wie wird die Position des bayerischen
Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden eines Koalitionspartners hierzu bewertet?
Und weiter: Ich habe der Presse entnommen, dass auf
dem gestrigen Koalitionsgipfel hierzu keine Ergebnisse
erzielt worden sind, sondern dass es am Donnerstag ein
Privatissimegespräch zwischen Frau Aigner und Herrn
Gabriel geben wird. Meine Frage wäre: Was werden Inhalt und Ziel dieses Gespräches vonseiten der Bundesregierung sein?
In der Tat hat dieses Thema gestern im Koalitionsausschuss eine Rolle gespielt. Ergebnis des gestrigen Gesprächs ist die Verabredung zu einem Gespräch mit dem
Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Gabriel,
aber nicht ausschließlich mit Frau Aigner, sondern auch
mit Herrn Ministerpräsidenten Seehofer. Dieses Gespräch wird morgen stattfinden. Vor Gesprächen wird
die Bundesregierung ihre Zielrichtung in den Gesprächen jedoch nicht öffentlich machen können.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister
Roth, ich kann Ihre Betroffenheit sehr gut verstehen, ich
teile sie auch. Herr Schmidt hatte gefragt: Was konkret
tun wir? - Ich würde gerne wissen: Was konkret schlägt
die Bundesregierung zur Unterstützung der Rettungs-
aktion „Mare Nostrum“ vonseiten der europäischen Län-
der vor? Also a), ist Deutschland bereit, sich finanziell
an der Rettungsaktion „Mare Nostrum“ zu beteiligen?
Und b), wann, wo und wie wird Deutschland sich in
Brüssel für dieses Thema einsetzen? Dass Sie das allgemein gern tun, wissen wir; dennoch haben wir die Rückmeldung aus Brüssel, dass auch Deutschland sich dort
nicht intensiv dafür einsetzt, dass Mare Nostrum fortgeführt wird. Deshalb ganz konkret: Wir würden gerne die
Fakten kennen.
Die EU kann die Mission „Mare Nostrum“ nicht fortsetzen, weil es sich bislang um eine rein nationale Mission handelt. Ich hatte schon deutlich gemacht, dass es
im großen Interesse der Bundesregierung ist, dass die
Europäische Union eine ähnlich gelagerte Hilfs- und
Schutzmaßnahme durchführt - im Interesse der Flüchtlinge, aber auch im Kampf gegen Schlepperbanden.
({0})
Sie werden sicherlich nicht erwarten, dass die Bundesrepublik Deutschland im Mittelmeer eine solche Mission aufnimmt. Unser Bemühen kann also nur sein, dass
wir im Rahmen unserer Zuständigkeiten auf die EU einwirken und in der EU Überzeugungsarbeit leisten. Das
tun wir; es muss aber noch eine Reihe von Fragen geklärt werden. Dabei geht es in erster Linie gar nicht nur
um finanzielle Fragen, es geht auch um rechtliche Fragen. Es geht beispielsweise um die Frage, inwieweit
Frontex eine weiter gehende Aufgabe übernehmen
könnte. Diese Frage stellt sich aber derzeit nicht, weil
Frontex ein sehr begrenztes Mandat hat.
Diese Diskussionen laufen. Sie können sich darauf
verlassen, dass die Bundesregierung und auch ich persönlich es nicht bei Beklagen und Bedauern belassen,
sondern wir wollen, dass den Flüchtlingen dort geholfen
wird. Wir brauchen dafür ein größeres, ein stärkeres und
auch ein erfolgversprechendes EU-Engagement. Dazu
ist Deutschland als ein Mitgliedsland von 28 im Rahmen
seiner Möglichkeiten bereit. Es geht hier nicht um nationale Aktivitäten, es geht um eine EU-Mission, und da
sind wir in Gesprächen.
Der Kollege Dr. Feist hat das Wort.
Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. Herr
Staatsminister, wir hatten vorhin die Flüchtlinge aus Syrien thematisiert - das eigentliche Flüchtlingsdrama
spielt sich aber in den Nachbarländern Syriens ab. Nun
hatten wir im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik genau dazu ein Gespräch auch mit dem
Bundesaußenminister, in dem die für Kultur Zuständigen
signalisiert haben, dass sie in den Flüchtlingslagern in
den Nachbarländern Syriens etwas für diejenigen tun
könnten, die am meisten unter dem Krieg leiden: Das
sind die Kinder.
Meine Frage an Sie ist: Gibt es Überlegungen im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, sich auch in den
laufenden Haushaltsverhandlungen dafür einzusetzen,
die entsprechenden Etats anzuheben?
Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie wissen, dass die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als dritte Säule
der Außenpolitik ganz besonders auch unserem Außenminister am Herzen liegt und wir uns immer darum bemühen, die notwendigen Mittel aufzustocken. Diese Idee
stößt bei uns auf große Sympathie; aber Sympathie
alleine reicht nicht, sondern wir brauchen auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung. Ich sehe derzeit
nicht, dass wir das aus den vorhandenen Haushaltsmitteln werden schultern können; aber ich hoffe auf die Bereitschaft des Deutschen Bundestages, uns auch hier angemessen zu unterstützen.
Dazu ein paar Zahlen: Seit 2012 hat die Bundesregierung eine finanzielle Unterstützung für die Flüchtlinge
- insbesondere aus Syrien - im Umfang von 622 Millionen Euro geleistet. Sie haben völlig recht: Das ist eine
große Tragödie. Während wir in Deutschland zwei Kontingente im Umfang von 20 000 Flüchtlingen plus die
Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die aus Syrien
kommen - hier müsste mir der Kollege helfen; es sind
ungefähr 37 000 -, aufgenommen haben, haben wir es
mit 6 Millionen Flüchtlingen innerhalb und außerhalb
Syriens zu tun.
Bei aller gelegentlich auch nachvollziehbaren Kritik
an der Türkei: Die Türkei hat bislang schon 820 000 offiziell registrierte Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen,
und in den vergangenen Wochen ist diese Zahl durch
kurdische Flüchtlinge noch einmal signifikant gestiegen.
Die nicht registrierte Zahl liegt bei weit über 1 Million.
Die Unterbringung der Flüchtlinge dort ist gut, während
sie in Jordanien und im Libanon schlechter ist. Wir setzen uns sehr dafür ein, dass dort mehr getan werden
kann.
Wir sind dankbar für diesen Vorschlag. Wenn die
Finanzierung steht, dann werden wir das sicherlich auch
umsetzen können. Derzeit sind die Haushaltsmittel aber
komplett ausgeschöpft.
Herr Kollege Kekeritz, Sie haben eine Frage.
Meine Kollegin ist mir zuvorgekommen und hat die
Frage im Wesentlichen gestellt.
Das erleichtert die Beantwortung; sie ist nämlich
schon erfolgt. - Kollegin Kotting-Uhl.
Danke, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage an die
Bundesregierung zu der heute gefallenen Entscheidung
in der EU-Kommission, die staatlichen Beihilfen in
Großbritannien für den geplanten Neubau des Atomkraftwerks Hinkley Point C zu genehmigen.
Ich will meiner Frage vorausschicken, dass das eine
sehr eigenartige Entscheidung ist, nachdem die Kommission das noch im März nicht genehmigen wollte. Sie
hatte gute Gründe dafür; denn die Beihilfe für Atomkraftwerke ist in den Beilhilferichtlinien gestrichen worden. Meine Frage an die Bundesregierung ist, ob sie
diese Entscheidung durch Akzeptanz sozusagen gutheißen möchte oder ob sie eine Nichtigkeitsklage dagegen
anstreben will, wie das Österreich bereits in Aussicht gestellt hat.
Ich will Ihnen ausdrücklich sagen, dass ich als Umweltministerin antworte, weil das, was ich jetzt sage,
nicht mit der Bundesregierung bzw. in der Bundesregierung abgestimmt ist. Dazu hatte die Bundesregierung
noch keine Gelegenheit, und unter Verweis auf die Geschäftsordnung kann ich demnach nicht für die Bundesregierung antworten, sondern ich antworte als Umweltministerin.
Ich halte diese Entscheidung der EU-Kommission für
grundfalsch und kann sehr gut verstehen, dass Österreich
schon eine Nichtigkeitsklage ins Auge gefasst hat. Ich
bin der gleichen Auffassung wie Sie, dass die EU-Kommission in diesem Punkt in der Tat eine Kehrtwende
vollzogen hat. Insbesondere Kommissar Almunia hat
eine ganz andere Entscheidung als sonst getroffen; er ist
ganz anders vorgegangen, als er dies zum Beispiel in Bezug auf unser Erneuerbare-Energien-Gesetz getan hat.
Nach meinem Kenntnisstand sollen dem Atomkraftwerk Hinkley Point C für mehr als 30 Jahre Preise garantiert werden, die weitaus höher liegen als unsere
garantierte Einspeisevergütung, welche sukzessive abgebaut wird. Die Preise dort werden für mehr als 30 Jahre
fix zugesagt. Auf diese Weise wird sehr deutlich, dass
die Atomenergie im Vergleich zu den erneuerbaren
Energien nicht konkurrenzfähig ist; denn sonst müssten
die Preise nicht für 30 Jahre fix zugesagt werden.
Aus all diesen Gründen und auch, weil wir als Bundesregierung insgesamt - hier kann ich wieder für die
Bundesregierung sprechen - aus der Atomenergie aussteigen wollen, halte ich diese Entscheidung für falsch.
({0})
Herr Kollege Krischer.
Frau Bundesministerin Hendricks, Sie haben gerade
Ihre persönliche Auffassung bzw. Ihre Auffassung als
Bundesministerin zu der Subventionsentscheidung der
EU-Kommission betreffend Hinkley Point C dargelegt
und darauf hingewiesen, dass Sie nicht im Namen der
Bundesregierung dazu Stellung nehmen können. Deshalb frage ich Sie als Bundesumweltministerin: Werden
Sie sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung eine
Nichtigkeitsklage einreicht und sich damit der Position
Österreichs anschließt?
Ja, als Bundesumweltministerin werde ich mich dafür
einsetzen. Allerdings kann ich der Entscheidung der
Bundesregierung nicht vorgreifen und möchte deswegen
sagen: Sollte sich die Bundesregierung anders entscheiden, sollten Sie das bitte nicht als meine persönliche
Niederlage werten.
({0})
Mir liegen noch zwei Fragewünsche vor. Danach beenden wir diesen Tagesordnungspunkt und kommen
dann zu Tagesordnungspunkt 2, zur Fragestunde.
Ich erteile der Kollegin Amtsberg das Wort.
Herr Staatsminister Roth, auch auf die Gefahr hin,
dass ich mit meinen Fragen zu „Mare Nostrum“ nerve:
Sie haben gerade gesagt, dass über zwei Sachverhalte
diskutiert wird. Das eine ist die ureigene Aufgabe von
Mare Nostrum, die Seenotrettung; andere Aktivitäten
waren ursprünglich nicht vorgesehen. Das andere ist die
Ausweitung des Frontex-Mandats, bei der nicht nur die
Seenotrettung, sondern auch die Bekämpfung der
Schleuserkriminalität eine Rolle spielen würde.
Meine Frage lautet nun: Die vorgeschlagene Bekämpfung der Schleuserkriminalität in Form von Identitätsermittlungen auf den Booten und schnellen Rückführungen von den Booten aus würde tatsächlich eine
Ausweitung des Frontex-Mandats darstellen. Die SeeLuise Amtsberg
notrettung ist aber die ureigene Aufgabe, die Frontex seit
letztem Jahr erfüllen soll. Sollte man nicht zuerst über
diese Aufgabe von Frontex nachdenken und die Bekämpfung der Schleuserkriminalität und die damit verbundene Ausweitung des Aufgabenbereichs von Frontex
beiseitelassen?
Frau Kollegin, ich will Ihnen nicht zu nahe treten,
aber Sie nerven überhaupt nicht. Vielmehr nutzen Sie Ihr
Recht als Parlamentarierin. Ich bin Ihr Diener.
({0})
Sie können mich so lange fragen, wie Sie wollen. Das
gilt im Übrigen auch für alle anderen Kolleginnen und
Kollegen. Aber das muss letztendlich der Präsident entscheiden.
Tun Sie Frontex bitte kein Unrecht. Frontex leistet bereits humanitäre Hilfe und kümmert sich um Flüchtlinge,
die in Not sind; diese werden auch aufgenommen. Es
geht aber um ein neues Mandat und die Fortsetzung des
Einsatzes. Dabei müssen noch verschiedene Fragen geklärt werden. Was bisher geleistet wird, reicht nicht aus.
Das war der Grund, warum die italienische Regierung in
eigener Verantwortung und mit eigenen Mitteln „Mare
Nostrum“ ins Leben gerufen hat. Diese Mission hat viel
Gutes bewirkt.
Ich sehe die Notwendigkeit - und das ist eine Aufgabe der Europäischen Union -, in zwei Bereichen zu
handeln: Der eine ist die Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Der andere ist die Rettung von Menschen in
Not, die ansonsten vom Tode bedroht wären.
Abschließende Fragestellerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich
danke Ihnen für Ihre persönlichen Antworten als Umweltministerin auf die Fragen meiner Kollegen KottingUhl und Krischer betreffend die Unterstützung der EUKommission für den Bau neuer Atomkraftwerke. Diese
Entscheidung war seit Tagen absehbar. Von daher bin ich
irritiert, dass die Bundesregierung dazu heute in der Befragung der Bundesregierung keine Auffassung vertreten
kann; denn man wusste seit Tagen, dass es zu dieser Entscheidung kommen würde. Anscheinend haben Sie sich
mit dieser Frage nicht befasst.
Ich bitte dennoch darum, dass die Bundesregierung
den Abgeordneten der Grünen-Fraktion in den nächsten
Tagen mitteilt, ob Deutschland, wie dies andere europäische Länder tun, eine Nichtigkeitsklage einreichen wird.
Oder beabsichtigen Sie als Bundesregierung das nicht?
Frau Hendricks, Ihre persönliche Auffassung haben Sie
uns ja dargelegt.
Frau Kollegin Haßelmann, das will ich Ihnen für das
Bundeskanzleramt, welches ja im Moment nicht antworten darf, gerne zusagen.
({0})
Dafür ist es aber notwendig, dass zunächst in der Bundesregierung ein Abstimmungsprozess stattfindet. Nach
der Geschäftsordnung der Bundesregierung gibt es dafür
geübte Verfahren, die nicht übers Wochenende aufgrund
von Zeitungsmeldungen durchgeführt werden.
({1})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksache 18/2702
Wir gehen nach der üblichen Reihenfolge vor. Das
heißt, wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Für die Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Katja Keul auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen,
falls sich die Türkei ohne Mandat des VN-Sicherheitsrates mit
Bodentruppen militärisch in Syrien engagieren sollte, und
welche Auswirkungen wird das auf die deutsche Beteiligung
an der NATO-Operation „Active Fence“ haben?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich schlage vor, dass
ich die Frage der Kollegin Keul gemeinsam mit der
Frage der Kollegin Hänsel beantworte. Ich möchte die
Antworten nicht zweimal vortragen. Selbstverständlich
steht Ihnen die Möglichkeit offen, mir noch entsprechende Nachfragen zu stellen.
Dann rufe ich jetzt die Frage 2 der Abgeordneten
Heike Hänsel auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Entscheidung des türkischen Parlaments für Militäreinsätze in Syrien und Irak, und welche rechtlichen und politischen Konsequenzen hat diese Entscheidung für die in der
Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten?
Sie wissen, dass es seitens des türkischen Parlaments
zwei Mandate gab: einmal zum grenzüberschreitenden
Einsatz von Militär im Nordirak. Dieses Mandat gilt seit
2007. Es gab dann noch einmal ein ähnlich gelagertes
Mandat seit 2012 für Syrien. Die türkische Nationalversammlung hat am 2. Oktober den Beschluss gefasst,
diese beiden Mandate zusammenzufassen. Insofern hat
sich an der Rechtslage nichts geändert.
Es kommt aber ein entscheidender Punkt hinzu: Dieses neue Mandat lässt jetzt auch die Bekämpfung von
ISIS zu. Als weitere Elemente wurden die mögliche Stationierung ausländischer Truppen und die Einräumung
von Nutzungsrechten an Flugplätzen bzw. Militärbasen
in der Türkei aufgenommen.
Die türkische Regierung befürwortet die Einrichtung
von Sicherheits- und Flugverbotszonen. Das aber ist
nicht Gegenstand des Beschlusses.
Mit diesem Parlamentsbeschluss geht kein Automatismus einher. Die Bundesregierung geht vor diesem
Hintergrund davon aus, dass sich die Türkei in Syrien
derzeit nicht militärisch engagieren wird. Da sich durch
die türkische Mandatsverlängerung auch die Sach- und
Rechtslage nicht geändert hat, sehen wir keine Konsequenzen für die in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten.
Ich will das noch einmal kurz erläutern: Es handelt
sich dabei um die NATO-Mission „Active Fence“. Sie
hat ein rein defensives Mandat. Wir haben derzeit
271 Soldatinnen und Soldaten sowie Patriot-Flugabwehrraketen stationiert. Ort der Stationierung - ich war
selber dort - ist Kahramanmaras. Er befindet sich
100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Diese
Patriot-Flugabwehrraketen können nicht in den syrischen Luftraum eindringen. Insofern gibt es da keinen
Zusammenhang.
Frau Kollegin Keul, möchten Sie dazu noch eine Zusatzfrage stellen?
Ich bitte darum.
Dann haben Sie jetzt dazu die Möglichkeit - und im
Anschluss daran auch die Kollegin Hänsel.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Antwort. Sie haben gesagt, dass die Türkei jetzt - im Moment,
derzeit - nicht intervenieren wird. Zweifelsohne wird die
Bundesregierung aber sicherlich strategische Überlegungen für den Fall des Falles anstellen; denn ich glaube
nicht, dass ein NATO-Partner über einen langen Zeitraum hinweg friedlich Seite an Seite mit ISIS leben
wird.
Ich frage Sie: Für den Fall, dass es zu bewaffneten
Auseinandersetzungen auf syrischem Territorium
kommt: Beschäftigt sich die Bundesregierung mit der
Frage, welche völkerrechtlichen Voraussetzungen für
eine etwaige Unterstützung von NATO-Einsätzen erforderlich wären? Ich will Ihnen einen konkreten Punkt
nennen: Macht sich die Bundesregierung Gedanken darüber, bei welchem Szenario gegebenenfalls auch Gespräche mit Assad geführt werden müssen?
Frau Kollegin Keul, Sie können sich darauf verlassen,
dass sich die Bundesregierung fortwährend Gedanken
macht; denn wir sehen das ganze Drama nicht nur mit
großer Sorge, sondern wir bemühen uns auch um eine
Lösung. Wir leisten in erheblichem Maße humanitäre
Hilfe.
Wir haben auch eine klare Erwartungshaltung gegenüber der türkischen Regierung. Selbstverständlich erwarten wir, dass die Türkei, sollte sie denn im Rahmen
des Mandats einen Militäreinsatz planen, auch ihre
Bündnispartner in ihre Überlegungen einbezieht. Es gibt
aber derzeit keinen Anlass, weil es keinerlei konkrete
Signale der türkischen Regierung gibt. Es gibt dieses
Mandat, und es gibt derzeit Forderungen nach Flugverbotszonen und Sicherheitszonen. Es gibt eine klare Erwartungshaltung, dass sich die internationale Gemeinschaft daran beteiligt. Solange diese Diskussionen noch
laufen, sehe ich keinen entscheidenden Anhaltspunkt für
eine Absicht der türkischen Regierung, einen Militäreinsatz konkret umzusetzen, obwohl es seit dem 2. Oktober
ein entsprechendes Mandat bzw. eine entsprechende
Mandatsverlängerung gibt.
Sind damit alle Ihre Fragen beantwortet?
Nein.
Dann haben Sie noch eine Zusatzfrage.
Es ist bedauerlich, dass ich nur noch eine habe, weil
die Frage nach den Überlegungen, ob man Gespräche
mit Assad führt, noch nicht beantwortet ist. Ich will dennoch die zweite Nachfrage stellen.
Ich wüsste gerne von der Bundesregierung, welche
Erkenntnisse sie darüber hat, dass die Türkei nach wie
vor Waffenlieferungen an den ISIS über die Grenze zulässt und dass in türkischen Krankenhäusern ISISKämpfer behandelt werden. Was tut die Bundesregierung gegenüber der Türkei, um diesem doppelten Spiel
ein Ende zu machen und Druck auszuüben?
Es gibt klare Beschlüsse auch der türkischen Regierung bereits im September 2013, wonach der IS als Terrororganisation eingestuft wird. Bei dem Besuch des türkischen Außenministers in Berlin ist auch deutlich
gemacht worden, dass ISIS-Kämpfer ausgewiesen worden sind bzw. nicht in das Land einreisen dürfen. Es ist
ein klares Statement abgegeben worden, dass man den
IS ausdrücklich verurteilt und dass es keinerlei Unterstützung gibt. Weitere Erkenntnisse dazu liegen der Bundesregierung nicht vor.
Da auch die Frage der Kollegin Hänsel schon aufgerufen und beantwortet worden ist, haben Sie, Frau Kollegin Hänsel, jetzt die Möglichkeit, eine erste Zusatzfrage
zu stellen.
Danke schön. - Ich möchte mich auf das Mandat beziehen bzw. den Beschluss des türkischen Parlaments,
einen türkischen Einmarsch in Syrien oder militärische
Operationen im Irak zu ermöglichen. Sie sagen, Sie gingen nicht davon aus. Aber Sie haben es überhaupt nicht
in der Hand, wann die türkische Regierung eventuell
- sie steht immerhin mit Panzern direkt an der Grenze zu
Syrien, keine 20 Meter entfernt - auf syrisches Gebiet
vordringt.
Die Ausrichtung der Bundeswehr ist eindeutig defensiv. Es geht um die mögliche Verteidigung gegen Angriffe. Deshalb finde ich, dass Sie hier Kamikaze spielen, wenn Sie sagen: Es gibt diesen Beschluss; aber wir
gehen davon aus, dass er nicht umgesetzt wird, und deshalb besteht kein Handlungsbedarf. - Nach unserer Meinung muss die Bundeswehr sofort abgezogen werden.
Sie können nicht ausschließen, dass Sie in eine militärische Auseinandersetzung mit Syrien verwickelt werden,
zumal sich auch die syrische Regierung gegen diesen
Beschluss - er ist ohne völkerrechtliche Grundlage getroffen worden -, möglicherweise nach Syrien vorzudringen, verwahrt hat.
Liebe Frau Kollegin Hänsel, es gibt derzeit ein Mandat, beschlossen von der türkischen Nationalversammlung. Aus diesem Mandat heraus ergibt sich kein Automatismus.
({0})
Die türkische Regierung hat mehrfach bekundet, dass
ein militärisches Eingreifen in Syrien nicht auf der Tagesordnung steht. Ich habe erläutert, dass unser Einsatz
im Rahmen von Active Fence, das heißt der Einsatz von
Patriot-Raketen, rein defensiv angelegt ist. Unsere Soldatinnen und Soldaten - in Kahramanmaras stationiert,
271 an der Zahl - sind ungefähr 100 Kilometer von der
syrischen Grenze entfernt.
Dieses Mandat kann auch in keiner Weise umgewidmet werden. Das heißt, es bleibt ein defensives Mandat,
und es ist auch nichts anderes vorgesehen, zumal es
technisch auch gar nicht möglich wäre. Die Reichweite
der Raketen ist auch gar nicht ausreichend, um das syrische Gebiet zu treffen. Insofern würde ich nicht zwei
Mandate miteinander vermengen, die nichts miteinander
zu tun haben.
Sie können gewiss sein, dass die Bundesregierung
stets Sorge für ihre Soldatinnen und Soldaten trägt, dass
sie sämtliche Entwicklungen aufmerksam verfolgt und
sie darüber hinaus die notwendigen Gespräche führt auch zum Schutze unserer Soldatinnen und Soldaten,
nicht nur in der Türkei, sondern darüber hinaus.
Frau Kollegin Hänsel, sind damit alle Ihre Fragen beantwortet?
Ich habe noch eine Nachfrage.
Bitte sehr.
Sie haben schon erwähnt: Es gibt Forderungen der
türkischen Regierung nach Schaffung einer Schutzzone
auf syrischer Seite in der Grenzregion. Eine solche
Schutzzone würde vor allem das autonome Kurdengebiet Rojawa betreffen. Da gibt es große Widerstände und
auch Befürchtungen vonseiten der Kurden und Kurdinnen. Meine Frage: Wie steht die Bundesregierung konkret zu solch einer Forderung der türkischen Regierung?
Was macht sie konkret, um die Sorgen der Kurden und
Kurdinnen auszuräumen, dass es nicht zu einer militärischen Besetzung dieser Region durch das türkische Militär kommt?
Die Bundesregierung konzentriert sich darauf, das unendliche Leid der Menschen in dieser Region zu lindern.
Ich habe schon dargestellt, wie die humanitären Hilfsleistungen derzeit, insbesondere für diese Region, aussehen. Wir sind nicht gefragt worden, ob wir uns über die
humanitären Hilfsleistungen hinaus an einem Militäreinsatz beteiligen wollen. Wir haben bislang elf Staaten, die
unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika für
die Luftschläge verantwortlich zeichnen, um gegen den
IS zu kämpfen.
Das, was die türkische Regierung als Voraussetzung
einstuft, nämlich sogenannte Schutzzonen, setzt auch
Bodentruppen voraus. Ich sehe derzeit bei niemandem
die Bereitschaft, solche Truppen einzusetzen. Das Ganze
ist also eine sehr theoretische Konstruktion.
Für eine weitere Zusatzfrage in diesem Zusammenhang erteile ich das Wort jetzt dem Kollegen Ströbele.
Herr Staatsminister, ich habe eine Nachfrage: Welche
konkreten Planungen oder mindestens Überlegungen hat
die Bundesregierung für den ja nicht unwahrscheinlichen Fall, dass die türkische Regierung von dem Mandat, das sie vom Parlament bekommen hat, Gebrauch
macht und mit Militär in Syrien einrückt? Könnte das
nach Auffassung der Bundesregierung dann der NATOVerteidigungsfall sein? Wie verhalten sich die PatriotEinheiten der Bundeswehr in dem Falle - auf dieses Problem ist schon hingewiesen worden -, dass von Syrien
aus die Assad-Truppen oder welche Truppen auch immer die Türkei angreifen oder von dort zurückschlagen,
je nachdem, wie man das nennen will? Werden dann die
deutschen Patriot-Raketen eingesetzt, um beispielsweise Flugzeuge oder Raketen, die von Syrien aus auf
die Türkei fliegen, abzuwehren?
Herr Ströbele, Sie haben jetzt so viel spekuliert, dass
ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich glaube
auch, dass die Lage viel zu ernst ist, um sich in Spekulationen zu ergehen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich
Ihnen noch einmal die klare Rechtslage erklären soll,
weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Sie sie kennen.
Sie haben noch einmal die besondere Verantwortung
der Türkei als NATO-Mitgliedsland erwähnt. Sollte es
zu einem Angriff auf die Türkei kommen, stellt sich die
Bündnisfrage. Aber es gibt überhaupt keinen Automatismus, der sich aus Artikel 5 des NATO-Vertrags ergibt.
Sie wissen auch, dass der Bündnisfall bislang nur ein
einziges Mal eingetreten ist, nämlich im Rahmen von
9/11. Sollte die Türkei einen Antrag auf Bündnissolidarität stellen - das ist die Grundvoraussetzung -, dann
muss zwischen den 28 Mitgliedstaaten der NATO ein
Konsens erzielt werden. Das ist die rein rechtliche Situation. Wenn wir uns einmal die Wirklichkeit anschauen,
stellen wir fest: Dieser Fall ist in der Geschichte der
NATO bislang ein einziges Mal eingetreten.
Ansonsten können Sie sich darauf verlassen, dass wir
viele Gespräche führen. Ich habe Ihnen auch deutlich gemacht, wie das bisherige Mandat für die Operation „Active Fence“ aussieht und welchen Beitrag unsere Soldatinnen und Soldaten dazu leisten.
Wir kommen damit zur Frage 3 der Kollegin Heike
Hänsel:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das
Verhältnis zwischen der türkischen Regierung und dem sogenannten Islamischen Staat - IS -, und in welcher Weise hilft
die Bundesregierung der in der nordsyrischen Region Rojawa,
insbesondere der Stadt Kobane, von dem IS angegriffenen Bevölkerung?
Vielen Dank. - Frau Kollegin Hänsel, seit dem
30. September 2013 - ich habe das eben schon einmal
erwähnt; deswegen wiederhole ich mich jetzt ein bisschen - stuft auch die türkische Regierung ISIS bzw. ISIL
als Terrororganisation ein. Im Übrigen hat kürzlich der
neue türkische Außenminister Berlin besucht und Gespräche mit unserem Außenminister geführt. Dabei hat
die Türkei noch einmal deutlich darauf hingewiesen,
dass bereits jetzt 6 000 mutmaßliche Foreign Terrorist
Fighters auf eine Einreisesperrliste gesetzt worden sind
und dass schon 1 000 solcher Kämpfer aus der Türkei
ausgewiesen worden sind. Über den Parlamentsbeschluss vom 2. Oktober, der ein entschiedenes Vorgehen
gegen den IS ermöglicht, habe ich Sie ebenfalls schon
informiert.
Die Bundesregierung ist vor allem im Kampf gegen
ISIS um ein internationales Bündnis gegen den dschihadistischen Extremismus und gegen den Terror vom IS
bemüht. Dazu leisten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten den Beitrag, den man zu Recht von uns verlangen
kann. Die letzte Sitzung der Vereinten Nationen war gerade auch von diesem Gesprächsthema geprägt. Unser
Außenminister hat sich in diesem Bereich sehr engagiert.
Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden humanitären Notlage der Menschen in Syrien und im Irak hat
die Bundesregierung am 1. Oktober die Mittel für humanitäre Hilfsleistungen abermals um 10 Millionen Euro
aufgestockt. Hiermit sollen insbesondere Hilfsprogramme
des UNHCR, Nahrungsmittelhilfen des Welternährungsprogramms und auch Hilfsmaßnahmen humanitärer
Nichtregierungsorganisationen in der Türkei aufgrund
der aktuellen Flüchtlingssituation finanziert werden.
Ich möchte schon jetzt darauf hinweisen, dass am
28. Oktober auf Einladung von Außenminister Steinmeier
und unseres Hauses eine internationale Flüchtlingskonferenz stattfinden wird. 40 Außenministerinnen und Außenminister sowie eine Reihe von Flüchtlingsorganisationen haben ihren Teilnahmewillen bekundet. Es geht
hier nicht allein um ein klares Zeichen der Solidarität,
sondern wir wollen gemeinsam auch überlegen: Was
können wir noch mehr tun, um die Lage der Flüchtlinge
zu verbessern?
Noch einmal die Zahl: Seit 2012 hat die Bundesregierung 622 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir bemühen uns derzeit - auch das wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen - um eine Mittelaufstockung, aber wir
sind hier auf das Wohlwollen und auf die konkrete Unterstützungsbereitschaft des Deutschen Bundestages
zwingend angewiesen, weil unsere Haushaltsmittel komplett aufgebraucht sind.
Bevor ich das Wort zur ersten Nachfrage erteile, mache ich nur auf Folgendes aufmerksam: Wir haben uns
Regeln gegeben, was die Zeit für die Fragestellung und
auch für die Beantwortung der Fragen betrifft. Damit
man nicht im Eifer, möglichst viele Fakten rüberzubringen, über diese Zeit hinwegredet, haben wir hier ein optisches Signal. Spätestens dann, wenn die Farbe Rot aufleuchtet, ist die Antwortzeit oder auch die Fragezeit
ausgeschöpft. Ich bitte, das im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen zu beachten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Frau
Hänsel.
Danke schön. - Ich möchte noch einmal auf die Rolle
der Türkei bezüglich der Unterstützung des sogenannten
Islamischen Staates zu sprechen kommen. Im Gegensatz
zu Äußerungen, was Russland anbetrifft - da gab es ja
die Aufforderung, dass Russland keine Kämpfer über die
Grenze zur Ostukraine durchlassen soll; da gibt es sogar
einen Beschluss der G 7, in dem das thematisiert wird
und Russland dazu aufgefordert wird -, habe ich von Ihnen bzw. von der Bundesregierung offiziell in keiner
Weise eine ähnliche Aufforderung an die türkische Regierung gehört, dass sie hier eine ganz klare Rolle einnehmen und nachweisen müsse, dass sie den IS nicht unHeike Hänsel
terstützt. Es gibt viele entsprechende Berichte von
Augenzeugen aus der Region an der türkisch-syrischen
Grenze. Sie finden auch Berichte in der New York Times,
in denen aus Obamas Administration schwere Vorwürfe
erhoben werden.
