Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um eine Vereinbarte Debatte mit dem Thema
„Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der Ebolaepidemie“ zu erweitern und diese im Anschluss an die Fragestunde als Zusatzpunkt 1 mit einer Debattendauer
von einer Stunde aufzurufen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Frau Iris Gleicke. Bitte schön.
Schönen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Heute auf den Tag genau vor 25 Jahren,
am 24. September 1989, wird die Botschaft der Bundesregierung in Prag zum Sammelpunkt für fast 900 DDRFlüchtlinge; 200 Kinder waren darunter. Einen Tag später, am 25. September 1989, fordern mehrere Tausend
Demonstranten auf der Montagsdemo in Leipzig demokratische Reformen und die Zulassung des Neuen Forums. Stasivizechef Mittig ruft am 26. September 1989
die Chefs der MfS-Bezirksverwaltungen zusammen und
fordert, die „feindlich-oppositionellen Zusammenschlüsse“ mit dem Ziel der Zerschlagung „operativ zu
bearbeiten“. Auf Grundlage eines Honecker-Befehls zur
- ich zitiere - „Verhinderung von Provokationen unterschiedlicher Art“ zum 40. Jahrestag der DDR bringt Verteidigungsminister Keßler vorsorglich die NVA für den
Einsatz in Ostberlin in Stellung. - So viel zu den Tagen
im September vor 25 Jahren. Heute klingt das wie ein
Bericht aus einer fernen Welt oder aus einem anderen
Zeitalter.
Der vorliegende Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit würdigt in besonderer Weise die mutigen
Proteste und Demonstrationen im Herbst 1989 in Leipzig und in vielen anderen Städten der DDR. Die Demonstranten haben mit ihrer Zivilcourage den Grundstein für
Freiheit und Demokratie in Ostdeutschland gelegt. Indem sie die Mauer niedergerissen haben, haben sie die
Einheit unseres Landes ermöglicht.
Die Aufarbeitung der Diktatur in der DDR, die Würdigung und Rehabilitierung der Opfer der Diktatur bleiben über den Tag hinaus auf der Tagesordnung.
Die Annäherung der Lebensverhältnisse zwischen
Ost und West in den letzten 25 Jahren ist weitgehend
gelungen. Denken Sie an die Modernisierung der Infrastruktur, den Wiederaufbau vieler Innenstädte, die Verbesserung der Wohnsituation, die Beseitigung der verheerenden Umweltverschmutzung, den Aus- und Neubau
eines modernen Verkehrsnetzes. Und: Die ostdeutsche
Wirtschaft steht auf einem breiten Fundament. Aber wir
müssen heute feststellen: Der wirtschaftliche Aufholprozess der neuen Länder im Verhältnis zu Westdeutschland
ist in den vergangenen Jahren nur noch sehr langsam vorangeschritten. Deshalb ist die weitere Stärkung der
Wirtschaftskraft unbedingt erforderlich. Denn das sichert und schafft Arbeitsplätze, verbessert die Steuerkraft der Länder und hat positive Auswirkungen auf die
Länderhaushalte.
2019 läuft der Solidarpakt II aus. Vor diesem Hintergrund kommt der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für die Zeit ab 2020 eine überragende Bedeutung zu. Eines ist klar: Eine reine Ostförderung kann
und wird es ab 2020 nicht mehr geben. Wir müssen die
bisherige Förderung weiterentwickeln zu einem System
der Förderung strukturschwacher Regionen in ganz
Deutschland. Wir brauchen ein festes Bündnis der strukturschwachen Regionen in Ost und West.
Meine Damen und Herren, fast 25 Jahre nach der
Wiedervereinigung brauchen wir endlich ein einheitliches Rentenrecht in ganz Deutschland. Hier soll entspre4836
chend der Koalitionsvereinbarung mit Ende des Solidarpakts II, wenn die Lohn- und Gehaltsangleichung weiter
fortgeschritten sein wird, in einem letzten Schritt eine
vollständige Angleichung erfolgen. Die Bundesregierung wird 2016 prüfen, ob ein Zwischenschritt erforderlich ist.
Zum Arbeitsmarkt. Im Jahresdurchschnitt 2013
wurde die niedrigste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung registriert. Aber auch hier gibt es ein großes
„Aber“; denn gegenüber der Arbeitslosenquote West mit
6,0 Prozent ist die Arbeitslosenquote Ost mit 10,3 Prozent im Jahresdurchschnitt 2013 noch immer unverhältnismäßig hoch. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den
letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Sie lag im Jahr
2013 in Ostdeutschland bei 9,6 Prozent und damit im europäischen Vergleich auf einem niedrigen Niveau.
Auch die Binnenwanderungsverluste zwischen Ost
und West sind in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Nach Projektionen des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerungszahl in den ostdeutschen Flächenländern allerdings weiter abnehmen. Dies wirkt sich
auf alle Lebensbereiche aus. Beim Umgang mit den dadurch verursachten Veränderungen vor Ort leisten die
ostdeutschen Länder in Bezug auf intelligente Modelle
der Daseinsvorsorge seit Jahren Pionierarbeit. Der Osten
ist hier Avantgarde.
Mein Damen und Herren, Sie finden in diesem Bericht einen Satz, der mir sehr wichtig ist: „Der ganz großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger“ der DDR
„ging es darum, ein anständiges Leben zu führen.“ Dies
gilt es zu erkennen, zu akzeptieren und in einem solidarischen Miteinander zu verbinden. Wir brauchen einen unverkrampften Umgang miteinander, wie ihn die junge
Generation heute schon so erfreulich vorlebt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön. - Die erste Frage hat der Kollege
Wolfgang Tiefensee, SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Staatssekretärin, ganz herzlichen
Dank für den Vortrag und für die Vorlage des Berichtes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst konstatiere
ich: Der Bericht trägt eindeutig die Handschrift des Vizekanzlers und seiner Beauftragten. Die Situation wird
sehr kritisch beschrieben, es werden aber auch die Vorteile aufgezeigt. Vor allen Dingen wird erstmalig das Engagement der Bürgerinnen und Bürger vor 1989 dezidiert gewürdigt.
Frau Staatssekretärin, wir haben eine gute Entwicklung bezüglich des Bruttoinlandsproduktes und der Arbeitslosigkeit, auch wenn wir hier sicherlich noch Nachholbedarf haben. Meine Fragen:
Erstens. Es gibt Förderprogramme wie zum Beispiel
INNO-KOM und ZIM. Ich wünschte mir, dass bei
INNO-KOM nicht gekürzt wird. Warum kürzen wir da
um 500 000 Euro, von 65,5 Millionen Euro auf 65 Millionen Euro?
Zweitens. Sie haben die Angleichung der Rentensysteme angesprochen. Reden wir nach wie vor auch darüber, dass es einen Härtefallfonds geben könnte?
Schließlich: Mich interessiert, wenn es um die Arbeitslosigkeit geht: Wenden Sie sich auch ganz besonders der Langzeitarbeitslosigkeit zu, und was ist dort geplant?
Vielen Dank.
Schönen Dank. - Zum Thema Arbeitslosigkeit: Es ist
so, dass die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
auch und gerade mit den ESF-Mitteln, die jetzt zur Verfügung stehen, ein Programm auflegen will, das in diesem Jahr beschlossen werden soll, damit im nächsten
Jahr Förderungen ermöglicht werden, um gerade unter
dem Aspekt der Altersarmut die Langzeitarbeitslosigkeit
zu bekämpfen und um den Menschen, die dem Arbeitsprozess schon lange nicht mehr zur Verfügung gestanden
haben, eine Perspektive zu ermöglichen.
Zu den verschiedenen Förderprogrammen. Sie wissen, dass wir die Förderkulisse der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
schon zu einer gesamtdeutschen umgestaltet haben. Die
Präferenz ist aufgrund der Wirtschaftsdaten nach wie vor
in Ostdeutschland gegeben. Es fließen also nach wie vor
mehr Mittel nach Ostdeutschland.
Programme wie das Zukunftsinvestitionsprogramm
Mittelstand, INNO-KOM-Ost usw. liegen uns besonders
am Herzen und entfalten eine besondere Wirkung für
Ostdeutschland, die wir auch erhalten wollen. Deshalb
haben wir beispielsweise beim Zukunftsinvestitionsprogramm 30 Millionen Euro draufgelegt, wir haben bei
den IKT etwas draufgelegt, finanziert aus den Mitteln in
Höhe von 3 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt zusätzlich für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen
zur Verfügung stehen.
Zum Thema Rente. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, die Rentenangleichung bis zum
Jahr 2019, also bis zum Auslaufen des Solidarpakts, zu
schaffen. Sie kennen meine persönliche Meinung aus der
Zeit, als ich noch auf der anderen Seite des Parlaments
gesessen habe, und wissen, dass ich immer für die Einrichtung eines Härtefallfonds gestritten habe. Dieser ist
aber in der Koalitionsvereinbarung nicht enthalten. Deshalb ist natürlich die Frage, ob und inwieweit sich die
Koalitionsfraktionen zum Beispiel über einen solchen
Mechanismus verständigen könnten. Aber ich bitte ganz
herzlich um Verständnis: Das ist im Moment nicht vorderste Aufgabe der Bundesregierung, sondern eine Parlamentsangelegenheit.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Abgeordneten
Stephan Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, auch ich möchte
auf die Zeit zu sprechen kommen, als Sie auf der Abgeordnetenseite saßen. Da haben wir gemeinsam davor gewarnt, diesen Bericht zu einem reinen Routinebericht
verkommen zu lassen, der sozusagen nur den Status quo
beschreibt, und waren uns einig: Wenn man sich die Arbeit macht, einen solchen Bericht zu erstellen, dann
muss er wirklich neue Ideen und Impulse enthalten. Da
wir noch nicht die Gelegenheit hatten, den Bericht zu
studieren, möchte ich die Frage stellen: Welche zentralen
Impulse und Ideen enthält der Bericht?
Die Frage, die sich daran anschließt, ist mit der Formulierung verknüpft, Ostdeutschland sei Avantgarde,
oder anders ausgedrückt: Ostdeutschland ist für die Transformationsprozesse sozusagen das Labor. Ganz entscheidend ist die Frage der Rahmenbedingungen dafür, dass
- so wurde es im letzten Bericht genannt - noch nicht
genutztes Potenzial für bürgerschaftliches Engagement
gehoben werden kann, sprich: welche Rahmenbedingungen die Leute vor Ort haben, um Eigeninitiative ergreifen und die zukünftige Entwicklung selber in die Hand
nehmen zu können. Welche Instrumente schlagen Sie da
in dem neuen Bericht jetzt vor?
Zunächst: Wenn ich über Modellprojekte oder darüber rede, dass Ostdeutschland an vielen Stellen Avantgarde ist, weil eben versucht wird, mit weniger Mitteln
den gesetzlichen Vorschriften zur öffentlichen Daseinsvorsorge nachzukommen und sie auch aufrechtzuerhalten, dann denke ich dabei nicht zuerst an Labormäuse.
({0})
Ich will einfach sagen: Es geht uns nicht darum, irgendeine Grundsicherung zu schaffen, sondern darum, Lebensqualität zu schaffen und dafür zu sorgen, dass es
auch in strukturschwachen Regionen Perspektiven gibt.
Das hat sehr viel mit dem zweiten Teil Ihrer Frage zu
tun.
Natürlich geht es uns darum, Menschen zu aktivieren,
sodass sie sich zum Beispiel selbstständig machen. Wir
fangen schon bei den Schülerinnen und Schülern an; wir
wollen mit Projekten an Schulen tatsächlich den Gründergeist stärken. Wir versuchen, gerade auch die Potenziale von Frauen zu heben. Das ist insgesamt eine wichtige
Aufgabe. Denn der Fachkräftemangel in Ostdeutschland
wird aufgrund der demografischen Entwicklung und der
Wanderungsverluste der letzten Jahre einen viel höheren
Stellenwert bekommen.
Es ist heute schon so, dass die ostdeutschen Unternehmen - die ostdeutsche Wirtschaft ist nach wie vor von
kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt händeringend nach Führungspersonal suchen. Insofern
wollen wir den Mittelstand unterstützen, damit er weiter
wachsen kann. Dazu braucht er entsprechendes Führungspersonal. Wir wollen natürlich überall dafür werben. Sie kennen wahrscheinlich die Thüringer Initiative,
die sich an Rückkehrer wendet: „Thüringen braucht
dich.“ - Das sind Dinge, von denen ich glaube, dass sie
wirklich zum Erfolg führen. An der Stelle wollen wir ansetzen.
Dazu gehört aber auch eine ordentliche Wirtschaftsförderung - gar keine Frage -, damit das Größenwachstum der kleinteiligen ostdeutschen Wirtschaft weiter voranschreiten kann.
Nächste Fragestellerin die Abgeordnete Annalena
Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Gleicke, für den kurzen Bericht. Es
ist natürlich wirklich bedauerlich, dass die Koalitionsfraktionen schon einen Blick darauf werfen konnten, die
Opposition aber nicht. Deswegen kommen wahrscheinlich auch mehr Fragen von unserer Seite.
Ich knüpfe an das an, was mein Kollege Kühn schon
zur Neustrukturierung des Berichts gesagt hat; Sie haben
es ganz kurz angesprochen. Insbesondere über die finanzielle Ausstattung nach dem Auslaufen der Solidarpaktmittel haben wir mit Ihnen im Zusammenhang mit dem
letzten Bericht intensiv diskutiert. Wir haben damals in
der Debatte auch die Korb-II-Mittel angesprochen und
gefragt, wo sie sich in der neuen Finanzgestaltung wiederfinden könnten. Könnten Sie vielleicht einen Satz
dazu sagen, ob bereits entsprechende Überlegungen in
dem Bericht enthalten sind? Die Investitionsmittel für
Ostdeutschland werden ja nach wie vor noch anders bemessen.
Wir hatten auch bereits gemeinsam festgestellt, dass
insbesondere die Ausstattung der Kommunen - gerade
viele ostdeutsche Gebiete haben ja strukturell eine andere Prägung - bisher nicht in den Berichten aufgetaucht
ist. Daran anknüpfend möchte ich Sie fragen, inwieweit
im jetzt vorliegenden Bericht ein Schwerpunkt auf die
Situation der Kommunen gelegt wird und inwieweit auf
Kassenkredite und weitere Fragen eingegangen wird.
Frau Baerbock, die von Ihnen angesprochenen Themen kommen in dem Bericht in beschreibender Weise
vor. Wir weisen dabei darauf hin, dass die Ausstattung
der Kommunen von zentraler Bedeutung ist, wenn es darum geht, öffentliche Daseinsvorsorge auch in strukturschwachen Regionen zu erhalten. Sie finden dazu im Bericht ein paar kurze Ausführungen. Wir sagen allerdings
ganz klar: In der Diskussion über die Bund-LänderFinanzbeziehungen muss es uns auch darum gehen, eine
entsprechende Ausstattung für die finanzschwachen
Länder hinzubekommen, damit die öffentliche Daseinsvorsorge wirklich erhalten werden kann. Das ist mir
ganz wichtig. Das ist im Endeffekt auch die Quintessenz
des vorliegenden Berichtes. Wir brauchen in Ostdeutschland also auch nach 2019 eine besondere Förderung.
Ich habe an dieser Stelle zwar hauptsächlich die Situation in Ostdeutschland im Blick, sehe aber auch die
Probleme in den alten Bundesländern. Deshalb sage ich:
Wir brauchen ein Fördersystem, durch das die strukturschwachen Regionen in Ost und West gleichermaßen gefördert werden, damit wir da vorankommen können.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Karin
Binder, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Liebe Kollegin
Gleicke, Sie haben die Annäherung zwischen Ost und
West als weitgehend gelungen bezeichnet. Ich muss sagen: Da haben wir doch eine unterschiedliche Sicht der
Dinge. Ich sehe nach wie vor Unterschiede bei der
Rente, ich sehe nach wie vor unterschiedliche Löhne und
Gehälter, ich sehe nach wie vor unterschiedliche Lebensstandards. Ich glaube, dass wir noch einiges zu tun haben.
Was ich gar nicht verstehen kann, ist, dass auch
25 Jahre nach der deutschen Einheit von dieser Bundesregierung immer noch unterschiedliche Mütterrenten für
Ost und West beschlossen werden. Wir erklären Sie das
im Zusammenhang mit dem Bestreben, ein einheitliches
Rentenrecht zu schaffen?
Ich habe noch eine andere Frage: Wird in Ihrem Bericht endlich auch einmal die Rolle der Treuhand ordentlich beleuchtet? Ich glaube, dass die Treuhand eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit der meiner
Auffassung nach noch nicht stattgefundenen Annäherung zwischen Ost und West spielt. Ich glaube schon,
dass die Politik, die die Treuhand mit ihrem Ausverkauf
der Ost-Bundesländer betrieben hat, in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung ist.
Frau Kollegin Binder, zum Thema Mütterrente. Ganz
klar: Die unterschiedlichen Werte bei der Mütterrente
entstehen dadurch, dass wir ein unterschiedliches Rentensystem in Ost und West haben. Deshalb ist es das erklärte Ziel der Bundesregierung, ab 2019 gleiches Rentenrecht zu verankern. Es wurde also nicht beschlossen,
die Mütterrente in Ost oder West unterschiedlich zu gestalten, sondern das resultiert aus den unterschiedlichen
Rentenwerten.
Im Bericht ist kein Kapitel explizit zur Treuhandanstalt enthalten. Es gab ja nach Abschluss der Arbeit der
Treuhandanstalt einen Untersuchungsausschussbericht,
dessen Länge, glaube ich, fast einen Meter im Bücherregal umfasst und der eine ganze Menge Hinweise enthält
bzw. deutlich macht, was gut oder was weniger gut gelaufen ist.
Wir sind darauf eingegangen, was die Deindustrialisierung Anfang der 90er-Jahre für das zukünftige
Wachstum in Ostdeutschland bedeutete, nämlich dass
eine Kleinteiligkeit bei den Unternehmen entstanden ist.
Das ist ja im Kern das Problem, weil uns natürlich die
Headquarters mit entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsabteilungen fehlen und eben auch die Konzernzentralen, die aufgrund der Wertschöpfungskette
Steuereinnahmen für die Länder generieren würden. Insofern ist es an der Stelle unsere Hauptaufgabe, dass wir
weiter am Transformationsprozess arbeiten.
Ich bin auf die unterschiedlichen Renten eingegangen. Ich bin auch auf die unterschiedlichen Löhne eingegangen. Die Lohnhöhe ist nach wie vor ein großes Problem. Wir reden über einen durchschnittlichen Abstand
von 20 Prozent zwischen den Löhnen in Ost und West.
Wir wissen, dass der Abstand in einzelnen Branchen
sehr viel größer ist, in anderen Branchen aber auch kleiner. Wenn wir uns das genau anschauen - damit komme
ich noch einmal auf die Fragen von Herrn Kühn und
Frau Baerbock zurück - und uns insbesondere dem
Aspekt Fachkräfte zuwenden, dann wird klar, dass das
Thema Einkommen im Zusammenhang mit der Gewinnung von Fachkräften und Führungspersonal in Ostdeutschland ganz entscheidend ist. Wer gute Ingenieurinnen und Ingenieure in Ostdeutschland halten will, der
wird sie auch gut bezahlen müssen. Insbesondere in der
Großindustrie bzw. in größeren Betrieben manifestiert
sich dieses Problem. Das Einkommensniveau liegt in
diesem Bereich erst bei 73 Prozent des Westniveaus.
Entscheidend ist, dass wir in diesem Bereich hinsichtlich
der Angleichung der Einkommensverhältnisse weiter
vorankommen.
Ansonsten möchte ich noch einmal Folgendes betonen: Wenn ich mich in meiner Thüringer Heimat umschaue, sehe ich sehr wohl, wie sich der Lebensstandard
aller Menschen und nicht nur der, die ein höheres Einkommen beziehen, an das Westniveau angeglichen hat.
Ich glaube - das wird auch deutlich, wenn man sich die
aktuellen Umfrageergebnisse ansieht -, dass die Ostdeutschen durchaus sehen und anerkennen, dass sich viel
getan hat. Das heißt aber nicht, dass wir nicht weiter danach schauen, wo es nach wie vor die großen Abers und
Probleme gibt. Gerade das tut diese Bundesregierung.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich will Sie
ausdrücklich unterstützen. Ich finde es gut, dass Sie in
Ihrem Bericht nicht nur die harten Fakten genannt haben, die natürlich wichtig sind - Arbeitslosigkeit, soziale
Standards -, sondern auch auf das kulturelle Umfeld der
Veränderungen aufmerksam gemacht haben. Das ist ein
neuer Ton; den finde ich sehr gut.
Finden Sie nicht auch, dass der Umstand, dass in Thüringen möglicherweise ein Mitglied der Linken zum Ministerpräsidenten gewählt wird, ein Ausdruck dafür ist,
dass sich das kulturelle Umfeld in diesem Land im positiven Sinne entwickelt hat? Es handelt sich um ein westdeutsches Mitglied.
({0})
Herr Kollege Gehrcke, die Thüringer SPD wird sich
in Sondierungsverhandlungen mit der CDU und auch
mit den Linken und den Grünen unterhalten. Wenn Sie
den - so sage ich es einmal - Zuwanderer Bodo
Ramelow ansprechen,
({0})
sage ich: Wir freuen uns über Zuwanderung nach Ostdeutschland. Wir sind sehr froh darüber, dass sich außer
den vielen Studentinnen und Studenten, die in den letzten Jahren gekommen sind, auch eine ganze Menge anderer aufgrund der verbesserten Lebensqualität Ostdeutschland zuwenden.
({1})
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Daniela
Kolbe, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Vielen Dank für
die Vorlage des Berichts zum Stand der deutschen Einheit. Er kommt zum rechten Zeitpunkt. Er wird nicht nur
rechtzeitig zu den 25-Jahr-Feiern vorgelegt, zum Beispiel anlässlich der Großdemonstration in Leipzig am
9. Oktober 1989, sondern auch in einer spannenden
Phase der Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Ich denke, dass in dem Bericht einige
spannende Fakten zur Steuerkraft der ostdeutschen Wirtschaft und zu den Steuereinnahmen sowie zur Wirtschaftskraft und Wirtschaftsstruktur in den neuen Bundesländern zu finden sind.
Ich habe zwei Fragen:
Erstens. Diese Bundesregierung hat einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt, der insbesondere in den neuen Bundesländern greifen wird. Können Sie mir darlegen, welche Auswirkungen dieser
Mindestlohn Ihrer Einschätzung nach haben wird, womöglich auch auf die Angleichung der Rentensysteme in
Ost und West?
Meine zweite Frage stelle ich angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen: Inwiefern
halten Sie Programme für eine lebendige Demokratie
weiter für notwendig? Können Sie noch einmal darlegen, was diesbezüglich geplant ist?
Vielen Dank.
Schönen Dank. - Was Programme für mehr Demokratie und Teilhabe angeht: Da wurde einiges auf den
Weg gebracht. Verschiedene Häuser sind beteiligt und
engagieren sich auf diesem Gebiet. Das Ministerium von
Frau Schwesig zum Beispiel oder auch die BKM bemühen sich immer wieder, durch Programme deutlich zu
machen, wie Demokratie und Teilhabe funktionieren.
Der Engagementbericht hat ja gezeigt, dass sich immer
mehr Menschen in Ostdeutschland engagieren und in
den verschiedensten Vereinen einbringen. Ich glaube,
auch das gehört ein Stück weit zur veränderten Lebensqualität dazu. Ich bin jetzt nicht in der Lage, im Einzelnen die Programme herunterzurattern, aber wir werden
sicherlich im Ausschuss und in den Fraktionen Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Es gibt ja einiges,
was an ganz verschiedenen Stellen schon auf den Weg
gebracht wurde.
Thema Mindestlohn. Natürlich wird der Mindestlohn
in Ostdeutschland eine positive Wirkung haben. Denn
überproportional viele Ostdeutsche, die bisher deutlich
weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient haben, werden davon profitieren. Ich glaube, dass sich dann auch
der Lohnabstand in den normalen Tarifbereichen verringern wird. Dazu gehört, dass wir für eine größere und
stärkere Tarifbindung in Ostdeutschland werben; sie ist
dort deutlich geringer als in den alten Bundesländern. In
diesem Zusammenhang muss ich auch sagen, dass das
getrennte Rentenrecht an dieser Stelle von Vorteil für
Ostdeutschland ist. Denn dadurch, dass mehr Ostdeutsche vom Mindestlohn profitieren, wird es in der Folge
eine größere Steigerung der Renten in Ostdeutschland
geben. Dadurch wird die Lücke ein Stück weiter geschlossen. Insofern profitieren auch die ostdeutschen
Rentnerinnen und Rentner vom Mindestlohn. Wir wollen natürlich trotzdem ein einheitliches Rentenrecht
schaffen; aber im Moment sieht die Analyse so aus.
