Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/10/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Karin Evers-Meyer herzlich zu ihrem heutigen 65. Geburtstag gratulieren. ({0}) Ich will die Gelegenheit auch gerne nutzen, all denjenigen zu gratulieren, die während der parlamentarischen Sommerpause beinahe unauffällig vergleichbare runde Geburtstage hinter sich gebracht haben - angeführt von unserer Bundeskanzlerin, die nicht ganz so unauffällig, aber auch ihren 60. Geburtstag in der Sommerpause gefeiert hat, ({1}) ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen Günter Lach, Dr. Harald Terpe, Dr. Wilhelm Priesmeier, Jürgen Trittin, Max Straubinger, Norbert Brackmann und Dr. Axel Troost. Ihren 65. Geburtstag haben die Kollegen Bartholomäus Kalb, Karsten Möring und Volker Kauder begangen. Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat seinen 70. und der Kollege Wolfgang Gehrcke seinen 71. Geburtstag erfolgreich hinter sich gebracht. Allen Jubilaren möchte ich auch auf diesem Wege noch einmal herzlich alles Gute wünschen und die Gratulation des Hauses aussprechen. ({2}) Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 ({3}) Drucksache 18/2000 Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksache 18/2001 Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss Für die heutige Aussprache haben wir gestern eine Redezeit von insgesamt neun Stunden beschlossen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich eröffne die Aussprache dazu und erteile zunächst dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort. ({4})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu einem Haushalt entschlossen, mit dem Sie alles, was wichtig ist, verschieben oder ausfallen lassen. Die Kindergelderhöhung wird verschoben, die Abschaffung der kalten Progression wird verschoben - es wird also weiterhin so sein, dass zum Beispiel Leute, die 3 Prozent brutto mehr erhalten, netto nur 0,5 Prozent mehr verdienen -, die Investitionen in Bildung, in digitale Netze, in Wasserwege, in Brücken und in Straßen fallen aus. Und warum? Nur, um zum ersten Mal einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen! Für ein sehr zweifelhaftes Denkmal verzichten Sie auf alles, was Zukunft ausmacht. Das kann nicht in Ordnung sein; das wissen Sie selbst. ({0}) Lassen Sie mich zunächst etwas zur Außenpolitik sagen. Außenminister Kerry hat nun voll Stolz erklärt, dass es eine Koalition der Willigen gegen ISIS unter Einschluss der Türkei und Deutschlands gibt. ({1}) Mich interessiert die Türkei. Bisher war es so, dass die Türkei potenzielle Kämpfer der terroristischen Söldnerarmee ISIS in Richtung Syrien und in Richtung Irak unbehelligt durchgelassen hat. Transporte mit Hilfsgütern wurden gestoppt. Interessanterweise hat die Türkei einen Tag nach unserer Debatte vom 1. September dieses Jahres die Transporte mit Hilfsgütern durchgelassen. Sind Sie sich wirklich sicher, dass die Türkei ihre Haltung zu ISIS grundsätzlich geändert hat? Ich mache da erst einmal ein Fragezeichen. ({2}) Dann ist die Frage: Wie will sich nun eigentlich die Bundesregierung beteiligen? Sie haben schon Waffen an Peschmerga geliefert. Das war falsch, das bleibt falsch. Dem Irak fehlt vieles, aber keine Waffen. Es gibt viele Möglichkeiten: Man kann die humanitären Hilfen für Kurdinnen und Kurden, für Jesiden, für Christinnen und Christen und viele andere ausbauen. Man kann eine irakische Einheitsregierung unterstützen, damit es keine Ausgrenzungen mehr gibt: weder von Sunniten noch von Schiiten noch von Christinnen und Christen, Jesiden oder anderen. Man kann Gespräche anbahnen. Man kann so vieles tun. Das Einzige, worauf die Regierung kommt, sind Waffenlieferungen. Das ist wirklich absurd; das muss ich ganz klar sagen. ({3}) Ich habe noch weitere Fragen: Was ist überhaupt die Koalition der Willigen? Wann kehren wir zum Völkerrecht zurück? ({4}) Zuständig ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu entscheiden hat, nicht irgendwelche Koalitionen der Willigen. ({5}) Warum leiten Sie diesbezüglich nichts ein? Ich glaube, Sie leiten deshalb nichts ein, weil das Verhältnis der USA zu Russland besonders schlecht ist. Aber wir wissen doch: Das Ganze geht nur mit, nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland. Die internationalen Probleme sind nur mit Russland zu lösen, egal ob ich an ISIS denke, ob ich an die Probleme im Iran denke, ob ich an Syrien denke. Wir sind doch auf Russland angewiesen. ({6}) Sie, Herr Kauder, haben hier am 1. September gesagt, dass ISIS mit dem falschen Krieg der USA und anderer Staaten gegen den Irak, der 2003 begonnen hat, nichts zu tun hat, weil ISIS in Syrien entstanden ist. Das stimmt, da haben Sie recht. Aber ohne den Bürgerkrieg in Syrien wäre ISIS nie entstanden. Ohne den Krieg gegen den Irak wäre ISIS niemals über die Grenze von Syrien in den Irak gekommen. Dort gibt es gar keinen Staat mehr. Es gibt auch keine Kontrolle mehr. Daran ist der Krieg von 2003 schuld. Deshalb gibt es sehr wohl einen Zusammenhang. ({7}) Ich sage Ihnen noch etwas. Die PKK und die PYD in Syrien - das hat hier auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion eingestanden - schützen inzwischen die Jesiden, die Christinnen und Christen. Wir müssen unsere Politik ändern. Prüfen Sie das PKK-Verbot und heben Sie es auf! Haben Sie endlich die Kraft, ISIS zu verbieten! Es wird höchste Zeit, dass das geschieht. ({8}) In der Sendung Panorama wurde Folgendes gezeigt: Bei einer Demonstration waren auf der einen Seite Demonstranten mit PKK-Fahnen zu sehen, und die Polizei griff sofort ein. Auf der anderen Seite waren Demonstranten mit ISIS-Fahnen zu sehen, und es passierte nichts. - Da muss sich in unserem Land etwas gründlich ändern. ({9}) Ich freue mich sehr, dass alle Dachverbände der Muslime in Deutschland ISIS scharf verurteilt haben und für den 19. September dieses Jahres zu einer Großkundgebung aufrufen. Wir alle beurteilen Assad überwiegend negativ. Viele haben gegen Assad gekämpft, aber wir haben immer gesagt: Wir brauchen diesen Kontakt. Wir brauchen die Möglichkeiten zu Gesprächen. - Jetzt wird es ganz deutlich: Wir brauchen Assad auch im Kampf gegen ISIS. Es ist also nie klug, übertrieben zu reagieren. Wissen Sie: Ihre ganze Außenpolitik wirkt hilflos, wirr und durcheinander. Das ist viel zu wenig. Dafür ist die Verantwortung Deutschlands zu groß. Ich sage Ihnen noch etwas: Im Kalten Krieg hat der Westen gesiegt. Aber er konnte nicht aufhören, zu siegen. Die alte Ordnung wurde zerstört, und keine neue friedenschaffende Ordnung hergestellt. Es gibt eine besondere Verantwortung der USA, Russlands und Chinas, dann erst kommt die EU mit Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Dieser Verantwortung werden Sie alle nicht gerecht. Das verunsichert die Menschen sehr. Das macht sie so unzufrieden. Sie wissen gar nicht, wohin das Ganze läuft. Ich komme zur Ukraine. Endlich gibt es eine Vereinbarung über eine Feuerpause, einen Waffenstillstand. Das ist für mich schon ein Durchbruch. Der Donbass bleibt selbstverständlich Bestandteil der Ukraine. Es geht dann um weitgehende Autonomierechte. Was wir jetzt brauchen - das sage ich Ihnen schon jetzt -, ist ein Marshallplan für die Ostukraine. Wir brauchen regionale Wahlen. Es gibt Extremisten auf beiden Seiten. Es gibt die sogenannten Freiwilligenverbände der ukrainischen Armee, die faschistisch strukturiert sind. Aber es gibt auch bei den Separatisten extremistische Kräfte, die den Anschluss des Donbass an Russland fordern und von einem großrussischen Reich träumen. Alle Fragen müssen am Verhandlungstisch geklärt werden. ({10}) Wie Finnland sollte die Ukraine nicht zur NATO gehören. Und ich sage Ihnen: Die NATO-Gipfel-Beschlüsse sind absolut kontraproduktiv - schnelle Eingreiftruppe, Aufrüstung im Baltikum und in Polen. Der Vertrag zwischen der NATO und Russland sieht aber vor, dass eine dauerhafte Stationierung von NATO-Streitkräften in Osteuropa verboten ist. Wollen Sie diesen Vertrag verletzen? Was sollen die geplanten Änderungen? Russland wird darauf wiederum mit einer Änderung seiner Militärdoktrin reagieren. Es besteht die Gefahr einer neuen Runde des Rüstungswettlaufs. Das Minsker Abkommen über die Feuerpause - und zwar unbefristet - muss doch ein Anlass zur Deeskalation auch durch NATO und EU sein. Deshalb sind auch die neuen Sanktionsbeschlüsse falsch; denn sie führen zu einer Eskalation, obwohl das Gegenteil notwendig ist. ({11}) Ich sage Ihnen noch etwas: Die Sanktionen und ihre Antworten schaden - völlig unnötig - der Wirtschaft und der Bevölkerung in Deutschland - übrigens insbesondere in den neuen Bundesländern. Denn 80 Prozent der Exporte von Deutschland nach Russland kommen aus den neuen Bundesländern. Da wird das gravierende Folgen haben. Ich sagen Ihnen: Eine vernünftige Politik wäre, die Sanktionen unverzüglich aufzuheben. ({12}) Und was macht die NATO? Sie führt acht Manöver in der Ukraine durch - aktuell ein Manöver im Schwarzen Meer, zusammen mit den USA, der Türkei, Spanien und der Ukraine. Dann gibt es Northern Coast, ein Manöver in der Ostsee, an dem auch die Bundeswehr mit 1 000 Soldaten teilnimmt. Was soll diese Provokation Russlands? Die NATO und vor allem die USA fordern, 2 Prozent der Wirtschaftsleistung in den Verteidigungsetat zu stellen - 2 Prozent. Deutschland ist gegenwärtig bei 1,3 Prozent. Wenn wir diesen Wunsch erfüllten, müssten wir rund 24 Milliarden Euro mehr für Rüstung ausgeben. Frau von der Leyen, Sie - das habe ich doch richtig verstanden? - wollen nicht so viel ausgeben, aber schon mehr. Und die Kanzlerin habe ich so verstanden, dass sie eigentlich nicht mehr ausgeben will. Ich hoffe, Sie verständigen sich darauf, weniger auszugeben - auf gar keinen Fall mehr! Das will ich auch deutlich sagen. ({13}) Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Nur mit den Atomwaffen der acht Atommächte kann die Menschheit 1 000-mal ausgelöscht werden. Reicht das nicht? Was soll zusätzliche Aufrüstung? Müssen wir die Menschheit 1 500-mal auslöschen können? Wo soll das hinführen? ({14}) Ich sage Ihnen ganz klar: Die USA, die NATO und auch Deutschland sind hoch gerüstet. Wir brauchen keine Aufrüstung mehr. ({15}) Mit Aufrüstung erreicht man auch nicht mehr Frieden im Gegenteil. Und ich sage jetzt auch deutlich: Mit Aufrüstungsreden und Aufrüstungsentscheidungen erreichen wir nichts. Was wir brauchen, sind Abrüstungsreden und Abrüstungsentscheidungen. ({16}) Die Bundesregierung - und damit auch EU und NATO - werden immer abhängiger von der US-Regierung. Warum können Sie diesbezüglich eigentlich nicht souveräner, nicht eigenständiger auftreten? Das geht mir so auf die Nerven; das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Die NSA hört unsere gesamte Bevölkerung ab, betreibt Wirtschaftsspionage, aber Sie haben Angst, irgendetwas Wirksames dagegen zu unternehmen. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: In Wiesbaden wird gerade ein hohes Gebäude für die NSA gebaut. Warum haben Sie denn nicht den Mumm, der US-Regierung zu sagen: Unter diesen Bedingungen, ohne No-Spy-Abkommen, ohne ein Abkommen, das gegenseitige Spionage ausschließt, kann die NSA niemals in dieses Gebäude einziehen. Die Volkssolidarität, Attac oder andere Leute, die etwas Vernünftiges machen, können da gerne einziehen, aber nicht die NSA. ({17}) Zeigen Sie mal etwas Mumm! Ich sage Ihnen auch: Dieses Duckmäusertum, das Sie an den Tag legen, führt nicht zu Freundschaft, sondern zu Verachtung. Wenn man Freundschaft will, muss man sich als Erstes Respekt erarbeiten. Und mit solchen Entscheidungen erarbeitet man sich Respekt, den wir dringend benötigen. ({18}) Nun höre ich aber auch, dass der BND die Türkei abhört. Aber ich habe das doch richtig verstanden: Die USA, Deutschland und die Türkei - wenn auch gegen unseren Willen - führten zusammen Krieg in Jugoslawien, dann in Afghanistan, und gleichzeitig behandeln sie sich wie Kriegsgegner. Das ist ja ein dolles Bündnis, kann ich nur sagen. Riesenfragezeichen! Ein weiterer Punkt sind die Abkommen. Eines liegt schon vor - das CETA-Abkommen mit Kanada -; das andere, das TTIP-Abkommen, ist geplant. Ich habe dazu schon einiges gesagt. Was uns am meisten stört und befremdet, ist die Investitionsschutzklausel. Ich komme noch darauf zurück. Die Bundesregierung sagt, sie sei auch gegen die Investitionsschutzklausel. Sie ist aber in dem Abkommen vorgesehen. Ich bin sehr gespannt, was Sie diesbezüglich vorhaben. Zu hören ist schon, dass die Vorteile so groß sind, dass man vielleicht doch damit leben kann, was eine Katastrophe wäre, sowohl im Verhältnis zu Kanada als auch zu den USA. Was bedeutet denn eine Investitionsschutzklausel? Wenn wir in Berlin einmal eine vernünftigere Regierung bekämen - das ist schließlich möglich, zum Beispiel mit Linken ({19}) - es freut mich, dass Sie sich jetzt schon darauf freuen -, ({20}) und die beschlösse plötzlich, dass es mehr Mitbestimmung gibt oder dass Konzerne etwas mehr Steuern zahlen müssen, dann könnten die kanadischen und amerikanischen Unternehmen sagen: „Das geht nicht; es verstößt gegen das Verbot von Investitionshemmnissen; ({21}) denn wir haben unseren Sitz hier unter anderen Voraussetzungen gegründet“, und Schadenersatz fordern. Das ist eine Katastrophe, weil Sie jede vernünftigere Politik ausschließen. Deshalb darf das niemals in Kraft treten. ({22}) Es gibt einen Zeugen. Dieser Zeuge ist kein Linker, sondern der Ministerpräsident Australiens. Er hat gesagt, er würde das Abkommen nie wieder unterschreiben, und zwar aus folgendem Grund: In Australien wurde, nachdem das Abkommen unterschrieben wurde, angeordnet, dass auf Zigarettenschachteln der Hinweis erfolgen muss, dass Zigaretten ungesund sind. Es war ein bisschen spät, aber irgendwann hat auch Australien das angeordnet. Der Punkt ist, dass das Unternehmen Philip Morris, das dort schon seinen Sitz hatte, sagte: „Das geht nicht; das verstößt gegen die Investitionsschutzklausel“, und Schadenersatz in Milliardenhöhe forderte. Wollen Sie Politik wirklich unmöglich machen? Das geht nicht. Stoppen Sie das Ganze so schnell wie möglich! ({23}) Außerdem erleben wir eine Entstaatlichung, und zwar in dreifacher Hinsicht: erstens durch CETA und TTIP. Denn es sollen keine ordentlichen Gerichte zuständig sein. Es gibt dann nur ein Schiedsgericht, bestehend aus drei Advokaten, die über Milliardenbeträge entscheiden sollen. Der ordentliche Gerichtsweg ist ausgeschlossen. Das ist eine Entstaatlichung. Es verstößt auch gegen die Rechtsstaatlichkeit. Das ist nicht hinnehmbar. Die zweite Entstaatlichung, die noch viel schlimmer ist, erleben wir in Somalia, Irak, Libyen und Afghanistan. Nirgendwo funktioniert der Staat noch. In Ägypten, Syrien und in der Ukraine besteht die Gefahr der Zerstörung des Staates. Das Dritte ist eine Entstaatlichung in unserer Gesellschaft. Darauf möchte ich Sie gerne hinweisen, weil ich finde, dass wir sehr viel genauer darauf achten müssen. Es gibt ein oberstes Zehntel in unserer Gesellschaft, das sich nicht mehr für den Staat interessiert. Diese Menschen gehen zwar formal wählen, aber mehr interessiert sie nicht, weil sie alles, ob Firmensitz oder Wohnsitz, danach begründen, wie die Rechtsvorschriften in welchem Teil der Welt aussehen, wo welche Steuerregeln und Arbeitsschutzregeln herrschen und welche Löhne kassiert werden etc. Sie haben sich vom Staat innerlich völlig verabschiedet. ({24}) Zu meinem großen Bedauern ist es so, dass wir zwar Teile des unteren Viertels erreichen - andere auch -, aber bestimmte Teile des unteren Viertels erreichen wir gar nicht mehr. Diese Menschen haben sich völlig vom Staat verabschiedet und gehen auch nicht mehr wählen. Was glauben Sie, wie oft ich versuche, mit ihnen zu reden. Ich stelle eine Entwicklung fest, die mir große Sorgen macht, weil sie für die Demokratie ungeheuer schädlich ist. Wir müssen erreichen, dass die gesamte Gesellschaft wieder am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Davon sind wir weit entfernt. ({25}) Jetzt werde ich auch etwas zu den Ursachen sagen, zum Beispiel unsere Vermögensentwicklung. Es gibt Zahlen, die einen umhauen. Die EU-Millionäre, von denen es eine reichliche Anzahl gibt, haben ein Geldvermögen - es geht nur um das Geld, ohne Grundstücke und Unternehmen - von 17 Billionen Euro. Die gesamten Staatsschulden der EU belaufen sich auf 11 Billionen Euro. Stellen Sie sich vor, sie würden uns das ganze Geld überweisen. Dann könnten wir alle Schulden bezahlen und ihnen sogar noch 6 Billionen zurücküberweisen. Dann wären sie immer noch nicht arm. Aber so weit geht noch nicht einmal die Linke. ({26}) Wir sagen aber: Wir brauchen endlich eine Millionärsteuer in der Europäischen Union. ({27}) Aber Sie weigern sich, ein Stück mehr Gerechtigkeit herzustellen. Gehen wir einmal zu Deutschland über. In Deutschland haben wir ein Geldvermögen - passen Sie jetzt auf, Herr Kauder! Sie müssen sich die Zahlen merken - von 10 Billionen Euro. Jetzt gibt es eine neue Studie der Europäischen Zentralbank, die besagt: 1 Prozent unserer Bevölkerung - 1 Prozent, ich bitte Sie! - besitzt 32 Prozent davon. Das sind weit über 3,5 Billionen Euro. 50 Prozent - die in finanzieller Hinsicht unteren 50 Prozent - unserer Haushalte und damit die Hälfte unserer Bevölkerung besitzt 1 Prozent davon. Nun sage ich, was für mich am erschreckendsten ist. Diese Hälfte besaß 1998 4 Prozent. Meine Damen und Herren von Union und Sozialdemokratie, aus 4 Prozent werden bei uns nicht Schritt für Schritt 5 und dann 6 Prozent, sondern aus 4 Prozent wird 1 Prozent. Werden es in fünf Jahren 0,5 Prozent sein? Die Schere geht immer weiter auseinander. Das ist unerträglich. ({28}) Die schlimmste Umverteilung von unten nach oben hatten wir durch die Agenda 2010 in Verantwortung von SPD und Grünen. Seit 2000 haben wir - das ist dieselbe Entwicklung - einen Anstieg der Unternehmens- und Vermögenseinkommen, Herr Kauder, um 60 Prozent zu verzeichnen. In derselben Zeit sind die Reallöhne um 3,7 Prozent gesunken. Erklären Sie das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das ganze Vermögen geschaffen haben! Ich jedenfalls finde diese Entwicklung unerträglich. Wir müssen die Umverteilung von unten nach oben stoppen und eine von oben nach unten einleiten, um ein Stück Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu erreichen. ({29}) Die Bundeskanzlerin und ihr Vizekanzler beklagen den Investitionsstau seit zehn Jahren. Einen solchen Stau gibt es tatsächlich; das stimmt. Allerdings, Frau Bundeskanzlerin, wer regiert denn seit zehn Jahren? Ich frage Sie das so ganz nebenbei. Ich habe vorhin gesagt, dass es sich um einen Verzicht auf Zukunft handelt, wenn die notwendigen Investitionen ausbleiben. Aber schauen wir uns das einmal genauer an: 1991 investierten die Unternehmen noch 40 Prozent ihrer Gewinne, 2013 nur noch 9 Prozent. Warum? Wir brauchen sehr dringend Investitionen. Das wichtigste Gebiet ist die Bildung. Gestern wurde ein neuer OECD-Bericht veröffentlicht. Er besagt, dass in keinem anderen Industrieland der Bildungserfolg von Kindern so abhängig von der sozialen Herkunft ist wie in Deutschland. Auch das ist ein Skandal. Ich möchte Chancengleichheit für alle Kinder. Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen endlich Kindertagesstätten für Kinder vom nullten bis zum sechsten Lebensjahr in ganz Deutschland, die ganztägig geöffnet sind, und zwar in ausreichender Anzahl, mit kleinen Kindergruppen, mit gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern, die endlich anständig verdienen müssen, und das alles selbstverständlich gebührenfrei einschließlich eines vollwertigen, gesunden Mittagessens. Das müssen wir in Deutschland erreichen. ({30}) Ich sage Ihnen zu den Schulen Folgendes: Ich bin ein Anhänger der Gemeinschaftsschule. Dazu werde ich jetzt nicht viel sagen, nur so viel: Sie sollten sich einmal die Studie zum Vergleich zwischen Gemeinschaftsschulen und getrennten Schulen anschauen. Wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? ({31}) - Ich werde Ihnen sagen, was auch in Bayern dabei herausgekommen ist. - In den Gemeinschaftsschulen sind nicht nur die schlechteren Schülerinnen und Schüler besser als die in getrennten Schulen, sondern auch die besten und besseren Schülerinnen und Schüler sind besser. Sie haben es nicht begriffen. Nur in Gemeinschaftsschulen lernen sie sozial. Wenn Sie die Schülerinnen und Schüler isolieren, dann bringen Sie ihnen nichts bei. ({32}) Abgesehen davon möchte ich, dass alle Schülerinnen und Schüler ein vollwertiges, gesundes Mittagessen gebührenfrei bekommen. Ich möchte Schülerinnen und Schüler nicht in der Suppenküche sehen. ({33}) Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dass das zu viel Geld kostet. Für jede Bank haben Sie Milliarden parat. Investieren Sie das Geld endlich in die Bildung! Das wäre wirklich wichtig. ({34}) Des Weiteren haben wir ein Problem bei der Nachfrage. Es tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht ersparen. Die Reallöhne sind gesunken. Das Rentenniveau ist gesunken. Die prekäre Beschäftigung hat enorm zugenommen. Deutschland hat in Europa den größten Niedriglohnsektor. Er ist größer als der in Griechenland. Denken Sie einmal darüber nach, um welche Zahlen es sich dabei handelt! Nun beschwert sich die belgische Regierung bei der Europäischen Union über Deutschland wegen Lohndumping, weil zum Beispiel die Arbeit auf Schlachthöfen in Deutschland so schlecht bezahlt wird, dass die belgischen Unternehmen niederkonkurriert werden. Ich finde, dass wir auch darüber nachdenken müssen. Herr Gabriel, es tut mir leid, aber Sie haben gesagt, dass kein Geld für Investitionen da ist - ich habe Ihnen vorhin gesagt, dass Sie damit auf Zukunft verzichten -, darauf kann ich nur erwidern: Die Schuldenbremse war eben Unsinn. Die erste war okay. Aber die neue Schuldenbremse, die Sie erfunden und im Grundgesetz verankert haben, geht völlig daneben und ist völlig überflüssig. ({35}) Ich sage Ihnen aber auch ganz klar: Wer Investitionen und soziale Gerechtigkeit will, muss Steuergerechtigkeit herstellen. Wer behauptet, dass er in der Lage sei, soziale Gerechtigkeit herzustellen und Investitionen zu ermöglichen, ohne Steuergerechtigkeit herzustellen, der sagt nicht die Wahrheit; das wissen Sie ganz genau. Das geht nicht. Aber hier haben Sie null Mut. Was passiert, wenn wir wirklich den von Ihnen, Herr Gabriel, vorgeschlagenen Weg gehen und die Investitionen privatisieren, wenn also die Unternehmen das Ganze übernehmen? Wollen Sie wirklich die öffentliche Daseinsvorsorge noch stärker privatisieren? Die Politik verliert dann die Zuständigkeit für Energie- und Wasserpreise. Wir haben dann auch nichts mehr mit den Preisen für Mobilität zu tun. Wir sind dann nicht mehr für Woh4552 nungen, Krankenhäuser und Bildung zuständig. Wollen Sie das alles ernsthaft privatisieren? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, wirklich nicht. ({36}) Außerdem: Wenn öffentliche Investitionen privat finanziert werden, wollen die Privaten auch eine Rendite haben. Die wollen etwas daran verdienen. Die Gebühren müssen dann alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, alle Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Auch das ist unerträglich. ({37}) Dann sage ich Ihnen noch etwas. Ich muss Sie fragen, Herr Schäuble: Stimmt es, dass Sie ernsthaft darüber nachdenken, die Bundesstraßen zu verkaufen? Also wirklich, lassen Sie den ganzen Quatsch mit der Maut. Das bringt nichts, liebe CSU. Packen Sie die einfach weg. Das bringt gar nichts. ({38}) Aber einmal abgesehen davon: Wenn Sie wirklich die Bundesstraßen verkaufen, dann sage ich Ihnen, was passieren wird. Dann werden die Länder anfangen, die Länderstraßen zu verkaufen, dann werden die Kommunen anfangen, die Kommunalstraßen zu verkaufen. Ich weiß gar nicht, wie viele Arten von Maut wir dann überall bezahlen müssen. Das lasse ich alles weg. Aber eines sage ich Ihnen, Herr Schäuble: Wenn das je passieren sollte, dann muss ich Ihnen ein bisschen drohen. Dann werde ich mit allen Mitteln versuchen, die Straße zu kaufen, in der Sie wohnen. ({39}) Dann wird es für Sie sehr teuer, wenn Sie nach Hause wollen. Außerdem benenne ich dann die Straße um. Es wird Ihnen am peinlichsten sein, immer schreiben zu müssen, dass Sie Zum Gysi Nummer 1 wohnen. Aber das mache ich dann. Das ist garantiert. ({40}) Im Übrigen hat der Internationale Währungsfonds - wie Sie wissen, ist das keine linke Organisation - festgestellt, dass wir mit etwas mehr Steuergerechtigkeit 80 Milliarden Euro pro Jahr mehr einnehmen könnten. Dann hätten wir das Geld für Bildung und Investitionen, das wir dringend benötigen. ({41}) Die Europäische Zentralbank hat nun den Leitzins auf den niedrigsten Stand in der Geschichte gesetzt: auf 0,05 Prozent. Ich will Ihnen sagen, was das bedeutet. Die Sparerinnen und Sparer in Deutschland, auch die kleinen und mittleren, bekommen so gut wie gar keine Zinsen. Da wir eine Inflationsrate haben, das heißt alle Dienstleistungen und Waren teurer werden, man aber keine Zinsen bekommt, verlieren die Sparguthaben Jahr für Jahr an Wert. Das heißt, die Sparerinnen und Sparer bezahlen die ganze Krise. Das kommt dabei heraus. Dasselbe passiert mit den Lebensversicherungen, weil auch die an Wert verlieren. Bei den Lebensversicherungen nehme ich Ihnen eine Sache schon übel, nämlich dass Sie die Leistungen aus Lebensversicherungen hier im Bundestag gekürzt haben, ({42}) und das am Tag des Viertelfinalspiels Deutschland gegen Frankreich bei der Fußballweltmeisterschaft, und zwar in der Hoffnung, dass es keiner mitbekommt. Ich finde das ziemlich übel; das muss ich Ihnen sagen. ({43}) Außerdem habe ich noch eine Frage: Wenn wir auf Sparguthaben so niedrige Zinsen bekommen, warum gibt es dann eigentlich noch so hohe Zinsen bei Dispokrediten und anderen Krediten? Wenn schon niedrige Zinsen, dann müssten die Banken und Sparkassen auch diesbezüglich ihre Politik ändern. ({44}) Aber ich sage Ihnen auch: Sie werden mit privaten Investitionen in die Wirtschaft nicht wirklich weiterkommen. Nehmen wir den Süden Europas: 25 Prozent Arbeitslosigkeit, 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, zum Beispiel in Griechenland und in Spanien. Wer will da investieren? Wer soll denn bei sinkenden Löhnen, Renten und Sozialleistungen noch einkaufen können? Daran, dass selbst die Deutsche Bundesbank für Deutschland höhere Löhne fordert, weil sie sieht, dass die Nachfrage permanent zurückgeht, sehen Sie, welchen Stand wir diesbezüglich erreicht haben. Was mich auch stört, ist, dass die EZB wieder die Schrottpapiere von den Banken aufkaufen will. Das ist doch der Gipfel der Frechheit. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften wie immer für alle Banken. Ich möchte, dass endlich Banken für Banken haften. ({45}) Kein Industrieunternehmen, kein Bäckermeister hat die Chance, dass Sie die Schulden übernehmen, aber bei jeder Bank übernehmen wir die Schulden. Das geht nicht mehr, das muss endlich beendet werden. ({46}) Die ganze falsche Bankenrettung in der Euro-Krise war ein Aufbauprogramm für die AfD. Wenn wir das beenden wollen, müssen Sie auch diesbezüglich die Politik ändern. Liebe Frau Bundeskanzlerin, wir hatten einen kleinen Disput hier beim letzten Haushalt, und zwar über die Mütterrente. Das Problem muss ich auflösen. Sie haben gesagt, dass wir schon jetzt einen hohen staatlichen Zuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen und der 2018 sogar erhöht werden soll. Das mag sein, aber das ändert an folgendem Umstand nichts: Jetzt gibt es eine Erhöhung der Mütterrente. Diese Erhöhung kostet Geld, und jetzt erhöhen wir nicht den staatlichen Zuschuss. Also muss diese Erhöhung, weil wir den staatlichen Zuschuss nicht erhöhen, allein von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern bezahlt werden. ({47}) Das heißt, die Lidl-Kassiererin und jedes Unternehmen bezahlen das, ({48}) aber Frau Merkel, Herr Gabriel, Herr Kauder und Herr Gysi nicht. Das ist und bleibt grob ungerecht. ({49}) Sie hätten ja einen anderen Weg gehen können. Sie hätten ja sagen können: Die Erhöhung der Mütterrente kostet soundso viel Geld, und in diesem Umfang erhöhen wir den Zuschuss. - Dann hätten wir es aus Steuermitteln finanziert. Da Frau Merkel, Herr Gabriel, Herr Kauder und Herr Gysi mehr Steuern als die Lidl-Kassiererin zahlen, wäre das gerecht gewesen. So bezahlt sie es allein. Ich kann es ihr nicht erklären, und Sie können es ihr auch nicht erklären. Das ist die Wahrheit. ({50}) Jetzt sage ich Ihnen auch etwas zur deutschen Einheit. Ganz aktuell ist in der Pflege ein Mindestlohn vereinbart worden: Ost 8,65 Euro, West 9,40 Euro - und das 24 Jahre nach der deutschen Einheit. Ich bitte Sie! Wer die deutsche Einheit will, muss endlich für gleiche Löhne bei gleicher Arbeitszeit in Ost und West und für eine gleiche Rente bei gleicher Lebensleistung und für eine gleiche Mütterrente in Ost und West streiten. ({51}) Wer das nicht macht, der ist eben nicht für die deutsche Einheit. Ich sage Ihnen, Herr Kauder, auch wenn es Sie ärgert: Inzwischen ist die Linke die Partei der deutschen Einheit. Sie verfolgen diese Ziele nicht. ({52}) - Ich wusste, dass ich Ihre Zustimmung bekomme. Nun muss ich noch ein Thema anschneiden: das Thema „Überwachung der Linken“. Unser Spitzenkandidat in Thüringen, Bodo Ramelow, hat ja einen großen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht; schon deshalb hat er sich vieles verdient. Aber einmal abgesehen davon: Bundesinnenminister de Maizière hat daraufhin entschieden, dass die Beobachtung aller Mitglieder unserer Fraktion durch das Bundesamt für Verfassungsschutz eingestellt wird. ({53}) Das begrüße ich. Die Gerichte haben entschieden, dass alle Unterlagen über uns zu vernichten sind. Auch das begrüße ich. Erst die überflüssige Arbeit, das alles herzustellen, und nun haben sie die Arbeit, das alles zu vernichten. Aber das sei ihnen auch gegönnt. Wir haben damit der Bundesrepublik Deutschland zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verholfen. ({54}) Nun habe ich 16 Bundesländer angeschrieben - meine Herren und Damen von der CSU, hören Sie gut zu - und gefragt, ob sie weiterhin die Bundestagsabgeordneten der Linken beobachten. 15 Bundesländer haben „Wir haben das noch nie gemacht“ oder „Wir haben das schon längst oder jetzt eingestellt“ geantwortet. Nur ein Land, Bayern, hat geantwortet, dass es bei der Beobachtung bleiben soll. Also, wir sehen uns vor Gericht wieder. Wir werden auch Bayern zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verhelfen. ({55}) Ich sage Ihnen: Man kann ja in Bayern als Linker nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Wir wollen auch die Interessen des öffentlichen Dienstes vertreten. Wie sollen wir das eigentlich machen, abgesehen davon, dass uns dadurch natürlich auch Gelder verloren gehen? Jetzt habe ich mir dazu im Internet Informationen beschafft. Also, hören Sie einmal zu: Da wird gefragt, wenn man sich beim öffentlichen Dienst in Bayern bewirbt, ob man Mitglied des Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter der DDR - so einer linksextremistischen Massenorganisation - war. ({56}) Wer in der DDR Äpfel geerntet oder Kaninchen gezüchtet hat, soll also keine Chance im öffentlichen Dienst in Bayern haben können. Auch Schwachsinn muss Grenzen kennen. ({57}) Lassen Sie mich noch etwas sagen, was mir wichtig ist: Sie alle behaupten doch, Parteien der Mitte zu sein. Aber dass die mittleren Einkommen in unserer Gesellschaft aufgrund des Steuerbauchs alles bezahlen, das nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Es gibt nur eine Partei, die Linke, die will, dass der Steuerbauch beseitigt wird. Wir vertreten hier die Mitte, nicht Sie. ({58}) Das ist die Wahrheit. Wir vertreten die unteren Einkommen, aber auch die mittleren. Zum Schluss sage ich Ihnen eins: Ich will nicht rechthaberisch sein. ({59}) - Gut, dann sage ich: Ich will nicht mehr rechthaberisch sein. Das können Sie akzeptieren. Passen Sie auf! Ich habe mich in meinem Leben auch geirrt; das bestreite ich gar nicht. ({60}) Wer hatte bei Afghanistan recht? Wir oder die anderen Fraktionen? Inzwischen wissen Sie alle, dass wir recht hatten. Dieser Krieg war falsch. Wer hatte bei der Praxisgebühr recht? Sie, die das für eine geniale Erfindung hielten, oder wir? Inzwischen ist sie ja abgeschafft. ({61}) Wer hatte bei der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz recht? Sie oder wir? Wir hatten recht, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat. Und wer hatte beim Mindestlohn recht? Sie haben mich alle beschimpft. Inzwischen haben Sie ihn eingeführt. ({62}) - Na, aber sicher, in den 1990er-Jahren. Das kann ich Ihnen nachweisen. ({63}) Ich sage Ihnen: Sie werden noch einsehen, dass auch die Rente ab 67 ein Grundfehler ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deshalb merken Sie sich doch bitte, liebe Union, liebe SPD, liebe Grüne, dass Sie sich viel häufiger und schneller, auch in Ihrem Interesse, nach den Linken richten sollten. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung einen ganz besonderen Haushalt. Mit dem Haushalt 2015 wollen wir zum ersten Mal seit 1969 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Das, was wir seit Jahren angestrebt haben, ist nun Realität. Der Bundesregierung ist es gelungen, einen generationengerechten Haushaltsentwurf vorzulegen, der sozial ist, der in die Zukunft des Landes investiert und der damit wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung fördert. Wir können stolz sein, dass wir gemeinsam dieses Ziel erreicht haben. ({0}) Auch für die kommenden Jahre, meine Damen und Herren, sieht der Finanzplan keine neuen Schulden des Bundes mehr vor. Das Wirtschaften auf Pump soll endlich ein Ende haben, und das ist - darin liegt der tiefere Sinn dieses Haushalts - der beste Beitrag zur Generationengerechtigkeit, den wir für die Jungen, für die Kinder und Enkel, leisten können. Das schaffen wir heute angesichts einer sich anbahnenden großen demografischen Veränderung. Deshalb ist das richtig. ({1}) Damit wir unsere Ziele erreichen, wird strikte Ausgabendisziplin erforderlich sein. Das, was für Deutschland gilt, gilt unverändert auch für Europa. Wir wissen, dass die Situation hier nach wie vor fragil ist. Wir haben wichtige Erfolge mit der Reformpolitik in Europa erzielt. Wir sehen an einer Reihe von Ländern wie zum Beispiel Spanien, dass Reformen Wirkung zeigen, dass sie die Dynamik stärken, aber wir sollten sehr ernst nehmen, dass die Kommission mit Recht jetzt darauf hingewiesen hat, dass das Ablassen vom Reformkurs das größte Risiko für die weitere Erholung ist. Deshalb ist es richtig, dass die Kommission im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters den Druck mit Blick auf solide Haushalte und auf Reformen aufrechterhält. Die Bundesregierung unterstützt die Kommission in diesem Ziel. ({2}) Wolfgang Schäuble hat es gestern gesagt; ich möchte es wiederholen: Das Einhalten der von uns eingegangenen Verpflichtungen in Europa, besonders in der EuroZone, muss anders als in der Vergangenheit endlich zum Markenzeichen der Euro-Zone werden. Das schafft Vertrauen, und das wird uns dann von den Betroffenen auch zurückgezahlt werden, meine Damen und Herren. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Arbeitslosigkeit weiterhin sehr hoch ist, gerade die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen. Deshalb bleibt die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eine zentrale Aufgabe. Am 8. Oktober wird die italienische Ratspräsidentschaft in Italien einen Gipfel der Staats- und Regierungschefs abhalten, auf dem wir uns noch einmal damit beschäftigen: Wie sind wir vorangekommen? Welche Hemmnisse gibt es? Es ist kein gutes Zeichen, dass das Sonderprogramm für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bis jetzt seitens der betroffenen europäischen Staaten so wenig in Anspruch genommen wird. Wir müssen uns fragen: Brauchen wir mehr Flexibilität in der Ausgestaltung? Ist das notwendig? Das Wichtigste ist, dass das Geld zu den jungen Menschen kommt und dass daraus Arbeitsplätze entstehen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, solides Haushalten ist kein Selbstzweck, sondern es ist die Voraussetzung für politische Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft. Erstens für eine aktive Begleitung des digitalen Wandels. Der digitale Wandel ist zentrale Gestaltungsaufgabe für die Wirtschaft, die Wissenschaft, aber eben auch - das ist unser Part - für die Politik. Wie sich Deutschland und wie sich die Europäische Union in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts hier weltweit positionieren, das wird über unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit auch über unseren zukünftigen Wohlstand entscheiden. Das Bundeswirtschaftsministerium, das Innenministerium und das Ministerium für digitale Infrastruktur haben eine digitale Agenda erarbeitet, die am 20. August im Kabinett beschlossen wurde. Sie ist ein erster Schritt, um die technische Revolution, die sich durch die Digitalisierung in nahezu allen Lebensbereichen ergibt, aktiv zu begleiten und politisch mitzugestalten. ({3}) Wir setzen dabei als Bundesregierung drei Schwerpunkte: Impulse für weiteres Wachstum und Beschäftigung - die Informations- und Technologiebranche ist entscheidender Innovations- und Wachstumsmotor -, Zugang und Teilhabe durch leistungsstarke Netze - unser Land braucht flächendeckende Breitbandinfrastruktur - und Vertrauen und Sicherheit im Internet; das reicht von der Datensicherheit für Privatpersonen und Unternehmen bis zum Schutz unserer kritischen Infrastruktur. Der Kabinettsbeschluss vom 20. August umreißt den Handlungsrahmen. Die gemeinsame Umsetzung erfolgt im Dialog mit den relevanten Gruppen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Aber es wird auch etliche Punkte geben, bei denen die Politik nach diesem Dialog auch kritische Entscheidungen fällen muss und fällen wird. Nach dem Kabinettsbeschluss am 20. August ist der nächste Schritt der IT-Gipfel am 21. Oktober in Hamburg. Er wird die zentrale Plattform sein und wird auch die Handlungsfelder der digitalen Agenda widerspiegeln. Mit den drei federführenden Bundesministern ist verabredet, dass bis dahin erste wesentliche Punkte vorangekommen sind, zum Beispiel beim Thema Netzneutralität oder beim konkreten Zeitplan für die Versteigerung der 700-Megahertz-Frequenzen, die sehr wichtig dafür sind, dass wir den Ausbau der Netze voranbringen. Wir müssen verstehen, dass die Digitalisierung nicht nur schnelles Internet, IT-Sicherheit oder Innovationen auf dem Feld der Telekommunikation bedeutet, sondern dass es sich dabei um eine industrielle Revolution handelt, diesmal nicht so, wie wir sie aus der Geschichte kennen, mit rauchenden Schloten von Fabriken oder Maschinenlärm, sondern in einer völlig anderen Art und Weise, aber mit ebenso faszinierenden Veränderungen. Das Schlagwort ist „Industrie 4.0“. Was heißt das? Es wird mehr und mehr Produktionsabläufe geben, die sich selbst organisieren können, wo die Maschinen miteinander kommunizieren. Das hat natürlich wesentliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt, über die wir im Übrigen mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften gerade vor wenigen Tagen in Meseberg gesprochen haben. Es werden durch kleine Softwareanwendungen ganze Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten auf den Kopf gestellt, und Dienstleistungen und Produktionsprozesse werden sich immer weiter annähern und ineinandergreifen. Der Computer als Gerät, wie er uns heute bekannt ist, wird immer mehr in den Alltagsgegenständen verschwinden und aufgehen. Das ist das Internet der Dinge, von dem so viel die Rede ist. Wir sind also in einer Entwicklung, in der Internetunternehmer, App-Entwickler und alle übrigen Unternehmer auf dem Feld der digitalen Dienstleistungen zu einem neuen Mittelstand werden, und der Mittelstand war ja immer das Rückgrat Deutschlands. Deshalb geht es darum, dass wir diesen Teil des Mittelstandes dabei begleiten, damit er gute Entwicklungschancen hat. Das geschieht einmal durch Open Innovation, wie es heutzutage so schön heißt, also durch den Zugang zu den notwendigen Quellen. Es geht ferner darum, dass wir junge Unternehmer, ganz besonders durch den Wirtschaftsminister, fördern, bessere Finanzierungsbedingungen entwickeln. So werden wir zum Beispiel den INVEST-Zuschuss für Wagniskapital von der Ertragsteuer befreien. Schließlich arbeiten wir an weiteren Möglichkeiten, wie wir gerade solchen Startups gute Bedingungen in Deutschland geben können. ({4}) Eine gleichmäßige Entwicklung von Stadt und Land wird in Zukunft nur möglich sein - wir dürfen nicht vergessen, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung im ländlichen Raum lebt -, wenn beide gleichermaßen Zugang zum schnellen Internet haben. Es geht hier nicht nur um Teilhabe an den wirtschaftlichen Möglichkeiten; es geht um Teilhabe an Bildung und vielen anderen Dingen, um gleichwertige Lebensbedingungen im weiteren Sinn. Deshalb konkretisieren wir jetzt Schritt für Schritt unser Ziel, den Breitbandhochgeschwindigkeitsausbau voranzubringen, sodass das Ziel, 2018 eine flächendeckende Breitbandversorgung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde, erreicht werden kann. Wir wollen die Dinge voranbringen. Deshalb hat Bundesminister Dobrindt eine „Netzallianz Digitales Deutschland“ gegründet, in der die einzelnen Schritte festgelegt werden. Neben dem Aufbau der Infrastruktur geht es in Zukunft auch und ganz besonders - das wird uns sehr herausfordern, die wir damit beschäftigt sind, Sicherheit auf der einen Seite und Zukunftsfähigkeit auf der anderen Seite gleichermaßen zu vereinen - um das Management von riesigen Datenmengen; denn Big Data wird der Ausgangspunkt von neuen Wertschöpfungsketten sein. Wer daran nicht teilnimmt, weil er schon Furcht hat, bevor das Wort gefallen ist, wird nicht zu diesen Wertschöpfungsketten vorstoßen. Deshalb werden wir zwei Big-Data-Kompetenzzentren in Berlin und in Dresden einrichten und damit Erfahrungen sammeln, wie Wertschöpfungsketten der Zukunft möglich gemacht werden können. ({5}) Meine Damen und Herren, der Innenminister Thomas de Maizière hat zu Recht davon gesprochen, dass wir eine Debatte um einen neuen digitalen Ordnungsrahmen führen müssen. Die Grundsatzfrage lautet hierbei immer wieder: Wie können wir Freiheit und Sicherheit im Netz in Einklang bringen? Deshalb arbeitet die Bundesregierung unter Federführung des Innenministeriums gerade am ersten IT-Sicherheitsgesetz. Es wird einen besonderen Schwerpunkt auf die Sicherung unserer Infrastruktur setzen. Wir werden auch die entsprechenden Geschäfts4556 modelle fördern, die dann in der Wirtschaft die Entwicklungen möglich machen. Deutschland ist führend in der Sicherheitstechnik im digitalen Bereich. Das soll weiter ausgebaut werden: Initiativen wie „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ und die „Allianz für Cyber-Sicherheit“ werden ausgebaut. Natürlich kann das alles nicht allein national geregelt werden. Deshalb brauchen wir einen einheitlichen Datenschutz in Europa. Hierfür steht die DatenschutzGrundverordnung. Ihre Verabschiedung ist von überragender Bedeutung; ich habe das hier schon öfter angesprochen. Wir müssen allerdings aufpassen, dass wir unseren eigenen Datenschutz dabei nicht schwächen. Deshalb sind die Verhandlungen nicht ganz einfach. Aber: Wenn wir die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen inklusive des Datenschutzes in Europa nicht vereinheitlichen, wird der Binnenmarkt in diesem Bereich nicht zur Entfaltung kommen. Deshalb ist es eine Angelegenheit, die die 28 Mitgliedstaaten betrifft. Die Weiterentwicklung der Digitalen Agenda muss nicht nur in Deutschland erfolgen, sondern auch im europäischen Maßstab. Unser Ziel muss sein - gerade auch in der Arbeit der neuen Kommission -, dass wir mit amerikanischen Digitaldienstleistern genauso wie mit chinesischen Netzwerkfirmen auf Augenhöhe agieren können. Die Frage ist dann: Sind wir so gut wie die anderen, und können wir hier wirklich in Zukunft Wertschöpfung und Wachstum und Arbeitsplätze für Deutschland, aber auch für ganz Europa generieren? Meine Damen und Herren, ein Ende des staatlichen Schuldenmachens ist - ich sagte es schon - kein Selbstzweck, sondern eben Voraussetzung für politische Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft. Das gilt - zweitens - für die Möglichkeit, die Spitzenstellung unserer Forschungs- und Wissenschaftslandschaft zu erhalten. Sie ist Ergebnis und Erfolg unseres konsequenten Bekenntnisses zu Bildung und Forschung in den letzten Jahren. Ich will noch einmal auf Folgendes hinweisen, weil hier manchmal auch Zerrbilder verwendet werden: Seit 2005 sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung des Bundes um knapp 60 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Euro gestiegen. Es ist noch nie so viel Geld für Forschung und Bildung in der Bundesrepublik Deutschland seitens des Bundes ausgegeben worden. ({6}) Wir geben nahezu 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus. Das ist im Übrigen auch eines der europäischen Vorhaben, das vor 14 Jahren propagiert wurde und heute nur von einer Minderheit der Länder umgesetzt wird. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit und im Übrigen auch etwas mit wirtschaftlicher Stärke zu tun. In dieser Legislaturperiode allein wird die Bundesregierung noch einmal 9 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung zur Verfügung stellen, 3 Milliarden Euro davon für Forschung, etwa für den „Pakt für Forschung und Innovation“ und für die neue Hightech-Strategie, die wir in der letzten Woche im Kabinett beschlossen haben. Hier geht es vor allen Dingen um die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, also um die Anwendung der Entwicklungsergebnisse. Das genau ist die Stärke der neuen Hightech-Strategie. Denn wir wollen nicht nur die Weltmeister im Forschen sein, sondern wir wollen genauso Weltmeister in den Anwendungen sein. Es gibt sehr gute Beispiele für solche Erfolge, die sich insbesondere in den Spitzenclustern zeigen. Ich nenne ein Beispiel aus dem Bereich der Medizin: In der Region RheinNeckar entwickelt ein Spitzencluster völlig neue Behandlungsansätze und Medikamente in der Krebsforschung für die sogenannte personalisierte Medizin. Ich habe mir das Krebsforschungszentrum in Heidelberg angeschaut. Es ist faszinierend, wie die Individualisierung der Medizin völlig neue Therapien möglich macht. Ich könnte viele andere solcher Cluster aufzählen. In ihnen spielt sich das ab, was Deutschlands Reputation in der Welt in Forschung und Entwicklung ausmacht. ({7}) Das Wichtige ist, dass unsere neue Hightech-Strategie jetzt alle Ressorts miteinbezieht. Damit haben wir einen Gesamtansatz für die Bundesregierung. Beim Thema Bildung will ich noch einmal auf die 625 000 zusätzlichen Studienplätze hinweisen, mitgefördert durch den Bund im Rahmen des Hochschulpaktes gemeinsam mit den Ländern. Allein 2015 stehen dafür 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Und wir haben einen historischen Schritt gemacht, gemeinsam mit den Ländern - ich meine, beim