Was gedenkt die Bundesregierung aktiv gegenüber
der türkischen Regierung zu tun, damit Unterstützungsleistungen, die Bereitstellung von Rückzugsräumen usw.
beendet werden? Das ist doch jetzt eine ganz dringende
Aufgabe.
Bevor ich Ihre Frage beantworte, Frau Kollegin
Hänsel, gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, noch ein
Wort in eigener Sache. Ich finde Ihren Hinweis bezüglich der Geschäftsordnung zwar richtig, aber es kann
doch nicht angehen, dass auf der einen Seite die Kolleginnen und Kollegen des Parlamentes die Regierung dafür kritisieren, dass wir sehr kurze und vielleicht auch
nicht zureichende Antworten geben, und dann, wenn
man sich einmal darum bemüht, zureichend zu antworten und vielleicht auch den einen oder anderen Aspekt zu
benennen, ist es auch wieder nicht recht. Wenn Sie also
kurze Antworten von mir erwarten, dann werde ich das
zukünftig genau so tun.
({0})
Das gilt für beide Seiten, und ich denke, der Ort, um
das zu besprechen, ist der Ältestenrat. Wir haben uns aus
aktuellem Anlass in den vergangenen zwei Ältestenratssitzungen genau damit befasst, und ich muss keine Prophetin sein, um vorherzusagen, dass wir das auch morgen wieder besprechen werden. Ich nehme an, dass Ihr
Kollege Helge Braun oder andere, die die Bundesregierung dort vertreten, Ihr Anliegen mitbringen wird und
wir dort sicherlich auch einen entsprechenden Kompromiss finden. Ich bin gehalten, das hier völlig ohne Ansehen der Rednerinnen und Redner und ihrer Herkunft
durchzusetzen.
Danke für Ihr Verständnis, Frau Präsidentin. - Jetzt
beantworte ich die Frage der Kollegin Hänsel möglichst
kurz und ganz prägnant.
Ich hatte eingangs schon darauf hingewiesen, dass
sich die Bundesregierung sehr engagiert darum bemüht,
ein internationales Bündnis gegen IS zu schmieden.
Selbstverständlich spielt dabei die Türkei als unmittelbares Nachbarland von Syrien eine zentrale Rolle. Ich weiß
nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass es nicht entsprechende klare Aussagen der Bundesregierung auf den
unterschiedlichsten Ebenen gegeben habe. Ich hatte Ihnen deutlich gemacht, wie die Antworten der türkischen
Regierung, auch gegenüber dem Auswärtigen Amt, auch
gegenüber unserem Außenminister, ausgesehen haben.
Weiter spekulieren möchte ich nicht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Danke schön. - Sie hatten ja sehr allgemein erwähnt,
dass Sie umfassende humanitäre Hilfe leisten. Wir erinnern uns alle: Im Sommer, als es um die dramatische Situation der Jesiden ging, war die Bundesregierung sehr
aktiv und hat sich in vielfacher Weise in der Hinsicht geäußert, die Jesiden müssten geschützt werden usw. Jetzt
einmal unabhängig davon, dass wir Waffenlieferungen
nicht unterstützen: Gibt es überhaupt Äußerungen der
Bundesregierung zur dramatischen Situation in Kobane
bzw. in Rojawa? Ich höre so gut wie nichts von der Bundesregierung. Etliche von uns waren mittlerweile an der
türkisch-syrischen Grenze. Die Grenze wurde vom Militär dichtgemacht. Dort stehen Panzer. Die türkische Regierung verhindert zum Beispiel auch, dass Kurden bzw.
Kurdinnen wieder auf die syrische Seite kommen, um
dort Kobane zu verteidigen. Es gibt eine Blockadepolitik
der türkischen Regierung. So ist die Grenze vermint.
Was machen Sie denn eigentlich, um diese Blockadepolitik der Türkei gegenüber Kobane zu brechen?
Außerdem gab es allein gestern über 14 Tote bei Auseinandersetzungen im Rahmen von Demonstrationen in
der Türkei. 14 Tote unter den Kurden und Kurdinnen!
Was haben Sie daraufhin gemacht? Werden Sie den türkischen Botschafter einbestellen? Dass es bei diesen Demonstrationen 14 Tote gab, ist ja unglaublich!
Ich habe das Engagement der Bundesregierung im
Rahmen der humanitären Hilfe geschildert. Ich kann Ihnen auch noch einmal - weil Sie bemängelt haben, es sei
nicht ausführlich genug gewesen - Zahlen nennen: Bislang sind 347,07 Millionen Euro an humanitärer Hilfe
geflossen, 199,65 Millionen Euro an strukturbildender
Übergangshilfe/bilateraler Unterstützung und dann noch
einmal 75,4 Millionen Euro für Krisenbewältigung. Das
sind die drei wesentlichen Bereiche.
Darüber hinaus kann ich Ihnen noch einmal versichern, dass wir selbstverständlich mit der Türkei, aber
auch mit allen anderen Verantwortlichen im regelmäßigen Austausch darüber in Kontakt stehen, um ein internationales Bündnis gegen IS zu schmieden. Derzeit gibt
es keinerlei Anfragen an die Bundesregierung, weder zur
Beteiligung an Bodentruppen noch zur Beteiligung an
Luftschlägen. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll
wäre, wenn alle dasselbe täten. Wir konzentrieren uns
vor allem auf die humanitären Leistungen. Ich hatte auch
dies mit einer Bitte an den Bundestag verbunden, nämlich uns dabei zu helfen, dass wir mehr tun können. Wir
konzentrieren derzeit die humanitären Hilfsleistungen
auf die von Ihnen genannte Region,
({0})
die besonders schlimmen Angriffen von IS ausgesetzt
ist.
Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Herr Staatsminister, vielleicht kommen Sie mit Ihrer
Zeit auch deshalb nicht zurecht, weil Sie zu der Frage
nichts sagen. Es geht hier nicht um Millionen für humanitäre Hilfe, sondern es geht um die aktuelle humanitäre
Katastrophe von Kobane. Es geht zum Beispiel um die
Frage, ob man die Grenze zur Türkei öffnet, damit die
Menschen, wenn der IS die Stadt vollends überrennt,
rechtzeitig fliehen und sich in Sicherheit bringen können. Das ist gegenwärtig nicht gewährleistet. Stattdessen
ist es offensichtlich so, dass IS-Kämpfer über die Grenze
kommen, um sich in die Türkei zurückzuziehen, und
dann auch wieder in Syrien eindringen können; das
nimmt die Türkei hin. Dabei geht es doch nicht um die
Frage, wie viel Geld wir ausgeben. Vielmehr geht es darum, inwieweit Sie, da die Türkei NATO-Partner und auf
der Ebene der Europäischen Union Beitrittskandidat ist,
Ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzen. Deshalb
finde ich die Frage von Kollegin Hänsel ausdrücklich
richtig. Warum bestellen Sie den Botschafter der Türkei
nicht ein, um diese Frage in einem deutlichen Gespräch
zu erörtern und klarzumachen, dass man im Sinne von
Responsibility to Protect alles tun muss, um die Menschen von Kobane zu retten? Wenn Sie nur zuschauen
und bis nächstes Jahr an einem Bündnis schmieden, hilft
das Kobane und den Menschen dort nicht mehr.
Was also tun Sie direkt? Oder können Sie es nicht sagen? Dann müssen Sie hier die zuständigen Regierungsmitglieder präsentieren, die diesbezüglich auskunftsfähig sind.
({0})
Das Wort hat der Staatsminister.
Sie können mich, Herr Kollege, gerne kritisieren.
Aber Sie sollten bei Ihrer massiven Kritik an der Türkei
vielleicht eines nicht außer Acht lassen: Die Türkei hat
bislang 820 000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.
Zudem sagen Experten, es dürften realiter vermutlich
weit über 1 Million Flüchtlinge sein, die sich derzeit auf
türkischem Staatsgebiet aufhalten. Deshalb empfinde ich
es als etwas merkwürdig, wenn Sie der Türkei unterstellen, sie würde keinen Beitrag leisten, um menschliche
Not zu lindern.
({0})
- Ich habe Ihre Frage so beantwortet, wie ich sie beantworten möchte.
({1})
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Katja
Keul das Wort.
Herr Staatsminister, um das Ganze wieder etwas herunterzukochen: Wir wären die Letzten, die humanitäre
Hilfe nicht für äußerst wichtig hielten, und wenn Sie
diese aufstocken wollen, haben Sie natürlich unsere
volle Unterstützung. Aber das ändert doch nichts daran,
dass sich bezüglich der genannten Grenzsituation berechtigte Fragen stellen. Sie haben noch einmal dargelegt, wie ein Bündnisfall rechtlich eintreten kann. Aber
ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie dann sagen, die
Frage des Kollegen Ströbele sei völlig spekulativ und
fiktiv. Wir alle, Sie, ich und wir alle, stehen fassungslos
vor dem, was in Kobane passiert. Es ist doch klar, dass
das Szenario, das Sie geschildert haben, nichts Fiktives,
auf dem Papier Stehendes ist, sondern etwas, was jeden
Tag eintreten kann. Dann interessiert sich auch niemand
mehr dafür, wann, wie und auf welchem Wege die Anfrage an die Bundesregierung kommt, sondern dann haben wir den Schlamassel und den Bündnisfall. Die Frage
ist: Wie bereitet sich die Bundesregierung darauf vor?
Was macht sie mit den in der Türkei stationierten Soldaten? Wie gedenkt sie sich in einer solchen Situation mit
den völkerrechtlichen Gegebenheiten auseinanderzusetzen? Das sind doch berechtigte Fragen.
({0})
Ich kann die Antworten aber nur aufgrund der Sachlage geben. Die Sachlage schildert sich folgendermaßen
- ich kann es gerne noch einmal wiederholen -: Es gibt
ein Mandat der türkischen Nationalversammlung. Die
türkische Regierung hat bislang erklärt, dass sie derzeit
nicht beabsichtigt, in Syrien militärisch einzugreifen. Sie
hat zwei Bedingungen genannt: Schutzzonen am Boden,
aber auch entsprechende Flugzonen. Diese beiden Bedingungen setzen ein internationales Engagement der
Koalition voraus. Bislang sind sechs Staaten unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika an Luftschlägen beteiligt. Bislang liegt keine Anfrage an die deutsche Regierung vor, sich an diesen Luftschlägen zu
beteiligen. Es gibt auch keine Nachfrage und keine Bitte,
sich an Bodentruppen zu beteiligen. Es gibt aber unser
großes Bemühen, die humanitäre Situation zu verbessern. Hier leisten wir das, was im Rahmen unsere Möglichkeiten ist. Das sind die Fakten, Frau Kollegin.
Die letzte Nachfrage zur Frage 3 der Kollegin Hänsel
stellt der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Herr Staatsminister, die Situation ist dramatisch. Aber
wir fragen nach etwas anderem. Die Stiftung Wissenschaft und Politik sagt: Der Schlüssel liegt derzeitig in
der Türkei. Ihr Kollege, Herr Ederer, Staatssekretär im
Auswärtigen Amt, sagt das Gleiche. Jetzt stellen wir die
einfache Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, der
Türkei zu sagen - wenn sie es noch nicht gemacht hat -:
Wir erwarten, dass die Grenze konsequent für ISISKämpfer geschlossen und für Flüchtlinge aufgemacht
wird. - Das ist doch eine einfache Frage, die Sie mit Ja
oder Nein beantworten können bzw. auf die Sie antworten können, wann Sie es gemacht haben oder machen
werden.
Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass
das Hauptziel der Bundesregierung ist, ein internationales Bündnis gegen IS zu schmieden. Dort spielt die Türkei eine entscheidende Rolle. Selbstverständlich führen
wir auch Gespräche mit der Türkei, welchen Beitrag sie
zu leisten vermag, um gegen IS vorzugehen. Ansonsten
habe ich Ihnen auch geschildert, dass ich mich im Gegensatz zu anderen schwertue, der Türkei zu unterstellen, sie würde nicht genügend für Flüchtlinge tun. Sie tut
viel für Flüchtlinge.
({0})
Zurzeit hat der Herr Staatsminister das Wort, es sei
denn, er ist am Ende seiner Antwort.
Zumindest bin ich am Ende dieser Antwort. Ja.
Da die Fragen 4 und 5 der Kollegin Dağdelen schriftlich beantwortet werden, danke ich dem Herrn Staatsminister. - Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amts.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole
Schröder zur Verfügung.
Die Frage 6 der Kollegin Martina Renner und die
Frage 7 des Kollegen Andrej Hunko sollen schriftlich
beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie viele gewaltbereite Islamisten ({0}) konnten mit Billigung bzw. Zutun von
Behörden des Bundes bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung von Behörden der Länder seit 2009 ({1}) aus Deutschland ausreisen ({2}), und inwiefern
({3}) hat die Bundesregierung den
Deutschen Bundestag über eine entsprechende Beschlusslage
der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren
der Länder, die die Billigung solcher Ausreisen vorsah, informiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte die
Frage wie folgt: Ausreisen von gewaltbereiten Islamisten, bei denen Tatsachen den Verdacht terroristischer
Aktivitäten stützen, fanden mit Billigung bzw. Zutun
von Behörden des Bundes nicht statt. Maßnahmen der
Gefahrenabwehr fallen in die originären Zuständigkeiten
der Länder und Kommunen.
Bei Bund und den für die Vollziehung von Gefahrenabwehrmaßnahmen originär zuständigen Ländern und
Kommunen besteht seit langem Einvernehmen darüber,
dass Ausreisen von Personen verhindert werden, soweit
Hinweise auf eine Ausreiseabsicht im Zusammenhang
mit der Absicht und Planung konkreter Gewalttaten im
Ausland bestehen, und damit die rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausreiseverhinderung vorliegen. Soweit
eine konkrete Absicht und Planung nicht in hinreichendem Maße aufgeklärt werden kann, ergreifen die Länder
und Kommunen andere gefahrenabwehrende Maßnahmen, die auch die Überprüfung des Aufenthaltsstatus beinhalten. Dabei unterliegt jeder Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung hinsichtlich der Anwendung der geeigneten
und rechtlich zulässigen Maßnahmen. Eine hiervon abweichende Abstimmung oder Beschlusslage der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der
Länder ist nicht bekannt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich möchte Sie ganz konkret zu dem Fall von Erhan
A. befragen, der sich gegenwärtig in Bayern in Abschiebehaft befindet. Er hat in der Presse öffentlich geäußert,
dass er David G. aus Kempten beneidet habe, der im
ISIS-Kampf gestorben ist. Die bayerischen Stellen haben
erklärt, dass eine Abschiebung von Erhan A. dennoch
beabsichtigt ist.
Die CSU ist sich sogar nicht zu schade, heute ein Pic
zu verbreiten, auf dem steht:
„Jemand, der in aller Öffentlichkeit die Gräueltaten
der Terrormiliz Islamischer Staat gutheißt, das Köpfen von Journalisten rechtfertigt und nicht davor zurückschreckt, seine eigene Familie zu töten, wenn
sie sich nicht an die islamischen Gesetze hält, hat
bei uns nichts zu suchen.“
Damit wird die harte Linie der CSU, so jemanden des
Landes zu verweisen, ausdrücklich beworben. Das verstößt meines Erachtens gegen den Wortlaut und den Sinn
der UN-Resolution zu Foreign Fighters. Danach sind wir
Volker Beck ({0})
gehalten, solche Personen in unserem Land festzuhalten
und sie gegebenenfalls mit Mitteln der Strafverfolgung
festzusetzen oder polizeilich zu überwachen. - Mir fehlt
jedes Verständnis für die Diskussionslage in der CSU.
Völkerrechtlich ist die Bundesregierung gegenüber
den Vereinten Nationen verantwortlich. Soweit ich weiß,
wurde diese Resolution von Deutschland ausdrücklich
unterstützt. Wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund dieser UN-Resolution die bevorstehende Abschiebung von
Herrn Erhan A. in die Türkei, wodurch eine Weiterreise
ins Kampfgebiet ermöglicht wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Generell ist zu sagen, dass wir solche Personen, bei
denen eine konkrete Reiseabsicht, aber auch eine konkrete Terrorabsicht besteht, nicht ausreisen lassen, weil
wir nicht wollen, dass von deutschem Boden Terror und
Krieg ausgehen. Davon zu unterscheiden sind aber solche Personen, die keine Terrorabsicht haben, aber entsprechend agitieren, insbesondere Hassprediger, die gerade junge Menschen dazu bringen könnten, nach Syrien
zu ziehen. Diese Personen wollen wir nicht im Land haben, weil wir insbesondere die dafür anfälligen Jugendlichen schützen wollen. Wir wollen nicht, dass solche
Hassprediger zum Beispiel in Moscheen in Deutschland
andere zu Terror anstiften; sie gehören selbstverständlich
ausgewiesen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich sehe das mit den Hasspredigern anders. Ich finde:
Wenn sie über YouTube ihre Botschaften aus dem
Kampfgebiet senden, hat das eine wesentlich verheerendere Wirkung. Wenn sie wirklich Hass predigen, ist das
Strafrecht wegen Volksverhetzung in Anspruch zu nehmen.
Ich komme konkret zum Fall des Erhan A. Er sagt
eindeutig, er beneide seinen Kumpel, der schon unten
war. Er unterstützt ausdrücklich alle Gewalttaten, die der
IS gegenwärtig begeht. Er hat lediglich noch nicht den
Satz gesagt: Ich will da jetzt auch hin. - Aber wer eins
und eins zusammenzählen kann, weiß, dass dieser Typ
das denkt. Würden Sie mir zustimmen, dass es angesichts der UN-Resolution zu Foreign Fighters unzulässig
wäre, Erhan A. gegenwärtig in die Türkei auszuweisen?
Was haben Ihre diesbezüglichen Gespräche mit der Bayerischen Staatsregierung bislang ergeben? - Der Beschluss der IMK vom 5. Juni 2009 sieht ein hohes Maß
an Kommunikation der Sicherheitsbehörden bei solchen
Maßnahmen vor. Ich hoffe, das ist nicht nur Papier, sondern es gibt dieses Maß der Kommunikation.
Wir müssen im konkreten Einzelfall unterscheiden:
({0})
Ist das ein ausländischer Kämpfer? Will er im Ausland
Terrortaten begehen?
({1})
Dann verhindern wir die Ausreise. Wenn es eine Person
ist, die andere dazu bringen möchte, ins Ausland zu gehen, die agitiert, die hier in Deutschland in Moscheen tätig ist und insbesondere Jugendliche dazu bringen will,
nach Syrien zu gehen, um sich dort ISIS anzuschließen,
dann greifen ausländerrechtliche Instrumentarien, dann
ist es angezeigt, diese Person auszuweisen. - Das müssen wir unterscheiden; das bringen Sie gerade durcheinander.
({2})
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Heike Hänsel das
Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Frage zu den
aktuellen Auseinandersetzungen in Hamburg und Celle.
Salafistische Gruppen hatten über Facebook und Twitter
dazu aufgerufen, kurdische Kulturvereine zu überfallen.
Danach kam es zu schweren Ausschreitungen. Wie gedenkt die Bundesregierung, darauf zu reagieren?
Das ist eine sehr dynamische Lage. Auch in anderen
Städten gab es solche Vorfälle. Jetzt kommt es darauf an,
konkret mit den Sicherheitsbehörden vor Ort und auch
mit den unterschiedlichen Akteuren zu sprechen, damit
mögliche Demonstrationen gewaltfrei ablaufen.
Die Kollegin Haßelmann stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Schröder, ich möchte Sie auffordern, auf die konkrete
Frage meines Kollegen Beck zu antworten. Er hat keine
allgemeine Frage zu der grundsätzlichen Politik des Innenministeriums gestellt. Es ging ihm konkret um den
Widerspruch zwischen den Aussagen des bayerischen
Innenministeriums und der Ausreiseverfügung bezüglich
einer ganz konkreten Person und der Rechtslage und der
Anwendung der Rechtsvorschriften entsprechend den
öffentlichen Einlassungen, insbesondere zur Linie des
Innenministeriums von de Maizière. Herr Beck hat Sie
ganz präzise und konkret gefragt. Sie haben aber, trotz
zweimaliger Nachfrage, nicht darauf geantwortet. Ich
fordere Sie deshalb auf, konkret etwas zu dem Fall
Erhan A. aus Bayern zu sagen.
Ich habe ganz konkret geantwortet und erläutert, welche Absprachen mit den Ländern in Bezug auf die Vorgehensweise getroffen wurden. Ich gehe davon aus, dass
auch dieser konkrete Fall gemäß den IMK-Beschlüssen
abgewickelt wurde. Aber natürlich kenne ich nicht die
konkrete Akte.
({0})
Wir sind immer noch im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 9 der
Kollegin Luise Amtsberg auf:
Was soll nach Kenntnis der Bundesregierung der Aufgabenbereich ({0}) der geplanten
Frontex-Operation „Triton“ sein, und mit welcher Begründung setzt sich die Bundesregierung beim anstehenden EUInnenministerrat am 9. Oktober 2014 nicht für eine europäische Unterstützung der italienischen Marineoperation „Mare
Nostrum“ auch außerhalb italienischen Hoheitsgewässers ein,
die im vergangenen Jahr auf hoher See 100 000 Menschen gerettet hat ({1})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Einsatzplan
der gegenwärtig geplanten Frontex-koordinierten Operation „Triton“ ist der Bundesregierung noch nicht bekannt.
Nach bisherigem Kenntnisstand soll der Einsatz zur
Implementierung koordinierter operativer Aktivitäten
der EU-Mitgliedstaaten an den Seeaußengrenzen im zentralen Mittelmeer beitragen. Im Ergebnis sollen die
grenzpolizeilichen Maßnahmen der zuständigen italienischen Behörden durch Personal und technische Ausrüstungsgegenstände anderer EU-Mitgliedstaaten unterstützt werden.
Ziel ist die grenzpolizeiliche Kontrolle von Migrationsströmen in Richtung Europa und die Bekämpfung
von grenzüberschreitender Kriminalität. Darüber hinaus
sollen Seenotrettungsmaßnahmen der zuständigen italienischen Behörden im Einsatzgebiet unterstützt werden.
Diese Einsatzziele sollen insbesondere durch Mittel der
Grenzüberwachung und gezielten Informationsgewinnung im Rahmen von Befragungen erreicht werden.
Die Höhe der dadurch entstehenden Einsatzkosten ist
der Bundesregierung nicht bekannt. Da es sich bei der
Operation „Triton“ um eine außerplanmäßige Maßnahme handelt, war sie nicht Gegenstand der Jahresplanung 2014. Der zulässige Kostenrahmen ergibt sich jedoch in erster Linie aus dem Frontex-Haushalt, also den
verfügbaren Mitteln, und dem Jahresarbeitsprogramm
der Agentur, also den durch den Verwaltungsrat entschiedenen Aktivitäten der Agentur.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Die Kooperation der
EU-Mitgliedstaaten erfolgt entsprechend den Mechanismen im Rahmen der gemeinsamen polizeilichen
Grenzüberwachung. Hierzu verfügen die zuständigen
Mitgliedstaaten über gemeinsame Ausbildungs- und
Einsatzstandards, Rechtsgrundlagen, Einsatzkonzepte
und Einsatzmittel. Diese Kooperation hat sich auch im
Mittelmeer in den Frontex-koordinierten Operationen
„Hermes“ und „Aeneas“ bewährt.
Die Operation „Mare Nostrum“ ist eine militärische
Operation. Frontex hat hier weder das Mandat noch die
Mittel, Einsatzmaßnahmen nach dem Vorbild „Mare
Nostrum“ zu koordinieren. Um die vorhandenen Einsatzkapazitäten und notwendigen Ressourcen der Mitgliedstaaten kurzfristig nutzen zu können, sind Frontexkoordinierte Grenzüberwachungseinsätze unabdingbar.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass
hierdurch Tausende Menschen gerettet und gleichzeitig
kriminelle Schleusungsorganisationen bekämpft werden.
Diese notwendige Verknüpfung des Rettungseinsatzes
mit der polizeilichen Bekämpfung von Schleusungskriminalität kann in einer militärisch geführten Operation
nicht gewährleistet werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Wir wissen noch nicht viel über die
Bedarfsanforderungen seitens Frontex für diese Mission.
Das leuchtet mir ein. Da warten wir natürlich noch auf
weitere Informationen. Aber wir wissen schon, wie man
sich das ungefähr vorstellen kann. So sagt die italienische EU-Ratspräsidentschaft beispielsweise, dass das
Abnehmen von Fingerabdrücken auf hoher See, im
Zweifel auch mit Gewalt, legitimiert werden soll und
eine engere Zusammenarbeit - das wurde von unserem
Bundesinnenminister unterstützt - mit den Transit- und
Herkunftsländern stattfinden soll, unter anderem auch
mit Ländern am Horn von Afrika. Mich würde interessieren, weil das Fragen sind, die die Menschenrechte berühren, ob die Bundesregierung eine engere Kooperation
mit den Transit- und Herkunftsstaaten tatsächlich unterstützt und wie diese aussehen soll. Wenn die Bundesregierung diese Forderung nicht teilt, möchte ich wissen,
wie sie gedenkt, diese Ausrichtung zu verhindern.
Morgen wird auf dem Innenministerrat über das Papier der italienischen EU-Ratspräsidentschaft gesprochen. Dieses Papier, das Sie eben angesprochen haben,
sieht eine Stabilisierung der Herkunftsstaaten vor, insbesondere von Libyen und seinen Nachbarstaaten. Es geht
darum, mit den Transitländern enger zusammenzuarbeiten, um den Schleusern das Handwerk zu legen, aber
auch, um humanitäre Aufnahmekapazitäten zu schaffen.
Dann geht es natürlich um den Schutz der Außengrenzen. Triton kann keine Fortsetzung von „Mare Nostrum“
sein, weil „Mare Nostrum“ eine militärische Operation
ist und die EU keine militärischen Operationen zum
Grenzschutz durchführt. Bei Triton geht es um einen
durch Frontex gestützten Einsatz. Dieser soll natürlich
auch dafür sorgen, dass Schiffbrüchige, also Menschen
in Seenot, gerettet werden. Außerdem geht es der italienischen Ratspräsidentschaft vor allen Dingen darum,
dass das gemeinsame europäische Asylsystem durchgesetzt wird, das heißt, dass unsere humanitären Standards
eingehalten werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Vielleicht muss man das einfach einmal grundlegend
klären. Die Frage tauchte ja auch vorhin schon in der Regierungsbefragung auf. Sind die Maßnahmen, die zur
Bekämpfung von Schleuserkriminalität ergriffen werden, ausschließlich überwachungstechnischer Natur?
Wenn man es den Schleusern durch eine härtere Abgrenzung also sozusagen unmöglich machen will, Menschen
nach Europa zu bringen, ist man dann auch bereit, darüber nachzudenken, ob es andere Möglichkeiten gibt,
um den Schutzsuchenden, um die es ja geht, Wege nach
Europa zu eröffnen? Denkt die Bundesregierung darüber
nach?
Das machen wir aktiv. Denken Sie an unser Programm
zur Aufnahme von 20 000 besonders Schutzbedürftigen.
Diese Menschen haben wir aktiv nach Deutschland geholt. Wir haben die Kommission aufgefordert, ein entsprechendes Pledging-Verfahren durchzuführen, also die
anderen Mitgliedstaaten aufzufordern, ebenfalls weitere
Kapazitäten zu schaffen. Aber natürlich ist es auch notwendig, Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Das erfolgt nicht durch Abschottung. Das geht nach der Genfer
Flüchtlingskonvention überhaupt gar nicht. Wir sind gehalten - das entspricht auch unseren humanitären Standards -, jeden Flüchtling, der, egal auf welchem Weg, ob
auf dem Landweg oder auf dem Seeweg, kommt, aufzunehmen, ihn nicht nur an Bord zu nehmen, sondern ihn
auch nach Europa zu holen. Aber natürlich ist es auch
notwendig, die Flüchtlinge zu befragen, wie sie denn
nach Europa gekommen sind, was sie dafür bezahlt haben, welche Route sie gewählt haben. Die dadurch entstehenden Lagebilder sind wichtig, um Schleuserkriminalität zu bekämpfen.
Wir kommen damit zur Frage 10 der Kollegin Luise
Amtsberg:
Welche sind nach Kenntnis der Bundesregierung die unterschiedlichen Maßnahmen, die von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten im Vorfeld des EU-Innenministertreffens am 9. Oktober 2014 vorgeschlagen wurden, um
künftig ein faires und solidarisches System zur Aufnahme von
Schutzsuchenden in die EU zu gewährleisten, und wie beurteilt die Bundesregierung die von der EU-Ratspräsidentschaft
als Ausgleichsmaßnahme vorgeschlagene Intensivierung der
Familienzusammenführung und des Selbsteintrittsrechts im
Rahmen der Dublin-III-Verordnung?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nach Kenntnis
der Bundesregierung stellt die italienische EU-Ratspräsidentschaft zurzeit Maßnahmen zusammen, um die andauernden Flüchtlingsströme über das Mittelmeer nach
Europa besser bewältigen zu können. Die hierzu erforderlichen Maßnahmen gehen über die Fragestellung eines fairen und solidarischen Systems zur Aufnahme von
Schutzsuchenden in der Europäischen Union hinaus.
Die Maßnahmen enthalten die sieben Punkte, die
Bundesminister Thomas de Maizière in seiner Haushaltsrede vor dem Deutschen Bundestag genannt hat:
verstärkte Zusammenarbeit der Europäischen Union mit
Transit- und Herkunftsstaaten, verstärkte Bekämpfung
von Schleuserbanden, bessere Überwachung der Außengrenzen und Migrationsströme der Europäischen Union,
konsequente Anwendung der Dublin- und Eurodac-Verordnungen, Einrichtung eines beschleunigten Prüfverfahrens für Asylanträge in den Fällen, in denen das
Bestehen eines Rechts auf Asyl wahrscheinlich ist, temporäre Verteilung anerkannter Flüchtlinge in andere Mitgliedstaaten zur Unterstützung besonders belasteter Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis und in Anrechnung
der Lasten, die die Mitgliedstaaten bereits schultern, und
zuletzt Umsetzung einer koordinierten gemeinsamen
Rückführungspolitik.
Die 2013 neugefasste Dublin-III-Verordnung sieht erweiterte Regelungen der Familienzusammenführung sowie des Selbsteintrittsrechts gerade auch aus humanitären Gründen vor. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge wendet diese Regelungen bereits an.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Den Medien konnte man ja entnehmen, dass sich Bundesminister de Maizière eigentlich kritisch zu der DublinVerordnung und zum Dublin-Mechanismus geäußert hat.
Jetzt sagen Sie, dass an der Dublin-III-Verordnung festgehalten werden soll, also an dem Mechanismus. Meine
Frage: Ist es da zu einer neuen Ausrichtung innerhalb
des Bundesinnenministeriums gekommen, oder denkt
man tatsächlich über eine Neuausrichtung oder einen anderen Verteilmechanismus innerhalb der Europäischen
Union bei der Flüchtlingsaufnahme nach?
Wir haben den Vorschlag gemacht, über eine zusätzliche freiwillige Verteilung nachzudenken. Die Herausforderung besteht darin, dass Sie immer festlegen müssen,
wer für das konkrete Asylverfahren zuständig ist. Das
müssen Sie nach der neuen Dublin-III-Verordnung umParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
setzen. Wenn Sie jetzt einen Verteilungsmechanismus
einführen, der, wie Sie es vorschlagen, verpflichtend ist,
dann haben Sie die gleiche Problematik der Durchsetzung. Das heißt, Sie lösen damit am Ende kein Problem.
Deshalb sagen wir, dass wir für die Mitgliedstaaten,
die momentan nicht die humanitären Standards erfüllen
und an die wir zurzeit nicht nach dem Dublin-Verfahren
überführen, zum Beispiel Griechenland, Anreize schaffen wollen. Wenn diese Länder die Standards erfüllen,
die wir im Bereich des Flüchtlingsschutzes erwarten,
dann sind wir im Gegenzug auch bereit, freiwillig zu
helfen. Da fordern wir natürlich vor allem die Mitgliedstaaten auf, die bisher noch nicht solche großen Herausforderungen im Bereich des Flüchtlingsschutzes zu
schultern haben.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage. Bitte.
Erst einmal: Ich habe noch gar keinen Vorschlag für
einen Verteilungsmechanismus gemacht, sondern nur
gesagt, dass es Alternativen gibt. Über diese kann man ja
vielleicht einmal diskutieren; denn der Bundesminister
hat sehr starke Kritik an Italien geäußert, weil es die
Dublin-Verordnung sozusagen nicht in Gänze erfüllt.
