Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe vor Wiederaufnahme der Haushaltsberatungen Be-
rufungen und zwei Wahlen durchzuführen.
Zunächst sind gemäß § 93 b Absatz 8 unserer Ge-
schäftsordnung auf Vorschlag der Fraktionen deutsche
Mitglieder des Europäischen Parlaments zu berufen, die
an den Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union teilnehmen können und da-
bei unter anderem befugt sind, Auskünfte zu erteilen und
Stellungnahmen abzugeben. Ihre Anzahl und Verteilung
müssen nach den Wahlen zum Europaparlament oder
zum Deutschen Bundestag jeweils neu festgelegt wer-
den. Da kürzlich Wahlen zum Europaparlament stattge-
funden haben, haben wir dies also neu zu klären.
Die Fraktionen haben sich nach der im Mai stattge-
fundenen Wahl zum Europäischen Parlament auf insge-
samt 15 mitwirkungsberechtigte Mitglieder verständigt.
Nach dem Wahlergebnis entfallen auf die CDU/CSU sie-
ben Mitglieder, auf die SPD fünf Mitglieder, auf Bünd-
nis 90/Die Grünen zwei Mitglieder und auf Die Linke
ein Mitglied. Sind Sie damit einverstanden? - Das
scheint der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung haben wir zwei Wah-
len durchzuführen. Die Beauftragte der Bundesregierung
für Kultur und Medien schlägt vor, für den Stiftungsrat der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung als Vertreter
des Bundesministeriums des Innern Herrn Norbert Seitz
als Nachfolger für die ausgeschiedene Frau Gabriele
Hauser als ordentliches Mitglied zu berufen. Darf ich
auch dafür Ihr Einverständnis feststellen? - Das ist der
Fall. Damit ist Herr Seitz als ordentliches Mitglied in
den Stiftungsrat gewählt.
Schließlich schlägt die Fraktion Die Linke vor, die
Kollegin Katrin Werner für die Kollegin Kathrin
Vogler als neue Schriftführerin zu wählen. - Auch dazu
gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann ist die Kolle-
gin Katrin Werner als neue Schriftführerin gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/1973 mit dem Titel „Moderne Netze für ein mo-
dernes Land - Schnelles Internet für alle“ an den Aus-
schuss für Tourismus zur Mitberatung zu überweisen. -
Auch dazu besteht offenkundig Einvernehmen.
Nach der Klärung dieser aufgerufenen Sachverhalte
können wir nun die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fortsetzen:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2015 ({0})
Drucksache 18/2000
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018
Drucksache 18/2001
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, Einzelplan 05. Ich erteile das Wort
dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter
Steinmeier.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
liebsten hätte ich Sie nach einer langen Sommerpause
jetzt fröhlich wieder zurück in Berlin begrüßt. Aber erstens war die Sommerpause, wenn man sie so nennen
darf, kürzer als vorgesehen - wir haben uns schon in der
vergangenen Woche hier im Deutschen Bundestag zu ei4660
ner Sondersitzung einfinden müssen -, und zweitens
konnte in diesem Sommer von einer Pause in der Politik
keine Rede sein.
Tägliche Zuspitzungen in den Krisen- und Konfliktregionen von der Ukraine über den Nahen und Mittleren
Osten bis nach Afrika, Bilder von Gewalt, Vertreibung
und Opfern jeden Abend, auch in den deutschen Wohnzimmern. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Das ist der
Eindruck, den die ganz normalen Leute in Deutschland
haben, und es ist für die außenpolitischen Profis nicht
ganz einfach, diesen Eindruck wirklich nachhaltig zu widerlegen.
Aus den Fugen geraten ist die Welt aber nicht nur weit
draußen in der arabischen Welt oder in Afrika. Auch in
Europa müssen wir mühsam - und ich gebe zu: mit einigem Erschrecken - lernen, dass der Frieden offenbar
nicht mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Das ist
nicht nur der Befund von außenpolitischen Spezialisten.
Ganz im Gegenteil - ich vermute, Sie erhalten da ganz
ähnliche Post wie ich -; ältere Menschen fragen: Kehrt
der Krieg zurück nach Europa? Jüngere Menschen fragen: Ist es vorbei mit der offenen und friedlichen Welt,
in der wir bisher aufgewachsen sind? - Ich finde, beide
Fragen sind berechtigt. Ich verstehe sie. Am liebsten
würde man als deutscher Außenminister auf beide Fragen mit einem entschiedenen Nein antworten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Willy Brandt hat
gesagt: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist
von Dauer.“ Dies sagte er in Bezug auf den Frieden und
meinte damit genau das. Wir müssen uns jetzt mehr als
vor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren darum kümmern.
Wir als Bundesregierung versprechen: Wir werden alles
dafür tun, dass die europäische Friedensordnung, an der
Generationen von Politikern seit Helsinki gearbeitet haben und die uns jahrzehntelang eine friedliche Entwicklung in Europa gewährt hat, bleibt und dass sie trotz des
Ukraine-Konflikts nicht dauerhaft infrage gestellt wird.
Den heißen Krieg - so hat es im Augenblick den Anschein - haben wir vielleicht vermieden. Aber wir wollen eben auch nicht zurück in die Jahrzehnte des Kalten
Krieges, der alles lähmt und in dem die Gefahr der täglichen Eskalation zum Alltag gehört. Wie das ist, weiß
niemand besser als die Deutschen, die diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs sozusagen an den Frontlinien der Militärblöcke gelebt haben. Wir wollen keinen
Kalten Krieg, und wir wollen erst recht keinen heißen
Krieg. Wir wollen die europäische Friedensordnung erhalten.
({0})
Weil das so ist und weil vieles nicht mehr so sicher
scheint wie in den letzten Jahrzehnten, schauen wir mit
so großer Sorge auf den Ukraine-Konflikt. Ich glaube,
keiner verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Krim und das Verhalten Russlands in der
Ostukraine deutlicher als wir. Es kann nicht sein, liebe
Kolleginnen und Kollegen, dass wir sieben Jahrzehnte
nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wieder darangehen, Grenzen zu korrigieren. Das darf nicht sein.
({1})
Es darf auch nicht sein, dass wir 25 Jahre nach der deutschen und, wie wir immer gesagt und gehofft haben,
auch der europäischen Wiedervereinigung eine neue
Spaltung in diesem Europa vorbereiten. Das eine ist ein
eklatanter Bruch des Völkerrechts, und das andere ist ein
Rückfall in die Zeit, die wir eigentlich hinter uns hatten.
Beides dürfen wir nicht dulden.
Gleichzeitig und etwas leiser warne ich aber auch vor
kurzsichtigen und gefährlichen Vergleichen. Ja, der
Ukraine-Konflikt ist die gefährlichste Krise in Europa
seit Jahrzehnten. Ja, es ist zwischen Europa und Russland nichts mehr so, wie es in den letzten Jahren war. Ja,
es ist wahr: Die territoriale Integrität eines europäischen
Staates ist angetastet, und es gibt keinen Grund, das
kleinzureden. Ich sehe das alles ganz genauso.
Was mir nicht gefällt - in aller Offenheit - in dieser
Debatte der letzten Wochen und Monate, ist die Selbstbezichtigung mancher Europäer unserer Politik als
Appeasement und der schnelle Bezug auf München
1938. Einmal ganz abgesehen davon, dass jedenfalls ich
die historischen Situationen für völlig unvergleichbar
halte, begreife ich nicht - das ist mir im Augenblick sogar das Wichtigere -, warum sich Europäer in einer solchen Situation so klein machen. Die Europäer haben sich
in diesem Ukraine-Konflikt gerade nicht enthalten und
still geduldet, was passiert. Die Verurteilung der
Annexion als Verstoß gegen das Völkerrecht war eindeutig. Europäische Union und NATO haben sofort reagiert.
Niemand hat gesagt: Alles kann so weitergehen. Alle haben gesagt: Wir sind jetzt in einem Zustand, in dem business as usual nicht mehr infrage kommt. - Wir waren die
Ersten, die zu Reisen ins Baltikum oder zu den VisegradStaaten aufgebrochen sind und den Menschen dort gesagt haben: Wir verstehen, dass ihr euch besonders bedroht fühlt angesichts dessen, was in der Ukraine passiert, und wir versichern euch: Die Solidarität der NATO
steht euch zur Verfügung; Artikel 5 gilt für euch. - Wir
haben es nicht nur gesagt, sondern haben uns von vornherein und ohne Zögern als Erste in Europa an Reassurance-Maßnahmen beteiligt, was die Luft- und Seeüberwachung insbesondere in den baltischen Staaten angeht.
Wir haben dann, wenn es nötig war, den politischen
Druck erhöht, und wir haben, insbesondere nach dem
Abschuss der MH17 mit mehr als 300 Toten, auch nicht
gezögert, Maßnahmen zu ergreifen, um den ökonomischen Druck auf Russland zu erhöhen. Meine Damen
und Herren, ich sage das und rufe uns in Erinnerung:
Das ist alles andere als Appeasement. Deshalb halte ich
den Selbstvorwurf von Appeasement für so gefährlich.
({2})
Wer Lehren aus der Geschichte ziehen will - das sollten wir gelegentlich tun -, der kann sicher sein, dass das
dunkle 20. Jahrhundert leider viel Lehrstoff für uns
Deutsche bereithält. Ich rate dazu, dass wir uns in Debatten wie diesen nicht nur auf 1938 beziehen, sondern uns
auch versichern, dass das Gedenkjahr 1914 Lehren für
uns bereithält, Lehren, die zu vergessen uns Deutschen
nicht erlaubt ist.
({3})
Insofern sage ich noch einmal: Militärische Versicherung, politischer Druck, ökonomischer Druck - das alles
war richtig, das war notwendig, und ich stehe zu jedem
Element. Aber als deutscher Außenminister sage ich mit
Blick auf den Sommer 1914 auch: Abbruch, Abschottung, Gesprächslosigkeit und der Ausfall von Außenpolitik haben damals einen noch kleinen, regionalen
Konflikt befeuert, der sich in Krieg entladen hat. Deshalb sage ich: Dieser Vorwurf, auf das Unterlassen von
Möglichkeiten verzichtet zu haben, auf letzte Möglichkeiten, die vielleicht das Schlimmere hätten verhindern
können, darf uns in der deutschen Geschichte nicht noch
einmal gemacht werden. Beides gehört zusammen: der
politische und der ökonomische Druck, wo er notwendig
ist, aber auch das Offenhalten von Gesprächskanälen
und die Rückführung in Verhandlungssituationen.
({4})
Deshalb besteht unsere Politik in diesem UkraineKonflikt - ein wirklich gefährlicher Konflikt; ich sage es
noch einmal - immer aus diesen drei Elementen: erstens
Druck auf Russland, zweitens Schutz derer, die sich bedroht fühlen, und drittens - die Kanzlerin hat es gestern
von diesem Podium aus auch noch einmal gesagt -, weil
wir doch wissen, dass die militärische Lösung am Ende
nicht zur Verfügung steht und von niemandem gewollt
wird, immer auch die Suche nach politischen Möglichkeiten zur Entschärfung des Konflikts.
Es gibt keine Garantie dafür, dass das gelingt; das
wissen Sie alle. Man muss, wenn man nach solchen
Möglichkeiten sucht, auch Rückschläge, Niederlagen
und Enttäuschungen einkalkulieren. Aber es ging jedenfalls uns in einer Phase zerstörten Vertrauens, in der wir
ganz offenbar sind - und zwar nicht nur zwischen Russland und der Ukraine, sondern auch zwischen Russland
und Europa -, um nichts anderes als darum, die Gesprächsfäden nicht vollständig abreißen zu lassen und
vor allen Dingen das direkte Gespräch zwischen Kiew
und Moskau auf unterschiedliche Art und Weise zu befördern.
Dazu gehörte unser Vorschlag, die OSZE ins Spiel zu
bringen. Dazu gehörte unser Vorschlag, das Genfer Treffen zustande zu bringen. Auch die Einrichtung der Kontaktgruppe und die Gespräche, die wir mit dem ukrainischen und dem russischen Außenminister in Berlin
geführt haben, gehörten dazu - genauso wie zahllose Telefongespräche der Bundeskanzlerin und von mir. Und
dazu gehörte letztlich auch unser Verhalten auf dem
NATO-Gipfel, auf dem wir gesagt haben: Ja, wir müssen
reagieren, auch mit verstärkten Schutzmaßnahmen der
NATO; aber wir wollen sozusagen auch nicht völlig mit
dem brechen, was wir uns in der Vergangenheit eingerichtet haben. - Deshalb war es unser Votum, die NATORussland-Grundakte zu erhalten.
({5})
Darum sage ich: Nein, wir haben noch keine politische Lösung, und es gibt auch noch keine Sicherheit für
die Zukunft der Ostukraine. Aber ich bin auch davon
überzeugt - das ist ein bisschen die Erfahrung aus vielen
Jahren -: In Mündungsfeuern von Gewehren entstehen
keine politischen Lösungen. Deshalb sollten wir auch
nicht kleinreden, was inzwischen nach den direkten Gesprächen zwischen Präsident Poroschenko und Putin in
Minsk - damals holprig und nicht belastbar, aber jetzt
immerhin verkörpert in einem Zwölf-Punkte-Plan - eingetreten ist: Es ist immerhin gelungen, dass der Waffenstillstand einigermaßen gewahrt wird. Damit besteht die
Möglichkeit - und dieser Zustand ist hoffentlich nicht
nur eine Atempause -, zu politischen Verabredungen zu
kommen, die für die Zukunft tragen. Bei einem solchen
scharfen Konflikt mit einer solchen Gefährlichkeit für
ganz Europa ist das unheimlich viel, was erreicht worden ist. Das sollten wir nicht kleinreden.
({6})
Für uns ist das Ganze damit aber nicht zu Ende. Wir
wenden uns jetzt nicht ab und sagen: Das mögen die
jetzt unter sich ausmachen. - Natürlich werden wir darauf achten - und wir werden auch mit unseren Möglichkeiten dazu beitragen -, dass ein paar Dinge gewährleistet bleiben mit Blick auf die Verabredungen, die jetzt
getroffen und hoffentlich umgesetzt werden. Die Einheit
der Ukraine steht dabei ganz vorne. Dazu gehört auch,
dass überall in dem Gebiet der Ukraine Parlamentswahlen stattfinden können. Dazu gehört, dass ein nationaler
Dialog stattfindet und dass wir - nicht nur Deutschland,
sondern der gesamte Westen - zu den Versprechungen
stehen, die wir gemacht haben. Wir müssen auch zur
Verfügung stehen, um der Ukraine ökonomisch wieder
auf die Beine zu helfen - und das gepaart mit einer Verfassungsreform in der Ukraine, in der Dezentralisierung
und der Schutz von Minderheiten am Ende tatsächlich
verkörpert werden.
Meine Damen und Herren, das haben wir getan, und
dafür treten wir weiter ein. Ich halte das für richtige, gute
deutsche Außenpolitik.
({7})
Ich will zum Thema Irak gar nicht mehr so viel sagen;
Frau Göring-Eckardt ist heute auch nicht hier. Aber ich
habe mich gestern sehr über ihren Beitrag geärgert, der
vermittelt hat, ich oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung hätten zum Ausdruck gebracht, dass ein paar
Waffen für die Sicherheitskräfte der Kurden das Problem
ISIS auf irgendeine Weise lösen könnten. Ich weiß gar
nicht, wie viele Interviews ich noch geben soll. Ich sage
doch in jedem Interview: Natürlich hängt die Zukunft
des Mittleren Ostens nicht an den Gewehren und den
MGs für die Peschmerga - natürlich nicht.
Ich habe es - ich glaube, auch hier - schon gesagt: Zu
rechtfertigen ist doch diese schwierige Entscheidung, die
wir uns abverlangt haben, überhaupt nur dann - ich sage
es noch einmal auch in Richtung von Frau GöringEckardt -, wenn das, was wir jetzt mit der Ausrüstung
der kurdischen Streitkräfte tun, in eine politische Strategie eingebettet ist.
({8})
Dazu gehört erstens eine Innenpolitik im Irak, die
endlich mit den Fehlern der Vergangenheit aufräumt und
die bisher ausgegrenzten Religionen und Regionen einbezieht. Ich glaube, al-Abadi hat mit der Aufstellung des
Kabinetts gezeigt, dass er genau das will.
Dazu gehört zweitens, dass man den ISIS entkernt
und ihm die Unterstützung von sunnitischen Clans entzieht, indem man diese in die irakische Innenpolitik zurückholt.
Dazu gehört drittens - das ist die politische Strategie -,
dass wir mit den arabischen Nachbarn ins Gespräch
kommen und einen Zustand hinbekommen, dass sie sich
nicht in ihren gegenseitigen Interessenkonflikten rund
um den Arabischen Golf verlieren, sondern erkennen,
dass es ein minimales eigenes Interesse aller arabischen
Staaten gibt: Das ist das Vorgehen gegen radikalisierte
und terroristische islamistische Gruppierungen wie ISIS
und andere. Dahin zu kommen, das ist Teil einer politischen Strategie.
({9})
Wir und ich müssen deshalb nicht überzeugt werden,
dass allein eine militärische Strategie das Thema ISIS
oder radikalislamistische Gruppen nicht aus der Welt
schafft, sondern wir brauchen natürlich eine politische
Strategie. Das ist übrigens auch Teil der Rede gewesen,
die Obama vergangene Nacht gehalten hat.
Wir werden bereits am Montag ein erstes Gespräch
auf Einladung der Franzosen in Paris führen. Ich selbst
habe zu einem G-7-Treffen der Außenminister in der Sitzungswoche der VN-Generalversammlung übernächste
Woche eingeladen, bei dem wir genau diese politische
Strategie mit den arabischen Staaten miteinander diskutieren werden. Ich versichere Ihnen: Niemand ist so naiv,
zu glauben, dass ein paar Gewehre für die Peschmerga
das Problem ISIS aus der Welt bringen.
({10})
Wir reden aber auch über humanitäre Hilfe. Herr
Kauder und auch viele andere haben das gestern getan.
Natürlich müssen wir - das habe ich auch Herrn Kauder
eben gesagt - immer wieder nachsteuern. Angesichts der
Vielzahl der Flüchtlinge und der aufwachsenden Flüchtlingslager müssen wir immer wieder hinschauen, ob die
Verteilung einigermaßen ordentlich zustande kommt.
Dafür werden wir Sorge tragen.
Aber wir brauchen dafür auch die notwendigen Ressourcen.
({11})
Deshalb bitte ich, Verständnis dafür zu haben, wenn wir
im Laufe der Haushaltsgespräche noch einmal darauf zurückkommen und uns gegenseitig versichern, dass wir,
wenn wir humanitäre Hilfe nicht nur versprechen, sondern sie tatsächlich vor Ort in diesen Regionen auch leisten wollen, dies mit den gegenwärtigen Ansätzen im
Haushalt nicht hinbekommen.
({12})
Eine letzte Bemerkung. Die Vereinten Nationen habe
ich schon angesprochen. Ich habe dem russischen Kollegen gesagt: Die Lösung des Ukraine-Konfliktes ist auch
deshalb so wichtig - damit hatte der Kollege Gysi gestern nicht ganz unrecht -,
({13})
weil der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert
ist, solange der Konflikt anhält. Wir brauchen eine Deblockierung des Sicherheitsrates, damit wir uns den größeren Konflikten dieser Welt zuwenden können.
({14})
Insofern hängen die Dinge, obwohl sie geografisch so
weit voneinander entfernt sind, im Inneren zusammen.
Es ist eine schwierige Aufgabe, die vor uns liegt.
Aber ich glaube, die mühsamen Fortschritte, die wir im
Gaza-Konflikt erreicht haben und vielleicht im Moment
im Ukraine-Konflikt erreichen, zeigen, dass Außenpolitik Folgen hat. Ich hoffe, wir können positive Folgen zeigen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister! Wenn es wirklich das Ziel dieser Bundesregierung
ist, alles dafür zu tun, dass der Friede in Europa erhalten
bleibt oder - so würde ich es formulieren - wiederhergestellt wird und dass es in Europa nicht zu einer erneuten
tiefgehenden Spaltung kommt, dann will ich erst einmal
festhalten: Die Fraktion Die Linke und die Bundesregierung haben in dieser Zielgebung einen gemeinsamen
Standpunkt. Das ist nicht wenig; das möchte ich unterstreichen.
({0})
Ich habe immer gehofft, dass die Generation meiner
Tochter und die meines Enkelkindes ohne die Gefahr eines Krieges zumindest in Europa und hoffentlich auch
ohne die Gefahr von Kriegen in der Welt aufwachsen.
Das war meine feste Überzeugung. Ich war immer ein
Freund der Friedensdividende, die eingebracht werden
sollte. Ich finde es entsetzlich, dass wir die Sicherheit,
dass Generationen nicht mehr mit der Angst vor Kriegen
aufwachsen müssen, heute nicht mehr geben können,
weil wir sie nicht mehr haben. Das heißt, es muss einen
grundsätzlichen Wechsel in der Politik geben.
({1})
Darüber möchte ich reden.
Ist der Außenminister noch anwesend? - Ja, aber er
hört nicht zu. Es könnte Ihnen nicht schaden, einmal zuzuhören.
Nun sage ich etwas, was ich eigentlich gar nicht sagen
wollte, Herr Außenminister. Sie wissen, dass ich Sie als
Person schätze und trotzdem tiefe Differenzen in Bezug
auf Ihren außenpolitischen Kurs bestehen. Vielleicht ist
es möglich, dass Sie einmal eine Kritik der Fraktion Die
Linke positiv aufnehmen und überprüfen, ob sie berechtigt ist und ob es nicht doch der deutschen Außenpolitik
zum Vorteil gereichen könnte, hin und wieder auf eine
solche Kritik zu hören. Das möchte ich Ihnen quasi als
Ausgangslage zumindest anbieten.
Nun müssen wir über Differenzen reden. Wenn wir
uns über das Ziel einig sind, heißt das noch nicht, dass
wir uns über den Weg dorthin einig sein müssen. Ich will
ein paar Differenzen ansprechen. Vor knapp einem Jahr
waren Sie es, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat, dass er die Weltpolitik nicht von der Außenlinie betrachten wolle. Ich habe das immer für falsch
gehalten. Die geschichtlichen Erfahrungen, zumindest
wie ich sie aufgearbeitet habe, bedeuten: Wenn Deutschland Anspruch als Großmacht oder als Mittelmacht erhoben hat, war es immer schlecht für Deutschland und für
die Welt. Ich möchte, dass wir zu einer Politik der Zurückhaltung, insbesondere einer Politik der militärischen
und der ökonomischen Zurückhaltung, zurückkehren.
({2})
Deutschland muss nicht Großmacht spielen.
({3})
- Da Sie es zurufen: auch Blockfreiheit! Es gehörte einmal zum Kurs der Sozialdemokratie, für Blockfreiheit
und für dieses Land zu kämpfen. Das war nicht das
Schlechteste für Ihre Partei.
({4})
Ich bin für Blockfreiheit und ein Gegner der NATO. Ich
möchte gern, dass die NATO aufgelöst und durch ein
kollektives Sicherheitssystem in Europa ersetzt wird. Ich
glaube, das wäre eine vernünftige Politik. Ich finde es
schon spannend, zu hören, dass die SPD uns vorhält,
dass wir für Blockfreiheit sind. Lesen Sie einmal die Geschichte Ihrer Partei nach! Daraus können Sie etwas lernen.
({5})
Ich bin dagegen, dass Deutschland Anspruch auf
Großmachtpolitik erhebt.
({6})
Sie haben das mit Frau von der Leyen in München vorangetrieben. Ich habe den Artikel über Frau von der
Leyen im Stern mit dem Titel „Die Kriegsministerin“
sehr genau gelesen. Ich bin außerdem sehr unglücklich
über die Reden des Bundespräsidenten. Ich akzeptiere
sie überhaupt nicht. Ich habe eine gewisse Sehnsucht
nach einem sozialdemokratischen Bundespräsidenten,
den wir einmal hatten, Gustav Heinemann, der auf die
Frage, ob er sein Vaterland liebt, geantwortet hat, dass er
seine Frau liebt. Das war eine anständige Position und
hatte nichts mit der aggressiven Art und Weise der Politik zu tun, wie sie heute betrieben wird.
Ich möchte der Bundesregierung vorhalten, dass seit
der Vereinigung das Verhältnis Deutschlands und der EU
zu Russland noch nie so schlecht war wie heute. Ich will
hier darauf hinweisen, dass daran die EU und auch die
Bundesregierung erheblichen Anteil haben. Sie müssen
mir einmal Folgendes erklären: Sie halten hier eine Friedensrede - ich unterstütze Sie darin -, und am gleichen
Tag soll über neue Sanktionen gegen Russland entschieden werden.
Wäre es nach den ersten Schritten in der Ukraine
- der Waffenstillstand ist dünn und brüchig; ich habe ihn
immer verteidigt - jetzt nicht vernünftig, zu sagen:
„Schluss mit Sanktionen, wir treten in neue Gespräche
mit Russland ein“? Sie wissen ganz genau, dass die einseitige Unterstützung für Kiew eben noch keine europäische Sicherheitspolitik ausmacht und dass hier viel zu
verändern ist. Wir werden kein Problem in Europa und
weltweit ohne die Zusammenarbeit mit Russland lösen.
Ich möchte an die Bundesregierung appellieren: Machen Sie uns Russland und die Russen nicht zu Feinden!
Linke Außenpolitik will Sicherheit in Europa durch eine
Politik mit und nicht gegen Russland, und das muss jeden Tag neu erarbeitet werden.
Ich mache Ihnen einen konkreten Vorschlag: Im nächsten Jahr werden wir den 70. Jahrestag der Befreiung vom
Faschismus begehen. Diese Befreiung war ein weltweites
Ereignis. Es war Bundespräsident von Weizsäcker, der
die Zusammenhänge in einer historischen Rede vom
Kopf auf die Füße gestellt hat, indem er das Ende des
Zweiten Weltkrieges nicht als Niederlage, sondern als
Befreiung Deutschlands bezeichnet hat. Wäre es nicht
eine Chance, wenn Deutschland und Russland 2015 zum
70. Jahrestag der Befreiung gemeinsam Schlussfolgerungen aus der gemeinsamen Geschichte zögen und wir
aus der Situation eines Kalten Krieges wieder hinauskämen? Ich denke, wir sollten diese Chance aufgreifen.
Aufgreifen sollten wir auch die Chance, in der
Ukraine eine andere Politik zu machen. Herr Außenminister, ich habe nie verstanden, warum Sie sich mit
dem „Rechten Sektor“ an einen Tisch setzen mussten.
Ein deutscher Außenminister hat nicht mit Faschisten zu
reden.
({7})
Ich habe das, was da passiert ist, für falsch gehalten.
({8})
Ein deutscher Außenminister sollte völlig klar und deutlich sagen, dass die sogenannten Freiwilligenbataillone,
die in der Ukraine kämpfen, eine Ansammlung von
nazistischen Banden sind, mit denen man nichts zu tun
haben will. Ein deutscher Außenminister sollte auf die
ukrainische Regierung einwirken, ihrerseits den brüchigen Waffenstillstand nicht auch noch zu gefährden. Ich
glaube, dass man vernünftige Schritte gehen kann und
dass genügend Vorschläge dafür auf dem Tisch liegen,
übrigens auch aus Russland.
({9})
Wäre es nicht sinnvoll - ich sage das auch an die
deutschen Medien gewandt -, mit der Verteufelung russischer Politik aufzuhören und wieder eine rationale
Politik zu betreiben?
({10})
Das kann den Frieden in Europa sichern. Wir wollen den
Frieden in Europa. Mein Angebot an Sie: Wenn es um
Frieden geht, finden Sie in der Linken Unterstützung.
Aber Sie werden auch die Kritik an der Politik der Bundesregierung ertragen müssen. Lernen Sie daraus! Das
wäre ganz vernünftig.
Herzlichen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung. … Deutschland setzt sich weltweit für
Frieden, Freiheit und Sicherheit … ein.
Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge
zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet
werden.
So steht es im Koalitionsvertrag.
Meine Damen und Herren, Deutschlands Außenpolitik ist geleitet von einer Kultur der Verantwortung.
Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei den Bemühungen, einen friedlichen Ausweg aus dem von Präsident
Putin verursachten militärischen Konflikt in der Ukraine
zu finden. Zudem geht es darum, die in über 40 Jahren
aufgebaute europäische Friedensordnung zu erhalten
und wieder zu stärken, die Russland durch sein völkerrechtswidriges Handeln in der Ukraine infrage stellt.
Im Irak und in Syrien will sich ein Terrorstaat festigen, der für Europas Sicherheit eine neue Dimension der
Bedrohung ist. Deutschland hilft humanitär und durch
Waffenlieferungen, um dem IS-Terror Einhalt zu gebieten. Deutschland übernimmt auch Verantwortung bei der
Suche nach einer politischen Lösung für den Nahostkonflikt. Für eine dauerhafte Beilegung des Gaza-Konfliktes hat Deutschland eine Beteiligung an einer möglichen Mission an der Grenze zu Ägypten angeboten.
Außerdem - angesichts dieser Krisen schon fast wieder
in Vergessenheit geraten - leistet Deutschland in verschiedenen Ländern Afrikas Ausbildungshilfe, damit
Mali, die Zentralafrikanische Republik und Somalia selber für ihre Sicherheit und Stabilität sorgen können.
Es ist absehbar: Die Herausforderungen für unsere Sicherheit angesichts einer unsicheren Nachbarschaft im
Osten, im Südosten und im Süden werden weiter wachsen und uns vor neue und weitere Aufgaben stellen. Eine
Kultur des Heraushaltens können wir uns nicht leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind froh, dass
der jüngste Waffenstillstand in der Ukraine wenigstens
bisher weitgehend hält. Aber wir sehen auch, dass der
Weg zu einer Friedensvereinbarung noch sehr weit und
sehr schwierig ist. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
dankt - das hat der Fraktionsvorsitzende gestern getan;
ich will es heute noch einmal tun - insbesondere der
Bundeskanzlerin und dem Außenminister, dass sie unermüdlich an einer diplomatischen Lösung arbeiten und
auch jetzt alles tun, damit der Friedensplan Realität wird.
({0})
Aber wir wissen aus der Vergangenheit auch, dass getroffene Vereinbarungen von den Separatisten und von
Russland nicht eingehalten wurden. Deswegen muss
weiter Druck ausgeübt werden. Sosehr wir uns wünschen, dass Russland seinen Beitrag zur Befriedung leistet, so sehr ist noch Skepsis angebracht; denn Russland
hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim
grundlegende Vereinbarungen des friedlichen Zusammenlebens in Europa verletzt: die UN-Charta, die
OSZE-Charta, die Charta des Europarates, das EU-Russland-Abkommen und die NATO-Russland-Akte.
Mehr noch: Die offene militärische Intervention
Russlands in der Ukraine ist ein kriegerischer Akt gegen
einen souveränen Staat in Europa. Russland hat Krieg
nach Europa getragen. Wir wissen aus in Luhansk gefundenen Dokumenten, dass Russland weitergehende Ziele
hat, dass es Pläne gibt, Mariupol und Odessa auch noch
unter russische Kontrolle zu bringen. Damit es dazu
nicht auch noch kommt, sind der Waffenstillstand und
die Unterstützung des Friedensplanes so wichtig.
Die Aufschiebung von verschärften EU-Sanktionen
ist deshalb keine Schwäche der EU, sondern ein klares
Signal an Russland. Die EU will die Verhandlungen über
den Friedensplan nicht durch eine neue Sanktionsrunde
belasten. Aber sie wird die neuen, für Russland noch
schmerzhafteren Sanktionen umsetzen, wenn Russland
nicht seinen Beitrag zur Realisierung des Friedensplans
leistet oder gar den Waffenstillstand dazu nutzt, seine
militärische Position auszubauen oder gar den Krieg gegen die Ukraine fortzusetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Hänsel?
Gerne.
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Kollege
Schockenhoff, Sie haben gerade von der „offenen militärischen Intervention Russlands in der Ukraine“ gesprochen. Ich höre das ständig. Das hat auch die Kanzlerin
gestern gesagt. Ich frage mich: Wo sind die konkreten
Beweise für diese Behauptungen? Wo sind Ihre Quellen?
Wir haben in meinen Augen keine tatsächlichen Beweise
für diese offene militärische Intervention.
({0})
- Dann legen Sie sie mir bitte schön vor, und zwar autorisiert.
Es gehört leider auch zu diesem Konflikt, dass eine
unglaubliche Initiative von Desinformation und Propaganda nicht nur in den sozialen Netzwerken und durch
Aktivisten in der Bundesrepublik Deutschland sowie in
unseren Partnerstaaten von der russischen Seite unterstützt wird, sondern offenkundig auch hier im Deutschen
Bundestag auf fruchtbaren Boden trifft.
({0})
Was ich meine, Frau Kollegin, sind russische Panzer,
russische Militärfahrzeuge, die Tag für Tag die Grenze
zwischen Russland und der Ukraine überqueren.
({1})
Was ich meine, sind die täglichen Beschüsse von ukrainischem Territorium durch Tornadosplitterbomben, um
den Korridor zwischen Luhansk und Donezk unbegehbar und unpassierbar zu machen.
({2})
Was ich meine, sind Munition und militärisches Gerät,
das von internationalen Beobachtern in sogenannten
Hilfskonvois gefunden wurde. Was ich meine, sind vor
allem Kämpfer, Soldaten, Mitglieder von Elitetruppen,
Mitglieder des russischen Geheimdienstes,
({3})
die täglich nicht nur die russische Grenze zur Ukraine
überqueren, sondern dafür - das ist Teil dieser zynischen
Desinformation - vom russischen Präsidenten in
Moskau auch noch mit Ehrenmedaillen ausgezeichnet
werden.
({4})
Ich meine diese Form von Doppelzüngigkeit, Täuschung und Desinformation, die im Gegensatz zu einer
offenen Debatte über die notwendigen Reaktionen in einer demokratischen Gesellschaft steht. Dagegen wehren
wir uns. Dass Sie es nicht tun, verwundert mich nicht.
Aber wir werden trotzdem die Debatte darüber in der
deutschen Öffentlichkeit zu führen haben.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wichtigsten
Punkte des Friedensplans, zu dessen Umsetzung Russland seinen Beitrag leisten muss, sind:
Erstens: ein endgültiges Ende der Kämpfe und Einhaltung des Waffenstillstandes.
Zweitens: Abzug der russischen Truppen und Waffen.
Drittens: eine konsequente Überwachung der russisch-ukrainischen Grenze.
Viertens: Einigung über den Status einer Autonomie
für Luhansk und Donezk innerhalb des Staatsverbands
der Ukraine. Was auf keinen Fall akzeptiert werden
kann, ist, dass auf dem Staatsgebiet der mit der EU assoziierten Ukraine ein neuer, ein vierter Frozen Conflict
entsteht.
({6})
Diese vier Punkte sind essenziell. Wenn sie nicht von
Russland mit umgesetzt werden, müssen die jetzt nur angedrohten Sanktionen angewendet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einigkeit der
EU gegenüber Russland wird durch die Geschlossenheit
der NATO auf dem Gipfel in Wales komplementiert. Die
NATO hat sich angesichts der russischen Aggression einig wie selten gezeigt. Auch hier wird deutlich: Es wird
Präsident Putin nicht gelingen, uns auseinanderzudividieren - das Gegenteil ist der Fall.
In großer Geschlossenheit hat das Bündnis ein Konzept zum besseren militärischen Schutz der östlichen
Mitgliedstaaten verabschiedet. Unsere Bündnispartner
im Osten, insbesondere die baltischen Staaten und Polen,
fühlen sich durch die russische Aggression in Osteuropa
existenziell bedroht; das können wir nachvollziehen.
Deshalb steht die CDU/CSU ohne Wenn und Aber hinter
der Verpflichtung des Bündnisses, einander gegen einen
Angriff zu verteidigen und die Freiheit und Sicherheit all
seiner Mitglieder zu schützen. Deshalb ist es für uns
auch eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns an einer
schnellen Eingreiftruppe der NATO als neue Speerspitze
des Bündnisses beteiligen.
({7})
Für die CDU/CSU sind die nun in Wales getroffenen
Vereinbarungen der richtige Weg, um Präsident Putin
klar zu verstehen zu geben: Die Allianz wird kein Ausgreifen seiner hybriden Kriegsführung auf das Bündnisgebiet zulassen. Meine Fraktion bekennt sich auch zu
den Beschlüssen der Allianz zu ihrer Erweiterung. Eine
Mitgliedschaft der Ukraine ist derzeit nicht auf der Tagesordnung; aber die Ukraine bleibt frei in ihrer Wahl,
ob sie eine Aufnahme in das Bündnis anstreben möchte.
Die militärischen Drohungen und Aktivitäten Russlands - gegen die Ukraine, aber auch gegen unsere östlichen Bündnispartner - haben die Diskussionen um unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit erneut belebt.
Das Bündnis muss über das gesamte Spektrum an Fähigkeiten verfügen, die für eine Abschreckung und Verteidigung gegen jede Bedrohung der Sicherheit unserer
Bevölkerungen notwendig sind. Dafür müssen wir zunehmend auf transnationale Fähigkeiten setzen. Die beschlossenen Maßnahmen des Bündnisses im Rahmen
seiner Smart-Defence-Initiative sind dabei der richtige
Weg. Die Bundesregierung hat mit ihrem Konzept der
Rahmennationen eine Führungsrolle in diesem Prozess
übernommen. Dabei hat sie unsere volle Unterstützung.
In Afghanistan, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird
der ISAF-Stabilisierungseinsatz Ende dieses Jahres beendet sein. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden
aber auch über 2014 hinaus Ausbildung, Beratung
und Unterstützung brauchen. Deutschland unterstützt
daher die Bemühungen um eine neue internationale
Beratungs-, Ausbildungs- und Unterstützungsmission
„Resolute Support“.
Im Übrigen ist zu hoffen, dass Präsident Obama angesichts der Entwicklungen im Irak seine Entscheidung
überdenkt, die amerikanischen Truppen bereits bis Ende
2016 vollständig aus Afghanistan abzuziehen. Denn im
Irak sehen wir doch auch die Risiken eines zu frühen
Abzugs der Amerikaner.
Machen wir uns nichts vor: Die Region des Nahen
und Mittleren Ostens braucht die USA als Ordnungsmacht, und es ist zu begrüßen, dass Washington den
Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ jetzt
nicht nur aufnimmt, sondern dazu auch Partner sucht.
Wir begrüßen ausdrücklich die Botschaften, die Präsident Obama in diesem Zusammenhang gestern in seiner
Rede an die Nation übermittelt hat.
({8})
Auch hier wird Deutschland seiner Verantwortung gerecht. Es geht darum, dieser Bedrohung für den gesamten Nahen und Mittleren Osten, aber eben auch für
Deutschland und Europa zu begegnen.
Auch angesichts der unbeschreiblichen Barbarei können wir uns nicht heraushalten. Jedes Risiko zu vermeiden und zu hoffen, dass andere sich der Gefahr stellen,
ist keine Option. Deshalb unterstützen wir diejenigen,
die mutig gegen den Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ kämpfen.
Wir sind bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen; darüber haben wir gestern schon debattiert. Wir wissen
aber auch, dass wir damit das Problem nicht lösen
können. Nur wenn wir den Menschen in ihrem Land eine
glaubhafte Perspektive geben, werden sie dort auch bleiben. Die Voraussetzung dafür ist in erster Linie Sicherheit. Als ich vor kurzem mit dem Fraktionsvorsitzenden
Kauder im Irak war, haben wir Flüchtlingsfamilien getroffen, die zum dritten Mal vertrieben worden waren
und dreimal mit angesehen haben, wie Familienangehörige und Nachbarn ermordet wurden. Sie gehen nicht
zurück, wenn sie kein Vertrauen haben, dass es wirklich
Sicherheit gibt, sondern nur das Gefühl, auf den nächsten Überfall zu warten.
Doch unsere Waffenlieferungen sind nur Nothilfe.
Der amerikanische Präsident hat recht, wenn er sagt,
dass diese Terrorbande zerschlagen werden muss. Dies
ist eine Aufgabe der gesamten internationalen Gemeinschaft. Der sogenannte „Islamische Staat“ ist eine totalitäre, islamfaschistische Bedrohung, die bereits Länder
wie Libanon und Jordanien akut bedroht, aber auch
Saudi-Arabien und mittelbar auch Israel.
Es ist richtig, dass Präsident Obama nun auch in Syrien militärisch intensiver vorgehen will. Dort hat der
selbsternannte „Islamische Staat“ seine Basis, dort hat
Assad ein Schlachtfeld geschaffen, das ihm überhaupt
erst den Raum gegeben hat, um groß zu werden.
Nicht zuletzt: Der UN-Sicherheitsrat hat sich aufgrund der russischen Blockade als unfähig erwiesen,
rechtzeitig in Syrien das Töten zu stoppen. Das hat zur
Radikalisierung der syrischen Opposition und zum
Erstarken der Dschihadisten geführt. Die Konsequenz
daraus kann nur sein, eine Koalition zu schmieden, die
sich den selbsternannten Gründern eines „Islamischen
Staats“ nun im Irak und in Syrien entgegenstellt. Meine
Fraktion unterstützt mit Nachdruck, dass sich die Bundesrepublik hier verpflichtet hat. Auch hier können wir
nicht länger zuschauen. Das gilt im Übrigen auch für Libyen und für ganz Nordafrika, das von Instabilität, von
totalitärem Islamismus bedroht wird.
Damit komme ich wieder auf den Ausgangspunkt zurück, nämlich darauf, dass weitere sicherheitspolitische
Herausforderungen auf uns zukommen werden. Lassen
Sie mich deshalb abschließend fünf Leitgedanken zur
Verantwortung Deutschlands formulieren:
Erstens. Deutschland hat aufgrund seiner besonderen
Rolle in Europa und im NATO-Bündnis eine führende
Aufgabe wahrzunehmen.
({9})
- Das ist so ein Unsinn, was Sie da reden. Herr Gehrcke,
wie kann man so einen Schwachsinn reden?
({10})
Wenn man ein Land, das ein Drittel seines Bruttoinlandsprodukts, das sein Wirtschaftswachstum und seine soziale Sicherheit der internationalen Stabilität und dem
weltweiten freien Handel verdankt, der Großmannssucht
bezeichnet, weil es Verantwortung übernimmt,
({11})
dann ist das einfach nur dumm.
({12})
Dass die Bundesregierung bereit ist, diese Verantwortung zu übernehmen, auch hinsichtlich der Mitgestaltung
von entsprechenden Beschlüssen, hat sie kürzlich beim
NATO-Gipfel gezeigt. Das zeigt sich auch in der Bereitschaft der Bundesregierung, in der Kerngruppe zur Bekämpfung des IS-Terrors maßgeblich mitzuwirken.
Zweitens. So selbstverständlich humanitäre Hilfe und
Wirtschaftshilfe sowie Ausbildungshilfe sind: Im Einzelfall können auch weiterhin Auslandseinsätze der
Bundeswehr und erneut Waffenlieferungen erforderlich
sein. Wenn andere, wie jetzt die kurdischen Peschmerga
im Irak, einen konkreten Beitrag auch für die Sicherheit
Europas leisten und wir deshalb nicht Bundeswehrsoldaten in einen gefährlichen Kampfeinsatz entsenden müssen, müssen wir diese Kräfte zumindest ertüchtigen, im
Einzelfall auch durch Waffenlieferungen. Auch dies gehört zur Wahrnehmung außenpolitischer Verantwortung
als größter, wirtschaftlich stärkster und politisch bedeutender Staat in Europa.
Drittens. Da wir zu unserer eigenen Sicherheit in
unserer südlichen und östlichen Nachbarschaft mehr
Verantwortung übernehmen müssen, brauchen wir klare
sicherheitspolitische Ordnungskonzepte, denen wir mit
unseren politischen, wirtschaftlichen und militärischen
Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechen müssen.
Viertens. Heute ist die NATO aufgrund des russischen
Vorgehens für die Sicherheit Europas, insbesondere für
unsere östlichen Partner, wieder gefragt. Wir brauchen
mehr Europa in der Allianz. Die Verteidigungsausgaben
dürfen nicht weiter sinken, und sie müssen gleichzeitig
effizienter eingesetzt werden. Das geht nur - ich habe es
vorhin schon erwähnt - mit mehr transnationalen Fähigkeiten. Konzepte wie das der Rahmennationen und der
Smart Defence oder die jetzt beschlossene „Speerspitze“
bringen Deutschland in zusätzliche, auch militärische
Verantwortung. Sie bedeuten aber gleichzeitig auch
mehr Sicherheit für uns. Das ist die Gegenseite. Dem
müssen wir uns mit einer Reform des Parlamentsbeteiligungsgesetzes stellen. Ich gehe davon aus, dass wir noch
in dieser Legislaturperiode im Bundestag erneut über
diese Frage diskutieren werden.
Fünftens. Unsere außenpolitischen Interessen sind mit
unseren wirtschaftlichen Interessen eng verknüpft. Das
sollten wir auch offen sagen.
({13})
Ein Land, das ein Drittel seines Bruttoinlandsproduktes
- Herr Gehrcke, das habe ich gerade gesagt; ich sage es
gern noch einmal ({14})
über den Export erzielt, kann mit der Devise: „Wir
verdienen das Geld, sorgt ihr für die Sicherheit“ nicht
bestehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung wird mit ihrem außenpolitischen Handeln Deutschlands Verantwortung gerecht, gerade auch, wenn es um
eine schwierige sicherheitspolitische Entscheidung geht.
Allerdings müssen wir uns auch darüber im Klaren sein,
dass wir in unserer Bevölkerung noch mehr Verständnis
für die Wahrnehmung außen- und sicherheitspolitischer
Verantwortung wecken müssen.
Ich begrüße deshalb - zum Abschluss - ausdrücklich,
dass sich unser Bundespräsident mit seiner Autorität als
Staatsoberhaupt in diese Debatte einbringt.
({15})
Lieber Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Zudem
halte ich es für dringend geboten, dass wir einmal im
Jahr hier in diesem Haus eine sicherheitspolitische
Generaldebatte führen. Wir müssen uns öffentlich zu
unserer Verantwortung bekennen und auch öffentlich
darüber diskutieren und gegebenenfalls streiten, was
Verantwortung konkret heißt.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Frithjof Schmidt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben es angesprochen: Unsere Debatte ist geprägt durch die dramatische
Dichte der internationalen Krisen und Konflikte, die uns
alle umtreiben. Manches gerät dann auch ganz schnell
wieder aus dem Fokus: Mali, Zentralafrika, wo jetzt gerade eine UN-Mission ansteht, Südsudan, wo es leider
nichts Vergleichbares in diese Richtung gibt, jetzt neu
die Ebolakrise in Westafrika und die dramatischen Ereignisse im ganzen Nahen Osten. Übrigens gibt es auch
schlechte Nachrichten aus Afghanistan. Die meisten von
uns kommen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wenn
sie das alles noch genau verfolgen wollen. In wichtigen
Regionen befindet sich die postkoloniale Ordnung weit4668
gehend in Auflösung. Das alles ist mit schrecklichen
Verwerfungen und Opfern verbunden.
In Europa - auch das haben Sie treffend angesprochen - ist es nicht viel anders. Unser größter Nachbarstaat in Europa, Russland, setzt nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim seine Destabilisierung der
Ukraine bisher aktiv fort. Wir hoffen alle, dass der
Waffenstillstand in der Ostukraine hält und den Weg zu
einer friedlichen Lösung öffnet. Aber dazu ist es notwendig, dass Russland seine militärische Unterstützung
der Separatisten endgültig beendet und der ZwölfPunkte-Plan ganz umgesetzt wird.
({0})
Ich sage: Die Politik der Europäischen Union ist da ganz
richtig. Solange Russland dazu nicht bereit ist, ist es
richtig, die Verschärfung der Sanktionen gegenüber
Russland aufrechtzuerhalten, um Druck zu machen, auch
für weitere Verhandlungen.
({1})
Diesen Zusammenhang sollten wir nicht aus den Augen
verlieren. Das ist ein wichtiges Element der Politik. Da
kann ich dem Außenminister nur zustimmen.
Es ist auch wichtig, die Befürchtungen der östlichen
NATO-Partner in dieser Lage sehr ernst zu nehmen. Die
Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages gilt
für alle Mitglieder gleichermaßen; daran darf es keinen
Zweifel geben.
({2})
Die Einsatzbereitschaft der NATO kann dazu dienen,
solche Zweifel auszuräumen.
Aber wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht den
Fehler machen, in eine militärische Logik der Aufrüstung zu verfallen, wie sie manche ja schon fordern, und
dabei dann auch den politischen Dialog ad acta zu legen.
Deshalb wäre es ein ganz falsches Signal, die NATORussland-Grundakte zu kündigen, auch wenn Russland
mit seinem Vorgehen auf der Krim bereits massiv gegen
diese Vereinbarung verstoßen hat. Da unterstützen wir
ausdrücklich die Haltung, die die Bundesregierung auf
der NATO-Konferenz vertreten hat.
Die Diskussionen auf dem NATO-Gipfel in der letzten Woche geben jedoch auch Anlass zur Sorge. Der
scheidende Generalsekretär Rasmussen fordert massive
Erhöhungen der Rüstungsausgaben, und schon gibt es
auch Pläne, die geplante neue NATO-Raketenabwehr
nun doch auch auf Russland als Gegner auszurichten.
Das ist ein gefährliches Spiel mit der Eskalation. Das
kann einen neuen Rüstungswettlauf in Europa auslösen.
Das darf nicht sein.
({3})
In diesem Zusammenhang muss ganz klar sein: Die
NATO kann bei der Lösung der Ukraine-Krise keine
zentrale Rolle einnehmen. Das ist das falsche Feld. Hier
sind die Europäische Union und die OSZE gefragt. Sie
müssen gestärkt werden.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letzten
Woche haben wir in einer Sondersitzung über die dramatische Lage im Irak und in Syrien gesprochen. Es
bestand in diesem Haus, glaube ich, große Einigkeit
darüber, dass es richtig ist, die Kurden und die irakische
Zentralregierung in ihrem Kampf gegen die Radikalislamisten des ISIS zu unterstützen. Einen Dissens hatten
wir darüber, ob Waffenlieferungen dafür das richtige
Mittel sind. Sie wissen, dass die Mehrheit meiner Fraktion, wie so viele in Deutschland, dies wegen der großen
Proliferationsrisiken nicht glaubt. Deswegen haben wir
Ihrem Entschließungsantrag dazu nicht zugestimmt.
Aber richtig ist doch auch, dass eine politische Strategie her muss, die eine politische Lösung für diese Region skizziert. Was die Initiative von Präsident Obama,
die er gestern Nacht vorgestellt hat, betrifft - er wirbt für
ein breites Vorgehen gegen den IS im Irak und in Syrien
und sagt, dies solle ein zentrales Element der Politik der
USA werden -, sagen wir ganz klar: Entscheidend und
von zentraler Bedeutung ist hierfür ein UN-Mandat,
auch und gerade dann, wenn man eine regionale Einbindung aller Mächte dort erreichen will.
({5})
Ich hätte mir ein klares Wort von Ihnen, Herr Außenminister, dazu gewünscht, wie wichtig es ist, dass die
UNO hier im Spiel bleiben muss, ja eigentlich erst richtig ins Spiel kommen muss.
({6})
Wir fordern Sie auf, sich als Bundesregierung aktiv dafür einzusetzen, dies zu benennen und es deutlicher zu
sagen, als Sie es hier angedeutet haben. Nur so wird es
möglich sein, regionale Mächte, die man für eine Lösung
braucht, einzubinden. Wir reden da auch über SaudiArabien und den Iran. Wir alle wissen, dass wir ohne
diese regionalen Großmächte keine politische Lösung
erreichen können.
({7})
Die UNO ist dafür der entscheidende Rahmen. Hier darf
keine unilaterale Politik und keine Politik mit kleinen
Gruppen an der UNO vorbei gemacht werden. Der
UNO-Bezug muss ein zentrales Element der deutschen
Außenpolitik bleiben. Da vermissen wir noch einiges.
({8})
Es ist gut, dass es für die humanitäre Hilfe eine breite
Unterstützung im Bundestag gibt. Ich möchte noch einmal an das erinnern, was der Kollege Oppermann in der
Sondersitzung gesagt hat - ich zitiere mit Erlaubnis des
Präsidenten -:
Wir werden darauf achten, dass die humanitäre
Hilfe für diese Region immer deutlich höher ist als
die Waffenhilfe …
Daran werden wir Sie messen.
({9})
Und da muss ich feststellen: In dem Haushalt, den Sie
uns hier vorlegen, wird im Einzelplan des Auswärtigen
Amtes der Titel für humanitäre Hilfe um sage und
schreibe 38 Prozent gekürzt. Das ist in dieser internationalen Lage absurd.
({10})
Man fragt sich, wovon Sie bei dieser Kürzung denn eigentlich die versprochenen humanitären Hilfen finanzieren wollen.
Herr Außenminister, wenn Sie andeuten, Sie hätten
gern mehr Mittel, was ich verstehe und worin wir Sie unterstützen, frage ich Sie einmal umgekehrt: Warum legen
Sie uns denn dann überhaupt so einen Haushalt vor?
({11})
Das war doch vor wenigen Wochen nicht anders, sodass
wir das nicht hätten erkennen können. Wir hatten doch
genügend Zeit, das zu tun. Deswegen ist das ein schlechter Haushaltsentwurf, der uns hier vorgelegt wird.
({12})
Der Bedarf bei der humanitären Hilfe ist riesig. Die Vereinten Nationen und alle Hilfsorganisationen sagen, dass
die Hilfe - übrigens nicht nur in Syrien und im Nordirak - hoffnungslos unterfinanziert ist. Diese Kürzung,
meine Damen und Herren von der Koalition, müssen Sie
zurücknehmen.
({13})
Herr Außenminister, ich möchte noch zu wichtigen
Politikfeldern kommen, in denen wir scharfe Kritik an
Ihrer Politik haben. Da sind zuerst die transatlantischen
Beziehungen. Vor einem halben Jahr wollten Sie gerade
noch ein No-Spy-Abkommen mit den USA für den Verzicht auf gegenseitige Spionage erreichen. Nichts haben
Sie erreicht. Jetzt tun Sie einfach so, als wäre gar nichts.
Das ist peinlich. Es ist einfach nur peinlich, wie Sie damit umgehen.
({14})
Beim transatlantischen Handelsabkommen TTIP geht
es natürlich auch um eine zentrale Frage unserer Beziehungen zu den USA,
({15})
und das fällt auch in Ihr Ressort. Da frage ich Sie - da
müssen Sie auch als Außenminister Stellung beziehen
und können sich nicht hinter anderen Ministern verstecken -: Wollen Sie wirklich außergerichtliche Schiedsgerichtsverfahren mit wechselseitigen Schadensersatzklagen gegen neue Gesetze akzeptieren? Haben Sie
einmal überlegt, welche zerrüttende politische Wirkung
das für die transatlantischen Beziehungen in der Bevölkerung in Europa und übrigens auch in den USA auslösen kann? Das ist eine eminent wichtige außenpolitische
Frage. Da tauchen Sie als Außenminister einfach weg.
Das ist ein schwerer außenpolitischer Fehler.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer
Erlaubnis möchte ich eine Vorbemerkung machen. Herr
Kollege Gehrcke, wenn Sie hier den Eindruck erwecken
wollen, dass der deutsche Außenminister mit seinen Verhandlungen versucht haben sollte, Faschisten hoffähig
zu machen,
({0})
dann will ich Ihnen hier in aller Deutlichkeit sagen:
Meine Partei kämpft seit 150 Jahren in Deutschland und
international gegen die Faschisten. Wir werden uns diese
Unterstellung von Ihnen nicht gefallen lassen. Das
möchte ich Ihnen hier garantieren.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in den
letzten Monaten ja viel über die Grundsätze deutscher
Außenpolitik gesprochen worden, nicht immer sehr
trennscharf. Dabei liegt uns allen im Grundgesetz eigentlich eine sehr gute Definition vor. In der Präambel
heißt es, dass wir als gleichberechtigtes Glied in einem
vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen sollen.
Ich denke, dass dies eine gute Beschreibung ist. Deswegen, meine Damen und Herren, ist deutsche Außenpolitik auch immer Friedenspolitik.
Aber dieser Frieden ist gefährdet in Syrien, im Irak,
aber auch durch die Konflikte zwischen Israel und der
Hamas. Ich glaube, wir alle stimmen doch darin überein:
Vor wenigen Monaten hätte sich noch niemand vorstellen können, dass wir in der Ukraine eine Krise mit inzwischen mehreren Tausend Toten haben.
({2})
ISIS, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist
nicht nur eine Bedrohung für die Menschen in der betroffenen Region. Der umfassende Machtanspruch ist
auch eine Herausforderung für unsere freiheitlichen Gesellschaften.
({3})
Deswegen bin ich dankbar dafür, dass auch darauf
hingewiesen worden ist: Ohne dass wir uns auf die Beendigung des täglichen Sterbens der Menschen in Syrien
konzentrieren, werden wir dieses Problem nicht angehen
können.
Dafür brauchen wir in der Tat die Vereinten Nationen,
und ich hoffe, dass bei den Plänen, die der amerikanische Präsident jetzt vorgestellt hat, dieser politische Aspekt in Zukunft vielleicht eine stärkere Rolle spielen
wird.
({4})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, 3 Millionen
Syrerinnen und Syrer sind inzwischen in die Nachbarländer geflohen. Die Anzahl der Binnenflüchtlinge beträgt über 6 Millionen. Im Irak hat ISIS diese humanitäre
Katastrophe noch einmal zugespitzt; dort sind inzwischen 1,6 Millionen Menschen zu Flüchtlingen geworden.
Ich bin überzeugt davon, dass die tiefen Gräben in der
irakischen Gesellschaft - auch verstärkt durch die Politik
des ehemaligen Ministerpräsidenten al-Maliki - nur
überwunden werden können, wenn diejenigen, die jetzt
dafür sorgen wollen, dass alle an der politischen Macht
beteiligt werden, auch international unterstützt werden.
Die Entscheidung des irakischen Präsidenten ist dort sicherlich ein erster wichtiger Schritt; das ist auch von der
deutschen Politik deutlich gemacht worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Russland hat
in den zurückliegenden 20 Jahren schreckliche Erfahrungen mit islamistischem Terror gemacht. Doch statt
unsere gemeinsamen Ressourcen auf die Bekämpfung
dieses Problems zu konzentrieren, hat die russische Führung die Souveränität der Ukraine in eklatanter Weise
verletzt und hat dazu beigetragen, in Europa eine neue
politische Eiszeit auszulösen. Dieser Konflikt hat - ich
glaube, wir alle kennen das aus den Gesprächen in unseren Wahlkreisen - auch bei uns Ängste vor einer Rückkehr des Krieges in Europa ausgelöst. Deswegen ist der
vor wenigen Tagen vereinbarte Waffenstillstand ein
wichtiger Erfolg und ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung. Wir müssen alle Akteure auf der einen Seite
politisch unter Druck setzen, sie auf der anderen Seite
aber auch dabei unterstützen, jetzt alle Fragen Stück für
Stück auf den Verhandlungstisch zu packen und die Interessengegensätze, die es dort gibt, offen anzusprechen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, diese
Debatte ist auch der Ort - ich bin Herrn Schmidt dafür
dankbar, dass er darauf hingewiesen hat -, auf die Konflikte zu sprechen zu kommen, die es eben nicht jeden
Tag in die Abendnachrichten schaffen. Ich denke dabei
an Libyen, ich denke an Mali, an die Zentralafrikanische
Republik, aber auch an den Südsudan. Gerade im Südsudan ist die humanitäre Lage katastrophal. Seit dem Dezember 2013 hat sich die Lage erheblich verschärft. Inzwischen beklagen wir über 10 000 Todesopfer, darunter
viele Zivilisten; 1,3 Millionen Menschen sind auf der
Flucht; hinzu kommen noch knapp eine halbe Million
Flüchtlinge aus den Nachbarländern; knapp 4 Millionen
Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die
Vereinten Nationen gehen von einem Bedarf von
1,8 Milliarden US-Dollar aus.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich denke deswegen: Natürlich ist die Konsolidierung des Haushaltes - es ist ja in dieser Debatte häufig und auch zu Recht
darauf hingewiesen worden, wie wichtig die schwarze
Null ist - ein legitimes, ein wichtiges politisches Ziel.
Wir dürfen aber auch das millionenfache Leid der Menschen in den Konflikten, die ich benannt habe, und anderswo nicht vergessen.
({6})
Deswegen müssen wir uns in den kommenden Tagen
auch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die neuen
Erwartungen an die deutsche Außenpolitik und die Herausforderungen auch finanziell unterlegen.
({7})
Ich denke dabei im Wesentlichen an drei Punkte:
Erstens. Die Anforderungen an die deutsche Außenpolitik sind in der Tat dramatisch gestiegen, und wir
müssen das durch einen angemessenen Mittelaufwuchs
auch abbilden. Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Es
geht aus meiner Sicht unter anderem auch darum, auf die
veränderten Gefährdungslagen einzugehen. Wir müssen
zum Beispiel auch unsere deutschen Auslandsvertretungen angemessen ausstatten und schützen.
Zweitens. Wir müssen und werden auch mehr humanitäre Hilfe leisten. Ich will einmal darauf hinweisen,
dass wir im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Irak und in Syrien und der Debatte über ISIS ja
auch darüber gesprochen haben, dass staatliche Strukturen infrage gestellt werden, dass sie zusammengebrochen sind, dass wir es in vielen Bereichen der Welt mit
Konflikten zu tun haben, in denen es verlässliche Strukturen, die uns überhaupt in die Lage versetzen, Krisen zu
managen, nicht mehr gibt. Deswegen müssen wir dort,
wo zum Beispiel das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen quasi staatliche Aufgaben übernommen hat,
unsere Hilfe auch weiter ausbauen.
({8})
Drittens. Zivile Konfliktvermeidung und Konfliktverhütung - dazu gehören auch Instrumente wie die Auswärtige Kulturpolitik - müssen weiter das Zentrum der
deutschen Außenpolitik bilden, ich denke, auch damit
wir den Auftrag des Grundgesetzes erfüllen können, als
gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem
Frieden der Welt zu dienen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({9})
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke
das Wort.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Ich weiß, Herr Kollege Annen, dass Sie aus Ihren Reihen den Auftrag mit
ans Rednerpult genommen haben, mich in dieser Frage
zurechtzuweisen.
({0})
Sie haben sich ordentlich bemüht, aber es entsprach leider nicht dem, was ich gesagt habe.
Ich habe nicht gesagt, dass der Außenminister und
seine Partei oder die Koalition, die ihn trägt, die Nazis in
der Ukraine salonfähig gemacht haben; ich denke noch
nicht einmal so. Ich reagiere auf diese Frage so allergisch, weil ich aus der Geschichte der Linken in
Deutschland weiß, dass dieser Vorwurf, dieser gegenseitige Vorwurf, verhängnisvoll zur Spaltung der Linken
beigetragen hat.
({1})
Das will ich nicht, und deswegen weise ich das zurück;
ich denke noch nicht einmal so.
Ich habe kritisiert, dass die Bundesregierung der
ukrainischen Regierung nicht deutlich genug klar gemacht hat, dass Deutschland nicht mit einer Regierung
kooperieren wolle, die viele Minister aus einer Partei
hat, die immerhin eine Parteischule unterhalten hat, die
sich den Namen „Goebbels“ gegeben hat. Das finde ich
entscheidend.
Ich habe kritisiert, dass dieser Außenminister nicht
genügend klar gesagt hat, dass in der Ukraine Schluss
sein muss mit den Möglichkeiten sogenannter Freiwilligenbataillone, die jetzt in der Ostukraine kämpfen und
sich auf den Faschisten Bandera berufen.
Ich möchte eine Trennschärfe, wie sie Verheugen vorgeschlagen hat. Im 21. Jahrhundert kooperiert man nicht
mit Regierungen, denen Nazis angehören.
Das ist das, was ich hier sagen wollte und ausgedrückt
habe, und dabei belassen wir es dann auch.
({2})
Herr Kollege Gehrcke, zunächst darf ich Sie darauf
hinweisen, dass ich selber entscheide, was ich am Podium sage.
({0})
Zweitens. Auch mit Ihrem Redebeitrag gerade eben
haben Sie wieder eine Verknüpfung hergestellt, von der
ich nur annehmen kann, dass sie bei denjenigen, die uns
hier zuhören, eine bestimmte Assoziation auslösen soll,
und das muss ich einfach zurückweisen.
({1})
Ihre Fraktion hat sich in vielen Debatten in diesem
Haus immer dafür ausgesprochen, mit allen sprachfähig
zu sein. Wir alle erinnern uns vielleicht an die dramatische Situation, in der der deutsche, der polnische und der
französische Außenminister in einer diplomatischen Initiative versucht haben, das, was jetzt eskaliert ist, in letzter Minute noch zu verhindern. Es ist doch nicht der
deutsche Außenminister, der darüber entscheidet, wer
welche Delegation zu Verhandlungen entsendet, mit der
man sich auf einen Waffenstillstand und auf eine politische Lösung zu verständigen versucht.
Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie diese
Form der Aneinanderreihung von Argumenten in Zukunft, wenn das, was Sie gesagt haben, wirklich Ihrer Intention entspricht, einfach unterlassen würden.
({2})
Niemand hat vor, diese Form der Politik und der rechtsradikalen Äußerungen, die es in der ukrainischen Regierung und in der ukrainischen Politik natürlich gibt und
die wir alle hier zurückgewiesen haben, zu legitimieren.
Insofern finde ich nach wie vor - wir können das ja im
Protokoll nachlesen -, dass Ihre Bemerkung dazu unangemessen war.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Stefan Liebich für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
Reden des Außenministers, von Herrn Schmidt, von
Herrn Annen und - gestern - von Frau Brugger haben
alle sehr ähnlich begonnen: Sie beschreiben die Konflikte, die es überall auf der Welt gibt. Die Länder werden genannt - ich will sie hier nicht noch einmal wiederholen -, und wir stellen fest, dass die Konflikte von
heute entlang anderer und nicht mehr so scharf gezogener Linien verlaufen, wie das in vergangenen Zeiten einmal der Fall gewesen ist.
Es gibt religiös verbrämte Kämpfer, marodierende
Banden, nichtstaatliche Akteure und private Sicherheitsdienste. Die Konflikte, die wir heute haben, sind für
viele Menschen in der Tat nicht mehr verständlich. Sie
kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen und aus den Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern: Viele Menschen
haben wieder Angst, wenn sie die Tagesschau sehen; sie
sind verunsichert.
Manche Kollegen sagen: Ach, wie einfach war doch
die Welt, als sie noch in zwei Blöcke geteilt war! - Ich
möchte Ihnen sagen: Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind.
Ja, wir haben andere Zeiten. Auch unsere Außenpolitik muss sich ändern; wohin, das debattieren wir hier,
auch kontrovers. Dass Sie, Herr Steinmeier, als Außenminister in der EU, in der NATO und auch in der Koalition, wie ich eben während der Rede des Kollegen
Schockenhoff festgestellt habe, nicht der Scharfmacher
sind, will ich Ihnen gerne zugestehen.
({0})
Trotzdem müssen wir hier als Opposition am Ende nicht
die Reden bewerten, sondern die Beschlüsse. Die Beschlüsse, die Sie fassen und die Sie mitzuverantworten
haben, finden wir im Ergebnis falsch.
Ja, Russland hat in der Krise um die Ukraine von Beginn an falsch und völkerrechtswidrig gehandelt.
({1})
Trotzdem finden wir die Antworten, die Sie darauf
geben, falsch. Sanktionen zu verhängen, die NATO als
Speerspitze zu bezeichnen, die Verteidigungsetats zu erhöhen, hilft keinem Menschen in der Ukraine.
({2})
In einer immer kriegerischer und unberechenbarer
werdenden Welt müsste unsere Antwort doch sein, alles
für den Frieden zu tun. Alles, was Kriege verlängert,
müsste unterlassen werden, und alles, was sie beenden
hilft, müsste geleistet werden. Stattdessen genehmigt
unsere Bundesregierung, auch Sie, Herr Steinmeier,
Waffenverkäufe aus Deutschland in Krisengebiete und
an Diktaturen. Nun brechen Sie noch ein weiteres Tabu.
Sie können sich über Frau Göring-Eckardts Rede von
gestern ärgern, aber es ist einfach wahr: Es ist das erste
Mal, dass Tausende Waffen - Maschinengewehre, Pistolen und Granaten - mitten in ein Kriegsgebiet geliefert
werden. Das ist der falsche Weg.
Dass Sie hier die richtigen Fragen stellen, spreche ich
Ihnen nicht ab. Sie fragen: Was ist, wenn ISIS den
Kampf gewinnt? Was ist, wenn ISIS die Waffen erbeutet? Was ist, wenn durch ISIS irgendwann in Jordanien,
Libanon oder Israel neue Bedrohungssituationen entstehen? Was ist, wenn sich die kurdischen Fraktionen plötzlich gegen den Irak oder gegen die Türkei wenden?
Diese Fragen benennen Sie von der Koalition und sagen:
Diese Risiken gibt es. - Die Antworten darauf bleiben
Sie allerdings schuldig.
({3})
Dann wird immer gefragt, ob man einfach wegschauen wolle. Ich glaube, diese scheinbare Alternativlosigkeit ist falsch. Es gibt immer Alternativen, auch in
diesem Konflikt. Ich werde Ihnen eine nennen.
Wenn Sie in Berlin-Neukölln beobachten würden,
dass eine Gruppe von Kurden von gewalttätigen Islamisten angegriffen wird, dann käme niemand von Ihnen auf
die Idee, den Kurden Pistolen in die Hand zu drücken.
Jeder würde sagen: An dieser Stelle muss man die Polizei rufen. - Die Polizei in unserer Weltordnung ist die
UNO.
Sie ist übrigens extra dafür gegründet worden. Ich zitiere den Beginn der UN-Charta, in der folgende Ziele
genannt werden:
den Weltfrieden und die internationale Sicherheit
zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des
Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken …
Das ist die Aufgabe der UNO. Die UNO muss endlich
handeln. Herr Steinmeier, es ist sehr nett, dass Sie unserem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi hier recht
geben, aber Sie müssten dann auch in diese Richtung
wirken.
Ich komme damit auf einen Punkt zu sprechen, den
schon einige Redner erwähnt haben. Die Strategie, die
Präsident Obama heute Nacht verkündet hat, finde ich
nicht richtig. Sie ist hilflos, sie ist falsch, und sie wird
auch nicht wirksam sein. Der Präsident hat wieder verkündet, dass es eine Koalition der Willigen geben soll.
Er hat in einem Nebensatz der UNO eine Nebenrolle zugebilligt. Niels Annen, Sie haben das ganz leicht kritisiert, aber das reicht eben nicht. Man muss dann auch
Konsequenzen folgen lassen.
Barack Obama hat verschwiegen, dass sein Vorgänger
Bush das ganze Unheil zu verantworten hat. Er ignoriert
die Verantwortung seiner Verbündeten Türkei und
Saudi-Arabien für den Zustrom an Kämpfern und Geld
an ISIS. Wie man mit Rebellen, die gleichzeitig gegen
ISIS und Assad kämpfen sollen, aber teilweise selbst mit
der islamistischen Al-Nusra-Front verbunden sind, gewinnen will, bleibt sein Geheimnis. Herr Schockenhoff,
statt hier Ergebenheitsadressen an Barack Obama auszusenden,
({4})
möchte ich Sie bitten, auf die Rolle der Vereinten Nationen zu pochen. Das haben Sie unterlassen. Das finde ich
sehr schade. Das Völkerrecht weiter zu untergraben,
kann nicht im Interesse unserer Welt sein.
({5})
Was im Staat das Recht ist, das ist zwischen den Staaten
das Völkerrecht. Das muss immer gelten und darf nicht
nur da gelten, wo es einem gerade passt.
({6})
Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Redezeit.
Ich komme zum Schluss. - Wir hoffen, Herr
Steinmeier, dass Sie Ihre Strategie über die gewachsene
Verantwortung unseres Landes noch einmal überdenken.
Unterlassen Sie die Waffenexporte in alle Welt! Wir wollen keine Rüstungswettläufe mit den USA, mit Russland,
China oder Frankreich. Gehen Sie stattdessen voran,
wenn es um Ideen zur Vermeidung von gewaltsamen
Konflikten und zur friedlichen Lösung von Konflikten
geht! Stärken Sie die Menschenrechte, und achten Sie
das Völkerrecht!
Vielen Dank.
({0})
Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit diesen weltfremden und realitätsfernen Vorschlägen meines Vorredners will ich mich gar nicht auseinandersetzen.
({0})
Die deutsche und die europäische Außenpolitik stehen vor und in gewaltigen Herausforderungen. Wenn wir
heute rund um den Globus schauen, sehen wir die Welt
in zu vielen Regionen in dramatischer Situation, und
zwar nicht nur in entfernten Ländern, sondern auch so
erschreckend nah, dass es uns unter die Haut geht, nämlich im Osten unseres eigenen Kontinents, in Europa.
Gleichzeitig erinnern wir uns in diesem Jahr an ganz
wichtige historische Daten, darunter zwei große, die mit
Krieg zu tun haben. Gestern fand hier im Deutschen
Bundestag die Gedenkstunde zum Beginn des Zweiten
Weltkriegs vor 75 Jahren statt. Der polnische Präsident
Bronislaw Komorowski hat in seiner sehr bemerkenswerten Rede nicht nur den Wert und das Wunder der
Versöhnung und des Miteinanders hervorgehoben,
sondern er hat uns auch sehr gemahnt, dass wir alle in
Europa die gemeinsame Aufgabe haben, die aktuelle
Bedrohung auf unserem Kontinent auch aus den Lehren
der Vergangenheit heraus zu bewältigen.
Für die deutsche Außenpolitik waren und sind auch
deshalb militärische Mittel keine Option zur Bewältigung der Ukraine-Krise. Ich danke der Bundesregierung
für ihren unermüdlichen diplomatischen Einsatz rund
um die Uhr in zahllosen Gesprächen und Verhandlungen, um befriedend einzuwirken. Das kostet viel Geduld,
das kostet Nerven, zumal wenn das Gegenüber über
einen langen Zeitraum mündliche Zusagen macht, die
Taten aber die geradezu entgegengesetzte Sprache sprechen. Im Volksmund würde man schlicht von „Lüge“ reden.
Unsere Bundesregierung hat alles, aber auch alles darangesetzt, um die Gemeinsamkeiten insbesondere der
Europäischen Union in dieser nicht ungefährlichen Lage
zu erhalten und diese Gemeinsamkeiten sogar noch zu
stärken. Eine unverzichtbare Stütze für diesen ganzen
Problemkreis waren und sind natürlich die Vereinigten
Staaten von Amerika und auch die NATO für uns gewesen. Heute scheint es, als trügen die diplomatischen Bemühungen und die unverzichtbaren Sanktionen - sie
sind unverzichtbar, will ich zur Linken hin sagen ({1})
gegen die russische Annexionspolitik langsam Früchte.
Ich sage ganz ausdrücklich, dass es sich nicht um eine
Politik gegen Russland und seine Menschen handelt,
sondern es handelt sich um die unverantwortliche
Machtpolitik des Kremls, gegen die wir agieren müssen.
({2})
Es gibt in Deutschland viele Sympathien für Russland
und für seine Kultur. Ich liebe Tschaikowsky und seine
6. Sinfonie. Es geht mir das Herz auf, wenn ich dieses
Werk höre. Die Werke von Dostojewski und Tolstoi sind
auch für uns hier in Deutschland unverzichtbare Weltliteratur. Unsere deutsche Außenpolitik hat auch in den
vergangenen Monaten durch unseren Außenminister und
die Bundeskanzlerin sehr deutlich gemacht, dass die Türen für ein gutes Miteinander zu Russland offen sind und
dass diese Türen offen bleiben sollen.
Was uns alle antreibt, ist aber auch der Wille, deutlich
zu machen, dass das Völkerrecht, dass die Menschenrechte auf unserem Kontinent verteidigt werden müssen
und dass wir bereit sind, sie zu verteidigen.
({3})
Alle in Europa müssen die Souveränität von Staaten und
die Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen respektieren.
Sonst, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wird es
kein dauerhaftes friedliches Miteinander auf unserem
Kontinent geben können.
Wenn nun unser Blick in den Nahen Osten und in den
arabischen Raum oder nach Afrika geht, verstummen einem fast die Worte vor dem Entsetzlichen, was dort geschieht. Nur wenige Beispiele: die Gewaltexzesse der
menschenverachtenden Terrormiliz „Islamischer Staat
im Irak“ und sogar darüber hinaus, der Bürgerkrieg in
Syrien, die Massaker im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Die Triebkraft der Gewalt ist in
diesen Gebieten weitgehend religiöser Fanatismus. Samuel Huntingtons These von einem Kampf der Kulturen
als neue Bruchlinie und Hauptursache für Konflikte und
für politische Instabilität scheint sich in diesen Regionen
erschreckend zu bestätigen.
Das macht vor unseren Türen nicht halt, wenn wir
nicht wachsam sind. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“
fordert von Andersgläubigen das Konvertieren zum
Islam ein, ansonsten drohten Tod, Vertreibung, Enteignung. Deshalb muss es uns hier in Deutschland alarmieren, dass in Wuppertal eine sogenannte Scharia-Polizei
in der Innenstadt eine „Scharia-kontrollierte Zone“ für
Muslime propagierte und die strenge Einhaltung von
muslimischen Verhaltensregeln einforderte. Das ist eine
Vorstufe dessen, was wir im Irak in ganz entsetzlicher
Form erleben. Gegen diese religiöse Intoleranz muss unser Staat genauso konsequent vorgehen wie gegen die
Bedrohung von christlichen Flüchtlingen in Asylbewerberheimen durch muslimische Flüchtlinge.
({4})
Es kann doch nicht sein und es darf auch nicht sein, dass
wir in Deutschland durch importierte Intoleranz unsere
Werte aushebeln lassen.
({5})
Der Satz „Wehret den Anfängen!“ gilt auch hier.
Die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge ist in
Deutschland deutlich gestiegen. Wir brauchen zügige
Verfahren, und die Anträge müssen baldmöglichst entschieden werden. Wir können erkennen: Die Hilfsbereitschaft hier im Lande ist wirklich groß. Das liegt auch
daran, dass viele Millionen deutsche Heimatvertriebene
und Aussiedler sowie deren Kinder wissen, was es
bedeutet, heimatlos und entwurzelt zu sein. Deshalb
begrüße ich sehr - ich bedanke mich dafür bei der Bundesregierung -, dass ein jährlicher Gedenktag für die
Opfer von Flucht und Vertreibung beschlossen wurde
und dabei insbesondere an das Schicksal der deutschen
Heimatvertriebenen erinnert werden soll.
({6})
Gerade im Hinblick auf künftige Generationen ist es gut,
dass dieser Gedenktag jährlich am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, begangen wird. Damit wird das wichtige
Signal gesetzt, dass Menschenrechte unteilbar sind. Die
deutschen Heimatvertriebenen stehen an der Seite der
heutigen Vertriebenen weltweit und fühlen mit ihnen.
Mit Erschrecken müssen wir erkennen, dass Vertreibung keine Vokabel von gestern ist; Vertreibung stellt
vielmehr eine wachsende Herausforderung für die Zukunft und die ganze Weltgemeinschaft dar.
({7})
Mehr als 51 Millionen Menschen sind weltweit auf der
Flucht oder werden vertrieben. Aufnahmeprogramme in
Deutschland sind da ein Zeichen des guten Willens und
der Hilfsbereitschaft, aber sie können nur ganz marginal
die Not für sehr wenige lindern, selbst wenn wir die
Programme aufstocken. Wichtig und richtig ist deshalb
der Weg der Bundesregierung und der deutschen Außenpolitik, alles Erdenkliche zu tun, um den Bedrängten vor
Ort zu helfen und dort befriedend einzuwirken.
Das zentrale Ziel unserer Politik und der Völkergemeinschaft muss die Durchsetzung des Heimatrechts der
Minderheiten auch im Irak sein.
({8})
Alles andere würde den IS-Terroristen mit ihren Vertreibungen und ihrer perfiden Strategie in die Hände spielen. Das können wir nicht wollen. Auch die Repräsentanten der irakischen Minderheiten im Lande selbst und
hier bei uns in Deutschland sehen das so und fordern,
dass Jesiden und Christen in ihrer angestammten Heimat
eine Zukunft haben müssen. Wir müssen also vor allem
vor Ort helfen, um den Menschen dort eine Perspektive
zu geben, damit die jahrhundertealten religiösen und
kulturellen Traditionen bewahrt werden können. Dem
trägt die Bundesregierung mit ihrer Kombination aus humanitärer Hilfe und Stärkung der militärischen und politischen Kapazitäten des irakischen Staates Rechnung.
Diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen.
Alles in allem stelle ich fest: Die deutsche Außenund Menschenrechtspolitik nimmt ihre Verantwortung in
der Völkergemeinschaft für Deutschland wahr und zeigt
sich solidarisch mit den Flüchtlingen.
Frau Kollegin!
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. - Die Bewahrung des Friedens für Deutschland und für Europa ist
eine Aufgabe, die bei dieser Bundesregierung in sehr guten Händen liegt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Tobias Lindner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin im
Sommer 2011 Mitglied dieses Hohen Hauses geworden.
Das war zu einem Zeitpunkt, als sich die Euro-Krise auf
dem Höhepunkt befand. Damals schien es, als sei Außenpolitik ein Politikfeld, das aus der Mode gekommen
sei und nicht mehr hoch im Kurs stünde. Man muss
heute, drei Jahre später, mit Bedauern feststellen: Dem
ist nicht so. Ich sage deswegen „mit Bedauern“, weil der
Anlass - das merkt man auch an dieser Debatte - eine
Parallelität an internationalen Krisen ist, wie wir sie bisher kaum erlebt haben.
Außenpolitik besteht vielfach aus Diplomatie. Miteinander zu reden oder zu telefonieren, kostet nicht viel; es
kostet nahezu gar nichts. Dennoch geht es bei der Wirksamkeit von Außenpolitik vielfach auch um Geld und
um Haushaltsmittel. Wenn wir in Deutschland über mehr
Verantwortung in der Welt diskutieren, dann muss dieses
Mehr an Verantwortung für ein Land mit unserer Wirtschaftskraft auch bedeuten, dass wir in der Liste der Geberländer für humanitäre Hilfe und bei anderen Zahlungen nicht immer weiter nach unten rutschen. Wir müssen
unserer Verantwortung auch an dieser Stelle gerecht
werden.
({0})
Für das Haushaltsjahr 2013 haben wir 335 Millionen
Euro für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Ich denke, in einem Punkt geht es uns allen ähnlich: Normalerweise hat
man als Politiker immer gerne recht.
({1})
Ich muss gestehen: Als ich im Rahmen der Haushaltsberatungen für das Jahr 2014 beantragt habe, die Gelder für
humanitäre Hilfe, die im Haushalt 2014 nur noch
303 Millionen Euro betragen, zu erhöhen, hätte ich mich
gerne geirrt. Ich hätte mich in der Annahme, dass wir
mehr brauchen werden, gerne geirrt. Ich hätte gerne einen Haushalt gehabt, der mehr Mittel für humanitäre
Hilfe bereitstellt, damit der Minister am Ende des Jahres
sogar noch Geld zurückgeben kann, wie das im Verteidigungsministerium der Fall ist. Es ist beschämend, zu sehen, dass wir für das Jahr 2014 im Bereich der humanitären Hilfe unplanmäßige Ausgaben haben werden.
