Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/11/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vor Wiederaufnahme der Haushaltsberatungen Be- rufungen und zwei Wahlen durchzuführen. Zunächst sind gemäß § 93 b Absatz 8 unserer Ge- schäftsordnung auf Vorschlag der Fraktionen deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments zu berufen, die an den Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenhei- ten der Europäischen Union teilnehmen können und da- bei unter anderem befugt sind, Auskünfte zu erteilen und Stellungnahmen abzugeben. Ihre Anzahl und Verteilung müssen nach den Wahlen zum Europaparlament oder zum Deutschen Bundestag jeweils neu festgelegt wer- den. Da kürzlich Wahlen zum Europaparlament stattge- funden haben, haben wir dies also neu zu klären. Die Fraktionen haben sich nach der im Mai stattge- fundenen Wahl zum Europäischen Parlament auf insge- samt 15 mitwirkungsberechtigte Mitglieder verständigt. Nach dem Wahlergebnis entfallen auf die CDU/CSU sie- ben Mitglieder, auf die SPD fünf Mitglieder, auf Bünd- nis 90/Die Grünen zwei Mitglieder und auf Die Linke ein Mitglied. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall. Dann ist das so beschlossen. Vor Eintritt in die Tagesordnung haben wir zwei Wah- len durchzuführen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien schlägt vor, für den Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung als Vertreter des Bundesministeriums des Innern Herrn Norbert Seitz als Nachfolger für die ausgeschiedene Frau Gabriele Hauser als ordentliches Mitglied zu berufen. Darf ich auch dafür Ihr Einverständnis feststellen? - Das ist der Fall. Damit ist Herr Seitz als ordentliches Mitglied in den Stiftungsrat gewählt. Schließlich schlägt die Fraktion Die Linke vor, die Kollegin Katrin Werner für die Kollegin Kathrin Vogler als neue Schriftführerin zu wählen. - Auch dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann ist die Kolle- gin Katrin Werner als neue Schriftführerin gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa- che 18/1973 mit dem Titel „Moderne Netze für ein mo- dernes Land - Schnelles Internet für alle“ an den Aus- schuss für Tourismus zur Mitberatung zu überweisen. - Auch dazu besteht offenkundig Einvernehmen. Nach der Klärung dieser aufgerufenen Sachverhalte können wir nun die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fortsetzen: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 ({0}) Drucksache 18/2000 Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksache 18/2001 Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache eine Redezeit von insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, Einzelplan 05. Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier. ({1})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am liebsten hätte ich Sie nach einer langen Sommerpause jetzt fröhlich wieder zurück in Berlin begrüßt. Aber erstens war die Sommerpause, wenn man sie so nennen darf, kürzer als vorgesehen - wir haben uns schon in der vergangenen Woche hier im Deutschen Bundestag zu ei4660 ner Sondersitzung einfinden müssen -, und zweitens konnte in diesem Sommer von einer Pause in der Politik keine Rede sein. Tägliche Zuspitzungen in den Krisen- und Konfliktregionen von der Ukraine über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Afrika, Bilder von Gewalt, Vertreibung und Opfern jeden Abend, auch in den deutschen Wohnzimmern. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Das ist der Eindruck, den die ganz normalen Leute in Deutschland haben, und es ist für die außenpolitischen Profis nicht ganz einfach, diesen Eindruck wirklich nachhaltig zu widerlegen. Aus den Fugen geraten ist die Welt aber nicht nur weit draußen in der arabischen Welt oder in Afrika. Auch in Europa müssen wir mühsam - und ich gebe zu: mit einigem Erschrecken - lernen, dass der Frieden offenbar nicht mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Das ist nicht nur der Befund von außenpolitischen Spezialisten. Ganz im Gegenteil - ich vermute, Sie erhalten da ganz ähnliche Post wie ich -; ältere Menschen fragen: Kehrt der Krieg zurück nach Europa? Jüngere Menschen fragen: Ist es vorbei mit der offenen und friedlichen Welt, in der wir bisher aufgewachsen sind? - Ich finde, beide Fragen sind berechtigt. Ich verstehe sie. Am liebsten würde man als deutscher Außenminister auf beide Fragen mit einem entschiedenen Nein antworten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt hat gesagt: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“ Dies sagte er in Bezug auf den Frieden und meinte damit genau das. Wir müssen uns jetzt mehr als vor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren darum kümmern. Wir als Bundesregierung versprechen: Wir werden alles dafür tun, dass die europäische Friedensordnung, an der Generationen von Politikern seit Helsinki gearbeitet haben und die uns jahrzehntelang eine friedliche Entwicklung in Europa gewährt hat, bleibt und dass sie trotz des Ukraine-Konflikts nicht dauerhaft infrage gestellt wird. Den heißen Krieg - so hat es im Augenblick den Anschein - haben wir vielleicht vermieden. Aber wir wollen eben auch nicht zurück in die Jahrzehnte des Kalten Krieges, der alles lähmt und in dem die Gefahr der täglichen Eskalation zum Alltag gehört. Wie das ist, weiß niemand besser als die Deutschen, die diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs sozusagen an den Frontlinien der Militärblöcke gelebt haben. Wir wollen keinen Kalten Krieg, und wir wollen erst recht keinen heißen Krieg. Wir wollen die europäische Friedensordnung erhalten. ({0}) Weil das so ist und weil vieles nicht mehr so sicher scheint wie in den letzten Jahrzehnten, schauen wir mit so großer Sorge auf den Ukraine-Konflikt. Ich glaube, keiner verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Krim und das Verhalten Russlands in der Ostukraine deutlicher als wir. Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wieder darangehen, Grenzen zu korrigieren. Das darf nicht sein. ({1}) Es darf auch nicht sein, dass wir 25 Jahre nach der deutschen und, wie wir immer gesagt und gehofft haben, auch der europäischen Wiedervereinigung eine neue Spaltung in diesem Europa vorbereiten. Das eine ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, und das andere ist ein Rückfall in die Zeit, die wir eigentlich hinter uns hatten. Beides dürfen wir nicht dulden. Gleichzeitig und etwas leiser warne ich aber auch vor kurzsichtigen und gefährlichen Vergleichen. Ja, der Ukraine-Konflikt ist die gefährlichste Krise in Europa seit Jahrzehnten. Ja, es ist zwischen Europa und Russland nichts mehr so, wie es in den letzten Jahren war. Ja, es ist wahr: Die territoriale Integrität eines europäischen Staates ist angetastet, und es gibt keinen Grund, das kleinzureden. Ich sehe das alles ganz genauso. Was mir nicht gefällt - in aller Offenheit - in dieser Debatte der letzten Wochen und Monate, ist die Selbstbezichtigung mancher Europäer unserer Politik als Appeasement und der schnelle Bezug auf München 1938. Einmal ganz abgesehen davon, dass jedenfalls ich die historischen Situationen für völlig unvergleichbar halte, begreife ich nicht - das ist mir im Augenblick sogar das Wichtigere -, warum sich Europäer in einer solchen Situation so klein machen. Die Europäer haben sich in diesem Ukraine-Konflikt gerade nicht enthalten und still geduldet, was passiert. Die Verurteilung der Annexion als Verstoß gegen das Völkerrecht war eindeutig. Europäische Union und NATO haben sofort reagiert. Niemand hat gesagt: Alles kann so weitergehen. Alle haben gesagt: Wir sind jetzt in einem Zustand, in dem business as usual nicht mehr infrage kommt. - Wir waren die Ersten, die zu Reisen ins Baltikum oder zu den VisegradStaaten aufgebrochen sind und den Menschen dort gesagt haben: Wir verstehen, dass ihr euch besonders bedroht fühlt angesichts dessen, was in der Ukraine passiert, und wir versichern euch: Die Solidarität der NATO steht euch zur Verfügung; Artikel 5 gilt für euch. - Wir haben es nicht nur gesagt, sondern haben uns von vornherein und ohne Zögern als Erste in Europa an Reassurance-Maßnahmen beteiligt, was die Luft- und Seeüberwachung insbesondere in den baltischen Staaten angeht. Wir haben dann, wenn es nötig war, den politischen Druck erhöht, und wir haben, insbesondere nach dem Abschuss der MH17 mit mehr als 300 Toten, auch nicht gezögert, Maßnahmen zu ergreifen, um den ökonomischen Druck auf Russland zu erhöhen. Meine Damen und Herren, ich sage das und rufe uns in Erinnerung: Das ist alles andere als Appeasement. Deshalb halte ich den Selbstvorwurf von Appeasement für so gefährlich. ({2}) Wer Lehren aus der Geschichte ziehen will - das sollten wir gelegentlich tun -, der kann sicher sein, dass das dunkle 20. Jahrhundert leider viel Lehrstoff für uns Deutsche bereithält. Ich rate dazu, dass wir uns in Debatten wie diesen nicht nur auf 1938 beziehen, sondern uns auch versichern, dass das Gedenkjahr 1914 Lehren für uns bereithält, Lehren, die zu vergessen uns Deutschen nicht erlaubt ist. ({3}) Insofern sage ich noch einmal: Militärische Versicherung, politischer Druck, ökonomischer Druck - das alles war richtig, das war notwendig, und ich stehe zu jedem Element. Aber als deutscher Außenminister sage ich mit Blick auf den Sommer 1914 auch: Abbruch, Abschottung, Gesprächslosigkeit und der Ausfall von Außenpolitik haben damals einen noch kleinen, regionalen Konflikt befeuert, der sich in Krieg entladen hat. Deshalb sage ich: Dieser Vorwurf, auf das Unterlassen von Möglichkeiten verzichtet zu haben, auf letzte Möglichkeiten, die vielleicht das Schlimmere hätten verhindern können, darf uns in der deutschen Geschichte nicht noch einmal gemacht werden. Beides gehört zusammen: der politische und der ökonomische Druck, wo er notwendig ist, aber auch das Offenhalten von Gesprächskanälen und die Rückführung in Verhandlungssituationen. ({4}) Deshalb besteht unsere Politik in diesem UkraineKonflikt - ein wirklich gefährlicher Konflikt; ich sage es noch einmal - immer aus diesen drei Elementen: erstens Druck auf Russland, zweitens Schutz derer, die sich bedroht fühlen, und drittens - die Kanzlerin hat es gestern von diesem Podium aus auch noch einmal gesagt -, weil wir doch wissen, dass die militärische Lösung am Ende nicht zur Verfügung steht und von niemandem gewollt wird, immer auch die Suche nach politischen Möglichkeiten zur Entschärfung des Konflikts. Es gibt keine Garantie dafür, dass das gelingt; das wissen Sie alle. Man muss, wenn man nach solchen Möglichkeiten sucht, auch Rückschläge, Niederlagen und Enttäuschungen einkalkulieren. Aber es ging jedenfalls uns in einer Phase zerstörten Vertrauens, in der wir ganz offenbar sind - und zwar nicht nur zwischen Russland und der Ukraine, sondern auch zwischen Russland und Europa -, um nichts anderes als darum, die Gesprächsfäden nicht vollständig abreißen zu lassen und vor allen Dingen das direkte Gespräch zwischen Kiew und Moskau auf unterschiedliche Art und Weise zu befördern. Dazu gehörte unser Vorschlag, die OSZE ins Spiel zu bringen. Dazu gehörte unser Vorschlag, das Genfer Treffen zustande zu bringen. Auch die Einrichtung der Kontaktgruppe und die Gespräche, die wir mit dem ukrainischen und dem russischen Außenminister in Berlin geführt haben, gehörten dazu - genauso wie zahllose Telefongespräche der Bundeskanzlerin und von mir. Und dazu gehörte letztlich auch unser Verhalten auf dem NATO-Gipfel, auf dem wir gesagt haben: Ja, wir müssen reagieren, auch mit verstärkten Schutzmaßnahmen der NATO; aber wir wollen sozusagen auch nicht völlig mit dem brechen, was wir uns in der Vergangenheit eingerichtet haben. - Deshalb war es unser Votum, die NATORussland-Grundakte zu erhalten. ({5}) Darum sage ich: Nein, wir haben noch keine politische Lösung, und es gibt auch noch keine Sicherheit für die Zukunft der Ostukraine. Aber ich bin auch davon überzeugt - das ist ein bisschen die Erfahrung aus vielen Jahren -: In Mündungsfeuern von Gewehren entstehen keine politischen Lösungen. Deshalb sollten wir auch nicht kleinreden, was inzwischen nach den direkten Gesprächen zwischen Präsident Poroschenko und Putin in Minsk - damals holprig und nicht belastbar, aber jetzt immerhin verkörpert in einem Zwölf-Punkte-Plan - eingetreten ist: Es ist immerhin gelungen, dass der Waffenstillstand einigermaßen gewahrt wird. Damit besteht die Möglichkeit - und dieser Zustand ist hoffentlich nicht nur eine Atempause -, zu politischen Verabredungen zu kommen, die für die Zukunft tragen. Bei einem solchen scharfen Konflikt mit einer solchen Gefährlichkeit für ganz Europa ist das unheimlich viel, was erreicht worden ist. Das sollten wir nicht kleinreden. ({6}) Für uns ist das Ganze damit aber nicht zu Ende. Wir wenden uns jetzt nicht ab und sagen: Das mögen die jetzt unter sich ausmachen. - Natürlich werden wir darauf achten - und wir werden auch mit unseren Möglichkeiten dazu beitragen -, dass ein paar Dinge gewährleistet bleiben mit Blick auf die Verabredungen, die jetzt getroffen und hoffentlich umgesetzt werden. Die Einheit der Ukraine steht dabei ganz vorne. Dazu gehört auch, dass überall in dem Gebiet der Ukraine Parlamentswahlen stattfinden können. Dazu gehört, dass ein nationaler Dialog stattfindet und dass wir - nicht nur Deutschland, sondern der gesamte Westen - zu den Versprechungen stehen, die wir gemacht haben. Wir müssen auch zur Verfügung stehen, um der Ukraine ökonomisch wieder auf die Beine zu helfen - und das gepaart mit einer Verfassungsreform in der Ukraine, in der Dezentralisierung und der Schutz von Minderheiten am Ende tatsächlich verkörpert werden. Meine Damen und Herren, das haben wir getan, und dafür treten wir weiter ein. Ich halte das für richtige, gute deutsche Außenpolitik. ({7}) Ich will zum Thema Irak gar nicht mehr so viel sagen; Frau Göring-Eckardt ist heute auch nicht hier. Aber ich habe mich gestern sehr über ihren Beitrag geärgert, der vermittelt hat, ich oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung hätten zum Ausdruck gebracht, dass ein paar Waffen für die Sicherheitskräfte der Kurden das Problem ISIS auf irgendeine Weise lösen könnten. Ich weiß gar nicht, wie viele Interviews ich noch geben soll. Ich sage doch in jedem Interview: Natürlich hängt die Zukunft des Mittleren Ostens nicht an den Gewehren und den MGs für die Peschmerga - natürlich nicht. Ich habe es - ich glaube, auch hier - schon gesagt: Zu rechtfertigen ist doch diese schwierige Entscheidung, die wir uns abverlangt haben, überhaupt nur dann - ich sage es noch einmal auch in Richtung von Frau GöringEckardt -, wenn das, was wir jetzt mit der Ausrüstung der kurdischen Streitkräfte tun, in eine politische Strategie eingebettet ist. ({8}) Dazu gehört erstens eine Innenpolitik im Irak, die endlich mit den Fehlern der Vergangenheit aufräumt und die bisher ausgegrenzten Religionen und Regionen einbezieht. Ich glaube, al-Abadi hat mit der Aufstellung des Kabinetts gezeigt, dass er genau das will. Dazu gehört zweitens, dass man den ISIS entkernt und ihm die Unterstützung von sunnitischen Clans entzieht, indem man diese in die irakische Innenpolitik zurückholt. Dazu gehört drittens - das ist die politische Strategie -, dass wir mit den arabischen Nachbarn ins Gespräch kommen und einen Zustand hinbekommen, dass sie sich nicht in ihren gegenseitigen Interessenkonflikten rund um den Arabischen Golf verlieren, sondern erkennen, dass es ein minimales eigenes Interesse aller arabischen Staaten gibt: Das ist das Vorgehen gegen radikalisierte und terroristische islamistische Gruppierungen wie ISIS und andere. Dahin zu kommen, das ist Teil einer politischen Strategie. ({9}) Wir und ich müssen deshalb nicht überzeugt werden, dass allein eine militärische Strategie das Thema ISIS oder radikalislamistische Gruppen nicht aus der Welt schafft, sondern wir brauchen natürlich eine politische Strategie. Das ist übrigens auch Teil der Rede gewesen, die Obama vergangene Nacht gehalten hat. Wir werden bereits am Montag ein erstes Gespräch auf Einladung der Franzosen in Paris führen. Ich selbst habe zu einem G-7-Treffen der Außenminister in der Sitzungswoche der VN-Generalversammlung übernächste Woche eingeladen, bei dem wir genau diese politische Strategie mit den arabischen Staaten miteinander diskutieren werden. Ich versichere Ihnen: Niemand ist so naiv, zu glauben, dass ein paar Gewehre für die Peschmerga das Problem ISIS aus der Welt bringen. ({10}) Wir reden aber auch über humanitäre Hilfe. Herr Kauder und auch viele andere haben das gestern getan. Natürlich müssen wir - das habe ich auch Herrn Kauder eben gesagt - immer wieder nachsteuern. Angesichts der Vielzahl der Flüchtlinge und der aufwachsenden Flüchtlingslager müssen wir immer wieder hinschauen, ob die Verteilung einigermaßen ordentlich zustande kommt. Dafür werden wir Sorge tragen. Aber wir brauchen dafür auch die notwendigen Ressourcen. ({11}) Deshalb bitte ich, Verständnis dafür zu haben, wenn wir im Laufe der Haushaltsgespräche noch einmal darauf zurückkommen und uns gegenseitig versichern, dass wir, wenn wir humanitäre Hilfe nicht nur versprechen, sondern sie tatsächlich vor Ort in diesen Regionen auch leisten wollen, dies mit den gegenwärtigen Ansätzen im Haushalt nicht hinbekommen. ({12}) Eine letzte Bemerkung. Die Vereinten Nationen habe ich schon angesprochen. Ich habe dem russischen Kollegen gesagt: Die Lösung des Ukraine-Konfliktes ist auch deshalb so wichtig - damit hatte der Kollege Gysi gestern nicht ganz unrecht -, ({13}) weil der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert ist, solange der Konflikt anhält. Wir brauchen eine Deblockierung des Sicherheitsrates, damit wir uns den größeren Konflikten dieser Welt zuwenden können. ({14}) Insofern hängen die Dinge, obwohl sie geografisch so weit voneinander entfernt sind, im Inneren zusammen. Es ist eine schwierige Aufgabe, die vor uns liegt. Aber ich glaube, die mühsamen Fortschritte, die wir im Gaza-Konflikt erreicht haben und vielleicht im Moment im Ukraine-Konflikt erreichen, zeigen, dass Außenpolitik Folgen hat. Ich hoffe, wir können positive Folgen zeigen. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister! Wenn es wirklich das Ziel dieser Bundesregierung ist, alles dafür zu tun, dass der Friede in Europa erhalten bleibt oder - so würde ich es formulieren - wiederhergestellt wird und dass es in Europa nicht zu einer erneuten tiefgehenden Spaltung kommt, dann will ich erst einmal festhalten: Die Fraktion Die Linke und die Bundesregierung haben in dieser Zielgebung einen gemeinsamen Standpunkt. Das ist nicht wenig; das möchte ich unterstreichen. ({0}) Ich habe immer gehofft, dass die Generation meiner Tochter und die meines Enkelkindes ohne die Gefahr eines Krieges zumindest in Europa und hoffentlich auch ohne die Gefahr von Kriegen in der Welt aufwachsen. Das war meine feste Überzeugung. Ich war immer ein Freund der Friedensdividende, die eingebracht werden sollte. Ich finde es entsetzlich, dass wir die Sicherheit, dass Generationen nicht mehr mit der Angst vor Kriegen aufwachsen müssen, heute nicht mehr geben können, weil wir sie nicht mehr haben. Das heißt, es muss einen grundsätzlichen Wechsel in der Politik geben. ({1}) Darüber möchte ich reden. Ist der Außenminister noch anwesend? - Ja, aber er hört nicht zu. Es könnte Ihnen nicht schaden, einmal zuzuhören. Nun sage ich etwas, was ich eigentlich gar nicht sagen wollte, Herr Außenminister. Sie wissen, dass ich Sie als Person schätze und trotzdem tiefe Differenzen in Bezug auf Ihren außenpolitischen Kurs bestehen. Vielleicht ist es möglich, dass Sie einmal eine Kritik der Fraktion Die Linke positiv aufnehmen und überprüfen, ob sie berechtigt ist und ob es nicht doch der deutschen Außenpolitik zum Vorteil gereichen könnte, hin und wieder auf eine solche Kritik zu hören. Das möchte ich Ihnen quasi als Ausgangslage zumindest anbieten. Nun müssen wir über Differenzen reden. Wenn wir uns über das Ziel einig sind, heißt das noch nicht, dass wir uns über den Weg dorthin einig sein müssen. Ich will ein paar Differenzen ansprechen. Vor knapp einem Jahr waren Sie es, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat, dass er die Weltpolitik nicht von der Außenlinie betrachten wolle. Ich habe das immer für falsch gehalten. Die geschichtlichen Erfahrungen, zumindest wie ich sie aufgearbeitet habe, bedeuten: Wenn Deutschland Anspruch als Großmacht oder als Mittelmacht erhoben hat, war es immer schlecht für Deutschland und für die Welt. Ich möchte, dass wir zu einer Politik der Zurückhaltung, insbesondere einer Politik der militärischen und der ökonomischen Zurückhaltung, zurückkehren. ({2}) Deutschland muss nicht Großmacht spielen. ({3}) - Da Sie es zurufen: auch Blockfreiheit! Es gehörte einmal zum Kurs der Sozialdemokratie, für Blockfreiheit und für dieses Land zu kämpfen. Das war nicht das Schlechteste für Ihre Partei. ({4}) Ich bin für Blockfreiheit und ein Gegner der NATO. Ich möchte gern, dass die NATO aufgelöst und durch ein kollektives Sicherheitssystem in Europa ersetzt wird. Ich glaube, das wäre eine vernünftige Politik. Ich finde es schon spannend, zu hören, dass die SPD uns vorhält, dass wir für Blockfreiheit sind. Lesen Sie einmal die Geschichte Ihrer Partei nach! Daraus können Sie etwas lernen. ({5}) Ich bin dagegen, dass Deutschland Anspruch auf Großmachtpolitik erhebt. ({6}) Sie haben das mit Frau von der Leyen in München vorangetrieben. Ich habe den Artikel über Frau von der Leyen im Stern mit dem Titel „Die Kriegsministerin“ sehr genau gelesen. Ich bin außerdem sehr unglücklich über die Reden des Bundespräsidenten. Ich akzeptiere sie überhaupt nicht. Ich habe eine gewisse Sehnsucht nach einem sozialdemokratischen Bundespräsidenten, den wir einmal hatten, Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er sein Vaterland liebt, geantwortet hat, dass er seine Frau liebt. Das war eine anständige Position und hatte nichts mit der aggressiven Art und Weise der Politik zu tun, wie sie heute betrieben wird. Ich möchte der Bundesregierung vorhalten, dass seit der Vereinigung das Verhältnis Deutschlands und der EU zu Russland noch nie so schlecht war wie heute. Ich will hier darauf hinweisen, dass daran die EU und auch die Bundesregierung erheblichen Anteil haben. Sie müssen mir einmal Folgendes erklären: Sie halten hier eine Friedensrede - ich unterstütze Sie darin -, und am gleichen Tag soll über neue Sanktionen gegen Russland entschieden werden. Wäre es nach den ersten Schritten in der Ukraine - der Waffenstillstand ist dünn und brüchig; ich habe ihn immer verteidigt - jetzt nicht vernünftig, zu sagen: „Schluss mit Sanktionen, wir treten in neue Gespräche mit Russland ein“? Sie wissen ganz genau, dass die einseitige Unterstützung für Kiew eben noch keine europäische Sicherheitspolitik ausmacht und dass hier viel zu verändern ist. Wir werden kein Problem in Europa und weltweit ohne die Zusammenarbeit mit Russland lösen. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren: Machen Sie uns Russland und die Russen nicht zu Feinden! Linke Außenpolitik will Sicherheit in Europa durch eine Politik mit und nicht gegen Russland, und das muss jeden Tag neu erarbeitet werden. Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag: Im nächsten Jahr werden wir den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus begehen. Diese Befreiung war ein weltweites Ereignis. Es war Bundespräsident von Weizsäcker, der die Zusammenhänge in einer historischen Rede vom Kopf auf die Füße gestellt hat, indem er das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht als Niederlage, sondern als Befreiung Deutschlands bezeichnet hat. Wäre es nicht eine Chance, wenn Deutschland und Russland 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung gemeinsam Schlussfolgerungen aus der gemeinsamen Geschichte zögen und wir aus der Situation eines Kalten Krieges wieder hinauskämen? Ich denke, wir sollten diese Chance aufgreifen. Aufgreifen sollten wir auch die Chance, in der Ukraine eine andere Politik zu machen. Herr Außenminister, ich habe nie verstanden, warum Sie sich mit dem „Rechten Sektor“ an einen Tisch setzen mussten. Ein deutscher Außenminister hat nicht mit Faschisten zu reden. ({7}) Ich habe das, was da passiert ist, für falsch gehalten. ({8}) Ein deutscher Außenminister sollte völlig klar und deutlich sagen, dass die sogenannten Freiwilligenbataillone, die in der Ukraine kämpfen, eine Ansammlung von nazistischen Banden sind, mit denen man nichts zu tun haben will. Ein deutscher Außenminister sollte auf die ukrainische Regierung einwirken, ihrerseits den brüchigen Waffenstillstand nicht auch noch zu gefährden. Ich glaube, dass man vernünftige Schritte gehen kann und dass genügend Vorschläge dafür auf dem Tisch liegen, übrigens auch aus Russland. ({9}) Wäre es nicht sinnvoll - ich sage das auch an die deutschen Medien gewandt -, mit der Verteufelung russischer Politik aufzuhören und wieder eine rationale Politik zu betreiben? ({10}) Das kann den Frieden in Europa sichern. Wir wollen den Frieden in Europa. Mein Angebot an Sie: Wenn es um Frieden geht, finden Sie in der Linken Unterstützung. Aber Sie werden auch die Kritik an der Politik der Bundesregierung ertragen müssen. Lernen Sie daraus! Das wäre ganz vernünftig. Herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung. … Deutschland setzt sich weltweit für Frieden, Freiheit und Sicherheit … ein. Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Meine Damen und Herren, Deutschlands Außenpolitik ist geleitet von einer Kultur der Verantwortung. Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei den Bemühungen, einen friedlichen Ausweg aus dem von Präsident Putin verursachten militärischen Konflikt in der Ukraine zu finden. Zudem geht es darum, die in über 40 Jahren aufgebaute europäische Friedensordnung zu erhalten und wieder zu stärken, die Russland durch sein völkerrechtswidriges Handeln in der Ukraine infrage stellt. Im Irak und in Syrien will sich ein Terrorstaat festigen, der für Europas Sicherheit eine neue Dimension der Bedrohung ist. Deutschland hilft humanitär und durch Waffenlieferungen, um dem IS-Terror Einhalt zu gebieten. Deutschland übernimmt auch Verantwortung bei der Suche nach einer politischen Lösung für den Nahostkonflikt. Für eine dauerhafte Beilegung des Gaza-Konfliktes hat Deutschland eine Beteiligung an einer möglichen Mission an der Grenze zu Ägypten angeboten. Außerdem - angesichts dieser Krisen schon fast wieder in Vergessenheit geraten - leistet Deutschland in verschiedenen Ländern Afrikas Ausbildungshilfe, damit Mali, die Zentralafrikanische Republik und Somalia selber für ihre Sicherheit und Stabilität sorgen können. Es ist absehbar: Die Herausforderungen für unsere Sicherheit angesichts einer unsicheren Nachbarschaft im Osten, im Südosten und im Süden werden weiter wachsen und uns vor neue und weitere Aufgaben stellen. Eine Kultur des Heraushaltens können wir uns nicht leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind froh, dass der jüngste Waffenstillstand in der Ukraine wenigstens bisher weitgehend hält. Aber wir sehen auch, dass der Weg zu einer Friedensvereinbarung noch sehr weit und sehr schwierig ist. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt - das hat der Fraktionsvorsitzende gestern getan; ich will es heute noch einmal tun - insbesondere der Bundeskanzlerin und dem Außenminister, dass sie unermüdlich an einer diplomatischen Lösung arbeiten und auch jetzt alles tun, damit der Friedensplan Realität wird. ({0}) Aber wir wissen aus der Vergangenheit auch, dass getroffene Vereinbarungen von den Separatisten und von Russland nicht eingehalten wurden. Deswegen muss weiter Druck ausgeübt werden. Sosehr wir uns wünschen, dass Russland seinen Beitrag zur Befriedung leistet, so sehr ist noch Skepsis angebracht; denn Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim grundlegende Vereinbarungen des friedlichen Zusammenlebens in Europa verletzt: die UN-Charta, die OSZE-Charta, die Charta des Europarates, das EU-Russland-Abkommen und die NATO-Russland-Akte. Mehr noch: Die offene militärische Intervention Russlands in der Ukraine ist ein kriegerischer Akt gegen einen souveränen Staat in Europa. Russland hat Krieg nach Europa getragen. Wir wissen aus in Luhansk gefundenen Dokumenten, dass Russland weitergehende Ziele hat, dass es Pläne gibt, Mariupol und Odessa auch noch unter russische Kontrolle zu bringen. Damit es dazu nicht auch noch kommt, sind der Waffenstillstand und die Unterstützung des Friedensplanes so wichtig. Die Aufschiebung von verschärften EU-Sanktionen ist deshalb keine Schwäche der EU, sondern ein klares Signal an Russland. Die EU will die Verhandlungen über den Friedensplan nicht durch eine neue Sanktionsrunde belasten. Aber sie wird die neuen, für Russland noch schmerzhafteren Sanktionen umsetzen, wenn Russland nicht seinen Beitrag zur Realisierung des Friedensplans leistet oder gar den Waffenstillstand dazu nutzt, seine militärische Position auszubauen oder gar den Krieg gegen die Ukraine fortzusetzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel?