Darüber hinaus ist es sozusagen eine Neuausrichtung,
wenn man - ich beziehe mich erneut auf eine Aussage
des Bundesinnenministers - über gewisse Obergrenzen
und ein Anreizsystem, von dem Sie gerade gesprochen
haben, nachdenkt. Deshalb lautete meine Frage vorhin
- ich frage jetzt explizit noch einmal nach -: Gibt es
Überlegungen, ein neues Modell einzuführen? Anreizsysteme für Staaten, zum Beispiel Griechenland, zu
schaffen, die Standards wieder anzuheben, begrüßen wir
ausdrücklich. Das würden wir immer unterstützen, weil
nur das der Weg zu einem gemeinsamen Asylsystem ist.
Aber meine Frage bezog sich tatsächlich auf die von
Bundesminister de Maizière getroffenen Aussagen dazu.
Zunächst einmal: Der Bundesinnenminister hat nie
von einer Obergrenze gesprochen. Das ist schlichtweg
falsch. Es bringt auch nichts, ihn immer wieder falsch zu
zitieren. Wir werden unserer humanitären Verpflichtung
im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems
gerecht. Das Problem ist, dass sich einige Mitgliedstaaten zurzeit an dieses gemeinsame europäische Asylsystem nicht halten. Die Einhaltung muss aber durchgesetzt
werden. Dabei geht es auch um humanitäre Standards.
Das ist Aufgabe der Kommission. Nun überlegen wir,
wie wir zusätzliche Anreize schaffen, damit Mitgliedstaaten wie beispielsweise Griechenland ebenfalls die
Dublin-Standards erfüllen. Sie erwarten dann, dass sie
zusätzlich zu den finanziellen Hilfen durch Frontex von
allen Mitgliedstaaten freiwillig unterstützt werden. Das
ist im Übrigen keine neue Position. Das ist schon in gemeinsamen Papieren der EVP-Minister und EVP-Abgeordneten, die sich mit Innenpolitik beschäftigen, so ausgeführt worden.
Die Kollegin Haßelmann hat zu einer weiteren Nachfrage das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Schröder, wir haben im Zusammenhang mit dem DublinIII-Abkommen auch über das Stichwort „Familienzusammenführung“ gesprochen. Bleibt es dabei, dass sich
die Bundesregierung weigert, gerade im Hinblick auf die
Notsituation Nordirak/Syrien über eine erleichterte Familienzusammenführung insbesondere von Menschen,
die fliehen oder in Flüchtlingslagern sind und Verwandte
in Deutschland haben, nachzudenken? Denken Sie mit
Blick auf diese Menschen über erleichterte Aufnahmebedingungen - ich denke da an die Verpflichtungserklärung und viele andere Punkte, die zu Erschwernissen
führen - im Rahmen der Familienzusammenführung
nach?
Erstens bitte ich Sie, uns nicht etwas vorzuwerfen,
was wir nicht machen. Die Verpflichtungserklärungen,
von denen Sie sprechen, sind nicht eine Auflage in den
Bundesprogrammen, sondern eine Auflage in den Landesprogrammen, insbesondere von Nordrhein-Westfalen. Also achten Sie bitte darauf, an wen Sie bestimmte
Vorwürfe richten.
Zweitens: Wir bemühen uns auch aktiv um eine Familienzusammenführung. Deshalb haben wir die Programme zur aktiven Aufnahme auf den Weg gebracht.
Wir sprechen hier über insgesamt 20 000 Personen. Da
haben wir ganz speziell darauf geachtet, dass es auch um
Familienzusammenführung geht. Sie ist uns ganz besonders wichtig. Die Länder haben im Rahmen ihrer Länderaufnahmeprogramme zusätzliche Familienzusammenführungen ermöglicht.
({0})
Es wurden bestimmte Personen aktiv aus dem Krisengebiet geholt. Dabei ging es nicht um Asyl; die Menschen
kommen ohnehin. Die Länder haben es zur Auflage gemacht - das war nicht der Bund, sondern die dafür zuständigen Länder, und zwar im Rahmen der Länderprogramme -, dass Verpflichtungserklärungen abgegeben
werden müssen.
({1})
Der Staatssekretär Schröder ist insofern nicht mehr
gefragt, als es keine weiteren Nachfragen gibt. Herzlichen Dank. Wir sind damit am Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 11 und 12 des
Abgeordneten Dr. Axel Troost von den Linken, die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Richard Pitterle von
den Linken, die Frage 15 der Abgeordneten Lisa Paus
von den Grünen sowie die Fragen 16 und 17 der Abgeordneten Susanna Karawanskij von den Linken sollen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 18
und 19 der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({0})
von den Linken sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung. Die Fragen
20 und 21 der Abgeordneten Bärbel Höhn von den Grünen sowie die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten
Harald Ebner von den Grünen sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Friedrich
Ostendorff von den Grünen auf:
Wie hoch würden die zusätzlichen finanziellen Belastungen im Einzelplan 10 des Bundeshaushalts für die Zuschüsse
zur Alterssicherung der Landwirte ausfallen, wenn die Hofabgabeklausel abgeschafft würde und die den Landwirten zustehenden Rentenansprüche realisiert würden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Antwort auf die
Frage lautet wie folgt: Der Koalitionsvertrag von CDU,
CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages sieht vor, die Hofabgabeklausel neu
zu gestalten. Deren Abschaffung wird folglich nicht erwogen. Deshalb erübrigen sich auch Berechnungen über
die finanziellen Auswirkungen einer Abschaffung der
Hofabgabeklausel.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das Ministerium hat allerdings
verlautbart, dass hier um die 20 Millionen Euro an zusätzlichen Lasten auf den Bundeshaushalt zukämen; deshalb überrascht die Antwort doch etwas. Worauf begründen Sie diese Zahl? Zusätzliche Rentenansprüche
werden hier ja nicht erwirkt, sondern der Bundeshaushalt profitiert heute davon, dass etliche Betriebe ihre
Rentenanwartschaften nicht geltend gemacht haben; damit haben sie den Bundeshaushalt letztlich entlastet. Von
daher kann man nicht von Mehrbelastungen reden, sondern müsste - würden Sie sich dem anschließen? - haushalterisch korrekt sagen, dass man denjenigen, die hier
Ansprüche hätten, danken sollte, und wir müssten, wenn
wir ehrlich wären, diese Ansprüche im Bundeshaushalt
berücksichtigen.
Herr Kollege Ostendorff, diese Zahl beruht auf einer
Schätzung, die unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen worden ist. Da ich aber schon bei der Beantwortung Ihrer Frage gesagt habe, dass eine Abschaffung
der Hofabgabeklausel nicht zur Diskussion steht, steht
diese Zahl auch nicht im Raum.
Gut. Zur zweiten Frage: Ihr Minister, Herr Schmidt,
hat jetzt einen Vorschlag in die Debatte eingebracht, und
zwar, auf zwei Jahre terminiert die Rente um 50 Prozent
zu kürzen, wenn ein Hof von bis zu 16 Hektar weiter
bewirtschaftet wird. Dieser Vorschlag überrascht. Die
Frage für uns als Grüne wäre, warum man dem sehr ausgearbeiteten Gutachten der Bundesforschung - die ja
dem Minister untersteht - nicht folgt, die ausgerechnet
hat, dass es begründbar wäre, die Hofabgabeklausel fallen zu lassen und einen zehnprozentigen Rentenabschlag
vorzusehen. So ist es ja auch im übrigen Rentensystem:
Wer weiter arbeitet, hat mit Rentenabschlägen zu rechnen. Die Bundesforschung galt bisher in diesem Punkt
als diejenige, die ohne Fehl und Tadel und ohne Kritik
erklären kann, wie das Rentensicherungssystem der
Landwirtschaft funktioniert - das können ja nicht ganz
viele in diesem Land. Warum folgt Ihr Minister dieser
Empfehlung seiner eigenen Forschung nicht?
Ich habe ja schon berichtet, dass eine Abschaffung
der Hofabgabeklausel nicht zur Diskussion steht. Den
Vorschlag des Thünen-Institutes, eine Kürzung von
10 Prozent vorzunehmen, sehen wir rechtlich als problematisch an, weil das Äquivalenzprinzip hier erheblich
beeinträchtigt wäre, und wir sehen rechtliche Konsequenzen, was die Gleichbehandlung angeht, damit verbunden.
Damit kommen wir zur Frage 25 des Kollegen
Friedrich Ostendorff:
Welche Maßnahmen zur Stabilisierung des Milchpreises
und zum Schutz bäuerlicher Milcherzeuger beabsichtigt die
Bundesregierung angesichts des schlecht laufenden Absatzes
in China und der rasant anwachsenden weltweiten Erzeugung
zu treffen ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung unterstützt den Kurs einer
Marktausrichtung der Milchwirtschaft; hierbei bilden
sich die Preise für Milcherzeugnisse und, zeitversetzt,
für Rohmilch am Markt dem Verhältnis von Angebot
und Nachfrage entsprechend. Dies schließt zyklische
und kurzfristige Preisschwankungen entlang des von den
Marktexperten grundsätzlich positiv eingeschätzten
Trends allerdings nicht aus. Insofern unterscheidet sich
der Milchmarkt nicht von anderen Märkten für landwirtschaftliche Produkte. Die Bundesregierung hält das mit
der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik gestärkte Sicherheitsnetz für tragfähig. Für den Fall außergewöhnlicher Marktrisiken kann die Europäische Kommission
erforderliche Maßnahmen ergreifen. Die von der Europäischen Kommission wegen des russischen Importstopps getroffenen Maßnahmen werden von der Bundesregierung unterstützt. Neue staatliche und halbstaatliche
Mengenregelungen werden abgelehnt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Es ist zugegebenermaßen so, dass sich der Milchpreis
in den letzten zwei Jahren etwas stabilisiert hat und viele
Milcherzeuger und -erzeugerinnen wieder etwas Licht
am Ende des Tunnels sehen. Die Lage bleibt aber durchaus kritisch zu sehen: So sind die Möglichkeiten des Exports völlig überschätzt worden. Die Käsemenge, die
Russland jetzt nicht mehr abnimmt, hat dazu geführt,
dass der Milchpreis sehr unter Druck gekommen ist.
Statt der 37 Cent, die die Milchbauern und -bäuerinnen
im letzten Jahr pro Liter bekommen haben, tendiert die
Börse jetzt zu 27 Cent. Wenn Sie davon reden, dass die
Situation nicht so dramatisch sei, Herr Staatssekretär,
muss ich Ihnen sagen: Wir sind da anderer Meinung. Wir
sehen hier schon einen düsteren Horizont und befürchten, dass bei Auslaufen der Quote im nächsten Jahr bei
der jetzigen Entwicklung viele Milchviehbetriebe unter
einen massiven Existenzdruck geraten werden.
China nimmt nicht in dem Maße ab, wie es von Ihnen
immer prognostiziert wurde, und Neuseeland ist stärker
am Markt, als von allen prognostiziert worden ist. Ich
hätte deshalb gerne noch einmal nachgefragt, worauf Sie
den Optimismus real stützen, den Sie hier verbreiten.
Oder sind das nur Sonntagsreden?
Herr Kollege Ostendorff, auch in den vergangenen
Jahren hat es trotz der Milchquotenregelung starke
Marktveränderungen sowohl nach oben als auch nach
unten gegeben. Sie kennen sie sicher genauso gut wie
ich. Das hat mit der Milchquotenregelung speziell also
überhaupt nichts zu tun.
Die Märkte sind mittlerweile natürlich global, und wir
haben keine geschlossenen Außengrenzen, wodurch es
möglich wäre, den Binnenmarkt zu schützen. Insofern
setzen wir auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Milchproduktion und damit auch auf die Möglichkeit,
internationale Märkte zu bedienen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung von uns
Grünen, dass wir bei zukünftigen Stützungen und Förderungen der landwirtschaftlichen Betriebe - hier: der
Milchviehbetriebe -, die sie gerade in den benachteiligten Regionen dringend brauchen, darauf achten müssen,
dass eben nicht, wie bisher - das sind Zahlen aus Ihrem
Haus -, 0,56 Prozent der Betriebe 16,8 Prozent der Förderung und Unterstützung erhalten, sondern dass gerade
denjenigen im Bereich der Milchwirtschaft eine ganz
konzentrierte Förderung zukommen muss, die im Bereich Grünland und in benachteiligten Regionen wirtschaften? Teilen Sie diese Einschätzung, und werden Sie
sich dafür einsetzen?
Das haben wir auch bisher schon getan, Herr Kollege
Ostendorff. Insbesondere durch die europäische Agrarpolitik und die Umsetzung in Deutschland haben wir in
den letzten Jahren die Förderung von Grünland der Förderung von Ackerland gleichgestellt. Das dient insbesondere den benachteiligten Gebieten.
Daneben haben wir die Umschichtung von 4,5 Prozent der Ausgleichszahlungen auf die Länder, um in der
zweiten Säule auch Agrarumweltmaßnahmen zu finanzieren, auch deswegen vorgenommen, um gerade in diesen Regionen zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen.
Es gibt eine weitere Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich habe noch
eine Nachfrage zur Zahl der Milchbetriebe, die wir in
den letzten zehn Jahren verloren haben. Sie haben das in
einer Antwort an den Kollegen Ostendorff ja dargelegt:
In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Milchbetriebe
von 121 000 auf 78 000 gesunken. Sie sagen, diesen Prozess anzuhalten, sei weder möglich noch sinnvoll, stellen
sich also hinter diesen Strukturwandel.
Angesichts der Tatsache, dass Sie und der Agrarminister immer von der bäuerlichen Landwirtschaft
sprechen, würde ich Sie gerne fragen, was die von Ihnen
angestrebte Zahl an Milchbetrieben ist. Wie viele Betriebe sollen in diesem Strukturwandel also noch verloren gehen?
Sie werden von mir keine Zielzahl in Bezug auf die
verbleibenden Milchbetriebe hören, aber ich kann Ihnen
sagen, dass der Strukturwandel trotz der Marktregulierung, die wir in den letzten Jahren hatten, nicht beeinträchtigt worden ist, sondern ganz im Gegenteil! Sie haben die Zahlen genannt. Ich habe Zahlen der letzten drei
Jahre vorliegen: In den letzten drei Jahren reduzierte sich
die Anzahl der Milchbetriebe jeweils um durchschnittlich etwas über 9 Prozent. Die Anzahl der in den Betrie5170
ben gehaltenen Tiere ist in den letzten drei Jahren dagegen um 9 Prozent gestiegen. Sie sehen also: Die
Veränderung der Betriebsgrößen hat etwas mit Effizienzsteigerungen in der Produktion - es geht um technische
Möglichkeiten, Managementfähigkeiten, aber auch
Möglichkeiten der Leistungssteigerung - zu tun. Insofern lässt sich so etwas weder aufhalten noch beschleunigen.
Wir setzen aber darauf, dass wir die Milchwirtschaft
mit den Maßnahmen, die Herr Ostendorff angesprochen
hat, insbesondere in den benachteiligten Gebieten halten
können.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit
am Ende Ihres Geschäftsbereichs. - Natürlich auch herzlichen Dank für die Nachfrage, Kollegin Maisch.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur Verfügung,
wobei die Fragen 26 und 27 des Kollegen Dr. Tobias
Lindner, die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. Frithjof
Schmidt, die Fragen 30 und 31 der Kollegin Agnieszka
Brugger, die Frage 32 der Kollegin Britta Haßelmann,
die Fragen 33 und 34 des Kollegen Omid Nouripour und
die Fragen 35 und 36 des Kollegen Uwe Kekeritz aufgrund unserer Richtlinien schriftlich beantwortet werden. Für diejenigen, die uns hier zuhören und zuschauen:
In diesen Fragen werden Sachverhalte berührt, die an anderer Stelle auf der Tagesordnung unserer Sitzungswoche stehen und deshalb nicht in der Fragestunde behandelt werden.
Die Frage 37 des Kollegen Andrej Hunko soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Katja Keul auf:
Was sind die Gründe für die absehbaren Mehrkosten in
Höhe von 255 Millionen Euro für den Abschluss der Entwicklung des ISIS-Systems ({0}), und stehen diesen Mehrkosten etwaige Schadensersatzansprüche gegen die
mit dem Projekt betrauten Unternehmen entgegen, die das
BMVg auch geltend machen wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, ich
antworte Ihnen wie folgt: Die im Jahre 2010 geschätzten
Entwicklungskosten umfassten eine reine Komponentenentwicklung des ISIS-Missionssystems. Für die Entwicklung eines serienreifen ISIS-Systems, das auf dem
derzeitigen technischen Stand aufbaut, einschließlich der
Beschaffung eines ersten Seriensystems werden weitere
Kosten in Höhe von circa 255 Millionen Euro abgeschätzt. Diese Abschätzung wurde im Rahmen der Erstellung der Lösungsvorschläge für alternative Trägerplattformen aktualisiert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Diese Zahl ist
schon sehr erstaunlich, da uns am Ende des Euro-HawkUntersuchungsausschusses gesagt wurde, dass die bis
dahin investierten 270 Millionen Euro gar nicht verloren
seien; denn dafür habe man quasi ein fertiges, technologisch funktionierendes System bekommen. Nun hören
wir aber, dass zur Vervollständigung dieses Systems
noch einmal 255 Millionen Euro erforderlich sind. Das
finde ich sehr erklärungsbedürftig. Als ich der Ministerin heute im Verteidigungsausschuss diese Frage stellte,
kannte sie diese Zahl von 255 Millionen Euro gar nicht.
Wie kann das sein? Wer hat denn entschieden, dass hier
noch einmal 255 Millionen Euro investiert werden sollen?
Frau Kollegin, eine solche Entscheidung ist noch gar
nicht getroffen worden. Ich will Ihnen aber gerne den
Zusammenhang erläutern. Die von Ihnen angesprochene
Summe bezog sich - vereinfacht ausgedrückt - auf die
Entwicklung eines Prototyps nach dem damaligen Preisstand. Sie dürfen aber die Preisentwicklung und die bereits von mir angesprochenen technischen Entwicklungen, die es seitdem gegeben hat, nicht vergessen. Ich
habe Ihnen bereits in meiner ersten Antwort gesagt, dass
die von Ihnen genannte und in Rede stehende Summe
auch die Kosten der Beschaffung eines ersten Seriensystems einschließt. Die Überlegung ist, den Prototypen
ISIS zu Ende zu entwickeln und gleichzeitig ein erstes
Serienmodell mit abzunehmen. Auf diese Überlegung
bezieht sich die genannte Summe.
Wir befinden uns in entsprechenden Gesprächen mit
der Industrie. Es gibt noch keinen abgeschlossenen Vertrag. Es erscheint uns aber aus heutiger Sicht wirtschaftlich günstig, die Entwicklung des Prototyps mit der Abnahme des ersten ISIS-Seriensystems zu kombinieren.
Sollte sich das im Zuge der Verhandlungen als weniger
günstig herausstellen, kann es auch andere Lösungen geben. Wie gesagt, es gibt noch keinen unterschriftsreifen
Vertrag. Wenn wir so weit sind, werden wir uns selbstverständlich mit einer 255-Millionen-Euro-Vorlage an
den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
wenden und dann detailliert darlegen, was uns geboten
wird, was wir haben wollen und welcher Preis von uns
verlangt wird. Dann ist es Sache des Haushaltsausschusses, darüber zu entscheiden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage, bitte.
Ich stelle mir gerade vor, was geschehen würde, wenn
so etwas im privaten Bereich passierte. Sie haben an die
EuroHawk GmbH eine Viertelmilliarde Euro für ein
Flugzeug gezahlt, das nicht fliegt, und eine Viertelmilliarde für eine Aufklärungstechnologie, die ebenfalls noch
nicht funktioniert und die Investition des doppelten Betrags benötigt, bis sie auch nur ansatzweise fertig entwickelt ist. Sie haben des Weiteren keine Schadensersatzansprüche gegen EADS geltend gemacht, weil der
Vertrag offensichtlich so schlecht ist, dass Sie Angst haben, dass er möglicherweise vor Gericht nicht besteht.
Jedenfalls heißt es, die Prozessrisiken seien zu hoch.
Jetzt will man also diesem Auftragnehmer mit diesem
Vertrag noch einmal eine Laufzeitverlängerung mit Kosten von 250 Millionen Euro geben. Ich frage Sie: Wird
man diesen Vertrag dann endlich um eine effektive Gewährleistungsklausel ergänzen? Oder will man hier
EADS weiter das Geld hinterherschießen?
Frau Kollegin, den Vorwurf, dass wir jemandem Geld
hinterherschießen, weise ich namens der Bundesregierung entschieden zurück. Es macht, glaube ich, Sinn,
sich etwas tiefer mit der Materie zu beschäftigen
({0})
- vielleicht macht es auch Sinn, den Staatssekretär einmal ausreden zu lassen - und die verschiedenen Komponenten zu betrachten.
({1})
Sie sprachen von Prozessrisiken, die ja auch in einem
Gutachten beleuchtet worden sind. Dabei geht es um das
Projekt Euro Hawk insgesamt. Die damit zusammenhängenden Probleme sind bekannt. Gleichwohl wird auch
da vor den Prozessrisiken gewarnt. Dieser Einschätzung
hat sich die Bundesregierung angeschlossen. Aber dabei
geht es im Wesentlichen um das Trägersystem Euro
Hawk. Ihre Fragen beziehen sich auf ISIS. Das ist eine
ganz andere Komponente. Es gibt bei der Entwicklung
des Prototypen im Wesentlichen Preissteigerungen, wie
es sie auch in anderen Bereichen gibt. Inflation ist kein
Grund, ein Unternehmen zu verklagen.
Ich weise noch einmal darauf hin: Die Entwicklung
des Prototyps ist noch nicht abgeschlossen. Wir hatten
ursprünglich im Jahre 2010 geschätzte Entwicklungskosten - die habe ich erwähnt - von circa 330 Millionen
Euro. Die betrafen zum Teil die Entwicklung des Prototyps, zum Teil die dort vorgesehenen Zielbefähigungen.
Es waren also nicht nur 230 Millionen.
Wir reden jetzt über zwei Systeme: Das betrifft einmal die Zu-Ende-Entwicklung des Prototyps. Gleichzeitig geht es um das erste ISIS-Seriensystem. Das ist also
nicht mit den früheren Kalkulationen, die Sie zitiert haben, zu vergleichen.
Die Kollegin Haßelmann stellt die nächste Nachfrage.
Herr Brauksiepe, man braucht schon - nachdem der
von Ihrem Ministerium veranlasste KPMG-Bericht zuerst an die Presse und erst dann an das Parlament weitergegeben wurde - ein bisschen Chuzpe, hier zu fordern,
wir sollten uns erst einmal in der Frage fachkundig machen. Vielen Dank für solche Hinweise. Die können wir
an der Stelle nicht gebrauchen. Sie sollten mit dem Parlament anders umgehen.
Ich würde Sie bitten, diese Zahlen, die jetzt bei Ihnen
auch ein bisschen durcheinandergeraten sind, noch einmal genau - notfalls auch schriftlich - darzulegen. Es
gibt Mehrkosten von 255 Millionen Euro. Sie müssten
uns angesichts des Rüstungsdesasters, das wir im Rahmen dieser Auftragsvergabe bei ISIS haben - eine Viertelmilliarde Euro für ein Flugzeug, das nicht fliegt, und
eine Viertelmilliarde für das Aufklärungsgerät -, diese
Zahlen noch einmal im Detail darlegen.
Frau Kollegin, ich denke, Sie haben, was das Gutachten und die Presse angeht, bewusst die passivische Formulierung „wurde an die Presse gegeben“ gewählt. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass Sie dem Bundesministerium der Verteidigung hier ernsthaft einen Vorwurf machen wollen. Von daher unterstreiche ich: Das war sicherlich bewusst so gewählt.
({0})
Jetzt sage ich Ihnen noch einmal: Für die Entwick-
lung des Prototypen ISIS sind bis September 2013 insge-
samt circa 270 Millionen Euro ausgegeben worden. Sie
wissen, dass die Entwicklung dann gestoppt worden ist,
und Sie wissen, dass es das von Ihnen angesprochene Gut-
achten gibt, aus dem wir Konsequenzen ziehen wollen. In
ihm steht, genau das zu tun, was ich hier schon erläutert
habe, nämlich für einen heute - Stand 8. Oktober - ge-
schätzten Preis von 255 Millionen Euro a) diesen Prototy-
pen zu Ende zu entwickeln und b) das erste ISIS-Seriensystem zu beschaffen.
Eine solche Kalkulation, die diese Beschaffung mit
einschließt, ist in den von Ihnen genannten Zahlen nicht
enthalten. Von daher kann man nicht von Mehrkosten in
dem Sinne sprechen, dass hier etwas aus dem Ruder gelaufen wäre, sondern wir haben in der Tat - das ist sehr
richtig - für die bereits verausgabten 270 Millionen Euro
eine Gegenleistung bekommen. Auch für die geschätzten 255 Millionen Euro ist eine konkrete Gegenleistung
im Gespräch, nämlich die Zu-Ende-Entwicklung des
Prototypen und das erste Seriensystem.
({1})
Die Zwischenrufe aus der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen werden sicherlich, wenn verständlich, im Protokoll auftauchen. Gleichwohl hat der Herr Staatssekretär
auf die gestellten Fragen geantwortet, wenn auch offensichtlich nicht zur Zufriedenheit aller Fragesteller, aber
das wird dann an anderer Stelle weiter ausgetragen.
Herzlichen Dank. Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Herbert Behrens
auf:
Mit welcher Begründung soll im Rahmen der Einführung
einer Pkw-Maut in Deutschland nur die Nutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen entgeltpflichtig werden ({0}), und welche Verlagerungseffekte
auf das nachgeordnete Straßennetz sind nach Kenntnis der
Bundesregierung aufgrund dieser Tatsache zu erwarten, bitte
gegebenenfalls in Auftrag gegebene oder bekannte Studien
benennen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Anfang Juli hat der
Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
sein Konzept zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
vorgestellt. Dieses Konzept sieht eine Mautpflicht auf
dem gesamten Straßennetz vor. Das Bundesministerium
für Verkehr und digitale Infrastruktur prüft derzeit, ob
diesbezüglich Änderungen vorgenommen werden sollten, um hierzu in den Grenzregionen geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen. Eine abschließende Entscheidung ist noch nicht getroffen worden.
Nennenswerte Verkehrsverlagerungen werden insbesondere auch aufgrund der moderaten Vignettenpreise
nicht erwartet. Studien zu möglichen Verkehrsverlagerungen, nach denen Sie gefragt haben, wurden deshalb
nicht in Auftrag gegeben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie sich gerade in der
Phase der Prüfung befinden, werden Sie sich sicherlich
unterschiedliche Szenarien angesehen haben, was die
Wirkung in den Grenzregionen anbetrifft. Sie sagen: Das
Ergebnis dieser Prüfung ist, dass es keine Verlagerungseffekte geben wird. - Habe ich das richtig verstanden?
Ich habe gesagt, dass wir keine Studien in Auftrag gegeben haben und dass der Preis der geplanten Vignette
sehr moderat ist. Aber den wichtigsten Punkt, Herr
Kollege, möchte ich noch einmal betonen: Da es keine
abschließende Entscheidung über das am Ende dann
tatsächlich mautpflichtige Straßennetz gibt, sind auch
Spekulationen über Verlagerungen und dergleichen nicht
angebracht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Dann will ich ganz gerne einen Aspekt betrachten, der
den Prüfungsprozess und die Wirkung der Pkw-Maut auf
die Grenzregionen betrifft. Mit welchen Institutionen haben Sie sich abgestimmt, um Klarheit über die Wirkung
dieser Maut auf die Grenzregionen zu erhalten? Sind dabei auch die Fachkolleginnen und Fachkollegen der angrenzenden EU-Staaten in die Beratungen einbezogen
worden?
Wir gehen bei diesem Gesetzesvorhaben so vor wie
bei anderen Gesetzesvorhaben. Zunächst erfolgt eine Erarbeitung im Haus, dann eine Diskussion mit beteiligten
Ressorts, und dann geht es den Verfahrensgang, den
auch Sie kennen. Es ist aber auch bekannt, dass unser
Verkehrsminister, Herr Dobrindt, in verschiedenen Ländern gewesen ist, um Gespräche zu führen und um Zustimmung dafür zu werben, dass wir das tun, was die EU
von uns verlangt, nämlich eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung unserer Straßen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Krischer
das Wort.
Frau Staatssekretärin Reiche, ich verstehe Ihre Äußerungen so, dass Sie sagen: Das Konzept ist zwar noch
nicht ganz klar, wir arbeiten noch daran, aber es wird
keine Verlagerungseffekte geben, weil die Maut so gering ist, dass sie in den Grenzregionen keine Rolle spielt. Ich fasse das einmal so zusammen. Sie wissen noch
nicht, was Sie genau machen, aber es ist schon klar, dass
das keine Effekte hat.
Ich bekomme sehr viel Post von Industrie- und Handelskammern - die sind nun wahrlich nicht als grüne
Vereinigungen bekannt -, die uns sehr wohl Berechnungen und Gutachten vorlegen, in denen von immensen Effekten der Pkw-Maut in den Grenzregionen gesprochen
wird. Meine Frage: Berücksichtigen Sie das in irgendeiner Weise? Interessiert Sie das, oder spielt das alles bei
Ihren Überlegungen gar keine Rolle?
Herr Kollege Krischer, Sie können sicher sein, dass
die Lebensgewohnheiten, die Arbeitsgewohnheiten und
auch die Wirtschaftsgewohnheiten in den Grenzregionen
sehr wohl berücksichtigt werden und wir dies bei der
Ausgestaltung einer Infrastrukturabgabe sehr wohl in
Betracht ziehen.
({0})
- Doch. Sie haben gefragt, ob wir das berücksichtigen.
Natürlich!
({1})
Wir kommen damit zur Frage 40 des Kollegen
Herbert Behrens:
Soll die Einhaltung der Mautpflicht angesichts der geplanten unentgeltlichen Nutzung des nachgeordneten Straßenverkehrsnetzes nur auf Bundesautobahnen sowie Bundesstraßen
kontrolliert werden, und sieht die Bundesregierung nunmehr
vor, dass Kfz-Halterinnen und -Halter, welche ihren Pkw in
Deutschland zugelassen haben und nur selten - oder gar nicht in der Baulast des Bundes befindliche Straßen nutzen, auch
Kurzzeitvignetten erwerben können, wie es Halterinnen und
Haltern von im Ausland zugelassenen Pkw ermöglicht wird bitte jeweils begründen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, wie schon gesagt, befindet sich das
Konzept derzeit in der Erarbeitung. Es sieht keine Kurzzeitvignetten für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge
vor. Die Einhaltung einer Vignettenpflicht kann sinnvollerweise nur auf dem mautpflichtigen Streckennetz kontrolliert werden.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich glaube, an dieser Stelle wird
der Konflikt deutlich bezüglich dessen, was die EU vorgibt: dass es zu keiner Diskriminierung aufgrund der
Staatszugehörigkeit kommen darf. Wenn den Haltern
von nicht in Deutschland zugelassenen Autos Kurzzeitvignetten für die entsprechenden Straßen angeboten werden sollen, so gilt das offenbar nicht für in Deutschland
zugelassene Fahrzeuge, weil deren Halter nämlich nicht
in der Lage sind, eine Kurzzeitvignette zu kaufen. Haben
Sie den Umstand geprüft, ob es sich bei dieser Tatsache
nicht auch um eine Diskriminierung der Halter von in
Deutschland zugelassenen Fahrzeugen handelt?
Die von Ihnen vermutete Diskriminierung können wir
in diesem Punkt sicherlich ausschließen, weil Halter von
in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Pkw eine Infrastrukturabgabe entrichten müssen, und im Gegenzug erhalten sie den Infrastrukturabgabenbescheid und die Papiervignette.
Über alle anderen Fragen, die die Halter von Autos
betreffen, die nicht hier zugelassen sind, sind wir in intensivem Kontakt mit der EU.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Dann haben Sie also beim Prüfen und Vorbereiten des
Gesetzentwurfes festgestellt, dass diese Variante zulässig ist, dass es eben die Jahresvignette für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge und gleichzeitig eine Entlastung bei der Kfz-Steuer geben wird? Sie haben also den
Konflikt ausgeräumt, dass es sich dabei um eine unzulässige Koppelung von Belastung auf der einen und Entlastung auf der anderen Seite handelt, was ja nach Aussage der EU-Kommission auf jeden Fall nicht EUrechtskonform wäre?