({2})
Herr Steinmeier, Sie haben uns für 2015 einen Haushalt vorgelegt, in dem nur noch 187 Millionen Euro für
dieses Feld vorgesehen sind. Frithjof Schmidt sprach
schon von einer 38-prozentigen Kürzung. Ich fordere Sie
auf: Wickeln Sie es nicht wieder über überplanmäßige
Ausgaben ab! Beenden Sie die Achterbahnfahrt im Bereich der humanitären Hilfe!
({3})
Hier geht es nicht um Zahlen. Hier geht es um ganz konkrete Schicksale. Hier geht es um Menschen. Die Hilfsorganisationen, die Hilfe leisten sollen, brauchen endlich
Planbarkeit. Deswegen muss dieser Mittelansatz deutlich erhöht werden.
({4})
Frau Kollegin Steinbach, Sie haben davon gesprochen, dass man auch an die Ursachen von Flucht und
Vertreibung denken muss. Andere Kollegen sprachen
davon, dass wir früher reagieren müssen. Es geht daher
nicht, dass die Mittel für Krisenpräventionen in diesem
Haushaltsplan ebenfalls heruntergefahren werden sollen.
Wir Grüne fordern schon seit Jahren und werden das im
Rahmen dieser Haushaltsberatungen auch wieder beantragen, dass man endlich einen Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ einrichtet.
({5})
Die Kompetenzen, die im Auswärtigen Amt, im Innenministerium - ich denke da vor allen Dingen an die
Polizeiausbildung -, im Verteidigungsministerium und
vor allem auch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorhanden sind,
müssen wir anhand von ressortübergreifenden Mitteln
stärken. Wir müssen an dieser Stelle für vermehrte Zusammenarbeit und für Kooperationen sorgen.
({6})
Wir Grüne werden in den anstehenden Haushaltsberatungen, auch wenn ich heute auf dem Feld der Außenpolitik viel Einigkeit gesehen habe, den Finger auf die
Wunde legen. Wir werden ganz konkret aufzeigen, wo
wir weniger Geld in anderen Ressorts ausgeben würden,
um die deutsche Außenpolitik, die humanitäre Hilfe und
die Krisenprävention auch finanziell zu stärken, damit
Deutschland an dieser Stelle seiner Verantwortung in der
Welt gerecht wird.
Ich danke Ihnen.
({7})
Frank Schwabe erhält das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, es ist eine Haushaltsdebatte. Bei einer Haushaltsdebatte geht es um die Generallinien der Politik. Es
geht aber eben auch darum, wie diese Generallinien der
Politik im Haushalt abgebildet werden. Ich will gleich
am Anfang mit der Tür ins Haus fallen: Es ist vielfach
gesagt worden, dass der Ansatz für die humanitäre Hilfe
zu gering ist. Hier muss innerhalb der Haushaltsberatungen - dafür sind es ja auch Haushaltsberatungen des Parlaments - deutlich aufgestockt werden; das ist völlig
klar.
({0})
Man muss Deutschland loben, weil die Ansätze in den
letzten Jahren durchaus deutlich erhöht worden sind und
Deutschland wirklich eine führende Rolle bei der humanitären Hilfe spielt. Aber die Herausforderung ist vielfach benannt worden in dieser Haushaltsdebatte, auch
gestern Abend in der Debatte zur Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt 51 Millionen Flüchtlinge weltweit.
Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Es
gibt noch viel mehr Hilfsbedürftige. Die Vereinten Nationen schätzen, dass wir allein im Jahr 2014 etwa
17 Milliarden US-Dollar brauchen, um den Bedarf an
humanitärer Hilfe zu decken. Das Schlimme an dieser
Zahl ist eigentlich, dass dieser Bedarf zurzeit erst zu
40 Prozent gedeckt ist. Das heißt umgekehrt: 60 Prozent
des Bedarfs sind nicht durch entsprechende Mittel gedeckt. Das bedeutet letztendlich, dass wir - nicht wir alleine, aber mit anderen in der Weltgemeinschaft - über
Leben und Tod von Hunderttausenden von Menschen
entscheiden. Das ist so. Deswegen geht es hier wirklich
nicht um Zahlenhuberei, sondern ganz konkret um das
Schicksal von Menschen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es
richtig, dass wir im Deutschen Bundestag über Mandate
der Bundeswehr diskutieren, sehr engagiert und heftig
über Waffenlieferungen in den Irak diskutieren, über Afghanistan-Mandate und anderes. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir, wenn man die Dimension der
Herausforderungen und die Möglichkeit, Menschen zu
helfen, bedenkt, mit ähnlicher Intensität eben auch über
die Einsätze im Bereich der humanitären Hilfe international diskutieren,
({1})
über das, was gut läuft, aber eben auch darüber, wo wir
zukünftig noch helfen können. Denn es ist vollkommen
klar: Mit Waffengewalt werden wir Not und Elend in der
Welt nicht besiegen, mit humanitärer Hilfe im Übrigen
auch nicht. Aber wir können verdammt viel tun, um das
Leid und das Elend der Menschen zu mindern. Insofern,
glaube ich, ist beim Finanzminister auch der Ruf des gesamten Hauses heute gehört worden.
({2})
Ich will auf das Thema Ebola eingehen. Aktuell sind
Hunderttausende von Menschen bedroht, nicht nur durch
die Krankheit Ebola selbst, sondern auch dadurch, dass
sehr viele Menschen in den vier betroffenen westafrikanischen Staaten zurzeit überhaupt nicht mehr behandelt
werden. Wenn sie mit einer Erkältung, mit einem
Schnupfen oder mit schlimmeren Erkrankungen zum
Arzt gehen, werden sie zum Teil überhaupt nicht mehr
behandelt. Es erreichen uns dramatische Appelle, zum
Beispiel der Ärzte ohne Grenzen, die dort engagiert sind.
Ihnen möchte ich wirklich einmal stellvertretend für
viele danken. Diese Menschen setzen täglich ihr Leben
aufs Spiel. Vielen Dank für diese Arbeit!
({3})
Die Botschaft, die uns erreicht, ist, dass sie sich alleingelassen fühlen. Mittlerweile gerät die Situation in
Westafrika völlig aus den Fugen. Mich hat gestern ein
Brief von Dr. Amegashie erreicht - ich habe ihn auch
gleich weitergeleitet an den Außenminister -, der dringend um Schutzkleidung, Ambulanzfahrzeuge und anderes bittet. Er beschreibt konkret, woran es eigentlich
mangelt. Mir ist vollkommen klar, dass man die Hilfe
über die WHO koordinieren muss. Trotzdem frage ich
mich, ob wir eigentlich genug tun, ob es eigentlich nicht
viel schneller gehen könnte, Schutzanzüge zu liefern,
Fahrzeuge zu liefern, Medikamente zu liefern, Diagnoseeinrichtungen zu liefern. Ich glaube, dass Europa und
auch Deutschland in den nächsten Wochen mehr tun
müssen, sehr viel mehr tun müssen.
({4})
Ich will zum Schluss - ich muss mich ja zeitlich etwas beschränken - noch auf die Situation der Flüchtlinge vor Ort aufmerksam machen. Natürlich wollen wir
den Menschen in den Herkunftsländern helfen - gar
keine Frage. Deswegen müssen wir ja die Mittel für die
humanitäre Hilfe und die Nothilfe massiv erhöhen. Am
Ende wird es aber trotzdem so sein, dass viele Menschen
den beschwerlichen Weg auf sich nehmen und zu uns
kommen, wenn sie nicht jammervoll im Mittelmeer ertrinken oder in der Türkei, in Jordanien oder in anderen Ländern landen. Mein Eindruck ist, dass - auch bei uns - mit
Blick auf die Situation der Flüchtlingsunterkünfte, aber
auch auf das Verständnis der Menschen vor Ort noch viel
getan werden muss.
Ich habe gestern sehr intensiv mit einer Schulklasse
aus meinem Wahlkreis diskutiert. Mein Eindruck ist,
dass noch nicht richtig angekommen ist, welchem Elend
die Menschen ausgesetzt sind, um die es sich hier handelt. Ich fordere uns alle auf - ich glaube, das ist unsere
Aufgabe -, in den Wahlkreisen mit den Menschen, mit
den Kirchen, mit vielen gesellschaftlichen Organisationen zu diskutieren, um mit Blick darauf, was in der Tat
- ob wir es wollen oder nicht - in den nächsten Wochen
und Monaten auf uns zukommt, ein entsprechendes
Klima zu schaffen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Seif für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung in der Ukraine und das rücksichtslose Vorgehen Putins zeigen, dass Russland rote Linien überschreitet, dass Völkerrecht gebrochen wird - Entsendung von
Söldnern, Soldaten und Waffen; wir haben bereits im
Einzelnen darüber diskutiert. Die Anrainerstaaten Russlands sind wachgerüttelt. Sie machen sich ernsthaft Sorgen; sie sehen eine ernste Bedrohung.
Auch in Deutschland - gestern gab es dazu eine Onlineumfrage - macht sich ein Großteil der Bevölkerung
Sorgen über die weitere Entwicklung, auch um Europa.
Aber geht tatsächlich eine aktuelle Bedrohung von Russland aus, die uns, die NATO-Staaten, die EU-Staaten, betrifft? Steht die Besetzung von Estland, Lettland, Litauen
unmittelbar bevor? Ist die Situation gar vergleichbar mit
der in Ungarn 1956 oder in der Tschechoslowakei 1968?
Ganz eindeutig: nein. Putin steht zwar für Machtmissbrauch und Korruption, für Zentralismus, Verletzung der
Menschenrechte, Gleichschaltung der Medien, politisch
motivierte Gerichtsurteile und Bruch des Völkerrechts,
es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Putin Staaten
der Europäischen Union destabilisieren oder/und sie sogar besetzen will.
Die Annexion der Krim und die russischen Aktionen
auf ukrainischem Staatsgebiet dienen vielmehr einem
handfesten machtpolitischen Ziel: Russland will seinen
territorialen Einflussbereich in der Region abstecken.
Russland sieht natürlich eine hohe strategische, militärische Bedeutung der Krim - ein Militärstützpunkt für
Schwarzes Meer und Mittelmeer. Diesen galt es aus russischer Sicht zu sichern. Russland will die Ukraine als
Nachbar schwächen, um in der Region die Vormachtstellung zu bewahren.
Wenn es Putin aber tatsächlich darum ginge, Meter
für Meter Gebiet zu erobern und zu halten, dann wäre
der Friedensplan, der jetzt in der Ukraine in der Umsetzung ist, nicht nachzuvollziehen. Die russischen Kräfte
- das wird beobachtet - ziehen sich zurück. Das wäre
nicht nachzuvollziehen, wenn tatsächlich eine unmittelbare Bedrohung für Europa in Gänze bestünde. Niemand
weiß aber, wie sich die russische Politik weiterentwickeln wird. Russland rüstet auf. Russland hat seine Nuklearfähigkeiten reaktiviert. Russland ist im Moment
dabei, Waffen einzukaufen, zu modernisieren. Und
Russland kann in der Zukunft gegebenenfalls, bei einer
anderen Ausrichtung, gefährlich werden.
Die Bundeskanzlerin hat mit Blick auf die baltischen
Staaten noch einmal deutlich die Beistandspflicht betont.
Meine Damen und Herren, das ist nicht lediglich ein
Papiertiger, eine Wiederholung der Vertragstexte des
NATO- und des EU-Vertrages, nein. Wir sind zwar verpflichtet, Beistand zu leisten, aber alle Juristen sind sich
einig: In den Verträgen ist keine konkrete Art der Verpflichtung, in welchem Umfang und wie man sich beteiligen muss, vorgeschrieben. Deshalb war die Botschaft
der Bundeskanzlerin an dieser Stelle sehr wichtig.
({0})
Die Botschaft für uns lautet: Wir lassen keinen Partner im Stich. Im Notfall sind wir solidarisch und stehen
alle gemeinsam beieinander. Aggression, Angriff und
Bruch des Völkerrechtes darf es nicht geben. Wir werden uns alle mit allen Möglichkeiten und Fähigkeiten dagegen zur Wehr setzen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir haben die Bundeswehr bekanntlich neu ausgerichtet. Wir haben aber bis
heute - der Kollege Schockenhoff hat es angedeutet keine sicherheitspolitische Generaldebatte bzw. Strategiedebatte geführt. Gemeinsam mit dem Kollegen
Roderich Kiesewetter - er ist heute auch anwesend - bin
ich der Auffassung, dass wir gerade angesichts der aktuellen Entwicklung dringendst im Bundestag eine Strategiedebatte zu führen haben.
Erstens. Wie definiert Deutschland seine außen- und
sicherheitspolitischen Aufgaben? Zweitens. Welche
Zielrichtung folgt aus diesen außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands? Drittens. Welche Regionen sind im Fokus? Viertens. Welche zivilen und militärischen Instrumente - die Kombination ist wichtig wollen wir in unserer Planung einsetzen? Fünftens. Wie
lässt sich in der Planung eine verstärkte Zusammenarbeit, Bündelung und Teilung der Aufgaben innerhalb des
NATO-Bündnisses und innerhalb der gemeinsamen Ausrichtung der Europäischen Union effektiver und besser
darstellen?
Führen wir die Strategiedebatte nicht, brauchen wir
uns nicht zu wundern, dass wir in Zukunft eventuell sogenannten strategischen Schocks ausgesetzt werden wie
in der Vergangenheit. Man hat innerhalb der Bundeswehr gewisse Entwicklungen für unwahrscheinlich gehalten und deshalb die Strategie der Bundeswehr nicht
darauf ausgerichtet.
Konflikt- und Krisenmanagement kann weiterhin nur
funktionieren, wenn die militärischen und zivilen Handlungsfelder umfassend miteinander vernetzt werden. Der
Bundestag geht mit der Einrichtung des Unterausschusses im Auswärtigen Ausschuss für zivile Krisenprävention eindeutig in die richtige Richtung. Aber die bestmöglichen Ergebnisse können wir als Bundestag nur
dann erzielen, wenn alle Bereiche, die damit zusammenhängen, miteinander vernetzt werden. Das sind Außenund Innenpolitik, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaft, Recht und Europa bzw. die Europäische Union. Das sollten wir zügig angehen.
({2})
Erst wenn wir die Strategiedebatte geführt haben,
wird feststehen, welche Aufgaben die deutsche Außenund Sicherheitspolitik definiert und ob eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene oder auf der
Ebene des Bündnisses in Betracht kommt.
Wir alle haben natürlich die schwarze Null im Blick.
Sie ist wichtig. Aber für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - ich sehe Norbert Barthle, unseren haushaltspolitischen Sprecher - ist die innere und äußere Sicherheit
nach wie vor eine Kernkompetenz. Sie ist unverzichtbar.
Erst dann, wenn durch die Strategiedebatte feststeht,
welche Aufgaben zu erfüllen sind, werden wir wissen,
ob wir zusätzlichen finanziellen Bedarf haben. Wir dürfen auf keinen Fall zulasten der Sicherheit sparen.
Europa braucht eine Außenpolitik aus einem Guss.
Die Europäische Union wird immer noch als außenpolitischer Zwerg wahrgenommen. Ich halte die Kritik in
dieser Härte für überzeichnet. Aber eines ist doch klar:
Die neue Kommission muss der neuen Hohen Vertreterin
für Außen- und Sicherheitspolitik in jedem Fall viel stärker als bisher die Kompetenz der Außenpolitik auf der
Ebene der Europäischen Union einräumen und ihr diesen
Stellenwert auch zugestehen. Es ist nicht in Ordnung,
dass bereits im Vorfeld des Amtsantritts an der neuen
Außenbeauftragten Federica Mogherini Kritik geübt
wurde. Geben wir ihr doch eine Chance! Wir wünschen
ihr wie auch dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude
Juncker und dem gestern vorgestellten Team alles Gute
und eine möglichst gute Arbeit für Europa und die Welt.
({3})
Außenpolitik ist eines der wichtigsten Felder. Lassen
Sie uns gemeinsam eine Außenpolitik für die Menschen
betreiben.
In diesem Sinne vielen Dank. Arbeiten Sie mit an den
besten Lösungen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzter Redner in
dieser Debatte hat der Kollege Alois Karl das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter
Redner in einer solchen Debatte habe ich es nicht ganz
einfach, den Spannungsbogen noch ein bisschen aufrechtzuerhalten. Mir ergeht es fast wie jenem evangelischen Pfarrer aus meinem Wahlkreis, der kürzlich bei
der Einweihung eines öffentlichen Gebäudes gesagt hat:
Es ist schon alles gesagt, bloß noch nicht auf Evangelisch.
({0})
Er musste nach vielen Eröffnungs-, Fest- und Grußwortrednern sprechen. Er hat es geschafft und gesagt: Ich
gratuliere Ihnen, dass Sie dageblieben sind; denn Sie erleben nun den Höhepunkt des Vormittags.
({1})
Ganz so weit ist es dann nicht gekommen. Aber er hat
den Spannungsbogen aufrechterhalten. Die Haushaltspolitiker sprechen bei den Beratungen über die jeweiligen Einzelpläne immer zum Schluss, Herr Bundesaußenminister. Um in der klerikalen Sprache zu bleiben:
Die Letzten werden die Ersten sein. - Das wird so sein,
wenn im November bzw. Dezember der Haushalt verabschiedet wird. Liebe Frau Barnett, dann werden wir
durchaus die Ersten sein.
Der Bundestag arbeitet in einer gewissen Abfolge;
das ist planbar. Nach der Sommerpause beginnt die
Herbstarbeit mit dem Einbringen des Haushalts. Lieber
Herr Lindner, Sie haben vorhin beklagt, dass der Bundesaußenminister die Mittel für die humanitäre Hilfe
knapp bemessen habe. Herr Steinmeier, ich muss Sie
hier reinwaschen. Nicht Sie, sondern Herr Schäuble ist
für den entsprechenden Mittelansatz verantwortlich.
Aber darüber werden wir in den anstehenden Haushaltsberatungen noch diskutieren.
Wir werden im Herbst über den vorliegenden Haushaltsentwurf intensiv beraten. Es geht um Hunderte,
Tausende Haushaltsstellen. Es wird gefeilscht werden
wie bei den Bürstenbindern. „Business as usual“, könnte
man sagen. Dennoch ist es heuer etwas anderes, weil wir
erstmalig nach 45 Jahren einen Haushalt mit null Neuverschuldung vorlegen können. Das erfüllt uns mit gewissem Stolz, zumindest aber mit großer Zufriedenheit.
Als Vertreter der CSU darf ich durchaus darauf hinweisen, dass Franz Josef Strauß der letzte Finanzminister
war, dem das 1969 gelungen ist. Danach gab es eine
ganze Phalanx aus tüchtigen Finanzministern - von Axel
Möller über Karl Schiller bis hin zu Peer Steinbrück -,
({2})
die allesamt es nicht geschafft haben, mit dem Geld auszukommen, das sie eingenommen haben. Nun schaffen
wir das seit langer Zeit wieder einmal. Das ist durchaus
berichtens- und bemerkenswert. Es ist vernünftig, mit
dem Geld, das man einnimmt, auszukommen.
({3})
So sichert man die Freiheit der nächsten Generation, die
dann mit ihrem Geld auskommen kann und nicht die
Schulden und die Zinslast der vorherigen Generation tragen muss.
In der Politik verhält es sich ganz genauso wie im
privaten Bereich. Man hat denjenigen lieber, der etwas
verteilt, als denjenigen, der mit harter Hand spart.
Wenn der Onkel zu uns zu Besuch gekommen ist und
uns 5 D-Mark in die Hand gedrückt hat, dann war er lieber gesehen als die Tante, die bloß am Klavier vorgespielt hat. So verhält es sich auch in der Politik. Herr
Schäuble sorgt mit großem Einsatz, großer Energie und
großer Härte für einen soliden Haushalt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser Haushalt mit null Neuverschuldung kein singuläres Ereignis bleiben wird. Wir beginnen nun möglicherweise eine neue Ära und verhalten
uns in den nächsten 45 Jahren haushalterisch vielleicht
vernünftig und machen keine neuen Schulden.
Wir haben heuer noch etwas anderes erlebt, was noch
gar nicht so auf das Tapet gekommen ist. Erstmals seit
1950 ist die Gesamtverschuldung des Staates, die kumulierten Schulden von Bund, Ländern, Gemeinden und
Sozialversicherungsträgern, gesunken. Wir hatten im
letzten Jahr 30 Milliarden Euro weniger Schulden als im
Jahr 2012. Das ist eigentlich eine gute Meldung - man
sagt „Good news are bad news“ -, die in den Medien
aber eigentlich gar nicht so zur Geltung gekommen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir freuen
uns, dass wir das, was wir im Wahlkampf versprochen
haben - die Neuverschuldung auf null zu senken -, was
wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben, in
der Tat auch halten. In der Fußballersprache ist der Ausdruck „Die Null muss stehen“ bekannt. Wer auf diesem
Gebiet nicht so bewandert ist, dem darf ich sagen: Damit
ist gemeint, dass es schon der halbe Gewinn ist, wenn
man selber kein Tor hineinbekommt. Schlimmstenfalls
spielt man nur unentschieden, oder man gewinnt das
Spiel, wenn man selbst ein Tor schießt. - Wir haben uns
unseren haushaltspolitischen Gewinn erarbeitet, und wir
werden ihn nutzen, um eine finanziell angemessen ausgestattete Außenpolitik betreiben zu können.
Lieber Kollege Steinmeier, Sie selber und auch die
Kollegen haben darauf hingewiesen, wie verworren die
weltpolitische Lage ist. Keiner hat bisher allerdings darauf hingewiesen, dass heute der 11. September ist. Ich
will daran erinnern: Vor 13 Jahren genau um diese Zeit
wurden die Zwillingstürme des World Trade Center in
New York durch unglaubliche, nicht fassbare terroristische Anschläge zerstört. Daran sieht man, wie dauerhaft
labil die Situation trotz unserer Außenpolitik ist. Wir
müssen daher alles daransetzen, um für Frieden und
Freiheit in der Welt zu sorgen.
Lieber Fraktionsvorsitzender Volker Kauder, Sie haben hier gestern dankenswerterweise Rupert Neudeck,
den Begründer der Cap Anamur - er hat viele Tausend
Boatpeople gerettet -, zitiert. Er hat gesagt, dass er nicht
möchte, dass Menschen für die Reinheit seines Pazifismus sterben. Er hat damit gemeint, dass es durchaus
richtig ist, dass wir Waffen in den Irak liefern, um den
dort bedrängten Menschen zu Hilfe zu eilen.
Viele haben in diesem Zusammenhang von Tabubruch gesprochen; auch heute war das der Fall. Herr
Liebich, ich glaube, Sie haben sich so geäußert. Ich
möchte das nicht so stehen lassen. Wir müssen den Menschen dort in ihrer bedrängten Situation helfen. Bloß
weiterzudiskutieren, Besprechungen durchzuführen,
Konferenzen abzuhalten, katarischen Scheichs den
Geldhahn zuzudrehen, das wäre doch völlig sinnlos, und
damit wäre den von ISIS bedrohten Menschen in gar keiner Weise geholfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man je
von einem Tabubruch hätte sprechen wollen, dann wäre
das 1999 angemessen gewesen, als die damalige rotgrüne Bundesregierung, möglicherweise aus guten
Gründen, deutsche Truppen in den Kosovo entsandt hat;
erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutsche
Soldaten somit in einen Krieg entsandt. Dies geschah
unter Federführung von Joschka Fischer, der früher einmal die Gallionsfigur der deutschen Friedensbewegung
gewesen war.
({4})
Das und nichts anderes war meines Erachtens ein Tabubruch. Darauf hätten Sie, der geschichtlichen Wahrheit
entsprechend, durchaus hinweisen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,
es ist richtig, was Sie, Herr Steinmeier, gesagt haben:
Man kann sich nicht nur durch Tun, sondern auch durch
Unterlassen fehlverhalten. Wenn wir unser Handeln, das
wir in der letzten Woche hier beschlossen haben, unterlassen hätten, dann hätten wir uns an den Verbrechen an
vielen Tausend Christen, Jesiden und Kurden mitschuldig gemacht, da sie dem Tod ausgeliefert gewesen wären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Redezeit schreitet voran. Frau Präsidentin, ist das richtig? Ich
bin nicht ganz sicher, ob die Uhr am Rednerpult funktioniert.
({5})
Da können Sie ganz sicher sein.
Sei es, wie es sei. - Die humanitäre Hilfe ist angesprochen worden. In der Tat - da gebe ich den Vorrednern recht - werden wir da korrigieren. Wir können im
Jahr 2015 nicht auf den Stand von 2013 zurückfallen.
2013 haben wir unseren Haushalt in diesem Titel dann
aber um 80 Prozent überziehen müssen. Warum? Weil
von uns humanitäre Hilfe weltweit verlangt worden ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die
Haushaltsmittel für die Transformationsgesellschaften,
gerade was Libyen anbelangt, werden wir überdenken
müssen. Gerade in solchen Gesellschaften ist die Situation unendlich verworren. Niemand weiß, wie man
transformieren soll und mit wem man es dort als Gesprächspartner zu tun hat.
Ich möchte, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung
einen allerletzten Punkt ansprechen. Wir waren vor wenigen Tagen in Rumänien. Es geht um die Förderung der
deutschen Sprache. Die deutsche Minderheit dort ist seit
mehr als 700 Jahren integraler Bestandteil des Landes,
ist von allen Regierungen geschützt worden - auch vom
kommunistischen Regime -, die den Wert der deutschen
Minderheit erkannt haben. Auch hier meine ich: Es steht
uns gut an, diese hervorragende Tradition aufrechtzuerhalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube:
Unsere deutsche Außenpolitik ist bei Ihnen, lieber Herr
Steinmeier, in guten Händen. Ich möchte mit den Kolleginnen und Kollegen alles dafür tun, dass wir auch in
Zukunft eine gute, gestaltende Außenpolitik betreiben
können. Wir wünschen uns dazu gemeinschaftlich alles
Gute.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Herr Karl, es ist Ihnen offensichtlich genauso wie
dem evangelischen Pfarrer gelungen, dass Ihnen alle
Kollegen bis zum Ende zugehört haben.
Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor. Deshalb beende ich die Debatte über diesen Einzelplan.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30.
Das Wort hat als erste Rednerin die Bundesministerin
Professor Dr. Johanna Wanka. - Frau Wanka, Sie haben
das Wort.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, etwas zügiger
die Plätze zu wechseln, damit die Ministerin Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kürzlich hat der Guardian Deutschland gelobt. Er hat geschrieben, dass wir toll sind, dass wir bewundert werden
- ja, der Guardian hat das geschrieben -, und er hat dazu
aufgefordert, dass man Deutschland nicht nur bewundern, sondern dass man sich von Deutschland inspirieren
lassen und lernen sollte.
Deutschland steht im Moment als Forschungsstandort
und Innovationsstandort in den Rankings ganz oben.
Ganz entscheidend dafür, dass das erreicht wurde, ist die
Tatsache, dass seit 2005 Jahr für Jahr die Ausgaben für
Bildung und Forschung im Bund gestiegen sind. Seit
Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, hat es jedes Jahr
ohne Ausnahme einen höheren BMBF-Haushalt gegeben. Den gibt es auch 2015. Wenn wir die Jahre 2014
und 2015 vergleichen, dann sind es 1,2 Milliarden Euro
mehr.
({0})
Jetzt muss ich, weil ich schon den Zwischenruf erwarte, sagen: Das sind 1,2 Milliarden Euro Cash mehr.
Hier ist die globale Minderausgabe schon abgerechnet.
Es gibt also wirklich echt 1,2 Milliarden Euro mehr,
8,6 Prozent. Die globale Minderausgabe - klar, es ist
besser, wenn sie noch niedriger wäre - macht 3 Prozent
des Gesamthaushaltes aus. Das muss man sich vor
Augen führen. Seit 2005 hatten wir, wie gesagt, jedes
Jahr eine Steigerung des BMBF-Haushaltes. In dieser
Legislaturperiode gibt es von 2014 bis 2017 nochmals
eine Steigerung um 25 Prozent.
({1})
In den Jahren 2014 und 2015 ist die Steigerung
schwächer, danach sehr steil. Bei 25 Prozent mehr Geld
sind das dann 17 Milliarden Euro für diesen Haushalt;
gestartet sind wir 2005 bei 7 Milliarden Euro.
Da sagte doch an dieser Stelle gestern Herr Gysi in
diesem Haus: Die Investitionen in Bildung fallen aus. Also, hier gibt es nur zwei Varianten: Entweder weiß er
es nicht besser,
({2})
oder er weiß es, und es passt nicht in seinen Plan.
({3})
Wir denken nach vorne. Trotz Haushaltskonsolidierung gibt es in dieser Legislaturperiode wiederum den
Schwerpunkt Forschung und Bildung. Es ist eindeutig
so, dass wir das, was im Koalitionsvertrag steht, nämlich
„Deutschlands Zukunft gestalten“, mit diesem Haushalt
können und auch machen. Das ist angesichts der Bildungsexpansion gerade in den Schwellenländern der einzig richtige Weg. Wir müssen ihn unbedingt weitergehen
und entscheiden: Was ist der Platz Deutschlands in der
Welt von morgen? Es geht nicht nur um das Bruttosozialprodukt oder anderes, sondern auch ganz entscheidend um individuelle Lebenschancen für den Einzelnen.
Wir haben gerade vor zwei Tagen den OECD-Bericht
vorgestellt. Frau Bulmahn, Sie erinnern sich, wie wir
beide das gemacht haben - Sie als Bundesministerin, ich
als Vertreterin der KMK ({4})
und an vielen Stellen Schelte bekommen haben; Jahr für
Jahr mussten wir zum Teil wirklich berechtigte Kritik
einstecken. Der jetzt vorgestellte OECD-Bericht ist, was
die Indikatoren anbelangt, das allerbeste Zeugnis, das
wir je bekommen haben.
({5})
Ich will nur wenige Dinge herausgreifen. Zum Beispiel ist Deutschland das Land, in dem 96 Prozent der
Vierjährigen in eine Kindereinrichtung gehen - und das
freiwillig, ohne Pflicht. Wir wissen alle, was der Bund
nicht nur in materieller, sondern auch in ideeller Hinsicht
dafür getan hat. Unser Haus macht etwas für diese
Einrichtungen, kümmert sich um naturwissenschaftlichtechnische Bildung im Rahmen der Stiftung „Haus der
kleinen Forscher“. In dieser Legislaturperiode gehen wir
weiter, bis in die vierte Klasse, und beziehen die Eltern
mit ein. Das ist ein ganz wichtiges Thema.
({6})
Der Anteil derer, die ohne Abschluss die Schule verlassen, liegt bei uns jetzt unter 6 Prozent; es waren einmal 12 Prozent. Hier unter 6 Prozent zu liegen, ist längst
nicht ausreichend. Es muss - das ist ganz klar - besser
werden, es muss weitergehen, und die zentralen Personen in der Schule sind die Lehrer. Sie haben einen ganz
großen Anteil daran, ob Bildung gelingt oder nicht.
Natürlich liegt die Kompetenz für die Lehrerbildung originär bei den Ländern; aber mit unserem Programm
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ermöglichen wir es,
dass im Rahmen der Lehrerbildung zusätzliche Angebote im Bereich der Inklusion, der Diversität und der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung entwickelt werden, dass Neues erprobt und umgesetzt wird.
Das kostet uns 500 Millionen Euro. Im nächsten Jahr
geht es los - ausgeschrieben ist es -, und zwar mit Mitteln in Höhe von 45 Millionen Euro.
({7})
Ein Thema, das uns alle - nicht nur uns hier im Saal,
sondern auch die Länder und Verbände - schon seit Jahren beschäftigt, ist die Frage: Wie kann man Frauen für
naturwissenschaftliche und technische Berufe gewinnen,
für Berufe also, in denen man auch richtig gut verdienen
kann? 2000 war es so, dass 32 Prozent der Absolventen
naturwissenschaftlicher Studiengänge Frauen waren; der
OECD-Durchschnitt lag bei 40 Prozent. In den darauffolgenden zwölf Jahren ist der Anteil bei uns von
32 Prozent auf 44 Prozent angestiegen, und im selben
Zeitraum ist der Anteil im OECD-Durchschnitt um nur
1 Prozentpunkt gewachsen. Es gibt also Dynamik, und
alle aus der ehemaligen DDR wissen, dass es hieß: Überholen, ohne einzuholen.
({8})
- DDR-Leute brauchen nicht darüber nachzudenken.
Das war jahrelang der Slogan; alle kennen ihn. Sie sollten nicht darüber nachdenken, denn er ist nicht zu verstehen; aber es war so. - Geht das jetzt alles von meiner Redezeit ab?
Wir machen weiterhin mehr für Chancengerechtigkeit. Zum Beispiel ist ein weiteres Professorinnenprogramm schon gestartet, und es gibt vieles andere mehr.
Die Tatsache, dass wir als Bund das BAföG ab 2015
allein zahlen, führt dazu, dass den Ländern jährlich
1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Das
Neue, das Besondere, das Exzellente ist: Es gibt dauerhaft Geld für Dauerstellen. Das gab es vorher überhaupt
nicht. Wir haben über den Hochschulpakt und Ähnliches
Milliardenbeträge ins System gegeben, aber Stellen wurden nicht dauerhaft finanziert. Das heißt, es gibt auch
noch 2025 oder 2030 Geld für diese Stellen. Da geht es
gar nicht nur um die 6 Milliarden Euro, die wir in dieser
Legislatur bereitstellen; allein in der nächsten Legislatur
sind es schon wieder 4,8 Milliarden Euro. Mit den frei
werdenden Mitteln kann man in den Ländern, wenn man
es will, unbefristete Nachwuchswissenschaftlerstellen
schaffen;
({9})
man kann auch Schulsozialarbeiterstellen und Stellen in
den Ganztagsschulen schaffen. Das ist machbar. Weil
wir ein föderaler Staat sind, kann in den einzelnen Ländern entschieden werden, wofür man die Mittel einsetzen will.
({10})
Ich glaube, das ist richtig. Es wird die Attraktivität des
deutschen Hochschulsystems weiter stärken.
Das deutsche Hochschulsystem ist attraktiv. Sie müssen sich einmal vor Augen führen: Wir sind das drittbeliebteste Einwanderungsland für Studenten - sie kommen zu uns, um zu studieren -, nach den USA und
Großbritannien, die englischsprachig sind. Ich weiß
nicht, wie nachher die Reden der Opposition sein werden.
({11})
Aber ich kann mir vorstellen, dass man sich, wenn man
hört, was Sie über unsere Hochschulen sagen, fragt, warum sie alle kommen und nicht auf dem Absatz kehrtmachen.
({12})
Wir haben die Zahl der Studierenden gesteigert. Über
50 Prozent eines Jahrgangs sind Studienanfänger. Das
war nur möglich, weil der Bund - ich sage das noch
einmal -, ohne originär zuständig zu sein, über den
Hochschulpakt Milliarden in das System gegeben hat.
Das ist eine große solidarische Leistung - auch im Hinblick auf die neuen Bundesländer -, und es ist die beste
Möglichkeit, mit der demografischen Chance umzugehen; das sollte man nicht vergessen.
Wir haben in diesem Haushalt - er sieht alleine 6 Milliarden Euro für den laufenden Hochschulpakt bis 2017
vor - Vorsorge für den Fall getroffen, dass es noch mehr
Studenten gibt. Wir haben das Geld für die nächste
Phase des Hochschulpakts, ab 2016, gesichert. 2023
wird die Zahl der Studienanfänger sinken.
Im Moment haben wir, worüber wir uns freuen, sehr
viele Studierende, aber - und das ist das Problem - im
Bereich der dualen Ausbildung fehlen uns die jungen
Leute.
({13})
Dazu können wir alle Beispiele anführen. Das will ich
gar nicht. Das ist klar; davon kann jeder erzählen. Wichtig ist: Was macht man dagegen? Das kriegt man nicht
hin mit bunten Plakaten und Werbekampagnen, wobei
die zum Teil auch sehr wichtig sind; die der Handwerkskammern zum Beispiel finde ich klasse. Vielmehr muss
überlegt werden: Was kann man wirklich tun, um junge
Leute zu einer dualen Ausbildung zu motivieren? Wir
haben ein großes Paket geschnürt - „Chance Beruf“ -, in
das wir alles, was uns eingefallen ist, hineingepackt
haben. Das machen wir jetzt.
Thema Durchlässigkeit: Das Programm „Offene
Hochschulen“, das exzellent ist, wird weiter fortgesetzt.
Oder denken wir an diejenigen, die die Hochschule
verlassen, um eine duale Ausbildung zu beginnen. Dazu
haben wir in dieser Legislaturperiode, im Mai dieses
Jahres, im „JOBSTARTERplus“-Programm Projekte initiiert und mit bis zu 8 Millionen Euro ausgestattet. Das
sind gute Projekte, um bundesweit etwas zu erreichen.
Im „JOBSTARTERplus“-Programm haben wir ebenfalls im Mai dieses Jahres Maßnahmen angestoßen, bei
denen es um Unternehmer mit Migrationshintergrund
geht, die junge Menschen mit Migrationshintergrund
vielleicht anders ansprechen können, um bei ihnen für
die duale Ausbildung, die in der Türkei oder woanders
vielleicht nicht typisch ist, zu werben. Auch dafür geben
wir Geld.
Ein anderes Beispiel. Gestern sagte Herr Oppermann,
dass man denen, die es nicht schaffen, eine zweite oder
vielleicht auch eine dritte Chance geben muss. Das muss
man, und das wird auch gemacht. Das kostet richtig viel
Geld. Aber ich finde, es ist wichtig, erst einmal zu versuchen, präventiv zu wirken, zum Beispiel in der siebten
oder achten Klasse, damit die jungen Menschen gar
keine zweite oder dritte Chance brauchen. Deswegen
brauchen wir Bildungsketten.
Wenn Sie in den Haushalt schauen, um zu erfahren,
wie viel Geld dafür eingestellt wurde, dann müssen Sie
berücksichtigen, dass die Bundesregierung aus vielen
Ressorts besteht, die auch miteinander arbeiten: Im
Haushaltsplan des Bildungsministeriums sind Mittel
dafür eingestellt; dazu kommen beträchtliche Mittel aus
dem ESF, die wir auf diesen Bereich konzentrieren,
Mittel aus der BA und aus dem Arbeitsministerium, um
Bildungsketten und präventive Maßnahmen in einem
möglichst großen Maßstab fördern zu können. Ich habe
alle Länder angeschrieben und betont, dass wir unser
Geld einsetzen. Die Länder müssen mitfinanzieren, damit wir das flächendeckend hinbekommen.
({14})
Diese Stärkung der dualen Ausbildung trägt auch zur
Bildungsgerechtigkeit bei.
Beim Thema Bildungsgerechtigkeit haben alle sofort
das BAföG im Kopf. Sie wissen, dass ich, als ich im
letzten Jahr dieses Amt übernommen habe, obwohl ich
die Entwicklung und die Gespräche mit den Ländern in
den letzten Jahren kannte, von Anfang an gesagt habe:
Das BAföG muss novelliert werden; das ist eine zentrale
Aufgabe. Nachdem das nicht im Koalitionsvertrag stand,
habe ich weiterhin gesagt: Die Novellierung des BAföG
muss kommen. Ich habe mich dafür engagiert, und wir
haben die BAföG-Novelle im Kabinett beschlossen. Und
sie ist nicht ohne. Es geht nicht nur darum, dass diejenigen, die BAföG bekommen, mehr Geld erhalten für die
Lebenshaltung, für Kinder, wenn sie welche haben, für
Wohnen und für andere Dinge. Ich habe immer wieder
erlebt, dass es Studierende gibt, die knapp oberhalb der
Einkommensgrenze sind, also kein BAföG bekommen,
weil die Eltern ein bisschen zu viel verdienen. Diese
Studierenden sind in besonderem Maße benachteiligt.
Deswegen war es mir gerade mit Blick auf die Kinder
von Eltern mit einem mittleren Verdienst wichtig, die
Freibetragsgrenze anzuheben. Das ist mit dieser Novelle
gelungen.
({15})
Diese Novelle kostet übrigens über 800 Millionen
Euro. Hinzu kommen die schon erwähnten 1,2 Milliarden Euro durch die Übernahme der BAföG-Kosten. Das
heißt, ab 2016 gibt es in jedem Jahr 2 Milliarden Euro
vom Bund mehr für die junge Generation. Das ist eine
Investition in die Zukunft. Das ist ganz entscheidend.
Vorhin habe ich gesagt, dass wir uns fragen müssen,
wo unser Platz in der Welt von morgen sein soll. Derzeit
haben wir einen exzellenten Platz: starke Wirtschaftsnation, starke Exportnation. Ich will eine Zahl nennen,
die nicht so bekannt ist: Wie groß ist der Anteil aller
Hightech-Güter an der Handelsbilanz? Über 9 Prozent.
Wissen Sie, wie groß der Anteil der Hightech-Güter an
der Handelsbilanz im OECD-Durchschnitt ist? 1,3 Prozent. In diesem Vergleich sind eine Menge Länder enthalten, die sehr viel mehr Akademiker haben als wir.
Das heißt, wichtig ist, wie man zu Innovationen
kommt. Deshalb ist die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie, eine neue Hightech-Strategie wichtig; das
beinhaltet neue Formate, neue Felder und eine Verbreiterung der Innovationsbasis. Ich schaue auf die Uhr; ich
mache es kürzer. - Dabei geht es aber nicht nur um neue
Themen, also nicht nur um individualisierte Medizin,
nachhaltige Stadtentwicklung, erneuerbare Energien und
vieles andere, sondern um technologische Innovation
und soziale Innovation. Diese Stränge hatten wir schon
immer. Wichtig ist, wie diese zusammengeführt werden.
Wir haben am Montag im Zusammenhang mit der
Hightech-Strategie ein erstes großes Programm vorgestellt, das mit einem riesigen finanziellen Aufwand in
den nächsten Jahren laufen wird. Herr Bsirske und Herr
Grillo waren anwesend. Beide haben betont, dass dieses
Programm ein völlig neuer Ansatz ist.
Ich finde, wir können nur erfolgreich sein und den
Wohlstand sichern, wenn die Innovationsstrategie auch
in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Hierbei geht es
nicht nur um die Arbeitsbedingungen bei der Industrie
4.0 und darum, welche Chancen sie bietet - nicht, dass
man nur die Risiken sieht -, sondern wichtig ist auch
Akzeptanz, und zwar Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft. Umfragen zeigen, dass die Menschen beteiligt
werden wollen. 30 Prozent möchten gerne mitmachen,
mitreden und mit einbezogen werden. Das sind nicht nur
die Lobbyisten und nicht nur die NGOs, sondern normale Menschen. Deswegen ist das eine ganz zentrale
Aufgabe, die uns gelingen muss, damit die HightechStrategie wirklich die gewünschten Effekte bringt.
({16})
Letzter Satz. Ich glaube, dass der Haushalt des BMBF
Ausdruck einer modernen und ganzheitlichen Bildungsund Innovationspolitik ist. Damit haben wir wirklich die
Chance, Zukunft zu gewinnen.
Danke schön.
({17})
Als nächster Redner hat der Kollege Roland Claus
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, immer wenn ein Mitglied
der Bundesregierung einfach alles am eigenen Etat
schön findet und eine Rundumzufriedenheit ausstrahlt,
ist das natürlich auch eine Einladung an den Bundesfinanzminister, dort noch das eine oder andere zu kürzen.
({0})
Selbstverständlich haben wir nicht übersehen, dass die
Mittel hier aufgewachsen sind. Aber Sie werden doch
auch nicht vergessen haben, wie der Bundesfinanzminister auf der Zielgeraden beim Haushalt 2014 noch erhebliche Einschnitte vorgenommen hat. Deshalb lautet
unsere freundliche Ermahnung: Weniger Kabinettsdisziplin, mehr Ressortverantwortung, Frau Ministerin!
({1})
Wer an diesem Tag, dem 11. September, über Bildung
redet, darf, glaube ich, über dieses historische Datum,
den 11. September 2001, nicht schweigen. Genau an diesem Pult wurde das Wort von der „uneingeschränkten
Solidarität“ ausgesprochen. Damit wurde der Weg für
eine deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan frei gemacht. Ich wünschte mir, dass einst in den Schulbüchern
steht: Es war falsch, diesen Weg zu gehen. Krieg ist das
falsche Mittel im Kampf gegen den Terror.
({2})
Mehr als 15 Milliarden Euro für Bildung und Forschung, ein besseres BAföG und Kitaausbau - man kann
mit Fug und Recht sagen, dass wir alle das wollen, zumal die Besonderheit dieses Haushaltes, eine gewisse
Einzigartigkeit darin besteht, dass im Ministerium relativ wenig verwaltet werden muss, dafür aber mit Programmtiteln sehr viel verteilt werden kann, sehr viel auf
den Weg gebracht werden kann.
Dennoch gibt es zwei entscheidende Gründe für Kritik an Ihrer Politik, Frau Ministerin.
Das Erste ist: Sie verwechseln Ausgaben des Bundes
mit erzielten Ergebnissen. Sie erwecken hier den Eindruck, als ob, wenn wir Geld ins System geben, die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir anstreben, schon
erreicht wären.
Der zweite Strickfehler besteht darin, dass die 17 Bildungssysteme einfach nicht zusammenpassen und vieles, das auf den Weg gebracht wird, nicht sein Ziel erreicht.
Deshalb sagen wir Ihnen: Sie können den Erfolg Ihrer
Arbeit nicht am Ausgabenvolumen festmachen. Es heißt
ja auch: Gemessen wurden die Bienen nicht an ihren
Flugkilometern, sondern an dem Honig, den sie heimbrachten.
({3})
Die Zerklüftung der Bildungssysteme führt dazu, dass
erwünschte Impulse einfach nicht übertragen werden.
Ich will da einen Vergleich aus der Mechanik bemühen:
Ein Motor kann noch so stark sein. Wenn das Getriebe
die Impulse nicht gut überträgt, entsteht zwar eine
Menge Reibung, aber keine Leistung. Genau das ist hier
der Fall.
({4})
Nun kann man OECD-Studien ja interpretieren, wie
man möchte. Sie haben Ihre Interpretation hier abgeliefert, Frau Ministerin. Aber wir denken schon, dass wir
kritisch reflektieren müssen, was uns die OECD vor
zwei Tagen in dem Bericht „Bildung auf einen Blick“ offenbart hat. Das Entscheidende, das wir kritisieren, ist,
dass Deutschland seine soziale Spaltung über sein Bildungssystem regelrecht reproduziert. Von fünf Arbeiterkindern werden vier Arbeiter.
({5})
Es gibt viel zu wenig Durchlässigkeit zwischen den Qualifikationsgruppen. Alles soll schön beim Alten bleiben.
Da gibt es natürlich einen Zusammenhang: Unter den
entwickelten Industrieländern hat Deutschland die ungerechteste Verteilung der Einkommen. Diese ungerechte
Verteilung der Einkommen setzt sich in einer ungerechten Verteilung des Zugangs zu Bildungschancen fort.
Wir sagen Ihnen: Das ist ein Zustand, den die Linke nie
und nimmer hinnehmen wird.
({6})
Zudem verweist die OECD-Studie darauf, dass
Deutschland beim Anteil der Bildungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, gerade einmal auf Platz 19
in Europa liegt. Um den Anteil Dänemarks, den Spitzenwert, zu erreichen, müssten in Deutschland 90 Milliarden Euro bei Bund und Ländern zusätzlich aktiviert werden. Das ist für die Bundesregierung unvorstellbar, für
uns aber nicht.
({7})
Man müsste dann natürlich über neue Einnahmen des
Bundes reden.
Ich will ein Wort zum Deutschlandstipendium sagen,
das als kombiniertes Stipendium, bei dem es Geld vom
Staat und Geld von Sponsoren gibt, in Ihrem Etat ja einen wichtigen Platz einnimmt. Hier hat Ihnen der Bundesrechnungshof vorgerechnet, dass die Verwaltungsausgaben viel zu hoch sind und Sie Ihre eigenen Ziele
nicht erreichen. Deshalb sagen wir: Wir könnten auf dieses Instrument gut verzichten und die Mittel für einen
Aufwuchs im BAföG-Bereich einsetzen, meine Damen
und Herren.
({8})
Ich will zudem auf die großen Ost-West-Unterschiede
beim Zugang zum Deutschlandstipendium verweisen.
Wo sollen denn ostdeutsche Hochschulen Sponsoren finden, wenn es im Osten nicht einmal Selbstanzeigen von
Steuersündern gibt? Da ist doch nichts zu holen.
({9})
- Ja, das wurde klar und deutlich veröffentlicht. - Deshalb ist das nicht wirklich erreichbar.
Wir werden uns heute Nachmittag beim Bauetat auch
mit der Frage beschäftigten müssen: Wie schaffen wir
besseren, bezahlbaren Wohnraum für Studierende? Das
ist ein Thema, zu dem gerade die Linke in Leipzig aktuelle Vorschläge unterbreitet hat. Wir werden vorschlagen, die „Wiederbelebung“, wie es bei der Bundesregierung heißt, des sozialen Wohnungsbaus für diesen
Bereich zu nutzen und Studierenden damit Chancen auf
bezahlbare Wohnungen zu geben.
Herr Claus, Sie müssen zum Schluss kommen.
Studentinnen und Studenten sollen doch studieren
und nicht nur jobben gehen, meine Damen und Herren.
({0})
Wir haben hier einen Etat mit viel Geld, aber leider
wirklich wenig Zukunftsfähigkeit. Deshalb muss sich da
noch eine ganze Menge ändern.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie
noch einmal bitten, sich an die Redezeit zu halten. Die
beiden letzten Redner haben sie erheblich überschritten.
Wenn wir so weitermachen, kommen wir mit unserer
Planung nicht hin. Das ist, finde ich, nicht fair gegenüber
den anderen Kollegen, die heute auch noch ihre Debatten haben.
Herr Schulz, Sie haben das Wort.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat hier einen beachtlichen Haushaltsplanentwurf vorgelegt. Wir werden im parlamentarischen Verfahren sicherlich noch das eine oder andere ändern, aber
die Grundlinie stimmt. Über 15 Milliarden Euro werden
für Bildung und Forschung bereitgestellt; die globale
Minderausgabe ist dabei herausgerechnet. Dass wir dies
in Zeiten der Nullverschuldung und ohne Steuererhöhungen schaffen, ist aller Ehren wert.
({0})
Mir sei der Vergleich mit dem Finanzplan der Vorgängerregierung gestattet. Da wird ein Unterschied deutlich:
Schwarz-Gelb sah weniger als 14 Milliarden Euro für
das Jahr 2015 vor. Jetzt sind es über 1 Milliarde Euro
mehr.
Ich kann mir vorstellen, dass die Ministerin Wanka jeden Morgen ein Stoßgebet gen Himmel sendet und dafür
dankt, dass er ihr die SPD als Koalitionspartner beschert
hat.
({1})
Jedenfalls ist festzustellen: Die SPD tut der Bildung und
Forschung in Deutschland gut, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Das eine ist die Frage nach dem Ausgabenvolumen.
Viel wichtiger ist die Frage, wofür das Geld eigentlich
ausgegeben wird. Als Erstes möchte ich hier das BAföG
nennen. Von Willy Brandt eingeführt, ist es weiterhin die
zentrale soziale Bildungsfinanzierung in diesem Land.
Niemand soll aufgrund Geldmangels auf Bildungschancen verzichten. Das ist für uns von besonderer Bedeutung.
({3})
Wir werden in 2015 dafür weit über 2 Milliarden
Euro ausgeben. Die Ministerin Wanka hat es gesagt: Wir
haben uns mit den Ländern darüber geeinigt, wie das mit
dem BAföG weitergehen soll. Wir übernehmen als Bund
jetzt voll die Kosten für das BAföG. Damit schlagen wir
zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens entlasten wir die
Länder massiv und dauerhaft, damit sie ihren originären
Aufgaben in der Bildung nachkommen können - in der
Hochschule, bei der beruflichen Bildung, in der Schule
und - ich sage das ausdrücklich dazu - auch bei der Kita.
Wer kritisiert, dass Länder Mittel in die vorschulische
Bildung investieren, zeigt ein verkürztes Bildungsverständnis, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({4})
Der zweite Punkt ist, dass der Bund nun die alleinige
Handlungsmöglichkeit beim BAföG hat. Dieses unerträgliche Hickhack, dieses Schwarzer-Peter-Spiel
zwischen Bund und Ländern, das so häufig das BAföG
blockiert hat, hört jetzt auf. Wir haben die Handlungsmöglichkeiten, und wir nutzen diese Handlungsmöglichkeiten. Das BAföG wird massiv verbessert und erhöht.
Wir haben das vor der Wahl gesagt, und wir machen es
jetzt. Wir stärken das BAföG. Das ist ein zentraler Punkt
unserer Programmatik, unserer Regierungspolitik.
({5})
Ich will dabei hinzufügen: Wenn wir das für Schüler
und für Studierende machen, dann sollten wir uns auch
um die Aufstiegsfortbildung und das Meister-BAföG
kümmern. Auch die beruflich Qualifizierten sollten nicht
außen vor bleiben.
({6})
Wir setzen in langen Linien die Bildungs- und Forschungspolitik in Deutschland fort, und wir entwickeln
sie auch weiter. Da ist zum Beispiel die Exzellenzinitiative aus rot-grünen Zeiten, Frau Bulmahn. Über
400 Millionen Euro geben wir auch in diesem Haushalt
für Spitzenforschung an Hochschulen aus. Wir finanzieren den Hochschulpakt; er stammt ja aus der letzten Großen Koalition. Wir finanzieren den Hochschulpakt weiter. Über 2 Milliarden Euro geben wir dafür.
({7})
Das ist ein extrem erfolgreiches Förderprogramm, ohne
das Hunderttausende in den letzten Jahren nicht hätten
studieren können.
Es gibt nun Verhandlungen über die Fortsetzung des
Hochschulpakts. Es wäre wünschenswert, wenn wir es
hinbekämen, dass wir die zweite Phase des Hochschulpakts, in der wir uns derzeit befinden, entsprechend aufstocken, damit bedarfsgerecht weiterfinanziert werden
kann, und wenn wir gleichzeitig noch eine dritte Phase
anschließen können.
Ich will dabei aber auch sagen, dass wir die Mittelverwendung nachvollziehbar gestalten müssen. Auch sollten wir neue Elemente in den Hochschulpakt einführen.
Da geht es zum einen um die beruflich Qualifizierten,
darum, dass sie entsprechende Chancen bekommen, und
zum anderen um die gute Lehre. Nicht nur der Studienbeginn - wie bisher -, sondern auch das erfolgreiche
Studium, der Abschluss des Studiums sollte unterstützt
und gefördert werden.
({8})
Ich glaube, dass das als neues Element dazugehört.
Der nächste wichtige Bereich - auch er stammt aus
rot-grünen Zeiten - ist der Pakt für Forschung und InnoSwen Schulz ({9})
vation. Das ist vom Volumen her vielleicht sogar der
größte Bereich. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen - Helmholtz, Max Planck, Leibniz,
Fraunhofer, DFG - bekommen über 5 Milliarden Euro,
und das wächst weiter stabil. Den Aufwuchs werden wir
als Bund in Zukunft sogar allein übernehmen und die
Länder entlasten.
Hier gibt es Gespräche über die Fortsetzung, über die
Zukunft. Auch hier - so sage ich - muss es eine vernünftige Kontrolle der Mittelverwendung geben. Wenn wir
so viel Geld den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur Verfügung stellen, dann sollte es auch verbindliche Zielvereinbarungen geben,
({10})
etwa im Hinblick auf die Frauenförderung oder den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ich bin sicher, dass die Wissenschaftsorganisationen das auch akzeptieren und sich
dieser Verantwortung stellen.
({11})
Auch bei vom Volumen her kleineren, aber wichtigen
Projekten und Förderungen setzen wir Bewährtes fort,
setzen aber auch neue Akzente. Ich möchte beispielhaft
einige nennen. Da ist zum Beispiel das Ganztagsschulprogramm, das in letzter Zeit ein wenig ins Hintertreffen
geraten ist. Ich glaube aber, wir sollten da weiter am Ball
bleiben.
({12})
Wir führen eine Diskussion über die gute Schule, die
gute Ganztagsschule. Ich denke, der Bund sollte sich da
nicht zurückziehen, sondern sich engagiert beteiligen.
({13})
Uns ist die gute Schule wichtig. Deswegen etatisieren
wir das erste Mal die in der letzten Legislaturperiode
verabredete Lehrerbildungsoffensive; das ist ein wichtiger Beitrag. Wir machen mehr im Bereich Alphabetisierung/Grundbildung, was mir persönlich besonders
wichtig ist, und bei der Arbeitsforschung: Wie geht es
zukünftig weiter mit Dienstleistungen und Produktion,
wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Zur Friedens- und Konfliktforschung muss ich, glaube ich, gar
nicht viel sagen; wir haben eben den Etat des Auswärtigen Amts diskutiert. Da müssen wir noch mehr machen;
darüber werden wir auch in den Haushaltsberatungen
diskutieren.
({14})
Auch im Bereich der Projektförderung machen wir eine
ganze Menge.
Ich könnte die Liste, was wir alles Gutes und Wichtiges machen, weiter fortsetzen, will aber bei all dem
Positiven nicht verhehlen, dass durchaus auch Wünsche
offenbleiben,
({15})
vor allem bei Kita, Schule und beruflicher Bildung. Wir
können den rechtlichen und auch den finanziellen Rahmen leider nicht beliebig ausweiten.
Gleichwohl möchte ich zum Abschluss meiner Rede
einen Gedanken anbringen: Wir haben uns vorgenommen, das Grundgesetz zu ändern. Es geht um eine
Verbesserung der Kooperation von Bund und Ländern,
leider nicht in der Schule - das wäre schön; aber so weit
sind wir noch nicht -, aber immerhin für den Bereich
„Wissenschaft und Hochschulen“. Wenn wir das Grundgesetz ändern, dann sollten wir aber auch konkrete Politik folgen lassen. Wenn wir nur das Grundgesetz ändern,
dann aber nichts passiert, wäre das ungefähr so, als wenn
wir ein Flugzeug bauen, es aber nicht starten. Darum
schlage ich vor, dass der Bund ein Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern auflegt. Das kann
in dieser Wahlperiode beginnen und dann dauerhaft auf
der Basis des neuen Grundgesetzartikels wirken. Das
wäre ein guter Beitrag für die Wissenschaft, für die einzelnen Nachwuchswissenschaftler, aber auch für die
Hochschulen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken! In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren
Beratungen.
Ich freue mich auch, dass ich auf die Sekunde genau
geendet habe.
({16})
Da ist die Präsidentin hochentzückt. Vielen Dank! So
eine Punktlandung wünsche ich mir von allen anderen
auch. - Die Chance dazu hat jetzt Ekin Deligöz. Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich sind wir uns einig, dass die Mittel für Bildung,
Wissenschaft und Forschung wichtige Zukunftsinvestitionen sind, dass wir diese Mittel brauchen, damit wir
auch morgen nicht nur in diesem Land, sondern auch
darüber hinaus gut leben können. Aber, Frau Wanka, es
geht ja nicht nur darum, dass Sie Geld bekommen
- selbst darüber könnte man debattieren; mein Kollege
Roland Claus hat das sehr gut ausgeführt -, sondern
auch darum, was Sie mit diesem Geld machen. Es geht
darum, welche Prioritäten Sie setzen. Ich sage Ihnen:
Die Prioritäten, die Sie setzen, sind falsch, und dabei
bleibt es.
({0})
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele, auch wenn Ihnen
das nicht gefällt: Sie kürzen im Bereich der beruflichen
Bildung. Man kann das duale System nicht oft genug
loben. Wir finden es alle gut, wir exportieren es sogar.
Gleichzeitig haben in Deutschland 14 Millionen
Menschen zwischen 20 und 39 Jahren keinen formalen
Berufsabschluss. Nur noch jedes fünfte Unternehmen
bildet in Deutschland aus. Der Fachkräftemangel ist
deutlich wahrnehmbar. Doch Sie kürzen bei der Berufsorientierung und bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, wo es darum geht, dass auch kleine Betriebe eine
Chance bekommen, auszubilden. Sie kürzen auch bei der
Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung. Einerseits reden Sie von Bildungsketten, andererseits kürzen
Sie da, wo diese real umgesetzt werden sollen, die Mittel. Anstatt die Weiterbildung ins Zentrum zu setzen und
das Meister-BAföG, wie wir es vorgeschlagen haben, in
ein Weiterbildungs-BAföG weiterzuentwickeln, kürzen
Sie bei der Weiterbildung. Das nennen Sie die richtigen
Prioritäten? Das ist es nicht, Frau Ministerin. Wir haben
gute Konzepte. Mit unserer Idee „DualPlus“ haben wir
gezeigt, wie es besser geht. Schauen Sie sich das genau
an! Dieses Land braucht die berufliche Bildung mehr
denn je.
({1})
Auch beim BAföG setzen Sie falsche Prioritäten. Sie
sind das Thema angegangen; das ist toll. Unsere Länder,
die rot-grün regierten Länder, stehen hier an Ihrer Seite.
({2})
Doch warum müssen die Studierenden weitere vier Semester auf die versprochene BAföG-Erhöhung warten?
Warum müssen Generationen von Studierenden zugucken, wie sich die Preise entwickeln, ohne dass eine
richtige Anpassung erfolgt? Wenn Sie es ernst meinen,
dann handeln Sie auch ernsthaft. Verschieben Sie das
nicht noch einmal um ein paar Jahre!
({3})
Sie vertrösten und feiern sich selbst. Es kommt nichts
bei den Studierenden an. Das ist eine falsche Prioritätensetzung.
({4})
Ich komme zum Deutschlandstipendium. Geben Sie
es zu: Es funktioniert nicht. Sie wollten 8 Prozent der
Studierenden erreichen, danach haben Sie die Zahl auf
2 Prozent korrigiert, und jetzt erreichen Sie noch nicht
einmal 1 Prozent. Das geht an den Universitäten und den
Studierenden komplett vorbei. Die Verwaltungskosten
sind viel zu hoch. Das sage nicht ich; das sagt der Bundesrechnungshof. Es ist ganz einfach: Das Deutschlandstipendium hat sein Ziel verfehlt.
({5})
Trotzdem erhöhen Sie die Mittel dafür noch einmal um
10 Millionen Euro und tun so, als ob das etwas Grandioses sei. Wenn Sie der Meinung sind, dass wir in diesem
Land mehr Stifter aus der Privatwirtschaft brauchen,
dann frage ich Sie - wir haben das Stiftungsrecht doch
reformiert und modernisiert -:
({6})
Warum tun sie das nicht? Warum brauchen die Unternehmen auch noch staatliches Geld, damit sie hier endlich aktiv werden? - Wenn Sie aber der Meinung sind,
das sei ein Sozialbudget, dann investieren Sie die Mittel
für das Deutschlandstipendium doch gleich ins BAföG,
denn dort wird für einen sozialen Ausgleich gesorgt, und
verschwenden Sie das Geld nicht einfach nur für hohe
Verwaltungskosten. Frau Ministerin, wir reden hier über
insgesamt 55 Millionen Euro. Das ist viel Geld für viele
Studierende.
({7})
Sie reden darüber, wie wichtig der Hochschulpakt ist.
Seit Jahren ist der Hochschulpakt unterfinanziert.
({8})
Verstecken Sie sich nicht hinter den Rechenschiebern,
anstatt zu gucken, was dieses Land wirklich braucht.
({9})
Frau Ministerin, Sie geben sich mit dem zufrieden,
was Sie haben. Das sollten Sie nicht. Sie sind es diesem
Land schuldig, dass Sie Engagement dafür zeigen, dass
es mehr Geld für die Bildung gibt. Sie können die globale Minderausgabe herunterrechnen, wie Sie wollen:
Sie müssen eine halbe Milliarde Euro aus Ihrem Etat für
den Konsolidierungskurs dieser Regierung erbringen.
Hier sind Sie Spitzenreiter dieser Regierung. Selbst der
Bundesrechnungshof, der weit davon entfernt ist, Geldverschwendung in irgendeiner Form gutzuheißen, sagt:
Für dieses Haus ist das zu viel Geld. - Nehmen Sie das
ernst! Hier wird der Haushalt auf Kosten der Studierenden, der Schüler, der Kleinkinder, der Bildung konsolidiert. Das ist ein ernst zu nehmender Fakt, Frau Ministerin. Ich bitte an dieser Stelle um mehr Engagement.
({10})
Daneben tragen Sie die Mehrkosten für die Stilllegung der atomaren Versuchsanlagen.
Ich mache keinen Hehl daraus: Meine Fraktion ist gegen Kernforschung, weil wir die zukünftigen Kosten im
Blick haben und die Generationengerechtigkeit ernst
nehmen. Investieren Sie das Geld für Kernforschung lieber in die Forschung für erneuerbare Energien! Dort
wäre es nicht nur gut angelegt. Dort würde es auch eine
Rendite erbringen und nicht morgen für die Entsorgung
von Atomschrott verwendet werden müssen.
({11})
Frau Ministerin, ich komme auf einen weiteren Punkt
zu sprechen, damit das nicht zu kurz kommt, nämlich auf
die Ebolaepidemie. Es geht mir hier um die Mittel für
die Gesundheitsforschung. Ich hätte mir von Ihnen ein
Wort dazu gewünscht und gerne gehört, dass es für Sie
eine Herausforderung ist, mithilfe der Gesundheitsforschung ernsthaft gegen solche Krankheiten vorzugehen
und sich hier sozial verantwortlich zu zeigen. Diese
soziale Verantwortung werden wir Grünen für Ihren
Haushalt einfordern.
Wir sind in der Sache konstruktiv, aber auch kritisch,
weil es uns um die Zukunft dieses Landes geht.
Vielen Dank.
({12})
Das war fast eine Punktlandung. - Herr Kaufmann,
Sie haben die Chance, das zu wiederholen. Sie haben das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Zahlen
für den Haushalt 2015 anschaut, dann kann man nur sagen: Das ist wirklich eine gute Regierungsarbeit. Es ist
für Grüne und Linke schwer, hier ein Haar in der Suppe
zu finden. Das haben ja auch die Reden des Kollegen
Claus und der Kollegin Deligöz gerade gezeigt. Im Übrigen, Herr Claus und Frau Deligöz: Es handelt sich im
Haushalt nicht um Kürzungen, sondern um Umschichtungen. Das ist ein ganz gravierender Unterschied.
({0})
Zum ersten Mal seit 1969 erreichen wir wieder - ebenfalls in einer Großen Koalition - einen Haushalt ohne
neue Schulden. Das ist gerade hinsichtlich der Generationengerechtigkeit ein echter Meilenstein.
({1})
Gleichzeitig sparen wir nicht an der falschen Stelle. Im Gegenteil: Die Mittel für den Bildungs- und Forschungsetat
des Bundes werden erneut massiv erhöht - wir haben es
gehört -, und zwar um 8,63 Prozent. So manche Landesregierung kann sich angesichts von Kürzungen im Bildungsbereich, die gerne mit dem Verweis auf die Schuldenbremse in 2020 begründet werden, hier eine Scheibe
abschneiden.
Diese Bundesregierung zeigt einmal mehr, dass
beides geht: Konsolidierung des Haushalts und mehr
Investitionen in Bildung. Selbstverständlich ist dies eine
gemeinsame Leistung der Bundesregierung und der
Regierungskoalition. Aber - darauf möchte ich hinweisen; das ist mein erster zentraler Punkt -, Herr Schulz, es
ist die CDU, die für einen stetigen Aufwuchs des Bildungsetats in den letzten zehn Jahren steht.
Seit der Übernahme der Bundesregierung 2005 unter
Unionsführung mit einem CDU-geführten Bildungsministerium gab es kontinuierliche und stetige Steigerungen im Bildungsetat. 2005 haben wir von Rot-Grün
einen BMBF-Etat von knapp 7,6 Milliarden Euro übernommen; das waren 2,9 Prozent des Bundeshaushalts.
Heute beträgt der Anteil des Haushalts für Bildung und
Forschung am Bundeshaushalt 5,1 Prozent und hat mit
15,2 Milliarden Euro ein doppelt so großes Volumen.
({2})
Das ist eine Steigerung der Mittel im Bildungshaushalt
unter CDU-Führung um über 100 Prozent. Ich kenne
keine andere Regierung in Deutschland und auch nicht
in Europa, die dies in den letzten zehn Jahren geschafft
hat. Darauf können wir als CDU/CSU besonders stolz
sein.
({3})
Mein zweiter wichtiger Punkt, auf den ich hinweisen
möchte - das wurde bereits angesprochen -: Der Bund
übernimmt zum 1. Januar 2015 den bisherigen Finanzierungsanteil der Länder am BAföG. Wir entlasten die
Länder dauerhaft, da der Finanzierungsanteil von
35 Prozent komplett entfällt. Dadurch werden bei den
Ländern 3,5 Milliarden Euro frei. Zusätzlich gibt es von
Bundesseite zum Wintersemester 2016/17 eine mehr als
800 Millionen Euro schwere BAföG-Reform mit einer
deutlichen Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge,
einer deutlichen Anhebung des Wohnzuschlags und des
Kinderbetreuungszuschlags, einer Schließung der Förderlücke zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen,
einer Online-Antragsmöglichkeit für alle Studierende
und vielem mehr. Das bedeutet: mehr Geld, weniger Bürokratie. Auch diese Reform der Bundesregierung kann
sich also sehen lassen.
({4})
Mit der BAföG-Einigung haben wir die jahrelange
Blockadepolitik der Länder beim BAföG durchbrochen.
Das CDU-geführte Bildungsministerium hatte sich bereits seit der letzten BAföG-Reform 2010 für eine weitreichende Reform eingesetzt. In vielen Gesprächen auf
allen Ebenen verständigte man sich zwar auf inhaltliche
Änderungen. Eine Novelle scheiterte aber immer wieder
an der fehlenden Finanzierungszusage der Länder.
Durch die komplette Übernahme der BAföG-Kosten
konnten wir diese Blockade jetzt gemeinsam aus dem
Weg räumen.
Das ist noch nicht alles, was wir vonseiten des Bundes an Mitteln an die Länder transferieren. Der Bund beteiligt sich weiterhin am Hochschulpakt - das haben wir
gehört -, damit auch zukünftig eine ausreichende Zahl
an Studienplätzen finanziert werden kann. Allein 2015
sind das 2,1 Milliarden Euro. Der Bund finanziert die
wichtigen Programmpauschalen. Der Bund stellt Geld
für die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen im
Rahmen des Qualitätspakts Lehre zur Verfügung. Nach
der geplanten Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz
kann sich der Bund noch stärker im Wissenschaftsbereich einbringen. Das Engagement des Bundes in der
Bildungspolitik ist somit ausgesprochen hoch.
({5})
All das entlastet die Länder zusätzlich bei der Hochschulfinanzierung und eröffnet ihnen damit Spielräume
für die Verbesserung der Grundfinanzierung oder beim
Hochschulbau. Daher wäre es übrigens nur angemessen
und fair, wenn sich die Länder ihrerseits an den Programmpauschalen beteiligen würden.
({6})
Doch was passiert tatsächlich? Sind die Länder derzeit ein verlässlicher Partner bei der Hochschulfinanzierung? Das ist mein dritter zentraler Punkt. Wenn wir den
Ländern schon weitere 1,17 Milliarden Euro jährlich zur
Verfügung stellen, dann müssen sie sich bitte auch an die
Vereinbarung mit dem Bund halten, Herr Schulz, und
das Geld wirklich für Schulen und vor allem Hochschulen ausgeben.
({7})
Man kann das machen wie in Baden-Württemberg, wo
die Aufteilung der Gelder im Verhältnis 50: 50 an Schulen und Hochschulen erfolgt, oder wie in Hessen oder
Sachsen, wo 100 Prozent der Mittel an die Hochschulen
fließen. Aber es so zu machen wie Niedersachsen und zu
sagen: „Wir geben gar nichts an die Schulen und Hochschulen, sondern alles an die Kitas“, das geht nicht.
({8})
Das ist im Übrigen, Herr Schulz, auch nicht vereinbarungsgemäß.
({9})
Das starke Bekenntnis im Haushalt zur Finanzierung
der akademischen Bildung darf - auch das wurde
gesagt - nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Herausforderung der nächsten Jahre darin liegt, die
berufliche Bildung als tragende Säule unseres Bildungsund Wirtschaftssystems zu stärken und die Verzahnung
von beruflicher und akademischer Bildung voranzutreiben.
({10})
Verlassen wir die Bildung, und kommen wir noch
kurz zur Forschung. Für die Förderung von Forschung
und Entwicklung stellt der Bund zusätzliche 3 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode bereit. In diesem
Rahmen werden wir die Exzellenzinitiative weiterentwickeln, den Pakt für Forschung und Innovation fortsetzen
und die Hightech-Strategie zu einer umfassenden, ressortübergreifenden Innovationsstrategie ausbauen. Es
geht um Themen wie Industrie 4.0, die Mobilität der
Zukunft, Morgenstadt und vieles mehr. Es geht auch um
die Akzeptanz in der Bevölkerung. All diese Themen
werden wir hier noch ausführlich in den nächsten Wochen diskutieren.
Ziel ist es, gemeinsam mit den Hochschulen, den
Forschungseinrichtungen und den Unternehmen eine zukunftsfähige Forschungsinfrastruktur aufzubauen und
Investitionen zu bündeln. Dazu gehören meines Erachtens auch Exzellenzcluster und Spitzenzentren.
({11})
Nur so können wir die Innovationskraft unseres Landes
weiter stärken und im harten internationalen Wettbewerb
bestehen. Noch sind wir ganz vorn dabei. Aber auch die
Amerikaner haben jetzt die enorme Bedeutung staatlicher Innovationsförderung erkannt. Anlässlich eines
neuen US-Förderprogramms für Innovation sagte
Barack Obama im Februar dieses Jahres - ich zitiere -:
I’m really excited about these four hubs … The
only problem is Germany has 60 of them …
Mit unserem fortgesetzten Commitment zur Forschung hatten wir das 3-Prozent-Ziel der Europa-2020Strategie bereits 2012 erreicht. Jetzt gilt es, weiter dranzubleiben. Mit dem Anstieg der Forschungsmittel in
2015 unterstreichen wir unsere Entschlossenheit
hinsichtlich Forschung und Innovation einmal mehr. Die
Union steht dabei - ich betone es nochmals - auch
weiterhin zur Spitzenforschung. Doch Forschung und
Innovation braucht auch die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu gehören insbesondere Anreize für den Einsatz
von Wagniskapital für Start-ups, Verbesserungen bei der
Innovationsfinanzierung auch kleiner und mittlerer Unternehmen und innovationsfördernde Regelungen beim
Crowdfunding. Auch hier müssen wir aktiv werden.
({12})
Freuen wir uns also heute gemeinsam über den ersten
Haushalt ohne neue Schulden seit 45 Jahren, bei
gleichzeitig steigenden Investitionen in Bildung und
Forschung. Das ist erfolgreiche gemeinsame Regierungspolitik für die jungen Menschen und für die Zukunft unseres Landes.
Danke sehr.
({13})
Als nächster Redner hat der Kollege Ralph Lenkert
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Bildung und Forschung sind kein Privileg
für Eliten, sondern eine Herausforderung für alle. Vor
neun Jahren zwang die Thüringer CDU-Alleinregierung
mit ihrem Angriff auf Kitas die Thüringer Eltern, für
ihre Kinder einzutreten. Wir starteten das Volksbegehren
für eine bessere Familienpolitik. Eltern, Erzieherinnen
und Erzieher, Gewerkschaften, die Linke, die SPD und
Bündnis 90/Die Grünen kämpften zusammen für eine
bessere frühkindliche Bildung.
({0})
Fünf Jahre später und nach dem Verlust der absoluten
Landtagsmehrheit konnte die CDU endlich einem besseren Kitagesetz zustimmen.
({1})
Wenn Bodo Ramelow Ministerpräsident von Thüringen
wird,
({2})
dann bekommen wir auch noch die Landesfinanzierung
für Kitas sauber geregelt.
({3})
Begriffen hat die Bundes-CDU mit diesem Haushaltsentwurf nichts. Bundesweit fehlen Erzieherinnen und
Erzieher in Krippen und Kindergärten, die Gruppen sind
zu groß, die Öffnungszeiten sind zu knapp. Speziell für
Ihre Bildung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, zitiere ich den Nobelpreisträger für Ökonomie, James J. Heckman, von der University of Chicago:
Die Gesellschaft erhält eine langfristige Rendite von
50 Prozent für jeden Euro, der in frühkindliche Bildung
investiert wird. - Das sieht auch die Linke so.
({4})
In diesem Haushalt haben Sie erneut nicht begriffen, wie
wichtig frühkindliche Bildung ist. 1 Milliarde Euro
verteilt auf vier Jahre - das ist alles. Laut BertelsmannStiftung müssten Sie das Zehnfache in Kitas und vor
allem in die Ausbildung von Kitapersonal investieren.
({5})
Handeln Sie endlich!
In einer Stadt wie dem thüringischen Gera, einer Stadt
ohne genehmigten Haushalt, verfallen die Schulen. In
Hunderten Kommunen Deutschlands passiert das
Gleiche. Wir alle kennen den Sanierungsstau. Ohne das
herausragende Engagement von Lehrerinnen, Lehrern
und Eltern wären die Bedingungen für unsere Kinder unzumutbar; Ihnen gilt mein Dank. Die Schulen leben von
der Substanz. Wir fordern Schulsanierungen, und zwar
schnell.
Im Wahlkampf hört man jetzt von Politikerinnen und
Politikern der Union: Wir brauchen mehr Lehrerinnen
und Lehrer für kleinere Klassen, für Inklusion. - Ich
frage Sie von der Union: Warum haben Sie in den letzten
24 Jahren in Thüringen und Sachsen oder in 9 Jahren im
Bund unter Ihrer Regierungsverantwortung nicht für
eine ausreichende Anzahl und gut ausgebildete Lehrkräfte gesorgt?
({6})
Blicken Sie auf die Vertretungspläne der Schulen: häufiger Stundenausfall, Vertretungen, Unterricht durch Eltern, und zwar flächendeckend. Lehrerinnen und Lehrer,
die befristet für das Schuljahr eingestellt werden, müssen sich aus Sparsamkeit der Länder in den Sommerferien arbeitslos melden. Das alles sind Folgen Ihrer
Regierungspolitik. Diese Politik muss verändert werden.
({7})
In Thüringen fehlen über 2 000 Lehrerinnen und
Lehrer. Dieser Personalbedarf entspricht 120 Millionen Euro pro Jahr. Der Anteil für Thüringen von 57 Millionen Euro per annum aus Ihrem Bildungspaket von
6 Milliarden Euro reicht nicht einmal für die Hälfte.
Herr Lenkert, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von den Grünen zu?
({0})
- Nein, das war eine Bitte um Zwischenfrage. Das habe
ich schon richtig interpretiert.
Bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege,
ich weiß nicht, ob Sie Bildungsminister in Thüringen
werden wollen. Das ist aber nicht Anlass unserer heutigen Debatte. Könnten Sie jetzt bitte langsam zum Bundeshaushalt kommen? Bisher haben wir nur etwas über
Thüringen gehört.
({0})
Meine Frage: Was möchten Sie im Bundeshaushalt an
Investitionen für Bildung?
Sehr geehrter Herr Kollege, als Erstes fordern wir
- das als Antwort auf Ihre Frage - die Aufhebung des
Kooperationsverbotes;
({0})
denn das Kooperationsverbot sorgt dafür, dass die Bundesländer mit nicht so viel Geld die Bundesländer, die
reicher sind, noch unterstützen müssen. Nehmen wir
Bayern, meine Herren von der CSU: Bayern bildet seit
Jahren viel zu wenige Studentinnen und Studenten für
die eigene Wirtschaft aus.
({1})
Andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein, wie
Nordrhein-Westfalen, wie Thüringen, wie Sachsen finanzieren mit ihren Landesmitteln über ihre Hochschulen die Absolventen für Bayern. Bayern spart sich die
Kohle und will jetzt auch noch seine Ausgaben für den
Länderfinanzausgleich reduzieren. Das ist ungerecht. Da
Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, da
Eltern flexibel sein müssen, muss das Kooperationsverbot aufgehoben werden. Wenn uns das gelingt, dann ist
dieses Thema auch hier wichtig. Ich erörtere in meinen
Reden diese Frage deswegen so intensiv, damit jedem
klar wird, wie schwachsinnig das Kooperationsverbot
für eine gute Bildung in ganz Deutschland ist.
({2})
2016 soll das BAföG erstmals nach sechs Jahren steigen. Bis dahin müssen Studierende ohne betuchte Eltern
noch mehr jobben, um die emporschießenden Mieten
und Lebenshaltungskosten bezahlen zu können.
({3})
Der Bund übernimmt 1,17 Milliarden Euro für das
BAföG. Das ist gut; denn dann bekommen die Länder
diese Mittel frei. Aber ohne Aufhebung des Kooperationsverbotes werden diese Mittel in den Landeshaushalten versickern. Das Kooperationsverbot verbietet die
gemeinsame Finanzierung von Bildungseinrichtungen.
Das ist falsch. Bildung geht uns alle an.
({4})
An den Hochschulen haben 84 Prozent der 160 000
wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur
Zeitverträge, über die Hälfte davon Zeitverträge von
unter einem Jahr. Das heißt, Menschen, die nicht wissen,
wovon und ob sie in drei Monaten die Miete zahlen können, sind das Rückgrat bei der Ausbildung der Studierenden. Diesen Zustand finden wir für Studierende und
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerträglich.
({5})
Bei den Forschungsgesellschaften sind Befristungen
ebenfalls Standard. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz provoziert dies. Manche Professoren und Institutsleiter nutzen das erbarmungslos aus. Reduzieren Sie
endlich diesen Befristungswahnsinn! Koppeln Sie die
Erhöhung der Grundfinanzierung für das Max-PlanckInstitut, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Leibniz-Gesellschaft an Auflagen für
gute Arbeitsplätze.
Bei Forschung diskutieren wir über die Zukunft des
Wissenschaftsstandortes Deutschland. Aber Ihre neue
Hightech-Strategie, Frau Ministerin, enthält nur die alten
abgedroschenen Phrasen: Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, Stärkung der Innovationsfähigkeit, Förderung
von Wachstumsimpulsen.
({6})
Das klingt tough, ist aber absolut beliebig und ändert gar
nichts. Über Grundlagenforschung reden Sie, Frau
Ministerin, überhaupt nicht. Deswegen für Sie ein Zitat
von Albert Einstein:
Hätten wir nur in produktorientierte Forschung investiert, gäbe es heute die perfekte Petroleumlampe, aber kein elektrisches Licht.
Die Linke will Bildung verbessern und Forschung
stärken. Dazu braucht es: erstens die Abschaffung des
Kooperationsverbotes, zweitens ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz und Schluss mit dem Befristungswahnsinn, drittens eine kommunale Investitionspauschale von 1,5 Milliarden Euro, viertens 3 Milliarden
Euro für den Kitaausbau und ein Ausbildungsprogramm
für Erzieherinnen und Erzieher, fünftens 964 Millionen
Euro mehr für den Hochschulpakt und bessere Studienbedingungen und, sechstens, mehr Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher.
Rot-Rot kann es. Das beweist Brandenburg mit einem
Haushaltsüberschuss von 366 Millionen Euro seit 2010
und 2 540 neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrern.