Sie haben vollkommen recht: Löhne und Einkommen
haben natürlich auch Auswirkungen auf die Länderhaushalte. Sie sprachen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen
an. Man muss rekapitulieren, dass Ostdeutschland nur
62 Prozent der Steuerkraft der vergleichbaren finanzschwachen Flächenländer in Westdeutschland hat. Das
muss man einfach zur Kenntnis nehmen, wenn man jetzt
in die Verhandlungen geht. Uns muss es darum gehen,
ein wirklich solidarisches System der Bund-LänderFinanzbeziehungen zu schaffen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass Herr Schneider uns da helfen wird.
Danke schön. - Der Abgeordnete Stephan Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen, hat sich zu einer weiteren Frage
gemeldet. Bitte.
Frau Staatssekretärin, ich wollte noch auf die Themen
Engagementbereitschaft und Initiative vor Ort zu sprechen kommen. Wie kann man Eigeninitiative stärken,
sozusagen eine Kultur der Selbstständigkeit entwickeln?
Der vorletzte zuständige Minister, Thomas de Maizière,
hatte in der zurückliegenden Legislaturperiode ja Regionalbudgets vorgeschlagen, um die Verantwortung ein
Stück weit an die Regionen abzugeben; von Berlin aus
wissen wir ja nicht, was das Beste und Richtige ist. Er
Stephan Kühn ({0})
wollte auch in diesem Bereich die Rahmenbedingungen
so verändern, dass die Leute selber entscheiden können.
Wie ist Ihre Position dazu? Gibt es in der Regierung
Überlegungen dazu? Findet da in dieser Legislaturperiode noch Regierungshandeln statt?
Die zweite Frage. Das Programm „Stadtumbau Ost“
läuft 2016 aus. Ob man 25 Jahre nach der Wende Stadtumbauprogramme noch nach Ost und West, also nach
Himmelsrichtungen, benennen muss, sei dahingestellt.
Aber klar ist: Die Aufgabe Stadtumbau steht unverändert
an, Revitalisierung der Innenstädte, Rückbau etc. Das
Thema ist also 2016 nicht erledigt. Daher frage ich: Was
wird aus dem Programm, wenn es 2016 planmäßig ausläuft? Wird es verlängert? Wie geht es damit weiter?
Zunächst zum Thema Engagement. Ich glaube, dass
die Finanzausstattung von Ländern und Kommunen eine
zentrale Voraussetzung ist, um auch in ländlich strukturierten Regionen, die nicht immer, aber sehr häufig
strukturschwache Regionen sind, Engagement zu fördern. Deshalb ist für mich im Moment die zentrale
Frage: Was passiert bei den Verhandlungen zu den
Bund-Länder-Finanzbeziehungen? Schaffen wir es, an
der Stelle für eine vernünftige Ausstattung zu sorgen?
Ob sich Programme daraus entwickeln lassen, will ich
dahingestellt sein lassen. Ich persönlich finde es spannend, über Regionalbudgets nachzudenken. Wir haben
auch schon im Kulturbereich über solche Projekte nachgedacht. Dies muss sich aber noch ergeben. Herr Kühn,
nehmen Sie es mir nicht übel, aber heute kann ich für die
Bundesregierung keine Aussage dazu treffen, weil wir
dies natürlich auch in unterschiedlichen Ressorts zu bewerten und zu entwickeln haben. Da bitte ich herzlich
um Verständnis.
Das Programm „Stadtumbau Ost“ hat seit 1999 - seitdem gibt es das Programm - eine gigantische Aufgabe
erfüllt. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich persönlich einen Anteil daran gehabt habe, dass es zu einem solch erfolgreichen Programm geworden ist. Wir haben in den
Koalitionsverhandlungen vereinbart, die Bezeichnungen „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ abzuschaffen - wir hatten das Programm ja später auch für
Westdeutschland eingeführt - und die Benennung zu
vereinheitlichen. Dabei werden wir aber eine besondere
Förderung für Ostdeutschland, weil die Aufgaben dort
noch größer sind, beibehalten. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass diese Vereinheitlichung unter
Beibehaltung der Intention des Korbs II, also der überproportionalen Ausgaben, erfolgt.
Wir werden sicherlich darüber zu reden haben - ich
bin gespannt, was dazu in den Fachausschüssen diskutiert wird; es liegt ja nicht in unserem Ressort -, wie es
weitergeht. Eine Aufgabe bleibt die, ich will es mal so
sagen, Anpassung an veränderte Bedingungen, was die
Zuwanderung bzw. die Abwanderung betrifft. Wir haben
ja Städte, die Zuwanderung erfahren, Dresden zum Beispiel; diese Städte stehen unter einem ganz anderen
Druck, was beispielsweise den Wohnungsneubau angeht. Auf der anderen Seite haben wir nach wie vor Regionen, die sich entleeren. Diesen Befund gibt es übrigens in Westdeutschland genauso. Deshalb muss man
natürlich schauen, dass man entsprechende Förderinstrumentarien zur Verfügung stellt. Bei sich entleerenden
Regionen ist der Anpassungsdruck sicherlich deutlich
größer; denn dort muss die öffentliche Daseinsvorsorge
von den wenigen Bürgern, die dann noch dort leben,
finanziert werden können. Darüber werden wir uns unterhalten müssen.
Die Abgeordnete Annalena Baerbock hat sich auch
noch zu einer Frage gemeldet. - Bitte schön.
Im letzten Bericht hat die Energiewirtschaft eine
große Rolle gespielt, weil die ostdeutschen Länder hier
Vorreiter waren, insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir hatten schon damals festgestellt,
dass es aufgrund der Änderungen im EEG vor allen Dingen im Bereich der Solarwirtschaft zu einem massiven
Einbruch und auch zu einer Abwanderung von Firmen
gekommen ist. Liegt Ihnen eine Analyse vor, wie sich
die jetzigen Änderungen des EEG auswirken werden
- wieder ist der Bereich Photovoltaik stark betroffen -,
gerade im Hinblick auf die Arbeitsplätze in der Region?
Der zweite Punkt. Die Stromkosten sind in Ostdeutschland tendenziell ein Stück höher, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben wurde
und die Modernisierung der Energienetze vor allen Dingen über die Netzentgelte bezahlt wird. Es gibt Initiativen aus den Ländern - auch aus dem Bundesland, aus
dem ich komme, aus Brandenburg -, über die Netzentgelte zu sprechen. In welcher Form greifen Sie das als
auch dafür zuständiges Ministerium auf, und wie wollen
Sie diesem aus meiner Sicht berechtigten Anliegen der
ostdeutschen Länder nachkommen?
Frau Baerbock, Sie haben vollkommen recht: Die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ist in
Ostdeutschland ein ganz wichtiger Wirtschaftszweig geworden. In Brandenburg hat sich das Verhältnis zwischen Braunkohle und erneuerbaren Energien in den
letzten Jahren zugunsten der erneuerbaren Energien verändert. Das ist ein positiver Befund, gar keine Frage.
Wir sehen es nicht so, dass wir mit der Novelle des
EEG den erneuerbaren Energien sozusagen den Stecker
ziehen. Wir verhelfen den erneuerbaren Energien mit
den klaren Vorgaben, die im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgelegt wurden, auch in Zukunft zu einem vernünftigen Ausbau.
Wichtig ist aber auch, dass wir die Kostendynamik,
die durch die EEG-Umlage entstanden ist, brechen
mussten. Das ist nicht nur für die westdeutsche Wirtschaft wichtig gewesen, sondern gerade auch für die ostParl. Staatssekretärin Iris Gleicke
deutsche Wirtschaft, die natürlich durch die hohen
Strom- bzw. Energiepreise belastet wird.
Nun haben Sie einen besonderen Punkt angesprochen: Tatsächlich sind die Netzentgelte in Ostdeutschland deutlich höher. Das hat etwas damit zu tun, dass
Anfang der 90er-Jahre eine Sanierung der maroden Infrastruktur anstand. Diese Sanierungsleistungen werden
nach wie vor auf die regionalen Stromkunden umgelegt.
Hinzu kommt, dass das Mehr an Energie, das in Ostdeutschland produziert, aber nicht verbraucht wird und
somit in andere Bundesländer transportiert werden muss,
einen gewissen Netzausbau erforderlich macht, welcher
auch hauptsächlich regionale Stromkunden trifft. Deshalb steht in dem Bericht auch ganz klar, dass das System der Netzentgelte überprüft werden soll und gegebenenfalls im Zuge der Energiewende an die gewandelten
Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Wir müssen nur - das ist auch ganz klar - darauf achten, dass
Ostdeutschland an dieser Stelle nicht doppelt bezahlt;
schließlich sind wir da einen ganzen Schritt vorangekommen.
Ich glaube, dass die Aussagen im Bericht insgesamt
zum EEG Ihr besonderes Interesse finden sollten.
Wir sind zwar schon fast am Ende der Befragung der
Bundesregierung; aber ich lasse noch die Frage vom
Kollegen Harald Petzold, Fraktion Die Linke, zu. - Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich würde gerne auf
die gerade gestellte Frage zurückkommen. Denn eigentlich haben Sie nicht beantwortet, wie Sie mit den Vorschlägen der Bundesländer, was die Ungerechtigkeit der
Umlage der Netzausbaukosten lediglich auf diejenigen
Stromkunden betrifft, in deren Bereich das Netz ausgebaut wird, umgehen wollen. Die ostdeutschen Länder
schlagen seit mindestens 2009 beispielsweise vor, dass
die Kostenwälzung gesamtdeutsch erfolgen muss. Welche Position vertritt die Bundesregierung hier?
Die Position der Bundesregierung steht auf Seite 33
des Berichtes. Da heißt es:
Das System der Netzentgelte soll daher überprüft
und ggf. an die im Zuge der Energiewende gewandelten Rahmenbedingungen angepasst werden.
Es ist auch Aufgabe dieses Berichtes, dies zu dokumentieren. Wir kennen den Befund in Ostdeutschland
natürlich; gleichwohl ist es nicht Aufgabe des Berichtes,
Bundesratsverhandlungen sozusagen vorwegzunehmen.
Danke schön. - Gibt es weitere Fragen zu anderen
Themen der Kabinettssitzung oder sonstige Fragen an
die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich diesen Tagesordnungspunkt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksache 18/2567
Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer bereit.
Die Fragen 1 und 2 hat der Abgeordnete Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke, gestellt.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gehrcke auf:
Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu den, nach
mir vorliegenden Informationen, auf der Beratung des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, AStV,
am 10. September 2014 erhobenen Forderungen, dass die
Europäische Union mit einer Listung von Journalistinnen und
Journalisten auf die neue „unkonventionelle Art der Kriegsführung“ antworten müsse?
Frau Staatsministerin, bitte.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung
hat sich in der genannten Sitzung im Rahmen einer allgemeinen Aussprache zur möglichen Listung von Journalisten und Propagandisten mit Blick auf Bedenken im
Hinblick auf eine mögliche Einschränkung der Meinungsfreiheit zurückhaltend geäußert.
Eine Listung soll aus Sicht der Bundesregierung
grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn einer Person die
Beteiligung an Aktivitäten, die den EU-Listungskriterien
entsprechen, gerichtsfest nachgewiesen werden kann.
Dies betrifft beispielsweise die aktive Unterstützung der
Destabilisierung der Ukraine. Eine Listung allein aufgrund der Tatsache, dass eine Person journalistisch tätig
ist, schließt sich für die Bundesregierung aus. Die vollständige Übersicht der aktuellen Listungskriterien findet
sich im EU-Ratsbeschluss vom 8. September 2014.
Darf ich die Antwort auf die zweite Frage gleich anschließen?
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke auf:
Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung eine Listung
von Journalistinnen und Journalisten nicht mit dem Verweis
auf das Grundgesetz generell abgelehnt hat, sondern nur auf
die Schwierigkeit einer „Unterscheidung zwischen Journalismus und Propaganda“ verwiesen hat?
Es handelte sich um eine grundsätzliche Aussprache
zur möglichen Listung von Journalisten oder Propagandisten, die an Aktivitäten beteiligt sind, die den Listungskriterien der Europäischen Union entsprechen. Solche Aktivitäten betreffen beispielsweise die aktive
Unterstützung der Destabilisierung der Ukraine, wie ich
bereits ausgeführt habe.
Die Einlassung Deutschlands erfolgte zu einem Zeitpunkt, als unter anderem der Vertreter des EAD bereits
klargestellt hatte, dass eine Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht hinnehmbar sei - eine Position, zu
der in der EU ohnehin Einigkeit besteht. Die Linie des
EAD wurde im Raum allgemein unterstützt. Deutschland hat, wie andere Partner, ergänzend darauf hingewiesen, dass eine Differenzierung zwischen Journalisten
und Propagandisten oft nur schwer möglich ist. Deutschland hat zudem betont, dass mit Blick auf eine mögliche
Listung in jedem Fall eine Einzelfallprüfung und eine
gerichtsfeste Listenbegründung erforderlich sind. Eine
Listung allein aufgrund der Tatsache, dass eine Person
journalistisch tätig ist, schließt sich aus Sicht der Bundesregierung aus.
Der Abgeordnete Gehrcke hat jetzt das Recht auf vier
Nachfragen. Das heißt nicht, dass er sie alle stellen
muss; aber er darf sie stellen. - Ihre erste Nachfrage,
bitte.
Herr Präsident, das konnte ich ja eben fast wie eine
Aufforderung verstehen.
Das war ein Hinweis.
({0})
Herzlichen Dank. - Frau Staatsministerin, finden Sie
es nicht in einem gewissen Umfang befremdlich, dass im
21. Jahrhundert in einem Leitungsgremium der Europäischen Union überhaupt über die Listung von Journalisten debattiert wird? Ich habe das Protokoll gelesen.
Einige haben sich ja sehr deftig für die Listung ausgesprochen. Ich stimme Ihnen zu: Die Bundesregierung
war etwas zurückhaltend. Aber ich denke, es ist berechtigt, zu fragen: Passt das aus Sicht der Bundesregierung
ins 21. Jahrhundert, oder passt das nicht?
Kollege Gehrcke, ich glaube, das hat nichts mit dem
21. Jahrhundert zu tun, sondern es geht um die entsprechenden Aktivitäten. Ich betone noch einmal sehr deutlich, dass die bloße Tätigkeit als Journalist auf keinen
Fall ein hinreichendes Kriterium ist. Ein Journalist kann
aber auch anders als journalistisch handeln, und darum
geht es hier.
Noch eine Zusatzfrage.
Genau für den Fall, dass zu Gewalt oder Ähnlichem
aufgerufen wird, gibt es das Strafrecht. Das hat ja nichts
mit diesem Bereich zu tun.
Die Bundesregierung will, dass zwischen Propagandisten und Journalisten unterschieden wird. Eine solche
Unterscheidung wäre übrigens, wenn man so manchen
Artikel liest, zum Teil auch in der Innenpolitik gut. Welche Auswirkungen wird die Festlegung, dass eine solche
Unterscheidung vorgenommen werden soll, nach Meinung der Bundesregierung auf osteuropäische Journalisten in Deutschland haben?
Ich wiederhole gerne das, was ich schon gesagt habe
- auf Ihre Fragen habe ich Ihnen bereits eine Antwort
gegeben -: Wir haben sehr deutlich gesagt, dass es Listungskriterien gibt, die sich im EU-Ratsbeschluss wiederfinden, und wir legen großen Wert darauf, dass entsprechende Aktivitäten auch gerichtsfest nachgewiesen
werden können.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Jetzt kommt die
dritte.
Ihr Kollege, Herr Staatsminister Roth, war heute im
Auswärtigen Ausschuss sehr viel deutlicher. Er hat gesagt: Es kommt nicht infrage, dass Journalisten gelistet
werden. - Ich will Ihre Antwort auch so verstehen. Weil
ich möchte, dass die russischen und anderen Kollegen,
die hier arbeiten, eine gewisse Rechtssicherheit haben
- dafür muss die Bundesregierung sorgen -, frage ich
aber noch einmal: Darf ich Ihre Antwort so verstehen,
dass die reine journalistische Tätigkeit nicht zu einer
Listung führen wird?
Es gibt zwischen meiner Auffassung und der des Kollegen Roth keinen Unterschied; die gesamte Bundesregierung ist der gleichen Auffassung. Ob Sie jetzt das
Wort „reine“ oder „bloße“ benutzen - ich habe es schon
einmal gesagt -: Die bloße bzw. die reine Tätigkeit als
Journalist ist auf keinen Fall ein hinreichendes Kriterium.
Ich habe eine letzte Frage zu diesem Bereich.
Bitte schön.
Wie würde man es Ihrer Ansicht nach in Deutschland
einschätzen, wenn die russische Regierung über eine
mögliche Listung deutscher Journalistinnen und Journalisten in Russland für den Fall, dass sie dieses oder jenes
nicht beachten, überhaupt nur debattieren würde? Ich
würde so etwas entsetzlich finden, und ich hoffe, die
Bundesregierung auch.
Bitte, Frau Staatsministerin.
Wir legen selbstverständlich die gleichen Maßstäbe
an.
Schönen Dank. - Wir kommen damit zur Frage 3 des
Abgeordneten Harald Petzold ({0}), Fraktion Die
Linke:
Begrüßt die Bundesregierung die geplante Berufung des
ungarischen Außenministers Tibor Navracsics zum neuen
EU-Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft angesichts seiner „Verdienste“ um Demokratieabbau, die Einschränkung der Pressefreiheit und die staatliche
Bevormundung von Kunst und Kultur in seinem Heimatland
Ungarn ({1})?
Frau Staatsministerin, bitte.
Ich möchte Ihnen folgende Antwort auf Ihre Frage
geben: Die Bundesregierung kommentiert die Nominierung anderer EU-Regierungen für das Amt eines Kommissars nicht.
Kollege Petzold, bitte.
Sie sind sich natürlich darüber im Klaren, dass damit
jemand berufen wird, der gerade für die Themenbereiche, für die er verantwortlich sein soll, erhebliche Maßnahmen mit zu verantworten hat, die von der Bundesregierung früher durchaus schon einmal kritisiert worden
sind. Insofern interessiert mich hier noch einmal Ihre
Stellungnahme dazu, inwieweit Sie sich wirklich darüber bewusst sind.
Ich bleibe dabei, dass wir das nicht kommentieren.
Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Kekeritz und die
Fragen 6 und 7 des Kollegen Nouripour werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Volker Beck
({0}), Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob der Belgrad Pride genehmigt bzw. mit der Begründung erneut abgesagt wird, dass
die Polizei nicht willens oder in der Lage sei, die Teilnehmer
vor Gewalt von Homosexuellenfeinden zu schützen, und wie
rechtfertigt die Bundesregierung die Einstufung von Serbien
als sicheres Herkunftsland, wenn der Staat nicht willens oder
in der Lage ist, seine Bürger vor gewalttätigen Übergriffen zu
schützen?
Frau Staatsministerin, bitte.
Ja, gerne. - Herr Kollege Beck, der Bundesregierung
ist derzeit nicht bekannt, ob die für den 28. September 2014 geplante Pride Parade in Belgrad stattfinden
können wird. In den vergangenen Jahren - das wissen
Sie - erfolgte die Absage jeweils sehr kurzfristig.
Die Bundesregierung hat gegenüber der serbischen
Regierung in verschiedenen Gesprächen in den letzten
Tagen klar die Erwartung formuliert, die Parade nicht zu
verbieten und die Teilnehmer zu schützen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik
und Humanitäre Hilfe, Herr Kollege Strässer, besuchte
Belgrad vom 11. bis 14. September 2014 anlässlich einer
LGBTI-Konferenz. Er hat dort mit dem Premierminister
und dem Innenminister über das Thema Pride Parade gesprochen.
Sie fragen auch nach sicheren Herkunftsstaaten. Bei
sicheren Herkunftsstaaten wird vermutet, dass keine
politische Verfolgung existiert. Dies ist im Einzelfall widerlegbar, schließt also eine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung nicht aus, wenn der Asylbewerber im Einzelfall
darlegen kann, dass er Verfolgungsmaßnahmen unterliegt. Dadurch wird eine bessere Fokussierung auf Verfolgungsschicksale ermöglicht. Bosnien und Herzegowina,
Serbien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien haben deutliche Fortschritte beim Aufbau demokratischer Strukturen gemacht. Systematische Verfolgung politisch Andersdenkender oder gesellschaftlicher
Minderheiten ist dort nicht gegeben.
Sie kennen die Begründung, warum die serbische Regierung seit 2011 alle Paraden untersagt hat: 2010 ist
eine Parade in Chaos und in massiver Gewalt untergegangen. - Bislang hat die serbische Regierung die Nichtgenehmigung dieser Parade immer wieder damit begründet, sie könne - in Klammern: sie wolle - diese
Veranstaltung nicht vor rechter Gewalt schützen und untersage sie deshalb.
Sind Sie als Bundesregierung nicht auch der Auffassung, dass eine solche Argumentation, wenn sie erneut
zur Einschränkung der Rechte serbischer Bürger durch
ein Demonstrationsverbot führen würde, faktisch nichtstaatlicher Verfolgung nahekommt, da sozusagen die
Grundrechte nicht gewährt werden und die Menschen,
wenn sie die Grundrechte dennoch wahrnehmen, ungeschützt der rechtsradikalen Gewalt auf Belgrads Straßen
ausgesetzt werden?
Herr Kollege Beck, ich teile die Schlussfolgerung so
nicht. Aber ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen, dass
wir uns vonseiten der Bundesregierung - das wissen Sie
auch aus verschiedenen Gesprächen; wir haben uns da4844
rüber am Rande auch schon unterhalten - bei der serbischen Regierung sehr dafür einsetzen, dass diese Parade
stattfinden kann. Ich bin dem Kollegen Strässer auch
sehr dankbar dafür, dass er sich in Gesprächen immer
wieder so intensiv darum bemüht. Auch vonseiten der
Botschaft erfolgt dies. Die serbische Regierung sagt uns
in Reaktion darauf immer wieder, sie werde nur kurzfristig aufgrund der Lageeinschätzung handeln können.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir auch vonseiten der
Bundesregierung deutlich für das Stattfinden dieser Parade eintreten.
Zweite Zusatzfrage.
Ich kenne den Einsatz von Herrn Strässer gut. Wir
waren nämlich gemeinsam auf derselben Veranstaltung
in Belgrad.
Sehr schön.
Diese Veranstaltung war weniger schön, Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen
Amt:
Das meinte ich damit nicht.
- weil ein deutscher Teilnehmer an dieser Veranstaltung auf den Straßen in Belgrad mit einem Aschenbecher angegriffen wurde, hinfiel und danach wegen einer
Gehirnblutung nur durch eine Notoperation gerettet werden konnte. Er ist jetzt Gott sei Dank in einer Spezialklinik in Deutschland, und wir wollen hoffen, dass er das
Ganze ohne Schäden übersteht. Das ist aber überhaupt
nicht gewiss.
Die Reaktionen der serbischen Behörden waren, dass
sie deutschen Stellen gegenüber im Hinblick auf die Parade argumentiert haben: Angesichts dieser Gewalt können wir niemanden schützen.
Ich finde, ein Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger
vor Gewalttaten nicht schützen will und sagt: „Bei Veranstaltungen auf der Straße kann kein hundertprozentiger Schutz gewährleistet werden“, erfüllt nicht die Kriterien eines sicheren Herkunftslandes. Deshalb würde ich
Sie, weil ja Bundestag und Bundesrat auf Initiative Ihrer
Regierung nun festgestellt haben, dass Serbien ein sicheres Herkunftsland ist, noch einmal fragen, wie Sie denn
reagieren werden, sollten die Belgrader Behörden bzw.
die serbische Regierung sich jetzt nicht entschließen
können, diese Veranstaltung zu genehmigen. Ich finde,
das können Sie jetzt eigentlich nicht mehr hinnehmen;
denn Sie haben Verantwortung übernommen, indem Sie
Bundestag und Bundesrat diese Einstufung vorgeschlagen haben, die nun auch vom Gesetzgeber vollzogen
wurde.
Herr Kollege Beck, Sie sprechen hier ja verschiedene
Dinge an. Wenn ich eben sagte, wir hätten uns kurz ausgetauscht, dann stand das auch im Zusammenhang mit
den Angriffen auf diesen jungen Mann. Ich war sehr betroffen, als ich von diesem Vorfall gehört habe. Ich habe
mich in unserem Haus noch einmal sehr kundig gemacht, wie vonseiten der deutschen Botschaft vor Ort
reagiert worden ist. Sie wissen, dass der deutsche Botschafter persönlich den Betroffenen im Krankenhaus besucht hat. Wir haben uns also sehr intensiv gekümmert.
Ich sage nicht, dass das eine Selbstverständlichkeit ist,
sondern es ist Ausdruck einer besonderen Achtung, dass
man sich kümmert. Ich hoffe genauso wie Sie, dass er
auf dem Weg der Besserung ist und dass keine bleibenden Schäden zurückbleiben. - Das ist das eine, was uns
umtreibt.