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben gerade von der „offenen militärischen Intervention Russlands in der Ukraine“ gesprochen. Ich höre das ständig. Das hat auch die Kanzlerin gestern gesagt. Ich frage mich: Wo sind die konkreten Beweise für diese Behauptungen? Wo sind Ihre Quellen? Wir haben in meinen Augen keine tatsächlichen Beweise für diese offene militärische Intervention. ({0}) - Dann legen Sie sie mir bitte schön vor, und zwar autorisiert.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gehört leider auch zu diesem Konflikt, dass eine unglaubliche Initiative von Desinformation und Propaganda nicht nur in den sozialen Netzwerken und durch Aktivisten in der Bundesrepublik Deutschland sowie in unseren Partnerstaaten von der russischen Seite unterstützt wird, sondern offenkundig auch hier im Deutschen Bundestag auf fruchtbaren Boden trifft. ({0}) Was ich meine, Frau Kollegin, sind russische Panzer, russische Militärfahrzeuge, die Tag für Tag die Grenze zwischen Russland und der Ukraine überqueren. ({1}) Was ich meine, sind die täglichen Beschüsse von ukrainischem Territorium durch Tornadosplitterbomben, um den Korridor zwischen Luhansk und Donezk unbegehbar und unpassierbar zu machen. ({2}) Was ich meine, sind Munition und militärisches Gerät, das von internationalen Beobachtern in sogenannten Hilfskonvois gefunden wurde. Was ich meine, sind vor allem Kämpfer, Soldaten, Mitglieder von Elitetruppen, Mitglieder des russischen Geheimdienstes, ({3}) die täglich nicht nur die russische Grenze zur Ukraine überqueren, sondern dafür - das ist Teil dieser zynischen Desinformation - vom russischen Präsidenten in Moskau auch noch mit Ehrenmedaillen ausgezeichnet werden. ({4}) Ich meine diese Form von Doppelzüngigkeit, Täuschung und Desinformation, die im Gegensatz zu einer offenen Debatte über die notwendigen Reaktionen in einer demokratischen Gesellschaft steht. Dagegen wehren wir uns. Dass Sie es nicht tun, verwundert mich nicht. Aber wir werden trotzdem die Debatte darüber in der deutschen Öffentlichkeit zu führen haben. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wichtigsten Punkte des Friedensplans, zu dessen Umsetzung Russland seinen Beitrag leisten muss, sind: Erstens: ein endgültiges Ende der Kämpfe und Einhaltung des Waffenstillstandes. Zweitens: Abzug der russischen Truppen und Waffen. Drittens: eine konsequente Überwachung der russisch-ukrainischen Grenze. Viertens: Einigung über den Status einer Autonomie für Luhansk und Donezk innerhalb des Staatsverbands der Ukraine. Was auf keinen Fall akzeptiert werden kann, ist, dass auf dem Staatsgebiet der mit der EU assoziierten Ukraine ein neuer, ein vierter Frozen Conflict entsteht. ({6}) Diese vier Punkte sind essenziell. Wenn sie nicht von Russland mit umgesetzt werden, müssen die jetzt nur angedrohten Sanktionen angewendet werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einigkeit der EU gegenüber Russland wird durch die Geschlossenheit der NATO auf dem Gipfel in Wales komplementiert. Die NATO hat sich angesichts der russischen Aggression einig wie selten gezeigt. Auch hier wird deutlich: Es wird Präsident Putin nicht gelingen, uns auseinanderzudividieren - das Gegenteil ist der Fall. In großer Geschlossenheit hat das Bündnis ein Konzept zum besseren militärischen Schutz der östlichen Mitgliedstaaten verabschiedet. Unsere Bündnispartner im Osten, insbesondere die baltischen Staaten und Polen, fühlen sich durch die russische Aggression in Osteuropa existenziell bedroht; das können wir nachvollziehen. Deshalb steht die CDU/CSU ohne Wenn und Aber hinter der Verpflichtung des Bündnisses, einander gegen einen Angriff zu verteidigen und die Freiheit und Sicherheit all seiner Mitglieder zu schützen. Deshalb ist es für uns auch eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns an einer schnellen Eingreiftruppe der NATO als neue Speerspitze des Bündnisses beteiligen. ({7}) Für die CDU/CSU sind die nun in Wales getroffenen Vereinbarungen der richtige Weg, um Präsident Putin klar zu verstehen zu geben: Die Allianz wird kein Ausgreifen seiner hybriden Kriegsführung auf das Bündnisgebiet zulassen. Meine Fraktion bekennt sich auch zu den Beschlüssen der Allianz zu ihrer Erweiterung. Eine Mitgliedschaft der Ukraine ist derzeit nicht auf der Tagesordnung; aber die Ukraine bleibt frei in ihrer Wahl, ob sie eine Aufnahme in das Bündnis anstreben möchte. Die militärischen Drohungen und Aktivitäten Russlands - gegen die Ukraine, aber auch gegen unsere östlichen Bündnispartner - haben die Diskussionen um unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit erneut belebt. Das Bündnis muss über das gesamte Spektrum an Fähigkeiten verfügen, die für eine Abschreckung und Verteidigung gegen jede Bedrohung der Sicherheit unserer Bevölkerungen notwendig sind. Dafür müssen wir zunehmend auf transnationale Fähigkeiten setzen. Die beschlossenen Maßnahmen des Bündnisses im Rahmen seiner Smart-Defence-Initiative sind dabei der richtige Weg. Die Bundesregierung hat mit ihrem Konzept der Rahmennationen eine Führungsrolle in diesem Prozess übernommen. Dabei hat sie unsere volle Unterstützung. In Afghanistan, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der ISAF-Stabilisierungseinsatz Ende dieses Jahres beendet sein. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden aber auch über 2014 hinaus Ausbildung, Beratung und Unterstützung brauchen. Deutschland unterstützt daher die Bemühungen um eine neue internationale Beratungs-, Ausbildungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“. Im Übrigen ist zu hoffen, dass Präsident Obama angesichts der Entwicklungen im Irak seine Entscheidung überdenkt, die amerikanischen Truppen bereits bis Ende 2016 vollständig aus Afghanistan abzuziehen. Denn im Irak sehen wir doch auch die Risiken eines zu frühen Abzugs der Amerikaner. Machen wir uns nichts vor: Die Region des Nahen und Mittleren Ostens braucht die USA als Ordnungsmacht, und es ist zu begrüßen, dass Washington den Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ jetzt nicht nur aufnimmt, sondern dazu auch Partner sucht. Wir begrüßen ausdrücklich die Botschaften, die Präsident Obama in diesem Zusammenhang gestern in seiner Rede an die Nation übermittelt hat. ({8}) Auch hier wird Deutschland seiner Verantwortung gerecht. Es geht darum, dieser Bedrohung für den gesamten Nahen und Mittleren Osten, aber eben auch für Deutschland und Europa zu begegnen. Auch angesichts der unbeschreiblichen Barbarei können wir uns nicht heraushalten. Jedes Risiko zu vermeiden und zu hoffen, dass andere sich der Gefahr stellen, ist keine Option. Deshalb unterstützen wir diejenigen, die mutig gegen den Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ kämpfen. Wir sind bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen; darüber haben wir gestern schon debattiert. Wir wissen aber auch, dass wir damit das Problem nicht lösen können. Nur wenn wir den Menschen in ihrem Land eine glaubhafte Perspektive geben, werden sie dort auch bleiben. Die Voraussetzung dafür ist in erster Linie Sicherheit. Als ich vor kurzem mit dem Fraktionsvorsitzenden Kauder im Irak war, haben wir Flüchtlingsfamilien getroffen, die zum dritten Mal vertrieben worden waren und dreimal mit angesehen haben, wie Familienangehörige und Nachbarn ermordet wurden. Sie gehen nicht zurück, wenn sie kein Vertrauen haben, dass es wirklich Sicherheit gibt, sondern nur das Gefühl, auf den nächsten Überfall zu warten. Doch unsere Waffenlieferungen sind nur Nothilfe. Der amerikanische Präsident hat recht, wenn er sagt, dass diese Terrorbande zerschlagen werden muss. Dies ist eine Aufgabe der gesamten internationalen Gemeinschaft. Der sogenannte „Islamische Staat“ ist eine totalitäre, islamfaschistische Bedrohung, die bereits Länder wie Libanon und Jordanien akut bedroht, aber auch Saudi-Arabien und mittelbar auch Israel. Es ist richtig, dass Präsident Obama nun auch in Syrien militärisch intensiver vorgehen will. Dort hat der selbsternannte „Islamische Staat“ seine Basis, dort hat Assad ein Schlachtfeld geschaffen, das ihm überhaupt erst den Raum gegeben hat, um groß zu werden. Nicht zuletzt: Der UN-Sicherheitsrat hat sich aufgrund der russischen Blockade als unfähig erwiesen, rechtzeitig in Syrien das Töten zu stoppen. Das hat zur Radikalisierung der syrischen Opposition und zum Erstarken der Dschihadisten geführt. Die Konsequenz daraus kann nur sein, eine Koalition zu schmieden, die sich den selbsternannten Gründern eines „Islamischen Staats“ nun im Irak und in Syrien entgegenstellt. Meine Fraktion unterstützt mit Nachdruck, dass sich die Bundesrepublik hier verpflichtet hat. Auch hier können wir nicht länger zuschauen. Das gilt im Übrigen auch für Libyen und für ganz Nordafrika, das von Instabilität, von totalitärem Islamismus bedroht wird. Damit komme ich wieder auf den Ausgangspunkt zurück, nämlich darauf, dass weitere sicherheitspolitische Herausforderungen auf uns zukommen werden. Lassen Sie mich deshalb abschließend fünf Leitgedanken zur Verantwortung Deutschlands formulieren: Erstens. Deutschland hat aufgrund seiner besonderen Rolle in Europa und im NATO-Bündnis eine führende Aufgabe wahrzunehmen. ({9}) - Das ist so ein Unsinn, was Sie da reden. Herr Gehrcke, wie kann man so einen Schwachsinn reden? ({10}) Wenn man ein Land, das ein Drittel seines Bruttoinlandsprodukts, das sein Wirtschaftswachstum und seine soziale Sicherheit der internationalen Stabilität und dem weltweiten freien Handel verdankt, der Großmannssucht bezeichnet, weil es Verantwortung übernimmt, ({11}) dann ist das einfach nur dumm. ({12}) Dass die Bundesregierung bereit ist, diese Verantwortung zu übernehmen, auch hinsichtlich der Mitgestaltung von entsprechenden Beschlüssen, hat sie kürzlich beim NATO-Gipfel gezeigt. Das zeigt sich auch in der Bereitschaft der Bundesregierung, in der Kerngruppe zur Bekämpfung des IS-Terrors maßgeblich mitzuwirken. Zweitens. So selbstverständlich humanitäre Hilfe und Wirtschaftshilfe sowie Ausbildungshilfe sind: Im Einzelfall können auch weiterhin Auslandseinsätze der Bundeswehr und erneut Waffenlieferungen erforderlich sein. Wenn andere, wie jetzt die kurdischen Peschmerga im Irak, einen konkreten Beitrag auch für die Sicherheit Europas leisten und wir deshalb nicht Bundeswehrsoldaten in einen gefährlichen Kampfeinsatz entsenden müssen, müssen wir diese Kräfte zumindest ertüchtigen, im Einzelfall auch durch Waffenlieferungen. Auch dies gehört zur Wahrnehmung außenpolitischer Verantwortung als größter, wirtschaftlich stärkster und politisch bedeutender Staat in Europa. Drittens. Da wir zu unserer eigenen Sicherheit in unserer südlichen und östlichen Nachbarschaft mehr Verantwortung übernehmen müssen, brauchen wir klare sicherheitspolitische Ordnungskonzepte, denen wir mit unseren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechen müssen. Viertens. Heute ist die NATO aufgrund des russischen Vorgehens für die Sicherheit Europas, insbesondere für unsere östlichen Partner, wieder gefragt. Wir brauchen mehr Europa in der Allianz. Die Verteidigungsausgaben dürfen nicht weiter sinken, und sie müssen gleichzeitig effizienter eingesetzt werden. Das geht nur - ich habe es vorhin schon erwähnt - mit mehr transnationalen Fähigkeiten. Konzepte wie das der Rahmennationen und der Smart Defence oder die jetzt beschlossene „Speerspitze“ bringen Deutschland in zusätzliche, auch militärische Verantwortung. Sie bedeuten aber gleichzeitig auch mehr Sicherheit für uns. Das ist die Gegenseite. Dem müssen wir uns mit einer Reform des Parlamentsbeteiligungsgesetzes stellen. Ich gehe davon aus, dass wir noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag erneut über diese Frage diskutieren werden. Fünftens. Unsere außenpolitischen Interessen sind mit unseren wirtschaftlichen Interessen eng verknüpft. Das sollten wir auch offen sagen. ({13}) Ein Land, das ein Drittel seines Bruttoinlandsproduktes - Herr Gehrcke, das habe ich gerade gesagt; ich sage es gern noch einmal ({14}) über den Export erzielt, kann mit der Devise: „Wir verdienen das Geld, sorgt ihr für die Sicherheit“ nicht bestehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung wird mit ihrem außenpolitischen Handeln Deutschlands Verantwortung gerecht, gerade auch, wenn es um eine schwierige sicherheitspolitische Entscheidung geht. Allerdings müssen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass wir in unserer Bevölkerung noch mehr Verständnis für die Wahrnehmung außen- und sicherheitspolitischer Verantwortung wecken müssen. Ich begrüße deshalb - zum Abschluss - ausdrücklich, dass sich unser Bundespräsident mit seiner Autorität als Staatsoberhaupt in diese Debatte einbringt. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Herr Kollege.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Zudem halte ich es für dringend geboten, dass wir einmal im Jahr hier in diesem Haus eine sicherheitspolitische Generaldebatte führen. Wir müssen uns öffentlich zu unserer Verantwortung bekennen und auch öffentlich darüber diskutieren und gegebenenfalls streiten, was Verantwortung konkret heißt. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Frithjof Schmidt das Wort.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben es angesprochen: Unsere Debatte ist geprägt durch die dramatische Dichte der internationalen Krisen und Konflikte, die uns alle umtreiben. Manches gerät dann auch ganz schnell wieder aus dem Fokus: Mali, Zentralafrika, wo jetzt gerade eine UN-Mission ansteht, Südsudan, wo es leider nichts Vergleichbares in diese Richtung gibt, jetzt neu die Ebolakrise in Westafrika und die dramatischen Ereignisse im ganzen Nahen Osten. Übrigens gibt es auch schlechte Nachrichten aus Afghanistan. Die meisten von uns kommen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wenn sie das alles noch genau verfolgen wollen. In wichtigen Regionen befindet sich die postkoloniale Ordnung weit4668 gehend in Auflösung. Das alles ist mit schrecklichen Verwerfungen und Opfern verbunden. In Europa - auch das haben Sie treffend angesprochen - ist es nicht viel anders. Unser größter Nachbarstaat in Europa, Russland, setzt nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim seine Destabilisierung der Ukraine bisher aktiv fort. Wir hoffen alle, dass der Waffenstillstand in der Ostukraine hält und den Weg zu einer friedlichen Lösung öffnet. Aber dazu ist es notwendig, dass Russland seine militärische Unterstützung der Separatisten endgültig beendet und der ZwölfPunkte-Plan ganz umgesetzt wird. ({0}) Ich sage: Die Politik der Europäischen Union ist da ganz richtig. Solange Russland dazu nicht bereit ist, ist es richtig, die Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland aufrechtzuerhalten, um Druck zu machen, auch für weitere Verhandlungen. ({1}) Diesen Zusammenhang sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Das ist ein wichtiges Element der Politik. Da kann ich dem Außenminister nur zustimmen. Es ist auch wichtig, die Befürchtungen der östlichen NATO-Partner in dieser Lage sehr ernst zu nehmen. Die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages gilt für alle Mitglieder gleichermaßen; daran darf es keinen Zweifel geben. ({2}) Die Einsatzbereitschaft der NATO kann dazu dienen, solche Zweifel auszuräumen. Aber wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht den Fehler machen, in eine militärische Logik der Aufrüstung zu verfallen, wie sie manche ja schon fordern, und dabei dann auch den politischen Dialog ad acta zu legen. Deshalb wäre es ein ganz falsches Signal, die NATORussland-Grundakte zu kündigen, auch wenn Russland mit seinem Vorgehen auf der Krim bereits massiv gegen diese Vereinbarung verstoßen hat. Da unterstützen wir ausdrücklich die Haltung, die die Bundesregierung auf der NATO-Konferenz vertreten hat. Die Diskussionen auf dem NATO-Gipfel in der letzten Woche geben jedoch auch Anlass zur Sorge. Der scheidende Generalsekretär Rasmussen fordert massive Erhöhungen der Rüstungsausgaben, und schon gibt es auch Pläne, die geplante neue NATO-Raketenabwehr nun doch auch auf Russland als Gegner auszurichten. Das ist ein gefährliches Spiel mit der Eskalation. Das kann einen neuen Rüstungswettlauf in Europa auslösen. Das darf nicht sein. ({3}) In diesem Zusammenhang muss ganz klar sein: Die NATO kann bei der Lösung der Ukraine-Krise keine zentrale Rolle einnehmen. Das ist das falsche Feld. Hier sind die Europäische Union und die OSZE gefragt. Sie müssen gestärkt werden. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letzten Woche haben wir in einer Sondersitzung über die dramatische Lage im Irak und in Syrien gesprochen. Es bestand in diesem Haus, glaube ich, große Einigkeit darüber, dass es richtig ist, die Kurden und die irakische Zentralregierung in ihrem Kampf gegen die Radikalislamisten des ISIS zu unterstützen. Einen Dissens hatten wir darüber, ob Waffenlieferungen dafür das richtige Mittel sind. Sie wissen, dass die Mehrheit meiner Fraktion, wie so viele in Deutschland, dies wegen der großen Proliferationsrisiken nicht glaubt. Deswegen haben wir Ihrem Entschließungsantrag dazu nicht zugestimmt. Aber richtig ist doch auch, dass eine politische Strategie her muss, die eine politische Lösung für diese Region skizziert. Was die Initiative von Präsident Obama, die er gestern Nacht vorgestellt hat, betrifft - er wirbt für ein breites Vorgehen gegen den IS im Irak und in Syrien und sagt, dies solle ein zentrales Element der Politik der USA werden -, sagen wir ganz klar: Entscheidend und von zentraler Bedeutung ist hierfür ein UN-Mandat, auch und gerade dann, wenn man eine regionale Einbindung aller Mächte dort erreichen will. ({5}) Ich hätte mir ein klares Wort von Ihnen, Herr Außenminister, dazu gewünscht, wie wichtig es ist, dass die UNO hier im Spiel bleiben muss, ja eigentlich erst richtig ins Spiel kommen muss. ({6}) Wir fordern Sie auf, sich als Bundesregierung aktiv dafür einzusetzen, dies zu benennen und es deutlicher zu sagen, als Sie es hier angedeutet haben. Nur so wird es möglich sein, regionale Mächte, die man für eine Lösung braucht, einzubinden. Wir reden da auch über SaudiArabien und den Iran. Wir alle wissen, dass wir ohne diese regionalen Großmächte keine politische Lösung erreichen können. ({7}) Die UNO ist dafür der entscheidende Rahmen. Hier darf keine unilaterale Politik und keine Politik mit kleinen Gruppen an der UNO vorbei gemacht werden. Der UNO-Bezug muss ein zentrales Element der deutschen Außenpolitik bleiben. Da vermissen wir noch einiges. ({8}) Es ist gut, dass es für die humanitäre Hilfe eine breite Unterstützung im Bundestag gibt. Ich möchte noch einmal an das erinnern, was der Kollege Oppermann in der Sondersitzung gesagt hat - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -: Wir werden darauf achten, dass die humanitäre Hilfe für diese Region immer deutlich höher ist als die Waffenhilfe … Daran werden wir Sie messen. ({9}) Und da muss ich feststellen: In dem Haushalt, den Sie uns hier vorlegen, wird im Einzelplan des Auswärtigen Amtes der Titel für humanitäre Hilfe um sage und schreibe 38 Prozent gekürzt. Das ist in dieser internationalen Lage absurd. ({10}) Man fragt sich, wovon Sie bei dieser Kürzung denn eigentlich die versprochenen humanitären Hilfen finanzieren wollen. Herr Außenminister, wenn Sie andeuten, Sie hätten gern mehr Mittel, was ich verstehe und worin wir Sie unterstützen, frage ich Sie einmal umgekehrt: Warum legen Sie uns denn dann überhaupt so einen Haushalt vor? ({11}) Das war doch vor wenigen Wochen nicht anders, sodass wir das nicht hätten erkennen können. Wir hatten doch genügend Zeit, das zu tun. Deswegen ist das ein schlechter Haushaltsentwurf, der uns hier vorgelegt wird. ({12}) Der Bedarf bei der humanitären Hilfe ist riesig. Die Vereinten Nationen und alle Hilfsorganisationen sagen, dass die Hilfe - übrigens nicht nur in Syrien und im Nordirak - hoffnungslos unterfinanziert ist. Diese Kürzung, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen Sie zurücknehmen. ({13}) Herr Außenminister, ich möchte noch zu wichtigen Politikfeldern kommen, in denen wir scharfe Kritik an Ihrer Politik haben. Da sind zuerst die transatlantischen Beziehungen. Vor einem halben Jahr wollten Sie gerade noch ein No-Spy-Abkommen mit den USA für den Verzicht auf gegenseitige Spionage erreichen. Nichts haben Sie erreicht. Jetzt tun Sie einfach so, als wäre gar nichts. Das ist peinlich. Es ist einfach nur peinlich, wie Sie damit umgehen. ({14}) Beim transatlantischen Handelsabkommen TTIP geht es natürlich auch um eine zentrale Frage unserer Beziehungen zu den USA, ({15}) und das fällt auch in Ihr Ressort. Da frage ich Sie - da müssen Sie auch als Außenminister Stellung beziehen und können sich nicht hinter anderen Ministern verstecken -: Wollen Sie wirklich außergerichtliche Schiedsgerichtsverfahren mit wechselseitigen Schadensersatzklagen gegen neue Gesetze akzeptieren? Haben Sie einmal überlegt, welche zerrüttende politische Wirkung das für die transatlantischen Beziehungen in der Bevölkerung in Europa und übrigens auch in den USA auslösen kann? Das ist eine eminent wichtige außenpolitische Frage. Da tauchen Sie als Außenminister einfach weg. Das ist ein schwerer außenpolitischer Fehler. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen für die SPD-Fraktion. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich eine Vorbemerkung machen. Herr Kollege Gehrcke, wenn Sie hier den Eindruck erwecken wollen, dass der deutsche Außenminister mit seinen Verhandlungen versucht haben sollte, Faschisten hoffähig zu machen, ({0}) dann will ich Ihnen hier in aller Deutlichkeit sagen: Meine Partei kämpft seit 150 Jahren in Deutschland und international gegen die Faschisten. Wir werden uns diese Unterstellung von Ihnen nicht gefallen lassen. Das möchte ich Ihnen hier garantieren. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in den letzten Monaten ja viel über die Grundsätze deutscher Außenpolitik gesprochen worden, nicht immer sehr trennscharf. Dabei liegt uns allen im Grundgesetz eigentlich eine sehr gute Definition vor. In der Präambel heißt es, dass wir als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen sollen. Ich denke, dass dies eine gute Beschreibung ist. Deswegen, meine Damen und Herren, ist deutsche Außenpolitik auch immer Friedenspolitik. Aber dieser Frieden ist gefährdet in Syrien, im Irak, aber auch durch die Konflikte zwischen Israel und der Hamas. Ich glaube, wir alle stimmen doch darin überein: Vor wenigen Monaten hätte sich noch niemand vorstellen können, dass wir in der Ukraine eine Krise mit inzwischen mehreren Tausend Toten haben. ({2}) ISIS, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur eine Bedrohung für die Menschen in der betroffenen Region. Der umfassende Machtanspruch ist auch eine Herausforderung für unsere freiheitlichen Gesellschaften. ({3}) Deswegen bin ich dankbar dafür, dass auch darauf hingewiesen worden ist: Ohne dass wir uns auf die Beendigung des täglichen Sterbens der Menschen in Syrien konzentrieren, werden wir dieses Problem nicht angehen können. Dafür brauchen wir in der Tat die Vereinten Nationen, und ich hoffe, dass bei den Plänen, die der amerikanische Präsident jetzt vorgestellt hat, dieser politische Aspekt in Zukunft vielleicht eine stärkere Rolle spielen wird. ({4}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, 3 Millionen Syrerinnen und Syrer sind inzwischen in die Nachbarländer geflohen. Die Anzahl der Binnenflüchtlinge beträgt über 6 Millionen. Im Irak hat ISIS diese humanitäre Katastrophe noch einmal zugespitzt; dort sind inzwischen 1,6 Millionen Menschen zu Flüchtlingen geworden. Ich bin überzeugt davon, dass die tiefen Gräben in der irakischen Gesellschaft - auch verstärkt durch die Politik des ehemaligen Ministerpräsidenten al-Maliki - nur überwunden werden können, wenn diejenigen, die jetzt dafür sorgen wollen, dass alle an der politischen Macht beteiligt werden, auch international unterstützt werden. Die Entscheidung des irakischen Präsidenten ist dort sicherlich ein erster wichtiger Schritt; das ist auch von der deutschen Politik deutlich gemacht worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Russland hat in den zurückliegenden 20 Jahren schreckliche Erfahrungen mit islamistischem Terror gemacht. Doch statt unsere gemeinsamen Ressourcen auf die Bekämpfung dieses Problems zu konzentrieren, hat die russische Führung die Souveränität der Ukraine in eklatanter Weise verletzt und hat dazu beigetragen, in Europa eine neue politische Eiszeit auszulösen. Dieser Konflikt hat - ich glaube, wir alle kennen das aus den Gesprächen in unseren Wahlkreisen - auch bei uns Ängste vor einer Rückkehr des Krieges in Europa ausgelöst. Deswegen ist der vor wenigen Tagen vereinbarte Waffenstillstand ein wichtiger Erfolg und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen alle Akteure auf der einen Seite politisch unter Druck setzen, sie auf der anderen Seite aber auch dabei unterstützen, jetzt alle Fragen Stück für Stück auf den Verhandlungstisch zu packen und die Interessengegensätze, die es dort gibt, offen anzusprechen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, diese Debatte ist auch der Ort - ich bin Herrn Schmidt dafür dankbar, dass er darauf hingewiesen hat -, auf die Konflikte zu sprechen zu kommen, die es eben nicht jeden Tag in die Abendnachrichten schaffen. Ich denke dabei an Libyen, ich denke an Mali, an die Zentralafrikanische Republik, aber auch an den Südsudan. Gerade im Südsudan ist die humanitäre Lage katastrophal. Seit dem Dezember 2013 hat sich die Lage erheblich verschärft. Inzwischen beklagen wir über 10 000 Todesopfer, darunter viele Zivilisten; 1,3 Millionen Menschen sind auf der Flucht; hinzu kommen noch knapp eine halbe Million Flüchtlinge aus den Nachbarländern; knapp 4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Vereinten Nationen gehen von einem Bedarf von 1,8 Milliarden US-Dollar aus. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich denke deswegen: Natürlich ist die Konsolidierung des Haushaltes - es ist ja in dieser Debatte häufig und auch zu Recht darauf hingewiesen worden, wie wichtig die schwarze Null ist - ein legitimes, ein wichtiges politisches Ziel. Wir dürfen aber auch das millionenfache Leid der Menschen in den Konflikten, die ich benannt habe, und anderswo nicht vergessen. ({6}) Deswegen müssen wir uns in den kommenden Tagen auch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die neuen Erwartungen an die deutsche Außenpolitik und die Herausforderungen auch finanziell unterlegen. ({7}) Ich denke dabei im Wesentlichen an drei Punkte: Erstens. Die Anforderungen an die deutsche Außenpolitik sind in der Tat dramatisch gestiegen, und wir müssen das durch einen angemessenen Mittelaufwuchs auch abbilden. Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Es geht aus meiner Sicht unter anderem auch darum, auf die veränderten Gefährdungslagen einzugehen. Wir müssen zum Beispiel auch unsere deutschen Auslandsvertretungen angemessen ausstatten und schützen. Zweitens. Wir müssen und werden auch mehr humanitäre Hilfe leisten. Ich will einmal darauf hinweisen, dass wir im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Irak und in Syrien und der Debatte über ISIS ja auch darüber gesprochen haben, dass staatliche Strukturen infrage gestellt werden, dass sie zusammengebrochen sind, dass wir es in vielen Bereichen der Welt mit Konflikten zu tun haben, in denen es verlässliche Strukturen, die uns überhaupt in die Lage versetzen, Krisen zu managen, nicht mehr gibt. Deswegen müssen wir dort, wo zum Beispiel das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen quasi staatliche Aufgaben übernommen hat, unsere Hilfe auch weiter ausbauen. ({8}) Drittens. Zivile Konfliktvermeidung und Konfliktverhütung - dazu gehören auch Instrumente wie die Auswärtige Kulturpolitik - müssen weiter das Zentrum der deutschen Außenpolitik bilden, ich denke, auch damit wir den Auftrag des Grundgesetzes erfüllen können, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Ich weiß, Herr Kollege Annen, dass Sie aus Ihren Reihen den Auftrag mit ans Rednerpult genommen haben, mich in dieser Frage zurechtzuweisen. ({0}) Sie haben sich ordentlich bemüht, aber es entsprach leider nicht dem, was ich gesagt habe. Ich habe nicht gesagt, dass der Außenminister und seine Partei oder die Koalition, die ihn trägt, die Nazis in der Ukraine salonfähig gemacht haben; ich denke noch nicht einmal so. Ich reagiere auf diese Frage so allergisch, weil ich aus der Geschichte der Linken in Deutschland weiß, dass dieser Vorwurf, dieser gegenseitige Vorwurf, verhängnisvoll zur Spaltung der Linken beigetragen hat. ({1}) Das will ich nicht, und deswegen weise ich das zurück; ich denke noch nicht einmal so. Ich habe kritisiert, dass die Bundesregierung der ukrainischen Regierung nicht deutlich genug klar gemacht hat, dass Deutschland nicht mit einer Regierung kooperieren wolle, die viele Minister aus einer Partei hat, die immerhin eine Parteischule unterhalten hat, die sich den Namen „Goebbels“ gegeben hat. Das finde ich entscheidend. Ich habe kritisiert, dass dieser Außenminister nicht genügend klar gesagt hat, dass in der Ukraine Schluss sein muss mit den Möglichkeiten sogenannter Freiwilligenbataillone, die jetzt in der Ostukraine kämpfen und sich auf den Faschisten Bandera berufen. Ich möchte eine Trennschärfe, wie sie Verheugen vorgeschlagen hat. Im 21. Jahrhundert kooperiert man nicht mit Regierungen, denen Nazis angehören. Das ist das, was ich hier sagen wollte und ausgedrückt habe, und dabei belassen wir es dann auch. ({2})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gehrcke, zunächst darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich selber entscheide, was ich am Podium sage. ({0}) Zweitens. Auch mit Ihrem Redebeitrag gerade eben haben Sie wieder eine Verknüpfung hergestellt, von der ich nur annehmen kann, dass sie bei denjenigen, die uns hier zuhören, eine bestimmte Assoziation auslösen soll, und das muss ich einfach zurückweisen. ({1}) Ihre Fraktion hat sich in vielen Debatten in diesem Haus immer dafür ausgesprochen, mit allen sprachfähig zu sein. Wir alle erinnern uns vielleicht an die dramatische Situation, in der der deutsche, der polnische und der französische Außenminister in einer diplomatischen Initiative versucht haben, das, was jetzt eskaliert ist, in letzter Minute noch zu verhindern. Es ist doch nicht der deutsche Außenminister, der darüber entscheidet, wer welche Delegation zu Verhandlungen entsendet, mit der man sich auf einen Waffenstillstand und auf eine politische Lösung zu verständigen versucht. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie diese Form der Aneinanderreihung von Argumenten in Zukunft, wenn das, was Sie gesagt haben, wirklich Ihrer Intention entspricht, einfach unterlassen würden. ({2}) Niemand hat vor, diese Form der Politik und der rechtsradikalen Äußerungen, die es in der ukrainischen Regierung und in der ukrainischen Politik natürlich gibt und die wir alle hier zurückgewiesen haben, zu legitimieren. Insofern finde ich nach wie vor - wir können das ja im Protokoll nachlesen -, dass Ihre Bemerkung dazu unangemessen war. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Reden des Außenministers, von Herrn Schmidt, von Herrn Annen und - gestern - von Frau Brugger haben alle sehr ähnlich begonnen: Sie beschreiben die Konflikte, die es überall auf der Welt gibt. Die Länder werden genannt - ich will sie hier nicht noch einmal wiederholen -, und wir stellen fest, dass die Konflikte von heute entlang anderer und nicht mehr so scharf gezogener Linien verlaufen, wie das in vergangenen Zeiten einmal der Fall gewesen ist. Es gibt religiös verbrämte Kämpfer, marodierende Banden, nichtstaatliche Akteure und private Sicherheitsdienste. Die Konflikte, die wir heute haben, sind für viele Menschen in der Tat nicht mehr verständlich. Sie kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen und aus den Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern: Viele Menschen haben wieder Angst, wenn sie die Tagesschau sehen; sie sind verunsichert. Manche Kollegen sagen: Ach, wie einfach war doch die Welt, als sie noch in zwei Blöcke geteilt war! - Ich möchte Ihnen sagen: Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Ja, wir haben andere Zeiten. Auch unsere Außenpolitik muss sich ändern; wohin, das debattieren wir hier, auch kontrovers. Dass Sie, Herr Steinmeier, als Außenminister in der EU, in der NATO und auch in der Koalition, wie ich eben während der Rede des Kollegen Schockenhoff festgestellt habe, nicht der Scharfmacher sind, will ich Ihnen gerne zugestehen. ({0}) Trotzdem müssen wir hier als Opposition am Ende nicht die Reden bewerten, sondern die Beschlüsse. Die Beschlüsse, die Sie fassen und die Sie mitzuverantworten haben, finden wir im Ergebnis falsch. Ja, Russland hat in der Krise um die Ukraine von Beginn an falsch und völkerrechtswidrig gehandelt. ({1}) Trotzdem finden wir die Antworten, die Sie darauf geben, falsch. Sanktionen zu verhängen, die NATO als Speerspitze zu bezeichnen, die Verteidigungsetats zu erhöhen, hilft keinem Menschen in der Ukraine. ({2}) In einer immer kriegerischer und unberechenbarer werdenden Welt müsste unsere Antwort doch sein, alles für den Frieden zu tun. Alles, was Kriege verlängert, müsste unterlassen werden, und alles, was sie beenden hilft, müsste geleistet werden. Stattdessen genehmigt unsere Bundesregierung, auch Sie, Herr Steinmeier, Waffenverkäufe aus Deutschland in Krisengebiete und an Diktaturen. Nun brechen Sie noch ein weiteres Tabu. Sie können sich über Frau Göring-Eckardts Rede von gestern ärgern, aber es ist einfach wahr: Es ist das erste Mal, dass Tausende Waffen - Maschinengewehre, Pistolen und Granaten - mitten in ein Kriegsgebiet geliefert werden. Das ist der falsche Weg. Dass Sie hier die richtigen Fragen stellen, spreche ich Ihnen nicht ab. Sie fragen: Was ist, wenn ISIS den Kampf gewinnt? Was ist, wenn ISIS die Waffen erbeutet? Was ist, wenn durch ISIS irgendwann in Jordanien, Libanon oder Israel neue Bedrohungssituationen entstehen? Was ist, wenn sich die kurdischen Fraktionen plötzlich gegen den Irak oder gegen die Türkei wenden? Diese Fragen benennen Sie von der Koalition und sagen: Diese Risiken gibt es. - Die Antworten darauf bleiben Sie allerdings schuldig. ({3}) Dann wird immer gefragt, ob man einfach wegschauen wolle. Ich glaube, diese scheinbare Alternativlosigkeit ist falsch. Es gibt immer Alternativen, auch in diesem Konflikt. Ich werde Ihnen eine nennen. Wenn Sie in Berlin-Neukölln beobachten würden, dass eine Gruppe von Kurden von gewalttätigen Islamisten angegriffen wird, dann käme niemand von Ihnen auf die Idee, den Kurden Pistolen in die Hand zu drücken. Jeder würde sagen: An dieser Stelle muss man die Polizei rufen. - Die Polizei in unserer Weltordnung ist die UNO. Sie ist übrigens extra dafür gegründet worden. Ich zitiere den Beginn der UN-Charta, in der folgende Ziele genannt werden: den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken … Das ist die Aufgabe der UNO. Die UNO muss endlich handeln. Herr Steinmeier, es ist sehr nett, dass Sie unserem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi hier recht geben, aber Sie müssten dann auch in diese Richtung wirken. Ich komme damit auf einen Punkt zu sprechen, den schon einige Redner erwähnt haben. Die Strategie, die Präsident Obama heute Nacht verkündet hat, finde ich nicht richtig. Sie ist hilflos, sie ist falsch, und sie wird auch nicht wirksam sein. Der Präsident hat wieder verkündet, dass es eine Koalition der Willigen geben soll. Er hat in einem Nebensatz der UNO eine Nebenrolle zugebilligt. Niels Annen, Sie haben das ganz leicht kritisiert, aber das reicht eben nicht. Man muss dann auch Konsequenzen folgen lassen. Barack Obama hat verschwiegen, dass sein Vorgänger Bush das ganze Unheil zu verantworten hat. Er ignoriert die Verantwortung seiner Verbündeten Türkei und Saudi-Arabien für den Zustrom an Kämpfern und Geld an ISIS. Wie man mit Rebellen, die gleichzeitig gegen ISIS und Assad kämpfen sollen, aber teilweise selbst mit der islamistischen Al-Nusra-Front verbunden sind, gewinnen will, bleibt sein Geheimnis. Herr Schockenhoff, statt hier Ergebenheitsadressen an Barack Obama auszusenden, ({4}) möchte ich Sie bitten, auf die Rolle der Vereinten Nationen zu pochen. Das haben Sie unterlassen. Das finde ich sehr schade. Das Völkerrecht weiter zu untergraben, kann nicht im Interesse unserer Welt sein. ({5}) Was im Staat das Recht ist, das ist zwischen den Staaten das Völkerrecht. Das muss immer gelten und darf nicht nur da gelten, wo es einem gerade passt. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Redezeit.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Wir hoffen, Herr Steinmeier, dass Sie Ihre Strategie über die gewachsene Verantwortung unseres Landes noch einmal überdenken. Unterlassen Sie die Waffenexporte in alle Welt! Wir wollen keine Rüstungswettläufe mit den USA, mit Russland, China oder Frankreich. Gehen Sie stattdessen voran, wenn es um Ideen zur Vermeidung von gewaltsamen Konflikten und zur friedlichen Lösung von Konflikten geht! Stärken Sie die Menschenrechte, und achten Sie das Völkerrecht! Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit diesen weltfremden und realitätsfernen Vorschlägen meines Vorredners will ich mich gar nicht auseinandersetzen. ({0}) Die deutsche und die europäische Außenpolitik stehen vor und in gewaltigen Herausforderungen. Wenn wir heute rund um den Globus schauen, sehen wir die Welt in zu vielen Regionen in dramatischer Situation, und zwar nicht nur in entfernten Ländern, sondern auch so erschreckend nah, dass es uns unter die Haut geht, nämlich im Osten unseres eigenen Kontinents, in Europa. Gleichzeitig erinnern wir uns in diesem Jahr an ganz wichtige historische Daten, darunter zwei große, die mit Krieg zu tun haben. Gestern fand hier im Deutschen Bundestag die Gedenkstunde zum Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren statt. Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski hat in seiner sehr bemerkenswerten Rede nicht nur den Wert und das Wunder der Versöhnung und des Miteinanders hervorgehoben, sondern er hat uns auch sehr gemahnt, dass wir alle in Europa die gemeinsame Aufgabe haben, die aktuelle Bedrohung auf unserem Kontinent auch aus den Lehren der Vergangenheit heraus zu bewältigen. Für die deutsche Außenpolitik waren und sind auch deshalb militärische Mittel keine Option zur Bewältigung der Ukraine-Krise. Ich danke der Bundesregierung für ihren unermüdlichen diplomatischen Einsatz rund um die Uhr in zahllosen Gesprächen und Verhandlungen, um befriedend einzuwirken. Das kostet viel Geduld, das kostet Nerven, zumal wenn das Gegenüber über einen langen Zeitraum mündliche Zusagen macht, die Taten aber die geradezu entgegengesetzte Sprache sprechen. Im Volksmund würde man schlicht von „Lüge“ reden. Unsere Bundesregierung hat alles, aber auch alles darangesetzt, um die Gemeinsamkeiten insbesondere der Europäischen Union in dieser nicht ungefährlichen Lage zu erhalten und diese Gemeinsamkeiten sogar noch zu stärken. Eine unverzichtbare Stütze für diesen ganzen Problemkreis waren und sind natürlich die Vereinigten Staaten von Amerika und auch die NATO für uns gewesen. Heute scheint es, als trügen die diplomatischen Bemühungen und die unverzichtbaren Sanktionen - sie sind unverzichtbar, will ich zur Linken hin sagen ({1}) gegen die russische Annexionspolitik langsam Früchte. Ich sage ganz ausdrücklich, dass es sich nicht um eine Politik gegen Russland und seine Menschen handelt, sondern es handelt sich um die unverantwortliche Machtpolitik des Kremls, gegen die wir agieren müssen. ({2}) Es gibt in Deutschland viele Sympathien für Russland und für seine Kultur. Ich liebe Tschaikowsky und seine 6. Sinfonie. Es geht mir das Herz auf, wenn ich dieses Werk höre. Die Werke von Dostojewski und Tolstoi sind auch für uns hier in Deutschland unverzichtbare Weltliteratur. Unsere deutsche Außenpolitik hat auch in den vergangenen Monaten durch unseren Außenminister und die Bundeskanzlerin sehr deutlich gemacht, dass die Türen für ein gutes Miteinander zu Russland offen sind und dass diese Türen offen bleiben sollen. Was uns alle antreibt, ist aber auch der Wille, deutlich zu machen, dass das Völkerrecht, dass die Menschenrechte auf unserem Kontinent verteidigt werden müssen und dass wir bereit sind, sie zu verteidigen. ({3}) Alle in Europa müssen die Souveränität von Staaten und die Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen respektieren. Sonst, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wird es kein dauerhaftes friedliches Miteinander auf unserem Kontinent geben können. Wenn nun unser Blick in den Nahen Osten und in den arabischen Raum oder nach Afrika geht, verstummen einem fast die Worte vor dem Entsetzlichen, was dort geschieht. Nur wenige Beispiele: die Gewaltexzesse der menschenverachtenden Terrormiliz „Islamischer Staat im Irak“ und sogar darüber hinaus, der Bürgerkrieg in Syrien, die Massaker im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Die Triebkraft der Gewalt ist in diesen Gebieten weitgehend religiöser Fanatismus. Samuel Huntingtons These von einem Kampf der Kulturen als neue Bruchlinie und Hauptursache für Konflikte und für politische Instabilität scheint sich in diesen Regionen erschreckend zu bestätigen. Das macht vor unseren Türen nicht halt, wenn wir nicht wachsam sind. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ fordert von Andersgläubigen das Konvertieren zum Islam ein, ansonsten drohten Tod, Vertreibung, Enteignung. Deshalb muss es uns hier in Deutschland alarmieren, dass in Wuppertal eine sogenannte Scharia-Polizei in der Innenstadt eine „Scharia-kontrollierte Zone“ für Muslime propagierte und die strenge Einhaltung von muslimischen Verhaltensregeln einforderte. Das ist eine Vorstufe dessen, was wir im Irak in ganz entsetzlicher Form erleben. Gegen diese religiöse Intoleranz muss unser Staat genauso konsequent vorgehen wie gegen die Bedrohung von christlichen Flüchtlingen in Asylbewerberheimen durch muslimische Flüchtlinge. ({4}) Es kann doch nicht sein und es darf auch nicht sein, dass wir in Deutschland durch importierte Intoleranz unsere Werte aushebeln lassen. ({5}) Der Satz „Wehret den Anfängen!“ gilt auch hier. Die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge ist in Deutschland deutlich gestiegen. Wir brauchen zügige Verfahren, und die Anträge müssen baldmöglichst entschieden werden. Wir können erkennen: Die Hilfsbereitschaft hier im Lande ist wirklich groß. Das liegt auch daran, dass viele Millionen deutsche Heimatvertriebene und Aussiedler sowie deren Kinder wissen, was es bedeutet, heimatlos und entwurzelt zu sein. Deshalb begrüße ich sehr - ich bedanke mich dafür bei der Bundesregierung -, dass ein jährlicher Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung beschlossen wurde und dabei insbesondere an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen erinnert werden soll. ({6}) Gerade im Hinblick auf künftige Generationen ist es gut, dass dieser Gedenktag jährlich am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, begangen wird. Damit wird das wichtige Signal gesetzt, dass Menschenrechte unteilbar sind. Die deutschen Heimatvertriebenen stehen an der Seite der heutigen Vertriebenen weltweit und fühlen mit ihnen. Mit Erschrecken müssen wir erkennen, dass Vertreibung keine Vokabel von gestern ist; Vertreibung stellt vielmehr eine wachsende Herausforderung für die Zukunft und die ganze Weltgemeinschaft dar. ({7}) Mehr als 51 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht oder werden vertrieben. Aufnahmeprogramme in Deutschland sind da ein Zeichen des guten Willens und der Hilfsbereitschaft, aber sie können nur ganz marginal die Not für sehr wenige lindern, selbst wenn wir die Programme aufstocken. Wichtig und richtig ist deshalb der Weg der Bundesregierung und der deutschen Außenpolitik, alles Erdenkliche zu tun, um den Bedrängten vor Ort zu helfen und dort befriedend einzuwirken. Das zentrale Ziel unserer Politik und der Völkergemeinschaft muss die Durchsetzung des Heimatrechts der Minderheiten auch im Irak sein. ({8}) Alles andere würde den IS-Terroristen mit ihren Vertreibungen und ihrer perfiden Strategie in die Hände spielen. Das können wir nicht wollen. Auch die Repräsentanten der irakischen Minderheiten im Lande selbst und hier bei uns in Deutschland sehen das so und fordern, dass Jesiden und Christen in ihrer angestammten Heimat eine Zukunft haben müssen. Wir müssen also vor allem vor Ort helfen, um den Menschen dort eine Perspektive zu geben, damit die jahrhundertealten religiösen und kulturellen Traditionen bewahrt werden können. Dem trägt die Bundesregierung mit ihrer Kombination aus humanitärer Hilfe und Stärkung der militärischen und politischen Kapazitäten des irakischen Staates Rechnung. Diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen. Alles in allem stelle ich fest: Die deutsche Außenund Menschenrechtspolitik nimmt ihre Verantwortung in der Völkergemeinschaft für Deutschland wahr und zeigt sich solidarisch mit den Flüchtlingen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. - Die Bewahrung des Friedens für Deutschland und für Europa ist eine Aufgabe, die bei dieser Bundesregierung in sehr guten Händen liegt. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin im Sommer 2011 Mitglied dieses Hohen Hauses geworden. Das war zu einem Zeitpunkt, als sich die Euro-Krise auf dem Höhepunkt befand. Damals schien es, als sei Außenpolitik ein Politikfeld, das aus der Mode gekommen sei und nicht mehr hoch im Kurs stünde. Man muss heute, drei Jahre später, mit Bedauern feststellen: Dem ist nicht so. Ich sage deswegen „mit Bedauern“, weil der Anlass - das merkt man auch an dieser Debatte - eine Parallelität an internationalen Krisen ist, wie wir sie bisher kaum erlebt haben. Außenpolitik besteht vielfach aus Diplomatie. Miteinander zu reden oder zu telefonieren, kostet nicht viel; es kostet nahezu gar nichts. Dennoch geht es bei der Wirksamkeit von Außenpolitik vielfach auch um Geld und um Haushaltsmittel. Wenn wir in Deutschland über mehr Verantwortung in der Welt diskutieren, dann muss dieses Mehr an Verantwortung für ein Land mit unserer Wirtschaftskraft auch bedeuten, dass wir in der Liste der Geberländer für humanitäre Hilfe und bei anderen Zahlungen nicht immer weiter nach unten rutschen. Wir müssen unserer Verantwortung auch an dieser Stelle gerecht werden. ({0}) Für das Haushaltsjahr 2013 haben wir 335 Millionen Euro für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Ich denke, in einem Punkt geht es uns allen ähnlich: Normalerweise hat man als Politiker immer gerne recht. ({1}) Ich muss gestehen: Als ich im Rahmen der Haushaltsberatungen für das Jahr 2014 beantragt habe, die Gelder für humanitäre Hilfe, die im Haushalt 2014 nur noch 303 Millionen Euro betragen, zu erhöhen, hätte ich mich gerne geirrt. Ich hätte mich in der Annahme, dass wir mehr brauchen werden, gerne geirrt. Ich hätte gerne einen Haushalt gehabt, der mehr Mittel für humanitäre Hilfe bereitstellt, damit der Minister am Ende des Jahres sogar noch Geld zurückgeben kann, wie das im Verteidigungsministerium der Fall ist. Es ist beschämend, zu sehen, dass wir für das Jahr 2014 im Bereich der humanitären Hilfe unplanmäßige Ausgaben haben werden. ({2}) Herr Steinmeier, Sie haben uns für 2015 einen Haushalt vorgelegt, in dem nur noch 187 Millionen Euro für dieses Feld vorgesehen sind. Frithjof Schmidt sprach schon von einer 38-prozentigen Kürzung. Ich fordere Sie auf: Wickeln Sie es nicht wieder über überplanmäßige Ausgaben ab! Beenden Sie die Achterbahnfahrt im Bereich der humanitären Hilfe! ({3}) Hier geht es nicht um Zahlen. Hier geht es um ganz konkrete Schicksale. Hier geht es um Menschen. Die Hilfsorganisationen, die Hilfe leisten sollen, brauchen endlich Planbarkeit. Deswegen muss dieser Mittelansatz deutlich erhöht werden. ({4}) Frau Kollegin Steinbach, Sie haben davon gesprochen, dass man auch an die Ursachen von Flucht und Vertreibung denken muss. Andere Kollegen sprachen davon, dass wir früher reagieren müssen. Es geht daher nicht, dass die Mittel für Krisenpräventionen in diesem Haushaltsplan ebenfalls heruntergefahren werden sollen. Wir Grüne fordern schon seit Jahren und werden das im Rahmen dieser Haushaltsberatungen auch wieder beantragen, dass man endlich einen Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ einrichtet. ({5}) Die Kompetenzen, die im Auswärtigen Amt, im Innenministerium - ich denke da vor allen Dingen an die Polizeiausbildung -, im Verteidigungsministerium und vor allem auch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorhanden sind, müssen wir anhand von ressortübergreifenden Mitteln stärken. Wir müssen an dieser Stelle für vermehrte Zusammenarbeit und für Kooperationen sorgen. ({6}) Wir Grüne werden in den anstehenden Haushaltsberatungen, auch wenn ich heute auf dem Feld der Außenpolitik viel Einigkeit gesehen habe, den Finger auf die Wunde legen. Wir werden ganz konkret aufzeigen, wo wir weniger Geld in anderen Ressorts ausgeben würden, um die deutsche Außenpolitik, die humanitäre Hilfe und die Krisenprävention auch finanziell zu stärken, damit Deutschland an dieser Stelle seiner Verantwortung in der Welt gerecht wird. Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frank Schwabe erhält das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, es ist eine Haushaltsdebatte. Bei einer Haushaltsdebatte geht es um die Generallinien der Politik. Es geht aber eben auch darum, wie diese Generallinien der Politik im Haushalt abgebildet werden. Ich will gleich am Anfang mit der Tür ins Haus fallen: Es ist vielfach gesagt worden, dass der Ansatz für die humanitäre Hilfe zu gering ist. Hier muss innerhalb der Haushaltsberatungen - dafür sind es ja auch Haushaltsberatungen des Parlaments - deutlich aufgestockt werden; das ist völlig klar. ({0}) Man muss Deutschland loben, weil die Ansätze in den letzten Jahren durchaus deutlich erhöht worden sind und Deutschland wirklich eine führende Rolle bei der humanitären Hilfe spielt. Aber die Herausforderung ist vielfach benannt worden in dieser Haushaltsdebatte, auch gestern Abend in der Debatte zur Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt 51 Millionen Flüchtlinge weltweit. Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt noch viel mehr Hilfsbedürftige. Die Vereinten Nationen schätzen, dass wir allein im Jahr 2014 etwa 17 Milliarden US-Dollar brauchen, um den Bedarf an humanitärer Hilfe zu decken. Das Schlimme an dieser Zahl ist eigentlich, dass dieser Bedarf zurzeit erst zu 40 Prozent gedeckt ist. Das heißt umgekehrt: 60 Prozent des Bedarfs sind nicht durch entsprechende Mittel gedeckt. Das bedeutet letztendlich, dass wir - nicht wir alleine, aber mit anderen in der Weltgemeinschaft - über Leben und Tod von Hunderttausenden von Menschen entscheiden. Das ist so. Deswegen geht es hier wirklich nicht um Zahlenhuberei, sondern ganz konkret um das Schicksal von Menschen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es richtig, dass wir im Deutschen Bundestag über Mandate der Bundeswehr diskutieren, sehr engagiert und heftig über Waffenlieferungen in den Irak diskutieren, über Afghanistan-Mandate und anderes. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir, wenn man die Dimension der Herausforderungen und die Möglichkeit, Menschen zu helfen, bedenkt, mit ähnlicher Intensität eben auch über die Einsätze im Bereich der humanitären Hilfe international diskutieren, ({1}) über das, was gut läuft, aber eben auch darüber, wo wir zukünftig noch helfen können. Denn es ist vollkommen klar: Mit Waffengewalt werden wir Not und Elend in der Welt nicht besiegen, mit humanitärer Hilfe im Übrigen auch nicht. Aber wir können verdammt viel tun, um das Leid und das Elend der Menschen zu mindern. Insofern, glaube ich, ist beim Finanzminister auch der Ruf des gesamten Hauses heute gehört worden. ({2}) Ich will auf das Thema Ebola eingehen. Aktuell sind Hunderttausende von Menschen bedroht, nicht nur durch die Krankheit Ebola selbst, sondern auch dadurch, dass sehr viele Menschen in den vier betroffenen westafrikanischen Staaten zurzeit überhaupt nicht mehr behandelt werden. Wenn sie mit einer Erkältung, mit einem Schnupfen oder mit schlimmeren Erkrankungen zum Arzt gehen, werden sie zum Teil überhaupt nicht mehr behandelt. Es erreichen uns dramatische Appelle, zum Beispiel der Ärzte ohne Grenzen, die dort engagiert sind. Ihnen möchte ich wirklich einmal stellvertretend für viele danken. Diese Menschen setzen täglich ihr Leben aufs Spiel. Vielen Dank für diese Arbeit! ({3}) Die Botschaft, die uns erreicht, ist, dass sie sich alleingelassen fühlen. Mittlerweile gerät die Situation in Westafrika völlig aus den Fugen. Mich hat gestern ein Brief von Dr. Amegashie erreicht - ich habe ihn auch gleich weitergeleitet an den Außenminister -, der dringend um Schutzkleidung, Ambulanzfahrzeuge und anderes bittet. Er beschreibt konkret, woran es eigentlich mangelt. Mir ist vollkommen klar, dass man die Hilfe über die WHO koordinieren muss. Trotzdem frage ich mich, ob wir eigentlich genug tun, ob es eigentlich nicht viel schneller gehen könnte, Schutzanzüge zu liefern, Fahrzeuge zu liefern, Medikamente zu liefern, Diagnoseeinrichtungen zu liefern. Ich glaube, dass Europa und auch Deutschland in den nächsten Wochen mehr tun müssen, sehr viel mehr tun müssen. ({4}) Ich will zum Schluss - ich muss mich ja zeitlich etwas beschränken - noch auf die Situation der Flüchtlinge vor Ort aufmerksam machen. Natürlich wollen wir den Menschen in den Herkunftsländern helfen - gar keine Frage. Deswegen müssen wir ja die Mittel für die humanitäre Hilfe und die Nothilfe massiv erhöhen. Am Ende wird es aber trotzdem so sein, dass viele Menschen den beschwerlichen Weg auf sich nehmen und zu uns kommen, wenn sie nicht jammervoll im Mittelmeer ertrinken oder in der Türkei, in Jordanien oder in anderen Ländern landen. Mein Eindruck ist, dass - auch bei uns - mit Blick auf die Situation der Flüchtlingsunterkünfte, aber auch auf das Verständnis der Menschen vor Ort noch viel getan werden muss. Ich habe gestern sehr intensiv mit einer Schulklasse aus meinem Wahlkreis diskutiert. Mein Eindruck ist, dass noch nicht richtig angekommen ist, welchem Elend die Menschen ausgesetzt sind, um die es sich hier handelt. Ich fordere uns alle auf - ich glaube, das ist unsere Aufgabe -, in den Wahlkreisen mit den Menschen, mit den Kirchen, mit vielen gesellschaftlichen Organisationen zu diskutieren, um mit Blick darauf, was in der Tat - ob wir es wollen oder nicht - in den nächsten Wochen und Monaten auf uns zukommt, ein entsprechendes Klima zu schaffen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung in der Ukraine und das rücksichtslose Vorgehen Putins zeigen, dass Russland rote Linien überschreitet, dass Völkerrecht gebrochen wird - Entsendung von Söldnern, Soldaten und Waffen; wir haben bereits im Einzelnen darüber diskutiert. Die Anrainerstaaten Russlands sind wachgerüttelt. Sie machen sich ernsthaft Sorgen; sie sehen eine ernste Bedrohung. Auch in Deutschland - gestern gab es dazu eine Onlineumfrage - macht sich ein Großteil der Bevölkerung Sorgen über die weitere Entwicklung, auch um Europa. Aber geht tatsächlich eine aktuelle Bedrohung von Russland aus, die uns, die NATO-Staaten, die EU-Staaten, betrifft? Steht die Besetzung von Estland, Lettland, Litauen unmittelbar bevor? Ist die Situation gar vergleichbar mit der in Ungarn 1956 oder in der Tschechoslowakei 1968? Ganz eindeutig: nein. Putin steht zwar für Machtmissbrauch und Korruption, für Zentralismus, Verletzung der Menschenrechte, Gleichschaltung der Medien, politisch motivierte Gerichtsurteile und Bruch des Völkerrechts, es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Putin Staaten der Europäischen Union destabilisieren oder/und sie sogar besetzen will. Die Annexion der Krim und die russischen Aktionen auf ukrainischem Staatsgebiet dienen vielmehr einem handfesten machtpolitischen Ziel: Russland will seinen territorialen Einflussbereich in der Region abstecken. Russland sieht natürlich eine hohe strategische, militärische Bedeutung der Krim - ein Militärstützpunkt für Schwarzes Meer und Mittelmeer. Diesen galt es aus russischer Sicht zu sichern. Russland will die Ukraine als Nachbar schwächen, um in der Region die Vormachtstellung zu bewahren. Wenn es Putin aber tatsächlich darum ginge, Meter für Meter Gebiet zu erobern und zu halten, dann wäre der Friedensplan, der jetzt in der Ukraine in der Umsetzung ist, nicht nachzuvollziehen. Die russischen Kräfte - das wird beobachtet - ziehen sich zurück. Das wäre nicht nachzuvollziehen, wenn tatsächlich eine unmittelbare Bedrohung für Europa in Gänze bestünde. Niemand weiß aber, wie sich die russische Politik weiterentwickeln wird. Russland rüstet auf. Russland hat seine Nuklearfähigkeiten reaktiviert. Russland ist im Moment dabei, Waffen einzukaufen, zu modernisieren. Und Russland kann in der Zukunft gegebenenfalls, bei einer anderen Ausrichtung, gefährlich werden. Die Bundeskanzlerin hat mit Blick auf die baltischen Staaten noch einmal deutlich die Beistandspflicht betont. Meine Damen und Herren, das ist nicht lediglich ein Papiertiger, eine Wiederholung der Vertragstexte des NATO- und des EU-Vertrages, nein. Wir sind zwar verpflichtet, Beistand zu leisten, aber alle Juristen sind sich einig: In den Verträgen ist keine konkrete Art der Verpflichtung, in welchem Umfang und wie man sich beteiligen muss, vorgeschrieben. Deshalb war die Botschaft der Bundeskanzlerin an dieser Stelle sehr wichtig. ({0}) Die Botschaft für uns lautet: Wir lassen keinen Partner im Stich. Im Notfall sind wir solidarisch und stehen alle gemeinsam beieinander. Aggression, Angriff und Bruch des Völkerrechtes darf es nicht geben. Wir werden uns alle mit allen Möglichkeiten und Fähigkeiten dagegen zur Wehr setzen. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben die Bundeswehr bekanntlich neu ausgerichtet. Wir haben aber bis heute - der Kollege Schockenhoff hat es angedeutet keine sicherheitspolitische Generaldebatte bzw. Strategiedebatte geführt. Gemeinsam mit dem Kollegen Roderich Kiesewetter - er ist heute auch anwesend - bin ich der Auffassung, dass wir gerade angesichts der aktuellen Entwicklung dringendst im Bundestag eine Strategiedebatte zu führen haben. Erstens. Wie definiert Deutschland seine außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben? Zweitens. Welche Zielrichtung folgt aus diesen außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands? Drittens. Welche Regionen sind im Fokus? Viertens. Welche zivilen und militärischen Instrumente - die Kombination ist wichtig wollen wir in unserer Planung einsetzen? Fünftens. Wie lässt sich in der Planung eine verstärkte Zusammenarbeit, Bündelung und Teilung der Aufgaben innerhalb des NATO-Bündnisses und innerhalb der gemeinsamen Ausrichtung der Europäischen Union effektiver und besser darstellen? Führen wir die Strategiedebatte nicht, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir in Zukunft eventuell sogenannten strategischen Schocks ausgesetzt werden wie in der Vergangenheit. Man hat innerhalb der Bundeswehr gewisse Entwicklungen für unwahrscheinlich gehalten und deshalb die Strategie der Bundeswehr nicht darauf ausgerichtet. Konflikt- und Krisenmanagement kann weiterhin nur funktionieren, wenn die militärischen und zivilen Handlungsfelder umfassend miteinander vernetzt werden. Der Bundestag geht mit der Einrichtung des Unterausschusses im Auswärtigen Ausschuss für zivile Krisenprävention eindeutig in die richtige Richtung. Aber die bestmöglichen Ergebnisse können wir als Bundestag nur dann erzielen, wenn alle Bereiche, die damit zusammenhängen, miteinander vernetzt werden. Das sind Außenund Innenpolitik, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaft, Recht und Europa bzw. die Europäische Union. Das sollten wir zügig angehen. ({2}) Erst wenn wir die Strategiedebatte geführt haben, wird feststehen, welche Aufgaben die deutsche Außenund Sicherheitspolitik definiert und ob eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene oder auf der Ebene des Bündnisses in Betracht kommt. Wir alle haben natürlich die schwarze Null im Blick. Sie ist wichtig. Aber für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - ich sehe Norbert Barthle, unseren haushaltspolitischen Sprecher - ist die innere und äußere Sicherheit nach wie vor eine Kernkompetenz. Sie ist unverzichtbar. Erst dann, wenn durch die Strategiedebatte feststeht, welche Aufgaben zu erfüllen sind, werden wir wissen, ob wir zusätzlichen finanziellen Bedarf haben. Wir dürfen auf keinen Fall zulasten der Sicherheit sparen. Europa braucht eine Außenpolitik aus einem Guss. Die Europäische Union wird immer noch als außenpolitischer Zwerg wahrgenommen. Ich halte die Kritik in dieser Härte für überzeichnet. Aber eines ist doch klar: Die neue Kommission muss der neuen Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik in jedem Fall viel stärker als bisher die Kompetenz der Außenpolitik auf der Ebene der Europäischen Union einräumen und ihr diesen Stellenwert auch zugestehen. Es ist nicht in Ordnung, dass bereits im Vorfeld des Amtsantritts an der neuen Außenbeauftragten Federica Mogherini Kritik geübt wurde. Geben wir ihr doch eine Chance! Wir wünschen ihr wie auch dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und dem gestern vorgestellten Team alles Gute und eine möglichst gute Arbeit für Europa und die Welt. ({3}) Außenpolitik ist eines der wichtigsten Felder. Lassen Sie uns gemeinsam eine Außenpolitik für die Menschen betreiben. In diesem Sinne vielen Dank. Arbeiten Sie mit an den besten Lösungen. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Alois Karl das Wort. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner in einer solchen Debatte habe ich es nicht ganz einfach, den Spannungsbogen noch ein bisschen aufrechtzuerhalten. Mir ergeht es fast wie jenem evangelischen Pfarrer aus meinem Wahlkreis, der kürzlich bei der Einweihung eines öffentlichen Gebäudes gesagt hat: Es ist schon alles gesagt, bloß noch nicht auf Evangelisch. ({0}) Er musste nach vielen Eröffnungs-, Fest- und Grußwortrednern sprechen. Er hat es geschafft und gesagt: Ich gratuliere Ihnen, dass Sie dageblieben sind; denn Sie erleben nun den Höhepunkt des Vormittags. ({1}) Ganz so weit ist es dann nicht gekommen. Aber er hat den Spannungsbogen aufrechterhalten. Die Haushaltspolitiker sprechen bei den Beratungen über die jeweiligen Einzelpläne immer zum Schluss, Herr Bundesaußenminister. Um in der klerikalen Sprache zu bleiben: Die Letzten werden die Ersten sein. - Das wird so sein, wenn im November bzw. Dezember der Haushalt verabschiedet wird. Liebe Frau Barnett, dann werden wir durchaus die Ersten sein. Der Bundestag arbeitet in einer gewissen Abfolge; das ist planbar. Nach der Sommerpause beginnt die Herbstarbeit mit dem Einbringen des Haushalts. Lieber Herr Lindner, Sie haben vorhin beklagt, dass der Bundesaußenminister die Mittel für die humanitäre Hilfe knapp bemessen habe. Herr Steinmeier, ich muss Sie hier reinwaschen. Nicht Sie, sondern Herr Schäuble ist für den entsprechenden Mittelansatz verantwortlich. Aber darüber werden wir in den anstehenden Haushaltsberatungen noch diskutieren. Wir werden im Herbst über den vorliegenden Haushaltsentwurf intensiv beraten. Es geht um Hunderte, Tausende Haushaltsstellen. Es wird gefeilscht werden wie bei den Bürstenbindern. „Business as usual“, könnte man sagen. Dennoch ist es heuer etwas anderes, weil wir erstmalig nach 45 Jahren einen Haushalt mit null Neuverschuldung vorlegen können. Das erfüllt uns mit gewissem Stolz, zumindest aber mit großer Zufriedenheit. Als Vertreter der CSU darf ich durchaus darauf hinweisen, dass Franz Josef Strauß der letzte Finanzminister war, dem das 1969 gelungen ist. Danach gab es eine ganze Phalanx aus tüchtigen Finanzministern - von Axel Möller über Karl Schiller bis hin zu Peer Steinbrück -, ({2}) die allesamt es nicht geschafft haben, mit dem Geld auszukommen, das sie eingenommen haben. Nun schaffen wir das seit langer Zeit wieder einmal. Das ist durchaus berichtens- und bemerkenswert. Es ist vernünftig, mit dem Geld, das man einnimmt, auszukommen. ({3}) So sichert man die Freiheit der nächsten Generation, die dann mit ihrem Geld auskommen kann und nicht die Schulden und die Zinslast der vorherigen Generation tragen muss. In der Politik verhält es sich ganz genauso wie im privaten Bereich. Man hat denjenigen lieber, der etwas verteilt, als denjenigen, der mit harter Hand spart. Wenn der Onkel zu uns zu Besuch gekommen ist und uns 5 D-Mark in die Hand gedrückt hat, dann war er lieber gesehen als die Tante, die bloß am Klavier vorgespielt hat. So verhält es sich auch in der Politik. Herr Schäuble sorgt mit großem Einsatz, großer Energie und großer Härte für einen soliden Haushalt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser Haushalt mit null Neuverschuldung kein singuläres Ereignis bleiben wird. Wir beginnen nun möglicherweise eine neue Ära und verhalten uns in den nächsten 45 Jahren haushalterisch vielleicht vernünftig und machen keine neuen Schulden. Wir haben heuer noch etwas anderes erlebt, was noch gar nicht so auf das Tapet gekommen ist. Erstmals seit 1950 ist die Gesamtverschuldung des Staates, die kumulierten Schulden von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern, gesunken. Wir hatten im letzten Jahr 30 Milliarden Euro weniger Schulden als im Jahr 2012. Das ist eigentlich eine gute Meldung - man sagt „Good news are bad news“ -, die in den Medien aber eigentlich gar nicht so zur Geltung gekommen ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir freuen uns, dass wir das, was wir im Wahlkampf versprochen haben - die Neuverschuldung auf null zu senken -, was wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben, in der Tat auch halten. In der Fußballersprache ist der Ausdruck „Die Null muss stehen“ bekannt. Wer auf diesem Gebiet nicht so bewandert ist, dem darf ich sagen: Damit ist gemeint, dass es schon der halbe Gewinn ist, wenn man selber kein Tor hineinbekommt. Schlimmstenfalls spielt man nur unentschieden, oder man gewinnt das Spiel, wenn man selbst ein Tor schießt. - Wir haben uns unseren haushaltspolitischen Gewinn erarbeitet, und wir werden ihn nutzen, um eine finanziell angemessen ausgestattete Außenpolitik betreiben zu können. Lieber Kollege Steinmeier, Sie selber und auch die Kollegen haben darauf hingewiesen, wie verworren die weltpolitische Lage ist. Keiner hat bisher allerdings darauf hingewiesen, dass heute der 11. September ist. Ich will daran erinnern: Vor 13 Jahren genau um diese Zeit wurden die Zwillingstürme des World Trade Center in New York durch unglaubliche, nicht fassbare terroristische Anschläge zerstört. Daran sieht man, wie dauerhaft labil die Situation trotz unserer Außenpolitik ist. Wir müssen daher alles daransetzen, um für Frieden und Freiheit in der Welt zu sorgen. Lieber Fraktionsvorsitzender Volker Kauder, Sie haben hier gestern dankenswerterweise Rupert Neudeck, den Begründer der Cap Anamur - er hat viele Tausend Boatpeople gerettet -, zitiert. Er hat gesagt, dass er nicht möchte, dass Menschen für die Reinheit seines Pazifismus sterben. Er hat damit gemeint, dass es durchaus richtig ist, dass wir Waffen in den Irak liefern, um den dort bedrängten Menschen zu Hilfe zu eilen. Viele haben in diesem Zusammenhang von Tabubruch gesprochen; auch heute war das der Fall. Herr Liebich, ich glaube, Sie haben sich so geäußert. Ich möchte das nicht so stehen lassen. Wir müssen den Menschen dort in ihrer bedrängten Situation helfen. Bloß weiterzudiskutieren, Besprechungen durchzuführen, Konferenzen abzuhalten, katarischen Scheichs den Geldhahn zuzudrehen, das wäre doch völlig sinnlos, und damit wäre den von ISIS bedrohten Menschen in gar keiner Weise geholfen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man je von einem Tabubruch hätte sprechen wollen, dann wäre das 1999 angemessen gewesen, als die damalige rotgrüne Bundesregierung, möglicherweise aus guten Gründen, deutsche Truppen in den Kosovo entsandt hat; erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Soldaten somit in einen Krieg entsandt. Dies geschah unter Federführung von Joschka Fischer, der früher einmal die Gallionsfigur der deutschen Friedensbewegung gewesen war. ({4}) Das und nichts anderes war meines Erachtens ein Tabubruch. Darauf hätten Sie, der geschichtlichen Wahrheit entsprechend, durchaus hinweisen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist richtig, was Sie, Herr Steinmeier, gesagt haben: Man kann sich nicht nur durch Tun, sondern auch durch Unterlassen fehlverhalten. Wenn wir unser Handeln, das wir in der letzten Woche hier beschlossen haben, unterlassen hätten, dann hätten wir uns an den Verbrechen an vielen Tausend Christen, Jesiden und Kurden mitschuldig gemacht, da sie dem Tod ausgeliefert gewesen wären. Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Redezeit schreitet voran. Frau Präsidentin, ist das richtig? Ich bin nicht ganz sicher, ob die Uhr am Rednerpult funktioniert. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Da können Sie ganz sicher sein.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sei es, wie es sei. - Die humanitäre Hilfe ist angesprochen worden. In der Tat - da gebe ich den Vorrednern recht - werden wir da korrigieren. Wir können im Jahr 2015 nicht auf den Stand von 2013 zurückfallen. 2013 haben wir unseren Haushalt in diesem Titel dann aber um 80 Prozent überziehen müssen. Warum? Weil von uns humanitäre Hilfe weltweit verlangt worden ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Haushaltsmittel für die Transformationsgesellschaften, gerade was Libyen anbelangt, werden wir überdenken müssen. Gerade in solchen Gesellschaften ist die Situation unendlich verworren. Niemand weiß, wie man transformieren soll und mit wem man es dort als Gesprächspartner zu tun hat. Ich möchte, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung einen allerletzten Punkt ansprechen. Wir waren vor wenigen Tagen in Rumänien. Es geht um die Förderung der deutschen Sprache. Die deutsche Minderheit dort ist seit mehr als 700 Jahren integraler Bestandteil des Landes, ist von allen Regierungen geschützt worden - auch vom kommunistischen Regime -, die den Wert der deutschen Minderheit erkannt haben. Auch hier meine ich: Es steht uns gut an, diese hervorragende Tradition aufrechtzuerhalten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube: Unsere deutsche Außenpolitik ist bei Ihnen, lieber Herr Steinmeier, in guten Händen. Ich möchte mit den Kolleginnen und Kollegen alles dafür tun, dass wir auch in Zukunft eine gute, gestaltende Außenpolitik betreiben können. Wir wünschen uns dazu gemeinschaftlich alles Gute. Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Karl, es ist Ihnen offensichtlich genauso wie dem evangelischen Pfarrer gelungen, dass Ihnen alle Kollegen bis zum Ende zugehört haben. Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor. Deshalb beende ich die Debatte über diesen Einzelplan. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Das Wort hat als erste Rednerin die Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka. - Frau Wanka, Sie haben das Wort. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, etwas zügiger die Plätze zu wechseln, damit die Ministerin Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hat.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kürzlich hat der Guardian Deutschland gelobt. Er hat geschrieben, dass wir toll sind, dass wir bewundert werden - ja, der Guardian hat das geschrieben -, und er hat dazu aufgefordert, dass man Deutschland nicht nur bewundern, sondern dass man sich von Deutschland inspirieren lassen und lernen sollte. Deutschland steht im Moment als Forschungsstandort und Innovationsstandort in den Rankings ganz oben. Ganz entscheidend dafür, dass das erreicht wurde, ist die Tatsache, dass seit 2005 Jahr für Jahr die Ausgaben für Bildung und Forschung im Bund gestiegen sind. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, hat es jedes Jahr ohne Ausnahme einen höheren BMBF-Haushalt gegeben. Den gibt es auch 2015. Wenn wir die Jahre 2014 und 2015 vergleichen, dann sind es 1,2 Milliarden Euro mehr. ({0}) Jetzt muss ich, weil ich schon den Zwischenruf erwarte, sagen: Das sind 1,2 Milliarden Euro Cash mehr. Hier ist die globale Minderausgabe schon abgerechnet. Es gibt also wirklich echt 1,2 Milliarden Euro mehr, 8,6 Prozent. Die globale Minderausgabe - klar, es ist besser, wenn sie noch niedriger wäre - macht 3 Prozent des Gesamthaushaltes aus. Das muss man sich vor Augen führen. Seit 2005 hatten wir, wie gesagt, jedes Jahr eine Steigerung des BMBF-Haushaltes. In dieser Legislaturperiode gibt es von 2014 bis 2017 nochmals eine Steigerung um 25 Prozent. ({1}) In den Jahren 2014 und 2015 ist die Steigerung schwächer, danach sehr steil. Bei 25 Prozent mehr Geld sind das dann 17 Milliarden Euro für diesen Haushalt; gestartet sind wir 2005 bei 7 Milliarden Euro. Da sagte doch an dieser Stelle gestern Herr Gysi in diesem Haus: Die Investitionen in Bildung fallen aus. Also, hier gibt es nur zwei Varianten: Entweder weiß er es nicht besser, ({2}) oder er weiß es, und es passt nicht in seinen Plan. ({3}) Wir denken nach vorne. Trotz Haushaltskonsolidierung gibt es in dieser Legislaturperiode wiederum den Schwerpunkt Forschung und Bildung. Es ist eindeutig so, dass wir das, was im Koalitionsvertrag steht, nämlich „Deutschlands Zukunft gestalten“, mit diesem Haushalt können und auch machen. Das ist angesichts der Bildungsexpansion gerade in den Schwellenländern der einzig richtige Weg. Wir müssen ihn unbedingt weitergehen und entscheiden: Was ist der Platz Deutschlands in der Welt von morgen? Es geht nicht nur um das Bruttosozialprodukt oder anderes, sondern auch ganz entscheidend um individuelle Lebenschancen für den Einzelnen. Wir haben gerade vor zwei Tagen den OECD-Bericht vorgestellt. Frau Bulmahn, Sie erinnern sich, wie wir beide das gemacht haben - Sie als Bundesministerin, ich als Vertreterin der KMK ({4}) und an vielen Stellen Schelte bekommen haben; Jahr für Jahr mussten wir zum Teil wirklich berechtigte Kritik einstecken. Der jetzt vorgestellte OECD-Bericht ist, was die Indikatoren anbelangt, das allerbeste Zeugnis, das wir je bekommen haben. ({5}) Ich will nur wenige Dinge herausgreifen. Zum Beispiel ist Deutschland das Land, in dem 96 Prozent der Vierjährigen in eine Kindereinrichtung gehen - und das freiwillig, ohne Pflicht. Wir wissen alle, was der Bund nicht nur in materieller, sondern auch in ideeller Hinsicht dafür getan hat. Unser Haus macht etwas für diese Einrichtungen, kümmert sich um naturwissenschaftlichtechnische Bildung im Rahmen der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. In dieser Legislaturperiode gehen wir weiter, bis in die vierte Klasse, und beziehen die Eltern mit ein. Das ist ein ganz wichtiges Thema. ({6}) Der Anteil derer, die ohne Abschluss die Schule verlassen, liegt bei uns jetzt unter 6 Prozent; es waren einmal 12 Prozent. Hier unter 6 Prozent zu liegen, ist längst nicht ausreichend. Es muss - das ist ganz klar - besser werden, es muss weitergehen, und die zentralen Personen in der Schule sind die Lehrer. Sie haben einen ganz großen Anteil daran, ob Bildung gelingt oder nicht. Natürlich liegt die Kompetenz für die Lehrerbildung originär bei den Ländern; aber mit unserem Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ermöglichen wir es, dass im Rahmen der Lehrerbildung zusätzliche Angebote im Bereich der Inklusion, der Diversität und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung entwickelt werden, dass Neues erprobt und umgesetzt wird. Das kostet uns 500 Millionen Euro. Im nächsten Jahr geht es los - ausgeschrieben ist es -, und zwar mit Mitteln in Höhe von 45 Millionen Euro. ({7}) Ein Thema, das uns alle - nicht nur uns hier im Saal, sondern auch die Länder und Verbände - schon seit Jahren beschäftigt, ist die Frage: Wie kann man Frauen für naturwissenschaftliche und technische Berufe gewinnen, für Berufe also, in denen man auch richtig gut verdienen kann? 2000 war es so, dass 32 Prozent der Absolventen naturwissenschaftlicher Studiengänge Frauen waren; der OECD-Durchschnitt lag bei 40 Prozent. In den darauffolgenden zwölf Jahren ist der Anteil bei uns von 32 Prozent auf 44 Prozent angestiegen, und im selben Zeitraum ist der Anteil im OECD-Durchschnitt um nur 1 Prozentpunkt gewachsen. Es gibt also Dynamik, und alle aus der ehemaligen DDR wissen, dass es hieß: Überholen, ohne einzuholen. ({8}) - DDR-Leute brauchen nicht darüber nachzudenken. Das war jahrelang der Slogan; alle kennen ihn. Sie sollten nicht darüber nachdenken, denn er ist nicht zu verstehen; aber es war so. - Geht das jetzt alles von meiner Redezeit ab? Wir machen weiterhin mehr für Chancengerechtigkeit. Zum Beispiel ist ein weiteres Professorinnenprogramm schon gestartet, und es gibt vieles andere mehr. Die Tatsache, dass wir als Bund das BAföG ab 2015 allein zahlen, führt dazu, dass den Ländern jährlich 1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Das Neue, das Besondere, das Exzellente ist: Es gibt dauerhaft Geld für Dauerstellen. Das gab es vorher überhaupt nicht. Wir haben über den Hochschulpakt und Ähnliches Milliardenbeträge ins System gegeben, aber Stellen wurden nicht dauerhaft finanziert. Das heißt, es gibt auch noch 2025 oder 2030 Geld für diese Stellen. Da geht es gar nicht nur um die 6 Milliarden Euro, die wir in dieser Legislatur bereitstellen; allein in der nächsten Legislatur sind es schon wieder 4,8 Milliarden Euro. Mit den frei werdenden Mitteln kann man in den Ländern, wenn man es will, unbefristete Nachwuchswissenschaftlerstellen schaffen; ({9}) man kann auch Schulsozialarbeiterstellen und Stellen in den Ganztagsschulen schaffen. Das ist machbar. Weil wir ein föderaler Staat sind, kann in den einzelnen Ländern entschieden werden, wofür man die Mittel einsetzen will. ({10}) Ich glaube, das ist richtig. Es wird die Attraktivität des deutschen Hochschulsystems weiter stärken. Das deutsche Hochschulsystem ist attraktiv. Sie müssen sich einmal vor Augen führen: Wir sind das drittbeliebteste Einwanderungsland für Studenten - sie kommen zu uns, um zu studieren -, nach den USA und Großbritannien, die englischsprachig sind. Ich weiß nicht, wie nachher die Reden der Opposition sein werden. ({11}) Aber ich kann mir vorstellen, dass man sich, wenn man hört, was Sie über unsere Hochschulen sagen, fragt, warum sie alle kommen und nicht auf dem Absatz kehrtmachen. ({12}) Wir haben die Zahl der Studierenden gesteigert. Über 50 Prozent eines Jahrgangs sind Studienanfänger. Das war nur möglich, weil der Bund - ich sage das noch einmal -, ohne originär zuständig zu sein, über den Hochschulpakt Milliarden in das System gegeben hat. Das ist eine große solidarische Leistung - auch im Hinblick auf die neuen Bundesländer -, und es ist die beste Möglichkeit, mit der demografischen Chance umzugehen; das sollte man nicht vergessen. Wir haben in diesem Haushalt - er sieht alleine 6 Milliarden Euro für den laufenden Hochschulpakt bis 2017 vor - Vorsorge für den Fall getroffen, dass es noch mehr Studenten gibt. Wir haben das Geld für die nächste Phase des Hochschulpakts, ab 2016, gesichert. 2023 wird die Zahl der Studienanfänger sinken. Im Moment haben wir, worüber wir uns freuen, sehr viele Studierende, aber - und das ist das Problem - im Bereich der dualen Ausbildung fehlen uns die jungen Leute. ({13}) Dazu können wir alle Beispiele anführen. Das will ich gar nicht. Das ist klar; davon kann jeder erzählen. Wichtig ist: Was macht man dagegen? Das kriegt man nicht hin mit bunten Plakaten und Werbekampagnen, wobei die zum Teil auch sehr wichtig sind; die der Handwerkskammern zum Beispiel finde ich klasse. Vielmehr muss überlegt werden: Was kann man wirklich tun, um junge Leute zu einer dualen Ausbildung zu motivieren? Wir haben ein großes Paket geschnürt - „Chance Beruf“ -, in das wir alles, was uns eingefallen ist, hineingepackt haben. Das machen wir jetzt. Thema Durchlässigkeit: Das Programm „Offene Hochschulen“, das exzellent ist, wird weiter fortgesetzt. Oder denken wir an diejenigen, die die Hochschule verlassen, um eine duale Ausbildung zu beginnen. Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode, im Mai dieses Jahres, im „JOBSTARTERplus“-Programm Projekte initiiert und mit bis zu 8 Millionen Euro ausgestattet. Das sind gute Projekte, um bundesweit etwas zu erreichen. Im „JOBSTARTERplus“-Programm haben wir ebenfalls im Mai dieses Jahres Maßnahmen angestoßen, bei denen es um Unternehmer mit Migrationshintergrund geht, die junge Menschen mit Migrationshintergrund vielleicht anders ansprechen können, um bei ihnen für die duale Ausbildung, die in der Türkei oder woanders vielleicht nicht typisch ist, zu werben. Auch dafür geben wir Geld. Ein anderes Beispiel. Gestern sagte Herr Oppermann, dass man denen, die es nicht schaffen, eine zweite oder vielleicht auch eine dritte Chance geben muss. Das muss man, und das wird auch gemacht. Das kostet richtig viel Geld. Aber ich finde, es ist wichtig, erst einmal zu versuchen, präventiv zu wirken, zum Beispiel in der siebten oder achten Klasse, damit die jungen Menschen gar keine zweite oder dritte Chance brauchen. Deswegen brauchen wir Bildungsketten. Wenn Sie in den Haushalt schauen, um zu erfahren, wie viel Geld dafür eingestellt wurde, dann müssen Sie berücksichtigen, dass die Bundesregierung aus vielen Ressorts besteht, die auch miteinander arbeiten: Im Haushaltsplan des Bildungsministeriums sind Mittel dafür eingestellt; dazu kommen beträchtliche Mittel aus dem ESF, die wir auf diesen Bereich konzentrieren, Mittel aus der BA und aus dem Arbeitsministerium, um Bildungsketten und präventive Maßnahmen in einem möglichst großen Maßstab fördern zu können. Ich habe alle Länder angeschrieben und betont, dass wir unser Geld einsetzen. Die Länder müssen mitfinanzieren, damit wir das flächendeckend hinbekommen. ({14}) Diese Stärkung der dualen Ausbildung trägt auch zur Bildungsgerechtigkeit bei. Beim Thema Bildungsgerechtigkeit haben alle sofort das BAföG im Kopf. Sie wissen, dass ich, als ich im letzten Jahr dieses Amt übernommen habe, obwohl ich die Entwicklung und die Gespräche mit den Ländern in den letzten Jahren kannte, von Anfang an gesagt habe: Das BAföG muss novelliert werden; das ist eine zentrale Aufgabe. Nachdem das nicht im Koalitionsvertrag stand, habe ich weiterhin gesagt: Die Novellierung des BAföG muss kommen. Ich habe mich dafür engagiert, und wir haben die BAföG-Novelle im Kabinett beschlossen. Und sie ist nicht ohne. Es geht nicht nur darum, dass diejenigen, die BAföG bekommen, mehr Geld erhalten für die Lebenshaltung, für Kinder, wenn sie welche haben, für Wohnen und für andere Dinge. Ich habe immer wieder erlebt, dass es Studierende gibt, die knapp oberhalb der Einkommensgrenze sind, also kein BAföG bekommen, weil die Eltern ein bisschen zu viel verdienen. Diese Studierenden sind in besonderem Maße benachteiligt. Deswegen war es mir gerade mit Blick auf die Kinder von Eltern mit einem mittleren Verdienst wichtig, die Freibetragsgrenze anzuheben. Das ist mit dieser Novelle gelungen. ({15}) Diese Novelle kostet übrigens über 800 Millionen Euro. Hinzu kommen die schon erwähnten 1,2 Milliarden Euro durch die Übernahme der BAföG-Kosten. Das heißt, ab 2016 gibt es in jedem Jahr 2 Milliarden Euro vom Bund mehr für die junge Generation. Das ist eine Investition in die Zukunft. Das ist ganz entscheidend. Vorhin habe ich gesagt, dass wir uns fragen müssen, wo unser Platz in der Welt von morgen sein soll. Derzeit haben wir einen exzellenten Platz: starke Wirtschaftsnation, starke Exportnation. Ich will eine Zahl nennen, die nicht so bekannt ist: Wie groß ist der Anteil aller Hightech-Güter an der Handelsbilanz? Über 9 Prozent. Wissen Sie, wie groß der Anteil der Hightech-Güter an der Handelsbilanz im OECD-Durchschnitt ist? 1,3 Prozent. In diesem Vergleich sind eine Menge Länder enthalten, die sehr viel mehr Akademiker haben als wir. Das heißt, wichtig ist, wie man zu Innovationen kommt. Deshalb ist die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie, eine neue Hightech-Strategie wichtig; das beinhaltet neue Formate, neue Felder und eine Verbreiterung der Innovationsbasis. Ich schaue auf die Uhr; ich mache es kürzer. - Dabei geht es aber nicht nur um neue Themen, also nicht nur um individualisierte Medizin, nachhaltige Stadtentwicklung, erneuerbare Energien und vieles andere, sondern um technologische Innovation und soziale Innovation. Diese Stränge hatten wir schon immer. Wichtig ist, wie diese zusammengeführt werden. Wir haben am Montag im Zusammenhang mit der Hightech-Strategie ein erstes großes Programm vorgestellt, das mit einem riesigen finanziellen Aufwand in den nächsten Jahren laufen wird. Herr Bsirske und Herr Grillo waren anwesend. Beide haben betont, dass dieses Programm ein völlig neuer Ansatz ist. Ich finde, wir können nur erfolgreich sein und den Wohlstand sichern, wenn die Innovationsstrategie auch in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Hierbei geht es nicht nur um die Arbeitsbedingungen bei der Industrie 4.0 und darum, welche Chancen sie bietet - nicht, dass man nur die Risiken sieht -, sondern wichtig ist auch Akzeptanz, und zwar Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft. Umfragen zeigen, dass die Menschen beteiligt werden wollen. 30 Prozent möchten gerne mitmachen, mitreden und mit einbezogen werden. Das sind nicht nur die Lobbyisten und nicht nur die NGOs, sondern normale Menschen. Deswegen ist das eine ganz zentrale Aufgabe, die uns gelingen muss, damit die HightechStrategie wirklich die gewünschten Effekte bringt. ({16}) Letzter Satz. Ich glaube, dass der Haushalt des BMBF Ausdruck einer modernen und ganzheitlichen Bildungsund Innovationspolitik ist. Damit haben wir wirklich die Chance, Zukunft zu gewinnen. Danke schön. ({17})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Roland Claus das Wort. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, immer wenn ein Mitglied der Bundesregierung einfach alles am eigenen Etat schön findet und eine Rundumzufriedenheit ausstrahlt, ist das natürlich auch eine Einladung an den Bundesfinanzminister, dort noch das eine oder andere zu kürzen. ({0}) Selbstverständlich haben wir nicht übersehen, dass die Mittel hier aufgewachsen sind. Aber Sie werden doch auch nicht vergessen haben, wie der Bundesfinanzminister auf der Zielgeraden beim Haushalt 2014 noch erhebliche Einschnitte vorgenommen hat. Deshalb lautet unsere freundliche Ermahnung: Weniger Kabinettsdisziplin, mehr Ressortverantwortung, Frau Ministerin! ({1}) Wer an diesem Tag, dem 11. September, über Bildung redet, darf, glaube ich, über dieses historische Datum, den 11. September 2001, nicht schweigen. Genau an diesem Pult wurde das Wort von der „uneingeschränkten Solidarität“ ausgesprochen. Damit wurde der Weg für eine deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan frei gemacht. Ich wünschte mir, dass einst in den Schulbüchern steht: Es war falsch, diesen Weg zu gehen. Krieg ist das falsche Mittel im Kampf gegen den Terror. ({2}) Mehr als 15 Milliarden Euro für Bildung und Forschung, ein besseres BAföG und Kitaausbau - man kann mit Fug und Recht sagen, dass wir alle das wollen, zumal die Besonderheit dieses Haushaltes, eine gewisse Einzigartigkeit darin besteht, dass im Ministerium relativ wenig verwaltet werden muss, dafür aber mit Programmtiteln sehr viel verteilt werden kann, sehr viel auf den Weg gebracht werden kann. Dennoch gibt es zwei entscheidende Gründe für Kritik an Ihrer Politik, Frau Ministerin. Das Erste ist: Sie verwechseln Ausgaben des Bundes mit erzielten Ergebnissen. Sie erwecken hier den Eindruck, als ob, wenn wir Geld ins System geben, die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir anstreben, schon erreicht wären. Der zweite Strickfehler besteht darin, dass die 17 Bildungssysteme einfach nicht zusammenpassen und vieles, das auf den Weg gebracht wird, nicht sein Ziel erreicht. Deshalb sagen wir Ihnen: Sie können den Erfolg Ihrer Arbeit nicht am Ausgabenvolumen festmachen. Es heißt ja auch: Gemessen wurden die Bienen nicht an ihren Flugkilometern, sondern an dem Honig, den sie heimbrachten. ({3}) Die Zerklüftung der Bildungssysteme führt dazu, dass erwünschte Impulse einfach nicht übertragen werden. Ich will da einen Vergleich aus der Mechanik bemühen: Ein Motor kann noch so stark sein. Wenn das Getriebe die Impulse nicht gut überträgt, entsteht zwar eine Menge Reibung, aber keine Leistung. Genau das ist hier der Fall. ({4}) Nun kann man OECD-Studien ja interpretieren, wie man möchte. Sie haben Ihre Interpretation hier abgeliefert, Frau Ministerin. Aber wir denken schon, dass wir kritisch reflektieren müssen, was uns die OECD vor zwei Tagen in dem Bericht „Bildung auf einen Blick“ offenbart hat. Das Entscheidende, das wir kritisieren, ist, dass Deutschland seine soziale Spaltung über sein Bildungssystem regelrecht reproduziert. Von fünf Arbeiterkindern werden vier Arbeiter. ({5}) Es gibt viel zu wenig Durchlässigkeit zwischen den Qualifikationsgruppen. Alles soll schön beim Alten bleiben. Da gibt es natürlich einen Zusammenhang: Unter den entwickelten Industrieländern hat Deutschland die ungerechteste Verteilung der Einkommen. Diese ungerechte Verteilung der Einkommen setzt sich in einer ungerechten Verteilung des Zugangs zu Bildungschancen fort. Wir sagen Ihnen: Das ist ein Zustand, den die Linke nie und nimmer hinnehmen wird. ({6}) Zudem verweist die OECD-Studie darauf, dass Deutschland beim Anteil der Bildungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, gerade einmal auf Platz 19 in Europa liegt. Um den Anteil Dänemarks, den Spitzenwert, zu erreichen, müssten in Deutschland 90 Milliarden Euro bei Bund und Ländern zusätzlich aktiviert werden. Das ist für die Bundesregierung unvorstellbar, für uns aber nicht. ({7}) Man müsste dann natürlich über neue Einnahmen des Bundes reden. Ich will ein Wort zum Deutschlandstipendium sagen, das als kombiniertes Stipendium, bei dem es Geld vom Staat und Geld von Sponsoren gibt, in Ihrem Etat ja einen wichtigen Platz einnimmt. Hier hat Ihnen der Bundesrechnungshof vorgerechnet, dass die Verwaltungsausgaben viel zu hoch sind und Sie Ihre eigenen Ziele nicht erreichen. Deshalb sagen wir: Wir könnten auf dieses Instrument gut verzichten und die Mittel für einen Aufwuchs im BAföG-Bereich einsetzen, meine Damen und Herren. ({8}) Ich will zudem auf die großen Ost-West-Unterschiede beim Zugang zum Deutschlandstipendium verweisen. Wo sollen denn ostdeutsche Hochschulen Sponsoren finden, wenn es im Osten nicht einmal Selbstanzeigen von Steuersündern gibt? Da ist doch nichts zu holen. ({9}) - Ja, das wurde klar und deutlich veröffentlicht. - Deshalb ist das nicht wirklich erreichbar. Wir werden uns heute Nachmittag beim Bauetat auch mit der Frage beschäftigten müssen: Wie schaffen wir besseren, bezahlbaren Wohnraum für Studierende? Das ist ein Thema, zu dem gerade die Linke in Leipzig aktuelle Vorschläge unterbreitet hat. Wir werden vorschlagen, die „Wiederbelebung“, wie es bei der Bundesregierung heißt, des sozialen Wohnungsbaus für diesen Bereich zu nutzen und Studierenden damit Chancen auf bezahlbare Wohnungen zu geben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Claus, Sie müssen zum Schluss kommen.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Studentinnen und Studenten sollen doch studieren und nicht nur jobben gehen, meine Damen und Herren. ({0}) Wir haben hier einen Etat mit viel Geld, aber leider wirklich wenig Zukunftsfähigkeit. Deshalb muss sich da noch eine ganze Menge ändern. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie noch einmal bitten, sich an die Redezeit zu halten. Die beiden letzten Redner haben sie erheblich überschritten. Wenn wir so weitermachen, kommen wir mit unserer Planung nicht hin. Das ist, finde ich, nicht fair gegenüber den anderen Kollegen, die heute auch noch ihre Debatten haben. Herr Schulz, Sie haben das Wort. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat hier einen beachtlichen Haushaltsplanentwurf vorgelegt. Wir werden im parlamentarischen Verfahren sicherlich noch das eine oder andere ändern, aber die Grundlinie stimmt. Über 15 Milliarden Euro werden für Bildung und Forschung bereitgestellt; die globale Minderausgabe ist dabei herausgerechnet. Dass wir dies in Zeiten der Nullverschuldung und ohne Steuererhöhungen schaffen, ist aller Ehren wert. ({0}) Mir sei der Vergleich mit dem Finanzplan der Vorgängerregierung gestattet. Da wird ein Unterschied deutlich: Schwarz-Gelb sah weniger als 14 Milliarden Euro für das Jahr 2015 vor. Jetzt sind es über 1 Milliarde Euro mehr. Ich kann mir vorstellen, dass die Ministerin Wanka jeden Morgen ein Stoßgebet gen Himmel sendet und dafür dankt, dass er ihr die SPD als Koalitionspartner beschert hat. ({1}) Jedenfalls ist festzustellen: Die SPD tut der Bildung und Forschung in Deutschland gut, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Das eine ist die Frage nach dem Ausgabenvolumen. Viel wichtiger ist die Frage, wofür das Geld eigentlich ausgegeben wird. Als Erstes möchte ich hier das BAföG nennen. Von Willy Brandt eingeführt, ist es weiterhin die zentrale soziale Bildungsfinanzierung in diesem Land. Niemand soll aufgrund Geldmangels auf Bildungschancen verzichten. Das ist für uns von besonderer Bedeutung. ({3}) Wir werden in 2015 dafür weit über 2 Milliarden Euro ausgeben. Die Ministerin Wanka hat es gesagt: Wir haben uns mit den Ländern darüber geeinigt, wie das mit dem BAföG weitergehen soll. Wir übernehmen als Bund jetzt voll die Kosten für das BAföG. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens entlasten wir die Länder massiv und dauerhaft, damit sie ihren originären Aufgaben in der Bildung nachkommen können - in der Hochschule, bei der beruflichen Bildung, in der Schule und - ich sage das ausdrücklich dazu - auch bei der Kita. Wer kritisiert, dass Länder Mittel in die vorschulische Bildung investieren, zeigt ein verkürztes Bildungsverständnis, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Der zweite Punkt ist, dass der Bund nun die alleinige Handlungsmöglichkeit beim BAföG hat. Dieses unerträgliche Hickhack, dieses Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern, das so häufig das BAföG blockiert hat, hört jetzt auf. Wir haben die Handlungsmöglichkeiten, und wir nutzen diese Handlungsmöglichkeiten. Das BAföG wird massiv verbessert und erhöht. Wir haben das vor der Wahl gesagt, und wir machen es jetzt. Wir stärken das BAföG. Das ist ein zentraler Punkt unserer Programmatik, unserer Regierungspolitik. ({5}) Ich will dabei hinzufügen: Wenn wir das für Schüler und für Studierende machen, dann sollten wir uns auch um die Aufstiegsfortbildung und das Meister-BAföG kümmern. Auch die beruflich Qualifizierten sollten nicht außen vor bleiben. ({6}) Wir setzen in langen Linien die Bildungs- und Forschungspolitik in Deutschland fort, und wir entwickeln sie auch weiter. Da ist zum Beispiel die Exzellenzinitiative aus rot-grünen Zeiten, Frau Bulmahn. Über 400 Millionen Euro geben wir auch in diesem Haushalt für Spitzenforschung an Hochschulen aus. Wir finanzieren den Hochschulpakt; er stammt ja aus der letzten Großen Koalition. Wir finanzieren den Hochschulpakt weiter. Über 2 Milliarden Euro geben wir dafür. ({7}) Das ist ein extrem erfolgreiches Förderprogramm, ohne das Hunderttausende in den letzten Jahren nicht hätten studieren können. Es gibt nun Verhandlungen über die Fortsetzung des Hochschulpakts. Es wäre wünschenswert, wenn wir es hinbekämen, dass wir die zweite Phase des Hochschulpakts, in der wir uns derzeit befinden, entsprechend aufstocken, damit bedarfsgerecht weiterfinanziert werden kann, und wenn wir gleichzeitig noch eine dritte Phase anschließen können. Ich will dabei aber auch sagen, dass wir die Mittelverwendung nachvollziehbar gestalten müssen. Auch sollten wir neue Elemente in den Hochschulpakt einführen. Da geht es zum einen um die beruflich Qualifizierten, darum, dass sie entsprechende Chancen bekommen, und zum anderen um die gute Lehre. Nicht nur der Studienbeginn - wie bisher -, sondern auch das erfolgreiche Studium, der Abschluss des Studiums sollte unterstützt und gefördert werden. ({8}) Ich glaube, dass das als neues Element dazugehört. Der nächste wichtige Bereich - auch er stammt aus rot-grünen Zeiten - ist der Pakt für Forschung und InnoSwen Schulz ({9}) vation. Das ist vom Volumen her vielleicht sogar der größte Bereich. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen - Helmholtz, Max Planck, Leibniz, Fraunhofer, DFG - bekommen über 5 Milliarden Euro, und das wächst weiter stabil. Den Aufwuchs werden wir als Bund in Zukunft sogar allein übernehmen und die Länder entlasten. Hier gibt es Gespräche über die Fortsetzung, über die Zukunft. Auch hier - so sage ich - muss es eine vernünftige Kontrolle der Mittelverwendung geben. Wenn wir so viel Geld den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur Verfügung stellen, dann sollte es auch verbindliche Zielvereinbarungen geben, ({10}) etwa im Hinblick auf die Frauenförderung oder den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ich bin sicher, dass die Wissenschaftsorganisationen das auch akzeptieren und sich dieser Verantwortung stellen. ({11}) Auch bei vom Volumen her kleineren, aber wichtigen Projekten und Förderungen setzen wir Bewährtes fort, setzen aber auch neue Akzente. Ich möchte beispielhaft einige nennen. Da ist zum Beispiel das Ganztagsschulprogramm, das in letzter Zeit ein wenig ins Hintertreffen geraten ist. Ich glaube aber, wir sollten da weiter am Ball bleiben. ({12}) Wir führen eine Diskussion über die gute Schule, die gute Ganztagsschule. Ich denke, der Bund sollte sich da nicht zurückziehen, sondern sich engagiert beteiligen. ({13}) Uns ist die gute Schule wichtig. Deswegen etatisieren wir das erste Mal die in der letzten Legislaturperiode verabredete Lehrerbildungsoffensive; das ist ein wichtiger Beitrag. Wir machen mehr im Bereich Alphabetisierung/Grundbildung, was mir persönlich besonders wichtig ist, und bei der Arbeitsforschung: Wie geht es zukünftig weiter mit Dienstleistungen und Produktion, wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Zur Friedens- und Konfliktforschung muss ich, glaube ich, gar nicht viel sagen; wir haben eben den Etat des Auswärtigen Amts diskutiert. Da müssen wir noch mehr machen; darüber werden wir auch in den Haushaltsberatungen diskutieren. ({14}) Auch im Bereich der Projektförderung machen wir eine ganze Menge. Ich könnte die Liste, was wir alles Gutes und Wichtiges machen, weiter fortsetzen, will aber bei all dem Positiven nicht verhehlen, dass durchaus auch Wünsche offenbleiben, ({15}) vor allem bei Kita, Schule und beruflicher Bildung. Wir können den rechtlichen und auch den finanziellen Rahmen leider nicht beliebig ausweiten. Gleichwohl möchte ich zum Abschluss meiner Rede einen Gedanken anbringen: Wir haben uns vorgenommen, das Grundgesetz zu ändern. Es geht um eine Verbesserung der Kooperation von Bund und Ländern, leider nicht in der Schule - das wäre schön; aber so weit sind wir noch nicht -, aber immerhin für den Bereich „Wissenschaft und Hochschulen“. Wenn wir das Grundgesetz ändern, dann sollten wir aber auch konkrete Politik folgen lassen. Wenn wir nur das Grundgesetz ändern, dann aber nichts passiert, wäre das ungefähr so, als wenn wir ein Flugzeug bauen, es aber nicht starten. Darum schlage ich vor, dass der Bund ein Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern auflegt. Das kann in dieser Wahlperiode beginnen und dann dauerhaft auf der Basis des neuen Grundgesetzartikels wirken. Das wäre ein guter Beitrag für die Wissenschaft, für die einzelnen Nachwuchswissenschaftler, aber auch für die Hochschulen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken! In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Ich freue mich auch, dass ich auf die Sekunde genau geendet habe. ({16})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Da ist die Präsidentin hochentzückt. Vielen Dank! So eine Punktlandung wünsche ich mir von allen anderen auch. - Die Chance dazu hat jetzt Ekin Deligöz. Sie haben das Wort.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich sind wir uns einig, dass die Mittel für Bildung, Wissenschaft und Forschung wichtige Zukunftsinvestitionen sind, dass wir diese Mittel brauchen, damit wir auch morgen nicht nur in diesem Land, sondern auch darüber hinaus gut leben können. Aber, Frau Wanka, es geht ja nicht nur darum, dass Sie Geld bekommen - selbst darüber könnte man debattieren; mein Kollege Roland Claus hat das sehr gut ausgeführt -, sondern auch darum, was Sie mit diesem Geld machen. Es geht darum, welche Prioritäten Sie setzen. Ich sage Ihnen: Die Prioritäten, die Sie setzen, sind falsch, und dabei bleibt es. ({0}) Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele, auch wenn Ihnen das nicht gefällt: Sie kürzen im Bereich der beruflichen Bildung. Man kann das duale System nicht oft genug loben. Wir finden es alle gut, wir exportieren es sogar. Gleichzeitig haben in Deutschland 14 Millionen Menschen zwischen 20 und 39 Jahren keinen formalen Berufsabschluss. Nur noch jedes fünfte Unternehmen bildet in Deutschland aus. Der Fachkräftemangel ist deutlich wahrnehmbar. Doch Sie kürzen bei der Berufsorientierung und bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, wo es darum geht, dass auch kleine Betriebe eine Chance bekommen, auszubilden. Sie kürzen auch bei der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung. Einerseits reden Sie von Bildungsketten, andererseits kürzen Sie da, wo diese real umgesetzt werden sollen, die Mittel. Anstatt die Weiterbildung ins Zentrum zu setzen und das Meister-BAföG, wie wir es vorgeschlagen haben, in ein Weiterbildungs-BAföG weiterzuentwickeln, kürzen Sie bei der Weiterbildung. Das nennen Sie die richtigen Prioritäten? Das ist es nicht, Frau Ministerin. Wir haben gute Konzepte. Mit unserer Idee „DualPlus“ haben wir gezeigt, wie es besser geht. Schauen Sie sich das genau an! Dieses Land braucht die berufliche Bildung mehr denn je. ({1}) Auch beim BAföG setzen Sie falsche Prioritäten. Sie sind das Thema angegangen; das ist toll. Unsere Länder, die rot-grün regierten Länder, stehen hier an Ihrer Seite. ({2}) Doch warum müssen die Studierenden weitere vier Semester auf die versprochene BAföG-Erhöhung warten? Warum müssen Generationen von Studierenden zugucken, wie sich die Preise entwickeln, ohne dass eine richtige Anpassung erfolgt? Wenn Sie es ernst meinen, dann handeln Sie auch ernsthaft. Verschieben Sie das nicht noch einmal um ein paar Jahre! ({3}) Sie vertrösten und feiern sich selbst. Es kommt nichts bei den Studierenden an. Das ist eine falsche Prioritätensetzung. ({4}) Ich komme zum Deutschlandstipendium. Geben Sie es zu: Es funktioniert nicht. Sie wollten 8 Prozent der Studierenden erreichen, danach haben Sie die Zahl auf 2 Prozent korrigiert, und jetzt erreichen Sie noch nicht einmal 1 Prozent. Das geht an den Universitäten und den Studierenden komplett vorbei. Die Verwaltungskosten sind viel zu hoch. Das sage nicht ich; das sagt der Bundesrechnungshof. Es ist ganz einfach: Das Deutschlandstipendium hat sein Ziel verfehlt. ({5}) Trotzdem erhöhen Sie die Mittel dafür noch einmal um 10 Millionen Euro und tun so, als ob das etwas Grandioses sei. Wenn Sie der Meinung sind, dass wir in diesem Land mehr Stifter aus der Privatwirtschaft brauchen, dann frage ich Sie - wir haben das Stiftungsrecht doch reformiert und modernisiert -: ({6}) Warum tun sie das nicht? Warum brauchen die Unternehmen auch noch staatliches Geld, damit sie hier endlich aktiv werden? - Wenn Sie aber der Meinung sind, das sei ein Sozialbudget, dann investieren Sie die Mittel für das Deutschlandstipendium doch gleich ins BAföG, denn dort wird für einen sozialen Ausgleich gesorgt, und verschwenden Sie das Geld nicht einfach nur für hohe Verwaltungskosten. Frau Ministerin, wir reden hier über insgesamt 55 Millionen Euro. Das ist viel Geld für viele Studierende. ({7}) Sie reden darüber, wie wichtig der Hochschulpakt ist. Seit Jahren ist der Hochschulpakt unterfinanziert. ({8}) Verstecken Sie sich nicht hinter den Rechenschiebern, anstatt zu gucken, was dieses Land wirklich braucht. ({9}) Frau Ministerin, Sie geben sich mit dem zufrieden, was Sie haben. Das sollten Sie nicht. Sie sind es diesem Land schuldig, dass Sie Engagement dafür zeigen, dass es mehr Geld für die Bildung gibt. Sie können die globale Minderausgabe herunterrechnen, wie Sie wollen: Sie müssen eine halbe Milliarde Euro aus Ihrem Etat für den Konsolidierungskurs dieser Regierung erbringen. Hier sind Sie Spitzenreiter dieser Regierung. Selbst der Bundesrechnungshof, der weit davon entfernt ist, Geldverschwendung in irgendeiner Form gutzuheißen, sagt: Für dieses Haus ist das zu viel Geld. - Nehmen Sie das ernst! Hier wird der Haushalt auf Kosten der Studierenden, der Schüler, der Kleinkinder, der Bildung konsolidiert. Das ist ein ernst zu nehmender Fakt, Frau Ministerin. Ich bitte an dieser Stelle um mehr Engagement. ({10}) Daneben tragen Sie die Mehrkosten für die Stilllegung der atomaren Versuchsanlagen. Ich mache keinen Hehl daraus: Meine Fraktion ist gegen Kernforschung, weil wir die zukünftigen Kosten im Blick haben und die Generationengerechtigkeit ernst nehmen. Investieren Sie das Geld für Kernforschung lieber in die Forschung für erneuerbare Energien! Dort wäre es nicht nur gut angelegt. Dort würde es auch eine Rendite erbringen und nicht morgen für die Entsorgung von Atomschrott verwendet werden müssen. ({11}) Frau Ministerin, ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen, damit das nicht zu kurz kommt, nämlich auf die Ebolaepidemie. Es geht mir hier um die Mittel für die Gesundheitsforschung. Ich hätte mir von Ihnen ein Wort dazu gewünscht und gerne gehört, dass es für Sie eine Herausforderung ist, mithilfe der Gesundheitsforschung ernsthaft gegen solche Krankheiten vorzugehen und sich hier sozial verantwortlich zu zeigen. Diese soziale Verantwortung werden wir Grünen für Ihren Haushalt einfordern. Wir sind in der Sache konstruktiv, aber auch kritisch, weil es uns um die Zukunft dieses Landes geht. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das war fast eine Punktlandung. - Herr Kaufmann, Sie haben die Chance, das zu wiederholen. Sie haben das Wort. ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Zahlen für den Haushalt 2015 anschaut, dann kann man nur sagen: Das ist wirklich eine gute Regierungsarbeit. Es ist für Grüne und Linke schwer, hier ein Haar in der Suppe zu finden. Das haben ja auch die Reden des Kollegen Claus und der Kollegin Deligöz gerade gezeigt. Im Übrigen, Herr Claus und Frau Deligöz: Es handelt sich im Haushalt nicht um Kürzungen, sondern um Umschichtungen. Das ist ein ganz gravierender Unterschied. ({0}) Zum ersten Mal seit 1969 erreichen wir wieder - ebenfalls in einer Großen Koalition - einen Haushalt ohne neue Schulden. Das ist gerade hinsichtlich der Generationengerechtigkeit ein echter Meilenstein. ({1}) Gleichzeitig sparen wir nicht an der falschen Stelle. Im Gegenteil: Die Mittel für den Bildungs- und Forschungsetat des Bundes werden erneut massiv erhöht - wir haben es gehört -, und zwar um 8,63 Prozent. So manche Landesregierung kann sich angesichts von Kürzungen im Bildungsbereich, die gerne mit dem Verweis auf die Schuldenbremse in 2020 begründet werden, hier eine Scheibe abschneiden. Diese Bundesregierung zeigt einmal mehr, dass beides geht: Konsolidierung des Haushalts und mehr Investitionen in Bildung. Selbstverständlich ist dies eine gemeinsame Leistung der Bundesregierung und der Regierungskoalition. Aber - darauf möchte ich hinweisen; das ist mein erster zentraler Punkt -, Herr Schulz, es ist die CDU, die für einen stetigen Aufwuchs des Bildungsetats in den letzten zehn Jahren steht. Seit der Übernahme der Bundesregierung 2005 unter Unionsführung mit einem CDU-geführten Bildungsministerium gab es kontinuierliche und stetige Steigerungen im Bildungsetat. 2005 haben wir von Rot-Grün einen BMBF-Etat von knapp 7,6 Milliarden Euro übernommen; das waren 2,9 Prozent des Bundeshaushalts. Heute beträgt der Anteil des Haushalts für Bildung und Forschung am Bundeshaushalt 5,1 Prozent und hat mit 15,2 Milliarden Euro ein doppelt so großes Volumen. ({2}) Das ist eine Steigerung der Mittel im Bildungshaushalt unter CDU-Führung um über 100 Prozent. Ich kenne keine andere Regierung in Deutschland und auch nicht in Europa, die dies in den letzten zehn Jahren geschafft hat. Darauf können wir als CDU/CSU besonders stolz sein. ({3}) Mein zweiter wichtiger Punkt, auf den ich hinweisen möchte - das wurde bereits angesprochen -: Der Bund übernimmt zum 1. Januar 2015 den bisherigen Finanzierungsanteil der Länder am BAföG. Wir entlasten die Länder dauerhaft, da der Finanzierungsanteil von 35 Prozent komplett entfällt. Dadurch werden bei den Ländern 3,5 Milliarden Euro frei. Zusätzlich gibt es von Bundesseite zum Wintersemester 2016/17 eine mehr als 800 Millionen Euro schwere BAföG-Reform mit einer deutlichen Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge, einer deutlichen Anhebung des Wohnzuschlags und des Kinderbetreuungszuschlags, einer Schließung der Förderlücke zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen, einer Online-Antragsmöglichkeit für alle Studierende und vielem mehr. Das bedeutet: mehr Geld, weniger Bürokratie. Auch diese Reform der Bundesregierung kann sich also sehen lassen. ({4}) Mit der BAföG-Einigung haben wir die jahrelange Blockadepolitik der Länder beim BAföG durchbrochen. Das CDU-geführte Bildungsministerium hatte sich bereits seit der letzten BAföG-Reform 2010 für eine weitreichende Reform eingesetzt. In vielen Gesprächen auf allen Ebenen verständigte man sich zwar auf inhaltliche Änderungen. Eine Novelle scheiterte aber immer wieder an der fehlenden Finanzierungszusage der Länder. Durch die komplette Übernahme der BAföG-Kosten konnten wir diese Blockade jetzt gemeinsam aus dem Weg räumen. Das ist noch nicht alles, was wir vonseiten des Bundes an Mitteln an die Länder transferieren. Der Bund beteiligt sich weiterhin am Hochschulpakt - das haben wir gehört -, damit auch zukünftig eine ausreichende Zahl an Studienplätzen finanziert werden kann. Allein 2015 sind das 2,1 Milliarden Euro. Der Bund finanziert die wichtigen Programmpauschalen. Der Bund stellt Geld für die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen im Rahmen des Qualitätspakts Lehre zur Verfügung. Nach der geplanten Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz kann sich der Bund noch stärker im Wissenschaftsbereich einbringen. Das Engagement des Bundes in der Bildungspolitik ist somit ausgesprochen hoch. ({5}) All das entlastet die Länder zusätzlich bei der Hochschulfinanzierung und eröffnet ihnen damit Spielräume für die Verbesserung der Grundfinanzierung oder beim Hochschulbau. Daher wäre es übrigens nur angemessen und fair, wenn sich die Länder ihrerseits an den Programmpauschalen beteiligen würden. ({6}) Doch was passiert tatsächlich? Sind die Länder derzeit ein verlässlicher Partner bei der Hochschulfinanzierung? Das ist mein dritter zentraler Punkt. Wenn wir den Ländern schon weitere 1,17 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung stellen, dann müssen sie sich bitte auch an die Vereinbarung mit dem Bund halten, Herr Schulz, und das Geld wirklich für Schulen und vor allem Hochschulen ausgeben. ({7}) Man kann das machen wie in Baden-Württemberg, wo die Aufteilung der Gelder im Verhältnis 50: 50 an Schulen und Hochschulen erfolgt, oder wie in Hessen oder Sachsen, wo 100 Prozent der Mittel an die Hochschulen fließen. Aber es so zu machen wie Niedersachsen und zu sagen: „Wir geben gar nichts an die Schulen und Hochschulen, sondern alles an die Kitas“, das geht nicht. ({8}) Das ist im Übrigen, Herr Schulz, auch nicht vereinbarungsgemäß. ({9}) Das starke Bekenntnis im Haushalt zur Finanzierung der akademischen Bildung darf - auch das wurde gesagt - nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Herausforderung der nächsten Jahre darin liegt, die berufliche Bildung als tragende Säule unseres Bildungsund Wirtschaftssystems zu stärken und die Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung voranzutreiben. ({10}) Verlassen wir die Bildung, und kommen wir noch kurz zur Forschung. Für die Förderung von Forschung und Entwicklung stellt der Bund zusätzliche 3 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode bereit. In diesem Rahmen werden wir die Exzellenzinitiative weiterentwickeln, den Pakt für Forschung und Innovation fortsetzen und die Hightech-Strategie zu einer umfassenden, ressortübergreifenden Innovationsstrategie ausbauen. Es geht um Themen wie Industrie 4.0, die Mobilität der Zukunft, Morgenstadt und vieles mehr. Es geht auch um die Akzeptanz in der Bevölkerung. All diese Themen werden wir hier noch ausführlich in den nächsten Wochen diskutieren. Ziel ist es, gemeinsam mit den Hochschulen, den Forschungseinrichtungen und den Unternehmen eine zukunftsfähige Forschungsinfrastruktur aufzubauen und Investitionen zu bündeln. Dazu gehören meines Erachtens auch Exzellenzcluster und Spitzenzentren. ({11}) Nur so können wir die Innovationskraft unseres Landes weiter stärken und im harten internationalen Wettbewerb bestehen. Noch sind wir ganz vorn dabei. Aber auch die Amerikaner haben jetzt die enorme Bedeutung staatlicher Innovationsförderung erkannt. Anlässlich eines neuen US-Förderprogramms für Innovation sagte Barack Obama im Februar dieses Jahres - ich zitiere -: I’m really excited about these four hubs … The only problem is Germany has 60 of them … Mit unserem fortgesetzten Commitment zur Forschung hatten wir das 3-Prozent-Ziel der Europa-2020Strategie bereits 2012 erreicht. Jetzt gilt es, weiter dranzubleiben. Mit dem Anstieg der Forschungsmittel in 2015 unterstreichen wir unsere Entschlossenheit hinsichtlich Forschung und Innovation einmal mehr. Die Union steht dabei - ich betone es nochmals - auch weiterhin zur Spitzenforschung. Doch Forschung und Innovation braucht auch die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu gehören insbesondere Anreize für den Einsatz von Wagniskapital für Start-ups, Verbesserungen bei der Innovationsfinanzierung auch kleiner und mittlerer Unternehmen und innovationsfördernde Regelungen beim Crowdfunding. Auch hier müssen wir aktiv werden. ({12}) Freuen wir uns also heute gemeinsam über den ersten Haushalt ohne neue Schulden seit 45 Jahren, bei gleichzeitig steigenden Investitionen in Bildung und Forschung. Das ist erfolgreiche gemeinsame Regierungspolitik für die jungen Menschen und für die Zukunft unseres Landes. Danke sehr. ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Ralph Lenkert das Wort. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bildung und Forschung sind kein Privileg für Eliten, sondern eine Herausforderung für alle. Vor neun Jahren zwang die Thüringer CDU-Alleinregierung mit ihrem Angriff auf Kitas die Thüringer Eltern, für ihre Kinder einzutreten. Wir starteten das Volksbegehren für eine bessere Familienpolitik. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Gewerkschaften, die Linke, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen kämpften zusammen für eine bessere frühkindliche Bildung. ({0}) Fünf Jahre später und nach dem Verlust der absoluten Landtagsmehrheit konnte die CDU endlich einem besseren Kitagesetz zustimmen. ({1}) Wenn Bodo Ramelow Ministerpräsident von Thüringen wird, ({2}) dann bekommen wir auch noch die Landesfinanzierung für Kitas sauber geregelt. ({3}) Begriffen hat die Bundes-CDU mit diesem Haushaltsentwurf nichts. Bundesweit fehlen Erzieherinnen und Erzieher in Krippen und Kindergärten, die Gruppen sind zu groß, die Öffnungszeiten sind zu knapp. Speziell für Ihre Bildung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, zitiere ich den Nobelpreisträger für Ökonomie, James J. Heckman, von der University of Chicago: Die Gesellschaft erhält eine langfristige Rendite von 50 Prozent für jeden Euro, der in frühkindliche Bildung investiert wird. - Das sieht auch die Linke so. ({4}) In diesem Haushalt haben Sie erneut nicht begriffen, wie wichtig frühkindliche Bildung ist. 1 Milliarde Euro verteilt auf vier Jahre - das ist alles. Laut BertelsmannStiftung müssten Sie das Zehnfache in Kitas und vor allem in die Ausbildung von Kitapersonal investieren. ({5}) Handeln Sie endlich! In einer Stadt wie dem thüringischen Gera, einer Stadt ohne genehmigten Haushalt, verfallen die Schulen. In Hunderten Kommunen Deutschlands passiert das Gleiche. Wir alle kennen den Sanierungsstau. Ohne das herausragende Engagement von Lehrerinnen, Lehrern und Eltern wären die Bedingungen für unsere Kinder unzumutbar; Ihnen gilt mein Dank. Die Schulen leben von der Substanz. Wir fordern Schulsanierungen, und zwar schnell. Im Wahlkampf hört man jetzt von Politikerinnen und Politikern der Union: Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer für kleinere Klassen, für Inklusion. - Ich frage Sie von der Union: Warum haben Sie in den letzten 24 Jahren in Thüringen und Sachsen oder in 9 Jahren im Bund unter Ihrer Regierungsverantwortung nicht für eine ausreichende Anzahl und gut ausgebildete Lehrkräfte gesorgt? ({6}) Blicken Sie auf die Vertretungspläne der Schulen: häufiger Stundenausfall, Vertretungen, Unterricht durch Eltern, und zwar flächendeckend. Lehrerinnen und Lehrer, die befristet für das Schuljahr eingestellt werden, müssen sich aus Sparsamkeit der Länder in den Sommerferien arbeitslos melden. Das alles sind Folgen Ihrer Regierungspolitik. Diese Politik muss verändert werden. ({7}) In Thüringen fehlen über 2 000 Lehrerinnen und Lehrer. Dieser Personalbedarf entspricht 120 Millionen Euro pro Jahr. Der Anteil für Thüringen von 57 Millionen Euro per annum aus Ihrem Bildungspaket von 6 Milliarden Euro reicht nicht einmal für die Hälfte.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Lenkert, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von den Grünen zu? ({0}) - Nein, das war eine Bitte um Zwischenfrage. Das habe ich schon richtig interpretiert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bitte.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege, ich weiß nicht, ob Sie Bildungsminister in Thüringen werden wollen. Das ist aber nicht Anlass unserer heutigen Debatte. Könnten Sie jetzt bitte langsam zum Bundeshaushalt kommen? Bisher haben wir nur etwas über Thüringen gehört. ({0}) Meine Frage: Was möchten Sie im Bundeshaushalt an Investitionen für Bildung?