Thema Bildung können nur gemeinsam mit den Ländern Lösungen gefunden werden, beim Thema Forschung im Übrigen auch -, indem wir jetzt die Übernahme der Kosten des BAföG für Schüler und Studierende durch den Bund zu 100 Prozent vereinbart haben, wodurch wir weitere gesamtstaatliche Verantwortung für die Bildung übernehmen. Wir haben auch die Weichen für die BAföG-Erhöhungen in den nächsten Jahren gestellt. Und wir werden den Artikel 91 b des Grundgesetzes ändern, damit er eine sehr viel bessere Kooperation von universitären und nichtuniversitären Forschungseinrichtungen möglich macht - etwas, das in anderen Ländern gang und gäbe ist, die die föderalistischen Herausforderungen nicht kennen -, wodurch wir zur Weltspitze aufsteigen können. Wir werden den Ausbildungspakt weiterentwickeln und auch den Integrationsgipfel in diesem Jahr auf das Thema Berufsausbildung ausrichten. Hier, muss ich sagen, sind wir schon in eine Lage gekommen: So erfreulich die Förderung neuer Studienplätze ist, so sehr müssen wir jetzt schauen, dass wir, wenn zum ersten Mal weniger junge Leute in die Berufsausbildung gehen als ein Hochschulstudium aufnehmen, die zweite Säule unserer Berufsausbildung nicht aus dem Blick verlieren, und werden deshalb die berufliche Ausbildung weiter stärken. ({8}) Wenn immer noch ein viel zu hoher Prozentsatz von Studienanfängern keinen Studienabschluss macht, dann zeigt dies natürlich, dass die Verbindung von beruflicher Bildung und universitärem System ebenso wichtig für die Durchlässigkeit ist; denn wer gar keine Ausbildung hat, ist später gefährdet, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Meine Damen und Herren, solides Haushalten ist - drittens - Voraussetzung für die Erneuerung unserer Infrastruktur. Wir sind uns alle einig: Eine gute Infrastruktur ist von herausragender Bedeutung für die Zukunft unseres Landes. Das gilt für die Energienetze im Zusammenhang mit der Energiewende, die wir in den vergangenen Beratungen breit diskutiert haben. Das gilt für die Datenübertragung und die Digitalisierung; dazu habe ich etwas gesagt. Und das gilt natürlich für unser Netz an Straßen, Brücken, Schienen und Wasserwegen. Bei allem Bedarf - das will ich vorwegsagen -, den ich sehe, den alle sehen, muss man sagen, dass Deutschland immer noch eines der besten Verkehrsnetze weltweit hat ({9}) und dass das weiter ein starkes wirtschaftliches Pfund unseres Landes ist. ({10}) Hinzu kommt, dass wir im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode 5 Milliarden Euro mehr für den Erhalt und die Modernisierung unserer Verkehrswege vereinbart haben, in diesem Jahr allein 1,1 Milliarden Euro. Die Verkehrsinvestitionen steigen im kommenden Jahr auf rund 11 Milliarden Euro. Zusätzliche Mittel brauchen wir. Sie sollen einmal aus der Weiterentwicklung der Lkw-Maut gewonnen werden. Auch die Einführung einer Pkw-Maut gehört dazu, und das Konzept des Verkehrsministers Dobrindt wird derzeit mit den Ressorts und der Kommission diskutiert und abgestimmt, meine Damen und Herren. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Ende des staatlichen Schuldenmachens ist - viertens - Voraussetzung für die Bewältigung des demografischen Wandels und den Erhalt der sozialen Sicherheit, den die Menschen von uns im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft erwarten. Das gilt für das Rentensystem, das Gesundheitssystem, aber auch und gerade für den Bereich der Pflege. Wir wissen, wir werden in Zukunft mehr ältere Menschen und damit auch mehr Pflegebedürftige haben. Das bedeutet völlig neue Herausforderungen für Familien auf der einen Seite, in denen dauerhaft Menschen füreinander Verantwortung übernehmen; das bedeutet auf der anderen Seite aber auch neue Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Die Bundesregierung stellt sich genau diesen Herausforderungen. Es gibt ja nahezu keine Familie in Deutschland, die nicht direkt oder indirekt von dem Thema der Pflegebedürftigkeit berührt wird. Deshalb ist es ein zutiefst menschliches Thema, das in unserer Gesellschaft gut bewältigt werden muss. Wir haben die erste Lesung des Pflegestärkungsgesetzes gehabt. Hier geht es um die Weiterentwicklung der Pflege ab 1. Januar. Der Grundsatz heißt: Eine menschenwürdige Pflege muss für alle Menschen, die sie benötigen, auch in Zukunft bezahlbar bleiben. Das muss für Betreute in Pflegeheimen genauso gelten wie für Betreute in Familien. ({12}) Deshalb haben wir uns entschlossen - ich glaube, das war richtig -, den Beitragssatz leicht anzuheben. Dadurch werden die Geldleistungen erhöht, und sie können künftig auch flexibler in Anspruch genommen werden. Wir wollen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Familienpflegezeit vereinfachen. Dadurch erhalten Familien, die zu Hause Angehörige pflegen, mehr Unterstützung. Daran wird zwischen den Ressorts gerade gearbeitet. Die Zahl der Betreuungskräfte in Pflegeheimen wird erhöht. Das bedeutet, dass nicht nur für an Demenz erkrankte Heimbewohner zusätzliche Betreuungskräfte zur Verfügung stehen, sondern für alle Heimbewohner. Das ist eine Entlastung für die Pflegefachkräfte und damit eine Verbesserung der Situation. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine menschliche Gesellschaft misst sich auch an ihrem Umgang mit den Schwächsten, mit denen, die unsere Hilfe und Unterstützung brauchen. Das betrifft Menschen, die vor existenzieller Not fliehen. Viele von ihnen suchen Schutz in Europa, nicht wenige auch in Deutschland. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir behutsam und sehr verantwortungsvoll mit dieser Situation umgehen. ({13}) In diesem Jahr ist die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen weltweit so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Das ist eine riesige Herausforderung. Wir Deutschen wissen aus unserer Geschichte, wie viel Leid mit Flucht und Vertreibung verbunden ist, und deshalb nehmen wir unsere Verantwortung wahr. Innerhalb der Europäischen Union nimmt Deutschland mit großem Abstand die meisten Asylbewerber auf. Das waren im Jahr 2013 127 000, und in diesem Jahr werden es voraussichtlich etwa 200 000 sein. Damit leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag, auch hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisenregionen. Die steigende Zahl der Asylbewerber in Deutschland stellt natürlich Bund, Länder und Gemeinden vor Herausforderungen bei der Bearbeitung von Asylanträgen wie auch bei der Unterbringung und Versorgung. Deshalb überlegen wir als Bundesregierung gemeinsam mit Ländern und Kommunen, wie wir bei der Planung und Errichtung von Unterkünften rascher zum Ziel kommen. Hier hat die Bundeswehr einen Beitrag zu leisten, und sie leistet ihn auch. Sie bemüht sich, nicht mehr benötigte Liegenschaften oder Teilflächen umgehend an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zurückzugeben. Dadurch können besonders betroffene Landkreise unter4558 stützt werden. Da engagieren wir uns wirklich mit voller Kraft. Wir müssen aber auch, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Bearbeitungsdauer bei den Asylverfahren weiter verkürzen, sowohl im Interesse der Schutzsuchenden als auch im Interesse der betroffenen Kommunen. Der Bundestag hat im Haushalt 2014 - ich will daran noch einmal erinnern - 300 neue Stellen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bewilligt. Dadurch konnte im ersten Halbjahr die Zahl der Asylentscheidungen immerhin verdoppelt werden. Angesichts der stark steigenden Asylzahlen brauchen wir natürlich eine weitere Verbesserung; das ist gar keine Frage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will dies zum Anlass nehmen, denen, die diese Asylverfahren bearbeiten, ein herzliches Dankeschön zu sagen. ({14}) Das ist eine wirklich anspruchsvolle, schwierige Arbeit. Ich habe größte Hochachtung davor. In diesem Zusammenhang lautet eine wichtige Frage: Wie stufen wir bestimmte Länder ein? Sie wissen, dass die Einstufung von Serbien, Mazedonien und BosnienHerzegowina als sichere Herkunftsstaaten von uns im Bundestag beschlossen wurde. Ich will noch einmal sagen, wie die Lage ist: Wir stehen angesichts der Flüchtlinge aus Syrien und vielleicht auch der Flüchtlinge aus dem Irak vor drängenden Herausforderungen. Wir müssen überlegen: Wie können wir denen, die am meisten Hilfe brauchen, wirklich helfen? 20 Prozent der bisher in 2014 gestellten Asylanträge wurden von Angehörigen dieser drei Staaten gestellt. 1 Prozent dieser Anträge wird genehmigt. Deshalb sind wir in Gesprächen, wie wir auch im Bundesrat eine Zustimmung für die Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten bekommen können, weil uns das die Möglichkeit gibt, bei weiterhin rechtsstaatlichen Asylverfahren für alle, denen mehr zu helfen, die dringend unsere Hilfe brauchen. ({15}) Ende August haben wir Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen, die auch zu einer Entlastung der Kommunen führen werden. Damit haben wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Wir brauchen natürlich auch eine europäische Asylpolitik. Auf europäischer Ebene müssen die Lösungen gemeinsam gefunden werden. Dazu gehört, dass sich alle EU-Mitgliedstaaten gegenseitig unterstützen, aber sich nicht gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Das ist ein Unterschied. Deshalb wünsche ich unserem Innenminister Thomas de Maizière sehr viel Erfolg bei diesen Gesprächen und begrüße, dass gemeinsam mit den Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und Polen hier eine gemeinsame Initiative gestartet wird. ({16}) Wenn wir in diesen Tagen und gerade in dieser Woche über unsere nationalen Herausforderungen beraten, so tun wir dies in einem stark veränderten internationalen Umfeld. Als wir im vergangenen Jahr die Schwerpunkte der Arbeit unserer Großen Koalition verabredet haben, haben wir überlegt, wie wir das Gedenkjahr 2014 gestalten können, das Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren und die Feiern zum Mauerfall vor 25 Jahren. Wie selbstverständlich erschien es uns da, dass die Völker in Europa im 21. Jahrhundert selbst entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen, dass ihre territoriale Integrität geschützt ist und die Verabredungen über unsere europäische Sicherheitsarchitektur eingehalten werden. Wie anders verläuft jetzt das Jahr 2014! Aus dem Wunsch der Ukraine, ein Assoziierungsund Freihandelsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, ist ein tiefgreifender Konflikt mit Russland entstanden. Annexion der Krim, Unterstützung der Separatisten in Donezk und Luhansk durch Russland und aktives Eingreifen durch russische Soldaten und Waffenlieferungen sind nur drei Stichpunkte dieser Entwicklung. Angesichts dieses akuten Konflikts sind wir vor die Frage gestellt: Was haben wir aus der Geschichte gelernt? Was sind unsere Antworten in solchen Konfliktfällen heute? Vier Prinzipien leiten dabei unser Handeln: Erstens. Der Konflikt ist nicht militärisch zu lösen. Zweitens. Die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Vereinigten Staaten von Amerika finden gemeinsame Antworten. Drittens. Die Verletzung der territorialen Integrität eines Landes und seine Destabilisierung nehmen wir nicht hin; deshalb verhängen wir Wirtschaftssanktionen. Viertens. Gleichzeitig arbeiten wir fortwährend für eine diplomatische Lösung des Konflikts. Die Tür zu Verhandlungen ist und bleibt offen. In diesen Tagen gilt es, den Zwölf-Punkte-Plan der Präsidenten der Ukraine und Russlands umzusetzen. Waffenstillstand und Freilassung von Gefangenen sind hierbei nur zwei Elemente von zwölf Punkten. Vor allem geht es um eine dauerhafte Überwachung des Waffenstillstands durch die OSZE, den Abzug russischer Soldaten und der Waffen aus der Region sowie die freie Entscheidung der Menschen in Donezk und Luhansk über ihren zukünftigen