({7})
Wir Linken schwadronieren nicht über schwarze Nullen.
Wir investieren in Bildung und sanieren Haushalte.
Vielen Dank.
({8})
Als nächster Redner hat der Kollege Ernst Dieter
Rossmann das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gute Bildungs- und Forschungspolitik lebt
von Kontinuität und neuen Akzenten. Frau Ministerin
Wanka, Sie werden akzeptieren - auch mit Hinblick
darauf, dass die frühere Bildungs- und Forschungsministerin gerade die Plenarsitzung leitet -, dass wir darauf
hinweisen: Ja, es hat seit 2005 kontinuierlich Verbesserungen gegeben. Aber es hat auch schon seit 1998 wesentliche Verbesserungen gegeben.
({0})
So wurde das BAföG deutlich verbessert, indem das
Kindergeld nicht mehr angerechnet wird. Es wurden
Maßnahmen vorbereitet betreffend die Fachhochschulen bis hin zur stärkeren Forschungsorientierung an den
Hochschulen und es ist auch die Gesamtarchitektur der
Forschungsförderung neu aufgestellt worden.
Wir werben dafür, über diese Gesamtkontinuität so
zugespitzt zu diskutieren, dass wir uns jetzt fragen: Was
ist gegenwärtig strukturell besonders wichtig mit Blick
auf den Haushalt 2015?
In Anbetracht der Großen Koalition möchte ich es so
formulieren: Manches genießt man still. Es waren der
Kollege Schulz und der Bürgermeister Scholz, die
zusammen in langer Linie und am Ende erfolgreich
durchgesetzt haben, dass das BAföG zu 100 Prozent
vom Bund getragen wird.
({1})
Ich wiederhole: Es waren Schulz und Scholz. Wir wollen
das still genießen, wenn wir uns vor Augen führen,
welche Bedenkzeit andere benötigt haben, bis sie dem
gefolgt sind.
In Sachen Kontinuität können wir auch darüber diskutieren, dass die Hightech- und Innovations-Strategie
weiterentwickelt worden ist. Auch hier gab es substanzielle Veränderungen. Es sind neue Kapitel hinzugekommen, zum Beispiel im Bereich Arbeit, was wir und auch
Sie als sehr wichtig erachten. Außerdem wurden neue
Konzeptionen entwickelt, und zwar in Bezug auf
Innovationen für Produktion, Dienstleistung und Arbeit.
Ein Hinweis von Ihnen war sehr wichtig: Ja, wir alle
öffnen uns zivilgesellschaftlichem Sachverstand und
zivilgesellschaftlicher Moral. Als stille Genießer nehmen wir zur Kenntnis, dass dieser Akzent jetzt von den
Vertretern aller Koalitionsfraktionen in den entsprechenden Beiräten, vom Beirat des Hauses der Zukunft bis
zum Beirat bei der Hightech-Innovations-Strategie, gesetzt wird. Frau Ministerin, Sie haben dabei unsere volle
Unterstützung.
({2})
Schließlich wurden weitere neue Akzente gesetzt, die
sich im engeren Sinne auch im neuen Haushalt wiederfinden. Wir müssen in unseren Diskussionen immer im
Auge behalten, dass alle Menschen schichten- und
herkunftsunabhängig die Chance auf Aufstieg durch
Bildung, Leistung und Solidarität bekommen müssen.
Wir müssen die Bildungsgerechtigkeit aber auch unter
dem Gesichtspunkt der Teilhabe verstehen. Dazu gehört
das Verständnis für moderne Entwicklungen in der Welt,
für technologische Veränderungen sowie für globale
ökonomische und ökologische und andere Zusammenhänge. Das bedeutet, dass wir im Schlüsselbereich, dem
Bereich der schulischen Ausbildung und Hochschulausbildung, ansetzen müssen.
In diesem Haushalt ist erstmals die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ etatisiert. Diese wurde früher bereits von der CDU/CSU eingebracht. Jetzt stellen wir sie
in den Haushalt ein. Mit Blick auf die Qualitätsoffensive
freuen wir uns sehr, dass auch die berufsbildenden Schulen ganz stark in den Fokus gerückt werden; Herr Kollege Rainer Spiering hat darauf gedrungen.
({3})
Wir denken beim Stichwort „Lehrerbildung“ immer viel
zu schnell an nur einen Teil des Schulwesens. Bei den
berufsbildenden Schulen handelt es sich im Übrigen um
ein sehr schwieriges Bildungswesen, weil es nicht in allen Bereichen der berufsbildenden Schulen eine kontinuierliche Klassenbildung gibt und eine sehr vielfältige
Jugend- und Junge-Erwachsene-Struktur zu erkennen ist.
Wir erwarten und hoffen, dass aus den Ländern viel
Engagement und viele innovative Projekte für eine gute
Berufsschullehrerausbildung kommen. Das ist uns
wichtig.
({4})
Diese Priorität beruflicher Bildung haben Sie, Frau
Ministerin, in der Tat dadurch belegt, dass auch mit der
Innovations- und Strategieinitiative für berufliche Bildung neue Akzente gesetzt werden sollen. Trotzdem:
Selbst wenn Sie ESF-Mittel und andere Ressourcen in
der Debatte anführen, fällt nicht nur der Kollegin von
den Grünen, sondern auch uns auf, dass der Titel „Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung“ wieder um 10 Millionen Euro gekürzt worden ist.
({5})
Das fällt uns deshalb besonders auf, weil wir als Parlamentsfraktion in den Beratungen zum Haushalt 2014
diese 10 Millionen Euro hineinverhandelt und durchgesetzt haben. Ich glaube, wir dürfen sagen: Es leuchtet
uns noch nicht ein, weshalb der Wille des Parlaments an
dieser Stelle mit einem Regierungsentwurf konterkariert
wird. Da sind wir sehr willensstark.
({6})
Das möchte ich gerne hier für die Parlamentsfraktion der
Regierung mit ansprechen.
Wir sind auch in mancher Hinsicht innovativ. Das ist
zwar nur ein kleiner Punkt, aber uns freut es - wir freuen
uns da, glaube ich, auch für die CDU/CSU mit -, dass
eine so wichtige Sache wie Alphabetisierung, wie
Grundbildung jetzt mit einer eigenen Ziffer im Haushalt
auftaucht. Wenn wir dort noch zusätzliche Mittel dazugewinnen können, wird es ein größerer Punkt werden,
was dann auch anderen - Ländern, Kommunen, der Öffentlichkeit - Mut macht, sich für eine wirkliche Alphabetisierungsdekade mit einzusetzen.
({7})
Weil wir uns ja nicht nur still, sondern auch demonstrativ freuen dürfen, möchte ich hier auch einen Dank
an die Präsidentin aussprechen - geben Sie diesen bitte
weiter an das Präsidium des Parlaments -: Ja, es ist sehr
gut, dass jetzt auch in der Zeitung Das Parlament immer
eine Beilage in Leichter Sprache enthalten ist.
({8})
Nicht, dass nun mit einem Mal ganz viele Menschen,
die sich auf diesem Sprachniveau bewegen, Das Parlament von A bis Z lesen würden, aber es ist ein Merker
für all jene, die hochgebildet Das Parlament lesen, dass
es auch anderes gibt und auch andere Zugänge zu den
alle berührenden Fragen von politischer Gestaltung und
anderem geben muss. Frau Präsidentin, Verneigung vor
dem Präsidium!
Das werde ich gerne weitergeben.
({0})
Die Dimension von Teilhabe über Bildung, speziell
auch über berufliche Bildung, will ich mit zwei Bemerkungen noch vertiefen.
Sollten wir wirklich jetzt den Streit um die Priorität
akademischer oder dualer beruflicher Ausbildung an die
erste Stelle stellen, oder sollten wir nicht vielmehr die
Diskussion um die Frage: „Wie schaffen wir es, zu mehr
erfolgreichen Abschlüssen zu kommen, sei es im akademischen oder im dualen Bereich?“ an die erste Stelle
stellen?
({0})
Das muss doch die Botschaft sein: Priorität hat nicht die
Verteilung, sondern die Entwicklung zum Erfolg hin. An
dieser Stelle sollten wir zusammenarbeiten, genauso wie
an mehr Sensibilität in Bezug auf die Förderung beruflicher Aufstiegsfortbildung.
Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Deligöz. Da
wird nichts verschlechtert. Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz ist ein Leistungsgesetz. Wenn jetzt
3 Millionen Euro weniger im Haushalt stehen, dann vielleicht, weil es weniger Menschen gibt, die diese Gelder
abrufen. Das muss aber doch das Ziel sein. Beim BAföG
haben wir die Antwort gegeben. Erstmals werden zusätzlich 100 000 junge Menschen aus der Mittelschicht
Zugang zum BAföG haben. Das ist eine beträchtliche
Zahl.
({1})
Das Meister-BAföG beziehen überhaupt nur 170 000
Techniker, Meister oder Fachwirte. Auch dort sollten wir
Wege finden, diese Gruppe von Aufstiegsfortbildungswilligen zu erweitern. Das muss das Ziel für diese Legislaturperiode sein.
({2})
Dazu darf ich eine Beobachtung aus den vielen Wahlkreisgesprächen, die man als Abgeordneter führt, hinzufügen, die einen in Erstaunen versetzt. Wir haben eine
Weiterbildungsprämie, die für Maßnahmen mit Kosten
von bis zu 1 000 Euro gewährt wird - die Förderung beträgt bis zu 500 Euro -, und wir haben das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Ich war in einem Hospiz, um
mich in anderen Zusammenhängen dort in der Diskussion sachkundig zu machen. Da wird einem gesagt: Ja,
es gibt natürlich auch Fachausbildungen und -weiterbildungen für Hospizpflege. Diese kosten aber zum Beispiel 1 600 Euro und mehr. Die werden nicht gefördert,
einerseits, weil sie über dem Satz von 1 000 Euro liegen
und andererseits, weil sie keine Aufstiegsfortbildung
sind. Sie werden dann alleine aus der Tasche von diesen
fortbildungswilligen Pflegerinnen und Pflegern bezahlt.
Haben wir das eigentlich im Kopf schon richtig sortiert?
Oder müssten wir nicht eine andere Systematik der Weiterbildungsförderung entwickeln, sodass am Horizont
tatsächlich ein Weiterbildungsförderungsgesetz entsteht,
mit dem Maßnahmen auf allen Anforderungsniveaus gefördert werden?
Im Übrigen: Dieses wünschen wir uns als Teil der
Bildungsforschung, deren Förderung wir insgesamt ja
deutlich erweitern. Wir sind auf einem guten Wege, was
den Etat für Bildung insgesamt angeht. Aber - da muss
ich Herrn Claus noch einmal recht geben - wenn man
das absolute Niveau gemessen am Bruttoinlandsprodukt
nimmt, dann ist Deutschland in Europa nicht an der
Spitze. Da gibt es, glaube ich, 15 Länder, die vor uns liegen. Bei den Zuwächsen sind wir an dritter Stelle. Das
führt mich zu dem Resümee: Ja, wir dürfen zufrieden
sein, aber selbstzufrieden dürfen wir noch nicht sein. So
weit sind wir noch nicht.
({3})
Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Im
Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen
müssen wir wirklich noch mehr tun. Selbst dann werden
wir bei der Bildung allerdings nie selbstzufrieden sein.
Danke.
({4})
Als nächster Redner hat Kai Gehring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erst seit 1998 erleben wir Aufwüchse bei den Bildungsund Forschungsmitteln - und das muss so bleiben. Denn
bei Bildung und Forschung bestehen weiterhin ganz erhebliche Investitionsbedarfe. Es ist gut, dass auch diese
Bundesregierung diese Notwendigkeit sieht. Allerdings
erinnert ihr 6-plus-3-Milliarden-Paket für Bildung und
Forschung eher an ein teures Pralinengeschenk: Man hat
das Paket aufgerissen und hält zwei oder drei Pralinen in
Händen - und ganz viel Verpackung. Den Rest hat nämlich die globale Minderausgabe schon aufgefuttert.
({0})
Das Beispiel BAföG zeigt, dass teuer nicht immer gut
sein muss. 2015 wird der Bund zwar mehr Geld für das
BAföG ausgeben, aber nicht für eine Verbesserung der
Studienfinanzierung - nein! -, sondern ganz allein, damit der Bund alleiniger Finanzier wird.
Das heißt, die Pralinen gehen an die Finanzminister
der Länder, und die bittere Pille schlucken Schüler und
Studierende. Denn die überfällige Erhöhung der Studienfinanzierung fällt weiter aus. Sie verordnen damit den
Studierenden in dieser Republik zwei Jahre Nullrunden.
Damit fallen allein 2014 und 2015 60 000 junge Menschen aus dem BAföG-Bezug heraus. Deshalb sagen
wir: Das BAföG muss rauf, und zwar sofort.
({1})
Ein tieferer Blick in Ihre Pralinenschachtel ernüchtert: Krippen und Kitas bleiben als Fundamente unseres
Bildungssystems unterfinanziert. Sie klotzen beim Betreuungsgeld und kleckern bei Ausbau und Qualität der
Kitas. Das ist nicht bildungsgerecht.
({2})
Das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm endet ersatzlos. Bei der Generationenaufgabe Inklusion tauchen
Sie schlichtweg ab. Und die konkrete Zukunft der Wissenschaftspakte bleibt ungelöste Hausaufgabe und Verhandlungsmasse.
({3})
Zentrales Manko Ihres Milliardenpakets ist: Es soll in
erster Linie die Länder entlasten. Ob und zu welchen
Anteilen die Länder die Mittel für Bildung und Wissenschaft zusätzlich investieren, hängt in Zeiten der Schuldenbremse nicht allein vom Willen zur Prioritätensetzung ab,
({4})
sondern stark von der Finanzlage jedes Landes. Das hätten Sie bedenken müssen. Das Kriterium der Zusätzlichkeit fehlt. Jetzt schnüren 16 Länder eigene Bildungspakete. Wir freuen uns mit Ihnen über erste Vorbilder wie
Baden-Württemberg oder Hessen.
({5})
Weitere werden folgen.
Wir setzen uns bundesweit dafür ein, dass die finanziellen Spielräume, die das Paket schafft, für Bildung
und Hochschulen genutzt werden und nicht zum Stopfen
von Haushaltslöchern. Denn wir sind weit davon entfernt, Bildungsaufsteigerland zu werden. Wir brauchen
mehr Meister und mehr Master und weniger Analphabetismus und Schulabbrüche in diesem Land.
({6})
Wir wollen den unterdimensionierten Hochschulpakt
unverzüglich aufstocken - das haben wir als Grüne bereits im Frühjahr hier beantragt -, damit Studieninteressierte auch tatsächlich einen Studienplatz finden. Wenn
Sie an der Stelle herumknausern, verbarrikadieren Sie
Hochschultüren und verbaseln Bildungschancen. Das
wäre verheerend.
({7})
Wir wollen auch, dass die Programmpauschale nicht
nur bleibt, sondern verstetigt und erhöht wird, damit universitäre Forschung nicht gegenüber außeruniversitärer
Forschung zurückfällt. Wir wollen auch - statt eines immer stärker um sich greifenden Befristungsunwesens an
unseren Hochschulen - klare Karrierewege und Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs, nicht zuletzt deshalb, weil die Exzellenzinitiative endet.
({8})
Wir wollen im Übrigen auch weiterhin eine Ermöglichungsverfassung: Das Kooperationsverbot in Bildung
und Wissenschaft muss weg. Ihr Grundgesetzänderungsvorschlag löst das Problem doch nur zur Hälfte.
({9})
Wir brauchen eine strategische Finanzierungspartnerschaft von Bund und Ländern für bessere Bildung und
Forschung.
Wir brauchen auch ehrgeizige Ziele in der Bildungsfinanzierung: Weiterhin fehlen 20 Milliarden Euro, um
das 7-Prozent-Ziel zu erreichen; 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen in die Bildung fließen. Die entsprechende Mahnung der OECD vom vergangenen
Dienstag darf bei der Bundesregierung nicht auf taube
Ohren stoßen.
Ähnlich ambitioniert müssen die Investitionen in Forschung und Entwicklung weiter steigen. Dass aktuell
3 Prozent des BIP dafür ausgegeben werden, ist ja nett.
Aber das sollte bereits vor einem halben Jahrzehnt erreicht worden sein! Also auf zu neuen Ufern!
({10})
Wir Grünen stehen mit Ihrer eigenen Expertenkommission Forschung und Innovation, mit Industrie und
Mittelstand, Arbeitgebern und Handwerk längst für das
3,5-Prozent-Ziel. Die Große Koalition sollte hier nachziehen.
({11})
Wir wollen die Dynamik unseres Innovationsstandortes stärken. Deshalb fordern wir eine steuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen
und mehr Möglichkeiten für Start-ups und Existenzgründer. Deutschland braucht einen neuen Gründergeist. Davon sind wir noch weit entfernt. Das wäre zukunftsgerechte Politik.
({12})
Ihre neue Hightech-Strategie dagegen ist eher ein
Sammelsurium altbekannter Forschungsförderprogramme.
Ich bin sehr gespannt, Frau Wanka, wie Sie uns die
Summe für die Hightech-Strategie, die Sie heute hier
vermarktet haben, im Ausschuss darstellen und wie Sie
auf diese Beträge kommen.
({13})
Es muss für die nächsten Jahre alles zusammengesammelt worden sein. Aber wir kommen nicht auf diesen
Betrag.
Die Hightech-Strategie sollte erkennbar entrümpelt
werden. Sie sollten für echte Bürgerbeteiligung sorgen.
Dafür haben Sie kein stimmiges Konzept. Sie müssen
insgesamt die Hightech-Strategie auf die großen gesellschaftlichen, ökologischen, digitalen und demografischen Fragen ausrichten. Mit Blick auf all das kann ich
nur feststellen: Innovationen gehen anders.
({14})
Statt heißer Luft, guter Verpackung und Brimborium
brauchen wir klare Prioritäten für höhere Investitionen in
gute Bildung und Forschung, für mehr Chancengerechtigkeit und Bildungsaufstieg und für eine wirklich kreative Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, die den
großen Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird.
Das, meine Damen und Herren, sind unsere Prioritäten
für den Haushaltsentwurf 2015. Der Haushalt sollte
überarbeitet werden. Freuen Sie sich auf unsere Änderungsvorschläge und -anträge.
Wenn die SPD tatsächlich die Änderungsvorschläge
zur Ausbildung einbringt, dann sind wir gerne dabei.
Auch wir werden gerne beantragen, dass die Kürzungen
bei der beruflichen Bildung zurückgenommen werden.
Dieser Haushalt muss dringend verbessert werden.
({15})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolfgang
Stefinger das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich angefangen habe, mich politisch zu
engagieren, wurden die öffentlichen Haushalte in unserem Land jedes Jahr mit einer Neuverschuldung aufgestellt.
Als Edmund Stoiber 2006 erklärte: „Wir machen in
Bayern keine neuen Schulden mehr“, wurde er anfangs
belächelt.
({0})
Es gab hitzige Debatten darüber. Bayern hat nun seit
2006 einen ausgeglichenen Haushalt.
({1})
- Wir zahlen sogar zurück.
Für mich als jungen bayerischen Abgeordneten, der
zum ersten Mal diesem Hohen Hause angehören darf, ist
es eine besondere Freude, bei diesem historischen
Schritt des Bundes dabei sein zu dürfen.
({2})
Zum ersten Mal seit 1969 legt der Bund einen ausgeglichenen Haushalt vor. Zum ersten Mal seit 45 Jahren
steht eine „schwarze Null“ im Haushaltsplan der Bundesregierung.
({3})
Das Wichtigste dabei ist: An der Zukunft wird nicht
gespart.
({4})
Im Gegenteil: In Bildung und Forschung wird seit Jahren
kräftig investiert, und so bleibt es auch mit diesem Haushalt. Dies war und ist nur möglich, weil die Bundesregierung eindeutig einen Schwerpunkt auf Bildung und Forschung setzt.
Gerade weil es in unserem Einzelplan, den wir heute
diskutieren, so deutlich wird, möchte ich noch einmal
ein paar Eckpunkte umreißen: 15,3 Milliarden Euro sind
8,6 Prozent mehr als im Haushalt 2014 und ein Anstieg
um 1,2 Milliarden im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr. Der Bund entlastet die Länder beim BAföG,
bei der Finanzierung von Studienplätzen und beim Ausbau der frühkindlichen Bildung. Die Finanzierung des
BAföG wird ab 2015 vollständig vom Bund übernommen. Das bedeutet eine Entlastung der Länder um
1,17 Milliarden Euro pro Jahr.
Für den Hochschulpakt stehen 2,1 Milliarden Euro
zur Verfügung. Insgesamt investiert die Koalition in dieser Legislaturperiode 3 Milliarden Euro in den Forschungs- und Entwicklungsbereich. Wir führen die Exzellenzinitiative fort.
Für die Etats der außeruniversitären Forschungseinrichtungen Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und DFG verzeichnet dieser Haushaltsentwurf
erneut eine Steigerung um 5 Prozent. Ab 2016 ist eine
jährliche Steigerung von 3 Prozent vereinbart. Wer
finanziert es? Nicht die Länder, sondern der Bund finanziert es, und das alles bei einem ausgeglichenen Haushalt, bei einer schwarzen Null.
({5})
In diesem Zusammenhang möchte ich festhalten, dass
der Bund den Ländern sehr weit entgegengekommen ist,
was die Finanzierung im Bildungsbereich angeht. Immer
noch mehr zu fordern, ist einfach. Nun sind die Länder
dran, ihre Hausaufgaben zu machen.
({6})
Die von mir aufgezählten Investitionen im Bildungsund Forschungsbereich sowie der ausgeglichene Haushalt sind ein deutliches und wichtiges Signal an die
junge Generation. Wir sagen damit: Wir bauen auf euch.
Eure Zukunft ist uns nicht egal. - Für dieses deutliche
Zeichen danke ich herzlich dieser Bundesregierung, Ihnen, Frau Ministerin, Ihren Staatssekretären und den
Mitgliedern des Haushaltsausschusses.
Lassen Sie mich bitte noch etwas zur OECD-Studie
sagen, die diese Woche veröffentlicht und hier im Hause
mehrfach angesprochen wurde. Ja, ich freue mich, dass
die OECD die gute frühkindliche Bildung in Deutschland lobt. Auch in diesem Bereich hat der Bund trotz Finanz- und Wirtschaftskrise viel Geld investiert. Unsere
geringe Jugendarbeitslosigkeit wird gelobt. Unser duales
Ausbildungssystem wird ebenfalls - man höre und
staune! - lobend erwähnt.
({7})
Ich gebe zu, dass ich diese Passage mehrfach lesen
musste; denn in den vergangenen Jahren lauteten die
Aussagen der OECD immer, dass einzig und allein der
Weg an die Hochschulen der Königsweg sei, während
Ausbildungsberufe eher als minderwertig dargestellt
wurden.
Nach meinem Verständnis hat jeder Mensch eigene
Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Der eine ist handwerklich geschickt, der andere hat zwei linke Hände. Die
eine kann gut mit Kindern, die andere eher mit älteren
Menschen. Der eine redet gerne viel und meistens lange
und geht vielleicht deshalb in die Politik; der andere
zieht sich lieber zurück, zeichnet Pläne und schreibt Bücher oder geht einer anderen Tätigkeit nach, die ihm
liegt und Freude macht. Diese Liste ließe sich beliebig
fortsetzen. So frage ich: Sollten wir nicht endlich damit
aufhören, Berufe zu bewerten oder gar abzuwerten?
Trägt nicht jeder Beruf zum Zusammenleben unserer
Gesellschaft bei?
({8})
Lassen Sie mich kurz eine kleine Geschichte erzählen. Ich hatte vor der Sommerpause einige Schulklassen
bei mir zu Gast. Es waren Schüler aus Gymnasien, Realschulen und Mittelschulen. Wissen Sie, was ein Mädchen mir geantwortet hat, als ich sie gefragt habe, was
sie - es war übrigens keine Schülerin einer Gymnasialklasse - nach ihrem Abschluss machen möchte? Sie hat
zu mir gesagt: Herr Stefinger, ich mache nur eine Ausbildung. - Was sagt uns dieser Satz? Mich hat dieser
Satz über die Sommerpause hinweg begleitet und beschäftigt. Denn der Satz sagt uns, das wir inzwischen so
weit sind, dass Schüler glauben, nur noch mit Abitur etwas wert zu sein und etwas werden zu können, und meinen, sich fast entschuldigen zu müssen, dass sie eine
Ausbildung machen. Genau das ist falsch.
({9})
Deshalb habe ich ihr zugerufen: Was heißt hier „nur“?
Herzlichen Glückwunsch zum Ausbildungsplatz! Dir
stehen danach alle Wege offen.
({10})
Ich möchte noch Folgendes in Richtung OECD sagen: Wenn wir weiterhin das Akademikerkind, das sich
für einen Handwerksberuf entscheidet oder eine Ausbildung absolvieren möchte, als Bildungsabsteiger bzw.
Verlierer bezeichnen, dann brauchen wir uns über den
erwähnten Satz des Mädchens nicht zu wundern.
({11})
Herr Stefinger, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Walter-Rosenheimer zu?
Bitte schön.
Sie bedauern, dass eine Ausbildung einer akademischen Bildung nicht gleichgestellt ist. Da Sie aus München sind: Die CSU verweist immer gerne darauf, dass
wir die berufliche Bildung stärken müssen. Ich möchte
daher wissen, warum Sie um 3 Millionen Euro kürzen.
Ihr Kollege Rupprecht hat am 30. Juli in der Deutschen
Handwerks Zeitung gesagt, dass viel mehr Geld in die
berufliche Bildung fließen müsse. Vielleicht können Sie
dem Kollegen Rupprecht und mir eine Antwort geben.
({0})
- Genau.
Für die Modernisierung und Stärkung der beruflicher
Bildung stehen 6 Millionen Euro zur Verfügung, für die
Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung 3 Millionen Euro, für Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung 10 Millionen Euro, für überbetriebliche
Ausbildungsstätten 8 Millionen Euro. Vielleicht können
Sie mir dazu etwas sagen. Das wäre sehr nett.
({1})
Sie haben richtig erkannt, dass die CSU und die CDU
immer ein Augenmerk auf die berufliche Bildung legen.
({0})
Wir sind derzeit im parlamentarischen Verfahren. Das
Haushaltsgesetz ist ein Gesetzentwurf dieser Bundesregierung; Sie wissen es. Wie ich gelernt habe - ich bin
erst seit einem Jahr Mitglied dieses Hauses -, ist es so,
dass der Haushalt vom Bundestag, das heißt von den Abgeordneten, verabschiedet wird.
({1})
Wir haben noch sehr viele Möglichkeiten, den Haushalt
zu verbessern.
({2})
Im Übrigen möchte ich hier noch eines zum Bericht
der OECD sagen; dieser Bericht berücksichtigt nämlich
nicht, dass es in den Ländern Unterschiede in der Ausbildung gibt. Während beispielsweise in Deutschland
eine angehende Krankenpflegerin ihren Beruf in der Berufsschule erlernt, wird in Frankreich eine angehende
Krankenpflegerin an der Hochschule ausgebildet. Hieran
sieht man doch, dass die vorgelegten Zahlen nicht vergleichbar sind.
Eines möchte ich deutlich festhalten - ich würde mir
wünschen, dass von dieser Stelle, vom Deutschen Bundestag, ein Zeichen für die jungen Menschen ausgeht -:
Es ist kein Abstieg, keine Schande, eine Ausbildung zu
machen.
({3})
Einen Jugendlichen, der sich für eine duale Ausbildung
entscheidet, oder einen Erwachsenen, der einen erlernten
Beruf ausübt, als Bildungsabsteiger zu bezeichnen, nur
weil die Eltern laut OECD-Definition einen höherwertigen Abschluss haben, ist für mich Diskriminierung.
({4})
Ich frage mich: Wo sind die selbsternannten Empörungsbeauftragten in unserem Land, die sich sonst schon
bei jeder Kleinigkeit echauffieren und einen Riesenaufschrei machen?
({5})
Ich komme zum Schluss. Für mich sind Menschen
mit einem Handwerksberuf oder einem Ausbildungsberuf genauso viel wert wie ein Akademiker, ein Doktor
oder ein Professor.
Herzlichen Dank.
({6})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Simone Raatz
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst zu meiner grünen Kollegin Frau
Deligöz. Da sie gesagt hat, Stifter gebe es kaum, möchte
ich einen Hinweis geben. Auch wenn es nicht mein bevorzugtes Modell zur Finanzierung von Hochschulen ist:
Die Technische Universität in Freiberg hat zwei Stifter,
die ohne staatliche Unterstützung Geld geben, und zwar
in erheblicher Höhe.
({0})
Das wollte ich nur einmal sagen.
Herr Claus, Sie haben gesagt, die Regierungskoalition
finde alles schön. Ich würde sagen: Wir finden nicht alles schön, was im Haushaltsentwurf steht, aber vieles.
Zur Realität gehört auch - ja, das muss ich sagen -, dass
das BMBF in den kommenden Jahren an einigen Stellen
Umverteilungen - mein Kollege nannte es Umschichtungen - vornehmen muss. Wenn unser Ziel nämlich ist,
Haushalte ohne neue Schulden aufzustellen, dann wird
man davon nicht ganz wegkommen. Auch ich hätte mir
an der einen oder anderen Stelle einen deutlicheren Aufwuchs gewünscht.
Umso wichtiger ist es aber - das wurde von einigen
meiner Vorredner schon erwähnt -, dass wir im Koalitionsvertrag zusätzlich 9 Milliarden Euro für die Finanzierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung vereinbart haben. Damit sichern wir - das ist ganz wichtig zum Beispiel die Fortsetzung des Paktes für Forschung
und Innovation als wichtigen Baustein einer erfolgreichen Entwicklung des deutschen Wissenschaftssystems.
({1})
Es wird auch in den kommenden Jahren wieder zu
einem Zuwachs kommen - das wurde schon erwähnt;
zunächst um 5 Prozent, später um 3 Prozent -, der unseren außeruniversitären Forschungseinrichtungen zugutekommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr Kaufmann, ich denke, das ist ein Erfolg der
schwarz-roten Koalition. Darauf können wir wirklich
stolz sein.
({2})
Denn damit zeigen wir, dass sich die außeruniversitären
Forschungseinrichtungen auf unsere Zusage verlassen
können.
Aber wir müssen auch sagen: Auch wenn wir festgelegt haben, um wie viel Prozent die Steigerung ausfällt,
wird dieser Aufwuchs auf Dauer kein Selbstläufer sein.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, mit
den Wissenschaftsorganisationen konkrete Ziele zu vereinbaren, zum Beispiel bei der Gleichstellung und der
Nachwuchsförderung. Wie ich heute gehört habe, liegt
die Nachwuchsförderung uns allen sehr am Herzen.
Bei der Fortführung des Paktes für Forschung und
Innovation werden wir daher insbesondere für diese beiden Bereiche messbare Zielvereinbarungen mit den Forschungseinrichtungen treffen.
({3})
Nach dem letzten GWK-Bericht „Chancengleichheit in
Wissenschaft und Forschung“ lag der Frauenanteil bei
Führungspositionen 2012 bei den außeruniversitären
Einrichtungen bei gerade einmal 15,8 Prozent. Ich denke,
da geht wesentlich mehr. Spezifische Zielquoten zur Gewinnung von weiblichem Nachwuchs und weiblichen
Führungskräften sind daher ein wichtiges Instrument zu
mehr Chancengerechtigkeit.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auf diesen Gebieten müssen wir etwas tun und uns dieser Problematik
annehmen.
Auch bei der Nachwuchsförderung - wir haben erst
kürzlich darüber debattiert - und damit unmittelbar zusammenhängend dem Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ muss sich etwas tun, und wir müssen uns in
der Koalition auf verschiedene Eckpunkte einigen. Um
zukünftig junge Leute für einen Job in der Wissenschaft
zu begeistern, muss es endlich eine signifikante Reduzierung der Quote der befristeten Arbeitsverhältnisse
geben. Man muss an die Karriereplanung von jungen
Menschen denken; denn es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass wir die besten Köpfe an unseren Universitäten und Forschungseinrichtungen halten, wenn
wir ihnen solche Verträge anbieten. Das muss sich dringend ändern.
({5})
Ich denke, dass die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, an der wir derzeit arbeiten, ein
ganz wichtiger erster Schritt dafür ist. Mit Freude habe
ich zur Kenntnis genommen, dass stellvertretend für
die Unionsfraktion auch mein CDU-Kollege, Herr
Rupprecht - Sie werden heute mehrfach erwähnt -,
({6})
- CSU, Entschuldigung ({7})
in der Frankfurter Allgemeinen für entsprechende Regelungen im Pakt für Forschung und Innovation plädiert
hat. Das lässt hoffen.
Neben dem Pakt für Forschung und Innovation ist ein
weiterer Schwerpunkt des aktuellen Haushalts im Koalitionsvertrag vereinbart, nämlich die Stärkung des Aufund Ausbaus „einer breit aufgestellten Wissenschaftslandschaft und einer leistungsfähigen Spitzenforschung
in den neuen Bundesländern“.
Ich dachte, Herr Lenkert, Sie gehen darauf ein - ({8})
- Ich meine aber Herrn Lenkert. Er hat vorhin auch gesprochen. - Er hat sich mehr auf die Landespolitik bezogen. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich auf die Bundespolitik bezogen und gerade diesen Punkt erwähnt
hätten; denn 28 Millionen Euro der im Koalitionsvertrag
vereinbarten zusätzlichen Mittel finden sich im Haushaltstitel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“
mit einem Gesamtbudget von etwa 146 Millionen Euro
wieder. Auch das wäre eine Erwähnung wert gewesen.
({9})
Um das, was bisher entstanden ist - ich denke hier an
den Forschungscampus in Jena, Chemnitz oder Berlin;
hier sieht es ganz toll aus -,
({10})
dauerhaft zu stärken, müssen die Mittel in den nächsten
Jahren weiter verstetigt und zielgerichtet aufgestockt
werden. Das wird eine Aufgabe der nächsten Haushalte
sein.
Der Fokus liegt dabei in einer weiteren Intensivierung
von regionalen Kooperations- und Netzwerkaktivitäten
sowie auf einer Zusammenarbeit mit überregionalen
Partnern. Die aktuelle Initiative „Zwanzig20 - Partnerschaft für Innovation“ verfolgt - Swen Schulz hat es
schon erwähnt - genau diesen Ansatz und findet sich
auch in unserem Haushalt wieder.
({11})
Die Bundeskanzlerin sagte gestern, wir wollen Weltmeister in der anwendungsorientierten Forschung werden und eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und
Wirtschaft erreichen. Davon - das muss man ehrlich sagen - sind wir noch etwas entfernt. Denn es gibt nach
wie vor in Deutschland eine erhebliche Lücke bei der
Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft. Und genau diese Lücke gilt es in den nächsten
Jahren zu schließen.
Das ist mein dritter zentraler Punkt, auf den ich zum
Schluss noch kurz eingehen möchte: Es geht um die
Schaffung neuer Instrumente für einen besseren Transfer
von Innovationen aus der Grundlagenforschung in nutzbare Dienstleistungen und Produkte. Gerade hierfür werden wir zunächst mit einem Aufwuchs von 4,5 Millionen
Euro Initiativen fördern. Eine Initiative möchte ich erwähnen. Es ist die Förderinitiative „Forschungscampus - öffentlich-private Partnerschaft für Innovationen“.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Ich möchte noch erwähnen, dass wir zukünftig auf die stärkere Kooperation
zwischen den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Wert legen und auch die Fachhochschulen in ihrer Bedeutung stärken, indem wir mehr
Forschungsmittel für die Fachhochschulen zur Verfügung stellen für eine Verbesserung des Wissenschaftsund Technologietransfers. Damit haben wir wichtige
Schwerpunkte gesetzt, die wir im nächsten Jahr gemeinsam angehen könnten und wofür wir finanzielle Mittel
zur Verfügung haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schwerpunkte
im Haushalt, gerade in unserem, sind zum großen Teil
richtig gesetzt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Tankred
Schipanski das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch nie stand der Haushalt des BMBF so im Mittelpunkt und im öffentlichen Fokus wie in diesem Jahr: In
der Rede unserer Bundeskanzlerin in der gestrigen Generaldebatte wurde er als zweiter Punkt genannt. Sie
stellte ganz treffend fest, dass sich der Forschungs- und
Bildungshaushalt gegenüber 2005 faktisch verdoppelt
hat; er stieg von 7,6 Milliarden auf 15,3 Milliarden Euro
an. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede den
Etat des BMBF als Erstes erwähnt und stellte den Aufwuchs im Haushalt 2015 von 1,2 Milliarden Euro heraus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein sehr
gutes und richtiges Zeichen.
({0})
Wir Fachpolitiker diskutieren heute in der Kernzeit. Sie
sehen: Bei dieser Bundesregierung und in dieser Legislatur stehen Bildung und Forschung ganz oben.
Im Jahr 2015 kommt ein ganz besonderer Erfolg
hinzu, nämlich keine neuen Schulden im Gesamthaushalt - ein großer Erfolg. Dennoch gibt es eine absolute
Schwerpunktsetzung beim Thema Bildung und Forschung. Da überrascht es mich schon, dass sich die
Opposition in der gestrigen Generaldebatte über diesen
großen Erfolg so echauffiert hat. Für mich als junger Abgeordneter ist der Haushalt ohne neue Schulden ein
sichtbares Zeichen für Generationengerechtigkeit, für
Nachhaltigkeit und für Verantwortungsbewusstsein.
({1})
Keiner kann verstehen, dass man sich da nicht freuen
kann. Ich bin dem Bundesfinanzminister für diese
schwarze Null sehr dankbar - auch wenn der Haushalt
des BMBF eine hohe globale Minderausgabe enthält.
Ich bin dankbar für die Schuldenbremse und weise
zugleich darauf hin, dass nicht nur die Länder, sondern
eben auch der Bund davon betroffen ist; sie stellt auch
für uns eine Herausforderung dar. Ich bin dankbar, dass
wir mit diesem Haushalt des BMBF die richtigen Prioritäten setzen, nämlich Innovationskraft und Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt wird
von wichtigen Vorhaben begleitet. Wir haben gehört:
Die BAföG-Reform und die Änderung des Artikels 91 b
Grundgesetz stehen an, der Hochschulpakt wird diskutiert. All das sind Maßnahmen, bei denen der Bund sagt:
Wir nehmen unsere gesamtstaatliche Verantwortung
ernst; auch wenn wir verfassungsrechtlich nicht in der
Pflicht stehen, engagieren wir uns in unserem Bundesstaat, engagieren wir uns für das gesamtstaatliche Wohl
der Bundesrepublik. - Das muss in gleicher Weise für
die Bundesländer gelten.
Ich darf an unsere staatliche Struktur erinnern, in der
die Länder die Finanzverantwortung für die Hochschulen tragen.
({2})
Hier erwarte ich von den Ländern, dass auch sie ihre gesamtstaatliche Verantwortung wahrnehmen.
({3})
Da entsetzt mich das, was gegenwärtig in Niedersachsen
passiert; Stefan Kaufmann hat das hier zu Recht mit
Blick auf die BAföG-Vereinbarung angesprochen. Die
Zeitschrift Forschung & Lehre hat Ende August eine
Umfrage gemacht: Sie hat sich erkundigt, wie die Bundesländer die vereinbarten Mittel einsetzen. Das Ergebnis: Thüringen gibt seinen Anteil von 28 Millionen Euro
komplett an die Hochschulen weiter; in Sachsen sind es
51 Millionen Euro, in Hessen 81 Millionen Euro usw.;
Sie können das gerne nachlesen. Allerdings gibt es zwei
Bundesländer, die sich überhaupt nicht an diese Vereinbarung halten: Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.
({4})
Am gestrigen Tage nahm hier im Hohen Hause der gegenwärtige Präsident des Bundesrates Platz, der niedersächsische Ministerpräsident. Der Bundesrat ist der Ort,
an dem die Länder ihre gesamtstaatliche Verantwortung
unter Beweis stellen. Kein Land - ich habe es Ihnen gerade gesagt - verletzt die BAföG-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern so gravierend wie Niedersachsen.
({5})
Die über die BAföG-Entlastung den Hochschulen zur
Verfügung gestellten Mittel - in Niedersachsen sind es
113 Millionen Euro - will der Bundesratspräsident in die
Kindergärten des Landes stecken und den Hochschulen
vorenthalten.
({6})
Nun ist frühkindliche Bildung wichtig, und deswegen
hat der Bund ein Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ aufgelegt. - Lieber Herr Gehring, weil Sie sich
so echauffieren: Wir von der Union glauben noch daran,
dass auch Eltern ihre Kinder betreuen können.
({7})
- So ist es. - Meine Damen und Herren, der Bund engagiert sich im Bereich der Kinderbetreuung wahrlich
genug, und die BAföG-Mittel stehen dafür nicht zur Verfügung.
({8})
Es war vereinbart, dass diese an die Hochschulen gehen.
Mit diesen Geldern, lieber Herr Schulz, kann man als
Land auch Programme für den wissenschaftlichen
Nachwuchs aufsetzen. Da machen wir überhaupt keine
Vorgaben.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren in
wenigen Wochen die Änderung des Artikels 91 b Grundgesetz. Wir entwickeln eine Kooperationskultur. Kooperation setzt aber voraus, dass man sich aufeinander verlassen kann.
({10})
Was Niedersachsen gerade macht, ist das genaue Gegenteil von Verlässlichkeit.
({11})
Eine solche Politik eines Ministerpräsidenten, dazu noch
eines Bundesratspräsidenten,
({12})
dem eigentlich das gute Miteinander zwischen Bund und
Ländern in unserem föderalen Gemeinwesen am Herzen
liegen sollte, ist für mich beschämend. Ich appelliere an
Niedersachsen, dieses Geld den Hochschulen zur Verfügung zu stellen.
({13})
Der OECD-Bericht wurde schon angesprochen. Ich
glaube, der Kollege Stefinger hat das sehr richtig erkannt: Die OECD hat unser durchlässiges System unter
dem Titel „Kein Abschluss ohne Anschluss“ bis zum
heutigen Tage nicht richtig verstanden.
({14})
Die OECD diskreditiert systematisch den deutschen
Facharbeiter. Daher sagen wir trotz OECD: Uns ist die
berufliche Bildung wichtig. Das ist für uns ein wichtiger
Schwerpunkt. Daher schichten wir Mittel in diesen Titel
um.
({15})
Auf das parlamentarische Verfahren wurde ja bereits
verwiesen. Wir werden, lieber Kollege Rossmann, diesbezüglich zu einer guten Lösung kommen.
({16})
Uns ist daran gelegen, dass wir gemeinsam mit den Ländern flächendeckend für eine gute Berufsorientierung
und eine gute Studienorientierung sorgen können.
({17})
Wir wollen damit auch deutlich machen, dass die berufliche und die akademische Ausbildung für uns den gleichen Stellenwert haben; Kollege Stefinger hat darauf
richtigerweise hingewiesen.
({18})
Noch einmal zur Mär, dass der Bildungsabschluss
von der sozialen Herkunft abhängt:
({19})
Unsere Maxime lautet: Kein Abschluss ohne Anschluss.
Jeder, der sich nach einer Berufsausbildung weiterqualifizieren möchte, hat dazu die Möglichkeit. Alle haben
die gleichen Bildungschancen.
({20})
Herr Schipanski, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, ich freue mich auf die Kurzintervention.
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an unsere
Programme „Offene Hochschulen“ und „Aufstieg durch
Bildung“. Die TU Ilmenau, meine Heimatuni, hat aus
diesen Programmen vor kurzem umfangreiche Mittel erhalten. Unsere Bundesforschungsministerin konnte sich
von den Erfolgen dort überzeugen.
({0})
- Ja, genau, in Thüringen. Ich komme jetzt auf Thüringen zu sprechen, weil der Kollege Lenkert hier eindringlich an die Thüringer Landtagswahl erinnert hat, die am
Wochenende stattfinden wird. Sie wissen: Thüringen ist
eines der erfolgreichsten Länder unter den neuen Bundesländern. Die gegenwärtige Landesregierung unter
Führung der CDU steht für Stabilität, für Verlässlichkeit
und für Aufschwung.
({1})
Die Thüringer Hochschul- und Forschungslandschaft
droht einzustürzen, wenn die Linke dort in Regierungsverantwortung kommen sollte.
({2})
Wir haben das an Ihrer Rede gesehen, Herr Lenkert. Das
Wahlprogramm der Linken lässt Schreckliches erahnen:
flächendeckende Einheitsschulen, Förderschulen sollen
zerschlagen werden, Schüler sollen keine Schreibschrift
mehr lernen, Noten sollen abgeschafft werden, demokratische Strukturen an den Hochschulen sollen abgebaut
werden.
({3})
Die Hochschulen sollen durch den Geist der Planwirtschaft entmündigt werden.
({4})
Herr Schipanski, lassen Sie diese Zwischenfrage zu?
Nein, ich erwarte in diesem Fall ebenfalls eine Kurzintervention. - Die Regelstudienzeiten sollen ausgesetzt
werden, der Qualitätspakt Lehre soll abgeschafft werden, die leistungsbezogene Professorenbesoldung und
die Forschungsfreiheit sollen stark eingeschränkt werden. Es geht weiter - Herr Lenkert, ich kann Ihnen das
nicht ersparen -: Die Landkreise sollen aufgelöst, die
Kreisfreiheit von Städten abgeschafft und somit Hochschul- und Wissenschaftsstandorte gefährdet werden.
({0})
Das Einzige, was die Linken gründen möchten, sind
Cannabisklubs an Schulen und Hochschulen.
({1})
Das ist unverantwortlich. Das gilt es zu verhindern. Die
Bildungsrepublik Deutschland darf nicht durch Rot-Rot
in Thüringen gefährdet werden. Das ist mein Stoßgebet,
Herr Schulz. Wir brauchen für die Wissenschaftslandschaft für Deutschland und in Thüringen Stabilität, Verlässlichkeit und Weiterentwicklungschancen.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion
über den Bundeshaushalt mit Ihnen im Ausschuss.
Vielen Dank.
({2})
Wir haben jetzt zwei Kurzinterventionen. - Der Kollege Mutlu nicht? - Okay.
({0})
Aber Sie, Herr Lenkert, wollen eine Kurzintervention
machen. Bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Kurzintervention zulassen,
Herr Schipanski.
({0})
- Entschuldigung. Frau Präsidentin, vielen Dank.
Ich möchte Herrn Schipanski an etwas erinnern: Das
Abschaffen der Schreibschrift wurde vom CDU-Kultusminister im Jahr 2008 beschlossen. Das haben Sie abgeschafft.
({1})
Herr Schipanksi.
Herr Kollege Lenkert, Sie wissen, dass wir in einer
Großen Koalition in Thüringen regieren.
({0})
Sie wissen, dass der Kultusminister von der SPD kommt
und dass in der Tat in einer Verordnung steht:
({1})
Man kann an Grundschulen auch nur noch die Druckschrift und nicht mehr die Schreibschrift erlernen. Das
hat sich die Linke - allerdings leider Gottes auch die
SPD; das muss ich unserem Koalitionspartner hier sagen zu eigen gemacht. Nun wollen Sie in Thüringen die
Schreibschrift abschaffen.
({2})
Darauf muss man hier ganz einfach einmal hinweisen
können. Es ist traurig, Herr Lenkert, dass Sie das so
lustig finden. Ich finde es wirklich beängstigend, was
Rot-Rot in Thüringen in der Bildungspolitik vorhat. Daher hoffe ich sehr, dass weiterhin die Union in Thüringen
in Regierungsverantwortung bleibt.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort. Jetzt hat der Kollege René Röspel das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bei uns in Westfalen findet der Karneval immer
Anfang des Jahres statt.
({0})
Deswegen versuche ich jetzt, Ruhe in die Debatte zu
bringen.
Ich wollte eigentlich zur Forschungspolitik sprechen,
aber das schiebe ich jetzt ein bisschen nach hinten, weil
die bisherige Debatte mich dazu angeregt hat, ein paar
andere Sachen anzusprechen. Es ist gerade einmal ein
Dreivierteljahr her, dass wir einen Koalitionsvertrag auf
den Weg gebracht haben, der, glaube ich, richtig gut ist.
Wir versprechen darin, in dieser Legislaturperiode
9 Milliarden Euro für Bildung und Forschung auszugeben, nicht nur für den Bund, sondern für den gesamten
Staat, Bund und Länder.
Ein Großteil dieser Mittel geht tatsächlich an die Länder. Ich will ausdrücklich sagen: Ich finde das auch gut
so. Wir können uns freuen, wenn ein junger Wissenschaftler als Doktorand bei einem Max-Planck-Institut
angestellt wird. Dann kommt er sozusagen in unsere
Bundeszuständigkeit. Kollegin Raatz hat deutlich gemacht, dass wir eigentlich genug Rucksäcke zu tragen
haben, um diesem eine vernünftige wissenschaftliche
Perspektive und ein anständiges Arbeitsverhältnis zu
bieten.
Aber nicht jeder Mensch wird als Bachelor oder als
Diplom-Ingenieurin geboren.
({1})
Vor dieser Zeit, in der er dann bei uns ist, durchläuft er
Kindergarten, Schule und Hochschule. Diese sind in der
Regel in der Zuständigkeit der Länder. Das ist Teil des
Föderalismus.
({2})
Es ist deswegen richtig, dass wir zum Beispiel durch die
Übernahme des BAföG die Länder in den nächsten Jahren deutlich entlasten.
({3})
Interessanterweise - Herr Schipanski, ich weiß es
nicht mehr genau, aber ich glaube, Sie haben es gesagt steht in den Vereinbarungen, dass die frei werdenden
BAföG-Mittel für Schule und Hochschule verwendet
werden sollen.
({4})
Das Schüler-BAföG macht 900 Millionen Euro aus, und
1,2 Milliarden Euro BAföG gibt es für Studierende. Der
Anteil an Schülern ist also recht groß. Wenn ein Bundesland sagt, dass es erst einmal die Priorität auf den Beginn
der Bildungszeit im Kindergarten legen will, dann finde
ich das nachvollziehbar.
({5})
Die großen Herausforderungen im Bildungsbereich
liegen tatsächlich bei den Ländern. Ich wäre da über
manche Bundesregelung froh. Im Ruhrgebiet ist die
Schulsozialarbeit wie in vielen anderen Ballungszentren
ein wirklich wichtiges Thema. Das ist anders als im
Sauerland, im Siegerland oder in bayerischen Landen.
Es wäre wichtig gewesen - wir haben dies aber leider in
den Koalitionsverhandlungen nicht hinbekommen -,
dies durch den Bund zu finanzieren und die Länder da zu
entlasten.
Es gibt andere Themen, die wichtig sind und die vor
uns stehen, zum Beispiel das Thema Inklusion. Lassen
Sie mich ein Beispiel aus dem Leben nehmen. Was ist
Inklusion? Früher, wenn ein Kind blind war, ist es auf
eine Sonderschule gekommen. Diese heißen übrigens
- das habe ich von Hubert Hüppe gelernt - Förderschule
Schwerpunkt Sehen. Es war also ganz normal, dass dieses Kind irgendwo außerhalb des Wohnortes in eine Förderschule Schwerpunkt Sehen kommt und dort zusammen mit anderen blinden Kindern unterrichtet wird.
Inklusion heißt: Wir wollen das anders versuchen.
({6})
Mein Sohn besucht die fünfte Klasse der Gesamtschule Hagen Eilpe. Erstmals ist eine Mitschülerin ein
blindes Mädchen. Das ist nicht einfach. Alle müssen sich
umstellen und aneinander gewöhnen. Das kostet im
Übrigen auch Geld, weil sozialpädagogische und pädagogische Betreuung benötigt werden. Man muss richtig
dafür zahlen. Ich vermute, dass wir alle das wollen, weil
das eine sehr große Chance ist, nicht nur eine große
Chance für das blinde Mädchen, unter anderen Kindern
aufzuwachsen statt in einer Sonderschule, sondern es ist
auch eine große Chance für alle anderen Mitschüler und
eine große Chance für unsere Gesellschaft, gemeinsam
aufzuwachsen.
({7})
Jetzt kann man natürlich sagen: Der Bund hat zwar
die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, aber die
Länder sollen sich gefälligst darum kümmern, die Inklusion hinzubekommen und die zusätzlichen Lehrer- und
Pädagogenstellen zu bezahlen.
({8})
Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich glaube, das ist eine
gemeinschaftliche Aufgabe. Wir als Bund werden unseren Teil dazu beitragen müssen.
({9})
Von den 9 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen,
haben wir - jetzt bin ich bei der Forschung angelangt 3 Milliarden Euro bekommen, die wir in diesem Bereich
verausgaben müssen. Ich bin sehr froh, dass wir etwas
fortsetzen können, worum uns die ganze Welt beneidet.
2005 haben wir nämlich in der rot-grünen Koalition und
unter Ministerin Frau Bulmahn - ich freue mich, Sie im
Nacken bzw. im Rücken zu haben ({10})
den Paket für Forschung und Innovation auf den Weg
gebracht.
({11})
Wir haben gegenüber den Wissenschaftsorganisationen - Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, DFG, HelmholtzGemeinschaft - das Versprechen abgegeben: Ihr bekommt - darauf könnt ihr euch verlassen - jedes Jahr
3 Prozent mehr Mittel, um damit perspektivisch und
kontinuierlich Forschung betreiben zu können. In bin
sehr froh, dass seither alle Regierungen, egal welcher
Farbe, dieses Versprechen eingehalten haben.
({12})
Wir tun das auch dieses Jahr und diese Legislaturperiode. Ich bin, wie gesagt, sehr froh, dass uns das gelingt.
Aber ich sage auch: Das ist so, als ob man einen Luftballon in einer Kiste aufbläst. Der Luftballon, der Pakt
für Forschung, wird immer größer. Aber wir müssen aufpassen, dass das nicht zulasten anderer Bereiche, etwa
der universitären Forschung, geht. Wenn man hört, dass
es, zum Beispiel bei universitärer Demenzforschung,
schon Schwierigkeiten gibt, weitere Projektmittel zu bekommen, dann muss man darauf achten, dass das nicht
aus den Fugen gerät. Wir müssen eine Balance zwischen
außeruniversitärer und universitärer Forschung hinbekommen.
Wir haben das übrigens schon im Rahmen des letzten
Haushalts, des Haushalts 2014, gemacht. Da haben wir
zum Beispiel gesagt: Die Fachhochschulforschung ist
unerhört wichtig für die Region, für den Mittelstand, für
die wirtschaftliche Basis unseres Landes. Wir stellen dafür 2 Millionen Euro mehr zur Verfügung, weil sie nicht
über die außeruniversitären Forschungseinrichtungen
läuft. - Auch das müssen wir fortsetzen. Wir haben
1 Million Euro mehr für Friedens- und Konfliktforschung auf den Weg gebracht. Wenn man sich die Debatte heute Morgen angehört hat, muss man sagen: Es ist
angesichts der Konflikte in dieser Welt doch völlig nachvollziehbar und richtig, dass wir hier mehr tun müssen
und keinen Schritt zurück machen dürfen.
Weil Frau Hübinger, die sich ja große Verdienste um
diesen Bereich erworben hat, hier sitzt, sei mir ein letztes
Beispiel erlaubt. Wir als Bundesrepublik Deutschland,
als so reiches Land, müssen auch mehr bei der Forschung im Bereich vernachlässigter und armutsassoziierter Krankheiten tun.
({13})
Müssen wir erst Ebola haben, um zu erkennen, welch
große Verantwortung wir als forschungsstarkes Land in
diesem Bereich haben? Nein, eigentlich nicht.
Ich beende meine Rede mit einem großen Lob an
Frau Wanka
({14})
- das ist überhaupt kein Problem; Kritik und Lob gehören zusammen -, die am Montag ein Programm auf den
Weg gebracht und sich damit eine Position zu eigen gemacht hat, die wir als SPD seit vielen Jahren vertreten.
Es wird ein Programm für Dienstleistungsforschung,
Produktionsforschung und Arbeitsforschung auf den
Weg gebracht. Ein hochindustrielles Land wie Deutschland muss eine effiziente, ressourcensparende Produktion haben. Da müssen wir mehr tun und mehr forschen.
Wir sind jahrelang gemahnt worden, dass wir im Bereich
wissensintensiver Dienstleistungen viel zu wenig tun.
Dieses Programm wird einen Impuls geben.
Ich komme zum Schluss. In den letzten Jahren der
schwarz-gelben Koalition sind die Mittel für die Arbeitsforschung immer weiter reduziert worden, obwohl die
CDU auf diesem Gebiet eigentlich eine große Tradition
hat; Herr Riesenhuber - er war vorhin hier - hat dies in
den 80er-Jahren mit dem Programm „Humanisierung der
Arbeit“ unterlegt. Wir wollen, dass Menschen unter vernünftigen, guten Bedingungen arbeiten. Wir brauchen
Arbeitsforschung, damit diese Arbeit auch morgen, auch
in Zukunft, möglich ist. Diesen Prozess werden wir weiterhin begleiten. Wir werden sehr viel Freude daran haben, in den nächsten Jahren in dieser Koalition an diesem Thema zu arbeiten. Machen Sie mit! Ein herzliches
Glückauf!
({15})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Frau
Hübinger das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als letzte Rednerin in dieser spannenden Debatte heute Vormittag - auch ich bin eine Haushälterin bleibt mir nichts anderes übrig, als alles noch einmal ein
bisschen zu bündeln.
Herr Schulz, Sie sagten, die Finanzplanung von
Schwarz-Gelb sei immer weiter gesenkt worden. Das
stimmt. Nur - das ist wie bei den Honigbienen -, die Finanzplanung ist nicht das, was am Ende ausschlaggebend ist. Entscheidend ist der Haushalt, der verabschiedet wird. Wir hatten uns unter Schwarz-Gelb
vorgenommen, in vier Jahren 12 Milliarden Euro zu investieren. Letztendlich waren es 13,8 Milliarden Euro.
Das hat jeden Finanzplan gesprengt. Auf diesem Weg
schreiten wir voran.
({0})
Vor der Sommerpause hatten wir in der Haushaltsdiskussion die Thematik, wie die 9 Milliarden Euro für Bildung und Forschung eigentlich verwandt werden. Auch
da wurden vonseiten der Opposition Zweifel angemeldet, ob diese Gelder denn auch vollumfänglich in diesen
Zukunftsbereich Bildung und Forschung fließen werden.
Das kann man nun sagen. Jetzt sind die Gelder aufgeteilt, und sie fließen in diesen Bereich.
({1})
Allein in unseren Haushalt Bildung und Forschung
fließen 7,4 Milliarden Euro. Davon sind 2,5 Milliarden
Euro für den Bereich Forschung und 4,9 Milliarden Euro
- inklusive des Betrags für die Länderentlastung - für
die Bildungsausgaben veranschlagt. Ich denke, das kann
sich sehen lassen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund - auch
das haben wir heute schon oft gehört - nimmt seine Aufgabe der Länderentlastung, wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, sehr ernst.
({3})
Das BAföG wurde schon ausgiebig debattiert. Hier
muss ich mich noch einmal an den lieben Haushaltskollegen Swen Schulz wenden.
({4})
Ich habe mich gerade diese Woche noch einmal beim
Saarland erkundigt - wir haben dort eine Große Koalition -: Die eingesparten Mittel fließen in Höhe von
1 Million Euro in die Schule, und da vor allem in die
Ganztagsschule.
({5})
Also, man kann schon schauen, wie man das Ganztagsschulprogramm in anderer Form wieder aufleben lässt.
Der Rest fließt in die Hochschule. Wir kommen also
auch als Nehmerland unseren Aufgaben nach.
({6})
Zudem fließen zur Entlastung der Länder 2,2 Milliarden Euro in die Hochschulen, um sie weiter ausbauen zu
können.
Die Lehreroffensive wurde auch schon genannt. Mir
als ehemalige Bildungspolitikerin ist es ein Herzensanliegen - das wurde in der CDU/CSU immer diskutiert -,
dass die neuen Herausforderungen an Lehrer ein Maßstab dafür sein sollen, was genau an Mitteln in diese Offensive gesteckt wird. 45 Millionen Euro sind es in diesem Jahr.
Aber eines dürfen wir bei der Länderentlastung auch
nicht vergessen: Wir haben im Haushalt auch noch
715 Millionen Euro an Kompensationsmitteln stehen,
die nach den Ergebnissen der Föderalismusreform an die
Länder fließen.
Allerdings lassen wir trotz schwieriger europäischer
und internationaler Rahmenbedingungen auch nicht das
Zukunftsthema Forschung außer Acht. Dieses Thema
hat weiterhin Priorität. Wir setzen hier - das wurde ebenfalls öfter gesagt - auf Kontinuität. Die verbrieften jährlichen Steigerungen der Mittel für die außeruniversitären
Forschungsinstitute betragen in diesem Jahr 5 Prozent.
Ab dem nächsten Jahr werden es 3 Prozent sein, die der
Bund dann allein tragen wird. Auch damit entlasten wir
dann die Länder. Das ist etwas, was unseren Forschungsstandort sehr stark nach vorne gebracht hat, sodass weltweit der Fokus in Sachen Forschung auf Deutschland gerichtet ist.
({7})
Diese von allen gelobte Verlässlichkeit dieser Finanzierung muss weitergehen. Das werden wir auch so sicherstellen.
Die 7,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln auf
der Bundesebene führen dazu, dass wir auch in den kommenden Jahren Rekordhaushalte vorlegen können. Das
zeigt ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung für
diese Legislaturperiode. Der verabschiedete Haushalt
2014 hatte schon ungefähr knapp 14 Milliarden Euro,
der heute debattierte Haushaltsentwurf hat 15,3 Milliarden Euro. 2017 werden wir in diesem Einzelplan über
17 Milliarden Euro veranschlagen. Das ist ein wunderbarer Aufwuchs. Damit kann man Politik sehr gut gestalten.
Jetzt geht es aber darum, diese Politik so zu gestalten,
dass unsere Kinder und Enkelkinder in Deutschland
nicht nur eine Ausbildungschance, sondern auch eine
Berufschance und eine Entwicklungschance haben. Bei
diesen Beträgen - so muss ich sagen - muss doch eigentlich auch das Herz der Opposition höher schlagen.
({8})
Wie wollen wir diese Rekordinvestitionen künftig
weiter ausgestalten? Wir Haushaltspolitiker müssen allerdings auch darauf achten, dass der Gesamthaushalt
trotz mehrerer Steigerungen ausgeglichen ist. Die
schwarze Null ist unser Ziel, wir wollen keine Neuverschuldung. Das ist besser als eine rote Null; denn die
geht ja Richtung minus.
Der Zweiklang aus steigenden Zukunftsinvestitionen
und einem ausgeglichenen Gesamthaushalt - die Kollegin hat es schon benannt - ist wirklich kein Selbstläufer,
sondern stellt an alle Beteiligten - an die Fachpolitiker, an
uns Haushaltspolitiker, aber auch an das Ministerium sehr große Herausforderungen, die wir meistern müssen.
Aus fachpolitischer Sicht stellt sich die Frage: Wo
und wie setzen wir die neuen Schwerpunkte? Es wurden
einige genannt: die neue Hightech-Strategie und auch
die neue BAföG-Reform. Die Koalitionäre CDU/CSU
und SPD haben in den Verhandlungen über den Haushalt
2014 schon einzelne Schwerpunkte benannt; diese Themen gilt es natürlich auch weiterhin fortzuschreiben.
Das hat das Ministerium mit einer kleinen Ausnahme
auch so getan; dafür herzlichen Dank!
({9})
Diese Ausnahme, das war die berufliche Bildung; da ist
man wieder vom Finanzplan ausgegangen; das ist das
übliche Haushaltsprozedere. Ich denke, da wird man in
der Nachbetrachtung noch einmal genauer hinschauen.
({10})
In den vor uns liegenden Haushaltsverhandlungen
- auch für die kommenden Jahre - geht es darum, IT-Sicherheit, Kindergesundheit, Wirkstoffinitiative, Dienstleistungsforschung, Alphabetisierung usw. finanziell zu
untermauern. Nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels einerseits und der Potenziale in einer globalisierten
Welt andererseits sowie der Herausforderungen im Gesundheitsbereich lohnt sich ein zweiter Blick auf die einzelnen Posten im Haushaltsplan. Herr Röspel, vielen
Dank für das Lob! Die vernachlässigten Krankheiten
sind mir ein Herzensanliegen, nicht erst seit der neuen,
gravierenden Epidemie. Wir müssen diese Herausforderungen als forschungsstarkes Land annehmen und auch
in diesem Bereich weiter vorangehen.
Meine Zeit läuft ab.
({11})
- Meine Redezeit. - Ich darf sagen: Ich erwarte die
Haushaltsverhandlungen mit Spannung.
({12})
Wir haben sie im letzten Jahr sehr kollegial geführt. Das
sollte auch unsere Messlatte für die kommenden Jahre
sein. Ich wünsche uns erfolgreiche Wochen.
Herzlichen Dank.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel-
dungen liegen mir zu dem Einzelplan 30 nicht vor.
Ich rufe deshalb jetzt die nächsten Tagesordnungs-
punkte, die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 k auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur
Änderung der Verordnung ({0}) Nr. 354/83 im Hinblick auf die Hinterlegung der historischen Archive der Organe
beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz
Drucksache 18/1779
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der
Gewerbeordnung
Drucksache 18/2134
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltstatistikgesetzes
Drucksache 18/2135
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({3})
Innenausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf
die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und
Gesellschaftsregistern in der Europäischen
Union
Drucksache 18/2137
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen der Vereinten Nationen vom
31. Oktober 2003 gegen Korruption
Drucksache 18/2138
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Innenausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Teilauflösung des Sondervermögens „Aufbauhilfe“
und zur Änderung der Aufbauhilfeverordnung
Drucksache 18/2230
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({5})
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes
Drucksache 18/2337
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({6})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes
zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
Drucksache 18/2442
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsauschuss
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“
Drucksache 18/2443
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
j) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2013
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bun-
des für das Haushaltsjahr 2013 -
Drucksache 18/1809
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
k) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2013
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2013 -
Drucksache 18/1930
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Hier handelt es sich um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell ist
vorgeschlagen worden, die Vorlagen an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. -
Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich jetzt bitte set-
zen würden, dann kann ich über diesen Vorschlag ab-
stimmen lassen. - Sind Sie damit einverstanden? Wer
dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Stimmt jemand dagegen? -
Nein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Dann kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 3 a
und 3 b; es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vor-
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 3 a:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({9})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2012
- Vorlage der Haushaltsrechnung des
Bundes für das Haushaltsjahr 2012 - zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2012
- Vorlage der Vermögensrechnung des
Bundes für das Haushaltsjahr 2012 - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({10})
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes
- Weitere Prüfungsergebnisse Drucksachen 17/14009, 17/14010, 18/111,
18/305 Nr. 4, 18/1220, 18/1379 ({11}) Nr. 1.7,
18/1971
Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/1971 schlägt der Haushaltsausschuss vor,
der Bundesregierung die Entlastung für das Haushalts-
jahr 2012 zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen.
Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen angenommen worden.
Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung auf-
zufordern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der
Bundeshaushaltspläne die Feststellungen des Haushalts-
ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs-
hofes zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung der
Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei-
dungen des Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen
und c) die Berichtpflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den
Haushaltsberatungen gewährleistet ist. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Alle. Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen des
Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({12})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2013
- Einzelplan 20 Drucksachen 18/1560, 18/1972
Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung,
also für die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? - Ebenfalls alle Fraktionen. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.
Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung,
also für die Erteilung der Entlastung? - Auch wieder alle
Fraktionen. Damit ist auch diese Beschlussempfehlung
mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen
jetzt zum Geschäftsbereich Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
Als erster Rednerin erteile ich der Bundesministerin
Andrea Nahles das Wort.
({13})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erlauben Sie mir, bevor ich zum Haushalt komme, einige Bemerkungen zu den aktuellen Tarifauseinandersetzungen und den Streiks der letzten Wochen:
Das Streikrecht ist ein zentrales Grundrecht, ein Eckpfeiler unserer Demokratie. Dennoch herrscht in diesen
Tagen bei vielen Menschen Unverständnis über die
Streiks. Der Grund liegt klar auf der Hand, denn zum
Kern des Streikrechts gehört immer auch das Prinzip der
Solidarität: Die Stärkeren treten für die Schwächeren
ein. Man kann es auch auf die Formel bringen: Alle
streiken gemeinsam für alle.
({0})
Das ist aber nicht das, was wir in diesen Tagen erleben,
sondern hier scheint das Prinzip vorzuherrschen: Wenige
schauen nur auf sich. Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung.
({1})
Das untergräbt den Zusammenhalt in unserem Land, und
es legt die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie.
Deswegen stehe ich hier klar für das Prinzip der Tarifeinheit ein. „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ hat über
viele Jahre in Deutschland gegolten, und es soll auch
wieder gelten. Wir werden das stärken. Deswegen werde
ich hier in Kürze den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit vorlegen.
({2})
Nun komme ich aber zum Haushalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Einzelplan 11 beraten wir einen wichtigen Zukunftsetat. Ein gutes Leben für die
Menschen in unserem Land, eine gute Zukunft für
Deutschland: Das ruht auf drei Säulen, nämlich auf wirtschaftlichem Erfolg, auf sozialem Miteinander und natürlich auch auf den individuellen Chancen für jeden
Einzelnen. Deswegen ist es wichtig, dass wir eines erreichen und sichern: eine hohe Beschäftigung in unserem
Land.
Machen wir uns klar, was eine hohe Beschäftigung,
eine hohe Erwerbstätigkeit bedeutet: Sie sichert unseren
Wohlstand, sie ist für unsere sozialen Sicherungssysteme
essenziell, und sie ist auch die beste Zukunftsversicherung für den demografischen Wandel.
({3})
Deswegen ist mein Hauptziel als Arbeitsministerin, eine
hohe Erwerbstätigkeit in Deutschland zu sichern und
weiter zu fördern.
({4})
Wir haben eine extrem gute Ausgangslage: fast
43 Millionen Erwerbstätige - das gab es noch nie -, Tendenz steigend. Besonders stark steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Sie liegt mittlerweile bei über 30 Millionen. Gerade in der letzten
Woche hat uns die OECD deswegen ein wirklich gutes
Zeugnis ausgestellt: Unsere Beschäftigung wächst weiter, die Arbeitslosigkeit sinkt, und im internationalen
Vergleich gibt es für uns überall beste Platzierungen. Ich
zitiere: Deutschland gehört zu den Toparbeitsmarktperformern.
Das ist aus meiner Sicht ein gutes Zeugnis für die gesamte deutsche Politik. Darüber können wir uns freuen ohne uns deswegen auf unseren Lorbeeren auszuruhen.
({5})
Uns allen muss klar sein: Mit Blick auf morgen müssen
wir heute alles tun, um diese Entwicklung zu verstetigen
und zu festigen.
Zuerst will ich das Thema junge Menschen ansprechen. Entscheidend ist, dass die Übergänge von der
Schule in die Ausbildung oder in den Beruf keine Stolperfalle mehr sind. In den 2000er-Jahren haben wir in
diesem Land zu viele junge Menschen verloren, die
nicht erfolgreich von der Schule in eine berufliche Ausbildung oder sonstige Ausbildung gelangt sind. Deswegen - da bin ich sicher, dass die gute Zusammenarbeit
mit der Bildungsministerin Frau Wanka weiter Früchte
tragen wird - werden wir an dieser Stelle mit der Etablierung von flächendeckenden Jugendberufsagenturen
eine zentrale Veränderung bewirken: statt nachzusorgen,
wo etwas schiefgegangen ist, wollen wir rechtzeitig helfen, damit es gelingt. Das ist das Grundprinzip, auf das
wir uns verständigt haben.
({6})
Wir haben 500 Millionen Euro für die nächsten Jahre
eingestellt, um die Berufseinstiegsbegleitung zu finanzieren. Berufseinstiegsbegleitung bedeutet: Wir beginnen mit der Begleitung der jungen Menschen schon in
der Schule. Wenn es nötig ist, begleiten wir die jungen
Menschen ein halbes Jahr und länger auch in der Ausbildung.
Wir haben festgestellt, dass wir zwar viele junge
Menschen vermitteln konnten, darunter auch viele schwächere Schüler, aber die Abbrecherquote ist zu hoch. Darauf zielt eines unserer ESF-Bundesprogramme. Mithilfe
dieses Programms können wir 115 000 Schülerinnen und
Schülern zusätzlich einen erfolgreichen Berufseinstieg
ermöglichen. Das werden wir in den nächsten Jahren zu
einem unserer Schwerpunkte machen.
({7})
Klar ist auch: Es geht nicht nur darum, Fachkraft zu
werden, sondern auch, es zu bleiben. Das gelingt leider
nicht allen. Ich denke zum Beispiel an Frauen, die nach
der Erziehungszeit zurückkehren möchten: Sie sind
hochqualifiziert, aber natürlich ist die Qualifizierung ein
bisschen in die Jahre gekommen. So geht es auch Älteren und vielen gut qualifizierten Migranten. Deswegen
werden wir im Herbst eine Partnerschaft für Fachkräfte
mit den Arbeitgebern, den Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit und natürlich den zuständigen Ressorts auf den Weg bringen. Fachkräftesicherung ist ein
wichtiges Zukunftsthema. Dafür legen wir mit diesem
Etat den Grundstein.
({8})
Eine hohe Beschäftigungsquote erreichen wir aber
nur, wenn wir wirklich allen - ich betone: allen - eine
Chance geben. Deswegen nehme ich die Kritik der
OECD ernst, die sich auf die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland bezieht. Das, was wir hier sehen, kann uns nicht zufriedenstellen: Wir haben die
Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land zwischen 2006
und 2009 um 40 Prozent absenken können, aber seither
stagniert sie.
({9})
Wir kommen hier nicht voran. Die Langzeitarbeitslosigkeit betrifft nicht immer dieselben Menschen. Aber von
der Zahl von circa 1 Million Menschen kommen wir
nicht herunter.
Es ist für mich eine Zukunftsfrage, wie wir die vorhandenen Mittel effizient einsetzen, um Spielräume zu
schaffen, damit wir von Passivleistungen wegkommen
hin zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, also hoher Beschäftigung statt verfestigter Arbeitslosigkeit.
({10})
Hierfür stehen uns rund 900 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Geld eröffnen sich gute Möglichkeiten und Chancen für den Einzelnen. Das Programm soll
dazu beitragen, gezielt Arbeitgeber anzusprechen, ein intensives Coaching zu ermöglichen und teilweise auch
Lesen, Schreiben und Grundrechenarten überhaupt wieder so weit zu vermitteln, dass ein Einstieg in die Arbeitswelt möglich wird.
({11})
Ich denke, dass wir es mit diesem Programm schaffen
können, viele Brücken für Menschen zu bauen, die diese
sicher gerne beschreiten. Jeder hier weiß aber auch:
Langzeitarbeitslosigkeit zermürbt und macht viele Menschen auf die Dauer hoffnungslos. Das dürfen wir nicht
akzeptieren. Jeder Mensch hat ein Recht auf Hoffnung,
auf Arbeit und auf Chancen.
({12})
Grundlegend ist für mich daher eine gute und gelungene Integration in den Arbeitsmarkt. Aber wir wissen
auch: Bei vielen geht es, jedenfalls erst einmal, nicht
mehr um den direkten Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern wir reden hier in Wahrheit über soziale Teilhabe,
über Dabeisein und Mittun in unserer Gesellschaft. Das
ist eine Dimension, die wir auf der politischen Ebene alleine überhaupt nicht bewältigen können, schon gar
nicht ohne die Kommunen, ohne die Bürgermeister vor
Ort, ohne die Aktiven, die die Menschen ganz persönlich
erreichen.
Wir werden noch in diesem Jahr Vorschläge machen,
die wir dann auch hier im Plenum beraten - ich habe auch
angeboten, das im Ausschuss gesondert zu beraten -, um
zu klären, wie wir auch für diese Menschen Brücken
bauen können. Für die Zukunft ist also eine Menge zu
tun.
({13})
Zukunftsfähigkeit heißt aber auch, eine hohe Erwerbstätigkeit der Älteren zu sichern. Deswegen werden
wir im Dezember mit den Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen, die wir in der Arbeitsgruppe „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ erarbeitet haben. Diese Arbeitsgruppe arbeitet darauf hin, Hürden für Menschen,
die über die normale Altersgrenze hinaus arbeiten wollen, zu beseitigen, damit sie weiter in Beschäftigung
bleiben können. Sie versucht aber auch, flexiblere Möglichkeiten für den Eintritt in den Ruhestand zu finden.
Wir sind zuversichtlich, dass wir einen wichtigen Schritt
nach vorne machen und damit einen Beitrag zur hohen
Erwerbstätigenquote und zur Fachkräftesicherung in unserem Land leisten können.
({14})
In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf
aufmerksam machen, dass es wichtig ist, dass die Menschen, die in Arbeit sind, gesund und motiviert bleiben.
Ich möchte zwei Zahlen nennen, die ein deutlich wachsendes Problem beschreiben: Psychische Erkrankungen
sind inzwischen die Ursache Nummer eins für Frühverrentungen. Von 15,4 Prozent im Jahr 1993 stieg die Zahl
auf 42 Prozent im Jahr 2012. Noch beunruhigender ist:
Diese Menschen sind im Durchschnitt 48 Jahre alt.
({15})
Die Zahl der Arbeitstage, die aufgrund von seelischen
Erkrankungen ausfallen, hat sich im letzten Jahrzehnt
nahezu verdoppelt, und zwar von 33 Millionen ausgefallenen Arbeitstagen auf 59,5 Millionen Arbeitstage. Das
ist schlimm für die Betroffenen, und das kostet auch.
Das beschäftigt deswegen viele Unternehmen, und es
beschäftigt nicht zuletzt auch die Krankenkassen und die
Rentenversicherung. Deswegen bin ich meiner Vorgängerin, Frau von der Leyen, sehr dankbar, dass sie schon
zu Beginn des Jahres 2013 einen großen Forschungsauftrag an die BAuA, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin, vergeben hat, in dem es um die
Aufbereitung von Kriterien für Stress auf einer verlässlichen wissenschaftlichen Basis geht. Denn eines möchte
ich an dieser Stelle auch klar sagen: Diese Kriterien hat
zurzeit niemand. Es gibt keine Blaupause, die wir nutzen
können, um mehr für den Gesundheitsschutz zu tun. Ich
nehme diesen Forschungsauftrag ernst und werde die Ergebnisse mit Ihnen zusammen diskutieren und, so hoffe
ich, gemeinsam mit den Sozialpartnern Regelungen finden, die helfen. Denn darum geht es im Kern: um Arbeits- und um Gesundheitsschutz. Die damit verbundenen Herausforderungen müssen wir meistern.
Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt ist für viele
eine große Befreiung: Sie ermöglicht mehr selbstbestimmtes Arbeiten, Heimarbeit und vieles mehr, was
noch vor 20 Jahren gar nicht denkbar war. Aber die Digi4708
talisierung ist janusköpfig: Zum einen ist sie eine große
Chance; zum anderen kann das ständige Senden und
Empfangen, die ständige digitale Kommunikation - übrigens auch in der Freizeit -, zu einer erheblichen Belastung werden. Das müssen wir uns vergegenwärtigen und
hierzu die nötigen Lösungen erarbeiten. Das ist wichtig.
Ich bin jedenfalls guter Dinge, dass wir in ein oder zwei
Jahren mehr dazu wissen und uns konkreter damit
auseinandersetzen können, als das in diesen pauschalen
Debatten möglich ist.
({16})
Sie merken: Es gibt im Etat des Einzelplans 11 vieles,
was in die Zukunft weist; es ist ein Zukunftsetat. Wir
schaffen damit die Grundlagen für eine gute Erwerbstätigenquote auch in der Zukunft. Wir schaffen damit aus
meiner Sicht auch eine gute Grundlage zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit, gerade der verfestigten Arbeitslosigkeit. Wir werden auch die Zukunftsaufgaben, die im
Zusammenhang mit der Sicherung des Fachkräftebedarfs stehen, anpacken. Deswegen freue ich mich auf
die Debatte mit Ihnen in der nächsten Zeit.
Danke.
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
für die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Ministerin, in Ihrem Haushaltsentwurf wird mehrmals auf die Fortführung eines
Zukunftspaketes verwiesen. „Was ist das eigentlich für
ein Paket?“, werden sich so einige fragen. Es ist vor allem ein Kürzungspaket der alten Bundesregierung aus
Union und FDP aus dem Jahre 2010. Es wurde damals
von der SPD scharf kritisiert, und zwar zu Recht.
({0})
Im Jahre 2014 sollte es eigentlich auslaufen.
Ich will erinnern, worum es eigentlich ging bzw. geht:
Es ging um die Abschaffung der Rentenbeiträge für die
Bezieher von Hartz IV; es ging um die Anrechnung des
Elterngeldes auf Hartz-IV-Leistungen; es ging um den
Wegfall befristeter Zuschläge; es ging - das ist besonders schwerwiegend - um den Wegfall der Heizkostenkomponente beim Wohngeld. 2010 behauptete die
Bundesregierung, dass dieses Kürzungspaket sozial ausgewogen sei. Das sehen wir von der Linken völlig anders.
({1})
Wir erwarten von einer sozialdemokratischen Ministerin, dass sie ein derartiges Sackgassenprogramm beendet
und es nicht über die Zeit fortführt. Das wäre der richtige
Weg, Frau Nahles.
({2})
Allerdings eröffnet Ihnen dieses Programm auch
Möglichkeiten; es sollte nämlich auch neue Einnahmen
geben: Die Finanztransaktionsteuer sollte ab 2012 jährlich 2 Milliarden Euro einbringen; diese Steuer gibt es
bis heute nicht. Die Kernbrennstoffsteuer sollte ab 2011
2,3 Milliarden Euro einbringen; auch hier Fehlanzeige.
Nun kann man immer viele Gründe nennen, warum es
schwierig war, die Dinge durchzusetzen; aber es ist
natürlich auch immer einfacher, den armen Menschen
etwas zu nehmen, als den großen Konzernen und den
Milliardären in unserem Land in die Tasche zu greifen.
Damit hat sich augenscheinlich auch diese Regierung
abgefunden, aber wir als Linke nicht.
({3})
Frau Nahles, wenn Sie sich noch einmal das gesamte
Zukunftspaket anschauen, dann werden Sie feststellen,
dass zum Beispiel die Reform der Bundeswehr 4 Milliarden Euro einbringen sollte und die Einsparung bei
den Verwaltungsaufgaben im Verteidigungsministerium
noch einmal 4,3 Milliarden Euro. Ich schlage Ihnen vor:
Holen Sie sich dieses Geld aus dem Verteidigungsministerium. Das können Sie im Sozialbereich sehr gut gebrauchen.
({4})
Sie könnten damit locker die Wiedereinführung der Rentenbeiträge für Beziehende von Hartz-IV finanzieren.
({5})
Das wäre ein kleiner Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut. Bei diesem Schritt hätten Sie auch die volle Unterstützung der Fraktion Die Linke; das haben Sie bereits
am Beifall gemerkt.
({6})
Ihre bisherige Rentenpolitik war kein Beitrag zur Verhinderung von Altersarmut. An dieser Stelle müssen wir
im Bundestag dringend nachbessern.
({7})
Viele Rentnerinnen und Rentner im Osten würden sich
schon freuen, wenn die Bundesregierung wenigstens
zum 25. Jahrestag des Mauerfalls oder ein Jahr später
zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit die deutsche
Rentenmauer zwischen Ost und West endlich einreißen
würde.