Das andere, worauf Sie mit Ihrer Frage eigentlich abzielen, ist die Sache mit den sicheren Herkunftsstaaten.
({0})
- Ich habe eben sehr deutlich gemacht, wie die Haltung
der Bundesregierung hierzu ist. Ich betone noch einmal,
dass wir uns immer wieder und sehr nachhaltig dafür
einsetzen, dass diese Parade durchgeführt werden kann
und auch durchgeführt wird. Aber ich will trotzdem noch
einmal, weil das in Ihrer Frage mitschwingt - Stichwort
„sicherer Herkunftsstaat“; Sie haben das eben mit angesprochen -, auf die Entscheidung des Bundesrates vom
vergangenen Freitag verweisen; auch Sie diskutieren ja
innerhalb Ihrer Partei mit dem Ministerpräsidenten des
Landes Baden-Württemberg darüber.
Ich möchte Ihnen, was die Frage eines sicheren Herkunftsstaates angeht, die sehr ausführlichen Erläuterungen der Bundesregierung in dem Gesetz zur Einstufung
weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten ans Herz
legen. Hier wird deutlich, dass diese Einstufung sehr,
sehr gründlich geprüft wurde und nicht aus der Lamäng
heraus entschieden worden ist.
({1})
Lieber Kollege Beck, es ist jetzt gut.
Die Frage 9 der Abgeordneten Heike Hänsel und die
Fragen 10 und 11 der Abgeordneten Sevim Dağdelen
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Fraktion Die Linke, auf:
Vizepräsident Peter Hintze
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Unterstützung des „Islamischen Staats“, IS, oder von mit dem
IS verbündeten Kräften durch die Türkei ({0}), wie dies kürzlich auch das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, Civaka Azad, in
Frankfurt am Main berichtete ({1}), und welche Konsequenzen zieht
sie aus derartigen Erkenntnissen oder Berichten für die Beziehungen zum NATO-Partner Türkei?
Zur Beantwortung, Frau Staatsministerin, bitte.
Gerne. - Die Bundesregierung, Herr Kollege Hunko,
hat diesbezüglich keine eigenen Erkenntnisse. Der türkische Außenminister versicherte bei seinem Besuch in
Berlin am 18. September dieses Jahres, dass die Türkei
potenziellen IS-Kämpfern die Einreise in die Türkei verwehre und bereits etwa 1 000 insoweit verdächtige Personen ausgewiesen habe.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hunko?
Vielen Dank, Frau Dr. Böhmer. Dieses sehr aktuelle
Thema werden wir auch morgen hier diskutieren. - Vor
einigen Tagen wurden türkische Geiseln aus den Händen
des IS befreit - Gott sei Dank. Haben Sie irgendwelche
Erkenntnisse darüber, was der Deal hinter dieser Geiselbefreiung war, auf welcher Grundlage die Geiseln plötzlich freigekommen sind? Auch Erdogan hat angedeutet,
dass es hier möglicherweise Absprachen gegeben hat.
Haben Sie darüber irgendwelche Erkenntnisse?
Ich kenne, wie Sie auch, die Mutmaßungen dazu in
der Presse. Aber ich kann Ihnen dazu nicht aus eigener
Erkenntnis eine Antwort geben.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Hunko?
Ja, eine Zusatzfrage zum Thema der Flüchtlingslager
in der Türkei. Ich selbst habe Flüchtlingslager an der
syrischen Grenze besuchen können, die, soweit sie zugänglich sind, vom humanitären Standpunkt einen guten
Eindruck machen. Es ist eine große Leistung, so viele
Flüchtlinge aufzunehmen.
Allerdings hat man mir von quasioffizieller türkischer
Seite signalisiert, dass es auch andere Lager gibt, die für
uns nicht zugänglich sind und die auch für die Unterstützung von islamischen Dschihadisten genutzt wurden,
zum Beispiel in Reyhanli in der Provinz Hatay. Haben
Sie darüber irgendwelche Erkenntnisse?
Mir ist darüber jetzt nichts bekannt. Aber wenn Sie
konkreter werden könnten und nicht nur Vermutungen
aussprechen, dann dürfen Sie uns das gerne direkt mitteilen.
Das darf er jetzt nicht mehr, aber er kann das sicherlich hinterher tun.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 13 des Kollegen Hunko soll
schriftlich beantwortet werden. Gilt das noch? - Ja.
Dann verlassen wir diesen Geschäftsbereich und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz. Hier stehen die
Staatssekretäre Lange und Kelber zur Beantwortung zur
Verfügung. Die Fragen 14, 15, 17 und 18 beantwortet
der Parlamentarische Staatssekretär Lange, Frage 16 der
Parlamentarische Staatssekretär Kelber.
Die Frage 14 des Abgeordneten Volker Beck soll
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 15 der Abgeordneten Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen:
Wo und wie genau beabsichtigt der Bundesminister der
Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, geläuterten
Dschihadisten aus dem Irak und aus Syrien zu helfen ({0})?
Herr Staatssekretär Lange, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Künast,
der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz
hat in einem Interview vom 12. September 2014 zum
Problem deutscher Dschihadisten im Irak und in Syrien
erklärt - ich zitiere -:
Wir haben es mit einem ganz neuen Phänomen zu
tun. Fertige Antworten gibt es nicht. Unter den
Rückkehrern sind vielleicht auch solche, die dem
Terror abschwören wollen, weil sie erkannt haben,
auf welchem Irrweg sie waren. Man wird sich darüber unterhalten müssen, wie diese wieder den
Weg zurück in die Realität finden können. Denen
muss man Angebote machen, Hilfe geben. Wer aber
hierher zurückkommt mit der Absicht, Straftaten zu
begehen, der wird die volle Härte des Strafrechts
spüren.
Zitatende.
Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hat damit einen Denkanstoß für eine weitere gesamtgesellschaftliche Debatte gegeben, wie über bereits
bestehende Ausstiegshilfen hinaus Rückkehrern speziell
aus Irak und Syrien, die dem Terror abschwören wollen,
geholfen werden und ihre Reintegration in die Gesellschaft vorbereitet werden kann.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Danke, Herr Staatssekretär. - Ich nehme zur Kenntnis, dass an dieser Stelle wie auch an vielen anderen
Stellen der Minister Denkanstöße gegeben oder Ankündigungen gemacht hat. - Das Mikro rutscht immer wieder nach unten.
Das ist absolut eine Einschränkung der Opposition
- das sehe ich ein -, aber die Technik wird dafür sorgen,
dass es bis zum nächsten Mal funktioniert.
Gut. Aber ich schaffe es noch so lange. Ich halte es
einfach fest.
Also, es gibt eine Menge von Ankündigungen. Manchmal vermisse ich, dass der Ankündigung dann auch die
Umsetzung bzw. eine Vorlage folgt. Wenn jemand einen
Denkanstoß gibt, dann wird der Denkanstoß doch sicherlich schon eine Idee beinhalten. Der Staat sollte ein Bündel an Maßnahmen für Aussteigerhilfen schnüren. Das
habe ich, glaube ich, bei Spiegel Online als Aussage des
Ministers gelesen.
Deshalb frage ich: Was beinhaltet das? Beinhaltet das,
dass man zum Beispiel wie früher bei anderen Terrorgruppen entsprechende Anlaufstellen bei Verfassungsschutzämtern und Polizeidienststellen hat? Beinhaltet
das, dass es ein Aussteigerprogramm gibt wie das Programm Exit für den Bereich Rechtsextremismus, das
dann dementsprechend entweder vom Justizministerium
oder von anderen Stellen gefördert wird? Beinhaltet das,
dass man sich gemeinsam mit den Familien und muslimischen Gemeinden, die sich teilweise auch um ihre
Mitglieder sorgen - über die Ausnahmen unter ihren
Mitgliedern, würde ich sagen -, Gedanken macht und
vielleicht auch Ideen hat, wo man ansetzen kann?
Ist das alles darin mit enthalten und führt es, weil es
ein dringendes Problem ist, noch in der laufenden Haushaltsberatung zu Vorlagen oder Finanzierungsvorhaben
für das Jahr 2015? Das muss schließlich irgendwie zu
der angekündigten schwarzen Null passen.
Herr Staatssekretär.
Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Kollegin
Künast, dass Sie in Ihren Worten auf die seitherigen Aktivitäten der Bundesregierung hingewiesen haben. Diese
möchte ich zunächst einmal darstellen.
Die Bundesregierung hat verschiedene Ebenen, auf
denen ein Gesprächsangebot an geläuterte DschihadRückkehrer in Betracht kommen kann. Hier kommen die
unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund und Ländern zum Tragen. Aus Sicht meines Hauses kommt es
hierbei auf ein gutes Zusammenwirken aller verantwortlichen Dienststellen an. Dazu gehört die Zuständigkeit
des Auswärtigen Amtes für die konsularische Betreuung
von geläuterten rückkehrwilligen Personen, die sich in
den deutschen Auslandsvertretungen melden. Dazu gehört das Ausstiegsprogramm im Zuständigkeitsbereich
des Bundesministeriums des Innern. Das ist das Ausstiegsprogramm HATIF: „Heraus aus Terrorismus und
islamistischem Fanatismus“. Schließlich gehören dazu
auch die von den Ländern im Rahmen ihrer Zuständigkeit für den Strafvollzug anzustellenden Überlegungen
für eine spezifische Vorbereitung der im Strafvollzug
einsitzenden ehemaligen Dschihadisten auf ihre Reintegration in die Gesellschaft.
Was das konkrete Nachdenken angeht, was über die
bisherigen Möglichkeiten hinaus zu tun ist: Viele der aus
Deutschland ausgereisten Dschihadisten sind jung und
unerfahren und wissen wenig über die ganz sicherlich
wenig romantische Realität in Syrien und im Irak. Diese
Realität hat mit der im Internet verbreiteten DschihadistenRomantik wenig bis gar nichts zu tun. Der Bundesminister schließt es nicht aus - er hält es vielmehr für wahrscheinlich -, dass viele dieser jungen Dschihadisten
durch ihre Erfahrungen in Syrien und im Irak ihre Illusionen verlieren, einsichtig werden und lernen, welches
hohe Gut der Rechtsstaat mit seinem staatlichen Gewaltmonopol und seiner Rechtssicherheit tatsächlich für sie
persönlich und ihre Familien darstellt.
Der Rechtsstaat ist aus seiner Sicht gut beraten, den
Lernprozess aus den Erfahrungen mit zynischen Machtkämpfen jenseits aller Ideologien und religiösen Bekenntnisse in Syrien und im Irak zur Kenntnis zu nehmen und
unter anderem durch Gespräche und Hilfsangebote zu
unterstützen, und die ersten, die wir bereits haben, habe
ich Ihnen genannt.
Zusatzfrage?
Ja.
Bitte schön.
Verstehe ich Sie richtig, dass es in den Haushaltsberatungen 2015 noch keine konkreten Ideen gibt, wenn es
um die Frage geht, ob die Programme fortgesetzt bzw.
ausgeweitet und entsprechend finanziell unterlegt werden sollen?
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass es
sich hier um einen gesellschaftlichen Denkanstoß des
Herrn Ministers handelt.
Wir kommen damit zu Frage 16 der Abgeordneten
Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Wie genau beabsichtigt der Bundesjustizminister Heiko
Maas zu erreichen, dass das Unternehmen Google Inc. in
Deutschland den Algorithmus offenlegt, der die Suchergebnisse sortiert ({0}), und welche negativen Auswirkungen hat nach Ansicht
der Bundesregierung der derzeitige Zustand, wonach der
Suchalgorithmus nicht offengelegt wird?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Kelber bereit. - Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Werte Kollegin Frau Künast, ich darf
Ihre Frage wie folgt beantworten: Gegenwärtig ist für
die Nutzerinnen und Nutzer der Suchmaschine nicht
ohne Weiteres nachvollziehbar, welche Kriterien und Informationen für die Bestimmung der Reihenfolge der auf
eine Anfrage hin angezeigten Suchergebnisse verwendet
werden. Die Bundesregierung wird im Zuge der Digitalen Agenda prüfen, wie Nichtdiskriminierung durch
Plattformbetreiber und diskriminierungsfreier Zugang zu
Inhalten sichergestellt werden können. Die berechtigte
Erwartung der Verbraucherinnen und Verbraucher, die
Kriterien nachvollziehen zu können, nach denen Internetplattformen ihnen Suchergebnisse anzeigen, wird
hierbei einbezogen. Mehr Transparenz gegenüber ihren
Nutzerinnen und Nutzern ist eine Möglichkeit, mit der
Suchmaschinenbetreiber diesen Erwartungen entsprechen können.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben
gesagt, dass im Rahmen der Digitalen Agenda darüber
beraten wird. Das dauert mir, ehrlich gesagt, zu lang.
Schließlich geht es um die Frage, welche konkreten
Maßnahmen jetzt ergriffen werden. Seit 2010 gibt es auf
europäischer Ebene ein Wettbewerbsverfahren hinsichtlich der Suchergebnisse. Dabei wurde der Vorwurf erhoben, dass Dienste, die Google selbst betreibt, bei den
Suchergebnissen an viel prominenterer Stelle angezeigt
werden als Dienste von Dritten, zum Beispiel bei Flugreisen und Shoppingdiensten. Man schien sich am Anfang des Jahres geeinigt zu haben. Dann ist aber aus
Brüssel erneut Kritik geübt und die Forderung erhoben
worden, wie das darzustellen ist.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was konkret
unternehmen Sie zusammen mit der Wettbewerbsbehörde auf Brüsseler Ebene, und gibt es Ihrerseits Überlegungen, hier gesetzliche Regelungen vorzunehmen? Algorithmen bereiten uns an vielen Stellen Probleme, zum
Beispiel bei der Schufa; das betrifft das Bundesdatenschutzgesetz. Es ist nicht klar, wie die Schufa zu Ergebnissen und Bewertungen kommt. Daher stellt sich für
mich die Frage, was jenseits der Debatte über die Digitale Agenda konkret unternommen wird.
Frau Kollegin, die Bundesregierung hatte sich mit einem Brief an Kommissar Almunia, der diesen Bereich in
der scheidenden Kommission verantwortet hatte, gewandt und dies auch öffentlich gemacht. Sie hat dabei
darauf gedrängt, den von Almunia angekündigten Kompromiss mit Google nicht einzugehen, sondern stärker
auf ein transparentes Verfahren hinzuwirken; das ist ein
Schritt. Außerdem suchen wir - auch das haben wir in
der Öffentlichkeit dargelegt - direkte Gespräche mit den
Anbietern, um zu sehen, inwieweit die Bereitschaft zu
einem transparenten Verfahren gegeben ist. Ansonsten
ist die Digitale Agenda ein Prozess, der nicht nur am
Ende ein Ergebnis zeitigen kann, sondern auch zwischendurch, wenn die entsprechenden Gespräche, Überlegungen und Einschätzungen abgeschlossen sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja, Herr Präsident. - Grundsätzlich soll Transparenz
für die Nutzer solcher Suchdienste hergestellt werden.
Ich bezweifle, dass es sinnvoll ist, mit jedem Betreiber
einer Suchmaschine einzeln zu sprechen, nach dem
Motto: Könntest du bitte bei dir etwas mehr Transparenz
herstellen, bis hin zur Offenlegung des Algorithmus,
also der Bewertung und der daraus entstehenden Reihenfolge der präsentierten Angebote? - Mich interessiert als
Nutzerin, wenn ich beispielsweise eine Schiffsreise nach
Alaska buchen möchte, in welcher Reihenfolge mir was
angeboten wird. Dabei geht es um die entscheidende
Frage, ob die Kriterien, die zur Bestimmung der Reihenfolge der angezeigten Suchergebnisse verwendet werden, für mich als Kundin nachvollziehbar sind. Wo ist
für Sie die Deadline, ab der Sie darauf drängen, dass es
eine entsprechende rechtliche Regelung gibt, wenn es
State of the Art ist, dass nicht alle Betreiber ihre Algorithmen freiwillig veröffentlichen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Kollegin, parallel versuchen wir, Einfluss auf die Gesetzgebung und die
Richtlinienentscheidungen auf europäischer Ebene auszuüben. Als Beispiel nenne ich die Datenschutz-Grundverordnung, die europaweite Regelungen vorsieht. Man
kann hierbei auf unterschiedliche Weise vorgehen. Man
kann auf nationaler Ebene entsprechende Erkenntnisse
gewinnen, Druck aufbauen und zu Entscheidungen kommen. Aber man muss auch die Partnerinnen und Partner
- bis hin zur Europäischen Kommission - überzeugen,
entsprechend zu handeln. Es ist ein Irrglaube, zu glauben, dass es möglich ist, morgen eine rote Linie zu ziehen und dann schnell einen entsprechenden Gesetzentwurf durchzusetzen.
Sie haben zum Beispiel bei der Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den Löschberechtigungen gemerkt, dass das zwar für die unmittelbar in
Europa angedachten Webseiten durchgesetzt werden
konnte, aber jeder Europäer, der unmittelbar auf die
amerikanischen Angebote geht, bekommt dort die gleichen Informationen, die in Europa nach europäischem
Recht gelöscht werden. Von daher sind gute Entscheidungen besser als schnelle Entscheidungen.
({0})
Diese Zusatzbemerkung nehmen wir noch friedlich
entgegen.
Ich rufe die Frage 17 der Abgeordneten Ulle Schauws
auf:
Warum hat die Bundesregierung die Prüfung, ob und inwieweit sich aus der Umsetzung des Artikels 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ({0}) gesetzgeberischer Handlungsbedarf bei
den §§ 177, 179 des Strafgesetzbuchs im Hinblick auf die
Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen besteht, noch nicht abgeschlossen, obwohl, wie sich aus der
Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage 17
auf Bundestagsdrucksache 18/1590 ergibt, diese Prüfung bereits seit Mai 2014 andauert?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Lange zur Verfügung.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wegen des Sachzusammenhangs möchte ich die Fragen 17 und 18 gerne
gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 18 der Abgeordneten
Ulle Schauws auf:
Sieht die Bundesregierung jetzt doch Handlungsbedarf für
eine Änderung der §§ 177, 179 StGB, nachdem dies die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits mit ihrem Antrag „Artikel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen - Bestehende Strafbarkeitslücken bei sexueller Gewalt und Vergewaltigung
schließen“ auf Bundestagsdrucksache 18/1969 vom 2. Juli
2014 gefordert hat und nun auch die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker,
am 17. Juli 2014 erklärt hat, dass die „… beim Vergewaltigungsparagrafen bestehende Gesetzeslücke dringend geschlossen werden muss“ sowie auch die Abgeordnete Eva
Högl, SPD, in der Frankfurter Rundschau vom 12. September
2012 erklärt hat: „Für mich ist völlig klar, dass eine Reform
noch diese Legislaturperiode kommt“?
Die Bundesregierung wird sich unabhängig von der
im Detail unterschiedlich beurteilten Frage, ob das genannte Europaratsübereinkommen tatsächlich konkreten
Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht auslöst, der Frage
der Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen grundsätzlich und umfassend annehmen.
Um eine möglichst weitgehende Übersicht über Regelungsnotwendigkeiten und Regelungsmöglichkeiten
zu erhalten, hat das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz die Landesjustizverwaltungen gebeten, gegebenenfalls konkrete Beispiele aus der strafrechtlichen Praxis mitzuteilen, die auf Probleme bei der
Anwendung der gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen
hindeuten. Die Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen werden Ende nächsten Monats erwartet und müssen dann ausgewertet werden.
Frau Kollegin, Sie haben bis zu vier Nachfragen, weil
die beiden Fragen zusammen beantwortet wurden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie haben die Fragen jetzt zusammen beantwortet. Meine Frage ist: Warum hat diese Prüfung so lange gedauert, und warum ist
mir bisher noch keine Information zugegangen? Denn
die Frage ist bereits im Mai gestellt worden.
Herr Staatssekretär, bitte.
Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir die Landesjustizverwaltungen um Stellungnahme gebeten haben. Wir
müssen ihnen eine Frist einräumen. Diese Frist endet
Ende nächsten Monats. Danach müssen wir auswerten.
Wenn wir Auswertungen haben, können wir darüber berichten. Vorher können wir auch nicht informieren.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Schauws?
Ich wüsste gerne, ob Sie dazu noch eine Stellungnahme der Frauenministerin Manuela Schwesig eingeholt haben und deren Stellungnahme in die Beurteilung
einbeziehen.
Herr Staatssekretär.
Wie Sie wissen, spricht die Bundesregierung immer
mit einer Zunge.
({0})
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister
bereit.
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Dr. Valerie
Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wird die Bundesregierung im Haushaltsjahr 2015 die Praxis aus dem Jahr 2014 fortsetzen, nach der bei den Bundesämtern die Behördenausgaben pauschal um 5 Prozent reduziert
werden und eventuell nicht verausgabte Mittel den jeweiligen
Ämtern zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung stehen - bitte jeweils begründen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kollegin Wilms, im Regierungsentwurf zum Haushaltsgesetz 2015, der sich derzeit im parlamentarischen Beratungsverfahren befindet,
ist eine vergleichbare Regelung nicht enthalten.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Wilms? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, es
ist schön, zu hören, dass Sie diesen Fehler 2015 nicht
wieder machen wollen. Zu welchen negativen Auswirkungen für die Behörden führte denn diese Praxis 2014
mit der pauschalen Begrenzung auf 95 Prozent des
Haushaltsansatzes? Es interessiert mich insbesondere,
welche Folgen das für das Bundesamt für Seeschifffahrt
und Hydrografie gehabt hat; denn darüber ist ausführlich
in der Presse berichtet worden.
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Wilms, es steht mir als Mitglied der
Bundesregierung nicht zu, den Deutschen Bundestag für
seine Entscheidungen bei der Haushaltsgesetzgebung zu
kritisieren. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in diesem Haushaltsvermerk seitens des Bundestages eine
volle Deckungsfähigkeit zwischen den Haushaltsgruppen 5 bis 8 innerhalb des jeweiligen Kapitels vorgesehen
haben, sodass die Möglichkeit gegeben ist, die gegenseitige Deckungsfähigkeit herbeizuführen. Zudem besteht
für jedes Ressort, das von der Sperre betroffen ist, die
Möglichkeit, einen Antrag beim Bundesministerium der
Finanzen zu stellen, um eine Aufhebung zu erreichen,
wenn erkennbar sein sollte, dass es sachlich oder zeitlich
unabweisbar zu einer Überschreitung der gesetzlichen
Obergrenze kommen würde. Ein solcher Antrag liegt
uns nach meiner Kenntnis bisher nicht vor.
Frau Dr. Wilms, haben Sie noch eine Zusatzfrage? Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Was mich noch interessieren würde - in einem Artikel im Hamburger
Abendblatt wurde sehr deutlich gesagt, dass ein Kapitän
mit seinem Schiff nicht auslaufen konnte, weil nicht genügend Kraftstoff und auch nicht genügend Rettungsinseln da waren -: Was hat das wirklich für Auswirkungen auf die Sicherheit in der Nordsee und in der Ostsee
gehabt? Gerade die Schiffe des BSH sind durchaus dem
Havariekommando unterstellt. Hat man da hinsichtlich
der Sicherheit nicht ein bisschen sehr nachlässig gehandelt? Insofern wundert es mich, dass Sie diesen Antrag
noch nicht bekommen haben.
Ich habe in meiner vorherigen Antwort darauf hingewiesen, dass es mir als Vertreter der Bundesregierung
nicht zusteht, den Deutschen Bundestag für seine Entscheidungen zu kritisieren. Insofern ist die Frage, wer
nachlässig gehandelt hat, eine Frage, die Sie anderweitig
adressieren müssen.
Zum Zweiten habe ich darauf hingewiesen, dass es
eine Festlegung des Parlaments bezüglich dieser Haushaltssperre gibt. Jedoch gibt es die Möglichkeit, innerhalb
der Haushaltsgruppen durch eigene Bewirtschaftung
Schwerpunkte zu setzen. Wenn man nicht zurechtkommt
und der Meinung ist, dass weitere Haushaltsmittel notwendig sind, kann außerdem durchaus ein Antrag auf
Anhebung der Haushaltsmittel gestellt werden. Das ist
bisher nicht der Fall.
Sehen Sie mir bitte nach, dass das Bundesfinanzministerium nicht im Einzelnen nachvollziehen kann,
welches Schiff sachlich oder personell in der Lage ist,
auszulaufen oder auch nicht.
Die Frage 20 des Abgeordneten Markus Kurth, die
Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Stephan Kühn
({0}), die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten
Richard Pitterle sowie die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Axel Troost werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Anette Kramme bereit.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft
zur Vereinfachung der passiven Leistungen im Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch, SGB II, beabsichtigt die Bundesregierung
in ihren Referentenentwurf aufzunehmen, und welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Bundesregierung in ihrem Referentenentwurf zur Vereinfachung der passiven Leistungen im
SGB II?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Strengmann-Kuhn, der Referentenentwurf für
ein Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch ist hausintern fertiggestellt. Wir befinden uns jedoch noch in weiteren internen Abstimmungsgesprächen, sodass ich zu einzelnen Inhalten - ich denke,
das beantwortet sowohl Ihre Teilfrage eins als auch Ihre
Teilfrage zwei - noch keine Stellung nehmen kann.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Strengmann-Kuhn? Bitte.