Status. Das alles gehört zusammen. Neue Sanktionen wurden durch die Europäische Union beschlossen. Jetzt geht es um die Veröffentlichung und damit um das Inkrafttreten. Ich will für die Bundesregierung sagen: Angesichts der gegebenen Lage, die sicherlich eine Verbesserung im Zusammenhang mit den militärischen Aktivitäten mit sich bringt - es ist keine hundertprozentige Waffenruhe, aber immerhin eine Verbesserung; eine Unklarheit über die Erfüllung vieler der anderen von mir genannten Punkte besteht dennoch -, treten wir dafür ein, dass jetzt eine Veröffentlichung dieser Sanktionen erfolgt. ({17}) Ich hoffe, dass hierüber bald entschieden wird. Ich füge hinzu: Wenn die zwölf Punkte wirklich substanziell erfüllt werden, werden wir die Ersten sein, die die neuen Sanktionen wieder aufheben; denn sie sind kein Selbstzweck, sondern werden immer nur verhängt, wenn sie unvermeidlich sind. ({18}) Unser Ziel ist vollkommen klar: Wir unterstützen eine Ukraine, die in Frieden und eigener Selbstbestimmung über ihr eigenes Schicksal entscheiden kann, im Übrigen in guter Nachbarschaft mit Russland. Für uns sind gute Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sowie zwischen Russland und der Ukraine keine Frage eines Entweder-oder - ich habe das im November vergangenen Jahres hier gesagt -, sondern ein Sowohlals-auch. Dafür arbeiten wir. Ich weiß sehr wohl, dass der Weg zur Überwindung dieser Krise lang und steinig ist. Wir werden auch Rückschläge erleben. Wir brauchen einen langen Atem. Aber ich bin zutiefst überzeugt: So hart die gegenwärtige Situation auch ist, am Ende wird sich die Stärke des Rechts durchsetzen. Das sollte uns ermutigen. ({19}) Natürlich war die Lage in der Ukraine auch Thema auf dem NATO-Gipfel in Wales in der letzten Woche. Im Sinne unserer Bündnisverpflichtungen gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages wurde dort einmütig der sogenannte Readiness Action Plan beschlossen. Ziel ist eine deutliche Erhöhung der Reaktions- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses als sichtbarer Ausdruck unserer Solidarität gerade mit unseren baltischen und osteuropäischen Bündnispartnern. Deutschland leistet dazu einen Beitrag. Wir erhöhen unseren Bereitschaftsgrad und die Fähigkeiten, indem wir das Multinationale Korps Nordost in Stettin stärken - ein gemeinsamer deutsch-dänisch-polnischer Vorschlag. Es entspricht unserer Philosophie, dass wir planerisch, logistisch und durch Übungen die Voraussetzungen für eine rasche Verlegung größerer Verbände schaffen und dafür eine Fähigkeit zur regionalen Kooperation mit unseren Partnern aufbauen. Aber es war uns wichtig, dass sich diese Beschlüsse des Gipfels im Rahmen unserer euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur bewegen, also auch der NATORussland-Grundakte. Die Prinzipien der NATO-Russland-Grundakte, die Sicherheit des euro-atlantischen Raums auf Basis demokratischer Prinzipien und kooperativer Sicherheit, sind nach wie vor grundlegend. Wir hoffen, dass sie eines Tages alle wieder eingehalten werden. Meine Damen und Herren, zeitgleich mit dem Ukraine-Konflikt in Europa mussten wir uns in Wales mit den dramatischen Konflikten in Syrien und im Irak auseinandersetzen. Der Bürgerkrieg in Syrien hat bislang nicht nur fast 200 000 Menschen das Leben gekostet und Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht, die Länder wie Jordanien und Libanon zu destabilisieren drohen, sondern hat auch eine Terrororganisation entstehen lassen, die eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung für die gesamte Region und darüber hinaus darstellt: die Terrormiliz IS. Der Kampf gegen IS erfordert ein entschlossenes und ein geschlossenes Vorgehen aller, die sich gegen die Unterdrückung Andersdenkender und gegen die barbarische Vernichtung von Minderheiten auflehnen. Es besteht kein Zweifel: Christen, Jesiden, Turkmenen und andere Minderheiten im Irak stehen vor einer existenziellen Bedrohung. Deshalb ist es richtig, wenn sich ein Bündnis möglichst vieler Staaten dem IS entgegenstellt. Wir haben in der vergangenen Woche über die Beiträge Deutschlands debattiert. Die Bundesregierung hat sich entschieden, umfassende Hilfe zu leisten. Wir wollen in erster Linie helfen, die Not der Menschen zu lindern, die zu Tausenden vor dem Terror geflohen sind. Wir haben dafür bisher rund 50 Millionen Euro bereitgestellt. 180 Tonnen Hilfsgüter wurden bereits für die Versorgung von Flüchtlingen in den Nordirak geliefert. Wir werden dies fortsetzen und dabei helfen, dass die Notleidenden auch den nahenden Winter vernünftig überstehen können. Wir haben außerdem entschieden, die Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung mit Rüstungsgütern zu unterstützen. Sie kämpfen mit knappsten Ressourcen gemeinsam mit irakischen Sicherheitskräften und flankiert von den USA gegen skrupellose und hochbewaffnete IS-Terroristen. Eine erste Lieferung mit Schutzwesten, Helmen, Funkgeräten und Minenräumausrüstung nach Arbil ist erfolgt, und noch im Laufe des Monats sollen weitere Rüstungsgüter geliefert werden. Dafür haben wir die ausdrückliche Einwilligung der irakischen Zentralregierung und stimmen uns engstens mit internationalen Partnern ab. Auch die Bekämpfung des IS wird nicht von heute auf morgen gelingen; sie wird einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Aber auch dieser Kampf wird am Ende erfolgreich sein, weil er in neuen Bündnissen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union und vieler Partner im arabischen Raum erfolgt. Wir alle, Menschen jedweden Glaubens, bieten den Extremisten und Islamisten gemeinsam die Stirn. ({20}) Dabei möchte ich noch einmal betonen: Die Terrorgefahr militärisch abzuwehren, ist absolut erforderlich. Aber auch hier gilt: Dauerhafte Stabilität kann nur mit einer politischen Lösung gelingen. Dazu ist die Vereidigung der neuen inklusiven Regierung im Irak am Montag ein erster wichtiger Schritt in eine richtige Richtung. Nun kommt es darauf an - Deutschland wird dabei nach seinen Kräften Unterstützung leisten -, dass die Regierung endlich wirklich alle Bevölkerungsgruppen einbindet; denn nur so wird es zu einer politischen Lösung kommen und das Land stabilisiert werden. Meine Damen und Herren, wir erleben in diesen Tagen einmal mehr, dass jede Generation den Auftrag hat, stets aufs Neue für ein freiheitliches und friedliches Zusammenleben der Menschen in Europa und in der Welt einzutreten. Wir erleben einmal mehr, welch große Herausforderungen auch wir heute dafür zu bewältigen haben. Vorhin haben wir bewegende Worte des polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski gehört. Es ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass mit ihm ein polnischer Staatspräsident aus Anlass des vor 75 Jahren mit dem Überfall auf Polen von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs hier im Deutschen Bundestag zu uns gesprochen hat. Er hat uns damit eine große Ehre erwiesen. Ich möchte ihm dafür auch ganz persönlich danken. ({21}) Bewegend waren seine Worte auch deshalb, weil deutlich geworden ist, dass tiefe, weitreichende Veränderungen zum Guten möglich sind, wenn wir bereit sind, aus der Geschichte zu lernen. Denn das ist doch die epochale Leistung der europäischen Nationen: Versöhnung und darauf aufbauend die europäische Einigung. Trotz Schuldenkrise, trotz anderer ernstzunehmender Probleme dürfen wir nie vergessen, wie wertvoll, wie schützenswert das europäische Modell des Friedens, der Versöhnung und der Freiheit ist. Die Europäische Union ist zuallererst eine Wertegemeinschaft. Wir haben uns Regeln des Miteinanders gegeben, und wir gehen fair miteinander um - in Frieden und Freiheit und zum Nutzen jedes einzelnen Bürgers. Sie zu schützen und zu stärken ist, so glaube ich, jede Anstrengung wert. Herzlichen Dank. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, noch vor zwei Jahren haben wir mit den Ukrainern die Fußballeuropameisterschaft bejubelt; heute herrscht dort Krieg. Vor knapp sieben Monaten haben Menschen auf dem Maidan ihren Protest gegen ein autokratisches Regime begonnen. Sie haben es mit dem Leben bezahlt. 3 000 Menschen sind gestorben. Über 1 Million Menschen sind inzwischen auf der Flucht. Putin hat die Krim besetzt und die Ostukraine, und er stellt damit Europas Werte knallhart auf die Probe. ({0}) Deshalb ist es gut, dass die EU stärkere Sanktionen beschlossen hat. Wir wollen, dass sie jetzt auch greifen. Der Waffenstillstand ist brüchig. Herr Putin sollte wissen: Die Sanktionen werden nur aufgehoben, wenn er etwas tut, und nicht, wenn er etwas ankündigt. Dafür sind die Sanktionen da, und dafür sind sie gut. ({1}) Es ist richtig, dass die NATO am Freitag klargemacht hat: Wir werden Putins neuen Imperialismus nicht einfach hinnehmen. Sanktionspolitik und militärische Anstrengungen wirken aber nur dann, wenn sie nicht anderweitig untergraben werden. Dass der Verkauf des Gefechtszentrums von Rheinmetall an Russland widerrufen wurde, ist richtig und zeigt, dass diese Geschäfte umkehrbar sind. ({2}) Das muss auch für alle anderen Rüstungsexporte nach Russland gelten. Energiepolitik ist Sicherheitspolitik. Umso unverständlicher ist es für mich, dass derselbe Wirtschaftsminister, der sich so stark zu den Rüstungsexporten äußert, auf der anderen Seite keinerlei Bedenken hat, wenn Wingas seine Gasspeicher an Gazprom verteilt. Unser Ziel in der Energiefrage muss doch mehr Unabhängigkeit sein, meine Damen und Herren, und nicht mehr Abhängigkeit von Russland; darum geht es. ({3}) Wer in diesem Zusammenhang wieder die Leier abspielt, es sei nötig, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, der sei darauf hingewiesen: Unser Beitrag zur NATO beträgt 35 Milliarden Euro; damit liegen wir an zweiter Stelle. Hier fehlt es nicht an Geld. Hier könnte definitiv zurückgeschraubt werden bei der Kalter-KriegRhetorik und der Symbolik des Generalsekretärs - das ganz bestimmt. Die unbequeme Wahrheit ist: Die aktuell laufenden Rüstungsprojekte in Deutschland sind seit Vertragsabschluss um 4,3 Milliarden Euro teurer geworden, und sie haben alles in allem 1 400 Monate Verspätung. ({4}) Sie hatten einmal angekündigt, die Bundeswehrreform würde zu Einsparungen führen. Aufstockungen und Verteuerungen sind das Gegenteil. ({5}) In den letzten Wochen und Monaten wurde viel darüber geredet, Deutschland solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. In der vergangenen Woche haben wir hier im Parlament über die Lieferung von Waffen diskutiert. Ich bin sehr froh, dass wir diese Debatte angeregt haben; denn eine Lieferung von Waffen ist nun wirklich kein Verwaltungshandeln. Jetzt ist Deutschland Teil einer Koalition gegen ISIS. Frau Bundeskanzlerin, ich frage Sie - auch nach Ihrer Rede jetzt -: Was genau soll eigentlich die deutsche Rolle sein? Wie sollen die regionalen Akteure beteiligt werden? Nein, mit Waffenlieferungen und mit humanitärer Hilfe haben wir noch längst nicht alles getan. Sich für eine politische Lösung einzusetzen, heißt mehr. Das heißt, über Konzepte zu reden, und zwar auch in der Öffentlichkeit, und auch, mit den europäischen und den NATO-Partnern über friedliche, politische Lösungen zu debattieren. Wir befinden uns nämlich in einer neuen Phase, und die wird schwer und anstrengend werden. Ich verlange von Ihnen, dass Sie hier, in aller Öffentlichkeit, darüber sprechen, wie Sie sich vorstellen, wie dieser Konflikt befriedet werden kann. ({6}) Es mag kleinteilig klingen; aber ich sage Ihnen trotzdem: Es ärgert mich, dass Waffen im Wert von 70 Millionen Euro geliefert wurden, während für humanitäre Hilfe nur 50 Millionen Euro ausgegeben wurden. Das ist ein Ungleichgewicht, das uns nicht ansteht. Wir akzeptieren das nicht, meine Damen und Herren. ({7}) - Wenn es anders kommt, Herr Kauder, dann sind wir gerne dabei; aber der Vorschlag, den Sie gemacht haben, beinhaltete dieses Ungleichgewicht. Ich finde, das zeigt auch, dass die Aufmerksamkeit auf dem falschen Punkt lag. Das finde ich mehr als bedauerlich. ({8}) Meine Damen und Herren, vor genau 25 Jahren wurde das Neue Forum gegründet. Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Biografie und mit ganz unterschiedlichen politischen Vorstellungen wurden durch die Überzeugung verbunden, dass die Diktatur überwunden werden muss. Die Bürgerinnen und Bürger in der DDR haben sich ihre Freiheit mit friedlichen Mitteln erobert, und nicht nur die in der DDR. Ich bin sehr froh, dass wir heute gesehen haben, dass es nicht nur in Deutschland eine friedliche Revolution gab, sondern dass es eine osteuropäische Friedensbewegung war. Das war eine gewaltige Leistung. Ich glaube, wir verstehen erst heute, dass die Friedfertigkeit dieser Revolution keine Selbstverständlichkeit war. Sie war vielmehr eine Anstrengung und ein großes Geschenk. ({9}) Frau Bundeskanzlerin, Sie und ich, wir beide haben diesen Umbruch erlebt, wenn auch sicherlich ganz unterschiedlich; aber wir haben dabei erlebt: Demokratie lebt von der Debatte und entsteht im Wettstreit von Meinungen. Es ist nichts Schlechtes dabei, um Positionen zu ringen. Es ist auch nichts Schlechtes dabei, sich zu korrigieren. Das ist das Wesen von Demokratie. Es geht um den friedlichen Wettstreit der Meinungen. Über den Kontrast und die Alternativen, über die wir reden müssen, werden die Bürgerinnen und Bürger in Wahlen entscheiden. Es ist eben nichts alternativlos, und es ist bitter, anzusehen, wie Sie es zulassen, dass jene Kräfte stärker und stärker werden, die sich von rechts als Alternative für Deutschland darstellen. Wir brauchen diese Auseinandersetzung, und dazu gehört es, dass man sagt, was man will, und dass man klarmacht, was man nicht will. Diese Alternative wollen wir jedenfalls nicht. ({10}) Sie haben hier eine überwältigende Mehrheit, und noch stehen wir wirtschaftlich gut da. Warum nutzen Sie diese Chance nicht - wir leben in einem Land, das vor gewaltigen Integrationsanstrengungen steht; Sie haben darüber gesprochen - für eine Debatte über die Zukunft unseres Landes in Europa und in einer Welt der Krisen? Meine Damen und Herren, uns geht es heute gut. Jetzt wäre der Moment, an den Fundamenten für die Zukunft zu bauen. Doch die Bundesregierung deckt auf der einen Seite den Mantel des internationalen Krisenmanagements über die innenpolitischen Notwendigkeiten, und auf der anderen Seite gibt es Trippelschritte. Die Geschenke sind verteilt, die Luft ist raus. Es gibt Streit um die Maut, in der Wirtschaftspolitik verfallen Sie nur noch ins Klein-Klein, und es erfolgt Dienst nach Vorschrift. Sie nähern sich schon fast - jedenfalls fällt mir das auf - dem Niveau der schwarz-gelben Bundesregierung. ({11}) Schon beschimpft man sich gegenseitig mit „Kleingeister“, „Rumpelstilzchen“ und „Pipifax“. Herr Seehofer hat gerade das Ende der „Schonzeit“ angekündigt. Ich bin keine Jägerin; aber die Schatten der Wildsäue sind anscheinend nicht weit. Viel Erfolg bei der Treibjagd mit der CSU! ({12}) Deutschland lebt von der Substanz; das sieht jeder. Es bröckelt dahin: kaputte Schulen, Universitäten, in denen es von der Decke tropft, Schwimmhallen und Bibliotheken, die schließen, Sportplätze, auf denen das Gras auf der Tartanbahn wächst, ({13}) Straßen, auf denen jede Achse bricht, und Brücken, deren Pfeiler bröseln. Was macht der Finanzminister? Der Finanzminister schuldet um. Herr Schäuble, Sie holen sich das Geld heute nicht mehr von den Banken, Sie holen es sich von den Krankenkassen und der Rentenversicherung. ({14}) Sie holen es sich auf Kosten der Zukunft und der Investitionen, die Sie nicht tätigen. Diese Politik ist falsch und zukunftsvergessen. ({15}) Frau Bundeskanzlerin, das hat auch nichts mit Generationengerechtigkeit zu tun. Das ist das Gegenteil davon. Welches Land und welchen Planeten überlassen wir eigentlich den kommenden Generationen? Dass Sie keine Schulden mehr bei den Banken machen, ist doch nicht entscheidend. Dass die Sozialsysteme funktionieren, dass die Infrastruktur in Ordnung ist, dass wir in Bildung investieren, das gehört dazu, und das verlange ich von Ihnen als einer verantwortungsvollen Regierung. ({16}) Sie haben 111 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Das sind 111 Milliarden Euro, die Sie nicht sparen. Das sind 111 Milliarden Euro, die Sie nicht investieren. Das sind 111 Milliarden Euro, die Sie verbraten. Ihre ganze Bilanz basiert auf einer Wette auf eine gute Konjunktur. Bleibt sie gut, dann verschulden Sie sich nur bei den Sozialkassen; wird sie aber schlecht, dann werden Sie wieder Geld bei den Banken aufnehmen. Ehrlich gesagt: Die schwäbische Hausfrau, der ehrbare Kaufmann aus Hamburg, aber auch der junge Start-up-Unternehmer in Thüringen, der Risikokapital braucht, reiben sich die Augen, wenn sie an so viel wirtschaftliche Unvernunft und eine so kurzsichtige Wirtschaftspolitik denken. Ich finde, die Menschen in Deutschland, denen es jetzt noch gut geht, haben eine Regierung verdient, die auch einmal über den Tag hinausschaut. ({17}) Ja, Deutschland braucht Ideen, Innovationen und Investitionen. Sie haben heute lange über die Herausforderungen der digitalen Welt gesprochen. Es war ein bisschen mühsam, zuzuhören und zu verstehen, über welchen Bereich Sie eigentlich gerade geredet haben, weil Sie immer davon gesprochen haben, dass man das so und so sagt und meint. Ehrlich gesagt: Wenn man sich Ihre digitale Agenda anschaut, Frau Merkel, Herr Dobrindt, dann hat man nicht den Eindruck, dass Sie an einer ganz großen Sache für die Zukunft arbeiten. Es erscheint eher wie Copy-and-Paste von ein paar Textbausteinen, die Sie zusammengesucht haben. Sie haben noch nicht einmal das verwendet, was die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages in der letzten Legislaturperiode erarbeitet hat. Damit wären Sie aber drei Schritte weiter gewesen. ({18}) Ihre digitale Agenda ist nichts weiter als eine müde und lahme Eintagsfliege. Sie müssen endlich in den Ausbau des Breitbandnetzes für die mittelständischen Unternehmen im ländlichen Raum, die dies dringend brauchen, investieren und dürfen dies nicht immer weiter nach hinten verschieben. Diese wirtschaftlichen Investitionen werden wirklich gebraucht. ({19}) Gleichzeitig bröckeln die Straßen und die Brücken. Aber das Geld für die Reparatur fehlt wahrlich nicht wegen der Maut. Was von der CSU einmal als Watschen für die Österreicher und Tschechen gedacht war, erweist sich jetzt als Komplettwatschen für die Bundesregierung. Herrn Dobrindt glühen jetzt schon die Ohren: rechtlich fragwürdig, finanziell unrentabel und am Schluss bürokratisch ohne Ende, eine Abzocke der Bürger. Die Maut vernebelt schlicht und ergreifend, dass Ihnen ein Plan fehlt, wie Sie die notwendigen Investitionen in Deutschland angehen wollen. ({20}) Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass man nicht repariert, sondern lieber neu baut. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass man sich Direktmandate in Bayern sichert, indem man Bänder zur Eröffnung einer teuren Umgehungsstraße durchschneidet, statt dafür zu sorgen, dass die Infrastruktur erhalten bleibt. ({21}) Frau Merkel, auf sieben fette Jahre sind noch immer sieben magere Jahre gefolgt. Das steht schon im Buch Genesis. Dort heißen die mageren Jahre allerdings nicht einfach „magere Jahre“, sondern „teure Jahre“. Genau so wird es kommen: Es wird teuer für die Kommunen, es wird teuer für die Bürgerinnen und Bürger, und es wird verdammt teuer für die kommende Generation. ({22}) Die Politik Ihrer Regierung lässt sich im Moment nur folgendermaßen zusammenfassen: außen Krise, innen Maut. ({23}) Ich frage mich: Wann nehmen Sie sich eigentlich die ganz großen Fragen vor? Sie haben heute über Migration geredet; dazu komme ich gleich. Wie ist es mit dem Klimaschutz? Das ist eine der zentralen Fragen, um die es geht. Wir wissen nicht erst seit Nicholas Stern, dass es uns alle teuer zu stehen kommt, wenn wir nicht in den Klimaschutz investieren. ({24}) Trotzdem steigt der CO2-Ausstoß in Deutschland. Unser Land wird die Klimaziele nicht erreichen. Ehrlich gesagt, das ist mir peinlich, wenn ich im Ausland unterwegs bin. Wir waren in Sachen Klimaschutz einmal ganz vorne; wir waren Vorbild. Dazu passt, dass Sie noch nicht einmal zum Klimagipfel reisen werden. ({25}) Wenn sich alle Staats- und Regierungschefs zusammensetzen und über Klimaschutz reden, wird der Platz der deutschen Bundeskanzlerin frei bleiben. Das zeigt, dass Sie diese zentrale Zukunftsfrage, über die Sie einmal gesagt hatten, sie sei Ihnen wichtig, aus Ihrem Konzept verbannt haben. Wenn wir auf diesem Gebiet nichts tun, dann versündigen wir uns an uns selbst. Dann versündigen wir uns an den Menschen, die am anderen Ende der Welt inzwischen zu Klimaflüchtlingen geworden sind, und erst recht an unseren Kindern und Kindeskindern. Deswegen sage ich: Kehren Sie um! ({26}) Wir brauchen endlich ein Klimaschutzgesetz, das diesen Namen auch verdient. Aber im Moment verhindert das die große Kohlekoalition. In Brandenburg kann man das ganz gut sehen: SPD, CDU und Linke sind vereint in der großen Kohlekoalition. Das ist Politik nicht des letzten, sondern des vorletzten Jahrhunderts. Kohle ist dreckig und ineffektiv. Zuletzt baggern Sie den Menschen ihre Heimat weg, ihre Dörfer, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Ich sage Ihnen ganz klar: Hören Sie mit dieser rückwärtsgewandten Politik auf! Klimaschutz ist das nicht und ernsthafte Politik auch nicht. ({27}) Deutschland ist nicht mehr das Land, das ich 1989 kennengelernt habe. Wir sind ein Einwanderungsland geworden. Das hat uns gutgetan. Das ist auch keine Romantik, sondern das Leben in Deutschland: Da ist der Arzt aus Indien im Landkrankenhaus. Da ist das syrische Mädchen in der Kindertagesstätte. Da ist die weißrussische Pflegekraft bei der Großtante. - Diese Entwicklung wird weitergehen - wir können uns darüber freuen -, aber uns auch viel abverlangen. Angesichts der aktuellen Entwicklung will ich hier vor allem auf die Situation der Flüchtlinge eingehen. Seit Monaten habe ich keine Nachrichtensendung mehr gesehen, in der nicht die außenpolitischen Krisen an erster Stelle standen. Die Welt ist im Wandel, und wir sind mittendrin. Wir können die Augen nicht mehr davor verschließen. ({28}) Es hilft auch nicht, wieder zu betonen, dass wir doch schon viele Flüchtlinge aufnehmen. Wir können mehr aufnehmen, wir sollten mehr aufnehmen, und wir müssen auch mehr aufnehmen. ({29}) Das Gute in diesem Zusammenhang ist doch, meine Damen und Herren, dass wir in unserem Land eine hohe Bereitschaft zu helfen und eine Solidarität gegenüber Flüchtlingen erleben, wie es sie bisher kaum gegeben hat. Aber natürlich stellt die angemessene Unterbringung dieser Menschen Länder und Kommunen vor große Herausforderungen - ja. Aber wer bitte soll sie denn bewältigen, wenn nicht ein Land, dem es so gut geht wie unserem? ({30}) Die zynische Forderung: „Wer betrügt, der fliegt!