({8})
Ich sage Ihnen: Wenn wir endlich gleiche Renten in
Ost und West hätten, dann könnte man die Rentnerinnen
und Rentner in Ost und West auch nicht mehr gegeneinander ausspielen. Ich finde: Wenn wir uns auf die deutsche Einheit berufen, dann muss es ein großes Ziel sein,
dass man die Menschen in Ost und West nicht gegeneinander ausspielen kann und dass wir gemeinsam der weiDr. Gesine Lötzsch
teren sozialen Spaltung unseres Landes entgegenwirken.
Das sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. Herr
Kauder, ich würde mich freuen, wenn Sie aktiv daran
mitwirken würden.
({9})
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sabine
Weiss.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr
verehrte Damen und Herren! Im Bereich Arbeit und Soziales ist die Koalition in diesem Jahr mit hohem Tempo
gestartet. Aus den drei Themen von CDU und CSU
- Mütterrente, Erwerbsunfähigkeitsrente, Verbesserungen bei Rehabilitationsleistungen - und dem Thema der
SPD - abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren - haben wir gemeinsam das Rentenpaket geschnürt, debattiert und verabschiedet.
Die ersten Bescheide mit der erhöhten Mütterrente
sind bereits bei etlichen von immerhin fast 9,5 Millionen
Frauen eingetroffen, und das, obwohl der Gesetzentwurf
das Bundeskabinett erst am 29. Januar dieses Jahres passiert hat.
({0})
Die Koalition hat also gezeigt, dass sie nicht nur arbeitsfähig, sondern in der Umsetzung ihrer Wahlversprechen
auch schnell ist.
({1})
Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz haben wir
unmittelbar danach ein weiteres wichtiges Problem in
Angriff genommen. Auch hier wurde nach heftigem
Ringen ein Weg zu einer gemeinsamen Lösung gefunden
und das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet.
In diesem Zusammenhang möchte ich eines deutlich
sagen: Mir ist allemal ein heftiges Ringen und Streiten
um eine gemeinsame Lösung lieber - das ist auch demokratischer - als keinerlei Auseinandersetzung und nur
einfaches Abnicken.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen,
den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den
Ministerien, in den Fraktionen, in den Abgeordnetenbüros und natürlich auch den Kolleginnen und Kollegen
für die bisherige und gefühlt zukünftig gute Zusammenarbeit zu danken.
({3})
All die vorgenannten Maßnahmen sind haushaltswirksam für die kommenden Jahre. Wie im Jahr 2014 ist
der nun vorgelegte Einzelhaushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der größte im Bundeshaushalt. Wieder entfällt auch dieses Jahr der weitaus größte
Anteil auf die Sozialausgaben. Von insgesamt knapp
125 Milliarden Euro sind dies circa 117 Milliarden Euro.
Der Einzelhaushalt des BMAS für 2015 ist aber Teil
eines ausgeglichenen Bundeshaushalts, und zwar des
ersten ausgeglichenen Bundeshaushalts ohne neue
Schulden seit 45 Jahren. Wir läuten damit eine Zeitenwende ein und erfüllen unser Wahlversprechen. Die
Finanzplanung zeigt, dass Bundeshaushalte ohne Neuverschuldung zukünftig Normalität werden sollen.
An dieser Stelle sei aber angemerkt: Die Schuldenbremse ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund und
Ländern. Sie einzuhalten, sind wir den nachfolgenden
Generationen schuldig. Es wäre schön, wenn sich zum
Beispiel mein Heimatland Nordrhein-Westfalen auch daran hielte. Anders als vom Bund und anderen Ländern
werden hier neue Schulden in Höhe von 3,2 Milliarden
Euro aufgenommen.
({4})
Deutschland ist in den vergangenen Jahren gut durch alle
Krisen gekommen.
({5})
Heute trägt gerade die stabile Situation - Frau Bundesministerin hat es erwähnt - von Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland erheblich zu wachsenden Steuereinnahmen und damit zu einem ausgeglichenen Haushalt
bei. Dies ist den fast 43 Millionen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern zu verdanken, die sich tagtäglich für
unser Land engagieren. Damit das so bleibt, brauchen
wir Investitionen der Wirtschaft in die Zukunft der
Unternehmen und in Arbeitsplätze. Wirtschaft und Mittelstand müssen in der Politik einen verlässlichen Partner
haben.
({6})
Die aktuellen Krisen innerhalb und außerhalb Europas machen der Wirtschaft in Deutschland zunehmend
zu schaffen. Daher ist es umso wichtiger, dass unsere
Wirtschaft auf die für sie wichtigen Rahmenbedingungen vertrauen kann. Dazu gehört, dass zukünftig möglichst keine neuen Belastungen auf die Wirtschaft und
den Mittelstand zukommen. Deshalb müssen wir den effizienten Umgang mit Finanzmitteln auch im Sozialbereich sowie die Solidität und Finanzierbarkeit unserer
sozialen Sicherungssysteme weiterhin aufmerksam im
Blick behalten.
({7})
Sabine Weiss ({8})
- Hören Sie einmal zu; das kommt gleich. - Viele Aufgaben liegen noch vor uns wie zum Beispiel Rechtsvereinfachungen im SGB II, das Bundesteilhabegesetz, das
Betriebsrentenänderungsgesetz und, und, und.
In den nächsten Monaten werden wir uns inhaltlich
insbesondere mit zwei weiteren Themen beschäftigen.
Gegenwärtig beobachten wir wieder einmal heftige
Arbeitskämpfe bei Bahn und Lufthansa. Streikbelastungen werden zu einem Problem für die Allgemeinheit.
Zigtausende Menschen werden gehindert, die Verkehrsmittel zu nutzen. Es herrscht Unverständnis. Wir erleben
hier Machtkämpfe zwischen den einzelnen Gewerkschaften. Deshalb steht das Thema Tarifeinheit ganz
oben auf der Tagesordnung. Frau Bundesministerin
Nahles hat hier erfreulicherweise gerade eben klare
Worte gefunden.
({9})
Eine älter werdende Gesellschaft braucht die älteren
Menschen. Daher ist schon vor der Sommerpause das
Thema Flexi-Rente, angestoßen von den CDU-Mittelstandspolitikern, in den Fokus genommen worden. Die
Ministerin hat auch dieses Thema bereits erwähnt. Es ist
aber aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion falsch, dafür zu
werben, immer früher in Rente zu gehen. Wer nicht mehr
arbeiten kann, soll natürlich ohne größere finanzielle
Einbußen in den Ruhestand gehen können. Dafür wurde
ja auch die vorgezogene Rente mit 63 eingeführt.
({10})
Ein dauerhaftes Absenken des Renteneintrittsalters können wir uns aber schon wegen der demografischen Entwicklung finanziell gar nicht leisten.
({11})
Bei weniger Einzahlungen müssten mehr Auszahlungen
gestemmt werden. Damit würde unser solidarisches
Rentensystem überfordert. Renten und Beiträge wären
letztlich nicht mehr bezahlbar. Und - das ist unser Ansatz - es wollen ja auch nicht alle so früh wie möglich in
Rente gehen. Viele wollen gerne weiter im Erwerbsleben
bleiben. Deshalb ist unser Votum: Die Menschen sollen
selbstbestimmt in Rente gehen können. Darum wollen
wir die Flexi-Rente einführen.
Innerhalb der Koalition haben wir eine Arbeitsgruppe
gegründet, in der die verschiedenen Wege diskutiert werden, um das Weiterarbeiten über die Regelaltersgrenze
hinaus zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Maßstab
hierbei soll sein, nicht so früh wie möglich in Rente zu
gehen, sondern so lange wie möglich arbeiten zu können.
({12})
Über konkrete Möglichkeiten für einen flexiblen Renteneintritt werden wir uns in den kommenden Wochen
verständigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern hat der
Deutsche Bundestag des Tages gedacht, an dem vor 75
Jahren der Zweite Weltkrieg ausbrach, der Schrecken,
Elend und Tod verbreitete. Wir begehen in diesem Jahr,
2014, viele Jubiläen und Gedenktage. Heute gedenken
wir zum Beispiel des Terroranschlages auf das World
Trade Center in New York.
Gestern war ein weiterer wichtiger Tag; ich erwähne
ihn deshalb, weil er irgendwie an uns vorbeigegangen
ist. Am 10. September vor 50 Jahren, also 1964, konnte
der einmillionste angeworbene Arbeitsmigrant auf dem
Bahnhof von Köln-Deutz begrüßt werden. Es war der
Portugiese Armando Rodrigues de Sá; er wurde mit einem Mofa beschenkt.
Dieser 10. September vor 50 Jahren war deshalb ein
wichtiger Tag für Deutschland, weil die Arbeitsmigranten, die mittlerweile in unserem Land beheimatet sind,
unser Land mitgeprägt und unter anderem einen wichtigen ökonomischen Beitrag geleistet haben. Die meisten
Arbeitsmigranten sind einst gekommen, um ein paar
Jahre zu bleiben. Sie hofften auf gut bezahlte Arbeit, um
ihre zu Hause gebliebenen Familien zu unterstützen.
Viele sind geblieben, haben ihre Familien nachgeholt
oder in Deutschland eine Familie gegründet. Sie haben
gearbeitet, Steuern und Sozialbeiträge gezahlt, Unternehmen gegründet und Häuser gebaut. Sie haben daran
mitgewirkt, dass Deutschland heute eine so starke Wirtschaft hat.
({13})
Heute leben wir wieder in einer Zeit, in der uns auf
dem Arbeitsmarkt in vielen Bereichen die Arbeitskräfte
fehlen. Lassen Sie uns also gemeinsam - mit den Erfahrungen der Vergangenheit - eine Willkommenskultur für
die Menschen leben, die hier sind, die sich bereits auf
den Weg gemacht haben und die noch kommen werden.
({14})
So leistet Deutschland zum Beispiel bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa einen wichtigen Beitrag. Mit dem Programm MobiPro erhalten junge
Menschen aus dem europäischen Ausland eine Berufsausbildung in Deutschland. Mittlerweile ist MobiPro so
erfolgreich, dass die Mittel deutlich aufgestockt werden
mussten. Und möglicherweise werden viele Programmteilnehmer in Deutschland bleiben, die Fachkräftelücken
füllen und hier eine neue Heimat finden.
Auch das Projekt Triple Win soll dazu beitragen, die
Fachkräftelücken in Deutschland zu schließen, insbesondere in den Pflegeberufen. Es sollen Menschen auch aus
dem außereuropäischen Ausland zu uns kommen.
Mitte August habe ich persönlich in Manila auf den
Philippinen über dieses Projekt Gespräche mit den Vertretern der philippinischen Regierung und unserer Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, mit Vertretern von Pflegeschulen und dem Goethe-Institut
geführt. Ich denke, wir sollten nochmals gemeinsam AnSabine Weiss ({15})
strengungen unternehmen, um das Projekt Triple Win
voranzubringen. Denn der Pflegenotstand in unserem
Land wird größer werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die weitere Arbeit in dieser Wahlperiode sollten wir bei allen Entscheidungen bedenken: Alles ist in Bewegung. Unsere Gesellschaft ist in Bewegung. Die Verhältnisse innerhalb
und außerhalb Europas sind in Bewegung. All das bringt
immer wieder die Notwendigkeit bzw. den Bedarf mit
sich, vorhandene Regeln und Gesetze, aber eben auch
Ressourcen anzupassen. Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam in konstruktivem Streit diese Herausforderungen annehmen.
Herzlichen Dank.
({16})
Bevor gleich die Kollegin Deligöz das Wort erhält,
hat jetzt der Kollege Kelber die Möglichkeit zu einer
Kurzintervention.
Frau Kollegin Weiss, Sie haben gerade über die Haushaltslage in unserem gemeinsamen Heimatland Nordrhein-Westfalen gesprochen und dabei den Bundeshaushalt mit einem Landeshaushalt verglichen.
({0})
Ich komme übrigens aus einer Region in NordrheinWestfalen - Bonn und die Nachbarstadt Siegburg ({1})
mit den höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen in Nordrhein-Westfalen. In beiden Städten gibt es eine CDUMehrheit im Stadtrat. In Siegburg, das die höchste ProKopf-Verschuldung hat, hat die CDU sogar die absolute
Mehrheit.
Bevor Sie aber das nächste Mal Aussagen über die
Entwicklung des nordrhein-westfälischen Landeshaushaltes treffen, würde ich Sie bitten, folgende Fakten, die
ich Ihnen gleich vortrage, nachzulesen. Denn sie sind in
offiziellen Dokumenten leicht nachprüfbar.
({2})
Im Jahr 2010 - Herr Kollege Kauder, Sie hatten einen
Zuruf an mich gerichtet, den ich von der Regierungsbank aus nicht beantworten durfte - hatte die ausscheidende schwarz-gelbe Landesregierung unter Herrn
Rüttgers noch einmal eine Finanzplanung vorgelegt. Damals war die Wirtschaftskrise schon überwunden, und
die Landesregierung rechnete mit 1,5 Prozent Wachstum
im Jahr, also mehr, als wir real hatten. Für das Jahr 2014
war eine Neuverschuldung von über 6 Milliarden Euro
vorgesehen, in einem einzigen Haushaltsjahr. Also hat
die rot-grüne Landesregierung schon jetzt gegenüber
dem Entwurf von Schwarz-Gelb die Neuverschuldung
halbiert, und im nächsten Jahr wird sie sie um zwei Drittel senken.
({3})
Frau Kollegin Weiss, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu antworten, und ich sehe, dass Sie von dieser
Möglichkeit auch Gebrauch machen wollen.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Kelber, ich
habe das geradezu provoziert, aber es musste einmal gesagt werden. Was zurzeit in Nordrhein-Westfalen los ist
und dass der Finanzminister mit dem Verfassungsgericht
gar nicht klarkommt - ihn holt jetzt sogar die Kölner
Vergangenheit in Bezug auf die Hotelsteuer langsam
wieder ein -, muss immer wieder einmal in Erinnerung
gerufen werden.
({0})
Eines steht fest, und das kann man bundesweit erkennen: Dort, wo die CDU die Landesregierung stellt, geht
es nicht nur den Ländern gut, sondern auch den Kommunen.
({1})
Das können Sie nicht durch irgendwelche Dinge besseroder schlechterreden.
({2})
Sie haben erwähnt, dass es einmal in den letzten Jahrzehnten - leider Gottes nur fünf Jahre; es war zu wenig
Zeit - eine CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gegeben hat. Das wird sich aber in Zukunft ändern. Sie trauen dieser Landesregierung eine
Menge zu, wenn Sie jetzt immer wieder darauf pochen,
dass gerade diese fünf Jahre daran schuld sind, dass es
dem Land Nordrhein-Westfalen so schlecht geht. Nein,
dass es dem Land Nordrhein-Westfalen so schlecht geht,
liegt an der schlechten Finanzpolitik der SPD-geführten
Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahrzehnten.
({3})
Jetzt hat die Kollegin Ekin Deligöz für Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe jetzt das Vergnügen, die Debatte wieder zu den
Haushaltsberatungen 2015 zum Einzelplan 11 zurückzuführen.
({0})
Wir stehen jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr vor
den Beratungen des Einzelplans 11. Als Hauptberichterstatterin beginne ich damit, Frau Ministerin, mich bei Ihnen und Ihrem Hause zu bedanken. Wir Abgeordneten
fühlten uns immer sehr gut unterstützt. Inhaltliche Differenzen haben dem Ganzen keinen Abbruch getan; es gab
eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern Herrn Schurer und Frau Lötzsch. Herrn
Fischer richten Sie bitte meine besten Genesungswünsche und auch besten Dank für die Zusammenarbeit aus.
Wir gehen in eine neue Runde. Ich kann sehr positiv auf
diese Beratungen blicken.
In der Tat beraten wir den mit 125 Milliarden Euro
größten Einzeletat. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir ehrlich wären, müssten wir diesen Etat
deutlich höher ansetzen. Denn die Kosten des Rentenpakets sind in die Rentenkassen verlagert worden. Die Folgen werden erst in ein paar Jahren offen sichtbar. Wenn
die Reserven aufgebraucht sind, das Rentenniveau abgesenkt ist und der Bundeszuschuss deutlich erhöht werden
muss, dann werden Sie feststellen, dass das eine falsche
Entscheidung für die künftigen Generationen gewesen
ist.
({1})
Dann wird es aber zu spät sein, weil wir die angewachsenen Lasten dann wiederum in diesem Haushalt schultern
müssen.
Tragischerweise haben Sie nichts darüber gesagt, was
in gesteigertem Maß auf uns zukommt, nämlich Altersarmut. Sie sagen: Vielleicht kommt die Lebensleistungsrente, vielleicht aber auch nicht. - Aber genau hier müssen wir ansetzen. Wir Grüne schlagen eine konsequente
Strukturreform in Richtung einer Garantierente vor. Das
ist ein effektiver Schritt gegen Altersarmut. In diesem
Haushalt geht es nicht nur darum, Geld auszugeben.
Vielmehr müssen wir auch mutig sein und Strukturreformen angehen und Mittel zielgenau einsetzen, damit wir
auch in Zukunft von einem sozial gerechten Haushalt
sprechen können.
({2})
Frau Ministerin, Sie haben recht: Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wichtiges Thema. Vorbehaltlich der EUGenehmigung werden Sie uns dazu ein neues Bundesprogramm vorlegen. Wir werden das sehr kritisch begleiten, weil das für diese Gesellschaft eine gravierende
Belastung ist. Aber wir dürfen uns bei den einzelnen Instrumenten nicht verzetteln. Für einen Teil der abgehängten Menschen ist die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarkts möglicherweise der einzige zweckdienliche
Weg. Damit müssen wir sehr ehrlich umgehen, auch
wenn es manchmal schwierig zu sein scheint.
Nicht zweckdienlich dagegen ist das, was gerade im
SGB II bei den Grundsicherungsleistungen passiert. Bei
den Eingliederungsmitteln hatten Sie die Verwendung
von Ausgaberesten abgesichert, und zwar bis 2017. Das
ist aber keine dauerhafte Aufstockung des Titels. Und:
Wir verschieben seit Jahren Mittel von den Eingliederungsleistungen hin zur Deckung der Verwaltungskosten. Das setzt den gesamten Bereich der Eingliederungstitel immer mehr unter Druck. Das ist ein Zeichen dafür,
dass Sie die Verwaltungskosten schlicht und ergreifend
zu niedrig ansetzen. Das geht zulasten der Erwerbslosen,
insbesondere der Langzeitarbeitslosen. Da brauchen wir
auch mehr Haushaltsklarheit. Dem müssen Sie sich in
den Beratungen stellen.
({3})
Ich kann nicht aufhören, zu betonen - das letzte Mal
haben Sie das ignoriert -: Der Rücklagenaufbau in der
Bundesagentur für Arbeit ist wichtig. Sie können natürlich davon ausgehen, dass es uns immer gut geht, und so
jeden Haushalt auf Sand bauen. Nichtsdestotrotz werden
wir auf dem Arbeitsmarkt mit anderen Herausforderungen konfrontiert sein. Zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen brauchen wir schneller höhere Rücklagen. Ich hoffe und wünsche, dass Sie das nicht weiter
ignorieren.
({4})
Frau Ministerin, einen Satz Ihrer Rede möchte ich besonders herausstreichen. Er betrifft das Asylbewerberleistungsgesetz. Im Einzelplanentwurf haben Sie in der
Tat Minimalstverbesserungen eingepreist. Aber Sie machen sich einen schlanken Fuß. Das, was Sie machen,
entspricht nicht dem Geist des Verfassungsgerichtsurteils. Sie haben hier gesagt: „Jeder Mensch hat ein Recht
auf Hoffnung.“ Dieses Recht gilt auch für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in diesem Land.
({5})
Dieses Recht muss sich auch in Ihrem Haushaltsentwurf
niederschlagen. Wir lassen Sie nicht aus der Verantwortung. Wir brauchen hier eine deutliche Verbesserung.
Nicht umsonst gibt es ein Verfassungsgerichtsurteil
dazu.
Letzter Punkt. Wir werden uns in den Beratungen
auch mit den ESF-Programmen befassen. Es beginnt
eine neue Förderperiode, in der eine Straffung und neue
Weichenstellungen vorgesehen sind. Wir als Grüne werden das operationelle Programm der Bundesregierung
konstruktiv und kritisch begleiten. Wir befürchten, dass
einiges wegfällt. Das betrifft nicht nur Ihr Haus, sondern
auch andere Einzelpläne. Es gilt, bei den Schwerpunkten
nicht nur mit Augenmaß, sondern auch mit Entschlossenheit voranzugehen. Über die konkrete Ausgestaltung
werden sich die Berichterstatter noch einmal intensiv
auseinandersetzen müssen.
Frau Ministerin, meinem Dank zu Beginn meiner
Rede füge ich hinzu: Wir brauchen in vielen Punkten Ihres Haushalts Entschlossenheit. Dabei setze ich nicht nur
auf gute Kooperation, sondern auch darauf, dass Sie offen für unsere Kritikpunkte sind und sie nicht einfach
vom Tisch wischen. Diese Punkte sind schließlich essenziell für die Weiterentwicklung Ihres Etats.
Danke.
({6})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan
Stracke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ja, wir haben die von Ihnen geforderte Entschlossenheit, Frau Deligöz. Gleichzeitig gehen wir in
die richtige Richtung. Die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, gehen nicht in die richtige Richtung. Deshalb
werden wir sie nicht aufgreifen.
Die wirtschaftliche Situation in diesem Land ist hervorragend. 30 Millionen sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte sind ein hervorragendes Zeichen dafür, wie
es um dieses Land tatsächlich bestellt ist.
Das ist natürlich nichts, was aus sich selbst heraus zustande kommt, sondern es muss von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von den Arbeitgebern
hart erarbeitet werden. Mit ihrer Kreativität sorgen beide
Seiten dafür, dass wir hier gute Produkte erzeugen, die
weltweit einen entsprechenden Absatz genießen. An genau dieser Stelle wollen wir weiterarbeiten.
Das bedeutet auch, dass wir die richtigen haushalterischen Maßstäbe setzen. Dies hat der Bundesfinanzminister zusammen mit der Regierung getan. Die schwarze
Null, die der zur Beratung anstehende Haushaltsentwurf
vorsieht, ist etwas Hervorragendes. Denn damit stellen
wir sicher, dass wir uns nicht weiter verschulden; vielmehr schaffen wir gute Voraussetzungen für die nachwachsenden Generationen. Die schwarze Null steht
dafür in einzigartiger Weise; sie ist das Kennzeichen unserer Regierung, geführt von unserer Bundeskanzlerin
Angela Merkel.
({0})
Unsere Politik eröffnet die notwendigen Spielräume.
Einige notwendige Spielräume haben wir bereits in diesem Jahr eröffnet, beispielsweise was die Mütterrente
angeht: Von der Erweiterung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten profitieren rund 9,5 Millionen Menschen - Mütter, aber zum Teil auch Väter - in diesem
Land. Die gute wirtschaftliche Entwicklung hat uns die
Finanzierung der Mütterrente ermöglicht.
({1})
Bei der Diskussion über die Rente mit 63 haben wir
von Anfang an darauf geachtet, keine Frühverrentungsanreize zu setzen. Frühverrentungsanreize wären nämlich angesichts all der Diskussionen, die die Bundesministerin, auch was die Fachkräftesicherung angeht,
geführt hat, genau das Falsche.
({2})
Wir müssen bei all den Themen, die jetzt anstehen, natürlich darauf achten, dass wir die richtigen Maßstäbe
setzen.
Wenn wir über die Fachkräftesicherung in diesem
Land reden, dann geht es von Anfang an um die Jugendlichen. Wir stehen hier, gerade was den europäischen
Vergleich angeht, hervorragend da. Wir wissen: Jeder hat
eine Chance verdient. Dafür, dass jeder eine Chance
bekommt, sorgen wir. Ich sage den Arbeitgebern von
dieser Stelle aus ausdrücklich Dank, da sie, gerade was
die berufliche Ausbildung angeht, Hervorragendes leisten. Sie stellen viele Ausbildungsplätze zur Verfügung,
mehr als vonseiten der Jugendlichen derzeit besetzt werden.
Mit dem Ausschuss war ich erst vor kurzem beispielsweise in Rumänien und Bulgarien; mit der CSU-Landesgruppe war ich in Lettland. In diesen Ländern spielte immer wieder dieselbe Frage eine Rolle: Wie schaffen wir
es, die Fachkräfte gut auszubilden? Das Berufsausbildungssystem in unserem Land wird dort als Beispiel herangezogen. Wir helfen anderen europäischen Ländern
durch vielfältige Initiativen dabei, die guten Ansätze, die
wir in Deutschland haben, auf sich zu übertragen.
Es ist nicht selbstverständlich, dass unsere Arbeitgeber darauf achten, all denen eine Chance zu geben, die
beispielsweise noch nicht die Ausbildungsreife erhalten
haben. Dies tun sie in der Breite. Dabei achten wir insgesamt darauf, dass neben den akademischen Fähigkeiten
auch die rein praktischen Fähigkeiten nicht verloren gehen. Wir brauchen jeden in diesem Land. Deswegen sorgen wir auch hier für die richtigen Rahmenbedingungen.
Was dabei im Vordergrund steht, ist, die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen zu stärken. Deswegen sind
Ausbildungsplätze so wichtig. Neben der Eigenverantwortlichkeit bedarf es natürlich auch des Engagements
jedes Einzelnen. Es nutzt nichts, noch so viele Hilfesysteme zu implementieren, wenn man halt ein fauler
Grippl ist und einfach nicht arbeiten will. Um Jugendliche auf den richtigen Weg zu führen, muss man vielmehr
entsprechend ertüchtigen und notfalls die notwendigen
Sanktionen verhängen.
({3})
Wenn wir auf der einen Seite darüber reden, möglichst viele Jugendliche ins Arbeitsleben zu bringen,
geht es auf der anderen Seite darum, eine längere Beteiligung von Arbeitnehmern am Erwerbsleben zu gewährleisten. Dies ist gesellschaftlich und volkswirtschaftlich
sinnvoll und geboten. Wir stehen deshalb geschlossen
zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Das
hat vor allem mit der demografischen Entwicklung in
diesem Land zu tun. Während in den 60er-Jahren die
Lebensdauer nach Eintritt in die Rente bei rund 10 Jahren lag, liegt sie jetzt bei nahezu 20 Jahren. Daher ist es
richtig, dass wir die Regelaltersgrenze auf 67 Jahre angehoben haben.
Es ist auch notwendig, dass wir bei der abschlagsfreien Rente mit 63 - ich habe es erwähnt - vor allem
darauf achten, dass Frühverrentungsanreize von vornherein vermieden werden. Wir wollen einen Aufbruch in
eine altersgerechte Arbeitswelt, und wir wollen aus der
Rente mit 67 das Arbeiten mit 67 machen. Die betriebliche Praxis in diesem Bereich zeigt bereits viele erfreuliche Beispiele.
Das Thema Gesundheitsschutz wurde angesprochen.
Ja, wir wollen mit unserer Präventionsstrategie dafür sorgen, dass gerade in den mittelständischen und kleinen Unternehmen die betriebliche Gesundheitsvorsorge einen
besseren Stellenwert erlangt. Oftmals sagen zunächst einmal die Betriebsführungen sozusagen vom Kopf her:
Wir müssen etwas tun. - Meistens ist es ein Impuls,
wenn die Zahl der Krankheitsausfälle wächst. Hier geht
es darum, möglichst früh Anreize zu setzen. Deshalb
werden wir eine Präventionsstrategie auf den Weg bringen.
Ich glaube, dass die Tarifvertragsparteien hier gute
Lösungen anbieten können. Das gilt auch bei den sonstigen Themen, Verordnungen oder Gesetzen, die anstehen
und von denen der eine oder andere während der Sommerpause geredet hat. Wir sollten uns darauf zurückziehen, zunächst ein breites wissenschaftliches Fundament
zu haben und nicht gleich vonseiten des Gesetzgebers
und des Arbeitsministeriums nach Verordnungen zu rufen. Sinnvoller ist es, den Unternehmen hier möglichst
viel Flexibilität einzuräumen, aber auch die Verantwortung der Arbeitgeber klar zu benennen. Sie müssen darauf achten, dass ein Arbeiten bis 67 in Zukunft auch
möglich sein wird.
({4})
Daneben wollen wir aufgrund des sich abzeichnenden
Fachkräftemangels das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus flexibilisieren. Wir haben bereits einen
bestehenden Alterskorridor von 63 bis künftig 67 Jahre,
insbesondere für die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente. Dieser Korridor ist so breit angelegt,
dass er vielfältigen Flexibilisierungsüberlegungen Raum
lässt. Deswegen glaube ich, dass wir, insbesondere was
arbeits- und tarifvertragliche Vereinbarungen angeht, bei
all diesen Themen bereits jetzt genügend Spielraum
haben.
Das heißt konkret: Eine vorgezogene Altersrente ist
bereits nach derzeitiger Rechtslage ab Vollendung des
63. Lebensjahres möglich. Eine Rente mit 60 Jahren bei
versicherungsmathematisch korrekten Abschlägen halte
ich nicht für sinnvoll, auch nicht in Form einer Teilrente.
Eine Rente mit 60 wäre ein Irrweg für die Akzeptanz
einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit und darüber
hinaus vor allem eine Privilegierung von Gutverdienern,
die sich Abschläge beispielsweise in Höhe von 25,2 Prozent leisten können.
Was wir natürlich auch in den Blick nehmen müssen,
ist, dass die Hinzuverdienstgrenzen bei einem vorzeitigen Renteneintritt nach derzeitigem Rechtszustand gut
begründet sind. Meines Erachtens wäre es sozialpolitisch erklärungsbedürftig, dass ein Arbeitnehmer mit
63 Jahren vorzeitig in Rente geht und weiterhin beim
bisherigen Arbeitgeber in unverändertem Umfang beschäftigt bleibt. Wir wollen - das haben wir uns als
Koalition gemeinsam vorgenommen - insbesondere das
Anliegen der Tarifvertragsparteien, dass bestehende
Hinzuverdienstgrenzen einen Hinderungsgrund für praxistaugliche Vereinbarungen darstellen, entsprechend
überprüfen. Dies steht im Koalitionsvertrag, ist aber
auch Inhalt unseres Entschließungsantrages, den wir als
Koalitionsfraktionen im Zuge der Debatte um das Rentenpaket beschlossen haben. Bei all diesen Überlegungen gilt meines Erachtens auch, dass wir die Erwerbsminderungsrenten mit in den Blick nehmen wollen und
müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das geltende Recht bietet bereits jetzt vielfältige Flexibilisierungsmöglichkeiten für eine Weiterarbeit nach Erreichen
der Regelaltersgrenze. Allerdings wissen wir, dass wir
die Flexibilität noch weiter verbessern müssen. Deswegen haben wir eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet, die sich dieser Themen in den nächsten Monaten
sehr intensiv annehmen wird. Ich glaube, wir werden
hier zu sehr guten Ergebnissen kommen, gerade im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, sodass wir weiterhin gewährleisten können:
Unser Rentenversicherungssystem ist stabil und bleibt
stabil - gerade auch wegen der Maßnahmen dieser Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping, Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Stracke, Sie haben hier in Bezug auf Erwerbslose den
Begriff „fauler Krüppel“ verwendet. Ich muss das ganz
klar zurückweisen. Ich finde, es ist nicht angemessen,
sich in diesem Parlament so über Menschen zu äußern,
die erwerbslos sind.
({0})
Ihre Analyse geht einfach am Problem vorbei. Wenn
man sich die offiziellen Zahlen anschaut, dann sieht
man, dass auf eine gemeldete offene Stelle im Durchschnitt sieben Erwerbsarbeitsuchende kommen. Das
heißt, egal wie sehr sich die sieben anstrengen: Im
Durchschnitt gehen sechs davon leer aus. Das Problem
der Erwerbslosigkeit ist kein individuelles Problem, kein
Problem, das allein beim Erwerbslosen liegt, sondern hat
etwas mit der Wirtschaftsweise zu tun. Deswegen:
Hören Sie auf, dem Einzelnen die Verantwortung für die
Erwerbslosigkeit in die Schuhe zu schieben!
({1})
Kommen wir zum Haushalt. Wenn man sich die Zahlen im Arbeits- und Sozialbereich anschaut, so muss
man sagen: Es macht kaum einen Unterschied, ob es nun
eine schwarz-gelbe oder eine schwarz-rote Regierung
gibt. Das sieht man auch im Bereich SGB II, besser bekannt als Hartz IV. Eine der wenigen Initiativen, die im
Bereich Hartz IV gestartet wurden, ist die Arbeitsgruppe
„Rechtsvereinfachung im SGB II“, deren Vorschläge
nun die Grundlage der Diskussion bilden. Weil ihre Vorschläge die Auseinandersetzung prägen werden, muss
man dazu einiges sagen.
Allein die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe
- das ist auch von Ihnen, Frau Nahles, nicht mehr geändert worden - ist bezeichnend: Weder Gewerkschaften
noch Erwerbsloseninitiativen durften an dieser Arbeitsgruppe teilnehmen. Deren Erfahrungen waren Ihnen
offensichtlich egal. Wir aber meinen, die direkt Betroffenen gehören immer mit an den Tisch.
({2})
Bei solch einer Herangehensweise darf man sich dann
auch nicht wundern, wenn die Arbeitsgruppe sehr ärgerliche Vorschläge unterbreitet. Um nur einen Vorschlag
zu nennen: Zukünftig sollen selbst angemessene Mietkosten nach einem Umzug nur dann bezahlt werden,
wenn der Umzug vorher genehmigt wurde. Das klingt
erst einmal harmlos. Was heißt das aber? Es ist schon
jetzt in vielen Städten verdammt schwer, im Rahmen der
sogenannten angemessenen Unterkunftskosten eine
Wohnung zu finden, die auch passt. Und dann findet jemand womöglich eine Wohnung, es gibt Verzögerungen
bei der Genehmigung von Amts wegen, und dann ist die
Wohnung, ehe die Genehmigung erteilt worden ist, womöglich weg. Wir meinen, das ist auf jeden Fall ein falscher Vorschlag.
({3})
Ich kann an Sie nur appellieren, diesen Vorschlag nicht
aufzugreifen.
Ich will einräumen, Frau Nahles, dass die ersten Meldungen, die von dieser Arbeitsgruppe durchgesickert
sind, deutlich schlimmer waren. Ich erinnere nur daran,
dass zuerst diskutiert worden ist - ({4})
- Wir diskutieren heute, was im kommenden Jahr ansteht. ({5})
Es gab Vorschläge, die deutlich schlimmer waren. Diese
haben wir von der Linken öffentlich gemacht. Die Erwerbslosenbewegung hat dagegen demonstriert. Dass
diese Vorschläge jetzt gestrichen worden sind, ist ein Erfolg der Erwerbslosenbewegung. Das zeigt ganz klar: Es
lohnt sich, sich zur Wehr zu setzen.
({6})
Schwarz-Rot - das spiegeln auch die Zahlen im
Haushalt wider - geht an das Thema Hartz IV vor allen
Dingen mit der Haltung heran: Na ja, eigentlich müssen
wir nur die bürokratischen Abläufe verbessern. - Ich
aber meine, es kommt vor allen Dingen darauf an, die
grundlegenden Fehler bei Hartz IV zu korrigieren und zu
überwinden.
Das wären unsere Vorschläge:
Erstens: die Abschaffung des Konstrukts der Bedarfsgemeinschaft.
({7})
Zweitens: eine aktive Arbeitsmarktpolitik; meine
Kollegin Sabine Zimmermann wird später dazu reden.
Drittens: die Abschaffung der Sanktionen bei
Hartz IV.
Viertens. Wir müssen wirklich sicherstellen, dass
jedem in diesem Land ein soziokulturelles Existenzminimum garantiert wird. „Soziokulturell“ heißt: Man muss
sich sowohl Essen und eine Wohnung als auch eine
Busfahrkarte und eine Tageszeitung leisten können.
({8})
Kurzum: Wir von der Linken sagen - fast zehn Jahre
Erfahrung mit Hartz IV haben uns darin nur noch bestärkt -: Es kommt darauf an, Hartz IV zu überwinden,
durch gute Arbeit und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung.
({9})
Nur einen Satz zur Rente: Hier spiegeln die Zahlen im
Haushalt wider, dass das wichtigste, das dringlichste
Problem nicht in Angriff genommen wird: Altersarmut
droht auch Menschen mit mittleren Einkommen. Wir
alle kennen doch die Zahlen: Wer im Jahr 2030 in Rente
geht, muss mindestens 35 Jahre lang vollzeitversichert
zum Durchschnittslohn gearbeitet haben, um eine Rente
auf Hartz-IV-Niveau zu erhalten. Wir als Linke schlagen
vor - wir wissen, dass man das nicht mit einem Haushalt
erledigen kann; das braucht etwas Zeit, aber man muss
das jetzt in Angriff nehmen -: Wir brauchen eine Rentenversicherung, in die alle einzahlen, auch Abgeordnete, auch Apotheker und auch Anwälte. Im Rahmen einer solchen Rentenversicherung für alle kann man auch
eine Mindestrente organisieren. Wir meinen: Kein Rentner und keine Rentnerin soll im Alter unter die Armutsrisikogrenze fallen.
Vielen Dank.
({10})
Bevor jetzt gleich der Kollege Schurer das Wort erhält, bekommt für eine Kurzintervention das Wort der
Kollege Stracke.
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, Sie haben mich direkt angesprochen. Ich möchte
das, was Sie zu hören gemeint haben, richtigstellen. Mir
liegt es selbstverständlich vollkommen fern, hier pauschale Verunglimpfungen zum Ausdruck zu bringen. Ich
habe einen vielleicht allgäuerisch-bayerischen Slang benutzt, als ich von einem „faulen Grippl“ gesprochen
habe. Ich habe nicht von einem „Krüppel“, sondern einem „Grippl“ gesprochen. Das ist jemand, der beispielsweise etwas zurückhaltend seiner Arbeit nachgeht.
({0})
Das war gemeint. Das war in keiner Art und Weise eine
Verunglimpfung, wie Sie es verstanden haben. Ich bitte,
das entsprechend zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Ich sehe nicht den Wunsch, darauf zu erwidern. Deshalb hat jetzt der Kollege Ewald Schurer für die Sozialdemokraten das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren über den Einzelplan 11, über den Haushalt des
Ministeriums für Arbeit und Soziales. Dieser zentrale
Haushalt umfasst, wie schon dargestellt, immerhin fast
125 Milliarden Euro, also eine stolze Summe. Das entspricht fast 42 Prozent der Summe des aktuell vorliegenden Haushaltsentwurfs des Bundes für das Jahr 2015.
Von der Frau Ministerin und der Kollegin Weiss
wurde schon dargestellt, dass dieser Haushalt die großen
Lebensbereiche der Menschen verkörpert. Ein Haushalt
ist nie Selbstzweck. Die einzelnen Haushaltstitel stehen
für Inhalte, zum Beispiel für den Bereich Rente und den
Bereich Arbeit. Es geht um das Leben der Menschen, um
die berufliche Bildung, die nach der hoffentlich guten
schulischen Bildung beginnt. Dann geht es um das Arbeitsleben, das für die Menschen, wenn es gut läuft, später einmal bei guter Gesundheit im Rentenbezug mündet. Ich kann das Postulat unterschreiben: Es ist ein
Erfolg, wenn Menschen möglichst lange am Berufsleben
partizipieren können, wenn sie möglichst lange mitwirken können und zum geeigneten Zeitpunkt in Rente gehen können. Das ist das Ziel der sozialdemokratischen,
aber auch, glaube ich, der christdemokratischen Rentenund Arbeitspolitik. In diesem Sinne legen wir diesen
Haushalt vor.
({0})
Auch ich will - nicht nur aus Routine - dem Ministerium für Arbeit und Soziales Dank sagen. Ich danke der
Leitung des Hauses, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem BMF und allen Mitarbeitern in den Bundestagsbüros. Es ist keine Selbstverständlichkeit, sich durch
so große Haushalte durchzuarbeiten und alle Details sauber, ordentlich und beratungsfähig vorzulegen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, bei
aller Kritik, die ich vernommen habe, aber zurückweisen
muss, weil etwas isoliert dargestellt wurde, nicht stimmt
oder aus dem Kontext gerissen wurde - das gilt zum Teil
auch für die Kritik von Frau Kipping -, muss man feststellen: Im Jahr 2014 werden laut aktuellem Haushalt für
die Rentenversicherung, für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 88,4 Milliarden Euro ausgegeben.
({1})
Diese Summe wird sich peu à peu auf 101,3 Milliarden
Euro in 2018 steigern.
({2})
Das ist angesichts des gesellschaftlichen Hintergrunds,
angesichts der demografischen Entwicklung und der
Maßgabe eines stabilen Rentenbeitrags eine gewaltige
Erhöhung in der mittelfristigen Finanzplanung.
Ich glaube, dass die Entlastung der Kommunen, über
die immer wieder diskutiert wird und die von den über
12 000 Kommunen in Deutschland zu Recht eingefordert wird, ein entscheidender Punkt ist. Die Entlastung
der Kommunen führen wir mit diesem Haushalt fort:
Erstens übernimmt der Bund 2015 100 Prozent der
Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dafür waren 2013 3,7 Milliarden Euro angesetzt, für 2015 sind es bereits 5,9 Milliarden Euro, und
der Ansatz steigt bis zum Jahr 2018 auf immerhin veritable 7,2 Milliarden Euro. Das ist eine effektive Entlastung der Kommunen in diesem Bereich. Das muss man
hier hervorheben.
({3})
Zweitens. Auch 2015, 2016 und noch 2017 wird es
diese Milliarde mehr an die Kommunen zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geben. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Ich denke, spätestens 2018 wird es weitere Entlastungen durch das
Bundesteilhabegesetz geben. Das ist die Zielsetzung der,
ich sage mal, christlich-sozialdemokratischen Koalition;
früher wurde immer so gern von „christlich-liberal“ gesprochen. Wenn die Linken keinen Unterschied zwischen einer Koalition mit Liberalen und einer mit SozialEwald Schurer
demokraten sehen, ist es allein das große Problem der
Linken. Die Wahrheit ist jedoch eine ganz andere, verehrte Kollegin Kipping.
Wir sind also dabei, ein Bundesteilhabegesetz vorzubereiten. Das wird eine Herkulesarbeit sein. Die Sozialgesetzbücher müssen modifiziert werden. Neue Impulse
müssen gesetzt werden. Die große Zielsetzung ist, dass
die Kommunen dann, wenn das Bundesteilhabegesetz in
Kraft ist, erneut um 5 Milliarden Euro entlastet werden.
Auch das ist ein riesiges Projekt, das sich von Projekten
der Vorgängerregierung gewaltig unterscheidet. Wer das
nicht sieht, ist betriebsblind.
({4})
Thema Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben einen sehr
guten Arbeitsmarkt; das ist klar. 43 Millionen Menschen
sind beschäftigt, davon rund 30 Millionen sozialversicherungspflichtig. Man kann sagen: Wir stehen europäisch und weltweit sehr gut da. Das ist richtig. Wir haben einen robusten Arbeitsmarkt. Wir hoffen auch, dass
der Arbeitsmarkt trotz der kleinen wirtschaftlichen Eintrübungen, die wir derzeit erleben - vielleicht stehen
diese im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und mit
einer binnenwirtschaftlichen Schwäche des großen und
wichtigen Partners Frankreich -, in den nächsten Monaten und Jahren robust sein wird. Das ist die Voraussetzung.
Man muss sagen: Es gibt auch Programme, die von
großer Bedeutung sind. Hier sehen wir einen Übergang
von der bundesdeutschen in die europäische Dimension.
Das Sonderprogramm „MobiPro-EU“ ist schon erwähnt
worden. Ich will noch einmal seine Bedeutung herausarbeiten: „MobiPro-EU“ bietet eine Win-win-Situation.
Derzeit bekommen dadurch 6 000 junge Menschen eine
Berufsausbildung, und 2 500 Fachkräfte werden ausgebildet und geschult. Das kostet Geld. Wir haben die Ausgaben im letzten Jahr verdoppelt und setzen im Jahr
2015 102 Millionen Euro dafür an. Ich halte das Programm deswegen für wichtig, weil ich es in der Dualität
mit der Europäischen Union sehe. Wir tun hier etwas für
die deutsche Wirtschaft, und wir tun etwas für junge
Menschen aus europäischen Nachbarländern.
Liebe Ministerin Nahles, werte Kolleginnen und Kollegen, ich muss an dieser Stelle eines zum Ausdruck
bringen: So solidarisch, wie wir uns hier als schwarzrote Koalition verhalten, so enttäuscht bin ich über die
Umsetzung der Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern, die es dringend nötig haben.
({5})
Ich bin sehr enttäuscht darüber, auch als Europahaushälter, dass seit zwei Jahren 6 Milliarden Euro sozusagen
disponiert sind und dass, wie Minister Schäuble bestätigt
hat, nur wenige Millionen davon umgesetzt werden. Das
halte ich für einen großen europäischen Skandal, der
während der Ratspräsidentschaft der Italiener dringend
angegangen werden muss.
({6})
Ich bin mir sicher, dass die Ministerin in Rom eine deutsche Initiative einbringen wird, um diesen Skandal und
diese Herausforderung schnell anzugehen und Lösungen
zu finden. Denn in manchen Ländern in Europa sind
Millionen von jungen Menschen ohne Hoffnung, stehen
trotz einer guten Berufsausbildung abseits und verlassen
ihre Länder zum Teil fluchtartig. Das kann so nicht bleiben.
({7})
Das ist die große Herausforderung für die Europäische
Kommission. Der deutsche Beitrag wird in diese Richtung gehen.
Auch wenn wir diesen guten Arbeitsmarkt loben, bin
ich trotzdem in großer Sorge, dass wir bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit nicht die Erfolge haben, die wir uns alle in der Vergangenheit gewünscht haben. Wir haben über Instrumente debattiert, wir haben
sie ausprobiert und evaluiert. Wir brauchen dringend
Ansätze, um bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit mehr Erfolge zu erzielen. Ich lobe hier - das darf
man; das gehört dazu - das sehr gute Papier der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, die hier einen
wichtigen Impuls gesetzt haben, und das, was es von den
Gewerkschaften und den Sozialverbänden dazu gibt.
Ganz zum Schluss sage ich: Ich würde mir wünschen
- auch wenn der Kollege Fraktionsvorsitzende das vorhin ein bisschen lustig kommentiert hat -, dass SPD und
Union über den Koalitionsvertrag hinaus auch über Programme für öffentlich geförderte Jobs reden würden,
({8})
und zwar im Benehmen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Eine solche Initiative ist dringend notwendig.
Als Haushälter bin ich der Meinung, dass eine solche
Initiative eine Stufe auf dem Weg zum ersten Arbeitsmarkt sein könnte. Menschen, die arbeitsmarktfern sind,
müssen gezielt gefördert werden, vielleicht auch durch
öffentliche Impulse. Wenn wir sie richtig setzen, können
wir von den fast 1,1 Millionen Menschen, die in dieser
Zone der Hoffnungslosigkeit sind, einige Zehntausend,
vielleicht sogar 100 000 Menschen oder mehr, wieder in
den ersten Arbeitsmarkt bringen.
({9})
Eine solche Zwischenstufe wie öffentlich geförderte Impulse am Arbeitsmarkt halte ich für dringend notwendig.
Das würde ich mir, wie gesagt, wünschen.
Herzlichen Dank.
({10})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gute Sozialpolitik bemisst sich nicht einfach daran, wie
viel Geld ausgegeben wird. In diesem Bundeshaushalt
wird in der Tat viel Geld ausgegeben. Aber entscheidend
ist, was hinten rauskommt.
({0})
- „Da hatte Helmut Kohl völlig Recht“, sagt der Kollege
Birkwald von den Linken. - Gute Sozialpolitik ist vor allem danach zu bewerten, wie wir mit denen umgehen,
die am Rand der Gesellschaft stehen oder ausgegrenzt
werden.
({1})
Diesbezüglich ist die Bundesregierung eine einzige
schwarz-rote Null.
Heute ist Tag der Wohnungslosen. Wir haben die
Bundesregierung aus diesem Anlass befragt. Das Ergeb-
nis war: Erstens. Die Bundesregierung hat keine eigenen
Zahlen, sondern verweist auf die Zahlen der BAG Woh-
nungslosenhilfe, die zwangsläufig a) nicht aktuell genug
sind und b) nur grobe Schätzungen sind. Wir brauchen
endlich eine offizielle Wohnungslosen- und Obdachlosenstatistik, um zielgenau helfen zu können.
({2})
Zweitens wurde an Ihrer Antwort deutlich: Sie haben
überhaupt kein Interesse am Thema Obdachlosigkeit.
Sie haben auch kein Interesse daran, etwas dagegen zu
unternehmen. Überhaupt ist Armut für Sie kein Thema.
Auch diesmal haben wir nichts zu diesem Thema gehört.
Die armen Menschen sind Ihnen schlicht egal.
Wir haben eben gehört, Sie seien - angeblich - eine
christlich-sozialdemokratische oder christlich-soziale
Koalition. Wenn man sich nicht einmal ein kleines bisschen um die Bekämpfung der Armut bemüht, ist das weder sozial noch christlich.
({3})
Ein paar Beispiele dazu. Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im SGB II - ein fürchterlicher Name - ist von der
Kollegin Katja Kipping schon angesprochen worden. So
wie sich der Titel anhört, war auch ihre Arbeit. Es ging
um Rechtsvereinfachung und Verwaltungsvereinfachung, allerdings nur aus Sicht der Verwaltung bzw. der
Behörde und überhaupt nicht aus Sicht der betroffenen
Menschen. Das wäre aber das, was unbedingt nötig ist.
Wir brauchen tatsächlich Vereinfachungen, weniger
Hürden, einfachere Regeln, aber aus Sicht der Betroffenen, damit sie leichter an die Leistungen kommen.
Wir brauchen auch ein konsistentes, transparentes
Grundsicherungssystem. Sechs verschiedene Grundsicherungsleistungen sind in vier verschiedenen Gesetzen
geregelt. Zählt man das BAföG dazu, haben wir sogar
fünf Gesetze und sieben Leistungen. Das alles ist nicht
wirklich konsistent. Das führt dazu, dass Menschen
Leistungen gar nicht in Anspruch nehmen, teilweise von
einem System in das andere geschoben werden, durch
das Netz fallen. Hier müsste man ansetzen, um tatsächlich ein stabiles Grundsicherungsnetz hinzubekommen.
({4})
Was wir natürlich auch brauchen, ist ein höherer Regelsatz. Es kann nicht sein, dass der Regelsatz immer
weiter unter das Niveau der Armutsrisikogrenze sinkt.
({5})
Zu diesem Thema gab es in dieser Woche zwei Nachrichten.
Erstens gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Regelsatz. Wenn man es genau liest, stellt
man fest: Es ist eine Ohrfeige für die vorige Bundesregierung. Das gilt aber auch im Hinblick auf die Berechnungen, die zuvor angestellt worden sind. Alle Rechentricks, die angewendet worden sind, um den Regelsatz
niedrig zu halten, sind in diesem Urteil aufgeführt. Das
Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Der Regelsatz ist
trotzdem verfassungsgemäß, aber nur noch so gerade
eben. - Es hat die Bundesregierung aufgefordert, nachzuweisen, dass die einzelnen Bestandteile des Regelsatzes tatsächlich existenzsichernd sind. Diesen Nachweis
müssen Sie jetzt erbringen. Sie müssen belegen, ob seine
Bestandteile existenzsichernd sind oder nicht, und entsprechende Studien in Auftrag geben.
({6})
Die zweite Nachricht dieser Woche lautet: Der Regelsatz wird um 8 Euro erhöht - um sage und schreibe
8 Euro. Die Bild-Zeitung hat daraus gleich einen Skandal gemacht, weil dadurch der Regelsatz stärker steigt
als die Rente.
Der Peter Weiß, den ich ja sonst sehr schätze, sagte
dann:
Es war nicht die Politik, sondern das Bundesverfassungsgericht, das entschieden hat, die Leistungssätze für die Grundsicherung von Arbeitslosen von
der Entwicklung der Renten abzukoppeln.
Das sei „bedauerlich“, sagte er weiter.
({7})
Dabei geht es, wie gesagt, um 8 Euro. Ich fordere Sie
auf: Hören Sie endlich auf mit diesen Neiddebatten, und
hören Sie auf mit dem Bashing des Bundesverfassungsgerichts!
({8})
Apropos Bundesverfassungsgericht. Vor über zwei
Jahren hat das Bundesverfassungsgericht das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt.
Jetzt gibt es nach über zwei Jahren immerhin einen Gesetzentwurf.
({9})
Das ist ja schon einmal etwas. Aber die eigentlich konsequente Lösung, nämlich die einfachste und sozialste, die
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, findet
wieder nicht statt. Das Gesetz gehört abgeschafft.
({10})
Das wäre auch ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie
und zur Rechtsvereinfachung, und das würde der Diskriminierung von Asylbewerbern als Menschen zweiter
Klasse ein Ende setzen.
({11})
Wer Asyl beantragt hat, sollte auch arbeiten dürfen,
und wenn sie oder er keine Arbeit findet oder zu wenig
verdient, dann gibt es Hartz IV. Punkt! Es gibt keinen
Grund für eine Grundsicherung zweiter Klasse und keinen Grund dafür, Asylbewerber anders zu behandeln als
andere Menschen, die hier leben.
({12})
Das gilt auch für Unionsbürgerinnen und -bürger, die
vor Armut und Diskriminierung fliehen. Wir müssen
Menschen, die zu uns kommen, die vor Armut und Diskriminierung geflohen sind, helfen und unterstützen,
dürfen sie nicht diskriminieren und wieder in Armut
stürzen.
({13})
Weiter müssen wir an den Ursachen der Armutsflucht
ansetzen. Dafür bräuchte es einen stärkeren Einsatz
dieser Bundesregierung für Armutsbekämpfung auf europäischer Ebene. Aber auch an dieser Stelle ist diese
Regierung eine schwarz-rote Null. Auch ein soziales
Europa, bessere Armutsbekämpfung insgesamt, ist kein
Thema. Ein „soziales Europa“ werden wir sicherlich an
anderer Stelle noch ausführlicher diskutieren.
Klar ist: Die Politik der Bundesregierung geht tatsächlich an den Schwächsten in diesem Land vorbei,
und, wie gesagt, das ist eine einzige schwarz-rote Null
an dieser Stelle.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Mark Helfrich, CDU/
CSU.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Wenn das Land glücklich sein soll, muss es Ordnung in seinen Finanzen halten. Gute Verwaltung
der Einnahmen und gute Regelung der Ausgaben:
Das ist die ganze Finanzkunst. Noch nie hat eine
arme Regierung sich Ansehen verschafft.
Dieser finanzpolitische Grundsatz stammt aus der Feder
des vielleicht berühmtesten preußischen Königs, Friedrich
des Zweiten, der schon zu Lebzeiten den Beinamen „der
Große“ erhalten hat. Er hat auch heute, knapp 230 Jahre
nach Friedrichs Tod, seine Gültigkeit nicht verloren.
Ordnung in unsere Finanzen zu bringen, das war und
ist auch einer der wichtigsten Leitsätze der Regierung
unter Angela Merkel. In diesem Jahr würde der Alte
Fritz wohl seinen Dreispitz vor uns ziehen. Denn der
vorliegende Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt
2015 ist seit fast einem halben Jahrhundert der erste, der
ohne neue Schulden auskommt. Diesen haushaltspolitischen Erfolg haben wir uns durch einen konsequenten
Konsolidierungskurs der unionsgeführten Koalitionsregierung hart erarbeitet. Darauf können wir und die
Menschen in unserem Land zu Recht stolz sein. Das ist
eine historische Leistung. Mit der Abkehr von der
jahrzehntelangen Politik der Schuldenfinanzierung, vom
süßen Gift der immer weiter steigenden Staatsverschuldung, zeigen wir, dass wir es mit der Verantwortung für
künftige Generationen ernst meinen - im Sinne von
Ludwig Erhard: Wir haben die Pflicht, in Generationen
zu denken.
({0})
Nun soll es auch genug sein mit historischen Zitaten.
Kommen wir in die Gegenwart! Wir haben heute fast
43 Millionen erwerbstätige Männer und Frauen, und der
Jobmotor läuft weiterhin rund. In Deutschland sind
knapp über 30 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt - so viele wie noch nie zuvor. Dank
des robusten Arbeitsmarktes füllen sich die öffentlichen
Kassen in Deutschland wie lange nicht mehr. Allein die
Sozialversicherungen erwirtschafteten im ersten Halbjahr dieses Jahres ein Plus von 7,1 Milliarden Euro. Das
alles ist Resultat einer erfolgreichen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre
und ist - ich kann mich nur wiederholen - Grund, sich
zu freuen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere gute
Wirtschafts- und Haushaltslage darf uns aber nicht den
Blick auf die vor uns liegenden Herausforderungen verstellen. Noch haben die aktuellen geopolitischen Krisen
keine Spuren in unserem robusten Arbeitsmarkt hinterlassen; doch niemand von uns kann vorhersagen, wie
sehr zum Beispiel der bewaffnete Konflikt in der Ostukraine und die darin begründeten Sanktionen gegen
Russland das deutsche Wirtschaftswachstum und auch
den deutschen Arbeitsmarkt beeinflussen werden. Deshalb warne ich ausdrücklich und eindringlich alle davor,
dem Irrglauben anzuhängen, die Wachstumslokomotive
sei durch nichts zu stoppen.
Wir haben in diesem Hause im ersten Halbjahr 2014
eine ambitionierte sozialpolitische Agenda gemeinsam
auf den Weg gebracht. Ich persönlich sehe keinen Spielraum dafür, auf bestimmte Schultern weitere Gewichte
zu packen, sei es im Bereich Antistressgesetz oder sei es,
dass wir darüber diskutieren, eine ganze Branche wie die
Rüstungsgüterindustrie in ihrer Tätigkeit mehr oder
minder zu beschränken. Die Nichtgenehmigung von
Rüstungsexporten ist im Einzelfall richtig, wird aber mit
Sicherheit keine Welt ohne Waffen schaffen. Ich mache
mir ernsthafte Sorgen, nicht nur um den Arbeitsmarkt
- das ist natürlich auch ein Thema, das dann im zweiten
Schritt folgt an der Stelle -, sondern auch darum, dass
wir in Deutschland damit in einem Bereich, der - das
haben uns die aktuellen Entwicklungen gezeigt - an
Bedeutung gewonnen hat, wichtiges Know-how verlieren würden. Ich halte das auch im Hinblick auf die Menschen, die dort arbeiten, nicht für akzeptabel, auch wenn
wir durch gute Sozialversicherungssysteme Menschen
gegen Risiken wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit absichern.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales würde wie kein anderer von einer sich abkühlenden Konjunktur beeinflusst. Der Einzelplan 11 des
vorliegenden Regierungsentwurfes ist mit einem Volumen von knapp 125 Milliarden Euro - wie sollte es
anders sein? - wiederum der größte Einzeletat im Bundeshaushalt. Das sind noch einmal 3 Milliarden Euro
mehr als im letzten Jahr. Auch das zeigt, dass hier nicht
etwa gekürzt wird oder in irgendeiner Weise Dinge von
der Gewichtung her verschoben werden, sondern dass
wir die Verantwortung für unseren Sozialstaat in einer
Kontinuität wahrnehmen und leisten wollen.
Wir machen Politik für eine hohe Beschäftigungsquote. Ich sagte das bereits: Die Arbeitslosenquote ist
mittlerweile auf einem Rekordtief, bei 6,7 Prozent. Es
sind unter 3 Millionen Menschen arbeitslos, und ich
wage die Prognose, dass wir irgendwann an den Punkt
kommen, wo wir uns mehr darüber unterhalten, wie
viele offene Stellen wir in Deutschland haben, als
darüber, wie viele Menschen noch arbeitslos sind. Das
ist aber auch keine Situation, die uns dann besonders
glücklich machen kann, weil es eben zeigt, dass wir im
Bereich der Fachkräfte einen Mangel haben.
Wir senken die Mittel für die Betreuung und Vermittlung von arbeitsuchenden Menschen nicht, auch nicht
bei sinkender Arbeitslosenzahl. Wir wollen, dass Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind bzw. betroffen sind, durch ausreichend Personal betreut und entsprechend vermittelt werden und eine Zukunft in einem
Erwerbsleben für sich und ihre Familien haben; das ist
klar.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein neues
Programm hinweisen - es ist schon angesprochen worden -, das ESF-Bundesprogramm für arbeitsmarktferne
langzeitarbeitslose Leistungsberechtigte - ein furchtbar
langer Name -, das aber 30 000 Leistungsbeziehern im
SGB II neue Perspektiven bringen soll.
Insgesamt sind im Regierungsentwurf 467 Millionen
Euro für zwei Sonderprogramme des Bundes vorgesehen, zum einen für das ESF-Bundesprogramm, das ich
gerade angesprochen habe, und zum anderen für das
Bundesprogramm „Perspektive 50plus - Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen“. Auch das ist
ganz wichtig vor dem Hintergrund einer Gesellschaft,
die immer älter wird und in der zukünftig Fachkräfte
fehlen werden.
Es ist auch ganz wichtig, im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nachhaltige Vermittlungserfolge zu erzielen, weil diese sich dann natürlich auch
im Haushalt wiederfinden: Diese Menschen beziehen
keine Leistungen mehr, sondern erbringen Beiträge für
unsere Sozialkassen. All das ist dann im doppelten Sinne
eine Gewinnersituation: sowohl für die Menschen als
auch für unser Gemeinwesen, für unseren Haushalt.
({1})
Zu den eingangs von mir erwähnten politischen
Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, zählen ohne Frage auch der demografische Wandel und der
damit einhergehende Fachkräftemangel. Der Deutsche
Industrie- und Handelskammertag rechnet damit, dass in
Deutschland bis 2020 rund 1,4 Millionen Facharbeiter in
technischen und naturwissenschaftlichen Berufen fehlen
werden.
Vor diesem Hintergrund bietet der auf Drängen meiner Fraktion in das Rentenpaket aufgenommene Einstieg
in die Flexi-Rente mittel- und langfristig die Chance,
den wachsenden Fachkräftemangel zu lindern. Ziel ist es
nicht - das sage ich mit Nachdruck -, die Menschen so
früh wie möglich in den Ruhestand zu schicken, sondern
ist es, denjenigen, die Freude an der Arbeit haben, zu ermöglichen, dass sie dieser Arbeit möglichst lange nachkommen können.
({2})
Eine weitere Verkleinerung der Arbeitskräftebasis ist
keine bzw. eine falsche Antwort auf den zunehmenden
Fachkräftemangel. Allein im vergangenen Jahr konnten
in Handwerk, Handel und Industrie 100 000 Lehrstellen
- das ist die Dimension einer Großstadt - nicht besetzt
werden. Das ist ein Vorgeschmack auf das, was auf uns
und unser Land zukommt.
Ein weiterer Grund hierfür - neben der Demografie ist, dass in Deutschland ein gewisser Akademisierungswahn herrscht. Immer mehr junge Menschen drängen in
die Hochschulen. Wir haben das duale Ausbildungssystem in Sonntagsreden zwar immer wieder gelobt, de
facto erfährt es aber nicht die Wertschätzung, die es verdient. Deshalb müssen wir die Attraktivität unserer dualen Ausbildung steigern und ihre Vorzüge auch konkret
denjenigen vermitteln, die sich in der Situation befinden,
entscheiden zu müssen, ob sie ein Studium aufnehmen,
das sie im Zweifelsfall beruflich auf den Irrweg führt,
oder eine solide Ausbildung anstreben.
Im Gegensatz zum innerdeutschen Trend ist die
Nachfrage junger Menschen aus dem EU-Ausland nach
Ausbildungsplätzen in Deutschland ungebrochen. Das
Thema MobiPro-EU ist angesprochen worden. Wir stoMark Helfrich
cken die Mittel gegenüber 2014 nochmals auf. Trotzdem
gibt es hier einen Wermutstropfen, nämlich den, dass die
jungen Fachkräfte zukünftig nicht mehr in das Programm aufgenommen werden, sondern ausschließlich
diejenigen, die noch keine Ausbildung haben. Das ist sicherlich auch richtig so. Trotzdem ist das vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels bedauerlich.
All das, was ich erwähnt habe, zeigt: Wir setzen auf
Vollbeschäftigung, auf gute Arbeit und auf stabile soziale Sicherungssysteme in unserem Land. Um das zu
erreichen, werden wir auch weiterhin die Einnahmen gut
verwalten und die Ausgaben gut regeln; denn das ist die
ganze Finanzkunst.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Sabine
Zimmermann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik eröffnet
Menschen Perspektiven und Chancen für ihr weiteres
Leben, und zwar den Menschen, denen man oft durch
lange Arbeitslosigkeit die Hoffnung genommen hat, die
verzweifelt sind und die von der Politik überhaupt nichts
mehr erwarten.
Frau Ministerin Nahles - hier muss ich Sie ganz persönlich ansprechen -, genau die mit den wenigsten
Chancen haben Sie aus den Augen verloren. Sie wollen
nicht wahrhaben, dass ein neuer Job für viele unerreichbar ist. Vor dieser Realität verschließen Sie die Augen,
({0})
weil diese hässlichen Bilder einfach nicht zu Ihrer Erfolgsbilanz passen.
({1})
- Natürlich, Sie lobhudeln hier - und wie! -, Sie vergessen hier die 1,1 Millionen langzeitarbeitslosen Menschen, Sie vergessen diejenigen, die in Armut leben.
({2})
Davon wird bei Ihnen überhaupt nicht gesprochen. Das
sind die eigentlichen Probleme in diesem Land.
({3})
Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehenden, Älteren und Menschen mit Migrationshintergrund ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen, und das können Sie auch nicht verschweigen.
Es ist so!
({4})
Ich frage Sie, Frau Nahles: Was haben Sie diesen Menschen zu sagen? Findet euch damit ab, dass ihr in dieser
Gesellschaft nicht gebraucht werdet! Oder: Tut uns leid,
aber es gibt ja noch Hartz IV in diesem Land. - Dass Sie
sich darum bemühen, diesen Menschen Perspektiven zu
eröffnen,
({5})
kann ich in diesem Haushalt überhaupt nicht erkennen.
Im Gegenteil: Die Kürzungen für aktive Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren sprechen eine deutliche
Sprache.
Frau Ministerin Nahles, ich kann einfach nicht erkennen, dass Sie uns heute eine Strategie vorstellen wollten.
({6})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden, und hören Sie
zu. Dann werden Sie vielleicht auch verstehen, was wir
meinen. - Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit
lagen im Jahr 2010 bei 6,6 Milliarden Euro, im nächsten
Jahr sollen es nur noch 3,9 Milliarden Euro sein, ein
Rückgang um über 40 Prozent. Das ist Ihre verantwortungslose Politik in diesem Land für Menschen ohne Arbeit.
({7})
Kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren billigen Ausreden, die Arbeitslosigkeit sei schließlich gesunken. Sie
ist seit dem Jahre 2010 um lediglich 9 Prozent zurückgegangen. Angesichts des Rückgangs der Mittel um
40 Prozent passt das einfach nicht zusammen.
({8})
Die Hälfte der Erwerbslosen im Bereich des SGB II
verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Das Risiko, arbeitslos zu sein, ist für Menschen ohne Berufsabschluss dreimal so hoch wie für Menschen mit einem Berufsabschluss. Qualifizierung ist das A und O einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik. Aber diese gibt es
eben nicht zum Nulltarif.
Statt erwerbslose Menschen zu verwalten, sollten wir
dafür sorgen, dass sie wieder Vertrauen in ihre Fähigkeiten gewinnen. Das würde ihnen auch neue Motivation
geben. Erwerbslose brauchen keine Alibiqualifizierungen. Sie brauchen einen individuellen Rechtsanspruch
auf Weiterbildung. Das fordert die Linke.
({9})
Sabine Zimmermann ({10})
Die meisten Erwerbslosen wollen arbeiten und wünschen sich nichts sehnlicher, als gebraucht zu werden. In
ihrer Not greifen sie zu jedem Strohhalm. Nehmen wir
zum Beispiel die Bürgerarbeiter. Diese Menschen übernehmen gesellschaftlich wichtige Aufgaben: Sie arbeiten
als Busbegleiter, in Sozialkaufhäusern oder in einer
Kreativwerkstatt mit Kindern und Jugendlichen. In diesen Maßnahmen werden sie schlecht bezahlt, erhalten
faktisch keine Aussicht auf eine reguläre Beschäftigung
und kämpfen dennoch für ihr Programm. Warum? Weil
ihnen diese Arbeit Anerkennung gibt, weil sie so ein
Stück ihrer Würde wiederfinden.
Wir als Linke fordern seit Jahren einen öffentlichen
Beschäftigungssektor mit einer ordentlichen tariflichen
Entlohnung.
({11})
Durch diesen ÖBS würden einerseits zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, die Erwerbslosen eine Perspektive
bieten, andererseits könnten im Rahmen des ÖBS gesellschaftlich wichtige Aufgaben erledigt werden.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren
der Regierung, beenden Sie diese arbeitsmarktpolitische
Geisterfahrt, und tun Sie endlich etwas für die vielen
vom Arbeitsmarkt abgehängten Menschen. Es darf nicht
sein, dass in diesem Land Millionen von Erwerbslosen
einfach abgeschrieben werden.
Danke schön.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Ralf Kapschack für
die Sozialdemokraten.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Ich finde es schade,
wenn Haushaltsberatungen zu Ritualen verkommen,
wenn man überhaupt nicht mehr auf das eingeht, was andere gesagt haben.
Wir wollen uns nicht katholisch machen; das ist klar.
({0})
- Gut, das ist ein anderes Thema. - Wir haben unterschiedliche Positionen. Aber ich finde, man sollte schon
bereit sein, auf die Argumente einzugehen, zumindest
die Informationen der anderen aufzunehmen.
({1})
Zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit ist aus unserer
Sicht alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Aber ich
möchte gerne einen Punkt ansprechen, damit sich nichts
Falsches festsetzt. Es geht um das Asylbewerberleistungsgesetz. Man kann immer sagen: Das ist nicht genug. - Da bin ich gar nicht weit weg von Ihnen. Aber wir
setzen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eins zu
eins um,
({2})
und das kostet den Bund allein in diesem Jahr 30 Millionen Euro. Punkt!
({3})
Jetzt möchte ich gerne zu etwas anderem kommen. Im
Bereich Arbeit und Soziales ist seit der Bundestagswahl
einiges passiert. Die Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition werden sicherlich sagen: Das ist nicht genug.
Das ist das Falsche. - Aus unserer Sicht aber haben wir
genau das Richtige gemacht.
({4})
Denn wir haben gesagt, was wir tun, und wir haben getan, was wir versprochen haben.
({5})
Der flächendeckende Mindestlohn kommt, und auch
das erste Rentenpaket ist verabschiedet. Aber vor allem
in der Debatte über die abschlagsfreie Rente mit 63 ist
klar geworden, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Ich
muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich ziemlich darüber geärgert, wie die eine oder andere Diskussion gelaufen ist; denn einige haben versucht, den Eindruck zu
erwecken, als sei das eigentliche Problem, dass Menschen nicht länger arbeiten können als bis 65. Das ist natürlich dummes Zeug. Jeder, der kann, und jeder, der
will, darf auch heute schon über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeiten.
({6})
Das ist gar nicht das Problem. Das eigentliche Problem liegt ganz woanders. Das eigentliche Problem liegt
darin, dass zu viele Männer und Frauen in diesem Land
aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten können.
({7})
Wir brauchen eine Erhöhung der Erwerbsquote älterer
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und wir brauchen
mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die
Rente. Das ist überhaupt kein neues Thema. Die SPD hat
bereits vor sieben Jahren ein Konzept vorgelegt, in dem
es heißt - ich zitiere den Kernsatz -:
Die Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer und
die Ermöglichung flexibler Rentenzugänge sind …
kein Widerspruch, sondern bedingen einander …
({8})
Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt bei 61,
also weit weg von 65 und noch weiter weg von 67. UnRalf Kapschack
ser Ziel muss es sein, dass möglichst viele Menschen gesund bis zur Regelaltersgrenze arbeiten und, wenn sie
wollen, auch gerne darüber hinaus.
({9})
Das heißt, wir müssen flexible Übergänge vom Beruf
in die Rente schaffen und absichern, Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern ein langes Erwerbsleben bei guter
Gesundheit ermöglichen, und wir müssen bedarfsorientierte Lösungen für gesundheitlich eingeschränkte Beschäftigte finden. Deshalb finde ich auch die Idee, dass
sich der Gesetzgeber des Themas „Stress in der Arbeitswelt“ annimmt, absolut richtig. Sie trifft den Nerv, weil
die Themen Arbeit und Gesundheit endlich stärker miteinander gekoppelt werden.
Den Reflex aus Teilen der Wirtschaft, die allein schon
die Diskussion darüber schädlich finden, kann ich überhaupt nicht verstehen. Andrea Nahles hat es angesprochen: Arbeitgeber zahlen auch für die Arbeitsausfälle,
für die vielen Millionen Fehltage wegen Arbeitsunfähigkeit. Also, es ist höchste Zeit, hier etwas zu tun.
({10})
Es geht um Gesundheit, aber es geht auch um die Flexibilisierung, die es ermöglicht, in bestimmten Lebensphasen kürzer zu treten, ohne große finanzielle Einbußen
bei der Rente zu haben. Natürlich sind auch die Arbeitgeber gefragt. Genauso wie man Ausbildungsplätze
nicht abbauen und dann den Fachkräftemangel beklagen
kann, kann man auch nicht tatenlos zusehen, wie qualifizierte ältere Männer und Frauen aus gesundheitlichen
Gründen früher als nötig in Rente gehen.
({11})
Es ist gut - das wurde schon angesprochen -, dass wir
uns in der Koalition einig sind und dieses Thema in einer
gemeinsamen Arbeitsgruppe angehen. Wir werden dort
ganz konkrete Vorschläge entwickeln, wie der Übergang
vom Beruf in die Rente flexibler und damit auch gerechter gestaltet werden kann, gerechter, weil auf die Bedürfnisse der Männer und Frauen stärker Rücksicht genommen wird und nicht mehr alle über einen Kamm
geschoren werden.
Da geht es zum Beispiel - das ist schon angesprochen
worden - um eine attraktivere Teilrente, zum Beispiel
um die Frage, wie man erwerbsgeminderten Männern
und Frauen hilft ({12})
- vielleicht kommen wir darauf zurück -, die zu gesund
sind für die Erwerbsminderungsrente, aber zu krank, um
es bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu schaffen.
Was hat das Ganze mit dem Haushalt zu tun? Erst einmal ist der Haushalt die materielle Grundlage des politischen Handelns. Insofern hat alles miteinander zu tun.
Aber auch aus rein ökonomischen Gründen ist es sinnvoll, dass wir daran arbeiten, dass ältere Arbeitnehmer
so lange wie möglich und so lange, wie sie wollen, erwerbstätig sind. Ältere Beschäftigte, die ein Erwerbseinkommen erzielen, zahlen Sozialversicherungsbeiträge
und Steuern. Ihre Rente im Alter steigt, das Armutsrisiko
sinkt und die Fachkräftebasis im Betrieb wird gesichert.
({13})
Außerdem müssen wir weg von einer ständig reparierenden Politik hin zu präventiven Ansätzen; auch die rechnen sich auf die Dauer.
({14})
Ein Satz zum Schluss; ich bin schon etwas über die
Zeit. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer jetzt über die Rente
mit 70 schwadroniert, der hat entweder nichts verstanden oder er setzt bewusst auf eine massive Kürzung der
Rente, der Altersversorgung von vielen Millionen Männern und Frauen. Mit uns nicht!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Abschließende Rednerin ist die Kollegin Gabriele
Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Gäste im Bundestag! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mein Vater war ein einfacher
Arbeiter. Er hat immer gesagt: Zum Schuldenmachen
habe ich kein Geld. - Als Kind habe ich das nicht verstanden, aber heute, als Mutter, Kauffrau und Politikerin,
verstehe ich ihn sehr gut. Mein Vater würde sich heute
freuen, wie auch ich mich freue, dass wir zum ersten Mal
seit 1969 einen Haushalt vorlegen, in dem auf neue
Schulden verzichtet wird, und das ohne Steuererhöhungen, so wie wir das versprochen haben.
({0})
Diese Leistung verdient Anerkennung und ist das Ergebnis einer klugen und soliden Haushaltspolitik. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein Badener wie
ich, beendet mit dem vorliegenden Haushaltsplan das
Anwachsen des leider schon hohen Schuldenberges.
Deutschland schafft es damit erneut, seiner Rolle als
Vorreiter und Vorbild in der Europäischen Union und in
der ganzen Welt gerecht zu werden. Die richtigen Weichen sind gestellt. Jetzt wird der Kurs der Haushaltskonsolidierung weiter fortgeführt. Mit dem vorliegenden
Haushaltsplan schaffen wir eine solide Grundlage und
leisten eine wichtige Investition in unsere Zukunft und in
die Zukunft der künftigen Generationen.
Der Sozialstaat steht vor großen Aufgaben. Demografischer Wandel und die strukturelle Arbeitslosigkeit gehören derzeit zu den größten sozialpolitischen Herausforderungen. Damit der Sozialstaat auch weiterhin
Garant für die Sicherheit jedes Einzelnen und den sozialen Frieden in Deutschland bleibt, müssen wir richtige
Gabriele Schmidt ({1})
Antworten auf die richtigen Fragen geben. Das Bundesarbeitsministerium betreibt gezielt Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik, damit unser Sozialstaat leistungsfähig und
verlässlich bleibt.
Auch im Haushaltsjahr 2015 ist der Etat für Arbeit
und Soziales gewachsen und damit die Verantwortung,
das Geld da einzusetzen, wo es zielführend und richtig
ist. Knapp 125 Milliarden Euro liegen dem Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, zugrunde. Diese beeindruckende Zahl ist nun schon öfter erwähnt worden, aber
ganz ohne Zahlen kann man eine Haushaltsdebatte nicht
führen.
({2})
Fast 32 Milliarden Euro daraus stellt der Bund für Arbeitsförderung, für arbeitsmarktpolitische Leistungen
und Programme zur Verfügung. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehen
können, und das in einer Arbeitswelt, in der faire Bedingungen gelten.
({3})
Die Eingliederung in Arbeit kann nicht allein durch
die bekannten Instrumente zur Eingliederung, die den
Jobcentern grundsätzlich zur Verfügung stehen, erfolgen. Wir brauchen vielmehr Modelle und Sonderprogramme, die sich zum Teil bereits bewährt haben. Das
Modellprojekt „Bürgerarbeit“ zum Beispiel dient der Integration arbeitsloser erwerbsfähiger Leistungsberechtigter mit multiplen Vermittlungshemmnissen. Dieses
läuft jedoch Ende Dezember 2014 aus. Für die Ausfinanzierung stellt der Bund nochmals 8 Millionen Euro im
Jahr 2015 zur Verfügung. Der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Hochrhein mit fünf Bürgerarbeitsplätzen und einige Bürgermeister in meinem Wahlkreis haben mir in persönlichen Gesprächen versichert, wie
wichtig das Projekt ist: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich in den letzten drei Jahren hervorragend
entwickelt. Das Ziel, eine feste Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen, wurde zwar nicht immer erreicht, aber trotzdem halte ich das Projekt für einen vollen Erfolg; denn wir Sozialpolitiker sollten doch
stets die Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Mit dem Projekt „Bürgerarbeit“ wurden Menschen,
die weit vom Arbeitsmarkt entfernt waren, ein gutes
Stück weit in das Arbeitsleben integriert. Ich war im
Sommer in einem Ferienlager der Diakonie. Es handelte
sich dabei um ein Abenteuercamp für Kinder. Da waren
Bürgerarbeiter als Chauffeur, Spaghettikoch bis hin zum
Fußballschiedsrichter eingesetzt. Diese Menschen haben
Wertschätzung und Anerkennung erfahren und sind in
den Betrieben mittlerweile eine kaum zu ersetzende Arbeitskraft und ein fester Bestandteil der Gemeinschaft.
Mit meinen Erfahrungen aus der Praxis möchte ich
hier bewusst zur positiven Evaluierung beitragen. Frau
Ministerin, die Erwartungen an das neue Bundesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit - ich
spreche hier nicht nur für meinen eigenen Wahlkreis sind hoch. Ich freue mich, dass für diese Menschen Perspektiven geschaffen werden.
Frau Kollegin Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?
({0})
Ja, selbstverständlich. Gerne.
Frau Schmidt, ich sehe, Sie haben in sich reingehorcht und überlegt, ob Sie meine Frage wirklich zulassen wollen. Ich freue mich, dass das Ergebnis positiv für
mich ausgefallen ist.
Das haben Sie richtig erkannt.
({0})
Frau Schmidt, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie beschrieben haben, wie positiv das Projekt „Bürgerarbeit“
letztlich bei den Arbeitslosen gewirkt hat und welche
Fortschritte die Menschen gemacht haben. Würden Sie
anhand der Erfahrungen, die Ihnen geschildert wurden
und die Sie zum Teil selbst machen konnten, die Konsequenz ziehen, dass solche Arbeitsplätze dauerhaft eingerichtet werden müssen, damit es für diese Menschen
weitergehen kann? Sind Sie nicht wie ich auch der Auffassung, dass es ein Fehler ist, von dem Projekt „Bürgerarbeit“ zu einem völlig anderen Projekt für zum Teil völlig andere Menschen rüberzuhoppen?
({0})
Sollten wir gerade vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung
dieses Programmhopping nicht endlich beenden und einen langfristig angelegten sozialen Arbeitsmarkt schaffen?
Ich würde das nicht „Programmhopping“ nennen.
Später in meiner Rede werde ich übrigens auf genau Ihre
Frage zu sprechen kommen.
({0})
- Ich bin die letzte Rednerin in dieser Debatte und werde
sie mitnichten weiter ausdehnen.
({1})
Sie haben aber natürlich recht: Es gibt Menschen, die
auch mit guten Programmen nicht zu erreichen sind. Denen müssen wir weiterhin zur Seite stehen. Warum soll
dies nicht im Rahmen eines neuen Programmes gescheGabriele Schmidt ({2})
hen? Ich habe Frau Nahles eben unmissverständlich aufgefordert, ein gutes Programm zu liefern. Sie ist dabei.
Wir haben diesbezüglich bereits nachgeforscht.
({3})
Die Bürgerarbeiter, die aus dem Programm, welches
jetzt ausläuft, übrig bleiben - im zahlenmäßigen, nicht
im inhaltlichen Sinne -,
({4})
können an einem anderen Programm teilnehmen. Das ist
kein Hopping. „Bürgerarbeit“ war von Anfang an als
Modellprojekt ausgelegt, und es ist ausgelaufen. Es muss
einen zweiten Arbeitsmarkt geben; das haben wir nie bestritten.
({5})
Man kann Modellprojekte aber nicht ewig ausdehnen.
Ich hoffe, Sie lassen mich nun weitersprechen.
({6})
Ich freue mich, dass für Langzeitarbeitslose, die nicht
so schnell auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht
werden können, ein neues Programm geschaffen wird,
damit sie neue Perspektiven bekommen. Immerhin
120 Millionen Euro werden dafür im Haushaltsjahr 2015
bereitgestellt; darauf haben verschiedene Vorredner wie
Herr Helfrich und Frau Weiss bereits hingewiesen. Aus
meiner Sicht ist das Programm ein wichtiger und notwendiger Schritt.