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege, als Erstes fordern wir - das als Antwort auf Ihre Frage - die Aufhebung des Kooperationsverbotes; ({0}) denn das Kooperationsverbot sorgt dafür, dass die Bundesländer mit nicht so viel Geld die Bundesländer, die reicher sind, noch unterstützen müssen. Nehmen wir Bayern, meine Herren von der CSU: Bayern bildet seit Jahren viel zu wenige Studentinnen und Studenten für die eigene Wirtschaft aus. ({1}) Andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein, wie Nordrhein-Westfalen, wie Thüringen, wie Sachsen finanzieren mit ihren Landesmitteln über ihre Hochschulen die Absolventen für Bayern. Bayern spart sich die Kohle und will jetzt auch noch seine Ausgaben für den Länderfinanzausgleich reduzieren. Das ist ungerecht. Da Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, da Eltern flexibel sein müssen, muss das Kooperationsverbot aufgehoben werden. Wenn uns das gelingt, dann ist dieses Thema auch hier wichtig. Ich erörtere in meinen Reden diese Frage deswegen so intensiv, damit jedem klar wird, wie schwachsinnig das Kooperationsverbot für eine gute Bildung in ganz Deutschland ist. ({2}) 2016 soll das BAföG erstmals nach sechs Jahren steigen. Bis dahin müssen Studierende ohne betuchte Eltern noch mehr jobben, um die emporschießenden Mieten und Lebenshaltungskosten bezahlen zu können. ({3}) Der Bund übernimmt 1,17 Milliarden Euro für das BAföG. Das ist gut; denn dann bekommen die Länder diese Mittel frei. Aber ohne Aufhebung des Kooperationsverbotes werden diese Mittel in den Landeshaushalten versickern. Das Kooperationsverbot verbietet die gemeinsame Finanzierung von Bildungseinrichtungen. Das ist falsch. Bildung geht uns alle an. ({4}) An den Hochschulen haben 84 Prozent der 160 000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur Zeitverträge, über die Hälfte davon Zeitverträge von unter einem Jahr. Das heißt, Menschen, die nicht wissen, wovon und ob sie in drei Monaten die Miete zahlen können, sind das Rückgrat bei der Ausbildung der Studierenden. Diesen Zustand finden wir für Studierende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerträglich. ({5}) Bei den Forschungsgesellschaften sind Befristungen ebenfalls Standard. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz provoziert dies. Manche Professoren und Institutsleiter nutzen das erbarmungslos aus. Reduzieren Sie endlich diesen Befristungswahnsinn! Koppeln Sie die Erhöhung der Grundfinanzierung für das Max-PlanckInstitut, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Leibniz-Gesellschaft an Auflagen für gute Arbeitsplätze. Bei Forschung diskutieren wir über die Zukunft des Wissenschaftsstandortes Deutschland. Aber Ihre neue Hightech-Strategie, Frau Ministerin, enthält nur die alten abgedroschenen Phrasen: Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, Stärkung der Innovationsfähigkeit, Förderung von Wachstumsimpulsen. ({6}) Das klingt tough, ist aber absolut beliebig und ändert gar nichts. Über Grundlagenforschung reden Sie, Frau Ministerin, überhaupt nicht. Deswegen für Sie ein Zitat von Albert Einstein: Hätten wir nur in produktorientierte Forschung investiert, gäbe es heute die perfekte Petroleumlampe, aber kein elektrisches Licht. Die Linke will Bildung verbessern und Forschung stärken. Dazu braucht es: erstens die Abschaffung des Kooperationsverbotes, zweitens ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz und Schluss mit dem Befristungswahnsinn, drittens eine kommunale Investitionspauschale von 1,5 Milliarden Euro, viertens 3 Milliarden Euro für den Kitaausbau und ein Ausbildungsprogramm für Erzieherinnen und Erzieher, fünftens 964 Millionen Euro mehr für den Hochschulpakt und bessere Studienbedingungen und, sechstens, mehr Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher. Rot-Rot kann es. Das beweist Brandenburg mit einem Haushaltsüberschuss von 366 Millionen Euro seit 2010 und 2 540 neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrern. ({7}) Wir Linken schwadronieren nicht über schwarze Nullen. Wir investieren in Bildung und sanieren Haushalte. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann das Wort. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Bildungs- und Forschungspolitik lebt von Kontinuität und neuen Akzenten. Frau Ministerin Wanka, Sie werden akzeptieren - auch mit Hinblick darauf, dass die frühere Bildungs- und Forschungsministerin gerade die Plenarsitzung leitet -, dass wir darauf hinweisen: Ja, es hat seit 2005 kontinuierlich Verbesserungen gegeben. Aber es hat auch schon seit 1998 wesentliche Verbesserungen gegeben. ({0}) So wurde das BAföG deutlich verbessert, indem das Kindergeld nicht mehr angerechnet wird. Es wurden Maßnahmen vorbereitet betreffend die Fachhochschulen bis hin zur stärkeren Forschungsorientierung an den Hochschulen und es ist auch die Gesamtarchitektur der Forschungsförderung neu aufgestellt worden. Wir werben dafür, über diese Gesamtkontinuität so zugespitzt zu diskutieren, dass wir uns jetzt fragen: Was ist gegenwärtig strukturell besonders wichtig mit Blick auf den Haushalt 2015? In Anbetracht der Großen Koalition möchte ich es so formulieren: Manches genießt man still. Es waren der Kollege Schulz und der Bürgermeister Scholz, die zusammen in langer Linie und am Ende erfolgreich durchgesetzt haben, dass das BAföG zu 100 Prozent vom Bund getragen wird. ({1}) Ich wiederhole: Es waren Schulz und Scholz. Wir wollen das still genießen, wenn wir uns vor Augen führen, welche Bedenkzeit andere benötigt haben, bis sie dem gefolgt sind. In Sachen Kontinuität können wir auch darüber diskutieren, dass die Hightech- und Innovations-Strategie weiterentwickelt worden ist. Auch hier gab es substanzielle Veränderungen. Es sind neue Kapitel hinzugekommen, zum Beispiel im Bereich Arbeit, was wir und auch Sie als sehr wichtig erachten. Außerdem wurden neue Konzeptionen entwickelt, und zwar in Bezug auf Innovationen für Produktion, Dienstleistung und Arbeit. Ein Hinweis von Ihnen war sehr wichtig: Ja, wir alle öffnen uns zivilgesellschaftlichem Sachverstand und zivilgesellschaftlicher Moral. Als stille Genießer nehmen wir zur Kenntnis, dass dieser Akzent jetzt von den Vertretern aller Koalitionsfraktionen in den entsprechenden Beiräten, vom Beirat des Hauses der Zukunft bis zum Beirat bei der Hightech-Innovations-Strategie, gesetzt wird. Frau Ministerin, Sie haben dabei unsere volle Unterstützung. ({2}) Schließlich wurden weitere neue Akzente gesetzt, die sich im engeren Sinne auch im neuen Haushalt wiederfinden. Wir müssen in unseren Diskussionen immer im Auge behalten, dass alle Menschen schichten- und herkunftsunabhängig die Chance auf Aufstieg durch Bildung, Leistung und Solidarität bekommen müssen. Wir müssen die Bildungsgerechtigkeit aber auch unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe verstehen. Dazu gehört das Verständnis für moderne Entwicklungen in der Welt, für technologische Veränderungen sowie für globale ökonomische und ökologische und andere Zusammenhänge. Das bedeutet, dass wir im Schlüsselbereich, dem Bereich der schulischen Ausbildung und Hochschulausbildung, ansetzen müssen. In diesem Haushalt ist erstmals die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ etatisiert. Diese wurde früher bereits von der CDU/CSU eingebracht. Jetzt stellen wir sie in den Haushalt ein. Mit Blick auf die Qualitätsoffensive freuen wir uns sehr, dass auch die berufsbildenden Schulen ganz stark in den Fokus gerückt werden; Herr Kollege Rainer Spiering hat darauf gedrungen. ({3}) Wir denken beim Stichwort „Lehrerbildung“ immer viel zu schnell an nur einen Teil des Schulwesens. Bei den berufsbildenden Schulen handelt es sich im Übrigen um ein sehr schwieriges Bildungswesen, weil es nicht in allen Bereichen der berufsbildenden Schulen eine kontinuierliche Klassenbildung gibt und eine sehr vielfältige Jugend- und Junge-Erwachsene-Struktur zu erkennen ist. Wir erwarten und hoffen, dass aus den Ländern viel Engagement und viele innovative Projekte für eine gute Berufsschullehrerausbildung kommen. Das ist uns wichtig. ({4}) Diese Priorität beruflicher Bildung haben Sie, Frau Ministerin, in der Tat dadurch belegt, dass auch mit der Innovations- und Strategieinitiative für berufliche Bildung neue Akzente gesetzt werden sollen. Trotzdem: Selbst wenn Sie ESF-Mittel und andere Ressourcen in der Debatte anführen, fällt nicht nur der Kollegin von den Grünen, sondern auch uns auf, dass der Titel „Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung“ wieder um 10 Millionen Euro gekürzt worden ist. ({5}) Das fällt uns deshalb besonders auf, weil wir als Parlamentsfraktion in den Beratungen zum Haushalt 2014 diese 10 Millionen Euro hineinverhandelt und durchgesetzt haben. Ich glaube, wir dürfen sagen: Es leuchtet uns noch nicht ein, weshalb der Wille des Parlaments an dieser Stelle mit einem Regierungsentwurf konterkariert wird. Da sind wir sehr willensstark. ({6}) Das möchte ich gerne hier für die Parlamentsfraktion der Regierung mit ansprechen. Wir sind auch in mancher Hinsicht innovativ. Das ist zwar nur ein kleiner Punkt, aber uns freut es - wir freuen uns da, glaube ich, auch für die CDU/CSU mit -, dass eine so wichtige Sache wie Alphabetisierung, wie Grundbildung jetzt mit einer eigenen Ziffer im Haushalt auftaucht. Wenn wir dort noch zusätzliche Mittel dazugewinnen können, wird es ein größerer Punkt werden, was dann auch anderen - Ländern, Kommunen, der Öffentlichkeit - Mut macht, sich für eine wirkliche Alphabetisierungsdekade mit einzusetzen. ({7}) Weil wir uns ja nicht nur still, sondern auch demonstrativ freuen dürfen, möchte ich hier auch einen Dank an die Präsidentin aussprechen - geben Sie diesen bitte weiter an das Präsidium des Parlaments -: Ja, es ist sehr gut, dass jetzt auch in der Zeitung Das Parlament immer eine Beilage in Leichter Sprache enthalten ist. ({8}) Nicht, dass nun mit einem Mal ganz viele Menschen, die sich auf diesem Sprachniveau bewegen, Das Parlament von A bis Z lesen würden, aber es ist ein Merker für all jene, die hochgebildet Das Parlament lesen, dass es auch anderes gibt und auch andere Zugänge zu den alle berührenden Fragen von politischer Gestaltung und anderem geben muss. Frau Präsidentin, Verneigung vor dem Präsidium!

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das werde ich gerne weitergeben. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Dimension von Teilhabe über Bildung, speziell auch über berufliche Bildung, will ich mit zwei Bemerkungen noch vertiefen. Sollten wir wirklich jetzt den Streit um die Priorität akademischer oder dualer beruflicher Ausbildung an die erste Stelle stellen, oder sollten wir nicht vielmehr die Diskussion um die Frage: „Wie schaffen wir es, zu mehr erfolgreichen Abschlüssen zu kommen, sei es im akademischen oder im dualen Bereich?“ an die erste Stelle stellen? ({0}) Das muss doch die Botschaft sein: Priorität hat nicht die Verteilung, sondern die Entwicklung zum Erfolg hin. An dieser Stelle sollten wir zusammenarbeiten, genauso wie an mehr Sensibilität in Bezug auf die Förderung beruflicher Aufstiegsfortbildung. Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Deligöz. Da wird nichts verschlechtert. Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz ist ein Leistungsgesetz. Wenn jetzt 3 Millionen Euro weniger im Haushalt stehen, dann vielleicht, weil es weniger Menschen gibt, die diese Gelder abrufen. Das muss aber doch das Ziel sein. Beim BAföG haben wir die Antwort gegeben. Erstmals werden zusätzlich 100 000 junge Menschen aus der Mittelschicht Zugang zum BAföG haben. Das ist eine beträchtliche Zahl. ({1}) Das Meister-BAföG beziehen überhaupt nur 170 000 Techniker, Meister oder Fachwirte. Auch dort sollten wir Wege finden, diese Gruppe von Aufstiegsfortbildungswilligen zu erweitern. Das muss das Ziel für diese Legislaturperiode sein. ({2}) Dazu darf ich eine Beobachtung aus den vielen Wahlkreisgesprächen, die man als Abgeordneter führt, hinzufügen, die einen in Erstaunen versetzt. Wir haben eine Weiterbildungsprämie, die für Maßnahmen mit Kosten von bis zu 1 000 Euro gewährt wird - die Förderung beträgt bis zu 500 Euro -, und wir haben das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Ich war in einem Hospiz, um mich in anderen Zusammenhängen dort in der Diskussion sachkundig zu machen. Da wird einem gesagt: Ja, es gibt natürlich auch Fachausbildungen und -weiterbildungen für Hospizpflege. Diese kosten aber zum Beispiel 1 600 Euro und mehr. Die werden nicht gefördert, einerseits, weil sie über dem Satz von 1 000 Euro liegen und andererseits, weil sie keine Aufstiegsfortbildung sind. Sie werden dann alleine aus der Tasche von diesen fortbildungswilligen Pflegerinnen und Pflegern bezahlt. Haben wir das eigentlich im Kopf schon richtig sortiert? Oder müssten wir nicht eine andere Systematik der Weiterbildungsförderung entwickeln, sodass am Horizont tatsächlich ein Weiterbildungsförderungsgesetz entsteht, mit dem Maßnahmen auf allen Anforderungsniveaus gefördert werden? Im Übrigen: Dieses wünschen wir uns als Teil der Bildungsforschung, deren Förderung wir insgesamt ja deutlich erweitern. Wir sind auf einem guten Wege, was den Etat für Bildung insgesamt angeht. Aber - da muss ich Herrn Claus noch einmal recht geben - wenn man das absolute Niveau gemessen am Bruttoinlandsprodukt nimmt, dann ist Deutschland in Europa nicht an der Spitze. Da gibt es, glaube ich, 15 Länder, die vor uns liegen. Bei den Zuwächsen sind wir an dritter Stelle. Das führt mich zu dem Resümee: Ja, wir dürfen zufrieden sein, aber selbstzufrieden dürfen wir noch nicht sein. So weit sind wir noch nicht. ({3}) Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen müssen wir wirklich noch mehr tun. Selbst dann werden wir bei der Bildung allerdings nie selbstzufrieden sein. Danke. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Kai Gehring das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst seit 1998 erleben wir Aufwüchse bei den Bildungsund Forschungsmitteln - und das muss so bleiben. Denn bei Bildung und Forschung bestehen weiterhin ganz erhebliche Investitionsbedarfe. Es ist gut, dass auch diese Bundesregierung diese Notwendigkeit sieht. Allerdings erinnert ihr 6-plus-3-Milliarden-Paket für Bildung und Forschung eher an ein teures Pralinengeschenk: Man hat das Paket aufgerissen und hält zwei oder drei Pralinen in Händen - und ganz viel Verpackung. Den Rest hat nämlich die globale Minderausgabe schon aufgefuttert. ({0}) Das Beispiel BAföG zeigt, dass teuer nicht immer gut sein muss. 2015 wird der Bund zwar mehr Geld für das BAföG ausgeben, aber nicht für eine Verbesserung der Studienfinanzierung - nein! -, sondern ganz allein, damit der Bund alleiniger Finanzier wird. Das heißt, die Pralinen gehen an die Finanzminister der Länder, und die bittere Pille schlucken Schüler und Studierende. Denn die überfällige Erhöhung der Studienfinanzierung fällt weiter aus. Sie verordnen damit den Studierenden in dieser Republik zwei Jahre Nullrunden. Damit fallen allein 2014 und 2015 60 000 junge Menschen aus dem BAföG-Bezug heraus. Deshalb sagen wir: Das BAföG muss rauf, und zwar sofort. ({1}) Ein tieferer Blick in Ihre Pralinenschachtel ernüchtert: Krippen und Kitas bleiben als Fundamente unseres Bildungssystems unterfinanziert. Sie klotzen beim Betreuungsgeld und kleckern bei Ausbau und Qualität der Kitas. Das ist nicht bildungsgerecht. ({2}) Das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm endet ersatzlos. Bei der Generationenaufgabe Inklusion tauchen Sie schlichtweg ab. Und die konkrete Zukunft der Wissenschaftspakte bleibt ungelöste Hausaufgabe und Verhandlungsmasse. ({3}) Zentrales Manko Ihres Milliardenpakets ist: Es soll in erster Linie die Länder entlasten. Ob und zu welchen Anteilen die Länder die Mittel für Bildung und Wissenschaft zusätzlich investieren, hängt in Zeiten der Schuldenbremse nicht allein vom Willen zur Prioritätensetzung ab, ({4}) sondern stark von der Finanzlage jedes Landes. Das hätten Sie bedenken müssen. Das Kriterium der Zusätzlichkeit fehlt. Jetzt schnüren 16 Länder eigene Bildungspakete. Wir freuen uns mit Ihnen über erste Vorbilder wie Baden-Württemberg oder Hessen. ({5}) Weitere werden folgen. Wir setzen uns bundesweit dafür ein, dass die finanziellen Spielräume, die das Paket schafft, für Bildung und Hochschulen genutzt werden und nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern. Denn wir sind weit davon entfernt, Bildungsaufsteigerland zu werden. Wir brauchen mehr Meister und mehr Master und weniger Analphabetismus und Schulabbrüche in diesem Land. ({6}) Wir wollen den unterdimensionierten Hochschulpakt unverzüglich aufstocken - das haben wir als Grüne bereits im Frühjahr hier beantragt -, damit Studieninteressierte auch tatsächlich einen Studienplatz finden. Wenn Sie an der Stelle herumknausern, verbarrikadieren Sie Hochschultüren und verbaseln Bildungschancen. Das wäre verheerend. ({7}) Wir wollen auch, dass die Programmpauschale nicht nur bleibt, sondern verstetigt und erhöht wird, damit universitäre Forschung nicht gegenüber außeruniversitärer Forschung zurückfällt. Wir wollen auch - statt eines immer stärker um sich greifenden Befristungsunwesens an unseren Hochschulen - klare Karrierewege und Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs, nicht zuletzt deshalb, weil die Exzellenzinitiative endet. ({8}) Wir wollen im Übrigen auch weiterhin eine Ermöglichungsverfassung: Das Kooperationsverbot in Bildung und Wissenschaft muss weg. Ihr Grundgesetzänderungsvorschlag löst das Problem doch nur zur Hälfte. ({9}) Wir brauchen eine strategische Finanzierungspartnerschaft von Bund und Ländern für bessere Bildung und Forschung. Wir brauchen auch ehrgeizige Ziele in der Bildungsfinanzierung: Weiterhin fehlen 20 Milliarden Euro, um das 7-Prozent-Ziel zu erreichen; 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen in die Bildung fließen. Die entsprechende Mahnung der OECD vom vergangenen Dienstag darf bei der Bundesregierung nicht auf taube Ohren stoßen. Ähnlich ambitioniert müssen die Investitionen in Forschung und Entwicklung weiter steigen. Dass aktuell 3 Prozent des BIP dafür ausgegeben werden, ist ja nett. Aber das sollte bereits vor einem halben Jahrzehnt erreicht worden sein! Also auf zu neuen Ufern! ({10}) Wir Grünen stehen mit Ihrer eigenen Expertenkommission Forschung und Innovation, mit Industrie und Mittelstand, Arbeitgebern und Handwerk längst für das 3,5-Prozent-Ziel. Die Große Koalition sollte hier nachziehen. ({11}) Wir wollen die Dynamik unseres Innovationsstandortes stärken. Deshalb fordern wir eine steuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen und mehr Möglichkeiten für Start-ups und Existenzgründer. Deutschland braucht einen neuen Gründergeist. Davon sind wir noch weit entfernt. Das wäre zukunftsgerechte Politik. ({12}) Ihre neue Hightech-Strategie dagegen ist eher ein Sammelsurium altbekannter Forschungsförderprogramme. Ich bin sehr gespannt, Frau Wanka, wie Sie uns die Summe für die Hightech-Strategie, die Sie heute hier vermarktet haben, im Ausschuss darstellen und wie Sie auf diese Beträge kommen. ({13}) Es muss für die nächsten Jahre alles zusammengesammelt worden sein. Aber wir kommen nicht auf diesen Betrag. Die Hightech-Strategie sollte erkennbar entrümpelt werden. Sie sollten für echte Bürgerbeteiligung sorgen. Dafür haben Sie kein stimmiges Konzept. Sie müssen insgesamt die Hightech-Strategie auf die großen gesellschaftlichen, ökologischen, digitalen und demografischen Fragen ausrichten. Mit Blick auf all das kann ich nur feststellen: Innovationen gehen anders. ({14}) Statt heißer Luft, guter Verpackung und Brimborium brauchen wir klare Prioritäten für höhere Investitionen in gute Bildung und Forschung, für mehr Chancengerechtigkeit und Bildungsaufstieg und für eine wirklich kreative Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, die den großen Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. Das, meine Damen und Herren, sind unsere Prioritäten für den Haushaltsentwurf 2015. Der Haushalt sollte überarbeitet werden. Freuen Sie sich auf unsere Änderungsvorschläge und -anträge. Wenn die SPD tatsächlich die Änderungsvorschläge zur Ausbildung einbringt, dann sind wir gerne dabei. Auch wir werden gerne beantragen, dass die Kürzungen bei der beruflichen Bildung zurückgenommen werden. Dieser Haushalt muss dringend verbessert werden. ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich angefangen habe, mich politisch zu engagieren, wurden die öffentlichen Haushalte in unserem Land jedes Jahr mit einer Neuverschuldung aufgestellt. Als Edmund Stoiber 2006 erklärte: „Wir machen in Bayern keine neuen Schulden mehr“, wurde er anfangs belächelt. ({0}) Es gab hitzige Debatten darüber. Bayern hat nun seit 2006 einen ausgeglichenen Haushalt. ({1}) - Wir zahlen sogar zurück. Für mich als jungen bayerischen Abgeordneten, der zum ersten Mal diesem Hohen Hause angehören darf, ist es eine besondere Freude, bei diesem historischen Schritt des Bundes dabei sein zu dürfen. ({2}) Zum ersten Mal seit 1969 legt der Bund einen ausgeglichenen Haushalt vor. Zum ersten Mal seit 45 Jahren steht eine „schwarze Null“ im Haushaltsplan der Bundesregierung. ({3}) Das Wichtigste dabei ist: An der Zukunft wird nicht gespart. ({4}) Im Gegenteil: In Bildung und Forschung wird seit Jahren kräftig investiert, und so bleibt es auch mit diesem Haushalt. Dies war und ist nur möglich, weil die Bundesregierung eindeutig einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung setzt. Gerade weil es in unserem Einzelplan, den wir heute diskutieren, so deutlich wird, möchte ich noch einmal ein paar Eckpunkte umreißen: 15,3 Milliarden Euro sind 8,6 Prozent mehr als im Haushalt 2014 und ein Anstieg um 1,2 Milliarden im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr. Der Bund entlastet die Länder beim BAföG, bei der Finanzierung von Studienplätzen und beim Ausbau der frühkindlichen Bildung. Die Finanzierung des BAföG wird ab 2015 vollständig vom Bund übernommen. Das bedeutet eine Entlastung der Länder um 1,17 Milliarden Euro pro Jahr. Für den Hochschulpakt stehen 2,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Insgesamt investiert die Koalition in dieser Legislaturperiode 3 Milliarden Euro in den Forschungs- und Entwicklungsbereich. Wir führen die Exzellenzinitiative fort. Für die Etats der außeruniversitären Forschungseinrichtungen Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und DFG verzeichnet dieser Haushaltsentwurf erneut eine Steigerung um 5 Prozent. Ab 2016 ist eine jährliche Steigerung von 3 Prozent vereinbart. Wer finanziert es? Nicht die Länder, sondern der Bund finanziert es, und das alles bei einem ausgeglichenen Haushalt, bei einer schwarzen Null. ({5}) In diesem Zusammenhang möchte ich festhalten, dass der Bund den Ländern sehr weit entgegengekommen ist, was die Finanzierung im Bildungsbereich angeht. Immer noch mehr zu fordern, ist einfach. Nun sind die Länder dran, ihre Hausaufgaben zu machen. ({6}) Die von mir aufgezählten Investitionen im Bildungsund Forschungsbereich sowie der ausgeglichene Haushalt sind ein deutliches und wichtiges Signal an die junge Generation. Wir sagen damit: Wir bauen auf euch. Eure Zukunft ist uns nicht egal. - Für dieses deutliche Zeichen danke ich herzlich dieser Bundesregierung, Ihnen, Frau Ministerin, Ihren Staatssekretären und den Mitgliedern des Haushaltsausschusses. Lassen Sie mich bitte noch etwas zur OECD-Studie sagen, die diese Woche veröffentlicht und hier im Hause mehrfach angesprochen wurde. Ja, ich freue mich, dass die OECD die gute frühkindliche Bildung in Deutschland lobt. Auch in diesem Bereich hat der Bund trotz Finanz- und Wirtschaftskrise viel Geld investiert. Unsere geringe Jugendarbeitslosigkeit wird gelobt. Unser duales Ausbildungssystem wird ebenfalls - man höre und staune! - lobend erwähnt. ({7}) Ich gebe zu, dass ich diese Passage mehrfach lesen musste; denn in den vergangenen Jahren lauteten die Aussagen der OECD immer, dass einzig und allein der Weg an die Hochschulen der Königsweg sei, während Ausbildungsberufe eher als minderwertig dargestellt wurden. Nach meinem Verständnis hat jeder Mensch eigene Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Der eine ist handwerklich geschickt, der andere hat zwei linke Hände. Die eine kann gut mit Kindern, die andere eher mit älteren Menschen. Der eine redet gerne viel und meistens lange und geht vielleicht deshalb in die Politik; der andere zieht sich lieber zurück, zeichnet Pläne und schreibt Bücher oder geht einer anderen Tätigkeit nach, die ihm liegt und Freude macht. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. So frage ich: Sollten wir nicht endlich damit aufhören, Berufe zu bewerten oder gar abzuwerten? Trägt nicht jeder Beruf zum Zusammenleben unserer Gesellschaft bei? ({8}) Lassen Sie mich kurz eine kleine Geschichte erzählen. Ich hatte vor der Sommerpause einige Schulklassen bei mir zu Gast. Es waren Schüler aus Gymnasien, Realschulen und Mittelschulen. Wissen Sie, was ein Mädchen mir geantwortet hat, als ich sie gefragt habe, was sie - es war übrigens keine Schülerin einer Gymnasialklasse - nach ihrem Abschluss machen möchte? Sie hat zu mir gesagt: Herr Stefinger, ich mache nur eine Ausbildung. - Was sagt uns dieser Satz? Mich hat dieser Satz über die Sommerpause hinweg begleitet und beschäftigt. Denn der Satz sagt uns, das wir inzwischen so weit sind, dass Schüler glauben, nur noch mit Abitur etwas wert zu sein und etwas werden zu können, und meinen, sich fast entschuldigen zu müssen, dass sie eine Ausbildung machen. Genau das ist falsch. ({9}) Deshalb habe ich ihr zugerufen: Was heißt hier „nur“? Herzlichen Glückwunsch zum Ausbildungsplatz! Dir stehen danach alle Wege offen. ({10}) Ich möchte noch Folgendes in Richtung OECD sagen: Wenn wir weiterhin das Akademikerkind, das sich für einen Handwerksberuf entscheidet oder eine Ausbildung absolvieren möchte, als Bildungsabsteiger bzw. Verlierer bezeichnen, dann brauchen wir uns über den erwähnten Satz des Mädchens nicht zu wundern. ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Stefinger, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Walter-Rosenheimer zu?

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Beate Walter-Rosenheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004221, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie bedauern, dass eine Ausbildung einer akademischen Bildung nicht gleichgestellt ist. Da Sie aus München sind: Die CSU verweist immer gerne darauf, dass wir die berufliche Bildung stärken müssen. Ich möchte daher wissen, warum Sie um 3 Millionen Euro kürzen. Ihr Kollege Rupprecht hat am 30. Juli in der Deutschen Handwerks Zeitung gesagt, dass viel mehr Geld in die berufliche Bildung fließen müsse. Vielleicht können Sie dem Kollegen Rupprecht und mir eine Antwort geben. ({0}) - Genau. Für die Modernisierung und Stärkung der beruflicher Bildung stehen 6 Millionen Euro zur Verfügung, für die Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung 3 Millionen Euro, für Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung 10 Millionen Euro, für überbetriebliche Ausbildungsstätten 8 Millionen Euro. Vielleicht können Sie mir dazu etwas sagen. Das wäre sehr nett. ({1})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben richtig erkannt, dass die CSU und die CDU immer ein Augenmerk auf die berufliche Bildung legen. ({0}) Wir sind derzeit im parlamentarischen Verfahren. Das Haushaltsgesetz ist ein Gesetzentwurf dieser Bundesregierung; Sie wissen es. Wie ich gelernt habe - ich bin erst seit einem Jahr Mitglied dieses Hauses -, ist es so, dass der Haushalt vom Bundestag, das heißt von den Abgeordneten, verabschiedet wird. ({1}) Wir haben noch sehr viele Möglichkeiten, den Haushalt zu verbessern. ({2}) Im Übrigen möchte ich hier noch eines zum Bericht der OECD sagen; dieser Bericht berücksichtigt nämlich nicht, dass es in den Ländern Unterschiede in der Ausbildung gibt. Während beispielsweise in Deutschland eine angehende Krankenpflegerin ihren Beruf in der Berufsschule erlernt, wird in Frankreich eine angehende Krankenpflegerin an der Hochschule ausgebildet. Hieran sieht man doch, dass die vorgelegten Zahlen nicht vergleichbar sind. Eines möchte ich deutlich festhalten - ich würde mir wünschen, dass von dieser Stelle, vom Deutschen Bundestag, ein Zeichen für die jungen Menschen ausgeht -: Es ist kein Abstieg, keine Schande, eine Ausbildung zu machen. ({3}) Einen Jugendlichen, der sich für eine duale Ausbildung entscheidet, oder einen Erwachsenen, der einen erlernten Beruf ausübt, als Bildungsabsteiger zu bezeichnen, nur weil die Eltern laut OECD-Definition einen höherwertigen Abschluss haben, ist für mich Diskriminierung. ({4}) Ich frage mich: Wo sind die selbsternannten Empörungsbeauftragten in unserem Land, die sich sonst schon bei jeder Kleinigkeit echauffieren und einen Riesenaufschrei machen? ({5}) Ich komme zum Schluss. Für mich sind Menschen mit einem Handwerksberuf oder einem Ausbildungsberuf genauso viel wert wie ein Akademiker, ein Doktor oder ein Professor. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Raatz das Wort. ({0})

Dr. Simone Raatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004380, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu meiner grünen Kollegin Frau Deligöz. Da sie gesagt hat, Stifter gebe es kaum, möchte ich einen Hinweis geben. Auch wenn es nicht mein bevorzugtes Modell zur Finanzierung von Hochschulen ist: Die Technische Universität in Freiberg hat zwei Stifter, die ohne staatliche Unterstützung Geld geben, und zwar in erheblicher Höhe. ({0}) Das wollte ich nur einmal sagen. Herr Claus, Sie haben gesagt, die Regierungskoalition finde alles schön. Ich würde sagen: Wir finden nicht alles schön, was im Haushaltsentwurf steht, aber vieles. Zur Realität gehört auch - ja, das muss ich sagen -, dass das BMBF in den kommenden Jahren an einigen Stellen Umverteilungen - mein Kollege nannte es Umschichtungen - vornehmen muss. Wenn unser Ziel nämlich ist, Haushalte ohne neue Schulden aufzustellen, dann wird man davon nicht ganz wegkommen. Auch ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle einen deutlicheren Aufwuchs gewünscht. Umso wichtiger ist es aber - das wurde von einigen meiner Vorredner schon erwähnt -, dass wir im Koalitionsvertrag zusätzlich 9 Milliarden Euro für die Finanzierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung vereinbart haben. Damit sichern wir - das ist ganz wichtig zum Beispiel die Fortsetzung des Paktes für Forschung und Innovation als wichtigen Baustein einer erfolgreichen Entwicklung des deutschen Wissenschaftssystems. ({1}) Es wird auch in den kommenden Jahren wieder zu einem Zuwachs kommen - das wurde schon erwähnt; zunächst um 5 Prozent, später um 3 Prozent -, der unseren außeruniversitären Forschungseinrichtungen zugutekommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr Kaufmann, ich denke, das ist ein Erfolg der schwarz-roten Koalition. Darauf können wir wirklich stolz sein. ({2}) Denn damit zeigen wir, dass sich die außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf unsere Zusage verlassen können. Aber wir müssen auch sagen: Auch wenn wir festgelegt haben, um wie viel Prozent die Steigerung ausfällt, wird dieser Aufwuchs auf Dauer kein Selbstläufer sein. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, mit den Wissenschaftsorganisationen konkrete Ziele zu vereinbaren, zum Beispiel bei der Gleichstellung und der Nachwuchsförderung. Wie ich heute gehört habe, liegt die Nachwuchsförderung uns allen sehr am Herzen. Bei der Fortführung des Paktes für Forschung und Innovation werden wir daher insbesondere für diese beiden Bereiche messbare Zielvereinbarungen mit den Forschungseinrichtungen treffen. ({3}) Nach dem letzten GWK-Bericht „Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung“ lag der Frauenanteil bei Führungspositionen 2012 bei den außeruniversitären Einrichtungen bei gerade einmal 15,8 Prozent. Ich denke, da geht wesentlich mehr. Spezifische Zielquoten zur Gewinnung von weiblichem Nachwuchs und weiblichen Führungskräften sind daher ein wichtiges Instrument zu mehr Chancengerechtigkeit. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auf diesen Gebieten müssen wir etwas tun und uns dieser Problematik annehmen. Auch bei der Nachwuchsförderung - wir haben erst kürzlich darüber debattiert - und damit unmittelbar zusammenhängend dem Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ muss sich etwas tun, und wir müssen uns in der Koalition auf verschiedene Eckpunkte einigen. Um zukünftig junge Leute für einen Job in der Wissenschaft zu begeistern, muss es endlich eine signifikante Reduzierung der Quote der befristeten Arbeitsverhältnisse geben. Man muss an die Karriereplanung von jungen Menschen denken; denn es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass wir die besten Köpfe an unseren Universitäten und Forschungseinrichtungen halten, wenn wir ihnen solche Verträge anbieten. Das muss sich dringend ändern. ({5}) Ich denke, dass die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, an der wir derzeit arbeiten, ein ganz wichtiger erster Schritt dafür ist. Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass stellvertretend für die Unionsfraktion auch mein CDU-Kollege, Herr Rupprecht - Sie werden heute mehrfach erwähnt -, ({6}) - CSU, Entschuldigung ({7}) in der Frankfurter Allgemeinen für entsprechende Regelungen im Pakt für Forschung und Innovation plädiert hat. Das lässt hoffen. Neben dem Pakt für Forschung und Innovation ist ein weiterer Schwerpunkt des aktuellen Haushalts im Koalitionsvertrag vereinbart, nämlich die Stärkung des Aufund Ausbaus „einer breit aufgestellten Wissenschaftslandschaft und einer leistungsfähigen Spitzenforschung in den neuen Bundesländern“. Ich dachte, Herr Lenkert, Sie gehen darauf ein - ({8}) - Ich meine aber Herrn Lenkert. Er hat vorhin auch gesprochen. - Er hat sich mehr auf die Landespolitik bezogen. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich auf die Bundespolitik bezogen und gerade diesen Punkt erwähnt hätten; denn 28 Millionen Euro der im Koalitionsvertrag vereinbarten zusätzlichen Mittel finden sich im Haushaltstitel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“ mit einem Gesamtbudget von etwa 146 Millionen Euro wieder. Auch das wäre eine Erwähnung wert gewesen. ({9}) Um das, was bisher entstanden ist - ich denke hier an den Forschungscampus in Jena, Chemnitz oder Berlin; hier sieht es ganz toll aus -, ({10}) dauerhaft zu stärken, müssen die Mittel in den nächsten Jahren weiter verstetigt und zielgerichtet aufgestockt werden. Das wird eine Aufgabe der nächsten Haushalte sein. Der Fokus liegt dabei in einer weiteren Intensivierung von regionalen Kooperations- und Netzwerkaktivitäten sowie auf einer Zusammenarbeit mit überregionalen Partnern. Die aktuelle Initiative „Zwanzig20 - Partnerschaft für Innovation“ verfolgt - Swen Schulz hat es schon erwähnt - genau diesen Ansatz und findet sich auch in unserem Haushalt wieder. ({11}) Die Bundeskanzlerin sagte gestern, wir wollen Weltmeister in der anwendungsorientierten Forschung werden und eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft erreichen. Davon - das muss man ehrlich sagen - sind wir noch etwas entfernt. Denn es gibt nach wie vor in Deutschland eine erhebliche Lücke bei der Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft. Und genau diese Lücke gilt es in den nächsten Jahren zu schließen. Das ist mein dritter zentraler Punkt, auf den ich zum Schluss noch kurz eingehen möchte: Es geht um die Schaffung neuer Instrumente für einen besseren Transfer von Innovationen aus der Grundlagenforschung in nutzbare Dienstleistungen und Produkte. Gerade hierfür werden wir zunächst mit einem Aufwuchs von 4,5 Millionen Euro Initiativen fördern. Eine Initiative möchte ich erwähnen. Es ist die Förderinitiative „Forschungscampus - öffentlich-private Partnerschaft für Innovationen“.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Simone Raatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004380, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Ich möchte noch erwähnen, dass wir zukünftig auf die stärkere Kooperation zwischen den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Wert legen und auch die Fachhochschulen in ihrer Bedeutung stärken, indem wir mehr Forschungsmittel für die Fachhochschulen zur Verfügung stellen für eine Verbesserung des Wissenschaftsund Technologietransfers. Damit haben wir wichtige Schwerpunkte gesetzt, die wir im nächsten Jahr gemeinsam angehen könnten und wofür wir finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schwerpunkte im Haushalt, gerade in unserem, sind zum großen Teil richtig gesetzt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Tankred Schipanski das Wort. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie stand der Haushalt des BMBF so im Mittelpunkt und im öffentlichen Fokus wie in diesem Jahr: In der Rede unserer Bundeskanzlerin in der gestrigen Generaldebatte wurde er als zweiter Punkt genannt. Sie stellte ganz treffend fest, dass sich der Forschungs- und Bildungshaushalt gegenüber 2005 faktisch verdoppelt hat; er stieg von 7,6 Milliarden auf 15,3 Milliarden Euro an. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede den Etat des BMBF als Erstes erwähnt und stellte den Aufwuchs im Haushalt 2015 von 1,2 Milliarden Euro heraus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein sehr gutes und richtiges Zeichen. ({0}) Wir Fachpolitiker diskutieren heute in der Kernzeit. Sie sehen: Bei dieser Bundesregierung und in dieser Legislatur stehen Bildung und Forschung ganz oben. Im Jahr 2015 kommt ein ganz besonderer Erfolg hinzu, nämlich keine neuen Schulden im Gesamthaushalt - ein großer Erfolg. Dennoch gibt es eine absolute Schwerpunktsetzung beim Thema Bildung und Forschung. Da überrascht es mich schon, dass sich die Opposition in der gestrigen Generaldebatte über diesen großen Erfolg so echauffiert hat. Für mich als junger Abgeordneter ist der Haushalt ohne neue Schulden ein sichtbares Zeichen für Generationengerechtigkeit, für Nachhaltigkeit und für Verantwortungsbewusstsein. ({1}) Keiner kann verstehen, dass man sich da nicht freuen kann. Ich bin dem Bundesfinanzminister für diese schwarze Null sehr dankbar - auch wenn der Haushalt des BMBF eine hohe globale Minderausgabe enthält. Ich bin dankbar für die Schuldenbremse und weise zugleich darauf hin, dass nicht nur die Länder, sondern eben auch der Bund davon betroffen ist; sie stellt auch für uns eine Herausforderung dar. Ich bin dankbar, dass wir mit diesem Haushalt des BMBF die richtigen Prioritäten setzen, nämlich Innovationskraft und Zukunft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt wird von wichtigen Vorhaben begleitet. Wir haben gehört: Die BAföG-Reform und die Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz stehen an, der Hochschulpakt wird diskutiert. All das sind Maßnahmen, bei denen der Bund sagt: Wir nehmen unsere gesamtstaatliche Verantwortung ernst; auch wenn wir verfassungsrechtlich nicht in der Pflicht stehen, engagieren wir uns in unserem Bundesstaat, engagieren wir uns für das gesamtstaatliche Wohl der Bundesrepublik. - Das muss in gleicher Weise für die Bundesländer gelten. Ich darf an unsere staatliche Struktur erinnern, in der die Länder die Finanzverantwortung für die Hochschulen tragen. ({2}) Hier erwarte ich von den Ländern, dass auch sie ihre gesamtstaatliche Verantwortung wahrnehmen. ({3}) Da entsetzt mich das, was gegenwärtig in Niedersachsen passiert; Stefan Kaufmann hat das hier zu Recht mit Blick auf die BAföG-Vereinbarung angesprochen. Die Zeitschrift Forschung & Lehre hat Ende August eine Umfrage gemacht: Sie hat sich erkundigt, wie die Bundesländer die vereinbarten Mittel einsetzen. Das Ergebnis: Thüringen gibt seinen Anteil von 28 Millionen Euro komplett an die Hochschulen weiter; in Sachsen sind es 51 Millionen Euro, in Hessen 81 Millionen Euro usw.; Sie können das gerne nachlesen. Allerdings gibt es zwei Bundesländer, die sich überhaupt nicht an diese Vereinbarung halten: Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. ({4}) Am gestrigen Tage nahm hier im Hohen Hause der gegenwärtige Präsident des Bundesrates Platz, der niedersächsische Ministerpräsident. Der Bundesrat ist der Ort, an dem die Länder ihre gesamtstaatliche Verantwortung unter Beweis stellen. Kein Land - ich habe es Ihnen gerade gesagt - verletzt die BAföG-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern so gravierend wie Niedersachsen. ({5}) Die über die BAföG-Entlastung den Hochschulen zur Verfügung gestellten Mittel - in Niedersachsen sind es 113 Millionen Euro - will der Bundesratspräsident in die Kindergärten des Landes stecken und den Hochschulen vorenthalten. ({6}) Nun ist frühkindliche Bildung wichtig, und deswegen hat der Bund ein Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ aufgelegt. - Lieber Herr Gehring, weil Sie sich so echauffieren: Wir von der Union glauben noch daran, dass auch Eltern ihre Kinder betreuen können. ({7}) - So ist es. - Meine Damen und Herren, der Bund engagiert sich im Bereich der Kinderbetreuung wahrlich genug, und die BAföG-Mittel stehen dafür nicht zur Verfügung. ({8}) Es war vereinbart, dass diese an die Hochschulen gehen. Mit diesen Geldern, lieber Herr Schulz, kann man als Land auch Programme für den wissenschaftlichen Nachwuchs aufsetzen. Da machen wir überhaupt keine Vorgaben. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren in wenigen Wochen die Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz. Wir entwickeln eine Kooperationskultur. Kooperation setzt aber voraus, dass man sich aufeinander verlassen kann. ({10}) Was Niedersachsen gerade macht, ist das genaue Gegenteil von Verlässlichkeit. ({11}) Eine solche Politik eines Ministerpräsidenten, dazu noch eines Bundesratspräsidenten, ({12}) dem eigentlich das gute Miteinander zwischen Bund und Ländern in unserem föderalen Gemeinwesen am Herzen liegen sollte, ist für mich beschämend. Ich appelliere an Niedersachsen, dieses Geld den Hochschulen zur Verfügung zu stellen. ({13}) Der OECD-Bericht wurde schon angesprochen. Ich glaube, der Kollege Stefinger hat das sehr richtig erkannt: Die OECD hat unser durchlässiges System unter dem Titel „Kein Abschluss ohne Anschluss“ bis zum heutigen Tage nicht richtig verstanden. ({14}) Die OECD diskreditiert systematisch den deutschen Facharbeiter. Daher sagen wir trotz OECD: Uns ist die berufliche Bildung wichtig. Das ist für uns ein wichtiger Schwerpunkt. Daher schichten wir Mittel in diesen Titel um. ({15}) Auf das parlamentarische Verfahren wurde ja bereits verwiesen. Wir werden, lieber Kollege Rossmann, diesbezüglich zu einer guten Lösung kommen. ({16}) Uns ist daran gelegen, dass wir gemeinsam mit den Ländern flächendeckend für eine gute Berufsorientierung und eine gute Studienorientierung sorgen können. ({17}) Wir wollen damit auch deutlich machen, dass die berufliche und die akademische Ausbildung für uns den gleichen Stellenwert haben; Kollege Stefinger hat darauf richtigerweise hingewiesen. ({18}) Noch einmal zur Mär, dass der Bildungsabschluss von der sozialen Herkunft abhängt: ({19}) Unsere Maxime lautet: Kein Abschluss ohne Anschluss. Jeder, der sich nach einer Berufsausbildung weiterqualifizieren möchte, hat dazu die Möglichkeit. Alle haben die gleichen Bildungschancen. ({20})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Schipanski, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich freue mich auf die Kurzintervention. Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an unsere Programme „Offene Hochschulen“ und „Aufstieg durch Bildung“. Die TU Ilmenau, meine Heimatuni, hat aus diesen Programmen vor kurzem umfangreiche Mittel erhalten. Unsere Bundesforschungsministerin konnte sich von den Erfolgen dort überzeugen. ({0}) - Ja, genau, in Thüringen. Ich komme jetzt auf Thüringen zu sprechen, weil der Kollege Lenkert hier eindringlich an die Thüringer Landtagswahl erinnert hat, die am Wochenende stattfinden wird. Sie wissen: Thüringen ist eines der erfolgreichsten Länder unter den neuen Bundesländern. Die gegenwärtige Landesregierung unter Führung der CDU steht für Stabilität, für Verlässlichkeit und für Aufschwung. ({1}) Die Thüringer Hochschul- und Forschungslandschaft droht einzustürzen, wenn die Linke dort in Regierungsverantwortung kommen sollte. ({2}) Wir haben das an Ihrer Rede gesehen, Herr Lenkert. Das Wahlprogramm der Linken lässt Schreckliches erahnen: flächendeckende Einheitsschulen, Förderschulen sollen zerschlagen werden, Schüler sollen keine Schreibschrift mehr lernen, Noten sollen abgeschafft werden, demokratische Strukturen an den Hochschulen sollen abgebaut werden. ({3}) Die Hochschulen sollen durch den Geist der Planwirtschaft entmündigt werden. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Schipanski, lassen Sie diese Zwischenfrage zu?

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich erwarte in diesem Fall ebenfalls eine Kurzintervention. - Die Regelstudienzeiten sollen ausgesetzt werden, der Qualitätspakt Lehre soll abgeschafft werden, die leistungsbezogene Professorenbesoldung und die Forschungsfreiheit sollen stark eingeschränkt werden. Es geht weiter - Herr Lenkert, ich kann Ihnen das nicht ersparen -: Die Landkreise sollen aufgelöst, die Kreisfreiheit von Städten abgeschafft und somit Hochschul- und Wissenschaftsstandorte gefährdet werden. ({0}) Das Einzige, was die Linken gründen möchten, sind Cannabisklubs an Schulen und Hochschulen. ({1}) Das ist unverantwortlich. Das gilt es zu verhindern. Die Bildungsrepublik Deutschland darf nicht durch Rot-Rot in Thüringen gefährdet werden. Das ist mein Stoßgebet, Herr Schulz. Wir brauchen für die Wissenschaftslandschaft für Deutschland und in Thüringen Stabilität, Verlässlichkeit und Weiterentwicklungschancen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion über den Bundeshaushalt mit Ihnen im Ausschuss. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir haben jetzt zwei Kurzinterventionen. - Der Kollege Mutlu nicht? - Okay. ({0}) Aber Sie, Herr Lenkert, wollen eine Kurzintervention machen. Bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie die Kurzintervention zulassen, Herr Schipanski. ({0}) - Entschuldigung. Frau Präsidentin, vielen Dank. Ich möchte Herrn Schipanski an etwas erinnern: Das Abschaffen der Schreibschrift wurde vom CDU-Kultusminister im Jahr 2008 beschlossen. Das haben Sie abgeschafft. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Schipanksi.

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lenkert, Sie wissen, dass wir in einer Großen Koalition in Thüringen regieren. ({0}) Sie wissen, dass der Kultusminister von der SPD kommt und dass in der Tat in einer Verordnung steht: ({1}) Man kann an Grundschulen auch nur noch die Druckschrift und nicht mehr die Schreibschrift erlernen. Das hat sich die Linke - allerdings leider Gottes auch die SPD; das muss ich unserem Koalitionspartner hier sagen zu eigen gemacht. Nun wollen Sie in Thüringen die Schreibschrift abschaffen. ({2}) Darauf muss man hier ganz einfach einmal hinweisen können. Es ist traurig, Herr Lenkert, dass Sie das so lustig finden. Ich finde es wirklich beängstigend, was Rot-Rot in Thüringen in der Bildungspolitik vorhat. Daher hoffe ich sehr, dass weiterhin die Union in Thüringen in Regierungsverantwortung bleibt. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der Debatte fort. Jetzt hat der Kollege René Röspel das Wort. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei uns in Westfalen findet der Karneval immer Anfang des Jahres statt. ({0}) Deswegen versuche ich jetzt, Ruhe in die Debatte zu bringen. Ich wollte eigentlich zur Forschungspolitik sprechen, aber das schiebe ich jetzt ein bisschen nach hinten, weil die bisherige Debatte mich dazu angeregt hat, ein paar andere Sachen anzusprechen. Es ist gerade einmal ein Dreivierteljahr her, dass wir einen Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht haben, der, glaube ich, richtig gut ist. Wir versprechen darin, in dieser Legislaturperiode 9 Milliarden Euro für Bildung und Forschung auszugeben, nicht nur für den Bund, sondern für den gesamten Staat, Bund und Länder. Ein Großteil dieser Mittel geht tatsächlich an die Länder. Ich will ausdrücklich sagen: Ich finde das auch gut so. Wir können uns freuen, wenn ein junger Wissenschaftler als Doktorand bei einem Max-Planck-Institut angestellt wird. Dann kommt er sozusagen in unsere Bundeszuständigkeit. Kollegin Raatz hat deutlich gemacht, dass wir eigentlich genug Rucksäcke zu tragen haben, um diesem eine vernünftige wissenschaftliche Perspektive und ein anständiges Arbeitsverhältnis zu bieten. Aber nicht jeder Mensch wird als Bachelor oder als Diplom-Ingenieurin geboren. ({1}) Vor dieser Zeit, in der er dann bei uns ist, durchläuft er Kindergarten, Schule und Hochschule. Diese sind in der Regel in der Zuständigkeit der Länder. Das ist Teil des Föderalismus. ({2}) Es ist deswegen richtig, dass wir zum Beispiel durch die Übernahme des BAföG die Länder in den nächsten Jahren deutlich entlasten. ({3}) Interessanterweise - Herr Schipanski, ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, Sie haben es gesagt steht in den Vereinbarungen, dass die frei werdenden BAföG-Mittel für Schule und Hochschule verwendet werden sollen. ({4}) Das Schüler-BAföG macht 900 Millionen Euro aus, und 1,2 Milliarden Euro BAföG gibt es für Studierende. Der Anteil an Schülern ist also recht groß. Wenn ein Bundesland sagt, dass es erst einmal die Priorität auf den Beginn der Bildungszeit im Kindergarten legen will, dann finde ich das nachvollziehbar. ({5}) Die großen Herausforderungen im Bildungsbereich liegen tatsächlich bei den Ländern. Ich wäre da über manche Bundesregelung froh. Im Ruhrgebiet ist die Schulsozialarbeit wie in vielen anderen Ballungszentren ein wirklich wichtiges Thema. Das ist anders als im Sauerland, im Siegerland oder in bayerischen Landen. Es wäre wichtig gewesen - wir haben dies aber leider in den Koalitionsverhandlungen nicht hinbekommen -, dies durch den Bund zu finanzieren und die Länder da zu entlasten. Es gibt andere Themen, die wichtig sind und die vor uns stehen, zum Beispiel das Thema Inklusion. Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Leben nehmen. Was ist Inklusion? Früher, wenn ein Kind blind war, ist es auf eine Sonderschule gekommen. Diese heißen übrigens - das habe ich von Hubert Hüppe gelernt - Förderschule Schwerpunkt Sehen. Es war also ganz normal, dass dieses Kind irgendwo außerhalb des Wohnortes in eine Förderschule Schwerpunkt Sehen kommt und dort zusammen mit anderen blinden Kindern unterrichtet wird. Inklusion heißt: Wir wollen das anders versuchen. ({6}) Mein Sohn besucht die fünfte Klasse der Gesamtschule Hagen Eilpe. Erstmals ist eine Mitschülerin ein blindes Mädchen. Das ist nicht einfach. Alle müssen sich umstellen und aneinander gewöhnen. Das kostet im Übrigen auch Geld, weil sozialpädagogische und pädagogische Betreuung benötigt werden. Man muss richtig dafür zahlen. Ich vermute, dass wir alle das wollen, weil das eine sehr große Chance ist, nicht nur eine große Chance für das blinde Mädchen, unter anderen Kindern aufzuwachsen statt in einer Sonderschule, sondern es ist auch eine große Chance für alle anderen Mitschüler und eine große Chance für unsere Gesellschaft, gemeinsam aufzuwachsen. ({7}) Jetzt kann man natürlich sagen: Der Bund hat zwar die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, aber die Länder sollen sich gefälligst darum kümmern, die Inklusion hinzubekommen und die zusätzlichen Lehrer- und Pädagogenstellen zu bezahlen. ({8}) Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich glaube, das ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Wir als Bund werden unseren Teil dazu beitragen müssen. ({9}) Von den 9 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen, haben wir - jetzt bin ich bei der Forschung angelangt 3 Milliarden Euro bekommen, die wir in diesem Bereich verausgaben müssen. Ich bin sehr froh, dass wir etwas fortsetzen können, worum uns die ganze Welt beneidet. 2005 haben wir nämlich in der rot-grünen Koalition und unter Ministerin Frau Bulmahn - ich freue mich, Sie im Nacken bzw. im Rücken zu haben ({10}) den Paket für Forschung und Innovation auf den Weg gebracht. ({11}) Wir haben gegenüber den Wissenschaftsorganisationen - Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, DFG, HelmholtzGemeinschaft - das Versprechen abgegeben: Ihr bekommt - darauf könnt ihr euch verlassen - jedes Jahr 3 Prozent mehr Mittel, um damit perspektivisch und kontinuierlich Forschung betreiben zu können. In bin sehr froh, dass seither alle Regierungen, egal welcher Farbe, dieses Versprechen eingehalten haben. ({12}) Wir tun das auch dieses Jahr und diese Legislaturperiode. Ich bin, wie gesagt, sehr froh, dass uns das gelingt. Aber ich sage auch: Das ist so, als ob man einen Luftballon in einer Kiste aufbläst. Der Luftballon, der Pakt für Forschung, wird immer größer. Aber wir müssen aufpassen, dass das nicht zulasten anderer Bereiche, etwa der universitären Forschung, geht. Wenn man hört, dass es, zum Beispiel bei universitärer Demenzforschung, schon Schwierigkeiten gibt, weitere Projektmittel zu bekommen, dann muss man darauf achten, dass das nicht aus den Fugen gerät. Wir müssen eine Balance zwischen außeruniversitärer und universitärer Forschung hinbekommen. Wir haben das übrigens schon im Rahmen des letzten Haushalts, des Haushalts 2014, gemacht. Da haben wir zum Beispiel gesagt: Die Fachhochschulforschung ist unerhört wichtig für die Region, für den Mittelstand, für die wirtschaftliche Basis unseres Landes. Wir stellen dafür 2 Millionen Euro mehr zur Verfügung, weil sie nicht über die außeruniversitären Forschungseinrichtungen läuft. - Auch das müssen wir fortsetzen. Wir haben 1 Million Euro mehr für Friedens- und Konfliktforschung auf den Weg gebracht. Wenn man sich die Debatte heute Morgen angehört hat, muss man sagen: Es ist angesichts der Konflikte in dieser Welt doch völlig nachvollziehbar und richtig, dass wir hier mehr tun müssen und keinen Schritt zurück machen dürfen. Weil Frau Hübinger, die sich ja große Verdienste um diesen Bereich erworben hat, hier sitzt, sei mir ein letztes Beispiel erlaubt. Wir als Bundesrepublik Deutschland, als so reiches Land, müssen auch mehr bei der Forschung im Bereich vernachlässigter und armutsassoziierter Krankheiten tun. ({13}) Müssen wir erst Ebola haben, um zu erkennen, welch große Verantwortung wir als forschungsstarkes Land in diesem Bereich haben? Nein, eigentlich nicht. Ich beende meine Rede mit einem großen Lob an Frau Wanka ({14}) - das ist überhaupt kein Problem; Kritik und Lob gehören zusammen -, die am Montag ein Programm auf den Weg gebracht und sich damit eine Position zu eigen gemacht hat, die wir als SPD seit vielen Jahren vertreten. Es wird ein Programm für Dienstleistungsforschung, Produktionsforschung und Arbeitsforschung auf den Weg gebracht. Ein hochindustrielles Land wie Deutschland muss eine effiziente, ressourcensparende Produktion haben. Da müssen wir mehr tun und mehr forschen. Wir sind jahrelang gemahnt worden, dass wir im Bereich wissensintensiver Dienstleistungen viel zu wenig tun. Dieses Programm wird einen Impuls geben. Ich komme zum Schluss. In den letzten Jahren der schwarz-gelben Koalition sind die Mittel für die Arbeitsforschung immer weiter reduziert worden, obwohl die CDU auf diesem Gebiet eigentlich eine große Tradition hat; Herr Riesenhuber - er war vorhin hier - hat dies in den 80er-Jahren mit dem Programm „Humanisierung der Arbeit“ unterlegt. Wir wollen, dass Menschen unter vernünftigen, guten Bedingungen arbeiten. Wir brauchen Arbeitsforschung, damit diese Arbeit auch morgen, auch in Zukunft, möglich ist. Diesen Prozess werden wir weiterhin begleiten. Wir werden sehr viel Freude daran haben, in den nächsten Jahren in dieser Koalition an diesem Thema zu arbeiten. Machen Sie mit! Ein herzliches Glückauf! ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Frau Hübinger das Wort. ({0})

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzte Rednerin in dieser spannenden Debatte heute Vormittag - auch ich bin eine Haushälterin bleibt mir nichts anderes übrig, als alles noch einmal ein bisschen zu bündeln. Herr Schulz, Sie sagten, die Finanzplanung von Schwarz-Gelb sei immer weiter gesenkt worden. Das stimmt. Nur - das ist wie bei den Honigbienen -, die Finanzplanung ist nicht das, was am Ende ausschlaggebend ist. Entscheidend ist der Haushalt, der verabschiedet wird. Wir hatten uns unter Schwarz-Gelb vorgenommen, in vier Jahren 12 Milliarden Euro zu investieren. Letztendlich waren es 13,8 Milliarden Euro. Das hat jeden Finanzplan gesprengt. Auf diesem Weg schreiten wir voran. ({0}) Vor der Sommerpause hatten wir in der Haushaltsdiskussion die Thematik, wie die 9 Milliarden Euro für Bildung und Forschung eigentlich verwandt werden. Auch da wurden vonseiten der Opposition Zweifel angemeldet, ob diese Gelder denn auch vollumfänglich in diesen Zukunftsbereich Bildung und Forschung fließen werden. Das kann man nun sagen. Jetzt sind die Gelder aufgeteilt, und sie fließen in diesen Bereich. ({1}) Allein in unseren Haushalt Bildung und Forschung fließen 7,4 Milliarden Euro. Davon sind 2,5 Milliarden Euro für den Bereich Forschung und 4,9 Milliarden Euro - inklusive des Betrags für die Länderentlastung - für die Bildungsausgaben veranschlagt. Ich denke, das kann sich sehen lassen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund - auch das haben wir heute schon oft gehört - nimmt seine Aufgabe der Länderentlastung, wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, sehr ernst. ({3}) Das BAföG wurde schon ausgiebig debattiert. Hier muss ich mich noch einmal an den lieben Haushaltskollegen Swen Schulz wenden. ({4}) Ich habe mich gerade diese Woche noch einmal beim Saarland erkundigt - wir haben dort eine Große Koalition -: Die eingesparten Mittel fließen in Höhe von 1 Million Euro in die Schule, und da vor allem in die Ganztagsschule. ({5}) Also, man kann schon schauen, wie man das Ganztagsschulprogramm in anderer Form wieder aufleben lässt. Der Rest fließt in die Hochschule. Wir kommen also auch als Nehmerland unseren Aufgaben nach. ({6}) Zudem fließen zur Entlastung der Länder 2,2 Milliarden Euro in die Hochschulen, um sie weiter ausbauen zu können. Die Lehreroffensive wurde auch schon genannt. Mir als ehemalige Bildungspolitikerin ist es ein Herzensanliegen - das wurde in der CDU/CSU immer diskutiert -, dass die neuen Herausforderungen an Lehrer ein Maßstab dafür sein sollen, was genau an Mitteln in diese Offensive gesteckt wird. 45 Millionen Euro sind es in diesem Jahr. Aber eines dürfen wir bei der Länderentlastung auch nicht vergessen: Wir haben im Haushalt auch noch 715 Millionen Euro an Kompensationsmitteln stehen, die nach den Ergebnissen der Föderalismusreform an die Länder fließen. Allerdings lassen wir trotz schwieriger europäischer und internationaler Rahmenbedingungen auch nicht das Zukunftsthema Forschung außer Acht. Dieses Thema hat weiterhin Priorität. Wir setzen hier - das wurde ebenfalls öfter gesagt - auf Kontinuität. Die verbrieften jährlichen Steigerungen der Mittel für die außeruniversitären Forschungsinstitute betragen in diesem Jahr 5 Prozent. Ab dem nächsten Jahr werden es 3 Prozent sein, die der Bund dann allein tragen wird. Auch damit entlasten wir dann die Länder. Das ist etwas, was unseren Forschungsstandort sehr stark nach vorne gebracht hat, sodass weltweit der Fokus in Sachen Forschung auf Deutschland gerichtet ist. ({7}) Diese von allen gelobte Verlässlichkeit dieser Finanzierung muss weitergehen. Das werden wir auch so sicherstellen. Die 7,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln auf der Bundesebene führen dazu, dass wir auch in den kommenden Jahren Rekordhaushalte vorlegen können. Das zeigt ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung für diese Legislaturperiode. Der verabschiedete Haushalt 2014 hatte schon ungefähr knapp 14 Milliarden Euro, der heute debattierte Haushaltsentwurf hat 15,3 Milliarden Euro. 2017 werden wir in diesem Einzelplan über 17 Milliarden Euro veranschlagen. Das ist ein wunderbarer Aufwuchs. Damit kann man Politik sehr gut gestalten. Jetzt geht es aber darum, diese Politik so zu gestalten, dass unsere Kinder und Enkelkinder in Deutschland nicht nur eine Ausbildungschance, sondern auch eine Berufschance und eine Entwicklungschance haben. Bei diesen Beträgen - so muss ich sagen - muss doch eigentlich auch das Herz der Opposition höher schlagen. ({8}) Wie wollen wir diese Rekordinvestitionen künftig weiter ausgestalten? Wir Haushaltspolitiker müssen allerdings auch darauf achten, dass der Gesamthaushalt trotz mehrerer Steigerungen ausgeglichen ist. Die schwarze Null ist unser Ziel, wir wollen keine Neuverschuldung. Das ist besser als eine rote Null; denn die geht ja Richtung minus. Der Zweiklang aus steigenden Zukunftsinvestitionen und einem ausgeglichenen Gesamthaushalt - die Kollegin hat es schon benannt - ist wirklich kein Selbstläufer, sondern stellt an alle Beteiligten - an die Fachpolitiker, an uns Haushaltspolitiker, aber auch an das Ministerium sehr große Herausforderungen, die wir meistern müssen. Aus fachpolitischer Sicht stellt sich die Frage: Wo und wie setzen wir die neuen Schwerpunkte? Es wurden einige genannt: die neue Hightech-Strategie und auch die neue BAföG-Reform. Die Koalitionäre CDU/CSU und SPD haben in den Verhandlungen über den Haushalt 2014 schon einzelne Schwerpunkte benannt; diese Themen gilt es natürlich auch weiterhin fortzuschreiben. Das hat das Ministerium mit einer kleinen Ausnahme auch so getan; dafür herzlichen Dank! ({9}) Diese Ausnahme, das war die berufliche Bildung; da ist man wieder vom Finanzplan ausgegangen; das ist das übliche Haushaltsprozedere. Ich denke, da wird man in der Nachbetrachtung noch einmal genauer hinschauen. ({10}) In den vor uns liegenden Haushaltsverhandlungen - auch für die kommenden Jahre - geht es darum, IT-Sicherheit, Kindergesundheit, Wirkstoffinitiative, Dienstleistungsforschung, Alphabetisierung usw. finanziell zu untermauern. Nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels einerseits und der Potenziale in einer globalisierten Welt andererseits sowie der Herausforderungen im Gesundheitsbereich lohnt sich ein zweiter Blick auf die einzelnen Posten im Haushaltsplan. Herr Röspel, vielen Dank für das Lob! Die vernachlässigten Krankheiten sind mir ein Herzensanliegen, nicht erst seit der neuen, gravierenden Epidemie. Wir müssen diese Herausforderungen als forschungsstarkes Land annehmen und auch in diesem Bereich weiter vorangehen. Meine Zeit läuft ab. ({11}) - Meine Redezeit. - Ich darf sagen: Ich erwarte die Haushaltsverhandlungen mit Spannung. ({12}) Wir haben sie im letzten Jahr sehr kollegial geführt. Das sollte auch unsere Messlatte für die kommenden Jahre sein. Ich wünsche uns erfolgreiche Wochen. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel- dungen liegen mir zu dem Einzelplan 30 nicht vor. Ich rufe deshalb jetzt die nächsten Tagesordnungs- punkte, die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 k auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({0}) Nr. 354/83 im Hinblick auf die Hinterlegung der historischen Archive der Organe beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz Drucksache 18/1779 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Gewerbeordnung Drucksache 18/2134 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltstatistikgesetzes Drucksache 18/2135 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3}) Innenausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- zung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union Drucksache 18/2137 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2003 gegen Korruption Drucksache 18/2138 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4}) Innenausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Teilauflösung des Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Aufbauhilfeverordnung Drucksache 18/2230 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({5}) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes Drucksache 18/2337 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({6}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Drucksache 18/2442 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({7}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Haushaltsauschuss i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ Drucksache 18/2443 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({8}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit j) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2013 - Vorlage der Vermögensrechnung des Bun- des für das Haushaltsjahr 2013 - Drucksache 18/1809 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn k) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2013 - Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2013 - Drucksache 18/1930 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Hier handelt es sich um Überweisungen im verein- fachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell ist vorgeschlagen worden, die Vorlagen an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich jetzt bitte set- zen würden, dann kann ich über diesen Vorschlag ab- stimmen lassen. - Sind Sie damit einverstanden? Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Stimmt jemand dagegen? - Nein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Dann kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 3 a und 3 b; es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vor- lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 3 a: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({9}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2012 - Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2012 - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2012 - Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2012 - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({10}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes - Weitere Prüfungsergebnisse Drucksachen 17/14009, 17/14010, 18/111, 18/305 Nr. 4, 18/1220, 18/1379 ({11}) Nr. 1.7, 18/1971 Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1971 schlägt der Haushaltsausschuss vor, der Bundesregierung die Entlastung für das Haushalts- jahr 2012 zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen angenommen worden. Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung auf- zufordern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundeshaushaltspläne die Feststellungen des Haushalts- ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs- hofes zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei- dungen des Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die Berichtpflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen gewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Alle. Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 3 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({12}) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2013 - Einzelplan 20 Drucksachen 18/1560, 18/1972 Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung, also für die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? - Ebenfalls alle Fraktionen. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung, also für die Erteilung der Entlastung? - Auch wieder alle Fraktionen. Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen jetzt zum Geschäftsbereich Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Als erster Rednerin erteile ich der Bundesministerin Andrea Nahles das Wort. ({13})

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, bevor ich zum Haushalt komme, einige Bemerkungen zu den aktuellen Tarifauseinandersetzungen und den Streiks der letzten Wochen: Das Streikrecht ist ein zentrales Grundrecht, ein Eckpfeiler unserer Demokratie. Dennoch herrscht in diesen Tagen bei vielen Menschen Unverständnis über die Streiks. Der Grund liegt klar auf der Hand, denn zum Kern des Streikrechts gehört immer auch das Prinzip der Solidarität: Die Stärkeren treten für die Schwächeren ein. Man kann es auch auf die Formel bringen: Alle streiken gemeinsam für alle. ({0}) Das ist aber nicht das, was wir in diesen Tagen erleben, sondern hier scheint das Prinzip vorzuherrschen: Wenige schauen nur auf sich. Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung. ({1}) Das untergräbt den Zusammenhalt in unserem Land, und es legt die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie. Deswegen stehe ich hier klar für das Prinzip der Tarifeinheit ein. „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ hat über viele Jahre in Deutschland gegolten, und es soll auch wieder gelten. Wir werden das stärken. Deswegen werde ich hier in Kürze den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit vorlegen. ({2}) Nun komme ich aber zum Haushalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Einzelplan 11 beraten wir einen wichtigen Zukunftsetat. Ein gutes Leben für die Menschen in unserem Land, eine gute Zukunft für Deutschland: Das ruht auf drei Säulen, nämlich auf wirtschaftlichem Erfolg, auf sozialem Miteinander und natürlich auch auf den individuellen Chancen für jeden Einzelnen. Deswegen ist es wichtig, dass wir eines erreichen und sichern: eine hohe Beschäftigung in unserem Land. Machen wir uns klar, was eine hohe Beschäftigung, eine hohe Erwerbstätigkeit bedeutet: Sie sichert unseren Wohlstand, sie ist für unsere sozialen Sicherungssysteme essenziell, und sie ist auch die beste Zukunftsversicherung für den demografischen Wandel. ({3}) Deswegen ist mein Hauptziel als Arbeitsministerin, eine hohe Erwerbstätigkeit in Deutschland zu sichern und weiter zu fördern. ({4}) Wir haben eine extrem gute Ausgangslage: fast 43 Millionen Erwerbstätige - das gab es noch nie -, Tendenz steigend. Besonders stark steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Sie liegt mittlerweile bei über 30 Millionen. Gerade in der letzten Woche hat uns die OECD deswegen ein wirklich gutes Zeugnis ausgestellt: Unsere Beschäftigung wächst weiter, die Arbeitslosigkeit sinkt, und im internationalen Vergleich gibt es für uns überall beste Platzierungen. Ich zitiere: Deutschland gehört zu den Toparbeitsmarktperformern. Das ist aus meiner Sicht ein gutes Zeugnis für die gesamte deutsche Politik. Darüber können wir uns freuen ohne uns deswegen auf unseren Lorbeeren auszuruhen. ({5}) Uns allen muss klar sein: Mit Blick auf morgen müssen wir heute alles tun, um diese Entwicklung zu verstetigen und zu festigen. Zuerst will ich das Thema junge Menschen ansprechen. Entscheidend ist, dass die Übergänge von der Schule in die Ausbildung oder in den Beruf keine Stolperfalle mehr sind. In den 2000er-Jahren haben wir in diesem Land zu viele junge Menschen verloren, die nicht erfolgreich von der Schule in eine berufliche Ausbildung oder sonstige Ausbildung gelangt sind. Deswegen - da bin ich sicher, dass die gute Zusammenarbeit mit der Bildungsministerin Frau Wanka weiter Früchte tragen wird - werden wir an dieser Stelle mit der Etablierung von flächendeckenden Jugendberufsagenturen eine zentrale Veränderung bewirken: statt nachzusorgen, wo etwas schiefgegangen ist, wollen wir rechtzeitig helfen, damit es gelingt. Das ist das Grundprinzip, auf das wir uns verständigt haben. ({6}) Wir haben 500 Millionen Euro für die nächsten Jahre eingestellt, um die Berufseinstiegsbegleitung zu finanzieren. Berufseinstiegsbegleitung bedeutet: Wir beginnen mit der Begleitung der jungen Menschen schon in der Schule. Wenn es nötig ist, begleiten wir die jungen Menschen ein halbes Jahr und länger auch in der Ausbildung. Wir haben festgestellt, dass wir zwar viele junge Menschen vermitteln konnten, darunter auch viele schwächere Schüler, aber die Abbrecherquote ist zu hoch. Darauf zielt eines unserer ESF-Bundesprogramme. Mithilfe dieses Programms können wir 115 000 Schülerinnen und Schülern zusätzlich einen erfolgreichen Berufseinstieg ermöglichen. Das werden wir in den nächsten Jahren zu einem unserer Schwerpunkte machen. ({7}) Klar ist auch: Es geht nicht nur darum, Fachkraft zu werden, sondern auch, es zu bleiben. Das gelingt leider nicht allen. Ich denke zum Beispiel an Frauen, die nach der Erziehungszeit zurückkehren möchten: Sie sind hochqualifiziert, aber natürlich ist die Qualifizierung ein bisschen in die Jahre gekommen. So geht es auch Älteren und vielen gut qualifizierten Migranten. Deswegen werden wir im Herbst eine Partnerschaft für Fachkräfte mit den Arbeitgebern, den Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit und natürlich den zuständigen Ressorts auf den Weg bringen. Fachkräftesicherung ist ein wichtiges Zukunftsthema. Dafür legen wir mit diesem Etat den Grundstein. ({8}) Eine hohe Beschäftigungsquote erreichen wir aber nur, wenn wir wirklich allen - ich betone: allen - eine Chance geben. Deswegen nehme ich die Kritik der OECD ernst, die sich auf die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland bezieht. Das, was wir hier sehen, kann uns nicht zufriedenstellen: Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land zwischen 2006 und 2009 um 40 Prozent absenken können, aber seither stagniert sie. ({9}) Wir kommen hier nicht voran. Die Langzeitarbeitslosigkeit betrifft nicht immer dieselben Menschen. Aber von der Zahl von circa 1 Million Menschen kommen wir nicht herunter. Es ist für mich eine Zukunftsfrage, wie wir die vorhandenen Mittel effizient einsetzen, um Spielräume zu schaffen, damit wir von Passivleistungen wegkommen hin zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, also hoher Beschäftigung statt verfestigter Arbeitslosigkeit. ({10}) Hierfür stehen uns rund 900 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Geld eröffnen sich gute Möglichkeiten und Chancen für den Einzelnen. Das Programm soll dazu beitragen, gezielt Arbeitgeber anzusprechen, ein intensives Coaching zu ermöglichen und teilweise auch Lesen, Schreiben und Grundrechenarten überhaupt wieder so weit zu vermitteln, dass ein Einstieg in die Arbeitswelt möglich wird. ({11}) Ich denke, dass wir es mit diesem Programm schaffen können, viele Brücken für Menschen zu bauen, die diese sicher gerne beschreiten. Jeder hier weiß aber auch: Langzeitarbeitslosigkeit zermürbt und macht viele Menschen auf die Dauer hoffnungslos. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Jeder Mensch hat ein Recht auf Hoffnung, auf Arbeit und auf Chancen. ({12}) Grundlegend ist für mich daher eine gute und gelungene Integration in den Arbeitsmarkt. Aber wir wissen auch: Bei vielen geht es, jedenfalls erst einmal, nicht mehr um den direkten Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern wir reden hier in Wahrheit über soziale Teilhabe, über Dabeisein und Mittun in unserer Gesellschaft. Das ist eine Dimension, die wir auf der politischen Ebene alleine überhaupt nicht bewältigen können, schon gar nicht ohne die Kommunen, ohne die Bürgermeister vor Ort, ohne die Aktiven, die die Menschen ganz persönlich erreichen. Wir werden noch in diesem Jahr Vorschläge machen, die wir dann auch hier im Plenum beraten - ich habe auch angeboten, das im Ausschuss gesondert zu beraten -, um zu klären, wie wir auch für diese Menschen Brücken bauen können. Für die Zukunft ist also eine Menge zu tun. ({13}) Zukunftsfähigkeit heißt aber auch, eine hohe Erwerbstätigkeit der Älteren zu sichern. Deswegen werden wir im Dezember mit den Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen, die wir in der Arbeitsgruppe „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ erarbeitet haben. Diese Arbeitsgruppe arbeitet darauf hin, Hürden für Menschen, die über die normale Altersgrenze hinaus arbeiten wollen, zu beseitigen, damit sie weiter in Beschäftigung bleiben können. Sie versucht aber auch, flexiblere Möglichkeiten für den Eintritt in den Ruhestand zu finden. Wir sind zuversichtlich, dass wir einen wichtigen Schritt nach vorne machen und damit einen Beitrag zur hohen Erwerbstätigenquote und zur Fachkräftesicherung in unserem Land leisten können. ({14}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass es wichtig ist, dass die Menschen, die in Arbeit sind, gesund und motiviert bleiben. Ich möchte zwei Zahlen nennen, die ein deutlich wachsendes Problem beschreiben: Psychische Erkrankungen sind inzwischen die Ursache Nummer eins für Frühverrentungen. Von 15,4 Prozent im Jahr 1993 stieg die Zahl auf 42 Prozent im Jahr 2012. Noch beunruhigender ist: Diese Menschen sind im Durchschnitt 48 Jahre alt. ({15}) Die Zahl der Arbeitstage, die aufgrund von seelischen Erkrankungen ausfallen, hat sich im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt, und zwar von 33 Millionen ausgefallenen Arbeitstagen auf 59,5 Millionen Arbeitstage. Das ist schlimm für die Betroffenen, und das kostet auch. Das beschäftigt deswegen viele Unternehmen, und es beschäftigt nicht zuletzt auch die Krankenkassen und die Rentenversicherung. Deswegen bin ich meiner Vorgängerin, Frau von der Leyen, sehr dankbar, dass sie schon zu Beginn des Jahres 2013 einen großen Forschungsauftrag an die BAuA, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, vergeben hat, in dem es um die Aufbereitung von Kriterien für Stress auf einer verlässlichen wissenschaftlichen Basis geht. Denn eines möchte ich an dieser Stelle auch klar sagen: Diese Kriterien hat zurzeit niemand. Es gibt keine Blaupause, die wir nutzen können, um mehr für den Gesundheitsschutz zu tun. Ich nehme diesen Forschungsauftrag ernst und werde die Ergebnisse mit Ihnen zusammen diskutieren und, so hoffe ich, gemeinsam mit den Sozialpartnern Regelungen finden, die helfen. Denn darum geht es im Kern: um Arbeits- und um Gesundheitsschutz. Die damit verbundenen Herausforderungen müssen wir meistern. Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt ist für viele eine große Befreiung: Sie ermöglicht mehr selbstbestimmtes Arbeiten, Heimarbeit und vieles mehr, was noch vor 20 Jahren gar nicht denkbar war. Aber die Digi4708 talisierung ist janusköpfig: Zum einen ist sie eine große Chance; zum anderen kann das ständige Senden und Empfangen, die ständige digitale Kommunikation - übrigens auch in der Freizeit -, zu einer erheblichen Belastung werden. Das müssen wir uns vergegenwärtigen und hierzu die nötigen Lösungen erarbeiten. Das ist wichtig. Ich bin jedenfalls guter Dinge, dass wir in ein oder zwei Jahren mehr dazu wissen und uns konkreter damit auseinandersetzen können, als das in diesen pauschalen Debatten möglich ist. ({16}) Sie merken: Es gibt im Etat des Einzelplans 11 vieles, was in die Zukunft weist; es ist ein Zukunftsetat. Wir schaffen damit die Grundlagen für eine gute Erwerbstätigenquote auch in der Zukunft. Wir schaffen damit aus meiner Sicht auch eine gute Grundlage zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, gerade der verfestigten Arbeitslosigkeit. Wir werden auch die Zukunftsaufgaben, die im Zusammenhang mit der Sicherung des Fachkräftebedarfs stehen, anpacken. Deswegen freue ich mich auf die Debatte mit Ihnen in der nächsten Zeit. Danke. ({17})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, in Ihrem Haushaltsentwurf wird mehrmals auf die Fortführung eines Zukunftspaketes verwiesen. „Was ist das eigentlich für ein Paket?“, werden sich so einige fragen. Es ist vor allem ein Kürzungspaket der alten Bundesregierung aus Union und FDP aus dem Jahre 2010. Es wurde damals von der SPD scharf kritisiert, und zwar zu Recht. ({0}) Im Jahre 2014 sollte es eigentlich auslaufen. Ich will erinnern, worum es eigentlich ging bzw. geht: Es ging um die Abschaffung der Rentenbeiträge für die Bezieher von Hartz IV; es ging um die Anrechnung des Elterngeldes auf Hartz-IV-Leistungen; es ging um den Wegfall befristeter Zuschläge; es ging - das ist besonders schwerwiegend - um den Wegfall der Heizkostenkomponente beim Wohngeld. 2010 behauptete die Bundesregierung, dass dieses Kürzungspaket sozial ausgewogen sei. Das sehen wir von der Linken völlig anders. ({1}) Wir erwarten von einer sozialdemokratischen Ministerin, dass sie ein derartiges Sackgassenprogramm beendet und es nicht über die Zeit fortführt. Das wäre der richtige Weg, Frau Nahles. ({2}) Allerdings eröffnet Ihnen dieses Programm auch Möglichkeiten; es sollte nämlich auch neue Einnahmen geben: Die Finanztransaktionsteuer sollte ab 2012 jährlich 2 Milliarden Euro einbringen; diese Steuer gibt es bis heute nicht. Die Kernbrennstoffsteuer sollte ab 2011 2,3 Milliarden Euro einbringen; auch hier Fehlanzeige. Nun kann man immer viele Gründe nennen, warum es schwierig war, die Dinge durchzusetzen; aber es ist natürlich auch immer einfacher, den armen Menschen etwas zu nehmen, als den großen Konzernen und den Milliardären in unserem Land in die Tasche zu greifen. Damit hat sich augenscheinlich auch diese Regierung abgefunden, aber wir als Linke nicht. ({3}) Frau Nahles, wenn Sie sich noch einmal das gesamte Zukunftspaket anschauen, dann werden Sie feststellen, dass zum Beispiel die Reform der Bundeswehr 4 Milliarden Euro einbringen sollte und die Einsparung bei den Verwaltungsaufgaben im Verteidigungsministerium noch einmal 4,3 Milliarden Euro. Ich schlage Ihnen vor: Holen Sie sich dieses Geld aus dem Verteidigungsministerium. Das können Sie im Sozialbereich sehr gut gebrauchen. ({4}) Sie könnten damit locker die Wiedereinführung der Rentenbeiträge für Beziehende von Hartz-IV finanzieren. ({5}) Das wäre ein kleiner Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut. Bei diesem Schritt hätten Sie auch die volle Unterstützung der Fraktion Die Linke; das haben Sie bereits am Beifall gemerkt. ({6}) Ihre bisherige Rentenpolitik war kein Beitrag zur Verhinderung von Altersarmut. An dieser Stelle müssen wir im Bundestag dringend nachbessern. ({7}) Viele Rentnerinnen und Rentner im Osten würden sich schon freuen, wenn die Bundesregierung wenigstens zum 25. Jahrestag des Mauerfalls oder ein Jahr später zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit die deutsche Rentenmauer zwischen Ost und West endlich einreißen würde. ({8}) Ich sage Ihnen: Wenn wir endlich gleiche Renten in Ost und West hätten, dann könnte man die Rentnerinnen und Rentner in Ost und West auch nicht mehr gegeneinander ausspielen. Ich finde: Wenn wir uns auf die deutsche Einheit berufen, dann muss es ein großes Ziel sein, dass man die Menschen in Ost und West nicht gegeneinander ausspielen kann und dass wir gemeinsam der weiDr. Gesine Lötzsch teren sozialen Spaltung unseres Landes entgegenwirken. Das sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. Herr Kauder, ich würde mich freuen, wenn Sie aktiv daran mitwirken würden. ({9}) Vielen Dank. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sabine Weiss. ({0})