Sie haben gesagt: Der Referentenentwurf ist fertig. Vielleicht können Sie schon zu der Frage Stellung nehmen, ob Bezug genommen wird auf die 36 Punkte aus
dem Endbericht der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft
oder ob einzelne Punkte davon aus politischen oder aus
verfassungsrechtlichen Gründen gestrichen worden sind.
Werden in dem Referentenentwurf Themen behandelt,
die von diesen 36 Punkten nicht umfasst sind?
Ich habe Sie bereits vorhin darauf hingewiesen, dass
wir uns in internen Abstimmungsprozessen befinden.
Das beinhaltet natürlich, dass einzelne Vorschläge wegfallen und dass andere Vorschläge hinzukommen können. Sie werden sich also leider noch etwas gedulden
müssen.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.
Wie lange wird sich das Parlament da gedulden müssen? Wie ist der weitere Zeitplan?
Es ist geplant, dass die Kabinettsbefassung bis Ende
des Jahres erfolgen soll.
Ich rufe die Frage 28, ebenfalls von Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung bei der
Reform der Sanktionen im SGB II, und sieht die Bundesregierung verfassungsrechtliche Probleme bei den derzeitigen Sonderregeln bei den Sanktionen im SGB II für die unter 25-Jährigen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Auch da kann ich nur auf den Koalitionsvertrag verweisen, in dem steht, dass das Sanktionsregime für die
unter 25-Jährigen überprüft werden soll. In diesem
Überprüfungsprozess, der natürlich auch Diskussionen
beinhaltet, befinden wir uns derzeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ich habe eine Nachfrage, die sich auf den zweiten Teil
meiner Frage bezieht. Das BMAS hat sicherlich auch geprüft, ob die geplanten Regelungen verfassungsrechtlich
problematisch sind. Das Ergebnis dieser Prüfungen können Sie uns vielleicht mitteilen, weil es ja jenseits des
politischen Prozesses ist.
Zu dieser Frage haben wir Ihnen gegenüber bereits
mehrfach Stellung bezogen. Insoweit ergibt sich kein
neues Prüfergebnis. Es ist so, dass es bislang keinerlei
gerichtliche Entscheidungen, die das Sanktionsregime
beanstanden, gibt.
Danke schön. - Es gibt keine weiteren Zusatzfragen
dazu.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Annette WidmannMauz bereit.
Ich rufe die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten
Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, dass
zwei Drittel der privat Krankenversicherten bereits innerhalb
von drei Tagen einen Facharzttermin erhalten, während mehr
als zwei Drittel der gesetzlich Krankenversicherten erst innerhalb eines Monats einen Termin erhalten, wie unter anderem
eine Erhebung von Bundestagsabgeordneten der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen aus Nordrhein-Westfalen ergab?
Sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, wenn
gesetzlich Krankenversicherte drei Wochen länger warten als
privat Krankenversicherte, solange sie innerhalb eines Monats
einen Termin erhalten?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, zur Frage unterschiedlicher Wartezeiten für gesetzlich Versicherte und
Privatversicherte liegen verschiedene Untersuchungen
vor. Unbestritten ist, dass eine angemessen zeitnahe Behandlungsmöglichkeit Ausdruck eines funktionierenden
medizinischen Versorgungssystems ist und daher in
Deutschland für alle Versicherten gewährleistet sein
muss, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privat
versichert sind.
Mit der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Regelung
zur Reduzierung der Wartezeiten auf einen Facharzttermin sollen die Wartezeiten der gesetzlich Versicherten
reduziert werden. Beabsichtigt ist, den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen insoweit zu
konkretisieren, dass diese verpflichtet werden, Terminservicestellen einzurichten. Aufgabe dieser Terminservicestellen wird es sein, gesetzlich Versicherten, die eine
Überweisung zu einem Facharzt haben, innerhalb einer
Woche einen Behandlungstermin bei einem Facharzt zu
vermitteln. Die Wartezeit auf diesen Behandlungstermin
darf im Regelfall vier Wochen nicht überschreiten. Kann
die Terminservicestelle keinen Termin innerhalb der
Vierwochenfrist vermitteln, ist sie - außer in medizinisch nicht begründeten Fällen - verpflichtet, dem Versicherten einen Behandlungstermin in einem Krankenhaus
anzubieten. Damit kann sich der Versicherte darauf verlassen, dass er eine fachärztliche Behandlung innerhalb
von vier Wochen erhält, sei es bei einem niedergelassenen Facharzt oder in medizinisch begründeten Fällen in
einem Krankenhaus.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja. - Meine Frage war etwas genauer gestellt, weil
wir in unserer eigenen Untersuchung, die wir kürzlich in
NRW durchgeführt haben - eine solche hatten wir auch
schon 2011 durchgeführt -, festgestellt haben, dass zwei
Drittel aller Privatversicherten innerhalb von drei Tagen
einen Termin beim Facharzt erhalten, während zwei
Drittel aller gesetzlich Versicherten innerhalb von vier
Wochen einen solchen Termin erhalten. Das ist eine sehr
deutliche Diskrepanz, ein Unterschied von durchschnittlich 23 Tagen. Da frage ich Sie: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit gesetzlich Versicherte nicht
so deutlich oder gar nicht benachteiligt werden?
Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin, ich weise noch einmal darauf hin, dass
angemessen zeitnahe Behandlungsmöglichkeiten und
angemessene Wartezeiten insgesamt Ausdruck eines
funktionierenden Versorgungssystems sind und daher für
beide Patientengruppen, also gesetzlich Versicherte und
Privatversicherte, zu gelten haben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Unterschiede in den Wartezeiten
unterschiedliche Ursachen haben können, was in den
verschiedenen Untersuchungen nicht unbedingt zum
Ausdruck kommt. Ursachen können tatsächliche Versorgungsengpässe sein. Da können wir Unterschiede insbesondere zwischen ländlichen und städtischen Regionen
feststellen. Es kann von der Frequentierung des Arztes
abhängen. Auch die Praxisorganisation kann eine Rolle
spielen. Deshalb muss es uns insgesamt darum gehen,
die Wartezeiten zu verkürzen. Das wollen wir in einem
der nächsten Gesetzgebungsverfahren umsetzen.
Noch eine Zusatzfrage dazu?
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. - Heißt das, dass
Sie Wartezeiten von bis zu vier Wochen als zulässig im
Sinne einer zeitnahen Behandlung ansehen? Das Verfahren mit den Terminservicestellen und der Termingarantie
stellt ja auf vier Wochen ab. Wenn schon jetzt zwei Drittel aller gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wochen einen Termin erhalten, bleibt die große Frage: Ist es
tatsächlich zeitnah, wenn die Wartezeit drei Wochen und
mehr beträgt?
Frau Kollegin, welche Wartezeit angemessen ist, ist
sehr stark vom individuellen medizinischen Einzelfall
abhängig. Deshalb sind pauschale Aussagen dazu nur
sehr schwer möglich. Aus unserer Sicht bieten Terminservicestellen die Möglichkeit, eine solche Beurteilung
vorzunehmen.
Angesichts der insgesamt guten Versorgungssituation
in Deutschland ist allerdings die Zugänglichkeit medizinischer Leistungen in unserem Land grundsätzlich auf
einem hohen Niveau gewährleistet. Das gilt insbesondere auch für dringende medizinische Fälle.
Es gibt dazu eine Frage der Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Widmann-Mauz, Ihren Antworten entnehme ich, dass
die Bundesregierung bestreitet, dass es eine Diskrepanz
zwischen den Wartezeiten von Privatversicherten und
gesetzlich Versicherten gibt. Ich frage Sie, wie Sie das
angesichts der vielen Untersuchungen und auch öffentlich immer wieder thematisierten Feststellungen, die in
diesem Bereich getroffen wurden, weiterhin behaupten
können.
Frau Kollegin, ich verweise an dieser Stelle ausdrücklich auf die Beantwortung einer Kleinen Anfrage der
Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann
und anderer, Fraktion Die Linke, worin wir deutlich machen, wie viele unterschiedliche Untersuchungen mit
sehr unterschiedlichen Aussagen es zu diesem Thema
gibt. Zum Beispiel können Sie dieser Kleinen Anfrage
entnehmen, dass einer Umfrage der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung aus dem Jahr 2013 zufolge 21 Prozent der GKV-Versicherten mehr als drei Wochen auf einen Termin warten. Das widerspricht den Aussagen, auf
die Sie sich in Ihrer Fragestellung beziehen.
Es ist uns wichtig, dass die Menschen, egal ob gesetzlich versichert oder privat versichert, möglichst schnell,
innerhalb eines angemessenen Zeitraumes von höchstens
vier Wochen, Zugang zu einem niedergelassenen Facharzt oder der Behandlung in einem entsprechenden
Krankenhaus erhalten. Es muss uns gemeinsam daran
gelegen sein, dass sich die Situation, unabhängig von der
Region und der sonstigen Versorgungssituation, für alle
Versicherten in unserem Land verbessert.
Danke schön. - Da die Fragen 29 und 30 zusammen
beantwortet wurden, stehen Frau Kollegin KleinSchmeink noch zwei Zusatzfragen zu.
Ich komme jetzt noch einmal auf meine Frage zurück:
Heißt das im Endeffekt, dass Sie eine Versorgung von
gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wochen als
zeitnah und angemessen betrachten, während Sie es als
normal hinnehmen, dass Privatversicherte in der Regel
innerhalb von drei Tagen einen Facharzttermin erhalten?
Wollen Sie tatsächlich nichts gegen diese unterschiedliche Behandlung tun?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, ich weise noch einmal darauf hin, dass die Frage, welche Wartezeit auf einen Arzt- oder Facharzttermin angemessen ist, aus der
Situation des konkreten medizinischen Einzelfalls heraus zu beurteilen ist, da es sich einerseits um Notsituationen und andererseits um planbare Facharztbesuche
handeln kann, also eine sofortige Behandlung oder eine
Behandlung innerhalb von wenigen Tagen nicht notwendig ist.
Es kommt für uns darauf an, dass genau diese medizinische Einzelfallbetrachtung im Vordergrund steht. Wartezeiten auf einen Facharzttermin von mehr als vier Wochen sind für uns nicht akzeptabel, es sei denn, es
handelt sich um routinemäßige Kontrollen; aber auch
das kommt auf den Einzelfall an. In der Regel ist in einem Zeitraum von vier Wochen eine gute medizinische
Versorgung möglich. Das schließt natürlich nicht aus,
dass sie deutlich schneller erfolgen muss, wenn es sich
um entsprechende Notfälle handelt.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? Das wäre dann Ihre
letzte. - Bitte schön.
Wir haben sowieso eine ganz klare Regelung, was in
Notfällen zu passieren hat. Insofern reden wir jetzt nicht
über akute Notfälle, sondern über die Regelversorgung.
Dabei geht es zum Beispiel um einen Termin beim Radiologen oder Hautarzt, der eine Kontrolluntersuchung
macht, die einen fraglichen Befund mit sich bringt, was
für die Patienten mitunter sehr belastend sein kann.
Ich frage Sie noch einmal: Wollen Sie als Maßstab für
eine angemessene, zeitnahe Versorgung tatsächlich einen
Zeitraum von vier Wochen hinnehmen? Das ist nämlich
der Zeitraum, den ein gesetzlich Versicherter hinzunehmen hat, während sich nach etlichen Untersuchungen
- im Übrigen auch der KBV selber - zeigt, dass Privatversicherte innerhalb kürzester Zeit - in der Regel innerhalb von drei Tagen; das ist in unserer Studie erneut unterlegt - einen Termin erhalten.
Frau Kollegin Klein-Schmeink, auch wenn Sie es mit
einer vierten Nachfrage bei mir versuchen: Wir beurteilen keinen konkreten Zeitraum als Normzeitraum. Er ist
vom individuellen medizinischen Einzelfall abhängig.
Die Terminservicestellen, die wir in die Verantwortung
der Kassenärztlichen Vereinigungen legen, können aufgrund einer Überweisung des Hausarztes für den Facharzt Beurteilungen vornehmen, inwieweit ein kurzfristiger Termin, zum Beispiel innerhalb einer Woche oder
weniger Tage, für eine entsprechende Vermittlung erforderlich ist und wo aus medizinischen Gründen ein Zeitraum von bis zu vier Wochen durchaus akzeptabel sein
kann. Längere Wartezeiten sind aus unserer Sicht nur in
seltenen medizinisch begründeten Ausnahmefällen möglich. Deswegen wollen wir durch die Terminservicestellen insgesamt zu einer deutlichen Beschleunigung und
zu mehr Sicherheit für die Patientinnen und Patienten
beitragen und generell zu einer Verkürzung von Wartezeiten kommen.
Schönen Dank. - Die Frage 31 des Abgeordneten
Dr. Harald Terpe wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Frage 32 der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 33 der Abgeordneten Dr. Katarina
Barley, SPD-Fraktion, auf:
Welche Rolle wird der barrierefreie Aus- und Umbau von
Bahnhöfen in der neuen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, LuFV, zwischen Bund und Deutscher Bahn AG spielen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Fragen aufgrund des Sachzusammenhangs
zusammen.
Dann rufe ich zusätzlich Frage 34 der Abgeordneten
Katarina Barley auf:
Welche Voraussetzungen müssen nach der neuen LuFV
gegeben sein, um zukünftig Mittel aus der LuFV für den barrierefreien Ausbau von Verkehrsstationen einsetzen zu dürfen?
Die Verhandlungen zur LuFV II sind noch nicht abgeschlossen. Die DB Station & Service AG als Eigentümerin und Bauherrin der Verkehrsstationen wird durch die
LuFV II ermächtigt sein, Bundesmittel aus der LuFV zur
Finanzierung von Investitionen in die barrierefreie Ausgestaltung von Bahnstationen einzusetzen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Meine erste Zusatzfrage ist, ob es eine Erhöhung der
Mittel für den barrierefreien Umbau von Bahnhöfen geben wird. Ist dies bereits absehbar?
Wir verhandeln gerade die LuFV II. Insoweit kann
ich Ihnen zum konkreten Ausgang derzeit nichts sagen.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.
Gibt es ein mittel- oder langfristiges Ziel, bis wann
wie viel Prozent der Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei umgebaut werden sollen?
Sie müssen in diesem Punkt zwischen Bahnhöfen mit
Fernverkehr und solchen mit Regionalverkehr unterscheiden. Das Bundesverkehrsministerium kümmert
sich gemeinsam mit der Bahn um den Fernverkehr.
Wenn es um einen Ausbau von Bahnhöfen mit Regionalverkehr geht, sind die Länder mit im Boot und in der
Pflicht. Wenn Sie einen konkreten Einzelfall vor Augen
haben, müssten wir dies prüfen. Für unseren Bereich
kann ich sagen, dass alle großen Bahnhöfe im DB-Fernverkehr barrierefrei umgebaut sind. Dies ist ein ganz
wichtiges Ziel. Auch bei den Bahnhöfen mittlerer Größe
sind wir sehr weit. Der Umbau von Bahnhöfen mit bis zu
1 000 Passagieren pro Tag hat begonnen. Noch einmal:
Auch Mittel der LuFV II stehen dafür zur Verfügung.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.
Ja, ich habe tatsächlich einen konkreten Bahnhof vor
Augen und habe eine Nachfrage zu der Messzahl von
1 000 Passagieren pro Tag. Ist es angedacht oder aus Ihrer Sicht denkbar, dass man von dieser willkürlich gegriffenen Größe von 1 000 Fahrgästen abweicht, wenn
es in einem konkreten Ort zum Beispiel eine besondere
Häufung von Einrichtungen für Senioren oder Menschen
mit Behinderungen gibt?
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Zahl von
1 000 Passagieren sicherlich nicht willkürlich ist. Es liefen bzw. laufen zwei Programme; einmal von 2005 bis
2010 und jetzt in der Periode von 2010 bis 2015. Es wurden erhebliche Fortschritte gemacht. Wenn Sie einen
konkreten Bahnhof im Blick haben, würde ich Sie bitten,
sich noch einmal an uns zu wenden, damit wir uns die
Situation anschauen können.
Noch eine Zusatzfrage?
Dann würde es mich interessieren, welche Indikatoren dazu geführt haben, die Zahl 1 000 festzulegen.
Man braucht wie in vielen Bereichen Größenordnungen, bis zu denen man prioritär baut; die Maßnahmen für
darunter liegende Größenordnungen stellt man zurück.
Die LuFV umfasst nicht nur Maßnahmen im Bereich
des barrierefreien Ausbaus, der - das will ich noch einmal betonen - sehr wichtig ist; sie sieht Finanzinvestitionen in die gesamte Eisenbahninfrastruktur vor. Hier ist
es sicherlich nicht unüblich, bestimmte Grenzen festzulegen -, was nicht heißt, dass unterhalb dieser Grenze
gar nichts passiert.
Frau Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine
Zusatzfrage dazu.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Reiche, ich kann
mir nicht so richtig vorstellen, was es heißen soll, wenn
Sie sagen, bei Bahnhöfen mittlerer Größe seien Sie
schon relativ weit. Was soll das heißen? - Ich bitte Sie,
das einmal dem Parlament zu erklären. Ich kann mir darunter nichts vorstellen.
Wenn Sie nicht in der Lage sind, jetzt mündlich dazu
Stellung zu nehmen, würde ich Sie bitten, uns eine Übersicht darüber zu geben, welche Bahnhöfe den Standards
entsprechen bzw. umgebaut sind und welche noch nicht.
Das würde sicherlich uns allen konkretisieren, was es
heißt, wenn Sie sagen, Sie seien bei Bahnhöfen mittlerer
Größe relativ weit.
Ich verstehe Ihre Frage als Bitte an die Regierung,
eine solche Übersicht zu erstellen; ich bin mir sicher,
dass sie im Haus vorhanden ist. Das war aber nicht Gegenstand der Fragen, die an uns gegangen sind. Wenn
Sie das interessiert, werden wir Ihnen das Datenmaterial,
das uns vorliegt, sicherlich zukommen lassen.
Herzlichen Dank.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold bereit.
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe Frage 35 der Abgeordneten Bärbel Höhn,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des DeutscheBank-Experten Caio Koch-Weser, der einen CO2-Preis von
40 Euro als nötig erachtet ({0}), um der Wirtschaft effektive Signale für mehr Klimaschutz zu geben, und,
wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus für die
anstehende Reform des Emissionshandels?
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Frage bezieht sich auf
eine Pressemitteilung zur Vorstellung des Expertenberichts im Vorfeld des Klimasondergipfels, der gerade in
New York stattgefunden hat. In diesem Bericht beschreiben alle beteiligten Sachverständigen die zentralen Herausforderungen der kommenden 15 Jahre, um die langfristigen Klimaschutzziele und ein angemessenes
Wirtschaftswachstum zu erreichen. Eine der zentralen
Forderungen dieses Berichts ist die Schaffung eines internationalen Kohlenstoffmarktes mit robusten und vorhersehbaren Kohlenstoffpreisen
Die Bundesregierung teilt die Vorstellung, dass es einen solchen robusten und vorhersehbaren Kohlenstoffpreis geben muss. Wir benötigen allerdings zuerst ein
neues und verbindliches Klimaschutzabkommen auf internationaler Ebene. 2015 in Paris ist der Zeitpunkt, zu
dem es dazu kommen soll und muss.
Bei der Reform des europäischen Emissionshandels
setzt sich die Bundesregierung für die frühzeitige Festlegung eines verbindlichen EU-Klimaschutzziels für 2030
ein: Minderung der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990. Wenn wir das erreichen
wollen, dann muss der Emissionshandel funktionieren.
Im Hinblick auf die kurzfristige Stärkung des EUEmissionshandels unterstützt die Bundesregierung den
Vorschlag der EU-Kommission, die wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise entstandenen Zertifikatsüberschüsse in eine Marktstabilitätsreserve zu überführen.
Allerdings soll dieser Mechanismus nach unseren Vorstellungen und den Vorstellungen einiger anderer Mitgliedstaaten bereits deutlich früher und konsequenter
eingeführt werden, damit er funktioniert.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Einer der wesentlichen Gründe, warum wir momentan - nicht nur in
Deutschland, sondern weltweit - viel zu hohe CO2Emissionen haben, sind die Kohlekraftwerke. Deshalb
gibt es eine Diskussion darüber, inwieweit der Bau von
Kohlekraftwerken im Ausland weiter mit Hermesbürgschaften und durch die KfW unterstützt werden kann,
wie es momentan noch der Fall ist. In diesem Zusammenhang hat Bundesumweltministerin Hendricks in der
Presse angekündigt, dass sie eine Abkehr von der internationalen Finanzierung des Baus von Kohlekraftwerken
- zum Beispiel durch die KfW, aber auch in anderen Bereichen - erreichen will. Das ist durch die Aussage des
Bundeswirtschaftsministeriums relativiert worden. Da
hätte ich gerne gewusst: Gibt es jetzt eine verbindliche
Position der Bundesregierung im Hinblick auf das Auslaufen der Finanzierung von ausländischen Projekten im
Bereich des Kohlekraftwerksbaus? Welche konkreten
Schritte sind da geplant, und wann?
Die Bundesumweltministerin hat in New York noch
einmal bekräftigt, dass dies für die Frage der Förderung
von Auslandsvorhaben durch die KfW gilt. Wir befinden
uns dort in einem guten Abstimmungsprozess innerhalb
der Bundesregierung.
Ich interpretiere Ihre Antwort so, dass es doch keine
gemeinsame Positionierung war, die Sie soeben vorgetragen haben.
Sie haben den Ban-Ki-moon-Gipfel in New York angesprochen. Teilen Sie die Auffassung - Sie teilen ja
nicht die der gesamten Bundesregierung -, dass die
Kanzlerin auch deshalb nicht zu diesem Gipfel gefahren
ist, weil sie nichts vorzuweisen hat?
Deutschland wird sein Klimaziel einer CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2020 nicht erfüllen können; das
hat die Bundesumweltministerin bereits anklingen lassen. Auch sonst steht Deutschland schlecht da: mehr
CO2-Emissionen in den letzten zwei Jahren als in den
Jahren zuvor. Ist es richtig, dass die CO2-Bilanz so
schlecht ist, dass die Kanzlerin entschieden hat, lieber zu
einer im gleichen Zeitraum stattfindenden langweiligen
BDI-Veranstaltung zu gehen?
Liebe Frau Höhn, Sie haben zusammen mit der Fraktion Die Grünen der Terminplanung der Kanzlerin zu
diesem Zeitpunkt eine Kleine Anfrage gewidmet. Wir
haben diese Kleine Anfrage ausführlich beantwortet.
Ich darf darauf verweisen und Ihnen gleichzeitig auch
den Hinweis geben - da ich wie auch Sie nicht in New
York war, ist mir das nur schriftlich übermittelt worden -, dass insbesondere das Engagement Deutschlands
- die Bereitschaft, in den Clean Climate Fund einzuzahlen, und viele andere Maßnahmen - von vielen Staaten
und Nichtregierungsorganisationen sehr positiv bewertet
worden ist. Das Engagement der Bundesrepublik
Deutschland und unser Engagement im Zuge der Energiewende sind auf ein besonders positives Echo gestoßen.
Die Frage 36 des Kollegen Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Stefan
Müller bereit.
Die Frage 37 des Kollegen Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Welche finanziellen Zusagen wurden bisher vonseiten der
Bundesregierung an das US-amerikanische Department of
Energy im Zusammenhang mit einem möglichen Export der
AVR-Brennelemente aus Jülich getroffen - bitte, wenn möglich, den Zeitraum angeben -, und für welche Zwecke wurden
bzw. werden diese Mittel verwendet?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Kotting-Uhl, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Bundesregierung hat gegenüber dem Department of
Energy der Vereinigten Staaten von Amerika im Zusammenhang mit einer möglichen Verbringung der AVRBrennelemente und der damit verbundenen Rückführung
des von den USA gelieferten Kernbrennstoffs bisher
keine finanziellen Zusagen gegeben.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
das finde ich jetzt verwunderlich. Dem Savannah River
Nation Lab, wohin diese abgebrannten Brennelemente
verbracht werden sollen, falls der Option US-Export zugestimmt wird, wurden bereits 10 Millionen Dollar zugesprochen, die sich auch im Haushalt für das Jahr 2015
niederschlagen. Unter dem Titel „US-Option“ sind im
Haushalt 65,4 Millionen Euro eingestellt. Für die Jahre
2016 bis 2018 sind noch einmal 170,9 Millionen Euro
veranschlagt. Können Sie diesen Widerspruch aufklären?
Herr Staatssekretär.