Herr Kollege, zur Erläuterung lassen Sie mich zitieren, was uns die EU-Kommission dazu sagt. Die EUKommission sagt ganz ausdrücklich, dass zwischen den
verschiedenen Säulen der Infrastrukturfinanzierung,
nämlich der Steuerfinanzierung über Kfz-Steuer oder
Mineralölsteuer einerseits und der Nutzerfinanzierung
durch Einführung einer Vignette andererseits, Verschiebungen für die Mitgliedstaaten möglich sind. Wir bewegen uns in diesem Fall also sehr wohl in dem von der
EU-Kommission vorgegebenen Rahmen. Aber Sie können sicher sein, dass ein endgültiger Gesetzentwurf die
Anforderungen erfüllen wird, die im Koalitionsvertrag
vorgegeben sind.
Herr Kollege Krischer hat das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben uns erläutert, dass
Sie das Ganze noch überprüfen, daran noch arbeiten und
verschiedene Varianten testen. Eine davon ist ja - das
war jedenfalls der Inhalt auch öffentlicher Äußerungen -, dass Landes- und Kreisstraßen nicht berücksichtigt werden. Sie sollen zwar bemautet werden, aber die
Maut soll nicht erhoben werden; so habe ich es verstanden. Offiziell soll also schon eine Maut erhoben werden,
inoffiziell aber dann doch nicht. Abgesehen davon, wie
das laufen soll: So jedenfalls war die Kommunikation
nach draußen.
Mich würde interessieren - ich selber lebe in einer
Grenzregion -, wie Sie Menschen aus dem europäischen
Ausland, die die Grenze nach Deutschland überschreiten, vermitteln wollen, auf welcher Straße sie sich gerade bewegen, ob auf einer Bundes-, Landes- oder Kreisstraße. Ich glaube, dass es vielen Menschen, die zum
Beispiel in die Innenstadt von Aachen fahren, gar nicht
klar ist, ob sie sich auf einer Bundes-, Landes- oder
Kreisstraße bewegen.Wenn es da zu einer Unterscheidung kommt - bei Autobahnen ist das offensichtlich;
aber die Unterscheidung zwischen Bundesstraßen auf
der einen Seite und Kreis- und Landesstraßen auf der anderen Seite wird hochproblematisch -, brauchen wir
dann an unseren Landesgrenzen eine Landeskunde dazu,
welche Straßen in Deutschland wie aussehen, oder wie
wollen Sie dieses Problem lösen?
Landeskunde, Herr Kollege, schadet nie. Aber zum
Kern Ihrer Frage, um sie im Ernst zu beantworten: Ihre
gesamten Ausführungen in 1 Minute und 14 Sekunden
beruhen auf Spekulationen in der Presse. Sie werden es
mir nachsehen, dass wir nicht zu jeder Spekulation in der
Presse Stellung nehmen. Wir sind gehalten, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Anforderungen des Koalitionsvertrags entspricht. Ich habe auch schon gesagt,
dass wir die Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsgewohnheiten in den Regionen berücksichtigen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen werden.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Haßelmann das Wort.
Frau Reiche, dies ist nicht der Ort, um über Landeskunde zu diskutieren.
({0})
Das habe ich auch nicht gemacht; das war der Kollege
Krischer.
Meine Frage: Können Sie uns bestätigen, dass die
Kommunalstraßen ausgenommen sind? Sie tun so, als
wären das alles nur Presseberichte. Ich möchte wissen:
Arbeitet das Ministerium daran, die Kommunalstraßen,
die bisher im Entwurf enthalten waren, herauszunehmen?
Wir arbeiten daran, dass wir einen Entwurf haben,
Frau Kollegin, der den Vorgaben des Koalitionsvertrags
entspricht.
({0})
- Doch, Frau Kollegin. - Das ist die Aufgabe. Sie beziehen sich erneut auf Pressespekulationen.
({1})
Ich möchte auch zurückweisen, dass ich mich mit
Landeskunde beschäftige. Diese etwas provokante Frage
wurde vom Herrn Kollegen Krischer gestellt.
({2})
Aber da wir uns lange kennen, kann ich die ganz gut einordnen.
({3})
- Die habe ich auch konkret beantwortet.
({4})
Gut. Wir sind in der Situation, dass es offensichtlich
wechselseitig Unzufriedenheiten gibt. Das ändert nichts
daran, dass die Kollegin Kotting-Uhl noch eine Nachfrage hat. Das ist dann auch die letzte Nachfrage zur
Frage 40.
Ich will vorausschicken, Frau Staatssekretärin, dass
ich Ihre Begründung dafür, dass Sie Fragen nicht beantworten - weil die bereits in der Presse zu Spekulationen
geführt haben -, schon sehr eigenartig finde. Zum einen
beantworten Sie hier Fragen der Abgeordneten nicht,
und zum anderen verweisen Sie darauf: Na ja, darüber
hat sich die Presse schon ausgelassen. - Das ist also
noch ein extra Grund, das hier nicht zu beantworten! Das
ist doch ein seltsames Verständnis von den Gepflogenheiten in unserer Drei-Gewalten-Demokratie, in der die
Presse bekanntermaßen die vierte Gewalt ist.
Ich will jetzt noch einmal ganz konkret fragen. Sie haben eben gesagt, Sie hätten die konkrete Frage der Kollegin Haßelmann konkret beantwortet. Ich habe es dann
überhört. Also wiederhole ich die konkrete Frage: Sind
die kommunalen Straßen ausgenommen?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Eine abschließende Entscheidung zum mautpflichtigen Streckennetz
ist noch nicht gefasst worden.
({0})
Die Fragen 41 und 42 der Kollegin Tabea Rößner
werden gemäß unserer Richtlinien schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Sabine Leidig auf:
Welche erweiterten Kontrollrechte wird der Bundesrechnungshof gemäß dem Entwurf der neuen Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung zwischen der Bundesregierung
und der Deutschen Bahn AG erhalten, und inwiefern sind verstärkte Kontrollen durch das Eisenbahn-Bundesamt vorgesehen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Leidig, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Verhandlungen zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung - kurz: LuFV - befinden sich in der
Schlussabstimmung. Insofern können Aussagen zu einzelnen Aspekten der LuFV II derzeit noch nicht getroffen werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich möchte feststellen, dass diese Aussage aus meiner
Sicht nicht akzeptiert werden kann. Wenn die Verhandlungen weitgehend abgeschlossen sind, dann gibt es
auch schon konkrete Vereinbarungen, Punkte, über die
man sich geeinigt hat.
Wenn Sie nicht darüber sprechen wollen, über welche
Punkte eine konkrete Einigung stattgefunden hat, dann
frage ich jetzt umgekehrt: Worüber gibt es noch Dissens,
was die erweiterten Kontrollmöglichkeiten des Bundesrechnungshofes gegenüber der Deutschen Bahn AG betrifft, und gibt es schon konkrete Vereinbarungen über
die Kontrollaufträge, die das Eisenbahn-Bundesamt
übernehmen soll?
Frau Kollegin, es ist sicherlich nicht üblich, aus laufenden Verhandlungen zwischen der Regierung und der
Deutschen Bahn AG zu berichten. Insofern bleiben wir
hier bei den Gepflogenheiten, wie sie auch schon bei der
LuFV I eingeübt wurden, nämlich dass dann, wenn verhandelt wurde und ein Abschluss vorliegt, die Fachausschüsse informiert werden.
Ich möchte aber den zweiten Teil Ihrer Frage insofern
aufnehmen, als Sie wissen sollen, dass die Vorsitzende des
Rechnungsprüfungsausschusses, unsere Kollegin Frau
Hagedorn, und der Berichterstatter Herr Brackmann sowie der Bundesrechnungshof prüfen, ob die bisher eingeschränkte Vergabeprüfung des EBA durch eine umfassende Prüfung durch den Jahresabschlussprüfer der DB
AG ersetzt werden kann. Aber auch hierzu gibt es noch
keinen Abschluss.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
In meiner zweiten Nachfrage möchte ich fragen, mit
welcher Verhandlungsposition die Bundesregierung in
diesen Diskurs mit der Bahn eintritt. Was sind ihre Vorstellungen davon, wie sichergestellt werden kann, dass
die Vereinbarungen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in Zukunft besser eingehalten werden, als
es in der Vergangenheit geschehen ist? Konkret: Welche
Vorstellungen hat die Bundesregierung davon, mit welchen zusätzlichen Kontrollrechten Bundesrechnungshof
und Eisenbahn-Bundesamt ausgestattet werden sollen?
Frau Kollegin Leidig, wie Sie wissen, hat der Bundesrechnungshof ein gesetzliches und auch sehr umfängliches Kontrollrecht. In der LuFV II sollen diese Kontrollrechte konkretisiert und hinsichtlich des Umfanges und
des Ausübens der Kontrollrechte im Einvernehmen zwischen Bundesrechnungshof und DB AG konkreter beschrieben werden. Die konkreten Punkte - da wiederhole ich mich - legen wir Ihnen vor, wenn die gesamte
LuFV II am Ende vorliegt.
Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Behrens.
Frau Staatssekretärin, in der Diskussion des Prüfungsberichtes des Bundesrechnungshofes bezüglich dieser
Frage haben wir uns sehr intensiv damit auseinandergesetzt, wo weitergehende Prüfrechte erforderlich sind. Ich
habe die Frage meiner Kollegin so verstanden: Hat sich
möglicherweise die Bundesregierung einzelne Kritikpunkte zu eigen gemacht, und ist sie mit diesen in die
Verhandlungen über die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung hineingegangen?
Herr Kollege, Sie wissen, dass es in der Vergangenheit immer wieder unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Bundesrechnungshof und auch uns hinsichtlich des Prüfumfanges gab, was auch viel mit Personal
und personellem Aufwand zu tun hat. Ich glaube, Ziel
muss es sein, größtmögliche Transparenz zu bekommen,
ohne das Eisenbahn-Bundesamt sowie Prüferinnen und
Prüfer zu überfordern. Auf diesem schmalen Grat zwischen dem, was vom Parlament gewünscht wird, und
dem, was zugleich auch in den Behörden widergespiegelt werden muss, versuchen wir eine gute Lösung zu
finden.
Wir kommen damit zur Frage 44 der Kollegin Sabine
Leidig:
In welcher Höhe soll die für das Jahr 2015 erwartete Dividendenzahlung der Deutschen Bahn AG in Höhe von 700 Millionen Euro, die erstmals im Einzelplan 12 veranschlagt ist,
für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung verwendet
werden, und wofür sollen gegebenenfalls die darüber hinausgehenden Einnahmen konkret verwendet werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2015 ist im Haushaltsvermerk zum Titel „Gewinne aus Beteiligungen“
vorgesehen, dass über die Veranschlagung von 700 Millionen Euro hinausgehende zusätzliche Dividendeneinnahmen zur Leistung von Mehrausgaben bei der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Schiene zu
dienen haben. Nach der Systematik der LuFV, der Outputorientierung, können die einzelnen Finanzierungsmittel nicht mit konkreten Verwendungszwecken verbunden
und diesen zugeordnet werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann haben Sie gesagt, dass von den 700 Millionen Euro erwartete Bahndividende - die ja noch gar nicht sicher sind,
weil immer erst im Frühjahr des nächsten Jahres darüber
entschieden wird, wie viel tatsächlich von der Bahn
überwiesen wird - kein Euro für die Infrastrukturfinanzierung, also die LuFV, verwendet werden soll.
Es ist nicht geplant, Dividenden, deren Höhe wir tatsächlich erst kennen, wenn es einen Jahresabschluss
gibt, im Haushalt 2015 in die Finanzierung der LuFV
fließen zu lassen. Sollten sich aber Mehreinnahmen ergeben, was sich im Jahresverlauf herausstellen wird, ist
daran gedacht, darüber hinausgehende Mittel zurückfließen zu lassen, um dem System Finanzierungskreislauf
Schiene gerecht zu werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich würde gerne eine kleine Frage nachschieben. Die
Mittel für die LuFV, wie sie bisher existiert, wurden vertraglich für 2014 und 2015 um jeweils 250 Millionen
Euro aus nicht benötigten Bedarfsplanmitteln erhöht.
Das jedenfalls war die Aussage. Der neue Haushaltsansatz überschreitet mit 3,05 Milliarden Euro den betreffenden Betrag um 550 Millionen Euro. Meine Frage ist
jetzt: Woher kommen diese zusätzlichen 550 Millionen
Euro? Aus welchem Titel haben Sie sie genommen? Unsere Vermutung war, dass in diesen Betrag Dividenden
einfließen. Sie sagen, das ist nicht der Fall. Deshalb
meine Frage: Woher kommen die Mittel?
Das ist in der Tat nicht der Fall. Wir haben, wie Sie
wissen, ein zusätzliches Finanzvolumen über die gesamte Legislaturperiode von 5 Milliarden Euro. Dieses
umfasst Investitionsmittel nicht nur für die Straße, sondern auch für die Schiene. Ich möchte aber auch darauf
hinweisen, dass dies ein Entwurf ist, der im Haushaltsausschuss bestätigt oder verändert oder sogar aufgebessert werden kann. Insofern warten wir jetzt ab, ob der
Entwurf in dieser Form durch den Haushaltsausschuss
bestätigt wird.
Danke, Frau Staatssekretärin. Wir sind damit am
Ende Ihres Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Fragen 45 der Kollegin Lemke, 46 und 47 der
Kollegin Baerbock, 48 und 49 des Kollegen Meiwald,
50 der Kollegin Dr. Verlinden und 51 der Kollegin
Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Stefan Müller zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 52 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Kann die Bundesregierung ausschließen - für den Fall eines geplanten US-Exports der hochradioaktiven Brennelemente aus dem Reaktor AVR Jülich -, dass eine Verwertung
des Kernbrennstoffs ({0}) für
zivile Zwecke in den USA stattfindet, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kernbrennstoff wiederaufbereitet
wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Kotting-Uhl, ich darf Ihre Frage folgendermaßen beantworten: Vorrangiges Ziel einer möglichen Rückführung
des uranhaltigen Kernbrennstoffs in die USA ist die Abreicherung von hochangereichertem Uran im Rahmen
der Nonproliferation. Daran kann sich eine mögliche
schadlose Verwertung anschließen. Ob und inwieweit
die USA abgereichertes Uran im Rahmen der schadlosen
Verwertung einer anschließenden zivilen Nutzung zur
Energieerzeugung zuführen, unterliegt der dortigen Entscheidungskompetenz. Ich darf Ihnen versichern: Die
Bundesregierung strebt an, die Verbringung vertraglich
an die auf zivile Zwecke beschränkte weitere Verwertung des Kernbrennstoffs zu koppeln.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herzlichen Dank,
Herr Staatssekretär, für die Antwort. Es ist ja ein bisschen, ich sage mal, Begriffsverschieberei, wenn man
sagt: Nach der Abreicherung geht das in die schadlose
Verwertung über. - Somit umgeht man den Begriff der
Wiederaufarbeitung. Ich würde schon gerne wissen, ob
Sie sich dafür interessieren, ob die Gesetze, die wir uns
hier gegeben haben, in diesem Fall das Verbot der WieSylvia Kotting-Uhl
deraufarbeitung auch im Ausland, eingehalten werden.
Das ist Teil unserer Verantwortung. Ich finde nicht, dass
man diese Verantwortung auf die USA schieben kann,
die ein solches Gesetz nicht haben. Es ist unsere Verantwortung, darauf zu achten, dass unsere Gesetze eingehalten werden. Deshalb möchte ich schon nachfragen, ob
Sie denn ausschließen können, dass in dieser schadlosen
Verwertung eine Wiederaufarbeitung eingeschlossen ist.
Sie wissen ja, dass es derzeit drei mögliche Optionen
gibt, was mit den Kernbrennstoffen aus Jülich passieren
soll; wir haben schon in der Fragestunde vor zwei Wochen darüber gesprochen. Die erste Option ist, dass sie in
Jülich verbleiben. Die zweite Option ist eine Zwischenlagerung in Ahaus. Die dritte Option ist die Verbringung
in die USA. Nachdem wir uns derzeit allenthalben in
Gesprächen befinden, aber weder über eine dieser drei
Optionen abschließend gesprochen oder entschieden
worden ist und demzufolge die Option der Verbringung
in die USA derzeit noch nicht beschlussreif ist, muss insofern weder etwas ausgeschlossen noch bestätigt werden.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja.
Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Der Weg scheint mir so, wie
den Schuh vor der Socke anzuziehen. Sie können nicht
erst etwas beschlussreif haben und dann schauen, wie
die Gegebenheiten sind. Bevor man den Beschluss fasst,
in die USA zu exportieren, muss man nach meinem Verständnis unserer Gesetze und Verbote wissen, was dort
geplant ist. Wenn es eine Wiederaufarbeitung ist, dann
kann es eben nicht beschlussreif werden, dass man exportiert. Deswegen muss das vorher geklärt werden.
Ich möchte Sie noch einmal fragen: Haben Sie vor,
das vorher zu klären und im Falle einer doch nicht auszuschließenden Wiederaufarbeitung von diesem Export
abzusehen?
Ich sage noch einmal: Das wird sicherlich auch Gegenstand der Gespräche sein, die nur dann zum Tragen
kommen, wenn tatsächlich diese Option abschließend
zum Tragen kommt. Ich möchte aber für den Fall, dass
weitere Nachfragen in Zukunft gestellt werden
({0})
- auch ich denke, dass wir uns hier noch öfter darüber
unterhalten werden -, vorsorglich darauf hinweisen, dass
sich die Frage einer Wiederaufarbeitung im rechtlichen
Sinne aus deutscher Sicht nicht stellt, weil das Wiederaufbereitungsverbot aus § 9 des Atomgesetzes hiervon
jedenfalls nicht betroffen wäre. Das hat die Bundesregierung am 22. August 2014 auch schon in ihrer Antwort
auf die schriftliche Frage Ihres Kollegen Trittin entsprechend mitgeteilt. Nach meinem Informationsstand gibt
es keinen Anlass, von diesem Prüfungsergebnis abzurücken.
Die nächste Zusatzfrage hat der Abgeordnete
Hubertus Zdebel von der Linken.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von den drei Optionen bezüglich
des Jülicher Mülls gesprochen. Können Sie uns eventuell schon etwas zur Zeitschiene der Entscheidungsfindung sagen? Auch mir ist das bisher sehr vage gewesen.
Sie können sich sicher sein, dass es weitere Nachfragen
zu dem Ganzen geben wird. Ich habe zum Beispiel wieder eine Kleine Anfrage aufgrund der Antwort der Bundesregierung in Vorbereitung, die Ihnen in den nächsten
Tagen zugehen wird. Dann können wir das noch einmal
vertiefen, auch bezüglich der Ausführungen von Sylvia
Kotting-Uhl gerade eben. Mich interessiert, ob Sie schon
etwas Konkretes zur Zeitschiene mitteilen können.
Wir haben, wie gesagt, die drei Optionen, die alle
weiter im Gespräch bleiben. Ausgangslage ist ja, dass es
eine Anordnung der Landesregierung von NordrheinWestfalen gibt, dass die Kugeln, also die Brennstoffe,
aus Jülich entfernt werden müssen. Daraufhin war das
Forschungszentrum Jülich beauftragt, ein Konzept vorzulegen, wie das geschehen kann. Meines Wissens liegt
dieses Konzept vor und wird auch noch in den Gremien
des Forschungszentrums Jülich besprochen, bevor dazu
entschieden werden kann. Einer solchen Entscheidung
kann ich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht vorgreifen.
Nächste Nachfrage vom Kollegen Oliver Krischer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, ich verstehe Ihre Ausführungen
so, dass Sie sagen, weil das Ihrer Auffassung nach Forschungsmüll ist - wir teilen Ihre Auffassung nicht -, ist
die weitere Verwendung des Kernbrennstoffes in den
USA, selbst wenn er in Leistungsreaktoren eingesetzt
wird, keine Wiederaufarbeitung. Technisch ist es, glaube
ich, völlig dasselbe. Wenn man zum Ergebnis kommt,
dass es gar kein Forschungsmüll ist, stellt sich die Frage:
Ist es dann nach Ihrer Meinung eine klassische Wieder5178
aufarbeitung in den USA, die in der entsprechenden Anlage in Savannah Rivers stattfindet?
Ich fürchte, dass auch diese Fragestunde nicht dazu
beitragen wird, dass wir uns über die Frage verständigen,
ob es sich beim AVR in Jülich um einen Reaktor gehandelt hat, der Forschungszwecken diente oder einer gewerblichen Nutzung unterzogen war. Wir bleiben bei unserer Rechtsauffassung: Es war ein Forschungsreaktor.
Der Gesichtspunkt der Forschung war prägend für den
AVR.
({0})
Damit ist auch eine mögliche Verbringung in die Vereinigten Staaten grundsätzlich möglich.
({1})
Trotzdem hat die Regierung das Recht, so zu antworten, wie sie die Frage versteht und beantworten möchte. - Weitere Zusatzfragen dazu gibt es nicht.
Dann kommen wir zur Frage 53 des Abgeordneten
Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Befunden der Prognos-Studie „Wissenschaftliche Untersuchung und Analyse der Auswirkungen der Einführung von
Projektpauschalen in die BMBF-Forschungsförderung auf die
Hochschulen in Deutschland“, die das Bundesministerium für
Bildung und Forschung, BMBF, in Auftrag gegeben hat und
die seit Mitte August 2014 vorliegt, wonach die Forderung
der Bundesregierung ungerechtfertigt sei, dass die Länder in
die direkte Mitfinanzierung der Programmpauschale einsteigen, da die Länder schon jetzt den weit überwiegenden Teil
der Projektkosten bezahlen ({0})?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gehring, ich darf Ihnen wie folgt antworten: Die vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung in Auftrag gegebene Studie zu den BMBFProjektpauschalen enthält - entgegen Ihrer Fragestellung - keine Befunde, inwieweit Verhandlungspositionen des Bundes in Bund-Länder-Verhandlungen gerechtfertigt sind.
Ich will daran erinnern: Grundlage der DFG-Programmpauschale ist die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern über den Hochschulpakt 2020,
der zufolge „über die weitere Ausgestaltung mit dem
Ziel der Verstetigung der Förderung und der Beteiligung
der Länder an der Finanzierung“ zu entscheiden ist.
Diese Vereinbarung läuft am 31. Dezember aus. Wir befinden uns dazu derzeit in Gesprächen mit den Ländern.
Der Bund setzt sich jedenfalls mit Nachdruck dafür
ein, dass Bund und Länder die Programmpauschale gemeinsam weiterführen. DFG-Projekte werden von Bund
und Ländern ebenso gemeinsam finanziert. Daher halten
jedenfalls wir es nur für konsequent, dass im Sinne einer
gemeinsamen Kooperationskultur auch die indirekten
Kosten gemeinsam zu tragen sind. Dies wird im Übrigen
auch vom Bundesrechnungshof und vom Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages entsprechend gefordert.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Nach unserer Bewertung widerlegt
das Prognos-Gutachten die zentralen Kritikpunkte des
Bundesrechnungshofs. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Hochschulen in unserem Land
sehr beunruhigt und in großer Sorge darüber sind, dass
Sie als BMBF die Weiterfinanzierung der Programmpauschale zur Förderung der universitären Forschung
weiterhin infrage stellen. Können Sie Medienberichte
bestätigen oder dementieren, wonach das BMBF die
Vereinbarung zur dritten Phase des Bund-Länder-Hochschulpakts nur dann abschließt, also den Hochschulpakt
nur dann fortsetzt, wenn sich die Länder an der Finanzierung der Programmpauschale beteiligen?
Herr Kollege Gehring, ich will mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie es mir ermöglichen,
den Deutschen Bundestag als Forum zu nutzen, um eindeutig klarzumachen: Der Bund, das Bundesministerium
für Bildung und Forschung und die Bundesregierung,
steht zur Programmpauschale, und es ist nicht beabsichtigt, die Programmpauschale in irgendeiner Art und
Weise einzustellen.
Wir sind - das habe ich gesagt - derzeit mit den Bundesländern im Gespräch über eine Fortsetzung, eine
dritte Phase des Hochschulpaktes. Der Hochschulpakt
hat zwei Säulen: Die eine Säule betrifft die finanzielle
Unterstützung der Länder bei der Schaffung von Studienplätzen. Die zweite Säule betrifft die Programmpauschale. Wir haben vor - das ist beabsichtigt -, bei der
GWK am 30. Oktober dazu entsprechende Beschlüsse
zu fassen. Es gibt - insofern sind Medienberichte
korrekt - bei diesen Verhandlungen des Bundes mit den
Ländern in der Tat derzeit noch Gesprächsbedarf, was
die Frage einer gemeinsamen Finanzierung der Programmpauschale anbelangt. Diese Gespräche laufen
noch. Aber ich sage noch einmal ausdrücklich: Der
Bund wird seiner Verantwortung hier weiter gerecht
werden.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, mir ist durchaus bewusst, dass
der Hochschulpakt auf zwei Säulen fußt. Was ich den
Medien entnehme, ist, dass der Bund offensichtlich ein
neues Junktim setzt, nach dem Motto: Wir finanzieren
Studienplätze künftig nur noch mit, wenn die Länder
künftig bei der Programmpauschale einen deutlichen
Beitrag leisten. - Das würde wiederum zulasten der
Grundfinanzierung der Hochschulen in den Ländern gehen.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es
im Zusammenhang mit dem 6-plus-3-Milliarden-EuroPaket für Bildung und Forschung eine Verabredung gibt,
die lautet:
Zusätzliche Programme mit einem Kofinanzierungsbedarf können von den Ländern nur umgesetzt werden, wenn andere Ausgaben gekürzt werden.
Deshalb möchte ich Sie einfach bitten, mir zu sagen,
ob die Bundesregierung die von ihr geschlossene Vereinbarung kennt und weiter zu ihr steht oder ob sie den Ländern konkrete Vorschläge gemacht hat, wo sie bei der
Finanzierung ihrer Wissenschaftshäuser und der Grundfinanzierung der Hochschulen kürzen sollen.
Zunächst einmal, Herr Kollege Gehring, finde ich es
sehr interessant, dass Sie Verabredungen innerhalb der
Koalition interpretieren. Ich darf Sie aber auch darauf
hinweisen, dass mit der Bezeichnung „Programme“ in
dieser Vereinbarung jedenfalls nicht die Programmpauschale gemeint war, sondern es beispielsweise um zusätzliche Förderprogramme geht.
Nun sind Sie wie ich schon einige Jahre hier im Deutschen Bundestag, und Sie wissen auch, wie politische
Verhandlungen aussehen. Eine Gesamtvereinbarung kann
es erst dann geben, wenn alle einzelnen Fragen in der
Sache vereinbart sind. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass
wir bei der ersten Säule die Verhandlungen weitgehend
abgeschlossen, jedenfalls für die GWK am 30. Oktober
vorbereitet haben, dass es aber bei der zweiten Säule
noch einige Fragen gibt, die geklärt werden müssen, und
es dazu noch keine Vereinbarungen gibt. Ich sage es
noch einmal: Eine Gesamtvereinbarung kann es erst
dann geben, wenn alles miteinander vereinbart ist. Das
ist derzeit noch nicht der Fall.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung.
Die Frage 54 des Abgeordneten Niema Movassat
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung
steht Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche bereit.
Ich rufe die Frage 55 der Abgeordneten Britta
Haßelmann auf:
In welchem Umfang und in welchem Zeitraum hat der
Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten deutscher
Staatsbürger an die National Security Agency, NSA, weitergegeben?
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Abgeordnete, ich
verstehe die Frage so, dass Sie mit Kommunikationsdaten deutscher Staatsangehöriger solche Daten meinen,
die durch eine G-10-Beschränkungsmaßnahme erhoben
wurden. Es kann sich dabei sowohl um Inhalts- als auch
um Verkehrsdaten handeln. Während unter Inhaltsdaten
insbesondere Gesprächsinhalte zu verstehen sind, bezeichnen die Verkehrsdaten, auch als Metadaten bezeichnet, sämtliche Umstände einer Kommunikation,
also zum Beispiel auch eine Telefonnummer.
Wenn Daten aus einer G-10-Beschränkungsmaßnahme
an andere Nachrichtendienste, etwa der USA, übermittelt werden, dann richtet sich diese Übermittlung unter
anderem nach den strengen Vorschriften des § 7 a G 10.
Ich zitiere:
Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen
öffentlichen Stellen übermitteln, soweit 1. die Übermittlung zur Wahrung außen- und sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland
oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist, 2. überwiegende
schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen
Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die
Verwendung der Daten durch den Empfänger im
Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und 3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist. Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramts.
Nach § 7 a des Artikel-10-Gesetzes hat der BND im
Jahr 2012 zwei Übermittlungen an die USA durchgeführt. Diese betrafen den Fall eines im Ausland entführten deutschen und US-amerikanischen Staatsbürgers.
Die beiden Übermittlungen betrafen Erkenntnisse zu
konkreten Umständen der Situation des Entführungsopfers. Ihre Weitergabe an die USA diente dazu, die Situation weiter aufzuklären und auf diese Weise Leib und
Leben des Entführungsopfers zu schützen. Die Übermittlungen waren notwendig, um die Umstände der Entführung weiter aufzuhellen. Ziel der Übermittlungen
war, die Geisel möglichst unversehrt zu retten.
Frau Haßelmann, haben Sie eine Zusatzfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Auch Ihnen, Herr
Fritsche, vielen Dank für die Beantwortung. Sie haben
am Anfang der Beantwortung meiner Frage eine Grundannahme getroffen. Da sich meine Frage auf sämtliche
abgezapften Rohdaten bezieht, möchte ich nachfragen:
Muss Ihre Antwort dann nicht noch ergänzt werden?
Lassen Sie mich einen zweiten Aspekt ansprechen.
Sie hatten meinem Kollegen Hans-Christian Ströbele mit
Datum vom 11. Juli auf eine entsprechende Frage geantwortet - ich zitiere -:
Der Bundesnachrichtendienst hat im angefragten
Zeitraum weder selbst noch mit Hilfe des Betreibers DE-CIX … Rohdaten aus im Raum Frankfurt
erfassten Telekommunikationsverkehren automatisiert an die NSA weitergeleitet. Der in der zweiten
Teilfrage suggerierte Zusammenhang besteht nicht.
Das Letzte bezog sich auf einen anderen Sachverhalt.
Nach den Presseberichten der Süddeutschen Zeitung,
des SWR und des NDR ist jetzt bekannt geworden, dass
unter dem Stichwort „Eikonal“ ein Austausch von Daten
regelmäßig und über Jahre stattgefunden hat. Wie decken sich Ihre Aussage in der Beantwortung meiner
Frage und die Aussage in der Beantwortung der Frage
von Hans-Christian Ströbele vom 11. Juli 2014 mit den
Vorwürfen und Behauptungen, die in der Presseberichterstattung über die Operation „Eikonal“ bekannt gegeben wurden?
Herr Staatssekretär.
Zunächst einmal, Frau Abgeordnete, bedauere ich es
ausdrücklich, dass Unterlagen, die bis zu Streng Geheim
eingestuft waren und dem Untersuchungsausschuss vonseiten der Bundesregierung zur Verfügung gestellt worden sind, in kürzester Zeit in die Presse gekommen sind
und sie offensichtlich Hintergrund der Berichterstattung
in der Süddeutschen Zeitung waren.
Um auf die grundsätzliche Frage zurückzukommen,
die Sie einleitend gestellt haben: Es gibt nur zwei Möglichkeiten für den BND, Kommunikationsdaten von
Deutschen oder über Deutsche weiterzugeben. Das ist
die von mir eingangs geschilderte G-10-Möglichkeit,
also die Möglichkeit nach den Regularien des Artikel10-Gesetzes. Die zweite Möglichkeit ist, dass Daten von
anderen Diensten, also auch Telekommunikationsdaten
von anderen Diensten bzw. von menschlichen Quellen,
die der BND führt, übermittelt werden. Diese Daten werden ebenfalls auf einer rechtlichen Grundlage - dem
Bundesnachrichtendienstgesetz in Verbindung mit dem
Bundesverfassungsschutzgesetz - auch an öffentliche
ausländische Stellen, also auch an andere Dienste übermittelt. Nur diese beiden Möglichkeiten gibt es für eine
Datenübermittlung von Kommunikationsdaten Deutscher.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Haßelmann? - Bitte.
Vielen Dank. - Herr Fritsche, kann ich Ihren Aussagen entnehmen, dass Sie definitiv davon ausgehen, dass
Kommunikationsdaten ausschließlich in den zwei Fällen, die Sie hier skizziert haben, zwischen BND und
NSA weitergegeben worden sind und dass sämtliche
Sachverhalte, die, durch welche Indiskretion auch immer, Gegenstand öffentlicher Berichterstattung waren,
somit nicht zutreffend sind? Schließen Sie aus, dass es
eine Weitergabe von Daten gegeben hat, dass es Vereinbarungen gegeben hat zwischen dem BND und der NSA
über die Frage des Austausches und der Weitergabe von
Telekommunikationsdaten?