Sabine Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Im Bereich Arbeit und Soziales ist die Koalition in diesem Jahr mit hohem Tempo gestartet. Aus den drei Themen von CDU und CSU - Mütterrente, Erwerbsunfähigkeitsrente, Verbesserungen bei Rehabilitationsleistungen - und dem Thema der SPD - abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren - haben wir gemeinsam das Rentenpaket geschnürt, debattiert und verabschiedet. Die ersten Bescheide mit der erhöhten Mütterrente sind bereits bei etlichen von immerhin fast 9,5 Millionen Frauen eingetroffen, und das, obwohl der Gesetzentwurf das Bundeskabinett erst am 29. Januar dieses Jahres passiert hat. ({0}) Die Koalition hat also gezeigt, dass sie nicht nur arbeitsfähig, sondern in der Umsetzung ihrer Wahlversprechen auch schnell ist. ({1}) Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz haben wir unmittelbar danach ein weiteres wichtiges Problem in Angriff genommen. Auch hier wurde nach heftigem Ringen ein Weg zu einer gemeinsamen Lösung gefunden und das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet. In diesem Zusammenhang möchte ich eines deutlich sagen: Mir ist allemal ein heftiges Ringen und Streiten um eine gemeinsame Lösung lieber - das ist auch demokratischer - als keinerlei Auseinandersetzung und nur einfaches Abnicken. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien, in den Fraktionen, in den Abgeordnetenbüros und natürlich auch den Kolleginnen und Kollegen für die bisherige und gefühlt zukünftig gute Zusammenarbeit zu danken. ({3}) All die vorgenannten Maßnahmen sind haushaltswirksam für die kommenden Jahre. Wie im Jahr 2014 ist der nun vorgelegte Einzelhaushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der größte im Bundeshaushalt. Wieder entfällt auch dieses Jahr der weitaus größte Anteil auf die Sozialausgaben. Von insgesamt knapp 125 Milliarden Euro sind dies circa 117 Milliarden Euro. Der Einzelhaushalt des BMAS für 2015 ist aber Teil eines ausgeglichenen Bundeshaushalts, und zwar des ersten ausgeglichenen Bundeshaushalts ohne neue Schulden seit 45 Jahren. Wir läuten damit eine Zeitenwende ein und erfüllen unser Wahlversprechen. Die Finanzplanung zeigt, dass Bundeshaushalte ohne Neuverschuldung zukünftig Normalität werden sollen. An dieser Stelle sei aber angemerkt: Die Schuldenbremse ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund und Ländern. Sie einzuhalten, sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig. Es wäre schön, wenn sich zum Beispiel mein Heimatland Nordrhein-Westfalen auch daran hielte. Anders als vom Bund und anderen Ländern werden hier neue Schulden in Höhe von 3,2 Milliarden Euro aufgenommen. ({4}) Deutschland ist in den vergangenen Jahren gut durch alle Krisen gekommen. ({5}) Heute trägt gerade die stabile Situation - Frau Bundesministerin hat es erwähnt - von Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland erheblich zu wachsenden Steuereinnahmen und damit zu einem ausgeglichenen Haushalt bei. Dies ist den fast 43 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verdanken, die sich tagtäglich für unser Land engagieren. Damit das so bleibt, brauchen wir Investitionen der Wirtschaft in die Zukunft der Unternehmen und in Arbeitsplätze. Wirtschaft und Mittelstand müssen in der Politik einen verlässlichen Partner haben. ({6}) Die aktuellen Krisen innerhalb und außerhalb Europas machen der Wirtschaft in Deutschland zunehmend zu schaffen. Daher ist es umso wichtiger, dass unsere Wirtschaft auf die für sie wichtigen Rahmenbedingungen vertrauen kann. Dazu gehört, dass zukünftig möglichst keine neuen Belastungen auf die Wirtschaft und den Mittelstand zukommen. Deshalb müssen wir den effizienten Umgang mit Finanzmitteln auch im Sozialbereich sowie die Solidität und Finanzierbarkeit unserer sozialen Sicherungssysteme weiterhin aufmerksam im Blick behalten. ({7}) Sabine Weiss ({8}) - Hören Sie einmal zu; das kommt gleich. - Viele Aufgaben liegen noch vor uns wie zum Beispiel Rechtsvereinfachungen im SGB II, das Bundesteilhabegesetz, das Betriebsrentenänderungsgesetz und, und, und. In den nächsten Monaten werden wir uns inhaltlich insbesondere mit zwei weiteren Themen beschäftigen. Gegenwärtig beobachten wir wieder einmal heftige Arbeitskämpfe bei Bahn und Lufthansa. Streikbelastungen werden zu einem Problem für die Allgemeinheit. Zigtausende Menschen werden gehindert, die Verkehrsmittel zu nutzen. Es herrscht Unverständnis. Wir erleben hier Machtkämpfe zwischen den einzelnen Gewerkschaften. Deshalb steht das Thema Tarifeinheit ganz oben auf der Tagesordnung. Frau Bundesministerin Nahles hat hier erfreulicherweise gerade eben klare Worte gefunden. ({9}) Eine älter werdende Gesellschaft braucht die älteren Menschen. Daher ist schon vor der Sommerpause das Thema Flexi-Rente, angestoßen von den CDU-Mittelstandspolitikern, in den Fokus genommen worden. Die Ministerin hat auch dieses Thema bereits erwähnt. Es ist aber aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion falsch, dafür zu werben, immer früher in Rente zu gehen. Wer nicht mehr arbeiten kann, soll natürlich ohne größere finanzielle Einbußen in den Ruhestand gehen können. Dafür wurde ja auch die vorgezogene Rente mit 63 eingeführt. ({10}) Ein dauerhaftes Absenken des Renteneintrittsalters können wir uns aber schon wegen der demografischen Entwicklung finanziell gar nicht leisten. ({11}) Bei weniger Einzahlungen müssten mehr Auszahlungen gestemmt werden. Damit würde unser solidarisches Rentensystem überfordert. Renten und Beiträge wären letztlich nicht mehr bezahlbar. Und - das ist unser Ansatz - es wollen ja auch nicht alle so früh wie möglich in Rente gehen. Viele wollen gerne weiter im Erwerbsleben bleiben. Deshalb ist unser Votum: Die Menschen sollen selbstbestimmt in Rente gehen können. Darum wollen wir die Flexi-Rente einführen. Innerhalb der Koalition haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet, in der die verschiedenen Wege diskutiert werden, um das Weiterarbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Maßstab hierbei soll sein, nicht so früh wie möglich in Rente zu gehen, sondern so lange wie möglich arbeiten zu können. ({12}) Über konkrete Möglichkeiten für einen flexiblen Renteneintritt werden wir uns in den kommenden Wochen verständigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern hat der Deutsche Bundestag des Tages gedacht, an dem vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausbrach, der Schrecken, Elend und Tod verbreitete. Wir begehen in diesem Jahr, 2014, viele Jubiläen und Gedenktage. Heute gedenken wir zum Beispiel des Terroranschlages auf das World Trade Center in New York. Gestern war ein weiterer wichtiger Tag; ich erwähne ihn deshalb, weil er irgendwie an uns vorbeigegangen ist. Am 10. September vor 50 Jahren, also 1964, konnte der einmillionste angeworbene Arbeitsmigrant auf dem Bahnhof von Köln-Deutz begrüßt werden. Es war der Portugiese Armando Rodrigues de Sá; er wurde mit einem Mofa beschenkt. Dieser 10. September vor 50 Jahren war deshalb ein wichtiger Tag für Deutschland, weil die Arbeitsmigranten, die mittlerweile in unserem Land beheimatet sind, unser Land mitgeprägt und unter anderem einen wichtigen ökonomischen Beitrag geleistet haben. Die meisten Arbeitsmigranten sind einst gekommen, um ein paar Jahre zu bleiben. Sie hofften auf gut bezahlte Arbeit, um ihre zu Hause gebliebenen Familien zu unterstützen. Viele sind geblieben, haben ihre Familien nachgeholt oder in Deutschland eine Familie gegründet. Sie haben gearbeitet, Steuern und Sozialbeiträge gezahlt, Unternehmen gegründet und Häuser gebaut. Sie haben daran mitgewirkt, dass Deutschland heute eine so starke Wirtschaft hat. ({13}) Heute leben wir wieder in einer Zeit, in der uns auf dem Arbeitsmarkt in vielen Bereichen die Arbeitskräfte fehlen. Lassen Sie uns also gemeinsam - mit den Erfahrungen der Vergangenheit - eine Willkommenskultur für die Menschen leben, die hier sind, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und die noch kommen werden. ({14}) So leistet Deutschland zum Beispiel bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa einen wichtigen Beitrag. Mit dem Programm MobiPro erhalten junge Menschen aus dem europäischen Ausland eine Berufsausbildung in Deutschland. Mittlerweile ist MobiPro so erfolgreich, dass die Mittel deutlich aufgestockt werden mussten. Und möglicherweise werden viele Programmteilnehmer in Deutschland bleiben, die Fachkräftelücken füllen und hier eine neue Heimat finden. Auch das Projekt Triple Win soll dazu beitragen, die Fachkräftelücken in Deutschland zu schließen, insbesondere in den Pflegeberufen. Es sollen Menschen auch aus dem außereuropäischen Ausland zu uns kommen. Mitte August habe ich persönlich in Manila auf den Philippinen über dieses Projekt Gespräche mit den Vertretern der philippinischen Regierung und unserer Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, mit Vertretern von Pflegeschulen und dem Goethe-Institut geführt. Ich denke, wir sollten nochmals gemeinsam AnSabine Weiss ({15}) strengungen unternehmen, um das Projekt Triple Win voranzubringen. Denn der Pflegenotstand in unserem Land wird größer werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die weitere Arbeit in dieser Wahlperiode sollten wir bei allen Entscheidungen bedenken: Alles ist in Bewegung. Unsere Gesellschaft ist in Bewegung. Die Verhältnisse innerhalb und außerhalb Europas sind in Bewegung. All das bringt immer wieder die Notwendigkeit bzw. den Bedarf mit sich, vorhandene Regeln und Gesetze, aber eben auch Ressourcen anzupassen. Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam in konstruktivem Streit diese Herausforderungen annehmen. Herzlichen Dank. ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bevor gleich die Kollegin Deligöz das Wort erhält, hat jetzt der Kollege Kelber die Möglichkeit zu einer Kurzintervention.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Weiss, Sie haben gerade über die Haushaltslage in unserem gemeinsamen Heimatland Nordrhein-Westfalen gesprochen und dabei den Bundeshaushalt mit einem Landeshaushalt verglichen. ({0}) Ich komme übrigens aus einer Region in NordrheinWestfalen - Bonn und die Nachbarstadt Siegburg ({1}) mit den höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen in Nordrhein-Westfalen. In beiden Städten gibt es eine CDUMehrheit im Stadtrat. In Siegburg, das die höchste ProKopf-Verschuldung hat, hat die CDU sogar die absolute Mehrheit. Bevor Sie aber das nächste Mal Aussagen über die Entwicklung des nordrhein-westfälischen Landeshaushaltes treffen, würde ich Sie bitten, folgende Fakten, die ich Ihnen gleich vortrage, nachzulesen. Denn sie sind in offiziellen Dokumenten leicht nachprüfbar. ({2}) Im Jahr 2010 - Herr Kollege Kauder, Sie hatten einen Zuruf an mich gerichtet, den ich von der Regierungsbank aus nicht beantworten durfte - hatte die ausscheidende schwarz-gelbe Landesregierung unter Herrn Rüttgers noch einmal eine Finanzplanung vorgelegt. Damals war die Wirtschaftskrise schon überwunden, und die Landesregierung rechnete mit 1,5 Prozent Wachstum im Jahr, also mehr, als wir real hatten. Für das Jahr 2014 war eine Neuverschuldung von über 6 Milliarden Euro vorgesehen, in einem einzigen Haushaltsjahr. Also hat die rot-grüne Landesregierung schon jetzt gegenüber dem Entwurf von Schwarz-Gelb die Neuverschuldung halbiert, und im nächsten Jahr wird sie sie um zwei Drittel senken. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Weiss, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu antworten, und ich sehe, dass Sie von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen wollen.

Sabine Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Kelber, ich habe das geradezu provoziert, aber es musste einmal gesagt werden. Was zurzeit in Nordrhein-Westfalen los ist und dass der Finanzminister mit dem Verfassungsgericht gar nicht klarkommt - ihn holt jetzt sogar die Kölner Vergangenheit in Bezug auf die Hotelsteuer langsam wieder ein -, muss immer wieder einmal in Erinnerung gerufen werden. ({0}) Eines steht fest, und das kann man bundesweit erkennen: Dort, wo die CDU die Landesregierung stellt, geht es nicht nur den Ländern gut, sondern auch den Kommunen. ({1}) Das können Sie nicht durch irgendwelche Dinge besseroder schlechterreden. ({2}) Sie haben erwähnt, dass es einmal in den letzten Jahrzehnten - leider Gottes nur fünf Jahre; es war zu wenig Zeit - eine CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gegeben hat. Das wird sich aber in Zukunft ändern. Sie trauen dieser Landesregierung eine Menge zu, wenn Sie jetzt immer wieder darauf pochen, dass gerade diese fünf Jahre daran schuld sind, dass es dem Land Nordrhein-Westfalen so schlecht geht. Nein, dass es dem Land Nordrhein-Westfalen so schlecht geht, liegt an der schlechten Finanzpolitik der SPD-geführten Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahrzehnten. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt hat die Kollegin Ekin Deligöz für Bündnis 90/ Die Grünen das Wort.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jetzt das Vergnügen, die Debatte wieder zu den Haushaltsberatungen 2015 zum Einzelplan 11 zurückzuführen. ({0}) Wir stehen jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr vor den Beratungen des Einzelplans 11. Als Hauptberichterstatterin beginne ich damit, Frau Ministerin, mich bei Ihnen und Ihrem Hause zu bedanken. Wir Abgeordneten fühlten uns immer sehr gut unterstützt. Inhaltliche Differenzen haben dem Ganzen keinen Abbruch getan; es gab eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern Herrn Schurer und Frau Lötzsch. Herrn Fischer richten Sie bitte meine besten Genesungswünsche und auch besten Dank für die Zusammenarbeit aus. Wir gehen in eine neue Runde. Ich kann sehr positiv auf diese Beratungen blicken. In der Tat beraten wir den mit 125 Milliarden Euro größten Einzeletat. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir ehrlich wären, müssten wir diesen Etat deutlich höher ansetzen. Denn die Kosten des Rentenpakets sind in die Rentenkassen verlagert worden. Die Folgen werden erst in ein paar Jahren offen sichtbar. Wenn die Reserven aufgebraucht sind, das Rentenniveau abgesenkt ist und der Bundeszuschuss deutlich erhöht werden muss, dann werden Sie feststellen, dass das eine falsche Entscheidung für die künftigen Generationen gewesen ist. ({1}) Dann wird es aber zu spät sein, weil wir die angewachsenen Lasten dann wiederum in diesem Haushalt schultern müssen. Tragischerweise haben Sie nichts darüber gesagt, was in gesteigertem Maß auf uns zukommt, nämlich Altersarmut. Sie sagen: Vielleicht kommt die Lebensleistungsrente, vielleicht aber auch nicht. - Aber genau hier müssen wir ansetzen. Wir Grüne schlagen eine konsequente Strukturreform in Richtung einer Garantierente vor. Das ist ein effektiver Schritt gegen Altersarmut. In diesem Haushalt geht es nicht nur darum, Geld auszugeben. Vielmehr müssen wir auch mutig sein und Strukturreformen angehen und Mittel zielgenau einsetzen, damit wir auch in Zukunft von einem sozial gerechten Haushalt sprechen können. ({2}) Frau Ministerin, Sie haben recht: Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wichtiges Thema. Vorbehaltlich der EUGenehmigung werden Sie uns dazu ein neues Bundesprogramm vorlegen. Wir werden das sehr kritisch begleiten, weil das für diese Gesellschaft eine gravierende Belastung ist. Aber wir dürfen uns bei den einzelnen Instrumenten nicht verzetteln. Für einen Teil der abgehängten Menschen ist die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarkts möglicherweise der einzige zweckdienliche Weg. Damit müssen wir sehr ehrlich umgehen, auch wenn es manchmal schwierig zu sein scheint. Nicht zweckdienlich dagegen ist das, was gerade im SGB II bei den Grundsicherungsleistungen passiert. Bei den Eingliederungsmitteln hatten Sie die Verwendung von Ausgaberesten abgesichert, und zwar bis 2017. Das ist aber keine dauerhafte Aufstockung des Titels. Und: Wir verschieben seit Jahren Mittel von den Eingliederungsleistungen hin zur Deckung der Verwaltungskosten. Das setzt den gesamten Bereich der Eingliederungstitel immer mehr unter Druck. Das ist ein Zeichen dafür, dass Sie die Verwaltungskosten schlicht und ergreifend zu niedrig ansetzen. Das geht zulasten der Erwerbslosen, insbesondere der Langzeitarbeitslosen. Da brauchen wir auch mehr Haushaltsklarheit. Dem müssen Sie sich in den Beratungen stellen. ({3}) Ich kann nicht aufhören, zu betonen - das letzte Mal haben Sie das ignoriert -: Der Rücklagenaufbau in der Bundesagentur für Arbeit ist wichtig. Sie können natürlich davon ausgehen, dass es uns immer gut geht, und so jeden Haushalt auf Sand bauen. Nichtsdestotrotz werden wir auf dem Arbeitsmarkt mit anderen Herausforderungen konfrontiert sein. Zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen brauchen wir schneller höhere Rücklagen. Ich hoffe und wünsche, dass Sie das nicht weiter ignorieren. ({4}) Frau Ministerin, einen Satz Ihrer Rede möchte ich besonders herausstreichen. Er betrifft das Asylbewerberleistungsgesetz. Im Einzelplanentwurf haben Sie in der Tat Minimalstverbesserungen eingepreist. Aber Sie machen sich einen schlanken Fuß. Das, was Sie machen, entspricht nicht dem Geist des Verfassungsgerichtsurteils. Sie haben hier gesagt: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Hoffnung.“ Dieses Recht gilt auch für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in diesem Land. ({5}) Dieses Recht muss sich auch in Ihrem Haushaltsentwurf niederschlagen. Wir lassen Sie nicht aus der Verantwortung. Wir brauchen hier eine deutliche Verbesserung. Nicht umsonst gibt es ein Verfassungsgerichtsurteil dazu. Letzter Punkt. Wir werden uns in den Beratungen auch mit den ESF-Programmen befassen. Es beginnt eine neue Förderperiode, in der eine Straffung und neue Weichenstellungen vorgesehen sind. Wir als Grüne werden das operationelle Programm der Bundesregierung konstruktiv und kritisch begleiten. Wir befürchten, dass einiges wegfällt. Das betrifft nicht nur Ihr Haus, sondern auch andere Einzelpläne. Es gilt, bei den Schwerpunkten nicht nur mit Augenmaß, sondern auch mit Entschlossenheit voranzugehen. Über die konkrete Ausgestaltung werden sich die Berichterstatter noch einmal intensiv auseinandersetzen müssen. Frau Ministerin, meinem Dank zu Beginn meiner Rede füge ich hinzu: Wir brauchen in vielen Punkten Ihres Haushalts Entschlossenheit. Dabei setze ich nicht nur auf gute Kooperation, sondern auch darauf, dass Sie offen für unsere Kritikpunkte sind und sie nicht einfach vom Tisch wischen. Diese Punkte sind schließlich essenziell für die Weiterentwicklung Ihres Etats. Danke. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan Stracke. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, wir haben die von Ihnen geforderte Entschlossenheit, Frau Deligöz. Gleichzeitig gehen wir in die richtige Richtung. Die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, gehen nicht in die richtige Richtung. Deshalb werden wir sie nicht aufgreifen. Die wirtschaftliche Situation in diesem Land ist hervorragend. 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind ein hervorragendes Zeichen dafür, wie es um dieses Land tatsächlich bestellt ist. Das ist natürlich nichts, was aus sich selbst heraus zustande kommt, sondern es muss von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von den Arbeitgebern hart erarbeitet werden. Mit ihrer Kreativität sorgen beide Seiten dafür, dass wir hier gute Produkte erzeugen, die weltweit einen entsprechenden Absatz genießen. An genau dieser Stelle wollen wir weiterarbeiten. Das bedeutet auch, dass wir die richtigen haushalterischen Maßstäbe setzen. Dies hat der Bundesfinanzminister zusammen mit der Regierung getan. Die schwarze Null, die der zur Beratung anstehende Haushaltsentwurf vorsieht, ist etwas Hervorragendes. Denn damit stellen wir sicher, dass wir uns nicht weiter verschulden; vielmehr schaffen wir gute Voraussetzungen für die nachwachsenden Generationen. Die schwarze Null steht dafür in einzigartiger Weise; sie ist das Kennzeichen unserer Regierung, geführt von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. ({0}) Unsere Politik eröffnet die notwendigen Spielräume. Einige notwendige Spielräume haben wir bereits in diesem Jahr eröffnet, beispielsweise was die Mütterrente angeht: Von der Erweiterung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten profitieren rund 9,5 Millionen Menschen - Mütter, aber zum Teil auch Väter - in diesem Land. Die gute wirtschaftliche Entwicklung hat uns die Finanzierung der Mütterrente ermöglicht. ({1}) Bei der Diskussion über die Rente mit 63 haben wir von Anfang an darauf geachtet, keine Frühverrentungsanreize zu setzen. Frühverrentungsanreize wären nämlich angesichts all der Diskussionen, die die Bundesministerin, auch was die Fachkräftesicherung angeht, geführt hat, genau das Falsche. ({2}) Wir müssen bei all den Themen, die jetzt anstehen, natürlich darauf achten, dass wir die richtigen Maßstäbe setzen. Wenn wir über die Fachkräftesicherung in diesem Land reden, dann geht es von Anfang an um die Jugendlichen. Wir stehen hier, gerade was den europäischen Vergleich angeht, hervorragend da. Wir wissen: Jeder hat eine Chance verdient. Dafür, dass jeder eine Chance bekommt, sorgen wir. Ich sage den Arbeitgebern von dieser Stelle aus ausdrücklich Dank, da sie, gerade was die berufliche Ausbildung angeht, Hervorragendes leisten. Sie stellen viele Ausbildungsplätze zur Verfügung, mehr als vonseiten der Jugendlichen derzeit besetzt werden. Mit dem Ausschuss war ich erst vor kurzem beispielsweise in Rumänien und Bulgarien; mit der CSU-Landesgruppe war ich in Lettland. In diesen Ländern spielte immer wieder dieselbe Frage eine Rolle: Wie schaffen wir es, die Fachkräfte gut auszubilden? Das Berufsausbildungssystem in unserem Land wird dort als Beispiel herangezogen. Wir helfen anderen europäischen Ländern durch vielfältige Initiativen dabei, die guten Ansätze, die wir in Deutschland haben, auf sich zu übertragen. Es ist nicht selbstverständlich, dass unsere Arbeitgeber darauf achten, all denen eine Chance zu geben, die beispielsweise noch nicht die Ausbildungsreife erhalten haben. Dies tun sie in der Breite. Dabei achten wir insgesamt darauf, dass neben den akademischen Fähigkeiten auch die rein praktischen Fähigkeiten nicht verloren gehen. Wir brauchen jeden in diesem Land. Deswegen sorgen wir auch hier für die richtigen Rahmenbedingungen. Was dabei im Vordergrund steht, ist, die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen zu stärken. Deswegen sind Ausbildungsplätze so wichtig. Neben der Eigenverantwortlichkeit bedarf es natürlich auch des Engagements jedes Einzelnen. Es nutzt nichts, noch so viele Hilfesysteme zu implementieren, wenn man halt ein fauler Grippl ist und einfach nicht arbeiten will. Um Jugendliche auf den richtigen Weg zu führen, muss man vielmehr entsprechend ertüchtigen und notfalls die notwendigen Sanktionen verhängen. ({3}) Wenn wir auf der einen Seite darüber reden, möglichst viele Jugendliche ins Arbeitsleben zu bringen, geht es auf der anderen Seite darum, eine längere Beteiligung von Arbeitnehmern am Erwerbsleben zu gewährleisten. Dies ist gesellschaftlich und volkswirtschaftlich sinnvoll und geboten. Wir stehen deshalb geschlossen zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Das hat vor allem mit der demografischen Entwicklung in diesem Land zu tun. Während in den 60er-Jahren die Lebensdauer nach Eintritt in die Rente bei rund 10 Jahren lag, liegt sie jetzt bei nahezu 20 Jahren. Daher ist es richtig, dass wir die Regelaltersgrenze auf 67 Jahre angehoben haben. Es ist auch notwendig, dass wir bei der abschlagsfreien Rente mit 63 - ich habe es erwähnt - vor allem darauf achten, dass Frühverrentungsanreize von vornherein vermieden werden. Wir wollen einen Aufbruch in eine altersgerechte Arbeitswelt, und wir wollen aus der Rente mit 67 das Arbeiten mit 67 machen. Die betriebliche Praxis in diesem Bereich zeigt bereits viele erfreuliche Beispiele. Das Thema Gesundheitsschutz wurde angesprochen. Ja, wir wollen mit unserer Präventionsstrategie dafür sorgen, dass gerade in den mittelständischen und kleinen Unternehmen die betriebliche Gesundheitsvorsorge einen besseren Stellenwert erlangt. Oftmals sagen zunächst einmal die Betriebsführungen sozusagen vom Kopf her: Wir müssen etwas tun. - Meistens ist es ein Impuls, wenn die Zahl der Krankheitsausfälle wächst. Hier geht es darum, möglichst früh Anreize zu setzen. Deshalb werden wir eine Präventionsstrategie auf den Weg bringen. Ich glaube, dass die Tarifvertragsparteien hier gute Lösungen anbieten können. Das gilt auch bei den sonstigen Themen, Verordnungen oder Gesetzen, die anstehen und von denen der eine oder andere während der Sommerpause geredet hat. Wir sollten uns darauf zurückziehen, zunächst ein breites wissenschaftliches Fundament zu haben und nicht gleich vonseiten des Gesetzgebers und des Arbeitsministeriums nach Verordnungen zu rufen. Sinnvoller ist es, den Unternehmen hier möglichst viel Flexibilität einzuräumen, aber auch die Verantwortung der Arbeitgeber klar zu benennen. Sie müssen darauf achten, dass ein Arbeiten bis 67 in Zukunft auch möglich sein wird. ({4}) Daneben wollen wir aufgrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus flexibilisieren. Wir haben bereits einen bestehenden Alterskorridor von 63 bis künftig 67 Jahre, insbesondere für die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente. Dieser Korridor ist so breit angelegt, dass er vielfältigen Flexibilisierungsüberlegungen Raum lässt. Deswegen glaube ich, dass wir, insbesondere was arbeits- und tarifvertragliche Vereinbarungen angeht, bei all diesen Themen bereits jetzt genügend Spielraum haben. Das heißt konkret: Eine vorgezogene Altersrente ist bereits nach derzeitiger Rechtslage ab Vollendung des 63. Lebensjahres möglich. Eine Rente mit 60 Jahren bei versicherungsmathematisch korrekten Abschlägen halte ich nicht für sinnvoll, auch nicht in Form einer Teilrente. Eine Rente mit 60 wäre ein Irrweg für die Akzeptanz einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit und darüber hinaus vor allem eine Privilegierung von Gutverdienern, die sich Abschläge beispielsweise in Höhe von 25,2 Prozent leisten können. Was wir natürlich auch in den Blick nehmen müssen, ist, dass die Hinzuverdienstgrenzen bei einem vorzeitigen Renteneintritt nach derzeitigem Rechtszustand gut begründet sind. Meines Erachtens wäre es sozialpolitisch erklärungsbedürftig, dass ein Arbeitnehmer mit 63 Jahren vorzeitig in Rente geht und weiterhin beim bisherigen Arbeitgeber in unverändertem Umfang beschäftigt bleibt. Wir wollen - das haben wir uns als Koalition gemeinsam vorgenommen - insbesondere das Anliegen der Tarifvertragsparteien, dass bestehende Hinzuverdienstgrenzen einen Hinderungsgrund für praxistaugliche Vereinbarungen darstellen, entsprechend überprüfen. Dies steht im Koalitionsvertrag, ist aber auch Inhalt unseres Entschließungsantrages, den wir als Koalitionsfraktionen im Zuge der Debatte um das Rentenpaket beschlossen haben. Bei all diesen Überlegungen gilt meines Erachtens auch, dass wir die Erwerbsminderungsrenten mit in den Blick nehmen wollen und müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das geltende Recht bietet bereits jetzt vielfältige Flexibilisierungsmöglichkeiten für eine Weiterarbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze. Allerdings wissen wir, dass wir die Flexibilität noch weiter verbessern müssen. Deswegen haben wir eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet, die sich dieser Themen in den nächsten Monaten sehr intensiv annehmen wird. Ich glaube, wir werden hier zu sehr guten Ergebnissen kommen, gerade im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, sodass wir weiterhin gewährleisten können: Unser Rentenversicherungssystem ist stabil und bleibt stabil - gerade auch wegen der Maßnahmen dieser Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping, Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stracke, Sie haben hier in Bezug auf Erwerbslose den Begriff „fauler Krüppel“ verwendet. Ich muss das ganz klar zurückweisen. Ich finde, es ist nicht angemessen, sich in diesem Parlament so über Menschen zu äußern, die erwerbslos sind. ({0}) Ihre Analyse geht einfach am Problem vorbei. Wenn man sich die offiziellen Zahlen anschaut, dann sieht man, dass auf eine gemeldete offene Stelle im Durchschnitt sieben Erwerbsarbeitsuchende kommen. Das heißt, egal wie sehr sich die sieben anstrengen: Im Durchschnitt gehen sechs davon leer aus. Das Problem der Erwerbslosigkeit ist kein individuelles Problem, kein Problem, das allein beim Erwerbslosen liegt, sondern hat etwas mit der Wirtschaftsweise zu tun. Deswegen: Hören Sie auf, dem Einzelnen die Verantwortung für die Erwerbslosigkeit in die Schuhe zu schieben! ({1}) Kommen wir zum Haushalt. Wenn man sich die Zahlen im Arbeits- und Sozialbereich anschaut, so muss man sagen: Es macht kaum einen Unterschied, ob es nun eine schwarz-gelbe oder eine schwarz-rote Regierung gibt. Das sieht man auch im Bereich SGB II, besser bekannt als Hartz IV. Eine der wenigen Initiativen, die im Bereich Hartz IV gestartet wurden, ist die Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“, deren Vorschläge nun die Grundlage der Diskussion bilden. Weil ihre Vorschläge die Auseinandersetzung prägen werden, muss man dazu einiges sagen. Allein die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe - das ist auch von Ihnen, Frau Nahles, nicht mehr geändert worden - ist bezeichnend: Weder Gewerkschaften noch Erwerbsloseninitiativen durften an dieser Arbeitsgruppe teilnehmen. Deren Erfahrungen waren Ihnen offensichtlich egal. Wir aber meinen, die direkt Betroffenen gehören immer mit an den Tisch. ({2}) Bei solch einer Herangehensweise darf man sich dann auch nicht wundern, wenn die Arbeitsgruppe sehr ärgerliche Vorschläge unterbreitet. Um nur einen Vorschlag zu nennen: Zukünftig sollen selbst angemessene Mietkosten nach einem Umzug nur dann bezahlt werden, wenn der Umzug vorher genehmigt wurde. Das klingt erst einmal harmlos. Was heißt das aber? Es ist schon jetzt in vielen Städten verdammt schwer, im Rahmen der sogenannten angemessenen Unterkunftskosten eine Wohnung zu finden, die auch passt. Und dann findet jemand womöglich eine Wohnung, es gibt Verzögerungen bei der Genehmigung von Amts wegen, und dann ist die Wohnung, ehe die Genehmigung erteilt worden ist, womöglich weg. Wir meinen, das ist auf jeden Fall ein falscher Vorschlag. ({3}) Ich kann an Sie nur appellieren, diesen Vorschlag nicht aufzugreifen. Ich will einräumen, Frau Nahles, dass die ersten Meldungen, die von dieser Arbeitsgruppe durchgesickert sind, deutlich schlimmer waren. Ich erinnere nur daran, dass zuerst diskutiert worden ist - ({4}) - Wir diskutieren heute, was im kommenden Jahr ansteht. ({5}) Es gab Vorschläge, die deutlich schlimmer waren. Diese haben wir von der Linken öffentlich gemacht. Die Erwerbslosenbewegung hat dagegen demonstriert. Dass diese Vorschläge jetzt gestrichen worden sind, ist ein Erfolg der Erwerbslosenbewegung. Das zeigt ganz klar: Es lohnt sich, sich zur Wehr zu setzen. ({6}) Schwarz-Rot - das spiegeln auch die Zahlen im Haushalt wider - geht an das Thema Hartz IV vor allen Dingen mit der Haltung heran: Na ja, eigentlich müssen wir nur die bürokratischen Abläufe verbessern. - Ich aber meine, es kommt vor allen Dingen darauf an, die grundlegenden Fehler bei Hartz IV zu korrigieren und zu überwinden. Das wären unsere Vorschläge: Erstens: die Abschaffung des Konstrukts der Bedarfsgemeinschaft. ({7}) Zweitens: eine aktive Arbeitsmarktpolitik; meine Kollegin Sabine Zimmermann wird später dazu reden. Drittens: die Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV. Viertens. Wir müssen wirklich sicherstellen, dass jedem in diesem Land ein soziokulturelles Existenzminimum garantiert wird. „Soziokulturell“ heißt: Man muss sich sowohl Essen und eine Wohnung als auch eine Busfahrkarte und eine Tageszeitung leisten können. ({8}) Kurzum: Wir von der Linken sagen - fast zehn Jahre Erfahrung mit Hartz IV haben uns darin nur noch bestärkt -: Es kommt darauf an, Hartz IV zu überwinden, durch gute Arbeit und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung. ({9}) Nur einen Satz zur Rente: Hier spiegeln die Zahlen im Haushalt wider, dass das wichtigste, das dringlichste Problem nicht in Angriff genommen wird: Altersarmut droht auch Menschen mit mittleren Einkommen. Wir alle kennen doch die Zahlen: Wer im Jahr 2030 in Rente geht, muss mindestens 35 Jahre lang vollzeitversichert zum Durchschnittslohn gearbeitet haben, um eine Rente auf Hartz-IV-Niveau zu erhalten. Wir als Linke schlagen vor - wir wissen, dass man das nicht mit einem Haushalt erledigen kann; das braucht etwas Zeit, aber man muss das jetzt in Angriff nehmen -: Wir brauchen eine Rentenversicherung, in die alle einzahlen, auch Abgeordnete, auch Apotheker und auch Anwälte. Im Rahmen einer solchen Rentenversicherung für alle kann man auch eine Mindestrente organisieren. Wir meinen: Kein Rentner und keine Rentnerin soll im Alter unter die Armutsrisikogrenze fallen. Vielen Dank. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bevor jetzt gleich der Kollege Schurer das Wort erhält, bekommt für eine Kurzintervention das Wort der Kollege Stracke.

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, Sie haben mich direkt angesprochen. Ich möchte das, was Sie zu hören gemeint haben, richtigstellen. Mir liegt es selbstverständlich vollkommen fern, hier pauschale Verunglimpfungen zum Ausdruck zu bringen. Ich habe einen vielleicht allgäuerisch-bayerischen Slang benutzt, als ich von einem „faulen Grippl“ gesprochen habe. Ich habe nicht von einem „Krüppel“, sondern einem „Grippl“ gesprochen. Das ist jemand, der beispielsweise etwas zurückhaltend seiner Arbeit nachgeht. ({0}) Das war gemeint. Das war in keiner Art und Weise eine Verunglimpfung, wie Sie es verstanden haben. Ich bitte, das entsprechend zur Kenntnis zu nehmen. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich sehe nicht den Wunsch, darauf zu erwidern. Deshalb hat jetzt der Kollege Ewald Schurer für die Sozialdemokraten das Wort. ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren über den Einzelplan 11, über den Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Dieser zentrale Haushalt umfasst, wie schon dargestellt, immerhin fast 125 Milliarden Euro, also eine stolze Summe. Das entspricht fast 42 Prozent der Summe des aktuell vorliegenden Haushaltsentwurfs des Bundes für das Jahr 2015. Von der Frau Ministerin und der Kollegin Weiss wurde schon dargestellt, dass dieser Haushalt die großen Lebensbereiche der Menschen verkörpert. Ein Haushalt ist nie Selbstzweck. Die einzelnen Haushaltstitel stehen für Inhalte, zum Beispiel für den Bereich Rente und den Bereich Arbeit. Es geht um das Leben der Menschen, um die berufliche Bildung, die nach der hoffentlich guten schulischen Bildung beginnt. Dann geht es um das Arbeitsleben, das für die Menschen, wenn es gut läuft, später einmal bei guter Gesundheit im Rentenbezug mündet. Ich kann das Postulat unterschreiben: Es ist ein Erfolg, wenn Menschen möglichst lange am Berufsleben partizipieren können, wenn sie möglichst lange mitwirken können und zum geeigneten Zeitpunkt in Rente gehen können. Das ist das Ziel der sozialdemokratischen, aber auch, glaube ich, der christdemokratischen Rentenund Arbeitspolitik. In diesem Sinne legen wir diesen Haushalt vor. ({0}) Auch ich will - nicht nur aus Routine - dem Ministerium für Arbeit und Soziales Dank sagen. Ich danke der Leitung des Hauses, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem BMF und allen Mitarbeitern in den Bundestagsbüros. Es ist keine Selbstverständlichkeit, sich durch so große Haushalte durchzuarbeiten und alle Details sauber, ordentlich und beratungsfähig vorzulegen. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, bei aller Kritik, die ich vernommen habe, aber zurückweisen muss, weil etwas isoliert dargestellt wurde, nicht stimmt oder aus dem Kontext gerissen wurde - das gilt zum Teil auch für die Kritik von Frau Kipping -, muss man feststellen: Im Jahr 2014 werden laut aktuellem Haushalt für die Rentenversicherung, für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 88,4 Milliarden Euro ausgegeben. ({1}) Diese Summe wird sich peu à peu auf 101,3 Milliarden Euro in 2018 steigern. ({2}) Das ist angesichts des gesellschaftlichen Hintergrunds, angesichts der demografischen Entwicklung und der Maßgabe eines stabilen Rentenbeitrags eine gewaltige Erhöhung in der mittelfristigen Finanzplanung. Ich glaube, dass die Entlastung der Kommunen, über die immer wieder diskutiert wird und die von den über 12 000 Kommunen in Deutschland zu Recht eingefordert wird, ein entscheidender Punkt ist. Die Entlastung der Kommunen führen wir mit diesem Haushalt fort: Erstens übernimmt der Bund 2015 100 Prozent der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dafür waren 2013 3,7 Milliarden Euro angesetzt, für 2015 sind es bereits 5,9 Milliarden Euro, und der Ansatz steigt bis zum Jahr 2018 auf immerhin veritable 7,2 Milliarden Euro. Das ist eine effektive Entlastung der Kommunen in diesem Bereich. Das muss man hier hervorheben. ({3}) Zweitens. Auch 2015, 2016 und noch 2017 wird es diese Milliarde mehr an die Kommunen zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geben. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Ich denke, spätestens 2018 wird es weitere Entlastungen durch das Bundesteilhabegesetz geben. Das ist die Zielsetzung der, ich sage mal, christlich-sozialdemokratischen Koalition; früher wurde immer so gern von „christlich-liberal“ gesprochen. Wenn die Linken keinen Unterschied zwischen einer Koalition mit Liberalen und einer mit SozialEwald Schurer demokraten sehen, ist es allein das große Problem der Linken. Die Wahrheit ist jedoch eine ganz andere, verehrte Kollegin Kipping. Wir sind also dabei, ein Bundesteilhabegesetz vorzubereiten. Das wird eine Herkulesarbeit sein. Die Sozialgesetzbücher müssen modifiziert werden. Neue Impulse müssen gesetzt werden. Die große Zielsetzung ist, dass die Kommunen dann, wenn das Bundesteilhabegesetz in Kraft ist, erneut um 5 Milliarden Euro entlastet werden. Auch das ist ein riesiges Projekt, das sich von Projekten der Vorgängerregierung gewaltig unterscheidet. Wer das nicht sieht, ist betriebsblind. ({4}) Thema Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben einen sehr guten Arbeitsmarkt; das ist klar. 43 Millionen Menschen sind beschäftigt, davon rund 30 Millionen sozialversicherungspflichtig. Man kann sagen: Wir stehen europäisch und weltweit sehr gut da. Das ist richtig. Wir haben einen robusten Arbeitsmarkt. Wir hoffen auch, dass der Arbeitsmarkt trotz der kleinen wirtschaftlichen Eintrübungen, die wir derzeit erleben - vielleicht stehen diese im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und mit einer binnenwirtschaftlichen Schwäche des großen und wichtigen Partners Frankreich -, in den nächsten Monaten und Jahren robust sein wird. Das ist die Voraussetzung. Man muss sagen: Es gibt auch Programme, die von großer Bedeutung sind. Hier sehen wir einen Übergang von der bundesdeutschen in die europäische Dimension. Das Sonderprogramm „MobiPro-EU“ ist schon erwähnt worden. Ich will noch einmal seine Bedeutung herausarbeiten: „MobiPro-EU“ bietet eine Win-win-Situation. Derzeit bekommen dadurch 6 000 junge Menschen eine Berufsausbildung, und 2 500 Fachkräfte werden ausgebildet und geschult. Das kostet Geld. Wir haben die Ausgaben im letzten Jahr verdoppelt und setzen im Jahr 2015 102 Millionen Euro dafür an. Ich halte das Programm deswegen für wichtig, weil ich es in der Dualität mit der Europäischen Union sehe. Wir tun hier etwas für die deutsche Wirtschaft, und wir tun etwas für junge Menschen aus europäischen Nachbarländern. Liebe Ministerin Nahles, werte Kolleginnen und Kollegen, ich muss an dieser Stelle eines zum Ausdruck bringen: So solidarisch, wie wir uns hier als schwarzrote Koalition verhalten, so enttäuscht bin ich über die Umsetzung der Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern, die es dringend nötig haben. ({5}) Ich bin sehr enttäuscht darüber, auch als Europahaushälter, dass seit zwei Jahren 6 Milliarden Euro sozusagen disponiert sind und dass, wie Minister Schäuble bestätigt hat, nur wenige Millionen davon umgesetzt werden. Das halte ich für einen großen europäischen Skandal, der während der Ratspräsidentschaft der Italiener dringend angegangen werden muss. ({6}) Ich bin mir sicher, dass die Ministerin in Rom eine deutsche Initiative einbringen wird, um diesen Skandal und diese Herausforderung schnell anzugehen und Lösungen zu finden. Denn in manchen Ländern in Europa sind Millionen von jungen Menschen ohne Hoffnung, stehen trotz einer guten Berufsausbildung abseits und verlassen ihre Länder zum Teil fluchtartig. Das kann so nicht bleiben. ({7}) Das ist die große Herausforderung für die Europäische Kommission. Der deutsche Beitrag wird in diese Richtung gehen. Auch wenn wir diesen guten Arbeitsmarkt loben, bin ich trotzdem in großer Sorge, dass wir bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit nicht die Erfolge haben, die wir uns alle in der Vergangenheit gewünscht haben. Wir haben über Instrumente debattiert, wir haben sie ausprobiert und evaluiert. Wir brauchen dringend Ansätze, um bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit mehr Erfolge zu erzielen. Ich lobe hier - das darf man; das gehört dazu - das sehr gute Papier der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, die hier einen wichtigen Impuls gesetzt haben, und das, was es von den Gewerkschaften und den Sozialverbänden dazu gibt. Ganz zum Schluss sage ich: Ich würde mir wünschen - auch wenn der Kollege Fraktionsvorsitzende das vorhin ein bisschen lustig kommentiert hat -, dass SPD und Union über den Koalitionsvertrag hinaus auch über Programme für öffentlich geförderte Jobs reden würden, ({8}) und zwar im Benehmen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Eine solche Initiative ist dringend notwendig. Als Haushälter bin ich der Meinung, dass eine solche Initiative eine Stufe auf dem Weg zum ersten Arbeitsmarkt sein könnte. Menschen, die arbeitsmarktfern sind, müssen gezielt gefördert werden, vielleicht auch durch öffentliche Impulse. Wenn wir sie richtig setzen, können wir von den fast 1,1 Millionen Menschen, die in dieser Zone der Hoffnungslosigkeit sind, einige Zehntausend, vielleicht sogar 100 000 Menschen oder mehr, wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen. ({9}) Eine solche Zwischenstufe wie öffentlich geförderte Impulse am Arbeitsmarkt halte ich für dringend notwendig. Das würde ich mir, wie gesagt, wünschen. Herzlichen Dank. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Sozialpolitik bemisst sich nicht einfach daran, wie viel Geld ausgegeben wird. In diesem Bundeshaushalt wird in der Tat viel Geld ausgegeben. Aber entscheidend ist, was hinten rauskommt. ({0}) - „Da hatte Helmut Kohl völlig Recht“, sagt der Kollege Birkwald von den Linken. - Gute Sozialpolitik ist vor allem danach zu bewerten, wie wir mit denen umgehen, die am Rand der Gesellschaft stehen oder ausgegrenzt werden. ({1}) Diesbezüglich ist die Bundesregierung eine einzige schwarz-rote Null. Heute ist Tag der Wohnungslosen. Wir haben die Bundesregierung aus diesem Anlass befragt. Das Ergeb- nis war: Erstens. Die Bundesregierung hat keine eigenen Zahlen, sondern verweist auf die Zahlen der BAG Woh- nungslosenhilfe, die zwangsläufig a) nicht aktuell genug sind und b) nur grobe Schätzungen sind. Wir brauchen endlich eine offizielle Wohnungslosen- und Obdachlosenstatistik, um zielgenau helfen zu können. ({2}) Zweitens wurde an Ihrer Antwort deutlich: Sie haben überhaupt kein Interesse am Thema Obdachlosigkeit. Sie haben auch kein Interesse daran, etwas dagegen zu unternehmen. Überhaupt ist Armut für Sie kein Thema. Auch diesmal haben wir nichts zu diesem Thema gehört. Die armen Menschen sind Ihnen schlicht egal. Wir haben eben gehört, Sie seien - angeblich - eine christlich-sozialdemokratische oder christlich-soziale Koalition. Wenn man sich nicht einmal ein kleines bisschen um die Bekämpfung der Armut bemüht, ist das weder sozial noch christlich. ({3}) Ein paar Beispiele dazu. Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im SGB II - ein fürchterlicher Name - ist von der Kollegin Katja Kipping schon angesprochen worden. So wie sich der Titel anhört, war auch ihre Arbeit. Es ging um Rechtsvereinfachung und Verwaltungsvereinfachung, allerdings nur aus Sicht der Verwaltung bzw. der Behörde und überhaupt nicht aus Sicht der betroffenen Menschen. Das wäre aber das, was unbedingt nötig ist. Wir brauchen tatsächlich Vereinfachungen, weniger Hürden, einfachere Regeln, aber aus Sicht der Betroffenen, damit sie leichter an die Leistungen kommen. Wir brauchen auch ein konsistentes, transparentes Grundsicherungssystem. Sechs verschiedene Grundsicherungsleistungen sind in vier verschiedenen Gesetzen geregelt. Zählt man das BAföG dazu, haben wir sogar fünf Gesetze und sieben Leistungen. Das alles ist nicht wirklich konsistent. Das führt dazu, dass Menschen Leistungen gar nicht in Anspruch nehmen, teilweise von einem System in das andere geschoben werden, durch das Netz fallen. Hier müsste man ansetzen, um tatsächlich ein stabiles Grundsicherungsnetz hinzubekommen. ({4}) Was wir natürlich auch brauchen, ist ein höherer Regelsatz. Es kann nicht sein, dass der Regelsatz immer weiter unter das Niveau der Armutsrisikogrenze sinkt. ({5}) Zu diesem Thema gab es in dieser Woche zwei Nachrichten. Erstens gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Regelsatz. Wenn man es genau liest, stellt man fest: Es ist eine Ohrfeige für die vorige Bundesregierung. Das gilt aber auch im Hinblick auf die Berechnungen, die zuvor angestellt worden sind. Alle Rechentricks, die angewendet worden sind, um den Regelsatz niedrig zu halten, sind in diesem Urteil aufgeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Der Regelsatz ist trotzdem verfassungsgemäß, aber nur noch so gerade eben. - Es hat die Bundesregierung aufgefordert, nachzuweisen, dass die einzelnen Bestandteile des Regelsatzes tatsächlich existenzsichernd sind. Diesen Nachweis müssen Sie jetzt erbringen. Sie müssen belegen, ob seine Bestandteile existenzsichernd sind oder nicht, und entsprechende Studien in Auftrag geben. ({6}) Die zweite Nachricht dieser Woche lautet: Der Regelsatz wird um 8 Euro erhöht - um sage und schreibe 8 Euro. Die Bild-Zeitung hat daraus gleich einen Skandal gemacht, weil dadurch der Regelsatz stärker steigt als die Rente. Der Peter Weiß, den ich ja sonst sehr schätze, sagte dann: Es war nicht die Politik, sondern das Bundesverfassungsgericht, das entschieden hat, die Leistungssätze für die Grundsicherung von Arbeitslosen von der Entwicklung der Renten abzukoppeln. Das sei „bedauerlich“, sagte er weiter. ({7}) Dabei geht es, wie gesagt, um 8 Euro. Ich fordere Sie auf: Hören Sie endlich auf mit diesen Neiddebatten, und hören Sie auf mit dem Bashing des Bundesverfassungsgerichts! ({8}) Apropos Bundesverfassungsgericht. Vor über zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Jetzt gibt es nach über zwei Jahren immerhin einen Gesetzentwurf. ({9}) Das ist ja schon einmal etwas. Aber die eigentlich konsequente Lösung, nämlich die einfachste und sozialste, die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, findet wieder nicht statt. Das Gesetz gehört abgeschafft. ({10}) Das wäre auch ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie und zur Rechtsvereinfachung, und das würde der Diskriminierung von Asylbewerbern als Menschen zweiter Klasse ein Ende setzen. ({11}) Wer Asyl beantragt hat, sollte auch arbeiten dürfen, und wenn sie oder er keine Arbeit findet oder zu wenig verdient, dann gibt es Hartz IV. Punkt! Es gibt keinen Grund für eine Grundsicherung zweiter Klasse und keinen Grund dafür, Asylbewerber anders zu behandeln als andere Menschen, die hier leben. ({12}) Das gilt auch für Unionsbürgerinnen und -bürger, die vor Armut und Diskriminierung fliehen. Wir müssen Menschen, die zu uns kommen, die vor Armut und Diskriminierung geflohen sind, helfen und unterstützen, dürfen sie nicht diskriminieren und wieder in Armut stürzen. ({13}) Weiter müssen wir an den Ursachen der Armutsflucht ansetzen. Dafür bräuchte es einen stärkeren Einsatz dieser Bundesregierung für Armutsbekämpfung auf europäischer Ebene. Aber auch an dieser Stelle ist diese Regierung eine schwarz-rote Null. Auch ein soziales Europa, bessere Armutsbekämpfung insgesamt, ist kein Thema. Ein „soziales Europa“ werden wir sicherlich an anderer Stelle noch ausführlicher diskutieren. Klar ist: Die Politik der Bundesregierung geht tatsächlich an den Schwächsten in diesem Land vorbei, und, wie gesagt, das ist eine einzige schwarz-rote Null an dieser Stelle. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Mark Helfrich, CDU/ CSU. ({0})

Mark Helfrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004298, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn das Land glücklich sein soll, muss es Ordnung in seinen Finanzen halten. Gute Verwaltung der Einnahmen und gute Regelung der Ausgaben: Das ist die ganze Finanzkunst. Noch nie hat eine arme Regierung sich Ansehen verschafft. Dieser finanzpolitische Grundsatz stammt aus der Feder des vielleicht berühmtesten preußischen Königs, Friedrich des Zweiten, der schon zu Lebzeiten den Beinamen „der Große“ erhalten hat. Er hat auch heute, knapp 230 Jahre nach Friedrichs Tod, seine Gültigkeit nicht verloren. Ordnung in unsere Finanzen zu bringen, das war und ist auch einer der wichtigsten Leitsätze der Regierung unter Angela Merkel. In diesem Jahr würde der Alte Fritz wohl seinen Dreispitz vor uns ziehen. Denn der vorliegende Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2015 ist seit fast einem halben Jahrhundert der erste, der ohne neue Schulden auskommt. Diesen haushaltspolitischen Erfolg haben wir uns durch einen konsequenten Konsolidierungskurs der unionsgeführten Koalitionsregierung hart erarbeitet. Darauf können wir und die Menschen in unserem Land zu Recht stolz sein. Das ist eine historische Leistung. Mit der Abkehr von der jahrzehntelangen Politik der Schuldenfinanzierung, vom süßen Gift der immer weiter steigenden Staatsverschuldung, zeigen wir, dass wir es mit der Verantwortung für künftige Generationen ernst meinen - im Sinne von Ludwig Erhard: Wir haben die Pflicht, in Generationen zu denken. ({0}) Nun soll es auch genug sein mit historischen Zitaten. Kommen wir in die Gegenwart! Wir haben heute fast 43 Millionen erwerbstätige Männer und Frauen, und der Jobmotor läuft weiterhin rund. In Deutschland sind knapp über 30 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt - so viele wie noch nie zuvor. Dank des robusten Arbeitsmarktes füllen sich die öffentlichen Kassen in Deutschland wie lange nicht mehr. Allein die Sozialversicherungen erwirtschafteten im ersten Halbjahr dieses Jahres ein Plus von 7,1 Milliarden Euro. Das alles ist Resultat einer erfolgreichen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre und ist - ich kann mich nur wiederholen - Grund, sich zu freuen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere gute Wirtschafts- und Haushaltslage darf uns aber nicht den Blick auf die vor uns liegenden Herausforderungen verstellen. Noch haben die aktuellen geopolitischen Krisen keine Spuren in unserem robusten Arbeitsmarkt hinterlassen; doch niemand von uns kann vorhersagen, wie sehr zum Beispiel der bewaffnete Konflikt in der Ostukraine und die darin begründeten Sanktionen gegen Russland das deutsche Wirtschaftswachstum und auch den deutschen Arbeitsmarkt beeinflussen werden. Deshalb warne ich ausdrücklich und eindringlich alle davor, dem Irrglauben anzuhängen, die Wachstumslokomotive sei durch nichts zu stoppen. Wir haben in diesem Hause im ersten Halbjahr 2014 eine ambitionierte sozialpolitische Agenda gemeinsam auf den Weg gebracht. Ich persönlich sehe keinen Spielraum dafür, auf bestimmte Schultern weitere Gewichte zu packen, sei es im Bereich Antistressgesetz oder sei es, dass wir darüber diskutieren, eine ganze Branche wie die Rüstungsgüterindustrie in ihrer Tätigkeit mehr oder minder zu beschränken. Die Nichtgenehmigung von Rüstungsexporten ist im Einzelfall richtig, wird aber mit Sicherheit keine Welt ohne Waffen schaffen. Ich mache mir ernsthafte Sorgen, nicht nur um den Arbeitsmarkt - das ist natürlich auch ein Thema, das dann im zweiten Schritt folgt an der Stelle -, sondern auch darum, dass wir in Deutschland damit in einem Bereich, der - das haben uns die aktuellen Entwicklungen gezeigt - an Bedeutung gewonnen hat, wichtiges Know-how verlieren würden. Ich halte das auch im Hinblick auf die Menschen, die dort arbeiten, nicht für akzeptabel, auch wenn wir durch gute Sozialversicherungssysteme Menschen gegen Risiken wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit absichern. Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales würde wie kein anderer von einer sich abkühlenden Konjunktur beeinflusst. Der Einzelplan 11 des vorliegenden Regierungsentwurfes ist mit einem Volumen von knapp 125 Milliarden Euro - wie sollte es anders sein? - wiederum der größte Einzeletat im Bundeshaushalt. Das sind noch einmal 3 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Auch das zeigt, dass hier nicht etwa gekürzt wird oder in irgendeiner Weise Dinge von der Gewichtung her verschoben werden, sondern dass wir die Verantwortung für unseren Sozialstaat in einer Kontinuität wahrnehmen und leisten wollen. Wir machen Politik für eine hohe Beschäftigungsquote. Ich sagte das bereits: Die Arbeitslosenquote ist mittlerweile auf einem Rekordtief, bei 6,7 Prozent. Es sind unter 3 Millionen Menschen arbeitslos, und ich wage die Prognose, dass wir irgendwann an den Punkt kommen, wo wir uns mehr darüber unterhalten, wie viele offene Stellen wir in Deutschland haben, als darüber, wie viele Menschen noch arbeitslos sind. Das ist aber auch keine Situation, die uns dann besonders glücklich machen kann, weil es eben zeigt, dass wir im Bereich der Fachkräfte einen Mangel haben. Wir senken die Mittel für die Betreuung und Vermittlung von arbeitsuchenden Menschen nicht, auch nicht bei sinkender Arbeitslosenzahl. Wir wollen, dass Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind bzw. betroffen sind, durch ausreichend Personal betreut und entsprechend vermittelt werden und eine Zukunft in einem Erwerbsleben für sich und ihre Familien haben; das ist klar. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein neues Programm hinweisen - es ist schon angesprochen worden -, das ESF-Bundesprogramm für arbeitsmarktferne langzeitarbeitslose Leistungsberechtigte - ein furchtbar langer Name -, das aber 30 000 Leistungsbeziehern im SGB II neue Perspektiven bringen soll. Insgesamt sind im Regierungsentwurf 467 Millionen Euro für zwei Sonderprogramme des Bundes vorgesehen, zum einen für das ESF-Bundesprogramm, das ich gerade angesprochen habe, und zum anderen für das Bundesprogramm „Perspektive 50plus - Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen“. Auch das ist ganz wichtig vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die immer älter wird und in der zukünftig Fachkräfte fehlen werden. Es ist auch ganz wichtig, im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nachhaltige Vermittlungserfolge zu erzielen, weil diese sich dann natürlich auch im Haushalt wiederfinden: Diese Menschen beziehen keine Leistungen mehr, sondern erbringen Beiträge für unsere Sozialkassen. All das ist dann im doppelten Sinne eine Gewinnersituation: sowohl für die Menschen als auch für unser Gemeinwesen, für unseren Haushalt. ({1}) Zu den eingangs von mir erwähnten politischen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, zählen ohne Frage auch der demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag rechnet damit, dass in Deutschland bis 2020 rund 1,4 Millionen Facharbeiter in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen fehlen werden. Vor diesem Hintergrund bietet der auf Drängen meiner Fraktion in das Rentenpaket aufgenommene Einstieg in die Flexi-Rente mittel- und langfristig die Chance, den wachsenden Fachkräftemangel zu lindern. Ziel ist es nicht - das sage ich mit Nachdruck -, die Menschen so früh wie möglich in den Ruhestand zu schicken, sondern ist es, denjenigen, die Freude an der Arbeit haben, zu ermöglichen, dass sie dieser Arbeit möglichst lange nachkommen können. ({2}) Eine weitere Verkleinerung der Arbeitskräftebasis ist keine bzw. eine falsche Antwort auf den zunehmenden Fachkräftemangel. Allein im vergangenen Jahr konnten in Handwerk, Handel und Industrie 100 000 Lehrstellen - das ist die Dimension einer Großstadt - nicht besetzt werden. Das ist ein Vorgeschmack auf das, was auf uns und unser Land zukommt. Ein weiterer Grund hierfür - neben der Demografie ist, dass in Deutschland ein gewisser Akademisierungswahn herrscht. Immer mehr junge Menschen drängen in die Hochschulen. Wir haben das duale Ausbildungssystem in Sonntagsreden zwar immer wieder gelobt, de facto erfährt es aber nicht die Wertschätzung, die es verdient. Deshalb müssen wir die Attraktivität unserer dualen Ausbildung steigern und ihre Vorzüge auch konkret denjenigen vermitteln, die sich in der Situation befinden, entscheiden zu müssen, ob sie ein Studium aufnehmen, das sie im Zweifelsfall beruflich auf den Irrweg führt, oder eine solide Ausbildung anstreben. Im Gegensatz zum innerdeutschen Trend ist die Nachfrage junger Menschen aus dem EU-Ausland nach Ausbildungsplätzen in Deutschland ungebrochen. Das Thema MobiPro-EU ist angesprochen worden. Wir stoMark Helfrich cken die Mittel gegenüber 2014 nochmals auf. Trotzdem gibt es hier einen Wermutstropfen, nämlich den, dass die jungen Fachkräfte zukünftig nicht mehr in das Programm aufgenommen werden, sondern ausschließlich diejenigen, die noch keine Ausbildung haben. Das ist sicherlich auch richtig so. Trotzdem ist das vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels bedauerlich. All das, was ich erwähnt habe, zeigt: Wir setzen auf Vollbeschäftigung, auf gute Arbeit und auf stabile soziale Sicherungssysteme in unserem Land. Um das zu erreichen, werden wir auch weiterhin die Einnahmen gut verwalten und die Ausgaben gut regeln; denn das ist die ganze Finanzkunst. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Sabine Zimmermann. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik eröffnet Menschen Perspektiven und Chancen für ihr weiteres Leben, und zwar den Menschen, denen man oft durch lange Arbeitslosigkeit die Hoffnung genommen hat, die verzweifelt sind und die von der Politik überhaupt nichts mehr erwarten. Frau Ministerin Nahles - hier muss ich Sie ganz persönlich ansprechen -, genau die mit den wenigsten Chancen haben Sie aus den Augen verloren. Sie wollen nicht wahrhaben, dass ein neuer Job für viele unerreichbar ist. Vor dieser Realität verschließen Sie die Augen, ({0}) weil diese hässlichen Bilder einfach nicht zu Ihrer Erfolgsbilanz passen. ({1}) - Natürlich, Sie lobhudeln hier - und wie! -, Sie vergessen hier die 1,1 Millionen langzeitarbeitslosen Menschen, Sie vergessen diejenigen, die in Armut leben. ({2}) Davon wird bei Ihnen überhaupt nicht gesprochen. Das sind die eigentlichen Probleme in diesem Land. ({3}) Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehenden, Älteren und Menschen mit Migrationshintergrund ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen, und das können Sie auch nicht verschweigen. Es ist so! ({4}) Ich frage Sie, Frau Nahles: Was haben Sie diesen Menschen zu sagen? Findet euch damit ab, dass ihr in dieser Gesellschaft nicht gebraucht werdet! Oder: Tut uns leid, aber es gibt ja noch Hartz IV in diesem Land. - Dass Sie sich darum bemühen, diesen Menschen Perspektiven zu eröffnen, ({5}) kann ich in diesem Haushalt überhaupt nicht erkennen. Im Gegenteil: Die Kürzungen für aktive Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren sprechen eine deutliche Sprache. Frau Ministerin Nahles, ich kann einfach nicht erkennen, dass Sie uns heute eine Strategie vorstellen wollten. ({6}) - Lassen Sie mich doch einmal ausreden, und hören Sie zu. Dann werden Sie vielleicht auch verstehen, was wir meinen. - Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit lagen im Jahr 2010 bei 6,6 Milliarden Euro, im nächsten Jahr sollen es nur noch 3,9 Milliarden Euro sein, ein Rückgang um über 40 Prozent. Das ist Ihre verantwortungslose Politik in diesem Land für Menschen ohne Arbeit. ({7}) Kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren billigen Ausreden, die Arbeitslosigkeit sei schließlich gesunken. Sie ist seit dem Jahre 2010 um lediglich 9 Prozent zurückgegangen. Angesichts des Rückgangs der Mittel um 40 Prozent passt das einfach nicht zusammen. ({8}) Die Hälfte der Erwerbslosen im Bereich des SGB II verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das Risiko, arbeitslos zu sein, ist für Menschen ohne Berufsabschluss dreimal so hoch wie für Menschen mit einem Berufsabschluss. Qualifizierung ist das A und O einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik. Aber diese gibt es eben nicht zum Nulltarif. Statt erwerbslose Menschen zu verwalten, sollten wir dafür sorgen, dass sie wieder Vertrauen in ihre Fähigkeiten gewinnen. Das würde ihnen auch neue Motivation geben. Erwerbslose brauchen keine Alibiqualifizierungen. Sie brauchen einen individuellen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Das fordert die Linke. ({9}) Sabine Zimmermann ({10}) Die meisten Erwerbslosen wollen arbeiten und wünschen sich nichts sehnlicher, als gebraucht zu werden. In ihrer Not greifen sie zu jedem Strohhalm. Nehmen wir zum Beispiel die Bürgerarbeiter. Diese Menschen übernehmen gesellschaftlich wichtige Aufgaben: Sie arbeiten als Busbegleiter, in Sozialkaufhäusern oder in einer Kreativwerkstatt mit Kindern und Jugendlichen. In diesen Maßnahmen werden sie schlecht bezahlt, erhalten faktisch keine Aussicht auf eine reguläre Beschäftigung und kämpfen dennoch für ihr Programm. Warum? Weil ihnen diese Arbeit Anerkennung gibt, weil sie so ein Stück ihrer Würde wiederfinden. Wir als Linke fordern seit Jahren einen öffentlichen Beschäftigungssektor mit einer ordentlichen tariflichen Entlohnung. ({11}) Durch diesen ÖBS würden einerseits zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, die Erwerbslosen eine Perspektive bieten, andererseits könnten im Rahmen des ÖBS gesellschaftlich wichtige Aufgaben erledigt werden. Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren der Regierung, beenden Sie diese arbeitsmarktpolitische Geisterfahrt, und tun Sie endlich etwas für die vielen vom Arbeitsmarkt abgehängten Menschen. Es darf nicht sein, dass in diesem Land Millionen von Erwerbslosen einfach abgeschrieben werden. Danke schön. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Ralf Kapschack für die Sozialdemokraten. ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Ich finde es schade, wenn Haushaltsberatungen zu Ritualen verkommen, wenn man überhaupt nicht mehr auf das eingeht, was andere gesagt haben. Wir wollen uns nicht katholisch machen; das ist klar. ({0}) - Gut, das ist ein anderes Thema. - Wir haben unterschiedliche Positionen. Aber ich finde, man sollte schon bereit sein, auf die Argumente einzugehen, zumindest die Informationen der anderen aufzunehmen. ({1}) Zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit ist aus unserer Sicht alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Aber ich möchte gerne einen Punkt ansprechen, damit sich nichts Falsches festsetzt. Es geht um das Asylbewerberleistungsgesetz. Man kann immer sagen: Das ist nicht genug. - Da bin ich gar nicht weit weg von Ihnen. Aber wir setzen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eins zu eins um, ({2}) und das kostet den Bund allein in diesem Jahr 30 Millionen Euro. Punkt! ({3}) Jetzt möchte ich gerne zu etwas anderem kommen. Im Bereich Arbeit und Soziales ist seit der Bundestagswahl einiges passiert. Die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition werden sicherlich sagen: Das ist nicht genug. Das ist das Falsche. - Aus unserer Sicht aber haben wir genau das Richtige gemacht. ({4}) Denn wir haben gesagt, was wir tun, und wir haben getan, was wir versprochen haben. ({5}) Der flächendeckende Mindestlohn kommt, und auch das erste Rentenpaket ist verabschiedet. Aber vor allem in der Debatte über die abschlagsfreie Rente mit 63 ist klar geworden, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich ziemlich darüber geärgert, wie die eine oder andere Diskussion gelaufen ist; denn einige haben versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei das eigentliche Problem, dass Menschen nicht länger arbeiten können als bis 65. Das ist natürlich dummes Zeug. Jeder, der kann, und jeder, der will, darf auch heute schon über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeiten. ({6}) Das ist gar nicht das Problem. Das eigentliche Problem liegt ganz woanders. Das eigentliche Problem liegt darin, dass zu viele Männer und Frauen in diesem Land aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten können. ({7}) Wir brauchen eine Erhöhung der Erwerbsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wir brauchen mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente. Das ist überhaupt kein neues Thema. Die SPD hat bereits vor sieben Jahren ein Konzept vorgelegt, in dem es heißt - ich zitiere den Kernsatz -: Die Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer und die Ermöglichung flexibler Rentenzugänge sind … kein Widerspruch, sondern bedingen einander … ({8}) Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt bei 61, also weit weg von 65 und noch weiter weg von 67. UnRalf Kapschack ser Ziel muss es sein, dass möglichst viele Menschen gesund bis zur Regelaltersgrenze arbeiten und, wenn sie wollen, auch gerne darüber hinaus. ({9}) Das heißt, wir müssen flexible Übergänge vom Beruf in die Rente schaffen und absichern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein langes Erwerbsleben bei guter Gesundheit ermöglichen, und wir müssen bedarfsorientierte Lösungen für gesundheitlich eingeschränkte Beschäftigte finden. Deshalb finde ich auch die Idee, dass sich der Gesetzgeber des Themas „Stress in der Arbeitswelt“ annimmt, absolut richtig. Sie trifft den Nerv, weil die Themen Arbeit und Gesundheit endlich stärker miteinander gekoppelt werden. Den Reflex aus Teilen der Wirtschaft, die allein schon die Diskussion darüber schädlich finden, kann ich überhaupt nicht verstehen. Andrea Nahles hat es angesprochen: Arbeitgeber zahlen auch für die Arbeitsausfälle, für die vielen Millionen Fehltage wegen Arbeitsunfähigkeit. Also, es ist höchste Zeit, hier etwas zu tun. ({10}) Es geht um Gesundheit, aber es geht auch um die Flexibilisierung, die es ermöglicht, in bestimmten Lebensphasen kürzer zu treten, ohne große finanzielle Einbußen bei der Rente zu haben. Natürlich sind auch die Arbeitgeber gefragt. Genauso wie man Ausbildungsplätze nicht abbauen und dann den Fachkräftemangel beklagen kann, kann man auch nicht tatenlos zusehen, wie qualifizierte ältere Männer und Frauen aus gesundheitlichen Gründen früher als nötig in Rente gehen. ({11}) Es ist gut - das wurde schon angesprochen -, dass wir uns in der Koalition einig sind und dieses Thema in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe angehen. Wir werden dort ganz konkrete Vorschläge entwickeln, wie der Übergang vom Beruf in die Rente flexibler und damit auch gerechter gestaltet werden kann, gerechter, weil auf die Bedürfnisse der Männer und Frauen stärker Rücksicht genommen wird und nicht mehr alle über einen Kamm geschoren werden. Da geht es zum Beispiel - das ist schon angesprochen worden - um eine attraktivere Teilrente, zum Beispiel um die Frage, wie man erwerbsgeminderten Männern und Frauen hilft ({12}) - vielleicht kommen wir darauf zurück -, die zu gesund sind für die Erwerbsminderungsrente, aber zu krank, um es bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu schaffen. Was hat das Ganze mit dem Haushalt zu tun? Erst einmal ist der Haushalt die materielle Grundlage des politischen Handelns. Insofern hat alles miteinander zu tun. Aber auch aus rein ökonomischen Gründen ist es sinnvoll, dass wir daran arbeiten, dass ältere Arbeitnehmer so lange wie möglich und so lange, wie sie wollen, erwerbstätig sind. Ältere Beschäftigte, die ein Erwerbseinkommen erzielen, zahlen Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Ihre Rente im Alter steigt, das Armutsrisiko sinkt und die Fachkräftebasis im Betrieb wird gesichert. ({13}) Außerdem müssen wir weg von einer ständig reparierenden Politik hin zu präventiven Ansätzen; auch die rechnen sich auf die Dauer. ({14}) Ein Satz zum Schluss; ich bin schon etwas über die Zeit. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer jetzt über die Rente mit 70 schwadroniert, der hat entweder nichts verstanden oder er setzt bewusst auf eine massive Kürzung der Rente, der Altersversorgung von vielen Millionen Männern und Frauen. Mit uns nicht! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin ist die Kollegin Gabriele Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Gäste im Bundestag! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vater war ein einfacher Arbeiter. Er hat immer gesagt: Zum Schuldenmachen habe ich kein Geld. - Als Kind habe ich das nicht verstanden, aber heute, als Mutter, Kauffrau und Politikerin, verstehe ich ihn sehr gut. Mein Vater würde sich heute freuen, wie auch ich mich freue, dass wir zum ersten Mal seit 1969 einen Haushalt vorlegen, in dem auf neue Schulden verzichtet wird, und das ohne Steuererhöhungen, so wie wir das versprochen haben. ({0}) Diese Leistung verdient Anerkennung und ist das Ergebnis einer klugen und soliden Haushaltspolitik. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein Badener wie ich, beendet mit dem vorliegenden Haushaltsplan das Anwachsen des leider schon hohen Schuldenberges. Deutschland schafft es damit erneut, seiner Rolle als Vorreiter und Vorbild in der Europäischen Union und in der ganzen Welt gerecht zu werden. Die richtigen Weichen sind gestellt. Jetzt wird der Kurs der Haushaltskonsolidierung weiter fortgeführt. Mit dem vorliegenden Haushaltsplan schaffen wir eine solide Grundlage und leisten eine wichtige Investition in unsere Zukunft und in die Zukunft der künftigen Generationen. Der Sozialstaat steht vor großen Aufgaben. Demografischer Wandel und die strukturelle Arbeitslosigkeit gehören derzeit zu den größten sozialpolitischen Herausforderungen. Damit der Sozialstaat auch weiterhin Garant für die Sicherheit jedes Einzelnen und den sozialen Frieden in Deutschland bleibt, müssen wir richtige Gabriele Schmidt ({1}) Antworten auf die richtigen Fragen geben. Das Bundesarbeitsministerium betreibt gezielt Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, damit unser Sozialstaat leistungsfähig und verlässlich bleibt. Auch im Haushaltsjahr 2015 ist der Etat für Arbeit und Soziales gewachsen und damit die Verantwortung, das Geld da einzusetzen, wo es zielführend und richtig ist. Knapp 125 Milliarden Euro liegen dem Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, zugrunde. Diese beeindruckende Zahl ist nun schon öfter erwähnt worden, aber ganz ohne Zahlen kann man eine Haushaltsdebatte nicht führen. ({2}) Fast 32 Milliarden Euro daraus stellt der Bund für Arbeitsförderung, für arbeitsmarktpolitische Leistungen und Programme zur Verfügung. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, und das in einer Arbeitswelt, in der faire Bedingungen gelten. ({3}) Die Eingliederung in Arbeit kann nicht allein durch die bekannten Instrumente zur Eingliederung, die den Jobcentern grundsätzlich zur Verfügung stehen, erfolgen. Wir brauchen vielmehr Modelle und Sonderprogramme, die sich zum Teil bereits bewährt haben. Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ zum Beispiel dient der Integration arbeitsloser erwerbsfähiger Leistungsberechtigter mit multiplen Vermittlungshemmnissen. Dieses läuft jedoch Ende Dezember 2014 aus. Für die Ausfinanzierung stellt der Bund nochmals 8 Millionen Euro im Jahr 2015 zur Verfügung. Der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Hochrhein mit fünf Bürgerarbeitsplätzen und einige Bürgermeister in meinem Wahlkreis haben mir in persönlichen Gesprächen versichert, wie wichtig das Projekt ist: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich in den letzten drei Jahren hervorragend entwickelt. Das Ziel, eine feste Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen, wurde zwar nicht immer erreicht, aber trotzdem halte ich das Projekt für einen vollen Erfolg; denn wir Sozialpolitiker sollten doch stets die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Mit dem Projekt „Bürgerarbeit“ wurden Menschen, die weit vom Arbeitsmarkt entfernt waren, ein gutes Stück weit in das Arbeitsleben integriert. Ich war im Sommer in einem Ferienlager der Diakonie. Es handelte sich dabei um ein Abenteuercamp für Kinder. Da waren Bürgerarbeiter als Chauffeur, Spaghettikoch bis hin zum Fußballschiedsrichter eingesetzt. Diese Menschen haben Wertschätzung und Anerkennung erfahren und sind in den Betrieben mittlerweile eine kaum zu ersetzende Arbeitskraft und ein fester Bestandteil der Gemeinschaft. Mit meinen Erfahrungen aus der Praxis möchte ich hier bewusst zur positiven Evaluierung beitragen. Frau Ministerin, die Erwartungen an das neue Bundesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit - ich spreche hier nicht nur für meinen eigenen Wahlkreis sind hoch. Ich freue mich, dass für diese Menschen Perspektiven geschaffen werden.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer? ({0})

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich. Gerne.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Schmidt, ich sehe, Sie haben in sich reingehorcht und überlegt, ob Sie meine Frage wirklich zulassen wollen. Ich freue mich, dass das Ergebnis positiv für mich ausgefallen ist.

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das haben Sie richtig erkannt. ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Schmidt, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie beschrieben haben, wie positiv das Projekt „Bürgerarbeit“ letztlich bei den Arbeitslosen gewirkt hat und welche Fortschritte die Menschen gemacht haben. Würden Sie anhand der Erfahrungen, die Ihnen geschildert wurden und die Sie zum Teil selbst machen konnten, die Konsequenz ziehen, dass solche Arbeitsplätze dauerhaft eingerichtet werden müssen, damit es für diese Menschen weitergehen kann? Sind Sie nicht wie ich auch der Auffassung, dass es ein Fehler ist, von dem Projekt „Bürgerarbeit“ zu einem völlig anderen Projekt für zum Teil völlig andere Menschen rüberzuhoppen? ({0}) Sollten wir gerade vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung dieses Programmhopping nicht endlich beenden und einen langfristig angelegten sozialen Arbeitsmarkt schaffen?