Ich will es gerne versuchen, Frau Kollegin. Die im
Bundeshaushaltsplan entsprechend für die US-Option
ausgewiesenen Gesamtausgaben des Bundes in Höhe
von rund 246 Millionen Euro beruhen auf Informationen
des Forschungszentrums Jülich zu einer vorläufigen
Kostenabschätzung zwecks vorsorglicher Sicherung der
Finanzierung einer möglichen Verbringung der AVRBrennelemente in die USA. Diese vorläufig und vorsorglich veranschlagten Kosten betreffen Ausgaben für
zum Beispiel die Prüfung der technischen und rechtlichen Machbarkeit einer Verbringung der hochangereicherten AVR-Brennelemente in die USA - übrigens das
Herkunftsland dieses uranhaltigen Kernbrennstoffs oder betreffen Ausgaben für die Räumung des Behälterzwischenlagers Jülich, den Transport der AVR-Brennelemente und eine schadlose Verwertung der AVRBrennelemente in den USA. Im Falle einer Realisierung
jener Transportoption wären die unmittelbar für das Forschungszentrum Jülich anfallenden Gesamtkosten von
Bund und Land Nordrhein-Westfalen als Zuwendungsgeber entsprechend zu tragen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kotting-Uhl?
Ja. - Herr Staatssekretär, ich bin immer noch verwundert über Ihre Aussage, es gebe keine Zusagen an die
USA. Das Statement of Intent wurde sowohl von der
Bundesregierung, vom zuständigen Ministerium in
Nordrhein-Westfalen als auch von der US-Seite unterschrieben.
Hier steht unter Punkt II.4:
Forschungszentrum Jülich … is to bear the costs of
the preparatory phase work and, if there is a decision to proceed with the project, the costs associated with the acceptance, processing, and disposition
of the fuel.
Also alles. Wie können Sie angesichts der Tatsache, dass
das hier steht - Sie haben das alle unterschrieben - sagen, dass Sie keine Zusagen gemacht haben?
Frau Kollegin, ich weise noch einmal darauf hin: Die
Bundesregierung hat gegenüber dem Department of
Energy der Vereinigten Staaten keinerlei Zusagen in finanzieller Hinsicht gemacht.
Schönen Dank. - Ich rufe die Frage 39 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche konkreten Schritte bezüglich der Option der Errichtung eines neuen und erdbebensicheren Zwischenlagers
auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich oder in unmittelbarer Nähe sind nach Kenntnis der Bundesregierung
bisher unternommen worden, und welche Erkenntnisse haben
diese Prüfungen erbracht?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, Ihre
Frage will ich gern wie folgt beantworten: Auf Bitten der
Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Aufsichtsrat der Forschungszentrum Jülich GmbH vor geraumer Zeit mit entsprechenden Beschlüssen den Vorstand gebeten, einen geeigneten Standort für den Bau
eines neuen Zwischenlagers auf dem Gelände des For4856
schungszentrums Jülich im Rahmen eines Auswahlverfahrens zu identifizieren und eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung durchzuführen. Es konnte dabei
seinerzeit ein potenziell geeigneter Standort ermittelt
werden. Laut Auskunft des Vorstands der Forschungszentrum Jülich GmbH auf der 91. Aufsichtsratssitzung
am 20. November 2013 ergaben sich aus dieser Umweltverträglichkeitsuntersuchung keine grundsätzlichen Bedenken gegen diesen ausgewählten Standort auf dem
Gelände des Forschungszentrums.
Seitdem hat es natürlich Änderungen gegeben. Mitte
des Jahres 2014 ist bekannt geworden, dass nach der
Einschätzung des Erdbebengutachtens von Professor
Savidis im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zur
dreijährigen Verlängerung der Aufbewahrungsgenehmigung der AVR-Brennelemente bei der Annahme eines
bestimmten Referenzerdbebens eine Bodenverflüssigung am Standort des AVR-Behälterlagers nicht ausgeschlossen werden kann. Dies und die nicht absehbaren
Folgen für das Verlängerungsgenehmigungsverfahren
hat die atomrechtliche Genehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen, das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, am 2. Juli dieses Jahres dazu veranlasst, die unverzügliche Räumung
des AVR-Zwischenlagers in Jülich anzuordnen, und es
hat das FZJ aufgefordert, ein Konzept hierzu vorzulegen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja. Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, was Sie referiert haben, ist öffentlich bekannt. Auch
den Inhalt des von Ihnen benannten Gutachtens kenne
ich. Meine Frage war: Welche konkreten Schritte werden
nach Ihrer Kenntnis unternommen, um die dritte Option
zu prüfen? Der Auftrag des zuständigen Ministeriums in
Nordrhein-Westfalen, das für die Atomaufsicht zuständig ist, war, drei Optionen zu prüfen, nämlich den Export
in die USA, den Export nach Ahaus und die Option - das
ist die dritte Option, die aus vielerlei Gründen die zu präferierende wäre -, auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich nach einem neuen geeigneten Standort zu
suchen. Ich fragte nach konkreten Schritten; denn auf
der Homepage des Forschungszentrums Jülich ist nur
von der USA-Option die Rede. Von anderen Optionen
liest man dort nichts. Ich gehe davon aus, dass der Bundesregierung, die mit 90 Prozent, also zum absolut überwiegenden Teil Inhaber des Forschungszentrums Jülich
ist, weitere Kenntnisse vorliegen, und um die bitte ich.
Sie haben recht. Es gibt drei Optionen, die zur Diskussion gestanden haben. Die erste Option ist die USOption, über die wir schon geredet haben. Die zweite
Option ist eine Verbringung der Brennelemente in das
TBL Ahaus. Die dritte Option ist die Errichtung eines
Zwischenlagers in Jülich. Insbesondere aufgrund der sicherheitsrechtlichen Veränderungen, die sich durch die
Untersuchungen im Hinblick auf die Erdbebensicherheit
des Standorts ergeben haben, wird die dritte Option derzeit nicht aktiv weiterverfolgt. Ich verweise diesbezüglich auch auf die Stellungnahme des Landesministers
Duin vom vergangenen Montag in der Sitzung der Endlagerkommission.
Landesminister Duin hat in der Sitzung der Endlagerkommission, deren Mitglied ich ja bin, nicht eindeutig
Stellung bezogen, sondern er hat die Fakten referiert.
Dem ist auch gar nichts hinzuzufügen. Es bleibt aber die
Frage offen, warum diese Option, die sowohl aus Sicherheitsgründen wie auch aus vielen anderen Gründen zu
präferieren wäre, nicht verfolgt wird. Es erschwert uns
die Arbeit in der Atomendlagersuchkommission extrem,
wenn die Bundesregierung einen Atommüllexport ins
Ausland vorbereitet, während wir versuchen, ein Verfahren zu entwickeln, um einen sicheren Standort für hochradioaktiven Müll in Deutschland zu finden, der auch
von der Gesellschaft akzeptiert wird. Das ist eine ungeheure Erschwernis unserer Arbeit.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie noch einmal
danach fragen, und ich möchte Sie, falls Ihre Antwort
ähnlich ausfällt wie die gerade eben gegebene, auffordern, sich für eine ernsthafte Untersuchung dieser Option, die als einzige all diese Gefährdungen ausschließt,
starkzumachen.
Frau Kollegin, ein mögliches Zwischenlager in Jülich
setzt voraus, dass es aus sicherheitsrechtlichen Gründen
keine Bedenken gibt. Diese Bedenken sind jedenfalls
nach dem Gutachten zur Erdbebensicherheit am Standort
Jülich nicht ausgeräumt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries zur Verfügung.
Die Frage 40 des Kollegen Jens Spahn sowie die Fragen 41 und 42 der Kollegin Dr. Julia Verlinden werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 43 der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem in New York vorgestellten sogenannten
Stern-II-Bericht und der darin formulierten Erkenntnis, dass
der Ausstieg aus der Kohleverstromung und ein Ende der
Subventionierung von Kohlekraftwerken einzuleiten ist, und
welche konkreten Schritte will sie umsetzen ({0})?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Baerbock, die Frage befasst sich ja mit
einem Thema, das gerade schon Gegenstand war. Die
Bundesregierung unterstützt die internationalen Bestrebungen, sich auf solche einheitlichen Standards für die
Finanzierung von Energietechnologien zu verständigen,
die mit dem Ziel einer Begrenzung des globalen Klimawandels auf maximal 2 Grad Celsius vereinbar sind. Vor
diesem Hintergrund muss jeder Neubau selbst der effizientesten Kohlekraftwerke kritisch geprüft werden. Eines der Hauptanliegen hierbei ist die Transformation der
Energiesysteme von fossilen hin zu erneuerbaren Energien, um die globale Energieversorgung bis Mitte dieses
Jahrhunderts fast vollständig zu dekarbonisieren.
Weiterhin wird die Bundesregierung in der klima- und
entwicklungspolitischen Zusammenarbeit keine Finanzierung für den Neubau von Kohlekraftwerken mehr zur
Verfügung stellen und die Modernisierung laufender
Kohlekraftwerke in diesem Zusammenhang nur noch
eingeschränkt nach klar definierten Kriterien finanzieren.
Damit schließt sich die Bundesregierung der Initiative
mehrerer Industriestaaten an. Die genaue Formulierung
von Finanzierungskriterien ist essenzieller Bestandteil
der laufenden Ressortabstimmung und wird, wie angekündigt, noch diesen Herbst im Wirtschaftsausschuss
des Deutschen Bundestages vorgelegt.
Schönen Dank. - Haben Sie dazu eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin? Bitte.
Das war jetzt zum Teil die Beantwortung der
Frage 44. In Frage 43 geht es ja vor allen Dingen um die
Schlussfolgerungen aus dem Stern-II-Bericht, also um
ein Auslaufen der Nutzung der fossilen Energie und insbesondere um den Ausstieg aus der Kohleverstromung,
auch national. Deswegen würde mich jetzt interessieren,
was aus Sicht der Bundesregierung die Schlussfolgerungen des Stern-II-Berichtes sind und was sie gedenkt, hinsichtlich der nationalen Maßnahmen und des Ausstiegs
aus der Kohleverstromung national zu tun. Denn das
Bundesumweltministerium hat ja angekündigt, einen
Vorschlag für den Kraftwerkspark zu machen. Aus Ihrem Hause hört man aber immer, dass sich an dem fossilen Kraftwerkspark mittelfristig nichts ändern wird. Was
sind Ihre Antworten auf den Stern-II-Bericht konkret bei
der nationalen Kohlefrage?
Das ist ja Teil der Abstimmung, um die es eben schon
einmal ging. Deswegen kann ich eigentlich nur wiederholen, was ich eben schon einmal sagte. Wir werden eine
Gesamtschau erarbeiten und im Ausschuss für Wirtschaft in diesem Herbst vorstellen.
Zusatzfrage?
Gut, also haben Sie derzeit nur die Auslandsfinanzierung im Blick?
Genau, generell. Die zwei unterschiedlichen Komponenten, Auslands- und Inlandsfinanzierung, werden
beide bearbeitet.
Im Inland wird ja nichts direkt finanziert, sondern da
geht es darum, den Ausstieg einzuleiten.
Erneuert.
Wir kommen zur Frage 44 ebenfalls der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen:
Bis wann soll es nach Plänen der Bundesregierung einen
verbindlichen Beschluss über die von der Bundesministerin
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit,
Dr. Barbara Hendricks, vor der Bundespressekonferenz am
17. September 2014 angekündigten Abkehr von der internationalen Kohlefinanzierung geben, und welche konkrete Positionierung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie zu diesen Plänen?
Frau Staatssekretärin.
Dabei geht es im Grunde um dieselben Anhörungen.
Wir haben am 16. September eine Anhörung mit Umweltverbänden und am 21. August eine Anhörung mit
der betroffenen Industrie durchgeführt. Wir sind jetzt im
Abstimmungsprozess zwischen den Ressorts und werden nach Beendigung dieses Abstimmungsprozesses
zwischen den Ressorts den Ausschuss informieren.
Danke schön. - Haben Sie eine Frage dazu?
Ja. - Meine Nachfrage bezieht sich auf die Abstimmung der Ressorts. Es ist verwunderlich, dass das Bundesumweltministerium auf einer internationalen Konferenz schon das Ergebnis verkündet, während hier im
Hause, sowohl vorhin im Umweltausschuss als auch
jetzt hier von den beiden Staatssekretären, erklärt wird,
man sei noch in der Abstimmung.
International ist jetzt nachzulesen, man wolle aus der
entwicklungspolitischen und klimapolitischen Kohlefinanzierung aussteigen. Dann bleibt da noch die wirtschaftspolitische Kohlefinanzierung, die zwei Drittel der
entsprechenden Finanzierung durch die KfW ausmacht;
der andere Teil macht nur ein Drittel aus.
Deswegen stelle ich jetzt ganz konkret die Frage:
Wird es bei der Ressortabstimmung auch um den IPEXTeil der KfW gehen und um die Hermesbürgschaften,
oder werden Sie sich nur um den Teil - er macht ein
Drittel aus - der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit kümmern?
Wir haben mit diesen beiden Aktivitäten unter einem
Dach, unter dem Dach der KfW, die Sie eben sehr anschaulich geschildert haben, ein internationales Novum;
so etwas gibt es sonst nicht. Deswegen glaube ich schon,
dass wir bei unserer Abstimmung beide Teile in den
Blick nehmen müssen. Ob wir dann tatsächlich zu beiden Teilen Entscheidungen fällen, ist aber eine andere
Frage.
Noch eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine Frage zu einem Punkt, über den
es eine internationale Debatte gab. Die KfW hängt auch
in der Finanzierung des Kohlehafens nahe des Great
Barrier Reefs mit drin. Unter welchen Teil der KfW
würde diese Finanzierung fallen, und würden Sie den
mit berücksichtigen? Schließlich geht es hier auch um
erhebliche umweltpolitische Auswirkungen.
Das muss ich Ihnen schriftlich beantworten, Frau
Kollegin; das weiß ich schlicht nicht.
Schönen Dank. - Dann kommen wir zur Frage 45 der
Abgeordneten Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen:
Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die in der Europäischen Union verbreitete Definition, gemäß der Internationalen Energie-Agentur, IEA, von Subventionen, wonach eine
Subvention auf der Nachfrageseite dann vorliegt, wenn das
inländische Preisniveau den um Transport- und Distributionskosten bereinigten Weltmarktpreis unterschreitet, breiter zu
fassen und auch steuerliche Begünstigungen als Subvention
auszuweisen, und welche konkreten Schritte unternimmt sie
- auch als Gastgeber des G-7-Gipfels 2015 - selbst, um der
im Rahmen der G 20 getroffenen Übereinkunft zum Abbau
fossiler Subventionen Nachdruck zu verleihen?
Zur Beantwortung Frau Staatssekretärin Zypries bitte.
Die G 20 haben in Pittsburgh im Jahre 2009 beschlossen, ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger
mittelfristig abzubauen. Dazu zählen die Hilfen für Anbieter fossiler Energieträger, aber eben auch Subventionen für Nachfrager von Energieträgern, mit denen die lokalen Preise unter das Weltmarktpreisniveau gedrückt
werden. Der Großteil dieser Subventionen wird außerhalb der Industrieländer gewährt. Von den in Deutschland gewährten Subventionen fallen nur die Steinkohlebeihilfen in diese Kategorie.
Wir verfolgen im Rahmen der Subventionspolitik eigene Leitlinien, die sich auch - selbstverständlich - an
umweltpolitischen Wirkungen orientieren. Der Abbau
von Subventionen für fossile Energieträger wird insbesondere in der Gruppe der G 20 diskutiert. Wir setzen
uns auch auf dieser Ebene für den Abbau von Subventionen ein. Das gilt nicht nur für die generelle Diskussion in
diesen Gremien, sondern auch für bilaterale Kooperationen mit anderen Ländern. Aber, Frau Höhn - weil das
ein Teil Ihrer Frage war -, es gibt derzeit keine Initiative,
diese Definition von Subventionen zu ändern.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Höhn?
Ja, habe ich. - Frau Staatssekretärin, das WuppertalInstitut hat bekanntlich den Bereich Braunkohle untersucht und festgestellt, dass im Zusammenhang mit der
Braunkohle eine Menge Kosten entstehen, welche die
Gesellschaft zu tragen hat, indirekte Subventionen, die
auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr hochgerechnet
wurden. Somit hat, wenn man den Subventionsbegriff
des Wuppertal-Instituts zugrunde legt, auch die Förderung von Braunkohle hier in Deutschland - es geht jetzt
nicht international um Braunkohle - direkte oder indirekte Subventionen bekommen. Habe ich Ihre Antwort
eben richtig verstanden, dass Sie genau diese Tatbestände, die das Wuppertal-Institut aufgelistet hat, nicht
als Subventionen werten?
Frau Staatssekretärin.
Das ergibt sich aus der mir vorliegenden Antwort des
Hauses. Aber auf diese konkrete Nachfrage möchte ich
vorsichtshalber lieber sagen, dass wir das noch einmal
überprüfen lassen und wir Ihnen dazu schriftlich antworten.
Herzlichen Dank.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine zweite Zusatzfrage. - Wenn
wir, auch im Rahmen des Ban-Ki-moon-Gipfels, jetzt
über CO2-Reduktionen nachdenken und uns einmal anschauen: „Wer sind die größten Verursacher?“, dann stellen wir - das gilt auch für Deutschland - fest: Das ist
insbesondere die Braunkohle, bei deren Nutzung zur
Stromerzeugung ungefähr 1,5-mal mehr CO2 ausgestoßen wird als bei der Nutzung von Steinkohle.
Die Bundesumweltministerin kämpft für Klimaschutz;
aber die Instrumente, mit denen man Klimaschutz erreichen kann, liegen im Bundeswirtschaftsministerium. Wie
weit will das Bundeswirtschaftsministerium hier auch
Auflagen gegen die Braunkohle machen, um angesichts
dieses besonders klimaschädlichen Produktionsverfahrens etwas für den Klimaschutz zu tun?
Auch diese Frage, Frau Kollegin, muss ich Ihnen
schriftlich beantworten, weil sich das Haus nur mit der
Frage der Steinkohle auseinandergesetzt hat; ich kann
dazu schlicht nichts sagen.
Okay.
Die Frage 46 der Kollegin Hänsel wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Das ist ein
bisschen schade für die vielen Besucherinnen und Besucher, die gerade auf die Besuchertribüne gekommen
sind. Ich unterbreche nämlich jetzt die Sitzung des Deutschen Bundestages, bis wir um 15.35 Uhr zur gemeinsam vereinbarten Debatte über die Ebolaepidemie in
Afrika kommen.
({0})
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Gäste auf den Tribünen! Liebe Regierungsvertreterinnen
und -vertreter! Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen für
den Zusatzpunkt 1, den ich hiermit aufrufe:
Vereinbarte Debatte
Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der
Ebolaepidemie
Zu dieser Debatte liegen uns ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je
ein Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Debatte und gebe dem Staatsminister
Michael Roth das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In unserer politischen Arbeit begegnen wir immer wieder tragischen Situationen, die uns bewegen und so
schnell nicht mehr loslassen. In diesen Momenten fällt
es schwer, zur Tagesordnung zurückzukehren. Die Meldungen und Bilder, die uns derzeit aus der Krisenregion
in Westafrika erreichen, haben auch mich sehr berührt
und erschüttert.
Das Ebolavirus breitet sich immer schneller aus. Fassungslos blicke ich auf die dramatisch wachsenden Opferzahlen in Liberia, Guinea und Sierra Leone. Viele
Krankenstationen sind mittlerweile derart überfüllt, dass
neue Patienten nicht mehr behandelt werden können. Bei
diesen Zahlen und Bildern spüren wir alle: In Westafrika
spielt sich derzeit eine humanitäre Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß ab. Für die Bundesregierung ist
klar: Wir dürfen die Not leidenden Menschen in Westafrika in dieser dramatischen Lage nicht alleinelassen.
({0})
Die Ebolaepidemie besitzt eine andere Qualität als die
meisten Krisen, die die moderne Welt bislang gesehen
hat; sie verlangt andere, neue Antworten. Dies macht die
Reaktion auf Ebola eben auch so schwierig. Deswegen
hat die Weltgemeinschaft im Kampf gegen das Virus viel
Zeit verloren. Das will ich überhaupt nicht beschönigen.
Wir sind derzeit mit einer Vielzahl von humanitären
Großkrisen konfrontiert; Sie alle kennen sie: in Syrien,
im Nordirak, in der Ostukraine. Hinzu kommen die
Flüchtlingsströme im Libanon, in Jordanien und in der
Türkei. Umso wichtiger ist es, dass wir auf diese Krisen
koordiniert, zügig und entschlossen reagieren.
Eine Blaupause zur Lösung der Ebolakrise haben wir
nicht. Einfache Antworten gibt es ebenso wenig wie
schnelle Erfolge; denn wir wissen: Trotz all unserer Bemühungen wird es noch Monate dauern, bis die Epidemie endlich unter Kontrolle ist, und unabhängig von der
medizinischen und humanitären Lage wird uns auch der
Wiederaufbau der Wirtschaft und der Gesundheitssysteme in den betroffenen Staaten noch lange Zeit fordern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ebolaepidemie
in Westafrika ist weit mehr als nur eine humanitäre Katastrophe. Die Verbreitung der Krankheit hat sich auch zu
einer massiven Bedrohung von Frieden und Sicherheit in
der Welt entwickelt, wie der UNO-Sicherheitsrat kürzlich in seiner Resolution 2177 festgestellt hat.
Die betroffenen Länder Liberia, Guinea und Sierra
Leone werden in ihrer Entwicklung weit zurückgeworfen. Die jüngsten Fortschritte bei Friedenssicherung und
Entwicklung drohen durch die Folgen der Epidemie auf
einen Schlag zerstört zu werden. Deswegen hat sich die
Staatspräsidentin Liberias kürzlich in einem dramatischen Appell an die Bundeskanzlerin gewandt.
Über die Region Westafrika hinaus strahlt die Krise
auf den gesamten Kontinent aus. Auch deswegen steht
die internationale Gemeinschaft in der Verantwortung,
zügig und entschlossen zu handeln.
Mittlerweile bekämpfen wir Ebola mit zahlreichen
Projekten. Wir sind bereits seit Monaten - insbesondere
auch mein Haus - im Kampf gegen die weitere Verbrei4860
tung des Ebolavirus aktiv. Seit Ausbruch der Epidemie
haben wir Sofort- und Entwicklungshilfe in Höhe von
rund 17 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese
Gelder fließen an erfahrene Helferinnen und Helfer, die
direkt vor Ort die dringend notwendige Unterstützung
leisten: die Weltgesundheitsorganisation, Ärzte ohne
Grenzen, Welthungerhilfe, das Robert-Koch-Institut und
das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Ihnen
danke ich im Namen der Bundesregierung für ihren unermüdlichen und herausragenden Einsatz.
({1})
Die Bundeswehr wird in den nächsten Tagen von einem Lufttransportstützpunkt in Dakar eine Luftbrücke in
die Krisengebiete aufbauen. Die Bundesregierung wird
das Deutsche Rote Kreuz sowohl finanziell als auch logistisch dabei unterstützen, ein mobiles Krankenhaus
mit mehr als 200 Betten aufzubauen. Auch die Bundeswehr bereitet die Einrichtung einer Krankenstation für
bis zu 50 Patienten in Liberia vor.
Wir helfen. Viele Projekte sind angelaufen. Bis sie die
Menschen in den Ebolagebieten erreichen, wird es allerdings noch Tage oder gar Wochen dauern. Dies liegt daran, dass zunächst qualifiziertes medizinisches Personal
gewonnen und vorbereitet werden muss. Ebenso müssen
wir sicherstellen, dass die Helferinnen und Helfer im
Falle einer Infizierung mit Ebola schnell und sicher evakuiert werden können. Aber seien Sie versichert: Die
Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck daran.
Deutschland beteiligt sich an den internationalen
Hilfsmaßnahmen mit aller Entschiedenheit. Es ist uns allen ein Herzensanliegen, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen,
zählen wir insbesondere auf Ihre Unterstützung.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Michael Roth. - Nächster Redner in der
Debatte: Kollege Movassat für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor kurzem sagte Außenminister Steinmeier, Deutschland sei
Motor im Kampf gegen Ebola. Das muss aber ein Motor
sein, bei dem einige Schrauben locker sitzen. Bis letzte
Woche ist er gar nicht angesprungen. Viel Starthilfe war
nötig. Und heute bewegt er sich immer noch im
Schritttempo.
Viele Hilfsorganisationen weisen schon länger darauf
hin, wie ernst die Lage in Westafrika ist, dass ganze
Staaten wie Sierra Leone und Liberia vor dem Zusammenbruch stehen. Ärzte ohne Grenzen hat schon am
23. Juni das erste Mal davor gewarnt, dass die Lage außer Kontrolle zu geraten droht. Dennoch unternahm die
Bundesregierung lange so gut wie nichts. Kollege Brand
von der CDU/CSU, Vorsitzender des Ausschusses für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, hat recht, wenn
er im Spiegel sagt:
Wenn wir ehrlich zu uns sind, müssen wir eingestehen: Wir sind zu spät dran.