Frau Abgeordnete, ich beantworte die Frage wie
folgt: Ich schließe aus, dass es solche Abkommen zwischen der NSA und dem BND gegeben hat, die sich über
die beiden Möglichkeiten, die ich eingangs geschildert
habe, hinweg zu einem Datenaustausch einlassen. Es
gibt die sogenannte Routineaufklärung - die keine G-10Aufklärung ist - des Bundesnachrichtendienstes. Sie betrifft Ausländer im Ausland. Hier hat der Bundesnachrichtendienst entsprechende Schutzmaßnahmen, nämlich
Filtersysteme, eingebaut. Nach diesen Filtersystemen
werden, sollte ein deutscher Staatsangehöriger in diese
Ausland-Ausland-Aufklärung geraten, Daten herausgefiltert. Damit können auch Daten, die hier weitergegeben
werden, keine Daten von deutschen Staatsangehörigen
enthalten.
Danke schön. Ich schließe damit die Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reaktion der Bundesregierung auf den Rüstungsbericht und die schwierige Situation des
Beschaffungswesens der Bundeswehr
Bevor wir in die Rednerfolge eintreten, gratuliere ich
im Namen des Präsidiums und hoffentlich des ganzen
Hauses unserer Bundesverteidigungsministerin zu ihrem
heutigen Geburtstag. - Frau von der Leyen, herzlichen
Glückwunsch!
({0})
Es ist ein Zeichen hohen Verantwortungsbewusstseins,
dass sie diesen Geburtstag mit uns verbringt, und ein
Zeichen der Freude an der Politik, dass sie auch an ihrem
Geburtstag an dieser wichtigen Debatte als Rednerin für
die Bundesregierung teilnimmt.
Ich eröffne die Aussprache und rufe als ersten Redner
den Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke,
auf. - Bitte schön.
({1})
Schönen Dank, Herr Präsident. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich befürchte, dass ich mich mit meinem Beitrag nicht in die Schar der Gratulanten zum Geburtstag einreihen kann, sondern es etwas kantiger wird.
({0})
- Genau so.
Ich möchte zu Anfang ein Problem ansprechen, das
nur mittelbar mit der Frage zu tun hat, über die wir hier
debattieren. Vielleicht gibt es da eine Möglichkeit zur
Verständigung; in Fragen der Rüstung und der Aufrüstung gibt es von mir keine Brücke.
Ich habe die neuesten Informationen aus Kobane: IS
ist auf dem Rückzug. Wenn das stimmen sollte, sollte
das uns alle glücklich machen. Ich möchte gern, dass wir
zumindest gemeinsam Druck auf die Türkei entwickeln
und der Türkei klipp und klar sagen: Die Grenzen müssen für Flüchtlinge auf- und für den IS zugemacht werden.
({1})
Auf dieses Minimum werden wir uns doch hier im Haus
verständigen können.
Jetzt möchte ich zu dem Bericht argumentieren. Ich
habe ihn voller Spannung gelesen. Es ist eigentlich ein
Krimi, der hier aufgeführt worden ist. Ich würde titeln:
Kriminaltango, initiiert von der Ministerin von der
Leyen. - Vom Stern wurde sie als „Kriegsministerin“ bezeichnet. Das hat der Stern gemacht, nicht ich; ich wiederhole das hier nur.
({2})
Ich möchte gern, dass man über zwei verschiedene
Grundrichtungen nachdenkt. Die Grundrichtung der Linken ist: Wir wollen Sicherheit durch Abrüstung. Die
Grundrichtung der Verteidigungsministerin und der Regierung ist: Sicherheit durch Aufrüstung. - Das wird
scheitern, und das geht nicht zusammen. Sicherheit ist
durch Abrüstung zu erreichen.
({3})
Es geht nicht nur um Sicherheit. Ich möchte auch über
andere Fragen reden, die immer verdrängt werden. Wenn
man den Bericht liest - es geht um neun große Rüstungsprojekte -, weiß man sofort: Es geht um Geld, um viel
Geld. Wir reden über Sicherheit, und andere reden über
Profite. Mit Rüstung werden ungeheure Profite gemacht.
Darüber muss man sprechen. Ich möchte einmal im
Sinne von Transparenz aufgelistet haben, welche Rüstungsunternehmen an welchem Projekt wie viel verdient
haben. Während hier über Sicherheit gesprochen wird,
geht es um Geld und Profit. Das Streben nach Profit
sollte aber nicht unsere Politik aussteuern. Das gehört zu
dem Krimi.
({4})
Wir müssen auch über mafiöse Strukturen in diesem
ganzen Bereich reden. In meinem Jargon würde ich
diese Kooperation von Rüstung, von Rüstungsinteressen
und Ministerium eher als militärisch-industriellen Komplex bezeichnen. Wer schreibt eigentlich die Vorschläge,
was beschafft werden soll und von wem es geliefert werden soll? Jetzt hört und liest man, dass Verträge sogar
von denen geschrieben werden, die auf der anderen Seite
das Geld dadurch bekommen, und dass das Ministerium
selbst so oberflächlich auf die Dinge eingeht, dass die
Bezeichnung Filz zwischen Politik und Militär durchaus
angebracht ist. Ich möchte über diesen Filz reden.
({5})
Ich möchte ein weiteres Problem ansprechen - Frau
Ministerin, hier spreche ich Sie auch ganz direkt an -:
Wäre es nicht möglich, etwas mehr Respekt vor dem
Parlament - nicht vor einzelnen Abgeordneten - an den
Tag zu legen? Müssen Sie mit jeder Planung, so absurd
sie auch im Einzelnen ist, sofort versuchen, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben?
({6})
An der russischen Westgrenze Drohnen aus Deutschland
und Soldaten aus Deutschland stationieren zu wollen, ist
so absurd und so gefährlich wie nur irgendwas.
({7})
Die OSZE will das gar nicht; das wissen Sie. Die OSZE
hat nicht angefragt. Sie drängen sich hier auf.
({8})
Kann man das klären und hier sagen, dass wir als Deutscher Bundestag das nicht wollen, es sollen keine Soldaten dort stationiert werden, wo deutsche Soldaten einmal
waren? Das war die Politik und auch die Formulierung
von Herrn Kohl: keine deutschen Soldaten, wo deutsche
Soldaten einmal waren.
Muss der Bundestag aus den Medien erfahren, dass
Sie Ausbildungszentren im Nordirak einrichten wollen?
Ich finde, diese Art des Umgangs mit dem Parlament
macht viel kaputt und die deutsche Politik noch unseriöser, als sie sowieso schon ist.
({9})
Ich möchte nicht, dass mit dem Parlament in dieser Art
und Weise umgegangen wird. Ich fordere Respekt für
das Parlament. Ich finde, dass das Parlament die Entscheidung hat. Das sollte man auch in allen Fragen deutlich machen und nicht vorab die Presse so hochschaukeln, dass es sich bereits wie Fakten liest.
Keine deutschen Soldaten an die Westgrenze Russlands, das ist das Mindeste, was Sie aus der Geschichte
lernen sollten.
Danke sehr.
({10})
Für die Bundesregierung erteile ich das Wort Frau
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.
({0})
Vielen Dank für die Glückwünsche zum Geburtstag,
Herr Gehrcke. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1 500 Seiten Gutachten zum Thema Rüstungsbeschaffung liegen jetzt vor. Es ist eine schonungslose
Analyse - wir haben in den vergangenen Tagen viel darüber geredet -, aber sie war nötig. Das Gutachten
kommt mitten in einer - nicht nur durch die äußeren
Umstände - schwierigen Zeit. Die Krisen dieser Welt
sind hochkomplex, sie nehmen zu, und wir stehen gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten vor gewaltigen Herausforderungen. Deutschland ist gefordert,
und Deutschland übernimmt auf diesen und vielen anderen Feldern seine Verantwortung.
Zugleich haben wir ohne Zweifel mit Problemen im
Inneren zu kämpfen. Wir sehen einen Stau in der Rüstungsbeschaffung. Das, was bestellt worden ist, kommt
Jahre zu spät und weit überteuert. Deshalb haben wir die
Verpflichtung, mit dem Material, das wir haben, das bewährt, aber betagt ist, viel länger zu arbeiten. Das hat zur
Folge, dass es bei Wartung, Instandhaltung und Ersatzteilbeschaffung knirscht. Auch haben wir in den letzten
zwei Wochen eine Serie von Pannen bei den Luftfahrzeugen erlebt, die uns das Leben schwer machen.
All das ist nicht neu, aber es ist im Augenblick hart,
weil die Probleme geballt auf dem Tisch liegen, transparent und ungeschminkt, aber das war auch der Sinn des
Gutachtens. Vieles, was wir jetzt sehen, gefällt uns gar
nicht, aber es kann und darf uns nicht dazu verführen,
jetzt beiseitezuschauen, sondern wir müssen nach vorne
schauen und die Probleme anpacken.
Ist deswegen in der Bundeswehr alles schlecht? Überhaupt nicht! Die Bundeswehr ist auf einem Niveau der
Leistung, um das uns die allermeisten Länder dieser
Welt beneiden.
({0})
Dass das so ist, beweisen über 3 000 Soldatinnen und
Soldaten jeden Tag weltweit im Auslandseinsatz, und es
beweisen über 270 000 Soldatinnen und Soldaten und
Zivilbeschäftigte jeden Tag hier in Deutschland. Ihnen
gebührt unser Dank.
({1})
Auch wenn die Probleme jetzt deutlich und transparent auf dem Tisch liegen, sollten wir uns nicht darüber
hinwegtäuschen lassen, dass es beim Materialerhalt und
bei der Rüstungsbeschaffung knirscht. Sollten wir deshalb unsere Aktivitäten zurückfahren und einstellen?
Auch da ist meine Antwort: keineswegs. Ein Krankenhaus, das mit seinen Röntgengeräten Probleme hat, wird
deswegen nicht die Intensivstation oder die Chirurgie
schließen, sondern es wird die Röntgengeräte reparieren
oder ersetzen. Genau diese Palette an Aufgaben stellt
sich nun auch uns.
Erstens. Ja, wir haben akute Probleme bei Hubschraubern und Flugzeugen, aber die sind auch erklärbar. Deshalb haben wir kurzfristig zwei Task Forces geschaffen,
eine für die Hubschrauber, eine für die Flugzeuge, in denen wir ganz konkret fragen, was bei den einzelnen Luftfahrzeugen falsch läuft, worin das Problem liegt und wo
wir helfen können. Die Inspekteure, die zuständig sind,
sind dem Lenkungsausschuss zugeordnet, in dem die
beiden beamteten Staatssekretäre und der Generalinspekteur vertreten sind, um diesen Problemen kurzfristig konkret an den Leib zu gehen. Wo es sinnvoll und
notwendig ist, werden wir für Ersatzflugzeuge sorgen.
Zweitens. Ich habe eben angesprochen, dass wir das
bewährte, aber betagte Material weiterhin fliegen und
fahren, aber auch zur See haben. Das bedeutet für uns,
dass der Materialerhalt intensiviert werden muss. An
dieser Stelle will ich sagen, dass wir in den vergangenen
Jahren zu Recht einen ganz starken Fokus auf den Einsatz gelegt haben. Das war richtig so. Es ist uns gelungen, dass die Bundeswehr bei ihren Einsätzen mit hochmodernem Material und Schutz alles das leisten kann,
was wir als Parlament ihr auftragen. Die Konzentration
auf die Einsätze hat aber auch dazu geführt, dass im
Grundbetrieb nicht genügend hingeschaut worden ist.
Das wird jetzt umso deutlicher sichtbar, wo Landes- und
Bündnisverteidigung wieder eine wesentlich stärkere
Bedeutung erlangen. Also müssen wir sagen: Bei Instandhaltung und Wartung müssen wir die Prozesse intensivieren und mehr Geld in die Hand nehmen, um dort
voranzukommen.
Drittens. Wir brauchen ein engeres, ein transparenteres, ein viel effizienteres Management der Rüstungsprojekte. Wir haben in den vergangenen Tagen ausführlich,
stundenlang darüber diskutiert. Das beginnt beim Vertragsmanagement, geht über die Risikobewertung bis hin
zum Projektmanagement. Ein Beispiel: Projektleiter
wissen ungeheuer viel, sehen viel, bemerken als erste,
wenn etwas nicht rund läuft, aber sie dürfen nicht an der
unendlich langen Meldekette verzweifeln, sondern sie
müssen sofort einen Zugang zu der Leitung haben, um
die Probleme dort frühzeitig zu melden, damit die Probleme erkannt und frühzeitig abgestellt werden. Das
spart Zeit und Geld. Diesen Weg werden wir jetzt einschlagen.
Es geht uns insgesamt darum, stärker eine Kultur zu
entwickeln, die viel mehr an den Lösungsvorschlägen
als an der Problembeschreibung interessiert ist. Die Problembeschreibung ist am Anfang notwendig, aber dann
müssen die Lösungsvorschläge aus derselben Hand, aus
derselben Richtung kommen. Das heißt, wir müssen
auch eine neue Fehlerkultur entwickeln, eine Fehlerkultur, in der es in Ordnung ist, zu sagen: „Da ist ein Risiko“, „Wir haben hier einen Fehler gemacht“, frühzeitig, um dann auch gegensteuern zu können. Das ist
bisher keine Selbstverständlichkeit. Das ist eine Neuerung, nicht nur für unser Haus und in der Leitung unseres Hauses, sondern auch für uns als Parlament. Die
Frage wird sein: Wie gehen wir in Zukunft mit Fehlern
und Problemen, die auftauchen werden - ganz ohne
Zweifel -, um? Sanktionieren wir sofort? Machen wir
sofort Aktionismus? Dann werden wir zurückfallen in
eine Haltung, dass Fehler möglichst vertuscht werden,
dass Risiken möglichst nicht frühzeitig angezeigt werBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
den - in der Hoffnung, dass sie von selber vergehen. Ich
bin der Meinung, dass wir gemeinsam in der Verantwortung für unsere Parlamentsarmee viel stärker in diese
neue Form der Fehlerkultur hineingehen sollten, weil sie
transparenter ist und zum Schluss zu besseren Ergebnissen führt.
({2})
Meine Damen und Herren, das Gutachten zeigt auch,
dass viel politisch beeinflusst worden ist. Das ist per se
weder falsch noch richtig - das will ich gleich sagen:
Wir machen hier Politik, also ist politischer Einfluss normal -; doch das muss Grenzen haben, wenn die Ziele
willkürlich gesetzt werden. Deshalb möchte ich noch
einmal zitieren, was unser Koalitionsvertrag sagt:
Die Bundeswehr beschafft, was sie braucht, und
nicht, was ihr angeboten wird.
Damit sind wir beim Thema „Priorisierung und Schlüsseltechnologien“. Wir haben uns diese Frage im Verteidigungsministerium aus Sicht des Bedarfes der Truppe
gestellt, vorweg. Die Frage ist: In welchen Bereichen
wollen, ja müssen wir national beschaffen, um unseren
militärischen Bedarf souverän zu sichern? Dahinter steht
der Gedanke der Unabhängigkeit.
Zweitens. Wir brauchen Akzeptanz dafür, dass die
Ressourcen begrenzt sind. Das heißt, wir müssen priorisieren. Wenn wir alles zur Schlüsseltechnologie erklären, können wir nicht mehr priorisieren; dann sinkt das
Niveau überall.
Drittens. Wir brauchen - das betone ich ausdrücklich - einen ressortübergreifenden Konsens. Wir haben
jetzt begonnen, aus dem Verteidigungsministerium heraus diese Diskussion zu führen, in den Domänen und
Dimensionen, die wir haben. Wirklich nationale Schlüsseltechnologien können nur einige wenige sein. Eindeutig ist das für uns zum Beispiel bei Führung und Aufklärung; hier kommt es buchstäblich auf den Schlüssel an,
mit dem wir unsere Souveränität dann auch verteidigen
können: Wenn andere unsere Verschlüsselung knacken
können, sind wir nicht mehr unabhängig; wir sollten
Verschlüsselung also national beherrschen. Und es geht
um die Technologien in Führung und in Aufklärung, die
im 21. Jahrhundert einen ganz großen Bedeutungszuwachs erfahren werden.
Im Bereich der Wirkung sind die Dinge nicht so eineindeutig. Panzer, U-Boote, Handfeuerwaffen: hier muss
die Bundesregierung eine gemeinsame Antwort finden.
Das sind die sogenannten grauen Bereiche. Wohlgemerkt: Grau kann auch grün werden; aber wir brauchen
die Diskussion darüber. Hier geht es eben nicht nur um
die militärische Souveränität, sondern es geht auch um
Sicherheitspolitik. Das heißt, die zentrale Frage, aus der
Sicht der Bundesregierung, ist: Wollen wir unsere starke
Position - die deutschen Produkte sind in einigen dieser
Technologien bereits Weltspitze - nutzen für unseren sicherheitspolitischen Einfluss in der Welt? Wenn das mit
Ja beantwortet wird, dann ist klar: Der Bedarf der Bundeswehr reicht nicht aus für eine gesunde Industrie, sondern hier ist auch die Frage nach dem Export zu stellen.
({3})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, dem Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter.
Sehr geehrte Frau Ministerin, erst einmal auch von
meiner Seite alles, alles Gute zum Geburtstag!
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Anspruch und Wirklichkeit hart aufeinanderprallen, dann ist das schmerzhaft. Das, sehr geehrte Frau
Ministerin, erfahren Sie gerade am eigenen Leib. Sie haben laut nach mehr internationaler Verantwortung für
Deutschland gerufen. In New York schwärmten Sie davon - ich zitiere -, Deutschland habe Schlüsselkapazitäten und Fähigkeiten, die andere Nationen so nicht haben.
({0})
Deutschland hat vor allem Flugzeuge und Hubschrauber,
die nicht fliegen, und Panzer, die nicht fahren. Ja, das ist
schon ziemlich einzigartig.
({1})
Dem militärischen Begriff „Stillgestanden“ geben Sie
damit eine ganz neue, ganz eigenartige und ganz einzigartige Bedeutung.
({2})
Nun fliegen Ihnen Ihre Ankündigungen um die Ohren, und Sie versuchen jetzt, das mit Aktionismus zu
überspielen. Sie verkünden Einsätze im Irak und in der
Ostukraine - und das, bevor selbst das Außenministerium informiert ist, geschweige denn die ganze Bundesregierung.
({3})
Statt eine Ankündigungspolitik zu betreiben, sollten
Sie endlich Ihre Arbeit tun und sich um eine bessere
oder wenigstens eine funktionierende Ausrüstung kümmern, um eine Ausrüstung, die die bestmögliche Sicherheit für unsere Soldatinnen und Soldaten gewährleistet.
Wie auch immer man zu einzelnen Mandaten stehen
kann: Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten für ihren
Einsatz. Über eines sollten wir uns hier doch alle einig
sein, nämlich dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz eine funktionierende Ausrüstung schuldig
sind. Darin sollten wir uns auch mit der CDU einig sein.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man mag nun einwenden: Na ja, Frau von der Leyen, Sie sind ja erst seit
einem Jahr im Amt. - Das stimmt, aber seit fast zehn
Jahren tragen nun CDU und CSU, die selbsternannten
Parteien der Bundeswehr, die Verantwortung für das
Verteidigungsministerium.
({5})
Jung, Guttenberg, de Maizière und nun Frau von der
Leyen: Was ist das Ergebnis? Das Ergebnis sind kaputte
Transall-Maschinen, die zum Beispiel auf den Kanaren
oder in Bulgarien festsitzen, und Schiffe, die ohne die
entsprechenden Hubschrauber in den Einsatz geschickt
werden müssen. Das Ergebnis ist eine Mängelliste, die
dicker ist als jedes Telefonbuch.
({6})
Tiefgreifende Reformen sind deshalb unumgänglich.
Das erfordert von Ihnen, Frau von der Leyen, ganz klar
politische Kärrnerarbeit. Anstatt den Blick schön hinter
Transalls herschweifen zu lassen, müssen Sie nun Ihr
Augenmerk auf die Niederungen der Beschaffungspolitik richten. Jetzt ist Schreibtisch statt PR-Fotos angesagt.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer trägt eigentlich
die Gesamtverantwortung für die Politik in Deutschland
in den letzten zehn Jahren? Ist das nicht die Bundeskanzlerin? Ist das nicht Frau Merkel? Ihre Bilanz als Regierungschefin ist eine Bundeswehr, die nur noch bedingt
einsatzfähig ist. Die Minister kamen und gingen, die
Kanzlerin blieb. Das macht sie zur politischen Hauptverantwortlichen für das Ausrüstungsdesaster bei der Bundeswehr.
({8})
Seit der Machtübernahme von Frau Merkel hat das
Verteidigungsministerium circa 40 Milliarden Euro für
Beschaffung ausgegeben. Da fragt man sich: Was haben
Sie eigentlich mit dem ganzen Geld gemacht?
({9})
Sie haben es für Projekte verschwendet, die meist verspätet kamen, zu teuer waren und von schlechter Qualität sind.
({10})
Mein Verdacht ist: Diese Verschwendung ist nicht allein auf Inkompetenz zurückzuführen. Das allein wäre
schon schlimm genug. Nein, es mangelt auch an professioneller Distanz zwischen Bundeswehr und Ministerium auf der einen Seite und Rüstungsindustrie auf der
anderen Seite,
({11})
mit dem Ergebnis, dass Sie Milliarden verplempert haben und die Rüstungsindustrie dem Ministerium auf der
Nase herumtanzt. So geht es schlichtweg nicht weiter.
({12})
Vor diesem Hintergrund verbietet sich in meinen Augen auch jede Forderung nach mehr Geld. Im letzten
Jahr mussten Sie 1,3 Milliarden Euro an den Haushalt
zurückgeben. Und jetzt wollen Sie das Problem mit
mehr Geld lösen? Das ist doch nur noch bizarr.
({13})
Deshalb: Misten Sie endlich den Saustall im Beschaffungswesen aus! Setzen Sie Prioritäten! Die Bundeswehr
muss nicht alles können, aber das, was sie plant, muss
sie dann auch können. „Breite vor Tiefe“ als Motto ist
schlichtweg falsch.
({14})
Beenden Sie die teure und gefährliche Nähe zwischen
dem Ministerium und der Rüstungsindustrie,
({15})
und sorgen Sie für eine Bundeswehr, die Deutschlands
Verantwortung gegenüber den Partnern und insbesondere gegenüber den Vereinten Nationen endlich gerecht
werden kann.
Vielen Dank.
({16})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Rainer Arnold, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich finde es interessant, dass wir über Rüstungsprodukte,
Beschaffung und Instandsetzung auf Antrag der Linken
diskutieren. Wir sollten vielmehr über Sicherheitspolitik
diskutieren, darüber, welche Interessen unser Land in
der Welt hat und welche Verantwortung wir in der Welt
haben, abgeleitet von unseren Werten, unserer Größe
und unserer ökonomischen Bedeutung. Danach sollten
wir darüber diskutieren, wie die Bundeswehr gestaltet
werden soll, damit sie das Instrument ist, das wir in der
Politik brauchen, und welches Gerät wir dafür brauchen.
Dies wäre eigentlich die richtige Reihenfolge. Aber gut,
wir diskutieren auch gern über Rüstungsprojekte.
({0})
Frau Ministerin, Sie haben die Probleme nicht verursacht; dies muss man immer wieder sagen, wenn man
fair miteinander umgeht. Wir Parlamentarier haben die
Probleme ebenfalls nicht verursacht.
({1})
Viele von uns weisen seit Jahren auf Fehlentwicklungen
hin. Aber ihnen wurde nicht zugehört. Deshalb finden
wir es gut, dass nun eine Gesamtschau der Probleme
vorliegt und dass Sie zugehört haben. Obwohl die Probleme im Einzelnen zumeist bekannt waren, eröffnet
diese Gesamtschau die Chance - es ist durchaus Ihr Verdienst, dass Sie den entsprechenden Prozess eingeleitet
haben -, dass jeder begreift: Augen zu, Schönreden und
„Weiter so“, das kann es nicht mehr geben. Sie erfahren
eine große Unterstützung, wenn Sie nun die Prozesse
verändern. Dafür braucht man sicherlich Kraft. Das
wurde schon oft versucht. Aber bislang sind alle Versuche im Sand verlaufen. Wir werden Sie in den nächsten
Jahren dabei unterstützen.
({2})
Natürlich muss man sich die Gründe genau anschauen, nicht um zurückzublicken, sondern um die
Fehlentwicklungen zu korrigieren. Es gibt drei Gründe:
Erstens. Es gibt das Problem, dass die Wirtschaft
nicht wirklich verlässlich gearbeitet und geliefert hat;
das ist klar zu benennen. Wir müssen mittels Vertragsrecht und gegebenenfalls mittels Anwälten, die unsere
Interessen durchsetzen, klarmachen, dass es so nicht
weitergehen kann.
Zweitens. Das Ministerium weist eine Struktur auf,
die modernen Prozessen und der Komplexität der Rüstungsvorhaben nicht mehr gewachsen war und nicht
mehr gewachsen ist. Diese Struktur muss verändert werden. Frau Ministerin, Sie und Ihre Staatssekretärin haben
zu Recht mit uns darüber diskutiert, dass sich auch die
Kultur verändern muss; es muss eine Fehlerkultur geben.
Wir haben erlebt, dass zum Beispiel Leute, die schon vor
Jahren klar formuliert haben, was beim Euro Hawk
schiefläuft, von ihren Schreibtischen vergrault wurden
und dass der entsprechende Bericht zurückgewiesen
wurde. Die Kompetenz dieser Leute fehlt nun. In den
letzten Jahren hatten wir die Kultur, dass all diejenigen,
die Bedenken geäußert und Rat gegeben haben, als Störenfriede verstanden wurden. Dies entspricht nicht den
Grundsätzen des modernen Managements. Es ist notwendig und gut, dass Sie das nun ändern.
({3})
Der dritte Grund ist - damit sich etwas verändert,
muss man auch ihn nennen -: Die Strukturreform Ihres
Vorgängers hat die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft, insbesondere im Bereich der Instandsetzung. Es
ist doch klar: Wer von vornherein eine Struktur wählt,
die zum Ziel hat, sowohl die Zahl des Personals als auch
das Gerät zu reduzieren, und nach der Rasenmähermethode verfährt, anstatt zu prüfen, wo qualifiziertes Personal an den richtigen Stellen benötigt wird, und dann
noch anordnet, dass 70 statt 100 Prozent des Geräts ausreichend sind, darf sich nicht wundern, dass immer mehr
technische Geräte ausfallen, weil sie zu viele Betriebsstunden aufweisen, und dass eine kritische Größe bei bestimmten Fähigkeiten erreicht wird. In dieser Situation
befinden wir uns nun.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist wahr,
dass die Bundeswehr leistungsfähig ist. Aber auch hier
muss man genau hinschauen. In der Bundeswehr gibt es
hervorragende Bereiche, in denen sie im internationalen
Maßstab führend ist. Das liegt auch an den Menschen,
die dort arbeiten. Dann gibt es Bereiche, in denen die
Bundeswehr einsatzfähig, aber nicht mehr durchhaltefähig ist. Die derzeit geplante Struktur sieht die Nichtdurchhaltefähigkeit konzeptionell vor; das ist so eingeplant. Es geht auf die Knochen der Soldatinnen und
Soldaten, insbesondere der Spezialisten, wenn sie allzu
lange im Einsatz sind und nicht mehr wie gewünscht als
Staatsbürger in ihrem sozialen Umfeld leben können.
Deshalb muss man an diese Fragen mit herangehen.
Sie haben den Informationen aus dem Haus im Frühjahr zu Recht nicht vertraut und einen externen Blick darauf geworfen. Der war notwendig. Das wird nicht das
Ordnungsprinzip der Zukunft sein; aber dieser Blick war
hilfreich.
Bei der Untersuchung der neuen Projekte - davon
möchte ich zwei ansprechen - geht es um Folgendes:
Der Euro Hawk ist in hohem Grade politisch belastet,
und es ist nicht einfach, das zu kommunizieren. Wir sind
aber erstens der Auffassung, es ist klug, dieses teure Projekt mit seiner herausragenden Fähigkeit nach Möglichkeit zum Erfolg zu führen und nicht für gleich viel oder
mehr Geld etwas deutlich Schlechteres zu beschaffen.
Deshalb ist dies der richtige Weg.
Zweitens sind wir der Meinung, wir haben im Bereich
der bodengebundenen Luftverteidigung in Deutschland
herausragende Fähigkeiten. Die sollten wir national
schützen, und wir sollten das auch in Auftrag geben. Damit komme ich zum Bereich der Schlüssel- oder Kernfähigkeiten, Frau Ministerin.
Sie denken aber an die Zeit.
Ich komme zum Ende. - Frau Ministerin, wir müssen
diese definieren. Das kann man selbstverständlich nicht
der Wirtschaft überlassen. Wir haben aber eine Bitte:
Wir sollten die Debatte nicht so führen, dass die Unternehmen, die jetzt bezüglich ihrer Fähigkeiten infrage
gestellt werden - dabei geht es um die Frage, ob diese
Fähigkeiten zu den Kernfähigkeiten gehören -, sich kritischen Fragen ihrer Banker oder der Kapitalmärkte stellen müssen. Wir haben da eine gemeinsame Verantwortung. Unser Anliegen ist eindeutig. Ich glaube, dass auch
die Sichtweise dazu in dieser Koalition mehrheitlich eindeutig ist. Kernfähigkeiten waren für uns in der Vergangenheit - sie sollen es auch in Zukunft sein - Fähigkeiten, die dem nationalen Interesse entsprachen. Sie haben
diese Fähigkeiten genannt: Verschlüsselungstechnik,
Sensorik und Aufklärung. Kernfähigkeiten beruhen aber
auch auf herausragenden technischen Fähigkeiten, welche die deutsche Rüstungswirtschaft erbringen kann. Da
sind wir im Weltmaßstab spitze. Wir wollen sie nicht nur
wegen der Arbeitsplätze bewahren, sondern das hat zum
Beispiel auch bei MEADS, also der Luftverteidigung, etwas mit nationaler Souveränität zu tun, die wir schützen
wollen.
Herr Kollege.
Deshalb muss Klarheit geschaffen werden. Bei Landsystemen, U-Booten und Kleinwaffen hat die deutsche
Wirtschaft wirklich herausragende Fähigkeiten. Sie gehören mit zu diesen Kernfähigkeiten.
Die Koalition, Frau Ministerin, steht - ich komme
zum Ende - an Ihrer Seite.
Herr Kollege.
Zuhören und handeln müssen Sie. Alles Gute dabei!
({0})
Lieber Herr Kollege Arnold, ich habe den Geburtstagsgruß schon von der Zeit abgezogen, damit Sie etwas
mehr Luft hatten.
({0})
- Die Technik, mehrfach zu versprechen, zum Ende zu
kommen, um dann fröhlich weiterzureden, ist verständlich, wenn man von einem Thema viel versteht; aber es
wäre doch nett, wenn wir uns in der Aktuellen Stunde an
die Regeln halten würden. - Als Nächstem erteile ich
das Wort dem Kollegen Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben den Auftrag, die Bundeswehr so
auszurichten, dass sie auf jede sicherheitspolitische Herausforderung eine Antwort geben kann. Die sicherheitspolitische Lage ist angespannt. Wir haben eine hohe Beteiligung an Auslandsmandaten, und wir haben große
sicherheitspolitische Herausforderungen, die wir tagtäglich diskutieren.
Deutschland muss einen Beitrag leisten. Deutschland
übernimmt Verantwortung. Deswegen brauchen wir
auch ein ausgedehntes Fähigkeitsprofil, wir müssen auf
jede Lage eine entsprechende Antwort geben können.
Wir müssen Fähigkeiten anbieten können, von denen wir
überzeugt sind, dass wir sie auch gut abbilden können.
Zur Erfüllung dieses Auftrages brauchen wir das notwendige Material.
Wir haben gesehen: Wenn sich eine Krise auftut, ist es
immer zuerst die Bundeswehr, die gerufen wird ({0})
egal ob es sich um Auslandsmandate handelt, ob es um
die Ebolaseuche oder um Hochwasser geht. Das ist auch
ein Ausdruck von Vertrauen und eine Zuversicht in die
Fähigkeiten der Bundeswehr. Weiter ist es auch die Anerkennung der Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten. Das sollten Sie, bitte, auch einmal zur Kenntnis
nehmen.
({1})
Dass wir diese Diskussion hier führen, ist auch ein
Ausdruck dafür, dass wir unsere Fürsorge und auch unser sicherheitspolitisches Interesse wahrnehmen. Es gibt
Herausforderungen und Probleme bei der Beschaffung,
weil oftmals zu spät und nicht in der vereinbarten Qualität geliefert wird. Wir haben eine hohe Beanspruchung
auch älteren Materials. Ich nenne in diesem Zusammenhang beispielsweise die Transall. Deswegen greifen wir
auch noch einmal vermehrt in die Substanz ein. Hierbei
wird offenkundig, dass es auch Probleme gibt.