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde das nicht „Programmhopping“ nennen. Später in meiner Rede werde ich übrigens auf genau Ihre Frage zu sprechen kommen. ({0}) - Ich bin die letzte Rednerin in dieser Debatte und werde sie mitnichten weiter ausdehnen. ({1}) Sie haben aber natürlich recht: Es gibt Menschen, die auch mit guten Programmen nicht zu erreichen sind. Denen müssen wir weiterhin zur Seite stehen. Warum soll dies nicht im Rahmen eines neuen Programmes gescheGabriele Schmidt ({2}) hen? Ich habe Frau Nahles eben unmissverständlich aufgefordert, ein gutes Programm zu liefern. Sie ist dabei. Wir haben diesbezüglich bereits nachgeforscht. ({3}) Die Bürgerarbeiter, die aus dem Programm, welches jetzt ausläuft, übrig bleiben - im zahlenmäßigen, nicht im inhaltlichen Sinne -, ({4}) können an einem anderen Programm teilnehmen. Das ist kein Hopping. „Bürgerarbeit“ war von Anfang an als Modellprojekt ausgelegt, und es ist ausgelaufen. Es muss einen zweiten Arbeitsmarkt geben; das haben wir nie bestritten. ({5}) Man kann Modellprojekte aber nicht ewig ausdehnen. Ich hoffe, Sie lassen mich nun weitersprechen. ({6}) Ich freue mich, dass für Langzeitarbeitslose, die nicht so schnell auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht werden können, ein neues Programm geschaffen wird, damit sie neue Perspektiven bekommen. Immerhin 120 Millionen Euro werden dafür im Haushaltsjahr 2015 bereitgestellt; darauf haben verschiedene Vorredner wie Herr Helfrich und Frau Weiss bereits hingewiesen. Aus meiner Sicht ist das Programm ein wichtiger und notwendiger Schritt. Viele ehemalige Bürgerarbeiter - jetzt komme ich darauf zu sprechen, Frau Pothmer - können von diesem neuen Programm profitieren, wenn sie in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ihre Arbeitsfähigkeit weiter verbessern. ({7}) Den Arbeitgebern wird die anfängliche Minderleistung durch degressive Lohnkostenzuschüsse ausgeglichen. Es könnte eine Win-win-Situation entstehen. Wir dürfen - da bin ich mir mit allen Fraktionen einig - die Menschen, die von SGB-II-Leistungen leben, nicht aufgeben, sondern wir müssen möglichst viel dafür tun, sie in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. ({8}) Deshalb ist es richtig, dass wir für alle Leistungen zur Eingliederung in Arbeit fast 8 Milliarden Euro zur Verfügung stellen - einschließlich der Sonderprogramme des Bundes, wozu auch die schon erwähnten Programme „Perspektive 50plus“ und „MobiPro“ und die Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehören. Auch in diesem Haushalt umfassen die Leistungen an die Rentenversicherung den weitaus größten Teil. Das wurde schon erwähnt, aber so richtige und wichtige Dinge darf man auch einmal wiederholen. Die Zuschüsse des Bundes an die allgemeine Rentenversicherung sowie die Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten an die allgemeine Rentenversicherung sind mit sagenhaften 75 Milliarden Euro die größten Ausgabenposten. Über die Mütterrente ist hier schon ausgiebig geredet worden. Ich halte sie nach wie vor für eine enorm wichtige Leistung, für die wir natürlich auch Geld in die Hand nehmen müssen. ({9}) Durch die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung mit 5,9 Milliarden Euro entlasten wir auch wie versprochen die Kommunen. Die für die Ausführung der Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung zuständigen Träger werden in diesem Jahr zu 100 Prozent, im Jahr 2015 noch zu 75 Prozent entlastet. Darüber hinaus leistet der Bund Zuschüsse in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten und Integrationsprojekten beschäftigten Menschen mit Behinderung. Damit komme ich zu einem weiteren Kapitel, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: die Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Allein rund 7 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Schwerbehinderung. Die Zahl der über 18-Jährigen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder einer chronischen Erkrankung beläuft sich sogar auf 17 Millionen, und diese Zahl steigt leider weiter an. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass das Geld in die Stärkung der Gleichbehandlung und in die Förderung von Chancengleichheit und Inklusion fließt; denn die Umsetzung dieser Ziele ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben behinderter Menschen. Menschen mit Behinderungen sollten ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können und am gesellschaftlichen, kulturellen und öffentlichen Leben teilhaben können. Auch das kostet uns Geld. Außerdem sind wir ja gehalten, mit dem Nationalen Aktionsplan weiter die Ziele der UNBehindertenrechtskonvention umzusetzen. Ich habe schon gesagt, dass ich die Ehre habe, diese Debatte zu beschließen. Da ich keine Redezeit mehr habe, komme ich zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen: Der Bundeshaushalt 2015 steht auf soliden Füßen. Mit diesem Haushalt sorgen wir dafür, dass auch Deutschland weiterhin auf soliden Füßen steht. Vielen Dank. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Mit diesem zeitlich präzisen Abschluss der Kollegin Schmidt schließe ich die Aussprache zu diesem Einzelplan, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Vizepräsident Johannes Singhammer Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, Einzelplan 10. Bevor wir mit der Aussprache beginnen, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Sitzplätze zu wechseln oder neu einzunehmen und sich innerlich auf die neue Aussprache vorzubereiten. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zu Beginn hat für die Bundesregierung der Bundesminister Christian Schmidt. ({0})

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorneweg: Vielen Dank an diejenigen in der Bundesregierung, die den Haushaltsentwurf - bereits den zweiten in diesem Jahr - vorgelegt haben. Vorwegnehmen möchte ich auch einen Dank an diejenigen, die im Deutschen Bundestag diesen Haushaltsentwurf beraten und beschließen und nach dem Struck’schen Gesetz - das weiß ich - möglicherweise da und dort auch ein klein wenig verändern werden. ({0}) Wir stehen in dieser Legislaturperiode vor großen Herausforderungen, über die wir schon gesprochen haben und die Sie kennen. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen habe ich auch in meinem Ressort Akzente zu setzen, die sich in einer Umorganisation meines Hauses abbilden. Darüber habe ich nach einer gewissen Zeit der Betrachtung entschieden. Wir werden in unserem Haus nach wie vor Schwerpunkte im ländlichen Raum, in der Lebensmittelsicherheit und in der Vermarktung setzen. Wir werden insbesondere die Bereiche Wald und Forstwirtschaft stärker mit hinzunehmen; diese Bereiche rangierten in meiner Wahrnehmung auch bei den Haushaltsberichterstattungen, lieber Kollege Caesar, nicht ganz hinten. Ich bedanke mich auch für die Hinweise dazu, was wir tun sollten, Kollege Freese. Ich habe umorganisiert, um die Initiativen für den ländlichen Raum, zu denen ich noch komme, koordinieren zu können. Ich habe umorganisiert, damit wir die Fragen und Probleme im Veterinärwesen schneller klären bzw. lösen können. Ich darf mich bei dieser Gelegenheit für die Unterstützung des Bundestages hinsichtlich des Stellenplans im letzten Jahr bedanken. Ich kann melden: Wir sind bei der Umsetzung überwiegend sehr weit vorangekommen. Von den sechs Veterinärstellen sind schon drei oder vier vollständig besetzt, und wir sind dabei, die anderen zu besetzen. So kann der eine oder andere Flaschenhals in diesem Bereich überwunden werden. Das gilt auch für die nachgeordneten Behörden. Ich habe umorganisiert, damit wir dem wirtschaftlichen Gewicht der Ernährungsindustrie in unserem Hause stärker Rechnung tragen können. Ich habe eine Stabsstelle „Export“ gegründet, die die Koordination und die Aufgabenverteilung besser wahrnimmt. Die Arbeit dieser Stabsstelle ist leider im Augenblick von der Arbeit einer anderen Stabsstelle betroffen, nämlich der Stabsstelle „Export Russische Föderation“. Die aktuellen Ereignisse bewegen mein Haus und die Branchen in unserem Bereich ebenso wie viele Menschen im Land. Mit großer Sorge sehen viele die Entwicklungen der Konflikte mit Russland. Mir hat gerade jemand, der aus den baltischen Staaten zurückgekommen ist, über Gespräche mit seinen Wirtschaftskollegen dort berichtet. Er ist selbst aus dem Wirtschaftsbereich. Er war erstaunt, dass zur Frage der Sanktionen nicht ein Wort gefallen ist, sondern vor allem die Sorge darüber geäußert wurde, wohin die politische Entwicklung die eigentlich fest geglaubte Stabilität 25 Jahre nach dem Fall der Mauer bringen wird. Ich glaube, das ist nicht nur nachvollziehbar, sondern für uns auch ein Hinweis darauf, dass es hierbei nicht nur um schiere Umsatzzahlen geht. Ich sage das auch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Sanktionen in der dritten Stufe von der Europäischen Union verhängt worden sind mit der klaren Ansage, dass man noch einmal darüber reden wird und muss, wenn der Zwölf-Punkte-Plan der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Russland - ich bin sehr vorsichtig - realisiert worden ist. Ich habe auch die Hoffnung, dass wir mit erheblichen Beiträgen von allen Seiten doch über diese schwierige Situation hinwegkommen. Wir haben ausgezeichnete Produkte, die auch in Russland geschätzt werden, die aber jetzt nicht mehr in den Supermärkten dort zu finden sind. Die ersten Betroffenen sind die russischen Verbraucher, die höhere Preise für Lebensmittel bezahlen müssen. Ich will über die Frage des Verstoßes gegen WTO-Regeln im Detail gar nicht sprechen, aber das rundet das Bild von den Schwierigkeiten, die wir haben, ab. Ich bin dafür, dass wir den Kontakt mit Russland aufrechterhalten. Auf Arbeitsebene wird das auch stattfinden. Ich hoffe, dass ich die Reise, die ich in Kürze in die Ukraine und in das kleine Land Moldawien bzw. Moldau mache, mit Kontakten in die Russische Föderation verbinden kann. Das wird allerdings nur dann der Fall sein, wenn die zugrundeliegenden politischen Fragen zufriedenstellend gelöst sind. ({1}) Meine Damen, meine Herren, ich habe über Europa gesprochen. Wie Sie wissen, haben wir in der Europäischen Union auch Unterstützungen für Sektoren im Markt mitbeschlossen. Ich muss heute zuallererst Dacian Ciolos danken, der nicht mehr antritt. Die rumänische Regierung hat jetzt eine Kollegin in die Kommission entsandt. Ich habe ihm in verbindlicher Form gedankt. Bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen: Er ist jemand, mit dem man die Idee des Greening verbindet, das wir jetzt als Grundlage für die Post-2020-Periode in der Gemeinsamen Agrarpolitik sehen. Ich will aber gleichzeitig den nominierten neuen Kommissar Phil Hogan begrüßen, den irischen Ministerkollegen, der für Umwelt zuständig war. Es ist gut, wenn man die Leute schon kennt. Ich kann nur sagen: Er ist jemand, mit dem man gut zusammenarbeiten kann. Wen ich nicht kenne, das ist der neue Umwelt- und Fischereikommissar, Herr Vella, mit dem wir auch sehr viel zu tun haben werden, die tschechische Kollegin, Frau Jourová, die für den Verbraucherschutz zuständig ist, und der litauische Kollege Andriukaitis, der für Lebensmittelsicherheit verantwortlich ist. Sie sehen: Damit werde ich die einmalige Chance haben, in Brüssel mit vier EU-Kommissaren verhandeln zu dürfen. Das zeigt die Bandbreite. Hinzu kommt die wichtige Aufgabe der digitalen Zukunft der Europäischen Union, die Günther Oettinger wahrnimmt und die in mancher öffentlichen Kommentierung völlig unterbewertet wird. Insofern muss ich ihn eigentlich als fünften EU-Kommissar nennen, mit dem ich es zu tun haben werde. Denn auch im ländlichen Bereich werden wir uns nicht an der Digitalisierung vorbeidrücken können. Nein, wir müssen sie gestalten, und dabei erhoffe ich einiges. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin seit einem halben Jahr im Amt. Es ist der zweite Etat seitdem. Dafür sind 5,3 Milliarden Euro veranschlagt. Er ist ein Dokument der Stabilität. Innerhalb dieses Budgetrahmens werde ich neue und notwendige Schwerpunkte setzen. Ich werde Schwerpunkte auf eine nachhaltige Landwirtschaft setzen, die das Wohl des Tiers stärker berücksichtigt, ohne an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Ich werde Schwerpunkte auf lebendige ländliche Räume und auf eine gesunde Ernährung insbesondere unserer Kinder setzen, damit die Weichen dafür frühzeitig richtig gestellt werden. ({3}) Landwirte müssen als Unternehmer erfolgreich am Markt wirtschaften können. Zugleich ist festzustellen, dass der Markt sich verändert. An die Nutztierhaltung werden nicht nur von Verbraucherseite hohe Ansprüche gestellt. Hohe Tierschutzstandards sind ein Qualitätsmerkmal deutscher landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Doch wir wollen und müssen noch besser werden. Es gibt Initiativen, die ich außerordentlich begrüße, insbesondere die, die der Bauernverband zusammen mit dem Handel auf den Weg bringt. Ich wünsche ihnen viel Erfolg. Ich will im Sinne der Koalitionsvereinbarung neue Wege zur Stärkung des Tierwohls beschreiten. Es ist für mich eine Frage der Haltung, und zwar nicht nur in den Ställen, sondern auch in den Köpfen. Der Haushalt 2015 soll uns Möglichkeiten dafür geben. Ich habe 33 Millionen Euro für Investitionen in mehr Tierschutz vorgesehen. Sie liegen mir sehr am Herzen. Ich werde in Kürze die Konzeption, die wir gemeinsam entwickelt haben, vorstellen. Sie geht zuallererst an das Parlament, weil das Parlament der natürliche Bündnispartner und Unterstützer ist, auch wenn ich nicht die Gesetzgebung in den Vordergrund stelle, sondern das Zusammenwirken aller im Sinne der Zivilgesellschaft. Lebendige Räume bzw. Leben und Arbeiten auf dem Land sind weitere Schwerpunkte meiner Arbeit. Dafür werde ich bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK - wir wollen sie in Gemeinschaftsaufgabe „Nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum“ umbenennen -, 600 Millionen Euro für den Umbau vorsehen, zusätzlich 10 Millionen Euro für ein Bundesprogramm. Ich möchte bei dieser Gelegenheit festhalten, dass wir diese Initiative gemeinsam mit den Ländern durchführen. Ich will diese Initiative aber nicht so verstanden wissen, dass ich die Gemeinschaftsaufgabe in irgendeiner Weise infrage stelle. Nein, ich will sie verbessern und ergänzen, wie es in der Koalitionsvereinbarung steht. Gesunde Ernährung für Kinder: „IN FORM - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ ist ganz wichtig. Ich weiß, dass es schon früher Diskussionen über adipöse Kinder und entsprechende Initiativen gegeben hat. Leider ist nun jedes sechste Kind übergewichtig bzw. adipös. Deswegen sage ich: Die diesbezüglichen Anstrengungen müssen fortgesetzt und intensiviert werden. Wir werden deswegen mit verschiedenen Modellen - bis hin zu neuen Initiativen des Nudging, die ich erst jetzt beginne zu verstehen, also des Anstoßens zu sinnvollem Verhalten - unterstützend tätig werden. Es gibt eine Reihe von Themen im Haushalt, die noch zu nennen sind. Nicht zuletzt sind beim Berichterstattergespräch einige Diskussionspunkte angemeldet. Ich darf mich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Der Haushalt 2015 weist eine leichte Tendenz nach oben auf und rahmt sich in die schwarze Null ein. Aber mit diesem Haushalt werden wir mehr als nur die schwarze Null erreichen; wir werden ziemlich viel erreichen. Ich bedanke mich. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Roland Claus das Wort. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich dachte schon, dass Sie der erste Koalitionsredner wären, der es schaffte, ohne die Beschwörung der schwarzen Null auszukommen. Aber zum Schluss haben Sie es dann doch noch geschafft, sie zu erwähnen. Auf den ersten Blick scheint es nur wenige Kontroversen über diesen Haushalt zu geben. 70 Prozent des Etats gehen in die landwirtschaftliche Sozialkasse. Dagegen haben wir nichts. Wenn es um eine bessere Förderung unserer Forschungsinstitute geht, sind wir selbstverständlich dabei. Das verführt Sie, Herr Minister, zuweilen zu der Aufforderung an die Opposition, diesen Politikbereich einmal ideologiefrei zu betrachten. ({0}) Das allerdings ist ein frommer Wunsch, der erst dann erfüllt werden könnte, wenn die einen Ideologen den anderen Ideologen nicht mehr vorwerfen würden, Ideologen zu sein, Herr Minister. Ein Blick über den Tellerrand des Haushalts hinaus lohnt sich. Dann zeigen sich die Konflikte. Der wichtigste ist, dass heute Agrarpolitik nicht zuerst in den Parlamenten gemacht wird, sondern an der Börse. Es ist den Grünen und den Linken im Bündnis mit vielen Bürgerinitiativen gelungen, im Europäischen Parlament die Spekulationen mit Nahrungsgütern einzugrenzen. Aber angesichts der Vielfalt der Freihandelsabkommen droht erneut eine Entwicklung, die globalen Agrarkonzernen Tür und Tor öffnet. Nach wie vor leiden 1 Milliarde Menschen täglich unter Hunger. Das Schlimme ist, dass diese Zahl nicht abnimmt, sondern zunimmt. Deshalb brauchen wir eine EU-Agrarpolitik, die für eine gerechte globale Entwicklung steht. Aber in dieser Hinsicht herrscht bei allem, was uns bisher vorgelegt wurde, leider, leider Fehlanzeige. ({1}) Wie wollen Sie Menschen in Afrika beispielsweise für die Idee der Demokratie, wie sie in Europa besteht, begeistern, wenn die meisten wissen, dass die reichsten Länder an ihrem Hunger auch noch verdienen? Deshalb erneuern wir unsere Forderung, dass Spekulationen mit Nahrungsgütern verboten gehören. ({2}) In Ihrem Etat stellt naturgemäß die GAK das größte Förderprogramm dar. Ich will das erklären. Es handelt sich hier um die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, die in besonderem Maße im Osten der Republik von Bedeutung ist. Ich will hier, wie an anderer Stelle auch, auf ein Problem hinweisen, das wir im Jahre 2014 haben, weil wir für den Vollzug des Etats, den wir ja erst im Sommer beschlossen haben, quasi nur drei Monate zur Verfügung haben. Wir erwarten schon, dass die vom Parlament beschlossenen Mittel vom Bundesfinanzminister zum Schluss nicht wieder für die berühmte „schwarze Null“ einkassiert werden, sondern dass diese Mittel auch tatsächlich ausgegeben und für das verwendet werden, wofür sie gedacht sind. ({3}) Man muss auch darauf verweisen - darüber werden wir heute am späten Nachmittag noch reden -, dass die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bisher der einzig relevante Haushaltsposten für die Bewältigung der Aufgaben im Hochwasserschutz ist. Wir werden darüber zu diskutieren haben, dass wir noch immer kein umfassendes nationales Konzept für den Hochwasserschutz haben. Aber die Flüsse halten sich nicht an Verwaltungsgrenzen. Deshalb müssen wir auch über den Etat hinweg und nicht nur im Rahmen des Einzelplans 10 Vorsorge treffen, um dieser Aufgabe künftig gerecht zu werden. Wir werden mit Ministerin Hendricks darüber reden. Aber solange sie als Umweltministerin sich ausschließlich auf die Mittel aus dem Agrarressort zurückziehen kann, ist es natürlich ein bisschen wie in dem derben spanischen Sprichwort: „Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten“. Wir finden es in Ordnung, dass die Forschungsinstitute unterstützt werden. Aber auch hier gilt natürlich: Nicht die Ausgabenmasse zählt, sondern das Ergebnis. Aber da sind wir, das sage ich ausdrücklich, zuversichtlich. Die Linke wird sich, wie Sie es schon kennen, dafür einsetzen, Chancengleichheit für Agrarbetriebe im Osten der Republik einzufordern. Diese Chancengleichheit wird natürlich im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU auf eine, so will ich einmal sagen, ernste Belastungsprobe gestellt. Dazu kommen eine nicht hinzunehmende Explosion bei den Bodenpreisen und die Rolle der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft, die auch wir skandalös finden. Lassen Sie sich das so gesagt sein. Sie haben jetzt angekündigt, ein Bundesprogramm für den ländlichen Raum aufzulegen. Das mag in Ordnung gehen. Denn es geht schließlich darum, dem ländlichen Raum mehr politisches Gewicht zu geben. Das wird aber auch bedeuten, neue Entwicklungspfade zu denken. Wer immer nur die Forderung aufstellt, dass alles so bleiben muss, wie es gegenwärtig ist, wird nicht zukunftsfähig sein. Wir wollen so etwas wie ein regionales Gemeinwesen organisieren. Dafür gibt es gerade in ausgedünnten ostdeutschen Regionen zwar noch sehr wenige, aber hervorragende Beispiele. Ich denke etwa daran, dass ein Sparkassenbus über die Dörfer fährt, dass in diesem Bus eine Gemeindeschwester anwesend ist, dass dort ein Bürgerservice aus der Verwaltung angeboten wird und dass die Menschen diese Angebote natürlich nutzen können. Bisher sind wir da aber nur bei wenigen, noch nicht vernetzten und gar nicht komplexen Ansätzen angelangt. Herr Minister, ich muss Sie zum Schluss noch fragen: Wie war Ihr Morgenapfel heute? Ich frage das deshalb, weil in der Zeitung stand, Sie hätten einen Aufruf unter dem Motto „Sie sollten essen, ich sollte essen, wir sollten essen“ gestartet. Gemeint war, Äpfel gegen Putins Embargo zu essen, also ein Schritt vom Ich zum Wir, Herr Minister; das haben wir wahrgenommen. Wenn Sie das konsequent fortsetzen würden, dann müssten Sie hier auch die Frage beantworten, die wir Ihnen stellen: ({4}) Wann wird beim Oktoberfest in München auf Apfelschorle umgestellt? Das müssen auch Sie als Franke aushalten können. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier das Wort. ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus, zunächst einmal: Es könnte sein, dass die Bayern auf Apfelschorle umstellen, wenn irgendwann die Linke in Bayern regiert. ({0}) Aber das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. ({1}) Insofern ist die Prognose, was die Verwertung von Äpfeln angeht, nur von eingeschränkter Aussagekraft. Ich darf mich beim Haus für den vorliegenden Gesetzentwurf bedanken. Der Minister hat es eben schon gesagt: Es gilt das Struck’sche Gesetz. - Insofern sehe ich: Es ist an den Abgeordneten, diesen Bundeshaushalt in verschiedenen Bereichen ganz entscheidend mitzuprägen. Wir leisten mit dem Haushalt zum Einzelplan 10 natürlich einen Beitrag zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt. Das ist jedem klar. Die Ansprüche werden nicht ins Uferlose wachsen. So wie ich diesen Haushalt einschätze, ist er, wie alle Haushalte in der Vergangenheit, geprägt durch die Ausgaben für die agrarsoziale Sicherung. Fast 70 Prozent dieses Haushaltes, 3,7 Milliarden Euro von 5,3 Milliarden Euro, sind für die agrarsoziale Sicherung zu veranschlagen. Insofern ist es de facto fast ein Sozialhaushalt, den wir hier haben. Aber wir müssen uns natürlich auch Gedanken machen über das damit finanzierte System, darüber, wie wir dieses System zukunftsfest erhalten können oder welche Alternative es dazu gibt. Bei einer Defizitabdeckung von 70 Prozent für die landwirtschaftlichen Altersrenten sehe ich in Zukunft Probleme auf uns zukommen, die wir zu lösen haben. Mit der Schaffung eines einheitlichen Bundesträgers alleine wird es nicht getan sein. Wir müssen auf der Basis des Berichts von 2013 erkennen, dass von den an sich Versicherungspflichtigen 238 000 befreit sind und 236 000 Beiträge bezahlen. Das macht deutlich, dass ein gewisser Entsolidarisierungseffekt bei der landwirtschaftlichen Sozialversicherung gegeben ist. Wir müssen versuchen, dem entgegenzuwirken, und uns über adäquate Maßnahmen oder Alternativen Gedanken machen. Das, was wir mit diesem System erreicht haben, sind wettbewerbsfähige Strukturen. Über die vergangenen Jahrzehnte sind diese wettbewerbsfähigen Strukturen gewachsen. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu dem Strukturwandel in der Landwirtschaft und dazu, dass Betriebe wettbewerbsfähig sein sollen und Perspektiven in der Zukunft haben müssen. ({2}) Daher finden wir es nicht mehr zeitgemäß, jeden zu zwingen, seinen Betrieb abzugeben, um in den Genuss der Rente zu kommen. Das ist eine Sonderregelung, die in keinem anderen Bereich der Rentenversicherung gilt. Ich glaube, diese Regelung ist auch wenig zukunftsfähig. Gerade wenn wir von älteren Menschen erwarten, dass sie weiterhin aktiv bleiben, sollten wir das auch Landwirten nicht verwehren. Das ist in der Regel ein Problem der kleineren Betriebe. Zwei Drittel der Betriebe haben keinen Hofnachfolger; im Regelfall sind das, wie gesagt, kleinere Betriebe. Auch diesen Betrieben sollte man die Möglichkeit geben, in dem Maße, wie sie es für richtig halten, weiter Einkommen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit zu erwirtschaften. ({3}) Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, die Reform der agrarsozialen Sicherung intensiv zu begleiten und die Hofabgabeklausel neu zu gestalten. Dazu werden wir jetzt einen Beitrag leisten und für die Novellierung des § 11 ALG einen konkreten Vorschlag vorlegen und diesen parallel zum Haushalt mit den Kollegen von der CDU/CSU beraten, wenn es sich von der zeitlichen Abfolge so ergeben sollte. Letzte Woche war ich in einem Betrieb in der Nähe von Bielefeld. Dort habe ich jemanden getroffen, der aus Überzeugung Landwirt ist. Er ist 77 Jahre alt und bewirtschaftet zusammen mit seiner Frau 30 Hektar. Er melkt noch 12 Kühe. Warum sollen wir diesem Mann verwehren, der keine Nachkommen hat, die für die Übernahme des Betriebes infrage kommen, seinen Betrieb weiter zu bewirtschaften? Jeder Handwerksmeister darf seinen Betrieb weiterführen und gleichzeitig Rente beziehen. Jeder, der in anderen Versicherungssystemen versichert war, darf seinen Betrieb weiterführen. Dort ist nicht das Erfordernis der Agrarstruktur Grundlage für den Bezug der Rente, die man aus einem anderen System erhält. Ich glaube, wir müssen uns in diesem Zusammenhang ein bisschen bewegen. Ich erkenne auch beim Koalitionspartner den Willen dazu. Deshalb setze ich darauf, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten zu einer vernünftigen und einvernehmlichen Regelung kommen. ({4}) - Ich sehe, dass der Kollege Holzenkamp klatscht. Das steigert meine Zuversicht ungemein. Ein weiterer wichtiger Punkt in dem Haushaltsentwurf sind die Eiweißpflanzenstrategie und der ökologi4730 sche Landbau. Die Eiweißpflanzenstrategie war uns Sozialdemokraten vor allem im Haushaltsentwurf 2014 wichtig. Aus diesem Grunde sehen wir mit besonderer Sympathie, dass dieser Betrag im jetzigen Entwurf auf 4 Millionen Euro aufwächst. Wir müssen schauen, ob es für die Zukunft ausreichend ist oder ob wir in den weiteren Haushaltsjahren etwas drauflegen müssen; denn gerade dieser Bereich ist wichtig.Wenn wir importiertes Eiweiß durch heimisches Eiweiß ersetzen können, dann steigert das die Wertschöpfung der Betriebe im ländlichen Raum. Diese Chance sollten wir nutzen. Deutschland ist der größte Markt Europas für Biolebensmittel. Auch darüber sollten wir uns Gedanken machen, vor allen Dingen, was den Ökolandbau und das „Bundesprogramm Ökologischer Landbau“ betrifft. Ich sehe noch Möglichkeiten, den entsprechenden Ansatz vielleicht zu verstärken. Darüber werden wir uns unterhalten müssen. Es geht auch um ein klares Signal an die Betriebe, die sich dem ökologischen Landbau widmen und dort ihr Erwerbseinkommen erzielen. Ich glaube, dass diese Betriebe Unterstützung brauchen; denn die Situation in vielen Betrieben ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht besonders günstig. Das waren Initiativen, die wir in besonderer Weise aufgreifen - neben dem, was Kollege Claus in Bezug auf die Finanzierung des Hochwasserschutzes eingefordert hat. Ich verweise auf den Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses vom 5. Juni dieses Jahres, der vorsieht, dass die Maßnahmen, die eventuell im Oktober von der Bund-Länder-Kommission vorgeschlagen werden, zeitnah im Bundeshaushalt abgebildet werden sollen, mit einiger Wahrscheinlichkeit in der GAK; ich setze darauf.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Priesmeier, achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wünsche mir auch dazu großes Einvernehmen hier im Hause, damit wir das umsetzen können. Vielen Dank, meine Kolleginnen und Kollegen, liebe Damen und Herren. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Nicole Maisch das Wort.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmidt, ich habe mich sehr über die lobenden Worte gewundert, die Sie für den scheidenden Agrarkommissar Dacian Ciolos gefunden haben. ({0}) Immerhin war es doch Ihre Vorgängerin, Frau Aigner, die das Greening, die Begrünung der Agrarpolitik, in Brüssel zerschossen hat. ({1}) Da hat mich dieses Lob doch schon sehr gewundert. Aber das passt ganz gut zu den Worten von Herrn Priesmeier, der eben gesagt hat: Wir als Sozialdemokraten stehen für Wachsen und Weichen, wir stehen zum Strukturwandel. - Da hat sich in der Großen Koalition offensichtlich gefunden, was zusammengehört. ({2}) Meine Damen und Herren, der Kollege Claus hat uns schon über die Nebenaußenpolitik mit Obst informiert, die der Minister im Zuge der Ukraine-Krise betreibt. Ich fand es ganz interessant, dass uns dieser Minister jetzt, nachdem er sieben Monate weitestgehend im politischen Untergrund verbracht hat, zum Obstessen als erste Bürgerpflicht aufgerufen hat. „An apple a day keeps the Putin away“ - damit, Herr Minister, haben Sie es zu Recht in die Satiremagazine der Republik geschafft. ({3}) Ich denke, dass wir alle mehr davon hätten, wenn Sie sich als Ernährungs- und nicht nur als Exportminister verstehen würden, ({4}) wenn Sie mehr dafür tun würden, dass unsere Kinder in Schulen und Kitas gesundes und leckeres Essen bekommen, und wenn Sie Obst nicht als Instrument einer fragwürdigen Nebenaußenpolitik, sondern als Mittel der Gesundheitsförderung für die Jungs und Mädchen in unseren Kindertagesstätten betrachten würden. Ihr Kollege Herr Müller spricht schon seit Jahren davon, dass Deutschland in Sachen Schulverpflegung ein „Dritte-Welt-Land“ ist, und der Mann hat leider recht. ({5}) Nur jedes dritte Kindergartenkind und auch ungefähr jedes dritte Schulkind bekommt ein Essen, das den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung genügt. Zu süß, zu fett, zu wenig Obst, zu wenig Gemüse - das ist ein Armutszeugnis, ein Armutszeugnis für die Esskultur in diesem Land und auch für Sie als Ernährungsminister. ({6}) Ich bin gespannt auf die Studie, die Sie uns im November präsentieren werden; aber ich glaube, dass wir dann nur noch einmal aufgetischt bekommen, was wir längst wissen: Die Situation ist schlecht, der Handlungsbedarf ist groß. Angesichts dieser Lage frage ich mich, warum Sie das Portemonnaie für die Vernetzungsstellen Schulverpflegung in absehbarer Zeit schließen wollen. Diese Koalition will die Finanzierung der SchulvernetNicole Maisch zungsstellen auslaufen lassen, obwohl sie erfolgreich für besseres Essen in unseren Schulen arbeiten. „An apple a day“? - „No milk today“, das wäre die passendere Beschreibung für die CSU-Ernährungspolitik der letzten Jahre, wenn es um Kinder in Schulen und Kindertagesstätten geht. Was in Ihrem Haushalt weiter steigt, sind natürlich die Mittel für die Exportförderung. Billigfleisch aus deutscher Massentierhaltung für die ganze Welt, insbesondere für Russland, egal, was die ökologischen und sozialen Folgen sind - das ist Ihre Agrarpolitik. Ich glaube, damit können sich die meisten Menschen in diesem Land heute nicht mehr identifizieren. ({7}) Ich möchte einen Agrarminister, der sich nicht als erster Handelsvertreter für deutsches Fleisch sieht, sondern der hinsichtlich des Handels eher darauf setzt, dass im Rahmen von CETA und TTIP, der Freihandelsabkommen, der Freihandel nicht zum Freifahrtschein wird für giftige Kosmetik, für Fleisch von geklonten Tieren und für Gentechnik in unserem Essen. Hier habe ich von dem Agrarminister bisher nur Beschwichtigungen gehört, und das reicht mir nicht. ({8}) Ein Blick auf die Homepage des Ministeriums ist immer lehrreich und unterhaltsam. Dort kann man nämlich sehen, was der Minister den ganzen Tag lang in seinem Ministerium und im Land so macht: Er streichelt Bienen, er bringt brasilianischen Grassamen auf deutschen Fußballplätzen aus, und er hat letztes Wochenende zum ersten Mal einen Tierschutzpreis für einen tierfreundlicheren Umgang mit Sportpferden verliehen. Er hat nämlich Folgendes festgestellt - Zitat -: Bisweilen sind auf dem Vorbereitungsplatz nicht pferdefreundliche Praktiken zu beobachten. Aha. Dafür wird jetzt ein Preis verliehen. Das ist Tierschutz à la CSU. Anstatt sich wirklich mit den Lobbys anzulegen, gibt es Schleifchen für die, die es ein bisschen besser machen. Ich sage Ihnen: Wenn Ihnen Pferde wirklich am Herzen liegen, dann verbieten Sie doch endlich, dass man Pferden ein glühendes Eisen auf den Hintern drückt, dass man Verbrennungen dritten Grades an Fohlen vornimmt. ({9}) Das - und nicht dieses komische Lobespreiszeichen wäre wirkliche Tierschutzpolitik. ({10}) Ich finde, wir können uns kurz einmal zurückerinnern - zumal hier offensichtlich Emotionen aufkommen -: Sie waren sich nicht zu schade dafür, einen Schönheitsarzt und Humanmediziner zu dieser Frage, zum Verkohlen von Pferdehintern, bei der Anhörung hier im Deutschen Bundestag auflaufen zu lassen. Ich finde, die SPD, die sich den Tierschutz ja auch auf die Fahnen geschrieben hat, müsste es in dieser Legislaturperiode wenigstens zustande bringen, dass der Schenkelbrand, diese Folter von Pferden, aufhört. ({11}) Da bei Ihnen offensichtlich Nachholbedarf besteht hinsichtlich der Frage, was man im Tierschutzbereich alles machen kann, empfehle ich Ihnen einen Blick in die Bundesländer. Bei den Landesregierungen gibt es die unterschiedlichsten Farbkombinationen, unter anderem Schwarz-Grün: In Hessen fängt man an, mit der Häckselung, der Massentötung von männlichen Küken, Schluss zu machen. Ich finde, daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen: Machen Sie Schluss mit Schnabelverstümmelungen bei Puten, machen Sie Schluss mit Amputationen bei Mastschweinen, machen Sie Schluss mit den Massentötungen von männlichen Küken! Das wäre eine Tierschutzpolitik, die einer Partei, die sich selbst immer wieder als wertkonservativ bezeichnet, gut zu Gesicht stünde. ({12}) Ich muss Ihnen sagen: Mich stört es sehr, dass die Bilanz dieser Regierung beim Thema Tierschutz so dürr ist wie der Wikipedia-Eintrag des Ministers. Dort steht unter der Überschrift „Minister“ Folgendes: Am 17. Februar 2014 trat Schmidt die Nachfolge von Hans-Peter Friedrich als Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft an. Zitat Ende, Eintrag Ende. Das scheint mir ziemlich wenig. Sie haben in Ihrer Rede über Nudges gesprochen, über Schubse. Ich finde, Sie brauchen einen Schubs, hin zu einer besseren Agrarpolitik und zu mehr Tierschutz. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes Röring das Wort. ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Schmidt! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Landwirtschaft in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. 270 000 Betriebe, rund 90 Prozent davon familiengeführt, ackern und arbeiten für uns. Nie waren Lebensmittel so wertvoll und hochwertig und so bezahlbar wie heute. ({0}) Wir haben die Getreideernte 2014 gerade abgeschlossen. Die deutschen Bauern haben eine Rekordernte eingefahren, in einigen Regionen unter schwierigsten Bedingungen. Hätten wir nicht diese tolle Landtechnik, hätten wir vieles nicht ernten können. Ich sage Ihnen sehr deutlich, wenn wir über Nahrungsmittelspekulationen sprechen: Die beste Antwort auf Spekulationen sind gute Ernten. Sie sichern die Versorgung der Menschen. ({1}) Deswegen sollten wir alle froh sein, dass wir so eine gute Ernte hatten. In diesem Zusammenhang erinnere ich wieder daran, wie wichtig es ist, dass wir über ausreichend Lebensmittelerzeugungsflächen verfügen. Wenn davon pro Tag 74 Hektar verloren gehen, dann ist das eindeutig zu viel. Dieses Thema haben wir im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Wir packen das an, und wir werden Lösungen finden. Ich persönlich bin - das sage ich Ihnen sehr deutlich nicht eher zufrieden, bis wir unsere Acker- und Grünlandflächen genauso wie den deutschen Wald unter Schutz stellen. ({2}) Die deutsche Landwirtschaft ist natürlich von den Sanktionen gegen Russland betroffen. Russland hat als Reaktion auf die Sanktionen die Einfuhr von vielen Lebensmitteln ausgeschlossen. Es ist schon bemerkenswert, dass Lebensmittel hier als Mittel der Auseinandersetzung gewählt werden. Ich kann Ihnen sagen: Es ist gut, dass Deutschland von Lebensmitteln nicht so abhängig ist wie von Gas. Es ist wichtig, dass wir in dem Sinne eine starke Landwirtschaft haben. Wir sind zwar der zweitgrößte Importeur von Lebensmitteln auf der Erde, aber auch der drittgrößte Exporteur. Insofern findet an der Stelle Handel statt. Ich glaube, es ist gut, dass der Bundeslandwirtschaftsminister deutlich gesagt hat, dass die russischen Verbraucher am Ende die Hauptleidtragenden sind. Sie zahlen sehr hohe Preise für Nahrungsmittel, wobei sie über wesentlich weniger Einkommen verfügen als unsere Verbraucher. Umso wichtiger im Hinblick auch auf diese Sanktionen sind natürlich die anderen Märkte. Unser Hauptmarkt ist der Markt vor Ort, sind unsere Verbraucher in Deutschland, die 80 Millionen Menschen, die wir täglich gern und sicher versorgen wollen. Auch der europäische Markt ist für uns wichtig. Ich bin Minister Schmidt für sein Bekenntnis zu den Exportmärkten außerordentlich dankbar. ({3}) Peter Bleser ist im Moment in Peking unterwegs und treibt die Errichtung des deutsch-chinesischen Agrarzentrums voran. ({4}) Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass wir bei der Exportförderung nicht über Exporterstattung sprechen, sondern über Handelserleichterungen, zum Beispiel Veterinärabkommen. Auch da bin ich den Haushältern dankbar, dass wir zusätzliche Stellen bekommen, um das alles zu schaffen. Um die gleichen Dinge geht es auch bei CETA und TTIP, den Handelsabkommen mit Kanada und den Vereinigten Staaten. Absatzmärkte für unsere hochwertigen Erzeugnisse, Autos, Maschinen, Anlagen und auch Nahrungsmittel, sind wichtig für unsere Wirtschaft. Ich erwarte von der Europäischen Union robuste Verhandlungen im Sinne unserer Verbraucher, aber auch unserer Wirtschaft. Eine Exportnation wie Deutschland ist auf gute Rahmenbedingungen im Handel angewiesen. Diese Abkommen beinhalten aus meiner Sicht viele Vorteile, vor allen Dingen auch für unseren Mittelstand. Ich sage Ihnen sehr deutlich: An der deutschen Landwirtschaft werden diese Abkommen nicht scheitern. Wir wollen Chancen nutzen und Standards schützen. Diese Abkommen bieten auch die Chance einer allgemeinen Standarderhöhung. Deswegen brauchen wir gerade auch bei TTIP und CETA eine sachliche Debatte, die sich mit den Chancen, aber auch den Risiken beschäftigt. ({5}) Ich glaube - dies muss man deutlich sagen -, dass dies auch für andere Themenfelder gilt. Organisationen, die ihr Geschäft mit den Ängsten der Bevölkerung machen, sind bei solchen Diskussionen fehl am Platz. ({6}) Landwirte genießen in Deutschland ein hohes Ansehen. Das belegen Umfragen immer wieder. Aber es herrscht allgemeine Skepsis gegenüber moderner Lebensmittelerzeugung auf dem Acker und im Stall. ({7}) Wir von der CDU/CSU wollen eine sachliche Debatte über die Tierhaltung. Dabei sage ich ganz deutlich: Es ist vornehmlich Aufgabe der Wirtschaft, Dinge selbstkritisch zu hinterfragen, Verbesserungen umzusetzen und am Ende natürlich auch darüber aufzuklären. Als gutes Beispiel nenne ich hier die Initiative Tierwohl. Hier haben sich zum ersten Mal - das müssen Sie sich genau anschauen - Bauern, Verarbeiter und Handel an einen Tisch gesetzt mit dem Ziel, noch mehr für den Tierschutz in deutschen Ställen zu tun. Mit dem Ziel ist es nicht getan. In diesem Fall ist auch ein Ergebnis dabei herausgekommen, das dafür sorgt, dass die deutschen Landwirte von dieser Entwicklung profitieren. Auch dies ist zum ersten Mal so. Deswegen ist es eine völlig neue Qualität der Zusammenarbeit. Mit dieser Initiative - das sage ich sehr deutlich - wollen wir mit der Tierhaltung aus der Nische herauskommen und für alle Tiere etwas tun. Es ist kein Label, kein Sonderprogramm und auch nicht das 46. Markenfleischprogramm, sondern eine Initiative, die allen Tieren in Deutschland zugutekommt. ({8}) Ich bin sehr froh, dass Minister Schmidt seine Tierwohloffensive, die er, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, gerade angekündigt hat, für einen ganzheitlichen Ansatz nutzt; das ist auch im Haushalt erkennbar. Ich bin der Überzeugung, dass wir nicht nur über Nutztiere, sondern auch über Zoo-, Zirkus- und Heimtiere reden sollten, also über die gesamte Palette der Themen inklusive dem Welpenhandel und anderen Dingen, die ganz wichtig sind. Diese Maßnahmen knüpfen nahtlos an viele Regelungen an, die in der deutschen Tierhaltung wichtig sind. Viele tun ja so, als würde das im rechtsfreien Raum geschehen. Wir haben aber einschlägige Gesetze und Verordnungen en masse. ({9}) Ich erinnere an das Tierschutzgesetz und das Arzneimittelgesetz, das sich in der Umsetzung befindet. Hier haben wir ganz klare Signale gesetzt, nicht nur den Einsatz von Antibiotika, sondern vor allen Dingen auch die Resistenzbildung stark zu reduzieren. Ich bin froh, dass in diesen Haushalt für die nächsten drei Jahre 21 Millionen Euro allein für die Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben eingestellt worden sind. Ich glaube, wir müssen fernab von den Elfenbeintürmen der Theorie praxisgerechte Maßnahmen weiterentwickeln, die den Bauern helfen. Am Ende lautet das Motto nämlich: Diese Entwicklung geht nur mit den Bauern, mit den Tierhaltern. Deswegen finde ich es richtig, auf diese Art und Weise vorzugehen. Verbote und Anfeindungen helfen da überhaupt nicht weiter. Ich spreche an dieser Stelle ganz deutlich für die deutschen Bauern, die sich zum Ziel gesetzt haben, in ihren Ställen gesunde Tiere zu haben, um gesunde Lebensmittel verkaufen zu können. ({10}) Bauernfamilien, meine Damen und Herren, können ihre Höfe nicht ins Ausland verlagern, sondern sind standortgebunden, müssen sich aber trotzdem dem Wettbewerb stellen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Bei allen Verbesserungen muss immer auch der Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit im Auge behalten werden. An einigen Stellen müssen wir die Kirche im Dorf lassen. Was nützen uns die besten Innovationen, wenn die Fleischerzeugung ins Ausland verlagert wird, wo die Standards, wie wir alle wissen, mit Sicherheit nicht genauso hoch sind wie bei uns? Wir von der CDU/CSU - das gilt aber auch für die Koalition insgesamt; das haben wir gerade vom Kollegen Priesmeier gehört - bekennen uns zur Vielfalt unserer Landwirtschaft mit all ihren Bewirtschaftungsformen und Betriebsgrößen. Wir wollen eine wettbewerbsfähige Landwirtschaftsstruktur in Deutschland. Eine verbotsgesteuerte Agrarpolitik lehnen wir gerade in Anbetracht unserer mittelständischen Strukturen entschieden ab. ({11}) Überzogene Auflagen und Verbote schrecken nämlich zunehmend junge Menschen ab, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Unser Leitbild ist die bäuerlich-unternehmerische Landwirtschaft. Die große Mehrheit der Bauern in Deutschland wirtschaftet so. Das soll auch so bleiben. Bauernfamilien sind zur Selbstkritik bereit und stehen auch Änderungen offen gegenüber. Jedoch sind wir alle entsetzt über illegale Stalleinbrüche militanter Aktivsten. ({12}) Mit teils gefälschten Bildern wird ein Zerrbild der Landwirtschaft in öffentlich-rechtlichen Sendern verbreitet. Das ist der Nährboden - das ist meine Sorge - für Rechtsbrüche wie Brandstiftung in Ställen - das alles hat es schon gegeben - und Mobbing von Bauernkindern in Schulen. Ich möchte an die Kritiker der Landwirtschaft appellieren, fair und gewaltfrei über dieses Thema zu diskutieren. ({13}) Die Landwirtschaft zukunftsfähig erhalten und sie auf die Zukunft ausrichten, das ist unser Ziel. Der Bundeshaushalt 2014 bietet dafür eine gute Grundlage. Ich möchte abschließend Bundesminister Christian Schmidt und all seinen Mitarbeitern für diesen Einzelplanentwurf danken. Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Karin Binder das Wort. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Ihr Haushaltsentwurf 2015 zementiert im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft einen Stillstand. Ich sehe, dass drängende Themen nicht angegangen werden. Schlimmer noch: Wichtige Forschungsaufgaben stehen auf der Kippe, weil das Finanzministerium die Mittel sogar rückwirkend für 2014 kürzt. Pflichtaufgaben wie Prävention werden dadurch sogar gefährdet. An drei Punkten will ich das verdeutlichen. Die Lebensmittelsicherheit ist mein erster Punkt. Wir alle wissen: Bundesweit fehlen rund 3 000 amtliche Lebensmittelkontrolleure. Die Kontrollbehörden sind auf Länder und Kommunen verteilt, sind zersplittert und deshalb nicht schlagkräftig. Demgegenüber stehen globalisierte Lebensmittelkonzerne, die unzulänglich kontrolliert ihre Zutaten weltweit zusammenkaufen. Zunehmend werden Lebensmittel auch von Endverbrauchern über das Internet bestellt. In dieser Situation ist Deutschland nicht in der Lage, geltendes EU-Recht zur Lebensmittelsicherheit wirksam umzusetzen. Das hatte bereits ein Gutachten des Bundesrechnungshofs noch in der Amtszeit von Ministerin Aigner festgestellt. Deshalb fordert die Linke seit Jah4734 ren, dass die Lebensmittelüberwachung großer Unternehmen endlich auf den Bund übertragen wird. Außerdem ist unverzüglich eine Taskforce einzurichten. Um den gesundheitlichen Verbraucherschutz sicherzustellen, muss Geld in die Hand genommen werden. ({0}) Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt. Herr Minister, das müssen Sie Ihrem Kollegen Schäuble klarmachen. Mein zweites Thema ist die Ernährungsforschung. Die Bundesregierung hat die gesunde Ernährung auf ihr Schild gehoben - ich höre Ihre Worte wohl, Herr Minister, und freue mich, dass Ihnen dieses Thema wichtig zu sein scheint - vor dem Hintergrund, dass in vielen Bereichen unserer Gesellschaft Fehl- und Mangelernährung festzustellen ist, was auch wesentliche Auswirkungen auf die Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme hat. Was sind die Ursachen falscher Ernährung? Welchen Einfluss haben Medien auf die Ernährungsgewohnheiten gerade von Kindern? Wie wirkt sich die massive Fast-Food- und Süßwarenwerbung aus? Auch das Europäische Parlament und der Rat betonen, dass ausgewogene Ernährung auf dem Rückzug ist. Grund seien - ich zitiere - „moderne Ernährungstrends hin zu stark verarbeiteten Nahrungsmitteln mit oftmals hohen Beimischungen von Zucker, Salz und Fett“. Besonders betroffen sind junge Menschen. Ich frage Sie, Herr Minister: Wie sehen Ihre Maßnahmen aus? Die Bundesregierung streicht die Mittel für das Kompetenznetz Adipositas, das sich intensiv um Aufklärung über die Ursachen und Folgen von Übergewicht kümmert. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung braucht dringend eine Basisfinanzierung. Aber Sie lassen die Einrichtung am ausgestreckten Arm verhungern. 350 000 Euro wären nach Auskunft von Professor Kersting, der Leiterin der Einrichtung, notwendig, um dies zu sichern. Betroffen vom Kürzungsdiktat ist auch die grundlegende Ernährungsforschung des MaxRubner-Instituts. Wir möchten hier und jetzt von Ihnen die Garantie haben, dass die Nationale Verzehrsstudie, wie geplant, uneingeschränkt fortgeführt werden kann. Wir fordern parallel dazu die Finanzierung einer weiteren, fast noch wichtigeren Studie, die das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen eingehend beleuchtet. Wir alle wissen: In der Kindheit erlerntes Essverhalten prägt uns ein Leben lang. Da müssen wir ansetzen. Ich komme zu meinem dritten Thema, zur Schul- und Kitaverpflegung. Die Schul- und Kitaverpflegung in Deutschland ist eine Katastrophe. Wenn überhaupt eine warme Mittagsmahlzeit zur Verfügung steht, ist das Essen einseitig, zu fett, zu süß oder zu salzig. Meist werden die Kinder nicht einmal gefragt, was sie essen mögen. Dabei besucht heute jedes dritte Kind ganztags die Schule oder die Kita. Der Tenor in der CDU/CSU dazu war bisher, der Bund sei nicht zuständig, das koste zu viel, das Geld reiche nicht, die Verantwortung für eine abwechslungsreiche, hochwertige Kita- und Schulverpflegung liege bei den Ländern, bei den Kommunen oder letztlich bei den Eltern. Das ist zynisch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Arme Familien können sich das Schulessen nicht leisten. Arme Familien gibt es im reichen Deutschland aber immer mehr. Ernährung und Ernährungsbildung ist ein Auftrag staatlicher Vorsorge. Immerhin lässt die Bundesregierung inzwischen auf nachdrückliche Aktivitäten der Linken hin die Situation der Schulverpflegung in Deutschland untersuchen. Die Studie soll im November vorgestellt werden. Sie wird zeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Sie werden sich künftig nicht mehr vor der Verantwortung drücken können, Mittel für Gegenmaßnahmen einzustellen. Die Linke fordert eine unentgeltliche und hochwertige Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder und Jugendlichen. ({1}) Die Finanzierung ist vom Bund sicherzustellen. Im Haushalt 2015 würden dafür zunächst einmal 3 Milliarden Euro reichen. Das ist der Betrag, den der Bund stattdessen für die unsinnige Steuerentlastung von Dienstwagen zur Verfügung stellt. Es ist eine ganz einfache Entscheidung: Schulessen statt S-Klasse! Noch ein Wort zum Schulobstprogramm. Herr Minister Schmidt, Sie haben zugesagt, die Mittel aus der Eilverordnung zur Stützung der Obst- und Gemüsebauern ins Schulobstprogramm zu leiten. Das ist schon einmal ein guter Anfang. Ich hoffe, dass wir in dem Haushalt noch ein paar weitere Schritte miteinander gehen können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß. ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Zuschauerrängen! „Genießt uns!“, diese Initiative wird Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, morgen früh am Südausgang des Reichstages einen Frühstückssnack überreichen mit Lebensmitteln, die normalerweise weggeworfen würden. Aber keine Sorge: Sie können sie ohne Bedenken verzehren. Die Lebensmittel gehören zu den Lebensmitteln, von denen bei uns leider so viele im Müll landen. Diese Aktion soll darauf aufmerksam machen, dass allein in Deutschland jedes Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Was das mit dem Haushalt zu tun hat, fragen Sie sich? Viel! Denn diese Aktion soll auch daran erinnern, dass wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, schon 2012 fraktionsübergreifend beschlossen haben - vielleicht erinnern Sie sich daran; ich glaube, Herr Röring war auch mit dabei -, etwas gegen diese Verschwendung zu tun. Sie frisst so viele Ressourcen, kostet Milliarden und trägt global zum Klimawandel wie zum Hunger in der Welt bei. Die von der ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner aufgesetzte Kampagne „Zu gut für die Tonne“ war ein guter Start. Auch in diesem Jahr sind im Budget des Ministeriums dafür 1 Million Euro vorgesehen. Die Mittel fließen bisher vor allem in die Verbraucheraufklärung. Das ist sicherlich richtig und notwendig. Ich finde aber, wenn wir diesem Problem - ich erinnere noch einmal daran: bei uns werden pro Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen - beikommen wollen, müssen wir verstärkt auch die anderen Teilnehmer der Lebensmittelkette in die Verantwortung nehmen. Wir, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPDBundestagsfraktion, wollen uns daher in den Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, dass ausreichend Mittel für Studien zur Lebensmittelverschwendung in der Landwirtschaft und in den anderen Teilen der Wertschöpfungskette zur Verfügung gestellt werden. ({0}) Wir müssen wissen, wie viel wo warum weggeworfen wird, um entsprechende Gegenmaßnahmen entwickeln zu können. Die bisherigen Untersuchungen zu Handel, Gastronomie und Industrie - alle, die schon etwas länger dabei sind, kennen sie - sind nicht sehr hilfreich; das will ich sagen, auch wenn der Kollege Holzenkamp da etwas skeptisch guckt. Ihnen liegen nämlich keine konkreten Messungen oder verlässliche Zahlen dieser verschiedenen Branchen zugrunde. Die einzelnen Wirtschaftszweige verschweigen bisher, wie viel sie wirklich wegwerfen. Daraus müssen wir selbstverständlich die Konsequenzen ziehen. Wir brauchen Zielvorgaben für die Wirtschaft. Wir müssen ein konkretes Abfallvermeidungsprogramm für alle Branchen entwickeln. Wir müssen vorbildliche Projekte ganz konkret fördern und unterstützen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich erinnere Sie noch einmal daran -, haben wir schon 2012 in einem fraktionsübergreifenden Antrag geschrieben. Sie wissen: Kurz vor Weihnachten macht sich so etwas immer ganz besonders gut. Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sehr geehrter Herr Minister Schmidt, wir müssen jetzt endlich an die Umsetzung dieser Forderung, die wir damals bereits formuliert haben, gehen. ({1}) „Zu gut für die Tonne“ darf sich nicht allein mit Verbrauchertipps begnügen. Für die Forschung und für ein Programm gegen Lebensmittelverschwendung, das alle Wirtschaftsbeteiligten einbindet, müssen wir entsprechende Mittel bereitstellen. Dafür wollen wir als SPD uns in den Haushaltsverhandlungen starkmachen. Dem beschämenden Ausmaß der Lebensmittelverschwendung - ich sage es noch einmal: 11 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr - werden wir entschieden und konsequent entgegentreten. Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen: 16 Millionen Euro sind im Budget des Ernährungsministeriums für die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher vorgesehen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass aus diesem Topf endlich eine Informationskampagne für das „Ohne Gentechnik“-Siegel finanziert wird. Wie Sie wissen, lehnt die Mehrzahl der Verbraucherinnen und Verbraucher Gentechnik im Essen ab. Das freiwillige Siegel ist bisher leider die einzige Möglichkeit, verlässlich Produkte zu erkennen, die ohne den Einsatz von GVO-verändertem Futter hergestellt worden sind. Leider ist dies viel zu wenig bekannt. Natürlich ist dies kein Ersatz für die verpflichtende Kennzeichnung von Eiern, Milch oder Fleisch, bei denen gentechnisch veränderte Futtermittel eingesetzt wurden. Wir kämpfen weiterhin vehement für diese Kennzeichnung. Das „Ohne Gentechnik“-Siegel haben wir bereits; das habe ich schon erwähnt. Zahlreiche Produkte tragen es. Allerdings ist das vorhandene Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Ich freue mich schon auf das vereinbarte Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU zu diesem Thema. Wir wollen das endlich ändern. Dafür brauchen wir eine gute und einschlagende Informationskampagne. Sie hören es: Wir haben noch ein paar Baustellen. Auf die anstehenden Diskussionen freue ich mich sehr. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bedanke mich für die Rededisziplin; das muss man ja einmal sagen. Am heutigen Tag ist das nicht ganz selbstverständlich. ({0}) Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmidt, in der letzten Woche war ich mit Kolleginnen und Kollegen des Agrarausschusses wegen der TTIP-Verhandlungen in den USA. Dort habe ich eine Art Hochleistungsagrarindustrie erlebt, die mit Gentechnik, mit Hormonen und mit Pestiziden durchrationalisiert Nahrungsmittel produziert. Mit unserer Agrarkultur hat das nur noch wenig zu tun. Bäuerliche Familienbetriebe, die Sie, Herr Minister, und ich aus unserer Heimat kennen, haben in diesem Agrarmodell keine Zukunft. Ihre Aufgabe wäre es, der bäuerlichen ökologischen Landwirtschaft mit Ihrem Haushalt eine Perspektive zu geben. Doch leider ist das Gegenteil der Fall. ({0}) Wenn wir bäuerliche Betriebe unterstützen wollen, dann müssen wir in Innovationen investieren, die diesen Betrieben Perspektiven eröffnen. Wenn Sie aber mit Tierwohlprogrammen die Akzeptanz der Massentierhaltung verbessern wollen, helfen Sie damit eben gerade nicht den bäuerlichen Betrieben bei der Bewältigung der Herausforderungen des Tierschutzes - diese brauchen nämlich statt Imagewerbung konkrete Umbauhilfen -, sondern deren Konkurrenz in großem Stil. ({1}) „Gleiche Unterstützung für alle“ bedeutet im Klartext: Freie Fahrt für den Strukturwandel. Damit fördern Sie weiterhin die aktive Selbstabschaffung der bäuerlichen Landwirtschaft. Wir haben vom Kollegen Priesmeier gehört, dass die SPD das beschleunigen möchte. - Ein Wort zur Hofabgabeklausel in diesem Zusammenhang: Die gehört nicht modifiziert, sondern abgeschafft. ({2}) Herr Minister, eine echte Stärkung der bäuerlichen ökologischen Landwirtschaft fördert auch und vor allem die ländlichen Räume, von denen Sie gesprochen haben. Ja, Sie haben hier etwas aufgelegt - immerhin! Die Bundeskanzlerin hat aber im Frühjahr 2013 die EU-Fördermittel für die zweite Säule um 350 Millionen Euro pro Jahr rasiert. Und jetzt präsentieren Sie uns ein MiniBundesprogramm von 10 Millionen Euro als die Lösung? Ihr Finanzminister holt sich das Geld wirklich nicht bei der Bank. Er macht den ländlichen Raum „zur Sau“, indem er ihn zum Sparschwein degradiert. ({3}) Allein unseren grünen Landesagrarministerinnen und -ministern ist es zu verdanken, dass die Förderung der ländlichen Räume eben nicht völlig eingebrochen ist, und das gegen heftigste Widerstände - ich muss es leider sagen - aus der Union. ({4}) Wo bleibt, Herr Minister, die von Ihrem Chef in München noch im letzten November mit großem Brimborium versprochene Aufstockung der Mittel für die GAK um 200 Millionen Euro, um die Merkel’schen Kürzungen aufzufangen? Inzwischen treibt Seehofer lieber eine neue Sau durchs Dorf. Ich rufe Sie dazu auf, an der Aufstockung von 200 Millionen Euro festzuhalten. Wir jedenfalls werden sie beantragen; denn der ländliche Raum und die nachhaltige Landwirtschaft haben das bitter nötig. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ebner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Unionsfraktion?

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne doch. - Herr Kollege de Vries.

Kees Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004435, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Ebner, Sie haben gerade wieder den wunderbaren Begriff „Massentierhaltung“ in den Mund genommen. Ich möchte endlich von Ihnen wissen, was Massentierhaltung eigentlich ist.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich könnte auch „großmaßstäbliche Intensivtierhaltung“ sagen, dauert aber länger. Das ist es. ({0}) - Nein. Schauen Sie nach Niedersachsen, schauen Sie nach Brandenburg. Dort sind erhebliche Teile der Tierhaltung nicht mehr an die Fläche gebunden. Erhebliche Teile unserer Tierproduktion finden ohne eine Flächenbindung statt mit importiertem Futtermittel, das in großen Teilen aus Südamerika stammt, beispielsweise Soja, und zwar auf engem Raum und in großen Mengen. ({1}) Die genaue Grenze zur Massentierhaltung kann man nicht ziehen. Aber da fängt sie meiner Meinung nach an. ({2}) Natürlich spielt bei der ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft und den Maßnahmen für den ländlichen Raum auch der Ökolandbau eine zentrale Rolle. Trotz der riesigen Nachfrage nach heimischen Bioprodukten ({3}) gibt es von Ihnen keinen einzigen Cent mehr im Bundesprogramm „Ökolandbau und Sonstiges“. Noch schlimmer: Sie reservieren dieses Geld nicht einmal für den Ökolandbau. ({4}) Das größte Hindernis für den Ökolandbau ist Ihre Agrarpolitik. Wer „Öko“ nach vorne bringen will, darf eben nicht dieser Art von Agrarmodellen und dem Anbau von Genmais den Weg freimachen, Herr Minister, ({5}) und er darf schon gar nicht zusehen - das ist mir besonders wichtig -, wie mit dem neuen Kommissionsvorschlag für die EU-Öko-Verordnung das Grundprinzip der Prozessqualität geschleift werden soll und Ökobetriebe in ihrer Existenz gefährdet werden. Dieser Vorschlag gehört nicht in Ratsarbeitsgruppen, sondern in den Papierkorb, Herr Minister. Dafür müssen Sie sorgen. Was aber der Ökolandbau braucht, sind die Zweckbindung von 20 Prozent der Agrarforschungsmittel für den Ökosektor und die Konzentration der Mittel im Bundesprogramm auf den Ökolandbau. Beides werden wir beantragen. Es ist gut, dass die SPD unseren Antrag unterstützt, wie ich gehört habe. ({6}) Der Raiffeisenverband redet gerade den Untergang des Agrarstandortes Deutschland herbei, weil den Betrieben angeblich die Pestizide ausgingen. Die großen Agrarverbände fordern, bei der Zulassung von Pestiziden nicht mehr so genau auf ökologische und gesundheitliche Risiken zu achten. Genau das wollen manche über das TTIP-Abkommen erreichen. Es darf aber, werte Kolleginnen und Kollegen, keinen Nachlass beim Umwelt- und Verbraucherschutz geben. Das Beispiel Neonikotinoide beweist, welch massive Risiken auch in modernen Pflanzenschutzmitteln verborgen sind. Die EU fordert seit fünf Jahren, die Abhängigkeit von der Verwendung von Pestiziden zu verringern. Aber dafür haben Sie keinen Plan und erst recht kein Programm im Haushalt. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ebner, ich weiß etwas, was Sie noch nicht wissen: Ihre Uhr ist angehalten. Ich frage Sie, ob Ihnen der Kollege Holzenkamp eine Frage stellen darf oder eine Bemerkung machen kann.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Ebner, ich will Ihnen nicht nur die Chance geben, Ihre Redezeit zu verlängern. Mich interessiert vielmehr Ihre Antwort auf eine Frage. Sie sprechen ausschließlich von der ökologischen Landwirtschaft. Was meinen Sie damit konkret? Sie reden nämlich ausschließlich von Förderprogrammen für diesen Bereich. ({0}) Sind Sie der Meinung, dass wir die 80 Millionen Menschen in Deutschland ausschließlich mit der ökologischen Landwirtschaft ernähren können? Sind Sie der Meinung, dass sich die Menschen aus allen gesellschaftlichen Ebenen Produkte aus der ökologischen Landwirtschaft leisten können? Wie stellen Sie sich eine solche Umsetzung ganz konkret vor?

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Holzenkamp, Sie selbst haben immer noch in einigen Papieren stehen - das ist auch eine alte Forderung des Rats für Nachhaltigkeit der Bundesregierung -, dass der Ökolandbau in den nächsten Jahren auf eine Zielgröße von 20 Prozent zu bringen sei. Wir können uns darüber unterhalten, ob es mehr oder weniger sein soll. Darüber spreche ich. Was müssen wir tun, damit wir überhaupt auf diese Zielgröße kommen und in der Lage sind, hier in diesem Land mit unseren bäuerlichen Betrieben die Nachfrage nach Biolebensmitteln zu befriedigen? Das wäre schon einmal ein erster Schritt. ({0}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir den Menschen hier im Land und weltweit natürlich die Wahlfreiheit lassen sollten, was sie essen wollen. ({1}) Darin sind wir uns ganz bestimmt einig. Es gibt immer mehr Menschen, die Ökolebensmittel essen wollen. Das sollten wir ihnen auch ermöglichen. ({2}) Vielleicht haben Sie es schon vergessen, Herr Minister, die Kollegin Drobinski-Weiß hat es zum Glück nicht vergessen: Das BMEL ist auch für den gesundheitlichen Verbraucherschutz verantwortlich. Gerade erst ist der Minister auf der AMK mit seinem Plan krachend gescheitert, die geplanten Gentechnikanbauverbote auf die einzelnen Bundesländer herunterzubrechen und damit das Chaos perfekt zu machen. Es ist gut so, dass er damit gescheitert ist; denn statt den Türöffner für den Genmais zu spielen, könnten Sie die Wahlfreiheit - Herr Kollege Holzenkamp, da sind wir wieder beim Thema - stärken und endlich das von Ihrem Haus entwickelte Qualitätszeichen „Ohne Gentechnik“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Stattdessen sehen Sie weiter zu, wie den Verbraucherinnen und Verbrauchern Fleisch- und Milchprodukte, die auf Basis von Gentechnikfutter produziert worden sind, ohne Kennzeichnung untergejubelt werden. Damit muss Schluss sein. Statt in die genannte Exportförderung sollten Sie die 2 Millionen Euro in das „Ohne Gentechnik“-Siegel investieren. ({3}) Es ist sehr bedauerlich, dass Ihr Agrarhaushalt den bäuerlichen Betrieben, der Umwelt und den Verbrauchern keine Zukunftsperspektive bietet. Das soll er auch nicht, wenn ich den Kollegen Priesmeier richtig verstanden habe. Vermutlich dürfen Sie auch nicht anders angesichts des TTIP-Abkommens mit den USA. Wir alle im Saal wissen spätestens seit der Ifo-Studie, dass dieses Abkommen auf Kosten unserer bäuerlichen Landwirtschaft geht. Der Kollege Röring hat gesagt: An der deutschen Landwirtschaft wird TTIP nicht scheitern. Aber ich bin überzeugt: Wie es jetzt aussieht, wird die deutsche bäuerliche Landwirtschaft an TTIP scheitern. Ich rufe Sie auf, mit uns gemeinsam genau dieses zu verhindern. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kollegin Marlene Mortler. Vizepräsidentin Petra Pau ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es nicht um Details der Agrarpolitik, um Greening, um Gentechnik, um Düngeverordnung, heute geht es ums Ganze. Wo kommen wir her, wo stehen wir, und vor allem wo wollen wir hin? Es geht um die grundsätzliche Ausrichtung unserer Landwirtschaftspolitik, und die spiegelt sich - herzlichen Dank, lieber Herr Minister - in unserem Agrarhaushalt wider. Sie alle wissen, dass der CSU die Landwirtschaft besonders wichtig ist, dass sie uns am Herzen liegt. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Landesgruppe kommen aus der Landwirtschaft, und auch ich habe Landwirtschaft von der Pike auf erlernt und lebe und arbeite mit meiner Familie auf unserem Hof. Gerade weil wir dicht an unseren Betrieben dran sind, nehmen wir wahr und spüren wir, wie viele Bauern unter immer neuen Anforderungen ächzen. Das beginnt bei den Umweltstandards und setzt sich beim Mindestlohn fort. Um es ganz klar zu sagen: Mit einem normalen landwirtschaftlichen Familienbetrieb ist es heute viel schwieriger, eine Familie zu ernähren, als eine Generation früher. ({0}) Ich stelle hier keine der bestehenden Regelungen und Standards infrage, ich möchte nur festhalten, dass sich in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten unglaublich viel getan hat und dass der Aufwand, mit dem unsere Betriebe, also unsere Ernährer, gesellschaftlichen Anforderungen nachkommen, enorm ist. Zugleich zeigen Umfragen, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher nach wie vor der Meinung sind - auch die Vorredner vonseiten der Opposition -, es gehe mit der Qualität und der Sicherheit von Lebensmitteln eher bergab - gegen jede Erfahrung, trotz weltweit höchster Lebensmittelstandards und trotz dieses riesigen Aufwandes. Es ist ja eine gute Nachricht, dass das Thema Ernährung heute so ernst genommen wird. Es sind auch gute Nachrichten, dass für viele längst nicht nur der Preis von Obst und Gemüse zählt, dass es den Konsumenten nicht egal ist, wie es im Stall aussieht, dass es ihnen nicht egal ist, was auf Tiertransporten geschieht, und es ihnen auch nicht gleich ist, was ein Bauer auf seinem Acker macht, was genau er anbaut, wie und womit er düngt, womit er seine Pflanzen behandelt. Doch diese Besorgnis trägt mitunter merkwürdige Früchte, weil das Gros der Verbraucherinnen und Verbraucher heute nur noch eine diffuse Vorstellung von dem hat, was auf einem Bauernhof wirklich geschieht. Wer weiß denn in einer hochtechnisierten Welt noch, welche Kunst es ist, eine ordentliche Ernte einzufahren, und wo die eigentlichen Herausforderungen in der Tierhaltung liegen? Jeder von uns kennt die romantische Vorstellung, nur in einem Kleinstbetrieb mit zehn Kühen und fünf Schweinen gehe es den Tieren richtig gut, oder aber die Meinung, dass das Gemüse im Bioladen um die Ecke am frischesten sei. Ich habe wahrlich nichts gegen Bioläden - auch wir verarbeiten in unserem Betrieb Produkte aus biologischem Anbau -, aber verkürzen darf man diese Debatte nicht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe das Gefühl, dass sich Landwirtschaft und Verbraucher in Deutschland in den letzten Jahren voneinander entfernt haben, und es ist eine der zentralen Aufgaben unserer Agrarpolitik, aber auch der Landwirte selber, hieran etwas zu ändern bzw. im positiven Sinne zu verbessern. ({1}) Wir sollten auch einen Moment darüber nachdenken, wie wir selbst dazu beigetragen haben, auch hier im Haus. Natürlich weiß jeder, dass er viel Applaus bekommt, wenn er etwa pauschal gegen Pflanzenschutzmittel wettert - Sie, Frau Maisch, haben genug Beispiele gebracht -, ({2}) obwohl doch ein verantwortungsvoller Einsatz nicht nur die Existenz vieler Betriebe sichert, ({3}) sondern auch dazu beiträgt, Flächen effizient und sparsam zu nutzen, um am Ende unsere eigene Versorgung zu sichern. ({4}) Das Gleiche ist der Fall, wenn man in der Tierwohldebatte einfach pauschal die Tierhaltung geißelt. ({5}) Glauben Sie mir: Ich halte wenig von Megaställen, von riesigen Mastbetrieben, aber ich erkenne auch, dass es zwischen Betriebsgröße und Tierwohl erst einmal keinen Zusammenhang gibt. ({6}) Meine Damen und Herren, wir sind es unseren Bäuerinnen und Bauern und genauso uns allen als Verbraucherinnen und Verbrauchern schuldig, sachlicher, fundierter und vorurteilsfreier über unsere Erwartungen an die Landwirtschaft zu sprechen. ({7}) Lassen Sie mich konkret werden. Ich sehe drei Themen, über die wir dringend reden sollten. Erstens. Wie kann es unseren Tieren besser gehen? Im internationalen Vergleich sind die Tierwohlstandards in Deutschland hoch. Das ist unbestritten, und da ist schon sehr viel geschehen. Dennoch will ein bestimmter Teil der Menschen in unserem Land einen Schritt weitergeMarlene Mortler hen. Lassen Sie uns deswegen konzentriert und mit der Praxis, so wie es Johannes Röring geschildert hat, über Maßnahmen reden, die in der Breite ein höheres Tierwohlniveau schaffen, die am Markt aber auch refinanzierbar sind - ohne Hysterie, aber mit dem Willen, wirklich etwas zu verändern. Immer mehr Auflagen und immer billiger geht nicht. ({8}) Wir investieren gerne in noch mehr Tierwohl, wenn der Verbraucher es will und dafür bezahlt. Oder reden wir am Ende über ein Beruhigungsmittel für eine elitäre Minderheit in unserem Land? Es wird sich zeigen. Danke, lieber Johannes, zum zweiten Mal und ganz persönlich. Du machst hier einen Riesenjob. Du redest mit Vertretern der gesamten Produktionskette, mit der ganzen Branche: Bauern, Verarbeiter, Handel. Ich weiß, dass jetzt endlich dieser Aha-Effekt eingetreten ist, dass der Handel nämlich nicht immer und automatisch auf unsere Kosten, auf Kosten der Bauern und Bäuerinnen, profitieren und sich profilieren kann, sondern dass auch er Farbe bekennen muss im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch im Sinne unserer Bauern und Bäuerinnen. ({9}) Zweitens. Weniger mit Tier- als mit Menschenwohl und Umweltschutz hat ein anderes Thema zu tun: die Überkonzentration in der Tiermast. Wollen wir in Deutschland wirklich Mastbetriebe mit 20 000, 30 000 oder 60 000 Schweinen? Ist es wirklich sinnvoll, die Tierhaltung immer weiter in einigen wenigen Regionen zu konzentrieren? ({10}) - Wir diskutieren darüber. - Wir sehen in der Diskussion um die Düngeverordnung, wie schwierig es ist, ein Nährstoffgleichgewicht hinzubekommen. ({11}) Wir sehen auch, dass solche Anlagen von vielen Menschen, die Landwirtschaft in der Gesamtheit kritisieren - ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt -, abgelehnt werden. Offensichtlich überfordern sie ihre Umgebung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Mortler, achten Sie bitte auf die Zeit.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Tierhaltung mit Augenmaß, Tierwohl mit Verstand, das sind die Überschriften. Wir haben gezeigt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, dass wir es schaffen können, wenn wir nur wollen, die Debatte zu versachlichen. Letztes Beispiel: Glyphosat. ({0}) Unsere Anhörung hat eindrucksvoll bestätigt, dass, wenn in den USA Schindluder mit diesem Produkt getrieben wird, das nicht automatisch auf Deutschland übertragbar ist und dass der Umgang mit diesem Mittel bis zum heutigen Tag verantwortungsbewusst ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen; ich sage das jetzt ganz deutlich.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere am Ende für eine Rückbesinnung auf den solide wirtschaftenden, verantwortlich handelnden bäuerlichen Familienbetrieb, und ich plädiere dafür, dass wir in diesem Sinne unseren Agrarhaushalt für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Deutschland unterstützen, weil wir damit die richtigen Weichen stellen. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schaue jetzt zur Fraktion der Grünen. War das die Anmeldung einer Kurzintervention oder nicht? ({0}) - Dann ist das erledigt. Das Wort hat die Kollegin Christina Jantz für die SPD-Fraktion. ({1})

Christina Jantz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004313, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch einmal den Fokus auf den Tierschutz legen. Gerade als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ich mich, dass trotz umfassender Sparbemühungen im Haushalt dem Tierschutz doch ein großer Raum zugestanden wird. ({0}) Dafür haben wir, meine Kollegen von der SPD, gemeinsam gekämpft. ({1}) Bei der Umsetzung dieser Projekte, die uns mit den im Haushalt stehenden Mitteln möglich sind, insbesondere zum Beispiel in der Tierhaltung, müssen wir allerdings - auch das ist angesprochen worden - zwei Gruppen ganz besonders mitnehmen. Das sind zum einen natürlich die Landwirte, die uns aufgrund ihrer Erfahrung viel zu guter Tierhaltung sagen können. Wir müssen aber auf der anderen Seite hierbei die Verbrau4740 cherinnen und Verbraucher mitnehmen. Nur ein Umdenken an der Fleischtheke wird nämlich dazu beitragen, dass das Leben der Tiere in den Ställen tatsächlich verbessert wird. ({2}) Angesprochen sei hier natürlich die Initiative Tierwohl. Und, Kollege Röring, wir hatten gestern ein Gespräch mit den Kollegen beim Deutschen Bauernverband, allen voran mit Ihrem Präsidenten. Und selbst der hat sich ein bisschen zurückhaltender geäußert, als Sie das gerade getan haben. Von daher möchte ich das Augenmerk ganz klar auf eine verbindliche Kennzeichnung, wie zum Beispiel das Tierschutzlabel, richten. Denn ich denke, dass gerade das einen sinnvollen Beitrag leisten kann. ({3}) Auch zu der von unserem Landwirtschaftsminister Herrn Schmidt zu Recht geforderten Stärkung des ländlichen Raumes kommen wir nur bei einem Umdenken in der Tierhaltung - hin zu einer Landwirtschaft in der Form der Familienbetriebe, die auch auf die Umwelt Rücksicht nimmt. Denn die negativen Folgen von riesigen Agrarbetrieben sind uns bekannt. Sie ziehen Belastungen für Umwelt und Anwohner nach sich. Die Umweltauswirkungen, wie die Belastungen des Grundwassers, sind vielerorts - auch bei uns zu Hause - bereits spürbar und nicht mehr wegzudiskutieren. Ein wichtiges und entscheidendes Element sind hier die Tierhaltungssysteme. Allerdings muss sich die Tierhaltung dabei an das Tier anpassen und nicht umgekehrt, wie wir das teilweise noch erleben. ({4}) Meine Damen und Herren, wir greifen genau dieses Thema ganz aktiv auf. Wir suchen Kontakt zu den Ländern und auch zu den Institutionen, die hier bereits beispielhaft agiert haben, führen Expertengespräche vor Ort und auch hier in Berlin. Damit wir unser Ziel einer bäuerlichen Landwirtschaft in der Form der Familienbetriebe, die das Wohl der Tiere und Wettbewerbsfähigkeit miteinander verbindet, erreichen können, brauchen wir natürlich auch weiterhin eine gut ausgestattete Forschung. Auch hier sind wir mit dem Haushalt auf dem richtigen Weg. Ich möchte einmal die Zahlen nennen, die bisher für das kommende Jahr 2015 im Haushalt eingeplant sind. Für Tierschutz stehen 33,6 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist eine enorme Steigerung gegenüber dem Jahr 2014; da waren es nämlich 20 Millionen Euro. ({5}) Diese zusätzlichen Mittel kommen insbesondere den Tieren zugute. Selbstverständlich profitieren aber langfristig auch die Landwirte und die Verbraucher von dieser Erhöhung. Für 2015 möchte ich dabei besonders auf zwei Punkte eingehen: zum einen auf das Bundesinstitut für Risikobewertung mit seiner Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch - kurz: ZEBET. Hier werden für den Tierschutz nun über 9 Millionen Euro ausgegeben. Gerade mit Blick auf die 1,5 Millionen Euro aus dem Jahr 2014 stärken wir hiermit die Bemühungen in Deutschland enorm. Zum anderen möchte ich auf die Modell- und Demonstrationsvorhaben eingehen. Im Jahr 2013 wurde bereits ein Vorhaben mit dem Titel „Tierschutz“ initiiert. In diesem Entwurf sind nun für Tierschutzvorhaben in dem entsprechenden Haushaltstitel 5 Millionen Euro vorgesehen. Auch für die kommenden Jahre sieht die Finanzplanung weitere Mittel vor. So stehen in den nächsten Jahren 21 Millionen Euro bereit, um zum Beispiel die heftig diskutierten Bereiche des Tierschutzes zu bearbeiten. Beispielhaft sei hier das Kupieren zum Beispiel von Schnäbeln bei Geflügel und Schwänzen bei Schweinen genannt. Das gilt es zu vermeiden und zu verhindern. ({6}) Zudem soll durch die Verfahren gezeigt werden, wie die Hygiene in den Ställen gesteigert und der Einsatz von Antibiotika reduziert werden kann. Jedoch müssen wir in der Forschung ganz allgemein darauf achtgeben, welche Projekte wir unterstützen. Einen wichtigeren Stellenwert als heute muss aus meiner Sicht die In-vitro-Forschung spielen. „In vitro“ heißt, dass Bedingungen von Lebewesen nachgestellt werden, Lebewesen - Tiere - aber nicht selbst als Forschungsobjekte eingesetzt werden. Hier muss sich meiner Meinung nach auch ein Wandel in der Wissenschaft vollziehen. ({7}) Publikationen über Tierversuche sind häufig in Fachzeitschriften zu finden; die In-vitro-Forschung hingegen genießt nur ein Schattendasein. Meine Damen und Herren, abschließend: Das Thema Tierschutz wird im Haushalt ernsthaft aufgegriffen. Das ist nicht bloß ein Feigenblatt. Doch der vor uns liegende Weg - das hat die Diskussion hier schon gezeigt - fordert unsere fortwährende und gemeinsame Anstrengung. Ich lade Sie ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich weise trotzdem darauf hin, dass die Ankündigung des Endes der Rede ebendieses Ende nicht ersetzt. ({0}) Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf zu achten. Vizepräsidentin Petra Pau Das Wort hat die Kollegin Katharina Landgraf für die Unionsfraktion. ({1})

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle zunächst einmal fest, dass mein Thema in der Debatte des Landwirtschaftshaushaltes angenehm und interessant ist. Es geht nämlich um die Ernährung, besser gesagt, die gesunde Ernährung. Das Thema interessiert doch wohl jeden Menschen. Kochen und Speisen begeistern immer mehr Fernsehzuschauer. Heute Nachmittag zum Beispiel laufen im ZDF sogar zwei Kochshows, nur unterbrochen durch die Nachrichten. Bei diesen sogenannten Küchenschlachten in öffentlich-rechtlichen Programmen, aber auch bei den Privaten und in den geruhsamen Heimatmagazinen kann man neugierig und völlig legitim in fremde und manchmal sogar auch in adlige Küchen und Kochtöpfe gucken. Es gibt kaum eine Unterhaltungssendung, in der nicht gekocht und gespeist wird. Hin und wieder wird nicht nur das jeweilige Rezept vorgestellt, sondern es werden auch die Zutaten und deren Herkunft erläutert. Zur Perfektion dieser Mediensparte fehlt nur noch das Geruchsfernsehen. Das wäre der Hit auf der nächsten Funkausstellung in Berlin. Die mediale Publicity für Kochen und Genießen ist fast nicht mehr steigerungsfähig. Das Ganze erscheint wie ein Selbstläufer. Angesichts dieser Fülle von Angeboten rund um die Uhr könnte man meinen, dass weitere Aufklärungskampagnen oder vom Bund geförderte Projekte zum Thema Ernährung eingespart werden könnten. Aber so einfach ist das nicht. Meine Damen und Herren, das Sprichwort dürfte allbekannt sein: „Weil Speis und Trank in dieser Welt doch Leib und Seel’ zusammenhält“. Der Spruch stammt vom Librettisten Hinsch. Er schrieb ihn für das Singspiel „Der irrende Ritter Don Quixote“. Wie empfinden wir heute einen solchen Spruch aus einer Zeit, wo Überfluss anders interpretiert wurde oder gar nicht so bekannt war? Immer wieder ist diese Weisheit auch heute noch zu hören, wenn es darum geht, Speis und Trank zu genießen. Was machen wir aber, wenn sich zu allem Überdruss Leib und Seele immer weiter voneinander entfernen, sprich: der Leib immer umfänglicher wird, und das bei einem unveränderten Geist? ({0}) Das ist doch die heutige Misere: Deutschland wie auch ganz Europa - wie es jüngst auch Brüssel entdeckte wird immer schwerer. Der Handlungsbedarf ist uns bekannt. Die Adipositaserkrankung und ihre Vorstufen sind längst ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Handlungsdruck ist enorm: Wir haben seit rund sechs Jahren den nationalen Aktionsplan IN FORM. Das ist die erste Gesamtstrategie, mit der alle Aktivitäten im Bereich Ernährung und Bewegung gebündelt werden sollen. So weit, so gut. Fünf Handlungsfelder stehen dabei im Mittelpunkt: Vorbildwirkung der öffentlichen Hand, Bedeutung von Bildung und Aufklärung - Frau Maisch will eine Frage stellen. Ich hoffe, es passt dazu.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Frage oder Bemerkung. Die Uhr wird natürlich angehalten.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie das Präsidium auf meine Wortmeldung aufmerksam gemacht haben. Ich habe eine Frage zu Adipositas, die Sie sehr beklagt haben. Deshalb frage ich Sie: Wie passt Ihre Klage dazu, dass in Zukunft das Kompetenznetz Adipositas, ein Netzwerk, zu dem sich viele Akteure zusammengeschlossen haben, nicht weiter aus öffentlichen Mitteln finanziert werden soll?