({0})
Deshalb ist nicht Eigenlob angebracht, sondern Selbstkritik.
({1})
Als die Präsidentin Liberias letzte Woche ihren dramatischen Appell an Frau Merkel schrieb, hatte
Deutschland bis dahin gerade einmal 2,7 Millionen Euro
zugesagt. Die USA hatten da bereits über 140 Millionen
Dollar bereitgestellt. Laut Weltgesundheitsorganisation
hat den wertvollsten Beitrag zur Ebolabekämpfung das
arme Kuba zugesagt, die Entsendung von 165 Ärzten
und Pflegern. Deutschland aber, die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt, steht immer noch auf der
Bremse.
Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung ihre konkreten Maßnahmen gegen die Ebolaepidemie vorgestellt.
Ich lese einmal vor: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe kann bei Bedarf kurzfristig
umfangreiche medizinische Ausrüstung zur Verfügung
stellen. Das THW wird sich nach Bedarf an der logistischen Unterstützung der Hilfsmaßnahmen beteiligen.
Liebe Bundesregierung, „bei Bedarf“ und „kann“ - in
Westafrika tobt die größte Ebolaepidemie aller Zeiten.
Über 2 800 Menschen sind schon gestorben. Die Helfer
müssen Infizierte an den Türen der Krankenhäuser abweisen, weil es keine freien Betten mehr gibt. Pessimistische Schätzungen sprechen mittlerweile sogar von bis
zu 1,4 Millionen Infizierten bis Januar 2015. Zudem
droht eine Hungersnot.
Die Weltgesundheitsorganisation vergleicht die Lage
mit dem Tsunami 2004 und dem Erdbeben in Haiti. Bei
beiden Katastrophen gab es Hunderttausende Tote. Welche Bedarfsprüfung brauchen Sie noch? Worauf warten
Sie? Handeln Sie endlich!
({2})
Wir müssen aber auch über die grundlegenden Ursachen dieser humanitären Katastrophe sprechen. Dass die
Lage in Sierra Leone, Guinea und Liberia dermaßen außer Kontrolle geraten konnte, hat auch mit politischen
Fehlern Deutschlands zu tun;
({3})
denn auch deutsche Pharmaunternehmen forschen vor
allem an profitträchtigen Medikamenten für reiche Industrieländer. Käme Ebola nicht nur in armen afrikanischen Staaten vor, es gäbe seit Jahren einen Impf- oder
Wirkstoff gegen das Virus.
({4})
Nur 10 Prozent der globalen Forschungsausgaben beziehen sich auf Krankheiten, die 90 Prozent zur globalen
Krankheitslast beitragen. Die Pharmabranche investiert
doppelt so viel Geld in Marketing wie in Forschung. Gesundheit ist aber keine Ware. Wir dürfen die Erforschung
von lebenswichtigen Medikamenten nicht allein der Privatwirtschaft überlassen.
({5})
Zudem fördert Deutschland bis heute Privatisierungen im Gesundheitsbereich auch in Entwicklungsländern. Das erschwert aber den Aufbau funktionierender
staatlicher Gesundheitssysteme. In Nigeria gab es Ebolafälle bereits in der Millionenstadt Lagos, wo eine Ausbreitung des Virus in den Slums eigentlich auf optimale
Bedingungen trifft. Dennoch hat es sich dort bisher nicht
weit verbreitet. Weshalb? Weil es in Nigeria ein wesentlich besseres staatliches Gesundheitssystem gibt als in
Liberia und Sierra Leone. Deshalb: Schluss mit Privatisierungen im Gesundheitsbereich!
({6})
Es fehlt auch an Geld. Seit Jahren gibt es die Forderung von Nichtregierungsorganisationen, mehr Geld für
globale Gesundheit auszugeben. 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen reiche Staaten dafür aufwenden.
Die Ausgaben für globale Gesundheit betrugen seitens
Deutschlands zuletzt aber nur 0,03 Prozent. Das ist
selbst im europäischen Vergleich nur absolutes Mittelmaß.
Außerdem hat Deutschland seinen Finanzierungsbeitrag für die Weltgesundheitsorganisation WHO immer
weiter zurückgefahren: von 33 Millionen Euro 2006 auf
heute noch 24 Millionen Euro. Insgesamt hat die WHO
in den letzten Jahren ein Fünftel ihrer Finanzmittel verloren. Die WHO hat deshalb für ganz Afrika nur noch
drei Spezialisten für Epidemien im Einsatz. Die Zahl der
Mitarbeiter für Notfälle in der Zentrale ist von 100 auf
34 geschrumpft. Wäre die WHO handlungsfähiger gewesen, hätte die Ebolaepidemie vielleicht rechtzeitig gestoppt werden können. Deutschland muss seinen WHOBeitrag deutlich erhöhen.
({7})
Die jetzige Krise sagt aber auch einiges über die Prioritätensetzung der Bundesregierung aus. Seit Monaten
hören wir vom Bundespräsidenten und von Regierungsmitgliedern viel über die gewachsene internationale
deutsche Verantwortung. Dass Sie diese Verantwortung
vor allem als militärische verstehen, zeigt sich nun wieder; denn jetzt, im historischen Fall einer im 21. Jahrhundert nur wenige Tausend Kilometer von Europa eskalierenden Seuche, hätten Sie die Gelegenheit gehabt,
wahrhaft internationale Verantwortung zu übernehmen:
massenhaft Menschenleben zu retten, ohne die Gefahr
einzugehen, dabei Unschuldige zu töten.
Sie aber liefern lieber für 70 Millionen Euro Waffen
in den Irak. Dort werden diese Jahrzehnte im Umlauf
sein und Schaden anrichten. Für die Bekämpfung von
Ebola haben Sie in den drei Monaten seit der ersten Katastrophenmeldung nicht einmal die Hälfte dieser Mittel
bereitgestellt, und das auch erst nach langem Zögern.
Bei den Waffenlieferungen ging alles ganz schnell.
({8})
Solch eine Außenpolitik, die dem Militärischen den Vorrang vor dem Humanitären gibt, kann man nur noch als
zynisch bezeichnen.
({9})
Nun ging ja der Aufruf an Bundeswehrangehörige,
sich freiwillig für einen Hilfseinsatz zu melden. Aber
wieso ging der Aufruf nur an Bundeswehrangehörige?
Die Bundesregierung muss einen Aufruf an das gesamte
in staatlichen Einrichtungen beschäftigte medizinische
Personal richten; denn die Profis, die helfen können, sitzen in den Tropeninstituten. Es braucht schnell einsetzbares Personal; denn vor Ort gibt es zu wenig Ärzte und
Pfleger.
Als die Seuche ausbrach, gab es für die 10 Millionen
Einwohner Liberias und Sierra Leones gerade einmal
170 Ärzte. Wer sich freiwillig meldet, braucht klare und
sichere Rahmenbedingungen. Eine zeitlich begrenzte
Freistellung und finanzielle Anreize sind wichtig, um die
nötigen Kräfte zu mobilisieren, aber auch die Gewährleistung, ausgeflogen zu werden, falls man sich ansteckt;
denn unzählige Helfer haben sich beim Versuch, Leben
zu retten, mit Ebola angesteckt und sind selbst gestorben.
Ich muss hier eine Selbstverständlichkeit deutlich sagen: Humanitäre Katastrophenhilfe ist nicht Aufgabe der
Bundeswehr. Die Hilfsorganisation medico international
hat vor kurzem erklärt, dass ziviles Personal leichter das
Vertrauen der Bevölkerung gewinnt. Vertrauen ist ein
ganz entscheidender Faktor bei einer Erkrankung wie
Ebola, die die Menschen bisher nicht kennen und die so
massiv Todesopfer fordert.
Es kann nicht sein, dass bei humanitären Katastrophen immer der Ruf nach dem Militär kommt. Soldaten
sind keine humanitären Helfer.
({10})
Wir brauchen deshalb endlich zivile Krisenreaktionskräfte, die über ausreichende Ressourcen verfügen, um
jederzeit überall auf der Welt helfen zu können: mit eigenen mobilen Krankenhäusern, medizinischem Personal,
Flugzeugen, Schiffen, Helikoptern, Räumgeräten und allem, was sonst noch dazugehört.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Pfeiffer?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Movassat, ich habe nur eine kurze
Frage: Meinen Sie nicht, dass es Ihnen, wenn Sie mit
Ebola infiziert sind und dringend auf Hilfe warten, völlig
egal ist, wer Ihnen hilft, ob das ein Bundeswehrsoldat ist
oder ob er vielleicht aus einem Krankenhaus wie der
Charité kommt? Mir persönlich wäre das, um ehrlich zu
sein, ziemlich egal.
({0})
Frau Kollegin Pfeiffer, ich habe nichts dagegen gesagt, dass man den Aufruf in der Bundeswehr gestartet
hat. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, es wäre
richtig, den Aufruf an das gesamte medizinische Personal in allen staatlichen Einrichtungen zu richten. An sie
müsste der Appell gerichtet werden. Dann habe ich gesagt, dass in der Abwägung ziviles Personal, wenn möglich, immer besser ist als militärisches. Ich habe die
Frage beantwortet.
({0})
Zu dem, was akut zu tun ist, hat die Linke in ihrem
Entschließungsantrag viele Vorschläge gemacht. Am
wichtigsten ist es derzeit, nach kubanischem Vorbild medizinisches Fachpersonal zu entsenden, außerdem Isolierstationen zu liefern und zu betreiben und die Finanzzusagen auf 100 Millionen Euro zu erhöhen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja. - Wenn die pessimistischen Prognosen stimmen
sollten, stehen wir vor einer Seuche, wie es sie seit Jahrhunderten nicht gegeben hat. Der Präsident von Ärzte
ohne Grenzen sagte heute, dass es nicht mehr um Wochen und Monate, sondern um Stunden und Tage geht.
Ich appelliere daher an die Bundesregierung: Handeln
Sie jetzt!
Danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Danke, Herr Kollege Movassat. - Nächster Redner in
der Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Silberhorn.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Ausmaß dieser Ebolaepidemie hat in der Tat in
Westafrika dramatische Züge angenommen. Nahezu
6 000 Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bisher infiziert. Mehr als 2 800 Menschen sind bereits an dieser Krankheit gestorben.
Das eigentlich Beunruhigende ist die hohe Ansteckungsrate. Es muss damit gerechnet werden, dass sich
die Zahl der Ebolafälle etwa alle drei Wochen verdoppelt.
Es kann also durchaus sein, dass sich in wenigen Monaten
die Zahl der Infizierten auf mehr als 100 000 beläuft. Damit erleben wir den bei weitem schlimmsten Ausbruch
dieses Virus seit seiner Entdeckung vor fast 40 Jahren.
Jenseits all des menschlichen Leids, das mit dieser
Epidemie verbunden ist, hat diese Krise auch eine Reihe
weiterer gravierender Auswirkungen. Die Gesundheitssysteme in Liberia, Guinea und Sierra Leone als den am
meisten betroffenen Staaten stehen vor dem vollständigen Zusammenbruch. Das bedeutet, dass dann auch andere Krankheiten nicht mehr behandelt werden können.
Es drohen Versorgungsengpässe. Der Ausbruch dieser
Epidemie fiel in die Erntezeit. Die Felder können jetzt
nicht mehr bestellt werden. Die Versorgung ist unterbrochen, weil die Grenzen dicht und die Straßen gesperrt
sind. Nahrungsmittel werden knapp. Die Preise steigen.
Der Handel funktioniert nicht mehr.
Es gibt auch soziale Auswirkungen dieser Ebolaepidemie, die wir noch gar nicht ganz absehen können. Es
ist eine Reihe von Haushalten unter Quarantäne gestellt.
Die Schulen sind geschlossen. Das Fußballspielen ist
den Kindern aus Sorge vor Ansteckung verboten, wie
wir heute Morgen im Ausschuss erfahren haben. Kranke
drohen stigmatisiert zu werden. Viele Frauen bleiben auf
sich allein gestellt. Viele Kinder werden zu Waisen.
Die wirtschaftlichen und die sozialen Auswirkungen
werden die betroffenen Länder noch lange spüren. Damit
werden nicht nur die Erfolge unserer Entwicklungszusammenarbeit, die wir mühsam erreicht haben, wieder
gefährdet, sondern es droht auch neues Konfliktpotenzial in einer ohnehin fragilen Region. Deshalb dürfen
wir uns nicht abwenden von dieser Krise, sondern wir
müssen uns hinwenden zur Bevölkerung. Wir dürfen sie
nicht im Stich lassen. Wir müssen das Virus isolieren,
nicht die betroffenen Länder.
({0})
Eine gute Nachricht ist, dass ein Übergreifen auf weitere Nachbarstaaten bislang weitgehend verhindert werden konnte. In Nigeria und im Senegal gibt es derzeit
keine Neuinfektionen. Ein zweiter Ausbruch von Ebola
in der Demokratischen Republik Kongo konnte eingedämmt werden. Er stand aber auch nicht im Zusammenhang mit der Epidemie in Westafrika. Es ist sehr deutlich
geworden, dass es sich hier nicht um ein Problem einzelner Länder handelt. Vielmehr stehen wir vor der Frage,
inwieweit die regionale bzw. sogar die globale Stabilität
gefährdet ist. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
hat festgestellt, dass die Epidemie eine Bedrohung für
den Weltfrieden und die internationale Sicherheit
darstellt. Sie ist eine Herausforderung für die gesamte
internationale Gemeinschaft. Wir müssen unsere Anstrengungen eng koordinieren. Deshalb begrüßt die BunParl. Staatssekretär Thomas Silberhorn
desregierung, dass die Vereinten Nationen am Samstag
eine Sondermission eingerichtet haben als Antwort auf
den Ebolanotfall, nämlich die United Nations Mission
for Ebola Emergency Response. Erste Vorausteams sind
vorgestern in der Region angekommen.
Wir haben uns mit unseren europäischen Partnern darauf verständigt, dass die Europäische Union 170 Millionen Euro bereitstellt, um diese Ebolaepidemie zu bekämpfen. Der deutsche Anteil daran beträgt etwa
20 Prozent. Wir leisten zudem einen nationalen Beitrag
mit den Fähigkeiten, die wir zur Verfügung stellen können. Das Auswärtige Amt unterstützt Hilfsorganisationen, die vor Ort humanitäre Nothilfe leisten können. Das
Gesundheitsministerium unterstützt deutsche Forschungsinstitute, die bei der Diagnostik und der Ausbildung von
Fachpersonal vor Ort helfen. Das Verteidigungsministerium beteiligt sich am Aufbau einer Luftbrücke und stellt
medizinische Hilfe bereit, ebenso wie das Innenministerium. Ich finde, es ist ein bemerkenswertes Zeichen, dass
sich bei der Bundeswehr innerhalb von 24 Stunden Hunderte Freiwillige gemeldet haben, die an der Ebolabekämpfung mitwirken wollen. Es melden sich täglich mehr.
({1})
Das ist ein beeindruckendes Signal von Hilfsbereitschaft
und praktizierter Nächstenliebe. Wir alle wissen, dass
dieser Einsatz mit Risiken verbunden ist. Deswegen
möchte ich allen, die hier helfen, unsere Hochachtung
und unseren Dank aussprechen.
({2})
Ich beziehe in diesen Dank ausdrücklich die vielen Helferinnen und Helfer von Rettungsorganisationen ein, wie
dem Deutschen Roten Kreuz, Caritas und insbesondere
Ärzte ohne Grenzen, deren Experten bis zur Erschöpfung arbeiten, um vor Ort Menschenleben zu retten. Vielen Dank für dieses Engagement!
({3})
Auch das Entwicklungsministerium trägt mit seinen
Instrumenten dazu bei, diese Epidemie zu bewältigen.
Wir unterstützen den Krisenplan der Weltgesundheitsorganisation mit 10 Millionen Euro. Diese Mittel werden
eingesetzt, um die Bevölkerung über die Krankheit und
die Ansteckungsgefahren aufzuklären, um Ärzte und
Pflegepersonal weiterzubilden, um zusätzliche Behandlungsstationen für Ebolapatienten aufzubauen sowie um
Schutzmaterial und Medikamente zu beschaffen. Wir bemühen uns, wo immer es möglich ist, in unseren laufenden Vorhaben vor Ort Mittel so einzusetzen, dass wir
helfen können. Wir unterstützen auf diesem Weg unter
anderem Ärzte ohne Grenzen.
Ich verhehle nicht, dass wir mit den Partnerstrukturen, die wir vor Ort haben, und den Netzwerken zu lokalen Experten und Hilfsorganisationen durchaus noch
mehr tun könnten. Wir sind zusammen mit unseren Partnern durchaus in der Lage, weitere 30 Millionen bis
35 Millionen Euro zügig und wirksam zu verwenden.
Aber es wird Sie nicht überraschen, dass diese Mittel im
Haushaltsentwurf noch nicht eingestellt sind; denn dieser stammt aus dem Sommer. Was überplanmäßig möglich ist, müssen wir im Kreis der beteiligten Ressorts besprechen und mit dem Deutschen Bundestag verhandeln.
Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit können wir jetzt unsere Erfahrungen und Strukturen nutzen,
um schnell und wirksam zu helfen, denn jetzt geht es darum, Leben zu retten. Aber wir müssen auch jetzt schon
überlegen, wie es danach weitergeht. Wir müssen jetzt
schon die betroffenen Länder dabei unterstützen, die
Folgen der Krise zu überwinden und Strukturen zu
schaffen, die die nächste Katastrophe vermeiden helfen.
Das Entwicklungsministerium investiert jedes Jahr
700 Millionen Euro in den Aufbau von leistungsfähigen
Gesundheitssystemen. Diese Krise um Ebola zeigt, wie
wichtig und überlebensnotwendig das ist; denn in den
betroffenen Ländern fehlt es an funktionierenden Gesundheitsstrukturen, und es fehlt auch an Vertrauen in
öffentliche Einrichtungen.
Wir wollen einen Beitrag leisten, in Liberia, Guinea
und Sierra Leone jetzt diese Krise zu überwinden, aber
wir wollen auch einen Beitrag leisten, damit solche Krisen künftig gar nicht erst entstehen. Wir wollen mit den
Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit Strukturen schaffen, damit Vertrauen wieder wachsen kann und
damit nachhaltige Entwicklung gelingt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Silberhorn. - Nächste
Rednerin in der Debatte ist Kordula Schulz-Asche für
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Seit nunmehr einem halben Jahr wütet das Ebolavirus in Westafrika. Wir kommen gerade von dem gemeinsamen Gespräch mit Dr. Sambo, dem Regionaldirektor für Afrika der Weltgesundheitsorganisation, der
uns nicht nur eindringlich geschildert hat, wie in den betroffenen Ländern die Situation ist, sondern auch zum
wiederholten Male an Deutschland den Appell gerichtet
hat, Hilfe zu leisten.
Bereits am 8. August, also vor sechs Wochen, stufte
die Weltgesundheitsorganisation die Ebolaepidemie als
internationalen Gesundheitsnotfall ein, und spätestens ab
da an war klar: Die betroffenen Länder können den Ausbruch mit ihren vorhandenen Mitteln und den personellen Ressourcen nicht mehr alleine stoppen. Was es
braucht, ist eine massive Unterstützung von außen.
({0})
Doch es vergingen verheerende Wochen, in der die internationale Gemeinschaft weitgehend untätig blieb. Auch
Deutschland überhörte diese Hilferufe fahrlässig.
Der Antrag, den uns die Regierungsfraktionen heute
vorgelegt haben, zeigt: Sie haben das Problem immer
noch nicht verstanden. Sie bleiben vage, Sie prüfen; aber
darum geht es nicht.
({1})
Wenn man sich Ihren Antrag und das, was Sie vorhaben,
anschaut, dann stellt sich für mich die Frage: Wo in Ihrem Antrag steht das Personal, das so dringend von diesen Ländern angefordert wird?
({2})
Das Einzige, was wir bisher wissen, ist, dass seit
Montag Frau von der Leyen sozusagen persönlich Freiwillige anwirbt. Aber wo steht in Ihrem Antrag, wer sich
um diese Freiwilligen kümmert, wer sie auswählt, wer
schaut, wer geeignet ist, und wie diese Leute betreut
werden, von denen Sie andauernd reden.
({3})
Nichts dazu steht in Ihrem Antrag. Das ist ein Zeichen
dafür, dass Sie einfach nicht zusammenarbeiten. Jeder
macht seins. Jeder Gesundheitsdezernent in einer deutschen Kommune weiß, was im Falle einer Epidemie notwendig ist: erstens sofortiges Handeln - Sie haben ein
halbes Jahr gewartet - und zweitens koordiniertes Handeln. Da sind Sie immer noch nicht angekommen. Ihr
Antrag ist dafür der Beweis.
({4})
Da muss erst ein alarmierender Brandbrief der liberianischen Präsidentin an Frau Merkel kommen, damit das
monatelange Vorsichhinwurtschteln in den Ministerien
endlich mit dem Staatssekretärstreffen vom letzten
Freitag beendet wird. Wenn man sich dann den Antrag
anschaut, stellt man fest, dass das bestenfalls verbal der
Fall ist.
({5})
Schauen wir uns den Antrag an: Ankündigungen, nichts
Konkretes, keine Geldsummen, keine konkreten Forderungen oder Beschreibungen, wer konkret was übernimmt. Es ist keine Systematik zu erkennen, es ist kein
Konzept zu erkennen, wie die Epidemie gestoppt werden
kann. Das können wir nicht länger zulassen. Deswegen
möchte ich jetzt sagen, was aus meiner Sicht konkret zu
tun ist.
({6})
Meine Damen und Herren, natürlich muss mit der
Weltgesundheitsorganisation, mit der EU und auch mit
der von der UN für den Ebolanotfall eingerichteten Mission kooperiert werden. Aber die Frage ist doch: Was
können wir in Deutschland tun, um endlich ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen der verschiedenen Ministerien hinzubekommen? Erst am letzten Freitag, am
19. September, hat das erste Treffen auf Ebene der
Staatssekretäre stattgefunden, und seitdem warten die
Nichtregierungsorganisationen, aber auch die staatlichen
und die staatsnahen Organisationen darauf, zu erfahren,
was von ihnen jetzt eigentlich erwartet wird. Das geht
doch so nicht weiter. Das ist doch ein Zeichen dafür,
dass Sie offensichtlich überfordert sind.
({7})
Sie hätten längst, seit Wochen, eine Liste mit den logistischen und technischen Kapazitäten, die in Deutschland vorhanden sind, zum Beispiel beim Technischen
Hilfswerk, fertigstellen können. Sie hätten längst ermitteln können, wo qualifiziertes Personal im Bereich der
Seuchenbekämpfung in Deutschland vorhanden ist - in
den zehn spezialisierten Zentren, aber natürlich auch in
den Gesundheitsämtern - und wer sich für Hilfseinsätze
zur Verfügung stellen würde. Wo ist die entsprechende
Liste? Längst hätte gefragt werden können, welche in
Entwicklungsländern erfahrenen und mit den dortigen
Krankheiten vertrauten Ärzte, Krankenpfleger und Laboranten für Einsätze freiwillig zur Verfügung stehen.
Viele von ihnen arbeiten in Nichtregierungsorganisationen. Ich denke an die Experten der GIZ, des ehemaligen
DED. In diesem Bereich gibt es sehr viele versierte
Kräfte. Es gibt natürlich auch versierte Kräfte in der
Bundeswehr; das bestreite ich gar nicht. Aber warum haben wir keine Liste, aus der hervorgeht, welche Personen
bereit sind, nach Afrika entsandt zu werden?
({8})
Seit Wochen weist das DRK darauf hin - und zwar
völlig zu Recht -, dass man, wenn man Freiwillige anwirbt, ihnen für den Infektionsfall auch eine Rückholgarantie geben muss. Daran arbeiten wir jetzt. Das Problem, dass die weltweiten Kapazitäten nicht ausreichen,
ist seit Monaten bekannt. Nichts haben Sie getan.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen dringend Gesundheitspersonal, nicht nur zur Bekämpfung von Ebola,
sondern auch im Kampf gegen Malaria, Durchfall und
andere Krankheiten. Ich kenne bisher keine Antwort der
Bundesregierung darauf. Wir hören, dass in Liberia bereits eine Hungersnot ausgebrochen ist; darüber wird
bereits seit Wochen gesprochen. Ich finde in Ihrem Entschließungsantrag keine Antwort auf die damit verbundenen Fragen.
Wir wissen, dass wir diese Epidemie nur eindämmen
können, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten. Ich
fordere die Regierung auf: Machen Sie endlich etwas!
Versuchen Sie, es auf die Reihe zu bekommen, zu koorKordula Schulz-Asche
dinieren! Wir sind dabei; wir helfen Ihnen gerne. Aber
bisher fehlen uns alle entscheidenden Antworten, die
den Menschen vor Ort wirklich helfen würden.
Danke schön.