Lieber Herr Hofreiter, wenn Sie sich darüber echauffieren, dass in letzter Zeit so viel investiert worden ist,
dann sage ich ganz deutlich: Wir machen Ihrem damaligen grünen Außenminister keinen Vorwurf, dass er die
Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz nach Afghanistan geschickt hat. Aber wenn wir dann feststellen, dass
wir nachrüsten müssen und mehr Schutzkomponenten
brauchen, dass wir also mehr investieren müssen,
({2})
dann sollten wir das als gemeinsame Aufgabe ansehen
und das auch anerkennen.
({3})
Zu viel ist dadurch kompensiert worden, dass man in
den Grundbetrieb eingegriffen hat. Das geht einmal, aber
das geht nicht auf Dauer. Die Neuausrichtung der Bundeswehr, die vom damaligen Verteidigungsminister
Herrn de Maizière angestoßen wurde, hatte zwei Zielrichtungen: die Bundeswehr auf die Einsatzlage auszuHenning Otte
richten und die Beschaffungsprozesse zu beschleunigen
und zu verbessern.
Genau das hat unsere jetzige Verteidigungsministerin,
Frau von der Leyen, aufgenommen und konsequent fortgeführt, indem sie sich alle Großprojekte hat vorstellen
und sich den Istzustand hat berichten lassen und indem
sie ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, um genau herauszufinden, wie wir die Prozesse noch besser gestalten, noch mehr beschleunigen und verlässlicher machen
können. Deswegen sind wir Ihnen, liebe Frau Ministerin,
für diese Arbeit sehr dankbar. Auch wenn noch viel Arbeit vor uns liegt, so ist das der richtige und notwendige
Schritt, den wir gemeinsam in der Großen Koalition tun.
({4})
Dieses Gutachten muss aber auch aus sicherheitspolitischer Sicht ausgewertet werden. Welches Fähigkeitsprofil brauchen wir? Viele Produkte und Fähigkeiten, die
die deutsche Industrie herstellt, verfügen über eine Spitzenqualität. Das ist sowohl Ausdruck als auch Grundlage von Souveränität und Sicherheit. Wenn aber solch
eine Industrie erst einmal ins Ausland verlagert wird,
dann ist es umso schwerer, diese Industrie zurückzuholen. Oder, wie der Rheinländer sagt: Was fott is, is fott.
Wer glaubt, dass wir von ausländischen Industrien
besser versorgt werden, der irrt. Ich stelle das in Zweifel.
Wir haben eine Industrie, die ausgewiesene Fähigkeiten
bei der Herstellung von Produkten für die Luft-, Landund Seestreitkräfte hat und Spitzenprodukte liefert. Aber
es muss noch eine bessere Abstimmung untereinander
erfolgen. Dort, wo wir spitze sind, müssen wir spitze
bleiben, und dort, wo wir noch nicht spitze sind, müssen
wir spitze werden.
({5})
Am Ende eines oftmals langen Entwicklungs- und
Beschaffungsprozesses, bei dem es natürlich Anpassungen aufgrund der Erfahrungen aus den Einsätzen oder
aufgrund von Innovations- und Techniksprüngen gibt,
steht meist das beste und modernste Produkt, das es gibt.
Aber das dauert zu lange. Die Produkte kommen nicht so
verlässlich, wie es unsere Soldatinnen und Soldaten im
Einsatz brauchen.
2013 sind 7 700 Verträge im Verteidigungsministerium geschlossen worden, wir haben 1 200 Beschaffungsprojekte, wir haben 100 sogenannte Über-25-Millionen-Vorlagen und 15 Großvorhaben. Das zeigt, dass
wir auch in der Vertragsgestaltung und in der Vertragsauslegung sattelfest werden müssen; denn es geht auch
darum, dass wir am Anfang des Vertrages deutlich machen, was wir wollen, damit wir am Ende auch das Produkt geliefert bekommen, das wir wollen.
Ich habe Vertrauen in die Wirtschaft, aber wir müssen
deutlich machen, dass wir Verlässlichkeit und Pünktlichkeit wollen. Wir wollen vor allem unseren Soldatinnen
und Soldaten das Gerät zur Verfügung stellen, das sie für
ihren Einsatz brauchen, und das muss schneller, pünktlicher und verlässlicher geschehen. Das muss uns die Sicherheit unseres Landes wert sein.
Herzlichen Dank.
({6})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Christine Buchholz, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Rüstungsprüfbericht und den Umgang von Frau von der Leyen mit demselben. Meine
These ist: Die Antworten, die Frau von der Leyen und
die Vertreter der Regierung geben, gehen an den eigentlichen Problemen vorbei. Frau von der Leyen, Sie räumen nicht auf, sondern Sie bedienen weiter die Profitinteressen der Rüstungsindustrie. Das hängt natürlich,
Herr Arnold, damit zusammen, dass Sie gemeinsam die
Bundeswehr auf Biegen und Brechen in globale Einsätze
schicken wollen.
Schauen wir uns das Ganze genau an. Wir reden über
die Verträge, die das Bundesverteidigungsministerium
mit der Rüstungsindustrie schließt. Es wird hier immer
so technisch über die Verträge und die Vertragsstrafen
geredet. Ich will es einmal konkret machen: Der Eurofighter kostet den Steuerzahler am Ende 60 Milliarden
Euro. Und an so vielen anderen Ecken und Enden fehlt
das Geld! Nachdem der Preis pro Stück weiter explodierte, reduzierte das BMVg das Auftragsvolumen. Der
Wert der Bestellung blieb gleich; doch der Triebwerkhersteller MTU erhielt im Dezember 2013 55 Millionen
Euro Kompensationszahlungen für Triebwerke, die niemals gebaut worden sind. Airbus Defence fordert
900 Millionen Euro als Ausgleich für die Reduzierung
der georderten Stückzahl.
Aber umgekehrt gilt das Ganze nicht. Wenn sich infolge von Schwachstellen an den ersten 33 ausgelieferten Flugzeugen die Lebensdauer verkürzt, dann werden
die Ansprüche an den Hersteller wegen der Vertragslage
womöglich nicht geltend gemacht werden. Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass mit Steuergeld
so umgegangen wird.
({0})
Es ist nicht so, dass es in allererster Linie handwerkliche Probleme gibt; nein, das Problem hat System:
Erstens. In allen Projektgruppen, die diesen Beschaffungsprozess prägen, saßen von Anfang an Vertreter der
Rüstungsindustrie. Sie werden mit daran beteiligt, die
sogenannten Fähigkeitslücken zu definieren. So war beispielsweise EADS Hauptauftragnehmer für die Erstellung der Systemkonzeptstudie zum Euro Hawk.
Zweitens. Ministerium und Rüstungsindustrie teilen
das Interesse, die Bundeswehr global in Einsatz zu bringen, und dies bei größtmöglicher Eigenständigkeit gegenüber amerikanischen Partnern und russischen Rivalen.
Drittens. Über Personen kann man das Ganze auch
plastisch machen. Ich verweise auf den ehemaligen
Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent5188
wicklung Dirk Niebel, der nun Rüstungslobbyist bei
Rheinmetall wird, oder auf Tom Enders, den jetzigen
Vorstandsvorsitzenden der Airbus Group, der in der Vergangenheit als Beamter im Verteidigungsministerium
gewirkt hat und bis 2011 Mitglied der CSU war. Es wundert nicht, dass die Regelung der Regierung zu Karenzzeiten ein zahnloser Tiger ist.
({1})
Wie geht die Rüstungsindustrie mit dem Bericht um?
Sie jammert ja immer viel; dabei ist die Realität, dass deren Jahresumsatz 2013 knapp 30 Milliarden Euro betrug.
Seit 2005 wächst die Rüstungsindustrie jährlich im
Schnitt um 4,3 Prozent. Sie ist gierig. Sie verlangt mehr.
Adamowitsch, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, fordert jetzt, dass die Deckelung von Gewinnmargen aufgebrochen wird. Meine Damen und Herren,
das kann doch nicht wahr sein!
({2})
Frau von der Leyen produziert weiter Kosten für den
Steuerzahler. Denn anstatt die ausufernden Kosten einzudämmen, kündigt das BMVg jetzt im Begleitschreiben
zum KPMG-Bericht an, dass noch in diesem Jahr mehrere wichtige Rüstungsbeschaffungsentscheidungen auf
den Weg gebracht werden sollen.
In diesem Zusammenhang kurz ein Wort zum Euro
Hawk: Ich halte es für eine absolute Schnapsidee, den
Euro Hawk, der bereits eine halbe Milliarde Euro verschlungen hat, aus der Mottenkiste zu holen.
({3})
Die Kostenexplosion ist vorprogrammiert. Von daher:
Ersparen Sie dem Steuerzahler dieses weitere Milliardengrab.
({4})
Die Regierung, Frau von der Leyen, die CDU nutzen
die jetzige Debatte,
({5})
um eine weitere Diskussion voranzutreiben, nämlich die
über die perspektivische Erhöhung des Rüstungsetats.
Sie fordern mehr Geld für Rüstung in der Zukunft. Wir
sagen Nein. Nutzen Sie jetzt nicht die Diskussion über
die aufgetretenen Mängel, um an dieser Stelle Druck zu
machen. Eine Erhöhung des Rüstungsetats werden wir,
die Linke, nie mitmachen.
({6})
Internationale Verantwortung bedeutet die Abkehr
von immer mehr militärischen Einsätzen. Internationale
Verantwortung heißt Abrüstung. Sie setzt auf zivile Krisenlösungen. Internationale Verantwortung heißt auch,
endlich den Filz zwischen Rüstungsindustrie und Politik
aufzulösen.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thomas Hitschler, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin dem Verteidigungsministerium ausgesprochen dankbar für diesen Bericht, auch wenn ich
mich gefreut hätte, ihn vor der Presse zu Gesicht zu bekommen; aber da bin ich vielleicht etwas zu altmodisch.
Dass es beim Material der Bundeswehr Probleme
gibt, ist nicht neu, das Ausmaß der Herausforderung allerdings schon. Das haben die alarmierenden Nachrichten der letzten Wochen unterstrichen. Eine kritische und
gleichzeitig schonungslose Analyse ist absolut notwendig, um diese Herausforderung zu meistern. Eine solche
Analyse liegt jetzt vor und offenbart in manchen Bereichen, dass in den letzten Jahren Fehlentscheidungen getroffen wurden.
Ich will diese Aktuelle Stunde nutzen, um auf einen
Punkt hinzuweisen, der in diesem Papier zu wenig Beachtung findet. Baustellen gibt es nämlich nicht nur bei
den Großprojekten; auch ein Blick auf die persönliche
Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten lohnt sich.
Ich habe diesen Sommer genutzt, um viele Bundeswehrstandorte in unserer Republik zu besuchen. Besonders erschreckt haben mich Berichte, die ich in der letzten Woche erhalten habe. Bei einem Einsatzverband im
Südwesten wurde mir ein Problem deutlich vor Augen
geführt. Mir wurde berichtet, dass die materielle Einsatzbereitschaft der Grundausstattung bei Teilen der Truppe
bei nur 20 Prozent liegt. Handfeuerwaffen und Nachtsichtgeräte sind nur zum Teil verfügbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Bericht,
den die Soldaten mir vorgelegt haben, wurde deutlich,
dass auch für die Ausbildung eine entsprechende Ausrüstung dringend nötig ist. Nur wenn die Soldatinnen
und Soldaten bestens ausgebildet sind, auch bei Tag und
Nacht mit der Ausrüstung üben können, können sie den
hohen Grad an Einsatzbereitschaft zeigen, den wir alle
von ihnen fordern. Das ist nämlich unser Auftrag, Kolleginnen und Kollegen, den wir den Soldatinnen und Soldaten geben.
Gerade bei den Fallschirmjägern haben sich große
Probleme gezeigt, also bei denen, die als Erste in den
Einsatz geschickt werden und als Erste im Gefecht stehen. Die Situation ist, so meine ich, schlicht unzumutbar
und auf dem schnellsten Wege zu ändern. Nur so können
wir die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten gewährleisten und auch unserer Verantwortung als Auftraggeber nachkommen.
Ich hoffe, hier handelt es sich nur um ein Verteilungsproblem und nicht um ein grundsätzliches Beschaffungsproblem. Die Kosten sind im Vergleich relativ gering.
Deshalb bitte ich das Verteidigungsministerium, sich
dieses Punktes unverzüglich anzunehmen.
Um ähnliche Probleme auch bei anderen Standorten
auszumachen, brauchen wir zusätzliche Sachstandsberichte, Sachstandsberichte über die einzelnen Verbände.
Der Ausrüstungsstand sollte überall bei 100 Prozent liegen. Das muss das ausgemachte Ziel sein, Kolleginnen
und Kollegen.
({0})
Kritik zu äußern ist relativ einfach und bequem - das
haben wir heute schon mindestens zweimal gesehen -;
Kritik anzunehmen, Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen ist eine andere Frage.
({1})
Die wichtigste Leistung dieses Berichts ist es, die
schlimmsten Mängel schonungslos offenzulegen. Damit
muss aber auch die Geheimhaltungs- und Verschleierungskultur der letzten Jahre ein Ende haben. Ein solcher
Kulturwechsel wäre wirklich der größte Erfolg dieses
Berichts und für das Parlament unabdingbar.
Neben der Analyse finden sich auch konkrete und,
wie ich finde, meist vernünftige Handlungsempfehlungen in diesem Papier, die für uns auch die Ursachen aufzeigen, und das heißt nicht automatisch: mehr Geld! Wer
reflexartig ausschließlich mehr Geld als Lösung fordert,
der hat den Bericht entweder nicht gelesen oder nicht
verstanden. Die massive Geldverschwendung bei den
Rüstungsprojekten ist doch gerade Teil des Problems,
und damit muss jetzt Schluss sein, Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Dafür brauchen wir vor allem eines - das wurde in
der Debatte wirklich deutlich -: Wir brauchen ein besseres Management. „Besseres Management“ heißt für
mich: mehr Fachpersonal. Das Kaputtsparen bei den zivilen und militärischen Beschäftigten rechnet sich nicht;
auch das zeigt der Bericht deutlich. Nur so können wir
wieder auf Augenhöhe mit der Industrie verhandeln. Eigene Fachexpertise ist da dringend notwendig.
Die Bundeswehr braucht, so meine ich, ein besseres
Personalmanagement mit nachhaltigen Personalentwicklungsplänen und gezielten Förderprogrammen für den
gesamten Personalkörper; denn der Arbeitgeber Bundeswehr wird nur dann attraktiv, wenn wir den nachfolgenden Generationen eine Perspektive aufzeigen. Wenn wir
das jetzt nicht anpacken, fällt uns der Fachkräftemangel
in den nächsten Jahren deutlich und noch stärker auf die
Füße, und die Probleme werden noch größer.
Auf den Prüfstand gehört ebenso das Konzept „Breite
vor Tiefe“. Es hat sich weder bewährt, noch ist es zeitgemäß. Der Debattenanstoß um Schlüsselqualifikationen
der Rüstungsindustrie ist daher wichtig. Dafür bin ich
Ihnen auch sehr dankbar.
Wir werden also schauen müssen: Was können wir
besonders gut, auch und gerade mit Blick auf unsere
Verbündeten? Die Entwicklung wird daher zwangsläufig
in Richtung einer europäischen Armee gehen müssen. Es
ist schlicht ineffektiv und veraltet, im nationalen KleinKlein jede Fähigkeit ein bisschen beherrschen zu wollen;
noch schlimmer wäre es, eine Fähigkeit gar nicht zu beherrschen. Wir müssen stattdessen Kernprofile schärfen,
in denen die Bundeswehr Topleistungen bringt, und
diese dann auch mit den Topleistungen unserer Freunde
und Partner kombinieren. So geht eine moderne, schlagkräftige und effektive Verteidigungspolitik für Europa,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dieser Bericht ist ein mutiger und wichtiger erster
Schritt. Den Ankündigungen müssen jetzt aber auch Taten folgen. Die Handlungsempfehlungen müssen analysiert werden, sie müssen in konkrete Vorhaben gegossen
werden, und sie müssen umgesetzt werden. Wir werden
diesen Prozess mit allen Kräften unterstützen. Und wir
laden auch die Opposition ein: Auch Vorschläge von ihr
sind hier gefragt, nicht nur unsachliche Kritik.
Vielen Dank.
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Ministerin von der Leyen, nicht nur weil Sie heute
Geburtstag haben, zu dem ich Ihnen natürlich auch ganz
herzlich gratulieren möchte,
({0})
möchte ich einen Schritt zurücktreten von der üblichen
Oppositions-Regierungs-Logik; denn normalerweise
sind ja Rüstungsdesaster, plump gesprochen, ein gefundenes Fressen für die Opposition. Nein, ich wünsche mir
wirklich, dass es Ihnen gelingt, das umzusetzen, woran
all Ihre männlichen Vorgänger gescheitert sind, nämlich
beim Thema Rüstungsprojekte bei der Bundeswehr einmal ganz grundsätzlich aufzuräumen.
({1})
Es gibt gravierende Mängel, es gibt große Probleme,
einerseits beim alten Material, andererseits aber auch bei
den Projekten, die neu zulaufen. Sie müssen für die Lösung all dieser Probleme ein schlüssiges Gesamtkonzept
bringen. Sie müssen kurzfristige, aber auch langfristige
und strukturelle Lösungen jetzt endlich auf den Tisch legen.
Viele Empfehlungen, wie das gehen könnte, wie man
durch Drehen an der einen oder anderen Schraube etwas
verbessern könnte, stehen in dem Gutachten, das heute
schon erwähnt wurde und über das wir schon viel diskutiert haben. Es hat 1,4 Millionen Euro gekostet, ist über
1 000 Seiten dick und stellt dem Rüstungswesen bei der
Bundeswehr, aber auch den Reformen, die Ihr Vorgänger
de Maizière an dieser Stelle durchgeführt hat, ein verheerendes Zeugnis aus. Es ist deutlich: Es gibt viele Probleme, es gibt Chaos bei der Projektsteuerung, schlechte
Verträge, unübersichtliche Zuständigkeiten und widerstreitende Interessen.
Frau von der Leyen, in Ihrem Haus weiß offensichtlich die eine Hand nicht, was die andere tut. Beenden Sie
dieses Missmanagement und diese ineffizienten Strukturen! Sorgen Sie für mehr Transparenz und für eine offene und ehrliche Kommunikation in dieser Frage!
({2})
Denn es muss Schluss sein mit einer Kultur, bei der Probleme immer wieder übersehen, vertuscht oder kleingeredet werden.
Sie haben aber jetzt schon - und das macht mich sehr
skeptisch, dass Sie Ihre Ankündigungen wirklich umsetzen - so gut wie ausgeschlossen, dass Sie sich ganz
grundsätzlich an die Organisationsstruktur wagen. Da
muss ich sagen: So ernst nehmen Sie also Ihr eigenes
teures Gutachten! Ich würde sagen, Sie sollten es annehmen und umsetzen, was Ihnen da ins Hausaufgabenheft
geschrieben worden ist.
({3})
Es gibt schon jetzt einige Zweifel daran, dass Sie wirklich das anpacken wollen, was Sie uns hier an dieser
Stelle vollmundig versprochen haben.
Ich möchte ein anderes Beispiel nennen: Das Dokument sagt zu der Frage, wie es mit der Aufklärungsdrohne Euro Hawk, dem riesigen Flopprojekt aus dem
letzten Sommer, weitergehen soll, sehr klar: Dieser
Punkt ist noch nicht entscheidungsreif. - Da habe ich
persönlich schon sehr gestaunt, als ich Sie am Sonntag,
also einen Tag bevor das Gutachten übergeben wurde,
im Fernsehen gesehen habe und Sie wörtlich gesagt haben - ich zitiere -:
… für die Serienreife, also wenn wir dann in den
Normalbetrieb gehen, werden wir ein anderes Flugzeug nehmen, eine andere Drohne, die heißt Triton,
die ist aus den USA.
Und das, obwohl es die gleichen Probleme wie beim
Euro Hawk geben wird! Wenn das die neue Beschaffungspolitik à la Frau von der Leyen sein soll, dann sage
ich nicht nur „Gute Nacht!“, sondern sage Ihnen auch
voraus: Da stolpern Sie sehenden Auges genau in die
Falle, in die Ihr Vorgänger de Maizière getappt ist.
({4})
Frau von der Leyen, Sie haben hier vorhin gesagt, es
solle nicht nur um Problembeschreibungen gehen, jetzt
gehe es um Lösungsvorschläge. Aber dazu muss ich ehrlich sagen: Ich habe bisher nicht viel gehört. Es wird
zwei Task Forces geben, einen Lenkungsausschuss; es
soll eine neue Kultur geben. Ich glaube, da müssen Sie
noch einmal viel grundsätzlicher ran und auch sagen,
was Sie aus dem Gutachten an der Stelle umsetzen wollen.
Sie haben jetzt auch das Thema Rüstungsindustrie angesprochen. Sie haben die Schlüsselfähigkeiten, die die
wehrtechnische Industrie in Deutschland haben sollte,
benannt. Es ist sicherlich eine Grundursache für die Probleme, die wir im Beschaffungsbereich haben - die sind
ja auch schon genannt worden -, dass viel zu oft industriepolitische Interessen Vorrang hatten vor außen- und
sicherheitspolitischen Begründungen, Vorrang hatten vor
den Notwendigkeiten für die Bundeswehr und auch den
finanziellen Rahmenbedingungen. Aber nach dem, was
der Kollege Otte und der Kollege Arnold gerade hier gesagt haben, habe ich auch an der Stelle große Skepsis,
dass Sie Ihren Vorschlag so werden umsetzen können.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss, nach fünf Jahren in diesem Ausschuss
muss ich sagen: Mir reicht es an dieser Stelle.
({6})
Ich finde, das Vertrauen ist an vielen Stellen grundsätzlich beschädigt worden. Ich habe es, ehrlich gesagt, satt
- ich habe auch viele Kollegen und Kolleginnen, egal ob
aus der Opposition oder aus der Regierung, so verstanden -, dass wir als Abgeordnete von Skandalen oder bestimmten Missständen nur erfahren, wenn wir mühsam
und gezielt nachfragen, wenn die Presse es aufgedeckt
hat, wenn wir einen Hinweis aus der Truppe bekommen
oder wenn der Bundesrechnungshof von explodierenden
Kosten bei bestimmten Waffensystemen schreibt.
Ich finde, wir als Ausschuss - da haben Sie völlig
recht, Herr Arnold - sind nicht verantwortlich für diese
Probleme. Wir können sicherlich auch nicht die Arbeit
des Ministeriums machen. Wir haben gesagt - das ist
richtig -, wir wollen kontinuierlich über Materiallager
und Beschaffung unterrichtet werden, und wir wollen
Transparenz herstellen. Aber ich finde, wir sollten die
Kontrolle an dieser Stelle noch verschärfen. Wir sollten
Transparenz noch härter einfordern. Deshalb bitte ich
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen - da appelliere ich
auch an Ihr Selbstverständnis als Parlamentarierinnen
und Parlamentarier -: Lassen Sie uns einen gemeinsamen Unterausschuss zur Frage der Rüstungsprojekte auf
den Weg bringen.
({7})
Auf diese Weise können wir als Parlament mehr Verantwortung übernehmen.
Die Probleme löst man nicht durch ein hektisches Ankündigungsstakkato oder dadurch, dass man halb gare
Vorschläge präsentiert, die sich nur auf den ersten Blick
im Scheinwerferlicht gut verkaufen lassen. Es hilft
nichts, an einer glamourösen Fassade zu werkeln, wenn
gleichzeitig die Risse im Fundament immer größer werden. Stattdessen braucht es jetzt eine kluge und durchdachte Sicherheitspolitik. Das ist eine Kärrnerarbeit. Dafür müssen die Empfehlungen aus dem Gutachten ernst
genommen und umgesetzt werden; denn anders werden
wir der Probleme nicht Herr und Herrin werden.
Vielen Dank.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesministerin der Verteidigung hat eine externe Unternehmensberatung beauftragt, im Rahmen einer Studie eine
umfassende Bestandsaufnahme der großen Rüstungsprojekte vorzunehmen. Nun liegen die Ergebnisse vor, die
im Grunde genommen das bestätigen, was wir alle bereits seit längerem geahnt und sicherlich auch gespürt
haben, nämlich dass das Rüstungsmanagement deutlich
verbessert werden muss. Wichtige Schritte wurden bereits eingeleitet; weitere Schritte müssen folgen.
Nun hat uns die Studie zu einem Zeitpunkt erreicht,
an dem wir ohnehin intensiv über die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr diskutieren. Dadurch wird
der Auftrag an uns, Fehler beim Materialerhalt und in
der Beschaffung möglichst umgehend zu beheben, noch
deutlicher. Die Bundeswehr - wir hörten es mehrfach ist mittlerweile eine Einsatzarmee. Von der Verteidigungsarmee über die Armee der Einheit ist die Bundeswehr zu einer Armee geworden, die im Einsatz steht und
mehr denn je auf modernstes Material angewiesen ist.
Wir können es uns nicht länger leisten, dass Rüstungsprojekte aus dem vereinbarten Kostenrahmen entgleiten,
also immer teurer werden, vereinbarte Qualitätsmerkmale nicht eingehalten werden und sich das Lieferdatum
immer weiter nach hinten verschiebt.
Durch das Gutachten haben wir auch ein gewaltiges
Aufgabenpensum mit auf den Weg bekommen. Nicht
alle Empfehlungen - das ist meine erste Einschätzung sollten wir eins zu eins umsetzen. Wohl aber muss der
Beschaffungsvorgang noch effektiver ausgestaltet werden.
Meine Damen und Herren, die Kernaussage der Studie bringt das eigentliche Problem auf den Punkt: Ein
funktionierendes Risikomanagement war nicht ausreichend vorhanden. Erkannte Risiken wurden teils ignoriert, verwässert oder versickerten in der Meldekette bis
zur Leitungsebene. Aus diesem Grund - die Ministerin
hat das sehr genau erkannt - benötigen wir klare Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche sowie ein ehrliches und effektives Berichtswesen.
Schon bei der Vertragsgestaltung muss noch sauberer
gearbeitet werden, damit zum Beispiel berechtigte Regressforderungen auch durchgesetzt werden können.
Mein Rat lautet deshalb: Die Industrie tut gut daran, ehrliche Verträge mit realistischen Wegmarken und erreichbaren Zielvorgaben mit dem Bedarfsträger Bundeswehr
auszuhandeln, um dann die zugesagten Leistungen im
vereinbarten Kostenrahmen und zum zugesicherten Liefertermin zu erbringen. Die Bundeswehr tut gut daran,
ihre Anforderungen an das technische Material noch klarer zu definieren, um damit Ziele und Fristen mit mehr
Nachdruck verfolgen zu können.
Und auch wir, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind gefordert, die sicherheitspolitischen Anforderungen an die Bundeswehr noch deutlicher zu definieren, um sie dann mit ausreichenden Mitteln auszustatten,
die dann hoffentlich zeitgerecht und im entsprechenden
Haushaltsjahr abgerufen werden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen in der Welt
ist es wichtig, rasch zu handeln. Es ist heute nicht mehr
egal, ob eine Fregatte zwei oder zwölf Wochen zur Reparatur in einer Werft liegt. Es ist auch nicht egal, ob
sich der Zulauf eines hochwertigen Ersatzteils um drei
oder dreißig Monate verzögert. Wir müssen die Beschaffung von neuem Gerät beschleunigen und dabei auch die
Materialerhaltung stärker in den Fokus rücken.
({0})
Parallel müssen wir uns Gedanken machen, welche
Schlüsselbereiche wir in unserer wehrtechnischen Industrie erhalten wollen. Darüber wird es einen Diskussionsprozess geben müssen. Es ist nicht nur die Frage, welche
wir erhalten wollen, sondern auch die Frage, welche wir
zur nationalen Sicherheitsvorsorge sogar erhalten müssen. Für viele meiner Kollegen und für mich ist klar,
dass dazu selbstverständlich der Bau von Überwasserschiffen wie auch U-Booten gehört.
({1})
Alles andere sollte man mir dann angesichts dieses wettbewerbsverzerrten Marktes erst einmal plausibel begründen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
auch die Wortbeiträge der Opposition sehr aufmerksam
verfolgt. Wir als CDU/CSU-Fraktion lassen uns nicht
auf ihre ideologischen Spielwiesen führen. Wir nehmen
den Auftrag an. Die Ministerin und die Koalitionäre
werden die Probleme anpacken, und wir werden sie lösen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Lars Klingbeil, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von mir alles Gute
zum Geburtstag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zu Beginn
noch einmal festhalten: Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir im Parlament entscheiden über die Einsätze
unserer Soldatinnen und Soldaten. Das erfordert von uns
nicht nur im Verteidigungsausschuss, sondern im gesamten Parlament, dass wir wachsam sind, wenn es um die
Fragen der Bundeswehr geht, und dass wir sehr sorgsam
sind, wenn es um die Frage der Einsätze, der Einsatzvorbereitung, der Ausbildung, aber auch um die Sicherheit
und den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten geht.
Das ist eine hohe Verantwortung, die wir, egal ob Opposition oder Regierung, hier im Haus haben. Ich bin der
Meinung, der Bericht, den die Ministerin am Montag
vorgelegt hat, sollte uns wachrütteln und sollte uns dazu
bringen, dass wir uns intensiv Gedanken machen, wie
wir die Situation verbessern.
Ich will zu Beginn auch sagen, dass ich der Ministerin
ausdrücklich dankbar dafür bin, dass es diesen Bericht
gibt und wir mit der Arbeit jetzt beginnen können. Das
sollten wir in der Aktuellen Stunde nicht vergessen: Es
war die Ministerin, die sich vor ein paar Wochen nicht
hat zufriedenstellen lassen mit den Zahlen, die geliefert
wurden. Sie hat gesagt: Ich möchte extern prüfen lassen
und möchte gründlich erstellte Zahlen haben, auf deren
Grundlage eine Bewertung stattfinden kann. - Dafür
herzlichen Dank, Frau Ministerin.
({0})
Ich frage mich die ganze Zeit, was die Linke mit der
von ihr beantragten Aktuellen Stunde eigentlich erreichen will. Was ist Ihre Zielsetzung? Wenn Sie ehrlich
sind, haben Sie zum aktuellen Thema gar nichts gesagt.
({1})
Es ging um ein paar Verschwörungstheorien und um das
Verhältnis von Politik und Rüstungsindustrie, es ging um
generelle Kritik an der Bundeswehr und um das Thema
Auslandseinsätze. Aber die Linke hat hier heute gar
nichts Konstruktives zum Thema der Aktuellen Stunde
beigetragen.
({2})
Darüber sollten Sie sich schon Gedanken machen.
Ich kann Ihnen versprechen: Das, was Sie nicht wollen, nämlich eine Stärkung der Bundeswehr, wird das Ergebnis des Prozesses sein, den wir am Montag mit der
Vorlage der Studie eingeleitet haben. Die politischen
Konsequenzen, die wir aus dieser Studie ziehen, werden
am Ende dazu führen, dass wir in Deutschland eine Bundeswehr haben, die stärker ist, die besser ausgerüstet ist,
in der die Soldaten gut vorbereitet werden und mit der
sie sicher in die Einsätze gehen. Dafür werden wir sorgen. Das wird Ihnen nicht gefallen. Ich freue mich aber
auf die kritischen Diskussionen, die wir an vielen Stellen
dazu führen werden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was folgt jetzt eigentlich aus der Studie, aus der Analyse, die vorgestellt
wurde? Ich sage, dass die Antwort „Mehr Geld“ viel zu
kurz greift; wir müssen uns auch über viele andere Dinge
unterhalten.
Der erste Punkt, den ich für sehr wichtig halte - er
wurde schon von Frau Brugger und anderen angesprochen -: Wir müssen dafür sorgen, dass es in der Bundeswehr endlich eine andere Fehlerkultur gibt. Es kann uns
Parlamentarier, die wir alle Verantwortung tragen, doch
überhaupt nicht zufriedenstellen, dass es aus Teilen der
militärischen Führung - wir erleben es immer wieder Meldungen an uns im Ausschuss gibt, die sich nachher
nicht als Wahrheit entpuppen. Wenn ich Verantwortung
trage, dann möchte ich gerne, dass man Probleme offen
benennt.
Wir alle kennen die Situation, dass wir die Truppe besuchen und uns an den Standorten Probleme vorgetragen
werden; aber nachher heißt es aus der militärischen Führung: Das ist alles nicht so. - Das, was wir an vielen Orten gehört haben, hat sich jetzt mit der Studie bestätigt.