Viele ehemalige Bürgerarbeiter - jetzt komme ich darauf zu sprechen, Frau Pothmer - können von diesem
neuen Programm profitieren, wenn sie in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ihre
Arbeitsfähigkeit weiter verbessern.
({7})
Den Arbeitgebern wird die anfängliche Minderleistung
durch degressive Lohnkostenzuschüsse ausgeglichen. Es
könnte eine Win-win-Situation entstehen. Wir dürfen
- da bin ich mir mit allen Fraktionen einig - die Menschen, die von SGB-II-Leistungen leben, nicht aufgeben,
sondern wir müssen möglichst viel dafür tun, sie in den
allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren.
({8})
Deshalb ist es richtig, dass wir für alle Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit fast 8 Milliarden Euro zur Verfügung stellen - einschließlich der Sonderprogramme
des Bundes, wozu auch die schon erwähnten Programme
„Perspektive 50plus“ und „MobiPro“ und die Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende gehören.
Auch in diesem Haushalt umfassen die Leistungen an
die Rentenversicherung den weitaus größten Teil. Das
wurde schon erwähnt, aber so richtige und wichtige
Dinge darf man auch einmal wiederholen. Die Zuschüsse des Bundes an die allgemeine Rentenversicherung sowie die Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten an die allgemeine Rentenversicherung sind mit
sagenhaften 75 Milliarden Euro die größten Ausgabenposten. Über die Mütterrente ist hier schon ausgiebig geredet worden. Ich halte sie nach wie vor für eine enorm
wichtige Leistung, für die wir natürlich auch Geld in die
Hand nehmen müssen.
({9})
Durch die Beteiligung des Bundes an den Kosten der
Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung
mit 5,9 Milliarden Euro entlasten wir auch wie versprochen die Kommunen. Die für die Ausführung der Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung zuständigen Träger werden in diesem Jahr zu 100 Prozent,
im Jahr 2015 noch zu 75 Prozent entlastet. Darüber hinaus leistet der Bund Zuschüsse in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der
in Werkstätten und Integrationsprojekten beschäftigten
Menschen mit Behinderung.
Damit komme ich zu einem weiteren Kapitel, das mir
persönlich sehr am Herzen liegt: die Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Allein rund
7 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer
Schwerbehinderung. Die Zahl der über 18-Jährigen mit
einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder einer chronischen Erkrankung beläuft sich sogar auf 17 Millionen,
und diese Zahl steigt leider weiter an. Deswegen ist es
richtig und wichtig, dass das Geld in die Stärkung der
Gleichbehandlung und in die Förderung von Chancengleichheit und Inklusion fließt; denn die Umsetzung dieser Ziele ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und
zufriedenes Leben behinderter Menschen. Menschen mit
Behinderungen sollten ein möglichst selbstbestimmtes
Leben führen können und am gesellschaftlichen, kulturellen und öffentlichen Leben teilhaben können. Auch
das kostet uns Geld. Außerdem sind wir ja gehalten, mit
dem Nationalen Aktionsplan weiter die Ziele der UNBehindertenrechtskonvention umzusetzen.
Ich habe schon gesagt, dass ich die Ehre habe, diese
Debatte zu beschließen. Da ich keine Redezeit mehr
habe, komme ich zum Schluss. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich fasse zusammen: Der Bundeshaushalt
2015 steht auf soliden Füßen. Mit diesem Haushalt sorgen wir dafür, dass auch Deutschland weiterhin auf soliden Füßen steht.
Vielen Dank.
({10})
Mit diesem zeitlich präzisen Abschluss der Kollegin
Schmidt schließe ich die Aussprache zu diesem Einzelplan, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.
Vizepräsident Johannes Singhammer
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft,
Einzelplan 10. Bevor wir mit der Aussprache beginnen,
möchte ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die
Sitzplätze zu wechseln oder neu einzunehmen und sich
innerlich auf die neue Aussprache vorzubereiten.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zu Beginn hat
für die Bundesregierung der Bundesminister Christian
Schmidt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorneweg: Vielen Dank an diejenigen in der Bundesregierung, die den Haushaltsentwurf - bereits den zweiten in
diesem Jahr - vorgelegt haben. Vorwegnehmen möchte
ich auch einen Dank an diejenigen, die im Deutschen
Bundestag diesen Haushaltsentwurf beraten und beschließen und nach dem Struck’schen Gesetz - das weiß
ich - möglicherweise da und dort auch ein klein wenig
verändern werden.
({0})
Wir stehen in dieser Legislaturperiode vor großen Herausforderungen, über die wir schon gesprochen haben
und die Sie kennen. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen habe ich auch in meinem Ressort Akzente
zu setzen, die sich in einer Umorganisation meines Hauses abbilden. Darüber habe ich nach einer gewissen Zeit
der Betrachtung entschieden.
Wir werden in unserem Haus nach wie vor Schwerpunkte im ländlichen Raum, in der Lebensmittelsicherheit und in der Vermarktung setzen. Wir werden insbesondere die Bereiche Wald und Forstwirtschaft stärker
mit hinzunehmen; diese Bereiche rangierten in meiner
Wahrnehmung auch bei den Haushaltsberichterstattungen, lieber Kollege Caesar, nicht ganz hinten. Ich bedanke mich auch für die Hinweise dazu, was wir tun
sollten, Kollege Freese.
Ich habe umorganisiert, um die Initiativen für den
ländlichen Raum, zu denen ich noch komme, koordinieren zu können.
Ich habe umorganisiert, damit wir die Fragen und
Probleme im Veterinärwesen schneller klären bzw. lösen
können. Ich darf mich bei dieser Gelegenheit für die Unterstützung des Bundestages hinsichtlich des Stellenplans im letzten Jahr bedanken. Ich kann melden: Wir
sind bei der Umsetzung überwiegend sehr weit vorangekommen. Von den sechs Veterinärstellen sind schon drei
oder vier vollständig besetzt, und wir sind dabei, die anderen zu besetzen. So kann der eine oder andere Flaschenhals in diesem Bereich überwunden werden. Das
gilt auch für die nachgeordneten Behörden.
Ich habe umorganisiert, damit wir dem wirtschaftlichen Gewicht der Ernährungsindustrie in unserem Hause
stärker Rechnung tragen können. Ich habe eine Stabsstelle „Export“ gegründet, die die Koordination und die
Aufgabenverteilung besser wahrnimmt. Die Arbeit dieser Stabsstelle ist leider im Augenblick von der Arbeit
einer anderen Stabsstelle betroffen, nämlich der Stabsstelle „Export Russische Föderation“.
Die aktuellen Ereignisse bewegen mein Haus und die
Branchen in unserem Bereich ebenso wie viele Menschen im Land. Mit großer Sorge sehen viele die Entwicklungen der Konflikte mit Russland. Mir hat gerade
jemand, der aus den baltischen Staaten zurückgekommen ist, über Gespräche mit seinen Wirtschaftskollegen
dort berichtet. Er ist selbst aus dem Wirtschaftsbereich.
Er war erstaunt, dass zur Frage der Sanktionen nicht ein
Wort gefallen ist, sondern vor allem die Sorge darüber
geäußert wurde, wohin die politische Entwicklung die
eigentlich fest geglaubte Stabilität 25 Jahre nach dem
Fall der Mauer bringen wird.
Ich glaube, das ist nicht nur nachvollziehbar, sondern
für uns auch ein Hinweis darauf, dass es hierbei nicht
nur um schiere Umsatzzahlen geht. Ich sage das auch zu
einem Zeitpunkt, zu dem die Sanktionen in der dritten
Stufe von der Europäischen Union verhängt worden sind
mit der klaren Ansage, dass man noch einmal darüber reden wird und muss, wenn der Zwölf-Punkte-Plan der
Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Russland
- ich bin sehr vorsichtig - realisiert worden ist.
Ich habe auch die Hoffnung, dass wir mit erheblichen
Beiträgen von allen Seiten doch über diese schwierige
Situation hinwegkommen. Wir haben ausgezeichnete
Produkte, die auch in Russland geschätzt werden, die
aber jetzt nicht mehr in den Supermärkten dort zu finden
sind. Die ersten Betroffenen sind die russischen Verbraucher, die höhere Preise für Lebensmittel bezahlen müssen.
Ich will über die Frage des Verstoßes gegen WTO-Regeln im Detail gar nicht sprechen, aber das rundet das
Bild von den Schwierigkeiten, die wir haben, ab.
Ich bin dafür, dass wir den Kontakt mit Russland aufrechterhalten. Auf Arbeitsebene wird das auch stattfinden. Ich hoffe, dass ich die Reise, die ich in Kürze in die
Ukraine und in das kleine Land Moldawien bzw. Moldau
mache, mit Kontakten in die Russische Föderation verbinden kann. Das wird allerdings nur dann der Fall sein,
wenn die zugrundeliegenden politischen Fragen zufriedenstellend gelöst sind.
({1})
Meine Damen, meine Herren, ich habe über Europa
gesprochen. Wie Sie wissen, haben wir in der Europäischen Union auch Unterstützungen für Sektoren im
Markt mitbeschlossen. Ich muss heute zuallererst Dacian
Ciolos danken, der nicht mehr antritt. Die rumänische
Regierung hat jetzt eine Kollegin in die Kommission
entsandt. Ich habe ihm in verbindlicher Form gedankt.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen: Er ist jemand, mit dem man die Idee des Greening verbindet, das
wir jetzt als Grundlage für die Post-2020-Periode in der
Gemeinsamen Agrarpolitik sehen.
Ich will aber gleichzeitig den nominierten neuen
Kommissar Phil Hogan begrüßen, den irischen Ministerkollegen, der für Umwelt zuständig war. Es ist gut, wenn
man die Leute schon kennt. Ich kann nur sagen: Er ist jemand, mit dem man gut zusammenarbeiten kann.
Wen ich nicht kenne, das ist der neue Umwelt- und
Fischereikommissar, Herr Vella, mit dem wir auch sehr
viel zu tun haben werden, die tschechische Kollegin,
Frau Jourová, die für den Verbraucherschutz zuständig
ist, und der litauische Kollege Andriukaitis, der für Lebensmittelsicherheit verantwortlich ist. Sie sehen: Damit
werde ich die einmalige Chance haben, in Brüssel mit
vier EU-Kommissaren verhandeln zu dürfen. Das zeigt
die Bandbreite.
Hinzu kommt die wichtige Aufgabe der digitalen Zukunft der Europäischen Union, die Günther Oettinger
wahrnimmt und die in mancher öffentlichen Kommentierung völlig unterbewertet wird. Insofern muss ich ihn
eigentlich als fünften EU-Kommissar nennen, mit dem
ich es zu tun haben werde. Denn auch im ländlichen Bereich werden wir uns nicht an der Digitalisierung vorbeidrücken können. Nein, wir müssen sie gestalten, und dabei erhoffe ich einiges.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin seit einem
halben Jahr im Amt. Es ist der zweite Etat seitdem. Dafür sind 5,3 Milliarden Euro veranschlagt. Er ist ein Dokument der Stabilität. Innerhalb dieses Budgetrahmens
werde ich neue und notwendige Schwerpunkte setzen.
Ich werde Schwerpunkte auf eine nachhaltige Landwirtschaft setzen, die das Wohl des Tiers stärker berücksichtigt, ohne an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Ich
werde Schwerpunkte auf lebendige ländliche Räume und
auf eine gesunde Ernährung insbesondere unserer Kinder setzen, damit die Weichen dafür frühzeitig richtig gestellt werden.
({3})
Landwirte müssen als Unternehmer erfolgreich am
Markt wirtschaften können. Zugleich ist festzustellen,
dass der Markt sich verändert. An die Nutztierhaltung
werden nicht nur von Verbraucherseite hohe Ansprüche
gestellt. Hohe Tierschutzstandards sind ein Qualitätsmerkmal deutscher landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Doch wir wollen und müssen noch besser werden. Es
gibt Initiativen, die ich außerordentlich begrüße, insbesondere die, die der Bauernverband zusammen mit dem
Handel auf den Weg bringt. Ich wünsche ihnen viel Erfolg.
Ich will im Sinne der Koalitionsvereinbarung neue
Wege zur Stärkung des Tierwohls beschreiten. Es ist für
mich eine Frage der Haltung, und zwar nicht nur in den
Ställen, sondern auch in den Köpfen. Der Haushalt 2015
soll uns Möglichkeiten dafür geben. Ich habe 33 Millionen Euro für Investitionen in mehr Tierschutz vorgesehen. Sie liegen mir sehr am Herzen. Ich werde in Kürze
die Konzeption, die wir gemeinsam entwickelt haben,
vorstellen. Sie geht zuallererst an das Parlament, weil
das Parlament der natürliche Bündnispartner und Unterstützer ist, auch wenn ich nicht die Gesetzgebung in den
Vordergrund stelle, sondern das Zusammenwirken aller
im Sinne der Zivilgesellschaft.
Lebendige Räume bzw. Leben und Arbeiten auf dem
Land sind weitere Schwerpunkte meiner Arbeit. Dafür
werde ich bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK - wir
wollen sie in Gemeinschaftsaufgabe „Nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum“ umbenennen -, 600 Millionen Euro für den Umbau vorsehen, zusätzlich 10 Millionen Euro für ein Bundesprogramm. Ich möchte bei
dieser Gelegenheit festhalten, dass wir diese Initiative
gemeinsam mit den Ländern durchführen. Ich will diese
Initiative aber nicht so verstanden wissen, dass ich die
Gemeinschaftsaufgabe in irgendeiner Weise infrage
stelle. Nein, ich will sie verbessern und ergänzen, wie es
in der Koalitionsvereinbarung steht.
Gesunde Ernährung für Kinder: „IN FORM - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ ist ganz wichtig. Ich weiß, dass es schon früher
Diskussionen über adipöse Kinder und entsprechende
Initiativen gegeben hat. Leider ist nun jedes sechste
Kind übergewichtig bzw. adipös. Deswegen sage ich:
Die diesbezüglichen Anstrengungen müssen fortgesetzt
und intensiviert werden. Wir werden deswegen mit verschiedenen Modellen - bis hin zu neuen Initiativen des
Nudging, die ich erst jetzt beginne zu verstehen, also des
Anstoßens zu sinnvollem Verhalten - unterstützend tätig
werden.
Es gibt eine Reihe von Themen im Haushalt, die noch
zu nennen sind. Nicht zuletzt sind beim Berichterstattergespräch einige Diskussionspunkte angemeldet. Ich darf
mich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken.
Der Haushalt 2015 weist eine leichte Tendenz nach
oben auf und rahmt sich in die schwarze Null ein. Aber
mit diesem Haushalt werden wir mehr als nur die
schwarze Null erreichen; wir werden ziemlich viel erreichen.
Ich bedanke mich.
({4})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Roland
Claus das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Bundesminister, ich dachte schon, dass Sie der erste Koalitionsredner wären, der es schaffte, ohne die Beschwörung der schwarzen Null auszukommen. Aber zum
Schluss haben Sie es dann doch noch geschafft, sie zu
erwähnen.
Auf den ersten Blick scheint es nur wenige Kontroversen über diesen Haushalt zu geben. 70 Prozent des
Etats gehen in die landwirtschaftliche Sozialkasse. Dagegen haben wir nichts. Wenn es um eine bessere Förderung unserer Forschungsinstitute geht, sind wir selbstverständlich dabei. Das verführt Sie, Herr Minister,
zuweilen zu der Aufforderung an die Opposition, diesen
Politikbereich einmal ideologiefrei zu betrachten.
({0})
Das allerdings ist ein frommer Wunsch, der erst dann erfüllt werden könnte, wenn die einen Ideologen den anderen Ideologen nicht mehr vorwerfen würden, Ideologen
zu sein, Herr Minister.
Ein Blick über den Tellerrand des Haushalts hinaus
lohnt sich. Dann zeigen sich die Konflikte. Der wichtigste ist, dass heute Agrarpolitik nicht zuerst in den Parlamenten gemacht wird, sondern an der Börse. Es ist den
Grünen und den Linken im Bündnis mit vielen Bürgerinitiativen gelungen, im Europäischen Parlament die
Spekulationen mit Nahrungsgütern einzugrenzen. Aber
angesichts der Vielfalt der Freihandelsabkommen droht
erneut eine Entwicklung, die globalen Agrarkonzernen
Tür und Tor öffnet. Nach wie vor leiden 1 Milliarde
Menschen täglich unter Hunger. Das Schlimme ist, dass
diese Zahl nicht abnimmt, sondern zunimmt. Deshalb
brauchen wir eine EU-Agrarpolitik, die für eine gerechte
globale Entwicklung steht. Aber in dieser Hinsicht
herrscht bei allem, was uns bisher vorgelegt wurde, leider, leider Fehlanzeige.
({1})
Wie wollen Sie Menschen in Afrika beispielsweise für
die Idee der Demokratie, wie sie in Europa besteht, begeistern, wenn die meisten wissen, dass die reichsten
Länder an ihrem Hunger auch noch verdienen? Deshalb
erneuern wir unsere Forderung, dass Spekulationen mit
Nahrungsgütern verboten gehören.
({2})
In Ihrem Etat stellt naturgemäß die GAK das größte
Förderprogramm dar. Ich will das erklären. Es handelt
sich hier um die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, die in besonderem Maße im Osten der Republik von Bedeutung
ist.
Ich will hier, wie an anderer Stelle auch, auf ein Problem hinweisen, das wir im Jahre 2014 haben, weil wir
für den Vollzug des Etats, den wir ja erst im Sommer beschlossen haben, quasi nur drei Monate zur Verfügung
haben. Wir erwarten schon, dass die vom Parlament beschlossenen Mittel vom Bundesfinanzminister zum
Schluss nicht wieder für die berühmte „schwarze Null“
einkassiert werden, sondern dass diese Mittel auch tatsächlich ausgegeben und für das verwendet werden, wofür sie gedacht sind.
({3})
Man muss auch darauf verweisen - darüber werden
wir heute am späten Nachmittag noch reden -, dass die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ bisher der einzig relevante
Haushaltsposten für die Bewältigung der Aufgaben im
Hochwasserschutz ist. Wir werden darüber zu diskutieren haben, dass wir noch immer kein umfassendes nationales Konzept für den Hochwasserschutz haben. Aber
die Flüsse halten sich nicht an Verwaltungsgrenzen. Deshalb müssen wir auch über den Etat hinweg und nicht
nur im Rahmen des Einzelplans 10 Vorsorge treffen, um
dieser Aufgabe künftig gerecht zu werden. Wir werden
mit Ministerin Hendricks darüber reden. Aber solange
sie als Umweltministerin sich ausschließlich auf die Mittel aus dem Agrarressort zurückziehen kann, ist es natürlich ein bisschen wie in dem derben spanischen Sprichwort: „Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten“.
Wir finden es in Ordnung, dass die Forschungsinstitute unterstützt werden. Aber auch hier gilt natürlich:
Nicht die Ausgabenmasse zählt, sondern das Ergebnis.
Aber da sind wir, das sage ich ausdrücklich, zuversichtlich.
Die Linke wird sich, wie Sie es schon kennen, dafür
einsetzen, Chancengleichheit für Agrarbetriebe im Osten
der Republik einzufordern. Diese Chancengleichheit
wird natürlich im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik
der EU auf eine, so will ich einmal sagen, ernste Belastungsprobe gestellt. Dazu kommen eine nicht hinzunehmende Explosion bei den Bodenpreisen und die Rolle
der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft, die auch wir skandalös finden. Lassen
Sie sich das so gesagt sein.
Sie haben jetzt angekündigt, ein Bundesprogramm für
den ländlichen Raum aufzulegen. Das mag in Ordnung
gehen. Denn es geht schließlich darum, dem ländlichen
Raum mehr politisches Gewicht zu geben. Das wird aber
auch bedeuten, neue Entwicklungspfade zu denken. Wer
immer nur die Forderung aufstellt, dass alles so bleiben
muss, wie es gegenwärtig ist, wird nicht zukunftsfähig
sein. Wir wollen so etwas wie ein regionales Gemeinwesen organisieren. Dafür gibt es gerade in ausgedünnten
ostdeutschen Regionen zwar noch sehr wenige, aber hervorragende Beispiele. Ich denke etwa daran, dass ein
Sparkassenbus über die Dörfer fährt, dass in diesem Bus
eine Gemeindeschwester anwesend ist, dass dort ein
Bürgerservice aus der Verwaltung angeboten wird und
dass die Menschen diese Angebote natürlich nutzen können. Bisher sind wir da aber nur bei wenigen, noch nicht
vernetzten und gar nicht komplexen Ansätzen angelangt.
Herr Minister, ich muss Sie zum Schluss noch fragen:
Wie war Ihr Morgenapfel heute? Ich frage das deshalb,
weil in der Zeitung stand, Sie hätten einen Aufruf unter
dem Motto „Sie sollten essen, ich sollte essen, wir sollten essen“ gestartet. Gemeint war, Äpfel gegen Putins
Embargo zu essen, also ein Schritt vom Ich zum Wir,
Herr Minister; das haben wir wahrgenommen. Wenn Sie
das konsequent fortsetzen würden, dann müssten Sie
hier auch die Frage beantworten, die wir Ihnen stellen:
({4})
Wann wird beim Oktoberfest in München auf Apfelschorle umgestellt? Das müssen auch Sie als Franke aushalten können.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Wilhelm Priesmeier das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus,
zunächst einmal: Es könnte sein, dass die Bayern auf
Apfelschorle umstellen, wenn irgendwann die Linke in
Bayern regiert.
({0})
Aber das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.
({1})
Insofern ist die Prognose, was die Verwertung von Äpfeln angeht, nur von eingeschränkter Aussagekraft.
Ich darf mich beim Haus für den vorliegenden Gesetzentwurf bedanken. Der Minister hat es eben schon
gesagt: Es gilt das Struck’sche Gesetz. - Insofern sehe
ich: Es ist an den Abgeordneten, diesen Bundeshaushalt
in verschiedenen Bereichen ganz entscheidend mitzuprägen.
Wir leisten mit dem Haushalt zum Einzelplan 10 natürlich einen Beitrag zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt. Das ist jedem klar. Die Ansprüche werden
nicht ins Uferlose wachsen. So wie ich diesen Haushalt
einschätze, ist er, wie alle Haushalte in der Vergangenheit, geprägt durch die Ausgaben für die agrarsoziale
Sicherung. Fast 70 Prozent dieses Haushaltes, 3,7 Milliarden Euro von 5,3 Milliarden Euro, sind für die agrarsoziale Sicherung zu veranschlagen. Insofern ist es de
facto fast ein Sozialhaushalt, den wir hier haben. Aber
wir müssen uns natürlich auch Gedanken machen über
das damit finanzierte System, darüber, wie wir dieses
System zukunftsfest erhalten können oder welche Alternative es dazu gibt. Bei einer Defizitabdeckung von
70 Prozent für die landwirtschaftlichen Altersrenten
sehe ich in Zukunft Probleme auf uns zukommen, die
wir zu lösen haben. Mit der Schaffung eines einheitlichen Bundesträgers alleine wird es nicht getan sein.
Wir müssen auf der Basis des Berichts von 2013 erkennen, dass von den an sich Versicherungspflichtigen
238 000 befreit sind und 236 000 Beiträge bezahlen. Das
macht deutlich, dass ein gewisser Entsolidarisierungseffekt bei der landwirtschaftlichen Sozialversicherung
gegeben ist. Wir müssen versuchen, dem entgegenzuwirken, und uns über adäquate Maßnahmen oder Alternativen Gedanken machen.
Das, was wir mit diesem System erreicht haben, sind
wettbewerbsfähige Strukturen. Über die vergangenen
Jahrzehnte sind diese wettbewerbsfähigen Strukturen gewachsen. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu dem
Strukturwandel in der Landwirtschaft und dazu, dass Betriebe wettbewerbsfähig sein sollen und Perspektiven in
der Zukunft haben müssen.
({2})
Daher finden wir es nicht mehr zeitgemäß, jeden zu
zwingen, seinen Betrieb abzugeben, um in den Genuss
der Rente zu kommen. Das ist eine Sonderregelung, die
in keinem anderen Bereich der Rentenversicherung gilt.
Ich glaube, diese Regelung ist auch wenig zukunftsfähig.
Gerade wenn wir von älteren Menschen erwarten, dass
sie weiterhin aktiv bleiben, sollten wir das auch Landwirten nicht verwehren. Das ist in der Regel ein Problem
der kleineren Betriebe. Zwei Drittel der Betriebe haben
keinen Hofnachfolger; im Regelfall sind das, wie gesagt,
kleinere Betriebe. Auch diesen Betrieben sollte man die
Möglichkeit geben, in dem Maße, wie sie es für richtig
halten, weiter Einkommen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit zu erwirtschaften.
({3})
Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, die Reform der agrarsozialen Sicherung intensiv zu
begleiten und die Hofabgabeklausel neu zu gestalten.
Dazu werden wir jetzt einen Beitrag leisten und für die
Novellierung des § 11 ALG einen konkreten Vorschlag
vorlegen und diesen parallel zum Haushalt mit den Kollegen von der CDU/CSU beraten, wenn es sich von der
zeitlichen Abfolge so ergeben sollte.
Letzte Woche war ich in einem Betrieb in der Nähe
von Bielefeld. Dort habe ich jemanden getroffen, der aus
Überzeugung Landwirt ist. Er ist 77 Jahre alt und bewirtschaftet zusammen mit seiner Frau 30 Hektar. Er melkt
noch 12 Kühe. Warum sollen wir diesem Mann verwehren, der keine Nachkommen hat, die für die Übernahme
des Betriebes infrage kommen, seinen Betrieb weiter zu
bewirtschaften? Jeder Handwerksmeister darf seinen Betrieb weiterführen und gleichzeitig Rente beziehen. Jeder, der in anderen Versicherungssystemen versichert
war, darf seinen Betrieb weiterführen. Dort ist nicht das
Erfordernis der Agrarstruktur Grundlage für den Bezug
der Rente, die man aus einem anderen System erhält. Ich
glaube, wir müssen uns in diesem Zusammenhang ein
bisschen bewegen. Ich erkenne auch beim Koalitionspartner den Willen dazu. Deshalb setze ich darauf, dass
wir in den nächsten Wochen und Monaten zu einer vernünftigen und einvernehmlichen Regelung kommen.
({4})
- Ich sehe, dass der Kollege Holzenkamp klatscht. Das
steigert meine Zuversicht ungemein.
Ein weiterer wichtiger Punkt in dem Haushaltsentwurf sind die Eiweißpflanzenstrategie und der ökologi4730
sche Landbau. Die Eiweißpflanzenstrategie war uns Sozialdemokraten vor allem im Haushaltsentwurf 2014
wichtig. Aus diesem Grunde sehen wir mit besonderer
Sympathie, dass dieser Betrag im jetzigen Entwurf auf
4 Millionen Euro aufwächst. Wir müssen schauen, ob es
für die Zukunft ausreichend ist oder ob wir in den weiteren Haushaltsjahren etwas drauflegen müssen; denn gerade dieser Bereich ist wichtig.Wenn wir importiertes Eiweiß durch heimisches Eiweiß ersetzen können, dann
steigert das die Wertschöpfung der Betriebe im ländlichen Raum. Diese Chance sollten wir nutzen.
Deutschland ist der größte Markt Europas für Biolebensmittel. Auch darüber sollten wir uns Gedanken machen, vor allen Dingen, was den Ökolandbau und das
„Bundesprogramm Ökologischer Landbau“ betrifft. Ich
sehe noch Möglichkeiten, den entsprechenden Ansatz
vielleicht zu verstärken. Darüber werden wir uns unterhalten müssen. Es geht auch um ein klares Signal an die
Betriebe, die sich dem ökologischen Landbau widmen
und dort ihr Erwerbseinkommen erzielen. Ich glaube,
dass diese Betriebe Unterstützung brauchen; denn die Situation in vielen Betrieben ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht besonders günstig.
Das waren Initiativen, die wir in besonderer Weise
aufgreifen - neben dem, was Kollege Claus in Bezug auf
die Finanzierung des Hochwasserschutzes eingefordert
hat. Ich verweise auf den Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses vom 5. Juni dieses Jahres, der vorsieht,
dass die Maßnahmen, die eventuell im Oktober von der
Bund-Länder-Kommission vorgeschlagen werden, zeitnah im Bundeshaushalt abgebildet werden sollen, mit einiger Wahrscheinlichkeit in der GAK; ich setze darauf.
Kollege Priesmeier, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich wünsche mir auch dazu großes Einvernehmen
hier im Hause, damit wir das umsetzen können.
Vielen Dank, meine Kolleginnen und Kollegen, liebe
Damen und Herren.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Nicole Maisch das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Schmidt, ich habe mich sehr über die lobenden Worte gewundert, die Sie für den scheidenden
Agrarkommissar Dacian Ciolos gefunden haben.
({0})
Immerhin war es doch Ihre Vorgängerin, Frau Aigner,
die das Greening, die Begrünung der Agrarpolitik, in
Brüssel zerschossen hat.
({1})
Da hat mich dieses Lob doch schon sehr gewundert.
Aber das passt ganz gut zu den Worten von Herrn
Priesmeier, der eben gesagt hat: Wir als Sozialdemokraten stehen für Wachsen und Weichen, wir stehen zum
Strukturwandel. - Da hat sich in der Großen Koalition
offensichtlich gefunden, was zusammengehört.
({2})
Meine Damen und Herren, der Kollege Claus hat uns
schon über die Nebenaußenpolitik mit Obst informiert,
die der Minister im Zuge der Ukraine-Krise betreibt. Ich
fand es ganz interessant, dass uns dieser Minister jetzt,
nachdem er sieben Monate weitestgehend im politischen
Untergrund verbracht hat, zum Obstessen als erste Bürgerpflicht aufgerufen hat. „An apple a day keeps the
Putin away“ - damit, Herr Minister, haben Sie es zu
Recht in die Satiremagazine der Republik geschafft.
({3})
Ich denke, dass wir alle mehr davon hätten, wenn Sie
sich als Ernährungs- und nicht nur als Exportminister
verstehen würden,
({4})
wenn Sie mehr dafür tun würden, dass unsere Kinder in
Schulen und Kitas gesundes und leckeres Essen bekommen, und wenn Sie Obst nicht als Instrument einer fragwürdigen Nebenaußenpolitik, sondern als Mittel der Gesundheitsförderung für die Jungs und Mädchen in
unseren Kindertagesstätten betrachten würden.
Ihr Kollege Herr Müller spricht schon seit Jahren davon, dass Deutschland in Sachen Schulverpflegung ein
„Dritte-Welt-Land“ ist, und der Mann hat leider recht.
({5})
Nur jedes dritte Kindergartenkind und auch ungefähr jedes dritte Schulkind bekommt ein Essen, das den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung genügt.
Zu süß, zu fett, zu wenig Obst, zu wenig Gemüse - das
ist ein Armutszeugnis, ein Armutszeugnis für die Esskultur in diesem Land und auch für Sie als Ernährungsminister.
({6})
Ich bin gespannt auf die Studie, die Sie uns im November präsentieren werden; aber ich glaube, dass wir
dann nur noch einmal aufgetischt bekommen, was wir
längst wissen: Die Situation ist schlecht, der Handlungsbedarf ist groß. Angesichts dieser Lage frage ich mich,
warum Sie das Portemonnaie für die Vernetzungsstellen
Schulverpflegung in absehbarer Zeit schließen wollen.
Diese Koalition will die Finanzierung der SchulvernetNicole Maisch
zungsstellen auslaufen lassen, obwohl sie erfolgreich für
besseres Essen in unseren Schulen arbeiten. „An apple a
day“? - „No milk today“, das wäre die passendere Beschreibung für die CSU-Ernährungspolitik der letzten
Jahre, wenn es um Kinder in Schulen und Kindertagesstätten geht.
Was in Ihrem Haushalt weiter steigt, sind natürlich
die Mittel für die Exportförderung. Billigfleisch aus
deutscher Massentierhaltung für die ganze Welt, insbesondere für Russland, egal, was die ökologischen und
sozialen Folgen sind - das ist Ihre Agrarpolitik. Ich
glaube, damit können sich die meisten Menschen in diesem Land heute nicht mehr identifizieren.
({7})
Ich möchte einen Agrarminister, der sich nicht als erster
Handelsvertreter für deutsches Fleisch sieht, sondern der
hinsichtlich des Handels eher darauf setzt, dass im Rahmen von CETA und TTIP, der Freihandelsabkommen,
der Freihandel nicht zum Freifahrtschein wird für giftige
Kosmetik, für Fleisch von geklonten Tieren und für Gentechnik in unserem Essen. Hier habe ich von dem Agrarminister bisher nur Beschwichtigungen gehört, und das
reicht mir nicht.
({8})
Ein Blick auf die Homepage des Ministeriums ist immer lehrreich und unterhaltsam. Dort kann man nämlich
sehen, was der Minister den ganzen Tag lang in seinem
Ministerium und im Land so macht: Er streichelt Bienen,
er bringt brasilianischen Grassamen auf deutschen Fußballplätzen aus, und er hat letztes Wochenende zum ersten Mal einen Tierschutzpreis für einen tierfreundlicheren Umgang mit Sportpferden verliehen. Er hat nämlich
Folgendes festgestellt - Zitat -:
Bisweilen sind auf dem Vorbereitungsplatz nicht
pferdefreundliche Praktiken zu beobachten.
Aha. Dafür wird jetzt ein Preis verliehen. Das ist Tierschutz à la CSU. Anstatt sich wirklich mit den Lobbys
anzulegen, gibt es Schleifchen für die, die es ein bisschen besser machen. Ich sage Ihnen: Wenn Ihnen Pferde
wirklich am Herzen liegen, dann verbieten Sie doch endlich, dass man Pferden ein glühendes Eisen auf den Hintern drückt, dass man Verbrennungen dritten Grades an
Fohlen vornimmt.
({9})
Das - und nicht dieses komische Lobespreiszeichen wäre wirkliche Tierschutzpolitik.
({10})
Ich finde, wir können uns kurz einmal zurückerinnern
- zumal hier offensichtlich Emotionen aufkommen -:
Sie waren sich nicht zu schade dafür, einen Schönheitsarzt und Humanmediziner zu dieser Frage, zum Verkohlen von Pferdehintern, bei der Anhörung hier im Deutschen Bundestag auflaufen zu lassen. Ich finde, die SPD,
die sich den Tierschutz ja auch auf die Fahnen geschrieben hat, müsste es in dieser Legislaturperiode wenigstens zustande bringen, dass der Schenkelbrand, diese
Folter von Pferden, aufhört.
({11})
Da bei Ihnen offensichtlich Nachholbedarf besteht
hinsichtlich der Frage, was man im Tierschutzbereich alles machen kann, empfehle ich Ihnen einen Blick in die
Bundesländer. Bei den Landesregierungen gibt es die
unterschiedlichsten Farbkombinationen, unter anderem
Schwarz-Grün: In Hessen fängt man an, mit der Häckselung, der Massentötung von männlichen Küken, Schluss
zu machen. Ich finde, daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen: Machen Sie Schluss mit Schnabelverstümmelungen bei Puten, machen Sie Schluss mit Amputationen bei Mastschweinen, machen Sie Schluss mit
den Massentötungen von männlichen Küken! Das wäre
eine Tierschutzpolitik, die einer Partei, die sich selbst
immer wieder als wertkonservativ bezeichnet, gut zu
Gesicht stünde.
({12})
Ich muss Ihnen sagen: Mich stört es sehr, dass die Bilanz dieser Regierung beim Thema Tierschutz so dürr ist
wie der Wikipedia-Eintrag des Ministers. Dort steht unter der Überschrift „Minister“ Folgendes:
Am 17. Februar 2014 trat Schmidt die Nachfolge
von Hans-Peter Friedrich als Bundesminister für
Ernährung und Landwirtschaft an.
Zitat Ende, Eintrag Ende. Das scheint mir ziemlich wenig. Sie haben in Ihrer Rede über Nudges gesprochen,
über Schubse. Ich finde, Sie brauchen einen Schubs, hin
zu einer besseren Agrarpolitik und zu mehr Tierschutz.
({13})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes
Röring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister
Schmidt! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen!
Landwirtschaft in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. 270 000 Betriebe, rund 90 Prozent davon familiengeführt, ackern und arbeiten für uns. Nie waren Lebensmittel so wertvoll und hochwertig und so bezahlbar
wie heute.
({0})
Wir haben die Getreideernte 2014 gerade abgeschlossen. Die deutschen Bauern haben eine Rekordernte eingefahren, in einigen Regionen unter schwierigsten Bedingungen. Hätten wir nicht diese tolle Landtechnik,
hätten wir vieles nicht ernten können. Ich sage Ihnen
sehr deutlich, wenn wir über Nahrungsmittelspekulationen sprechen: Die beste Antwort auf Spekulationen sind
gute Ernten. Sie sichern die Versorgung der Menschen.
({1})
Deswegen sollten wir alle froh sein, dass wir so eine
gute Ernte hatten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich wieder daran,
wie wichtig es ist, dass wir über ausreichend Lebensmittelerzeugungsflächen verfügen. Wenn davon pro Tag
74 Hektar verloren gehen, dann ist das eindeutig zu viel.
Dieses Thema haben wir im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Wir packen das an, und wir werden Lösungen finden. Ich persönlich bin - das sage ich Ihnen sehr deutlich nicht eher zufrieden, bis wir unsere Acker- und Grünlandflächen genauso wie den deutschen Wald unter
Schutz stellen.
({2})
Die deutsche Landwirtschaft ist natürlich von den
Sanktionen gegen Russland betroffen. Russland hat als
Reaktion auf die Sanktionen die Einfuhr von vielen Lebensmitteln ausgeschlossen. Es ist schon bemerkenswert, dass Lebensmittel hier als Mittel der Auseinandersetzung gewählt werden. Ich kann Ihnen sagen: Es ist
gut, dass Deutschland von Lebensmitteln nicht so abhängig ist wie von Gas. Es ist wichtig, dass wir in dem
Sinne eine starke Landwirtschaft haben. Wir sind zwar
der zweitgrößte Importeur von Lebensmitteln auf der
Erde, aber auch der drittgrößte Exporteur. Insofern findet
an der Stelle Handel statt.
Ich glaube, es ist gut, dass der Bundeslandwirtschaftsminister deutlich gesagt hat, dass die russischen Verbraucher am Ende die Hauptleidtragenden sind. Sie zahlen sehr hohe Preise für Nahrungsmittel, wobei sie über
wesentlich weniger Einkommen verfügen als unsere
Verbraucher. Umso wichtiger im Hinblick auch auf diese
Sanktionen sind natürlich die anderen Märkte. Unser
Hauptmarkt ist der Markt vor Ort, sind unsere Verbraucher in Deutschland, die 80 Millionen Menschen, die wir
täglich gern und sicher versorgen wollen. Auch der europäische Markt ist für uns wichtig. Ich bin Minister
Schmidt für sein Bekenntnis zu den Exportmärkten außerordentlich dankbar.
({3})
Peter Bleser ist im Moment in Peking unterwegs und
treibt die Errichtung des deutsch-chinesischen Agrarzentrums voran.
({4})
Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass wir bei
der Exportförderung nicht über Exporterstattung
sprechen, sondern über Handelserleichterungen, zum
Beispiel Veterinärabkommen. Auch da bin ich den Haushältern dankbar, dass wir zusätzliche Stellen bekommen,
um das alles zu schaffen.
Um die gleichen Dinge geht es auch bei CETA und
TTIP, den Handelsabkommen mit Kanada und den Vereinigten Staaten. Absatzmärkte für unsere hochwertigen
Erzeugnisse, Autos, Maschinen, Anlagen und auch Nahrungsmittel, sind wichtig für unsere Wirtschaft. Ich erwarte von der Europäischen Union robuste Verhandlungen im Sinne unserer Verbraucher, aber auch unserer
Wirtschaft. Eine Exportnation wie Deutschland ist auf
gute Rahmenbedingungen im Handel angewiesen.
Diese Abkommen beinhalten aus meiner Sicht viele
Vorteile, vor allen Dingen auch für unseren Mittelstand.
Ich sage Ihnen sehr deutlich: An der deutschen Landwirtschaft werden diese Abkommen nicht scheitern. Wir
wollen Chancen nutzen und Standards schützen. Diese
Abkommen bieten auch die Chance einer allgemeinen
Standarderhöhung. Deswegen brauchen wir gerade auch
bei TTIP und CETA eine sachliche Debatte, die sich mit
den Chancen, aber auch den Risiken beschäftigt.
({5})
Ich glaube - dies muss man deutlich sagen -, dass dies
auch für andere Themenfelder gilt. Organisationen, die
ihr Geschäft mit den Ängsten der Bevölkerung machen,
sind bei solchen Diskussionen fehl am Platz.
({6})
Landwirte genießen in Deutschland ein hohes Ansehen. Das belegen Umfragen immer wieder. Aber es
herrscht allgemeine Skepsis gegenüber moderner Lebensmittelerzeugung auf dem Acker und im Stall.
({7})
Wir von der CDU/CSU wollen eine sachliche Debatte
über die Tierhaltung. Dabei sage ich ganz deutlich: Es ist
vornehmlich Aufgabe der Wirtschaft, Dinge selbstkritisch zu hinterfragen, Verbesserungen umzusetzen und
am Ende natürlich auch darüber aufzuklären.
Als gutes Beispiel nenne ich hier die Initiative Tierwohl. Hier haben sich zum ersten Mal - das müssen Sie
sich genau anschauen - Bauern, Verarbeiter und Handel
an einen Tisch gesetzt mit dem Ziel, noch mehr für den
Tierschutz in deutschen Ställen zu tun. Mit dem Ziel ist
es nicht getan. In diesem Fall ist auch ein Ergebnis dabei
herausgekommen, das dafür sorgt, dass die deutschen
Landwirte von dieser Entwicklung profitieren. Auch
dies ist zum ersten Mal so. Deswegen ist es eine völlig
neue Qualität der Zusammenarbeit. Mit dieser Initiative
- das sage ich sehr deutlich - wollen wir mit der Tierhaltung aus der Nische herauskommen und für alle Tiere etwas tun. Es ist kein Label, kein Sonderprogramm und
auch nicht das 46. Markenfleischprogramm, sondern
eine Initiative, die allen Tieren in Deutschland zugutekommt.
({8})
Ich bin sehr froh, dass Minister Schmidt seine Tierwohloffensive, die er, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, gerade angekündigt hat, für einen ganzheitlichen
Ansatz nutzt; das ist auch im Haushalt erkennbar. Ich bin
der Überzeugung, dass wir nicht nur über Nutztiere,
sondern auch über Zoo-, Zirkus- und Heimtiere reden
sollten, also über die gesamte Palette der Themen inklusive dem Welpenhandel und anderen Dingen, die ganz
wichtig sind. Diese Maßnahmen knüpfen nahtlos an
viele Regelungen an, die in der deutschen Tierhaltung
wichtig sind. Viele tun ja so, als würde das im rechtsfreien Raum geschehen. Wir haben aber einschlägige
Gesetze und Verordnungen en masse.
({9})
Ich erinnere an das Tierschutzgesetz und das Arzneimittelgesetz, das sich in der Umsetzung befindet. Hier
haben wir ganz klare Signale gesetzt, nicht nur den Einsatz von Antibiotika, sondern vor allen Dingen auch die
Resistenzbildung stark zu reduzieren. Ich bin froh, dass
in diesen Haushalt für die nächsten drei Jahre 21 Millionen Euro allein für die Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben eingestellt worden sind.
Ich glaube, wir müssen fernab von den Elfenbeintürmen der Theorie praxisgerechte Maßnahmen weiterentwickeln, die den Bauern helfen. Am Ende lautet das
Motto nämlich: Diese Entwicklung geht nur mit den
Bauern, mit den Tierhaltern. Deswegen finde ich es richtig, auf diese Art und Weise vorzugehen. Verbote und
Anfeindungen helfen da überhaupt nicht weiter. Ich
spreche an dieser Stelle ganz deutlich für die deutschen
Bauern, die sich zum Ziel gesetzt haben, in ihren Ställen
gesunde Tiere zu haben, um gesunde Lebensmittel verkaufen zu können.
({10})
Bauernfamilien, meine Damen und Herren, können
ihre Höfe nicht ins Ausland verlagern, sondern sind
standortgebunden, müssen sich aber trotzdem dem Wettbewerb stellen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Bei allen
Verbesserungen muss immer auch der Gesichtspunkt der
Wettbewerbsfähigkeit im Auge behalten werden. An
einigen Stellen müssen wir die Kirche im Dorf lassen.
Was nützen uns die besten Innovationen, wenn die Fleischerzeugung ins Ausland verlagert wird, wo die Standards, wie wir alle wissen, mit Sicherheit nicht genauso
hoch sind wie bei uns?
Wir von der CDU/CSU - das gilt aber auch für die
Koalition insgesamt; das haben wir gerade vom Kollegen Priesmeier gehört - bekennen uns zur Vielfalt unserer Landwirtschaft mit all ihren Bewirtschaftungsformen
und Betriebsgrößen. Wir wollen eine wettbewerbsfähige
Landwirtschaftsstruktur in Deutschland. Eine verbotsgesteuerte Agrarpolitik lehnen wir gerade in Anbetracht
unserer mittelständischen Strukturen entschieden ab.
({11})
Überzogene Auflagen und Verbote schrecken nämlich
zunehmend junge Menschen ab, den elterlichen Betrieb
zu übernehmen. Unser Leitbild ist die bäuerlich-unternehmerische Landwirtschaft. Die große Mehrheit der
Bauern in Deutschland wirtschaftet so. Das soll auch so
bleiben.
Bauernfamilien sind zur Selbstkritik bereit und stehen
auch Änderungen offen gegenüber. Jedoch sind wir alle
entsetzt über illegale Stalleinbrüche militanter Aktivsten.
({12})
Mit teils gefälschten Bildern wird ein Zerrbild der Landwirtschaft in öffentlich-rechtlichen Sendern verbreitet.
Das ist der Nährboden - das ist meine Sorge - für
Rechtsbrüche wie Brandstiftung in Ställen - das alles hat
es schon gegeben - und Mobbing von Bauernkindern in
Schulen. Ich möchte an die Kritiker der Landwirtschaft
appellieren, fair und gewaltfrei über dieses Thema zu
diskutieren.
({13})
Die Landwirtschaft zukunftsfähig erhalten und sie auf
die Zukunft ausrichten, das ist unser Ziel. Der Bundeshaushalt 2014 bietet dafür eine gute Grundlage. Ich
möchte abschließend Bundesminister Christian Schmidt
und all seinen Mitarbeitern für diesen Einzelplanentwurf
danken.
Vielen Dank.
({14})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Karin
Binder das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Ihr Haushaltsentwurf 2015 zementiert im
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
einen Stillstand. Ich sehe, dass drängende Themen nicht
angegangen werden. Schlimmer noch: Wichtige Forschungsaufgaben stehen auf der Kippe, weil das Finanzministerium die Mittel sogar rückwirkend für 2014
kürzt. Pflichtaufgaben wie Prävention werden dadurch
sogar gefährdet. An drei Punkten will ich das verdeutlichen.
Die Lebensmittelsicherheit ist mein erster Punkt. Wir
alle wissen: Bundesweit fehlen rund 3 000 amtliche Lebensmittelkontrolleure. Die Kontrollbehörden sind auf
Länder und Kommunen verteilt, sind zersplittert und
deshalb nicht schlagkräftig. Demgegenüber stehen globalisierte Lebensmittelkonzerne, die unzulänglich kontrolliert ihre Zutaten weltweit zusammenkaufen. Zunehmend werden Lebensmittel auch von Endverbrauchern
über das Internet bestellt.
In dieser Situation ist Deutschland nicht in der Lage,
geltendes EU-Recht zur Lebensmittelsicherheit wirksam
umzusetzen. Das hatte bereits ein Gutachten des Bundesrechnungshofs noch in der Amtszeit von Ministerin
Aigner festgestellt. Deshalb fordert die Linke seit Jah4734
ren, dass die Lebensmittelüberwachung großer Unternehmen endlich auf den Bund übertragen wird. Außerdem ist unverzüglich eine Taskforce einzurichten. Um
den gesundheitlichen Verbraucherschutz sicherzustellen, muss Geld in die Hand genommen werden.
({0})
Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt. Herr
Minister, das müssen Sie Ihrem Kollegen Schäuble klarmachen.
Mein zweites Thema ist die Ernährungsforschung.
Die Bundesregierung hat die gesunde Ernährung auf ihr
Schild gehoben - ich höre Ihre Worte wohl, Herr Minister, und freue mich, dass Ihnen dieses Thema wichtig zu
sein scheint - vor dem Hintergrund, dass in vielen Bereichen unserer Gesellschaft Fehl- und Mangelernährung
festzustellen ist, was auch wesentliche Auswirkungen
auf die Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme
hat. Was sind die Ursachen falscher Ernährung? Welchen Einfluss haben Medien auf die Ernährungsgewohnheiten gerade von Kindern? Wie wirkt sich die massive
Fast-Food- und Süßwarenwerbung aus? Auch das Europäische Parlament und der Rat betonen, dass ausgewogene Ernährung auf dem Rückzug ist. Grund seien - ich
zitiere - „moderne Ernährungstrends hin zu stark verarbeiteten Nahrungsmitteln mit oftmals hohen Beimischungen von Zucker, Salz und Fett“. Besonders betroffen sind junge Menschen.
Ich frage Sie, Herr Minister: Wie sehen Ihre Maßnahmen aus? Die Bundesregierung streicht die Mittel für das
Kompetenznetz Adipositas, das sich intensiv um Aufklärung über die Ursachen und Folgen von Übergewicht
kümmert. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung
braucht dringend eine Basisfinanzierung. Aber Sie
lassen die Einrichtung am ausgestreckten Arm verhungern. 350 000 Euro wären nach Auskunft von Professor
Kersting, der Leiterin der Einrichtung, notwendig,
um dies zu sichern. Betroffen vom Kürzungsdiktat ist
auch die grundlegende Ernährungsforschung des MaxRubner-Instituts.
Wir möchten hier und jetzt von Ihnen die Garantie
haben, dass die Nationale Verzehrsstudie, wie geplant,
uneingeschränkt fortgeführt werden kann. Wir fordern
parallel dazu die Finanzierung einer weiteren, fast noch
wichtigeren Studie, die das Ernährungsverhalten von
Kindern und Jugendlichen eingehend beleuchtet. Wir
alle wissen: In der Kindheit erlerntes Essverhalten prägt
uns ein Leben lang. Da müssen wir ansetzen.
Ich komme zu meinem dritten Thema, zur Schul- und
Kitaverpflegung. Die Schul- und Kitaverpflegung in
Deutschland ist eine Katastrophe. Wenn überhaupt eine
warme Mittagsmahlzeit zur Verfügung steht, ist das
Essen einseitig, zu fett, zu süß oder zu salzig. Meist
werden die Kinder nicht einmal gefragt, was sie essen
mögen. Dabei besucht heute jedes dritte Kind ganztags
die Schule oder die Kita. Der Tenor in der CDU/CSU
dazu war bisher, der Bund sei nicht zuständig, das koste
zu viel, das Geld reiche nicht, die Verantwortung für eine
abwechslungsreiche, hochwertige Kita- und Schulverpflegung liege bei den Ländern, bei den Kommunen
oder letztlich bei den Eltern. Das ist zynisch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Arme Familien können
sich das Schulessen nicht leisten. Arme Familien gibt es
im reichen Deutschland aber immer mehr. Ernährung
und Ernährungsbildung ist ein Auftrag staatlicher Vorsorge.
Immerhin lässt die Bundesregierung inzwischen auf
nachdrückliche Aktivitäten der Linken hin die Situation
der Schulverpflegung in Deutschland untersuchen. Die
Studie soll im November vorgestellt werden. Sie wird
zeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Sie
werden sich künftig nicht mehr vor der Verantwortung
drücken können, Mittel für Gegenmaßnahmen einzustellen.
Die Linke fordert eine unentgeltliche und hochwertige Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder und Jugendlichen.
({1})
Die Finanzierung ist vom Bund sicherzustellen. Im
Haushalt 2015 würden dafür zunächst einmal 3 Milliarden Euro reichen. Das ist der Betrag, den der Bund stattdessen für die unsinnige Steuerentlastung von Dienstwagen zur Verfügung stellt. Es ist eine ganz einfache
Entscheidung: Schulessen statt S-Klasse!
Noch ein Wort zum Schulobstprogramm. Herr Minister Schmidt, Sie haben zugesagt, die Mittel aus der Eilverordnung zur Stützung der Obst- und Gemüsebauern
ins Schulobstprogramm zu leiten. Das ist schon einmal
ein guter Anfang. Ich hoffe, dass wir in dem Haushalt
noch ein paar weitere Schritte miteinander gehen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren auf den Zuschauerrängen! „Genießt uns!“, diese Initiative wird Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, morgen früh am Südausgang
des Reichstages einen Frühstückssnack überreichen mit
Lebensmitteln, die normalerweise weggeworfen würden.
Aber keine Sorge: Sie können sie ohne Bedenken verzehren. Die Lebensmittel gehören zu den Lebensmitteln,
von denen bei uns leider so viele im Müll landen. Diese
Aktion soll darauf aufmerksam machen, dass allein in
Deutschland jedes Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden.
Was das mit dem Haushalt zu tun hat, fragen Sie sich?
Viel! Denn diese Aktion soll auch daran erinnern, dass
wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
schon 2012 fraktionsübergreifend beschlossen haben
- vielleicht erinnern Sie sich daran; ich glaube, Herr
Röring war auch mit dabei -, etwas gegen diese Verschwendung zu tun. Sie frisst so viele Ressourcen, kostet
Milliarden und trägt global zum Klimawandel wie zum
Hunger in der Welt bei.
Die von der ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner aufgesetzte Kampagne „Zu gut für die
Tonne“ war ein guter Start. Auch in diesem Jahr sind im
Budget des Ministeriums dafür 1 Million Euro vorgesehen. Die Mittel fließen bisher vor allem in die Verbraucheraufklärung. Das ist sicherlich richtig und notwendig.
Ich finde aber, wenn wir diesem Problem - ich erinnere
noch einmal daran: bei uns werden pro Jahr 11 Millionen
Tonnen Lebensmittel weggeworfen - beikommen wollen, müssen wir verstärkt auch die anderen Teilnehmer
der Lebensmittelkette in die Verantwortung nehmen.
Wir, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPDBundestagsfraktion, wollen uns daher in den Haushaltsverhandlungen dafür einsetzen, dass ausreichend Mittel
für Studien zur Lebensmittelverschwendung in der
Landwirtschaft und in den anderen Teilen der Wertschöpfungskette zur Verfügung gestellt werden.
({0})
Wir müssen wissen, wie viel wo warum weggeworfen
wird, um entsprechende Gegenmaßnahmen entwickeln
zu können. Die bisherigen Untersuchungen zu Handel,
Gastronomie und Industrie - alle, die schon etwas länger
dabei sind, kennen sie - sind nicht sehr hilfreich; das
will ich sagen, auch wenn der Kollege Holzenkamp da
etwas skeptisch guckt. Ihnen liegen nämlich keine
konkreten Messungen oder verlässliche Zahlen dieser
verschiedenen Branchen zugrunde. Die einzelnen Wirtschaftszweige verschweigen bisher, wie viel sie wirklich
wegwerfen. Daraus müssen wir selbstverständlich die
Konsequenzen ziehen. Wir brauchen Zielvorgaben für
die Wirtschaft. Wir müssen ein konkretes Abfallvermeidungsprogramm für alle Branchen entwickeln. Wir müssen vorbildliche Projekte ganz konkret fördern und unterstützen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich
erinnere Sie noch einmal daran -, haben wir schon 2012
in einem fraktionsübergreifenden Antrag geschrieben.
Sie wissen: Kurz vor Weihnachten macht sich so etwas
immer ganz besonders gut. Ich denke, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, sehr geehrter Herr
Minister Schmidt, wir müssen jetzt endlich an die
Umsetzung dieser Forderung, die wir damals bereits formuliert haben, gehen.
({1})
„Zu gut für die Tonne“ darf sich nicht allein mit Verbrauchertipps begnügen. Für die Forschung und für ein
Programm gegen Lebensmittelverschwendung, das alle
Wirtschaftsbeteiligten einbindet, müssen wir entsprechende Mittel bereitstellen. Dafür wollen wir als SPD
uns in den Haushaltsverhandlungen starkmachen. Dem
beschämenden Ausmaß der Lebensmittelverschwendung
- ich sage es noch einmal: 11 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr - werden wir entschieden und konsequent
entgegentreten.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen:
16 Millionen Euro sind im Budget des Ernährungsministeriums für die Information der Verbraucherinnen und
Verbraucher vorgesehen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass aus diesem Topf endlich eine Informationskampagne für das „Ohne Gentechnik“-Siegel finanziert
wird. Wie Sie wissen, lehnt die Mehrzahl der Verbraucherinnen und Verbraucher Gentechnik im Essen ab. Das
freiwillige Siegel ist bisher leider die einzige Möglichkeit, verlässlich Produkte zu erkennen, die ohne den Einsatz von GVO-verändertem Futter hergestellt worden
sind. Leider ist dies viel zu wenig bekannt. Natürlich ist
dies kein Ersatz für die verpflichtende Kennzeichnung
von Eiern, Milch oder Fleisch, bei denen gentechnisch
veränderte Futtermittel eingesetzt wurden. Wir kämpfen
weiterhin vehement für diese Kennzeichnung.
Das „Ohne Gentechnik“-Siegel haben wir bereits; das
habe ich schon erwähnt. Zahlreiche Produkte tragen es.
Allerdings ist das vorhandene Potenzial noch längst
nicht ausgeschöpft. Ich freue mich schon auf das vereinbarte Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU zu diesem Thema. Wir wollen das endlich ändern. Dafür brauchen wir eine gute und einschlagende Informationskampagne.
Sie hören es: Wir haben noch ein paar Baustellen. Auf
die anstehenden Diskussionen freue ich mich sehr.
Vielen Dank.
({2})
Ich bedanke mich für die Rededisziplin; das muss
man ja einmal sagen. Am heutigen Tag ist das nicht ganz
selbstverständlich.
({0})
Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Herr Minister Schmidt, in der letzten Woche war ich mit Kolleginnen und Kollegen des Agrarausschusses wegen der TTIP-Verhandlungen in den USA.
Dort habe ich eine Art Hochleistungsagrarindustrie
erlebt, die mit Gentechnik, mit Hormonen und mit Pestiziden durchrationalisiert Nahrungsmittel produziert. Mit unserer Agrarkultur hat das nur noch wenig zu tun. Bäuerliche Familienbetriebe, die Sie, Herr Minister, und ich aus
unserer Heimat kennen, haben in diesem Agrarmodell
keine Zukunft. Ihre Aufgabe wäre es, der bäuerlichen
ökologischen Landwirtschaft mit Ihrem Haushalt eine
Perspektive zu geben. Doch leider ist das Gegenteil der
Fall.
({0})
Wenn wir bäuerliche Betriebe unterstützen wollen,
dann müssen wir in Innovationen investieren, die diesen
Betrieben Perspektiven eröffnen. Wenn Sie aber mit
Tierwohlprogrammen die Akzeptanz der Massentierhaltung verbessern wollen, helfen Sie damit eben gerade
nicht den bäuerlichen Betrieben bei der Bewältigung der
Herausforderungen des Tierschutzes - diese brauchen
nämlich statt Imagewerbung konkrete Umbauhilfen -,
sondern deren Konkurrenz in großem Stil.
({1})
„Gleiche Unterstützung für alle“ bedeutet im Klartext:
Freie Fahrt für den Strukturwandel. Damit fördern Sie
weiterhin die aktive Selbstabschaffung der bäuerlichen
Landwirtschaft. Wir haben vom Kollegen Priesmeier gehört, dass die SPD das beschleunigen möchte. - Ein
Wort zur Hofabgabeklausel in diesem Zusammenhang:
Die gehört nicht modifiziert, sondern abgeschafft.
({2})
Herr Minister, eine echte Stärkung der bäuerlichen
ökologischen Landwirtschaft fördert auch und vor allem
die ländlichen Räume, von denen Sie gesprochen haben.
Ja, Sie haben hier etwas aufgelegt - immerhin! Die Bundeskanzlerin hat aber im Frühjahr 2013 die EU-Fördermittel für die zweite Säule um 350 Millionen Euro pro
Jahr rasiert. Und jetzt präsentieren Sie uns ein MiniBundesprogramm von 10 Millionen Euro als die Lösung? Ihr Finanzminister holt sich das Geld wirklich
nicht bei der Bank. Er macht den ländlichen Raum „zur
Sau“, indem er ihn zum Sparschwein degradiert.
({3})
Allein unseren grünen Landesagrarministerinnen und -ministern ist es zu verdanken, dass die Förderung der ländlichen Räume eben nicht völlig eingebrochen ist, und
das gegen heftigste Widerstände - ich muss es leider
sagen - aus der Union.
({4})
Wo bleibt, Herr Minister, die von Ihrem Chef in München noch im letzten November mit großem Brimborium
versprochene Aufstockung der Mittel für die GAK um
200 Millionen Euro, um die Merkel’schen Kürzungen
aufzufangen? Inzwischen treibt Seehofer lieber eine
neue Sau durchs Dorf. Ich rufe Sie dazu auf, an der
Aufstockung von 200 Millionen Euro festzuhalten. Wir
jedenfalls werden sie beantragen; denn der ländliche
Raum und die nachhaltige Landwirtschaft haben das bitter nötig.
({5})
Kollege Ebner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Unionsfraktion?
Aber gerne doch. - Herr Kollege de Vries.
Lieber Herr Ebner, Sie haben gerade wieder den wunderbaren Begriff „Massentierhaltung“ in den Mund genommen. Ich möchte endlich von Ihnen wissen, was
Massentierhaltung eigentlich ist.
Ich könnte auch „großmaßstäbliche Intensivtierhaltung“ sagen, dauert aber länger. Das ist es.
({0})
- Nein. Schauen Sie nach Niedersachsen, schauen Sie
nach Brandenburg. Dort sind erhebliche Teile der Tierhaltung nicht mehr an die Fläche gebunden. Erhebliche
Teile unserer Tierproduktion finden ohne eine Flächenbindung statt mit importiertem Futtermittel, das in großen Teilen aus Südamerika stammt, beispielsweise Soja,
und zwar auf engem Raum und in großen Mengen.
({1})
Die genaue Grenze zur Massentierhaltung kann man
nicht ziehen. Aber da fängt sie meiner Meinung nach an.
({2})
Natürlich spielt bei der ökologisch-nachhaltigen
Landwirtschaft und den Maßnahmen für den ländlichen
Raum auch der Ökolandbau eine zentrale Rolle. Trotz
der riesigen Nachfrage nach heimischen Bioprodukten
({3})
gibt es von Ihnen keinen einzigen Cent mehr im Bundesprogramm „Ökolandbau und Sonstiges“. Noch schlimmer: Sie reservieren dieses Geld nicht einmal für den
Ökolandbau.
({4})
Das größte Hindernis für den Ökolandbau ist Ihre Agrarpolitik. Wer „Öko“ nach vorne bringen will, darf eben
nicht dieser Art von Agrarmodellen und dem Anbau von
Genmais den Weg freimachen, Herr Minister,
({5})
und er darf schon gar nicht zusehen - das ist mir besonders wichtig -, wie mit dem neuen Kommissionsvorschlag für die EU-Öko-Verordnung das Grundprinzip
der Prozessqualität geschleift werden soll und Ökobetriebe in ihrer Existenz gefährdet werden. Dieser Vorschlag gehört nicht in Ratsarbeitsgruppen, sondern in
den Papierkorb, Herr Minister. Dafür müssen Sie sorgen.
Was aber der Ökolandbau braucht, sind die Zweckbindung von 20 Prozent der Agrarforschungsmittel für
den Ökosektor und die Konzentration der Mittel im
Bundesprogramm auf den Ökolandbau. Beides werden
wir beantragen. Es ist gut, dass die SPD unseren Antrag
unterstützt, wie ich gehört habe.
({6})
Der Raiffeisenverband redet gerade den Untergang
des Agrarstandortes Deutschland herbei, weil den Betrieben angeblich die Pestizide ausgingen. Die großen
Agrarverbände fordern, bei der Zulassung von Pestiziden nicht mehr so genau auf ökologische und gesundheitliche Risiken zu achten. Genau das wollen manche
über das TTIP-Abkommen erreichen. Es darf aber, werte
Kolleginnen und Kollegen, keinen Nachlass beim
Umwelt- und Verbraucherschutz geben. Das Beispiel
Neonikotinoide beweist, welch massive Risiken auch in
modernen Pflanzenschutzmitteln verborgen sind. Die
EU fordert seit fünf Jahren, die Abhängigkeit von der
Verwendung von Pestiziden zu verringern. Aber dafür
haben Sie keinen Plan und erst recht kein Programm im
Haushalt.
({7})
Kollege Ebner, ich weiß etwas, was Sie noch nicht
wissen: Ihre Uhr ist angehalten. Ich frage Sie, ob Ihnen
der Kollege Holzenkamp eine Frage stellen darf oder
eine Bemerkung machen kann.
Ja.
Verehrter Herr Kollege Ebner, ich will Ihnen nicht nur
die Chance geben, Ihre Redezeit zu verlängern. Mich interessiert vielmehr Ihre Antwort auf eine Frage. Sie sprechen ausschließlich von der ökologischen Landwirtschaft. Was meinen Sie damit konkret? Sie reden
nämlich ausschließlich von Förderprogrammen für diesen Bereich.
({0})
Sind Sie der Meinung, dass wir die 80 Millionen Menschen in Deutschland ausschließlich mit der ökologischen Landwirtschaft ernähren können? Sind Sie der
Meinung, dass sich die Menschen aus allen gesellschaftlichen Ebenen Produkte aus der ökologischen Landwirtschaft leisten können? Wie stellen Sie sich eine solche
Umsetzung ganz konkret vor?
Lieber Kollege Holzenkamp, Sie selbst haben immer
noch in einigen Papieren stehen - das ist auch eine alte
Forderung des Rats für Nachhaltigkeit der Bundesregierung -, dass der Ökolandbau in den nächsten Jahren auf
eine Zielgröße von 20 Prozent zu bringen sei. Wir können uns darüber unterhalten, ob es mehr oder weniger
sein soll. Darüber spreche ich. Was müssen wir tun, damit wir überhaupt auf diese Zielgröße kommen und in
der Lage sind, hier in diesem Land mit unseren bäuerlichen Betrieben die Nachfrage nach Biolebensmitteln zu
befriedigen? Das wäre schon einmal ein erster Schritt.
({0})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir den Menschen hier im Land und weltweit natürlich die Wahlfreiheit lassen sollten, was sie essen wollen.
({1})
Darin sind wir uns ganz bestimmt einig. Es gibt immer
mehr Menschen, die Ökolebensmittel essen wollen. Das
sollten wir ihnen auch ermöglichen.
({2})
Vielleicht haben Sie es schon vergessen, Herr Minister, die Kollegin Drobinski-Weiß hat es zum Glück nicht
vergessen: Das BMEL ist auch für den gesundheitlichen
Verbraucherschutz verantwortlich. Gerade erst ist der
Minister auf der AMK mit seinem Plan krachend gescheitert, die geplanten Gentechnikanbauverbote auf die
einzelnen Bundesländer herunterzubrechen und damit
das Chaos perfekt zu machen. Es ist gut so, dass er damit
gescheitert ist; denn statt den Türöffner für den Genmais
zu spielen, könnten Sie die Wahlfreiheit - Herr Kollege
Holzenkamp, da sind wir wieder beim Thema - stärken
und endlich das von Ihrem Haus entwickelte Qualitätszeichen „Ohne Gentechnik“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen.
Stattdessen sehen Sie weiter zu, wie den Verbraucherinnen und Verbrauchern Fleisch- und Milchprodukte,
die auf Basis von Gentechnikfutter produziert worden
sind, ohne Kennzeichnung untergejubelt werden. Damit
muss Schluss sein. Statt in die genannte Exportförderung
sollten Sie die 2 Millionen Euro in das „Ohne Gentechnik“-Siegel investieren.
({3})
Es ist sehr bedauerlich, dass Ihr Agrarhaushalt den
bäuerlichen Betrieben, der Umwelt und den Verbrauchern keine Zukunftsperspektive bietet. Das soll er auch
nicht, wenn ich den Kollegen Priesmeier richtig verstanden habe. Vermutlich dürfen Sie auch nicht anders angesichts des TTIP-Abkommens mit den USA. Wir alle im
Saal wissen spätestens seit der Ifo-Studie, dass dieses
Abkommen auf Kosten unserer bäuerlichen Landwirtschaft geht. Der Kollege Röring hat gesagt: An der deutschen Landwirtschaft wird TTIP nicht scheitern.
Aber ich bin überzeugt: Wie es jetzt aussieht, wird die
deutsche bäuerliche Landwirtschaft an TTIP scheitern.
Ich rufe Sie auf, mit uns gemeinsam genau dieses zu verhindern.
Danke schön.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kollegin
Marlene Mortler.
Vizepräsidentin Petra Pau
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute geht es nicht um Details der Agrarpolitik, um
Greening, um Gentechnik, um Düngeverordnung, heute
geht es ums Ganze. Wo kommen wir her, wo stehen wir,
und vor allem wo wollen wir hin? Es geht um die grundsätzliche Ausrichtung unserer Landwirtschaftspolitik,
und die spiegelt sich - herzlichen Dank, lieber Herr
Minister - in unserem Agrarhaushalt wider.
Sie alle wissen, dass der CSU die Landwirtschaft
besonders wichtig ist, dass sie uns am Herzen liegt. Viele
meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Landesgruppe
kommen aus der Landwirtschaft, und auch ich habe
Landwirtschaft von der Pike auf erlernt und lebe und arbeite mit meiner Familie auf unserem Hof.
Gerade weil wir dicht an unseren Betrieben dran sind,
nehmen wir wahr und spüren wir, wie viele Bauern unter
immer neuen Anforderungen ächzen. Das beginnt bei
den Umweltstandards und setzt sich beim Mindestlohn
fort. Um es ganz klar zu sagen: Mit einem normalen
landwirtschaftlichen Familienbetrieb ist es heute viel
schwieriger, eine Familie zu ernähren, als eine Generation früher.
({0})
Ich stelle hier keine der bestehenden Regelungen und
Standards infrage, ich möchte nur festhalten, dass sich in
der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten unglaublich viel getan hat und dass der Aufwand, mit dem unsere Betriebe, also unsere Ernährer, gesellschaftlichen
Anforderungen nachkommen, enorm ist. Zugleich zeigen Umfragen, dass viele Verbraucherinnen und
Verbraucher nach wie vor der Meinung sind - auch die
Vorredner vonseiten der Opposition -, es gehe mit der
Qualität und der Sicherheit von Lebensmitteln eher
bergab - gegen jede Erfahrung, trotz weltweit höchster
Lebensmittelstandards und trotz dieses riesigen Aufwandes.
Es ist ja eine gute Nachricht, dass das Thema Ernährung heute so ernst genommen wird. Es sind auch gute
Nachrichten, dass für viele längst nicht nur der Preis von
Obst und Gemüse zählt, dass es den Konsumenten nicht
egal ist, wie es im Stall aussieht, dass es ihnen nicht egal
ist, was auf Tiertransporten geschieht, und es ihnen auch
nicht gleich ist, was ein Bauer auf seinem Acker macht,
was genau er anbaut, wie und womit er düngt, womit er
seine Pflanzen behandelt. Doch diese Besorgnis trägt
mitunter merkwürdige Früchte, weil das Gros der
Verbraucherinnen und Verbraucher heute nur noch eine
diffuse Vorstellung von dem hat, was auf einem Bauernhof wirklich geschieht. Wer weiß denn in einer hochtechnisierten Welt noch, welche Kunst es ist, eine ordentliche Ernte einzufahren, und wo die eigentlichen
Herausforderungen in der Tierhaltung liegen? Jeder von
uns kennt die romantische Vorstellung, nur in einem
Kleinstbetrieb mit zehn Kühen und fünf Schweinen gehe
es den Tieren richtig gut, oder aber die Meinung, dass
das Gemüse im Bioladen um die Ecke am frischesten
sei. Ich habe wahrlich nichts gegen Bioläden - auch wir
verarbeiten in unserem Betrieb Produkte aus biologischem Anbau -, aber verkürzen darf man diese Debatte
nicht.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe das
Gefühl, dass sich Landwirtschaft und Verbraucher in
Deutschland in den letzten Jahren voneinander entfernt
haben, und es ist eine der zentralen Aufgaben unserer
Agrarpolitik, aber auch der Landwirte selber, hieran etwas zu ändern bzw. im positiven Sinne zu verbessern.
({1})
Wir sollten auch einen Moment darüber nachdenken,
wie wir selbst dazu beigetragen haben, auch hier im
Haus. Natürlich weiß jeder, dass er viel Applaus bekommt, wenn er etwa pauschal gegen Pflanzenschutzmittel wettert - Sie, Frau Maisch, haben genug Beispiele
gebracht -,
({2})
obwohl doch ein verantwortungsvoller Einsatz nicht nur
die Existenz vieler Betriebe sichert,
({3})
sondern auch dazu beiträgt, Flächen effizient und sparsam zu nutzen, um am Ende unsere eigene Versorgung
zu sichern.
({4})
Das Gleiche ist der Fall, wenn man in der Tierwohldebatte einfach pauschal die Tierhaltung geißelt.
({5})
Glauben Sie mir: Ich halte wenig von Megaställen, von
riesigen Mastbetrieben, aber ich erkenne auch, dass es
zwischen Betriebsgröße und Tierwohl erst einmal keinen
Zusammenhang gibt.
({6})
Meine Damen und Herren, wir sind es unseren Bäuerinnen und Bauern und genauso uns allen als Verbraucherinnen und Verbrauchern schuldig, sachlicher, fundierter und vorurteilsfreier über unsere Erwartungen an
die Landwirtschaft zu sprechen.
({7})
Lassen Sie mich konkret werden. Ich sehe drei Themen, über die wir dringend reden sollten.
Erstens. Wie kann es unseren Tieren besser gehen? Im
internationalen Vergleich sind die Tierwohlstandards in
Deutschland hoch. Das ist unbestritten, und da ist schon
sehr viel geschehen. Dennoch will ein bestimmter Teil
der Menschen in unserem Land einen Schritt weitergeMarlene Mortler
hen. Lassen Sie uns deswegen konzentriert und mit der
Praxis, so wie es Johannes Röring geschildert hat, über
Maßnahmen reden, die in der Breite ein höheres Tierwohlniveau schaffen, die am Markt aber auch refinanzierbar sind - ohne Hysterie, aber mit dem Willen, wirklich etwas zu verändern. Immer mehr Auflagen und
immer billiger geht nicht.
({8})
Wir investieren gerne in noch mehr Tierwohl, wenn der
Verbraucher es will und dafür bezahlt. Oder reden wir
am Ende über ein Beruhigungsmittel für eine elitäre
Minderheit in unserem Land? Es wird sich zeigen.
Danke, lieber Johannes, zum zweiten Mal und ganz
persönlich. Du machst hier einen Riesenjob. Du redest
mit Vertretern der gesamten Produktionskette, mit der
ganzen Branche: Bauern, Verarbeiter, Handel. Ich weiß,
dass jetzt endlich dieser Aha-Effekt eingetreten ist, dass
der Handel nämlich nicht immer und automatisch auf
unsere Kosten, auf Kosten der Bauern und Bäuerinnen,
profitieren und sich profilieren kann, sondern dass auch
er Farbe bekennen muss im Sinne der Verbraucherinnen
und Verbraucher, aber auch im Sinne unserer Bauern und
Bäuerinnen.
({9})
Zweitens. Weniger mit Tier- als mit Menschenwohl
und Umweltschutz hat ein anderes Thema zu tun: die
Überkonzentration in der Tiermast. Wollen wir in
Deutschland wirklich Mastbetriebe mit 20 000, 30 000
oder 60 000 Schweinen? Ist es wirklich sinnvoll, die
Tierhaltung immer weiter in einigen wenigen Regionen
zu konzentrieren?
({10})
- Wir diskutieren darüber. - Wir sehen in der Diskussion
um die Düngeverordnung, wie schwierig es ist, ein
Nährstoffgleichgewicht hinzubekommen.
({11})
Wir sehen auch, dass solche Anlagen von vielen Menschen, die Landwirtschaft in der Gesamtheit kritisieren
- ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt -, abgelehnt
werden. Offensichtlich überfordern sie ihre Umgebung.
Kollegin Mortler, achten Sie bitte auf die Zeit.
Tierhaltung mit Augenmaß, Tierwohl mit Verstand,
das sind die Überschriften. Wir haben gezeigt, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, dass
wir es schaffen können, wenn wir nur wollen, die
Debatte zu versachlichen.
Letztes Beispiel: Glyphosat.
({0})
Unsere Anhörung hat eindrucksvoll bestätigt, dass, wenn
in den USA Schindluder mit diesem Produkt getrieben
wird, das nicht automatisch auf Deutschland übertragbar
ist und dass der Umgang mit diesem Mittel bis zum heutigen Tag verantwortungsbewusst ist.
Frau Kollegin, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen; ich sage das jetzt ganz deutlich.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere
am Ende für eine Rückbesinnung auf den solide wirtschaftenden, verantwortlich handelnden bäuerlichen Familienbetrieb, und ich plädiere dafür, dass wir in diesem
Sinne unseren Agrarhaushalt für eine zukunftsfähige
Landwirtschaft in Deutschland unterstützen, weil wir damit die richtigen Weichen stellen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schaue jetzt zur Fraktion der Grünen. War das die
Anmeldung einer Kurzintervention oder nicht?
({0})
- Dann ist das erledigt.
Das Wort hat die Kollegin Christina Jantz für die
SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte
noch einmal den Fokus auf den Tierschutz legen. Gerade
als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ich
mich, dass trotz umfassender Sparbemühungen im Haushalt dem Tierschutz doch ein großer Raum zugestanden
wird.
({0})
Dafür haben wir, meine Kollegen von der SPD, gemeinsam gekämpft.
({1})
Bei der Umsetzung dieser Projekte, die uns mit den
im Haushalt stehenden Mitteln möglich sind, insbesondere zum Beispiel in der Tierhaltung, müssen wir
allerdings - auch das ist angesprochen worden - zwei
Gruppen ganz besonders mitnehmen. Das sind zum einen natürlich die Landwirte, die uns aufgrund ihrer Erfahrung viel zu guter Tierhaltung sagen können. Wir
müssen aber auf der anderen Seite hierbei die Verbrau4740
cherinnen und Verbraucher mitnehmen. Nur ein Umdenken an der Fleischtheke wird nämlich dazu beitragen,
dass das Leben der Tiere in den Ställen tatsächlich verbessert wird.
({2})
Angesprochen sei hier natürlich die Initiative Tierwohl. Und, Kollege Röring, wir hatten gestern ein Gespräch mit den Kollegen beim Deutschen Bauernverband, allen voran mit Ihrem Präsidenten. Und selbst der
hat sich ein bisschen zurückhaltender geäußert, als Sie
das gerade getan haben.
Von daher möchte ich das Augenmerk ganz klar auf
eine verbindliche Kennzeichnung, wie zum Beispiel das
Tierschutzlabel, richten. Denn ich denke, dass gerade
das einen sinnvollen Beitrag leisten kann.
({3})
Auch zu der von unserem Landwirtschaftsminister
Herrn Schmidt zu Recht geforderten Stärkung des ländlichen Raumes kommen wir nur bei einem Umdenken in
der Tierhaltung - hin zu einer Landwirtschaft in der
Form der Familienbetriebe, die auch auf die Umwelt
Rücksicht nimmt. Denn die negativen Folgen von riesigen
Agrarbetrieben sind uns bekannt. Sie ziehen Belastungen
für Umwelt und Anwohner nach sich. Die Umweltauswirkungen, wie die Belastungen des Grundwassers, sind
vielerorts - auch bei uns zu Hause - bereits spürbar und
nicht mehr wegzudiskutieren.
Ein wichtiges und entscheidendes Element sind hier
die Tierhaltungssysteme. Allerdings muss sich die Tierhaltung dabei an das Tier anpassen und nicht umgekehrt,
wie wir das teilweise noch erleben.
({4})
Meine Damen und Herren, wir greifen genau dieses
Thema ganz aktiv auf. Wir suchen Kontakt zu den Ländern und auch zu den Institutionen, die hier bereits beispielhaft agiert haben, führen Expertengespräche vor Ort
und auch hier in Berlin.
Damit wir unser Ziel einer bäuerlichen Landwirtschaft in der Form der Familienbetriebe, die das Wohl
der Tiere und Wettbewerbsfähigkeit miteinander verbindet, erreichen können, brauchen wir natürlich auch weiterhin eine gut ausgestattete Forschung. Auch hier sind
wir mit dem Haushalt auf dem richtigen Weg.
Ich möchte einmal die Zahlen nennen, die bisher für
das kommende Jahr 2015 im Haushalt eingeplant sind.
Für Tierschutz stehen 33,6 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist eine enorme Steigerung gegenüber dem
Jahr 2014; da waren es nämlich 20 Millionen Euro.
({5})
Diese zusätzlichen Mittel kommen insbesondere den
Tieren zugute. Selbstverständlich profitieren aber langfristig auch die Landwirte und die Verbraucher von dieser Erhöhung.
Für 2015 möchte ich dabei besonders auf zwei Punkte
eingehen: zum einen auf das Bundesinstitut für Risikobewertung mit seiner Zentralstelle zur Erfassung und
Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum
Tierversuch - kurz: ZEBET. Hier werden für den Tierschutz nun über 9 Millionen Euro ausgegeben. Gerade
mit Blick auf die 1,5 Millionen Euro aus dem Jahr 2014
stärken wir hiermit die Bemühungen in Deutschland
enorm.
Zum anderen möchte ich auf die Modell- und Demonstrationsvorhaben eingehen. Im Jahr 2013 wurde bereits
ein Vorhaben mit dem Titel „Tierschutz“ initiiert. In diesem Entwurf sind nun für Tierschutzvorhaben in dem
entsprechenden Haushaltstitel 5 Millionen Euro vorgesehen. Auch für die kommenden Jahre sieht die Finanzplanung weitere Mittel vor. So stehen in den nächsten Jahren 21 Millionen Euro bereit, um zum Beispiel die heftig
diskutierten Bereiche des Tierschutzes zu bearbeiten.
Beispielhaft sei hier das Kupieren zum Beispiel von
Schnäbeln bei Geflügel und Schwänzen bei Schweinen
genannt. Das gilt es zu vermeiden und zu verhindern.
({6})
Zudem soll durch die Verfahren gezeigt werden, wie die
Hygiene in den Ställen gesteigert und der Einsatz von
Antibiotika reduziert werden kann.
Jedoch müssen wir in der Forschung ganz allgemein
darauf achtgeben, welche Projekte wir unterstützen. Einen wichtigeren Stellenwert als heute muss aus meiner
Sicht die In-vitro-Forschung spielen. „In vitro“ heißt,
dass Bedingungen von Lebewesen nachgestellt werden,
Lebewesen - Tiere - aber nicht selbst als Forschungsobjekte eingesetzt werden. Hier muss sich meiner Meinung
nach auch ein Wandel in der Wissenschaft vollziehen.
({7})
Publikationen über Tierversuche sind häufig in Fachzeitschriften zu finden; die In-vitro-Forschung hingegen genießt nur ein Schattendasein.