({0})
Danke, Frau Kollegin Schulz-Asche. - Jetzt spricht
die Abgeordnete Michaela Engelmeier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schulz-Asche, Sie haben gerade in Ihrer Aufzählung all der Dinge, die man nicht gemacht hat, vergessen, dass es seit Mitte Juli einen Krisenstab im Auswärtigen Amt gibt, und dieser Krisenstab arbeitet sehr wohl.
Die Schärfe in dieser Debatte verstehe ich nicht ganz;
denn so richtig getrieben von der Opposition werden wir
bei unseren Maßnahmen nicht.
({0})
Wir stehen heute hier, weil wir uns mit der Hilfe aus
Deutschland zur Bekämpfung der Ebolaepidemie befassen. Es handelt sich um eine Katastrophe, die außer Kontrolle zu geraten droht und deren Folgen kaum absehbar
sind. Dieses Problem wird sich nicht alleine lösen; vielmehr wird sich diese Epidemie vermutlich auf weitere
Länder ausdehnen. Unsere Hilfe ist also gefragt, gefragter denn je. Bisher sind besonders Liberia, Guinea und
Sierra Leone betroffen. Die Nachbarländer schotten sich
ab, um ihrerseits eine Verbreitung der meist tödlich verlaufenden Krankheit zu verhindern. Das Dramatische an
der Problemlage der Ebolaepidemie ist, dass sich keineswegs, wie in der Vergangenheit, eine Abschwächung der
Krankheit im Laufe der Zeit ergibt. Ganz im Gegenteil:
Die Lage der Menschen, besonders der Kinder, ist unverändert dramatisch; der Radius erweitert sich.
Ebola hat besonders das Leben von Kindern radikal
verändert. Die Schulen sind geschlossen - wegen der
Gefahr der Ansteckung und weil auch Lehrkräfte ihre
Dörfer nicht mehr verlassen, die Schulen für andere
Zwecke genutzt werden. Angst und Misstrauen bringen
das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Versorgung mit
Lebensmitteln ist nicht mehr gewährleistet.
Wie kann man helfen, damit die Kinder in Westafrika
nicht ihrer Zukunft beraubt werden? Kinder, deren Eltern an dem Ebolavirus gestorben sind, bleiben allein zurück. Die Waisen werden von anderen Familien aus
Angst vor Ansteckung zurückgewiesen, oft aus den Dörfern verjagt. Sie sind sich selbst überlassen und schutzlos der veränderten Lebenslage ausgeliefert. Kinder
müssen Orte finden, wenn die Dorfgemeinschaften nicht
mehr funktionieren. Hier müssen wir mit unseren Partnerorganisationen nach Hilfen für die Kinder suchen.
Hier müssen wir unsere Partnerorganisationen unterstützen, die sich der Kinder annehmen und ihnen eine Zuflucht bieten.
Wir brauchen auch Unterstützung für die Familien. Es
gibt kaum Familien, die nicht betroffen sind. Entweder
fallen Frauen durch eigene Erkrankung als Versorgerinnen für die Familien aus, oder sie müssen dem Sterben
ihrer Kinder ohnmächtig zusehen. Wie geht es einer
Mutter, die all ihr Geld zusammennimmt, um den erkrankten Sohn in ein Krankenhaus zu bringen? Sie weiß,
dass ihr Kind eine Krankheit hat, die viele haben und die
meist tödlich verläuft. Am Krankenhaus steht sie vor
verschlossenen Türen; sie findet keinen Einlass, weil es
auf der Isolierstation keine Kapazitäten mehr gibt. Sie ist
hoffnungslos ausgeliefert, dem Sterben ihres Sohnes zuzusehen. - Viele Erkrankte werden von den Behandlungszentren wegen mangelnder Kapazitäten abgewiesen, und nicht selten sterben sie auf dem Heimweg
zurück in ihre Dörfer. Es trifft keinen eine Schuld, weder
die verzweifelten Mütter noch die Menschen, die am
Krankenhaustor die Aufnahme verweigern.
Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen
haben Behandlungszentren aufgebaut, die eine gute Ebolaversorgung bieten; aber die Zahl der Erkrankten übersteigt die Kapazität der bisherigen Hilfe bei weitem.
Viele Regelkrankenhäuser haben wegen Personalmangels geschlossen. Die Behandlung regulärer Erkrankungen wie Blinddarmentzündung und Malaria sowie die
Schwangerenvorsorge finden nicht mehr statt. Daher
muss genau hier unsere Hilfe ansetzen.
Es stellt sich für uns nicht die Frage, ob, sondern eher,
wie wir helfen, und zwar langfristig. Wir benötigen Informationsverbreitung betreffend einfache Hygieneregeln zur Vermeidung von Ansteckung innerhalb der
Familien. Wir benötigen die Entsendung von medizinischen Helfern und ärztlichem Fachpersonal, die auch vor
Ort Pflegepersonal ausbilden und begleiten. Wir benötigen Aufnahmestationen für Kinder, die durch Ebola zu
Waisen wurden. Wir benötigen Finanzen, Ausrüstungen,
mobile Labore und logistische Unterstützung für die
Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln. Wir
benötigen Schutzkleidung, nicht nur für medizinisches
Personal, sondern auch für Angehörige, die Kranke zu
Hause versorgen. Wir benötigen Unmengen von Desinfektionsmitteln für die häusliche Versorgung. Und:
Diese Hilfe brauchen wir sofort.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Engelmeier. - Nächster
Redner in der Debatte ist Uwe Kekeritz für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Vor ein paar Tagen hat die Präsidentin Liberias einen
Hilfsappell an die Kanzlerin geschickt. Man könnte fast
den Eindruck gewinnen, dass das die Ursache dafür ist,
dass die Regierung jetzt so langsam in die Puschen gekommen ist und aktiv wird.
({0})
Allerdings muss ich sagen: Es ist ein Irrtum, zu glauben,
dass so ein Brief diese Regierung in Bewegung setzt.
({1})
Diese Regierung reagiert doch erst, wenn auf internationaler Ebene ein Nichtreagieren einfach nicht mehr toleriert würde. Man wartet immer auf die USA, und wenn
die USA reagieren, dann zieht man langsam nach.
Frau Engelmeier, Sie haben uns gerade erklärt: Seit
Juli gibt es einen Krisenstab. - Das macht es aber noch
schlimmer.
({2})
Wir warten seit Monaten darauf, dass etwas passiert.
Was hat denn der Krisenstab in den letzten zehn Wochen
gemacht? Auf was hat er eigentlich gewartet? Das Blätterrauschen des Aktionismus hier hilft überhaupt nicht.
Auch heute - darüber müssen wir uns im Klaren sein geht es noch nicht um konkrete Taten. Auch heute noch,
nachdem wir seit zehn Wochen einen Krisenstab haben,
gibt es nur Ankündigungen. Wer glaubt, dass das ausreichend ist, der hat sich geirrt.
({3})
Wir wissen, dass Ebolaausbrüche heutzutage überhaupt nicht mehr zur Katastrophe werden müssen. Das
war vielleicht noch vor 40 Jahren der Fall; heute ist es
nicht mehr der Fall. In Uganda und Ruanda gab es in den
letzten Jahren permanent solche Ausbrüche. Es war
überhaupt kein Problem, diese einzudämmen. Sogar der
Senegal ist von dieser Krise direkt betroffen gewesen.
Aber auch dieses Land war in der Lage, den Ausbruch
einzudämmen. Warum? Weil es funktionierende Gesundheitssysteme gibt.
Staatssekretär Silberhorn hat gerade noch gesagt,
diese Regierung tue sehr viel für diesen Bereich, sie
stelle 700 Millionen Euro jährlich für den Aufbau von
Gesundheitssystemen zur Verfügung. Das freut mich ja.
Ich muss mich allerdings fragen: Warum habe ich davon
nichts gemerkt? Ich möchte einmal aufgeschlüsselt haben, wo diese 700 Millionen Euro zu finden sind. In dem
Unterausschuss „Gesundheit in Entwicklungsländern“
haben wir vier Jahre lang über diese Thematik diskutiert;
aber von 700 Millionen Euro speziell für den Aufbau
von Gesundheitssystemen ist uns nichts bekannt geworden.
({4})
Es ist schön, dass der Gesundheitsminister jetzt da ist.
Man könnte glauben, dass auch er nun aktiv wird.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Pfeiffer?
Selbstverständlich.
Frau Pfeiffer, bitte.
Herr Kollege Kekeritz, wollen Sie hier allen Ernstes
behaupten, dass, wenn Sie an der Regierung wären, jetzt
Gesundheitssysteme zum Beispiel in Liberia oder im Senegal aufgebaut worden wären, ohne dass es eine Anfrage von den dortigen Regierungen gegeben hätte? Wären Sie einfach dahin gefahren und hätten gesagt: „So,
Freunde, ihr habt noch kein Gesundheitssystem; wir
bauen das jetzt für euch auf“? Das ist keine moderne
Entwicklungspolitik. Moderne Entwicklungspolitik heißt,
die Bedürfnisse und Prioritäten der Länder zu berücksichtigen und die Länder mit in die Verantwortung zu
nehmen.
Frau Kollegin Pfeiffer, herzlichen Dank für die Frage.
Ich muss mich allerdings wundern: Wenn das die Frage
ist, die Sie nach meinen Ausführungen haben, dann
stelle ich fest, dass Sie meinen Beitrag nicht verstanden
haben.
({0})
Lassen Sie mich noch kurz in Bezug auf den Gesundheitsminister sagen:
({1})
Aktiv geworden ist er vermutlich nicht; ich habe es jedenfalls nicht gemerkt. Er beruft sich auf eine Hochglanzbroschüre, die aber nicht von ihm, sondern von seinem Vorgänger stammt. Darin steht:
Das Ziel des universellen Zugangs zu Gesundheitsversorgung kann nur dann erreicht werden, wenn
nationale Gesundheitssysteme ihre Dienstleistungen kompetent, effektiv, effizient und für alle gleichermaßen zugänglich anbieten.
Jetzt kommt es:
Daher ist der zentrale Förderansatz der deutschen
Entwicklungspolitik die Stärkung der nationalen
Gesundheitssysteme.
Ich freue mich, dass der Gesundheitsminister diese
Erkenntnis hat. Jetzt wäre es ganz wichtig, dass diese Erkenntnis auch noch bis zum Entwicklungsministerium
durchdringt. Dann, glaube ich, könnte man in Zukunft
solche Krisen vermeiden.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Kekeritz. - Nächster Redner in der Debatte Dr. Georg Kippels für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Eine Welt - wir leben alle in einer Welt. Geografische Entfernungen haben sich im Zeitalter der Globalisierung und der Mobilität relativiert. Zwar liegt
Westafrika immer noch 8 000 Kilometer entfernt; trotzdem findet die Katastrophe vor unserer Haustür statt.
Man kann es fast körperlich spüren. Das hat auch der
Weltsicherheitsrat mit seiner Resolution vom 18. September deutlich gemacht. Er bezeichnete den Ebolaausbruch zu Recht als „Gefahr für Frieden und Sicherheit der Welt“. Denn Seuchen erschüttern auch heute
noch die Staatssysteme in ihren Grundfesten, und das
gilt grundsätzlich auch für den Westen.
Westafrika war vor 20 Jahren weit weg von unserer
Lebenswirklichkeit. Heute stellt die dortige Lage eine
Herausforderung für die westliche Zivilisation dar, auch
deshalb, weil solche Szenarien nicht einfach virtuell
durchgespielt werden können. Die Lage erfordert unsere
Solidarität und unseren Einsatz: personell, materiell,
wissenschaftlich und organisatorisch. Die Triebfeder des
Handelns muss der Respekt vor dem Individuum sein
und nicht nur die Angst vor der eigenen Betroffenheit
und natürlich erst recht nicht die Anzahl der Opfer.
Am 18. September meldeten die Helfer vor Ort noch
2 622 Tote, bis heute waren es laut Mitteilung der WHO
bereits 2 847. Bis zum 18. September waren es 5 335 Infizierte, bis heute 5 880. Diese Zahlen steigen fast stündlich und benennen nur die registrierten Fälle. Die Anzahl
der namenlosen Opfer wird wahrscheinlich das Dreioder Vierfache betragen. Prognosen von 20 000 Infizierten bis November stehen im Raum. Die Mortalität liegt
bei 70 Prozent. Die Spirale des Grauens nimmt an Fahrt
zu. Wir haben heute gehört: Ebola ist bisher nicht heilbar. Sierra Leone und Liberia sind an einem Punkt, an
dem das Hilfssystem kollabiert und es fast nur noch darum geht, die Ausbreitung der Seuche zu verhindern. In
den 40 Jahren seit seiner Entdeckung hat das Ebolavirus
noch nie so gewütet wie heute. Die Länder drohen staatliche Strukturen zu verlieren und im Chaos zu versinken.
Der Ausnahmezustand ist verhängt. Die Menschen misstrauen den Helfern, und es ist schon zu Angriffen und
Todesopfern gekommen. Die Bedrohung einer weltweiten Ausbreitung des Virus ist greifbar.
Ebola hat mit Westafrika einige der ärmsten Länder
dieser Welt befallen. Ihre medizinische Infrastruktur ist
bestenfalls als rudimentär zu bezeichnen. Es fehlt an Bildung, an Nahrungsmittelsicherheit und vor allem an
Aufklärung und Prävention im Gesundheitsbereich. In
den Ebolagebieten gehen laut Ärzte ohne Grenzen die
nötigsten Hilfsmittel zur Neige, ja sogar die Seife in den
Krankenhäusern, die dringend benötigt wird. Ebola zerrt
auf furchtbare Weise die staatlichen Defizite ans Tageslicht, und dies in einer Geschwindigkeit, die die Reaktion dramatisch erschwert. Die akute Bedrohung
durch noch nicht ausreichend erforschte Erreger und vor
allen Dingen das latente Fehlen einer vorhandenen Gesundheitsstruktur lassen die Folgen explodieren. Unwissenheit in der Diagnose und fehlende Kommunikation
über den Ausbruch der Erkrankung verzögerten vor Monaten die Reaktionsmöglichkeit. Die schlechte Bildungssituation der Bevölkerung führt zu irrationalen Reaktionen der Menschen. Man misstraut dem eigenen
Staatssystem und schottet sich ab. Dies verschlimmert
noch die Folgen. Die Hilfe muss daher mit Sofortmaßnahmen, aber auch mit langfristigen Strukturprojekten
erfolgen. Schon jetzt muss auch die Zeit nach der Epidemie in den Blick kommen.
Herr Dr. Kippels, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Frau Schulz-Asche?
Ja. - Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Kippels, ich möchte Sie fragen, inwiefern der Vorstoß von Frau Ministerin von der Leyen
am Montag im Morgenmagazin mit dem Aufruf an Freiwillige mit dem Krisenstab abgestimmt war. Wenn das
der Fall ist: Wer ist das federführende Ministerium, und
welche Kriterien sind für die Auswahl und die Betreuung dieser Freiwilligen vorgesehen? Es wäre schön,
wenn Sie mir darauf antworten könnten. Wie Sie wissen,
habe ich über zwölf Jahre im Gesundheitswesen in
Afrika gearbeitet. Von daher interessiert mich, was hier
geplant ist und welche Freiwilligen dorthin entsendet
werden. Danke schön.
Ich werde im Laufe meines Vortrags noch darauf eingehen. Zunächst einmal müssen wir unterscheiden, ob
wir Sofortmaßnahmen in Form von personeller Leistung
für die Organisation der Lazarette bzw. der Unterbringungsmöglichkeiten benötigen, also im logistischen Bereich, oder im medizinischen Bereich. Wie Sie sicher
wissen, hat auch die Bundeswehr gut geschulte Versorgungskräfte, Pflegekräfte und Ärzte. Das alles muss
letztendlich koordiniert werden. Der Aufruf war nur dafür vorgesehen, überhaupt notwendiges Personal aus
dem Freiwilligenbereich zu generieren und die Bereitschaft dafür herzustellen, dass sich die Bevölkerung beteiligt.
({0})
- Ob das mit dem Krisenstab abgestimmt ist, kann ich
Ihnen nicht beantworten, Frau Kollegin.
({1})
An dieser Stelle sind Deutschland, aber auch die Europäische Gemeinschaft und vor allen Dingen und an
erster Stelle die WHO gefordert, die sich in ihrem Vorgehen intensiv vernetzen müssen. Federführend muss allerdings die WHO sein. Mit der Bereitstellung der Sofortmittel des AA, des BMZ und auch der Europäischen
Union ist jedenfalls ein wichtiger Schritt gemacht. Ele4868
mentare Bausteine der weiteren Maßnahmen sind die
Lösung der logistischen Anforderung, vor allen Dingen
die Sicherstellung ausreichenden Fachpersonals zur Umsetzung der Patientenbetreuung, die Diagnostik, die Einschätzung der Gefährdungslage und auch die Kontrolle
der Infektionsherde durch ordnungsgemäße Bestattung
der Toten und Desinfektion von Gegenständen, vor allen
Dingen Fahrzeugen. Dies alles funktioniert aber nur im
Zusammenwirken mit den staatlichen Institutionen und
mit der Akzeptanz der betroffenen Regierungen. Hilfe
setzt aber auch Vertrauen in den eigenen Staat, die ausländischen Helfer und die westlichen Behandlungsmethoden voraus. Dieses Vertrauen zu gewinnen, ist ein
wichtiger Aspekt im Kampf gegen die Ebolaepidemie.
Bei dieser Mammutaufgabe dürfen wir aber auch
nicht vergessen, dass wir eine besondere Verantwortung
für die freiwilligen Helfer haben, denen wir im Infektionsfall unverzügliche und effektive Hilfe garantieren
müssen. Es stellt sich heute für uns die Frage, was wir
weiter leisten können und müssen, um der Epidemie
Einhalt zu gebieten. Zu den Leistungen gehören die finanzielle Nothilfe, die Hilfe bei der Logistik, die Bereitstellung freiwilliger Helfer, die Gewährleistung der Sicherheit der freiwilligen Helfer im Infektionsfall - sie
müssen von der deutschen Regierung bzw. vom deutschen Staat Unterstützung und Schutz erhalten -, die Errichtung einer Luftbrücke sowie die Etablierung und der
Ausbau von Gesundheitssystemen, um zukünftige Ausbrüche schnellstmöglich unter Kontrolle zu bringen. Die
Gesundheitssysteme in diesen Ländern müssen dringend
aufgebaut werden. Wir müssen zum einen gegen Seuchen gerüstet sein und uns zum anderen dauerhaft um
die Gesundheit der Bevölkerung in den Entwicklungsländern kümmern.
Die Bundesregierung hat ihre Hilfen kontinuierlich
gesteigert und wird die Hilfsplanung mit ihrem Krisenstab intensiv begleiten. Unser Engagement kann durchaus einen entscheidenden Beitrag leisten. Aber auch wir
müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir keinen
Masterplan in der Schublade haben, mit dem wir ein
Problem dieser Größenordnung bewältigen könnten.
Auch die Krise nach der Krise darf nicht vergessen
werden. Durch den Ausbruch der Ebolaepidemie wird
das Wirtschaftswachstum enorm gebremst werden. Die
Nahrungsmittelsicherheit ist gefährdet. In Liberia legt
die Epidemie speziell den Reisanbau lahm. Hier müssen
wir dringend den Blick auf den Zeitraum nach der Krise
richten.
Krisen wie die Ebolakrise führen uns zu der Erkenntnis, dass sich die Globalisierung auch auf Katastrophen
auswirkt. Daraus müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen; darauf muss unser künftiges Handeln beruhen. Wir
müssen uns klarmachen, dass globale Gesundheitsvorsorge uns alle angeht.
Ich komme zum Schluss. Mein ausdrücklicher Dank
gilt allen Fachleuten und freiwilligen Helfern vor Ort,
vor allen Dingen den Ärzten ohne Grenzen. Sie alle handeln selbstlos, mutig und vor allen Dingen ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben, das sie mit ihrem täglichen
und unermüdlichen Einsatz in Gefahr bringen. Ihnen gebührt unser Respekt. Wir müssen an dieser Stelle für alle
Stunden, die dort geleistet worden sind, unseren Dank
zollen.
({2})
Herr Kollege!
Die neue Situation zeigt uns aber auch, dass es nur
mit der Solidarität aller Bürgerinnen und Bürger gelingen wird, dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kippels. - Nächster
Redner in der Debatte ist Stefan Rebmann für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
Herr Kawusu Mansaray aus Sierra Leone und sehr geehrter Herr Dr. Sambo, Regionaldirektor der WHO für
Afrika, herzlichen Dank, dass Sie unserer Debatte hier
beiwohnen
({0})
und Sie uns heute Morgen im Ausschuss und heute
Mittag so umfassend informiert haben. Ich kann Ihnen
sagen: Das war sehr beeindruckend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere auszugsweise aus einem Bericht des Journalisten Johannes
Dieterich aus Monrovia vom vergangenen Montag: Ein
junger Mann in blauen Jeans und grünem T-Shirt wälzt
sich auf dem vom Regen nassen Lehmboden vor dem
John-F.-Kennedy-Hospital in Monrovia und stöhnt: „Ich
sterbe.“ Seine Mutter flößt ihm aus einer Plastikflasche
Wasser in den Mund. Das Eisentor zur größten Klinik
des Landes will sich partout nicht öffnen. Mit 68 Patienten ist die für 38 Patienten ausgelegte Ebolastation hoffnungslos überfüllt. „Just for Killing“ nennen die Bewohner Monrovias ihr mit JFK abgekürztes Krankenhaus
sarkastisch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, offiziell - wir haben es schon gehört - sind über 2 800 Menschen an
Ebola gestorben, darunter zahlreiche Helferinnen und
Helfer, und haben sich mehr als 5 800 Menschen infiziert. Die tatsächliche Zahl dürfte, wie wir wissen, weit
höher liegen. Es wird noch lange dauern, bis wir die Epidemie im Griff haben und bekämpft haben. Die Zahl der
Opfer wird weiter steigen. Wie wir vorhin gehört haben,
geht die WHO von einem Bedarf an 59 000 Leichensäcken aus.
Den Helferinnen und Helfern, dem Personal, den Medizinern vor Ort von Ärzte ohne Grenzen, von medico
international, von Brot für die Welt und von Caritas, die
sich wirklich bis zur Erschöpfung um die Menschen
kümmern, gilt unser tief empfundener Dank, unser Respekt und unsere Anerkennung.
({1})
Die Helfer - das haben wir heute schon ein paarmal gehört - sind leider auch gezwungen, Patienten abzuweisen, weil es an Personal, an Betten, an Equipment, weil
es schlichtweg an allem fehlt.
Es handelt sich bei dieser Epidemie um eine soziale,
wirtschaftliche und humanitäre Katastrophe. Sie betrifft
nicht nur Menschen, die sich angesteckt haben oder sich
noch anstecken werden. Ebola bedroht rund 22 Millionen Menschen in der betroffenen Region direkt oder indirekt. Schulen sind geschlossen. Betriebe stehen still. In
der Landwirtschaft wird in der Pflanzzeit nicht ausgesät
und angepflanzt. Staatliche Strukturen kollabieren.
Krankenhäuser werden geschlossen. Der Handel bricht
so ein, dass die Menschen kaum noch an Nahrungsmittel
kommen. Über 1,3 Millionen Menschen droht Hunger.
Die Ausgangssperre, die in Sierra Leone verhängt
wurde, und die Abschottung der Länder machen die
Lage noch schwieriger.
Helfer kommen nicht mehr ins Land. Hilfsmittel hängen zum Teil seit Wochen an Flughäfen oder Landesgrenzen fest. Deshalb sind unsere Hilfen, die wir zur
Verfügung stellen - diese müssen und wollen wir anpassen -, und die Bereitstellung von Transportkapazitäten
- bis hin zu einer Luftbrücke -, von Material und Personal so wichtig. Es gibt keine Standardlösung. Das macht
die Aufgabe auch so schwierig.
({2})
Es brennt in Afrika. Wenn wir diesen Brand nicht löschen, wird es bald zu einem Flächenbrand kommen, der
auch vor Europa nicht haltmachen wird. Wenn es uns
nicht gelingt, diesen Brand zu stoppen, dann ist es nur
eine Frage der Zeit, bis es zu Unruhen, Aufständen und
zum Wiederaufflammen von bewaffneten Konflikten
kommt. Immer mehr Menschen werden flüchten. Es entstehen Wanderungsbewegungen. Wer will es ihnen verdenken? Viren lassen sich nicht von Landesgrenzen aufhalten.
Ich bin froh, dass die Bundesregierung ihre Hilfe für
die betroffenen Länder erheblich aufgestockt hat. FrankWalter Steinmeier und Gerd Müller haben die Hilfen für
Westafrika deutlich erhöht. Das ist richtig, und das ist
notwendig. Unser Entschließungsantrag unterstreicht
das.
({3})
Ein robustes Gesundheitssystem ist gerade in den
Regionen notwendig, in denen Krankheiten wie Ebola,
Malaria, Gelbfieber und andere vernachlässigte Krankheiten besonders verbreitet sind. Gute Entwicklungspolitik hat auch und gerade im Gesundheitsbereich einen
präventiven Charakter. Wenn wir ein weiteres Ausbreiten verhindern wollen, dann müssen wir in die Gesundheitssysteme der ärmsten Länder investieren, auch über
den Tag hinaus.