Insofern haben Sie, Frau Ministerin, unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, endlich die Fehlerkultur
in der Bundeswehr zu verändern. Wir müssen wissen,
was die Wahrheit ist. Damit können wir dann arbeiten.
({4})
Der zweite Punkt - auch das ist angesprochen worden -:
Wir müssen die Prozesse anders definieren. Wir müssen
schauen, wie Controlling, Vertragsabschlüsse und technische Überprüfungen durchgeführt werden.
Dazu gehört auch der dritte Punkt: die Personalfrage.
Ich halte es für falsch, dass wir bei der Bundeswehr so
viel Know-how im zivilen Bereich abgebaut haben und
noch abbauen wollen. Ich bitte dringend darum, das
noch einmal zu überprüfen. Wir können es uns nicht leisten, dass so viel Know-how aus der Truppe abgezogen
wird; wir brauchen dort eigene Kapazitäten.
Der vierte Punkt, den ich ansprechen möchte: die Debatte über Schlüsseltechnologien; ich begrüße sie ausdrücklich. Ich glaube in der Tat: Wir müssen diese
Diskussion führen, und zwar aus einer sicherheitspolitischen Perspektive, wenngleich es auch eine wirtschaftspolitische Perspektive gibt. Wir müssen als Parlament
gemeinsam verhindern, dass uns die Wirtschaft sagt, was
die Schlüsseltechnologien sind. Wir müssen aber auch
verhindern, dass die Wahlkreisabgeordneten uns sagen,
was die Schlüsseltechnologien sind. Das ist etwas, was
wir rein sicherheitspolitisch definieren müssen. Da freue
ich mich auf die Diskussionen in den kommenden Wochen und Monaten.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen will: Wir dürfen
auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, unsere Bundeswehr wäre nicht mehr einsatzbereit und leistungsfähig. Wir sehen, dass die Bundeswehr den Einsatz in
Afghanistan hervorragend leistet.
Ich will aber auch sagen: Wir müssen sehr vorsichtig
sein, wenn wir über weitere Auslandseinsätze diskutieren. Wenn an einem Tag die Meldung kommt: „Die Materialausstattung ist schlecht“, am nächsten Tag die MelLars Klingbeil
dung kommt: „Die Rüstungsvorhaben gelingen nicht
oder nicht rechtzeitig“, und am dritten Tag in der Öffentlichkeit über weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr
diskutiert wird, dann geht davon ein falsches Signal an
die Truppe aus. Hier mahne ich zu mehr Sensibilität. Ich
glaube, das tut uns allen gut.
({5})
Frau Ministerin, lassen Sie mich am Ende sagen: Wir
haben einen schwierigen, einen steinigen Weg vor uns;
Sie haben unsere Unterstützung. Ich hoffe, dass wir in
drei Jahren sagen können: Es hat etwas gebracht; die
Bundeswehr steht besser da.
Herzlichen Dank.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die sicherheitspolitischen Herausforderungen
Deutschlands haben sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert, und die Geschwindigkeit der Zunahme
derselben gerade in den letzten Monaten ist überaus besorgniserregend. Dieser Veränderung müssen wir gerecht werden und die Frage beantworten, welche Instrumente wir als Staat in Europa haben, um diese
Herausforderungen zu bewältigen, und wie diese Instrumente strukturiert sein müssen.
Ein wichtiges Instrument ist dabei unsere Bundeswehr, eine Riesenorganisation mit fast 250 000 Menschen, die tagtäglich meist Überdurchschnittliches leisten, und dies oftmals - das sollten wir an dieser Stelle
einmal sagen - unter schwierigen Rahmenbedingungen.
Diese Menschen brauchen wir, wenn das Instrument
Bundeswehr an die Realität angepasst wird. Die Notwendigkeit dieser Anpassung haben wir nicht erst jetzt
erkannt, sondern sie war ausschlaggebend für die Reform, die Karl Theodor zu Guttenberg begonnen hat, die
Thomas de Maizière maßgeblich vorangebracht hat und
die nun Frau von der Leyen fortführen wird.
Der vorgelegte Rüstungsbericht bietet eine fundierte
Grundlage, um Entscheidungen im Bereich des Beschaffungswesens zu treffen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich
möchte aber auch ausdrücklich sagen, dass die Handlungsempfehlungen lediglich Empfehlungen und keine
Entscheidungen sind. Wir selbst müssen sie prüfen und
dann politisch entscheiden.
In der Diskussion über die Ausrüstung und Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr ist deutlich geworden,
dass es zwei Aspekte gibt, die nicht zusammenpassen.
Auf der einen Seite mussten wir erkennen, dass die Bundeswehr nicht auf jedem Gebiet materiell in einem optimalen Zustand ist: Es fehlen neue Systeme, alte Systeme
müssen kostenintensiv sozusagen am Leben erhalten
werden, es fehlt an Ersatzteilen, und oftmals gibt es nicht
genug Stunden für Ausbildung und Training.
Auf der anderen Seite gelingt es uns nicht, das Geld,
das wir für Investitionen eingeplant haben, auch für Investitionen auszugeben. In den letzten sechs Jahren haben wir fast 4 Milliarden Euro, die für Investitionen in
die Systeme unserer Bundeswehr vorgesehen waren,
nicht ausgegeben. Das ist ungefähr so: Sie haben ein
Auto, das Sie nie zur Inspektion geben, und stellen nach
ein paar Jahren fest, dass eine teure Reparatur notwendig
ist. Da hilft es auch nicht, wenn Sie in Fußmatten oder in
einen Neuanstrich der Garage investieren. Deswegen gilt
es, in Zukunft dafür zu sorgen, dass jeder Cent, der für
Investitionen in unsere Systeme geplant ist, auch dafür
ausgegeben wird.
Mittelfristig werden wir um eine Erhöhung des Wehretats nicht herumkommen; denn wir haben nicht nur steigende Fixkosten im Bereich Personal oder im Bereich
Mieten usw., sondern mit der Übernahme von mehr Engagement und mehr Verantwortung und durch mehr Einsätze steigen auch die variablen Kosten. Lassen Sie mich
als Beispiel den letzten NATO-Gipfel nennen, auf dem
beschlossen wurde: Wir müssen mehr üben und neue
Strukturen aufbauen. - Diese Vorhaben sind im Haushalt
noch gar nicht abgebildet. Ich fasse zusammen: Steigende Fixkosten und steigende variable Kosten bedeuten
die Notwendigkeit, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Für mich ist selbstverständlich: Um unsere Landesund Bündnisverteidigung aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten und um Einsätze bewältigen zu können,
brauchen unsere Soldatinnen und Soldaten die beste
Ausrüstung. Auch vor diesem Hintergrund kann ich nur
davor warnen, vorschnell und unüberlegt die technologischen Fähigkeiten der wehrtechnischen Industrie in
Deutschland aufzugeben. In vielen Bereichen, zum Beispiel in der bodengebundenen Luftverteidigung oder im
Bereich militärisches Fliegen, sind wir Weltmarktführer.
Das gilt ebenso für den maritimen Bereich und die Landsysteme.
Die genannten Technologien ermöglichen es uns, unabhängig von anderen zu sein. Diese Unabhängigkeit
war übrigens unser Ziel, als wir in den 50er-Jahren entschieden haben: Wir wollen diese Industrie in Deutschland aufbauen. - Diese Technologien geben uns außerdem die Möglichkeit, Einfluss auf die globale
Sicherheitslage zu nehmen. Darüber hinaus sollte uns
die Tatsache, dass fast 300 000 Arbeitsplätze von dieser
Branche abhängen, nicht ganz unberührt lassen.
Vielen Dank.
({0})
Als nächstem Redner in der Debatte erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
verdanken es der Entscheidung der Ministerin, dass die
neuen großen und in der Luft hängenden Rüstungsprojekte der Bundeswehr durch eine externe Begutachtung
einer schonungslosen Analyse unterzogen wurden. Eine
Liste der Mängel liegt öffentlich vor.
Frau Brugger, Sie haben gesagt, Sie hätten es satt,
dass wir es immer erst aus der Zeitung erfahren, wenn irgendwo etwas schiefgeht. Hier war es anders: Die
Ministerin selbst hat dieses Gutachten, in dem die Mängel der neuen großen Projekte angesprochen wurden,
vorgelegt.
({0})
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es auch machen
kann. Das, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben, war nicht passend.
Was mich in der Diskussion der letzten Tage und Wochen schon ein bisschen beschwert - das geht uns vielleicht allen so -: Wir müssen aufpassen, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die einen
hervorragenden Dienst leisten und die mit überwiegend
hervorragenden Waffen ausgerüstet sind, nicht den Eindruck bekommen, sie würden in einer Armee dienen, die
den anstehenden Herausforderungen nicht gewachsen
ist.
Wir waren vor wenigen Tagen mit dem Verteidigungsausschuss in der Infanterieschule in Hammelburg.
Dort haben wir zum Beispiel den Boxer und die Infanterietruppe gesehen, Teile des Systems „Infanterist der Zukunft“. Das ist, was die Infanterie angeht, das Beste, was
die NATO zu bieten hat. Hier verfügt die Bundeswehr
über komplett neues Gerät, das in den letzten Jahren zugelaufen ist. Wir haben im Mai in Afghanistan den Tiger
und den NH90 im Einsatz gesehen. Der NH90 hat sich
bewährt und wird von allen anderen NATO-Nationen als
fortschrittliches Waffensystem, als das Höchste, was
man zum gegenwärtigen Zeitpunkt bieten kann, bezeichnet.
Die Vorstellung, dass die Bundeswehr in den letzten
Jahren an Schlagkraft verloren hat, ist meines Erachtens
falsch. Es gibt allerdings die angesprochenen Mängel.
Diese Mängel sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen,
dass die Dinge seitens der Rüstungsindustrie länger dauern, als wir uns das wünschen. Die Transportflugzeuge
- Transall - wären ja kein Thema, wenn wir mit dem
A400M fliegen könnten. Ich erinnere daran, dass wir vor
fünf Jahren über den mangelnden Zulauf der Korvetten
diskutiert haben. Es gab Probleme mit dem Getriebe,
also Probleme aufseiten des Herstellers der Getriebe.
Dafür konnte im Verteidigungsministerium niemand etwas. Man muss von daher berücksichtigen, dass verschiedene Dinge zusammenspielen.
Das Gutachten ist ein wirtschaftliches Gutachten. Es
muss jetzt durch uns, durch das Ministerium und das
Parlament, um die militärfachliche und die politische Dimension ergänzt werden, die zusammen mit der wirtschaftlichen Betrachtung das Gesamtbild abgeben, damit
wir wissen, was wir ändern müssen, damit es besser
wird. Dazu muss man ganz deutlich sagen: Dieses wirtschaftliche Gutachten lässt die eine oder andere Frage
offen, die nur wir beantworten können, die ein externer
Gutachter nicht beantworten kann. Ich finde zum Beispiel, dass das Gutachten hinsichtlich der industriellen
Kernkompetenzen - was muss Deutschland bzw. Deutschlands Rüstungsindustrie für die Bundeswehr und die
NATO-Partner herstellen können? - etwas über das Ziel
hinausgeschossen ist. Ich kann in der Vergabe eines Auftrags für ein Rüstungsprojekt an ein ausländisches
Unternehmen kein Element der Beschleunigung erkennen. Wir haben bei den multinationalen Projekten
die gleichen Probleme wie bei Projekten, die rein
deutsch abgewickelt werden. Wir müssen diese Fragen
einfach beantworten. Meines Erachtens muss eine große
Industrienation wie Deutschland in der Lage sein, eigene
Kriegsschiffe, eigene U-Boote und eigene Panzer zu
bauen. Das gehört für mich dazu. Ob man das in jedem
Einzelfall alleine machen muss, ist natürlich wieder eine
andere Frage; aber die Kompetenz muss da sein.
({1})
Ich finde, dass es hinsichtlich der Struktur des Verteidigungsministeriums und unseres Haushalts ein paar
grundsätzliche Fragen gibt. Laut Gutachten gibt es allgemein bei der Vertragsgestaltung erhebliche Mängel. Bei
uns gilt folgender Grundsatz: Wenn man im öffentlichen
Dienst Beamter werden will, dann muss man ein Prädikatsexamen in Jura haben. Ich stelle mir die Frage, ob es
nicht besser wäre, wenn wir auch dort mehr Betriebswirte, mehr erfahrene Manager hätten. Wir haben ja jetzt
eine Managerin als Staatssekretärin; das ist ein schönes
Beispiel. Vielleicht müssen wir an dieser Schraube drehen.
Vielleicht müssen wir auch überlegen, ob es sinnvoll
ist, die Stehzeiten für die soldatischen leitenden Beamten, die als Generäle oder Obristen Dienst tun, zu verlängern. Sie wechseln den Dienstposten relativ häufig. Wir
müssen überlegen, ob das für solche Projekte ein Nachteil ist, ob der eine oder andere nicht länger dabei sein
sollte, damit sein Wissen über den Gesamtprozess erhalten bleibt. Ich glaube, wir werden diesbezüglich noch
eine ganze Menge Aufarbeitung betreiben müssen.
Wenn wir uns Bundeswehrprojekte vornehmen, von
denen wir wissen, dass sie über viele Jahre laufen, dann
sind wir durch das Haushaltsrecht, nach dem am 31. Dezember eines jeden Jahres die Mittel weg sind, extrem
eingeschränkt. Normalerweise, in der freien Wirtschaft,
würde man, wenn im nächsten Jahr noch eine Rechnung
zu bezahlen ist, eine Rückstellung bilden, und man hätte
eine Gesamtübersicht über die Projektkosten. Ich glaube,
wir müssen uns auch der Frage widmen, wie wir das
Haushaltsrecht mit Blick auf Rüstungsprojekte, vielleicht auch mit Blick auf große Verkehrsprojekte etwas
modernisieren können, sodass die strenge Jährlichkeit
uns nicht behindert.
Ich wünsche mir, dass wir das Ganze jetzt als Aufbruch verstehen, um die Dinge zu ändern und zu verbesJürgen Hardt
sern. Ich glaube, die Regierungskoalition ist gerne bereit, die Ministerin dabei zu unterstützen.
Danke schön.
({2})
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich
das Wort dem Abgeordneten Wilfried Lorenz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Mängel der Materialausstattung der Bundeswehr liegen spätestens seit der Abfrage der Einsatzfähigkeit der Hauptwaffensysteme der
Streitkräfte auf dem Tisch. Mit der Veröffentlichung der
KPMG-Studie durch die Bundesministerin der Verteidigung gilt dies auch für die Defizite im Rüstungs- und im
Beschaffungswesen.
Ich sage dazu: Zum Glück herrscht jetzt Klarheit, zum
Glück für unsere Soldatinnen und Soldaten, die trotz angespannter Materiallage im Inland und im Ausland hervorragende Arbeit geleistet haben und immer noch leisten. Das wird auch international anerkannt.
({0})
Ich sage auch: zum Glück zur richtigen Zeit. Denn die
veränderte sicherheitspolitische Lage erfordert zügiges
Handeln.
Die Materiallage entspannen wir nur mit Ehrlichkeit,
auf der Basis von Fakten und mit langfristigen Maßnahmen. Wir haben jetzt den Klarstand, auf dessen Grundlage wir kurzfristig die Ausgaben des Bundes für Materialerhaltung neu gewichten und dorthin umschichten
können, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Zum
Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten und um internationale Verpflichtungen erfüllen zu können, werden
wir diesen Ansatz mittelfristig und auf lange Sicht weiterverfolgen und den Verteidigungsetat erhöhen. Ja, Sie
haben richtig gehört: erhöhen. Dies gilt vor allem für die
Mittel für die Materialerhaltung. Denn neben der Beschaffung ist die Materialerhaltung eine der tragenden
Säulen der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte. Wenn
Sie fragen, warum wir die Mittel erhöhen, dann möchte
ich wie folgt antworten:
Erstens. Durch den verzögerten Zulauf neuer Systeme
sind ältere Geräte länger im Einsatz. Das führt zu höherem Verschleiß und Überalterung der Ausrüstung. Dadurch erhöhen sich natürlich automatisch die Kosten für
Wartung, Instandhaltung und Ersatzteile.
Zweitens. Wir erhöhen den Etat, weil es derzeit Engpässe bei der Ersatzteilbeschaffung gibt. Die Ursachen
dafür sind auch bekannt: Einsparungen in der Vergangenheit am falschen Objekt und Abschlüsse von Verträgen, die die Versorgung mit Ersatzteilen nicht langfristig
sichergestellt haben. Diese Verträge sind zum Großteil
älter als zehn Jahre; ich darf nur an das Jahr 2004 erinnern. Wir reden hier allerdings nicht - ich formuliere es
einmal so - über Kamele, die durch ein Nadelöhr zu
zwingen sind, sondern wir reden über lösbare Probleme.
Diese Probleme sind nicht zuletzt deshalb lösbar, weil
die Projektleitung für Beschaffung künftig der Staatssekretärin, zuständig für Rüstung, direkt zuarbeiten wird.
Das heißt im Ergebnis: kürzere Entscheidungswege.
Drittens. Wir steigern die Ausgaben, weil moderne,
hochkomplexe Themen nicht zu Einsparungen bei der
Materialerhaltung führen. Im Gegenteil: Wartung und
Instandhaltung kann die Bundeswehr zum Teil schon
heute nicht mehr und in Zukunft schon gar nicht mehr
alleine leisten. Kooperationen mit der Wirtschaft, mit
der Industrie sind notwendig. Das kann mehr Geld kosten, eröffnet aber auch die Möglichkeit, in partnerschaftlichen Projekten gemeinsam Risiken und Chancen zu
teilen.
Nochmals: Wir brauchen eine deutliche und dauerhafte Aufstockung der Verteidigungsausgaben, nicht als
Selbstzweck, sondern weil wir um unsere Geschichte
wissen und in der Lage sein müssen, Frieden, Freiheit
und unsere Menschenrechte weltweit zu schützen.
({1})
Dies haben andere Länder lange für Deutschland getan.
Nun ist es natürlich auch an uns, bei der Bekämpfung
von Kriegen, von Terror und von Seuchen internationale
Verantwortung zu übernehmen.
Herr Gehrcke, an diesem Punkt ein Hinweis an Sie:
Wir alle teilen die Freude darüber, dass sich die mordende Verbrecherbande vom sogenannten IS zurückzieht. Das haben aber nicht Friedenstauben erreicht, sondern das haben militärische Einsätze erreicht. Das haben
Menschen erreicht, die mit Todesmut dafür eintreten,
diesen verbrecherischen Banden endlich das Handwerk
zu legen.
({2})
Rüstungsgüter beschaffen wir, um unsere verfassungsrechtlichen und politischen Aufträge zu erfüllen.
Nicht zuletzt schaffen wir durch die Verstetigung der
Mittel auch Verlässlichkeit, die die deutsche Sicherheitsund Verteidigungswirtschaft für Investitionen braucht.
Frau Ministerin, Sie haben mit beiden Abfragen die entscheidenden Schritte getan, um den Fehlentwicklungen
entgegenzutreten. Ihnen sind diese Entwicklungen auch
nicht anzulasten.
In der öffentlichen Debatte sind in letzter Zeit seitenweise Häme und Spott ausgeschüttet worden. Aber ich
frage mich: Wo waren diejenigen, die das getan haben,
als es die ersten Anzeichen für Probleme bei der Bundeswehr gab? Das sind die, die jetzt die Schuld anderen zuweisen, um von eigenen Fehlern abzulenken, die nicht
bereit sind, persönliche Verantwortung für Tun oder
Unterlassen zu übernehmen. Und es wurde schöngeredet, um die eigene Karriere nicht zu gefährden.
({3})
Frau Ministerin, Sie haben die Studie vorgestellt. Es
ist - das ist bereits gesagt worden - eine betriebswirtschaftliche, juristische und technische Analyse, die
Anregungen für das künftige Management von Rüstungsprojekten liefert. Jetzt muss allerdings das Bundesministerium der Verteidigung eine Gesamtbewertung
unter Berücksichtigung sicherheitspolitischer und militärischer Gesichtspunkte vornehmen und diese auch umsetzen. Dabei sind aus unserer Sicht international akzeptierte Kompetenzen bei Rüstungsprojekten besonders zu
berücksichtigen. Schon angesprochen wurden U-Boote,
gepanzerte Fahrzeuge und Handwaffen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss Folgendes sagen: Mehr denn je brauchen wir
jetzt eine Kultur der Ehrlichkeit in der Bundeswehr, bei
den politisch Verantwortlichen und auch in der öffentlichen Debatte. Einfache, schnelle Lösungen wird es wegen der Komplexität der Vorhaben und der einzelnen
Projekte nicht geben. Statt Tarnen, Täuschen, Wegducken heißt es jetzt: Ansprechen, Analysieren, Abarbeiten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Wir sind am Schluss der Aktuellen Stunde. Wir wünschen der Bundesministerin Frau von der Leyen noch einen schönen Geburtstagsabend. Die Aktuelle Stunde ist
beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Irland: Vorzeitige teilweise Rückzahlung von
IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes ({0})
Drucksache 18/2683
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär beim
Bundesminister der Finanzen, Steffen Kampeter.
({1})
Herr Präsident Hintze! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor vier
Jahren, im Herbst 2010, erlebten wir den Höhepunkt der
Krise in der Euro-Zone. Auch Irland war damals in eine
schwierige Staatsschuldenkrise geraten. Der Bankensektor hat die Volkswirtschaft vor große Herausforderungen
gestellt. Die Finanzstabilität der Euro-Zone war insgesamt gefährdet. Es drohten erhebliche zusätzliche Belastungen für die Weltwirtschaft.
Irland hat damals 67,5 Milliarden Euro an externen
Finanzhilfen erhalten. Im Gegenzug hat es sich dafür einem strengen Anpassungsprogramm unterzogen. An
diesem Anpassungsprogramm hat sich auch der Internationale Währungsfonds beteiligt, unter anderem mit finanziellen Mitteln in Höhe von 22,5 Milliarden Euro.
Heute, vier Jahre später, hat sich die Lage wesentlich
verändert. Wer hätte das damals geglaubt? Heute beraten
wir über den Antrag Irlands auf vorzeitige teilweise
Rückzahlung erheblicher Finanzhilfen, nämlich des Anteils des Internationalen Währungsfonds in Höhe von
18,3 Milliarden Euro.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
gerade im Haushaltsausschuss den Antrag der Bundesregierung im Rahmen der Selbstbefassung vorgestellt. Es
freut mich, dass keine der dort anwesenden Fraktionen
dagegen gestimmt hat. Eine Fraktion hat sich mit aus ihrer Sicht guten Gründen enthalten, aber die anderen sind
diesem Antrag gefolgt.
Das ist ein großer Erfolg nicht nur für Irland, sondern
für Europa insgesamt. Das Land ist auf einem guten
Weg. Es hat das Programm, das wir ihm auferlegt haben,
Ende 2013 erfolgreich beendet und dabei alle Auflagen
erfüllt.
Stichwort „Haushaltsdefizit“: Startpunkt 30 Prozent,
jetzt voraussichtlich unter 5 Prozent. Konsequent umgesetzte Strukturreformen haben Irlands Wettbewerbsfähigkeit entscheidend erhöht und seit 2009 zu einer erheblichen Verbesserung der Lohnstückkosten - eine der
stärksten Verbesserungen innerhalb der Euro-ZonenLänder - geführt. Die Leistungsbilanz hat sich gedreht.
Seit 2010 gibt es wieder Überschüsse, die sich auf etwa
4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verstetigt haben.
Und auch die Arbeitslosenquote ist in den letzten drei
Jahren um 3 Prozent gesunken. Der irische Finanzmarkt
hat sich stabilisiert. Der irische Bankensektor ist erheblich restrukturiert. Auch bei der Bedienung notleidender
Kredite gibt es Fortschritte. Der völlig überdimensionierte irische Bankensektor hat sich von 2008 bis 2013
fast halbiert.
Sowohl zum Abschluss des Hilfsprogramms für Irland Ende des letzten Jahres als auch bei der ersten Programmüberprüfung im Frühjahr dieses Jahres hat die
Troika keinen akuten Kapitalbedarf bei den drei wichtigsten Banken in Irland festgestellt. Zugleich wurden
die Kompetenzen der irischen Finanzaufsicht erweitert.
Irland ist an den Kapitalmarkt zurückgekehrt, in dem
gesamten Laufzeitspektrum. Es finanziert sich seit 2014
durch regelmäßige Emissionen von Staatsanleihen und
Schatzbriefen vollständig selbst. Die Rendite von zehnjährigen irischen Staatsanleihen liegt derzeit bei unter
2 Prozent.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Irland hat
eindrucksvoll gezeigt, dass der Kurs von Haushaltssanierung und Strukturreformen erfolgreich ist, und Irland
bekennt sich dazu, diesen Kurs konsequent fortzuführen.
Dies ist ein Erfolg für Irland, und dies ist ein Erfolg für
die europäische Stabilisierungspolitik.
({0})
Damit gibt Irland auch ein wichtiges Signal an die Länder, bei denen das Programm noch aktiv ist - Griechenland und Zypern -, und zwar das Signal: Reformen lohnen sich, sie zahlen sich aus. Natürlich sind sie zunächst
eine Belastung für Bevölkerung und Volkswirtschaft,
aber am langen Ende ein positiver Beitrag für das
Wachstum.
Alle diejenigen, die nicht an den Erfolg dieser Programme geglaubt haben, sollten sich angesichts so erfolgreicher Daten und einer so positiven Entwicklung
einmal selbstkritisch fragen, ob sie mit ihren Untergangsszenarien, ihrer Behauptung, dass dieser Kurs
falsch sei, richtig gelegen haben. Sie sollten sich vielleicht bei dem einen oder anderen, der für diesen Kurs
gestanden hat und den sie persönlich angegangen sind,
bei Gelegenheit auch einmal entschuldigen.
({1})
Heute reden wir über ein bestimmtes Detail, nämlich
die Proportionalität der entsprechenden finanziellen Engagements. Der Grundsatz der Proportionalität ist im
Grunde richtig; deswegen haben wir sie in den Rückzahlungsregelungen der entsprechenden Verträge verankert.
Im Falle Irlands - ich bitte Sie heute hier um Ihre Zustimmung - ist ein Abweichen von diesem Grundsatz,
also eine Nichtanwendung der Parallelitätsklausel, jedoch gut begründet. Nicht nur wir haben uns das gründlich überlegt, das findet auch breite Unterstützung bei
unseren EU-Partnern und bei denjenigen, die sich neben
uns - der EFSM -, aber auch bilateral - Großbritannien,
Schweden und Dänemark - hier engagiert haben. Die
Aufhebung der Parallelität ist nicht nur im Interesse Irlands, sie ist im Interesse Europas und aller europäischen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler; denn mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Irlands wird sich auch
die Fähigkeit Irlands, diese Kredite zurückzuzahlen - was
wir technisch die Schuldentragfähigkeit nennen -, erhöhen. Auch die Möglichkeiten, dass die europäischen
Steuerzahler, bei denen wir im Wort stehen, von diesem
irischen Engagement profitieren, werden durch die Teilrückzahlung der irischen IWF-Kredite erhöht. Das ist in
unserem Interesse, gleichzeitig aber auch im Interesse
der Iren, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Ich will darauf hinweisen, dass der Internationale Währungsfonds trotz der Rückzahlung Irlands bei der sogenannten Nachprogrammüberprüfung selbstverständlich
im Boot bleibt; wir begrüßen das ausdrücklich. Gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank und gemeinsam
mit der Europäischen Kommission werden wir auch in
Zukunft weiterhin überprüfen, ob und wie nachhaltig Irland die Reformanstrengungen, die Europa mit seiner
Solidarität ermöglicht hat, fortführt. Europa hat sich in
einer für Irland sehr schwierigen Zeit solidarisch gezeigt
und wird dies auch weiterhin sein. Das gilt auch für
Deutschland. Wir haben bilateral mit Irland Verbesserungen in bestimmten Bereichen erreicht, beispielsweise
Verbesserungen bei den Finanzierungsbedingungen für
kleine und mittlere Unternehmen. Die Kreditanstalt für
Wiederaufbau hat sich hier außerordentlich engagiert.
Aber ich füge hinzu: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wir erwarten auch von Irland in den nächsten
Jahren Solidarität mit seinen europäischen Partnern, beispielsweise in internationalen Steuerfragen. Deutschland
setzt sich dafür ein - nicht zuletzt im Rahmen des BEPSProjekts von OECD und G 20 -, dass die Möglichkeiten
multinational tätiger Unternehmen in der kreativen Steuergestaltung - die von vielen als unanständig empfunden
wird -, durch Gewinnverlagerung und künstliche Gewinnkürzung ihre Steuerlast auf ein Minimalmaß zu reduzieren, abgestellt werden.
({3})
Das derzeitige irische Steuerrecht mit seinen Ansässigkeitsregelungen führt im Zusammenspiel mit dem
amerikanischen und dem EU-Steuerrecht dazu, dass
große internationale Unternehmen - zum wesentlichen
Teil amerikanische - einen enormen Wettbewerbsvorteil
gegenüber europäischen Unternehmen haben. Deswegen
prüft nun auch die Europäische Kommission mit positiver deutscher Begleitung unter Beihilfegesichtspunkten
die Steuerpraktiken der irischen Steuerbehörden zugunsten internationaler Großkonzerne.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich,
dass die irische Regierung damit begonnen hat, Verschärfungen ihrer steuerlichen Ansässigkeitsregelungen
zu diskutieren. Unser Ziel sollte nicht die Abschaffung
jeglichen Steuerwettbewerbs sein, sondern ein fairer
Steuerwettbewerb für alle in Europa. Das ist das Leitbild
der internationalen Steuerpolitik hier in Europa,
({4})
und das bedeutet, dass auch in Irland die effektive
Steuerlast der in Irland ansässigen Unternehmen im
Trend höher sein wird.
Auf lange Sicht tut sich Irland mit seiner bisherigen
Steuerpolitik keinen Gefallen. Selbst die irischen Wirtschaftsverbände warnen bereits, dass dies ein Reputationsschaden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Irland ist
noch nicht am Ziel. Der Weg ist noch lang, bis wir uns
im Deutschen Bundestag keine Sorgen mehr über unsere
europäischen Partner machen müssen. Trotzdem zahlt
sich dieses Stück konsequente Reformpolitik aus.
Indem wir heute dem Antrag Irlands zustimmen, nutzen wir die Möglichkeit, unsere irischen Partner weiter
auf einem guten Weg zu unterstützen. Damit helfen wir
nicht nur Irland, sondern damit helfen wir auch Deutsch5198
land und Europa. In diesem Sinne werbe ich um Zustimmung.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Richard Pitterle, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Irland hat zur Bewältigung der Finanzkrise knapp 70 Milliarden Euro unter anderem vom IWF,
vom Euro-Rettungsfonds und von einzelnen Geberländern erhalten. Einen Teil davon will Irland nun vorzeitig
zurückzahlen. Das klingt gut, auch wenn vorerst nur an
den IWF zurückgezahlt werden soll.
Warum beschäftigt sich der Bundestag damit, wenn
uns das nicht betrifft? Der Grund dafür ist, dass Irland
eigentlich verpflichtet ist, an alle Gläubiger gleichmäßig
zu tilgen, also auch an den Euro-Rettungsfonds, für den
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland
und in Europa haften. Von dieser Verpflichtung will Irland befreit werden und erst einmal nur den IWF-Kredit
abzahlen, um Zinsen zu sparen. Im Klartext: Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland haften über
den Euro-Rettungsfonds auch weiterhin für Irland.
Herr Kampeter hat gerade erklärt, das sei kein Risiko,
wenn die Entwicklung so verlaufe, wie sie vorgesehen
sei. Das klingt alles schön und gut. Es setzt aber voraus,
dass man ein Vertrauen zu den irischen Banken hat, das
mir aufgrund der Vergangenheit schlicht fehlt. Wer sagt
uns, dass diese das Land nicht wieder durch Zockerei an
den Abgrund bringen?
Eine irische Volksweisheit lautet:
Man kann das Heute nicht erkennen, wenn man das
Gestern nicht sehen will.