Meine Damen und Herren, abschließend: Das Thema
Tierschutz wird im Haushalt ernsthaft aufgegriffen. Das
ist nicht bloß ein Feigenblatt. Doch der vor uns liegende
Weg - das hat die Diskussion hier schon gezeigt - fordert unsere fortwährende und gemeinsame Anstrengung.
Ich lade Sie ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen.
Vielen Dank.
({8})
Ich weise trotzdem darauf hin, dass die Ankündigung
des Endes der Rede ebendieses Ende nicht ersetzt.
({0})
Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf zu achten.
Vizepräsidentin Petra Pau
Das Wort hat die Kollegin Katharina Landgraf für die
Unionsfraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle zunächst
einmal fest, dass mein Thema in der Debatte des Landwirtschaftshaushaltes angenehm und interessant ist. Es
geht nämlich um die Ernährung, besser gesagt, die gesunde Ernährung.
Das Thema interessiert doch wohl jeden Menschen.
Kochen und Speisen begeistern immer mehr Fernsehzuschauer. Heute Nachmittag zum Beispiel laufen im ZDF
sogar zwei Kochshows, nur unterbrochen durch die
Nachrichten. Bei diesen sogenannten Küchenschlachten
in öffentlich-rechtlichen Programmen, aber auch bei den
Privaten und in den geruhsamen Heimatmagazinen kann
man neugierig und völlig legitim in fremde und manchmal sogar auch in adlige Küchen und Kochtöpfe gucken.
Es gibt kaum eine Unterhaltungssendung, in der nicht
gekocht und gespeist wird. Hin und wieder wird nicht
nur das jeweilige Rezept vorgestellt, sondern es werden
auch die Zutaten und deren Herkunft erläutert. Zur Perfektion dieser Mediensparte fehlt nur noch das Geruchsfernsehen. Das wäre der Hit auf der nächsten Funkausstellung in Berlin.
Die mediale Publicity für Kochen und Genießen ist
fast nicht mehr steigerungsfähig. Das Ganze erscheint
wie ein Selbstläufer. Angesichts dieser Fülle von Angeboten rund um die Uhr könnte man meinen, dass weitere
Aufklärungskampagnen oder vom Bund geförderte Projekte zum Thema Ernährung eingespart werden könnten.
Aber so einfach ist das nicht.
Meine Damen und Herren, das Sprichwort dürfte allbekannt sein: „Weil Speis und Trank in dieser Welt doch
Leib und Seel’ zusammenhält“. Der Spruch stammt vom
Librettisten Hinsch. Er schrieb ihn für das Singspiel
„Der irrende Ritter Don Quixote“. Wie empfinden wir
heute einen solchen Spruch aus einer Zeit, wo Überfluss
anders interpretiert wurde oder gar nicht so bekannt war?
Immer wieder ist diese Weisheit auch heute noch zu
hören, wenn es darum geht, Speis und Trank zu genießen. Was machen wir aber, wenn sich zu allem Überdruss Leib und Seele immer weiter voneinander entfernen, sprich: der Leib immer umfänglicher wird, und das
bei einem unveränderten Geist?
({0})
Das ist doch die heutige Misere: Deutschland wie auch
ganz Europa - wie es jüngst auch Brüssel entdeckte wird immer schwerer.
Der Handlungsbedarf ist uns bekannt. Die Adipositaserkrankung und ihre Vorstufen sind längst ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Handlungsdruck ist enorm:
Wir haben seit rund sechs Jahren den nationalen Aktionsplan IN FORM. Das ist die erste Gesamtstrategie,
mit der alle Aktivitäten im Bereich Ernährung und Bewegung gebündelt werden sollen. So weit, so gut.
Fünf Handlungsfelder stehen dabei im Mittelpunkt:
Vorbildwirkung der öffentlichen Hand, Bedeutung von
Bildung und Aufklärung - Frau Maisch will eine Frage stellen. Ich hoffe, es
passt dazu.
Sie haben das Wort zu einer Frage oder Bemerkung.
Die Uhr wird natürlich angehalten.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie das Präsidium
auf meine Wortmeldung aufmerksam gemacht haben. Ich habe eine Frage zu Adipositas, die Sie sehr beklagt
haben. Deshalb frage ich Sie: Wie passt Ihre Klage dazu,
dass in Zukunft das Kompetenznetz Adipositas, ein
Netzwerk, zu dem sich viele Akteure zusammengeschlossen haben, nicht weiter aus öffentlichen Mitteln finanziert werden soll?
Davon habe ich nichts gehört. Danach müsste ich
mich selber erst einmal erkundigen. Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Wenn es so wäre, dann würde
auch ich das bedauern. Ich hoffe aber, dass wir mit anderen Programmen, die ich jetzt noch erläutern werde, zur
Adipositasbekämpfung beitragen werden. So weit dazu.
Alles andere machen wir später. Das liefere ich nach.
Ich fahre fort. Ich war bei der Bedeutung von Bildung
und Aufklärung als einem der Handlungsfelder stehen
geblieben. Weitere Handlungsfelder sind Bewegung im
Alltag, Qualitätsverbesserung bei der Verpflegung außer
Haus und Impulse für die Forschung. In Deutschland ist
ein Umfeld zu schaffen, in dem ausgewogene Ernährung
und ausreichende Bewegung in allen Lebensbereichen
verankert werden. Das ist ein sehr hoher Anspruch. Wikipedia verrät außerdem:
IN FORM richtet sich an die gesamte Bevölkerung.
Die Menschen sollen dort erreicht werden, wo sie
leben, arbeiten, lernen und spielen. Der Schwerpunkt der Initiative liegt dabei auf den „Lebenswelten“. Dabei geht der Aktionsplan verstärkt zielgruppenorientiert vor.
So gibt es eigene Schwerpunkte für die Bedürfnisse älterer Menschen und gezielte Initiativen für Kinder. - Das
finde ich toll.
Wie ist es aber um die öffentliche und mediale Wahrnehmung bestellt? Meine Antwort würde hier den Rahmen sprengen. Nur so viel sei erst einmal festgestellt:
Ein hoher Bekanntheitsgrad in Fachkreisen reicht nicht.
Das muss weiter bekannt gemacht werden. Schon im
Jahr 2008 wurde angekündigt, dass bis zum Jahre 2020
das Ernährungs- und Bewegungsverhalten in Deutschland nachhaltig zu verbessern sei. Ansätze für eine Halbzeitbilanz findet man unter anderem im Geschäftsbericht
der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus
dem Jahr 2013.
Gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung sind
auch im internationalen Kontext besondere Themen. Wir
alle sind gespannt, welche neuen Impulse die internationale Konferenz zur Ernährung im November in Rom geben wird. Eingebettet in den Aktionsplan ist übrigens
auch PEB, die Plattform „Ernährung und Bewegung“.
Sie konnte bereits Anfang dieser Woche ihr zehnjähriges
Bestehen feiern. Ich möchte betonen, dass es sich bei
dieser Plattform um einen Zusammenschluss von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sport sowie Eltern und Ärzten handelt. Anlässlich des Jubiläums
wurde nun festgestellt, dass unbedingt mehr getan werden muss, um schlechte Ernährungsgewohnheiten zu ändern und Bewegungsarmut zu bekämpfen.
Ernährung ist im doppelten Sinn eine Kopfsache und
weniger eine Angelegenheit von Zeit und Geld. Es handelt sich um eine Kopfsache - das ist ganz banal -, weil
eben jede Nahrung durch den Kopf aufgenommen wird.
Die entscheidende andere „Kopfsache“ sind das Wissen
und das Wollen jedes einzelnen Menschen. Jeder Mensch
entscheidet mit seinem Wissen und Unwissen darüber,
was er mit den Mahlzeiten aufnimmt. Entscheidende
Faktoren sind das eigene Wissen, regionale Traditionen
und Bräuche sowie Gepflogenheiten in der Familie.
Aber auch mediale Beeinflussung und Gruppenverhalten
außerhalb der Familie dürfen nicht unterschätzt werden.
Abgesehen davon, dass die Geschmacksnerven im
frühesten Kindesalter entwickelt oder nicht entwickelt
werden, ist die Ernährung ein lebenslanges Thema. Daher wäre es richtig, wenn wir das alles mit dem lebenslangen Lernen verknüpften. Vor diesem Hintergrund
rege ich an, eine Kooperation mit den Volkshochschulen
einzugehen, die sich als Hauptträger lebenslangen Lernens bewährt haben. Hier sollte die weitere Umsetzung
des IN-FORM-Aktionsplans eine zentrale Rolle spielen.
Somit könnte die Transformation der umfangreichen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung in die Allgemeinbildung der Menschen besser funktionieren.
Wenn wir aber dauerhafte Strukturen für die Bildungs- und Beratungsarbeit vor Ort schaffen wollen,
sollten wir die allgemeine „Förderkrankheit Projektivitis“ in diesem Bereich ein für alle Mal heilen. Die Bildung betreffend gesunde Ernährung und mehr Bewegung ist ein permanenter Prozess, den wir nicht mit
zeitlich stark begrenzten Förderprojekten bewältigen
können. Wir brauchen daher Konstanz. So lautet auch
ein vielfacher Wunsch aller Akteure, mit denen ich im
Vorfeld gesprochen habe.
Insgesamt ist positiv zu bewerten, dass wir für Informationsmaßnahmen im Ernährungsbereich 9,3 Millionen Euro aus dem Haushalt bekommen. Für die Förderung von Projekten der Verbraucherzentralen sollen
3 Millionen Euro und für Maßnahmen der allgemeinen
Verbraucherinformation noch einmal 3,7 Millionen Euro
fließen. Das ist gut. Es könnte sicherlich noch mehr sein.
Aber das ist zuerst einmal positiv zu bewerten. Mit dauerhafter Bildung können wir in Zukunft bei der gesundheitlichen und medizinischen Betreuung der Menschen
steigende Kosten möglicherweise vermeiden. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass die bewährten
Informationsmittel erhalten bleiben, so auch die Plattform der Verbraucherzentralen „Lebensmittelklarheit“.
Das Projekt läuft Ende dieses Jahres aus. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen erarbeitet derzeit ein
neues Konzept. Ich wünsche mir sehr, dass das fortgeführt wird.
Gesunde Ernährung braucht auch Transparenz und
Wissen über das, was angeboten wird. Dafür brauchen
wir alle Klarheit im besten Sinne. Hier wünsche ich mir
eine ebenbürtige mediale Präsentation wie mit den eingangs erwähnten Kochsendungen. Schlussendlich können wir so die Leistungen der gesamten Landwirtschaft
und deren Bedeutung für eine gesunde Ernährung transparent machen und auch würdigen.
Wir sind auf einem guten Weg, an dessen Ende eine
mündige Gesellschaft und aufgeklärte Menschen stehen,
die selbst und bewusst darüber entscheiden, ob Speis
und Trank den Leib und die Seele zusammenhalten oder,
wie eingangs beschrieben, diese auseinanderdriften lassen. Dafür trägt aber jeder selbst die Verantwortung.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Jeannine Pflugradt für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Genauso wie bei der Kollegin Binder und bei der Kollegin Landgraf bezieht sich
auch der Schwerpunkt meiner Rede auf die gesunde Ernährung. Von daher habe ich sehr wohlwollend zur
Kenntnis genommen, Herr Minister Schmidt, dass auch
Ihnen die gesunde Ernährung sehr am Herzen liegt; das
freut mich.
Nur 2 Prozent des Gesamtetats von rund 5,3 Milliarden Euro des Bundesministeriums für Ernährung und
Landwirtschaft für das Haushaltsjahr 2015 entfallen auf
den Einzelbereich „Gesundheitlicher Verbraucherschutz
und Ernährung“. Allein davon gehen 83,9 Millionen
Euro an das Bundesinstitut für Risikobewertung. Gerade
einmal 16 Millionen Euro stehen dem Bereich „Ernährung und Verbraucherinformation“ zur Verfügung. Das
sind wiederum 800 000 Euro weniger als noch in diesem
Haushaltsjahr, obwohl uns allen in diesem Hause die Bedeutung einer ausgewogenen und gesunden Ernährung
bewusst sein sollte.
Besorgniserregend erscheint das Ernährungsverhalten
der Kinder. Vor allem nach der Einschulung geht bei vielen Kindern die Gewichtskurve zu steil nach oben. Die
Studie des Robert-Koch-Instituts KiGGS zeigt, dass ab
der ersten Klasse immer mehr Kinder übergewichtig
werden. Besonders in den Jahren nach Schulbeginn
steigt der Anteil von 9 auf 15 Prozent. Der Anteil adipöser Kinder verdoppelt sich sogar auf 6,4 Prozent. Die
Betroffenen leiden nicht nur an körperlichen Folgen wie
erhöhtem Risiko für Diabetes, Bluthochdruck oder Rücken- und Gelenkproblemen, sondern oft auch unter seelischen Schwierigkeiten wie einem geringen Selbstwertgefühl oder Mobbing.
({0})
Nur in jeder dritten Kita gibt es laut einer Studie der
Bertelsmann Stiftung von diesem Jahr gesundes sowie
ausgewogenes Essen. Die Kitaverpflegung muss der
Schulverpflegung deswegen in allen Belangen gleichgestellt werden. Der Bund sollte darüber nachdenken, über
das Jahr 2016/2017 hinaus die Mittel für die Vernetzungsstellen Schulverpflegung zu verstetigen sowie aufzustocken, um den Mehraufwand für die Unterstützung
von Kitaverpflegung auszugleichen,
({1})
da diese einen Part der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe hinsichtlich Prävention und Ernährungsbildung
übernehmen. Ausreichend freie Mittel stehen hierfür zur
Verfügung.
Gesunde Essgewohnheiten von klein auf sind enorm
wichtig, vor allem als Grundlage für einen gesunden Lebensstil. Obst und Gemüse sind dabei unentbehrlich für
eine vollwertige und ausgeglichene Ernährung.
({2})
Ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse hat eine positive Wirkung in der Vorbeugung zahlreicher Erkrankungen; das darf man nicht vergessen. Nach Erfahrungen in
anderen Ländern haben gesunde Snacks und Getränke in
Schulen den gewünschten Einfluss auf das Ernährungsverhalten der Schüler. Je öfter den Schülern und Schülerinnen frisches Obst, Gemüse und Salat angeboten werden, desto häufiger greifen sie natürlich auch zu.
Dementsprechend unterstütze ich weiterhin die Bemühungen des Bundes, das EU-Schulfruchtprogramm in allen Bundesländern zu etablieren sowie kozufinanzieren.
({3})
Ich appelliere an dieser Stelle erneut an alle Bundesländer, die sich noch nicht beteiligen, die von der EUKommission bereitgestellten Mittel völlig auszuschöpfen. Natürlich begrüße ich auch, dass der Nationale Aktionsplan „IN FORM“ mit einer gleichbleibenden Summe
von 9,3 Millionen Euro im Jahr 2015 gefördert wird. Mit
dem Nationalen Aktionsplan soll erreicht werden, dass
Erwachsene gesünder leben, Kinder dementsprechend
gesünder aufwachsen und von einer höheren Lebensqualität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit in Bildung, Beruf sowie Privatleben profitieren. Dieser Aktionsplan ist erst einmal bis zum Jahr 2020 angelegt.
Am Ende möchte ich mich ebenfalls noch für eine
Förderung des Forschungsinstituts für Kinderernährung
in Dortmund vor allem durch den Bund einsetzen.
In Kapitel 1005 Titel 554 31 des Haushaltsentwurfes
2015 heißt es, es stünden für die laufende Legislaturperiode rund 1 Million Euro mehr für Forschung und Entwicklung zur Verfügung. Diese zusätzlichen Mittel sollen insbesondere zur Finanzierung von bereits initiierten
Studien zum Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Das macht dieses Institut.
Ich denke, das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft sollte noch einmal überprüfen, ob man
davon nicht die gewünschten 350 000 Euro für das
Forschungsinstitut für Kinderernährung bereitstellen
könnte.
({4})
Eine langfristige Konzeption von Prävention und Ernährungsbildung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erfordert die Konzentration aller föderaler
Ebenen. Die finanzielle Mitwirkung des Bundes halte
ich dabei für unverzichtbar.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Cajus Caesar hat für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Ein Motto von uns ist: „Nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.“ Das ist die Devise der Union.
Das ist die Devise dieser Koalition. Damit fahren wir
gut. Wir schaffen einen Haushalt, der Zukunftsperspektive zeigt.
({0})
Wir setzen auf Infrastruktur und setzen dort zusätzliche Gelder ein. Wir setzen auf die Entlastung der Kommunen und entlasten sie durch die Grundsicherung,
durch die Eingliederungshilfe und durch die Entflechtungsmittel deutlich. Aber wir setzen auch wesentlich
auf Bildung und Forschung. Diese Mittel kommen auch
im Landwirtschaftshaushalt an. Deshalb ist dies ein
Haushalt, der auf Zukunft ausgerichtet ist.
({1})
Herr Minister Schmidt hat für den ländlichen Raum
wesentliche Akzente gesetzt. Der ländliche Raum ist
dem Minister wichtig. Er hat ihn zur Chefsache erklärt.
Deshalb möchte ich mich bei unserem Minister Christian
Schmidt an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken.
({2})
10 Millionen Euro - von null auf zehn - für diesen
Bereich einzusetzen, ist Perspektive. Das zeigt: Wir las4744
sen die Menschen im ländlichen Raum nicht allein. Sie
sind uns wichtig. Wir wollen ihnen die Chancen und die
Rahmenbedingungen geben, die sie verdient haben. Deshalb werden die Union und diese Koalition im ländlichen Raum die Perspektiven weiter auf den Weg bringen, die für den ländlichen Raum wichtig sind. Dazu
gehört beispielsweise auch die digitale Infrastruktur.
Bei den landwirtschaftlichen Sozialsystemen wollen
wir die Rahmenbedingungen für unsere Bauern so schaffen und weiter auf den Weg bringen, dass wir sie in sozialer Hinsicht nicht alleinelassen. Wir wollen weiterhin
die Rahmenbedingungen bei den Strukturveränderungen und der Zusammenführung von Strukturen setzen,
gleichzeitig wollen wir Effektivität schaffen. Und wir
wollen einen entsprechenden Rahmen bilden, der unseren Bauern Verlässlichkeit und Hilfe gibt, er soll so gesetzt werden, dass wir sozial an ihrer Seite sind.
Beim Verbraucherschutz wollen wir insbesondere
Projekte wie „IN FORM - Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ weiterhin fördern. Dafür
werden 9,3 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt.
Das sind wichtige Mittel; denn ich glaube, dass gerade
gesunde Ernährung und Bewegung für unsere junge Generation von besonderer Bedeutung sind. Deshalb ist
dies der richtige Weg, den wir hier beschreiten.
({3})
Wir - das wurde eben schon angesprochen - haben in
der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ und mit dem Ernährungsführerschein Entsprechendes auf den Weg gebracht. Hier gibt es sicherlich noch viel zu tun. Es gibt
aber auch entsprechende Perspektiven, um hier etwas zu
bewegen. Deshalb noch einmal der Dank an das Ministerium, aber auch einen Dank an die Kollegen im Fachausschuss. Ich nenne hier den Sprecher Franz-Josef
Holzenkamp. Danke schön, dass Sie hier in dieser Weise
so aktiv sind.
({4})
Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe, für die
600 Millionen Euro veranschlagt sind, die wichtigen Bereiche der Infrastrukturmaßnahmen, der Schaffung von
zusätzlichen Arbeitsplätzen, den Breitbandausbau, den
Hochwasser- und Küstenschutz im Auge. Wir wollen sie
weiterentwickeln. Wir lassen es nicht zu, dass beispielsweise an der Küste Häuser abrutschen, sondern werden
den Menschen nicht nur in der Not, sondern auch vorbeugend helfen. Deshalb haben wir schon im Zusammenhang mit dem Haushalt 2014 den Maßgabebeschluss
zum Hochwasserschutz auf den Weg gebracht. Wir wollen zukünftig vorbeugend Hochwasserschutz betreiben.
Das ist uns wichtig; die Menschen sind uns wichtig, aber
die Natur ist uns ebenso wichtig.
({5})
Im Bereich Innovation und Forschung sind uns die
nachwachsenden Rohstoffe wichtig. Hier darf ich insbesondere die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe nennen, deren Selbstständigkeit uns wichtig ist. Sie führt
praxisorientierte, auf die Zukunft ausgerichtete Projekte
durch, die unkompliziert auf den Weg gebracht werden.
Das dort investierte Geld ist gut investiertes Geld.
({6})
Wenn wir beispielsweise Projekte zur Gewinnung von
Kraftstoff aus Algen, zur Energieeffizienz, aber auch zur
stofflichen sowie zur energetischen Verwertung von Biomasse nach vorne bringen, dann ist das Ausdruck einer
Politik der Koalition, die auf Zukunft ausgerichtet ist.
Diese Politik, die auf Zukunft ausgerichtet ist, wollen
wir fortsetzen.
({7})
Der Herr Minister hat es angesprochen: Wir stehen
zur nationalen genauso wie zur internationalen nachhaltigen Waldwirtschaft. Dieser Bereich bietet zusammen
mit der Holzindustrie mehr Arbeitsplätze als die Automobilindustrie, und er erzielt einen Umsatz von über
180 Milliarden Euro. Deshalb gilt es auch hier, durch die
Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen und
Projekte, wie zum Beispiel Forschungsprojekte, den
Rahmen so zu stecken, dass wir hier erfolgreich sind.
Wenn jemand den Rohstoff Holz erfinden würde, würde
er sicherlich zum Nobelpreisträger ernannt; da bin ich
ganz sicher.
({8})
Wir haben im Bereich der Eiweißpflanzenstrategie einiges gemeinsam auf den Weg gebracht. Ich sage auch,
dass hier unser Koalitionspartner sehr aktiv war. Gemeinsam sehen wir das als einen wichtigen Bereich an,
den wir weiterentwickeln wollen. Denn ich glaube, dass
uns Eiweiße aus einheimischen Produkten gut zu Gesicht stehen. Deshalb ist die Anhebung des entsprechenden Ansatzes von 3 Millionen auf jetzt 4 Millionen Euro
pro Jahr eine gute Maßnahme.
({9})
Wir haben heute schon einiges zum Tierwohl gehört.
Ich finde es gut, dass Johannes Röring hier im Rahmen
seiner Tätigkeit im Landwirtschaftsverband, aber auch
als Abgeordneter in besonderer Weise tätig geworden ist.
Wenn im ehrenamtlichen Bereich, in den Verbänden, etwas reift, wenn Eigentümer, Landwirte, mit dem Handel
etwas auf den Weg bringen, dann ist es der richtige Weg.
Diesen Weg unterstützen wir ausdrücklich.
Ich will auch sagen, dass wir die entsprechenden gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schaffen. Wir glauben, dass wir richtig liegen, wenn wir die
Ansätze im Bereich des Tierwohls und im Bereich des
Tierschutzes in den vergangenen drei Jahren verdoppelt
haben, auf über 33 Millionen Euro - eine Verdopplung!
Das sollte man an dieser Stelle deutlich sagen, weil oft
von der Opposition gesagt wird: „Die tun da nichts“, wodurch ein falscher Eindruck entsteht. Wir tun sehr viel,
und wir setzen hier gemeinsam mit den Eigentümern und
den entsprechenden Produzenten auf Innovationen für
unsere Verbraucher, für unsere Bürger. Das ist der richtige Weg.
({10})
Wir haben hier einen Haushalt mit Perspektive vorgelegt. Wir setzen auf Investitionen und auf die richtigen
Rahmenbedingungen für eine moderne Landwirtschaft
und beziehen gleichzeitig unsere Bauern ein. Das ist der
Weg der Union, das ist der Weg dieser Koalition, und damit werden wir erfolgreich sein.
Ich danke Ihnen.
({11})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johann
Saathoff nun das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Wie
schon einige meiner Vorredner gesagt haben, werden wir
erstmals seit 1969 - ich kann mich gut an 1969 erinnern;
da habe ich meinen 2. Geburtstag opulent gefeiert ({0})
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt beschließen können. Das bedeutet, dass sich Einnahmen und Ausgaben
in der Waage halten und keine neuen Schulden gemacht
werden müssen. Allerdings bedeutet das nicht, dass vorhandene Schulden getilgt werden. Es gibt also nach wie
vor Herausforderungen für uns, auch vor dem Hintergrund, dass das Zinsniveau, die Steuereinnahmen und
das Beschäftigungsniveau nicht immer auf diesem Stand
bleiben werden. Diesen Herausforderungen werden wir
uns stellen müssen - im Sinne unserer Kinder und Enkelkinder, denen wir irgendwann einmal einen funktionsfähigen Staat übergeben wollen.
Eben um unseren nachfolgenden Generationen einen
Gestaltungsrahmen zu überlassen, haben wir zum Beispiel den Mindestlohn eingeführt. Positiver Nebeneffekt
ist, dass wir dadurch auch die Sozialkassen in Deutschland in Zukunft deutlich entlasten. Das gilt natürlich
auch für die Fleisch-, Land- und Forstwirtschaft.
Der Arbeitslohn ist allerdings nicht der einzige Faktor
für verantwortungsvolle Lebens- und Arbeitsbedingungen im Staate. Hinzu kommt das Verständnis der Unternehmen für die Mitbestimmung.
({1})
In Deutschland gibt es unzählige Beispiele dafür, dass
Unternehmen mit, durch und wegen betrieblicher Mitbestimmung erfolgreich sein können. Es gibt aber leider
noch immer Unternehmen, die meinen, betriebliche Mitbestimmung sei ein Hindernis. Die Frage ist nicht, ob ein
Unternehmen sich einen Betriebsrat leisten kann, sondern, ob es sich ein Unternehmen leisten kann, keinen
Betriebsrat zu haben.
({2})
Neben dem Thema der betrieblichen Mitbestimmung
gibt es ein weiteres wichtiges Thema: Es gibt immer
noch Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen. Diese Menschen haben nicht nur
unsichere Rahmenbedingungen, also Befristungen usw.,
sondern leben zum Teil sogar in völlig unangemessenen
Unterkünften. Ich wähle hier bewusst das Wort „Unterkunft“, denn „wohnen“ kann man das nicht nennen.
({3})
In der niedersächsischen Fleischwirtschaft gab es diesbezüglich in nicht allzu ferner Vergangenheit schlimme
Beispiele. Der Grund dafür war der Trend zur Massenproduktion von Fleisch mit einem dreifachen Qualitätskriterium: billig, billig, billig. Diesen Trend zur Massenproduktion werden wir brechen.
({4})
Meine Kollegin Christina Jantz hat eben in ihrer Rede
deutlich gemacht, dass wir in diesem Bereich klare Akzente setzen wollen und deshalb unter anderem die Mittel für den Tierschutz deutlich erhöhen.
Als Ziel dieser Legislaturperiode haben wir uns aber
auch vorgenommen und uns in der Koalition darauf verständigt, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz GAK, umzubauen zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“.
Im Sommer habe ich mir im Süden der Republik zum
Thema „regionale Wertschöpfung“ praktische Beispiele
angesehen. Auf dieser Reise wurde deutlich, dass quer
durch die Bundesrepublik die Notwendigkeit besteht, regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und zu stärken,
({5})
auch damit die Menschen vor Ort Arbeit haben und die
Lebensqualität im ländlichen Raum wieder gesteigert
werden kann.
Zur Lebensqualität im ländlichen Raum gehören auch
die Instrumente der Daseinsvorsorge, insbesondere Einrichtungen für ältere und pflegebedürftige Menschen sowie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder.
In Ostfriesland ist diese Problematik besonders deutlich
vorhersehbar. Die Geburtenrate ist stark gesunken. Die
jungen Leute verlassen Ostfriesland wegen der an anderen Orten besseren Berufschancen. Was bleibt, sind vorwiegend ältere Menschen. Dieser Herausforderungen
werden wir uns annehmen. Erkenntnis ist dabei der erste
Schritt.
({6})
Diese Erkenntnis liegt nun vor. Daher werden wir zur
Vorbereitung der Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe zunächst für 2015 und 2016 jeweils 10 Millionen Euro für das Bundesprogramm für ländliche Entwicklung bereitstellen. Mir liegt es am Herzen, zu
betonen, dass aus diesen Mitteln für die ländliche Entwicklung kein neues Agrarförderungsprogramm wird,
sondern dass diese Mittel der Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen im ländlichen Raum dienen
sollen.
({7})
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal etwas zu einem sonst weniger beachteten Zweig der Ernährungswirtschaft sagen, zur deutschen Fischerei. In der sitzungsfreien Zeit habe ich die Gelegenheit genutzt, mit
einem Krabbenfischer vor Borkum auf Krabbenfang zu
gehen. Bei den Krabbenfischern gibt es eine ganze Reihe
über 30 Jahre alter Fahrzeuge, die noch einen Holzrumpf
haben. Es ist kein Geheimnis, dass die deutsche Fischereiflotte stellenweise stark überaltert ist. Ersatzbauten
sind im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht
zulässig. Aber wir stellen mit diesem Haushalt nach wie
vor Mittel für die Modernisierung von Fischereifahrzeugen zur Verfügung, wenn auch nicht in allzu großem
Umfang.
Die deutschen Fischer machen auf See eine ganz hervorragende Arbeit.
({8})
Sie haben einen großen Anteil daran, dass sich die
Fischerei in den letzten Jahrzehnten hin zu mehr Nachhaltigkeit entwickelt hat. Die Fischer in Deutschland haben sich konsequent an die Quoten gehalten. Sie dürfen
aber auch den Anspruch haben, dass diese Quoten auf einer korrekten wissenschaftlichen Basis ermittelt werden.
Damit der Forschung die notwendigen Instrumente zur
Ermittlung dieser Quoten zur Verfügung gestellt werden
können, haben wir auch Mittel für einen Ersatzbau für das
Fischereiforschungsschiff „Walther Herwig III“ eingestellt. Wat mutt, dat mutt.
({9})
Diesen Neubau hat die deutsche Fischereiforschung
wirklich nötig, denn die „Walther Herwig III“ wurde bereits 1992 in Dienst gestellt. Sie befindet sich momentan
in der Nordsee auf ihrer 377. Forschungsreise und untersucht dort die Plattfischvorkommen in der Schollenbox
und die Häufigkeit und Verteilung von Heringslarven in
den Laichgebieten der Nordseeheringsbestände.
Die beiden Fischereiforschungsinstitute in Hamburg
und Rostock machen eine hervorragende Arbeit. So trägt
Deutschland im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik zu einer Bewertung der Fischbestände und dadurch zu mehr Nachhaltigkeit bei der Fischerei bei.
Ich wünsche uns bei den anstehenden Beratungen
zum Haushalt 2015, dass uns gemeinsam der Paradigmenwechsel hin zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen im ländlichen Raum gelingt. Ich
freue mich auf konstruktive Diskussionen in diesem
Sinne.
({10})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17.
Das Wort hat die Bundesministerin Manuela
Schwesig.
({0})
- Ich bitte erstens, die notwendigen Umgruppierungen in
den Fraktionen zügig vorzunehmen, und zweitens bitte
ich diejenigen, die ihren Platz gefunden haben, um Aufmerksamkeit für die Ministerin. - Diejenigen, die nicht
an dieser Debatte teilhaben können, sollten die notwendigen Diskussionen nicht hier in den Gängen des Plenarsaals führen, sondern diese bitte nach draußen verlagern. Ich bedanke mich für die Übermittlung der Nachricht. Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Was wird immer weniger, obwohl wir immer mehr davon sparen? Ich meine jetzt
nicht das Geld des Bundeshaushalts, sondern ich meine
die Zeit. Es ist die Zeit, heißt es in der Titelgeschichte im
Spiegel der letzten Woche, die den modernen Menschen
auf diese Weise verloren geht. Für den Autor ist das ein
paradoxes Phänomen, für viele Familien in Deutschland
der ganz normale Wahnsinn im Alltag. Job, Kita, Schule,
Hausaufgaben, Arzttermine, Fußballspiele am Wochenende, pflegebedürftige Eltern - all das und noch vieles
mehr drückt auf die Familien.
Familie braucht Zeit. Kinder brauchen Zeit. Ehrenamt
braucht Zeit. Pflege braucht Zeit. Zeit ist ein Thema für
alle, und damit ist Zeit ein politisches Thema. Zeit für
Familien, das ist ein Thema, das alle umtreibt. Ich freue
mich, dass dieses Thema, das ich zu Beginn dieser Legislaturperiode angeschoben habe, jetzt sozusagen Flughöhe erreicht, dass der Spiegel in einer Titelgeschichte
darüber berichtet, dass die Zeit darüber berichtet, und
zwar nicht auf der Seite „Schöner leben“, sondern auf
der Wirtschaftsseite, und dass sich mittlerweile immer
mehr mit diesem Thema beschäftigen.
({0})
Wir haben das auch schon gestern in der Generaldebatte gehört. Wenn wir von Belastung und Entlastung
sprechen, dann höre ich immer, wer alles belastet wird,
aber mir fehlt völlig, dass über die gesprochen wird, die
tatsächlich belastet sind, und das sind die Familien in unserem Land. Die Working Families, die Familien, in denen die Eltern arbeiten gehen, die Kitagebühren oder
Hortgebühren bezahlen, die gleichzeitig unser Sozialversicherungssystem und die Rentenverbesserungen tragen, sind die Familien, die Belastungen haben. Wir müssen als Allererstes etwas für die Familien tun. Dann ist
das auch für alle anderen, auch für die Wirtschaft, die
nach Fachkräften ruft, gut.
({1})
Auch ich habe die Zeit der letzten neun Monate genutzt, um viele Punkte voranzubringen. Im Bundeshaushalt findet sich die Absicherung der Arbeit für Demokratie und Vielfalt, es findet sich die Absicherung des
Heimkinderfonds, es findet sich die Absicherung der
Mehrgenerationenhäuser und vieles andere mehr. Ich
möchte den Schwerpunkt in den Minuten meiner Redezeit - denn auch hier ist ja die Zeit begrenzt - auf das
Thema „Zeit für Familie“ legen.
Ich habe die Debatte um die Familienarbeitszeit ganz
bewusst angestoßen, weil es wichtig ist, dass wir die Familien aus dieser Rushhour, die ich eben beschrieben
habe, herausholen, aus der Rushhour, die bedeutet: Liebe
Frauen, bekommt fünf Kinder, um den demografischen
Wandel aufzuhalten! Liebe Frauen, seid als Fachkräfte
da! Liebe Frauen, seid möglichst auch für die pflegebedürftigen Angehörigen da! - Und dann loben wir alle
auch noch das Ehrenamt, das möglichst alle ausüben
sollten, vor allem und meistens Frauen.
Immer mehr Männer wünschen sich, Zeit für ihre Familie zu haben. Die Männer, die alle Vollzeit arbeiten,
wünschen sich, ein Stück herunterzukommen. Dabei
geht es um eine Reduzierung von 40 auf 35 Wochenstunden; sie reden nicht von der Hängematte. Sie sehen, dass
ihre Frauen, die bei 19 Stunden Arbeitszeit hängen, nur
länger arbeiten können, wenn sie sie unterstützen, wenn
sie sie entlasten.
Die Idee, dass sich die Arbeitszeit angleicht, dass man
sich die Zeit für Job und für Familie partnerschaftlich
teilt, tragen über 60 Prozent der Paare mit Kindern unter
drei in ihrem Herzen. Aber nur 14 Prozent realisieren
sie. Warum? Weil es Nachteile gibt, weil Teilzeit immer
noch schlecht bezahlt wird und in unserer Arbeitswelt
wenig anerkannt ist. Das ist ein Fehler. Ich möchte, dass
Teilzeit aufgewertet wird. Wenn junge Mütter und Väter
in ihrem Beruf arbeiten, aber eben nicht voll, weil sie
Zeit für ihre Kinder oder Zeit für pflegebedürftige Eltern
brauchen, dann dürfen sie dafür nicht bestraft werden,
sondern müssen unterstützt werden.
({2})
Es geht nicht darum, den Familien eine Stundenzahl
vorzuschreiben. Die Paare können das ganz alleine aushandeln und müssen das selbst tun; jeder von uns weiß,
wie das läuft - oder eben nicht läuft. Aber es geht darum, diesen partnerschaftlichen Gedanken zu unterstützen. Der erste ganz konkrete Schritt hin zu einer Familienarbeitszeit ist das ElterngeldPlus. Wir werden mit dem
ElterngeldPlus dafür sorgen, dass Teilzeitarbeit während
der Elterngeldphase nicht mehr bestraft wird, sondern
dass diejenigen, die während des Elterngeldbezugs Teilzeit arbeiten, doppelt so lange ElterngeldPlus bekommen. Wenn sie sich partnerschaftlich verhalten, so wie es
moderne Familien machen - moderne Familienpolitik
muss das unterstützen -, dann bekommen sie einen Bonus. Das ist moderne Familienpolitik im Haushalt 2015.
({3})
Zeit für Kinder, das ist ein Anliegen der Eltern.
Ebenso wichtig ist es, darauf zu achten, dass auch Kinder Zeit haben: Zeit in der Kita, im Kindergarten oder in
der Kindertagespflege. Das ist gute Zeit; denn es ist Bildungszeit. Es wird Zeit, dass die Bildungspolitik in
Deutschland umdenkt und aufwacht. Frühkindliche
Bildung ist die erste wichtige Bildung für Kinder. Wir
haben es gestern gerade wieder von der OECD ins
Stammbuch geschrieben bekommen: Nirgendwo geht es
so ungerecht zu wie in unserem starken, reichen Industrieland. Die Bildung ist immer noch abhängig vom sozialen Status. Damit muss Schluss sein. Gute frühkindliche Bildung ist ein wichtiger Beitrag, diese Spirale zu
durchbrechen.
({4})
Wir brauchen gute Kitaplätze und genügend Kitaplätze. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung die
Mittel, die sie für mehr Plätze bereitstellt, auf 1 Milliarde Euro aufstockt. Denn wir haben noch nicht genug
Plätze, und die Ganztagsplätze sind noch nicht gut genug. Ich freue mich, dass die Kollegen aus dem Bereich
der Landwirtschaft hier gerade über gesunde Ernährung
geredet haben. Denn das machen wir mit dem neuen Kitagesetz: Wir fördern insbesondere die Ausstattung wie
Küchen in Ganztagskitas, damit wir zu einer modernen,
gesunden Vollverpflegung kommen. Das ist Qualität, die
wir in Kitas brauchen.
({5})
Frau Dörner - ich weiß gar nicht, wo sie ist; vorhin
habe ich sie noch gesehen -, Sie reden gelegentlich davon, dass das ein 1-Milliarde-Euro-Betrug ist. Ich will
Ihnen die Zahlen nennen. 450 Millionen Euro haben wir
schon während der Koalitionsverhandlungen bereitgestellt. Ja, wir hätten so eitel sein und warten können, bis
alles steht und die neue Ministerin es präsentieren kann.
Aber wir haben an die Kinder gedacht. Wir haben schon
während der Koalitionsverhandlungen 450 Millionen Euro
bereitgestellt und stocken jetzt um 550 Millionen Euro
auf. Das ergibt 1 Milliarde Euro. Dazu kommen zweimal
100 Millionen Euro. Das macht 1,2 Milliarden Euro. Davon fließen 200 Millionen Euro in 2017 und 2018; eher
kann dieses Geld nicht abfließen. Sie sehen also: Wenn
man rechnen kann, kommt die 1 Milliarde Euro zusammen.
({6})
100 Millionen Euro haben wir für Sprachförderung
veranschlagt. Sprachförderung ist das A und O für Chancengleichheit von Kindern. Und wir machen weiter. Wir
werden mit den Ländern im November über Qualität reden. Ich habe mich mit Unterstützung der SPD-Fraktion
dafür starkgemacht, dass auch die BAföG-Spielräume
für frühkindliche Bildung genutzt werden können. Niedersachsen geht hier mit gutem Beispiel voran. Die machen den Betreuungsschlüssel kleiner, damit mehr Zeit
für Kinder bleibt. Liebe Abgeordnete der Grünen, ich
werde dort, wo Sie regieren, genau hinschauen. In den
Ländern können Sie ja mit dem Geld die Ansprüche, die
Sie hier immer formulieren, endlich umsetzen.
({7})
Zeit für Familie bedeutet aber nicht nur Zeit für Kinder, sondern immer mehr drückt der Schuh bei der
Frage: Wie geht es weiter, wenn mein Vater oder meine
Mutter pflegebedürftig wird? Während meiner Sommerreise habe ich viele Unternehmen besucht, die genau davon berichten. Wir brauchen auch Entlastungsmodelle
für Familien, in denen Erwerbstätige die Eltern pflegen
müssen.
Hier, meine Damen und Herren, geht es nicht um Belastung der Wirtschaft, sondern es geht um Entlastung.
Denn die Wirtschaft muss ja ein Interesse daran haben,
die Fachkräfte zu behalten. Deswegen ist das auch gar
kein Widerspruch, sondern gehört zusammen, und deshalb ist es gut, dass wir ein Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf den Weg bringen. Wir
werden dafür sorgen, dass die zehntägige Auszeit für
pflegende Angehörige zukünftig unter Lohnfortzahlung
gestellt wird - wie es auch für den Fall vorgesehen ist,
dass ein Kind krank ist. Wir werden dafür sorgen, dass
Pflegezeit und Familienpflegezeit zusammengeführt
werden, dass man seine Arbeitszeit reduzieren kann und
für diese Zeit ein Darlehen bekommt, um den Lohnausfall abzufedern.
All das ist wichtig, um Zeit für Familien zu organisieren, die in dieser „Rushhour“ sind, mit Kindern, mit
pflegebedürftigen Angehörigen. Damit entlasten wir die
Familien, und damit tun wir auch für die deutsche Wirtschaft viel. Denn man kann nicht beklagen, dass Fachkräfte wegbrechen, wenn es Pflegebedarf in der Familie
gibt, und dann nichts tun. Mit unserem Gesetz sorgen
wir für eine Balance zwischen der Notwendigkeit, im
Job zu bleiben, und der Zeit für Familie. Wir haben den
Entwurf gerade zur Vorbereitung auf die Anhörung an
die Verbände übersandt. Ich freue mich auf die gemeinsame Anhörung. Denn es geht darum, etwas für die Familien in Deutschland zu tun.
({8})
Es geht auch um Zeit für das Ehrenamt. Ich bin froh,
dass wir endlich eine Perspektive für die Mehrgenerationenhäuser geschaffen haben. 16 Millionen Euro stehen
im Haushaltsentwurf für 2015. Ich sage aber ganz klar:
Das kann nur ein Zwischenschritt sein. Wir haben im
Koalitionsvertrag versprochen, die Mehrgenerationenhäuser auf Dauer abzusichern. Deswegen müssen wir
gemeinsam eine Lösung finden, wie es über 2015 hinaus
weitergeht.
Ein letzter Punkt; dabei geht es um Zeit in einer ganz
anderen Hinsicht. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen,
die Zeit von Menschen, die als Kinder misshandelt wurden, die Unrecht erlitten haben, zum Beispiel in DDRKinderheimen. Diese Zeit geht nie vorbei. Wir können
diesen heute Erwachsenen ihre Kindheit nicht zurückgeben, aber wir können etwas für sie tun: die Folgen dieses
Unrechts lindern. Weil die bisher dafür vorgesehenen Mittel nicht reichten, haben wir den Fonds für die Opfer der
Heimerziehung in der ehemaligen DDR auf 42,7 Millionen Euro aufgestockt. Das ist unsere Haltung, Verantwortung zu übernehmen.
({9})
Da die Zeit nirgends so genau gestoppt wird wie bei
den Reden im Deutschen Bundestag, sage ich jetzt nur
noch: Ich freue mich auf die Beratung des Einzelplans 17.
({10})
Vielen Dank. - Sie müssen aber zugeben: Wir waren
großzügig.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt die Kollegin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Da die Ministerin
mich direkt angesprochen hat, fühle ich mich bemüßigt,
kurz darauf zu reagieren.
Frau Ministerin, Sie haben von den 450 Millionen Euro
gesprochen. Ich habe in mehreren Äußerungen darauf
hingewiesen, dass ich es nicht okay finde, zu suggerieren, das sei frisches Geld. Das ist Geld gewesen, das in
vorangegangenen Haushaltsberatungen zur Verfügung
gestellt worden ist, in vorangegangenen Jahren, nicht
durch diese Koalition, auch nicht im Rahmen der Koalitionsverhandlungen. Es ist ja auch überhaupt nicht möglich, im Rahmen von Koalitionsverhandlungen zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen; das macht immer
noch der Haushaltsgesetzgeber.
Man muss auch darauf hinweisen, dass zu dem Zeitpunkt, als von den 450 Millionen Euro die Rede war,
dieses Geld schon zu fast 100 Prozent bewilligt war; insofern war das kein zusätzliches Geld, das noch ausgegeben werden konnte.
({0})
Das ist das gewesen, was ich immer gesagt habe: dass es
nicht in Ordnung ist und nicht fair ist, zu suggerieren,
dass in dem 6-Milliarden-Euro-Paket der Bundesregierung 1 Milliarde Euro zusätzlich für Kitainvestitionen
enthalten sei.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben jetzt die
Gelegenheit, zu antworten. Sie sehen, der Deutsche Bundestag ist sehr großzügig.
Ja, vielen Dank. - Ich glaube, wenn man über den
Haushalt redet, ist es schon wichtig, dass man sich mit
Zahlen auskennt.
({0})
Fakt ist, Frau Dörner, dass die 1 Milliarde Euro in dieser
Legislatur für den Kitaausbau zur Verfügung stehen. Das
haben wir versprochen, und das halten wir. Sie wissen,
dass die 450 Millionen Euro Ende 2013 in den Haushalt
des Finanzministers abgeflossen wären. Während der
Koalitionsverhandlungen haben wir uns darauf geeinigt
- die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag, aber auch
eine Mehrheit im Bundesrat -, dafür zu sorgen, dass dieses Geld neu zur Verfügung gestellt wird.
({1})
Natürlich hätten wir sehr eitel sein können und sagen
können: Wir lassen das Geld abfließen - damit wird vor
Ort alles gestoppt - und machen dann in der neuen Legislatur mit dem gleichen Geld ein neues Gesetz.
({2})
Das hätten vielleicht Sie so gemacht; aber uns ging es
um die Sache, uns ging es darum, dass es vor Ort zügig
vorangeht.
({3})
Zum Zeitpunkt der Verhandlungen, im Mai 2014, standen - anders als Sie es eben gesagt haben - noch genau
450 Millionen Euro zur Verfügung; die haben wir um
550 Millionen Euro aufgestockt.
Ich würde einfach bitten: Machen Sie inhaltliche Vorschläge, und sorgen Sie nicht mit Zahlendrehereien für
Verwirrung!
({4})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist
Diana Golze, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Erst kurz
vor der parlamentarischen Sommerpause haben wir hier
den Haushalt für das Jahr 2014 beschlossen. Er basierte
auf dem Entwurf, den noch Schwarz-Gelb vorgelegt
hatte. Der jetzt vorliegende Entwurf soll nun die Handschrift von Union und SPD tragen. Hält man sich vor
Augen, welche großen Ziele die SPD hatte, um gerade in
der Familienpolitik solidarischer, gerechter und wirkungsvoller Politik zu machen, dann kann man sich auch
beim zweiten Haushaltsentwurf des Familienministeriums leider nur die Augen reiben. Die Ministerin hat die
Opposition gerade aufgefordert, Vorschläge zu machen.
Ich frage Sie: Wo sind denn Ihre Vorschläge? Wo, Frau
Ministerin, sind die Impulse, die zu einer modernen und
gerechten Gesellschaft führen? Wo sind die Konzepte, um
es wirklich allen Familien - der ganzen Gesellschaft - zu
ermöglichen, sich frei zu entfalten und teilzuhaben? Ich
kann sie auch in diesem Haushaltsentwurf nicht finden,
und ich werde das belegen.
Die Probleme sind seit langem bekannt. Bereits der
Siebte Familienbericht und der 14. Kinder- und Jugendbericht haben die zentralen Fragen deutlich gemacht.
Mit der sogenannten Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen haben Sie eine weitere Studie an die Hand bekommen, die klare Handlungsempfehlungen gibt. Zu diesem Bericht haben Sie sich wie
folgt geäußert, Frau Schwesig - ich zitiere Sie ausnahmsweise einmal -:
Ich freue mich, dass der Abschlussbericht vorliegt.
Hieraus können wir eine Menge lernen: Mit dem
ElterngeldPlus und den Investitionen in die Kinderbetreuung sind wir auf dem richtigen Weg. Es bleibt
aber noch viel zu tun.
({0})
„Hieraus können wir eine Menge lernen“, „Wir sind
auf dem richtigen Weg“ - ich bitte Sie! Der Bericht sagt
zum Beispiel mit Blick auf das Kindergeld, den Unterhaltsvorschuss, auch das Elterngeld - ich zitiere -:
Diese Leistungen können … gleichzeitig mit dem
Arbeitslosengeld II bezogen werden, sie werden jedoch vollständig auf das Arbeitslosengeld II angerechnet.
Soweit ich informiert bin, ändert sich daran auch mit
dem Konzept für das ElterngeldPlus nichts. Weiterhin
bleibt es so, dass arme Eltern vom Elterngeld nicht profitieren werden; Sie ändern auch mit diesem Haushaltsentwurf nichts daran.
Und wo ist der wirkliche Fortschritt beim Ausbau der
Kindertagesbetreuung? Wie lösen wir die Probleme, auf
die zum Beispiel auch der aktuelle Prognos-Bericht hinweist? In diesem Bericht ist die Rede davon, dass nicht
nur die Linke und andere, sondern auch die Eltern darüber reden und vor allem in Bezug auf die Qualität der
Kindertagesbetreuung sagen: Da stimmt etwas nicht, da
muss nachgebessert werden. Wo bitte bleibt denn die
Qualitätsoffensive, die die SPD im Wahlkampf angekündigt hat? Was ist für Sie Kitaqualität? Sind Sie bereit,
Mindeststandards zu definieren - zum Beispiel für Gruppengrößen oder auch für die Gehälter der Erzieherinnen
und Erzieher - und diese dann auch tatsächlich zu finanzieren? Ich finde das im Haushalt nicht.
Der Gesetzentwurf zur Aufstockung des Sondervermögens für den Kitaausbau steht in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung. Den Abgeordneten
liegt er noch nicht vor, aber netterweise steht er auf der
Homepage des Finanzministeriums. Wenn ich dort hineinschaue, dann lese ich, wie die Gelder auf die Bun4750
desländer aufgeteilt werden sollen und wie die technokratische Abwicklung funktionieren soll. Von Kitaqualität ist
darin außer in der Überschrift aber keine Rede.
({1})
Wo bleibt also die Qualität?
Nun streiten wir uns über die zusätzliche Milliarde für
die Kitas. Es wurde eine zusätzliche Milliarde angekündigt; da gebe ich meiner Kollegin Dörner völlig recht.
Aber selbst wenn es eine zusätzliche Milliarde wäre,
würde dieses Geld - das weiß jeder, der Kitaqualität
ernst nimmt - nicht ausreichen, um die Länder und
Kommunen in die Lage zu versetzen, das qualitative Defizit auszugleichen.
({2})
Stattdessen finden wir im Haushalt für 2015 die stattliche Summe von 1 Milliarde Euro für das Betreuungsgeld. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich kann
Ihnen das leider nicht ersparen; aber es ist auch nicht
meine Aufgabe als Opposition, Sie jetzt vier Jahre lang
dafür zu bedauern, dass Sie in der Großen Koalition gefangen sind und dieses Opfer bringen müssen. Ich werde
das auch weiterhin ansprechen. Dieses Betreuungsgeld
ist nach wie vor bildungspolitisch, arbeitsmarktpolitisch
und auch haushaltspolitisch völlig unsinnig.
({3})
Und es geht hier wohlgemerkt um 1 Milliarde Euro für
ein Jahr und nicht um einmalig 1 Milliarde Euro zusätzlich für Bildung für die ganze Legislaturperiode! Wo ist
hier der gerechte Ansatz?
Die Menschen, die davon betroffen sind, wissen, dass
das auch auf das ALG II angerechnet wird. Hier ist nach
wie vor eine Ungleichbehandlung der Familien vorgesehen. Die familienpolitischen Leistungen werden über
den Etat des Familienministeriums finanziert. Dadurch
soll nicht der Etat des Arbeitsministeriums entlastet werden, sondern diese Leistungen sollen die Familien in die
Lage versetzen, über die Runden zu kommen, und sie
sollen ihnen materielle Sicherheit bieten.
({4})
Ich möchte noch ein weiteres Beispiel dafür nennen,
dass die Gleichstellung der Familien eben nicht funktioniert. Schauen Sie sich das Kindergeld an. Solange ich
als Bundestagsabgeordnete und Mutter von zwei Kindern über die steuerliche Entlastung aufgrund des Kinderfreibetrags mehr durch den Staat entlastet und gefördert werde als meine Nachbarin, die im Supermarkt
arbeitet und nur das Kindergeld bekommt, stimmt hier
etwas nicht. Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert
sein, und ich erwarte, dass ein SPD-geführtes Familienministerium hierzu Vorschläge unterbreitet.
({5})
Sie werden aber wohl nicht kommen; denn auch weitere
Förderinstrumente setzen weiterhin auf Unterschiede
zwischen den Familien.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch das Ehegattensplitting ansprechen; auch das ist ein wunderbares
Thema, das uns hier schon seit langem begleitet. Dieses
Ehegattensplitting täuscht vor, dass die Familien gleichbehandelt werden, was aber überhaupt nicht der Fall ist.
Schauen Sie sich zum Beispiel an, dass die steuerliche
Entlastung von Alleinerziehenden ins Verhältnis gesetzt
nicht einmal annähernd so hoch ist wie die von Ehepaaren. Warum ignoriert man darüber hinaus, dass auch
Paare ohne Trauschein Verantwortung füreinander übernehmen? An anderer Stelle wird dies übrigens vorausgesetzt.
Ich habe ja eben schon das Arbeitslosengeld II angesprochen. Hier heißt es: Eheähnliche Gemeinschaften
liegen vor,
wenn die Bindung der Partner so eng ist, dass von
ihnen ein gegenseitiges Einstehen in Not- und
Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann.
Hier setzt man keinen Trauschein voraus, um Bedarfsgemeinschaften zu definieren, die füreinander einstehen
müssen. Hier ist es übrigens auch egal, ob es sich um
gleichgeschlechtliche nichteingetragene Lebenspartnerschaften handelt. Es geht nur darum, dass sie Verantwortung füreinander übernehmen. Vom Ehegattensplitting
profitieren aber eben nur Paare mit Trauschein.
Ich sage: Steuerliche Vorteile aufgrund einer bestimmten Lebens- und Beziehungskonstellation verstärken die Probleme eines ungerechten Leistungssystems.
Familien brauchen eine transparente, verlässliche und
armutsverhindernde Unterstützung, und ich erwarte von
einer Familienministerin, dass sie sich für ein Familienleistungssystem starkmacht, das die Bedürfnisse aller
Familienformen gleichermaßen im Blick hat.
({6})
Das sehe ich bei diesem Entwurf nicht gegeben. Sie
können nur noch zwei Entwürfe vorlegen. Ich glaube, da
haben Sie noch einiges aus den Berichten, die Ihnen vorliegen, zu lernen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt Nadine Schön das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker sehen uns als Anwältinnen und Anwälte der
jungen Generation und auch der nachfolgenden GeneraNadine Schön ({0})
tionen. Deshalb sind wir besonders stolz, dass wir mit
diesem Haushalt einen historischen Haushalt vorlegen,
nämlich den ersten Haushalt ohne neue Schulden.
({1})
- Wenn jetzt der Einwurf von den Linken kommt, das
habe „so einen Bart“, dann wäre es schön, wenn Sie sich
mit uns über diesen Bart freuen würden;
({2})
denn auch Sie müssten sich doch über den ersten Haushalt ohne Neuverschuldung freuen.
Angesichts der Reaktionen der Linken oder auch der
Grünen in den letzten Tagen dachte ich ganz oft: Ich bin
komplett im falschen Film.
({3})
Da wurde doch tatsächlich gesagt, dass man besser noch
ein paar mehr Schulden machen müsse, um zu investieren, und dass das besser als ein ausgeglichener Haushalt
sei; das Falscheste, was wir hier machen könnten, sei ein
ausgeglichener Haushalt. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen nur sagen: Auf Schuldenbergen
kann man keine Zukunft bauen.
({4})
Schulden sind Treibsand. Schulden sind kein festes Fundament. Deshalb ist es gut, dass in diesen Tagen deutlich
wurde, wer hier für was steht. Sie stehen dafür, Schulden
zu machen,
({5})
und zwar nicht zu knapp.
Denken Sie doch einmal an Ihre Familie, an Ihren privaten Haushalt. Es ist okay, Schulden zu machen, etwa
um ein Haus zu bauen, um in die Zukunft zu investieren.
({6})
Aber es ist nicht mehr okay, so viele Schulden anzuhäufen, dass weder Sie für den Rest Ihres Lebens noch die
nächste Generation oder die übernächste Generation finanzielle Spielräume haben werden oder investieren
können, weil alle nur noch damit beschäftigt sind, die
Schulden und die Zinsen für Ihre Schulden abzutragen.
Das ist keine generationengerechte Politik.
({7})
Wir haben gesagt: Wir machen uns auf den Weg, den
Schuldenberg abzutragen. Wir machen im Sinne der
neuen Generation keine neuen Schulden.
({8})
Wir haushalten klug. Klug haushalten heißt zum einen, keine neuen Schulden zu machen. Zum anderen
heißt es aber auch, in die Zukunft zu investieren. Dass
wir in die Zukunft investieren, sehen Sie zum einen am
Bildungshaushalt. Das Volumen des Haushalts des
Ministeriums für Bildung und Forschung von Frau
Wanka - das ist jetzt ein anderes Haus - hat sich von
2005 bis 2015 verdoppelt. Wir investieren allein in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro mehr in Bildung
und Forschung, 6 Milliarden Euro mehr in die Köpfe unserer Menschen, in Zukunft. Wir investieren klug in Zukunft, parallel zum ausgeglichenen Haushalt.
({9})
Auch unser Haushalt ist ein klares Signal an die Menschen in unserem Land, dass wir in Zukunft investieren.
Auch das Volumen unseres Haushalts, des Familienhaushalts, steigt, nämlich um 497 Millionen Euro auf
jetzt 8,45 Milliarden Euro. Das ist ein deutlicher Zuwachs für die Familien in unserer Gesellschaft, für die
Kinder, die Familien, die Senioren, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
({10})
Diese Investitionen sind gut angelegtes Geld. Was uns
leitet - dass Sie, Frau Golze, das kritisieren, finde ich
schon etwas merkwürdig -, ist der Dreiklang - die
Ministerin hat das schon dargestellt - von Zeit, Geld und
Infrastruktur. Diesen Dreiklang haben wir in den letzten
Jahren mühsam erarbeitet. Ich weiß nicht, was es daran
zu kritisieren gibt, dass wir die gute Familienpolitik der
CDU-geführten Regierung der letzten Jahre fortsetzen.
Das war eine gute Politik mit dem Dreiklang von Zeit,
Geld und Infrastruktur. Diese Politik führen wir fort. Wir
haben die richtigen Weichen gestellt. Schade, dass Sie
das kritisieren. Ich glaube, für die Menschen im Land
war es eine gute Politik.
({11})
Wir fangen mit den ganz Kleinen in unserem Land an,
nämlich mit dem Thema Frühe Hilfen. Wir unterstützen
mit über 51 Millionen Euro Netzwerke von Eltern, Jugendhilfe und Ärzten, die dafür sorgen, dass kein Kind
durchs Netz fällt, dass die Kinder unterstützt werden, die
es schwer haben, dass wir die Familien unterstützen, die
bei der Erziehung Begleitung und Unterstützung brauchen.
Wir sorgen dafür, dass die etwas größeren Kinder in
Kitas Bildung und Betreuung bekommen. Ich finde es
schon merkwürdig und auch schade, dass Sie immer die
Kitabetreuung und die familiäre Betreuung gegeneinander ausspielen.
Nadine Schön ({12})
({13})
Beides ist doch wichtig. Wir brauchen ein gutes Elternhaus, wir brauchen Eltern, die Zeit und Liebe für ihre
Kinder haben. Wir brauchen aber auch die flexible Kinderbetreuung.
({14})
Deshalb haben wir den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz formuliert. Wir sorgen dafür, dass der Kitaausbau
in den Kommunen vorangeht.
({15})
Wir sorgen auch dafür, dass er weiter vorangehen
kann, obwohl eigentlich die Länder und Kommunen originär für den Kitaausbau zuständig sind. Auch beim
Thema Qualität sind Länder und Kommunen die zuständigen Ebenen. Wir unterstützen sie, und deshalb haben
wir ein Qualitätsprogramm von 126 Millionen Euro aufgelegt. Sie müssen sich schon an die richtigen Ansprechpartner wenden und vielleicht in den Ländern, in denen
Sie mitregieren, dafür sorgen, dass in die Qualität und
den Ausbau der Kitabetreuung ordentlich investiert
wird.
({16})
Wir investieren in die jungen Menschen in unserem
Land. Das zeigt sich deutlich etwa im Kinder- und Jugendplan, der auf 147 Millionen Euro aufgestockt
wurde. Wir haben die Mittel dafür im letzten Haushalt
um 1 Million Euro erhöht, und das behalten wir auch
bei. Man sieht in diesen Tagen, wie anfällig manche
junge Menschen für extremistisches Gedankengut sind.
Es gibt mehrere Hundert junge Leute in Deutschland, die
freiwillig nach Syrien gehen, um dort in den Heiligen
Krieg zu ziehen. Das ist hier angesprochen worden. Es
sind Jugendliche, die zu schwach waren, der Bedrohung
und den Versprechungen dieser Gruppen zu widerstehen.
Deshalb ist es richtig, dass wir in die jungen Menschen investieren und dafür sorgen, dass es zum einen an
Schulen ein enges Netzwerk gibt, dass es zum anderen
aber auch entsprechende Projekte für Toleranz und Demokratie gibt. Diese dürfen sich nicht nur gegen Rechtsund Linksextremismus in unserem Land richten, was
sehr wichtig ist; wir müssen vielmehr auch verstärkt auf
den religiösen Fundamentalismus schauen und prüfen,
ob wir an der Stelle nicht noch Nachholbedarf in unserem Land haben. Das wird in diesen Tagen ganz besonders deutlich. Es ist ein Anliegen von uns allen, die Projekte dahin gehend zu überprüfen, damit wir die Projekte
in diesem, auch für die jungen Menschen, extrem gefährlichen Bereich ordentlich ausstatten können.
({17})
Wir investieren in junge Familien - das ist, glaube
ich, deutlich geworden - mit einem ganzen Paket von familienpolitischen Leistungen. Das Teuerste, aber auch
das, was die Familien am meisten schätzen, ist das Elterngeld, das wir in der vorletzten Legislaturperiode eingeführt und das wir flexibilisiert haben und in den nächsten Wochen weiter flexibilisieren und attraktiver für
junge Familien machen, damit die Familien selbst entscheiden können, wie sie leben wollen. Der Anspruch
unserer Politik ist, dass sie Beruf und Familie ganz individuell nach ihren Möglichkeiten kombinieren können.
Wir wollen keinem vorschreiben, wie er zu leben hat,
sondern wir wollen ermöglichen, dass junge Paare selbst
Beruf und Familie, Familienarbeit und Erwerbstätigkeit
kombinieren und so leben können, wie es ihrer Situation
am besten gerecht wird. Das ElterngeldPlus ist ein deutlicher Schritt dahin, dass sie das auch machen können.
Deshalb sind 5,4 Milliarden Euro auch sehr gut angelegtes Geld.
({18})
Wir setzen in diesem Jahr einen Schwerpunkt beim
Thema Pflege. Deshalb sind 100 Millionen Euro aus der
Pflegeversicherung für Lohnersatzleistungen für die Familien eingestellt, die plötzlich - das passiert oft ganz
plötzlich - vor einer Pflegesituation stehen und organisieren müssen, dass die Mutter oder der Vater versorgt
wird, sei es in einem Heim oder in der häuslichen Umgebung. Zehn Tage sind ein überschaubarer Zeitraum, aber
man braucht diese Zeit für die Organisation. Außerdem
wollen wir dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die Vereinbarkeit von Pflege und
Beruf umfasst. Deshalb werden wir die Familienpflegezeit weiterentwickeln. Auch hier gibt es einen neuen finanziellen Ansatz im Haushalt. Das elementare Thema
der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist die Herausforderung dieser Legislaturperiode, vor der wir alle stehen, die Herausforderung der nächsten Jahre. Das betrifft so ziemlich jede Familie in unserem Land. Deshalb
müssen wir darauf ein ganz besonderes Augenmerk richten.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir investieren generationsübergreifend viel in Familien, und
wir investieren partnerschaftlich in alle Generationen.
Gleichzeitig sorgen wir aber auch dafür, dass auch die
nächste Generation noch die finanziellen Spielräume
hat, um das umzusetzen, was dann wichtig sein wird und
was wir heute noch gar nicht erahnen können. Das ist in
meinen Augen kluge Politik, die die richtige Balance
zwischen Sparen und Investieren wahrt.
Es ist schade, dass Sie nur darauf setzen, mehr Geld
auszugeben.
({20})
Nadine Schön ({21})
Das würde dazu führen, dass die nächste Generation von
Zinszahlungen erdrückt würde. Dass es dazu kommt,
wollen wir nicht. Das können wir nicht verantworten.
Deshalb wollen wir einen Gleichklang zwischen Sparen
und Investieren.
({22})
Ich freue mich, dass wir das in diesem Haushalt erneut
unter Beweis stellen.
Vielen Dank.
({23})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viel verändert sich am Einzelplan 17 nicht. An sich ist
Beständigkeit gut; sie hat viele Vorzüge, aber im Zusammenhang mit Ihrem Etat, Frau Ministerin, ist das eindeutig zu wenig.
Und Sie, Frau Schön, tun ja gerade so, als ob Konsolidieren und Investieren gegeneinanderstünden.
({0})
Dabei lautet die Botschaft der Opposition, die Sie nicht
verstanden haben, genau umgekehrt: Konsolidieren und
Investieren gehören zusammen.
({1})
Es gibt dabei auch einen dritten Weg, den zu gehen Sie
nicht den Mut haben, einen dritten Weg, der zukunftsgerichtet und nicht vergangenheitsbezogen ist.
Wir legen Ihnen eine lange Liste mit Kürzungen vor,
die rückwärtsgewandte Maßnahmen betreffen, die überholt sind und in die Steinzeit zurückführen. Zum Beispiel im Bereich der Kernforschung könnten wir kürzen,
zum Beispiel bei klimaschädlichen Subventionen könnten wir kürzen, zum Beispiel beim Dienstleistungsprivileg oder beim Deutschlandstipendium, das nicht funktioniert, könnten wir kürzen,
({2})
zum Beispiel beim Betreuungsgeld - warum nicht in die
Kinder investieren, warum in Ideologie investieren? könnten wir kürzen.
({3})
Das so eingesparte Geld könnten wir in zukunftsgerichtete Maßnahmen investieren; denn Investitionen sind
auch eine Anlage in die Zukunft unserer Kinder. Wir
hinterlassen unseren Kindern nicht nur Lasten aus Haushaltsdefiziten, sondern wir hinterlassen unseren Kindern
auch all das, was ihnen Chancen eröffnet - oder eben
auch nicht, wenn es etwa in Schulen hereinregnet. Eine
verpasste Chance ist auch, dass Alleinerziehende keine
Kinderbetreuungsplätze finden, weil uns Ganztagsbetreuungsplätze fehlen, und deshalb nur wenige erwerbstätig sein können. Dass der ursächliche Zusammenhang
mit nach wie vor unzureichenden Betreuungsangeboten
besteht, sagte mir jüngst auch die Regionaldirektion
Bayern der Agentur für Arbeit. Wir wollen auch, dass in
Qualität investiert wird. Wir müssen ernst nehmen, dass
auch das zukunftsgewandt ist. Sie ignorieren das. Konsolidieren und Investieren gehören aber ehrlicherweise
zusammen, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.
({4})
Frau Schwesig, ich habe genau zugehört. Als Mitglied des Haushaltsausschusses habe ich nämlich gelernt, auch auf Details zu hören. Sie wollen uns doch
nicht wirklich hier als Ihr Verdienst verkaufen, dass Sie
bereits zugesagte, bewilligte Mittel in diese Wahlperiode
herübergerettet haben, und sich damit rühmen! Das ist
nicht Ihr Ernst! Das kann gar nicht Ihr Ernst sein, so zu
argumentieren. Sie haben wenigstens zugegeben - dafür
bedanken wir uns sehr herzlich -, dass lediglich
550 Millionen Euro neu dazukommen, dass der Rest
längst bewilligt und längst bereitgestellt worden war. Ich
hätte gerne einmal mitbekommen, wie Sie es hinbekommen haben, das bereitgestellte Geld wieder einzustreichen. Also, Frau Schwesig, das, was Sie nicht hinbekommen, das müssen Sie hier auch nicht behaupten. Was
falsch ist, bleibt falsch.
({5})
Ich komme noch einmal auf das, was Sie eigentlich
vorhaben. Sie sagten, dass es unerlässlich sei, für Qualität in der Versorgung zu sorgen. Sie wollen dazu jetzt
auch einen Gipfel veranstalten. Sie wollen sich mit Ihren
Kollegen aus den Ländern treffen. Ihre Länderkollegen
- Sie waren ja immerhin lange genug Ministerin - sind
mindestens genauso enttäuscht wie Sie, weil ja eigentlich erwartet worden war, dass mindestens 2 von den
6 Milliarden Euro in den Anfang der Bildungskette investiert würden. Herausgekommen sind 550 Millionen.
Ich würde einmal sagen: Sie haben angesichts der
Summe, die Sie jetzt ausgeben, ein bisschen zu viel versprochen. Das müssen Sie jetzt verkaufen.
So ganz erwartungsvoll bin ich, ehrlich gesagt, auch
nicht mit Blick auf diesen Gipfel. Denn was wollen Sie
mit den Ländern voranbringen, was die Länder nicht ohnehin schon ohne Sie tun oder tun könnten? Was wollen
Sie ihnen versprechen? Sie reisen mit leerem Gepäck an.
Sie haben überhaupt keine Finanzmittel. Sie wollen sich
zwar austauschen - fachlicher Austausch ist immer
gut -, aber seien Sie einmal ehrlich: Wir haben keine Erkenntnisdefizite, wir haben Vollzugsdefizite. Dafür brauchen wir die Finanzmittel. Die wiederum nehmen Sie
nicht mit. Machen Sie hier also keine leeren Verspre4754
chungen! Wir brauchen Qualität in diesem Land, und das
mit Entschlossenheit und nicht nur mit leeren Worten.
({6})
Die einzige wirklich gravierende Steigerung in Ihrem
Haushaltsentwurf wird durch das Betreuungsgeld bewirkt. Ehrlich gesagt, ich sage nichts mehr dazu;
({7})
denn das spricht für sich.
({8})
Bei Ihnen fehlt, dass Sie das Problem unserer Zeit
angehen. Kinderarmut, Familienarmut kommt in Ihren
Debatten überhaupt nicht mehr vor. Über die Situation
der Alleinerziehenden verlieren Sie kein Wort. Sie könnten jetzt entschlossen die Familienförderung angehen.
Sie könnten endlich an den Regelsätzen etwas ändern
und die Rechte der Kinder verteidigen. Sie könnten endlich einmal den Mut haben, dieses unsägliche Bildungsund Teilhabepaket zu überarbeiten; denn Sie wissen
doch selber am besten, was für eine überbordende Bürokratie dahintersteckt und dass das Geld nicht bei den
Kindern ankommt. Das könnten Sie, machen Sie aber
nicht. Sie reden von Zeit. Die Zeit haben Sie jetzt als
Ministerin. Handeln Sie, und schauen Sie nicht zu!
({9})
Zuletzt noch ein paar Punkte, die mir wichtig sind:
Einsatz gegen Rechtsextremismus. Sie kommen aus
Mecklenburg-Vorpommern und müssten deshalb wissen,
wie wichtig Mittel hierfür sind. Ich hätte mir da ein
bisschen mehr Geld gewünscht. Wir werden den Antrag
wieder einbringen, die Mittel deutlich zu steigern. Wir
werden genau überprüfen, ob es Ihnen wenigstens gelingt - das ist das Mindeste -, die Mittel zu verstetigen
und aus dieser Projektitis, die Sie hier vollziehen, herauszukommen. Auch die Neukonzeption der Bildungszentren ist, so wie der Freiwilligendienst jetzt angelegt
ist, finanziell gar nicht mehr zu halten. Eigentlich hatte
ich ja gehofft, dass Sie uns dazu etwas vorlegen. Das ist
bisher nicht geschehen. Aber was nicht geschehen ist,
kann ja noch kommen. Da bin ich mal gespannt.
Evaluierung der Frühen Hilfen. Wir beide haben das
einmal gemeinsam verhandelt. Ich glaube, die positiven
Befunde werden uns darin bestätigen. Aber es reicht
nicht, das einmal verhandelt zu haben. Wir haben uns
doch gemeinsam als Rot-Grün erhofft, dass es endlich
einmal dazu kommt, dass das Gesundheitsressort mit
dem Familienressort zusammenarbeitet. Warum machen
Sie das nicht? Die Argumente waren doch auf unserer
Seite. Warum bleiben Sie da so passiv? Wir brauchen gestärkte Beratungsstrukturen in diesem Bereich.
Nicht zuletzt, Frau Ministerin, erwähne ich den Fonds
Sexueller Missbrauch. Ich finde es gut, dass wir als
Bund da das Geld in die Hand nehmen. Frau Präsidentin,
erlauben Sie mir, dass ich einen gemeinsamen Appell
starte, nämlich vom Bundestag an die Länder. Es reicht
nicht, wenn sich nur der Bund engagiert.
({10})
Wir brauchen die Länder. Wir sind nämlich in der
gemeinsamen Verantwortung. Das war ein staatliches
Versagen, und da müssen wir handeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beratungen
über den Haushalt werden spannend. Noch spannender
wäre es, wenn Sie sich dafür auch engagieren würden.
({11})
Danke schön. - Der Kollege Marcus Weinberg hat
jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kollegen!
Konsolidieren, investieren, hin und her - als Ergebnis
bleibt die schwarze Null; die steht. Darauf können wir
stolz sein, weil dies, glaube ich, eine familienpolitische
Errungenschaft für die nächsten Jahre ist; denn es wären
unsere Kinder, die dann möglicherweise neue Schulden
zurückzahlen müssten. Das sollte man in einer solchen
Debatte auch immer erwähnen
({0})
und unterstreichen. Lieber Kollege Hahn, wenn man
mich 1967, als ich geboren wurde, einmal gefragt hätte:
„Was sind drei grundsätzliche Ziele der nächsten
Jahre?“, dann hätte ich gesagt: der Weltfrieden, dass
St. Pauli vielleicht einmal Deutscher Meister wird
({1})
und bitte keine Schulden machen. 45 Jahre lang haben
wir in diesem Land Schulden gemacht. Diejenigen, die
die Schulden abtragen, sind unsere Kinder. Deswegen ist
es eine Errungenschaft, gerade auch vor dem Hintergrund dessen, was wir für Familien und für die kommenden Generationen tun.
({2})
- St. Pauli wird auch nie Deutscher Meister; davon kann
man sich verabschieden. Aber zumindest auf den zuvor
von mir genannten Punkt können wir, glaube ich, dann
auch sehr positiv zurückblicken.
Eine Haushaltsdebatte ist immer eine gute Gelegenheit, Grundsätze der Familienpolitik zu diskutieren, auch
möglicherweise verschiedene Ansätze. Man hat ja bei
der Kollegin der Grünen gemerkt, wie schwierig es ist,
sozusagen kritische Punkte irgendwo herauszuziehen.
Marcus Weinberg ({3})
({4})
Denn gerade angesichts der familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre wird immer deutlicher, dass
wir den richtigen Weg gegangen sind, und zwar im
Sinne der Familien, der Eltern und der Kinder. Vor diesem Hintergrund führen wir die Diskussion. Ich bin der
Ministerin sehr dankbar, dass man, wenn man über familienpolitische Veränderungen diskutiert, vor allem eins
macht: sich ohne den berühmten Blubberschaum vor
dem Mund ruhig und sachlich zu fragen: Wo stehen wir
heute? Welche Zielfunktionen haben wir? Wie kommen
wir dahin?
({5})
Es geht darum, die Vielfalt der Familien anzuerkennen, die einzelnen gesellschaftspolitischen Maßnahmen
einmal zu überprüfen und - in einem dritten Schritt endlich dazu zu kommen, dass wir in diesem Hause und
in der politischen Diskussion alles entideologisieren. Ich
habe es bereits in meiner letzten Rede zu diesem Thema
gesagt: Ihre Rhetorik gegen das Betreuungsgeld, die ich
immer wieder höre, Frau Golze - Entschuldigung -, hilft
den Familien nicht.
({6})
Denn sie entscheiden Dinge für sich; sie sind frei in ihrer
Entscheidung. Im Übrigen nehmen sie das Betreuungsgeld in weiten Teilen sehr positiv an. Für uns sind die
Fragen wichtig: Was wollen die Familien? Wie gehen
die Familien damit um? Ich glaube, „Rabenmutter“ und
„Herdprämie“ sind wirklich Begriffe der Vergangenheit.
Das will man in Deutschland nicht mehr hören.
({7})
Die Vielfalt der Familien und die Veränderungen in
diesem Zusammenhang anzuerkennen und vor allen
Dingen Vertrauen in die Familien zu haben, das sind
unsere Leitmotive familienpolitischen Handelns. Wir
wollen den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben
haben, und ihnen nicht bestimmte Familienmodelle
überstülpen.
Im Übrigen sei bei dem Thema „Vielfalt der Familien“ auch einmal Folgendes angesprochen: Wir sagen
selbst, gerade auch im Rahmen der Bewertung der familienbezogenen Leistungen, dass wir viele verschiedene
Modelle haben - traditionell, verheiratet, mit Kindern,
bis hin zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Dann
führen wir natürlich auch Diskussionen darüber, wie wir
die Leistungen anpassen können. Aber eins ärgert mich
- und da blicke ich auch auf die Grünen mit ihrem sozusagen sehr ideologiebehafteten Ansatz; Stichwort „Ehegattensplitting“ -:
({8})
Auch wir wollen Kinder stärker fördern, indem wir das
Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting erweitern.
Was ich allerdings nicht akzeptiere, ist, dass Sie - und
das ist Ihr Ansatz - sagen: Da, wo Menschen auch ohne
Kinder füreinander Verantwortung übernehmen, soll es
überhaupt keine Unterstützung des Staates geben.
({9})
Nein, auch Ehepaare ohne Kinder sind eine Familie, und
der Staat hat diese zu unterstützen. Ich glaube, das sollte
man im Rahmen dieser Diskussion noch einmal deutlich
machen.
({10})
Ein weiterer Punkt. Der Bericht zu familienbezogenen Leistungen bestätigt unsere Auffassung in vielen
Punkten. Er zeigt aber auch Dinge, die man für die
nächsten Jahre noch durchdenken muss. Eins ist uns aber
wichtig: Familienpolitik kann sich nicht nach Gesichtspunkten ökonomischer Effizienz ausrichten. Es gibt kein
Betriebsoptimum oder -minimum in der Familie; Familienpolitik muss immer auch die besondere Situation der
Familien würdigen. Mit Blick auf die Wirksamkeit kann
man deshalb nicht nur schauen, wohin welche Finanzströme fließen.
Dabei ist für uns in diesem Zusammenhang wichtig:
Wir werden auch Familienmodelle, in denen ein Elternteil nicht erwerbstätig ist, weiter unterstützen. Wenn sich
eine Mutter oder ein Vater - zum Glück - bereit erklärt,
sich in den ersten Jahren nach der Geburt um das Kind
zu kümmern, dann müssen wir das aus unserer Sicht
auch unterstützen.
Bei der Frage nach dem Erfolg von Familienpolitik
muss man auch überlegen, welche Kategorien oder
Parameter man sich eigentlich anschaut. Wir machen
Familienpolitik für die heute lebenden Familien; wir
machen keine Bevölkerungspolitik. Und wir werden uns
bei den Themen „Geburtenrate“ und „Beteiligung beider
Elternteile am Arbeitsmarkt“ sicherlich nicht ausschließlich davon leiten lassen, sondern es sind auch noch andere Punkte wichtig.
({11})
Nun kommen wir zu dem Punkt, den Frau Schön und
auch die Ministerin bereits angesprochen haben: das berühmte Dreieck. Zunächst einmal stellt sich die Frage,
was Familien eigentlich wollen. Von den Familien haben
wir dazu in den letzten Jahren erfahren, dass sie erstens
den Ausbau der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
wollen. Im Übrigen wird das Thema „Vereinbarkeit von
Familie und Beruf“ demnächst durch das Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ abgelöst werden. Aber
ich glaube, für uns als Familienpolitiker ist der Grundansatz, die Voraussetzungen für diese Vereinbarkeit zu
schaffen, wichtig. Neben dem Ausbau der Infrastruktur
geht es ihnen zweitens um ein besseres Zeitmanagement.
Sie wollen mehr Zeit für die Familie haben. Der dritte
Punkt sind bessere Bildungschancen für Kinder gerade
berufstätiger Familien.
Marcus Weinberg ({12})
Dieses Dreieck - erstens Zeitsouveränität für Familien zu generieren, zweitens Infrastruktur auszubauen
und drittens die Familien finanziell abzusichern - ist
unser Leitmotiv in der Familienpolitik.
Ich will nur drei Zahlen zum Bereich der Finanzen
nennen: Die Erhöhung des Kindergeldes zu Beginn der
letzten Legislaturperiode hat bewirkt, dass 1,26 Millionen Familien nicht von SGB-II-Leistungen leben müssen. Der Kinderzuschlag bewahrt 110 000 Familien davor, Grundsicherung beantragen zu müssen. Und mit
dem Elterngeld ermöglichen wir es jungen Familien,
mehr Zeit miteinander zu verbringen. Darüber hinaus
reduziert es das Armutsrisiko junger Familien um rund
10 Prozentpunkte im ersten Lebensjahr des Kindes und
verhindert bei fast 100 000 Familien das „Abrutschen“
in den SGB-II-Bezug.
Wir geben über 5 Milliarden Euro für diese Leistungen, insbesondere auch für das Elterngeld, aus. Deswegen ist es richtig und konsequent, nach dem ersten
Schritt - Einführung des Elterngeldes - jetzt den zweiten
Schritt zu gehen: mehr Flexibilität, mehr Zeitsouveränität mit dem ElterngeldPlus. Wir sind froh, dass wir im
Herbst dieses Jahres gemeinsam den entsprechenden
Gesetzentwurf dazu verabschieden können. Damit verbunden ist auch das Thema Partnerschaftsbonus und die
Flexibilisierung der Elternzeit. Das heißt, dass jetzt von
den insgesamt 36 Monaten Elternzeit 24 Monate bis zum
achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen
werden können.
Das sind die Wünsche der Eltern, und die Politik hat
sich dann auch tatsächlich werteorientiert daran ausgerichtet, ohne beliebig zu sein und dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Das sind Veränderungsprozesse, die langfristig wirken und auf die wir richtigerweise schon vor
Jahren reagiert haben, indem wir die Weichen gelegt
haben, die jetzt noch einmal neu gestellt werden.