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Davon habe ich nichts gehört. Danach müsste ich mich selber erst einmal erkundigen. Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Wenn es so wäre, dann würde auch ich das bedauern. Ich hoffe aber, dass wir mit anderen Programmen, die ich jetzt noch erläutern werde, zur Adipositasbekämpfung beitragen werden. So weit dazu. Alles andere machen wir später. Das liefere ich nach. Ich fahre fort. Ich war bei der Bedeutung von Bildung und Aufklärung als einem der Handlungsfelder stehen geblieben. Weitere Handlungsfelder sind Bewegung im Alltag, Qualitätsverbesserung bei der Verpflegung außer Haus und Impulse für die Forschung. In Deutschland ist ein Umfeld zu schaffen, in dem ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung in allen Lebensbereichen verankert werden. Das ist ein sehr hoher Anspruch. Wikipedia verrät außerdem: IN FORM richtet sich an die gesamte Bevölkerung. Die Menschen sollen dort erreicht werden, wo sie leben, arbeiten, lernen und spielen. Der Schwerpunkt der Initiative liegt dabei auf den „Lebenswelten“. Dabei geht der Aktionsplan verstärkt zielgruppenorientiert vor. So gibt es eigene Schwerpunkte für die Bedürfnisse älterer Menschen und gezielte Initiativen für Kinder. - Das finde ich toll. Wie ist es aber um die öffentliche und mediale Wahrnehmung bestellt? Meine Antwort würde hier den Rahmen sprengen. Nur so viel sei erst einmal festgestellt: Ein hoher Bekanntheitsgrad in Fachkreisen reicht nicht. Das muss weiter bekannt gemacht werden. Schon im Jahr 2008 wurde angekündigt, dass bis zum Jahre 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten in Deutschland nachhaltig zu verbessern sei. Ansätze für eine Halbzeitbilanz findet man unter anderem im Geschäftsbericht der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus dem Jahr 2013. Gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung sind auch im internationalen Kontext besondere Themen. Wir alle sind gespannt, welche neuen Impulse die internationale Konferenz zur Ernährung im November in Rom geben wird. Eingebettet in den Aktionsplan ist übrigens auch PEB, die Plattform „Ernährung und Bewegung“. Sie konnte bereits Anfang dieser Woche ihr zehnjähriges Bestehen feiern. Ich möchte betonen, dass es sich bei dieser Plattform um einen Zusammenschluss von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sport sowie Eltern und Ärzten handelt. Anlässlich des Jubiläums wurde nun festgestellt, dass unbedingt mehr getan werden muss, um schlechte Ernährungsgewohnheiten zu ändern und Bewegungsarmut zu bekämpfen. Ernährung ist im doppelten Sinn eine Kopfsache und weniger eine Angelegenheit von Zeit und Geld. Es handelt sich um eine Kopfsache - das ist ganz banal -, weil eben jede Nahrung durch den Kopf aufgenommen wird. Die entscheidende andere „Kopfsache“ sind das Wissen und das Wollen jedes einzelnen Menschen. Jeder Mensch entscheidet mit seinem Wissen und Unwissen darüber, was er mit den Mahlzeiten aufnimmt. Entscheidende Faktoren sind das eigene Wissen, regionale Traditionen und Bräuche sowie Gepflogenheiten in der Familie. Aber auch mediale Beeinflussung und Gruppenverhalten außerhalb der Familie dürfen nicht unterschätzt werden. Abgesehen davon, dass die Geschmacksnerven im frühesten Kindesalter entwickelt oder nicht entwickelt werden, ist die Ernährung ein lebenslanges Thema. Daher wäre es richtig, wenn wir das alles mit dem lebenslangen Lernen verknüpften. Vor diesem Hintergrund rege ich an, eine Kooperation mit den Volkshochschulen einzugehen, die sich als Hauptträger lebenslangen Lernens bewährt haben. Hier sollte die weitere Umsetzung des IN-FORM-Aktionsplans eine zentrale Rolle spielen. Somit könnte die Transformation der umfangreichen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung in die Allgemeinbildung der Menschen besser funktionieren. Wenn wir aber dauerhafte Strukturen für die Bildungs- und Beratungsarbeit vor Ort schaffen wollen, sollten wir die allgemeine „Förderkrankheit Projektivitis“ in diesem Bereich ein für alle Mal heilen. Die Bildung betreffend gesunde Ernährung und mehr Bewegung ist ein permanenter Prozess, den wir nicht mit zeitlich stark begrenzten Förderprojekten bewältigen können. Wir brauchen daher Konstanz. So lautet auch ein vielfacher Wunsch aller Akteure, mit denen ich im Vorfeld gesprochen habe. Insgesamt ist positiv zu bewerten, dass wir für Informationsmaßnahmen im Ernährungsbereich 9,3 Millionen Euro aus dem Haushalt bekommen. Für die Förderung von Projekten der Verbraucherzentralen sollen 3 Millionen Euro und für Maßnahmen der allgemeinen Verbraucherinformation noch einmal 3,7 Millionen Euro fließen. Das ist gut. Es könnte sicherlich noch mehr sein. Aber das ist zuerst einmal positiv zu bewerten. Mit dauerhafter Bildung können wir in Zukunft bei der gesundheitlichen und medizinischen Betreuung der Menschen steigende Kosten möglicherweise vermeiden. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass die bewährten Informationsmittel erhalten bleiben, so auch die Plattform der Verbraucherzentralen „Lebensmittelklarheit“. Das Projekt läuft Ende dieses Jahres aus. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen erarbeitet derzeit ein neues Konzept. Ich wünsche mir sehr, dass das fortgeführt wird. Gesunde Ernährung braucht auch Transparenz und Wissen über das, was angeboten wird. Dafür brauchen wir alle Klarheit im besten Sinne. Hier wünsche ich mir eine ebenbürtige mediale Präsentation wie mit den eingangs erwähnten Kochsendungen. Schlussendlich können wir so die Leistungen der gesamten Landwirtschaft und deren Bedeutung für eine gesunde Ernährung transparent machen und auch würdigen. Wir sind auf einem guten Weg, an dessen Ende eine mündige Gesellschaft und aufgeklärte Menschen stehen, die selbst und bewusst darüber entscheiden, ob Speis und Trank den Leib und die Seele zusammenhalten oder, wie eingangs beschrieben, diese auseinanderdriften lassen. Dafür trägt aber jeder selbst die Verantwortung. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Jeannine Pflugradt für die SPD-Fraktion. ({0})

Jeannine Pflugradt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004375, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Genauso wie bei der Kollegin Binder und bei der Kollegin Landgraf bezieht sich auch der Schwerpunkt meiner Rede auf die gesunde Ernährung. Von daher habe ich sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, Herr Minister Schmidt, dass auch Ihnen die gesunde Ernährung sehr am Herzen liegt; das freut mich. Nur 2 Prozent des Gesamtetats von rund 5,3 Milliarden Euro des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für das Haushaltsjahr 2015 entfallen auf den Einzelbereich „Gesundheitlicher Verbraucherschutz und Ernährung“. Allein davon gehen 83,9 Millionen Euro an das Bundesinstitut für Risikobewertung. Gerade einmal 16 Millionen Euro stehen dem Bereich „Ernährung und Verbraucherinformation“ zur Verfügung. Das sind wiederum 800 000 Euro weniger als noch in diesem Haushaltsjahr, obwohl uns allen in diesem Hause die Bedeutung einer ausgewogenen und gesunden Ernährung bewusst sein sollte. Besorgniserregend erscheint das Ernährungsverhalten der Kinder. Vor allem nach der Einschulung geht bei vielen Kindern die Gewichtskurve zu steil nach oben. Die Studie des Robert-Koch-Instituts KiGGS zeigt, dass ab der ersten Klasse immer mehr Kinder übergewichtig werden. Besonders in den Jahren nach Schulbeginn steigt der Anteil von 9 auf 15 Prozent. Der Anteil adipöser Kinder verdoppelt sich sogar auf 6,4 Prozent. Die Betroffenen leiden nicht nur an körperlichen Folgen wie erhöhtem Risiko für Diabetes, Bluthochdruck oder Rücken- und Gelenkproblemen, sondern oft auch unter seelischen Schwierigkeiten wie einem geringen Selbstwertgefühl oder Mobbing. ({0}) Nur in jeder dritten Kita gibt es laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung von diesem Jahr gesundes sowie ausgewogenes Essen. Die Kitaverpflegung muss der Schulverpflegung deswegen in allen Belangen gleichgestellt werden. Der Bund sollte darüber nachdenken, über das Jahr 2016/2017 hinaus die Mittel für die Vernetzungsstellen Schulverpflegung zu verstetigen sowie aufzustocken, um den Mehraufwand für die Unterstützung von Kitaverpflegung auszugleichen, ({1}) da diese einen Part der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe hinsichtlich Prävention und Ernährungsbildung übernehmen. Ausreichend freie Mittel stehen hierfür zur Verfügung. Gesunde Essgewohnheiten von klein auf sind enorm wichtig, vor allem als Grundlage für einen gesunden Lebensstil. Obst und Gemüse sind dabei unentbehrlich für eine vollwertige und ausgeglichene Ernährung. ({2}) Ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse hat eine positive Wirkung in der Vorbeugung zahlreicher Erkrankungen; das darf man nicht vergessen. Nach Erfahrungen in anderen Ländern haben gesunde Snacks und Getränke in Schulen den gewünschten Einfluss auf das Ernährungsverhalten der Schüler. Je öfter den Schülern und Schülerinnen frisches Obst, Gemüse und Salat angeboten werden, desto häufiger greifen sie natürlich auch zu. Dementsprechend unterstütze ich weiterhin die Bemühungen des Bundes, das EU-Schulfruchtprogramm in allen Bundesländern zu etablieren sowie kozufinanzieren. ({3}) Ich appelliere an dieser Stelle erneut an alle Bundesländer, die sich noch nicht beteiligen, die von der EUKommission bereitgestellten Mittel völlig auszuschöpfen. Natürlich begrüße ich auch, dass der Nationale Aktionsplan „IN FORM“ mit einer gleichbleibenden Summe von 9,3 Millionen Euro im Jahr 2015 gefördert wird. Mit dem Nationalen Aktionsplan soll erreicht werden, dass Erwachsene gesünder leben, Kinder dementsprechend gesünder aufwachsen und von einer höheren Lebensqualität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit in Bildung, Beruf sowie Privatleben profitieren. Dieser Aktionsplan ist erst einmal bis zum Jahr 2020 angelegt. Am Ende möchte ich mich ebenfalls noch für eine Förderung des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund vor allem durch den Bund einsetzen. In Kapitel 1005 Titel 554 31 des Haushaltsentwurfes 2015 heißt es, es stünden für die laufende Legislaturperiode rund 1 Million Euro mehr für Forschung und Entwicklung zur Verfügung. Diese zusätzlichen Mittel sollen insbesondere zur Finanzierung von bereits initiierten Studien zum Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Das macht dieses Institut. Ich denke, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sollte noch einmal überprüfen, ob man davon nicht die gewünschten 350 000 Euro für das Forschungsinstitut für Kinderernährung bereitstellen könnte. ({4}) Eine langfristige Konzeption von Prävention und Ernährungsbildung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erfordert die Konzentration aller föderaler Ebenen. Die finanzielle Mitwirkung des Bundes halte ich dabei für unverzichtbar. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Cajus Caesar hat für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Cajus Julius Caesar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ein Motto von uns ist: „Nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.“ Das ist die Devise der Union. Das ist die Devise dieser Koalition. Damit fahren wir gut. Wir schaffen einen Haushalt, der Zukunftsperspektive zeigt. ({0}) Wir setzen auf Infrastruktur und setzen dort zusätzliche Gelder ein. Wir setzen auf die Entlastung der Kommunen und entlasten sie durch die Grundsicherung, durch die Eingliederungshilfe und durch die Entflechtungsmittel deutlich. Aber wir setzen auch wesentlich auf Bildung und Forschung. Diese Mittel kommen auch im Landwirtschaftshaushalt an. Deshalb ist dies ein Haushalt, der auf Zukunft ausgerichtet ist. ({1}) Herr Minister Schmidt hat für den ländlichen Raum wesentliche Akzente gesetzt. Der ländliche Raum ist dem Minister wichtig. Er hat ihn zur Chefsache erklärt. Deshalb möchte ich mich bei unserem Minister Christian Schmidt an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken. ({2}) 10 Millionen Euro - von null auf zehn - für diesen Bereich einzusetzen, ist Perspektive. Das zeigt: Wir las4744 sen die Menschen im ländlichen Raum nicht allein. Sie sind uns wichtig. Wir wollen ihnen die Chancen und die Rahmenbedingungen geben, die sie verdient haben. Deshalb werden die Union und diese Koalition im ländlichen Raum die Perspektiven weiter auf den Weg bringen, die für den ländlichen Raum wichtig sind. Dazu gehört beispielsweise auch die digitale Infrastruktur. Bei den landwirtschaftlichen Sozialsystemen wollen wir die Rahmenbedingungen für unsere Bauern so schaffen und weiter auf den Weg bringen, dass wir sie in sozialer Hinsicht nicht alleinelassen. Wir wollen weiterhin die Rahmenbedingungen bei den Strukturveränderungen und der Zusammenführung von Strukturen setzen, gleichzeitig wollen wir Effektivität schaffen. Und wir wollen einen entsprechenden Rahmen bilden, der unseren Bauern Verlässlichkeit und Hilfe gibt, er soll so gesetzt werden, dass wir sozial an ihrer Seite sind. Beim Verbraucherschutz wollen wir insbesondere Projekte wie „IN FORM - Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ weiterhin fördern. Dafür werden 9,3 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt. Das sind wichtige Mittel; denn ich glaube, dass gerade gesunde Ernährung und Bewegung für unsere junge Generation von besonderer Bedeutung sind. Deshalb ist dies der richtige Weg, den wir hier beschreiten. ({3}) Wir - das wurde eben schon angesprochen - haben in der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ und mit dem Ernährungsführerschein Entsprechendes auf den Weg gebracht. Hier gibt es sicherlich noch viel zu tun. Es gibt aber auch entsprechende Perspektiven, um hier etwas zu bewegen. Deshalb noch einmal der Dank an das Ministerium, aber auch einen Dank an die Kollegen im Fachausschuss. Ich nenne hier den Sprecher Franz-Josef Holzenkamp. Danke schön, dass Sie hier in dieser Weise so aktiv sind. ({4}) Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe, für die 600 Millionen Euro veranschlagt sind, die wichtigen Bereiche der Infrastrukturmaßnahmen, der Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen, den Breitbandausbau, den Hochwasser- und Küstenschutz im Auge. Wir wollen sie weiterentwickeln. Wir lassen es nicht zu, dass beispielsweise an der Küste Häuser abrutschen, sondern werden den Menschen nicht nur in der Not, sondern auch vorbeugend helfen. Deshalb haben wir schon im Zusammenhang mit dem Haushalt 2014 den Maßgabebeschluss zum Hochwasserschutz auf den Weg gebracht. Wir wollen zukünftig vorbeugend Hochwasserschutz betreiben. Das ist uns wichtig; die Menschen sind uns wichtig, aber die Natur ist uns ebenso wichtig. ({5}) Im Bereich Innovation und Forschung sind uns die nachwachsenden Rohstoffe wichtig. Hier darf ich insbesondere die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe nennen, deren Selbstständigkeit uns wichtig ist. Sie führt praxisorientierte, auf die Zukunft ausgerichtete Projekte durch, die unkompliziert auf den Weg gebracht werden. Das dort investierte Geld ist gut investiertes Geld. ({6}) Wenn wir beispielsweise Projekte zur Gewinnung von Kraftstoff aus Algen, zur Energieeffizienz, aber auch zur stofflichen sowie zur energetischen Verwertung von Biomasse nach vorne bringen, dann ist das Ausdruck einer Politik der Koalition, die auf Zukunft ausgerichtet ist. Diese Politik, die auf Zukunft ausgerichtet ist, wollen wir fortsetzen. ({7}) Der Herr Minister hat es angesprochen: Wir stehen zur nationalen genauso wie zur internationalen nachhaltigen Waldwirtschaft. Dieser Bereich bietet zusammen mit der Holzindustrie mehr Arbeitsplätze als die Automobilindustrie, und er erzielt einen Umsatz von über 180 Milliarden Euro. Deshalb gilt es auch hier, durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen und Projekte, wie zum Beispiel Forschungsprojekte, den Rahmen so zu stecken, dass wir hier erfolgreich sind. Wenn jemand den Rohstoff Holz erfinden würde, würde er sicherlich zum Nobelpreisträger ernannt; da bin ich ganz sicher. ({8}) Wir haben im Bereich der Eiweißpflanzenstrategie einiges gemeinsam auf den Weg gebracht. Ich sage auch, dass hier unser Koalitionspartner sehr aktiv war. Gemeinsam sehen wir das als einen wichtigen Bereich an, den wir weiterentwickeln wollen. Denn ich glaube, dass uns Eiweiße aus einheimischen Produkten gut zu Gesicht stehen. Deshalb ist die Anhebung des entsprechenden Ansatzes von 3 Millionen auf jetzt 4 Millionen Euro pro Jahr eine gute Maßnahme. ({9}) Wir haben heute schon einiges zum Tierwohl gehört. Ich finde es gut, dass Johannes Röring hier im Rahmen seiner Tätigkeit im Landwirtschaftsverband, aber auch als Abgeordneter in besonderer Weise tätig geworden ist. Wenn im ehrenamtlichen Bereich, in den Verbänden, etwas reift, wenn Eigentümer, Landwirte, mit dem Handel etwas auf den Weg bringen, dann ist es der richtige Weg. Diesen Weg unterstützen wir ausdrücklich. Ich will auch sagen, dass wir die entsprechenden gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schaffen. Wir glauben, dass wir richtig liegen, wenn wir die Ansätze im Bereich des Tierwohls und im Bereich des Tierschutzes in den vergangenen drei Jahren verdoppelt haben, auf über 33 Millionen Euro - eine Verdopplung! Das sollte man an dieser Stelle deutlich sagen, weil oft von der Opposition gesagt wird: „Die tun da nichts“, wodurch ein falscher Eindruck entsteht. Wir tun sehr viel, und wir setzen hier gemeinsam mit den Eigentümern und den entsprechenden Produzenten auf Innovationen für unsere Verbraucher, für unsere Bürger. Das ist der richtige Weg. ({10}) Wir haben hier einen Haushalt mit Perspektive vorgelegt. Wir setzen auf Investitionen und auf die richtigen Rahmenbedingungen für eine moderne Landwirtschaft und beziehen gleichzeitig unsere Bauern ein. Das ist der Weg der Union, das ist der Weg dieser Koalition, und damit werden wir erfolgreich sein. Ich danke Ihnen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johann Saathoff nun das Wort. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Wie schon einige meiner Vorredner gesagt haben, werden wir erstmals seit 1969 - ich kann mich gut an 1969 erinnern; da habe ich meinen 2. Geburtstag opulent gefeiert ({0}) einen ausgeglichenen Bundeshaushalt beschließen können. Das bedeutet, dass sich Einnahmen und Ausgaben in der Waage halten und keine neuen Schulden gemacht werden müssen. Allerdings bedeutet das nicht, dass vorhandene Schulden getilgt werden. Es gibt also nach wie vor Herausforderungen für uns, auch vor dem Hintergrund, dass das Zinsniveau, die Steuereinnahmen und das Beschäftigungsniveau nicht immer auf diesem Stand bleiben werden. Diesen Herausforderungen werden wir uns stellen müssen - im Sinne unserer Kinder und Enkelkinder, denen wir irgendwann einmal einen funktionsfähigen Staat übergeben wollen. Eben um unseren nachfolgenden Generationen einen Gestaltungsrahmen zu überlassen, haben wir zum Beispiel den Mindestlohn eingeführt. Positiver Nebeneffekt ist, dass wir dadurch auch die Sozialkassen in Deutschland in Zukunft deutlich entlasten. Das gilt natürlich auch für die Fleisch-, Land- und Forstwirtschaft. Der Arbeitslohn ist allerdings nicht der einzige Faktor für verantwortungsvolle Lebens- und Arbeitsbedingungen im Staate. Hinzu kommt das Verständnis der Unternehmen für die Mitbestimmung. ({1}) In Deutschland gibt es unzählige Beispiele dafür, dass Unternehmen mit, durch und wegen betrieblicher Mitbestimmung erfolgreich sein können. Es gibt aber leider noch immer Unternehmen, die meinen, betriebliche Mitbestimmung sei ein Hindernis. Die Frage ist nicht, ob ein Unternehmen sich einen Betriebsrat leisten kann, sondern, ob es sich ein Unternehmen leisten kann, keinen Betriebsrat zu haben. ({2}) Neben dem Thema der betrieblichen Mitbestimmung gibt es ein weiteres wichtiges Thema: Es gibt immer noch Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen. Diese Menschen haben nicht nur unsichere Rahmenbedingungen, also Befristungen usw., sondern leben zum Teil sogar in völlig unangemessenen Unterkünften. Ich wähle hier bewusst das Wort „Unterkunft“, denn „wohnen“ kann man das nicht nennen. ({3}) In der niedersächsischen Fleischwirtschaft gab es diesbezüglich in nicht allzu ferner Vergangenheit schlimme Beispiele. Der Grund dafür war der Trend zur Massenproduktion von Fleisch mit einem dreifachen Qualitätskriterium: billig, billig, billig. Diesen Trend zur Massenproduktion werden wir brechen. ({4}) Meine Kollegin Christina Jantz hat eben in ihrer Rede deutlich gemacht, dass wir in diesem Bereich klare Akzente setzen wollen und deshalb unter anderem die Mittel für den Tierschutz deutlich erhöhen. Als Ziel dieser Legislaturperiode haben wir uns aber auch vorgenommen und uns in der Koalition darauf verständigt, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz GAK, umzubauen zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“. Im Sommer habe ich mir im Süden der Republik zum Thema „regionale Wertschöpfung“ praktische Beispiele angesehen. Auf dieser Reise wurde deutlich, dass quer durch die Bundesrepublik die Notwendigkeit besteht, regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und zu stärken, ({5}) auch damit die Menschen vor Ort Arbeit haben und die Lebensqualität im ländlichen Raum wieder gesteigert werden kann. Zur Lebensqualität im ländlichen Raum gehören auch die Instrumente der Daseinsvorsorge, insbesondere Einrichtungen für ältere und pflegebedürftige Menschen sowie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder. In Ostfriesland ist diese Problematik besonders deutlich vorhersehbar. Die Geburtenrate ist stark gesunken. Die jungen Leute verlassen Ostfriesland wegen der an anderen Orten besseren Berufschancen. Was bleibt, sind vorwiegend ältere Menschen. Dieser Herausforderungen werden wir uns annehmen. Erkenntnis ist dabei der erste Schritt. ({6}) Diese Erkenntnis liegt nun vor. Daher werden wir zur Vorbereitung der Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe zunächst für 2015 und 2016 jeweils 10 Millionen Euro für das Bundesprogramm für ländliche Entwicklung bereitstellen. Mir liegt es am Herzen, zu betonen, dass aus diesen Mitteln für die ländliche Entwicklung kein neues Agrarförderungsprogramm wird, sondern dass diese Mittel der Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen im ländlichen Raum dienen sollen. ({7}) Ich möchte an dieser Stelle auch einmal etwas zu einem sonst weniger beachteten Zweig der Ernährungswirtschaft sagen, zur deutschen Fischerei. In der sitzungsfreien Zeit habe ich die Gelegenheit genutzt, mit einem Krabbenfischer vor Borkum auf Krabbenfang zu gehen. Bei den Krabbenfischern gibt es eine ganze Reihe über 30 Jahre alter Fahrzeuge, die noch einen Holzrumpf haben. Es ist kein Geheimnis, dass die deutsche Fischereiflotte stellenweise stark überaltert ist. Ersatzbauten sind im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht zulässig. Aber wir stellen mit diesem Haushalt nach wie vor Mittel für die Modernisierung von Fischereifahrzeugen zur Verfügung, wenn auch nicht in allzu großem Umfang. Die deutschen Fischer machen auf See eine ganz hervorragende Arbeit. ({8}) Sie haben einen großen Anteil daran, dass sich die Fischerei in den letzten Jahrzehnten hin zu mehr Nachhaltigkeit entwickelt hat. Die Fischer in Deutschland haben sich konsequent an die Quoten gehalten. Sie dürfen aber auch den Anspruch haben, dass diese Quoten auf einer korrekten wissenschaftlichen Basis ermittelt werden. Damit der Forschung die notwendigen Instrumente zur Ermittlung dieser Quoten zur Verfügung gestellt werden können, haben wir auch Mittel für einen Ersatzbau für das Fischereiforschungsschiff „Walther Herwig III“ eingestellt. Wat mutt, dat mutt. ({9}) Diesen Neubau hat die deutsche Fischereiforschung wirklich nötig, denn die „Walther Herwig III“ wurde bereits 1992 in Dienst gestellt. Sie befindet sich momentan in der Nordsee auf ihrer 377. Forschungsreise und untersucht dort die Plattfischvorkommen in der Schollenbox und die Häufigkeit und Verteilung von Heringslarven in den Laichgebieten der Nordseeheringsbestände. Die beiden Fischereiforschungsinstitute in Hamburg und Rostock machen eine hervorragende Arbeit. So trägt Deutschland im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik zu einer Bewertung der Fischbestände und dadurch zu mehr Nachhaltigkeit bei der Fischerei bei. Ich wünsche uns bei den anstehenden Beratungen zum Haushalt 2015, dass uns gemeinsam der Paradigmenwechsel hin zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen im ländlichen Raum gelingt. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen in diesem Sinne. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig. ({0}) - Ich bitte erstens, die notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen, und zweitens bitte ich diejenigen, die ihren Platz gefunden haben, um Aufmerksamkeit für die Ministerin. - Diejenigen, die nicht an dieser Debatte teilhaben können, sollten die notwendigen Diskussionen nicht hier in den Gängen des Plenarsaals führen, sondern diese bitte nach draußen verlagern. Ich bedanke mich für die Übermittlung der Nachricht. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005313

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Was wird immer weniger, obwohl wir immer mehr davon sparen? Ich meine jetzt nicht das Geld des Bundeshaushalts, sondern ich meine die Zeit. Es ist die Zeit, heißt es in der Titelgeschichte im Spiegel der letzten Woche, die den modernen Menschen auf diese Weise verloren geht. Für den Autor ist das ein paradoxes Phänomen, für viele Familien in Deutschland der ganz normale Wahnsinn im Alltag. Job, Kita, Schule, Hausaufgaben, Arzttermine, Fußballspiele am Wochenende, pflegebedürftige Eltern - all das und noch vieles mehr drückt auf die Familien. Familie braucht Zeit. Kinder brauchen Zeit. Ehrenamt braucht Zeit. Pflege braucht Zeit. Zeit ist ein Thema für alle, und damit ist Zeit ein politisches Thema. Zeit für Familien, das ist ein Thema, das alle umtreibt. Ich freue mich, dass dieses Thema, das ich zu Beginn dieser Legislaturperiode angeschoben habe, jetzt sozusagen Flughöhe erreicht, dass der Spiegel in einer Titelgeschichte darüber berichtet, dass die Zeit darüber berichtet, und zwar nicht auf der Seite „Schöner leben“, sondern auf der Wirtschaftsseite, und dass sich mittlerweile immer mehr mit diesem Thema beschäftigen. ({0}) Wir haben das auch schon gestern in der Generaldebatte gehört. Wenn wir von Belastung und Entlastung sprechen, dann höre ich immer, wer alles belastet wird, aber mir fehlt völlig, dass über die gesprochen wird, die tatsächlich belastet sind, und das sind die Familien in unserem Land. Die Working Families, die Familien, in denen die Eltern arbeiten gehen, die Kitagebühren oder Hortgebühren bezahlen, die gleichzeitig unser Sozialversicherungssystem und die Rentenverbesserungen tragen, sind die Familien, die Belastungen haben. Wir müssen als Allererstes etwas für die Familien tun. Dann ist das auch für alle anderen, auch für die Wirtschaft, die nach Fachkräften ruft, gut. ({1}) Auch ich habe die Zeit der letzten neun Monate genutzt, um viele Punkte voranzubringen. Im Bundeshaushalt findet sich die Absicherung der Arbeit für Demokratie und Vielfalt, es findet sich die Absicherung des Heimkinderfonds, es findet sich die Absicherung der Mehrgenerationenhäuser und vieles andere mehr. Ich möchte den Schwerpunkt in den Minuten meiner Redezeit - denn auch hier ist ja die Zeit begrenzt - auf das Thema „Zeit für Familie“ legen. Ich habe die Debatte um die Familienarbeitszeit ganz bewusst angestoßen, weil es wichtig ist, dass wir die Familien aus dieser Rushhour, die ich eben beschrieben habe, herausholen, aus der Rushhour, die bedeutet: Liebe Frauen, bekommt fünf Kinder, um den demografischen Wandel aufzuhalten! Liebe Frauen, seid als Fachkräfte da! Liebe Frauen, seid möglichst auch für die pflegebedürftigen Angehörigen da! - Und dann loben wir alle auch noch das Ehrenamt, das möglichst alle ausüben sollten, vor allem und meistens Frauen. Immer mehr Männer wünschen sich, Zeit für ihre Familie zu haben. Die Männer, die alle Vollzeit arbeiten, wünschen sich, ein Stück herunterzukommen. Dabei geht es um eine Reduzierung von 40 auf 35 Wochenstunden; sie reden nicht von der Hängematte. Sie sehen, dass ihre Frauen, die bei 19 Stunden Arbeitszeit hängen, nur länger arbeiten können, wenn sie sie unterstützen, wenn sie sie entlasten. Die Idee, dass sich die Arbeitszeit angleicht, dass man sich die Zeit für Job und für Familie partnerschaftlich teilt, tragen über 60 Prozent der Paare mit Kindern unter drei in ihrem Herzen. Aber nur 14 Prozent realisieren sie. Warum? Weil es Nachteile gibt, weil Teilzeit immer noch schlecht bezahlt wird und in unserer Arbeitswelt wenig anerkannt ist. Das ist ein Fehler. Ich möchte, dass Teilzeit aufgewertet wird. Wenn junge Mütter und Väter in ihrem Beruf arbeiten, aber eben nicht voll, weil sie Zeit für ihre Kinder oder Zeit für pflegebedürftige Eltern brauchen, dann dürfen sie dafür nicht bestraft werden, sondern müssen unterstützt werden. ({2}) Es geht nicht darum, den Familien eine Stundenzahl vorzuschreiben. Die Paare können das ganz alleine aushandeln und müssen das selbst tun; jeder von uns weiß, wie das läuft - oder eben nicht läuft. Aber es geht darum, diesen partnerschaftlichen Gedanken zu unterstützen. Der erste ganz konkrete Schritt hin zu einer Familienarbeitszeit ist das ElterngeldPlus. Wir werden mit dem ElterngeldPlus dafür sorgen, dass Teilzeitarbeit während der Elterngeldphase nicht mehr bestraft wird, sondern dass diejenigen, die während des Elterngeldbezugs Teilzeit arbeiten, doppelt so lange ElterngeldPlus bekommen. Wenn sie sich partnerschaftlich verhalten, so wie es moderne Familien machen - moderne Familienpolitik muss das unterstützen -, dann bekommen sie einen Bonus. Das ist moderne Familienpolitik im Haushalt 2015. ({3}) Zeit für Kinder, das ist ein Anliegen der Eltern. Ebenso wichtig ist es, darauf zu achten, dass auch Kinder Zeit haben: Zeit in der Kita, im Kindergarten oder in der Kindertagespflege. Das ist gute Zeit; denn es ist Bildungszeit. Es wird Zeit, dass die Bildungspolitik in Deutschland umdenkt und aufwacht. Frühkindliche Bildung ist die erste wichtige Bildung für Kinder. Wir haben es gestern gerade wieder von der OECD ins Stammbuch geschrieben bekommen: Nirgendwo geht es so ungerecht zu wie in unserem starken, reichen Industrieland. Die Bildung ist immer noch abhängig vom sozialen Status. Damit muss Schluss sein. Gute frühkindliche Bildung ist ein wichtiger Beitrag, diese Spirale zu durchbrechen. ({4}) Wir brauchen gute Kitaplätze und genügend Kitaplätze. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung die Mittel, die sie für mehr Plätze bereitstellt, auf 1 Milliarde Euro aufstockt. Denn wir haben noch nicht genug Plätze, und die Ganztagsplätze sind noch nicht gut genug. Ich freue mich, dass die Kollegen aus dem Bereich der Landwirtschaft hier gerade über gesunde Ernährung geredet haben. Denn das machen wir mit dem neuen Kitagesetz: Wir fördern insbesondere die Ausstattung wie Küchen in Ganztagskitas, damit wir zu einer modernen, gesunden Vollverpflegung kommen. Das ist Qualität, die wir in Kitas brauchen. ({5}) Frau Dörner - ich weiß gar nicht, wo sie ist; vorhin habe ich sie noch gesehen -, Sie reden gelegentlich davon, dass das ein 1-Milliarde-Euro-Betrug ist. Ich will Ihnen die Zahlen nennen. 450 Millionen Euro haben wir schon während der Koalitionsverhandlungen bereitgestellt. Ja, wir hätten so eitel sein und warten können, bis alles steht und die neue Ministerin es präsentieren kann. Aber wir haben an die Kinder gedacht. Wir haben schon während der Koalitionsverhandlungen 450 Millionen Euro bereitgestellt und stocken jetzt um 550 Millionen Euro auf. Das ergibt 1 Milliarde Euro. Dazu kommen zweimal 100 Millionen Euro. Das macht 1,2 Milliarden Euro. Davon fließen 200 Millionen Euro in 2017 und 2018; eher kann dieses Geld nicht abfließen. Sie sehen also: Wenn man rechnen kann, kommt die 1 Milliarde Euro zusammen. ({6}) 100 Millionen Euro haben wir für Sprachförderung veranschlagt. Sprachförderung ist das A und O für Chancengleichheit von Kindern. Und wir machen weiter. Wir werden mit den Ländern im November über Qualität reden. Ich habe mich mit Unterstützung der SPD-Fraktion dafür starkgemacht, dass auch die BAföG-Spielräume für frühkindliche Bildung genutzt werden können. Niedersachsen geht hier mit gutem Beispiel voran. Die machen den Betreuungsschlüssel kleiner, damit mehr Zeit für Kinder bleibt. Liebe Abgeordnete der Grünen, ich werde dort, wo Sie regieren, genau hinschauen. In den Ländern können Sie ja mit dem Geld die Ansprüche, die Sie hier immer formulieren, endlich umsetzen. ({7}) Zeit für Familie bedeutet aber nicht nur Zeit für Kinder, sondern immer mehr drückt der Schuh bei der Frage: Wie geht es weiter, wenn mein Vater oder meine Mutter pflegebedürftig wird? Während meiner Sommerreise habe ich viele Unternehmen besucht, die genau davon berichten. Wir brauchen auch Entlastungsmodelle für Familien, in denen Erwerbstätige die Eltern pflegen müssen. Hier, meine Damen und Herren, geht es nicht um Belastung der Wirtschaft, sondern es geht um Entlastung. Denn die Wirtschaft muss ja ein Interesse daran haben, die Fachkräfte zu behalten. Deswegen ist das auch gar kein Widerspruch, sondern gehört zusammen, und deshalb ist es gut, dass wir ein Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf den Weg bringen. Wir werden dafür sorgen, dass die zehntägige Auszeit für pflegende Angehörige zukünftig unter Lohnfortzahlung gestellt wird - wie es auch für den Fall vorgesehen ist, dass ein Kind krank ist. Wir werden dafür sorgen, dass Pflegezeit und Familienpflegezeit zusammengeführt werden, dass man seine Arbeitszeit reduzieren kann und für diese Zeit ein Darlehen bekommt, um den Lohnausfall abzufedern. All das ist wichtig, um Zeit für Familien zu organisieren, die in dieser „Rushhour“ sind, mit Kindern, mit pflegebedürftigen Angehörigen. Damit entlasten wir die Familien, und damit tun wir auch für die deutsche Wirtschaft viel. Denn man kann nicht beklagen, dass Fachkräfte wegbrechen, wenn es Pflegebedarf in der Familie gibt, und dann nichts tun. Mit unserem Gesetz sorgen wir für eine Balance zwischen der Notwendigkeit, im Job zu bleiben, und der Zeit für Familie. Wir haben den Entwurf gerade zur Vorbereitung auf die Anhörung an die Verbände übersandt. Ich freue mich auf die gemeinsame Anhörung. Denn es geht darum, etwas für die Familien in Deutschland zu tun. ({8}) Es geht auch um Zeit für das Ehrenamt. Ich bin froh, dass wir endlich eine Perspektive für die Mehrgenerationenhäuser geschaffen haben. 16 Millionen Euro stehen im Haushaltsentwurf für 2015. Ich sage aber ganz klar: Das kann nur ein Zwischenschritt sein. Wir haben im Koalitionsvertrag versprochen, die Mehrgenerationenhäuser auf Dauer abzusichern. Deswegen müssen wir gemeinsam eine Lösung finden, wie es über 2015 hinaus weitergeht. Ein letzter Punkt; dabei geht es um Zeit in einer ganz anderen Hinsicht. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, die Zeit von Menschen, die als Kinder misshandelt wurden, die Unrecht erlitten haben, zum Beispiel in DDRKinderheimen. Diese Zeit geht nie vorbei. Wir können diesen heute Erwachsenen ihre Kindheit nicht zurückgeben, aber wir können etwas für sie tun: die Folgen dieses Unrechts lindern. Weil die bisher dafür vorgesehenen Mittel nicht reichten, haben wir den Fonds für die Opfer der Heimerziehung in der ehemaligen DDR auf 42,7 Millionen Euro aufgestockt. Das ist unsere Haltung, Verantwortung zu übernehmen. ({9}) Da die Zeit nirgends so genau gestoppt wird wie bei den Reden im Deutschen Bundestag, sage ich jetzt nur noch: Ich freue mich auf die Beratung des Einzelplans 17. ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Sie müssen aber zugeben: Wir waren großzügig. Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt die Kollegin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Da die Ministerin mich direkt angesprochen hat, fühle ich mich bemüßigt, kurz darauf zu reagieren. Frau Ministerin, Sie haben von den 450 Millionen Euro gesprochen. Ich habe in mehreren Äußerungen darauf hingewiesen, dass ich es nicht okay finde, zu suggerieren, das sei frisches Geld. Das ist Geld gewesen, das in vorangegangenen Haushaltsberatungen zur Verfügung gestellt worden ist, in vorangegangenen Jahren, nicht durch diese Koalition, auch nicht im Rahmen der Koalitionsverhandlungen. Es ist ja auch überhaupt nicht möglich, im Rahmen von Koalitionsverhandlungen zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen; das macht immer noch der Haushaltsgesetzgeber. Man muss auch darauf hinweisen, dass zu dem Zeitpunkt, als von den 450 Millionen Euro die Rede war, dieses Geld schon zu fast 100 Prozent bewilligt war; insofern war das kein zusätzliches Geld, das noch ausgegeben werden konnte. ({0}) Das ist das gewesen, was ich immer gesagt habe: dass es nicht in Ordnung ist und nicht fair ist, zu suggerieren, dass in dem 6-Milliarden-Euro-Paket der Bundesregierung 1 Milliarde Euro zusätzlich für Kitainvestitionen enthalten sei. Vielen Dank. ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben jetzt die Gelegenheit, zu antworten. Sie sehen, der Deutsche Bundestag ist sehr großzügig.

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005313

Ja, vielen Dank. - Ich glaube, wenn man über den Haushalt redet, ist es schon wichtig, dass man sich mit Zahlen auskennt. ({0}) Fakt ist, Frau Dörner, dass die 1 Milliarde Euro in dieser Legislatur für den Kitaausbau zur Verfügung stehen. Das haben wir versprochen, und das halten wir. Sie wissen, dass die 450 Millionen Euro Ende 2013 in den Haushalt des Finanzministers abgeflossen wären. Während der Koalitionsverhandlungen haben wir uns darauf geeinigt - die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag, aber auch eine Mehrheit im Bundesrat -, dafür zu sorgen, dass dieses Geld neu zur Verfügung gestellt wird. ({1}) Natürlich hätten wir sehr eitel sein können und sagen können: Wir lassen das Geld abfließen - damit wird vor Ort alles gestoppt - und machen dann in der neuen Legislatur mit dem gleichen Geld ein neues Gesetz. ({2}) Das hätten vielleicht Sie so gemacht; aber uns ging es um die Sache, uns ging es darum, dass es vor Ort zügig vorangeht. ({3}) Zum Zeitpunkt der Verhandlungen, im Mai 2014, standen - anders als Sie es eben gesagt haben - noch genau 450 Millionen Euro zur Verfügung; die haben wir um 550 Millionen Euro aufgestockt. Ich würde einfach bitten: Machen Sie inhaltliche Vorschläge, und sorgen Sie nicht mit Zahlendrehereien für Verwirrung! ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist Diana Golze, Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Erst kurz vor der parlamentarischen Sommerpause haben wir hier den Haushalt für das Jahr 2014 beschlossen. Er basierte auf dem Entwurf, den noch Schwarz-Gelb vorgelegt hatte. Der jetzt vorliegende Entwurf soll nun die Handschrift von Union und SPD tragen. Hält man sich vor Augen, welche großen Ziele die SPD hatte, um gerade in der Familienpolitik solidarischer, gerechter und wirkungsvoller Politik zu machen, dann kann man sich auch beim zweiten Haushaltsentwurf des Familienministeriums leider nur die Augen reiben. Die Ministerin hat die Opposition gerade aufgefordert, Vorschläge zu machen. Ich frage Sie: Wo sind denn Ihre Vorschläge? Wo, Frau Ministerin, sind die Impulse, die zu einer modernen und gerechten Gesellschaft führen? Wo sind die Konzepte, um es wirklich allen Familien - der ganzen Gesellschaft - zu ermöglichen, sich frei zu entfalten und teilzuhaben? Ich kann sie auch in diesem Haushaltsentwurf nicht finden, und ich werde das belegen. Die Probleme sind seit langem bekannt. Bereits der Siebte Familienbericht und der 14. Kinder- und Jugendbericht haben die zentralen Fragen deutlich gemacht. Mit der sogenannten Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen haben Sie eine weitere Studie an die Hand bekommen, die klare Handlungsempfehlungen gibt. Zu diesem Bericht haben Sie sich wie folgt geäußert, Frau Schwesig - ich zitiere Sie ausnahmsweise einmal -: Ich freue mich, dass der Abschlussbericht vorliegt. Hieraus können wir eine Menge lernen: Mit dem ElterngeldPlus und den Investitionen in die Kinderbetreuung sind wir auf dem richtigen Weg. Es bleibt aber noch viel zu tun. ({0}) „Hieraus können wir eine Menge lernen“, „Wir sind auf dem richtigen Weg“ - ich bitte Sie! Der Bericht sagt zum Beispiel mit Blick auf das Kindergeld, den Unterhaltsvorschuss, auch das Elterngeld - ich zitiere -: Diese Leistungen können … gleichzeitig mit dem Arbeitslosengeld II bezogen werden, sie werden jedoch vollständig auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Soweit ich informiert bin, ändert sich daran auch mit dem Konzept für das ElterngeldPlus nichts. Weiterhin bleibt es so, dass arme Eltern vom Elterngeld nicht profitieren werden; Sie ändern auch mit diesem Haushaltsentwurf nichts daran. Und wo ist der wirkliche Fortschritt beim Ausbau der Kindertagesbetreuung? Wie lösen wir die Probleme, auf die zum Beispiel auch der aktuelle Prognos-Bericht hinweist? In diesem Bericht ist die Rede davon, dass nicht nur die Linke und andere, sondern auch die Eltern darüber reden und vor allem in Bezug auf die Qualität der Kindertagesbetreuung sagen: Da stimmt etwas nicht, da muss nachgebessert werden. Wo bitte bleibt denn die Qualitätsoffensive, die die SPD im Wahlkampf angekündigt hat? Was ist für Sie Kitaqualität? Sind Sie bereit, Mindeststandards zu definieren - zum Beispiel für Gruppengrößen oder auch für die Gehälter der Erzieherinnen und Erzieher - und diese dann auch tatsächlich zu finanzieren? Ich finde das im Haushalt nicht. Der Gesetzentwurf zur Aufstockung des Sondervermögens für den Kitaausbau steht in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung. Den Abgeordneten liegt er noch nicht vor, aber netterweise steht er auf der Homepage des Finanzministeriums. Wenn ich dort hineinschaue, dann lese ich, wie die Gelder auf die Bun4750 desländer aufgeteilt werden sollen und wie die technokratische Abwicklung funktionieren soll. Von Kitaqualität ist darin außer in der Überschrift aber keine Rede. ({1}) Wo bleibt also die Qualität? Nun streiten wir uns über die zusätzliche Milliarde für die Kitas. Es wurde eine zusätzliche Milliarde angekündigt; da gebe ich meiner Kollegin Dörner völlig recht. Aber selbst wenn es eine zusätzliche Milliarde wäre, würde dieses Geld - das weiß jeder, der Kitaqualität ernst nimmt - nicht ausreichen, um die Länder und Kommunen in die Lage zu versetzen, das qualitative Defizit auszugleichen. ({2}) Stattdessen finden wir im Haushalt für 2015 die stattliche Summe von 1 Milliarde Euro für das Betreuungsgeld. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich kann Ihnen das leider nicht ersparen; aber es ist auch nicht meine Aufgabe als Opposition, Sie jetzt vier Jahre lang dafür zu bedauern, dass Sie in der Großen Koalition gefangen sind und dieses Opfer bringen müssen. Ich werde das auch weiterhin ansprechen. Dieses Betreuungsgeld ist nach wie vor bildungspolitisch, arbeitsmarktpolitisch und auch haushaltspolitisch völlig unsinnig. ({3}) Und es geht hier wohlgemerkt um 1 Milliarde Euro für ein Jahr und nicht um einmalig 1 Milliarde Euro zusätzlich für Bildung für die ganze Legislaturperiode! Wo ist hier der gerechte Ansatz? Die Menschen, die davon betroffen sind, wissen, dass das auch auf das ALG II angerechnet wird. Hier ist nach wie vor eine Ungleichbehandlung der Familien vorgesehen. Die familienpolitischen Leistungen werden über den Etat des Familienministeriums finanziert. Dadurch soll nicht der Etat des Arbeitsministeriums entlastet werden, sondern diese Leistungen sollen die Familien in die Lage versetzen, über die Runden zu kommen, und sie sollen ihnen materielle Sicherheit bieten. ({4}) Ich möchte noch ein weiteres Beispiel dafür nennen, dass die Gleichstellung der Familien eben nicht funktioniert. Schauen Sie sich das Kindergeld an. Solange ich als Bundestagsabgeordnete und Mutter von zwei Kindern über die steuerliche Entlastung aufgrund des Kinderfreibetrags mehr durch den Staat entlastet und gefördert werde als meine Nachbarin, die im Supermarkt arbeitet und nur das Kindergeld bekommt, stimmt hier etwas nicht. Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein, und ich erwarte, dass ein SPD-geführtes Familienministerium hierzu Vorschläge unterbreitet. ({5}) Sie werden aber wohl nicht kommen; denn auch weitere Förderinstrumente setzen weiterhin auf Unterschiede zwischen den Familien. In diesem Zusammenhang möchte ich noch das Ehegattensplitting ansprechen; auch das ist ein wunderbares Thema, das uns hier schon seit langem begleitet. Dieses Ehegattensplitting täuscht vor, dass die Familien gleichbehandelt werden, was aber überhaupt nicht der Fall ist. Schauen Sie sich zum Beispiel an, dass die steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden ins Verhältnis gesetzt nicht einmal annähernd so hoch ist wie die von Ehepaaren. Warum ignoriert man darüber hinaus, dass auch Paare ohne Trauschein Verantwortung füreinander übernehmen? An anderer Stelle wird dies übrigens vorausgesetzt. Ich habe ja eben schon das Arbeitslosengeld II angesprochen. Hier heißt es: Eheähnliche Gemeinschaften liegen vor, wenn die Bindung der Partner so eng ist, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Hier setzt man keinen Trauschein voraus, um Bedarfsgemeinschaften zu definieren, die füreinander einstehen müssen. Hier ist es übrigens auch egal, ob es sich um gleichgeschlechtliche nichteingetragene Lebenspartnerschaften handelt. Es geht nur darum, dass sie Verantwortung füreinander übernehmen. Vom Ehegattensplitting profitieren aber eben nur Paare mit Trauschein. Ich sage: Steuerliche Vorteile aufgrund einer bestimmten Lebens- und Beziehungskonstellation verstärken die Probleme eines ungerechten Leistungssystems. Familien brauchen eine transparente, verlässliche und armutsverhindernde Unterstützung, und ich erwarte von einer Familienministerin, dass sie sich für ein Familienleistungssystem starkmacht, das die Bedürfnisse aller Familienformen gleichermaßen im Blick hat. ({6}) Das sehe ich bei diesem Entwurf nicht gegeben. Sie können nur noch zwei Entwürfe vorlegen. Ich glaube, da haben Sie noch einiges aus den Berichten, die Ihnen vorliegen, zu lernen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt Nadine Schön das Wort. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker sehen uns als Anwältinnen und Anwälte der jungen Generation und auch der nachfolgenden GeneraNadine Schön ({0}) tionen. Deshalb sind wir besonders stolz, dass wir mit diesem Haushalt einen historischen Haushalt vorlegen, nämlich den ersten Haushalt ohne neue Schulden. ({1}) - Wenn jetzt der Einwurf von den Linken kommt, das habe „so einen Bart“, dann wäre es schön, wenn Sie sich mit uns über diesen Bart freuen würden; ({2}) denn auch Sie müssten sich doch über den ersten Haushalt ohne Neuverschuldung freuen. Angesichts der Reaktionen der Linken oder auch der Grünen in den letzten Tagen dachte ich ganz oft: Ich bin komplett im falschen Film. ({3}) Da wurde doch tatsächlich gesagt, dass man besser noch ein paar mehr Schulden machen müsse, um zu investieren, und dass das besser als ein ausgeglichener Haushalt sei; das Falscheste, was wir hier machen könnten, sei ein ausgeglichener Haushalt. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nur sagen: Auf Schuldenbergen kann man keine Zukunft bauen. ({4}) Schulden sind Treibsand. Schulden sind kein festes Fundament. Deshalb ist es gut, dass in diesen Tagen deutlich wurde, wer hier für was steht. Sie stehen dafür, Schulden zu machen, ({5}) und zwar nicht zu knapp. Denken Sie doch einmal an Ihre Familie, an Ihren privaten Haushalt. Es ist okay, Schulden zu machen, etwa um ein Haus zu bauen, um in die Zukunft zu investieren. ({6}) Aber es ist nicht mehr okay, so viele Schulden anzuhäufen, dass weder Sie für den Rest Ihres Lebens noch die nächste Generation oder die übernächste Generation finanzielle Spielräume haben werden oder investieren können, weil alle nur noch damit beschäftigt sind, die Schulden und die Zinsen für Ihre Schulden abzutragen. Das ist keine generationengerechte Politik. ({7}) Wir haben gesagt: Wir machen uns auf den Weg, den Schuldenberg abzutragen. Wir machen im Sinne der neuen Generation keine neuen Schulden. ({8}) Wir haushalten klug. Klug haushalten heißt zum einen, keine neuen Schulden zu machen. Zum anderen heißt es aber auch, in die Zukunft zu investieren. Dass wir in die Zukunft investieren, sehen Sie zum einen am Bildungshaushalt. Das Volumen des Haushalts des Ministeriums für Bildung und Forschung von Frau Wanka - das ist jetzt ein anderes Haus - hat sich von 2005 bis 2015 verdoppelt. Wir investieren allein in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung, 6 Milliarden Euro mehr in die Köpfe unserer Menschen, in Zukunft. Wir investieren klug in Zukunft, parallel zum ausgeglichenen Haushalt. ({9}) Auch unser Haushalt ist ein klares Signal an die Menschen in unserem Land, dass wir in Zukunft investieren. Auch das Volumen unseres Haushalts, des Familienhaushalts, steigt, nämlich um 497 Millionen Euro auf jetzt 8,45 Milliarden Euro. Das ist ein deutlicher Zuwachs für die Familien in unserer Gesellschaft, für die Kinder, die Familien, die Senioren, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. ({10}) Diese Investitionen sind gut angelegtes Geld. Was uns leitet - dass Sie, Frau Golze, das kritisieren, finde ich schon etwas merkwürdig -, ist der Dreiklang - die Ministerin hat das schon dargestellt - von Zeit, Geld und Infrastruktur. Diesen Dreiklang haben wir in den letzten Jahren mühsam erarbeitet. Ich weiß nicht, was es daran zu kritisieren gibt, dass wir die gute Familienpolitik der CDU-geführten Regierung der letzten Jahre fortsetzen. Das war eine gute Politik mit dem Dreiklang von Zeit, Geld und Infrastruktur. Diese Politik führen wir fort. Wir haben die richtigen Weichen gestellt. Schade, dass Sie das kritisieren. Ich glaube, für die Menschen im Land war es eine gute Politik. ({11}) Wir fangen mit den ganz Kleinen in unserem Land an, nämlich mit dem Thema Frühe Hilfen. Wir unterstützen mit über 51 Millionen Euro Netzwerke von Eltern, Jugendhilfe und Ärzten, die dafür sorgen, dass kein Kind durchs Netz fällt, dass die Kinder unterstützt werden, die es schwer haben, dass wir die Familien unterstützen, die bei der Erziehung Begleitung und Unterstützung brauchen. Wir sorgen dafür, dass die etwas größeren Kinder in Kitas Bildung und Betreuung bekommen. Ich finde es schon merkwürdig und auch schade, dass Sie immer die Kitabetreuung und die familiäre Betreuung gegeneinander ausspielen. Nadine Schön ({12}) ({13}) Beides ist doch wichtig. Wir brauchen ein gutes Elternhaus, wir brauchen Eltern, die Zeit und Liebe für ihre Kinder haben. Wir brauchen aber auch die flexible Kinderbetreuung. ({14}) Deshalb haben wir den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz formuliert. Wir sorgen dafür, dass der Kitaausbau in den Kommunen vorangeht. ({15}) Wir sorgen auch dafür, dass er weiter vorangehen kann, obwohl eigentlich die Länder und Kommunen originär für den Kitaausbau zuständig sind. Auch beim Thema Qualität sind Länder und Kommunen die zuständigen Ebenen. Wir unterstützen sie, und deshalb haben wir ein Qualitätsprogramm von 126 Millionen Euro aufgelegt. Sie müssen sich schon an die richtigen Ansprechpartner wenden und vielleicht in den Ländern, in denen Sie mitregieren, dafür sorgen, dass in die Qualität und den Ausbau der Kitabetreuung ordentlich investiert wird. ({16}) Wir investieren in die jungen Menschen in unserem Land. Das zeigt sich deutlich etwa im Kinder- und Jugendplan, der auf 147 Millionen Euro aufgestockt wurde. Wir haben die Mittel dafür im letzten Haushalt um 1 Million Euro erhöht, und das behalten wir auch bei. Man sieht in diesen Tagen, wie anfällig manche junge Menschen für extremistisches Gedankengut sind. Es gibt mehrere Hundert junge Leute in Deutschland, die freiwillig nach Syrien gehen, um dort in den Heiligen Krieg zu ziehen. Das ist hier angesprochen worden. Es sind Jugendliche, die zu schwach waren, der Bedrohung und den Versprechungen dieser Gruppen zu widerstehen. Deshalb ist es richtig, dass wir in die jungen Menschen investieren und dafür sorgen, dass es zum einen an Schulen ein enges Netzwerk gibt, dass es zum anderen aber auch entsprechende Projekte für Toleranz und Demokratie gibt. Diese dürfen sich nicht nur gegen Rechtsund Linksextremismus in unserem Land richten, was sehr wichtig ist; wir müssen vielmehr auch verstärkt auf den religiösen Fundamentalismus schauen und prüfen, ob wir an der Stelle nicht noch Nachholbedarf in unserem Land haben. Das wird in diesen Tagen ganz besonders deutlich. Es ist ein Anliegen von uns allen, die Projekte dahin gehend zu überprüfen, damit wir die Projekte in diesem, auch für die jungen Menschen, extrem gefährlichen Bereich ordentlich ausstatten können. ({17}) Wir investieren in junge Familien - das ist, glaube ich, deutlich geworden - mit einem ganzen Paket von familienpolitischen Leistungen. Das Teuerste, aber auch das, was die Familien am meisten schätzen, ist das Elterngeld, das wir in der vorletzten Legislaturperiode eingeführt und das wir flexibilisiert haben und in den nächsten Wochen weiter flexibilisieren und attraktiver für junge Familien machen, damit die Familien selbst entscheiden können, wie sie leben wollen. Der Anspruch unserer Politik ist, dass sie Beruf und Familie ganz individuell nach ihren Möglichkeiten kombinieren können. Wir wollen keinem vorschreiben, wie er zu leben hat, sondern wir wollen ermöglichen, dass junge Paare selbst Beruf und Familie, Familienarbeit und Erwerbstätigkeit kombinieren und so leben können, wie es ihrer Situation am besten gerecht wird. Das ElterngeldPlus ist ein deutlicher Schritt dahin, dass sie das auch machen können. Deshalb sind 5,4 Milliarden Euro auch sehr gut angelegtes Geld. ({18}) Wir setzen in diesem Jahr einen Schwerpunkt beim Thema Pflege. Deshalb sind 100 Millionen Euro aus der Pflegeversicherung für Lohnersatzleistungen für die Familien eingestellt, die plötzlich - das passiert oft ganz plötzlich - vor einer Pflegesituation stehen und organisieren müssen, dass die Mutter oder der Vater versorgt wird, sei es in einem Heim oder in der häuslichen Umgebung. Zehn Tage sind ein überschaubarer Zeitraum, aber man braucht diese Zeit für die Organisation. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf umfasst. Deshalb werden wir die Familienpflegezeit weiterentwickeln. Auch hier gibt es einen neuen finanziellen Ansatz im Haushalt. Das elementare Thema der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist die Herausforderung dieser Legislaturperiode, vor der wir alle stehen, die Herausforderung der nächsten Jahre. Das betrifft so ziemlich jede Familie in unserem Land. Deshalb müssen wir darauf ein ganz besonderes Augenmerk richten. ({19}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir investieren generationsübergreifend viel in Familien, und wir investieren partnerschaftlich in alle Generationen. Gleichzeitig sorgen wir aber auch dafür, dass auch die nächste Generation noch die finanziellen Spielräume hat, um das umzusetzen, was dann wichtig sein wird und was wir heute noch gar nicht erahnen können. Das ist in meinen Augen kluge Politik, die die richtige Balance zwischen Sparen und Investieren wahrt. Es ist schade, dass Sie nur darauf setzen, mehr Geld auszugeben. ({20}) Nadine Schön ({21}) Das würde dazu führen, dass die nächste Generation von Zinszahlungen erdrückt würde. Dass es dazu kommt, wollen wir nicht. Das können wir nicht verantworten. Deshalb wollen wir einen Gleichklang zwischen Sparen und Investieren. ({22}) Ich freue mich, dass wir das in diesem Haushalt erneut unter Beweis stellen. Vielen Dank. ({23})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel verändert sich am Einzelplan 17 nicht. An sich ist Beständigkeit gut; sie hat viele Vorzüge, aber im Zusammenhang mit Ihrem Etat, Frau Ministerin, ist das eindeutig zu wenig. Und Sie, Frau Schön, tun ja gerade so, als ob Konsolidieren und Investieren gegeneinanderstünden. ({0}) Dabei lautet die Botschaft der Opposition, die Sie nicht verstanden haben, genau umgekehrt: Konsolidieren und Investieren gehören zusammen. ({1}) Es gibt dabei auch einen dritten Weg, den zu gehen Sie nicht den Mut haben, einen dritten Weg, der zukunftsgerichtet und nicht vergangenheitsbezogen ist. Wir legen Ihnen eine lange Liste mit Kürzungen vor, die rückwärtsgewandte Maßnahmen betreffen, die überholt sind und in die Steinzeit zurückführen. Zum Beispiel im Bereich der Kernforschung könnten wir kürzen, zum Beispiel bei klimaschädlichen Subventionen könnten wir kürzen, zum Beispiel beim Dienstleistungsprivileg oder beim Deutschlandstipendium, das nicht funktioniert, könnten wir kürzen, ({2}) zum Beispiel beim Betreuungsgeld - warum nicht in die Kinder investieren, warum in Ideologie investieren? könnten wir kürzen. ({3}) Das so eingesparte Geld könnten wir in zukunftsgerichtete Maßnahmen investieren; denn Investitionen sind auch eine Anlage in die Zukunft unserer Kinder. Wir hinterlassen unseren Kindern nicht nur Lasten aus Haushaltsdefiziten, sondern wir hinterlassen unseren Kindern auch all das, was ihnen Chancen eröffnet - oder eben auch nicht, wenn es etwa in Schulen hereinregnet. Eine verpasste Chance ist auch, dass Alleinerziehende keine Kinderbetreuungsplätze finden, weil uns Ganztagsbetreuungsplätze fehlen, und deshalb nur wenige erwerbstätig sein können. Dass der ursächliche Zusammenhang mit nach wie vor unzureichenden Betreuungsangeboten besteht, sagte mir jüngst auch die Regionaldirektion Bayern der Agentur für Arbeit. Wir wollen auch, dass in Qualität investiert wird. Wir müssen ernst nehmen, dass auch das zukunftsgewandt ist. Sie ignorieren das. Konsolidieren und Investieren gehören aber ehrlicherweise zusammen, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. ({4}) Frau Schwesig, ich habe genau zugehört. Als Mitglied des Haushaltsausschusses habe ich nämlich gelernt, auch auf Details zu hören. Sie wollen uns doch nicht wirklich hier als Ihr Verdienst verkaufen, dass Sie bereits zugesagte, bewilligte Mittel in diese Wahlperiode herübergerettet haben, und sich damit rühmen! Das ist nicht Ihr Ernst! Das kann gar nicht Ihr Ernst sein, so zu argumentieren. Sie haben wenigstens zugegeben - dafür bedanken wir uns sehr herzlich -, dass lediglich 550 Millionen Euro neu dazukommen, dass der Rest längst bewilligt und längst bereitgestellt worden war. Ich hätte gerne einmal mitbekommen, wie Sie es hinbekommen haben, das bereitgestellte Geld wieder einzustreichen. Also, Frau Schwesig, das, was Sie nicht hinbekommen, das müssen Sie hier auch nicht behaupten. Was falsch ist, bleibt falsch. ({5}) Ich komme noch einmal auf das, was Sie eigentlich vorhaben. Sie sagten, dass es unerlässlich sei, für Qualität in der Versorgung zu sorgen. Sie wollen dazu jetzt auch einen Gipfel veranstalten. Sie wollen sich mit Ihren Kollegen aus den Ländern treffen. Ihre Länderkollegen - Sie waren ja immerhin lange genug Ministerin - sind mindestens genauso enttäuscht wie Sie, weil ja eigentlich erwartet worden war, dass mindestens 2 von den 6 Milliarden Euro in den Anfang der Bildungskette investiert würden. Herausgekommen sind 550 Millionen. Ich würde einmal sagen: Sie haben angesichts der Summe, die Sie jetzt ausgeben, ein bisschen zu viel versprochen. Das müssen Sie jetzt verkaufen. So ganz erwartungsvoll bin ich, ehrlich gesagt, auch nicht mit Blick auf diesen Gipfel. Denn was wollen Sie mit den Ländern voranbringen, was die Länder nicht ohnehin schon ohne Sie tun oder tun könnten? Was wollen Sie ihnen versprechen? Sie reisen mit leerem Gepäck an. Sie haben überhaupt keine Finanzmittel. Sie wollen sich zwar austauschen - fachlicher Austausch ist immer gut -, aber seien Sie einmal ehrlich: Wir haben keine Erkenntnisdefizite, wir haben Vollzugsdefizite. Dafür brauchen wir die Finanzmittel. Die wiederum nehmen Sie nicht mit. Machen Sie hier also keine leeren Verspre4754 chungen! Wir brauchen Qualität in diesem Land, und das mit Entschlossenheit und nicht nur mit leeren Worten. ({6}) Die einzige wirklich gravierende Steigerung in Ihrem Haushaltsentwurf wird durch das Betreuungsgeld bewirkt. Ehrlich gesagt, ich sage nichts mehr dazu; ({7}) denn das spricht für sich. ({8}) Bei Ihnen fehlt, dass Sie das Problem unserer Zeit angehen. Kinderarmut, Familienarmut kommt in Ihren Debatten überhaupt nicht mehr vor. Über die Situation der Alleinerziehenden verlieren Sie kein Wort. Sie könnten jetzt entschlossen die Familienförderung angehen. Sie könnten endlich an den Regelsätzen etwas ändern und die Rechte der Kinder verteidigen. Sie könnten endlich einmal den Mut haben, dieses unsägliche Bildungsund Teilhabepaket zu überarbeiten; denn Sie wissen doch selber am besten, was für eine überbordende Bürokratie dahintersteckt und dass das Geld nicht bei den Kindern ankommt. Das könnten Sie, machen Sie aber nicht. Sie reden von Zeit. Die Zeit haben Sie jetzt als Ministerin. Handeln Sie, und schauen Sie nicht zu! ({9}) Zuletzt noch ein paar Punkte, die mir wichtig sind: Einsatz gegen Rechtsextremismus. Sie kommen aus Mecklenburg-Vorpommern und müssten deshalb wissen, wie wichtig Mittel hierfür sind. Ich hätte mir da ein bisschen mehr Geld gewünscht. Wir werden den Antrag wieder einbringen, die Mittel deutlich zu steigern. Wir werden genau überprüfen, ob es Ihnen wenigstens gelingt - das ist das Mindeste -, die Mittel zu verstetigen und aus dieser Projektitis, die Sie hier vollziehen, herauszukommen. Auch die Neukonzeption der Bildungszentren ist, so wie der Freiwilligendienst jetzt angelegt ist, finanziell gar nicht mehr zu halten. Eigentlich hatte ich ja gehofft, dass Sie uns dazu etwas vorlegen. Das ist bisher nicht geschehen. Aber was nicht geschehen ist, kann ja noch kommen. Da bin ich mal gespannt. Evaluierung der Frühen Hilfen. Wir beide haben das einmal gemeinsam verhandelt. Ich glaube, die positiven Befunde werden uns darin bestätigen. Aber es reicht nicht, das einmal verhandelt zu haben. Wir haben uns doch gemeinsam als Rot-Grün erhofft, dass es endlich einmal dazu kommt, dass das Gesundheitsressort mit dem Familienressort zusammenarbeitet. Warum machen Sie das nicht? Die Argumente waren doch auf unserer Seite. Warum bleiben Sie da so passiv? Wir brauchen gestärkte Beratungsstrukturen in diesem Bereich. Nicht zuletzt, Frau Ministerin, erwähne ich den Fonds Sexueller Missbrauch. Ich finde es gut, dass wir als Bund da das Geld in die Hand nehmen. Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, dass ich einen gemeinsamen Appell starte, nämlich vom Bundestag an die Länder. Es reicht nicht, wenn sich nur der Bund engagiert. ({10}) Wir brauchen die Länder. Wir sind nämlich in der gemeinsamen Verantwortung. Das war ein staatliches Versagen, und da müssen wir handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beratungen über den Haushalt werden spannend. Noch spannender wäre es, wenn Sie sich dafür auch engagieren würden. ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön. - Der Kollege Marcus Weinberg hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Konsolidieren, investieren, hin und her - als Ergebnis bleibt die schwarze Null; die steht. Darauf können wir stolz sein, weil dies, glaube ich, eine familienpolitische Errungenschaft für die nächsten Jahre ist; denn es wären unsere Kinder, die dann möglicherweise neue Schulden zurückzahlen müssten. Das sollte man in einer solchen Debatte auch immer erwähnen ({0}) und unterstreichen. Lieber Kollege Hahn, wenn man mich 1967, als ich geboren wurde, einmal gefragt hätte: „Was sind drei grundsätzliche Ziele der nächsten Jahre?“, dann hätte ich gesagt: der Weltfrieden, dass St. Pauli vielleicht einmal Deutscher Meister wird ({1}) und bitte keine Schulden machen. 45 Jahre lang haben wir in diesem Land Schulden gemacht. Diejenigen, die die Schulden abtragen, sind unsere Kinder. Deswegen ist es eine Errungenschaft, gerade auch vor dem Hintergrund dessen, was wir für Familien und für die kommenden Generationen tun. ({2}) - St. Pauli wird auch nie Deutscher Meister; davon kann man sich verabschieden. Aber zumindest auf den zuvor von mir genannten Punkt können wir, glaube ich, dann auch sehr positiv zurückblicken. Eine Haushaltsdebatte ist immer eine gute Gelegenheit, Grundsätze der Familienpolitik zu diskutieren, auch möglicherweise verschiedene Ansätze. Man hat ja bei der Kollegin der Grünen gemerkt, wie schwierig es ist, sozusagen kritische Punkte irgendwo herauszuziehen. Marcus Weinberg ({3}) ({4}) Denn gerade angesichts der familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre wird immer deutlicher, dass wir den richtigen Weg gegangen sind, und zwar im Sinne der Familien, der Eltern und der Kinder. Vor diesem Hintergrund führen wir die Diskussion. Ich bin der Ministerin sehr dankbar, dass man, wenn man über familienpolitische Veränderungen diskutiert, vor allem eins macht: sich ohne den berühmten Blubberschaum vor dem Mund ruhig und sachlich zu fragen: Wo stehen wir heute? Welche Zielfunktionen haben wir? Wie kommen wir dahin? ({5}) Es geht darum, die Vielfalt der Familien anzuerkennen, die einzelnen gesellschaftspolitischen Maßnahmen einmal zu überprüfen und - in einem dritten Schritt endlich dazu zu kommen, dass wir in diesem Hause und in der politischen Diskussion alles entideologisieren. Ich habe es bereits in meiner letzten Rede zu diesem Thema gesagt: Ihre Rhetorik gegen das Betreuungsgeld, die ich immer wieder höre, Frau Golze - Entschuldigung -, hilft den Familien nicht. ({6}) Denn sie entscheiden Dinge für sich; sie sind frei in ihrer Entscheidung. Im Übrigen nehmen sie das Betreuungsgeld in weiten Teilen sehr positiv an. Für uns sind die Fragen wichtig: Was wollen die Familien? Wie gehen die Familien damit um? Ich glaube, „Rabenmutter“ und „Herdprämie“ sind wirklich Begriffe der Vergangenheit. Das will man in Deutschland nicht mehr hören. ({7}) Die Vielfalt der Familien und die Veränderungen in diesem Zusammenhang anzuerkennen und vor allen Dingen Vertrauen in die Familien zu haben, das sind unsere Leitmotive familienpolitischen Handelns. Wir wollen den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, und ihnen nicht bestimmte Familienmodelle überstülpen. Im Übrigen sei bei dem Thema „Vielfalt der Familien“ auch einmal Folgendes angesprochen: Wir sagen selbst, gerade auch im Rahmen der Bewertung der familienbezogenen Leistungen, dass wir viele verschiedene Modelle haben - traditionell, verheiratet, mit Kindern, bis hin zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Dann führen wir natürlich auch Diskussionen darüber, wie wir die Leistungen anpassen können. Aber eins ärgert mich - und da blicke ich auch auf die Grünen mit ihrem sozusagen sehr ideologiebehafteten Ansatz; Stichwort „Ehegattensplitting“ -: ({8}) Auch wir wollen Kinder stärker fördern, indem wir das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting erweitern. Was ich allerdings nicht akzeptiere, ist, dass Sie - und das ist Ihr Ansatz - sagen: Da, wo Menschen auch ohne Kinder füreinander Verantwortung übernehmen, soll es überhaupt keine Unterstützung des Staates geben. ({9}) Nein, auch Ehepaare ohne Kinder sind eine Familie, und der Staat hat diese zu unterstützen. Ich glaube, das sollte man im Rahmen dieser Diskussion noch einmal deutlich machen. ({10}) Ein weiterer Punkt. Der Bericht zu familienbezogenen Leistungen bestätigt unsere Auffassung in vielen Punkten. Er zeigt aber auch Dinge, die man für die nächsten Jahre noch durchdenken muss. Eins ist uns aber wichtig: Familienpolitik kann sich nicht nach Gesichtspunkten ökonomischer Effizienz ausrichten. Es gibt kein Betriebsoptimum oder -minimum in der Familie; Familienpolitik muss immer auch die besondere Situation der Familien würdigen. Mit Blick auf die Wirksamkeit kann man deshalb nicht nur schauen, wohin welche Finanzströme fließen. Dabei ist für uns in diesem Zusammenhang wichtig: Wir werden auch Familienmodelle, in denen ein Elternteil nicht erwerbstätig ist, weiter unterstützen. Wenn sich eine Mutter oder ein Vater - zum Glück - bereit erklärt, sich in den ersten Jahren nach der Geburt um das Kind zu kümmern, dann müssen wir das aus unserer Sicht auch unterstützen. Bei der Frage nach dem Erfolg von Familienpolitik muss man auch überlegen, welche Kategorien oder Parameter man sich eigentlich anschaut. Wir machen Familienpolitik für die heute lebenden Familien; wir machen keine Bevölkerungspolitik. Und wir werden uns bei den Themen „Geburtenrate“ und „Beteiligung beider Elternteile am Arbeitsmarkt“ sicherlich nicht ausschließlich davon leiten lassen, sondern es sind auch noch andere Punkte wichtig. ({11}) Nun kommen wir zu dem Punkt, den Frau Schön und auch die Ministerin bereits angesprochen haben: das berühmte Dreieck. Zunächst einmal stellt sich die Frage, was Familien eigentlich wollen. Von den Familien haben wir dazu in den letzten Jahren erfahren, dass sie erstens den Ausbau der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollen. Im Übrigen wird das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ demnächst durch das Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ abgelöst werden. Aber ich glaube, für uns als Familienpolitiker ist der Grundansatz, die Voraussetzungen für diese Vereinbarkeit zu schaffen, wichtig. Neben dem Ausbau der Infrastruktur geht es ihnen zweitens um ein besseres Zeitmanagement. Sie wollen mehr Zeit für die Familie haben. Der dritte Punkt sind bessere Bildungschancen für Kinder gerade berufstätiger Familien. Marcus Weinberg ({12}) Dieses Dreieck - erstens Zeitsouveränität für Familien zu generieren, zweitens Infrastruktur auszubauen und drittens die Familien finanziell abzusichern - ist unser Leitmotiv in der Familienpolitik. Ich will nur drei Zahlen zum Bereich der Finanzen nennen: Die Erhöhung des Kindergeldes zu Beginn der letzten Legislaturperiode hat bewirkt, dass 1,26 Millionen Familien nicht von SGB-II-Leistungen leben müssen. Der Kinderzuschlag bewahrt 110 000 Familien davor, Grundsicherung beantragen zu müssen. Und mit dem Elterngeld ermöglichen wir es jungen Familien, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Darüber hinaus reduziert es das Armutsrisiko junger Familien um rund 10 Prozentpunkte im ersten Lebensjahr des Kindes und verhindert bei fast 100 000 Familien das „Abrutschen“ in den SGB-II-Bezug. Wir geben über 5 Milliarden Euro für diese Leistungen, insbesondere auch für das Elterngeld, aus. Deswegen ist es richtig und konsequent, nach dem ersten Schritt - Einführung des Elterngeldes - jetzt den zweiten Schritt zu gehen: mehr Flexibilität, mehr Zeitsouveränität mit dem ElterngeldPlus. Wir sind froh, dass wir im Herbst dieses Jahres gemeinsam den entsprechenden Gesetzentwurf dazu verabschieden können. Damit verbunden ist auch das Thema Partnerschaftsbonus und die Flexibilisierung der Elternzeit. Das heißt, dass jetzt von den insgesamt 36 Monaten Elternzeit 24 Monate bis zum achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden können. Das sind die Wünsche der Eltern, und die Politik hat sich dann auch tatsächlich werteorientiert daran ausgerichtet, ohne beliebig zu sein und dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Das sind Veränderungsprozesse, die langfristig wirken und auf die wir richtigerweise schon vor Jahren reagiert haben, indem wir die Weichen gelegt haben, die jetzt noch einmal neu gestellt werden. Ein weiterer Punkt ist die Erfolgsgeschichte beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Es wurde lange über die einzelnen Zahlen diskutiert. Was ist denn entscheidend? Entscheidend ist, dass wir einen Rechtsanspruch auf Krippenbetreuung eingeführt haben und dass wir den Ländern jetzt 550 Millionen Euro mehr für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung stellen können. Noch viel entscheidender ist - stimmt die Steigerung von „entscheidend“ so? -, dass wir den Ländern 100 Millionen Euro extra für die Betriebskosten beim Betreuungsausbau zur Verfügung stellen. Insgesamt sind es 945 Millionen Euro jährlich. Jetzt komme ich zu einem Thema, das die Ministerin auch angesprochen hatte. Wir übernehmen, glaube ich, sehr viel. Was machen eigentlich die Länder? Es gibt Bundesländer wie das kleine und sicherlich nicht so reiche Bundesland Bremen, die einen Betreuungsschlüssel von 1,1 zu 3,2 hinbekommen. - Frau Präsidentin?