Lassen Sie mich daher einen Blick zurückwerfen: Bis
2007 hatte Irland nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt, sondern sogar einen Haushaltsüberschuss. Dann
musste eine Bank nach der anderen verstaatlicht werden,
weil sie durch Zockerei auf den Finanzmärkten pleitegegangen sind. Irlands Staatsverschuldung ist dadurch ins
Unermessliche gestiegen. Die Refinanzierungskosten
waren nicht mehr zu tragen. Spekulanten haben auf Irlands Staatspleite gewettet. In dieser Situation hatte die
irische Regierung Finanzhilfen beantragt.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland und Europa mussten für die Zockerei der Banken
einspringen. Das lag im Übrigen auch im Interesse der
deutschen Großbanken, die, wie die FAZ berichtete, gegenüber irischen Schuldnerinnen und Schuldnern Forderungen in Höhe von rund 138 Milliarden US-Dollar hatten. Also war die Rettung Irlands nicht allein eine
solidarische Geste, sondern sie lag auch im Interesse der
deutschen Großbanken.
Es ist gut, dass sich die Lage in Irland nun zu stabilisieren scheint, aber wir müssen auch fragen: Stabilisieren sich auch die Lebensverhältnisse der Menschen oder
nur die der Banken und der Vermögenden?
Die Realität sieht jedenfalls düster aus. Spiegel Online berichtete zum Beispiel über einen jungen Bauarbeiter, der seit vier Jahren arbeitslos ist und keine Besserung erkennen kann. Der Familienvater lebt jetzt von
Gelegenheitsjobs und einem wöchentlichen Arbeitslosengeld von 98 Euro. Ich frage Sie, meine Damen und
Herren: Was haben diese Menschen für eine Perspektive? Den Berichten in den Medien nach machen die
Eckwerte der irischen Wirtschaft hier auch keinen großen Mut. Durch die geplatzte Immobilienblase ist allein
in der Baubranche die Zahl der Beschäftigten von
270 000 auf 105 000 gesunken. Die Arbeitslosenrate
liegt deutlich über 10 Prozent. Wenn sie sinkt, dann vor
allem deshalb, weil Zehntausende junge Iren auf der
Jobsuche das Land verlassen.
Das nächste Riesenproblem ist die mangelnde Binnennachfrage. Die Leute haben schlichtweg kein Geld.
Zum Beispiel sind allein 100 000 irische Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer mit der Ratenzahlung bei ihren
Immobilienkrediten mehr als drei Monate im Rückstand.
Die private Verschuldung ist dementsprechend enorm
hoch. Hinzu kommen die von der Troika verordneten
Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, weniger Sozialausgaben und eine höhere Mehrwertsteuer. So sieht
die Realität der Irinnen und Iren aus.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die bisherige Euro-Rettungspolitik ist nach wie vor falsch.
({0})
Sie ist undemokratisch, fördert Sozialabbau und spaltet
Europa. Für die Vergabe von Hilfskrediten müssen einfach andere Bedingungen gestellt werden. Auch bei Irland wäre zu erwarten, dass man fordert, dass über eine
Vermögensteuer diejenigen, die von der Zockerei profitiert haben, zur Kasse gebeten werden. Man hätte Irland
zudem auferlegen müssen, die aggressive Niedrigsteuerpolitik bei der Körperschaftsteuer zu beenden. Doch wer
hat die Sparmaßnahmen in Irland letztlich auszubaden?
Wie immer die Bürgerinnen und Bürger, und das, meine
Damen und Herren von der Bundesregierung, ist leider
auch Ihnen zuzuschreiben.
Die Linke wird sich jedenfalls weiterhin für eine gerechte Verteilung der Lasten der Euro-Krise und für eine
wirksame Regulierung der Finanzmärkte einsetzen.
Vielen Dank.
({1})
Als nächstem Redner in der Debatte erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Johannes Kahrs, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Steffen Kampeter hat eine Rede
gehalten, die, glaube ich, einige, die nach mir reden werden, auch so hätten halten können.
({0})
Von der Sache her ist dem nicht mehr viel hinzuzufügen.
Wir alle haben festgestellt, dass die Haushaltslage in Irland ausgesprochen schlecht war. Die Banken hatten
sich verzockt; das alles haben wir gehört. Europa hat geholfen, auch Deutschland. Das war solidarisch und gut.
So stellt man sich Europa vor.
({1})
Gut ist auch, dass die Hilfe so genutzt wurde, dass es
Irland nun etwas besser geht. Irland ist wieder kreditfähig und kann sich auf dem Finanzmarkt refinanzieren.
Dadurch ist die Schuldentragfähigkeit gegeben. Wenn Irland den IWF-Kredit zum Teil ablöst, kann es aufgrund
der daraus resultierenden Zinsgewinne eine noch günstigere Schuldentragfähigkeit erreichen. Das alles begrüßen wir. Das ist ein Erfolg, zu dem auch wir in Deutschland beigetragen haben, und zwar solidarisch und nicht,
wie die Linke behauptet, auf Kosten der deutschen Steuerzahler. Wir haben Kredite gegeben.
({2})
- Wenn Sie eben nicht hätten reden können, hätte ich auf
Ihren Zuruf reagiert. Da Sie aber eben geredet haben,
macht das keinen Sinn. - Im Ergebnis haben wir uns hier
in Deutschland solidarisch verhalten. Ich halte das für
richtig.
({3})
Der Kollege Pitterle hat in seiner Rede im Kern auch
nicht viel anderes gesagt. Er hat aber nicht gesagt, wie
sich die Linke heute verhalten will. Will sie zustimmen?
Will sie ablehnen? Es dürfte interessant sein, das zu erfahren.
({4})
- Alles gleichzeitig ist in diesem Fall ziemlich schwierig. - Herr Pitterle, wenn Sie sich beklagen, sollten Sie
auch sagen, was Sie wollen.
({5})
Im Kern sind wir uns alle hier im Hause in der Analyse weitgehend einig. Wir alle haben es für richtig gehalten, Irland zu helfen. Jetzt kommt aber - Kollege
Kampeter hat es angesprochen, ich möchte es noch einmal anführen - das große Aber: Die irische Regierung
sollte das Geld, das sie jetzt spart, dafür ausgeben, um
ihre Schuldenlast zu reduzieren. Wenn in Irland darüber
nachgedacht wird, ob zum Beispiel eine Steuersenkung
bei der Einkommensteuer vorgenommen werden soll,
muss man sich als Deutscher allerdings fragen, warum
das in Irland - und nicht vielleicht anderswo - stattfindet. Deswegen ist das, glaube ich, einer der Punkte, über
den wir mit den Iren reden müssen. Gleichzeitig müssen
wir uns auch das Thema „Unternehmensteuer/Steuervermeidung internationaler Konzerne in Irland“ anschauen;
denn es kann auch nicht sein, dass die irische Politik zu
einem Steuerwettbewerb in Europa führt, der am Ende
uns in Deutschland schadet.
({6})
Ich glaube, dass die Bundesregierung hier tätig werden
sollte. Es freut mich, dass der Kollege Steffen Kampeter
das angesprochen hat.
Irland kann nicht auf der einen Seite Solidarität einfordern, die darin besteht, dass Europa in schweren Stunden hilft - das wollen wir; das haben wir auch getan -,
um dann, wenn diese Hilfe zum Erfolg geführt hat, das
Geld, welches durch Umschuldung und dadurch, dass
weniger an Zinsen gezahlt wird, zu nutzen, um sich selber wieder in eine steuerrechtlich vorteilhaftere Position
zu bringen, die den anderen Ländern in Europa schadet.
Das ist falsch verstandene Solidarität.
({7})
Um es kurz zusammenzufassen: Wir wollen solidarisch sein, und wir waren solidarisch. Von den Iren erwarten wir, dass sie mit dem Geld, welches sie einsparen, weil wir zustimmen - ohne unsere Zustimmung geht
das nicht -, ihre Schuldenlast reduzieren, ihre Zukunftsfähigkeit und - im Ergebnis - ihre Bonität stärken, während sie gleichzeitig aber nicht dafür sorgen, dass wir,
die wir geholfen haben, Nachteile haben. Das wiederum
wäre unsolidarisch. Wir können das nicht gut finden.
Deswegen verstehe ich auch die Rede des Kollegen von
den Linken nicht. Das waren die üblichen Plattitüden.
Sie hatte null Inhalt, und es gab nicht einmal eine Ansage, ob Sie zustimmen oder ablehnen wollen. Leider ist
die Linke immer so: Außer hohlen Worten nichts gewesen!
Vielen Dank.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir heute über die Staatsschulden in Irland reden, dürfen wir nicht vergessen, was die Ursachen
dafür sind. Jahrelang galt Irland bei den Konservativen
und Neoliberalen, auch hier bei Union und FDP im Bundestag, als das Musterland Europas. Irland hatte eine
sehr geringe Staatsverschuldung. Die Unternehmensteuern waren viel zu niedrig. In der Krise aber mussten wir
lernen, dass es nicht nur um die Staatsverschuldung geht,
sondern dass man sich auch die Gesamtverschuldung des
Staates ansehen muss. Irland hatte ein großes Leistungsbilanzdefizit. Es gab hohe Schulden im privaten Sektor
und viel zu hohe Schulden in einem überdimensionierten
Bankensektor.
Diese Überschuldung führte in der Krise zu einer starken Belastung des Staatshaushaltes und zu extremen
Problemen bei der Refinanzierung. Es musste dann ein
Hilfspaket mit einem Umfang von 85 Milliarden Euro
geschnürt werden. Die Bankschulden wurden nachher
Staatsschulden. Wir Grünen sagen für die Zukunft klar:
Mit einer Bankenrettung über die Staatshaushalte bzw.
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler muss endlich
Schluss sein in Europa!
({0})
Deswegen haben wir von Anfang an einen europäischen Abwicklungsmechanismus bzw. einen europäischen Restrukturierungsmechanismus für Banken gefordert und unterstützt. Die Bundesregierung hat das lange
blockiert und ausgebremst. Lange hat sie auf die nationale Karte gesetzt. Wir haben von Anfang an die Bankenunion mit einer harten Gläubigerbeteiligung unterstützt. Es war sehr gut, dass sich das Europäische
Parlament am Ende nach harten Verhandlungen - auch
gegen den Europäischen Rat und Herrn Schäuble durchgesetzt hat und dass es eine Bankenunion mit einer
harten Gläubigerbeteiligung und der bekannten Abwicklung gab. Das war sehr gut und sehr notwendig.
({1})
Diese Gläubigerbeteiligung wäre aus unserer Sicht
aber auch schon 2010 möglich und notwendig gewesen.
Irland hatte auch vorgeschlagen, dass es eine umfassende Gläubigerbeteiligung geben sollte. Die Troika, die
Bundesregierung und andere nationale Regierungen in
Europa haben das nicht gewollt. Sie haben die Gläubiger
geschont. Genau das war ein zentrales Problem, weil das
Hilfsprogramm dadurch erst in diesem konkreten Ausmaß notwendig wurde. Mittlerweile ist ein Viertel der
irischen Staatsschulden auf die Rettungsmaßnahmen im
Bankensektor zurückzuführen. Darunter leidet Irland
noch heute.
Es muss auch noch einmal festgestellt werden, dass
die Bundesregierung dafür nicht die alleinige Verantwortung, aber eine Mitverantwortung trägt. Das war damals,
2010, ein schwerer Fehler auch der Bundesregierung.
Wir werden daher heute nicht wegen der Politik der
Bundesregierung, sondern trotz der Politik der Bundesregierung und trotz ihres Agierens der Rückzahlung der
IWF-Kredite und der Umschuldung für Irland zustimmen; denn wir sagen: Das macht haushalterisch Sinn,
das macht ökonomisch Sinn, und das ist im Interesse aller Beteiligten, auch im Interesse der europäischen Gläubiger.
Ich teile die Meinung des Kollegen Kahrs: Es kann
nicht sein, dass weiterhin in Europa Steuerdumping betrieben wird und Unternehmensteuern in Irland gesenkt
werden. Wir glauben, dass es sinnvoll wäre, jetzt auch in
Irland wichtige Investitionen anzustoßen, um die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben. Ich denke an Investitionen in Bildung, Klimaschutz und in den sozialökologischen Umbau. Klar ist auch: Wir brauchen in Europa insgesamt mehr Zukunftsinvestitionen. Wir brauchen jetzt eine sozial-ökologische Investitionsstrategie
für Europa. Die ist dringend notwendig.
({2})
Ich finde, man muss das Bild von Irland differenziert
betrachten. Man darf es nicht schwarzmalen, man darf es
aber auch nicht rosarotmalen, wie es der Herr Kollege
Staatssekretär gemacht hat. Es gab in den letzten Jahren
Verbesserungen. Irland ist wieder am Kapitalmarkt, die
Staatsverschuldung soll 2014 leicht auf 120 Prozent des
BIP sinken, die Arbeitslosigkeit liegt nicht mehr bei
14 Prozent, sondern bei 11 Prozent, und die Exporte haben zugenommen. Das ist richtig, und wir Grüne erkennen die Verbesserungen an. Wir sehen ganz klar, dass es
große Anstrengungen in Irland gab.
Aber man muss sich schon die Frage stellen, was in
Irland wirklich los ist. Man muss sich ehrlich machen,
und man darf sich keinen Illusionen hingeben. Die Jugendarbeitslosigkeit zum Beispiel liegt immer noch bei
25 Prozent. Jeder zweite junge Mensch zwischen 18 und
24 Jahren denkt darüber nach, auszuwandern, also das
Land zu verlassen. Das sind wichtige Arbeitskräfte, die
in Irland nicht bleiben, weil sie keine Perspektive sehen.
Heute verhandeln die Staats- und Regierungschefs
und die Arbeitsministerinnen und Arbeitsminister in
Mailand über den Arbeitsmarkt. Ich meine: Dabei darf
es nicht nur um wichtige und notwendige Strukturreformen gehen und darum, dass die Gelder der Jugendgarantie ausgegeben werden, sondern es muss perspektivisch
auch darum gehen, dass die EU und die Mitgliedsländer
in ihren Haushalten mehr Geld für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit bereitstellen. Wir müssen alles tun,
damit wir keine verlorene Generation in Europa haben.
({3})
Die Staatsverschuldung Irlands liegt immer noch bei
120 Prozent des BIP. Wie gesagt, man muss sich die Gesamtschuldenlast anschauen, also auch die Schulden der
privaten Haushalte und des Bankensektors. Die Gesamtverschuldung lag schon 2007 bei 270 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Mittlerweile liegt sie bei 490 Prozent. Das ist trauriger Rekord weltweit. Das ist fünfmal
so viel, wie die Wirtschaftsleistung beträgt. Das ist keine
nachhaltige Schuldentragfähigkeit, das kann man nicht
rosarotmalen. Das heißt, wir werden uns in Europa und
im Bundestag weiter mit dem Problem der Überschuldung im privaten Sektor, bei Unternehmen und den öffentlichen Haushalten beschäftigen. Wir müssen jetzt
klar die schwierige Lage sehen und zu weiteren Verbesserungen in Irland und Europa kommen.
Vielen Dank.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Daten, die Fakten und die Hintergründe des irischen Wunsches, den IWF-Kredit vorzeitig ablösen zu dürfen, hat unser Staatssekretär Steffen
Kampeter hinreichend erklärt. Ich muss das nicht wiederholen.
Ich will aber einen Aspekt hervorheben. Die Tatsache,
dass wir hier heute im Deutschen Bundestag nicht nur
darüber diskutieren, sondern darüber abstimmen, ob die
deutsche Bundesregierung diesem Ansinnen Irlands zustimmen darf oder nicht, haben wir der Krise zu verdanken und unserem Wunsch, die demokratischen Beteiligungsrechte in diesem Zusammenhang zu stärken. Ich
spreche vom sogenannten StabMechG. Für Deutschland
bedeutet das ein Mehr an Demokratie und für Europa
- wir entscheiden über europäische Fragen hier im Deutschen Bundestag - ebenfalls ein Mehr an Demokratie.
Das will ich zunächst einmal positiv hervorheben.
({0})
Unsere Fraktion unterstützt diesen Antrag, weil wir
davon ausgehen, dass er einem europäischen Partnerland, nämlich Irland, nützt und uns nicht schlechter
stellt. Damit sehe ich keinen Hinderungsgrund, diesem
Antrag zuzustimmen. Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass das Ansinnen Irlands, jetzt schon, ein Jahr
nach dem Ausstieg aus dem Hilfsprogramm, fast ein
Drittel der Summe des gesamten Hilfsprogramms zurückzuzahlen, ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass
dieses Hilfsprogramm ein Erfolg war und ist.
Irland muss am Markt Zinsen zahlen, die deutlich
niedriger sind als die für seine Hilfskredite. Das zeigt,
dass die Anpassungsmaßnahmen wirken. Das Land erntet heute sozusagen die Früchte seiner Anstrengungen
der vergangenen drei Jahre.
({1})
Diese Anstrengungen waren nicht unerheblich - das
muss man mit allem Respekt eingestehen -; denn Irland
hat die notwendigen Strukturreformen vorangetrieben.
Die Lohnstückkosten sind wesentlich gesunken. Das hat
zum großen Teil zu den wirtschaftlichen Erfolgen beigetragen, die das Land in Form eines Leistungsüberschusses jetzt Jahr für Jahr erzielt. Irland hat die notwendigen
Reformen auf dem Arbeitsmarkt vorangetrieben. Im
Zuge des Anpassungsprogramms wurden unter anderem
Maßnahmen zur Aktivierung von Arbeitslosen umgesetzt. Der Kündigungsschutz wurde gelockert, und die
Lohnfindung wird vermehrt auf die Ebene der Betriebe
verlagert. Das Renteneintrittsalter wurde, natürlich in
Stufen, auf 68 Jahre erhöht. Das sind alles Maßnahmen,
die nicht leicht umzusetzen sind; aber sie wirken. Kleine
und mittelständische Unternehmen können sich leichter
und besser finanzieren; sie werden auch beratend unterstützt. Da leistet unsere KfW ebenfalls gute Arbeit.
Was schließen wir daraus? Irland ist ein Beispiel dafür, dass bei konsequenter Haushaltskonsolidierung und
konsequenten Strukturreformen ein Land auch unter
schwierigen Rahmenbedingungen - die globale Situation ist ja keine einfache - vorankommen und eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive erhalten kann.
Das sage ich ganz bewusst auch im Hinblick auf die
derzeitige europäische Debatte. Einige von uns waren in
der vergangenen Woche auf der Fiskalvertragskonferenz
in Rom. Der Kollege Michelbach kann es bestätigen:
Nahezu unisono wurde dort einer Politik das Wort geredet, die in Nachfragepolitik endet; einseitige, nachfrageorientierte Politik mit neuen Schulden, also mit frischem
Geld, soll wirtschaftliches Wachstum erzeugen. Das ist
der falsche Weg. Irland ist ein Beleg dafür, dass ein richtiger Mix aus nachfrageorientierter Politik und angebotsorientierter Politik den Weg darstellt, der aus der Krise
führt. Beides gehört zusammen: Konsolidierung einerseits, Strukturreformen andererseits. Wichtig sind außerdem wachstumsfördernde Impulse. All das führt zum Erfolg; damit kommt man aus der Malaise heraus, und
zwar nicht erst, wie viele auf europäischer Ebene behaupten, in langen Zeiträumen; vielmehr wirkt ein solches Vorgehen relativ schnell und vor allem nachhaltig.
({2})
Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen,
dass wir selbstverständlich die Erwartung haben, dass Irland die neuen Bewegungsspielräume finanzieller Natur
nutzt, um sich weiter voranzubringen und nicht um Steuern zu senken oder ähnliche Dinge zu tun. Umschuldung
heißt ja nicht Entschuldung. Die Entschuldung muss
fortgeführt werden. Deshalb erwarten wir auch, dass der
unfaire Steuerwettbewerb, den es in Irland nach wie vor
noch gibt, Zug um Zug beendet wird. Unser Finanzminister drängt darauf nicht erst seit gestern, sondern
schon seit längerer Zeit, und er wird auch weiterhin darauf drängen, dass Irland auf diesem Weg voranschreitet.
Ich darf abschließend feststellen: Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, dann sind bis auf die Linken
alle dafür, Irland diesen Weg zu eröffnen. Die Linken haben sich zu dieser Frage heute im Haushaltsausschuss
enthalten. Wenn die Linken den Iren diesen kleinen finanziellen Vorteil nicht gönnen wollen, dann sagt das
aus meiner Sicht alles; da braucht man nichts mehr hinzuzufügen.
Danke.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Lothar Binding, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst
feststellen, dass ich mich freue, dass Birgit Kömpel hier
ist. Sie ist die Vorsitzende der Deutsch-Irischen Parlamentariergruppe. Einerseits sind wir stolz auf die Erfolge der Iren, und andererseits haben wir noch ein paar
Anliegen an die Iren. Wenn das transportiert wird, ist das
sicher eine sehr gute Sache.
Ich habe ohnehin immer eine positive Grundstimmung, wenn ich an Irland denke; denn es gibt kein Land
in Europa, das die Gesetze zum Passivraucherschutz am
Arbeitsplatz und in den Gaststätten so konsequent, so
gut und so schnell umgesetzt hat wie Irland.
({0})
Ich muss sagen, dass wir da, bezogen auf die Arbeitsstättenverordnung in Deutschland, noch meilenweit hinterherhinken. Ich hoffe darauf, dass unser Ministerium die
Beseitigung dieser Lücke jetzt endlich klug regelt. Wie
jeder weiß, komme ich aus Heidelberg, wo das Deutsche
Krebsforschungszentrum seinen Sitz hat. Deshalb befasse ich mich mit diesem Thema.
Ebenso entschlossen und zielgerichtet wie die Maßnahmen zum Thema Rauchen - jetzt kommen wir schon
zum Stolz - haben die Iren auch die Reformanstrengungen zur Sanierung angepackt. Die Bankenlandschaft, der
Arbeitsmarkt, die Leistungsbilanz wurden verbessert.
Makroökonomische Anpassungsprozesse wurden sehr
gut auf den Weg gebracht, und die Schuldentragfähigkeit
wurde erhöht. Insgesamt sind das sehr positive Zeichen.
Irland hatte zuvor einen schweren Fehler gemacht. Irland hatte bei seinem überdimensionierten Finanzsektor
- der war durch gezielte Politik der Iren entstanden - infolge der Bankenkrise schwerwiegende Folgen zu kompensieren. Insofern merkt man, dass diese Art der Politik
zu großen Problemen führt.
Dazu gehörte auch - das ist schon ein paarmal gesagt
worden -, dass die Iren die Unternehmensteuer so festgesetzt haben, dass man, vornehm formuliert, von „Steuerdumping“ sprechen muss, und das ist in Europa keine
vornehme Angelegenheit. Einen Körperschaftsteuersatz
von 12,5 Prozent oder steuerliche Ausnahmen, die weltweit genutzt werden, um durch die Verlagerung von Unternehmenssitzen in großer Dimension Steuern zu sparen
- das geschieht unter dem Stichwort „Double Irish“ oder
„Dutch Sandwich“ -, dürfen wir nicht hinnehmen. Jim
Stewart, ein irischer Ökonom, hat sogar gesagt: 40 Milliarden Euro, also ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung Irlands, sind auf diesem Weg in Steueroasen in
der Karibik transferiert worden. - Das ist auf dem Rücken der Freunde in Europa geschehen und keine vornehme Angelegenheit. Ich denke, das muss man unter
Freunden auch sagen.
({1})
Dass die Iren in der schwersten Not die Hilfe der anderen Staaten angenommen haben, zu Recht, das ist in
Ordnung, und daran können wir erinnern; denn da haben
wir gemeinsam etwas erreicht. Der gemeinsame Erfolg
erlaubt jetzt die Rückkehr der Iren an den Kapitalmarkt.
Der Erfolg hat viele Väter. Ein Vater ist die Hilfe der
Nachbarstaaten in Europa, der EU-Mitgliedstaaten. Der
Erfolg geht aber auch - das muss man sagen - auf Anstrengungen der irischen Regierung und - das hat Herr
Pitterle erwähnt - auf Entbehrungen der Iren zurück.
Allerdings ist es so, dass ein Niedergang der Wirtschaft den armen Iren auch nicht helfen würde. Insoweit
ist es schon gut, wenn wir uns um ökonomische Stabilität und um eine gute Leistungsbilanz auch der Iren kümmern; wenn das vorhanden ist, dann besteht auch eine
realistische Chance, dass es dem Arbeitslosen besser
geht, dass er Arbeit findet, dass die Jugendarbeitslosigkeit überwunden wird.
Dass gleichwohl mehr passieren muss, konzediere ich
gern; Konjunkturprogramme zum Beispiel, Beschäftigungsprogramme. Wir könnten auch über ein Kurzarbeitermodell nachdenken; das wäre ein schöner Exportschlager. Die soziale Sicherung muss gestärkt werden.
Allein, es bleibt die Frage: Wer finanziert das? Insofern
ist das, was wir heute beschließen wollen, sehr gut; denn
damit sparen die Iren 2,1 Milliarden Euro Zinsen, und
das ist zunächst einmal eine Basis, um in dieser Richtung einen kleinen Impuls geben zu können.
Damit sind wir noch nicht am Ziel, aber auf einem
sehr guten Weg. Insofern merken wir, dass die europäische Solidarität Geben und Nehmen ist. Auf der einen
Seite Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist in Ordnung; aber
auf der anderen Seite erwarten wir, dass die Iren sich als
faire Partner erweisen. Ich glaube, das ist ein ganz ordentliches Angebot von Europa an Irland und hoffentlich
auch ein Angebot von Irland an Europa; das macht die
Zukunft aus.
Insofern wollen wir hoffen, dass der Verstoß gegen
das Fairnessprinzip überwunden wird. Wir sind auch
froh, dass manche Dinge schon werden. Das Programm
der OECD gegen BEPS hat bereits dazu geführt, dass
selbst die irischen Unternehmer sagen: Wir müssen aufpassen, dass der Steuerwettbewerb dem Investitionsstandort Irland nicht schadet. - Es ist also nicht so, dass
das nur unsere Erkenntnis wäre; ich kann mich da sogar
auf Unternehmerverbände in Irland berufen. Ich glaube,
diese Erkenntnis gilt es europaweit salonfähig zu machen.
({2})
Wenn uns das gelungen ist, dann sind wir in Europa als
Ganzes einen ganz großen Schritt weiter.
Eine abschließende Bemerkung - sie hat auch eine etwas selbstkritische Komponente -: Wenn wir den Iren
und den Holländern vorwerfen, dass sie solche SonderLothar Binding ({3})
tatbestände schaffen, dann sollten wir nicht der Versuchung erliegen, für Deutschland selbst so etwas wie vielleicht eine „Patentbox“ zu überlegen;
({4})
denn das wäre der klassische Fall des berühmten „race to
the bottom“. Die Frage ist, wie das ausgeht. Zum
Schluss kommen alle „bottom“ an, und das wollen wir
vermeiden.
({5})
Das zeigt der Weg, den wir gehen wollen.
Deshalb stimmen wir dem Antrag des Finanzministeriums insgesamt zu.
({6})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute und mit mir abschließend unter
diesem Tagesordnungspunkt mit der vorzeitigen teilweisen Rückzahlung von IWF-Finanzhilfen durch Irland befassen, dann hat das in der Tat fast etwas Einmaliges an
sich. Zum einen müssen wir uns als Deutscher Bundestag nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz - du
hast es angesprochen, lieber Norbert Barthle - damit befassen, um dem Bundesfinanzminister ausdrücklich eine
positive Weisung mitzugeben. Eine Enthaltung würde ja
bedeuten, er müsste mit Nein stimmen; aber wir werden
heute große und breite Zustimmung geben. Herr Pitterle,
vielleicht können auch Sie sich noch einen Ruck geben,
und dann steht von Ihrer Seite heute Abend dem Genuss
eines Guinness in einem Irish Pub nichts mehr entgegen;
das wäre doch durchaus auch angebracht.
({0})
- Auf Kosten von Kampeter, ja, du hast recht! - Zum anderen erleben wir es erstmals, dass ein Staat, der unter
dem Euro-Rettungsschirm steht, etwas zurückzahlt, und
nicht wenig, immerhin 18,3 Milliarden Euro. Das ist einmal etwas ganz anderes.
Wir haben uns ja in den letzten vier, fünf Jahren hier
häufig mit Euro-Rettungsschirmen befasst. Für Portugal,
Spanien, Zypern, Griechenland, auch Irland mussten
Rettungsschirme aufgespannt werden, und diese Länder
haben in der Tat unendlich hohe Summen an Geld bekommen, für die wir zum Teil gebürgt haben. Aber heute
ist es etwas anderes. Irland kommt aus der Krise, und
zwar mit Vehemenz. Das ist angesprochen worden.
„Ireland on track“, heißt es in Irland. Ich selber war
im letzten Bundestag im Europaausschuss Länderberichterstatter für Irland. Wenn man nach Irland kommt,
merkt man in der Tat auch einen gewissen Optimismus.
Es verhält sich anders, als Sie es gesagt haben, Herr
Kindler. Die Leute da gehen nicht in Sack und Asche;
({1})
sie sind stolz darauf, dass sie es erreicht haben, aus dieser schwierigen Krise herauszukommen.
({2})
- Dazu, dass manche auswandern, muss man sagen: Das
ist in Irland schon immer so gewesen. Es ist ja ein weltoffenes Land. Iren sind überall auf der Welt anzutreffen.
Das ist nichts, was mit der Krise zu tun hätte.
Meine Damen und Herren, dieses ehemals blühende
Land Irland - es ist ja mit dem deutschen Wirtschaftswunder der 50er- und 60er-Jahre verglichen worden - ist
in diese Krise hineingekommen wegen der Weltwirtschaftskrise, auch wegen eines unglaublichen Baubooms,
der dort geherrscht hat. In Irland sind 90 000 Wohnungen im Jahr hergestellt worden, für die es keine Abnehmer gab. Deutschland ist 16-mal größer als Irland.
Auf uns übertragen, also um in Deutschland die gleiche Marge zu erreichen, würde das bedeuten, wir müssten 1,4 Millionen Wohnungen im Jahr bauen. Das ist
bei uns aber überhaupt nicht so. Wir haben gerade
300 000 Wohnungen gebaut. Diese 90 000 Wohnungen
pro Jahr, die in Irland ohne realen Hintergrund gebaut
wurden, sind von den Banken finanziert worden. Damit
hatte der Crash natürlich ganz tiefgreifende Folgen.
Für Irland musste ein Rettungsschirm aufgespannt
werden, der etwa 85 Milliarden Euro umfasste. Schon
bemerkenswert ist, Herr Pitterle, dass Irland 20 Prozent
der Gesamtsumme des Rettungsschirmkapitals selber
getragen hat, nämlich 17,5 Milliarden Euro. Ich meine,
wir haben damit, dass wir ebenfalls einen Beitrag geleistet haben, auch uns selbst genützt, weil wir damit unsere
Währung, den Euro, stabilisiert haben.
Jetzt geht es darum, einen Teil der 22,5 Milliarden
Euro, die der IWF zur Verfügung gestellt hat, zurückzuzahlen. Das ist deshalb vernünftig, weil Irland so einen
großen Zinsvorteil erlangt, weil Irland damit im Jahr
etwa 400 Millionen Euro und über die ganze Laufzeit
2,1 Milliarden Euro ersparen kann. Das bedeutet im Umkehrschluss wieder, dass die Schuldentragfähigkeit Irlands besser wird, dass das Ausfallrisiko zu unseren Lasten geringer wird. Damit ist es ein Gebot der Vernunft,
dass wir heute zustimmen. Ich denke, es ist auch deshalb
ein Gebot der Vernunft, weil wir keinerlei Schaden, weil
wir keinerlei Nachteil aus dieser Besserstellung Irlands
zu unseren Lasten erwarten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie
also ausdürcklich darum, dass wir den vom Finanzminister eingebrachten Antrag der Bundesregierung unterstützen. Es wäre natürlich besser gewesen, wenn die Parallelitätsklausel zur Anwendung gekommen wäre, also Irland,
wenn es an den einen Schuldner zurückzahlt, auch an die
anderen zahlt. Aber wenn wir darauf bestehen würden,
würde Irland gar nichts zurückzahlen. Für uns würde das
keinerlei Gewinn bedeuten; für unseren politischen
Freund Irland allerdings wäre es ein gewaltiger Schaden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,
wir machen es wie all die anderen Staaten, die schon gefragt worden sind: Wir stimmen dem zu. Wir bestehen
nicht auf der Parallelitätsklausel, und wir freuen uns,
wenn unsere Freunde in Irland wieder auf einen guten,
soliden und sicheren Wachstumspfad kommen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein besonderer Moment in der Geschichte des Bundestages, weil
wir jetzt zum ersten Mal nach dieser Vorschrift des Stabilisierungsmechanismusgesetzes abstimmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des
Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 18/2683
mit dem Titel „Irland: Vorzeitige teilweise Rückzahlung
von IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden
Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes ({0})“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der
Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und
von Bündnis 90/Die Grünen bei einer Gegenstimme aus
den Reihen der Union und Enthaltung der Fraktion Die
Linke so angenommen worden.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 9. Oktober 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.