Ein weiterer Punkt ist die Erfolgsgeschichte beim
Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Es
wurde lange über die einzelnen Zahlen diskutiert. Was
ist denn entscheidend? Entscheidend ist, dass wir einen
Rechtsanspruch auf Krippenbetreuung eingeführt haben
und dass wir den Ländern jetzt 550 Millionen Euro mehr
für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung stellen können. Noch viel entscheidender ist - stimmt die
Steigerung von „entscheidend“ so? -, dass wir den Ländern 100 Millionen Euro extra für die Betriebskosten
beim Betreuungsausbau zur Verfügung stellen. Insgesamt sind es 945 Millionen Euro jährlich.
Jetzt komme ich zu einem Thema, das die Ministerin
auch angesprochen hatte. Wir übernehmen, glaube ich,
sehr viel. Was machen eigentlich die Länder? Es gibt
Bundesländer wie das kleine und sicherlich nicht so reiche Bundesland Bremen, die einen Betreuungsschlüssel
von 1,1 zu 3,2 hinbekommen. - Frau Präsidentin?
Die Kollegin Brantner möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Ich wollte Sie nur den Gedanken zu Ende
führen lassen. Gestatten Sie die Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Kollegin Brantner.
Sie haben gerade noch einmal die zusätzlichen Gelder
für die Kitas angesprochen. Wir wollen zu der Frage,
was zusätzlich ist und was man noch hätte ausgeben
können, darauf hinweisen, dass schon am 11. Oktober
2013 84 Prozent der Mittel bewilligt waren. Hätten Sie
den Kommunen gesagt: „Die Gelder nehmen wir Ihnen
übrigens wieder weg. Sie haben zwar schon angefangen.
Aber die Gelder bleiben nicht bei Ihnen; sie kommen
den Straßen zugute“?
Von daher finde ich es ziemlich frech, zu sagen, dass
Sie in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben,
diese Gelder jetzt doch den Kommunen zu geben. Zu
diesem Zeitpunkt waren sie zu 84 Prozent bewilligt. Sie
hätten allen Kommunen sagen müssen: Das Geld gibt es
jetzt doch nicht.
Jetzt ist die Frage an Sie, ob Sie wirklich immer noch
darauf beharren, dass es 1 Milliarde Euro zusätzlich
sind?
({0})
Das habe ich gar nicht gesagt. Ich komme noch einmal auf die Ausgangssituation zurück: Wir beschließen
den Haushalt. Bei allem Respekt, das macht nicht die
Ministerin. Wir sind der Gesetzgeber. Am Ende der
Legislaturperiode wären die Mittel wieder zurückgeflossen. Dann haben wir gesagt: Es gibt aber weitere
Bedarfe. Jetzt ergibt sich in der Gesamtsumme dessen,
was bereitgestellt wird - nämlich 450 Millionen Euro
plus 550 Millionen Euro -, 1 Milliarde Euro. Wir könnten jetzt Hauptseminare über Lyrik und darüber machen,
wie sich die Summe genau zusammensetzt.
({0})
Entscheidend ist doch, dass wir es schaffen, die Bedarfe
der Kommunen in den nächsten Jahren zu decken. Mit
der Schichtung 220 Millionen, 230 Millionen und
100 Millionen bekommen wir es hin, bis 2017/2018 die
höheren Bedarfe zu decken.
Insoweit ist für mich wichtig, dass das Kind, das von
dieser ganzen Diskussion nichts mitbekommt, in der
Krippe einen Platz hat. Das ist unser Ziel, und das erfüllen wir auch.
({1})
Zum Schluss will ich auf das Thema Qualität zu sprechen kommen, weil das für uns ein entscheidender Punkt
ist. Ich bitte, zu überlegen, wo wir Qualitätsansätze
Marcus Weinberg ({2})
haben. Dafür sind auch die Länder mitverantwortlich.
Ich finde es gut und wichtig, dass man mit den Ländern
darüber verhandelt. Das Beispiel Bremen habe ich schon
angesprochen. Ich kann auch mein Heimatbundesland
nennen. Dort gibt es zurzeit keine Kitagebühren mehr;
sie wurden abgeschafft. Man hätte auch 2 000 Erzieherinnen einstellen und den schlechtesten Betreuungsschlüssel in ganz Westdeutschland etwas verbessern
können. Aber die Regierung in Hamburg hat gesagt:
Nein, wir wollen, dass sich auch nicht so gut Verdienende einen Kitaplatz erlauben können. - Das müssen
die Länder entscheiden.
Unsere Vorgabe ist: Qualität ist eine klare Zielfunktion. Dabei sind die Länder in der Verantwortung.
Abschließend ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass
wir in weiten Teilen dieser familienpolitischen Maßnahmen schon sehr gute Wege gehen, aber die Frage von
Bildungsimplikationen gerade im frühkindlichen
Bereich weiterverfolgen werden. Die Mittel für Frühe
Hilfen - dazu könnte man viel sagen - werden verstetigt.
Zu nennen ist auch der gesamte Bereich des Ehrenamts.
Aber wir haben zum Glück noch viele gute Redner, die
das auch noch darstellen werden.
Insoweit ist dieser Haushalt mit der großen runden
Null tatsächlich ein guter Haushalt. Ich verzichte gerne
darauf, dass St. Pauli Deutscher Meister wird,
({3})
wenn wir diese Null auch die nächsten 20 Jahre halten
können.
Insoweit vielen Dank und gute Beratung.
({4})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin für die Fraktion Die
Linke ist die Kollegin Petra Pau.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am kommenden Sonntag wird es in Berlin eine Kundgebung geben - eine beeindruckende, so hoffe ich. Ihr
Motto ist: „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ Anlässe
dafür gibt es viele, leider viel zu viele. Ich gehe davon
aus, dass sich viele von uns dort treffen, über alle Fraktionsgrenzen hinweg.
({0})
Denn der gemeinsame Kampf aller Demokratinnen und
Demokraten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus hat nur eine Chance, wenn er nicht parteipolitisch geführt wird.
Das war übrigens auch das Grundverständnis im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur NSU/Nazimord- und -raubserie sowie zum Staatsversagen. Entsprechend einhellig wurde der Abschlussbericht mit
rund 50 konkreten Schlussfolgerungen getragen. Eine
Schlussfolgerung lautete: Die Förderung von Initiativen
gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist unzureichend. - Also stellt sich die Frage, ob der
aktuelle Haushaltsansatz Besserung in Aussicht stellt.
Da sage ich für die Linke: Leider nein.
Grob gesagt, gab es im Untersuchungsausschuss drei
Kritiken:
Erstens. Die Fördermittel für Initiativen gegen
Rechtsextremismus und für Opferberatung sind zu gering, allemal in den westlichen Bundesländern. Das ist
kurzsichtig.
Zweitens. Rechtsextremismus und Rassismus sind
Dauerprobleme. Initiativen dagegen werden aber nur
kurzatmig und kurzfristig unterstützt. Das ist unangemessen.
Drittens. Die sogenannte Extremismusklausel stellt
Demokratieinitiativen unter den Generalverdacht, verfassungsfeindlich zu sein. Das ist kontraproduktiv.
So weit die gemeinsamen Schlussfolgerungen des Berichts.
Welche Antworten bietet nun der aktuelle Haushaltsplan?
Erstens. Im Wahlkampf 2013 hatte die SPD 70 Millionen Euro pro Jahr gefordert. Geblieben sind im aktuellen Finanzplan 30 Millionen Euro. Da diese 30 Millionen Euro zudem mehr Initiativen, allemal in den
westlichen Bundesländern, zugutekommen sollen - was
wir natürlich begrüßen -, bedeutet das aber unter dem
Strich minus statt plus. Die Linke bleibt dabei: Vonnöten
sind mindestens 50 Millionen Euro.
({1})
Zweitens. Die gesellschaftlichen Initiativen gegen
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus
werden weiter zum Hecheln genötigt. Wieder und wieder müssen sie bürokratisch ihre Berechtigung nachweisen. Ich sage: Das klaut Zeit und verplempert Kompetenz. Übrigens: Vor Jahren hatte Wolfgang Thierse
alternativ für ein Stiftungsmodell plädiert. Diese gute
Idee ist wieder weg. Ich finde, wir sollten ihr treu bleiben. Die Linke ist es jedenfalls.
({2})
Drittens. Es gibt einen künstlichen Dauerstreit, welche Extremisten gefährlicher seien. Die SPD sagt: die
von rechts. Die Union kontert: die von links. - Nun haben Medien berichtet, dass die Innenministerkonferenz
eine Studie über Linksextremismus in Auftrag gegeben
hat. Ergo hat die Linksfraktion gefragt: Was soll dort untersucht werden? Welche Anhaltspunkte gibt es? Welche
Fragen werden gestellt? Welchen Anteil und welche Erwartungen hat an alledem die Bundesregierung? - Die
schriftliche Antwort des Bundesinnenministeriums lautet, das alles sei streng geheim und nichts für Abgeordnete. Ich finde das weder geheimnisvoll noch erklärend,
sondern weltfremd und arrogant.
({3})
Abschließend zur Erinnerung: Exakt heute vor
14 Jahren wurde Enver Simsek hingerichtet. Er war das
erste NSU-Opfer.
Überhaupt erleben wir seit längerem einen gesellschaftlichen Rechtsruck. Wissenschaftler warnen seit
langem davor. Es ist höchste Zeit, dass wir gemeinsam
dagegen vorgehen und dass sich das auch im Haushalt
widerspiegelt.
({4})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Sönke Rix, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Vizepräsidentin und Kollegin, die Sie gerade
vor mir gesprochen haben, ich bin der Ministerin
Manuela Schwesig dafür dankbar, dass sie die aus dem
NSU-Bericht zu ziehenden Schlussfolgerungen wirklich
tatkräftig angeht. Dafür herzlichen Dank, Manuela
Schwesig!
({0})
Sie haben gerade mehrere Forderungen aufgezählt,
Stichwort „Extremismusklausel“, Stichwort „Kontinuität
der Programme“. Wenn man heute mit Vertretern der Zivilgesellschaft redet, dann stellt man erst einmal fest,
dass sie schon allein dafür dankbar sind, dass sie in einer
anderen Art und Weise empfangen und gehört werden
und an der Erarbeitung der Programme intensiv beteiligt
werden. Das ist wirklich eine Stärkung der Zivilgesellschaft, und dafür herzlichen Dank!
({1})
Ich gebe Ihnen recht: Sämtliche Forderungen des
NSU-Untersuchungsausschusses sind mit diesem Haushalt und in diesem Jahr noch nicht umgesetzt worden.
Aber damit, aus der Hüfte zu schießen, insbesondere was
die Kontinuität der Finanzierung der Arbeit gegen
Rechtsextremismus angeht, wäre der Zivilgesellschaft
und dem Kampf gegen Rechtsextremismus auch nicht
geholfen.
({2})
Ich bitte, eher eine gute als eine schnelle Lösung auf den
Markt zu bringen.
({3})
Über mehr Mittel dafür müssen wir im parlamentarischen Verfahren noch diskutieren. Es ist immer noch so
- ich stehe als ehemaliges Mitglied dieses Untersuchungsausschusses dazu -: Wir brauchen mehr Mittel im
Kampf für Demokratie und Toleranz. Auch wenn die
Regierung uns aktuell noch keine große Steigerung vorgelegt hat, gilt: Wir als Parlament sind der Haushaltsgesetzgeber, und es lohnt sich, in den Verhandlungen für
eine solche Steigerung zu streiten.
({4})
Ich will nun auf einen Streit eingehen, der in den bisherigen Reden des Öfteren und auch zu Recht angesprochen worden ist. Wir haben das erste Mal seit Jahren
wieder einen ausgeglichenen Haushalt. Nun können die
Grünen und die Linksfraktion natürlich wieder sagen:
Oje, jetzt fängt der auch damit an.
({5})
Es ist aber nicht so, dass die Grünen und auch die Linksfraktion dort, wo sie in Landesparlamenten und kommunalen Parlamenten Verantwortung tragen, nicht genauso
stolz darauf sind, wenn so etwas passiert. Frau Golze hat
es vorhin übrigens angedeutet: In Brandenburg, wo die
Linke an der Regierung beteiligt ist, gibt es ebenfalls einen ausgeglichenen Haushalt. Darauf können Sie auch
stolz sein, und auch wir sind stolz darauf, dass wir diesmal hier das Gleiche geschafft haben.
({6})
Gönnen Sie uns das!
Ähnliches kenne ich aus Schleswig-Holstein: Die
dortige grüne Finanzministerin ist die Erste, die darauf
achtet, dass die Entwicklung in Richtung eines ausgeglichenen Haushalts verläuft. Es ist doch vernünftig, dass
die Grünen dazu stehen. Ich finde, das können sie ruhig;
darauf kann man auch stolz sein. Lasst uns doch die
Freude darüber, dass uns das erstmals gelungen ist; denn
das ist ein gutes Zeichen, ein Ausdruck guter Politik.
({7})
Das gilt insbesondere mit Blick auf die junge Generation. Deren Interessen zu berücksichtigen, ist ein Argument all derjenigen, die froh sind, wenn sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. Dass uns als
Familien-, Kinder- und Jugendpolitiker ein ausgeglichener Haushalt besonders freut, ist nichts Verkehrtes. Im
Gegenteil: Wir wissen, dass wir wieder Spielraum für
neue Zukunftsinvestitionen schaffen werden.
Wir vollbringen eine Doppelleistung. Schuldenabbau
und Zukunftsinvestitionen sind ja kein Gegensatz. Dieser Haushalt leistet beides. Das ist schon etwas, was man
an dieser Stelle erwähnen muss. Gerade wir, die wir in
diesem Bereich aktiv sind, müssen darauf achten, dass
wir alle Generationen und damit die Generationengerechtigkeit im Blick haben. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir den jüngeren Generationen weniger Schulden hinterlassen, sondern auch um das, was wir für das
aktuelle Zusammenleben der Generationen tun: Wir investieren. Wir haben zusätzliches Geld in die Hand genommen, um die Mehrgenerationenhäuser - einen Ort,
wo sich Generationen treffen - bis 2015 auszufinanzieren.
({8})
Ein weiterer Streit hat hier eine Rolle gespielt: ob
1 Milliarde Euro nun 1 Milliarde Euro sind oder nicht.
Natürlich sind 1 Milliarde Euro 1 Milliarde Euro. Auch
die Kollegen der Grünen und der Linkspartei sollten zugeben: Würden Sie eine größere Summe in Ihrem Zuständigkeitsbereich in die Hand nehmen und tatsächlich
in Bildung und Betreuung investieren, dann wären auch
Sie froh darüber; denn jeder Cent, jede Million Euro und
damit auch die 1 Milliarde Euro sind gut. Wir freuen uns
darüber, dass wir dieses Geld investieren. Ich bin gespannt darauf, wie die einzelnen Landesregierungen mit
diesem Geld umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Denn auch da tragen Sie Verantwortung, zum Beispiel in
Brandenburg; rot-grüne Regierungen gibt es glücklicherweise auch noch genügend. Abgesehen davon bin ich
froh, zu sehen, dass es sich um so viel Geld handelt.
Wir haben weitere Aktivitäten vor uns. Zeitmanagement ist ein Schwerpunkt in unserer Arbeit. Hierbei geht
es um zwei größere Projekte - wir haben darauf hingewiesen -: zum einen um das ElterngeldPlus, um die
Flexibilisierung der Zeit für Familien im Zusammenhang mit Berufstätigkeit, sowie zum anderen um die Familienpflegezeit. Wir werden diejenigen sein, die es endlich schaffen, Berufstätigkeit und Familienpflegezeit
unter ein Dach zu bekommen, indem wir ein gutes Angebot für Angehörige von zu Pflegenden schaffen, damit
sie Zeit haben, sie zu betreuen oder zu pflegen. Dieses
Projekt ist ein zusätzlicher Schritt, eine flexiblere Arbeitszeit für Angehörige von zu Pflegenden zu schaffen.
Darüber sind wir auch froh, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Natürlich werden wir uns als Große Koalition mit
dem Thema „familienpolitische Leistungen“ auseinandersetzen. Es ist nicht so, dass das Forschungsprojekt
dazu in der Schublade landet und dann nichts damit passiert. Es ist aber auch so - da müssen wir ehrlich sein -,
dass wir zwei Koalitionspartner haben, die nicht in allen
Punkten, die in dem dazu vorliegenden Bericht empfohlen werden, die gleiche Meinung haben. Aber wir sind
bereits gemeinsame Schritte gegangen. Ich bin mir sicher, dass wir weitere gemeinsame Schritte gehen werden.
Allein das, was in diesem Bericht über die Betreuung
und die Elternzeit gesagt wurde, zeigt uns, dass wir auf
dem richtigen Weg sind. Der Bericht enthält ja keine
Pauschalkritik an der aktuellen Regierungspolitik, sondern viele unterstützende Worte für unsere Politik. Diese
Politik werden wir auch nach dem Vorliegen des Berichts zu den familienpolitischen Leistungen fortsetzen.
Ich hoffe, dass wir bei den Haushaltsberatungen wieder
gemeinsam darüber streiten und am Ende zu guten Ergebnissen kommen.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Ulle Schauws,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde jetzt nichts mehr zur
schwarzen Null sagen. Das Einzige, was ich dazu sage,
ist: Es fällt schon sehr auf, wie lange und ausführlich Sie
diese schwarze Null immer noch rechtfertigen.
({0})
Frau Ministerin Schwesig, Sie haben Ihr Amt als
Bundesfrauenministerin mit dem Anspruch angetreten,
nach jahrelangem Stillstand endlich Politik für die
Frauen in diesem Land zu machen,
({1})
die Situation für sie wirklich zu verbessern, sei es bei der
Gleichstellung, beim Schutz vor Gewalt oder bei einer
gerechten Verteilung der Einkommen. Das haben wir als
Opposition auch sehr begrüßt. Aber ich bin jetzt eher
enttäuscht; denn passiert ist bisher leider sehr wenig.
Das bildet sich auch in Ihrem Haushalt ab: nicht viel
Neues, sondern im Wesentlichen eine Fortschreibung
des Haushalts von Schwarz-Gelb.
Mit großer Verve hatten Sie die Einführung einer
Frauenquote angekündigt: Man müsse nur richtig dafür
kämpfen, dann würde die Quote auch kommen. Das waren Ihre Worte. Richtig ist, die Frauenquote wird kommen - endlich.
Frau Ministerin, ich will Ihnen ganz klar sagen: Wenn
dieses Quotengesetz die Frauen nach vorne bringen
würde, wenn es mit einer gerechten Partizipation der Geschlechter in den Aufsichtsräten der Unternehmen und
den Bundesgremien Ernst machen würde, dann hätten
Sie unsere volle Unterstützung. Sie wollten eine Quote,
die die Arbeitswelt verändert. Aber Ihre Quote war
schon in Ihrem letzten Entwurf nur ein Quötchen. Sie
kündigen eine Quote für Aufsichtsräte von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen für Neubesetzungen ab 2016 an. Wir reden damit über Aufsichtsräte von
rund 100 Unternehmen. Noch weniger Quote wäre doch
ernsthaft gar nicht möglich gewesen.
({2})
Wir wollen dagegen eine Quote für 3 500 Unternehmen,
und zwar für börsennotierte oder mitbestimmte. Wir
wollen, dass sich in diesem Land wirklich zügig etwas
ändert.
Nun haben Sie den neuen Entwurf nochmals abgespeckt: Es wird nicht nur in den Aufsichtsräten - da war
ja auch kein Fett mehr dran -, sondern nun auch in jedem Unternehmen doch kein weibliches Vorstandsmitglied geben. Gleichstellungsbeauftragte, die es ursprünglich bereits ab 50 Beschäftigte geben sollte, soll es jetzt
nur noch in Dienststellen ab 100 Beschäftigte geben.
Auch die für das Bundesgremienbesetzungsgesetz
vorgesehene Quote haben Sie deutlich abgeschwächt:
Erst sollte eine Quote von 50 Prozent für alle Gremien
gelten; jetzt kommt eine Quote von 30 Prozent ab 2016,
die Quote von 50 Prozent erst ab 2018. So, Frau Ministerin, werden die öffentlichen Unternehmen keine Vorbildfunktion gegenüber der Privatwirtschaft übernehmen.
({3})
Stattdessen, Frau Schwesig, sind Sie vor der Wirtschaft
und der Union eingeknickt.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Da verstehe ich auch
Sie, meine Kolleginnen von der Union, nicht. Ich
möchte dabei direkt Frau von der Leyen ansprechen - sie
ist gerade nicht da. Noch in der letzten Legislaturperiode
hatten wir doch eine Mehrheit; wir hatten sie im Bundesrat, und wir hätten sie auch im Bundestag gehabt. Viele
von Ihnen haben damals die von den Grünen initiierte
Berliner Erklärung unterzeichnet. Aber offenbar haben
Sie, liebe Kolleginnen, nun Angst vor Ihrer eigenen
Courage. Schade, dass Sie Ihre Mehrheiten in der Großen Koalition nicht nutzen! Jetzt hätten Sie die Chance,
bei der Gleichstellung und bei der Quote gemeinsam zu
gestalten.
({4})
Meine Damen und Herren von der Koalition, dringender Handlungsbedarf besteht auch bei den Einkommensunterschieden bei Männern und Frauen. Die aktuelle
DIW-Studie hat es gerade drastisch aufgezeigt: Frauen
verdienen in unserem Land seit Jahren durchschnittlich
22 Prozent weniger als Männer. Das allein ist schon ein
Skandal. Aber neu und erschreckend ist, dass Frauen tatsächlich nur über ein halb so hohes Bruttoeinkommen
verfügen wie Männer - und das über alle Einkommensarten hinweg gerechnet. Darum brauchen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, endlich ein Entgeltgleichheitsgesetz. Gleicher Lohn für
gleiche oder gleichwertige Arbeit - darum muss es gehen.
({5})
Nur mit verbindlichen Regelungen können Sie die Entgeltdiskriminierung überprüfen oder beseitigen. Allein
mehr Transparenz herzustellen, reicht beileibe nicht aus.
Das Ehegattensplitting ist für die Einkommensunterschiede ein wichtiger und besonders negativer Faktor, so
das DIW. Selbst die Evaluation, die Ihr eigenes Haus in
Auftrag gegeben hat, kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: Das Ehegattensplitting hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Es führt zu starken negativen Erwerbsanreizen für die Zweitverdiener, in der Regel die Frauen oder
Mütter. Und Sie, Frau Ministerin, wollen nun daran festhalten? Damit ignorieren Sie völlig, dass das Splitting
nicht nur negative Erwerbsanreize für Frauen schafft,
sondern auch an Millionen von Familien mit Kindern,
bei denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind,
und an Alleinerziehenden vorbeigeht. Wir Grüne wollen
und werden das Leben mit Kindern fördern und eben
nicht den Trauschein, Herr Kollege Weinberg - er ist
auch nicht mehr da. Deshalb muss das Ehegattensplitting
abgeschmolzen werden.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte am
Schluss noch etwas zum Schutz von Frauen vor Gewalt
sagen. Wir alle wissen, dass die Reform des Sexualstrafrechts ansteht. Hierzu gehört auch eine Überarbeitung
des § 177 Strafgesetzbuch, des sogenannten Vergewaltigungsparagrafen. Bisher gilt, dass die Opfer einer Vergewaltigung nachweisen müssen, dass sie sich aktiv zur
Wehr gesetzt haben. Ich meine, dass ein Nein ein Nein
ist. Nach Artikel 36 der Istanbul-Konvention, die
Deutschland unterzeichnet hat, sind alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Ich fordere Sie von der Bundesregierung daher eindringlich auf: Setzen Sie die Istanbul-Konvention jetzt
auch um, schließen Sie diese Strafrechtslücke! Denn für
eine Frau, die Opfer einer Vergewaltigung geworden ist,
ist es wichtig, dass sie das Recht auf ihrer Seite weiß.
Vielen Dank.
({7})
Danke schön. - Sylvia Pantel ist jetzt die nächste
Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir rechtfertigen nicht
die „schwarze Null“, die wir endlich erreicht haben, sondern wir feiern sie, weil wir 46 Jahre dafür gebraucht haben, dass wir sie endlich erreichen, dass wir mit dem
Geld auskommen, das wir einnehmen. Wir setzen dann
auch die richtigen Akzente.
Der Schuldenabbau hat in den vergangenen Jahren
große Anstrengungen erfordert. Diese Anstrengungen
sind wir unseren zukünftigen Generationen schuldig. Ich
komme aus Düsseldorf. Als die CDU 1999 die politische
Verantwortung übernahm, war Düsseldorf mit 1,6 Milliarden Euro verschuldet. Durch kluge Finanzpolitik und
nachhaltige Investitionen sind wir seit 2007 schuldenfrei. Der Schuldenabbau in Düsseldorf trägt unsere
Handschrift; denn wir wollen zukünftige Generationen
vor Schulden und Steuererhöhungen bewahren. Wir haben in meiner Heimatstadt schwarze Zahlen geschrieben
und sehr wohl in Kindergärten und Schulen investiert.
Die Haushaltspolitik in NRW trägt nicht die Handschrift
der CDU.
({0})
Die Steuereinnahmen wachsen, die Schulden aber leider
auch.
Wir dürfen und wollen keine Schuldenberge hinterlassen. Die Gesamtverschuldung des Bundes wurde
schon in diesem Jahr um 0,8 Prozent abgebaut. Gleichzeitig investieren wir in Deutschlands Zukunft, in unsere
Familien. Familien brauchen eine verlässliche Absicherung, eine für ihre Lebensentwürfe passende Infrastruktur und ein flexibles Zeitmanagement, um partnerschaftliche Vereinbarungen treffen zu können.
Der Etat des Familienministeriums zeigt wieder sehr
deutlich: Wir setzen politische Schwerpunkte, um ein
selbstbestimmtes Familienleben zu ermöglichen. Dafür
herzlichen Dank!
({1})
Wir investieren in bessere Rahmenbedingungen für Familien. Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie, Pflege
und Beruf ein zentraler Punkt. Wir wollen den Familien
selbst die Wahl überlassen und sie dabei nicht überfordern. Dies ist ein klares Bekenntnis für eine kluge, nachhaltige Familienpolitik für Deutschland.
Ich möchte Ihnen die drei politischen Schwerpunkte
nennen, die ich in meiner Rede besonders hervorheben
möchte: die Wahlfreiheit der Familien bei der Kinderbetreuung, das Zusammenleben von Jung und Alt und die
Stärkung demokratischer Strukturen.
Die Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Artikel 6 des Grundgesetzes das natürliche Recht und die
Pflicht der Eltern. Ein Staat hat die Eltern nicht zu bevormunden. Die meisten Eltern können und wollen eigenständig entscheiden, wie ihr Leben mit Kindern aussehen soll, wie sie es gestalten. Sie brauchen dafür
unterschiedliche Angebote und unterschiedliche Strukturen, so, wie die Lebensmodelle eben auch unterschiedlich sind. Damit die Familie eine freie Entscheidung
über die Betreuungsform für ihre Kinder treffen kann,
gibt es das von Ihnen nicht geliebte Betreuungsgeld in
Höhe von 150 Euro monatlich.
({2})
- Ja, aber ohne Unterstützung.
({3})
Dies ist ein wichtiges Signal und eine Anerkennung der
Erziehungsleistung der Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen.
({4})
- Auch.
({5})
- Hören Sie sich doch erst den Rest an, bevor Sie sich
aufregen! Eins nach dem anderen!
({6})
- Das ist doch nicht wahr, was Sie erzählen. Da, wo wir
Verantwortung haben, zeigen wir das auch.
({7})
Das Statistische Bundesamt hat die Zahlen genannt:
Ende Juni wurde für fast 225 000 Kinder Betreuungsgeld ausgezahlt.
({8})
- Klar! - Das sind schon 79 000 Anträge mehr als in den
ersten drei Monaten. Paare sollen sich nicht deshalb zwischen Beruf und Kinderwunsch entscheiden müssen,
weil es keine Betreuungsangebote gibt. Wir fördern die
staatliche und die private Kinderbetreuung. Es muss
endlich aufhören, dass die eine Betreuungsleistung gegen die andere ausgespielt wird.
({9})
- Das machen Sie doch gerade wieder.
({10})
Die Kosten für die staatliche Betreuung in der Kita, die
weit höher ausfallen, werden auch von allen Steuerzahlern getragen.
({11})
- In Düsseldorf ist die Betreuung von Kindern ab drei
Jahren im Kindergarten beitragsfrei.
({12})
Dort, wo wir Verantwortung tragen, machen wir das
schon. Machen Sie es dort, wo Sie Verantwortung tragen, auch.
Wir haben das bestehende Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millionen Euro aufgestockt.
Im Haushalt steht 1 Milliarde Euro zur Verfügung, um
die Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige weiter
auszubauen. Seit 2013 sind die Leistungen vom Bund
für Eltern und Familien stetig gestiegen. Eltern hatten
noch nie so viele Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung
ihres Lebens mit Kindern wie heute.
Mit dem Elterngeld, dem Betreuungsgeld und dem
zukünftigen ElterngeldPlus unterstützen wir die verschiedenen Lebensmodelle von Familien - ohne Wertung des Staates. Wir sorgen dafür, dass Familie und Beruf besser vereinbart werden können. Im Rahmen des
Elterngeldes stehen 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung.
Mit dem ElterngeldPlus wollen wir die Möglichkeit
schaffen, sich mehr Zeit für die Kinder zu nehmen, um
die Bindung zwischen Eltern und Kindern zu festigen.
Damit schaffen wir eine gute Grundlage für ein generationenübergreifendes Zusammenleben.
Nelson Mandela sagte einmal: „Wie human eine Gesellschaft ist, das zeigt sich an ihrem Umgang mit Kindern und Alten.“ - Wir wollen eine humane Gesellschaft. Das Modell Mehrgenerationenhaus feiert in
diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Ich bin Ihnen,
Frau Ministerin, dankbar, dass Sie, genau wie wir auch,
die Finanzierung langfristig sichern möchten.
({13})
Derzeit werden circa 450 Mehrgenerationenhäuser mit
ihren Angeboten gefördert, und wir sorgen dafür, dass
die Förderung auch im nächsten Jahr steht.
({14})
Jung und Alt können sich bei unterschiedlichen Angeboten austauschen, einen Zugang zueinander finden und
voneinander lernen. Wir brauchen in Zukunft Planungssicherheit. Diese ist hoffentlich, wenn wir alle zusammenstehen, für die nächsten Jahre gesichert.
Damit alle Menschen in Deutschland friedlich und
gemeinschaftlich zusammenleben können, müssen wir
Toleranz und Demokratie stärken. Wir fördern demokratische Strukturen und treten entschlossen gegen extremistische Positionen auf. Die Freiheit hört da auf, wo die
Freiheit des anderen eingeschränkt wird.
({15})
Mit 30 Millionen Euro - wir meinen, dass dies ausreicht - werden ab Januar 2015 Maßnahmen gegen
Extremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit unterstützt. Extremismus hat aber viele Gesichter. Die Gefahren, die von Antisemitismus, Rassismus und militantem
Islamismus ausgehen, sehen wir gerade in diesen Tagen
auch in unserem Land, und man sollte diese ernst nehmen.
({16})
Wir wollen keine extremistischen Strömungen, sondern
mehr Toleranz und ein gestärktes Demokratieverständnis.
({17})
Eine nachhaltige Förderung der Demokratie muss Maßnahmen gegen den Linksextremismus und den Rechtsextremismus einschließen.
({18})
Dieser Haushaltsentwurf stärkt Familien bei der Bewältigung der unterschiedlichen Herausforderungen. Er
fördert den Austausch zwischen Jung und Alt und bietet
den Vätern und Müttern eine Wahl zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Wir schaffen es, zu sparen und
Schulden abzubauen, und wir investieren in unsere Familien - und all das ohne Neuverschuldung. Wir setzen
die richtigen Akzente, ohne zukünftige Generationen zu
überlasten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Vielen Dank. - Susann Rüthrich ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Was kann
es eigentlich Schöneres geben, als in einer Haushaltsdebatte den Haushalt des Familienministeriums zu besprechen, den Haushalt, der den gesamten Lebenszyklus von
uns allen mitgestaltet? Was sich darin findet, begleitet
unsere ganze Gesellschaft in ihrer Breite und Vielfalt:
Das geht von Schwangerenberatung und Kindergeld
über Jugendarbeit und Elterngeld bis hin zu Pflegezeit
und Mehrgenerationenhäusern.
({0})
Diese Feststellung zaubert uns vielleicht ein Lächeln
ins Gesicht. Sie meint aber eines nicht: dass es hier um
Nettigkeiten geht, die wir uns irgendwie leisten. Nein, es
geht um die soziale Infrastruktur in unserem Land. Ich
mache an zwei Bereichen deutlich: Hier geht es um den
Kern unseres Zusammenlebens und um die Sicherheit aller hier lebenden Menschen.
Der erste Bereich ist die Kinder- und Jugendpolitik.
Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion sage ich: Kinderrechte sind ein Anspruch, den jedes Kind hat, egal in
welcher Situation.
({1})
Kinder haben ein Recht auf Schutz, auf gewaltfreie Erziehung, auf gute Ernährung und auf Mitbestimmung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nichts,
was wir den Kindern gönnen, nein, ohne das ist die
Würde aller Menschen nicht gewahrt, nämlich die der
Kinder nicht. Nicht nur das: Wir würden uns den Ast absägen, auf dem wir sitzen, wenn wir nicht bestmögliche
Bedingungen für die nachwachsenden Generationen
schaffen würden.
Deswegen braucht es etwa das Netzwerk Frühe Hilfen. Damit garantieren wir die Unterstützung junger
Familien von Anfang an. Es braucht starke Jugendverbände, in denen sich Kinder und Jugendliche ausprobieren können, in denen sie lernen, in denen sie Interessen
bündeln. Deswegen ist es richtig, dass wir der Jugendverbandsarbeit - wie schon in diesem Jahr - 1 Million
Euro mehr geben und dass wir Mittel für eine eigenständige Jugendpolitik im Haushalt haben. Denn so pflegen
wir eine vielfältige Landschaft an Kinder- und Jugendarbeit, und Kinder finden einen Platz bei uns.
Mit dem Stichwort „vielfältig“ komme ich zu meinem
zweiten Schwerpunkt. Alle Menschen, die bei uns leben,
haben das Recht auf ein sicheres und angstfreies Leben,
({2})
egal wie sie aussehen, egal wen sie lieben, egal welche
Religion sie haben, egal ob sie viel oder wenig Geld haben. Dass das noch nicht so ist, sehen wir gerade daran,
dass mehrere Moscheen angegriffen wurden. Wir mussten Angriffe auf Synagogen und antisemitische Ausfälle
in aller Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, erleben. Deswegen freue auch ich mich über die Demonstration gegen Antisemitismus, die am Sonntag hier nebenan
am Brandenburger Tor stattfinden wird.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ergebnis
einer aktuellen Befragung zeigt, dass die Feindschaft gegenüber Sinti und Roma erschreckende Ausmaße hat.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie werden es merken:
Ich komme aus Sachsen.
({4})
Es ist schön, da zu leben. Aber in meiner Heimat wählen
fast 5 Prozent der Leute eine neonazistische Partei. Noch
dazu wählen fast 10 Prozent eine Partei, die sich offen
schwulen- und behindertenfeindlich gibt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeden Tag erleben
Menschen bei uns Alltagsrassismus. Menschen werden
angegriffen, nur weil sie vielleicht grün gefärbte Haare
haben. Deswegen hat es mich sehr gefreut, dass wir im
Koalitionsvertrag vereinbart haben, mehr Geld für Demokratieinitiativen, für Prävention, für Bildung und für
mobile Opferberatung zur Verfügung zu stellen. Einstimmig haben wir alle hier im Frühjahr dieses Jahres
bestätigt, dass wir infolge des NSU-Terrorismus die Mittel für diese Arbeit erhöhen müssen, angepasst an den
tatsächlichen Bedarf.
({6})
Es ist geplant, eine gesetzliche Grundlage dafür zu
schaffen. Denn im Bereich der Kinder- und Jugendförderung ist die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Demokratiearbeit nicht richtig aufgehoben. Wir müssen diese
Daueraufgabe auch dauerhaft sichern. Diese gesetzliche
Änderung ließ sich allerdings nicht in diesem Jahr schaffen. Nichts wäre schlimmer, als wenn die Projekte, die
auf Geld warten, nicht am 1. Januar 2015 mit ihrer Arbeit anfangen können. Deswegen liegt nun das Programm „Demokratie leben!“ des Familienministeriums
vor. Immerhin werden diese Initiativen damit fünf Jahre
lang gefördert, was ein großer Fortschritt für die Umsetzenden ist.
Das Programm „Demokratie leben!“ greift inhaltlich
all das auf, was wir im Land brauchen. Wir unterstützen
damit noch mehr Kommunen als zuvor. Wir unterstützen
die Länder. Wir unterstützen bundesweit tätige Demokratie- und Strukturprojekte und innovative Modellprojekte. Diese sollen zum Beispiel Maßnahmen entwickeln, die gerade in den ländlichen Regionen, im
ländlichen Raum wirken. Ein Bereich kommt ganz neu
hinzu, nämlich der der Radikalisierungsprävention: Wie
erreichen wir Jugendliche, die dem Salafismus oder ähnlichen Einstellungen und Vorstellungen zu nahe kommen? Das ganze Programm bezieht sich auf Ost und
West.
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Es sind
mehr Inhalte, mehr Projekte, mehr Regionen im Programm enthalten. Doch eines ist geblieben: die 30,5 Millionen Euro jährlich, die dafür im Haushalt vorgesehen
sind. Wenn man sich aber einen größeren Tisch zulegt,
dann reicht die alte Tischdecke nicht mehr aus. Da hilft
alles Ziehen und Drehen nichts; es braucht eine größere
Tischdecke. Kurz gesagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen Haushälter, wir brauchen hier mehr Mittel, um
tatsächlich vor Ort wirken zu können, was wir ja alle
gemeinsam wollen - sehr gern die 50 Millionen Euro,
die Summe, der in den Koalitionsverhandlungen nicht
widersprochen wurde.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Die Kollegin Rüthrich ist nicht nur
vor einigen Wochen junge Mutter geworden, sondern
das war auch ihre erste Rede hier im Bundestag. Zu beidem möchte ich Ihnen, Frau Rüthrich, sicher im Namen
des gesamten Hauses, ganz herzlich gratulieren.
({0})
Nächste Rednerin ist Astrid Timmermann-Fechter für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Fast 8,5 Milliarden Euro für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt! Fast 8,5 Milliarden Euro
für mehr Miteinander zwischen den Generationen! Fast
8,5 Milliarden Euro vor allem auch für mehr Wahlfreiheit als Entlastung von Familien!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Solidarität
und Zusammenhalt lassen sich nicht verordnen, schon
gar nicht vom Staat. Was wir aber tun können, ist, die
Gesellschaft darin zu stärken und zu unterstützen. Dafür
steht diese Koalition, indem wir die Wünsche der Menschen ernst nehmen, auf diese reagieren.
Dafür steht auch der Einzelplan 17, der gegenüber
dem Vorjahr um fast eine halbe Milliarde Euro aufgewachsen ist.
({0})
Wir alle wissen, dass der Haushalt des Familienministeriums einen hohen Anteil gesetzlich gebundener Leistungen enthält. Rund 88 Prozent des Haushalts sind nicht
disponibel.
Aber es zeigt sich, dass diese Leistungen erfolgreich
von den Familien angenommen werden. So erweist sich
das Elterngeld immer mehr als ein Erfolgsmodell. Die
Inanspruchnahme durch junge Väter steigt von Jahr zu
Jahr an und zeigt, dass immer mehr berufstätige Männer
ihre Rolle als Vater wahrnehmen.
({1})
Dieser Entwicklung trägt der Einzelplan 17 mit einer
Aufstockung um weitere rund 30 Millionen Euro auf
nunmehr rund 5,4 Milliarden Euro Rechnung. Das Elterngeld ist somit ein Erfolgsmodell, das wir in der Großen Koalition bewusst weiterentwickeln, weil uns Kinder wichtig sind, weil wir nur in ihnen eine Zukunft
haben.
Doch die Entlastung von Familien ist nicht allein auf
den Einzelplan 17 beschränkt. Mehr Entlastung bringen
wir auch mit der ersten Stufe der Pflegereform für Familien, die Angehörige zu versorgen, zu pflegen haben.
Hier stellt die Bundesregierung noch einmal zusätzlich
2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist ein Meilenstein in der Geschichte der sozialen Pflegeversicherung.
An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, dass es
dieser Koalition gelungen ist, Familien- und Gesundheitspolitik ressortübergreifend besser zu verzahnen.
Deshalb werden wir die Familien auch noch stärker darin unterstützen, Beruf und Pflege künftig noch besser
miteinander vereinbaren zu können.
({2})
Hierfür wollen wir als Große Koalition in diesem Jahr
die Familienpflegezeit noch attraktiver machen. Arbeitnehmer sollen künftig einen Rechtsanspruch haben, für
die Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit über einen
Zeitraum von bis zu 24 Monaten reduzieren zu können.
Diese Leistungsverbesserung soll bereits im nächsten
Jahr in Kraft treten. Dafür haben wir 1,3 Millionen Euro
in den Einzelplan 17 eingestellt. Denn nach wie vor ist
und bleibt Deutschlands Pflegestation Nummer eins die
Familie, und für dieses Gesellschaftsbild steht auch die
CDU/CSU.
({3})
Auch an anderen Stellen haben wir mit weiteren
Leistungen Akzente gesetzt, die das Prinzip der Wahlfreiheit stärken. So sichern wir auch im nächsten Jahr die
erfolgreichen Mehrgenerationenhäuser als ein niedrigschwelliges Angebot. Dafür stellen wir zusätzlich rund
10,5 Millionen Euro zur Verfügung und kommen damit
insgesamt auf 16,5 Millionen Euro.
({4})
Besonders stolz können wir alle gemeinsam auf die
Entwicklung der Freiwilligendienste sein. Auch in diesem Jahr gibt es wieder rund 35 000 Bundesfreiwillige,
die sich in sozialen, ökologischen und kulturellen Bereichen, im Sport, im Zivil- und Katastrophenschutz engagieren.
Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 haben
über 100 000 Menschen aller Altersgruppen einen Freiwilligendienst absolviert. Für den Bundesfreiwilligendienst stellen wir 2015 167,2 Millionen Euro zur Verfügung, für das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige
Ökologische Jahr und den Internationalen Jugendfreiwilligendienst zusammen rund 93 Millionen Euro. Für
die Stärkung der Zivilgesellschaft sind es zusammen
264,8 Millionen Euro. Das alles sind sehr beeindruckende Zahlen.
Da mir insbesondere die Seniorenpolitik am Herzen
liegt, freue ich mich besonders, dass sich auch viele
Senioren als Bundesfreiwillige in den Dienst der guten
Sache stellen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich
bei allen, die einen Freiwilligendienst leisten, herzlich zu
bedanken; sie leisten einen wichtigen Dienst für die Gemeinschaft und machen für ihren weiteren Lebensweg
eine ganz großartige Erfahrung.
({5})
Ich finde, die Medien sollten auch einmal solche Beispiele sozialen Zusammenhalts herausstellen.
Mit fast 2 Millionen Euro bleiben die Mittel für
überregionale Maßnahmen und Modelleinrichtungen
konstant. Hier fördert der Bund modellhafte Bauprojekte
der Altenhilfe, die überregional beispielgebend und geeignet sind, Initiativen anzuregen. Daran wollen wir
auch künftig festhalten.
In den Bereich der Seniorenpolitik gehört auch das
Programm „Anlaufstellen für ältere Menschen“. Hier
fördert das Familienministerium über 300 Projekte, die
das selbstständige Wohnen und Leben im Alter unterstützen, Mobilität fördern und Unterstützungsangebote
für betreuende und pflegende Angehörige machen. Bis
2017 stellt der Bund dafür rund 7 Millionen Euro bereit.
Ich lege Ihnen dieses Programm ans Herz, liebe Kolleginnen und Kollegen; sicher gibt es auch in Ihrem Wahlkreis ein entsprechendes Projekt, das Sie sich ansehen
können.
Dieser Haushalt - ressortübergreifend verbunden mit
dem Bundesgesundheits- und dem Bundesarbeitsministerium - zeigt, dass die seniorenpolitischen, gesundheitspolitischen und pflegepolitischen Themen in dieser Koalition einen hohen Stellenwert genießen.
Eine Gesellschaft des langen Lebens birgt nicht nur
Herausforderungen, sondern auch immens viele Chancen und Potenziale. Die Lebenserfahrungen der älteren
Menschen sind wertvolle Schätze, die in der Arbeitswelt,
im Ehrenamt, in Schulen, in der Familie und auch in der
Pflege eine höhere Wertschätzung erfahren müssen. Daran müssen wir zukünftig noch besser arbeiten.
({6})
Der jetzt vorliegende Haushalt ist solide durchgerechnet, obwohl er deutliche Leistungsverbesserungen beinhaltet. Was jedoch nicht geht, meine Damen und Herren, sind milliardenschwere zusätzliche Forderungen;
denn letztlich muss das alles auch bezahlbar bleiben das sind wir der nächsten Generation, unseren Kindern,
schuldig, und das sind wir auch dieser Generation schuldig. Vor diesem Hintergrund finde ich, dass wir hier einen strukturell seriös finanzierten Haushalt vorlegen.
Mit einer Vielzahl von Leistungsverbesserungen und
noch flexibleren Angeboten schaffen wir eine Bandbreite an Rahmenbedingungen und Wahlmöglichkeiten.
Ich freue mich auf die nun beginnenden Beratungen in
den Ausschüssen und hoffe auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Auch für Sie, Frau Kollegin
Timmermann-Fechter, war das heute die erste Rede.
Deshalb von uns allen einen herzlichen Glückwunsch
dazu!
({0})
Das Wort hat jetzt Uli Gottschalck, SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben es eben von meiner Vorrednerin gehört: Unser Haushalt hat einen Umfang von rund
8,5 Milliarden Euro. Er ist somit ein eher kleiner Etat.
Ich will es aber einmal so sagen: Er ist klein, aber fein,
weil darin sehr viele familienpolitische Leistungen stehen, die für unsere Familien im Land unendlich wichtig
sind.
({0})
Auch wenn die Opposition vorhin gejammert hat: Der
Etat steigt um 500 Millionen Euro.
({1})
Das liegt im Wesentlichen im Elterngeld begründet, einer wichtigen familienpolitischen Leistung. Immer mehr
Väter nehmen es in Anspruch, weil immer mehr junge,
gut ausgebildete Frauen endlich ordentlich verdienen,
und ich finde, das ist wichtig. Deshalb ist uns das Elterngeld lieb, aber auch teuer, wenn ich das als Haushälterin
einmal so sagen darf.
({2})
Frau Golze, ja, es gibt auch das Betreuungsgeld. Auch
Sie müssen es ertragen, dass wir in jeder Haushaltsdebatte sagen: Ja, die SPD hat dazu auch eine andere Meinung, aber wir sind vertragstreu. Dafür haben wir unter
anderem den Mindestlohn und die Rente mit 63 durchgesetzt. Beim Mindestlohn, mit dem man wirklich dafür
sorgen kann, dass Kinder nicht in Armut leben müssen,
waren Sie nicht einmal dabei. Ich finde, das ist ziemlich
peinlich.
({3})
Wir haben im Haushalt 2014 einiges auf den Weg gebracht, was nun kontinuierlich fortgeführt wird:
Ich beginne mit der zusätzlichen Million zur Verstetigung der Jugendverbandsarbeit. Gemeinsam mit meinem Kollegen habe ich im letzten Jahr dafür gekämpft.
Wir haben es geschafft. Die Jugendverbandsarbeit wird
nun dauerhaft gestärkt.
Daneben werden 16,5 Millionen Euro zur Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser zur Verfügung gestellt. Das war ein harter Kampf - ich schaue hier den
Kollegen Alois Rainer und auch alle anderen an, die dafür gekämpft haben. Dieser Betrag, durch den die wegfallenden ESF-Mittel aufgefangen werden sollen, steht
bis jetzt leider nur einmalig im Etat. Deshalb fordere ich
hier an dieser Stelle gleich alle auf, in den Beratungen
aufzupassen. Wir brauchen eine Verstetigung dieser Mittel für die Mehrgenerationenhäuser, weil hier eine ganz
wichtige Aufgabe geleistet wird.
({4})
Die Frau Ministerin hat es angesprochen: Wir haben
eine Zuweisung an den Fonds für die Opfer der Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990 in
Höhe von 42,7 Millionen Euro erreicht. Auch das war
ein Kraftakt, aber auch das steht jetzt im Haushalt.
An der Hoch- und Herunterrechnerei in Bezug auf das
Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ will ich
mich jetzt nicht beteiligen. Ich finde es auf jeden Fall
sehr gut, dass wir 1 Milliarde Euro zur Verfügung haben,
um den Ausbau der U3-Kinderbetreuungsplätze zu ermöglichen, wodurch vor allen Dingen der entsprechende
Rechtsanspruch erfüllt wird.
Wir müssen natürlich für die Qualität sorgen; das gilt
aber auch für die Länder. Hier gebe ich dem Kollegen
Weinberg sehr recht, der das vorhin auch schon angesprochen hat. Ich denke, wir alle sind uns einig: Wir
brauchen neben der Quantität auch Qualität. Dafür müssen wir Bundesgeld in die Hand nehmen, aber dafür
müssen auch die Länder etwas tun. Wir müssen aufpassen, dass die Länderminister hier keine klebrigen Finger
haben, sondern dieses Geld wirklich für Bildung ausgeben.
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Diese
Gelder sollten durchaus sehr flexibel für Bildung ausgegeben werden. Mir ist die frühkindliche Bildung mindestens genauso wichtig wie gute Ganztagsschulen oder
Hochschulen. Deswegen sollen die Länder das Geld entsprechend ihrer Bedarfe ausgeben. Wir stellen in dieser
Legislaturperiode 6 Milliarden Euro für die Bildung zur
Verfügung, und ich denke, das ist ein ordentlicher Betrag.
({5})
Zur Steigerung der Qualität in den Kitas geben wir
den Kommunen in den Jahren 2016 und 2017 einen größeren Anteil an der Umsatzsteuer.
Das alles gehört zu unseren Aufgaben, und wir müssen hier mit aufpassen, dass das Geld auch wirklich dort
ankommt, wo es gebraucht wird, nämlich in den Kommunen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will hier
auch noch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ansprechen. Auch hier werden
unglaublich viele gute Dinge geleistet. Das ist eine wichtige Dienstleistungsbehörde für den Dienst am Menschen,
auf die wir sehr stolz sind. Wenn man abfragt, welche
Erfolge dort erzielt werden, dann wird zum Beispiel das
Notruftelefon für Frauen bzw. das Konflikttelefon genannt. Gestern habe ich mit der Präsidentin der Behörde
und Alois Rainer über die vertrauliche Geburt gesprochen. Das Gesetz ist noch nicht lange in Kraft. Aber mit
der Unterstützung dieser Behörde wurden schon 32 Geburten im Rahmen dieser neuen Regelung durchgeführt.
Es ist schwierig, sich vorzustellen, unter welchen Umständen diese Geburten abgelaufen sind.
Die Behörde leistet tolle Arbeit. Deshalb bin ich sehr
dankbar, dass wir diese gute Dienstleistungsbehörde haben. Wir müssen diese Behörde in den Haushaltsberatungen im Auge behalten, um ihre Arbeit stärken zu können.
({6})
Zum Schluss sage ich einer sehr guten und taffen
Ministerin, fachlich und sachlich hervorragend agierenden Staatssekretärinnen und Staatssekretären Dankeschön. Ihre Arbeit wiederum führt dazu, dass wir total
motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium haben. Auch an sie ein herzliches Dankeschön. Ein
allerletztes Dankeschön geht an den geschätzten Unionshaushälter Alois Rainer, mit dem ich immer sehr gut zusammenarbeite und mit dem wir auch den zukünftigen
Haushalt gut wuppen werden.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Alois Rainer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Minister! Liebe Kollegin
Gottschalck, gleich zu Anfang vielen Dank für den
Weihrauch. Aber bei zu viel Weihrauch wird selbst ein
Heiliger rußig.
({0})
Trotzdem vielen herzlichen Dank.
Viele meiner Vorredner sprachen es bereits an, aber in
dieser Debatte noch kein Haushälter. Ich denke, ich darf
es sagen: Ich freue mich darüber, dass ich in meiner ersten Periode im Deutschen Bundestag dabei sein darf,
wenn nach 46 Jahren ein ausgeglichener Haushalt aufgestellt wird. Ich sage das mit großem Stolz. Wir alle dürfen stolz darauf sein, dass das geschafft wurde. Das war
nämlich alles andere als einfach. Es ist auch richtig, dass
wir unsere solide, verlässliche und stabilitätsorientierte
Politik dahin gehend weiter fortsetzen werden.
Die „schwarze Null“ im Haushalt für 2015 markiert
zugleich den Beginn eines nachhaltig ausgeglichenen
Bundeshaushalts für den gesamten Finanzplanungszeitraum. Mit dem nun vorliegenden Entwurf zum Finanzhaushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zeigen wir, dass wir halten, was wir
versprechen. Auf der einen Seite sparen wir, auf der anderen Seite investieren wir. Wir investieren in diejenigen, die uns am wichtigsten sind: in die einzelnen Menschen und in die Familien in Deutschland. Daher ist
unsere Politik eine Politik, die das Miteinander aller
Menschen in unserem Land fördert.
Wir wollen eine familienfreundliche Gesellschaft,
eine Gesellschaft, in der Kinder willkommen sind, in der
Kinder, auch wenn sie einmal quengeln oder unruhig
und laut sind, immer noch willkommen sind.
({1})
- Danke. - Ehe und Familie sind in ganz Deutschland
das Fundament unserer Gesellschaft. Familien und Kinder gehören für die große Mehrheit der Frauen und Männer in unserem Land zu einem glücklichen Leben. Auch
in Ehen und Partnerschaften, die ohne Kinder bleiben,
übernehmen Männer und Frauen dauerhaft füreinander
Verantwortung. Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, Ehe und Familie dementsprechend zu stärken und
mit guten Rahmenbedingungen dazu beizutragen, dass
die Menschen ihren Wunsch nach Kindern, Familie und
Partnerschaft verwirklichen können. In diesem Zusammenhang gehört es auch zu den wesentlichen Zielen unserer Familienpolitik, Kinder und Familie wirksam zu
unterstützen und zu fördern sowie die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu verbessern.
({2})
Wenn wir über Familie sprechen, dann sprechen wir
auch über die Unterstützung älterer Menschen; denn gerade mit Blick auf den demografischen Wandel in
Deutschland ist es ein wichtiges Ziel, auch die Rolle der
älteren Generation zu stärken und deren wertvolles Erfahrungswissen in die Gesellschaft einzubringen.
({3})
Genau diesen Herausforderungen stellen wir uns in
der Regierungskoalition. In dem nun vorliegenden Haushaltsentwurf zum Einzelplan 17 beträgt der Gesamtansatz rund 8,5 Milliarden Euro. Zum Vorjahr ist dies ein
Aufwuchs von circa 500 Millionen Euro. Den wesentlichen und größten Anteil im Einzelplan 17 bildet das
2007 eingeführte Elterngeld. Es soll das Einkommen
von Familien im ersten Lebensjahr des Kindes stabilisieren. Mit der Einführung des ElterngeldPlus wird die
Teilzeittätigkeit von Eltern erleichtert. Gegenüber der
bisherigen Finanzplanung werden die gesetzlichen Leistungen beim Elterngeld für das Haushaltsjahr 2015 auf
5,4 Milliarden Euro angehoben. Damit gehen wir auf die
dynamische Entwicklung der Lohnsteigerung beim Elterngeld entsprechend ein.
Auf dem Krippengipfel im Jahr 2007 wurde von
Bund, Ländern und Kommunen vereinbart, dass schrittweise ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für unter
Dreijährige realisiert wird; denn Eltern haben ein Recht
auf die bestmögliche Betreuung und Bildung für ihre
Kinder. Daher ist es unsere gemeinsame Aufgabe, ein
breites, familiennahes Angebot mit guter Qualität zu
schaffen. Mit gemeinsamer Aufgabe meine ich nicht nur
den Bund, sondern auch die Länder und die Kommunen,
die dafür zuständig sind. In diesem Zusammenhang sind
auch die Sprachförderung und die Qualifizierungsoffensive im frühkindlichen Bereich zu nennen, deren Finanzierung wir bereits im Haushalt 2014 verstetigt haben.
Wenn wir von Angebot und Qualität sprechen, dann
möchte ich auch gerne das Bundesamt für Familie und
zivilgesellschaftliche Aufgaben nennen. Das Bundesamt leistet mit seiner Vielzahl von Aufgaben, wie zum
Beispiel beim Bundesfreiwilligendienst, dem Hilfetelefon, der Contergan-Stiftung, bei den Mehrgenerationenhäusern oder auch bei der Regiestelle „Toleranz fördern Kompetenz stärken“, mehr, als in einer sogenannten Abbaubehörde überhaupt möglich ist.
Wie heute schon vielfach angesprochen, liegt mir ein
Thema ganz besonders am Herzen, und zwar das Thema
der Mehrgenerationenhäuser. Ich möchte betonen, dass
wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, dass wir
ein Konzept entwickeln wollen, um die Finanzierung der
Mehrgenerationenhäuser im Haushalt zu verstetigen. Für
das kommende Jahr 2015 ist es uns noch gelungen - zusammen mit meiner Kollegin Ulrike Gottschalck -, die
Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser nach dem
Wegfall der ESF-Mittel im Haushalt mit 16,5 Millionen
Euro zu berücksichtigen.
({4})
Hier müssen weitere Gespräche geführt werden, und
das werden sie auch, um gerade die sozialen Ankerpunkte, die das generationenübergreifende Miteinander
fördern, weiter zu stützen. Wir können die 450 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland nicht im Regen stehen
lassen.
({5})
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Kinder- und
Jugendpolitik. Hier haben wir den Mittelansatz für den
Kinder- und Jugendplan, wie die Kollegin schon gesagt
hat, im vergangenen Jahr um 1 Million Euro erhöhen können. Auch das bleibt zumindest im Haushaltsjahr 2015
so.
Zum Abschluss meiner Ausführungen spreche ich
mich insbesondere als Haushaltspolitiker für die Generationengerechtigkeit aus. Diese bemisst sich auch daran,
dass wir unseren nachfolgenden Generationen, unseren
Kindern und Enkeln, nicht immer größere Schuldenberge hinterlassen. Darum sollten wir alle dafür einstehen, den richtigen Weg zu gehen, um schon heute die
Weichen für unsere nachfolgenden Generationen zu stellen. Lassen Sie mich mit einem Zitat von Ludwig Erhard
enden:
Unser Tun dient nicht der Stunde, dem Tag oder
diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationen
zu denken …
Ich hätte gerne noch auf die eine oder andere Aussage
der Opposition geantwortet, aber da ich jetzt wieder wie
in meinen vier vorhergehenden Reden eine Punktlandung geschafft habe, bedanke ich mich ganz herzlich für
Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank. Das mit der Punktlandung wollen wir
jetzt nicht so wörtlich nehmen.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Wenn jetzt die Familienpolitikerinnen und -politiker
den Umweltpolitikern und -politikerinnen ganz zügig
Platz machen, könnte ich die nächste Rednerin aufrufen.
Ich bitte, die Gespräche, die hier jetzt noch zwischen
den Reihen geführt werden, draußen zu führen.
Das Wort hat nun die Bundesministerin Dr. Barbara
Hendricks.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich Ihnen heute den ersten
Haushaltsentwurf vorlegen kann, der die geänderte
Ressortzuständigkeit von Anfang an mitbedacht hat.
Jetzt zeigt sich, dass sich die Bereiche Bauen und Stadtentwicklung hervorragend mit den klassischen Aufgaben
des alten Umweltministeriums zusammenfügen und ergänzen - eine Erfahrung, die wir seit der vollzogenen
Zusammenführung im Juni tagtäglich machen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier deutlich machen, dass es mir ein ganz persönliches Anliegen
ist, dass wir bei den vielfältigen Themen meines Hauses
immer auch die soziale Dimension mitbedenken. Wir
machen Umwelt-, Natur- und Klimaschutzpolitik und
Bau- und Stadtentwicklungspolitik für die Menschen
und mit den Menschen in Deutschland. Das ist dringend
notwendig, und es ist uns mit diesem Haushaltsentwurf
gelungen. Was wir hier erleben, ist ein echter Fortschritt.
Ich werde auf die einzelnen Maßnahmen noch eingehen.
Umwelt- und Klimaschutz gehören ja zu den zentralen Herausforderungen, denen sich die Bundesregierung
stellt. Als bedeutendes Industrieland steht Deutschland
unter besonderer Beobachtung, ob Klimaschutz und
Wirtschaftswachstum zusammenpassen. Ich bin davon
überzeugt, dass Deutschland unter Beweis stellen kann,
dass aktiver Klimaschutz eben keine Einschränkung des
Wachstums und der Lebensqualität bedeutet - im Gegenteil: Innovationen in diesen Bereichen bieten viele
Wachstumschancen, die wir in Deutschland schon nutzen und weiter nutzen wollen.
({0})
Das Gleiche gilt für den Umweltschutz. Wenn wir der
Natur wieder mehr Raum geben, dann gibt es auch für
uns Menschen mehr Raum, nämlich Raum zur Erholung,
zur Entspannung und auch zur Entfaltung. Wenn wir die
Qualität der Natur erhöhen, verbessern wir unsere eigene
Lebensqualität. Ein guter Naturschutz ist also immer
auch Menschenschutz.
({1})
Deshalb werden wir auch 2015 die Ausgaben zum
Beispiel für die Umweltforschung, für das Programm
Biologische Vielfalt und für Naturschutzgroßprojekte
auf hohem Niveau fortführen. Ich bin froh, dass uns das
gelingt. Ich möchte die Akzeptanz einer aktiven und progressiven Umwelt- und Klimaschutzpolitik erhöhen, und
ich möchte das Wachstum in Deutschland stärken, um
das uns auch jetzt schon viele andere beneiden. Der Einzelplan 16 im Bundeshaushalt für das Jahr 2015 spiegelt
detailliert wider, was sich die Koalition vorgenommen
hat.
Wir wollen Umweltschutz, Naturschutz und Klimaschutz und damit den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen voranbringen - und das wird uns auch
gelingen.
Wir wollen mit einer ökologischen Industriepolitik
mehr nachhaltige Investitionen in umweltschonende
Technologien ermöglichen. Gerade die öffentliche Hand
sollte sich ihrer Einkaufsmacht noch stärker bewusst
werden, um umweltfreundliche Produktinnovationen zu
stärken.
({2})
Wir wollen gutes und bezahlbares Wohnen und Bauen
fördern, da guter Wohnraum zu den elementaren Bedingungen für eine gute Lebensqualität in Stadt und Land
gehört.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, insgesamt
steigt das Volumen des BMUB-Haushaltes gegenüber
2014 um rund 238 Millionen Euro auf rund 3,9 Milliarden Euro an. Das ist vor allem auf höhere Ansätze für
Wohngeld, Wohnungsbauprämien und die Städtebauförderung zurückzuführen. Die deutliche Steigerung des
Programmhaushaltes ist daher ein großer Erfolg.
({3})
Die Programmbereiche Umweltschutz, Nationale
Klimaschutzinitiative, Naturschutz, Reaktorsicherheit
und Strahlenschutz werden auf dem bisherigen Niveau
fortgeschrieben. Ich werde mich auch mit aller Kraft für
ein neues internationales Klimaschutzabkommen in
knapp eineinhalb Jahren in Paris einsetzen. Wir können
nicht zufrieden sein, solange es kein neues Abkommen
gibt. Deshalb werde ich alle Anstrengungen unternehmen, damit Paris als Erfolg in die Klimaschutzgeschichte eingehen kann.
({4})
Deutschland kann, soll und wird im Klimaschutz eine
Vorreiterrolle einnehmen. Dazu müssen wir aber auch sicherstellen, dass das Klimaschutzziel, das wir uns selber
gegeben haben, bis 2020 erreicht werden kann. Deshalb
habe ich das Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ initiiert;
({5})
denn ohne zusätzliche Anstrengungen werden wir unser
Ziel nicht erreichen.
({6})
Jetzt werden alle Vorschläge gesammelt, berechnet, bewertet und im Kreis der Bundesministerien abgestimmt.
Das daraus resultierende Aktionsprogramm wollen wir
im November 2014, also schon recht bald, im Kabinett
verabschieden. Darauf aufbauend werden wir bis 2016
einen Klimaschutzplan 2050 vorlegen, der die langfristigen Klimaschutzziele und die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels noch stärker in den Blick nehmen
wird.
Neu aufgenommen wurde übrigens der Titel „Maßnahmen zur Klimaneutralisierung von Dienstreisen der
Bundesregierung“ mit einem Ansatz von 2 Millionen
Euro. Sie werden sich erinnern, dass die letzte Große
Koalition bereits eine Klimaneutralisierung von Dienstreisen der Bundesregierung eingeführt hatte. Ich möchte,
dass wir mit dieser Maßnahme wieder ein gutes Beispiel
geben und auf diese Weise ein wichtiges, auch international wahrnehmbares Zeichen setzen: Ja, wir nehmen
den Klimaschutz ernst.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit rund 63 Prozent, das sind 2,47 Milliarden Euro, bilden die Kapitel
„Wohnungswesen und Städtebau“ sowie „Hochbau- und
Fördermaßnahmen“ einen deutlichen Schwerpunkt im
Einzelplan 16. Die Wohnungsmärkte - das wissen wir und die Wohnungsbausituation sind in Deutschland
regional sehr unterschiedlich. Gerade in den Ballungsräumen gibt es wachsende Probleme mit Wohnungsmangel und steigenden Mieten. Daher habe ich im Juli dieses
Jahres das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen
ins Leben gerufen, in dem alle relevanten Akteure zusammenarbeiten. Ich bitte um Verständnis dafür, dass
diese Zusammenarbeit auch noch etwas Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich lese in den Zeitungen: Da
kommt ja nichts raus. - Na klar! Wenn man sich im Juli
zusammensetzt und dann erst einmal Sommer ist, dann
kann man im September noch keine Ergebnisse erwarten. Deswegen bitte ich um ein wenig Geduld. Das, was
wir auch jetzt schon machen können, das machen wir. Im
Haushaltsentwurf ist besonders der deutlich erhöhte Ansatz für Wohngeld von 500 Millionen Euro auf jetzt
630 Millionen Euro hervorzuheben.
({8})
Damit schaffen wir eine wichtige Voraussetzung für die
Wohngeldreform, die wir uns vorgenommen haben und
die Menschen mit geringen Einkommen helfen wird, mit
den steigenden Wohnkosten zurechtzukommen. Auch
eine Heizkostenpauschale wollen wir wieder einführen.
({9})
Ebenfalls erhöht haben wir die Ansätze für die Wohnungsbauprämie auf jetzt rund 365 Millionen Euro. Der
Ansatz für das 2014 neu aufgelegte Programm „Altersgerecht Umbauen“ wird mit rund 12 Millionen Euro für
Investitionszuschüsse fortgeschrieben. An all diesen
Beispielen kann man sehen, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird. Wir kümmern uns darum, dass
Wohnen und Bauen in Deutschland für die Menschen
bezahlbar bleiben kann. Wir sorgen für die soziale Balance und dafür, dass Investitionen in den Neubau von
Wohnraum angeregt und getätigt werden.
Im Bereich Hochbau ist insbesondere die Erhöhung
des Ansatzes für Investitionszuschüsse zur Errichtung
des Humboldt-Forums in Berlin von 53 auf 109 Millionen Euro zu nennen, die sich entsprechend dem Baufortschritt plafondserhöhend auswirken. Es ist ja beruhigend, dass das im Zeitplan und im Kostenplan liegt.
Dafür will ich ausdrücklich meine Anerkennung aussprechen. Ich bin zuversichtlich, dass das auch so bleibt.
({10})
Damit erfüllen wir in allen Punkten den Koalitionsvertrag. Wie beim Mindestlohn oder der Mietpreisbremse und der Entlastung der Kommunen gilt auch
hier: versprochen und gehalten. Die Menschen in
Deutschland können sich auf uns verlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bereiche
Umwelt-, Natur- und Klimaschutz sowie Bauen und
Stadtentwicklung sind in meinem Haus in guten Händen,
und sie verfügen über eine solide finanzielle Grundlage.
Das ist die Botschaft, die wir mit dem Entwurf des Einzelplans 16 aussenden, für den ich deshalb um Ihre Unterstützung bitte.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Heidrun
Bluhm von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Der Maßstab,
an dem der Einzelplan für das Politikfeld Bauen und
Wohnen gemessen werden muss, ist nicht die Frage, wie
wenig die Vorgängerregierung geleistet hat, sondern die
Frage, ob dieser Haushaltsansatz tatsächlich den dringendsten Entwicklungserfordernissen der Gesellschaft
gerecht wird oder nicht.
Sind die Haushaltsansätze also ausreichend, um den
Anforderungen der sozialdemografischen Gegebenheiten heute und in Zukunft zu entsprechen? Genügen sie
den Erfordernissen des Klimaschutzes durch energetische Gebäudesanierung? Werden sie den zunehmenden
Herausforderungen einer sozial integrativen Stadt- und
Regionalentwicklung gerecht? - Ich sage dreimal: nein.
({0})
Dieser Haushaltsentwurf erfüllt nicht einmal den von
Ihnen selbst im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch
eines wohnungspolitischen Dreiklangs „aus einer Stärkung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung des
Sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung“.
Das sind alles hehre Ziele, aber bisher alle nur im
Ankündigungsmodus. Aber, Frau Ministerin, 25 Prozent Ihrer Regierungszeit sind schon vorbei. Ich erinnere
an diese Ankündigungsrhetorik nur, um zu verdeutlichen, dass nicht nur bei mir, bei der Opposition, der
Erwartungsvorschuss, den es Ihnen gegenüber tatsächlich einmal gab, aufgebraucht ist, sondern dass sich,
nachdem bisher wirklich nichts passiert ist, auch in der
Öffentlichkeit Ernüchterung breitmacht - gegenüber der
Hoffnung, dass sich durch die Zusammenlegung von
Umwelt- und Bauressort und die Besetzung der Ministeriumsspitze mit einer Sozialdemokratin etwas Grundlegendes auf diesem Gebiet ändern würde. Bisher Fehlanzeige - zwar nicht bei den Ankündigungen, aber sehr
wohl bei den Taten.
({1})
Selbst an den Stellen, an denen es der Bund allein in
der Hand hat, mit eigenen Immobilien eigene Wohn- und
Klimaschutzkonzepte umzusetzen, werden die Chancen
einfach vertan. Ich spreche beispielhaft von dem Potenzial zum Beispiel der 11 500 TLG-Wohnungen - gut, das
war nicht unter Ihrer Verantwortung -, die 2012 verscherbelt wurden, und vor allem von der Bundesanstalt
für Immobilienaufgaben. Aber vielleicht heißt ja „Immobilienaufgaben“ nach Ihrer Lesart „Immobilien aufgeben“.
Wir verstehen das jedoch anders. Die Aufgabe der
Bundesanstalt könnte doch darin bestehen, mit dem
nicht unerheblichen Bestand von noch rund 42 000 Wohnungen beispielgebende Wohn- und Stadtentwicklungskonzepte anzustoßen,
({2})
Modellprojekte für sozial stabile, klimagerechte Wohnquartiere zu schaffen und damit etwas für den sozialen
Wohnungsbau zu tun. Also könnten Sie Vorbild sein. Ist
das zu visionär, oder ist das Denkmal einer kurzfristigen
„schwarzen Null“ der absolute Primat gegenüber grundlegenden Lebens- und Existenzbedürfnissen von Mensch
und Umwelt? - Scheinbar ist das so.
Das zeigt zum Beispiel auch der Verkauf der TLGWohnungen an die TAG im Jahre 2012. Aus unserer
Sicht war das damals ein schwerer Fehler.
({3})
Da hat der Bund zwar seinen Schnitt gemacht. Die mit
dem Verkauf verbundenen Nachteile tragen dagegen die
30 000 Mieterinnen und Mieter in Ostdeutschland allein.
Zuerst hat die Erwerberin der Wohnungsbestände, die
TAG - Sozialcharta hin, Ombudsstelle her -, die Mieten
flächendeckend merklich erhöht. Und jetzt bereitet
dieser von der Bundesregierung als „seriöser Bestandshalter“ geadelte Finanzkonzern den Weiterverkauf der
gerade vom Bund erworbenen Wohnungen vor.
Somit stehen die Mieterinnen und Mieter und ebenso
die ehemaligen Mitarbeiter und Beschäftigten der TLG
sozusagen zum zweiten Mal in kurzer Zeit zum Verkauf.
Hat denen das überhaupt schon jemand gesagt, oder sind
wir, die Linke, wieder die Ersten, die die Katze aus dem
Sack lassen?
Dasselbe wird garantiert mit den jetzt in Berlin zum
Verkauf stehenden Wohnungen der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben passieren. Bei dem hier aufgerufenen Preis steht von vornherein fest, dass als Bieter wieder nur Immobiliendreher infrage kommen.
Die Verdrängung der bisherigen Mieterschaft und die
Zerstörung gewachsener Sozialstrukturen sind so sicher
wie das Amen in der Kirche. Aber selbst das ist der Regierung offensichtlich schnuppe. Damit beteiligt sich der
Bund aktiv an Mietpreistreiberei, Segregation und Gentrifizierung, auch wenn Sie, Frau Ministerin, immer einen anderen Eindruck erwecken wollen.
Wir, die Linke, wollen, dass in Berlin und anderswo,
wo der „angespannte Wohnungsmarkt“ als Kosewort für
die tatsächliche Situation verwendet wird, Beispiele dafür geschaffen werden, dass diese Bundesregierung es
mit ihrer wohnungspolitischen Offensive und ihrer mietrechtlichen und sozialen Flankierung ernst meint.
({4})
Deshalb haben wir im Juli den Antrag eingebracht, der
ein Moratorium der BImA-Wohnungsverkäufe zum Ziel
hat. Wir wollen damit den Wohnungsverkauf aussetzen,
bis die Bundeshaushaltsordnung und das BImA-Gesetz
geändert sind.
({5})
Damals hätten alle Abgeordneten, die vor dem Parlament Hilfssignale an die Betroffenen gesendet hatten,
bei Sofortabstimmung helfen können. Stattdessen haben
Sie den Antrag in die Ausschüsse verwiesen, und die
BImA verkauft inzwischen fleißig weiter.
In der Großgörschenstraße/Katzlerstraße in Berlin
werden 45 Wohnungen zum Preis von 7 Millionen Euro
verkauft. Jeder Immobilienlaie kann sich ausrechnen,
dass die Refinanzierung nur durch Luxussanierung und
Eigentumsumwandlung funktionieren kann. Die jetzigen
Mieter können schon mal die Koffer packen.
Frau Hendricks, nicht nur die betroffenen Mieterinnen und Mieter werden Ihren Worten keinen Glauben
mehr schenken. Denn Gesetze kann man ändern. Das ist
unser Auftrag und unser Tagesgeschäft. Wir werden das
für Sie tun und Ihnen damit aus der selbstgebastelten
Klemme helfen - im Interesse ganz normaler Menschen.
So toll kann Opposition sein.
Danke schön.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Christian Haase.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Woche werden wir mit dem Bundeshaushalt 2015 einen Meilenstein
in der Haushaltspolitik Deutschlands setzen: Der Bund
wird seinen Haushalt ohne Neuverschuldung ausgleichen, und das ohne Steuererhöhungen.
({0})
Wir kommen mit dem aus, was wir haben. Das muss
jede Familie zu Hause in unserem Land, und das müssen
auch wir. Das heißt, keine neuen Schulden, keine neuen
Lasten als Wackersteine im Rucksack unserer Kinder
und trotzdem Investitionen in Bildung, Arbeitsplätze, Infrastruktur und Umwelt- und Klimaschutz.
({1})
Nach dem Gebot der Vorsicht eines ehrbaren Kaufmanns und mit Maß und Mitte hat unser Finanzminister
Dr. Schäuble, dem wir dafür ausdrücklich danken, die
letzten Jahre erfolgreich genutzt. Auf diesem soliden
Fundament kann der Haushalt des Bundesministeriums
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit im
nächsten Jahr auf 3,9 Milliarden Euro steigen.
Frau Ministerin Hendricks, Sie finden mit dem vorgelegten Haushalt die Balance zwischen den notwendigen
Investitionen und Programmen. Vielen Dank dafür!
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte, dass wir unseren Kindern eine saubere und sichere Zukunft übergeben.
({3})
Mit der Energiewende geht daher auch die Aufgabe einher, bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle eine Lösung zu finden. In der letzten Woche habe ich dazu das
Bundesamt für Strahlenschutz besucht und mich davon
überzeugt, dass an allen übertragenen Projekten mit
Hochdruck gearbeitet wird.
Ich begrüße vor allem, dass wir für den Asse-Fonds
2 Millionen Euro zusätzlich und damit insgesamt 3 Millionen Euro in die Hand nehmen. Wir tragen damit deutlich zur Abfederung der besonderen Belastungen in der
Region bei.
Wissenschaft und Politik sind in dieser Woche erstmals in der Standortauswahlkommission zusammengekommen. Ein wissensbasiertes transparentes Verfahren
ist genauso notwendig wie eine effiziente Arbeit. Wir
müssen es endlich schaffen, auch auf der Zeitachse voranzukommen.
Wir brauchen Lösungen, damit Zwischenlager nicht
länger betrieben werden müssen als notwendig. Das
können wir den Menschen an den Standorten nicht zumuten. Jahrzehntelange Verfahren wie beim Schacht
Konrad können wir uns nicht leisten.
({4})
Wir stellen deshalb 2,5 Millionen Euro mehr für das Standortauswahlverfahren, 2,5 Millionen Euro mehr beim Bundesamt für kerntechnische Entsorgung und 5,75 Millionen
Euro für die Kommission im Haushalt zur Verfügung.
Es ist mir auch im Hinblick auf internationale Entwicklungen wichtig, dass wir nicht ungeprüft auf jeden
neuen Trend aufspringen. International wie national
müssen wir uns auf eine effizientere Energieverwendung
und auf Energieeinsparung konzentrieren. Gasförderung
aus Tiefengestein, insbesondere wenn die Risiken noch
ungeprüft sind, kommt für mich erst danach. Solange wir
keine umweltschonenden Verfahren zum unkonventionellen Fracking haben, bleibe ich Skeptiker bei dieser
Technologie.
({5})
Nicht alles, was möglich ist, sollten wir sofort nutzen.
({6})
Mit 22 der 43 Kurorte - davon fünf Heilbäder - liegt
knapp die Hälfte der Kurorte Nordrhein-Westfalens im
„Heilgarten Deutschland“, meiner Heimat OstwestfalenLippe. Während meiner Sommerreise habe ich unter anderem in Gesprächen mit Mineralwasserherstellern wie
auch Brauereien zu diesem Thema ein klares Nein mitgenommen. In diesem Zusammenhang sehe ich Forschungsvorhaben hier als besonders wichtig an, um wissensbasiert
Techniken zu bewerten. Genau dieser Meinung sind auch
zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland. Wir müssen also weiter forschen.
({7})
Mit der Forschung müssen wir uns auch um einen
verstärkten Klimaschutz in den Städten kümmern. Der
anhaltende Trend zur Urbanisierung ist eine besondere
Herausforderung für die Menschen, aber auch die Umwelt. „Glücklich leben und naturgemäß leben ist eins.“
So lauteten die Worte des römischen Philosophen
Seneca schon vor 2000 Jahren. Wie gestaltet sich das Leben in den grünen Städten der Zukunft? Wie lassen sich
Ressourcen schonen und Energien effizient nutzen? Welche Konzepte für Biodiversität und Mobilität - Stichwort Rußpartikelfilter - gibt es? Diese Fragen können
wir hervorragend mit dem neuen Ressortzuschnitt in unserem Ministerium angehen.
Vernetzt müssen wir aber auch in Fragen der Umsetzung der Energiewende und der Auswirkungen auf Umwelt und Natur denken. Ich begrüße das sich in der Ausschreibung befindliche Gutachten des Bundesamtes für
Naturschutz zu den Auswirkungen verschiedener Erdkabelsysteme auf Natur und Landschaft. Wir müssen diese
Forschung aber auch mit den Fragen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Übertragungsnetzen verknüpfen, um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in den
betroffenen Regionen aufzugreifen. Aber: Wenn wir
Steuergelder in Höhe von über 9,5 Milliarden Euro für
den Umwelt-, Klima- und Naturschutz verwenden, müssen wir dies den Bürgern auch nahebringen. Ich habe bereits im Frühjahr darauf hingewiesen, dass wir mit den
Betroffenen, den Kommunen und den Ländern dafür
sorgen müssen, dass die Schäden bei zukünftigen Hochwasserereignissen geringer werden. Die Ministerin hat
dankenswerterweise erklärt, dass sich der Bund in den
nächsten Jahren an der Finanzierung mit einem Betrag
von 1 Milliarde bis 1,2 Milliarden Euro beteiligt. Ich
werde mich ebenfalls dafür einsetzen.
({8})
Mit Sorge sehe ich den hohen Stand an befristet Beschäftigten, insbesondere in den Bundesämtern. Wer ent4772
scheidet sich schon dauerhaft für einen Arbeitgeber,
wenn dieser ihm keine Zukunftsperspektive bieten kann?
Wer ist bereit, eine Familie zu gründen und Kinder zu
bekommen, wenn die zukünftigen Verdienstmöglichkeiten unklar sind? Und das alles bei einem Arbeitsmarkt,
der immer arbeitnehmerorientierter wird! Wir sollten das
Jahr 2015 nutzen, hier konkrete Lösungen vorzubereiten.
Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern die nationale Bedeutung von großen Projekten wieder stärker
verdeutlichen. So ist das Stadtschloss Berlin mit seinem
Humboldt-Forum viel mehr als nur ein weiteres Museum, wie man als Passant oder Tourist denken könnte.
({9})
Bürgerinnen und Bürger aus aller Welt, aber auch Wissenschaftler erfahren und erforschen dort die kulturellen
und gesellschaftlichen Entwicklungen der Völker.
({10})
Dieses europaweit einmalige Konzept hat daher Strahlkraft und Tragweite weit über Berlin hinaus. Deshalb
kann ich nur an das Land Berlin appellieren, sich nicht
aus der Finanzierung zurückzuziehen.
({11})
Das Humboldt-Forum hat eine nationale Dimension, für
die wir im Bundeshaushalt mit 56 Millionen Euro zusätzlich Vorsorge treffen müssen. Bei meinem Besuch
der Großbaustelle konnte ich mir ein eigenes Bild machen. Es freut mich, dass die Baumaßnahmen im Zeitplan liegen und wir erfolgreich vorankommen.
({12})
Zum Schluss noch ein sehr ernstes Thema. Sorge bereitet mir die Situation der Flüchtlinge in unseren Kommunen. Zelte können in unseren Städten keine Alternative zu einer vernünftigen Unterbringung sein. Ich kann
aber mangels baulicher Alternativen die Not der Städte
nachvollziehen. Zur Unterstützung bietet sich hier in
hervorragender Weise das in diesem Jahr von 40 Millionen auf 150 Millionen aufgestockte Programm „Soziale
Stadt“ an. Hier sollten wir gemeinsam überlegen, wie
wir durch einen eigenen Titel oder auf andere Weise den
Kommunen, aber vor allen Dingen den Menschen, die
ihre Heimat verloren haben, helfen können.