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Die Kollegin Brantner möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Ich wollte Sie nur den Gedanken zu Ende führen lassen. Gestatten Sie die Zwischenfrage?

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollegin Brantner.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade noch einmal die zusätzlichen Gelder für die Kitas angesprochen. Wir wollen zu der Frage, was zusätzlich ist und was man noch hätte ausgeben können, darauf hinweisen, dass schon am 11. Oktober 2013 84 Prozent der Mittel bewilligt waren. Hätten Sie den Kommunen gesagt: „Die Gelder nehmen wir Ihnen übrigens wieder weg. Sie haben zwar schon angefangen. Aber die Gelder bleiben nicht bei Ihnen; sie kommen den Straßen zugute“? Von daher finde ich es ziemlich frech, zu sagen, dass Sie in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben, diese Gelder jetzt doch den Kommunen zu geben. Zu diesem Zeitpunkt waren sie zu 84 Prozent bewilligt. Sie hätten allen Kommunen sagen müssen: Das Geld gibt es jetzt doch nicht. Jetzt ist die Frage an Sie, ob Sie wirklich immer noch darauf beharren, dass es 1 Milliarde Euro zusätzlich sind? ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das habe ich gar nicht gesagt. Ich komme noch einmal auf die Ausgangssituation zurück: Wir beschließen den Haushalt. Bei allem Respekt, das macht nicht die Ministerin. Wir sind der Gesetzgeber. Am Ende der Legislaturperiode wären die Mittel wieder zurückgeflossen. Dann haben wir gesagt: Es gibt aber weitere Bedarfe. Jetzt ergibt sich in der Gesamtsumme dessen, was bereitgestellt wird - nämlich 450 Millionen Euro plus 550 Millionen Euro -, 1 Milliarde Euro. Wir könnten jetzt Hauptseminare über Lyrik und darüber machen, wie sich die Summe genau zusammensetzt. ({0}) Entscheidend ist doch, dass wir es schaffen, die Bedarfe der Kommunen in den nächsten Jahren zu decken. Mit der Schichtung 220 Millionen, 230 Millionen und 100 Millionen bekommen wir es hin, bis 2017/2018 die höheren Bedarfe zu decken. Insoweit ist für mich wichtig, dass das Kind, das von dieser ganzen Diskussion nichts mitbekommt, in der Krippe einen Platz hat. Das ist unser Ziel, und das erfüllen wir auch. ({1}) Zum Schluss will ich auf das Thema Qualität zu sprechen kommen, weil das für uns ein entscheidender Punkt ist. Ich bitte, zu überlegen, wo wir Qualitätsansätze Marcus Weinberg ({2}) haben. Dafür sind auch die Länder mitverantwortlich. Ich finde es gut und wichtig, dass man mit den Ländern darüber verhandelt. Das Beispiel Bremen habe ich schon angesprochen. Ich kann auch mein Heimatbundesland nennen. Dort gibt es zurzeit keine Kitagebühren mehr; sie wurden abgeschafft. Man hätte auch 2 000 Erzieherinnen einstellen und den schlechtesten Betreuungsschlüssel in ganz Westdeutschland etwas verbessern können. Aber die Regierung in Hamburg hat gesagt: Nein, wir wollen, dass sich auch nicht so gut Verdienende einen Kitaplatz erlauben können. - Das müssen die Länder entscheiden. Unsere Vorgabe ist: Qualität ist eine klare Zielfunktion. Dabei sind die Länder in der Verantwortung. Abschließend ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in weiten Teilen dieser familienpolitischen Maßnahmen schon sehr gute Wege gehen, aber die Frage von Bildungsimplikationen gerade im frühkindlichen Bereich weiterverfolgen werden. Die Mittel für Frühe Hilfen - dazu könnte man viel sagen - werden verstetigt. Zu nennen ist auch der gesamte Bereich des Ehrenamts. Aber wir haben zum Glück noch viele gute Redner, die das auch noch darstellen werden. Insoweit ist dieser Haushalt mit der großen runden Null tatsächlich ein guter Haushalt. Ich verzichte gerne darauf, dass St. Pauli Deutscher Meister wird, ({3}) wenn wir diese Null auch die nächsten 20 Jahre halten können. Insoweit vielen Dank und gute Beratung. ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Petra Pau. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Sonntag wird es in Berlin eine Kundgebung geben - eine beeindruckende, so hoffe ich. Ihr Motto ist: „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ Anlässe dafür gibt es viele, leider viel zu viele. Ich gehe davon aus, dass sich viele von uns dort treffen, über alle Fraktionsgrenzen hinweg. ({0}) Denn der gemeinsame Kampf aller Demokratinnen und Demokraten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hat nur eine Chance, wenn er nicht parteipolitisch geführt wird. Das war übrigens auch das Grundverständnis im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur NSU/Nazimord- und -raubserie sowie zum Staatsversagen. Entsprechend einhellig wurde der Abschlussbericht mit rund 50 konkreten Schlussfolgerungen getragen. Eine Schlussfolgerung lautete: Die Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist unzureichend. - Also stellt sich die Frage, ob der aktuelle Haushaltsansatz Besserung in Aussicht stellt. Da sage ich für die Linke: Leider nein. Grob gesagt, gab es im Untersuchungsausschuss drei Kritiken: Erstens. Die Fördermittel für Initiativen gegen Rechtsextremismus und für Opferberatung sind zu gering, allemal in den westlichen Bundesländern. Das ist kurzsichtig. Zweitens. Rechtsextremismus und Rassismus sind Dauerprobleme. Initiativen dagegen werden aber nur kurzatmig und kurzfristig unterstützt. Das ist unangemessen. Drittens. Die sogenannte Extremismusklausel stellt Demokratieinitiativen unter den Generalverdacht, verfassungsfeindlich zu sein. Das ist kontraproduktiv. So weit die gemeinsamen Schlussfolgerungen des Berichts. Welche Antworten bietet nun der aktuelle Haushaltsplan? Erstens. Im Wahlkampf 2013 hatte die SPD 70 Millionen Euro pro Jahr gefordert. Geblieben sind im aktuellen Finanzplan 30 Millionen Euro. Da diese 30 Millionen Euro zudem mehr Initiativen, allemal in den westlichen Bundesländern, zugutekommen sollen - was wir natürlich begrüßen -, bedeutet das aber unter dem Strich minus statt plus. Die Linke bleibt dabei: Vonnöten sind mindestens 50 Millionen Euro. ({1}) Zweitens. Die gesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden weiter zum Hecheln genötigt. Wieder und wieder müssen sie bürokratisch ihre Berechtigung nachweisen. Ich sage: Das klaut Zeit und verplempert Kompetenz. Übrigens: Vor Jahren hatte Wolfgang Thierse alternativ für ein Stiftungsmodell plädiert. Diese gute Idee ist wieder weg. Ich finde, wir sollten ihr treu bleiben. Die Linke ist es jedenfalls. ({2}) Drittens. Es gibt einen künstlichen Dauerstreit, welche Extremisten gefährlicher seien. Die SPD sagt: die von rechts. Die Union kontert: die von links. - Nun haben Medien berichtet, dass die Innenministerkonferenz eine Studie über Linksextremismus in Auftrag gegeben hat. Ergo hat die Linksfraktion gefragt: Was soll dort untersucht werden? Welche Anhaltspunkte gibt es? Welche Fragen werden gestellt? Welchen Anteil und welche Erwartungen hat an alledem die Bundesregierung? - Die schriftliche Antwort des Bundesinnenministeriums lautet, das alles sei streng geheim und nichts für Abgeordnete. Ich finde das weder geheimnisvoll noch erklärend, sondern weltfremd und arrogant. ({3}) Abschließend zur Erinnerung: Exakt heute vor 14 Jahren wurde Enver Simsek hingerichtet. Er war das erste NSU-Opfer. Überhaupt erleben wir seit längerem einen gesellschaftlichen Rechtsruck. Wissenschaftler warnen seit langem davor. Es ist höchste Zeit, dass wir gemeinsam dagegen vorgehen und dass sich das auch im Haushalt widerspiegelt. ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Sönke Rix, SPDFraktion. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Vizepräsidentin und Kollegin, die Sie gerade vor mir gesprochen haben, ich bin der Ministerin Manuela Schwesig dafür dankbar, dass sie die aus dem NSU-Bericht zu ziehenden Schlussfolgerungen wirklich tatkräftig angeht. Dafür herzlichen Dank, Manuela Schwesig! ({0}) Sie haben gerade mehrere Forderungen aufgezählt, Stichwort „Extremismusklausel“, Stichwort „Kontinuität der Programme“. Wenn man heute mit Vertretern der Zivilgesellschaft redet, dann stellt man erst einmal fest, dass sie schon allein dafür dankbar sind, dass sie in einer anderen Art und Weise empfangen und gehört werden und an der Erarbeitung der Programme intensiv beteiligt werden. Das ist wirklich eine Stärkung der Zivilgesellschaft, und dafür herzlichen Dank! ({1}) Ich gebe Ihnen recht: Sämtliche Forderungen des NSU-Untersuchungsausschusses sind mit diesem Haushalt und in diesem Jahr noch nicht umgesetzt worden. Aber damit, aus der Hüfte zu schießen, insbesondere was die Kontinuität der Finanzierung der Arbeit gegen Rechtsextremismus angeht, wäre der Zivilgesellschaft und dem Kampf gegen Rechtsextremismus auch nicht geholfen. ({2}) Ich bitte, eher eine gute als eine schnelle Lösung auf den Markt zu bringen. ({3}) Über mehr Mittel dafür müssen wir im parlamentarischen Verfahren noch diskutieren. Es ist immer noch so - ich stehe als ehemaliges Mitglied dieses Untersuchungsausschusses dazu -: Wir brauchen mehr Mittel im Kampf für Demokratie und Toleranz. Auch wenn die Regierung uns aktuell noch keine große Steigerung vorgelegt hat, gilt: Wir als Parlament sind der Haushaltsgesetzgeber, und es lohnt sich, in den Verhandlungen für eine solche Steigerung zu streiten. ({4}) Ich will nun auf einen Streit eingehen, der in den bisherigen Reden des Öfteren und auch zu Recht angesprochen worden ist. Wir haben das erste Mal seit Jahren wieder einen ausgeglichenen Haushalt. Nun können die Grünen und die Linksfraktion natürlich wieder sagen: Oje, jetzt fängt der auch damit an. ({5}) Es ist aber nicht so, dass die Grünen und auch die Linksfraktion dort, wo sie in Landesparlamenten und kommunalen Parlamenten Verantwortung tragen, nicht genauso stolz darauf sind, wenn so etwas passiert. Frau Golze hat es vorhin übrigens angedeutet: In Brandenburg, wo die Linke an der Regierung beteiligt ist, gibt es ebenfalls einen ausgeglichenen Haushalt. Darauf können Sie auch stolz sein, und auch wir sind stolz darauf, dass wir diesmal hier das Gleiche geschafft haben. ({6}) Gönnen Sie uns das! Ähnliches kenne ich aus Schleswig-Holstein: Die dortige grüne Finanzministerin ist die Erste, die darauf achtet, dass die Entwicklung in Richtung eines ausgeglichenen Haushalts verläuft. Es ist doch vernünftig, dass die Grünen dazu stehen. Ich finde, das können sie ruhig; darauf kann man auch stolz sein. Lasst uns doch die Freude darüber, dass uns das erstmals gelungen ist; denn das ist ein gutes Zeichen, ein Ausdruck guter Politik. ({7}) Das gilt insbesondere mit Blick auf die junge Generation. Deren Interessen zu berücksichtigen, ist ein Argument all derjenigen, die froh sind, wenn sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. Dass uns als Familien-, Kinder- und Jugendpolitiker ein ausgeglichener Haushalt besonders freut, ist nichts Verkehrtes. Im Gegenteil: Wir wissen, dass wir wieder Spielraum für neue Zukunftsinvestitionen schaffen werden. Wir vollbringen eine Doppelleistung. Schuldenabbau und Zukunftsinvestitionen sind ja kein Gegensatz. Dieser Haushalt leistet beides. Das ist schon etwas, was man an dieser Stelle erwähnen muss. Gerade wir, die wir in diesem Bereich aktiv sind, müssen darauf achten, dass wir alle Generationen und damit die Generationengerechtigkeit im Blick haben. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir den jüngeren Generationen weniger Schulden hinterlassen, sondern auch um das, was wir für das aktuelle Zusammenleben der Generationen tun: Wir investieren. Wir haben zusätzliches Geld in die Hand genommen, um die Mehrgenerationenhäuser - einen Ort, wo sich Generationen treffen - bis 2015 auszufinanzieren. ({8}) Ein weiterer Streit hat hier eine Rolle gespielt: ob 1 Milliarde Euro nun 1 Milliarde Euro sind oder nicht. Natürlich sind 1 Milliarde Euro 1 Milliarde Euro. Auch die Kollegen der Grünen und der Linkspartei sollten zugeben: Würden Sie eine größere Summe in Ihrem Zuständigkeitsbereich in die Hand nehmen und tatsächlich in Bildung und Betreuung investieren, dann wären auch Sie froh darüber; denn jeder Cent, jede Million Euro und damit auch die 1 Milliarde Euro sind gut. Wir freuen uns darüber, dass wir dieses Geld investieren. Ich bin gespannt darauf, wie die einzelnen Landesregierungen mit diesem Geld umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Denn auch da tragen Sie Verantwortung, zum Beispiel in Brandenburg; rot-grüne Regierungen gibt es glücklicherweise auch noch genügend. Abgesehen davon bin ich froh, zu sehen, dass es sich um so viel Geld handelt. Wir haben weitere Aktivitäten vor uns. Zeitmanagement ist ein Schwerpunkt in unserer Arbeit. Hierbei geht es um zwei größere Projekte - wir haben darauf hingewiesen -: zum einen um das ElterngeldPlus, um die Flexibilisierung der Zeit für Familien im Zusammenhang mit Berufstätigkeit, sowie zum anderen um die Familienpflegezeit. Wir werden diejenigen sein, die es endlich schaffen, Berufstätigkeit und Familienpflegezeit unter ein Dach zu bekommen, indem wir ein gutes Angebot für Angehörige von zu Pflegenden schaffen, damit sie Zeit haben, sie zu betreuen oder zu pflegen. Dieses Projekt ist ein zusätzlicher Schritt, eine flexiblere Arbeitszeit für Angehörige von zu Pflegenden zu schaffen. Darüber sind wir auch froh, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Natürlich werden wir uns als Große Koalition mit dem Thema „familienpolitische Leistungen“ auseinandersetzen. Es ist nicht so, dass das Forschungsprojekt dazu in der Schublade landet und dann nichts damit passiert. Es ist aber auch so - da müssen wir ehrlich sein -, dass wir zwei Koalitionspartner haben, die nicht in allen Punkten, die in dem dazu vorliegenden Bericht empfohlen werden, die gleiche Meinung haben. Aber wir sind bereits gemeinsame Schritte gegangen. Ich bin mir sicher, dass wir weitere gemeinsame Schritte gehen werden. Allein das, was in diesem Bericht über die Betreuung und die Elternzeit gesagt wurde, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Der Bericht enthält ja keine Pauschalkritik an der aktuellen Regierungspolitik, sondern viele unterstützende Worte für unsere Politik. Diese Politik werden wir auch nach dem Vorliegen des Berichts zu den familienpolitischen Leistungen fortsetzen. Ich hoffe, dass wir bei den Haushaltsberatungen wieder gemeinsam darüber streiten und am Ende zu guten Ergebnissen kommen. Herzlichen Dank. ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde jetzt nichts mehr zur schwarzen Null sagen. Das Einzige, was ich dazu sage, ist: Es fällt schon sehr auf, wie lange und ausführlich Sie diese schwarze Null immer noch rechtfertigen. ({0}) Frau Ministerin Schwesig, Sie haben Ihr Amt als Bundesfrauenministerin mit dem Anspruch angetreten, nach jahrelangem Stillstand endlich Politik für die Frauen in diesem Land zu machen, ({1}) die Situation für sie wirklich zu verbessern, sei es bei der Gleichstellung, beim Schutz vor Gewalt oder bei einer gerechten Verteilung der Einkommen. Das haben wir als Opposition auch sehr begrüßt. Aber ich bin jetzt eher enttäuscht; denn passiert ist bisher leider sehr wenig. Das bildet sich auch in Ihrem Haushalt ab: nicht viel Neues, sondern im Wesentlichen eine Fortschreibung des Haushalts von Schwarz-Gelb. Mit großer Verve hatten Sie die Einführung einer Frauenquote angekündigt: Man müsse nur richtig dafür kämpfen, dann würde die Quote auch kommen. Das waren Ihre Worte. Richtig ist, die Frauenquote wird kommen - endlich. Frau Ministerin, ich will Ihnen ganz klar sagen: Wenn dieses Quotengesetz die Frauen nach vorne bringen würde, wenn es mit einer gerechten Partizipation der Geschlechter in den Aufsichtsräten der Unternehmen und den Bundesgremien Ernst machen würde, dann hätten Sie unsere volle Unterstützung. Sie wollten eine Quote, die die Arbeitswelt verändert. Aber Ihre Quote war schon in Ihrem letzten Entwurf nur ein Quötchen. Sie kündigen eine Quote für Aufsichtsräte von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen für Neubesetzungen ab 2016 an. Wir reden damit über Aufsichtsräte von rund 100 Unternehmen. Noch weniger Quote wäre doch ernsthaft gar nicht möglich gewesen. ({2}) Wir wollen dagegen eine Quote für 3 500 Unternehmen, und zwar für börsennotierte oder mitbestimmte. Wir wollen, dass sich in diesem Land wirklich zügig etwas ändert. Nun haben Sie den neuen Entwurf nochmals abgespeckt: Es wird nicht nur in den Aufsichtsräten - da war ja auch kein Fett mehr dran -, sondern nun auch in jedem Unternehmen doch kein weibliches Vorstandsmitglied geben. Gleichstellungsbeauftragte, die es ursprünglich bereits ab 50 Beschäftigte geben sollte, soll es jetzt nur noch in Dienststellen ab 100 Beschäftigte geben. Auch die für das Bundesgremienbesetzungsgesetz vorgesehene Quote haben Sie deutlich abgeschwächt: Erst sollte eine Quote von 50 Prozent für alle Gremien gelten; jetzt kommt eine Quote von 30 Prozent ab 2016, die Quote von 50 Prozent erst ab 2018. So, Frau Ministerin, werden die öffentlichen Unternehmen keine Vorbildfunktion gegenüber der Privatwirtschaft übernehmen. ({3}) Stattdessen, Frau Schwesig, sind Sie vor der Wirtschaft und der Union eingeknickt. Ich muss ganz ehrlich sagen: Da verstehe ich auch Sie, meine Kolleginnen von der Union, nicht. Ich möchte dabei direkt Frau von der Leyen ansprechen - sie ist gerade nicht da. Noch in der letzten Legislaturperiode hatten wir doch eine Mehrheit; wir hatten sie im Bundesrat, und wir hätten sie auch im Bundestag gehabt. Viele von Ihnen haben damals die von den Grünen initiierte Berliner Erklärung unterzeichnet. Aber offenbar haben Sie, liebe Kolleginnen, nun Angst vor Ihrer eigenen Courage. Schade, dass Sie Ihre Mehrheiten in der Großen Koalition nicht nutzen! Jetzt hätten Sie die Chance, bei der Gleichstellung und bei der Quote gemeinsam zu gestalten. ({4}) Meine Damen und Herren von der Koalition, dringender Handlungsbedarf besteht auch bei den Einkommensunterschieden bei Männern und Frauen. Die aktuelle DIW-Studie hat es gerade drastisch aufgezeigt: Frauen verdienen in unserem Land seit Jahren durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer. Das allein ist schon ein Skandal. Aber neu und erschreckend ist, dass Frauen tatsächlich nur über ein halb so hohes Bruttoeinkommen verfügen wie Männer - und das über alle Einkommensarten hinweg gerechnet. Darum brauchen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, endlich ein Entgeltgleichheitsgesetz. Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit - darum muss es gehen. ({5}) Nur mit verbindlichen Regelungen können Sie die Entgeltdiskriminierung überprüfen oder beseitigen. Allein mehr Transparenz herzustellen, reicht beileibe nicht aus. Das Ehegattensplitting ist für die Einkommensunterschiede ein wichtiger und besonders negativer Faktor, so das DIW. Selbst die Evaluation, die Ihr eigenes Haus in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: Das Ehegattensplitting hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Es führt zu starken negativen Erwerbsanreizen für die Zweitverdiener, in der Regel die Frauen oder Mütter. Und Sie, Frau Ministerin, wollen nun daran festhalten? Damit ignorieren Sie völlig, dass das Splitting nicht nur negative Erwerbsanreize für Frauen schafft, sondern auch an Millionen von Familien mit Kindern, bei denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind, und an Alleinerziehenden vorbeigeht. Wir Grüne wollen und werden das Leben mit Kindern fördern und eben nicht den Trauschein, Herr Kollege Weinberg - er ist auch nicht mehr da. Deshalb muss das Ehegattensplitting abgeschmolzen werden. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte am Schluss noch etwas zum Schutz von Frauen vor Gewalt sagen. Wir alle wissen, dass die Reform des Sexualstrafrechts ansteht. Hierzu gehört auch eine Überarbeitung des § 177 Strafgesetzbuch, des sogenannten Vergewaltigungsparagrafen. Bisher gilt, dass die Opfer einer Vergewaltigung nachweisen müssen, dass sie sich aktiv zur Wehr gesetzt haben. Ich meine, dass ein Nein ein Nein ist. Nach Artikel 36 der Istanbul-Konvention, die Deutschland unterzeichnet hat, sind alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Ich fordere Sie von der Bundesregierung daher eindringlich auf: Setzen Sie die Istanbul-Konvention jetzt auch um, schließen Sie diese Strafrechtslücke! Denn für eine Frau, die Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, ist es wichtig, dass sie das Recht auf ihrer Seite weiß. Vielen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön. - Sylvia Pantel ist jetzt die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir rechtfertigen nicht die „schwarze Null“, die wir endlich erreicht haben, sondern wir feiern sie, weil wir 46 Jahre dafür gebraucht haben, dass wir sie endlich erreichen, dass wir mit dem Geld auskommen, das wir einnehmen. Wir setzen dann auch die richtigen Akzente. Der Schuldenabbau hat in den vergangenen Jahren große Anstrengungen erfordert. Diese Anstrengungen sind wir unseren zukünftigen Generationen schuldig. Ich komme aus Düsseldorf. Als die CDU 1999 die politische Verantwortung übernahm, war Düsseldorf mit 1,6 Milliarden Euro verschuldet. Durch kluge Finanzpolitik und nachhaltige Investitionen sind wir seit 2007 schuldenfrei. Der Schuldenabbau in Düsseldorf trägt unsere Handschrift; denn wir wollen zukünftige Generationen vor Schulden und Steuererhöhungen bewahren. Wir haben in meiner Heimatstadt schwarze Zahlen geschrieben und sehr wohl in Kindergärten und Schulen investiert. Die Haushaltspolitik in NRW trägt nicht die Handschrift der CDU. ({0}) Die Steuereinnahmen wachsen, die Schulden aber leider auch. Wir dürfen und wollen keine Schuldenberge hinterlassen. Die Gesamtverschuldung des Bundes wurde schon in diesem Jahr um 0,8 Prozent abgebaut. Gleichzeitig investieren wir in Deutschlands Zukunft, in unsere Familien. Familien brauchen eine verlässliche Absicherung, eine für ihre Lebensentwürfe passende Infrastruktur und ein flexibles Zeitmanagement, um partnerschaftliche Vereinbarungen treffen zu können. Der Etat des Familienministeriums zeigt wieder sehr deutlich: Wir setzen politische Schwerpunkte, um ein selbstbestimmtes Familienleben zu ermöglichen. Dafür herzlichen Dank! ({1}) Wir investieren in bessere Rahmenbedingungen für Familien. Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ein zentraler Punkt. Wir wollen den Familien selbst die Wahl überlassen und sie dabei nicht überfordern. Dies ist ein klares Bekenntnis für eine kluge, nachhaltige Familienpolitik für Deutschland. Ich möchte Ihnen die drei politischen Schwerpunkte nennen, die ich in meiner Rede besonders hervorheben möchte: die Wahlfreiheit der Familien bei der Kinderbetreuung, das Zusammenleben von Jung und Alt und die Stärkung demokratischer Strukturen. Die Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Artikel 6 des Grundgesetzes das natürliche Recht und die Pflicht der Eltern. Ein Staat hat die Eltern nicht zu bevormunden. Die meisten Eltern können und wollen eigenständig entscheiden, wie ihr Leben mit Kindern aussehen soll, wie sie es gestalten. Sie brauchen dafür unterschiedliche Angebote und unterschiedliche Strukturen, so, wie die Lebensmodelle eben auch unterschiedlich sind. Damit die Familie eine freie Entscheidung über die Betreuungsform für ihre Kinder treffen kann, gibt es das von Ihnen nicht geliebte Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich. ({2}) - Ja, aber ohne Unterstützung. ({3}) Dies ist ein wichtiges Signal und eine Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen. ({4}) - Auch. ({5}) - Hören Sie sich doch erst den Rest an, bevor Sie sich aufregen! Eins nach dem anderen! ({6}) - Das ist doch nicht wahr, was Sie erzählen. Da, wo wir Verantwortung haben, zeigen wir das auch. ({7}) Das Statistische Bundesamt hat die Zahlen genannt: Ende Juni wurde für fast 225 000 Kinder Betreuungsgeld ausgezahlt. ({8}) - Klar! - Das sind schon 79 000 Anträge mehr als in den ersten drei Monaten. Paare sollen sich nicht deshalb zwischen Beruf und Kinderwunsch entscheiden müssen, weil es keine Betreuungsangebote gibt. Wir fördern die staatliche und die private Kinderbetreuung. Es muss endlich aufhören, dass die eine Betreuungsleistung gegen die andere ausgespielt wird. ({9}) - Das machen Sie doch gerade wieder. ({10}) Die Kosten für die staatliche Betreuung in der Kita, die weit höher ausfallen, werden auch von allen Steuerzahlern getragen. ({11}) - In Düsseldorf ist die Betreuung von Kindern ab drei Jahren im Kindergarten beitragsfrei. ({12}) Dort, wo wir Verantwortung tragen, machen wir das schon. Machen Sie es dort, wo Sie Verantwortung tragen, auch. Wir haben das bestehende Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millionen Euro aufgestockt. Im Haushalt steht 1 Milliarde Euro zur Verfügung, um die Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige weiter auszubauen. Seit 2013 sind die Leistungen vom Bund für Eltern und Familien stetig gestiegen. Eltern hatten noch nie so viele Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung ihres Lebens mit Kindern wie heute. Mit dem Elterngeld, dem Betreuungsgeld und dem zukünftigen ElterngeldPlus unterstützen wir die verschiedenen Lebensmodelle von Familien - ohne Wertung des Staates. Wir sorgen dafür, dass Familie und Beruf besser vereinbart werden können. Im Rahmen des Elterngeldes stehen 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit dem ElterngeldPlus wollen wir die Möglichkeit schaffen, sich mehr Zeit für die Kinder zu nehmen, um die Bindung zwischen Eltern und Kindern zu festigen. Damit schaffen wir eine gute Grundlage für ein generationenübergreifendes Zusammenleben. Nelson Mandela sagte einmal: „Wie human eine Gesellschaft ist, das zeigt sich an ihrem Umgang mit Kindern und Alten.“ - Wir wollen eine humane Gesellschaft. Das Modell Mehrgenerationenhaus feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Ich bin Ihnen, Frau Ministerin, dankbar, dass Sie, genau wie wir auch, die Finanzierung langfristig sichern möchten. ({13}) Derzeit werden circa 450 Mehrgenerationenhäuser mit ihren Angeboten gefördert, und wir sorgen dafür, dass die Förderung auch im nächsten Jahr steht. ({14}) Jung und Alt können sich bei unterschiedlichen Angeboten austauschen, einen Zugang zueinander finden und voneinander lernen. Wir brauchen in Zukunft Planungssicherheit. Diese ist hoffentlich, wenn wir alle zusammenstehen, für die nächsten Jahre gesichert. Damit alle Menschen in Deutschland friedlich und gemeinschaftlich zusammenleben können, müssen wir Toleranz und Demokratie stärken. Wir fördern demokratische Strukturen und treten entschlossen gegen extremistische Positionen auf. Die Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. ({15}) Mit 30 Millionen Euro - wir meinen, dass dies ausreicht - werden ab Januar 2015 Maßnahmen gegen Extremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit unterstützt. Extremismus hat aber viele Gesichter. Die Gefahren, die von Antisemitismus, Rassismus und militantem Islamismus ausgehen, sehen wir gerade in diesen Tagen auch in unserem Land, und man sollte diese ernst nehmen. ({16}) Wir wollen keine extremistischen Strömungen, sondern mehr Toleranz und ein gestärktes Demokratieverständnis. ({17}) Eine nachhaltige Förderung der Demokratie muss Maßnahmen gegen den Linksextremismus und den Rechtsextremismus einschließen. ({18}) Dieser Haushaltsentwurf stärkt Familien bei der Bewältigung der unterschiedlichen Herausforderungen. Er fördert den Austausch zwischen Jung und Alt und bietet den Vätern und Müttern eine Wahl zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir schaffen es, zu sparen und Schulden abzubauen, und wir investieren in unsere Familien - und all das ohne Neuverschuldung. Wir setzen die richtigen Akzente, ohne zukünftige Generationen zu überlasten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Susann Rüthrich ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. ({0})

Susann Rüthrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Was kann es eigentlich Schöneres geben, als in einer Haushaltsdebatte den Haushalt des Familienministeriums zu besprechen, den Haushalt, der den gesamten Lebenszyklus von uns allen mitgestaltet? Was sich darin findet, begleitet unsere ganze Gesellschaft in ihrer Breite und Vielfalt: Das geht von Schwangerenberatung und Kindergeld über Jugendarbeit und Elterngeld bis hin zu Pflegezeit und Mehrgenerationenhäusern. ({0}) Diese Feststellung zaubert uns vielleicht ein Lächeln ins Gesicht. Sie meint aber eines nicht: dass es hier um Nettigkeiten geht, die wir uns irgendwie leisten. Nein, es geht um die soziale Infrastruktur in unserem Land. Ich mache an zwei Bereichen deutlich: Hier geht es um den Kern unseres Zusammenlebens und um die Sicherheit aller hier lebenden Menschen. Der erste Bereich ist die Kinder- und Jugendpolitik. Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion sage ich: Kinderrechte sind ein Anspruch, den jedes Kind hat, egal in welcher Situation. ({1}) Kinder haben ein Recht auf Schutz, auf gewaltfreie Erziehung, auf gute Ernährung und auf Mitbestimmung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nichts, was wir den Kindern gönnen, nein, ohne das ist die Würde aller Menschen nicht gewahrt, nämlich die der Kinder nicht. Nicht nur das: Wir würden uns den Ast absägen, auf dem wir sitzen, wenn wir nicht bestmögliche Bedingungen für die nachwachsenden Generationen schaffen würden. Deswegen braucht es etwa das Netzwerk Frühe Hilfen. Damit garantieren wir die Unterstützung junger Familien von Anfang an. Es braucht starke Jugendverbände, in denen sich Kinder und Jugendliche ausprobieren können, in denen sie lernen, in denen sie Interessen bündeln. Deswegen ist es richtig, dass wir der Jugendverbandsarbeit - wie schon in diesem Jahr - 1 Million Euro mehr geben und dass wir Mittel für eine eigenständige Jugendpolitik im Haushalt haben. Denn so pflegen wir eine vielfältige Landschaft an Kinder- und Jugendarbeit, und Kinder finden einen Platz bei uns. Mit dem Stichwort „vielfältig“ komme ich zu meinem zweiten Schwerpunkt. Alle Menschen, die bei uns leben, haben das Recht auf ein sicheres und angstfreies Leben, ({2}) egal wie sie aussehen, egal wen sie lieben, egal welche Religion sie haben, egal ob sie viel oder wenig Geld haben. Dass das noch nicht so ist, sehen wir gerade daran, dass mehrere Moscheen angegriffen wurden. Wir mussten Angriffe auf Synagogen und antisemitische Ausfälle in aller Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, erleben. Deswegen freue auch ich mich über die Demonstration gegen Antisemitismus, die am Sonntag hier nebenan am Brandenburger Tor stattfinden wird. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ergebnis einer aktuellen Befragung zeigt, dass die Feindschaft gegenüber Sinti und Roma erschreckende Ausmaße hat. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie werden es merken: Ich komme aus Sachsen. ({4}) Es ist schön, da zu leben. Aber in meiner Heimat wählen fast 5 Prozent der Leute eine neonazistische Partei. Noch dazu wählen fast 10 Prozent eine Partei, die sich offen schwulen- und behindertenfeindlich gibt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeden Tag erleben Menschen bei uns Alltagsrassismus. Menschen werden angegriffen, nur weil sie vielleicht grün gefärbte Haare haben. Deswegen hat es mich sehr gefreut, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, mehr Geld für Demokratieinitiativen, für Prävention, für Bildung und für mobile Opferberatung zur Verfügung zu stellen. Einstimmig haben wir alle hier im Frühjahr dieses Jahres bestätigt, dass wir infolge des NSU-Terrorismus die Mittel für diese Arbeit erhöhen müssen, angepasst an den tatsächlichen Bedarf. ({6}) Es ist geplant, eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen. Denn im Bereich der Kinder- und Jugendförderung ist die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Demokratiearbeit nicht richtig aufgehoben. Wir müssen diese Daueraufgabe auch dauerhaft sichern. Diese gesetzliche Änderung ließ sich allerdings nicht in diesem Jahr schaffen. Nichts wäre schlimmer, als wenn die Projekte, die auf Geld warten, nicht am 1. Januar 2015 mit ihrer Arbeit anfangen können. Deswegen liegt nun das Programm „Demokratie leben!“ des Familienministeriums vor. Immerhin werden diese Initiativen damit fünf Jahre lang gefördert, was ein großer Fortschritt für die Umsetzenden ist. Das Programm „Demokratie leben!“ greift inhaltlich all das auf, was wir im Land brauchen. Wir unterstützen damit noch mehr Kommunen als zuvor. Wir unterstützen die Länder. Wir unterstützen bundesweit tätige Demokratie- und Strukturprojekte und innovative Modellprojekte. Diese sollen zum Beispiel Maßnahmen entwickeln, die gerade in den ländlichen Regionen, im ländlichen Raum wirken. Ein Bereich kommt ganz neu hinzu, nämlich der der Radikalisierungsprävention: Wie erreichen wir Jugendliche, die dem Salafismus oder ähnlichen Einstellungen und Vorstellungen zu nahe kommen? Das ganze Programm bezieht sich auf Ost und West. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Es sind mehr Inhalte, mehr Projekte, mehr Regionen im Programm enthalten. Doch eines ist geblieben: die 30,5 Millionen Euro jährlich, die dafür im Haushalt vorgesehen sind. Wenn man sich aber einen größeren Tisch zulegt, dann reicht die alte Tischdecke nicht mehr aus. Da hilft alles Ziehen und Drehen nichts; es braucht eine größere Tischdecke. Kurz gesagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen Haushälter, wir brauchen hier mehr Mittel, um tatsächlich vor Ort wirken zu können, was wir ja alle gemeinsam wollen - sehr gern die 50 Millionen Euro, die Summe, der in den Koalitionsverhandlungen nicht widersprochen wurde. Vielen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Die Kollegin Rüthrich ist nicht nur vor einigen Wochen junge Mutter geworden, sondern das war auch ihre erste Rede hier im Bundestag. Zu beidem möchte ich Ihnen, Frau Rüthrich, sicher im Namen des gesamten Hauses, ganz herzlich gratulieren. ({0}) Nächste Rednerin ist Astrid Timmermann-Fechter für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Astrid Timmermann-Fechter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 8,5 Milliarden Euro für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt! Fast 8,5 Milliarden Euro für mehr Miteinander zwischen den Generationen! Fast 8,5 Milliarden Euro vor allem auch für mehr Wahlfreiheit als Entlastung von Familien! Meine sehr geehrten Damen und Herren, Solidarität und Zusammenhalt lassen sich nicht verordnen, schon gar nicht vom Staat. Was wir aber tun können, ist, die Gesellschaft darin zu stärken und zu unterstützen. Dafür steht diese Koalition, indem wir die Wünsche der Menschen ernst nehmen, auf diese reagieren. Dafür steht auch der Einzelplan 17, der gegenüber dem Vorjahr um fast eine halbe Milliarde Euro aufgewachsen ist. ({0}) Wir alle wissen, dass der Haushalt des Familienministeriums einen hohen Anteil gesetzlich gebundener Leistungen enthält. Rund 88 Prozent des Haushalts sind nicht disponibel. Aber es zeigt sich, dass diese Leistungen erfolgreich von den Familien angenommen werden. So erweist sich das Elterngeld immer mehr als ein Erfolgsmodell. Die Inanspruchnahme durch junge Väter steigt von Jahr zu Jahr an und zeigt, dass immer mehr berufstätige Männer ihre Rolle als Vater wahrnehmen. ({1}) Dieser Entwicklung trägt der Einzelplan 17 mit einer Aufstockung um weitere rund 30 Millionen Euro auf nunmehr rund 5,4 Milliarden Euro Rechnung. Das Elterngeld ist somit ein Erfolgsmodell, das wir in der Großen Koalition bewusst weiterentwickeln, weil uns Kinder wichtig sind, weil wir nur in ihnen eine Zukunft haben. Doch die Entlastung von Familien ist nicht allein auf den Einzelplan 17 beschränkt. Mehr Entlastung bringen wir auch mit der ersten Stufe der Pflegereform für Familien, die Angehörige zu versorgen, zu pflegen haben. Hier stellt die Bundesregierung noch einmal zusätzlich 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist ein Meilenstein in der Geschichte der sozialen Pflegeversicherung. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, dass es dieser Koalition gelungen ist, Familien- und Gesundheitspolitik ressortübergreifend besser zu verzahnen. Deshalb werden wir die Familien auch noch stärker darin unterstützen, Beruf und Pflege künftig noch besser miteinander vereinbaren zu können. ({2}) Hierfür wollen wir als Große Koalition in diesem Jahr die Familienpflegezeit noch attraktiver machen. Arbeitnehmer sollen künftig einen Rechtsanspruch haben, für die Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten reduzieren zu können. Diese Leistungsverbesserung soll bereits im nächsten Jahr in Kraft treten. Dafür haben wir 1,3 Millionen Euro in den Einzelplan 17 eingestellt. Denn nach wie vor ist und bleibt Deutschlands Pflegestation Nummer eins die Familie, und für dieses Gesellschaftsbild steht auch die CDU/CSU. ({3}) Auch an anderen Stellen haben wir mit weiteren Leistungen Akzente gesetzt, die das Prinzip der Wahlfreiheit stärken. So sichern wir auch im nächsten Jahr die erfolgreichen Mehrgenerationenhäuser als ein niedrigschwelliges Angebot. Dafür stellen wir zusätzlich rund 10,5 Millionen Euro zur Verfügung und kommen damit insgesamt auf 16,5 Millionen Euro. ({4}) Besonders stolz können wir alle gemeinsam auf die Entwicklung der Freiwilligendienste sein. Auch in diesem Jahr gibt es wieder rund 35 000 Bundesfreiwillige, die sich in sozialen, ökologischen und kulturellen Bereichen, im Sport, im Zivil- und Katastrophenschutz engagieren. Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 haben über 100 000 Menschen aller Altersgruppen einen Freiwilligendienst absolviert. Für den Bundesfreiwilligendienst stellen wir 2015 167,2 Millionen Euro zur Verfügung, für das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige Ökologische Jahr und den Internationalen Jugendfreiwilligendienst zusammen rund 93 Millionen Euro. Für die Stärkung der Zivilgesellschaft sind es zusammen 264,8 Millionen Euro. Das alles sind sehr beeindruckende Zahlen. Da mir insbesondere die Seniorenpolitik am Herzen liegt, freue ich mich besonders, dass sich auch viele Senioren als Bundesfreiwillige in den Dienst der guten Sache stellen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei allen, die einen Freiwilligendienst leisten, herzlich zu bedanken; sie leisten einen wichtigen Dienst für die Gemeinschaft und machen für ihren weiteren Lebensweg eine ganz großartige Erfahrung. ({5}) Ich finde, die Medien sollten auch einmal solche Beispiele sozialen Zusammenhalts herausstellen. Mit fast 2 Millionen Euro bleiben die Mittel für überregionale Maßnahmen und Modelleinrichtungen konstant. Hier fördert der Bund modellhafte Bauprojekte der Altenhilfe, die überregional beispielgebend und geeignet sind, Initiativen anzuregen. Daran wollen wir auch künftig festhalten. In den Bereich der Seniorenpolitik gehört auch das Programm „Anlaufstellen für ältere Menschen“. Hier fördert das Familienministerium über 300 Projekte, die das selbstständige Wohnen und Leben im Alter unterstützen, Mobilität fördern und Unterstützungsangebote für betreuende und pflegende Angehörige machen. Bis 2017 stellt der Bund dafür rund 7 Millionen Euro bereit. Ich lege Ihnen dieses Programm ans Herz, liebe Kolleginnen und Kollegen; sicher gibt es auch in Ihrem Wahlkreis ein entsprechendes Projekt, das Sie sich ansehen können. Dieser Haushalt - ressortübergreifend verbunden mit dem Bundesgesundheits- und dem Bundesarbeitsministerium - zeigt, dass die seniorenpolitischen, gesundheitspolitischen und pflegepolitischen Themen in dieser Koalition einen hohen Stellenwert genießen. Eine Gesellschaft des langen Lebens birgt nicht nur Herausforderungen, sondern auch immens viele Chancen und Potenziale. Die Lebenserfahrungen der älteren Menschen sind wertvolle Schätze, die in der Arbeitswelt, im Ehrenamt, in Schulen, in der Familie und auch in der Pflege eine höhere Wertschätzung erfahren müssen. Daran müssen wir zukünftig noch besser arbeiten. ({6}) Der jetzt vorliegende Haushalt ist solide durchgerechnet, obwohl er deutliche Leistungsverbesserungen beinhaltet. Was jedoch nicht geht, meine Damen und Herren, sind milliardenschwere zusätzliche Forderungen; denn letztlich muss das alles auch bezahlbar bleiben das sind wir der nächsten Generation, unseren Kindern, schuldig, und das sind wir auch dieser Generation schuldig. Vor diesem Hintergrund finde ich, dass wir hier einen strukturell seriös finanzierten Haushalt vorlegen. Mit einer Vielzahl von Leistungsverbesserungen und noch flexibleren Angeboten schaffen wir eine Bandbreite an Rahmenbedingungen und Wahlmöglichkeiten. Ich freue mich auf die nun beginnenden Beratungen in den Ausschüssen und hoffe auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Auch für Sie, Frau Kollegin Timmermann-Fechter, war das heute die erste Rede. Deshalb von uns allen einen herzlichen Glückwunsch dazu! ({0}) Das Wort hat jetzt Uli Gottschalck, SPD-Fraktion. ({1})

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es eben von meiner Vorrednerin gehört: Unser Haushalt hat einen Umfang von rund 8,5 Milliarden Euro. Er ist somit ein eher kleiner Etat. Ich will es aber einmal so sagen: Er ist klein, aber fein, weil darin sehr viele familienpolitische Leistungen stehen, die für unsere Familien im Land unendlich wichtig sind. ({0}) Auch wenn die Opposition vorhin gejammert hat: Der Etat steigt um 500 Millionen Euro. ({1}) Das liegt im Wesentlichen im Elterngeld begründet, einer wichtigen familienpolitischen Leistung. Immer mehr Väter nehmen es in Anspruch, weil immer mehr junge, gut ausgebildete Frauen endlich ordentlich verdienen, und ich finde, das ist wichtig. Deshalb ist uns das Elterngeld lieb, aber auch teuer, wenn ich das als Haushälterin einmal so sagen darf. ({2}) Frau Golze, ja, es gibt auch das Betreuungsgeld. Auch Sie müssen es ertragen, dass wir in jeder Haushaltsdebatte sagen: Ja, die SPD hat dazu auch eine andere Meinung, aber wir sind vertragstreu. Dafür haben wir unter anderem den Mindestlohn und die Rente mit 63 durchgesetzt. Beim Mindestlohn, mit dem man wirklich dafür sorgen kann, dass Kinder nicht in Armut leben müssen, waren Sie nicht einmal dabei. Ich finde, das ist ziemlich peinlich. ({3}) Wir haben im Haushalt 2014 einiges auf den Weg gebracht, was nun kontinuierlich fortgeführt wird: Ich beginne mit der zusätzlichen Million zur Verstetigung der Jugendverbandsarbeit. Gemeinsam mit meinem Kollegen habe ich im letzten Jahr dafür gekämpft. Wir haben es geschafft. Die Jugendverbandsarbeit wird nun dauerhaft gestärkt. Daneben werden 16,5 Millionen Euro zur Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser zur Verfügung gestellt. Das war ein harter Kampf - ich schaue hier den Kollegen Alois Rainer und auch alle anderen an, die dafür gekämpft haben. Dieser Betrag, durch den die wegfallenden ESF-Mittel aufgefangen werden sollen, steht bis jetzt leider nur einmalig im Etat. Deshalb fordere ich hier an dieser Stelle gleich alle auf, in den Beratungen aufzupassen. Wir brauchen eine Verstetigung dieser Mittel für die Mehrgenerationenhäuser, weil hier eine ganz wichtige Aufgabe geleistet wird. ({4}) Die Frau Ministerin hat es angesprochen: Wir haben eine Zuweisung an den Fonds für die Opfer der Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990 in Höhe von 42,7 Millionen Euro erreicht. Auch das war ein Kraftakt, aber auch das steht jetzt im Haushalt. An der Hoch- und Herunterrechnerei in Bezug auf das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ will ich mich jetzt nicht beteiligen. Ich finde es auf jeden Fall sehr gut, dass wir 1 Milliarde Euro zur Verfügung haben, um den Ausbau der U3-Kinderbetreuungsplätze zu ermöglichen, wodurch vor allen Dingen der entsprechende Rechtsanspruch erfüllt wird. Wir müssen natürlich für die Qualität sorgen; das gilt aber auch für die Länder. Hier gebe ich dem Kollegen Weinberg sehr recht, der das vorhin auch schon angesprochen hat. Ich denke, wir alle sind uns einig: Wir brauchen neben der Quantität auch Qualität. Dafür müssen wir Bundesgeld in die Hand nehmen, aber dafür müssen auch die Länder etwas tun. Wir müssen aufpassen, dass die Länderminister hier keine klebrigen Finger haben, sondern dieses Geld wirklich für Bildung ausgeben. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Diese Gelder sollten durchaus sehr flexibel für Bildung ausgegeben werden. Mir ist die frühkindliche Bildung mindestens genauso wichtig wie gute Ganztagsschulen oder Hochschulen. Deswegen sollen die Länder das Geld entsprechend ihrer Bedarfe ausgeben. Wir stellen in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro für die Bildung zur Verfügung, und ich denke, das ist ein ordentlicher Betrag. ({5}) Zur Steigerung der Qualität in den Kitas geben wir den Kommunen in den Jahren 2016 und 2017 einen größeren Anteil an der Umsatzsteuer. Das alles gehört zu unseren Aufgaben, und wir müssen hier mit aufpassen, dass das Geld auch wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird, nämlich in den Kommunen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will hier auch noch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ansprechen. Auch hier werden unglaublich viele gute Dinge geleistet. Das ist eine wichtige Dienstleistungsbehörde für den Dienst am Menschen, auf die wir sehr stolz sind. Wenn man abfragt, welche Erfolge dort erzielt werden, dann wird zum Beispiel das Notruftelefon für Frauen bzw. das Konflikttelefon genannt. Gestern habe ich mit der Präsidentin der Behörde und Alois Rainer über die vertrauliche Geburt gesprochen. Das Gesetz ist noch nicht lange in Kraft. Aber mit der Unterstützung dieser Behörde wurden schon 32 Geburten im Rahmen dieser neuen Regelung durchgeführt. Es ist schwierig, sich vorzustellen, unter welchen Umständen diese Geburten abgelaufen sind. Die Behörde leistet tolle Arbeit. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir diese gute Dienstleistungsbehörde haben. Wir müssen diese Behörde in den Haushaltsberatungen im Auge behalten, um ihre Arbeit stärken zu können. ({6}) Zum Schluss sage ich einer sehr guten und taffen Ministerin, fachlich und sachlich hervorragend agierenden Staatssekretärinnen und Staatssekretären Dankeschön. Ihre Arbeit wiederum führt dazu, dass wir total motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium haben. Auch an sie ein herzliches Dankeschön. Ein allerletztes Dankeschön geht an den geschätzten Unionshaushälter Alois Rainer, mit dem ich immer sehr gut zusammenarbeite und mit dem wir auch den zukünftigen Haushalt gut wuppen werden. Danke schön. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Alois Rainer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Minister! Liebe Kollegin Gottschalck, gleich zu Anfang vielen Dank für den Weihrauch. Aber bei zu viel Weihrauch wird selbst ein Heiliger rußig. ({0}) Trotzdem vielen herzlichen Dank. Viele meiner Vorredner sprachen es bereits an, aber in dieser Debatte noch kein Haushälter. Ich denke, ich darf es sagen: Ich freue mich darüber, dass ich in meiner ersten Periode im Deutschen Bundestag dabei sein darf, wenn nach 46 Jahren ein ausgeglichener Haushalt aufgestellt wird. Ich sage das mit großem Stolz. Wir alle dürfen stolz darauf sein, dass das geschafft wurde. Das war nämlich alles andere als einfach. Es ist auch richtig, dass wir unsere solide, verlässliche und stabilitätsorientierte Politik dahin gehend weiter fortsetzen werden. Die „schwarze Null“ im Haushalt für 2015 markiert zugleich den Beginn eines nachhaltig ausgeglichenen Bundeshaushalts für den gesamten Finanzplanungszeitraum. Mit dem nun vorliegenden Entwurf zum Finanzhaushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigen wir, dass wir halten, was wir versprechen. Auf der einen Seite sparen wir, auf der anderen Seite investieren wir. Wir investieren in diejenigen, die uns am wichtigsten sind: in die einzelnen Menschen und in die Familien in Deutschland. Daher ist unsere Politik eine Politik, die das Miteinander aller Menschen in unserem Land fördert. Wir wollen eine familienfreundliche Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der Kinder willkommen sind, in der Kinder, auch wenn sie einmal quengeln oder unruhig und laut sind, immer noch willkommen sind. ({1}) - Danke. - Ehe und Familie sind in ganz Deutschland das Fundament unserer Gesellschaft. Familien und Kinder gehören für die große Mehrheit der Frauen und Männer in unserem Land zu einem glücklichen Leben. Auch in Ehen und Partnerschaften, die ohne Kinder bleiben, übernehmen Männer und Frauen dauerhaft füreinander Verantwortung. Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, Ehe und Familie dementsprechend zu stärken und mit guten Rahmenbedingungen dazu beizutragen, dass die Menschen ihren Wunsch nach Kindern, Familie und Partnerschaft verwirklichen können. In diesem Zusammenhang gehört es auch zu den wesentlichen Zielen unserer Familienpolitik, Kinder und Familie wirksam zu unterstützen und zu fördern sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. ({2}) Wenn wir über Familie sprechen, dann sprechen wir auch über die Unterstützung älterer Menschen; denn gerade mit Blick auf den demografischen Wandel in Deutschland ist es ein wichtiges Ziel, auch die Rolle der älteren Generation zu stärken und deren wertvolles Erfahrungswissen in die Gesellschaft einzubringen. ({3}) Genau diesen Herausforderungen stellen wir uns in der Regierungskoalition. In dem nun vorliegenden Haushaltsentwurf zum Einzelplan 17 beträgt der Gesamtansatz rund 8,5 Milliarden Euro. Zum Vorjahr ist dies ein Aufwuchs von circa 500 Millionen Euro. Den wesentlichen und größten Anteil im Einzelplan 17 bildet das 2007 eingeführte Elterngeld. Es soll das Einkommen von Familien im ersten Lebensjahr des Kindes stabilisieren. Mit der Einführung des ElterngeldPlus wird die Teilzeittätigkeit von Eltern erleichtert. Gegenüber der bisherigen Finanzplanung werden die gesetzlichen Leistungen beim Elterngeld für das Haushaltsjahr 2015 auf 5,4 Milliarden Euro angehoben. Damit gehen wir auf die dynamische Entwicklung der Lohnsteigerung beim Elterngeld entsprechend ein. Auf dem Krippengipfel im Jahr 2007 wurde von Bund, Ländern und Kommunen vereinbart, dass schrittweise ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für unter Dreijährige realisiert wird; denn Eltern haben ein Recht auf die bestmögliche Betreuung und Bildung für ihre Kinder. Daher ist es unsere gemeinsame Aufgabe, ein breites, familiennahes Angebot mit guter Qualität zu schaffen. Mit gemeinsamer Aufgabe meine ich nicht nur den Bund, sondern auch die Länder und die Kommunen, die dafür zuständig sind. In diesem Zusammenhang sind auch die Sprachförderung und die Qualifizierungsoffensive im frühkindlichen Bereich zu nennen, deren Finanzierung wir bereits im Haushalt 2014 verstetigt haben. Wenn wir von Angebot und Qualität sprechen, dann möchte ich auch gerne das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben nennen. Das Bundesamt leistet mit seiner Vielzahl von Aufgaben, wie zum Beispiel beim Bundesfreiwilligendienst, dem Hilfetelefon, der Contergan-Stiftung, bei den Mehrgenerationenhäusern oder auch bei der Regiestelle „Toleranz fördern Kompetenz stärken“, mehr, als in einer sogenannten Abbaubehörde überhaupt möglich ist. Wie heute schon vielfach angesprochen, liegt mir ein Thema ganz besonders am Herzen, und zwar das Thema der Mehrgenerationenhäuser. Ich möchte betonen, dass wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, dass wir ein Konzept entwickeln wollen, um die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser im Haushalt zu verstetigen. Für das kommende Jahr 2015 ist es uns noch gelungen - zusammen mit meiner Kollegin Ulrike Gottschalck -, die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser nach dem Wegfall der ESF-Mittel im Haushalt mit 16,5 Millionen Euro zu berücksichtigen. ({4}) Hier müssen weitere Gespräche geführt werden, und das werden sie auch, um gerade die sozialen Ankerpunkte, die das generationenübergreifende Miteinander fördern, weiter zu stützen. Wir können die 450 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland nicht im Regen stehen lassen. ({5}) Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Kinder- und Jugendpolitik. Hier haben wir den Mittelansatz für den Kinder- und Jugendplan, wie die Kollegin schon gesagt hat, im vergangenen Jahr um 1 Million Euro erhöhen können. Auch das bleibt zumindest im Haushaltsjahr 2015 so. Zum Abschluss meiner Ausführungen spreche ich mich insbesondere als Haushaltspolitiker für die Generationengerechtigkeit aus. Diese bemisst sich auch daran, dass wir unseren nachfolgenden Generationen, unseren Kindern und Enkeln, nicht immer größere Schuldenberge hinterlassen. Darum sollten wir alle dafür einstehen, den richtigen Weg zu gehen, um schon heute die Weichen für unsere nachfolgenden Generationen zu stellen. Lassen Sie mich mit einem Zitat von Ludwig Erhard enden: Unser Tun dient nicht der Stunde, dem Tag oder diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationen zu denken … Ich hätte gerne noch auf die eine oder andere Aussage der Opposition geantwortet, aber da ich jetzt wieder wie in meinen vier vorhergehenden Reden eine Punktlandung geschafft habe, bedanke ich mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Das mit der Punktlandung wollen wir jetzt nicht so wörtlich nehmen. Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16. Wenn jetzt die Familienpolitikerinnen und -politiker den Umweltpolitikern und -politikerinnen ganz zügig Platz machen, könnte ich die nächste Rednerin aufrufen. Ich bitte, die Gespräche, die hier jetzt noch zwischen den Reihen geführt werden, draußen zu führen. Das Wort hat nun die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich Ihnen heute den ersten Haushaltsentwurf vorlegen kann, der die geänderte Ressortzuständigkeit von Anfang an mitbedacht hat. Jetzt zeigt sich, dass sich die Bereiche Bauen und Stadtentwicklung hervorragend mit den klassischen Aufgaben des alten Umweltministeriums zusammenfügen und ergänzen - eine Erfahrung, die wir seit der vollzogenen Zusammenführung im Juni tagtäglich machen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier deutlich machen, dass es mir ein ganz persönliches Anliegen ist, dass wir bei den vielfältigen Themen meines Hauses immer auch die soziale Dimension mitbedenken. Wir machen Umwelt-, Natur- und Klimaschutzpolitik und Bau- und Stadtentwicklungspolitik für die Menschen und mit den Menschen in Deutschland. Das ist dringend notwendig, und es ist uns mit diesem Haushaltsentwurf gelungen. Was wir hier erleben, ist ein echter Fortschritt. Ich werde auf die einzelnen Maßnahmen noch eingehen. Umwelt- und Klimaschutz gehören ja zu den zentralen Herausforderungen, denen sich die Bundesregierung stellt. Als bedeutendes Industrieland steht Deutschland unter besonderer Beobachtung, ob Klimaschutz und Wirtschaftswachstum zusammenpassen. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland unter Beweis stellen kann, dass aktiver Klimaschutz eben keine Einschränkung des Wachstums und der Lebensqualität bedeutet - im Gegenteil: Innovationen in diesen Bereichen bieten viele Wachstumschancen, die wir in Deutschland schon nutzen und weiter nutzen wollen. ({0}) Das Gleiche gilt für den Umweltschutz. Wenn wir der Natur wieder mehr Raum geben, dann gibt es auch für uns Menschen mehr Raum, nämlich Raum zur Erholung, zur Entspannung und auch zur Entfaltung. Wenn wir die Qualität der Natur erhöhen, verbessern wir unsere eigene Lebensqualität. Ein guter Naturschutz ist also immer auch Menschenschutz. ({1}) Deshalb werden wir auch 2015 die Ausgaben zum Beispiel für die Umweltforschung, für das Programm Biologische Vielfalt und für Naturschutzgroßprojekte auf hohem Niveau fortführen. Ich bin froh, dass uns das gelingt. Ich möchte die Akzeptanz einer aktiven und progressiven Umwelt- und Klimaschutzpolitik erhöhen, und ich möchte das Wachstum in Deutschland stärken, um das uns auch jetzt schon viele andere beneiden. Der Einzelplan 16 im Bundeshaushalt für das Jahr 2015 spiegelt detailliert wider, was sich die Koalition vorgenommen hat. Wir wollen Umweltschutz, Naturschutz und Klimaschutz und damit den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen voranbringen - und das wird uns auch gelingen. Wir wollen mit einer ökologischen Industriepolitik mehr nachhaltige Investitionen in umweltschonende Technologien ermöglichen. Gerade die öffentliche Hand sollte sich ihrer Einkaufsmacht noch stärker bewusst werden, um umweltfreundliche Produktinnovationen zu stärken. ({2}) Wir wollen gutes und bezahlbares Wohnen und Bauen fördern, da guter Wohnraum zu den elementaren Bedingungen für eine gute Lebensqualität in Stadt und Land gehört. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, insgesamt steigt das Volumen des BMUB-Haushaltes gegenüber 2014 um rund 238 Millionen Euro auf rund 3,9 Milliarden Euro an. Das ist vor allem auf höhere Ansätze für Wohngeld, Wohnungsbauprämien und die Städtebauförderung zurückzuführen. Die deutliche Steigerung des Programmhaushaltes ist daher ein großer Erfolg. ({3}) Die Programmbereiche Umweltschutz, Nationale Klimaschutzinitiative, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Strahlenschutz werden auf dem bisherigen Niveau fortgeschrieben. Ich werde mich auch mit aller Kraft für ein neues internationales Klimaschutzabkommen in knapp eineinhalb Jahren in Paris einsetzen. Wir können nicht zufrieden sein, solange es kein neues Abkommen gibt. Deshalb werde ich alle Anstrengungen unternehmen, damit Paris als Erfolg in die Klimaschutzgeschichte eingehen kann. ({4}) Deutschland kann, soll und wird im Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnehmen. Dazu müssen wir aber auch sicherstellen, dass das Klimaschutzziel, das wir uns selber gegeben haben, bis 2020 erreicht werden kann. Deshalb habe ich das Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ initiiert; ({5}) denn ohne zusätzliche Anstrengungen werden wir unser Ziel nicht erreichen. ({6}) Jetzt werden alle Vorschläge gesammelt, berechnet, bewertet und im Kreis der Bundesministerien abgestimmt. Das daraus resultierende Aktionsprogramm wollen wir im November 2014, also schon recht bald, im Kabinett verabschieden. Darauf aufbauend werden wir bis 2016 einen Klimaschutzplan 2050 vorlegen, der die langfristigen Klimaschutzziele und die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels noch stärker in den Blick nehmen wird. Neu aufgenommen wurde übrigens der Titel „Maßnahmen zur Klimaneutralisierung von Dienstreisen der Bundesregierung“ mit einem Ansatz von 2 Millionen Euro. Sie werden sich erinnern, dass die letzte Große Koalition bereits eine Klimaneutralisierung von Dienstreisen der Bundesregierung eingeführt hatte. Ich möchte, dass wir mit dieser Maßnahme wieder ein gutes Beispiel geben und auf diese Weise ein wichtiges, auch international wahrnehmbares Zeichen setzen: Ja, wir nehmen den Klimaschutz ernst. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit rund 63 Prozent, das sind 2,47 Milliarden Euro, bilden die Kapitel „Wohnungswesen und Städtebau“ sowie „Hochbau- und Fördermaßnahmen“ einen deutlichen Schwerpunkt im Einzelplan 16. Die Wohnungsmärkte - das wissen wir und die Wohnungsbausituation sind in Deutschland regional sehr unterschiedlich. Gerade in den Ballungsräumen gibt es wachsende Probleme mit Wohnungsmangel und steigenden Mieten. Daher habe ich im Juli dieses Jahres das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ins Leben gerufen, in dem alle relevanten Akteure zusammenarbeiten. Ich bitte um Verständnis dafür, dass diese Zusammenarbeit auch noch etwas Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich lese in den Zeitungen: Da kommt ja nichts raus. - Na klar! Wenn man sich im Juli zusammensetzt und dann erst einmal Sommer ist, dann kann man im September noch keine Ergebnisse erwarten. Deswegen bitte ich um ein wenig Geduld. Das, was wir auch jetzt schon machen können, das machen wir. Im Haushaltsentwurf ist besonders der deutlich erhöhte Ansatz für Wohngeld von 500 Millionen Euro auf jetzt 630 Millionen Euro hervorzuheben. ({8}) Damit schaffen wir eine wichtige Voraussetzung für die Wohngeldreform, die wir uns vorgenommen haben und die Menschen mit geringen Einkommen helfen wird, mit den steigenden Wohnkosten zurechtzukommen. Auch eine Heizkostenpauschale wollen wir wieder einführen. ({9}) Ebenfalls erhöht haben wir die Ansätze für die Wohnungsbauprämie auf jetzt rund 365 Millionen Euro. Der Ansatz für das 2014 neu aufgelegte Programm „Altersgerecht Umbauen“ wird mit rund 12 Millionen Euro für Investitionszuschüsse fortgeschrieben. An all diesen Beispielen kann man sehen, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird. Wir kümmern uns darum, dass Wohnen und Bauen in Deutschland für die Menschen bezahlbar bleiben kann. Wir sorgen für die soziale Balance und dafür, dass Investitionen in den Neubau von Wohnraum angeregt und getätigt werden. Im Bereich Hochbau ist insbesondere die Erhöhung des Ansatzes für Investitionszuschüsse zur Errichtung des Humboldt-Forums in Berlin von 53 auf 109 Millionen Euro zu nennen, die sich entsprechend dem Baufortschritt plafondserhöhend auswirken. Es ist ja beruhigend, dass das im Zeitplan und im Kostenplan liegt. Dafür will ich ausdrücklich meine Anerkennung aussprechen. Ich bin zuversichtlich, dass das auch so bleibt. ({10}) Damit erfüllen wir in allen Punkten den Koalitionsvertrag. Wie beim Mindestlohn oder der Mietpreisbremse und der Entlastung der Kommunen gilt auch hier: versprochen und gehalten. Die Menschen in Deutschland können sich auf uns verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bereiche Umwelt-, Natur- und Klimaschutz sowie Bauen und Stadtentwicklung sind in meinem Haus in guten Händen, und sie verfügen über eine solide finanzielle Grundlage. Das ist die Botschaft, die wir mit dem Entwurf des Einzelplans 16 aussenden, für den ich deshalb um Ihre Unterstützung bitte. Herzlichen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Ministerin. Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Der Maßstab, an dem der Einzelplan für das Politikfeld Bauen und Wohnen gemessen werden muss, ist nicht die Frage, wie wenig die Vorgängerregierung geleistet hat, sondern die Frage, ob dieser Haushaltsansatz tatsächlich den dringendsten Entwicklungserfordernissen der Gesellschaft gerecht wird oder nicht. Sind die Haushaltsansätze also ausreichend, um den Anforderungen der sozialdemografischen Gegebenheiten heute und in Zukunft zu entsprechen? Genügen sie den Erfordernissen des Klimaschutzes durch energetische Gebäudesanierung? Werden sie den zunehmenden Herausforderungen einer sozial integrativen Stadt- und Regionalentwicklung gerecht? - Ich sage dreimal: nein. ({0}) Dieser Haushaltsentwurf erfüllt nicht einmal den von Ihnen selbst im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch eines wohnungspolitischen Dreiklangs „aus einer Stärkung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung“. Das sind alles hehre Ziele, aber bisher alle nur im Ankündigungsmodus. Aber, Frau Ministerin, 25 Prozent Ihrer Regierungszeit sind schon vorbei. Ich erinnere an diese Ankündigungsrhetorik nur, um zu verdeutlichen, dass nicht nur bei mir, bei der Opposition, der Erwartungsvorschuss, den es Ihnen gegenüber tatsächlich einmal gab, aufgebraucht ist, sondern dass sich, nachdem bisher wirklich nichts passiert ist, auch in der Öffentlichkeit Ernüchterung breitmacht - gegenüber der Hoffnung, dass sich durch die Zusammenlegung von Umwelt- und Bauressort und die Besetzung der Ministeriumsspitze mit einer Sozialdemokratin etwas Grundlegendes auf diesem Gebiet ändern würde. Bisher Fehlanzeige - zwar nicht bei den Ankündigungen, aber sehr wohl bei den Taten. ({1}) Selbst an den Stellen, an denen es der Bund allein in der Hand hat, mit eigenen Immobilien eigene Wohn- und Klimaschutzkonzepte umzusetzen, werden die Chancen einfach vertan. Ich spreche beispielhaft von dem Potenzial zum Beispiel der 11 500 TLG-Wohnungen - gut, das war nicht unter Ihrer Verantwortung -, die 2012 verscherbelt wurden, und vor allem von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Aber vielleicht heißt ja „Immobilienaufgaben“ nach Ihrer Lesart „Immobilien aufgeben“. Wir verstehen das jedoch anders. Die Aufgabe der Bundesanstalt könnte doch darin bestehen, mit dem nicht unerheblichen Bestand von noch rund 42 000 Wohnungen beispielgebende Wohn- und Stadtentwicklungskonzepte anzustoßen, ({2}) Modellprojekte für sozial stabile, klimagerechte Wohnquartiere zu schaffen und damit etwas für den sozialen Wohnungsbau zu tun. Also könnten Sie Vorbild sein. Ist das zu visionär, oder ist das Denkmal einer kurzfristigen „schwarzen Null“ der absolute Primat gegenüber grundlegenden Lebens- und Existenzbedürfnissen von Mensch und Umwelt? - Scheinbar ist das so. Das zeigt zum Beispiel auch der Verkauf der TLGWohnungen an die TAG im Jahre 2012. Aus unserer Sicht war das damals ein schwerer Fehler. ({3}) Da hat der Bund zwar seinen Schnitt gemacht. Die mit dem Verkauf verbundenen Nachteile tragen dagegen die 30 000 Mieterinnen und Mieter in Ostdeutschland allein. Zuerst hat die Erwerberin der Wohnungsbestände, die TAG - Sozialcharta hin, Ombudsstelle her -, die Mieten flächendeckend merklich erhöht. Und jetzt bereitet dieser von der Bundesregierung als „seriöser Bestandshalter“ geadelte Finanzkonzern den Weiterverkauf der gerade vom Bund erworbenen Wohnungen vor. Somit stehen die Mieterinnen und Mieter und ebenso die ehemaligen Mitarbeiter und Beschäftigten der TLG sozusagen zum zweiten Mal in kurzer Zeit zum Verkauf. Hat denen das überhaupt schon jemand gesagt, oder sind wir, die Linke, wieder die Ersten, die die Katze aus dem Sack lassen? Dasselbe wird garantiert mit den jetzt in Berlin zum Verkauf stehenden Wohnungen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben passieren. Bei dem hier aufgerufenen Preis steht von vornherein fest, dass als Bieter wieder nur Immobiliendreher infrage kommen. Die Verdrängung der bisherigen Mieterschaft und die Zerstörung gewachsener Sozialstrukturen sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber selbst das ist der Regierung offensichtlich schnuppe. Damit beteiligt sich der Bund aktiv an Mietpreistreiberei, Segregation und Gentrifizierung, auch wenn Sie, Frau Ministerin, immer einen anderen Eindruck erwecken wollen. Wir, die Linke, wollen, dass in Berlin und anderswo, wo der „angespannte Wohnungsmarkt“ als Kosewort für die tatsächliche Situation verwendet wird, Beispiele dafür geschaffen werden, dass diese Bundesregierung es mit ihrer wohnungspolitischen Offensive und ihrer mietrechtlichen und sozialen Flankierung ernst meint. ({4}) Deshalb haben wir im Juli den Antrag eingebracht, der ein Moratorium der BImA-Wohnungsverkäufe zum Ziel hat. Wir wollen damit den Wohnungsverkauf aussetzen, bis die Bundeshaushaltsordnung und das BImA-Gesetz geändert sind. ({5}) Damals hätten alle Abgeordneten, die vor dem Parlament Hilfssignale an die Betroffenen gesendet hatten, bei Sofortabstimmung helfen können. Stattdessen haben Sie den Antrag in die Ausschüsse verwiesen, und die BImA verkauft inzwischen fleißig weiter. In der Großgörschenstraße/Katzlerstraße in Berlin werden 45 Wohnungen zum Preis von 7 Millionen Euro verkauft. Jeder Immobilienlaie kann sich ausrechnen, dass die Refinanzierung nur durch Luxussanierung und Eigentumsumwandlung funktionieren kann. Die jetzigen Mieter können schon mal die Koffer packen. Frau Hendricks, nicht nur die betroffenen Mieterinnen und Mieter werden Ihren Worten keinen Glauben mehr schenken. Denn Gesetze kann man ändern. Das ist unser Auftrag und unser Tagesgeschäft. Wir werden das für Sie tun und Ihnen damit aus der selbstgebastelten Klemme helfen - im Interesse ganz normaler Menschen. So toll kann Opposition sein. Danke schön. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Christian Haase. ({0})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Woche werden wir mit dem Bundeshaushalt 2015 einen Meilenstein in der Haushaltspolitik Deutschlands setzen: Der Bund wird seinen Haushalt ohne Neuverschuldung ausgleichen, und das ohne Steuererhöhungen. ({0}) Wir kommen mit dem aus, was wir haben. Das muss jede Familie zu Hause in unserem Land, und das müssen auch wir. Das heißt, keine neuen Schulden, keine neuen Lasten als Wackersteine im Rucksack unserer Kinder und trotzdem Investitionen in Bildung, Arbeitsplätze, Infrastruktur und Umwelt- und Klimaschutz. ({1}) Nach dem Gebot der Vorsicht eines ehrbaren Kaufmanns und mit Maß und Mitte hat unser Finanzminister Dr. Schäuble, dem wir dafür ausdrücklich danken, die letzten Jahre erfolgreich genutzt. Auf diesem soliden Fundament kann der Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit im nächsten Jahr auf 3,9 Milliarden Euro steigen. Frau Ministerin Hendricks, Sie finden mit dem vorgelegten Haushalt die Balance zwischen den notwendigen Investitionen und Programmen. Vielen Dank dafür! ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte, dass wir unseren Kindern eine saubere und sichere Zukunft übergeben. ({3}) Mit der Energiewende geht daher auch die Aufgabe einher, bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle eine Lösung zu finden. In der letzten Woche habe ich dazu das Bundesamt für Strahlenschutz besucht und mich davon überzeugt, dass an allen übertragenen Projekten mit Hochdruck gearbeitet wird. Ich begrüße vor allem, dass wir für den Asse-Fonds 2 Millionen Euro zusätzlich und damit insgesamt 3 Millionen Euro in die Hand nehmen. Wir tragen damit deutlich zur Abfederung der besonderen Belastungen in der Region bei. Wissenschaft und Politik sind in dieser Woche erstmals in der Standortauswahlkommission zusammengekommen. Ein wissensbasiertes transparentes Verfahren ist genauso notwendig wie eine effiziente Arbeit. Wir müssen es endlich schaffen, auch auf der Zeitachse voranzukommen. Wir brauchen Lösungen, damit Zwischenlager nicht länger betrieben werden müssen als notwendig. Das können wir den Menschen an den Standorten nicht zumuten. Jahrzehntelange Verfahren wie beim Schacht Konrad können wir uns nicht leisten. ({4}) Wir stellen deshalb 2,5 Millionen Euro mehr für das Standortauswahlverfahren, 2,5 Millionen Euro mehr beim Bundesamt für kerntechnische Entsorgung und 5,75 Millionen Euro für die Kommission im Haushalt zur Verfügung. Es ist mir auch im Hinblick auf internationale Entwicklungen wichtig, dass wir nicht ungeprüft auf jeden neuen Trend aufspringen. International wie national müssen wir uns auf eine effizientere Energieverwendung und auf Energieeinsparung konzentrieren. Gasförderung aus Tiefengestein, insbesondere wenn die Risiken noch ungeprüft sind, kommt für mich erst danach. Solange wir keine umweltschonenden Verfahren zum unkonventionellen Fracking haben, bleibe ich Skeptiker bei dieser Technologie. ({5}) Nicht alles, was möglich ist, sollten wir sofort nutzen. ({6}) Mit 22 der 43 Kurorte - davon fünf Heilbäder - liegt knapp die Hälfte der Kurorte Nordrhein-Westfalens im „Heilgarten Deutschland“, meiner Heimat OstwestfalenLippe. Während meiner Sommerreise habe ich unter anderem in Gesprächen mit Mineralwasserherstellern wie auch Brauereien zu diesem Thema ein klares Nein mitgenommen. In diesem Zusammenhang sehe ich Forschungsvorhaben hier als besonders wichtig an, um wissensbasiert Techniken zu bewerten. Genau dieser Meinung sind auch zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland. Wir müssen also weiter forschen. ({7}) Mit der Forschung müssen wir uns auch um einen verstärkten Klimaschutz in den Städten kümmern. Der anhaltende Trend zur Urbanisierung ist eine besondere Herausforderung für die Menschen, aber auch die Umwelt. „Glücklich leben und naturgemäß leben ist eins.“ So lauteten die Worte des römischen Philosophen Seneca schon vor 2000 Jahren. Wie gestaltet sich das Leben in den grünen Städten der Zukunft? Wie lassen sich Ressourcen schonen und Energien effizient nutzen? Welche Konzepte für Biodiversität und Mobilität - Stichwort Rußpartikelfilter - gibt es? Diese Fragen können wir hervorragend mit dem neuen Ressortzuschnitt in unserem Ministerium angehen. Vernetzt müssen wir aber auch in Fragen der Umsetzung der Energiewende und der Auswirkungen auf Umwelt und Natur denken. Ich begrüße das sich in der Ausschreibung befindliche Gutachten des Bundesamtes für Naturschutz zu den Auswirkungen verschiedener Erdkabelsysteme auf Natur und Landschaft. Wir müssen diese Forschung aber auch mit den Fragen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Übertragungsnetzen verknüpfen, um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Regionen aufzugreifen. Aber: Wenn wir Steuergelder in Höhe von über 9,5 Milliarden Euro für den Umwelt-, Klima- und Naturschutz verwenden, müssen wir dies den Bürgern auch nahebringen. Ich habe bereits im Frühjahr darauf hingewiesen, dass wir mit den Betroffenen, den Kommunen und den Ländern dafür sorgen müssen, dass die Schäden bei zukünftigen Hochwasserereignissen geringer werden. Die Ministerin hat dankenswerterweise erklärt, dass sich der Bund in den nächsten Jahren an der Finanzierung mit einem Betrag von 1 Milliarde bis 1,2 Milliarden Euro beteiligt. Ich werde mich ebenfalls dafür einsetzen. ({8}) Mit Sorge sehe ich den hohen Stand an befristet Beschäftigten, insbesondere in den Bundesämtern. Wer ent4772 scheidet sich schon dauerhaft für einen Arbeitgeber, wenn dieser ihm keine Zukunftsperspektive bieten kann? Wer ist bereit, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen, wenn die zukünftigen Verdienstmöglichkeiten unklar sind? Und das alles bei einem Arbeitsmarkt, der immer arbeitnehmerorientierter wird! Wir sollten das Jahr 2015 nutzen, hier konkrete Lösungen vorzubereiten. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern die nationale Bedeutung von großen Projekten wieder stärker verdeutlichen. So ist das Stadtschloss Berlin mit seinem Humboldt-Forum viel mehr als nur ein weiteres Museum, wie man als Passant oder Tourist denken könnte. ({9}) Bürgerinnen und Bürger aus aller Welt, aber auch Wissenschaftler erfahren und erforschen dort die kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Völker. ({10}) Dieses europaweit einmalige Konzept hat daher Strahlkraft und Tragweite weit über Berlin hinaus. Deshalb kann ich nur an das Land Berlin appellieren, sich nicht aus der Finanzierung zurückzuziehen. ({11}) Das Humboldt-Forum hat eine nationale Dimension, für die wir im Bundeshaushalt mit 56 Millionen Euro zusätzlich Vorsorge treffen müssen. Bei meinem Besuch der Großbaustelle konnte ich mir ein eigenes Bild machen. Es freut mich, dass die Baumaßnahmen im Zeitplan liegen und wir erfolgreich vorankommen. ({12}) Zum Schluss noch ein sehr ernstes Thema. Sorge bereitet mir die Situation der Flüchtlinge in unseren Kommunen. Zelte können in unseren Städten keine Alternative zu einer vernünftigen Unterbringung sein. Ich kann aber mangels baulicher Alternativen die Not der Städte nachvollziehen. Zur Unterstützung bietet sich hier in hervorragender Weise das in diesem Jahr von 40 Millionen auf 150 Millionen aufgestockte Programm „Soziale Stadt“ an. Hier sollten wir gemeinsam überlegen, wie wir durch einen eigenen Titel oder auf andere Weise den Kommunen, aber vor allen Dingen den Menschen, die ihre Heimat verloren haben, helfen können. ({13}) Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Beratungen. ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin Hendricks, die Bundestagswahl ist jetzt ein knappes Jahr her. Neun Monate sind Sie als Ministerin im Amt. Es ist an der Zeit, einmal Bilanz zu ziehen. Sie haben auch heute wieder schöne Worte wie „Ökologie“ und „Klimaschutz“ benutzt. Um es mit Goethes Faust zu sagen: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Bei den zentralen Themen - energetische Stadtsanierung, Hochwasserschutz, Naturschutz, Klimaschutz - ist bisher eigentlich nichts passiert. In diesem wichtigen Ministerium brauchen wir keine reine Ankündigungsministerin, sondern endlich einmal jemanden, der sich bewegen kann, der sich durchsetzen kann. Das fehlt bisher komplett. ({0}) Die Herausforderung ist nämlich riesig. Das hat zuletzt der jüngste UN-Bericht der WMO gezeigt: Wir haben Höchststände bei den Treibhausgasen. Der Klimawandel schreitet massiv voran. Gleichzeitig ist es so - das haben Sie, Frau Ministerin, gesagt -: Deutschland wird sein Klimaziel, bis 2020 40 Prozent seiner Emissionen einzusparen, krachend verfehlen, wenn wir jetzt nicht schnell umsteuern. Einer der wenigen Lichtblicke bei den Treibhausgassenkungen in den letzten Jahren waren - das hat das Öko-Institut neulich erst wieder herausgestellt - die erneuerbaren Energien; Wind und Sonne, das ist der große Lichtblick. Aber was haben Sie vor der Sommerpause gemacht? Diese Bundesregierung hat die Energiewende mit voller Absicht gegen die Wand gefahren; sie hat gerade die klimafreundlichen Energien abgewürgt. Das ist total paradox. Ihre Energiepolitik ist klimafeindlich. ({1}) Ich frage mich: Wo waren Sie eigentlich während dieser Debatte, Frau Ministerin? Sie saßen auf der Regierungsbank, Sie haben still zugeschaut, wie Kohle-Siggi die klimafreundlichen Energien abwürgt und die Kohlekraftwerke fördert. ({2}) Ich weiß, Frau Ministerin, dass Sie für die erneuerbaren Energien leider nicht mehr zuständig sind. Das ist für das Umweltministerium peinlich und schlimm. Aber es ist trotzdem so, dass Sie die für den Klimaschutz zuständige Ministerin sind. Bei der Energiewende geht es zentral um den Klimaschutz. Das heißt, Sie müssen sich da auch einbringen. Sie müssen da auch einmal Verantwortung zeigen. Sie müssen Leidenschaft und Kampfgeist beweisen. Sie dürfen da nicht nur zuhören. Sie dürfen da nicht einknicken. Ihr Verhalten ist ein Armutszeugnis für eine Umwelt- und Klimaschutzministerin. ({3}) Bleiben wir beim Klimaschutz und der Energiepolitik. Eines der Hauptprobleme dieser Bundesregierung ist ihr Einsatz für die dreckige Kohlekraft in Deutschland. Das hat gleich mehrere negative Auswirkungen. Bei der Energieversorgung sind die Steinkohle und noch viel mehr die Braunkohle die Haupt-CO2-Treiber. Durch den Kohletagebau in Deutschland werden viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Dörfer werden plattgemacht, zum Beispiel in Sachsen und in Brandenburg. Viele Grüße an dieser Stelle an die Kohlekoalition von SPD und Linkspartei! Ich hoffe, Sie kriegen für Ihre Politik am Sonntag in Brandenburg eine große Klatsche. ({4}) Durch die Tagebaue werden nicht nur die Landschaften verschandelt, sondern es wird viel Natur vergiftet. Die Spree in Brandenburg ist mittlerweile braun und nicht blau. Das ist eine negative Folge der Kohlekraft. Aber es geht auch um Gesundheitsschutz, und da sind Sie als Umweltministerin wieder gefragt. Es geht zum Beispiel um das Quecksilber. Wir wissen: Mehrere Hundert Kilogramm extrem gesundheitsgefährliches Quecksilber wird pro Jahr von dreckigen Kohlekraftwerken in die Luft ausgestoßen. In den USA gibt es deutlich geringere Grenzwerte. Wir müssten den Standard für Kohlekraftwerke in Deutschland endlich angleichen. Das ist auch Ihr Thema. Es geht da um das Umweltrecht; es geht um das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Frau Ministerin, da ist Handlungsbedarf. Packen Sie endlich das Problem an, dass deutsche Kohlekraftwerke zu viel Quecksilber in die Luft blasen! ({5}) Wir Grüne sagen ganz klar: Mit dieser Kohlepolitik muss endlich Schluss sein. Wir müssen raus aus der Kohle. Es darf keine neuen Tagebaue und keine neuen Kohlekraftwerke geben, im Gegenteil: Wir wollen einen konkreten Ausstiegsplan für die Kohle. ({6}) Frau Ministerin, Sie haben hier im Bundestag wieder Ihr nationales Sofortprogramm angekündigt. Das haben Sie hier im Januar dieses Jahres schon einmal angekündigt. Wir haben davon im Haushalt 2014 nichts gefunden. Wir werden im Haushalt 2015 davon nichts finden. Das heißt, dieses Programm kommt frühestens mit dem Haushalt 2016. Wenn Sie von „Sofortprogramm“ reden und zwei Jahre vergehen, dann halte ich das für ein interessantes Zeitverständnis; denn dieses Programm käme nach der Hälfte der Legislaturperiode. Da frage ich mich, ob dieses Programm überhaupt greifen wird. Ich finde, dieses Schneckentempo, diese Langsamkeit zeigen: Ihnen und dieser Regierung ist der Klimaschutz einfach nichts wert. ({7}) Auch bei der Erdgasförderung geht es um Klima, um Gesundheitsschutz und Naturschutz. Sie haben zusammen mit Herrn Gabriel ein Eckpunktepapier vorgelegt. Sie wollen das Fracking nicht verbieten, im Gegenteil: Sie wollen es damit ermöglichen. Bei den Gesetzesberatungen werden wir es erörtern. ({8}) - Das steht in dem Eckpunktepapier. Gucken Sie es sich einmal genau an! ({9}) Erlaubnis für Fracking bei Tight Gas, Erlaubnis für Pilotprojekte bei Schiefergas, Erlaubnis bei Schiefergas in Tiefen unter 3 000 Metern. Für uns Grüne ist klar: Wir brauchen das nicht. Wir wollen Energieeffizienz. Wir wollen die schnelle Energiewende. Wir fordern Sie auf: Sorgen Sie beim Wasserrecht und beim Bergrecht dafür, dass Fracking bei Öl- und Gasförderung verboten wird. ({10}) Man kann sehen, wie wichtig dieser Bundesregierung - nicht nur Ihnen, Frau Ministerin - der Klimaschutz insgesamt ist, wenn man sich anguckt, wer alles zum UN-Gipfel nach New York, den Ban Ki-moon ausrichtet, reist. François Hollande reist an, Barack Obama ist da. Wer ist nicht da? Angela Merkel. Angela Merkel ist lieber bei der Festveranstaltung des Lobbyverbandes BDI. Ich finde, das sagt schon alles. Beim Klimaschutz kann man es auch feststellen. In Norddeutschland, woher ich komme, gibt es ein Sprichwort dafür: Der Fisch stinkt immer vom Kopf. ({11}) So ist es leider auch beim Klimaschutz und bei dieser Bundesregierung. Angela Merkel hat ihn abgewrackt, Herr Gabriel will ihn nicht mehr. Frau Ministerin, ich verstehe, dass es für Sie nicht leicht ist, sich gegen Frau Merkel und Herrn Gabriel durchzusetzen. Unser Problem ist nur, Sie versuchen es erst gar nicht. Sie raffen sich nicht auf. Sie mucken nicht auf. Sie machen einfach nur die brave Verwaltungschefin. Das ist einfach nicht genug. ({12}) Wir machen Ihnen in den Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge. Wir wollen Sie unterstützen. Aber wir rufen Sie dazu auf: Bitte, raffen Sie sich auf! Kämpfen Sie! Haben Sie ein bisschen Mut beim Klimaschutz! Vielen Dank. ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Steffen-Claudio Lemme von den Sozialdemokraten. ({0})