({4})
Das bedeutet auch: Wir müssen Systeme der soziale
Sicherung aufbauen.
({5})
Gute, nachhaltige Entwicklungspolitik verhindert
Krisen, erschwert Epidemien, verhindert bewaffnete
Konflikte und Flüchtlingsbewegungen. Sie schafft Gesundheit, Arbeit, Einkommen und Zukunft für die Menschen, und sie schafft Frieden. Wenn das endlich verstanden wird, dann müssen wir uns in Zukunft vielleicht
auch nicht mehr anhören: Die Weltgemeinschaft - und
damit sind auch alle hier Anwesenden gemeint - hat versagt.
Ich möchte mit einem Zitat aus dem Bericht von
Johannes Dieterich schließen:
Erst Stunden später wird der inzwischen bewegungslos am Boden liegende Kranke … in die Klinik getragen - vermutlich viel zu spät.
Hoffen wir, dass unsere Aktivitäten und unsere Hilfe
nicht zu spät kommen.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen herzlichen Dank, Kollege Rebmann. - Nächster Redner in der Debatte Charles Huber für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe gedacht, dass wir in Anbetracht des
Elends anderer von einer parteipolitisch geführten Debatte hier im Bundestag verschont bleiben. Ich sehe, ich
habe mich getäuscht.
Ich möchte hier nicht im Detail die bereits bekannten
Fakten und Zahlen wiederholen. Nur so viel: Die Bundesregierung hat bislang 17 Millionen Euro zur Ebolabekämpfung freigegeben. Ob die Gesamtsumme, die die
Weltgemeinschaft zur Verfügung stellt, ausreichen wird,
um der Aufgabe gerecht zu werden, ist schwer einzuschätzen. Die Notwendigkeit einer Korrektur, wie sie
Staatssekretär Silberhorn bereits angedeutet hat, ist nicht
von der Hand zu weisen.
Ich möchte hier aber auch nicht unerwähnt lassen,
dass eine Regierung wie die unsere nebst Ausschüssen
und entsprechenden Durchführungsorganisationen eine
Expertise braucht, um handeln zu können.
({0})
Diese Expertise
({1})
hatten wir nicht. Die Frage ist: Wer hat diese Expertise
überhaupt in Bezug auf ein Krisenszenario, für das eine
Seuche der Auslöser ist, und zwar eine Seuche, für die es
bislang kein legitimiertes Gegenmittel gibt?
({2})
Eigentlich müsste diese aufgrund der Erfahrungen beim
Ausbruch der ersten Ebolaepidemie zumindest teilweise
vorhanden sein.
Herr Huber, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Kekeritz?
Auf alle Fälle. Wir lieben uns, Herr Kekeritz und ich.
Echt?
({0})
Herr Huber, Sie sollten nicht alles verraten. - Ich
muss mich sehr darüber wundern, dass Sie hier die Frage
stellen, wer eine solche Expertise hat. Ich habe vorhin
darauf hingewiesen, dass solche Ausbrüche eigentlich
kein Problem mehr sind.
({0})
In Ruanda, in Uganda, im Senegal, in Nigeria - überall
hat man mit der dortigen Expertise die Problematik eingegrenzt. Und jetzt tun Sie plötzlich so, als wenn diese
Regierung ganz ohne Expertise ist. - Herr Silberhorn,
keine Angst, ich verteidige Sie gegen diesen Angriff. Danke schön.
Herr Kekeritz, wenn Sie meinen Ausführungen weiterhin zu folgen gewillt sind, werde ich Sie darüber aufklären. - Vielen Dank.
Eigentlich müsste diese Expertise aufgrund der Erfahrungen beim Ausbruch der ersten Epidemie zumindest
teilweise vorhanden sein. Es tut mir leid, dass meine
afrikanische Höflichkeit es mir nicht versagt, die WHO
in diese Schuldzuweisung einzubeziehen; denn man
muss diese Expertise, wenn man sie schon besitzt, auch
weitergeben. Diese Erfahrungen, die man im Zusammenhang mit dem ersten Epidemieszenario gesammelt
hat, beziehen sich vor allen Dingen darauf, wie man das
Verhalten von Menschen in so einer verzweifelten Lage
vor dem Hintergrund soziologischer Phänomene einer
anderen Kultur einschätzen kann und wie Menschen,
welche seit einem längeren Zeitraum in extremer Armut
leben, auf gewisse Vorgehensweisen reagieren, selbst
wenn diese zu deren Hilfe eingeleitet werden.
Ich habe Ärzte ohne Grenzen, deren Arbeit ich sehr
schätze, angeboten, Ärzte bei ihrer Arbeit zu begleiten.
Dies wurde jedoch von der Direktion abgelehnt. Ich
finde das sehr schade. Ein unterstützender Bericht eines
Parlamentariers wäre sicher keine schlechte Sache, zudem mir der Kontinent und das Empfinden der Menschen vor Ort nicht unbekannt sind.
Zwei der von Ebola betroffenen Kernländer sind Länder, deren Bevölkerung in nicht zu ferner Vergangenheit
mit einem langanhaltenden Bürgerkrieg konfrontiert
war. Dass diese Länder neben den politischen und soziologischen Verwerfungen, unter anderem im Gesundheitswesen, schon vor dem Ausbruch der Seuche extrem
schwache Strukturen aufwiesen, ist den meisten bekannt.
Innere Vernunft braucht auch äußere Struktur, und die ist
hier nicht vorhanden. Dieser Hintergrund birgt zusätzliche Risiken, was die Sicherheit der Helfer und auch die
der Bevölkerung selbst anbelangt. Herr Movassat, vielleicht sind Sie darüber informiert, dass es auch Übergriffe auf Helfer gab, jüngst mit acht Toten am Freitag in
Guinea. Eine massive und andauernde Aufklärungskampagne der Bevölkerung, egal durch wen, zum Beispiel
durch die WHO, hätte der erste wesentliche Schritt sein
müssen. Ich freue mich daher, dass mein Vorschlag im
Antrag an die Bundesregierung zur Eindämmung der
Ebolaepidemie, die Sicherheitskräfte vor Ort zu unterstützen, von der Koalition angenommen wurde, und
danke denjenigen Kollegen, welche diesen aus meiner
Sicht sehr wichtigen Punkt unterstützt haben.
({0})
Es ist nur allzu leicht verständlich, dass jemand, der
um sich herum nur Tod und Verderben erblickt, in der
Regel in Panik gerät. Sie können sich auch sicher vorstellen, wie schwierig es dann sein wird, wenn diese
Panik durch Anordnung von Ausgangssperren und Isolationsverordnungen auf eine größere Menge übergreift.
Die Erstellung eines unabhängigen Fonds auf supranationaler Ebene zur Entwicklung von Medikamenten,
welche perspektivisch der Seuchenbekämpfung wie hier
der Ebola dienen, wäre eine große Chance.
Ich war vor ein paar Monaten im Senegal. Senegal ist
ein direktes Nachbarland eines der betroffenen Länder,
genauer gesagt: von Guinea. Am Flughafen hing ein
Schildchen, das dem Schild, dass man keine Flüssigkeiten mit sich führen darf, sehr ähnlich war. Aber bei genauerem Hinschauen habe ich gemerkt, dass es dabei um
eine ganz andere Sache ging, nämlich um hygienische
Maßnahmen zur Vorbeugung von Ebola. Ich habe mich
trotz dieses so besorgniserregenden Hinweises relativ sicher gefühlt, vielleicht aus Gewohnheit, da ich dieses
Land gut kenne. Eine Woche später war ich bei einem
Lokalpolitiker zum Essen eingeladen. Wir haben traditionell aus einem großen Familientopf gegessen. Das
Essen war gut. Danach habe ich mir doch den einen oder
anderen Gedanken gemacht, ob die Einhaltung dieser
Tradition, eben des gemeinsamen Essens, in diesem Moment die richtige Entscheidung war.
Diese Elemente sind ein weiterer schwieriger Faktor,
weil die Menschen sich nur schwer von Traditionen und
Gewohnheiten trennen. Dazu gehört auch in manchen
Ethnien, dass man den Toten selber wäscht und zum Abschied auf die Stirn küsst. Der Gewohnheit entsprechend
ist es meist so, dass man Schwerkranke versteckt, anstatt
sie zum Arzt zu bringen. Zum einen möchte man dem
Sterbenden aus traditionellen Gründen familiäre Nähe
bieten, zum anderen ist in den meisten Ländern das Vertrauen in die medizinische Versorgung verständlicherweise gering.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Ende. Vielen Dank. - Ich finde es
vorbildlich, dass sich die Bundesregierung auch durch
die Präsenz mutiger Menschen vor Ort engagiert, durch
unsere Bundeswehr, welche mit ihren Sanitätskolonnen
und ihrem Know-how in der ABC-Abwehr-Ausbildung
eine große Expertise hat und einen wichtigen Beitrag zur
Bekämpfung von Ebola erbringen kann. Frau Ministerin
von der Leyen - sie ist leider nicht anwesend -, ich
würde die Bundeswehr gerne bei dem ersten Einsatz begleiten.
Vielen Dank.
({0})
Danke, Herr Kollege Huber. - Nächster Redner in der
Debatte Frank Schwabe für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Stefan Rebmann hat gerade schon ein Bild aus
den Medien in den letzten Tagen beschrieben. Ich weiß
nicht, wie es Ihnen geht. Mir ist das Bild in Erinnerung
geblieben, das ich bei Spiegel Online gesehen habe. Ich
weiß gar nicht, ob das die ursprüngliche Herkunft des
Bildes war. Auf dem Bild war ein kleines Mädchen zu
sehen, vielleicht drei, vier oder fünf Jahre alt, das auf der
Straße lag, ein paar Meter davon entfernt ein Helfer in
Schutzkleidung und 50 bis 100 Meter entfernt eine Menschentraube. Dieses Bild hat sich jedenfalls bei mir eingeprägt. Das unterstützt noch einmal das, was hier deutlich geworden ist: Das große Problem ist am Ende nicht
die Gefährlichkeit des Virus, sondern das Gefährliche
ist, dass es keine funktionierenden Meldesysteme, Quarantänestationen und Ähnliches in den Ländern gibt. Die
internationale Gemeinschaft hätte viel schneller helfen
müssen. Das macht einen in der Tat ein Stück weit wütend, fassungslos, aber auch selbstkritisch bei der Frage,
wie wir eigentlich darauf reagiert haben.
({0})
Es ist so - ich will das noch einmal betonen -: Die
Weltgemeinschaft hat versagt, weil sie die Dimension
der Krise nicht schnell genug erkannt hat und nicht
schnell genug reagiert hat. - Es bringt aber nichts, einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen; versagt hat ja
nicht Deutschland allein - wo man vielleicht auch
schneller hätte reagieren können -, sondern in der Tat
die gesamte Weltgemeinschaft. Wir müssen alles tun, um
jetzt in der Krise so schnell wie möglich zu helfen. Wir
müssen diese Krise gleichzeitig nutzen, um zu verstehen: Was ist da eigentlich passiert, und wie können wir
in zukünftigen Krisen schneller reagieren?
({1})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Meiwald?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. Ich bin sehr
dankbar für die selbstkritischen Worte. Die Frage, die
sich für mich noch anschließt, ist aber: In all den Konzepten, all den Anfragen vermisse ich bisher ähnliche
präventive Gedanken, auch für die Nachbarländer der
drei hauptbetroffenen Staaten. Ist daran gedacht - damit
wir uns in vier Wochen nicht wieder vorwerfen müssen,
dass wir zu spät sind -, in den Ländern Togo, Ghana,
Burkina Faso, Senegal im Bereich Quarantäneeinrichtungen, zum Beispiel im Bereich „präventive Ausbildung von Personal“, jetzt schon tätig zu werden?
Ich nehme einmal an, dass daran gedacht ist; ich kann
es Ihnen im Detail nicht sagen. Ich sage nur, dass auch
wir in Deutschland angewiesen sind auf das, was die
WHO - sie ist dafür zunächst einmal zuständig - uns an
Empfehlungen gibt. Ich kann - das ist bei Herrn Huber
gerade ein bisschen angeklungen - auch nicht helfen, zu
sagen: Da muss auch eine gewisse kritische Auseinandersetzung mit der Politik der Weltgesundheitsorganisation stattfinden. Ich war letzte Woche in Genf. Auf den
Fluren wird geraunt, dass es auch etwas damit zu tun haben könnte, dass bei der Vogelgrippe 2005 aus heutiger
Sicht möglicherweise zu stark alarmiert wurde, hohe
Kosten entstanden sind. Vielleicht war deswegen jetzt
eine Neigung da, nicht zu früh zu alarmieren. Insofern
wäre die Beantwortung Ihrer Frage: Wir müssen uns verlassen auf das, was die Weltgesundheitsorganisation
macht. Nach dem, was ich höre, gibt es auch ein Konzept dafür, wie man mit den Nachbarländern umgeht; jedenfalls sind wir uns, glaube ich, darin einig, dass das
dringend notwendig ist und dass wir das hier auch gemeinsam fordern.
({0})
Wir müssen ganz zweifellos sauber analysieren, was
bei der Weltgesundheitsorganisation passiert ist und was
da nicht passiert ist. Das hat natürlich etwas zu tun mit
der Vielzahl der humanitären Krisen. Ich will wirklich
verstehen: Was ist da passiert, welche Alarmmechanismen haben nicht entsprechend funktioniert? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen der WHO und den
Institutionen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland
und in der Europäischen Union haben?
Wir haben in den letzten Wochen hier sehr intensiv
über Waffenlieferungen diskutiert. Ich will auch an dieser Stelle noch einmal sagen - ich habe das schon angesichts der Nordirak-Debatte gesagt, in der ich mich für
die Waffenlieferungen ausgesprochen habe -: Wir haben
manchmal eine Neigung, sehr engagiert über militärische Einsätze zu diskutieren, verglichen damit aber eine
fehlende Neigung, über humanitäre Hilfe zu diskutieren,
weil das vielleicht irgendwie weniger spannend ist für
die Öffentlichkeit; ich weiß es nicht. Das steht aber in
keinem Verhältnis zu der Chance, Menschen auf dieser
Welt zu helfen.
({1})
Da muss sich in den nächsten Monaten und Jahren etwas
ändern. Wir haben jetzt ein Hilfsniveau erreicht, das immer noch nicht ausreichend ist; aber ich glaube, wir sind
uns jetzt einig: Die Weltgemeinschaft reagiert jetzt der
Krise entsprechend angemessen. Ich will mich dem Dank
natürlich anschließen, auch dem Dank an die 500 Freiwilligen - wahrscheinlich sind es während der Debatte
schon wieder mehr geworden -, die sich gemeldet haben, will allerdings auch ausdrücklich sagen: Aus meiner Sicht muss sich das nicht auf die Bundeswehr beschränken - so habe ich es aber auch nicht verstanden -,
sondern ein gemeinsames Nachdenken darüber, wie
auch andere Freiwillige bewegt werden können, mitzuhelfen, das macht, glaube ich, Sinn, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({2})
Ich will noch einmal ausdrücklich den vielen Hilfsorganisationen danken, die alle genannt worden sind, vorneweg natürlich den Ärzten ohne Grenzen. Sie haben eine
gewisse Kritik geübt, auch an der Bundesrepublik Deutschland. Ich finde, wenn das jemandem zusteht, dann dieser
Organisation, in der Menschen täglich wirklich ihr Bestes geben; viele sind im Einsatz gestorben.
Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen,
dass man spenden kann. Es gibt da so eine Aktion, wo
man sich Wasser über den Kopf schütten sollte. Vielleicht hat das noch nicht jeder getan. Wenn es also eine
Organisation gibt, für die ich wirklich bitten würde, zu
spenden, dann wären das, wie gesagt, die Ärzte ohne
Grenzen.
({3})
Am Ende will ich noch einmal sagen - da müssen wir
jetzt jede Debatte nutzen, auch wenn das ein bisschen
nervt -: Es geht darum, in den Haushaltsdebatten dafür
zu sorgen, dass der Titel für die humanitäre Hilfe mit
mehr Mitteln ausgestattet wird. Die gegenwärtige Ausstattung ist nicht ausreichend. Ich habe in den Debatten
der letzten Wochen wahrgenommen, dass auch der Finanzminister den Kopf gewiegt hat und ein bisschen
auch genickt hat; er hat, glaube ich, verstanden, dass die
Mittel für humanitäre Hilfe nicht ausreichen.
({4})
Ich glaube - das ist etwas, was wir in diesem Hause
wirklich einheitlich herstellen können -, dieses Parlament muss die Kraft haben, auf die Krise zu reagieren
und den Titel für humanitäre Hilfe deutlich anzuheben.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. - Letzter Redner in der Debatte: Thomas Stritzl für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Ausmaß der Katastrophe - so hat es der
Herr Staatsminister vorhin zu Recht formuliert - macht
fassungslos. In der Tat: Die Länder Westafrikas brauchen unsere Unterstützung, und wir werden sie leisten.
Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren,
dass sich die Opposition durch ihre Beiträge selbst dem
Verdacht ausgesetzt hat, hierzu eigentlich kaum in der
Lage zu sein.
({0})
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer versucht, die
Bundesregierung und die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland mit den Vorwürfen zu überziehen,
sie seien am Ausmaß der Katastrohe schuld oder hätten
zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen, dient nach
meiner festen Überzeugung nicht dem Anliegen dieser
eigentlich ernsten Debatte in diesem Haus.
({1})
Sie dienen nicht den Menschen, um die es geht, und sie
dienen nicht einmal Ihrer eigenen Partei.
({2})
- Gnädige Frau, Sie können gerne Ihr Recht, eine Zwischenfrage zu stellen, in Anspruch nehmen.
Ich will ganz konkret hinzufügen: Wenn diese Bundesregierung sagt, sie sei - bei aller Anspannung, die die
Bundeswehr zu tragen hat - bereit, mit den Transall vor
Ort den Lufttransport sicherzustellen, dann geht es um
Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr, die ihr
Leben einsetzen, damit andere überleben können. Und
da geht Ihr Sprecher hier hin und diffamiert diese Soldatinnen und Soldaten, indem er sagt, das stehe im völligen
Gegensatz zu humanitärer Hilfe. Ich sage Ihnen: Das ist
humanitäre Hilfe, wie sie besser gar nicht sein kann.
({3})
Ich muss Sie ganz ehrlich auffordern: Nehmen Sie das
zurück, und entschuldigen Sie sich bei unseren Soldatinnen und Soldaten!
({4})
Alle, die sich vor Ort und unter Einsatz ihres Lebens
Respekt erarbeitet haben, verdienen ihn. Ich finde, wir
sollten ihn hier auch entsprechend zum Ausdruck bringen. Sie stemmen sich mit ihrer unermüdlichen Arbeit
vor Ort gegen das dortige grausame Sterben.
({5})
Sie wollen verhindern, dass sich die Zukunft verdunkelt,
eine Zukunft, die wir mit der Begrifflichkeit „Kontinent
der Chancen“ neu umschreiben wollen. Ebola hat in seiner jetzigen Ausformung nicht nur das Potenzial, in der
Region verheerend zu wirken, sondern es löst auch in
unseren Köpfen Angst und damit Distanz und Abstand
aus.
Das hier Geleistete und auf der anderen Seite auch
das, was vor Ort in Liberia schon jetzt geleistet worden
ist, machen deutlich: Die Strukturhilfe von außen ist unerlässlich, aber sie war es auch schon vorher. Das ist
übrigens auch der Sinn des Appells der Ministerpräsidentin, dieser tapferen Frau, aus Liberia. Sie sagt: Wir haben
eure Hilfe gebraucht, und wir haben sie von dieser Bundesregierung - übrigens auch von Frau Merkel - in beeindruckendem Maße erfahren. Wir brauchen sie jetzt, aber
wir brauchen sie insbesondere auch für die Zukunft. Das ist auch eine Aufforderung an uns selber: hinschauen, nicht wegschauen, mutig bleiben und nicht verzagen. Die Menschen des Kontinents der Chancen haben
uns gebraucht, brauchen uns und werden uns auch in Zukunft brauchen.
Unsere Hilfe von heute wird also für die gemeinsame
Zukunft von morgen entscheidend sein. Dabei kann jeder - auch aus unserem Kreis - seinen persönlichen Beitrag leisten, wie auch die Vorsitzende des Ausschusses
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
gesagt hat; denn - das hat uns heute ja der Regionaldirektor der WHO für Afrika, Herr Dr. Sambo, auch gesagt - vor Ort fehlt es an allem.
Wir können also einen persönlichen Beitrag leisten,
und weil ich es selber erfahren habe, will ich ausdrücklich sagen: Ich danke auch den Unternehmen der deutschen Gesundheitswirtschaft, die bereit sind, hier zu
spenden und zu unterstützen.
({6})
Eine Unterstützung wird insbesondere aber auch
durch den Antrag von CDU/CSU und SPD geleistet.
Das, was die Regierungsfraktionen heute vorlegen, dient
dem Land, seinen Menschen und der gemeinsamen Zukunft im Sinne des Kontinents der Chancen. Stimmen
Sie bitte zu, tragen Sie ihn mit!
Vielen Dank.
({7})
Danke, Herr Kollege Stritzl. - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Kollege Movassat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kollege Stritzl, Sie haben hier einige Behauptungen erwähnt, die in meinem
Redebeitrag nicht zu finden sind. Anscheinend haben
Sie eine andere Rede verfolgt als die, die ich hier gehalten habe. Das kann natürlich passieren.
({0})
Meine Kritik bezog sich auf den Zeitpunkt der Reaktion der Bundesregierung. Es gab im Juni einen dringenden Appell von Ärzte ohne Grenzen, dass die Situation außer Kontrolle zu geraten drohe. Auf diesen Appell
hin erfolgte allenfalls eine Erhöhung der Geldmittel,
aber schon damals wurde klargestellt, dass es nicht in
erster Linie um mehr Geld, sondern um medizinisches
Personal und Isolierstationen vor Ort ging. Vor Ort fehlen Ärzte und Betten. Erst jetzt hat die Bundesregierung
angefangen, darauf zu reagieren; und das ist eben viel zu
spät.
({1})
Zur Lage vor Ort: Es ist natürlich völlig klar, dass ein
Patient vor Ort lieber einen Arzt sieht, der ihm hilft, als
einen Soldaten. Das liegt doch auf der Hand.
({2})
Mein Dank und auch der Dank meiner Fraktion geht
an alle, die vor Ort bereit sind, auch unter Einsatz ihres
Lebens zu helfen: den zivilen Helfern und auch den Angehörigen der Bundeswehr, die bereit sind, dort zu helfen. Das ist doch völlig klar.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Herr Stritzl, wenn Sie mögen, dann können Sie antworten. Sie brauchen es aber nicht.
({0})
Herr Kollege, ich bedanke mich bei Ihnen. Ich habe
Ihnen zugehört, aber vielleicht nutzen Sie einmal die
Chance, ins Protokoll zu schauen, um zu sehen, was Sie
wirklich gesagt haben.
({0})
- Lesen hilft.
Erster Punkt. Es ging um die Frage, was unsere Soldaten dort leisten können. Das, was sie dort leisten können, hat die Bundesregierung umschrieben. Es hat ja keiner gesagt, dass kein Sanitäter dorthin geht. Es gibt auch
bei der Bundeswehr Ärzte. Sie insinuieren hier, Soldaten
täten etwas Schlechtes.
({1})
Unsere Soldaten vor Ort sind bereit, etwas Gutes zu tun.
Das sollten Sie anerkennen und nicht umdrehen. Das ist
der entscheidende Punkt.
({2})
Zweiter Punkt. Wir unterstützen in der Tat auch die
Arbeit der Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte
ohne Grenzen. Es ist kein Geheimnis, dass diese Bundesregierung vor Ort aktiv war, aktiv ist, aktiv sein wird
und das ausbauen will; das weiß jeder.
({3})
Ich glaube, es ist das richtige Vorgehen, dass das jetzt
in einen Antrag gegossen wurde, über den wir heute diskutieren und zu gegebener Zeit abstimmen werden. Das
Parlament muss ja auch seine Meinung kundtun können.
Das sollten wir heute tun. Leider haben Sie diese Chance
etwas verpasst.
Vielen Dank.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen.
Über den Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/2607 wird
nicht abgestimmt, sondern er soll zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union, an den Ausschuss für Gesundheit, an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, an
den Auswärtigen Ausschuss, an den Haushaltsausschuss,
an den Verteidigungsausschuss und an den Innenausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2608. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Ablehnung der CDU/CSU- und der
SPD-Fraktion, Zustimmung der Linken und Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2609.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen, Ablehnung von CDU/CSU- und
SPD-Fraktion und Enthaltung der Linken.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, 25. September
2014, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen noch einen spannenden weiteren
Tag.