({13})
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Beratungen.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian
Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Ministerin Hendricks, die Bundestagswahl ist jetzt ein knappes Jahr her. Neun Monate
sind Sie als Ministerin im Amt. Es ist an der Zeit, einmal
Bilanz zu ziehen. Sie haben auch heute wieder schöne
Worte wie „Ökologie“ und „Klimaschutz“ benutzt. Um
es mit Goethes Faust zu sagen: „Die Botschaft hör ich
wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Bei den zentralen
Themen - energetische Stadtsanierung, Hochwasserschutz, Naturschutz, Klimaschutz - ist bisher eigentlich
nichts passiert. In diesem wichtigen Ministerium brauchen wir keine reine Ankündigungsministerin, sondern
endlich einmal jemanden, der sich bewegen kann, der
sich durchsetzen kann. Das fehlt bisher komplett.
({0})
Die Herausforderung ist nämlich riesig. Das hat zuletzt der jüngste UN-Bericht der WMO gezeigt: Wir haben Höchststände bei den Treibhausgasen. Der Klimawandel schreitet massiv voran. Gleichzeitig ist es so - das
haben Sie, Frau Ministerin, gesagt -: Deutschland wird
sein Klimaziel, bis 2020 40 Prozent seiner Emissionen
einzusparen, krachend verfehlen, wenn wir jetzt nicht
schnell umsteuern. Einer der wenigen Lichtblicke bei
den Treibhausgassenkungen in den letzten Jahren waren
- das hat das Öko-Institut neulich erst wieder herausgestellt - die erneuerbaren Energien; Wind und Sonne, das
ist der große Lichtblick.
Aber was haben Sie vor der Sommerpause gemacht?
Diese Bundesregierung hat die Energiewende mit voller
Absicht gegen die Wand gefahren; sie hat gerade die klimafreundlichen Energien abgewürgt. Das ist total paradox. Ihre Energiepolitik ist klimafeindlich.
({1})
Ich frage mich: Wo waren Sie eigentlich während dieser Debatte, Frau Ministerin? Sie saßen auf der Regierungsbank, Sie haben still zugeschaut, wie Kohle-Siggi
die klimafreundlichen Energien abwürgt und die Kohlekraftwerke fördert.
({2})
Ich weiß, Frau Ministerin, dass Sie für die erneuerbaren Energien leider nicht mehr zuständig sind. Das ist für
das Umweltministerium peinlich und schlimm. Aber es
ist trotzdem so, dass Sie die für den Klimaschutz zuständige Ministerin sind. Bei der Energiewende geht es zentral um den Klimaschutz. Das heißt, Sie müssen sich da
auch einbringen. Sie müssen da auch einmal Verantwortung zeigen. Sie müssen Leidenschaft und Kampfgeist
beweisen. Sie dürfen da nicht nur zuhören. Sie dürfen da
nicht einknicken. Ihr Verhalten ist ein Armutszeugnis für
eine Umwelt- und Klimaschutzministerin.
({3})
Bleiben wir beim Klimaschutz und der Energiepolitik. Eines der Hauptprobleme dieser Bundesregierung ist
ihr Einsatz für die dreckige Kohlekraft in Deutschland.
Das hat gleich mehrere negative Auswirkungen. Bei der
Energieversorgung sind die Steinkohle und noch viel
mehr die Braunkohle die Haupt-CO2-Treiber. Durch den
Kohletagebau in Deutschland werden viele Menschen
aus ihrer Heimat vertrieben. Dörfer werden plattgemacht, zum Beispiel in Sachsen und in Brandenburg.
Viele Grüße an dieser Stelle an die Kohlekoalition von
SPD und Linkspartei! Ich hoffe, Sie kriegen für Ihre
Politik am Sonntag in Brandenburg eine große Klatsche.
({4})
Durch die Tagebaue werden nicht nur die Landschaften verschandelt, sondern es wird viel Natur vergiftet.
Die Spree in Brandenburg ist mittlerweile braun und
nicht blau. Das ist eine negative Folge der Kohlekraft.
Aber es geht auch um Gesundheitsschutz, und da sind
Sie als Umweltministerin wieder gefragt. Es geht zum
Beispiel um das Quecksilber. Wir wissen: Mehrere Hundert Kilogramm extrem gesundheitsgefährliches Quecksilber wird pro Jahr von dreckigen Kohlekraftwerken in
die Luft ausgestoßen. In den USA gibt es deutlich geringere Grenzwerte. Wir müssten den Standard für Kohlekraftwerke in Deutschland endlich angleichen. Das ist
auch Ihr Thema. Es geht da um das Umweltrecht; es geht
um das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Frau Ministerin, da ist Handlungsbedarf. Packen Sie endlich das Problem an, dass deutsche Kohlekraftwerke zu viel Quecksilber in die Luft blasen!
({5})
Wir Grüne sagen ganz klar: Mit dieser Kohlepolitik
muss endlich Schluss sein. Wir müssen raus aus der
Kohle. Es darf keine neuen Tagebaue und keine neuen
Kohlekraftwerke geben, im Gegenteil: Wir wollen einen
konkreten Ausstiegsplan für die Kohle.
({6})
Frau Ministerin, Sie haben hier im Bundestag wieder
Ihr nationales Sofortprogramm angekündigt. Das haben
Sie hier im Januar dieses Jahres schon einmal angekündigt. Wir haben davon im Haushalt 2014 nichts gefunden. Wir werden im Haushalt 2015 davon nichts finden.
Das heißt, dieses Programm kommt frühestens mit dem
Haushalt 2016. Wenn Sie von „Sofortprogramm“ reden
und zwei Jahre vergehen, dann halte ich das für ein interessantes Zeitverständnis; denn dieses Programm käme
nach der Hälfte der Legislaturperiode. Da frage ich
mich, ob dieses Programm überhaupt greifen wird. Ich
finde, dieses Schneckentempo, diese Langsamkeit zeigen: Ihnen und dieser Regierung ist der Klimaschutz einfach nichts wert.
({7})
Auch bei der Erdgasförderung geht es um Klima, um
Gesundheitsschutz und Naturschutz. Sie haben zusammen mit Herrn Gabriel ein Eckpunktepapier vorgelegt.
Sie wollen das Fracking nicht verbieten, im Gegenteil:
Sie wollen es damit ermöglichen. Bei den Gesetzesberatungen werden wir es erörtern.
({8})
- Das steht in dem Eckpunktepapier. Gucken Sie es sich
einmal genau an!
({9})
Erlaubnis für Fracking bei Tight Gas, Erlaubnis für Pilotprojekte bei Schiefergas, Erlaubnis bei Schiefergas in
Tiefen unter 3 000 Metern. Für uns Grüne ist klar: Wir
brauchen das nicht. Wir wollen Energieeffizienz. Wir
wollen die schnelle Energiewende. Wir fordern Sie auf:
Sorgen Sie beim Wasserrecht und beim Bergrecht dafür,
dass Fracking bei Öl- und Gasförderung verboten wird.
({10})
Man kann sehen, wie wichtig dieser Bundesregierung
- nicht nur Ihnen, Frau Ministerin - der Klimaschutz
insgesamt ist, wenn man sich anguckt, wer alles zum
UN-Gipfel nach New York, den Ban Ki-moon ausrichtet, reist. François Hollande reist an, Barack Obama ist
da. Wer ist nicht da? Angela Merkel. Angela Merkel ist
lieber bei der Festveranstaltung des Lobbyverbandes
BDI. Ich finde, das sagt schon alles. Beim Klimaschutz
kann man es auch feststellen. In Norddeutschland, woher
ich komme, gibt es ein Sprichwort dafür: Der Fisch
stinkt immer vom Kopf.
({11})
So ist es leider auch beim Klimaschutz und bei dieser
Bundesregierung. Angela Merkel hat ihn abgewrackt,
Herr Gabriel will ihn nicht mehr. Frau Ministerin, ich
verstehe, dass es für Sie nicht leicht ist, sich gegen Frau
Merkel und Herrn Gabriel durchzusetzen. Unser Problem ist nur, Sie versuchen es erst gar nicht. Sie raffen
sich nicht auf. Sie mucken nicht auf. Sie machen einfach
nur die brave Verwaltungschefin. Das ist einfach nicht
genug.
({12})
Wir machen Ihnen in den Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge. Wir wollen Sie unterstützen. Aber wir
rufen Sie dazu auf: Bitte, raffen Sie sich auf! Kämpfen
Sie! Haben Sie ein bisschen Mut beim Klimaschutz!
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Steffen-Claudio
Lemme von den Sozialdemokraten.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie gerne würde ich im Rahmen dieser Debatte Oppositionspolitiker sein.
({0})
Ständig an den bau- und klimapolitischen Vorhaben zu
kritisieren, die im Ministerium von Frau Hendricks bearbeitet werden, ist eine einfache Angelegenheit.
({1})
Aber wir sind hier, um etwas zu gestalten.
({2})
Dazu zählt auch der Entwurf des Bundeshaushaltes für
2015, der viele Gestaltungselemente beinhaltet. Es entspricht natürlich auch meiner persönlichen Meinung,
dass im Bereich des Bauwesens und des Klimaschutzes
gar nicht genug investiert werden kann, und das gerade
angesichts der großen klimapolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen.
Frau Ministerin, Sie haben, wie ich meine, kein dankbares Amt übernommen, aber Sie füllen es gut aus.
({3})
Es ist also viel Wahres dran, wenn Sie sagen, Sie müssten, wie es im Liedtext von Tim Bendzko heißt, „nur
noch kurz die Welt retten“. Daher lassen Sie uns an dieser Stelle den parteipolitischen Streit beiseiteschieben;
denn wir befinden uns an einem Punkt, an dem uns bewusst ist, dass dringender Handlungsbedarf besteht - am
besten schon vorgestern.
({4})
Ich möchte Barbara Hendricks bei ihren Bemühungen
unterstützen und hoffe, Sie von der Opposition tun das
auch.
({5})
Anstatt einzig und allein kritisieren zu können, stehen
wir Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung.
Wir machen das nicht so wie Sie, Frau Bluhm, die uns
für Positionen, die im Bundestag im Jahr 2012 beschlossen wurden, kritisiert. Da befanden auch wir uns in der
Opposition und nicht in der Regierungsverantwortung.
Aber in Verantwortung stehen, heißt auch, etwas zu verändern, und das heißt, Verbesserungen herbeizuführen,
zum Beispiel für mehr bezahlbaren Wohnraum und für
eine Senkung der CO2-Emissionen sowohl innerhalb
Deutschlands als auch weltweit.
({6})
- Doch.
({7})
Wie sehen unsere Verbesserungen aus? Was bedeutet
sozialdemokratische Umwelt- und Baupolitik, und wie
zeigt sich das im Haushalt?
Lassen Sie mich im Baubereich beginnen. Wir benötigen Investitionen in lebenswerte Nachbarschaften, um
das Zusammenleben von Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft und aus unterschiedlichen
sozialen Schichten zu verbessern. Es geht darum, das
Auseinanderdriften in reiche Viertel und arme Viertel zu
verhindern. Daher haben wir die „Soziale Stadt“ mit
150 Millionen Euro zum Herzstück der Städtebauförderung gemacht.
({8})
Ich möchte gern die Anregung des Kollegen Haase
aufgreifen und sagen, dass es auch mich stört, dass
Flüchtlinge in Zelten untergebracht werden sollen. Aber
ich kann mir schlecht vorstellen, die benötigten Mittel
über das Programm „Soziale Stadt“ zu generieren. Wir
brauchen Mittel on top,
({9})
um für die Flüchtlinge humane Lebens- und Wohnbedingungen zu gewährleisten.
Wir haben Förderprogramme im Bereich der Städtebauförderung mit einem Gesamtvolumen von 700 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Dies wird natürlich
im Haushalt 2015 fortgesetzt.
Als Thüringer möchte ich außerdem das Programm
„Stadtumbau Ost“ besonders hervorheben, das mit einem Volumen von 105 Millionen Euro zu einer wichtigen Säule der Städtebauförderung ausgebaut wurde. Bereits bei den letzten Beratungen konnten wir die Mittel
um 22 Millionen Euro erhöhen. Im Osten haben wir
noch immer mit einem massiven Wohnungsleerstand zu
kämpfen, und deshalb ist es gut, dass die Kosten, die beispielsweise beim Abriss von leeren Plattenbauten in den
ländlichen Gebieten entstehen, darüber getragen werden
können.
Gleichzeitig geht es darum, sich den demografischen
Anforderungen an den Wohnraum zu stellen. In den letzten Haushaltsberatungen war mir die Bereitstellung von
Bundesmitteln für den altersgerechten Umbau von Wohnungen ein Herzensanliegen. Und unsere parlamentarischen Bemühungen führten zum Erfolg: Wir konnten
das Programm „Altersgerecht Umbauen“, das Investitionsanreize setzt, bereits mit dem Haushalt 2014 starten.
Die Umsetzung dieses Verhandlungsergebnisses wird
nun mit dem neuen Haushaltsentwurf fortgeführt. So
sind 2015 weitere 11,9 Millionen Euro für das Programm „Altersgerecht Umbauen“ vorgesehen. Diese Zukunftsinvestition ist dringend notwendig; denn barrierefreie oder -arme Wohnungen sind eine wesentliche
Voraussetzung dafür, möglichst lange selbstbestimmt
und selbstständig im vertrauten Umfeld leben und wohnen zu können.
({10})
Soziale Wohnungspolitik bedeutet auch, endlich eine
Anpassung des Wohngeldes an die Entwicklung der
Mieten und Einkommen durchzuführen.
({11})
Denn steigende Mieten, gerade in Ballungszentren, führen bei immer mehr Menschen zu einer finanziellen
Überlastung. Zusätzlich steigen die Strom- und HeizkosSteffen-Claudio Lemme
ten; sie sind für manche Haushalte kaum noch tragbar.
Deshalb muss der Heizkostenzuschuss dringend wieder
eingeführt werden.
({12})
Bezahlbares Wohnen ist ein Kernanliegen sozialdemokratischer Politik. Das war bei der Vorgängerregierung anders. Sie hat im Jahr 2011 gegen den Widerstand
von SPD, Mieter- und Sozialverbänden und Kommunen
den Heizkostenzuschuss ersatzlos gestrichen. Dies traf
insbesondere die Einkommensschwachen.
({13})
Die SPD wird die dringend notwendige Wohngeldreform nun angehen. Ziel ist, dass viele Haushalte mit eigenem Einkommen, vor allem Familien, künftig nicht
mehr auf die Hartz-IV-Grundsicherung angewiesen sein
werden. Ich bin zuversichtlich, dass die Wohngeldreform Mitte 2015 in Kraft treten wird. Im Haushalt stehen
deshalb bereits zusätzliche Mittel in Höhe von 130 Millionen Euro bereit.
({14})
Zum Thema Bundesbauten möchte ich etwas Kritisches sagen. Im Haushaltsausschuss werden wir die Entwicklung der zunehmenden Kostensteigerungen kritisch
begleiten. Hier ist von der Bundesregierung zukünftig
ein Höchstmaß an Transparenz gefordert. Beispiele unter
vielen sind die Staatsbibliothek Unter den Linden oder
der Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes
in Berlin. Um künftig zu verhindern, dass bereits bei der
Bauvorbereitung zu ambitionierte Kosten- und Terminziele gesetzt werden, die sich später als nicht realisierbar
erweisen, müssen wir gemeinsam nachhaltige Lösungen
finden.
Kommen wir zum Klimaschutz. Der Klimaschutz
muss in dieser Regierung eine herausgehobene Rolle
spielen,
({15})
denn es ist allerhöchste Zeit, aufzuwachen.
Auch ich habe den „Energiewende-Index“ der Unternehmensberatung McKinsey gesehen, der viel mediale
Aufmerksamkeit hervorgerufen hat. Demnach kann unser eigenes nationales Ziel, bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu
senken, nur noch erreicht werden, wenn wir den Ausstoß
ab jetzt jährlich um 3,5 Prozent reduzieren. Das entspricht dem fünffachen Wert des momentanen jährlichen
Rückgangs.
({16})
Läuft alles weiter wie bisher, fehlen 7 Prozent oder, anders gerechnet, 85 Millionen Tonnen CO2.
({17})
Deshalb müssen wir dringend alle Ministerien, Behörden und Ämter einbeziehen. Es heißt, mehr einzusparen,
zum Beispiel in der Landwirtschaft, bei Gebäuden oder
auch im Verkehr. Die Erhöhung der Mittel, beispielsweise für die energetische Stadtsanierung im Rahmen
des Energie- und Klimafonds um 12 Millionen Euro
({18})
oder für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm um
200 Millionen Euro, weist in die richtige Richtung; aber
das ist längst noch nicht genug. Als Haushälter werde
ich den Aktionsplan Klimaschutz 2020, den die Ministerin vorlegen wird, deshalb nach Kräften unterstützen.
({19})
Was den internationalen Klimaschutz betrifft, so besteht im Jahr 2015 in Paris wohl die letzte Chance, ein
Nachfolgeabkommen zum Kioto-Protokoll zu verabschieden. Der Ban-Ki-moon-Gipfel in New York, der
hierfür die Voraussetzungen schaffen soll, findet zu meiner großen Verwunderung ohne die Kanzlerin statt.
({20})
Ich bin mir aber sicher, dass unsere Umweltministerin
sie gut vertreten wird.
({21})
Jetzt kommt das Aber: Betrachte ich nüchtern die
Zahlen im Haushalt, so erkenne ich zu wenig Engagement beim Klimaschutz.
({22})
Ja, um die Welt zu retten, bleibt noch sehr viel zu tun.
Ich hoffe, wir ziehen hierbei alle an einem Strang.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({23})
Herzlichen Dank. - Ich darf mich bei dieser Gelegenheit bei den bisherigen Rednern in dieser Aussprache für
die disziplinierte Einhaltung der Redezeiten bedanken,
die vorbildlich ist.
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Roland Claus,
Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Frau Bundesministerin, auf Ihr neues Amt als
Schlossherrin komme ich später noch zu sprechen.
({0})
Es geht bei diesem Etat mehr noch als bei den anderen Etats, die wir in diesen Tagen besprechen, um die
Zukunftsfähigkeit von Politik. Man kann das auch mit
„Enkeltauglichkeit“ übersetzen. Gerade ein Umwelthaushalt muss sich der Aufgabe stellen, schon heute eine
Politik zu formulieren, die für künftige Generationen etwas Gutes und nicht etwas Schädigendes bedeutet.
({1})
An guter Absicht fehlt es der Ministerin, wie wir gehört haben, ganz sicher nicht. Aber schauen wir uns die
Fakten an - schließlich reden wir nicht über Ihre guten
Absichten; das könnten wir auch anderswo tun; hier geht
es um den Etat -: Sie kürzen 46 Millionen Euro bei der
Internationalen Klimaschutzinitiative. Stellen Sie alle
sich einmal die folgende Aufgabe: Denken Sie an das
technische Gerät, das Sie alle in den Plenarsaal getragen
haben, und überlegen Sie, wie viel von der umweltbelastenden Produktion dieser Geräte in die ärmsten Länder
Asiens ausgelagert wurde. In dieser Situation die Mittel
für die Internationale Klimaschutzinitiative so erheblich
zu kürzen, das ist ein Skandal.
({2})
Hinzu kommt, dass der Energie- und Klimafonds nicht
annähernd die Lenkungswirkung entfaltet hat, die Sie
bei seiner Konstituierung versprochen haben. Außerdem
ist er dem Zugriff des Umweltministeriums entzogen.
Wir stellen also fest, Frau Bundesministerin: Anspruch
und Realität passen hier nicht zusammen.
Die Linke will eine sozialökologische Gerechtigkeitswende, ein Gestaltungskonzept, in dem nicht das Soziale
gegen das Ökologische ausgespielt wird oder umgekehrt
das Ökologische gegen das Soziale. Frau Ministerin, Sie
haben das vorhin so ähnlich erklärt und gesagt, dass Sie
das auch wollen. In diesem Zusammenhang muss ich Sie
aber daran erinnern, dass Sie gegenwärtig mit einem Koalitionspartner unterwegs sind, der mit beiden Füßen auf
der Bremse steht, auf der sozialen Bremse und auf der
ökologischen Bremse. Das genau ist Ihr Problem.
({3})
Wir wollen Sie auch auffordern, die zahlreichen Ankündigungen, ein nationales Programm zum Hochwasserschutz aufzulegen, endlich umzusetzen. Die BundLänder-Kooperation in dieser Frage ist längst überfällig.
Wir müssen uns auch über die Etatisierung dieser Aufgabe verständigen, und zwar über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ hinaus. Dort findet sich bisher nämlich der
einzige Ansatz dafür. Ich denke, dass die Initiative der
Brandenburger Landesregierung, die ganz sicher ihren
Fortbestand erleben wird und feiern kann, eine hilfreiche
Anregung dabei ist. Wir müssen aber natürlich auch die
Belange der Nachbarstaaten Polen und Tschechien mitdenken und sollten uns jetzt dieser Aufgabe stellen.
Ich komme nun zur Enkeltauglichkeit in Sachen
Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Sie selbst haben
das Wort geprägt: Wir wollen den sozialen Wohnungsbau wiederbeleben. Wiederbeleben kann man nur, was
schon fast tot war. Wir wollen diese Aufgabe unterstreichen. Sie wurde hier schon mehrfach als Absicht benannt. Es geht in der Tat darum, etwas gegen Gentrifizierung zu tun, was zu Deutsch nichts anderes bedeutet, als
über erhebliche Mietsteigerungen Mieterinnen und Mieter mit durchschnittlichen und niedrigen Einkommen regelrecht aus ihren angestammten Wohnsituationen zu
vertreiben. Wir wollen an dieser Stelle auch auf die
schwierige Situation für Studierende aufmerksam machen, bezahlbaren Wohnraum in der Nähe ihrer Hochschulen und Universitäten zu bekommen. Diese beiden
Herausforderungen könnten ein Grund für die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus ein. Wenn Sie auf
dieser Schiene mit uns denken, unterstützen wir Sie
gerne dabei, diesen Weg zu beschreiten.
({4})
Wir unterstützen auch, nachdem die FDP dieses Programm auf Abwicklung gestellt hatte, die Förderung von
UNESCO-Welterbestätten. Wir wollen an dieser Stelle
aber auf Folgendes hinweisen: Wir haben im Jahr 2014
ein Problem. Wir haben durch die späte Verabschiedung
des Haushalts im Grunde nur drei Monate lang Zugriff
auf die Förderinstrumente des Bundes. Wir haben natürlich ein Interesse daran, dass die Mittel für diese Förderprogramme nicht am Ende des Jahres von Wolfgang
Schäuble für die schwarze Null einkassiert werden, sondern dass sie dort ankommen, wo sie erwartet werden.
Wir werden natürlich auch der Erhöhung des Wohngeldes zustimmen. Aber wenn man sich einmal genau
anschaut, was hier vorgeht, dann sieht man, dass dies ein
Vorgang der sozialen Nachsorge ist. Wohngeld ist eine
Art Aufstockergeld. Die Problemlagen, die durch zu geringe Einkommen und überhöhte Mieten entstanden
sind, werden durch Steuerzahlerinnen- und Steuerzahlergeld quasi wieder ausgeglichen. Das ist kein Vorgang,
über den man sich von Herzen freuen kann. Man muss
ihn jetzt im Interesse der Betroffenen so hinnehmen;
aber es ist ein Vorgang der sozialen Nachsorge.
Nun komme ich zu der tatsächlichen Frechheit in Ihrem Etat: 56 Millionen Euro mehr für das Berliner Stadtschloss.
({5})
Die Linke wollte das ganze Schloss nicht; aber das ist
jetzt nicht mein Problem. Mein Problem ist, dass es mehrere Beschlüsse des Haushaltsausschusses gibt - wenn ich
mich richtig erinnere, einstimmige Beschlüsse -, die besagen, dass es eine finanzielle Obergrenze gibt. Der Vorgang ist gedeckelt. Jetzt frage ich einmal Kollegen wie
Sören Bartol oder Barthl Kalb: Gelten denn diese BeRoland Claus
schlüsse auf einmal nicht mehr? Das lassen wir Ihnen
nicht durchgehen. Das ist eine Missachtung von Parlamentsbeschlüssen.
Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie sich das politische
Erbe nicht aussuchen konnten. Aber diese 56 Millionen
Euro, die uns früher einmal von einem Förderverein versprochen worden waren, jetzt zu übernehmen, das geht
nicht. Hier müssen Sie mit unserem erheblichen Widerstand rechnen. Sie können nicht die Mehrheiten einer
Großen Koalition dazu benutzen, bisher getroffene Parlamentsbeschlüsse einfach abzuräumen.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Dr. Anja Weisgerber.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! In meiner Haushaltsrede konzentriere ich
mich heute auf die Klimapolitik. Der Klimawandel ist
nach wie vor eine der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die nächsten 15 Monate werden entscheidend dafür sein, wie es mit unserer Klimapolitik weitergeht. Bei der Klimakonferenz im nächsten
Jahr in Paris muss es uns gelingen, eine ambitionierte internationale Klimapolitik zu beschließen. Nur so haben
wir eine realistische Chance, das 2-Grad-Ziel zu erreichen; vielleicht ist es die letzte Chance.
({0})
Mit entscheidend für einen Erfolg kann sein, dass
Kanzlerin Merkel die Klimapolitik bei der G-7-Präsidentschaft in 2015 zum Thema machen will. Damit hält
sie den Druck auf internationaler Ebene aufrecht und
kämpft dafür, dass auch die anderen Staaten ihren Beitrag leisten. Das ist gut so; denn nach wie vor gilt: Allein
wir Deutsche können das Klima nicht retten. Wir brauchen die anderen Staaten dieser Welt.
({1})
Die Staaten, die es selbst nicht schaffen, unterstützen wir
mit deutschen Mitteln für internationale Klimaschutzinitiativen, die sich auch in diesem Haushalt wiederfinden.
In diesem Zusammenhang gibt es zum Beispiel Projekte
in Peru, Kolumbien oder Ghana. Das alles sind wichtige
Signale für unser gemeinsames Ziel einer ambitionierten
internationalen Klimapolitik, für die Deutschland kämpft.
Ein politisches Zeichen setzen wir auch in Brüssel,
wo sich die Mitgliedstaaten im Oktober dieses Jahres auf
die europäischen Klimaziele bis 2030 einigen werden.
Wir treten in Brüssel für eine ambitionierte Klimapolitik
mit ambitionierten und ehrgeizigen Klimazielen ein und
gehen mit unseren Forderungen weiter als andere Mitgliedstaaten; auch das muss man ganz klar sagen. Persönlich habe ich mich sehr darüber gefreut, dass sich der
neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
bei seiner Vorstellungsrede im Europäischen Parlament
für ein Energieeffizienzziel von mindestens 30 Prozent
ausgesprochen hat. Denn da gibt es nach wie vor wirklich sehr große Potenziale, die wir in ganz Europa heben
müssen, meine Damen und Herren.
({2})
Nun zu der Frage: Was machen wir national? Zu einer
glaubhaften Klimapolitik gehört neben dem Hauptprojekt, dem Klimaaktionsplan, zu dem ich gleich noch kommen werde, dass wir, die Bundestagsabgeordneten, und
die Mitglieder der Bundesregierung etwas für unser Klima
tun. Deshalb freue ich mich besonders, dass die fraktionsübergreifende Initiative der Klimapolitiker, Dienstreisen
klimaneutral zu kompensieren, in diesem Haushalt erste
Früchte getragen hat. Der aktuelle Haushaltsentwurf
sieht 2 Millionen Euro für klimaneutrale Dienstreisen
der Bundesregierung vor. Das ist ein guter Anfang, ein
erster Erfolg. Nun müssen auch wir hier im Bundestag
eine Vorbildfunktion übernehmen. Daher wünsche ich
mir ebenso eine Kompensation der Flugreisen der Mitglieder des Deutschen Bundestages.
({3})
Ich appelliere hier an die Kollegen aus dem Haushaltsausschuss: Lassen Sie uns gemeinsam ausschuss- und
fraktionsübergreifend Möglichkeiten ausloten, wie wir
unsere Mandatsflugreisen klimaneutral kompensieren
können! Das wäre eine kleine Geste mit großer Wirkung.
Auf diese Weise können wir als Politiker ein klimapolitisches Zeichen setzen und gleichzeitig vielleicht auch
Unternehmen ermutigen, über eine Kompensation von
Geschäftsreisen nachzudenken.
Aktuell arbeitet das Umweltministerium an einem
Klimaaktionsprogramm. Alle betroffenen Ministerien
sind aufgefordert, Minderungspotenziale aufzuzeigen
und konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Ziel ist, das
Aktionsprogramm noch in diesem Jahr zu verabschieden. Es ist richtig, dass alle Ressorts mit einbezogen
werden und ihren Beitrag leisten. Damit stellen wir die
richtigen Weichen, um unsere Klimaschutzziele erreichen zu können - trotz schwieriger Rahmenbedingungen.
Warum sind es schwierige Rahmenbedingungen? Wir
haben immer gesagt, dass es nicht funktionieren wird,
aus der Kernenergie auszusteigen und diese dann komplett durch CO2-neutrale Technologien zu ersetzen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir alle wollten
den Ausstieg aus der Kernenergie, und wir wollen ihn
nach wie vor; keine Frage. Damit wir unsere Klimaziele
trotz des Ausstiegs aus der CO2-neutralen und grundlastfähigen Kernenergie erreichen, müssen wir den Anteil
der erneuerbaren Energien stark ausbauen. Herr Kollege
Kindler, das tun wir auch nach der EEG-Reform. Wir
bauen den Anteil der erneuerbaren Energien weiter aus.
Wir steuern ihn.
({4})
Aber man muss dazusagen: Nicht alle erneuerbaren
Energien - außer der Biomasse - sind grundlastfähig.
Deshalb brauchen wir auch weiterhin fossile Energien.
({5})
Um zu gewährleisten, dass möglichst wenig CO2 ausgestoßen wird, bevorzugen wir Klimapolitiker von der
Union Gaskraftwerke. Dafür müssen wir die richtigen
Anreize setzen.
Damit bin ich schon beim nächsten und letzten
Thema meiner Rede: Kernstück der EU-Klimapolitik ist
und bleibt der Emissionshandel. Er ist das wirkungsvollste, kosteneffizienteste und, wenn Sie so wollen, gerechteste Instrument in der Klimapolitik,
({6})
weil er gleiche Wettbewerbsbedingungen in ganz Europa
schafft.
Eines möchte ich an dieser Stelle einmal ganz klar sagen: Wenn es um die Maßnahmen geht, die wir ergreifen, um die Klimaziele zu erreichen, dann ist eine nationale CO2-Steuer, wie sie Herr Krischer von den Grünen
erst wieder kürzlich bei einer Veranstaltung hier in Berlin gefordert hat - Sie erinnern sich vielleicht -,
({7})
sicherlich nicht die richtige Antwort auf den internationalen Klimawandel.
({8})
Ein rein nationales Vorgehen bringt uns nicht weiter. Es
benachteiligt nur unsere Industrie, gefährdet Arbeitsplätze und hilft uns nicht, auf europäischer Ebene mit
unseren Klimazielen weiterzukommen.
({9})
Deshalb setzen wir uns - ich sage das, um auf Ihre Bemerkung einzugehen - in Europa für eine rasche und
nachhaltige Stärkung des Emissionshandelssystems ein.
({10})
Ganz aktuell haben wir den Vorschlag der EU-Kommission für eine Marktstabilitätsreserve auf dem Tisch.
Wir Deutschen fordern, im Unterschied zum EU-Vorschlag, dass diese vorher greift. Der Vorschlag der EUKommission ist meiner Meinung nach eine gute Grundlage; aber wir müssen noch viel darüber diskutieren.
Unser Ziel muss es sein, dass der Emissionshandel
marktbasiert bleibt, weiterhin CO2-Emissionen reduziert und - das sage ich als Klimapolitikerin ganz ehrlich
und klar dazu - gleichzeitig Investitionen in die richtige
Richtung lenkt.
Ich freue mich auf die Diskussionen dazu mit der
Ministerin und den Kolleginnen und Kollegen des Bundestages.
Vielen Dank.
({11})
Der Kollege Christian Kühn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leidenschaft ist das, was uns zur Politik gebracht
hat und uns antreibt bei unserer täglichen Arbeit in den
Ausschüssen, in unseren Wahlkreisen, aber auch hier im
Plenum, Leidenschaft für Arten- und Naturschutz - manche würden sagen: für die Bewahrung der Schöpfung -,
Leidenschaft für eine Vision und eine Welt ohne Atomkraft und Leidenschaft für eine sozial gerechte und klimafreundliche Wohnungs- und Baupolitik.
Mit Leidenschaft hätte dieser Haushalt, Frau
Hendricks, ein großer Wurf werden können. Doch leider
kann ich in diesem Haushalt die Leidenschaft für die
Themen Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung, für die
Themen Klimaschutz und Umweltpolitik bei Ihnen nicht
erkennen.
({0})
Sie feiern diese Woche eine Nullnummer, und dieser
Haushalt ist eine Nullnummer für die Umwelt-, Bauund Naturschutzpolitik in Deutschland. Sie wird zukünftige Generationen sehr, sehr teuer zu stehen kommen;
denn Sie gehen die Herausforderungen unserer Zeit völlig unzureichend an.
({1})
Ich frage Sie: Wo sind die zusätzlichen Investitionen in
die energetische Sanierung? Wo sind die zusätzlichen
Mittel für den altersgerechten Umbau unserer Wohnungen und unserer Städte? Wo sind die denn? Ich finde sie
in diesem Haushalt nicht, und ich weiß, Sie finden sie
auch nicht. Sie können ja vielleicht in den nächsten Reden darauf eingehen, wie Sie diese Herausforderungen
bewältigen wollen.
Ich sage Ihnen etwas, Frau Hendricks: Mehr Leidenschaft würde Ihrer Politik guttun, mehr Leidenschaft für
Klima-, Umwelt- und Baupolitik. Bisher sind Sie ein
Christian Kühn ({2})
Dreivierteljahr durchs Land gezogen und haben mit sehr
schönen und guten Analysen die Probleme beschrieben.
Aber Sie haben keine vernünftigen Maßnahmen genannt, wie Sie die Herausforderungen bewältigen wollen. Von Ihnen als Schatzmeisterin und ehemaliger Finanzstaatssekretärin hätte ich erwartet, dass Sie mit
Verhandlungsgeschick mehr für Ihr eigenes Ressort herausholen. Aber das ist Ihnen leider nicht gelungen.
({3})
Wenn ich mir die Themen anschaue - ich habe ein
Dreivierteljahr Umweltausschusssitzungen erlebt und erlebe auch die Beratungen zum Haushalt -, dann erkenne
ich einen roten Faden, der auch hier unterschwellig
durchkommt: Sie sind sich eigentlich nicht einig in der
Wohnungs- und Baupolitik. Sie sind sich auch nicht einig in der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik. Eigentlich passen Sie bei diesen Themenfeldern als Koalition
nicht zusammen. Das merkt man immer wieder.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich sage
Ihnen etwas: Sie sind doch auf der Suche nach einem
Konzept, wie Sie in den Großstädten wieder näher an die
Menschen kommen - wir reden hier ja über Stadtpolitik -, wie Sie in den Großstädten die Menschen wieder
für die Union begeistern können. Ich sage Ihnen: Geben
Sie einfach die Blockade gegen eine funktionsfähige
Mietpreisbremse auf! Sorgen Sie dafür, dass die Mietpreisbremse kommt, damit Angela Merkel ihr Wahlversprechen erfüllen kann! Dann wählen die Menschen in
den Großstädten Sie vielleicht auch wieder; denn in
Stuttgart, Berlin und auch in München finden die Leute
die Mietpreisbremse richtig klasse.
({5})
- In Frankfurt auch. - An die Kollegen der SPD gewandt
will ich nur sagen: Sorgen Sie dafür, dass die Mietpreisbremse nicht durchlöchert wird! Denn wenn sie durchlöchert ist, funktioniert sie nicht, und dann ist sie weder
sozial noch gerecht, sondern höchstens Wählertäuschung.
Frau Hendricks, Sie haben angekündigt, dass Sie das
Wohngeld erhöhen wollen, Ihre Kollegen in der Fraktion
ebenfalls. Wenn ich mir aber anschaue, was Sie mit diesem Haushalt vorgelegt haben, dann muss ich feststellen: Das Wohngeld bleibt auf dem Niveau von 2013. So
können wir das Wohngeld in Deutschland nicht stärken
wollen. Im Juni dieses Jahres haben Sie das Wohngeld
um 130 Millionen Euro gekürzt, um es im September
wieder um 130 Millionen Euro zu erhöhen. Was Sie hier
veranstalten, ist ein absurdes Nullsummenspiel. Ich kann
wirklich nicht erkennen, warum Sie hier sagen: Wir tun
etwas beim Wohngeld. - Sie tun nichts beim Wohngeld.
Sie belassen es auf dem alten Niveau. Wenn Sie Bauund Klimaschutzpolitik wirklich miteinander verzahnen
wollten, dann würden Sie einen Klimabonus einführen,
wie wir ihn beantragen werden.
({6})
Das Gute an Haushaltsberatungen ist für Oppositionspolitiker, dass die Bundesregierung etwas vorlegen
muss. Sie haben jetzt einen Haushalt vorgelegt und in allen Reden heute eine große Herausforderung benannt,
den Klimaschutz. Aber der Klimaschutz im Gebäudebereich kommt mit dieser Großen Koalition nicht voran.
Wo sind denn die Anreize? Wo sind die Programme? Wo
ist das Quartiersanierungsprogramm, das wir dringend
brauchen, um in den Quartieren Klimaschutz zu betreiben? Wo ist der Steuerbonus für die energetische Sanierung? Da liefern Sie nichts. Sie bleiben beim Klimaschutz blank. So, Frau Hendricks, werden Sie die
Sanierungsquote
({7})
von 2,5 Prozent pro Jahr, die Sie selber genannt haben,
nicht erreichen, jedenfalls nicht in Baden-Württemberg,
dem Bundesland, aus dem ich komme. Ich sage Ihnen
auch: Dass Sie die Sanierungsquote nicht erreichen werden, ist der eigentliche Skandal dieses Haushalts; denn
Sie gehen diese große Herausforderung nicht an.
({8})
Wir Grünen begrüßen, dass Sie die Mittel für die
Städtebauförderung erhöht haben. Wir begrüßen auch
die Mittel, die Sie für das Programm „Soziale Stadt“ eingestellt haben. Jetzt müssen Sie dafür sorgen, dass nicht
nur Beton finanziert wird, sondern auch die Menschen,
dass die nichtinvestiven Maßnahmen auch förderungsfähig werden. Nach der faktischen Abschaffung des Programms unter Schwarz-Gelb hat die SPD-Fraktion gesagt: Das ist die Politik der sozialen Kälte. - Ich hoffe,
dass Sie diese Politik der sozialen Kälte nicht fortsetzen
werden.
({9})
- Das glaube ich erst, wenn wir die Texte dazu sehen.
({10})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Die Welt hat sich in
den letzten Monaten dramatisch verändert; Europa hat
sich in den letzten Monaten dramatisch verändert. Wir
haben eine Krise in der Ukraine. In unserem Ausschuss,
im Umwelt- und Bauausschuss, haben wir einen Schlüssel in der Hand, um Deutschland unabhängiger zu machen von Gaslieferungen aus Russland. Dazu müssen
Sie jedoch an den Gebäudebestand gehen, dazu müssen
Sie ins Quartier gehen und dort Klimaschutz und energetische Sanierung voranbringen. Das tun Sie bisher nicht.
Das wäre aber der Schlüssel. Setzen Sie hier an, nicht
nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch im Interesse
von Zielen, die weit darüber hinausgehen und die wir
auch hier wieder benannt haben.
({11})
Das Humboldt-Forum ist mehrfach angesprochen
worden. Frau Hendricks, Sie haben gesagt: Beim
Humboldt-Forum, beim Stadtschloss ist alles gut. 4780
Christian Kühn ({12})
Beim Stadtschloss ist nicht alles gut. Das haben Sie auch
erkannt; denn es fehlt, wie Sie gesagt haben, ziemlich
viel Geld für die Finanzierung der Fassade; es fehlen
Spenden. Nun übernimmt der Bund das Ausfallrisiko.
Wer gibt denn überhaupt noch eine Spende, wenn der
Träger des Ausfallrisikos benannt ist?
({13})
Von daher glaube ich, dass Sie beim Stadtschloss ein
Haushaltsrisiko übernommen haben.
Herr Kollege Kühn, ich hatte mit meinem Lob bei den
Vorrednern gehofft, dass es als Ermunterung gilt, die Redezeit einzuhalten, und darf Sie bitten, jetzt doch zum
Schluss zu kommen.
({0})
Ich komme zum Schluss. - Frau Hendricks, zeigen
Sie Zähne! Bleiben Sie nicht länger unsichtbar, sondern
gehen Sie in die Konfrontation für Umwelt-, Klima- und
Baupolitik! Wir Grünen wissen, dass man für Umweltpolitik kämpfen muss. Ich glaube, Sie haben im letzten
Dreivierteljahr erkannt, dass Schweigen auch nicht hilft.
Deswegen: Gehen Sie in die Offensive! Kämpfen Sie
mit Leidenschaft für eine bessere Umwelt- und Baupolitik in Deutschland!
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächster Redner ist für die Sozialdemokraten der
Kollege Ulrich Hampel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass ich heute meine erste
Rede hier im Hohen Hause halten darf,
({0})
und bin meinen Kolleginnen und Kollegen der SPDArbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gegeben
haben, heute zur Einbringung des Einzelplans 16 zu
sprechen.
Wie Bundesministerin Hendricks und mein Kollege
Lemme bereits ausgeführt haben, steigt das Gesamtvolumen des Einzelplans 16, was seine Ursache insbesondere
im Mittelaufwuchs des Baubereiches hat. Innerhalb des
Baubereiches weisen neben dem Posten „Prämien nach
dem Wohnungsbau-Prämiengesetz“ die Ansätze für das
Wohngeld und die Förderung des Städtebaus wesentliche Erhöhungen auf. Diese Mittelerhöhungen sind
notwendig und richtig und werden von meiner Fraktion
ausdrücklich begrüßt.
({1})
Zum Wohngeld, lieber Kollege Kühn. Die Koalition
wird die angekündigte Reform des Wohngeldgesetzes in
den nächsten Wochen und Monaten auf den Weg bringen
und damit sicherstellen, dass die im Haushaltsentwurf
eingestellten Mittel den Leistungsempfängern, wie angekündigt, 2015 zur Verfügung stehen.
({2})
Wie dringend notwendig die Reform ist, haben die vergangenen Jahre gezeigt: Die Anzahl der Haushalte, die
Wohngeld beziehen, ging kontinuierlich zurück. Außerdem wurde die im Rahmen der Wohngeldnovelle 2009
eingeführte Heizkostenkomponente 2011 von der
schwarz-gelben Bundesregierung wieder gestrichen. Mit
der Wohngeldreform werden wir dafür sorgen, dass wieder deutlich mehr Haushalte vom Wohngeld profitieren.
({3})
Das werden wir im Einzelnen durch die Erhöhung der
Tabellenwerte, die regional gestaffelte Erhöhung der
Miethöchstbeträge und dadurch erreichen, dass wir wieder eine Heizkostenkomponente einführen.
({4})
Das ist doch eine gute Nachricht für die Menschen in unserem Land.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Förderung
des Städtebaus wird es ebenfalls einen deutlichen Mittelaufwuchs geben. Damit stellen wir sicher, dass der
Investitionsbedarf für die vordringlichen städtebaulichen
Investitionsprojekte in den Städten und Gemeinden
gedeckt wird. Die Mittelausstattung der einzelnen
Programme der Städtebauförderung bleibt auf dem hohen Niveau des vergangenen Haushaltes.
Das erfolgreiche Städtebauförderprogramm „Soziale
Stadt“ erhält mit 150 Millionen Euro wiederum die
höchste Mittelausstattung. Das ist unserer Meinung nach
auch dringend notwendig.
({6})
Nachdem dieses Programm unter Schwarz-Gelb auf nur
noch 40 Millionen Euro reduziert wurde, kam es zu
deutlichen Einbrüchen bei den Projektzahlen, und dringende Investitionen konnten nicht mehr getätigt werden.
Mit dem Haushalt 2014 haben wir das Programm
deshalb mit deutlich mehr Geld ausgestattet. Diesen Weg
führen wir mit dem aktuellen Haushaltsansatz fort.
Damit unterstreichen wir, dass das Programm „Soziale
Stadt“ das Leitprogramm der Städtebauförderung ist.
({7})
Auch die anderen Programme der Städtebauförderung
erfahren eine deutliche Belebung. In meiner sehr ländlich geprägten Münsterländer Region spielt zum Beispiel
das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ eine
immer wichtigere Rolle. Mit diesem Programm werden
viele Kommunen dabei unterstützt, die Infrastruktur in
ihren Ortszentren den veränderten Anforderungen aufgrund des demografischen Wandels anzupassen.
({8})
Das ist ein Problem, das sicher auch in Ihren Wahlkreisen einen immer größeren Stellenwert einnimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf den
angesprochenen demografischen Wandel ist es zu begrüßen, dass für die Zuschüsse für Investitionen in altersgerechten Umbau im Haushalt 2015 ebenfalls mehr Geld
eingeplant ist.
({9})
Für den Zeitraum 2014 bis 2018 sind hierfür insgesamt
54 Millionen Euro vorgesehen, ein Volumen, das meiner
Meinung nach dringend erforderlich ist.
({10})
Nach einer Studie des Kuratoriums Deutsche Altershilfe werden bis 2020, also in sechs Jahren, 3 Millionen
altersgerechte Wohnungen benötigt. Dem Bedarf stehen
aktuell weit weniger als 1 Million altersgerechte Wohnungen gegenüber - und der Bedarf wird über das Jahr
2020 hinaus weiter steigen. Wir sind natürlich froh, dass
immer mehr Menschen ein immer höheres Alter erreichen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Anforderungen an viele Bereiche unserer Infrastruktur und natürlich
auch an die Ausstattung und Beschaffenheit von
Wohnungen verändert. Hier müssen wir gemeinsam
Lösungen entwickeln, wie wir in deutlichem Umfang altersgerechten Wohnraum schaffen. Aktuelle Angebote,
wie sie zum Beispiel die KfW vorhält, werden meiner
Meinung nach nicht ausreichen. Viele ältere Menschen
können und wollen keine Kredite mehr aufnehmen, um
ihr Heim altersgerecht umzubauen. Deshalb brauchen
wir eine direkte Fördermaßnahme für altersgerechten
Umbau.
({11})
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Hendricks,
meine Fraktion und ich wissen natürlich, dass dieses
Problem hohe Priorität in Ihrem Hause genießt. Wir
freuen uns darauf, gemeinsam mit Ihnen an der Bewältigung nicht nur dieser, sondern auch darüber hinaus anstehender Aufgaben zu arbeiten.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ein
herzliches Glückauf!
({12})
Herr Kollege Hampel, Sie hatten schon angekündigt,
dass das Ihre erste Rede sein wird. Ich möchte Ihnen
dazu im Namen der Kolleginnen und Kollegen herzlich
gratulieren und wünsche Ihnen, dass Sie bald weitere
Reden halten werden.
({0})
Bevor der Kollege Wegner das Wort erhält, hat der
Kollege Pronold um das Wort zu einer Kurzintervention
gebeten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich melde mich als
Stiftungsratsvorsitzender des Humboldt-Forums und des
Berliner Schlosses zu Wort, weil hier von zwei Rednern
der Opposition falsche Behauptungen aufgestellt worden
sind.
({0})
Es ist so, dass wir uns beim Berliner Schloss im Kostenrahmen bewegen. Dieser ist nicht verändert worden.
({1})
Aufgrund des Baufortschritts, weil die Arbeiten Gott sei
Dank schnell vorangehen, weil es keine Bauverzögerungen gibt, müssen die Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir befinden uns aber im Plan. Es gibt an dieser
Stelle keine Kostenexplosion. Das hat auch überhaupt
nichts mit der Fassade zu tun.
In Bezug auf die Fassade ist es so, dass die Einnahmen durch Spenden deutlich zunehmen. Weil das
Schloss jetzt sichtbar wird, steigt die Akzeptanz und
nehmen die Spenden zu. Wir werden wie auch bei anderen Projekten alles dafür tun müssen - das darf man
nicht schlechtreden -, dass die noch fehlenden Spenden
für die Fassade eingehen.
Wir werden die Mitglieder des Ausschusses - die Einladung liegt schon vor - in den nächsten Wochen auf die
Baustelle einladen. Dann gibt es die Gelegenheit, sich
vor Ort ein Bild zu machen, statt hier gefährliche Falschbehauptungen in die Welt zu setzen.
({2})
Der Kollege Claus möchte darauf erwidern. Dazu erteile ich ihm das Wort.
Wenn der geschätzte Kollege Pronold den Vorwurf
der gefährlichen Falschbehauptung am Schluss seiner
Rede nicht unzutreffenderweise eingefügt hätte, hätte ich
geschwiegen.
({0})
Zweifelsohne haben Ihre Worte ein Stück zur Aufklärung beigetragen. Aber meine Einwände und meine
Kritik sind damit noch nicht vom Tisch. Sie können von
uns nicht erwarten, dass wir Ihnen, wenn Sie uns einen
Etat vorlegen, in dem für dieses Bauvorhaben 56 Millionen Euro mehr etatisiert sind, sofort abnehmen, dass
dieses Geld dem Baufortschritt geschuldet ist, aber der
Deckel so bleibt. Wir werden uns das kritisch anschauen
und darauf drängen, dass die gemeinsamen Beschlüsse
des Haushaltsausschusses eingehalten werden.
Ihre Aussage, dass die Spendeneinnahmen zunehmen,
will ich gerne glauben. Dieser Satz sagt aber nichts aus,
wenn man das berücksichtigt, was einmal zugesagt worden ist. Deshalb lassen Sie uns die Dinge weiter kritisch
begleiten. Vermeiden Sie doch in Zukunft möglichst solche Charakterisierungen einer kritischen, aber durchaus
konstruktiven Opposition.
({1})
Jetzt geht es mit der Rednerliste weiter.
Ich erteile dem Kollegen Kai Wegner für die CDU/
CSU das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus,
Ihre letzte Äußerung kann man zumindest in Zweifel
ziehen. Ich bin dem Kollegen Abgeordneten Pronold
sehr dankbar für die Klarstellung, die er hier vorgenommen hat. Ich bin mir sicher, dass alle Kritiker, die heute
das Humboldt-Forum immer noch kritisch betrachten,
stolz und froh sein werden, wenn Berlins Mitte durch
dieses Humboldt-Forum bereichert wird und weitere
Strahlkraft für die ganze Republik erzeugt.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Frau Ministerin
Hendricks, ich bin sehr froh, dass es beim Haushaltsentwurf 2015 gerade im Umwelt- und Baubereich gelungen
ist, noch mehr Mittel zur Verfügung zu stellen als in diesem Haushalt. Die Koalition setzt mit diesem Haushalt
ihren Kurs fort. Wir setzen auf Investitionen, um eine
nachhaltige Entwicklung in Deutschland zu fördern.
Aber ich werde mich heute in meiner Rede schwerpunktmäßig mit der Städtebauförderung auseinandersetzen. Die Große Koalition hat gerade diesen Bereich
stärker in den Fokus der Politik gerückt. Das Gesamtvolumen der Mittel für die Städtebauförderung beträgt im
Jahr 2014 700 Millionen Euro. Mit dem Haushalt 2015
setzen wir diesen Kurs entschlossen fort. Wir wollen
Städte und Gemeinden auf vielfältige Weise bei der Bewältigung des demografischen, des sozialen, aber auch
des ökonomischen Wandels unterstützen. Bei allen Maßnahmen, die wir hier beraten und beschließen, muss stets
das Wohlbefinden der Menschen im Zentrum der Betrachtung stehen.
({1})
Ich begrüße es außerordentlich, dass die Programme
„Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ zusammengenommen wieder den größten Programmteil der Städtebauförderung bilden.
({2})
Auch das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ wird auf hohem Niveau fortgeschrieben. Gerade
hier werden besonders viele Projekte im investiven Bereich ermöglicht. Das ist wichtig, weil hier besonders
nachhaltige Lösungen zur Schaffung lebenswerter Städte
und Gemeinden geschaffen werden. Hinzu kommt die
Hebelwirkung des Mitteleinsatzes: Jeder Euro, den wir
im investiven Bereich einsetzen, zieht Folgeinvestitionen im Baubereich in Höhe von 8,50 Euro nach sich.
Das ist insbesondere für unsere Bauwirtschaft und für
unser Handwerk von ganz großer Bedeutung.
({3})
Das stärkt strukturschwache Regionen und bietet Beschäftigung im Bau und im Handwerk. Beschäftigung
gibt den Menschen vor Ort Lebensperspektiven, und
auch das brauchen wir in vielen Städten und Gemeinden.
Zur Stabilisierung und Aufwertung benachteiligter
Stadt- und Ortsteile ist das Programm „Soziale Stadt“
eine gute Wahl. Ich würde es sehr begrüßen, Frau Ministerin, Herr Staatssekretär, wenn wir über das Programm
„Soziale Stadt“ Sportvereine mit ihrem großen Potenzial
in Zukunft noch stärker unterstützen könnten. Sportvereine sind jetzt schon wichtig für benachteiligte Quartiere, wichtig für den Zusammenhalt von Menschen.
Sportvereine sind Garanten der Stabilität in benachteiligten Stadt- und Ortsteilen. Der Sport kennt weder Religionen noch Nationalitäten, er kennt kein Alter, keine
soziale Herkunft. Hier lernen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft besser kennen. Das ist Aufgabe
der sozialen Stadt. Wenn wir Sportvereine und Sportanlagen zukünftig noch stärker berücksichtigen, tun wir
unmittelbar etwas für die Quartiere und die Menschen
vor Ort. Deswegen meine Bitte: Lassen Sie uns das gemeinsam unterstützen.
({4})
Die Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung
ermöglicht es uns auch, neue Schwerpunkte zu setzen.
Ich freue mich, dass es uns in den ersten beiden Haushaltsjahren dieser Großen Koalition gelingt, vor allen
Dingen zwei Punkte stark zu fördern:
Zum einen sorgen wir dafür, dass mehr urbanes Grün
in die Städte geholt wird. Grün steigert die Lebensqualität in bestimmten Bereichen, und da haben wir ganz viel
Potenzial nach oben. Es steigert die Lebensqualität und
ist wichtig im Hinblick auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Meine Damen und Herren, die Menschen fühlen
sich in grünen Städten nicht nur wohler,
({5})
sondern sie fühlen sich auch sicherer. Gepflegte Grünanlagen steigern das Sicherheitsgefühl der Menschen. Deshalb ist es gut, dass wir mehr für Grün in den Städten
tun.
({6})
- Ja, damit habe ich jetzt gerechnet. Das heißt aber nicht,
dass wir mehr Grüne in den Städten brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sondern wir
brauchen Natur, Umwelt und Grün in den Städten,
({7})
und dafür sorgt diese Koalition, aber leider viel zu wenig
die Opposition, meine Damen und Herren.
({8})
Zum anderen tun wir auch etwas - Herr Kühn, Sie haben das ja angesprochen - für die älter werdende Gesellschaft. Wir tun etwas zur Bewältigung des demografischen Wandels.
({9})
Wir haben das Programm „Altersgerecht Umbauen“ aufgelegt.
({10})
Wir sorgen damit dafür, dass gerade ältere Menschen in
ihrem gewohnten Wohnumfeld, in ihrer vertrauten Umgebung wohnen bleiben können. Dafür sorgen wir mit
unserem Programm.
Lieber Herr Kühn, ich würde mir wünschen, dass Sie
mit der Leidenschaft, die Sie von der Regierung eingefordert haben, in Ihrer Partei dafür kämpfen, dass der
Bundesrat endlich seine Blockade aufhebt, was die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung und vieler anderer Sachen angeht. Kämpfen Sie dafür mit Leidenschaft! Uns haben Sie da an Ihrer Seite.
({11})
Meine Damen und Herren, wir haben noch das Thema
Mieten. Dass wir uns auch darum kümmern müssen, ist
gar keine Frage. Ich sage Ihnen: Die beste Antwort auf
steigende Mieten, die beste Antwort auf Verdrängung,
die droht und teilweise aus den zentralen Lagen an die
Ränder auch stattfindet, die beste Antwort darauf ist
Neubau. Bauen, bauen, bauen!
Diese Bundesregierung hat viele Maßnahmen auf den
Weg gebracht; einige sind angesprochen worden. Ich
will noch einmal daran erinnern, wie diese Regierung
den sozialen Wohnungsbau fördert. Der Bund unterstützt
die Länder mit 580 Millionen Euro. Das ist gut und richtig, aber ich wünschte mir, dass die Länder diese Mittel,
die der Bund zur Verfügung stellt, dann auch für den sozialen Wohnungsbau einsetzten. Es darf nicht sein, dass
die Mittel des Bundes in den Haushaltslöchern versickern. Nein, wir brauchen sozialen Wohnungsbau, und
ich fordere die Länder auf, die Mittel des Bundes nicht
nur einzusetzen, sondern auch noch zu verstärken. So
können wir gemeinsam für preiswerte, für bezahlbare
Mieten in unserem Land sorgen.
({12})
Ich komme zum Schluss. Der Zustrom von Flüchtlingen - der eine oder andere Redner hat es schon angesprochen - treibt uns alle, wie ich glaube, mit Sorge um.
Das muss auch so sein. Ich glaube, hier stehen zuallererst die Länder, dann aber auch der Bund in der Verantwortung. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen
würdig untergebracht werden, meine Damen und Herren. Ansonsten erzeugt das sozialen Sprengstoff. Das
können wir nicht gebrauchen. Liebe Frau Ministerin, ich
glaube, der Bund darf weder die Länder und erst recht
nicht die Städte bei der Bewältigung dieser Herausforderung alleinlassen. Wir müssen darüber nachdenken, wie
wir hier noch stärker unterstützend wirken können. Ich
wünsche mir tolle Beratungen. Ich freue mich auf die Ergebnisse am Ende.
Eines wird aber deutlich, meine Damen und Herren:
Nicht nur der Haushalt
Herr Kollege Wegner, darf ich Sie an die Redezeit erinnern!
- ist bei dieser Koalition in guten Händen, sondern
insbesondere auch die Städtebauförderung ist bei der
Großen Koalition in guten Händen.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Karsten
Möring.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin Hendricks, als Unionsfraktion stehen wir auch im Umwelt- und Bauhaushalt für gute und
verlässliche Rahmenbedingungen, für die Umsetzung
des Koalitionsvertrages und für haushaltspolitische Solidität in bewegten Zeiten. Es kann nicht oft genug betont
werden, dass wir mit diesem Haushalt die Wende von
der Zeit der roten Zahlen in die Zeit der schwarzen Zahlen begehen werden.
({0})
Viele Schwerpunkte sind bereits angesprochen worden. Ich möchte einige Aspekte hinzufügen, die mir
wichtig sind und die, wie ich aus vielen Gesprächen
weiß, auch andere Menschen bewegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema „altersgerechter Umbau“ ist jetzt drei- oder viermal angesprochen worden. Deswegen spare ich mir dasselbe. Ich
möchte aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir an diesem Beispiel sehr gut sehen können,
wie wichtig Zuschussprogramme sein können und welche Nebenwirkungen sie für unsere Haushalte haben.
Wenn wir durch den Umbau in alters- oder behindertengerechte Wohnungen nur 15 Prozent unserer pflegebedürftig werdenden Personen einen Umzug ins Heim ersparen oder diesen verzögern, bringt das pro Jahr im
Sozialsystem eine Einsparung von ungefähr 3 Milliarden
Euro. Das ist nicht unser primäres Ziel, aber das ist ein
Argument dafür, dass wir bei der Auflegung von Zuschussprogrammen auch einmal darauf schauen können,
welche weiteren positiven Effekte so etwas hat. Das sollten wir immer dann, wenn es um Finanzen geht, durchaus im Blick haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die beste Nachricht
des Tages ist die Feststellung der Vereinten Nationen,
dass sich die Ozonschicht der Erde weiter regeneriert
und eigenständig Ozon bildet, von dem wir wissen, dass
es die krebserregende UV-Strahlung der Sonne abhält.
Das ist Grund zur Freude und ein Ansporn für unsere Arbeit. Es zeigt vor allen Dingen eins: dass unsere in diesem Fall vor über zwei Jahrzehnten getroffenen Regelungen auch wirksam sind - eine sehr ermunternde und
beflügelnde Feststellung.
({2})
Obwohl die Luftreinhaltung in Deutschland erfreulicherweise bereits ein hohes Niveau erreicht hat, halten
wir die Verringerung der Belastung weiter für notwendig.
Im Sinne des Klimaschutzes und des Gesundheitsschutzes halte ich deswegen vor allen Dingen die Wiederaufnahme des Förderprogramms für Partikelminderungssysteme, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, für
wichtig und möchte dafür auch nachdrücklich werben.
({3})
Mein Wunsch ist hier, dass wir im weiteren Haushaltsverfahren noch eine Lösung finden. Wir müssen
Feinstaub- und Stickoxidemissionen weiter zurückdrängen. Wir können aber nicht nur Maßnahmen allein zulasten der Autofahrer ergreifen. Viele Städte haben wie
meine Heimatstadt Köln inzwischen Umweltzonen mit
deutlichen Einschränkungen für den Straßenverkehr eingerichtet. Trotzdem reichen diese Maßnahmen oft nicht
aus, vor allen Dingen vor dem Hintergrund zukünftig
schärferer Grenzwerte. Wir wissen inzwischen, dass
Baumaschinen einen nicht unerheblichen Anteil an den
Emissionen haben - im städtischen Bereich rund die
Hälfte der Emissionen aus dem Straßenverkehr. Dabei
stellen insbesondere die sehr kleinen Partikel, die Rußpartikel, erhebliche Gesundheitsrisiken dar, weil sie aufgrund ihrer Größe geeignet sind, direkt über die Lunge
in die Blutbahn zu geraten und dann dort bis ins Gehirn
hinein Schäden anzurichten. Ich denke, dass wir hier mit
einer Mischung aus Einsatzbeschränkungen, zum Beispiel in Umweltzonen, und einer Förderung der Filternachrüstung am schnellsten zu spürbaren Verbesserungen kommen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein besserer Lärmschutz für die Menschen liegt uns am Herzen, ein
Thema, das wir in enger Abstimmung mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Verkehrsausschuss angehen, wo natürlich zuständigkeitshalber auch der wesentlich größere Etatposten angesiedelt ist. Gerade in
unserem dicht besiedelten, hochindustrialisierten und
verkehrsreichen Land stellt der Lärm nach wie vor ein
bedeutendes Umweltproblem dar. Da Lärm nicht nur belästigend ist, sondern auch gravierende gesundheitliche
Schäden hervorrufen kann, ist eine nachhaltige Verminderung der Lärmbelastung, vor allem im Verkehrssektor,
unser vorrangiges Ziel und wird sicher in der morgigen
Debatte zum Verkehrshaushalt breiter dargestellt.
({4})
In meinem Wahlkreis sind es vor allem Fluglärm und
Eisenbahnlärm, die für viele Menschen eine erhebliche
Beeinträchtigung darstellen. Straßenlärm spielt dabei
dank umfangreicher Lärmschutzmaßnahmen am Kölner
Autobahnring eine nicht mehr so große Rolle.
Bei der Frage der Lärmbekämpfung wird oft beklagt,
dass Lärm, je nach Quelle, unterschiedlich behandelt
wird. Bei den erheblichen Mitteln, die wir insgesamt an
den verschiedenen Stellen zur Lärmbekämpfung einsetzen, ist es, denke ich, an der Zeit, einmal genauer nachzuschauen, welcher Lärm in welcher Intensität welche
Wirkungen erzeugt, damit wir die Mittel möglichst effektiv einsetzen können.
Ich schlage deshalb vor, dass wir uns über die Einrichtung eines Lärmkompetenzzentrums - so will ich es
einmal nennen - des Bundes Gedanken machen, in dem
die vorhandenen Informationen über die Lärmwirkung
und die Lärmbekämpfung gebündelt und gewertet und
Antworten auf offene Fragen, beispielweise bei der
Lärmwirkungsforschung, gegeben werden können. Dafür braucht es nicht viele Haushaltsmittel, weil hier unter
Rückgriff auf bereits bestehenden Sachverstand große
Wirkungen und großer Nutzen für die Bürger erzielt
werden können.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Trinkwasser
ist ein Grundnahrungsmittel höchster Qualität - und das
soll auch so bleiben.
({6})
Wir wollen den Schutz der Gewässer vor Nährstoffeinträgen - Stichwort „Düngeverordnung“ - verstärken und
Fehlentwicklungen korrigieren. Wir stehen in der Verantwortung, diesen Schutz vorsorgend und nachhaltig zu
gewährleisten. Und weil wir beim Stichwort „Schadstoffeintrag“ sind, zum heiß diskutierten Thema Fracking nur
eine kurze Bemerkung, Herr Kindler und andere: Wir
werden bei den anstehenden Beratungen eine sachorientierte, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende
Lösung finden.
({7})
Wir sind der Auffassung, dass wir bei diesem Thema
vom Glauben zum Wissen kommen müssen, um eine
vernünftige Entscheidung für die Zukunft treffen zu können.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Koalition klare Ziele: mehr Lebensqualität in Stadt und
Land, in einer intakten Umgebung gut leben und bezahlbar wohnen können. Dafür wollen wir auch im Sinne
kommender Generationen arbeiten. Es ist schön, dass
wir heutzutage alle älter werden können. Wir wollen alles dafür tun, dass wir auch gesund älter werden können.
({9})
Sehr geehrter Kollege Möring, das war Ihre erste
Rede hier im Deutschen Bundestag. Im Namen der Kolleginnen und Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu und
wünsche auch Ihnen viele weitere Beiträge hier im Hohen Hause.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. André
Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich mit etwas beginnen, von dem ich nicht weiß
- das sage ich mit einem Augenzwinkern -, ob es heute
schon erwähnt worden ist. Als Haushälter möchte und
werde ich dieses Thema natürlich ansprechen: Wir haben eine besondere Situation - das erste Mal seit 1969
legen wir einen ausgeglichenen Haushalt vor, ohne Aufnahme neuer Schulden. Ich denke, das kann nicht oft genug erwähnt werden.
({0})
Das hat für uns natürlich einen hohen Wert und oberste
Priorität, und wir werden das in Zukunft verstetigen.
Frau Bluhm - Sie haben das im Vorfeld in der Presse
und vorhin auch in Ihrer Rede erwähnt -, Sie fordern
sinngemäß für diesen Etat mehr Taten statt Ankündigungen. So weit, so gut - aber dann hört die Zustimmung
auch auf. Ich denke, dieser Haushalt liefert viele Beweise dafür, dass auch gehandelt wird, dass aktiv gestaltet wird. Ich denke, das ist gut so. Ich bin der Bundesregierung und der Ministerin dankbar dafür, dass erst
nachgedacht, dann angekündigt und dann gehandelt
wird.
({1})
Ich möchte mich in meinem Beitrag auf den Wohnungs- und Baubereich beziehen, mit knapp 60 Prozent
des Ausgabevolumens der größte Bereich dieses Etats.
Aber der Haushalt an sich ist kein Selbstzweck, sondern
er soll - das haben wir auch schon gehört - ein Stück
weit Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen liefern.
Eine wesentliche Beobachtung machen wir zurzeit im
Bau- und Wohnungsbereich: Es gibt eine erhebliche
Binnenwirkung in Deutschland. Einerseits gibt es einen
großen Zuzug in den Ballungsgebieten und Universitätsstädten; der Wohnraum wird knapp und damit teurer.
Andererseits gibt es Gebiete, in denen Leerstände entstehen, insbesondere im ländlichen Bereich. Aber summa
summarum kann man, glaube ich, sagen: Es fehlen mindestens 250 000 Wohnungen pro Jahr.
Allein an dieser Beschreibung sieht man ja: Es wird
in dieser Situation keine einheitliche, einseitige oder
einfache Lösung geben, sondern es sind verschiedene
Akteure und Maßnahmen für die verschiedensten Konstellationen gefragt.
Die Kommunen beispielsweise müssen sich anstrengen und weiter Bauland ausweisen. Die privaten Investoren aus der Bau- und Wohnungswirtschaft müssen sich
im Neubau von Wohnungen engagieren.
Auch der Bund engagiert sich an verschiedensten
Stellen. Als Erstes möchte ich das mehrfach genannte
Wohngeld erwähnen. Es dient der Unterstützung einkommensschwacher Haushalte und ist ein Zuschuss zu
den Wohnkosten. 130 Millionen Euro zusätzlich werden
als Zuschuss zur Miete oder für selbst genutzten Wohnraum zur Seite gestellt. Bund und Länder teilen sich
diese Ausgaben je zur Hälfte.
Mit der angekündigten Wohngeldreform werden die
regional gestaffelten Miethöchstbeträge, die Anpassung
an aktuelle Mieten und an die Einkommensentwicklung
und die erwähnte Heizkostenkomponente umgesetzt.
Dadurch wird die Zahl der Empfängerhaushalte für diese
Leistungen nach der sinkenden Zahl in den letzten Jahren wieder auf über 900 000 steigen. Insgesamt werden
rund 1,8 Millionen Menschen von dieser Leistung profitieren. Ich denke, das ist eine starke Leistung, auf die
man auch immer wieder hinweisen kann.
({2})
An Sie gerichtet, Herr Kühn, möchte ich noch die
Finanzierung erklären. Sie haben das vorhin etwas
verdreht bzw. nicht ganz verstanden. Wenn wir die
Wohngeldreform nicht durchführen würden, dann würde
die Zahlungsleistung des Bundes auf ungefähr 400 Millionen Euro im Jahr sinken. Durch das Aufstocken von
500 Millionen auf 630 Millionen Euro haben wir also
230 Millionen Euro für die Wohngeldreform zur Verfügung. Ich würde das als solide Finanzierung beschreiben. Über das Gesetz werden wir noch in Ruhe diskutieren.
({3})
Der zweite Bereich sind die Wohnungsbauprämien.
Der Bund fördert damit das Bausparen bis zu bestimmten Einkommenshöhen. Es soll ein Anreiz gesetzt
werden, um Eigentum zu schaffen, zu erwerben und zu
erhalten. Das hat auch etwas mit Altersvorsorge zu tun.
Die Erhöhung um 43 Millionen Euro wurde bereits
angesprochen. Diese Leistung wird ausschließlich vom
Bund getragen. Sie wird nicht in dem Sinne beschlossen
oder prognostiziert; sie kann vielmehr anhand der geschlossenen Altverträge konkret berechnet werden, und
zwar jeweils sieben Jahre nach Vertragsabschluss.
Der dritte Bereich ist die Finanzierung der sozialen
Wohnraumförderung. Auch das haben wir schon mehrfach gehört. Sie dient der Bereitstellung von Wohnraum
für Menschen mit geringeren Einkommen. Hierzu gibt
es jedoch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Bis 2006 hat der Bund jährlich Finanzhilfen zum
Zweck der sozialen Wohnraumförderung bereitgestellt.
Mit der Föderalismusreform wurde die Zuständigkeit
komplett auf die Länder übertragen, und als Kompensation für den Wegfall dieser ständigen Zahlungen
wurden 518 Millionen Euro vereinbart, die vom Bund
jährlich bis 2019 an die Länder überwiesen werden.
Angesichts dieser beschriebenen Entwicklung im hohen Bereich schließe ich mich dem Gedanken an, den
Kai Wegner vorhin geäußert hat. Ich wünsche, dass die
Länder die zugesagten Zahlungen im Sinne der sozialen
Wohnraumförderung einsetzen, auch wenn es die ursprünglich beschriebene Zweckbindung nicht mehr gibt.
Aber wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen
und nicht immer nur nach fremder Hilfe rufen, dann
können wir, glaube ich, diese Aufgabe gemeinsam lösen.
({4})
Der vierte Bereich ist die Städtebauförderung. Sie ist
die zentrale Säule der Stadtentwicklungspolitik des Bundes. Es ist eine bewährte Leistung im Zusammenspiel
von Bund, Ländern und Gemeinden. Man kann sagen:
Es ist ein Konjunkturprogramm par excellence. Wir
haben gerade gehört, dass die Hebelwirkung das Siebenbis Achtfache beträgt. Wir steigern die Attraktivität vor
Ort oder lösen Probleme, wenn die betroffenen Kommunen oder Beteiligten diese Probleme in den einzelnen
Lagen bzw. in bestimmten Quartieren nicht selbst stemmen können.
Gerade aus meiner Heimatregion kann ich berichten:
Vor wenigen Tagen wurden zwei Städte und Gemeinden
in das Städtebauprogramm 2014 aufgenommen, unter anderem meine Heimatstadt Melle im Landkreis Osnabrück
in das Programm „Stadtumbau West“. 500 000 Euro wurden für ein Projekt bewilligt, zu dem ich alle nur beglückwünschen kann. Ich freue mich darüber, weil das
Quartier, eine Industriebrache, ein Projekt ist, das niemand alleine hätte anpacken können. Die Akteure wirken jetzt zusammen. Jetzt erfolgt ein Rückbau, und es
entstehen eine verdichtete Bebauung und ein Zusammenspiel zwischen Wohnen, Handel, Handwerk und
Dienstleistungen. Es ist ein tolles Projekt, und sicherlich
auch dank dieser Unterstützung und Leistungen des
Bundes.
({5})
- Genau. Das Quartier wird aufgewertet.
Die Bedeutung dieser Maßnahme erkennen wir auch
am Koalitionsvertrag. Dort ist dieser Bereich als prioritäre Maßnahme ausgewiesen.
Die Städtebauförderungsmittel sind erhöht worden
auf die angesprochenen 700 Millionen Euro im Jahr,
650 Millionen Euro für die bekannten und bewährten
Programme sowie 50 Millionen Euro für das bundesunmittelbare Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“. Ziel dieses Programms soll es sein - das sagt
schon der Name -, nationale Wahrnehmbarkeit und
Qualität zu fördern. Erstmalig werden Schwerpunkte in
diesem Bereich bei Denkmalensembles mit nationalem
Rang und baulichen Kulturgütern von besonderem Wert
gesetzt. Hierfür hat die Bundesministerin einen
Projektaufruf gestartet. Bis zum 22. September können
Kommunen Vorschläge unterbreiten. An dieser Stelle
- wo bietet es sich besser an? - schließe ich mich diesem
Aufruf an die Kommunen an: Liebe Kommunen, machen Sie Vorschläge! - Es geht um 50 Millionen Euro
und eine relativ geringe Kofinanzierung. Ich denke, das
Haus wird jeden Antrag zur Bearbeitung gerne entgegennehmen.
({6})
Schließen möchte ich wieder mit Frau Bluhm. Wie
angekündigt, gibt dieser Haushalt viele Beispiele dafür,
dass gehandelt und nicht nur angekündigt wird. Er bietet
eine tolle Grundlage für den Bereich Bau- und Wohnungswirtschaft. Wir bringen diesen Bereich ein gutes
Stück voran. Lieber Steffen Kampeter, vielen Dank für
die tolle Vorarbeit an das Bundesfinanzministerium. Ich
freue mich auf die anstehenden Beratungen.
Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
({7})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Christian Hirte, dem ich für die CDU/CSU jetzt
das Wort erteile.
Vizepräsident Johannes Singhammer
({0})
Was lange währt, wird manchmal gut. Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Damit meine ich nicht
nur unsere heutige Debatte, sondern auch den Haushalt
für das kommende Jahr.
({0})
Nach 46 Jahren gelingt es endlich wieder, einen Haushalt aufzustellen, der ohne neue Schulden auskommt.
({1})
- Ja, Sie mögen das jetzt wissen. Aber in Anbetracht der
historischen Dimension müssen wir es ständig wiederholen.
({2})
Unsere Kanzlerin Angela Merkel hat dabei deutlich
gemacht: Sparen ist kein Selbstzweck. Wir haben die
Pflicht zum Haushaltsausgleich, weil wir unser Gemeinwesen dauerhaft nicht anders finanzieren und unsere
Aufgaben nicht wahrnehmen können. Dies war im Übrigen schon der letzten Großen Koalition bewusst, als wir
gemeinsam 2009 die Schuldenbremse verabschiedet
haben. Heute können wir in konsequenter Fortentwicklung die Früchte ernten. Insbesondere an die Adresse der
Baupolitiker darf ich ganz klar sagen: Eine Konsequenz
dieser guten Haushaltspolitik ist natürlich auch unser
herausragendes Zinsniveau, das wohl mit Abstand das
erfolgreichste Baukonjunkturprogramm in den letzten
Jahrzehnten darstellt.
({3})
Die eigentliche Herausforderung ist daher, in den
kommenden Jahren die „schwarze Null“ aufrechtzuerhalten und den ausgeglichenen Haushalt zu verstetigen.
Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag einhellig
verständigt. Dass nachhaltig ausgeglichene Haushalte
längerfristig erreichbar sind, haben uns schon einige
Bundesländer vorgemacht, zum Beispiel mein Heimatland, der Freistaat Thüringen.
({4})
Dort hat schon die Regierung Althaus ausgeglichene
Haushalte vorgelegt. Obwohl die Regierung Lieberknecht
und unsere neuen Freunde von der SPD in der Anfangsphase mehrere Aufgaben zu bewältigen hatten und Schulden machen mussten, ist es im Laufe der fünf Jahre gelungen, nicht nur die Schuldenaufnahme zurückzuführen,
sondern die zunächst aufgenommenen Schulden komplett
zurückzuzahlen.
({5})
Daran sieht man, dass wir für gutes Haushalten stehen
und dass die von Christine Lieberknecht geführte Regierung ohne großes Tamtam und mit Augenmaß ihre Hausaufgaben gemacht hat.
({6})
Die Anmerkung sei mir mit Blick auf den kommenden
Wahlsonntag noch gestattet: Ich denke, wir in Thüringen
sollten lieber den eingeschlagenen Weg beibehalten, statt
postsozialistische Experimente mit ungewissem Ausgang zu starten.
({7})
Nun zur Umweltpolitik im Einzelplan 16. Auch im
Umweltbereich gehen wir einer unserer Prioritätensetzungen in besonderer Weise nach. Im Umweltbereich
steigern wir die Ausgaben für die Forschung. Ein Sorgenkind im Umweltbereich bleibt die Endlagerung. Bisher sieht die Ausgabenplanung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle Kosten in Höhe von 436 Millionen
Euro für das Jahr 2015 vor. Wir müssen uns dabei aber
vor Augen halten, dass es sich hierbei um eine grobe
Schätzung handelt. Möglicherweise werden die Kosten,
jedenfalls in den kommenden Jahren, immer wieder einen unsicheren Faktor darstellen. Dieses Thema wird
uns daher in den nächsten Jahren erhalten bleiben.
Über den internationalen Klimaschutz ist heute
Abend schon reichlich diskutiert worden. Ich finde, zu
Unrecht sind unsere Ministerin und das Haus kritisiert
worden. Nachdem der Kollege Lemme von der SPD
seine Ministerin nicht ganz so sehr verteidigt hat, will
ich das gerne nachholen; denn ich denke, dass uns ein
guter Haushalt vorgelegt worden ist. Ja, es stimmt: Im
Einzelplan 16 wurde beim Titel „Internationaler Klimaschutz“ um 46 Millionen Euro gekürzt.
Aber internationaler Klimaschutz geht nicht nur von
dieser einen Stelle des Bundeshaushaltes aus. Es gibt
auch den Energie- und Klimafonds. Der Bundesanteil
daran wird im nächsten Jahr erheblich aufgestockt. Wir
rechnen damit, dass endlich wieder höhere Erlöse aus
dem Handel mit CO2-Zertifikaten erzielt werden und
dass für den Energie- und Klimafonds insgesamt gut
90 Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen. Diese
Mittel werden später natürlich auch für klimarelevante
Investitionen bereitstehen.
Auch in anderen Haushalten spielt das Thema Klimaschutz eine Rolle. Allein im Haushalt des BMZ werden
dafür im Jahr 2015 weitere 175 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Von nachlassendem Engagement beim
Klimaschutz kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe
festes Vertrauen darauf, dass die Bundesministerin
Hendricks dieses Thema mit Verve verfolgt und zu guten
Ergebnissen kommt.
({8})
Die chronische Unterfinanzierung des EKF zwingt
uns gleichwohl, über die Ausgestaltung dieses Fonds
noch einmal ernsthaft nachzudenken. Wir alle, die wir
uns mit diesem Thema intensiver beschäftigen, sehen,
dass wir erhebliche Probleme, insbesondere mit der Finanzierung, haben. Dies ist ein Thema, dessen wir
Haushälter uns - auch aufgrund von Anregungen des
Bundesrechnungshofes - noch einmal intensiv annehmen sollten.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen.
Neu im Haushalt ist ein Programm zur Klimaneutralisierung von Dienstreisen der Bundesregierung. Dafür sind
2 Millionen Euro vorgesehen. Damit sollen die durch
Dienstfahrten und Flüge anfallenden Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden. Dazu soll quasi mit einer
Spende zugunsten eines internationalen Klimaschutzprojektes in Höhe vergleichbarer CO2-Zertifikate das geplagte Gewissen unserer Minister und unserer Staatssekretärsriege erleichtert werden.
Ich will ehrlich zugeben, dass ich mit diesem Programm noch etwas Probleme habe. Das liegt zum einen
daran, dass dieses Programm anders als andere Themen
im Koalitionsvertrag nicht als Maßnahme vorgesehen
ist. Wir haben vorhin schon das Thema Rußpartikelfilter
angesprochen. Die Klimaneutralisierung von Dienstreisen gehörte nicht dazu. Ich gebe auch ehrlich zu, dass ich
noch etwas überzeugt werden muss,
({9})
wie wir mit diesem Thema insgesamt umgehen. Als Abgeordneter, in dessen Wahlkreis der Luther-Stammort
Möhra und die Wartburg bei Eisenach liegen, beschäftigt
man sich gelegentlich natürlich mit Martin Luther und
mit dem, was um ihn herum damals geschah. Deswegen
kommt mir eine sogenannte Klimaneutralisierung ein
kleines bisschen wie ein spätmittelalterlicher Ablasshandel vor,
({10})
mit dem kleinen Unterschied, dass
({11})
der klimapolitische Sünder Bundesregierung seine Buße
einem Dritten, nämlich dem Steuerzahler, überwälzt und
dass damit möglicherweise nicht ganz der Punkt getroffen wird, um am Ende Vergebung zu erlangen.
Ich würde also eher dafür plädieren, die Mittel für den
nationalen Klimaschutz unangetastet zu lassen und zu
schauen, wie wir mit dem Geld weiter vernünftig umgehen. Das ist vernünftig, weil Sie, Frau Ministerin
Hendricks, dann nicht Malaysia zur Kontrolle einer dort
finanzierten Biogasanlage besuchen müssten; stattdessen
könnten Sie in meinen Wahlkreis kommen.
({12})
Das wäre viel klimafreundlicher. Sie könnten sich dort
zum Beispiel darüber informieren, wie sich ein Rotmilanprojekt entwickelt. Ich glaube, das wäre für alle Beteiligten angenehmer. Für mich wäre es das auf jeden
Fall.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Mit diesen theologischen Bemerkungen sind wir zum
Schluss unserer heutigen Tagesordnung gelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 12. September 2014,
9 Uhr, ein.
Ich schließe hiermit die Sitzung.