Steffen Claudio Lemme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie gerne würde ich im Rahmen dieser Debatte Oppositionspolitiker sein. ({0}) Ständig an den bau- und klimapolitischen Vorhaben zu kritisieren, die im Ministerium von Frau Hendricks bearbeitet werden, ist eine einfache Angelegenheit. ({1}) Aber wir sind hier, um etwas zu gestalten. ({2}) Dazu zählt auch der Entwurf des Bundeshaushaltes für 2015, der viele Gestaltungselemente beinhaltet. Es entspricht natürlich auch meiner persönlichen Meinung, dass im Bereich des Bauwesens und des Klimaschutzes gar nicht genug investiert werden kann, und das gerade angesichts der großen klimapolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Frau Ministerin, Sie haben, wie ich meine, kein dankbares Amt übernommen, aber Sie füllen es gut aus. ({3}) Es ist also viel Wahres dran, wenn Sie sagen, Sie müssten, wie es im Liedtext von Tim Bendzko heißt, „nur noch kurz die Welt retten“. Daher lassen Sie uns an dieser Stelle den parteipolitischen Streit beiseiteschieben; denn wir befinden uns an einem Punkt, an dem uns bewusst ist, dass dringender Handlungsbedarf besteht - am besten schon vorgestern. ({4}) Ich möchte Barbara Hendricks bei ihren Bemühungen unterstützen und hoffe, Sie von der Opposition tun das auch. ({5}) Anstatt einzig und allein kritisieren zu können, stehen wir Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung. Wir machen das nicht so wie Sie, Frau Bluhm, die uns für Positionen, die im Bundestag im Jahr 2012 beschlossen wurden, kritisiert. Da befanden auch wir uns in der Opposition und nicht in der Regierungsverantwortung. Aber in Verantwortung stehen, heißt auch, etwas zu verändern, und das heißt, Verbesserungen herbeizuführen, zum Beispiel für mehr bezahlbaren Wohnraum und für eine Senkung der CO2-Emissionen sowohl innerhalb Deutschlands als auch weltweit. ({6}) - Doch. ({7}) Wie sehen unsere Verbesserungen aus? Was bedeutet sozialdemokratische Umwelt- und Baupolitik, und wie zeigt sich das im Haushalt? Lassen Sie mich im Baubereich beginnen. Wir benötigen Investitionen in lebenswerte Nachbarschaften, um das Zusammenleben von Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft und aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu verbessern. Es geht darum, das Auseinanderdriften in reiche Viertel und arme Viertel zu verhindern. Daher haben wir die „Soziale Stadt“ mit 150 Millionen Euro zum Herzstück der Städtebauförderung gemacht. ({8}) Ich möchte gern die Anregung des Kollegen Haase aufgreifen und sagen, dass es auch mich stört, dass Flüchtlinge in Zelten untergebracht werden sollen. Aber ich kann mir schlecht vorstellen, die benötigten Mittel über das Programm „Soziale Stadt“ zu generieren. Wir brauchen Mittel on top, ({9}) um für die Flüchtlinge humane Lebens- und Wohnbedingungen zu gewährleisten. Wir haben Förderprogramme im Bereich der Städtebauförderung mit einem Gesamtvolumen von 700 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Dies wird natürlich im Haushalt 2015 fortgesetzt. Als Thüringer möchte ich außerdem das Programm „Stadtumbau Ost“ besonders hervorheben, das mit einem Volumen von 105 Millionen Euro zu einer wichtigen Säule der Städtebauförderung ausgebaut wurde. Bereits bei den letzten Beratungen konnten wir die Mittel um 22 Millionen Euro erhöhen. Im Osten haben wir noch immer mit einem massiven Wohnungsleerstand zu kämpfen, und deshalb ist es gut, dass die Kosten, die beispielsweise beim Abriss von leeren Plattenbauten in den ländlichen Gebieten entstehen, darüber getragen werden können. Gleichzeitig geht es darum, sich den demografischen Anforderungen an den Wohnraum zu stellen. In den letzten Haushaltsberatungen war mir die Bereitstellung von Bundesmitteln für den altersgerechten Umbau von Wohnungen ein Herzensanliegen. Und unsere parlamentarischen Bemühungen führten zum Erfolg: Wir konnten das Programm „Altersgerecht Umbauen“, das Investitionsanreize setzt, bereits mit dem Haushalt 2014 starten. Die Umsetzung dieses Verhandlungsergebnisses wird nun mit dem neuen Haushaltsentwurf fortgeführt. So sind 2015 weitere 11,9 Millionen Euro für das Programm „Altersgerecht Umbauen“ vorgesehen. Diese Zukunftsinvestition ist dringend notwendig; denn barrierefreie oder -arme Wohnungen sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, möglichst lange selbstbestimmt und selbstständig im vertrauten Umfeld leben und wohnen zu können. ({10}) Soziale Wohnungspolitik bedeutet auch, endlich eine Anpassung des Wohngeldes an die Entwicklung der Mieten und Einkommen durchzuführen. ({11}) Denn steigende Mieten, gerade in Ballungszentren, führen bei immer mehr Menschen zu einer finanziellen Überlastung. Zusätzlich steigen die Strom- und HeizkosSteffen-Claudio Lemme ten; sie sind für manche Haushalte kaum noch tragbar. Deshalb muss der Heizkostenzuschuss dringend wieder eingeführt werden. ({12}) Bezahlbares Wohnen ist ein Kernanliegen sozialdemokratischer Politik. Das war bei der Vorgängerregierung anders. Sie hat im Jahr 2011 gegen den Widerstand von SPD, Mieter- und Sozialverbänden und Kommunen den Heizkostenzuschuss ersatzlos gestrichen. Dies traf insbesondere die Einkommensschwachen. ({13}) Die SPD wird die dringend notwendige Wohngeldreform nun angehen. Ziel ist, dass viele Haushalte mit eigenem Einkommen, vor allem Familien, künftig nicht mehr auf die Hartz-IV-Grundsicherung angewiesen sein werden. Ich bin zuversichtlich, dass die Wohngeldreform Mitte 2015 in Kraft treten wird. Im Haushalt stehen deshalb bereits zusätzliche Mittel in Höhe von 130 Millionen Euro bereit. ({14}) Zum Thema Bundesbauten möchte ich etwas Kritisches sagen. Im Haushaltsausschuss werden wir die Entwicklung der zunehmenden Kostensteigerungen kritisch begleiten. Hier ist von der Bundesregierung zukünftig ein Höchstmaß an Transparenz gefordert. Beispiele unter vielen sind die Staatsbibliothek Unter den Linden oder der Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. Um künftig zu verhindern, dass bereits bei der Bauvorbereitung zu ambitionierte Kosten- und Terminziele gesetzt werden, die sich später als nicht realisierbar erweisen, müssen wir gemeinsam nachhaltige Lösungen finden. Kommen wir zum Klimaschutz. Der Klimaschutz muss in dieser Regierung eine herausgehobene Rolle spielen, ({15}) denn es ist allerhöchste Zeit, aufzuwachen. Auch ich habe den „Energiewende-Index“ der Unternehmensberatung McKinsey gesehen, der viel mediale Aufmerksamkeit hervorgerufen hat. Demnach kann unser eigenes nationales Ziel, bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, nur noch erreicht werden, wenn wir den Ausstoß ab jetzt jährlich um 3,5 Prozent reduzieren. Das entspricht dem fünffachen Wert des momentanen jährlichen Rückgangs. ({16}) Läuft alles weiter wie bisher, fehlen 7 Prozent oder, anders gerechnet, 85 Millionen Tonnen CO2. ({17}) Deshalb müssen wir dringend alle Ministerien, Behörden und Ämter einbeziehen. Es heißt, mehr einzusparen, zum Beispiel in der Landwirtschaft, bei Gebäuden oder auch im Verkehr. Die Erhöhung der Mittel, beispielsweise für die energetische Stadtsanierung im Rahmen des Energie- und Klimafonds um 12 Millionen Euro ({18}) oder für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm um 200 Millionen Euro, weist in die richtige Richtung; aber das ist längst noch nicht genug. Als Haushälter werde ich den Aktionsplan Klimaschutz 2020, den die Ministerin vorlegen wird, deshalb nach Kräften unterstützen. ({19}) Was den internationalen Klimaschutz betrifft, so besteht im Jahr 2015 in Paris wohl die letzte Chance, ein Nachfolgeabkommen zum Kioto-Protokoll zu verabschieden. Der Ban-Ki-moon-Gipfel in New York, der hierfür die Voraussetzungen schaffen soll, findet zu meiner großen Verwunderung ohne die Kanzlerin statt. ({20}) Ich bin mir aber sicher, dass unsere Umweltministerin sie gut vertreten wird. ({21}) Jetzt kommt das Aber: Betrachte ich nüchtern die Zahlen im Haushalt, so erkenne ich zu wenig Engagement beim Klimaschutz. ({22}) Ja, um die Welt zu retten, bleibt noch sehr viel zu tun. Ich hoffe, wir ziehen hierbei alle an einem Strang. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({23})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herzlichen Dank. - Ich darf mich bei dieser Gelegenheit bei den bisherigen Rednern in dieser Aussprache für die disziplinierte Einhaltung der Redezeiten bedanken, die vorbildlich ist. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Roland Claus, Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin, auf Ihr neues Amt als Schlossherrin komme ich später noch zu sprechen. ({0}) Es geht bei diesem Etat mehr noch als bei den anderen Etats, die wir in diesen Tagen besprechen, um die Zukunftsfähigkeit von Politik. Man kann das auch mit „Enkeltauglichkeit“ übersetzen. Gerade ein Umwelthaushalt muss sich der Aufgabe stellen, schon heute eine Politik zu formulieren, die für künftige Generationen etwas Gutes und nicht etwas Schädigendes bedeutet. ({1}) An guter Absicht fehlt es der Ministerin, wie wir gehört haben, ganz sicher nicht. Aber schauen wir uns die Fakten an - schließlich reden wir nicht über Ihre guten Absichten; das könnten wir auch anderswo tun; hier geht es um den Etat -: Sie kürzen 46 Millionen Euro bei der Internationalen Klimaschutzinitiative. Stellen Sie alle sich einmal die folgende Aufgabe: Denken Sie an das technische Gerät, das Sie alle in den Plenarsaal getragen haben, und überlegen Sie, wie viel von der umweltbelastenden Produktion dieser Geräte in die ärmsten Länder Asiens ausgelagert wurde. In dieser Situation die Mittel für die Internationale Klimaschutzinitiative so erheblich zu kürzen, das ist ein Skandal. ({2}) Hinzu kommt, dass der Energie- und Klimafonds nicht annähernd die Lenkungswirkung entfaltet hat, die Sie bei seiner Konstituierung versprochen haben. Außerdem ist er dem Zugriff des Umweltministeriums entzogen. Wir stellen also fest, Frau Bundesministerin: Anspruch und Realität passen hier nicht zusammen. Die Linke will eine sozialökologische Gerechtigkeitswende, ein Gestaltungskonzept, in dem nicht das Soziale gegen das Ökologische ausgespielt wird oder umgekehrt das Ökologische gegen das Soziale. Frau Ministerin, Sie haben das vorhin so ähnlich erklärt und gesagt, dass Sie das auch wollen. In diesem Zusammenhang muss ich Sie aber daran erinnern, dass Sie gegenwärtig mit einem Koalitionspartner unterwegs sind, der mit beiden Füßen auf der Bremse steht, auf der sozialen Bremse und auf der ökologischen Bremse. Das genau ist Ihr Problem. ({3}) Wir wollen Sie auch auffordern, die zahlreichen Ankündigungen, ein nationales Programm zum Hochwasserschutz aufzulegen, endlich umzusetzen. Die BundLänder-Kooperation in dieser Frage ist längst überfällig. Wir müssen uns auch über die Etatisierung dieser Aufgabe verständigen, und zwar über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ hinaus. Dort findet sich bisher nämlich der einzige Ansatz dafür. Ich denke, dass die Initiative der Brandenburger Landesregierung, die ganz sicher ihren Fortbestand erleben wird und feiern kann, eine hilfreiche Anregung dabei ist. Wir müssen aber natürlich auch die Belange der Nachbarstaaten Polen und Tschechien mitdenken und sollten uns jetzt dieser Aufgabe stellen. Ich komme nun zur Enkeltauglichkeit in Sachen Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Sie selbst haben das Wort geprägt: Wir wollen den sozialen Wohnungsbau wiederbeleben. Wiederbeleben kann man nur, was schon fast tot war. Wir wollen diese Aufgabe unterstreichen. Sie wurde hier schon mehrfach als Absicht benannt. Es geht in der Tat darum, etwas gegen Gentrifizierung zu tun, was zu Deutsch nichts anderes bedeutet, als über erhebliche Mietsteigerungen Mieterinnen und Mieter mit durchschnittlichen und niedrigen Einkommen regelrecht aus ihren angestammten Wohnsituationen zu vertreiben. Wir wollen an dieser Stelle auch auf die schwierige Situation für Studierende aufmerksam machen, bezahlbaren Wohnraum in der Nähe ihrer Hochschulen und Universitäten zu bekommen. Diese beiden Herausforderungen könnten ein Grund für die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus ein. Wenn Sie auf dieser Schiene mit uns denken, unterstützen wir Sie gerne dabei, diesen Weg zu beschreiten. ({4}) Wir unterstützen auch, nachdem die FDP dieses Programm auf Abwicklung gestellt hatte, die Förderung von UNESCO-Welterbestätten. Wir wollen an dieser Stelle aber auf Folgendes hinweisen: Wir haben im Jahr 2014 ein Problem. Wir haben durch die späte Verabschiedung des Haushalts im Grunde nur drei Monate lang Zugriff auf die Förderinstrumente des Bundes. Wir haben natürlich ein Interesse daran, dass die Mittel für diese Förderprogramme nicht am Ende des Jahres von Wolfgang Schäuble für die schwarze Null einkassiert werden, sondern dass sie dort ankommen, wo sie erwartet werden. Wir werden natürlich auch der Erhöhung des Wohngeldes zustimmen. Aber wenn man sich einmal genau anschaut, was hier vorgeht, dann sieht man, dass dies ein Vorgang der sozialen Nachsorge ist. Wohngeld ist eine Art Aufstockergeld. Die Problemlagen, die durch zu geringe Einkommen und überhöhte Mieten entstanden sind, werden durch Steuerzahlerinnen- und Steuerzahlergeld quasi wieder ausgeglichen. Das ist kein Vorgang, über den man sich von Herzen freuen kann. Man muss ihn jetzt im Interesse der Betroffenen so hinnehmen; aber es ist ein Vorgang der sozialen Nachsorge. Nun komme ich zu der tatsächlichen Frechheit in Ihrem Etat: 56 Millionen Euro mehr für das Berliner Stadtschloss. ({5}) Die Linke wollte das ganze Schloss nicht; aber das ist jetzt nicht mein Problem. Mein Problem ist, dass es mehrere Beschlüsse des Haushaltsausschusses gibt - wenn ich mich richtig erinnere, einstimmige Beschlüsse -, die besagen, dass es eine finanzielle Obergrenze gibt. Der Vorgang ist gedeckelt. Jetzt frage ich einmal Kollegen wie Sören Bartol oder Barthl Kalb: Gelten denn diese BeRoland Claus schlüsse auf einmal nicht mehr? Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das ist eine Missachtung von Parlamentsbeschlüssen. Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie sich das politische Erbe nicht aussuchen konnten. Aber diese 56 Millionen Euro, die uns früher einmal von einem Förderverein versprochen worden waren, jetzt zu übernehmen, das geht nicht. Hier müssen Sie mit unserem erheblichen Widerstand rechnen. Sie können nicht die Mehrheiten einer Großen Koalition dazu benutzen, bisher getroffene Parlamentsbeschlüsse einfach abzuräumen. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Anja Weisgerber. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In meiner Haushaltsrede konzentriere ich mich heute auf die Klimapolitik. Der Klimawandel ist nach wie vor eine der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die nächsten 15 Monate werden entscheidend dafür sein, wie es mit unserer Klimapolitik weitergeht. Bei der Klimakonferenz im nächsten Jahr in Paris muss es uns gelingen, eine ambitionierte internationale Klimapolitik zu beschließen. Nur so haben wir eine realistische Chance, das 2-Grad-Ziel zu erreichen; vielleicht ist es die letzte Chance. ({0}) Mit entscheidend für einen Erfolg kann sein, dass Kanzlerin Merkel die Klimapolitik bei der G-7-Präsidentschaft in 2015 zum Thema machen will. Damit hält sie den Druck auf internationaler Ebene aufrecht und kämpft dafür, dass auch die anderen Staaten ihren Beitrag leisten. Das ist gut so; denn nach wie vor gilt: Allein wir Deutsche können das Klima nicht retten. Wir brauchen die anderen Staaten dieser Welt. ({1}) Die Staaten, die es selbst nicht schaffen, unterstützen wir mit deutschen Mitteln für internationale Klimaschutzinitiativen, die sich auch in diesem Haushalt wiederfinden. In diesem Zusammenhang gibt es zum Beispiel Projekte in Peru, Kolumbien oder Ghana. Das alles sind wichtige Signale für unser gemeinsames Ziel einer ambitionierten internationalen Klimapolitik, für die Deutschland kämpft. Ein politisches Zeichen setzen wir auch in Brüssel, wo sich die Mitgliedstaaten im Oktober dieses Jahres auf die europäischen Klimaziele bis 2030 einigen werden. Wir treten in Brüssel für eine ambitionierte Klimapolitik mit ambitionierten und ehrgeizigen Klimazielen ein und gehen mit unseren Forderungen weiter als andere Mitgliedstaaten; auch das muss man ganz klar sagen. Persönlich habe ich mich sehr darüber gefreut, dass sich der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Vorstellungsrede im Europäischen Parlament für ein Energieeffizienzziel von mindestens 30 Prozent ausgesprochen hat. Denn da gibt es nach wie vor wirklich sehr große Potenziale, die wir in ganz Europa heben müssen, meine Damen und Herren. ({2}) Nun zu der Frage: Was machen wir national? Zu einer glaubhaften Klimapolitik gehört neben dem Hauptprojekt, dem Klimaaktionsplan, zu dem ich gleich noch kommen werde, dass wir, die Bundestagsabgeordneten, und die Mitglieder der Bundesregierung etwas für unser Klima tun. Deshalb freue ich mich besonders, dass die fraktionsübergreifende Initiative der Klimapolitiker, Dienstreisen klimaneutral zu kompensieren, in diesem Haushalt erste Früchte getragen hat. Der aktuelle Haushaltsentwurf sieht 2 Millionen Euro für klimaneutrale Dienstreisen der Bundesregierung vor. Das ist ein guter Anfang, ein erster Erfolg. Nun müssen auch wir hier im Bundestag eine Vorbildfunktion übernehmen. Daher wünsche ich mir ebenso eine Kompensation der Flugreisen der Mitglieder des Deutschen Bundestages. ({3}) Ich appelliere hier an die Kollegen aus dem Haushaltsausschuss: Lassen Sie uns gemeinsam ausschuss- und fraktionsübergreifend Möglichkeiten ausloten, wie wir unsere Mandatsflugreisen klimaneutral kompensieren können! Das wäre eine kleine Geste mit großer Wirkung. Auf diese Weise können wir als Politiker ein klimapolitisches Zeichen setzen und gleichzeitig vielleicht auch Unternehmen ermutigen, über eine Kompensation von Geschäftsreisen nachzudenken. Aktuell arbeitet das Umweltministerium an einem Klimaaktionsprogramm. Alle betroffenen Ministerien sind aufgefordert, Minderungspotenziale aufzuzeigen und konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Ziel ist, das Aktionsprogramm noch in diesem Jahr zu verabschieden. Es ist richtig, dass alle Ressorts mit einbezogen werden und ihren Beitrag leisten. Damit stellen wir die richtigen Weichen, um unsere Klimaschutzziele erreichen zu können - trotz schwieriger Rahmenbedingungen. Warum sind es schwierige Rahmenbedingungen? Wir haben immer gesagt, dass es nicht funktionieren wird, aus der Kernenergie auszusteigen und diese dann komplett durch CO2-neutrale Technologien zu ersetzen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir alle wollten den Ausstieg aus der Kernenergie, und wir wollen ihn nach wie vor; keine Frage. Damit wir unsere Klimaziele trotz des Ausstiegs aus der CO2-neutralen und grundlastfähigen Kernenergie erreichen, müssen wir den Anteil der erneuerbaren Energien stark ausbauen. Herr Kollege Kindler, das tun wir auch nach der EEG-Reform. Wir bauen den Anteil der erneuerbaren Energien weiter aus. Wir steuern ihn. ({4}) Aber man muss dazusagen: Nicht alle erneuerbaren Energien - außer der Biomasse - sind grundlastfähig. Deshalb brauchen wir auch weiterhin fossile Energien. ({5}) Um zu gewährleisten, dass möglichst wenig CO2 ausgestoßen wird, bevorzugen wir Klimapolitiker von der Union Gaskraftwerke. Dafür müssen wir die richtigen Anreize setzen. Damit bin ich schon beim nächsten und letzten Thema meiner Rede: Kernstück der EU-Klimapolitik ist und bleibt der Emissionshandel. Er ist das wirkungsvollste, kosteneffizienteste und, wenn Sie so wollen, gerechteste Instrument in der Klimapolitik, ({6}) weil er gleiche Wettbewerbsbedingungen in ganz Europa schafft. Eines möchte ich an dieser Stelle einmal ganz klar sagen: Wenn es um die Maßnahmen geht, die wir ergreifen, um die Klimaziele zu erreichen, dann ist eine nationale CO2-Steuer, wie sie Herr Krischer von den Grünen erst wieder kürzlich bei einer Veranstaltung hier in Berlin gefordert hat - Sie erinnern sich vielleicht -, ({7}) sicherlich nicht die richtige Antwort auf den internationalen Klimawandel. ({8}) Ein rein nationales Vorgehen bringt uns nicht weiter. Es benachteiligt nur unsere Industrie, gefährdet Arbeitsplätze und hilft uns nicht, auf europäischer Ebene mit unseren Klimazielen weiterzukommen. ({9}) Deshalb setzen wir uns - ich sage das, um auf Ihre Bemerkung einzugehen - in Europa für eine rasche und nachhaltige Stärkung des Emissionshandelssystems ein. ({10}) Ganz aktuell haben wir den Vorschlag der EU-Kommission für eine Marktstabilitätsreserve auf dem Tisch. Wir Deutschen fordern, im Unterschied zum EU-Vorschlag, dass diese vorher greift. Der Vorschlag der EUKommission ist meiner Meinung nach eine gute Grundlage; aber wir müssen noch viel darüber diskutieren. Unser Ziel muss es sein, dass der Emissionshandel marktbasiert bleibt, weiterhin CO2-Emissionen reduziert und - das sage ich als Klimapolitikerin ganz ehrlich und klar dazu - gleichzeitig Investitionen in die richtige Richtung lenkt. Ich freue mich auf die Diskussionen dazu mit der Ministerin und den Kolleginnen und Kollegen des Bundestages. Vielen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Christian Kühn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leidenschaft ist das, was uns zur Politik gebracht hat und uns antreibt bei unserer täglichen Arbeit in den Ausschüssen, in unseren Wahlkreisen, aber auch hier im Plenum, Leidenschaft für Arten- und Naturschutz - manche würden sagen: für die Bewahrung der Schöpfung -, Leidenschaft für eine Vision und eine Welt ohne Atomkraft und Leidenschaft für eine sozial gerechte und klimafreundliche Wohnungs- und Baupolitik. Mit Leidenschaft hätte dieser Haushalt, Frau Hendricks, ein großer Wurf werden können. Doch leider kann ich in diesem Haushalt die Leidenschaft für die Themen Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung, für die Themen Klimaschutz und Umweltpolitik bei Ihnen nicht erkennen. ({0}) Sie feiern diese Woche eine Nullnummer, und dieser Haushalt ist eine Nullnummer für die Umwelt-, Bauund Naturschutzpolitik in Deutschland. Sie wird zukünftige Generationen sehr, sehr teuer zu stehen kommen; denn Sie gehen die Herausforderungen unserer Zeit völlig unzureichend an. ({1}) Ich frage Sie: Wo sind die zusätzlichen Investitionen in die energetische Sanierung? Wo sind die zusätzlichen Mittel für den altersgerechten Umbau unserer Wohnungen und unserer Städte? Wo sind die denn? Ich finde sie in diesem Haushalt nicht, und ich weiß, Sie finden sie auch nicht. Sie können ja vielleicht in den nächsten Reden darauf eingehen, wie Sie diese Herausforderungen bewältigen wollen. Ich sage Ihnen etwas, Frau Hendricks: Mehr Leidenschaft würde Ihrer Politik guttun, mehr Leidenschaft für Klima-, Umwelt- und Baupolitik. Bisher sind Sie ein Christian Kühn ({2}) Dreivierteljahr durchs Land gezogen und haben mit sehr schönen und guten Analysen die Probleme beschrieben. Aber Sie haben keine vernünftigen Maßnahmen genannt, wie Sie die Herausforderungen bewältigen wollen. Von Ihnen als Schatzmeisterin und ehemaliger Finanzstaatssekretärin hätte ich erwartet, dass Sie mit Verhandlungsgeschick mehr für Ihr eigenes Ressort herausholen. Aber das ist Ihnen leider nicht gelungen. ({3}) Wenn ich mir die Themen anschaue - ich habe ein Dreivierteljahr Umweltausschusssitzungen erlebt und erlebe auch die Beratungen zum Haushalt -, dann erkenne ich einen roten Faden, der auch hier unterschwellig durchkommt: Sie sind sich eigentlich nicht einig in der Wohnungs- und Baupolitik. Sie sind sich auch nicht einig in der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik. Eigentlich passen Sie bei diesen Themenfeldern als Koalition nicht zusammen. Das merkt man immer wieder. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich sage Ihnen etwas: Sie sind doch auf der Suche nach einem Konzept, wie Sie in den Großstädten wieder näher an die Menschen kommen - wir reden hier ja über Stadtpolitik -, wie Sie in den Großstädten die Menschen wieder für die Union begeistern können. Ich sage Ihnen: Geben Sie einfach die Blockade gegen eine funktionsfähige Mietpreisbremse auf! Sorgen Sie dafür, dass die Mietpreisbremse kommt, damit Angela Merkel ihr Wahlversprechen erfüllen kann! Dann wählen die Menschen in den Großstädten Sie vielleicht auch wieder; denn in Stuttgart, Berlin und auch in München finden die Leute die Mietpreisbremse richtig klasse. ({5}) - In Frankfurt auch. - An die Kollegen der SPD gewandt will ich nur sagen: Sorgen Sie dafür, dass die Mietpreisbremse nicht durchlöchert wird! Denn wenn sie durchlöchert ist, funktioniert sie nicht, und dann ist sie weder sozial noch gerecht, sondern höchstens Wählertäuschung. Frau Hendricks, Sie haben angekündigt, dass Sie das Wohngeld erhöhen wollen, Ihre Kollegen in der Fraktion ebenfalls. Wenn ich mir aber anschaue, was Sie mit diesem Haushalt vorgelegt haben, dann muss ich feststellen: Das Wohngeld bleibt auf dem Niveau von 2013. So können wir das Wohngeld in Deutschland nicht stärken wollen. Im Juni dieses Jahres haben Sie das Wohngeld um 130 Millionen Euro gekürzt, um es im September wieder um 130 Millionen Euro zu erhöhen. Was Sie hier veranstalten, ist ein absurdes Nullsummenspiel. Ich kann wirklich nicht erkennen, warum Sie hier sagen: Wir tun etwas beim Wohngeld. - Sie tun nichts beim Wohngeld. Sie belassen es auf dem alten Niveau. Wenn Sie Bauund Klimaschutzpolitik wirklich miteinander verzahnen wollten, dann würden Sie einen Klimabonus einführen, wie wir ihn beantragen werden. ({6}) Das Gute an Haushaltsberatungen ist für Oppositionspolitiker, dass die Bundesregierung etwas vorlegen muss. Sie haben jetzt einen Haushalt vorgelegt und in allen Reden heute eine große Herausforderung benannt, den Klimaschutz. Aber der Klimaschutz im Gebäudebereich kommt mit dieser Großen Koalition nicht voran. Wo sind denn die Anreize? Wo sind die Programme? Wo ist das Quartiersanierungsprogramm, das wir dringend brauchen, um in den Quartieren Klimaschutz zu betreiben? Wo ist der Steuerbonus für die energetische Sanierung? Da liefern Sie nichts. Sie bleiben beim Klimaschutz blank. So, Frau Hendricks, werden Sie die Sanierungsquote ({7}) von 2,5 Prozent pro Jahr, die Sie selber genannt haben, nicht erreichen, jedenfalls nicht in Baden-Württemberg, dem Bundesland, aus dem ich komme. Ich sage Ihnen auch: Dass Sie die Sanierungsquote nicht erreichen werden, ist der eigentliche Skandal dieses Haushalts; denn Sie gehen diese große Herausforderung nicht an. ({8}) Wir Grünen begrüßen, dass Sie die Mittel für die Städtebauförderung erhöht haben. Wir begrüßen auch die Mittel, die Sie für das Programm „Soziale Stadt“ eingestellt haben. Jetzt müssen Sie dafür sorgen, dass nicht nur Beton finanziert wird, sondern auch die Menschen, dass die nichtinvestiven Maßnahmen auch förderungsfähig werden. Nach der faktischen Abschaffung des Programms unter Schwarz-Gelb hat die SPD-Fraktion gesagt: Das ist die Politik der sozialen Kälte. - Ich hoffe, dass Sie diese Politik der sozialen Kälte nicht fortsetzen werden. ({9}) - Das glaube ich erst, wenn wir die Texte dazu sehen. ({10}) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Die Welt hat sich in den letzten Monaten dramatisch verändert; Europa hat sich in den letzten Monaten dramatisch verändert. Wir haben eine Krise in der Ukraine. In unserem Ausschuss, im Umwelt- und Bauausschuss, haben wir einen Schlüssel in der Hand, um Deutschland unabhängiger zu machen von Gaslieferungen aus Russland. Dazu müssen Sie jedoch an den Gebäudebestand gehen, dazu müssen Sie ins Quartier gehen und dort Klimaschutz und energetische Sanierung voranbringen. Das tun Sie bisher nicht. Das wäre aber der Schlüssel. Setzen Sie hier an, nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch im Interesse von Zielen, die weit darüber hinausgehen und die wir auch hier wieder benannt haben. ({11}) Das Humboldt-Forum ist mehrfach angesprochen worden. Frau Hendricks, Sie haben gesagt: Beim Humboldt-Forum, beim Stadtschloss ist alles gut. 4780 Christian Kühn ({12}) Beim Stadtschloss ist nicht alles gut. Das haben Sie auch erkannt; denn es fehlt, wie Sie gesagt haben, ziemlich viel Geld für die Finanzierung der Fassade; es fehlen Spenden. Nun übernimmt der Bund das Ausfallrisiko. Wer gibt denn überhaupt noch eine Spende, wenn der Träger des Ausfallrisikos benannt ist? ({13}) Von daher glaube ich, dass Sie beim Stadtschloss ein Haushaltsrisiko übernommen haben.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Kühn, ich hatte mit meinem Lob bei den Vorrednern gehofft, dass es als Ermunterung gilt, die Redezeit einzuhalten, und darf Sie bitten, jetzt doch zum Schluss zu kommen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Frau Hendricks, zeigen Sie Zähne! Bleiben Sie nicht länger unsichtbar, sondern gehen Sie in die Konfrontation für Umwelt-, Klima- und Baupolitik! Wir Grünen wissen, dass man für Umweltpolitik kämpfen muss. Ich glaube, Sie haben im letzten Dreivierteljahr erkannt, dass Schweigen auch nicht hilft. Deswegen: Gehen Sie in die Offensive! Kämpfen Sie mit Leidenschaft für eine bessere Umwelt- und Baupolitik in Deutschland! Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist für die Sozialdemokraten der Kollege Ulrich Hampel. ({0})

Ulrich Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich heute meine erste Rede hier im Hohen Hause halten darf, ({0}) und bin meinen Kolleginnen und Kollegen der SPDArbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gegeben haben, heute zur Einbringung des Einzelplans 16 zu sprechen. Wie Bundesministerin Hendricks und mein Kollege Lemme bereits ausgeführt haben, steigt das Gesamtvolumen des Einzelplans 16, was seine Ursache insbesondere im Mittelaufwuchs des Baubereiches hat. Innerhalb des Baubereiches weisen neben dem Posten „Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz“ die Ansätze für das Wohngeld und die Förderung des Städtebaus wesentliche Erhöhungen auf. Diese Mittelerhöhungen sind notwendig und richtig und werden von meiner Fraktion ausdrücklich begrüßt. ({1}) Zum Wohngeld, lieber Kollege Kühn. Die Koalition wird die angekündigte Reform des Wohngeldgesetzes in den nächsten Wochen und Monaten auf den Weg bringen und damit sicherstellen, dass die im Haushaltsentwurf eingestellten Mittel den Leistungsempfängern, wie angekündigt, 2015 zur Verfügung stehen. ({2}) Wie dringend notwendig die Reform ist, haben die vergangenen Jahre gezeigt: Die Anzahl der Haushalte, die Wohngeld beziehen, ging kontinuierlich zurück. Außerdem wurde die im Rahmen der Wohngeldnovelle 2009 eingeführte Heizkostenkomponente 2011 von der schwarz-gelben Bundesregierung wieder gestrichen. Mit der Wohngeldreform werden wir dafür sorgen, dass wieder deutlich mehr Haushalte vom Wohngeld profitieren. ({3}) Das werden wir im Einzelnen durch die Erhöhung der Tabellenwerte, die regional gestaffelte Erhöhung der Miethöchstbeträge und dadurch erreichen, dass wir wieder eine Heizkostenkomponente einführen. ({4}) Das ist doch eine gute Nachricht für die Menschen in unserem Land. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Förderung des Städtebaus wird es ebenfalls einen deutlichen Mittelaufwuchs geben. Damit stellen wir sicher, dass der Investitionsbedarf für die vordringlichen städtebaulichen Investitionsprojekte in den Städten und Gemeinden gedeckt wird. Die Mittelausstattung der einzelnen Programme der Städtebauförderung bleibt auf dem hohen Niveau des vergangenen Haushaltes. Das erfolgreiche Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ erhält mit 150 Millionen Euro wiederum die höchste Mittelausstattung. Das ist unserer Meinung nach auch dringend notwendig. ({6}) Nachdem dieses Programm unter Schwarz-Gelb auf nur noch 40 Millionen Euro reduziert wurde, kam es zu deutlichen Einbrüchen bei den Projektzahlen, und dringende Investitionen konnten nicht mehr getätigt werden. Mit dem Haushalt 2014 haben wir das Programm deshalb mit deutlich mehr Geld ausgestattet. Diesen Weg führen wir mit dem aktuellen Haushaltsansatz fort. Damit unterstreichen wir, dass das Programm „Soziale Stadt“ das Leitprogramm der Städtebauförderung ist. ({7}) Auch die anderen Programme der Städtebauförderung erfahren eine deutliche Belebung. In meiner sehr ländlich geprägten Münsterländer Region spielt zum Beispiel das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ eine immer wichtigere Rolle. Mit diesem Programm werden viele Kommunen dabei unterstützt, die Infrastruktur in ihren Ortszentren den veränderten Anforderungen aufgrund des demografischen Wandels anzupassen. ({8}) Das ist ein Problem, das sicher auch in Ihren Wahlkreisen einen immer größeren Stellenwert einnimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf den angesprochenen demografischen Wandel ist es zu begrüßen, dass für die Zuschüsse für Investitionen in altersgerechten Umbau im Haushalt 2015 ebenfalls mehr Geld eingeplant ist. ({9}) Für den Zeitraum 2014 bis 2018 sind hierfür insgesamt 54 Millionen Euro vorgesehen, ein Volumen, das meiner Meinung nach dringend erforderlich ist. ({10}) Nach einer Studie des Kuratoriums Deutsche Altershilfe werden bis 2020, also in sechs Jahren, 3 Millionen altersgerechte Wohnungen benötigt. Dem Bedarf stehen aktuell weit weniger als 1 Million altersgerechte Wohnungen gegenüber - und der Bedarf wird über das Jahr 2020 hinaus weiter steigen. Wir sind natürlich froh, dass immer mehr Menschen ein immer höheres Alter erreichen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Anforderungen an viele Bereiche unserer Infrastruktur und natürlich auch an die Ausstattung und Beschaffenheit von Wohnungen verändert. Hier müssen wir gemeinsam Lösungen entwickeln, wie wir in deutlichem Umfang altersgerechten Wohnraum schaffen. Aktuelle Angebote, wie sie zum Beispiel die KfW vorhält, werden meiner Meinung nach nicht ausreichen. Viele ältere Menschen können und wollen keine Kredite mehr aufnehmen, um ihr Heim altersgerecht umzubauen. Deshalb brauchen wir eine direkte Fördermaßnahme für altersgerechten Umbau. ({11}) Sehr geehrte Frau Bundesministerin Hendricks, meine Fraktion und ich wissen natürlich, dass dieses Problem hohe Priorität in Ihrem Hause genießt. Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen an der Bewältigung nicht nur dieser, sondern auch darüber hinaus anstehender Aufgaben zu arbeiten. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ein herzliches Glückauf! ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Hampel, Sie hatten schon angekündigt, dass das Ihre erste Rede sein wird. Ich möchte Ihnen dazu im Namen der Kolleginnen und Kollegen herzlich gratulieren und wünsche Ihnen, dass Sie bald weitere Reden halten werden. ({0}) Bevor der Kollege Wegner das Wort erhält, hat der Kollege Pronold um das Wort zu einer Kurzintervention gebeten.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich melde mich als Stiftungsratsvorsitzender des Humboldt-Forums und des Berliner Schlosses zu Wort, weil hier von zwei Rednern der Opposition falsche Behauptungen aufgestellt worden sind. ({0}) Es ist so, dass wir uns beim Berliner Schloss im Kostenrahmen bewegen. Dieser ist nicht verändert worden. ({1}) Aufgrund des Baufortschritts, weil die Arbeiten Gott sei Dank schnell vorangehen, weil es keine Bauverzögerungen gibt, müssen die Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir befinden uns aber im Plan. Es gibt an dieser Stelle keine Kostenexplosion. Das hat auch überhaupt nichts mit der Fassade zu tun. In Bezug auf die Fassade ist es so, dass die Einnahmen durch Spenden deutlich zunehmen. Weil das Schloss jetzt sichtbar wird, steigt die Akzeptanz und nehmen die Spenden zu. Wir werden wie auch bei anderen Projekten alles dafür tun müssen - das darf man nicht schlechtreden -, dass die noch fehlenden Spenden für die Fassade eingehen. Wir werden die Mitglieder des Ausschusses - die Einladung liegt schon vor - in den nächsten Wochen auf die Baustelle einladen. Dann gibt es die Gelegenheit, sich vor Ort ein Bild zu machen, statt hier gefährliche Falschbehauptungen in die Welt zu setzen. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Claus möchte darauf erwidern. Dazu erteile ich ihm das Wort.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn der geschätzte Kollege Pronold den Vorwurf der gefährlichen Falschbehauptung am Schluss seiner Rede nicht unzutreffenderweise eingefügt hätte, hätte ich geschwiegen. ({0}) Zweifelsohne haben Ihre Worte ein Stück zur Aufklärung beigetragen. Aber meine Einwände und meine Kritik sind damit noch nicht vom Tisch. Sie können von uns nicht erwarten, dass wir Ihnen, wenn Sie uns einen Etat vorlegen, in dem für dieses Bauvorhaben 56 Millionen Euro mehr etatisiert sind, sofort abnehmen, dass dieses Geld dem Baufortschritt geschuldet ist, aber der Deckel so bleibt. Wir werden uns das kritisch anschauen und darauf drängen, dass die gemeinsamen Beschlüsse des Haushaltsausschusses eingehalten werden. Ihre Aussage, dass die Spendeneinnahmen zunehmen, will ich gerne glauben. Dieser Satz sagt aber nichts aus, wenn man das berücksichtigt, was einmal zugesagt worden ist. Deshalb lassen Sie uns die Dinge weiter kritisch begleiten. Vermeiden Sie doch in Zukunft möglichst solche Charakterisierungen einer kritischen, aber durchaus konstruktiven Opposition. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt geht es mit der Rednerliste weiter. Ich erteile dem Kollegen Kai Wegner für die CDU/ CSU das Wort. ({0})

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus, Ihre letzte Äußerung kann man zumindest in Zweifel ziehen. Ich bin dem Kollegen Abgeordneten Pronold sehr dankbar für die Klarstellung, die er hier vorgenommen hat. Ich bin mir sicher, dass alle Kritiker, die heute das Humboldt-Forum immer noch kritisch betrachten, stolz und froh sein werden, wenn Berlins Mitte durch dieses Humboldt-Forum bereichert wird und weitere Strahlkraft für die ganze Republik erzeugt. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Frau Ministerin Hendricks, ich bin sehr froh, dass es beim Haushaltsentwurf 2015 gerade im Umwelt- und Baubereich gelungen ist, noch mehr Mittel zur Verfügung zu stellen als in diesem Haushalt. Die Koalition setzt mit diesem Haushalt ihren Kurs fort. Wir setzen auf Investitionen, um eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland zu fördern. Aber ich werde mich heute in meiner Rede schwerpunktmäßig mit der Städtebauförderung auseinandersetzen. Die Große Koalition hat gerade diesen Bereich stärker in den Fokus der Politik gerückt. Das Gesamtvolumen der Mittel für die Städtebauförderung beträgt im Jahr 2014 700 Millionen Euro. Mit dem Haushalt 2015 setzen wir diesen Kurs entschlossen fort. Wir wollen Städte und Gemeinden auf vielfältige Weise bei der Bewältigung des demografischen, des sozialen, aber auch des ökonomischen Wandels unterstützen. Bei allen Maßnahmen, die wir hier beraten und beschließen, muss stets das Wohlbefinden der Menschen im Zentrum der Betrachtung stehen. ({1}) Ich begrüße es außerordentlich, dass die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ zusammengenommen wieder den größten Programmteil der Städtebauförderung bilden. ({2}) Auch das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ wird auf hohem Niveau fortgeschrieben. Gerade hier werden besonders viele Projekte im investiven Bereich ermöglicht. Das ist wichtig, weil hier besonders nachhaltige Lösungen zur Schaffung lebenswerter Städte und Gemeinden geschaffen werden. Hinzu kommt die Hebelwirkung des Mitteleinsatzes: Jeder Euro, den wir im investiven Bereich einsetzen, zieht Folgeinvestitionen im Baubereich in Höhe von 8,50 Euro nach sich. Das ist insbesondere für unsere Bauwirtschaft und für unser Handwerk von ganz großer Bedeutung. ({3}) Das stärkt strukturschwache Regionen und bietet Beschäftigung im Bau und im Handwerk. Beschäftigung gibt den Menschen vor Ort Lebensperspektiven, und auch das brauchen wir in vielen Städten und Gemeinden. Zur Stabilisierung und Aufwertung benachteiligter Stadt- und Ortsteile ist das Programm „Soziale Stadt“ eine gute Wahl. Ich würde es sehr begrüßen, Frau Ministerin, Herr Staatssekretär, wenn wir über das Programm „Soziale Stadt“ Sportvereine mit ihrem großen Potenzial in Zukunft noch stärker unterstützen könnten. Sportvereine sind jetzt schon wichtig für benachteiligte Quartiere, wichtig für den Zusammenhalt von Menschen. Sportvereine sind Garanten der Stabilität in benachteiligten Stadt- und Ortsteilen. Der Sport kennt weder Religionen noch Nationalitäten, er kennt kein Alter, keine soziale Herkunft. Hier lernen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft besser kennen. Das ist Aufgabe der sozialen Stadt. Wenn wir Sportvereine und Sportanlagen zukünftig noch stärker berücksichtigen, tun wir unmittelbar etwas für die Quartiere und die Menschen vor Ort. Deswegen meine Bitte: Lassen Sie uns das gemeinsam unterstützen. ({4}) Die Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung ermöglicht es uns auch, neue Schwerpunkte zu setzen. Ich freue mich, dass es uns in den ersten beiden Haushaltsjahren dieser Großen Koalition gelingt, vor allen Dingen zwei Punkte stark zu fördern: Zum einen sorgen wir dafür, dass mehr urbanes Grün in die Städte geholt wird. Grün steigert die Lebensqualität in bestimmten Bereichen, und da haben wir ganz viel Potenzial nach oben. Es steigert die Lebensqualität und ist wichtig im Hinblick auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Meine Damen und Herren, die Menschen fühlen sich in grünen Städten nicht nur wohler, ({5}) sondern sie fühlen sich auch sicherer. Gepflegte Grünanlagen steigern das Sicherheitsgefühl der Menschen. Deshalb ist es gut, dass wir mehr für Grün in den Städten tun. ({6}) - Ja, damit habe ich jetzt gerechnet. Das heißt aber nicht, dass wir mehr Grüne in den Städten brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sondern wir brauchen Natur, Umwelt und Grün in den Städten, ({7}) und dafür sorgt diese Koalition, aber leider viel zu wenig die Opposition, meine Damen und Herren. ({8}) Zum anderen tun wir auch etwas - Herr Kühn, Sie haben das ja angesprochen - für die älter werdende Gesellschaft. Wir tun etwas zur Bewältigung des demografischen Wandels. ({9}) Wir haben das Programm „Altersgerecht Umbauen“ aufgelegt. ({10}) Wir sorgen damit dafür, dass gerade ältere Menschen in ihrem gewohnten Wohnumfeld, in ihrer vertrauten Umgebung wohnen bleiben können. Dafür sorgen wir mit unserem Programm. Lieber Herr Kühn, ich würde mir wünschen, dass Sie mit der Leidenschaft, die Sie von der Regierung eingefordert haben, in Ihrer Partei dafür kämpfen, dass der Bundesrat endlich seine Blockade aufhebt, was die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung und vieler anderer Sachen angeht. Kämpfen Sie dafür mit Leidenschaft! Uns haben Sie da an Ihrer Seite. ({11}) Meine Damen und Herren, wir haben noch das Thema Mieten. Dass wir uns auch darum kümmern müssen, ist gar keine Frage. Ich sage Ihnen: Die beste Antwort auf steigende Mieten, die beste Antwort auf Verdrängung, die droht und teilweise aus den zentralen Lagen an die Ränder auch stattfindet, die beste Antwort darauf ist Neubau. Bauen, bauen, bauen! Diese Bundesregierung hat viele Maßnahmen auf den Weg gebracht; einige sind angesprochen worden. Ich will noch einmal daran erinnern, wie diese Regierung den sozialen Wohnungsbau fördert. Der Bund unterstützt die Länder mit 580 Millionen Euro. Das ist gut und richtig, aber ich wünschte mir, dass die Länder diese Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, dann auch für den sozialen Wohnungsbau einsetzten. Es darf nicht sein, dass die Mittel des Bundes in den Haushaltslöchern versickern. Nein, wir brauchen sozialen Wohnungsbau, und ich fordere die Länder auf, die Mittel des Bundes nicht nur einzusetzen, sondern auch noch zu verstärken. So können wir gemeinsam für preiswerte, für bezahlbare Mieten in unserem Land sorgen. ({12}) Ich komme zum Schluss. Der Zustrom von Flüchtlingen - der eine oder andere Redner hat es schon angesprochen - treibt uns alle, wie ich glaube, mit Sorge um. Das muss auch so sein. Ich glaube, hier stehen zuallererst die Länder, dann aber auch der Bund in der Verantwortung. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen würdig untergebracht werden, meine Damen und Herren. Ansonsten erzeugt das sozialen Sprengstoff. Das können wir nicht gebrauchen. Liebe Frau Ministerin, ich glaube, der Bund darf weder die Länder und erst recht nicht die Städte bei der Bewältigung dieser Herausforderung alleinlassen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir hier noch stärker unterstützend wirken können. Ich wünsche mir tolle Beratungen. Ich freue mich auf die Ergebnisse am Ende. Eines wird aber deutlich, meine Damen und Herren: Nicht nur der Haushalt

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Wegner, darf ich Sie an die Redezeit erinnern!

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ist bei dieser Koalition in guten Händen, sondern insbesondere auch die Städtebauförderung ist bei der Großen Koalition in guten Händen. Herzlichen Dank. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Karsten Möring. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Hendricks, als Unionsfraktion stehen wir auch im Umwelt- und Bauhaushalt für gute und verlässliche Rahmenbedingungen, für die Umsetzung des Koalitionsvertrages und für haushaltspolitische Solidität in bewegten Zeiten. Es kann nicht oft genug betont werden, dass wir mit diesem Haushalt die Wende von der Zeit der roten Zahlen in die Zeit der schwarzen Zahlen begehen werden. ({0}) Viele Schwerpunkte sind bereits angesprochen worden. Ich möchte einige Aspekte hinzufügen, die mir wichtig sind und die, wie ich aus vielen Gesprächen weiß, auch andere Menschen bewegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema „altersgerechter Umbau“ ist jetzt drei- oder viermal angesprochen worden. Deswegen spare ich mir dasselbe. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir an diesem Beispiel sehr gut sehen können, wie wichtig Zuschussprogramme sein können und welche Nebenwirkungen sie für unsere Haushalte haben. Wenn wir durch den Umbau in alters- oder behindertengerechte Wohnungen nur 15 Prozent unserer pflegebedürftig werdenden Personen einen Umzug ins Heim ersparen oder diesen verzögern, bringt das pro Jahr im Sozialsystem eine Einsparung von ungefähr 3 Milliarden Euro. Das ist nicht unser primäres Ziel, aber das ist ein Argument dafür, dass wir bei der Auflegung von Zuschussprogrammen auch einmal darauf schauen können, welche weiteren positiven Effekte so etwas hat. Das sollten wir immer dann, wenn es um Finanzen geht, durchaus im Blick haben. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die beste Nachricht des Tages ist die Feststellung der Vereinten Nationen, dass sich die Ozonschicht der Erde weiter regeneriert und eigenständig Ozon bildet, von dem wir wissen, dass es die krebserregende UV-Strahlung der Sonne abhält. Das ist Grund zur Freude und ein Ansporn für unsere Arbeit. Es zeigt vor allen Dingen eins: dass unsere in diesem Fall vor über zwei Jahrzehnten getroffenen Regelungen auch wirksam sind - eine sehr ermunternde und beflügelnde Feststellung. ({2}) Obwohl die Luftreinhaltung in Deutschland erfreulicherweise bereits ein hohes Niveau erreicht hat, halten wir die Verringerung der Belastung weiter für notwendig. Im Sinne des Klimaschutzes und des Gesundheitsschutzes halte ich deswegen vor allen Dingen die Wiederaufnahme des Förderprogramms für Partikelminderungssysteme, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, für wichtig und möchte dafür auch nachdrücklich werben. ({3}) Mein Wunsch ist hier, dass wir im weiteren Haushaltsverfahren noch eine Lösung finden. Wir müssen Feinstaub- und Stickoxidemissionen weiter zurückdrängen. Wir können aber nicht nur Maßnahmen allein zulasten der Autofahrer ergreifen. Viele Städte haben wie meine Heimatstadt Köln inzwischen Umweltzonen mit deutlichen Einschränkungen für den Straßenverkehr eingerichtet. Trotzdem reichen diese Maßnahmen oft nicht aus, vor allen Dingen vor dem Hintergrund zukünftig schärferer Grenzwerte. Wir wissen inzwischen, dass Baumaschinen einen nicht unerheblichen Anteil an den Emissionen haben - im städtischen Bereich rund die Hälfte der Emissionen aus dem Straßenverkehr. Dabei stellen insbesondere die sehr kleinen Partikel, die Rußpartikel, erhebliche Gesundheitsrisiken dar, weil sie aufgrund ihrer Größe geeignet sind, direkt über die Lunge in die Blutbahn zu geraten und dann dort bis ins Gehirn hinein Schäden anzurichten. Ich denke, dass wir hier mit einer Mischung aus Einsatzbeschränkungen, zum Beispiel in Umweltzonen, und einer Förderung der Filternachrüstung am schnellsten zu spürbaren Verbesserungen kommen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein besserer Lärmschutz für die Menschen liegt uns am Herzen, ein Thema, das wir in enger Abstimmung mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Verkehrsausschuss angehen, wo natürlich zuständigkeitshalber auch der wesentlich größere Etatposten angesiedelt ist. Gerade in unserem dicht besiedelten, hochindustrialisierten und verkehrsreichen Land stellt der Lärm nach wie vor ein bedeutendes Umweltproblem dar. Da Lärm nicht nur belästigend ist, sondern auch gravierende gesundheitliche Schäden hervorrufen kann, ist eine nachhaltige Verminderung der Lärmbelastung, vor allem im Verkehrssektor, unser vorrangiges Ziel und wird sicher in der morgigen Debatte zum Verkehrshaushalt breiter dargestellt. ({4}) In meinem Wahlkreis sind es vor allem Fluglärm und Eisenbahnlärm, die für viele Menschen eine erhebliche Beeinträchtigung darstellen. Straßenlärm spielt dabei dank umfangreicher Lärmschutzmaßnahmen am Kölner Autobahnring eine nicht mehr so große Rolle. Bei der Frage der Lärmbekämpfung wird oft beklagt, dass Lärm, je nach Quelle, unterschiedlich behandelt wird. Bei den erheblichen Mitteln, die wir insgesamt an den verschiedenen Stellen zur Lärmbekämpfung einsetzen, ist es, denke ich, an der Zeit, einmal genauer nachzuschauen, welcher Lärm in welcher Intensität welche Wirkungen erzeugt, damit wir die Mittel möglichst effektiv einsetzen können. Ich schlage deshalb vor, dass wir uns über die Einrichtung eines Lärmkompetenzzentrums - so will ich es einmal nennen - des Bundes Gedanken machen, in dem die vorhandenen Informationen über die Lärmwirkung und die Lärmbekämpfung gebündelt und gewertet und Antworten auf offene Fragen, beispielweise bei der Lärmwirkungsforschung, gegeben werden können. Dafür braucht es nicht viele Haushaltsmittel, weil hier unter Rückgriff auf bereits bestehenden Sachverstand große Wirkungen und großer Nutzen für die Bürger erzielt werden können. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Trinkwasser ist ein Grundnahrungsmittel höchster Qualität - und das soll auch so bleiben. ({6}) Wir wollen den Schutz der Gewässer vor Nährstoffeinträgen - Stichwort „Düngeverordnung“ - verstärken und Fehlentwicklungen korrigieren. Wir stehen in der Verantwortung, diesen Schutz vorsorgend und nachhaltig zu gewährleisten. Und weil wir beim Stichwort „Schadstoffeintrag“ sind, zum heiß diskutierten Thema Fracking nur eine kurze Bemerkung, Herr Kindler und andere: Wir werden bei den anstehenden Beratungen eine sachorientierte, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Lösung finden. ({7}) Wir sind der Auffassung, dass wir bei diesem Thema vom Glauben zum Wissen kommen müssen, um eine vernünftige Entscheidung für die Zukunft treffen zu können. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Koalition klare Ziele: mehr Lebensqualität in Stadt und Land, in einer intakten Umgebung gut leben und bezahlbar wohnen können. Dafür wollen wir auch im Sinne kommender Generationen arbeiten. Es ist schön, dass wir heutzutage alle älter werden können. Wir wollen alles dafür tun, dass wir auch gesund älter werden können. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Sehr geehrter Kollege Möring, das war Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Im Namen der Kolleginnen und Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu und wünsche auch Ihnen viele weitere Beiträge hier im Hohen Hause. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit etwas beginnen, von dem ich nicht weiß - das sage ich mit einem Augenzwinkern -, ob es heute schon erwähnt worden ist. Als Haushälter möchte und werde ich dieses Thema natürlich ansprechen: Wir haben eine besondere Situation - das erste Mal seit 1969 legen wir einen ausgeglichenen Haushalt vor, ohne Aufnahme neuer Schulden. Ich denke, das kann nicht oft genug erwähnt werden. ({0}) Das hat für uns natürlich einen hohen Wert und oberste Priorität, und wir werden das in Zukunft verstetigen. Frau Bluhm - Sie haben das im Vorfeld in der Presse und vorhin auch in Ihrer Rede erwähnt -, Sie fordern sinngemäß für diesen Etat mehr Taten statt Ankündigungen. So weit, so gut - aber dann hört die Zustimmung auch auf. Ich denke, dieser Haushalt liefert viele Beweise dafür, dass auch gehandelt wird, dass aktiv gestaltet wird. Ich denke, das ist gut so. Ich bin der Bundesregierung und der Ministerin dankbar dafür, dass erst nachgedacht, dann angekündigt und dann gehandelt wird. ({1}) Ich möchte mich in meinem Beitrag auf den Wohnungs- und Baubereich beziehen, mit knapp 60 Prozent des Ausgabevolumens der größte Bereich dieses Etats. Aber der Haushalt an sich ist kein Selbstzweck, sondern er soll - das haben wir auch schon gehört - ein Stück weit Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen liefern. Eine wesentliche Beobachtung machen wir zurzeit im Bau- und Wohnungsbereich: Es gibt eine erhebliche Binnenwirkung in Deutschland. Einerseits gibt es einen großen Zuzug in den Ballungsgebieten und Universitätsstädten; der Wohnraum wird knapp und damit teurer. Andererseits gibt es Gebiete, in denen Leerstände entstehen, insbesondere im ländlichen Bereich. Aber summa summarum kann man, glaube ich, sagen: Es fehlen mindestens 250 000 Wohnungen pro Jahr. Allein an dieser Beschreibung sieht man ja: Es wird in dieser Situation keine einheitliche, einseitige oder einfache Lösung geben, sondern es sind verschiedene Akteure und Maßnahmen für die verschiedensten Konstellationen gefragt. Die Kommunen beispielsweise müssen sich anstrengen und weiter Bauland ausweisen. Die privaten Investoren aus der Bau- und Wohnungswirtschaft müssen sich im Neubau von Wohnungen engagieren. Auch der Bund engagiert sich an verschiedensten Stellen. Als Erstes möchte ich das mehrfach genannte Wohngeld erwähnen. Es dient der Unterstützung einkommensschwacher Haushalte und ist ein Zuschuss zu den Wohnkosten. 130 Millionen Euro zusätzlich werden als Zuschuss zur Miete oder für selbst genutzten Wohnraum zur Seite gestellt. Bund und Länder teilen sich diese Ausgaben je zur Hälfte. Mit der angekündigten Wohngeldreform werden die regional gestaffelten Miethöchstbeträge, die Anpassung an aktuelle Mieten und an die Einkommensentwicklung und die erwähnte Heizkostenkomponente umgesetzt. Dadurch wird die Zahl der Empfängerhaushalte für diese Leistungen nach der sinkenden Zahl in den letzten Jahren wieder auf über 900 000 steigen. Insgesamt werden rund 1,8 Millionen Menschen von dieser Leistung profitieren. Ich denke, das ist eine starke Leistung, auf die man auch immer wieder hinweisen kann. ({2}) An Sie gerichtet, Herr Kühn, möchte ich noch die Finanzierung erklären. Sie haben das vorhin etwas verdreht bzw. nicht ganz verstanden. Wenn wir die Wohngeldreform nicht durchführen würden, dann würde die Zahlungsleistung des Bundes auf ungefähr 400 Millionen Euro im Jahr sinken. Durch das Aufstocken von 500 Millionen auf 630 Millionen Euro haben wir also 230 Millionen Euro für die Wohngeldreform zur Verfügung. Ich würde das als solide Finanzierung beschreiben. Über das Gesetz werden wir noch in Ruhe diskutieren. ({3}) Der zweite Bereich sind die Wohnungsbauprämien. Der Bund fördert damit das Bausparen bis zu bestimmten Einkommenshöhen. Es soll ein Anreiz gesetzt werden, um Eigentum zu schaffen, zu erwerben und zu erhalten. Das hat auch etwas mit Altersvorsorge zu tun. Die Erhöhung um 43 Millionen Euro wurde bereits angesprochen. Diese Leistung wird ausschließlich vom Bund getragen. Sie wird nicht in dem Sinne beschlossen oder prognostiziert; sie kann vielmehr anhand der geschlossenen Altverträge konkret berechnet werden, und zwar jeweils sieben Jahre nach Vertragsabschluss. Der dritte Bereich ist die Finanzierung der sozialen Wohnraumförderung. Auch das haben wir schon mehrfach gehört. Sie dient der Bereitstellung von Wohnraum für Menschen mit geringeren Einkommen. Hierzu gibt es jedoch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Bis 2006 hat der Bund jährlich Finanzhilfen zum Zweck der sozialen Wohnraumförderung bereitgestellt. Mit der Föderalismusreform wurde die Zuständigkeit komplett auf die Länder übertragen, und als Kompensation für den Wegfall dieser ständigen Zahlungen wurden 518 Millionen Euro vereinbart, die vom Bund jährlich bis 2019 an die Länder überwiesen werden. Angesichts dieser beschriebenen Entwicklung im hohen Bereich schließe ich mich dem Gedanken an, den Kai Wegner vorhin geäußert hat. Ich wünsche, dass die Länder die zugesagten Zahlungen im Sinne der sozialen Wohnraumförderung einsetzen, auch wenn es die ursprünglich beschriebene Zweckbindung nicht mehr gibt. Aber wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen und nicht immer nur nach fremder Hilfe rufen, dann können wir, glaube ich, diese Aufgabe gemeinsam lösen. ({4}) Der vierte Bereich ist die Städtebauförderung. Sie ist die zentrale Säule der Stadtentwicklungspolitik des Bundes. Es ist eine bewährte Leistung im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden. Man kann sagen: Es ist ein Konjunkturprogramm par excellence. Wir haben gerade gehört, dass die Hebelwirkung das Siebenbis Achtfache beträgt. Wir steigern die Attraktivität vor Ort oder lösen Probleme, wenn die betroffenen Kommunen oder Beteiligten diese Probleme in den einzelnen Lagen bzw. in bestimmten Quartieren nicht selbst stemmen können. Gerade aus meiner Heimatregion kann ich berichten: Vor wenigen Tagen wurden zwei Städte und Gemeinden in das Städtebauprogramm 2014 aufgenommen, unter anderem meine Heimatstadt Melle im Landkreis Osnabrück in das Programm „Stadtumbau West“. 500 000 Euro wurden für ein Projekt bewilligt, zu dem ich alle nur beglückwünschen kann. Ich freue mich darüber, weil das Quartier, eine Industriebrache, ein Projekt ist, das niemand alleine hätte anpacken können. Die Akteure wirken jetzt zusammen. Jetzt erfolgt ein Rückbau, und es entstehen eine verdichtete Bebauung und ein Zusammenspiel zwischen Wohnen, Handel, Handwerk und Dienstleistungen. Es ist ein tolles Projekt, und sicherlich auch dank dieser Unterstützung und Leistungen des Bundes. ({5}) - Genau. Das Quartier wird aufgewertet. Die Bedeutung dieser Maßnahme erkennen wir auch am Koalitionsvertrag. Dort ist dieser Bereich als prioritäre Maßnahme ausgewiesen. Die Städtebauförderungsmittel sind erhöht worden auf die angesprochenen 700 Millionen Euro im Jahr, 650 Millionen Euro für die bekannten und bewährten Programme sowie 50 Millionen Euro für das bundesunmittelbare Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“. Ziel dieses Programms soll es sein - das sagt schon der Name -, nationale Wahrnehmbarkeit und Qualität zu fördern. Erstmalig werden Schwerpunkte in diesem Bereich bei Denkmalensembles mit nationalem Rang und baulichen Kulturgütern von besonderem Wert gesetzt. Hierfür hat die Bundesministerin einen Projektaufruf gestartet. Bis zum 22. September können Kommunen Vorschläge unterbreiten. An dieser Stelle - wo bietet es sich besser an? - schließe ich mich diesem Aufruf an die Kommunen an: Liebe Kommunen, machen Sie Vorschläge! - Es geht um 50 Millionen Euro und eine relativ geringe Kofinanzierung. Ich denke, das Haus wird jeden Antrag zur Bearbeitung gerne entgegennehmen. ({6}) Schließen möchte ich wieder mit Frau Bluhm. Wie angekündigt, gibt dieser Haushalt viele Beispiele dafür, dass gehandelt und nicht nur angekündigt wird. Er bietet eine tolle Grundlage für den Bereich Bau- und Wohnungswirtschaft. Wir bringen diesen Bereich ein gutes Stück voran. Lieber Steffen Kampeter, vielen Dank für die tolle Vorarbeit an das Bundesfinanzministerium. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen. Vielen Dank für das freundliche Zuhören. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Christian Hirte, dem ich für die CDU/CSU jetzt das Wort erteile. Vizepräsident Johannes Singhammer ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was lange währt, wird manchmal gut. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit meine ich nicht nur unsere heutige Debatte, sondern auch den Haushalt für das kommende Jahr. ({0}) Nach 46 Jahren gelingt es endlich wieder, einen Haushalt aufzustellen, der ohne neue Schulden auskommt. ({1}) - Ja, Sie mögen das jetzt wissen. Aber in Anbetracht der historischen Dimension müssen wir es ständig wiederholen. ({2}) Unsere Kanzlerin Angela Merkel hat dabei deutlich gemacht: Sparen ist kein Selbstzweck. Wir haben die Pflicht zum Haushaltsausgleich, weil wir unser Gemeinwesen dauerhaft nicht anders finanzieren und unsere Aufgaben nicht wahrnehmen können. Dies war im Übrigen schon der letzten Großen Koalition bewusst, als wir gemeinsam 2009 die Schuldenbremse verabschiedet haben. Heute können wir in konsequenter Fortentwicklung die Früchte ernten. Insbesondere an die Adresse der Baupolitiker darf ich ganz klar sagen: Eine Konsequenz dieser guten Haushaltspolitik ist natürlich auch unser herausragendes Zinsniveau, das wohl mit Abstand das erfolgreichste Baukonjunkturprogramm in den letzten Jahrzehnten darstellt. ({3}) Die eigentliche Herausforderung ist daher, in den kommenden Jahren die „schwarze Null“ aufrechtzuerhalten und den ausgeglichenen Haushalt zu verstetigen. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag einhellig verständigt. Dass nachhaltig ausgeglichene Haushalte längerfristig erreichbar sind, haben uns schon einige Bundesländer vorgemacht, zum Beispiel mein Heimatland, der Freistaat Thüringen. ({4}) Dort hat schon die Regierung Althaus ausgeglichene Haushalte vorgelegt. Obwohl die Regierung Lieberknecht und unsere neuen Freunde von der SPD in der Anfangsphase mehrere Aufgaben zu bewältigen hatten und Schulden machen mussten, ist es im Laufe der fünf Jahre gelungen, nicht nur die Schuldenaufnahme zurückzuführen, sondern die zunächst aufgenommenen Schulden komplett zurückzuzahlen. ({5}) Daran sieht man, dass wir für gutes Haushalten stehen und dass die von Christine Lieberknecht geführte Regierung ohne großes Tamtam und mit Augenmaß ihre Hausaufgaben gemacht hat. ({6}) Die Anmerkung sei mir mit Blick auf den kommenden Wahlsonntag noch gestattet: Ich denke, wir in Thüringen sollten lieber den eingeschlagenen Weg beibehalten, statt postsozialistische Experimente mit ungewissem Ausgang zu starten. ({7}) Nun zur Umweltpolitik im Einzelplan 16. Auch im Umweltbereich gehen wir einer unserer Prioritätensetzungen in besonderer Weise nach. Im Umweltbereich steigern wir die Ausgaben für die Forschung. Ein Sorgenkind im Umweltbereich bleibt die Endlagerung. Bisher sieht die Ausgabenplanung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle Kosten in Höhe von 436 Millionen Euro für das Jahr 2015 vor. Wir müssen uns dabei aber vor Augen halten, dass es sich hierbei um eine grobe Schätzung handelt. Möglicherweise werden die Kosten, jedenfalls in den kommenden Jahren, immer wieder einen unsicheren Faktor darstellen. Dieses Thema wird uns daher in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Über den internationalen Klimaschutz ist heute Abend schon reichlich diskutiert worden. Ich finde, zu Unrecht sind unsere Ministerin und das Haus kritisiert worden. Nachdem der Kollege Lemme von der SPD seine Ministerin nicht ganz so sehr verteidigt hat, will ich das gerne nachholen; denn ich denke, dass uns ein guter Haushalt vorgelegt worden ist. Ja, es stimmt: Im Einzelplan 16 wurde beim Titel „Internationaler Klimaschutz“ um 46 Millionen Euro gekürzt. Aber internationaler Klimaschutz geht nicht nur von dieser einen Stelle des Bundeshaushaltes aus. Es gibt auch den Energie- und Klimafonds. Der Bundesanteil daran wird im nächsten Jahr erheblich aufgestockt. Wir rechnen damit, dass endlich wieder höhere Erlöse aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten erzielt werden und dass für den Energie- und Klimafonds insgesamt gut 90 Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen. Diese Mittel werden später natürlich auch für klimarelevante Investitionen bereitstehen. Auch in anderen Haushalten spielt das Thema Klimaschutz eine Rolle. Allein im Haushalt des BMZ werden dafür im Jahr 2015 weitere 175 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Von nachlassendem Engagement beim Klimaschutz kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe festes Vertrauen darauf, dass die Bundesministerin Hendricks dieses Thema mit Verve verfolgt und zu guten Ergebnissen kommt. ({8}) Die chronische Unterfinanzierung des EKF zwingt uns gleichwohl, über die Ausgestaltung dieses Fonds noch einmal ernsthaft nachzudenken. Wir alle, die wir uns mit diesem Thema intensiver beschäftigen, sehen, dass wir erhebliche Probleme, insbesondere mit der Finanzierung, haben. Dies ist ein Thema, dessen wir Haushälter uns - auch aufgrund von Anregungen des Bundesrechnungshofes - noch einmal intensiv annehmen sollten. Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Neu im Haushalt ist ein Programm zur Klimaneutralisierung von Dienstreisen der Bundesregierung. Dafür sind 2 Millionen Euro vorgesehen. Damit sollen die durch Dienstfahrten und Flüge anfallenden Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden. Dazu soll quasi mit einer Spende zugunsten eines internationalen Klimaschutzprojektes in Höhe vergleichbarer CO2-Zertifikate das geplagte Gewissen unserer Minister und unserer Staatssekretärsriege erleichtert werden. Ich will ehrlich zugeben, dass ich mit diesem Programm noch etwas Probleme habe. Das liegt zum einen daran, dass dieses Programm anders als andere Themen im Koalitionsvertrag nicht als Maßnahme vorgesehen ist. Wir haben vorhin schon das Thema Rußpartikelfilter angesprochen. Die Klimaneutralisierung von Dienstreisen gehörte nicht dazu. Ich gebe auch ehrlich zu, dass ich noch etwas überzeugt werden muss, ({9}) wie wir mit diesem Thema insgesamt umgehen. Als Abgeordneter, in dessen Wahlkreis der Luther-Stammort Möhra und die Wartburg bei Eisenach liegen, beschäftigt man sich gelegentlich natürlich mit Martin Luther und mit dem, was um ihn herum damals geschah. Deswegen kommt mir eine sogenannte Klimaneutralisierung ein kleines bisschen wie ein spätmittelalterlicher Ablasshandel vor, ({10}) mit dem kleinen Unterschied, dass ({11}) der klimapolitische Sünder Bundesregierung seine Buße einem Dritten, nämlich dem Steuerzahler, überwälzt und dass damit möglicherweise nicht ganz der Punkt getroffen wird, um am Ende Vergebung zu erlangen. Ich würde also eher dafür plädieren, die Mittel für den nationalen Klimaschutz unangetastet zu lassen und zu schauen, wie wir mit dem Geld weiter vernünftig umgehen. Das ist vernünftig, weil Sie, Frau Ministerin Hendricks, dann nicht Malaysia zur Kontrolle einer dort finanzierten Biogasanlage besuchen müssten; stattdessen könnten Sie in meinen Wahlkreis kommen. ({12}) Das wäre viel klimafreundlicher. Sie könnten sich dort zum Beispiel darüber informieren, wie sich ein Rotmilanprojekt entwickelt. Ich glaube, das wäre für alle Beteiligten angenehmer. Für mich wäre es das auf jeden Fall. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Mit diesen theologischen Bemerkungen sind wir zum Schluss unserer heutigen Tagesordnung gelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 12. September 2014, 9 Uhr, ein. Ich schließe hiermit die Sitzung.