“, zeigt hier ihre ganze Perfidität. Die Menschen haben Gründe für ihre Flucht, und sie nehmen unendliche Risiken auf sich, um bei uns Schutz zu suchen. Jeder Mensch, der hierherkommt und Asyl beantragt, hat ein Recht darauf, dass sein Antrag sorgfältig und im Einzelnen geprüft wird. Das Asylrecht ist ein Grundrecht, meine Damen und Herren. ({31}) Die Verfolgung, die Diskriminierung der Menschen auf dem Balkan kann und darf nicht leichter wiegen als die eines Menschen aus einem anderen Land. ({32}) Wir können uns nicht noch einmal schuldig machen an den Roma dort und an den Sinti und Roma hier. Die Ehrlichkeit gebietet es, finde ich, das auch auszusprechen. Von jemandem, der keine Schule besuchen kann, der keine Aussicht hat, jemals einen Beruf zu ergreifen, der Anfeindungen und Gewalt begegnet, und zwar wegen seiner Herkunft, weil er zu einer bestimmten Gruppe gehört, kann man nicht sagen, dass er in einem sicheren Land lebt, meine Damen und Herren. ({33}) Die Not solcher Menschen gegen die Not anderer auszuspielen, ist auch geschichtsvergessen. Wenn Sie genau hinschauen würden - und zwar ohne Populismus -, dann würden Sie angesichts der Anzahl der Menschen, um die es hier geht, sehen, dass es mitnichten irgendeine Erleichterung bringen würde, wenn sie nicht hier wären. Nehmen Sie die Situation der Roma in den Balkanstaaten endlich ernst, und betrachten Sie sie als das, was sie oft genug ist: ein Grund zu fliehen, meine Damen und Herren. ({34}) Ich sage Ihnen auch: Für die Flüchtlinge, die aus dem Irak, aus Syrien, aus Afrika kommen, ist es elementar, dass sie hier arbeiten dürfen. Das ist übrigens auch gut für die Kommunen und für die Unternehmen. Es wäre besser, menschlicher und angemessener, wenn Menschen, die vor Krieg fliehen mussten, aber gestern noch ganz normal - so wie wir - gelebt haben, in einer Wohnung mit Wohnzimmer und Küche, mit einem kleinen Auto vor der Tür und zwei Kindern, endlich eine ausreichende, menschenwürdige medizinische Versorgung bekämen. Wo Sie doch so gern von Bürokratieabbau reden: Das Asylbewerberleistungsgesetz ist und bleibt diskriminierend. Aber es ist auch eine riesige bürokratische Krake. Sie können in diesem Zusammenhang noch so viele Leute einstellen - Sie könnten viel mehr erreichen, wenn dieser Quatsch endlich abgeschafft würde. ({35}) Deswegen sage ich Ihnen klar: Legen Sie ein Verhandlungsangebot vor, aber keines, mit dem wir die einen gegen die anderen ausspielen. Wir müssen vielmehr darüber reden, wie es möglich ist, Flüchtlingen in einem Land, dem es gut geht, eine Heimat zu geben, weil ihre verloren ist. Das ging nach dem Zweiten Weltkrieg. Meine Großmutter konnte davon erzählen. Sie sollten es nicht riskieren, dass Ihre Enkel irgendwann einmal Grund zu der Frage haben: Warum habt ihr diesen Menschen nicht geholfen? ({36}) Ja, das ist anstrengend. Aber ich biete Ihnen ausdrücklich an, dass wir diese Anstrengung gemeinsam tragen, wenn nicht von den Grundsätzen abgewichen wird, dass das Recht auf Asyl ein Grundrecht ist und es nicht Flüchtlinge verschiedener Kategorien gibt. Es muss der Grundsatz gelten, dass alle Flüchtlinge Menschen wie du und ich sind, aber in großer Not. Es geht um Haltung und um Hilfe. Dazu braucht es Geld, und es wird Fantasie brauchen. Hilfsbereitschaft ist schon da, und ich bin den Menschen außerordentlich dankbar dafür. Es wird auch Kompromisse brauchen, zum Beispiel bei der Art der Unterbringung. Was wir aber nicht brauchen, ist, dass jetzt wieder der Stammtisch bedient wird, die extremen Rechten und auch die von der angeblichen Alternative. Das können wir gemeinsam schaffen, wenn Sie wirklich wollen, meine Damen und Herren. ({37}) Natürlich kann man an einem solchen Tag nicht zum Thema der Bekämpfung des politischen Islamismus schweigen. Zehn Jahre hat die Bundesregierung vor allem auf eines gesetzt: auf Repression. Strafrechtsverschärfung und Überwachung sind aber zu wenig. Das wissen wir alle. Es reicht jetzt offensichtlich, dass sich ein paar junge Männer Warnwesten anziehen, durch die Wuppertaler Innenstadt ziehen und sich gerade noch so verhalten, dass es keine Volksverhetzung oder Nötigung ist, und schon ist Ihr Ansatz ad absurdum geführt. Sie gehen denen doch auf den Leim. Dieser PR-Trick hat wunderbar funktioniert. Die Moschee der islamistischen Westenträger aus Wuppertal ist angeblich voll. Das ist die Gefahr. Sie sind zweifelsfrei mit Ihrer Art gescheitert. Dabei könnten Sie wissen, wie man Extremismus richtig bekämpft: mit Prävention bzw. Vorbeugung. Aber genau das passiert eben nicht. Was brauchen wir denn? Wir brauchen Aufklärung an Schulen, vor allem Islamunterricht. Wir brauchen auch Beratungsangebote für Familien. Es ist doch irre, dass den Eltern, die das Verhalten ihrer Kinder häufig genug missbilligen, nur eine Hotline beim Verfassungsschutz zur Verfügung steht - also bei der Institution, die bei der Aufklärung der NSU-Mordserie komplett versagt hat. Professionelle Prävention geht anders, meine Damen und Herren. ({38}) Es ist auch ein wirksames Aussteigerprogramm notwendig. Von ISIS, seiner einfachen Ideologie und seiner aufwendigen Medienstrategie geht für eine Minderheit junger Menschen eine gefährliche Faszination aus, der man nicht mit Strafandrohungen begegnen kann. Hier muss die Bundesregierung ansetzen. Aber ich sage ganz klar: Dazu gehören auch die Verbände und die Gemeinden. Das wird nicht ohne die Zivilgesellschaft gehen. ({39}) Meine Damen und Herren, die Erwartungen an gutes Leben in unserem Land haben sich geändert. Das gilt besonders dann, wenn es um Gesundheit und um Essen geht. Deswegen brauchen wir dringend eine andere Strategie in unserer Landwirtschaft. Eigentlich sind Sie immer gerne die Heimatpartei. Mit Ihrer Landwirtschaftspolitik zerstören Sie die Heimat allerdings. Sie haben in den vergangenen Jahren versucht, die deutsche Landwirtschaft komplett auf Industrialisierung und Export zu drillen, statt auf regionale Strukturen und die Betriebe zu setzen, die anständig produzieren. Na klar, ich liebe Thüringer Bratwurst. Aber ich will mir doch beim Essen nicht vorstellen müssen, dass dem Schwein der Schwanz abgeschnitten wurde und dass die Schweine Hunderte von Kilometern durch das Land gefahren wurden. Ich will mir auch nicht vorstellen müssen, dass ich gerade Antibiotika mitesse, obwohl weder das Schwein noch ich krank sind. ({40}) Deswegen sage ich ganz klar: Es muss Schluss sein mit dieser Art der industriellen Massentierhaltung. Es muss Schluss sein mit dieser Art von Produktion. Der Fleischkonsum ist nicht gestiegen, sondern gesunken. Dass über ein Drittel der Rindertransporte in Deutschland inzwischen beanstandet wird, zeigt, wo wir stehen. Sie haben dafür gesorgt, dass ein Drittel der Fördermittel aus Brüssel an gerade einmal 2 Prozent der Unternehmen geht. Das ist absurd, und es ist falsch, meine Damen und Herren. ({41}) Dieser Haushalt ist zum Selbstzweck geworden. Er ist eher eine PR-Aktion. Vielleicht entspricht er irgendwelchen Umfrageergebnissen, die Sie in der vergangenen Wahlperiode für 11 Millionen Euro in Auftrag gegeben haben. Jetzt ist dieser große Vertuschungsballon geplatzt. An dieser Stelle waren Sie mit dem Datenschutz ziemlich klar. Ich bin sehr froh, dass Malte Spitz entsprechende Hartnäckigkeit an den Tag gelegt und gezeigt hat, was Sie alles abfragen. Ehrlich gesagt, ist das schon ziemlich krass. Den Schülern ist es wichtig, wie viele Freunde sie bei Facebook haben. Sie zielen auf ein Ranking der Bundesminister und fragen das bei der Bevölkerung ab. Kriegt man dafür Bonuspunkte, oder hat man in Ihrem Kabinett ein Gesetz frei, wenn man dabei gewonnen hat? ({42}) Wer so arbeitet und regiert, dem geht es vor allem um sich selbst. So sieht dann auch der Haushalt aus: ({43}) Es ist ein Haushalt ohne Gestaltungswillen und ohne Zukunftswillen. Es ist ein Haushalt auf Kredit bei der Zukunft. Ich kann Sie nur auffordern: Ändern Sie das, wenn Sie hier noch einmal von Generationengerechtigkeit sprechen wollen! ({44})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht Thomas Oppermann. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Waffenstillstand, der am vergangenen Freitag für die Südostukraine vereinbart worden ist, ist zwar noch immer brüchig. Wenn es aber gelingen sollte, diese Feuerpause dauerhaft zu stabilisieren, dann wäre das nicht nur eine Chance für eine politische Lösung, sondern es wäre vor allem auch ein Ende des unerträglichen Leids der Zivilbevölkerung. Ich wünsche von ganzem Herzen, dass es bei dieser Feuerpause bleibt. ({0}) Ich möchte mich bei der Bundeskanzlerin und dem Bundesaußenminister dafür bedanken, dass sie wochenund monatelang unermüdlich auf direkte Gespräche und die bereits erwähnte Feuerpause hingearbeitet haben. Das ist immer die Voraussetzung für politische Lösungen. Ich habe gerade eine Agenturmeldung gelesen, wonach Präsident Poroschenko berichtet, dass 70 Prozent der russischen Streitkräfte aus dem Gebiet der Ukraine abgezogen seien. ({1}) Wenn diese Meldung zutreffen sollte, dann wäre das sicherlich eine Bewegung in die richtige Richtung. ({2}) Dass dieser Waffenstillstand zustande kam, hat auch damit zu tun, dass auf dem NATO-Gipfel in der vergangenen Woche eine entschiedene, aber maßvolle Antwort auf die Situation in der Ukraine gefunden wurde. Alle 28 NATO-Mitglieder haben bekräftigt, dass sie füreinander einstehen. Jedes einzelne NATO-Land kann nur in Sicherheit leben, wenn alle anderen NATO-Länder ebenfalls in Sicherheit leben. Die Europäische Union und die NATO stehen fest zusammen. Das ist, glaube ich, eine gute Botschaft für unsere östlichen NATO-Partnerländer. ({3}) Jeder, der heute Morgen die bewegende Rede von Präsident Komorowski gehört hat, kann nachvollziehen, dass die Polen und die Balten in großer Sorge sind. Ich muss sagen: Andere haben jahrzehntelang Verantwortung für uns Deutsche, für unsere Sicherheit übernommen. Dann ist es ganz selbstverständlich, dass wir jetzt ebenfalls Verantwortung für andere übernehmen. ({4}) Es war aber auch richtig, maßvoll zu handeln, an der NATO-Russland-Grundakte festzuhalten und keine NATO-Kampftruppen in Osteuropa dauerhaft zu stationieren. ({5}) Zwar hat Putin gegen den Geist dieser Vereinbarung verstoßen. Aber in einer Zeit, in der wir auf die Einhaltung des Völkerrechts sowie die Einhaltung bestehender Verträge dringen, ist es nicht klug, selbst bestehende Verträge aufzukündigen. Stattdessen hat die EU weitere Sanktionen beschlossen bzw. vorbereitet, die bei Bedarf in Kraft treten können und die russische Entscheidungselite sowie die russische Wirtschaft empfindlich treffen bzw., soweit sie noch umgesetzt werden müssen, treffen können. Es ist gut, dass es dabei immer eine offene Tür für Russland gibt. Manche halten diese Maßnahmen für nicht ausreichend und fordern härtere Maßnahmen. Ich warne davor, die Wirkungen der Sanktionen kleinzureden und sich über diplomatische Mittel zur Lösung der Krise verächtlich zu äußern, wie das teilweise geschieht. ({6}) Diesen Stimmen sollten wir nicht nachgeben; denn dieser Konflikt kann - darüber besteht in der NATO große Einigkeit - nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. Wir sollten uns nicht dazu hinreißen lassen, aufzuhören, miteinander zu reden. Wir sollten nichts tun, was dazu führt, dass nicht mehr miteinander geredet werden kann. ({7}) Der Oppositionsführer Gregor Gysi hat heute eine bemerkenswerte Rede gehalten. ({8}) Lieber Herr Gysi, Ihre Rede hatte einen roten Faden und als einzigen Tenor: Die Bundesregierung macht alles falsch, und Herr Gysi hat immer recht. ({9}) Sie haben nur am Ende Ihrer Rede einen kleinen Fehler gemacht, als Sie gesagt haben: Ich will nicht rechthaberisch sein. - Mit diesem Satz haben Sie sich nämlich vom gesamten Inhalt Ihrer Rede selbst distanziert. ({10}) Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie hätten beim Mindestlohn recht gehabt und sich dafür rühmen, ({11}) dann kann ich Sie nur fragen: Wo waren Sie denn, als wir vor zwei Monaten über den Mindestlohn abgestimmt haben? ({12}) Sie haben dem Mindestlohn nicht zugestimmt. Wenn alle sich so wie die Linke verhalten hätten, dann gäbe es heute keinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in Deutschland. Das ist die Wahrheit. ({13}) Sie haben hier auch einiges über TTIP erzählt. Manches davon haben Sie aus aktuellen Debatten aufgegriffen, aber einiges war auch Unfug. ({14}) Ich will Ihnen einmal sagen, welche Maßstäbe ein Freihandelsabkommen erfüllen muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Oppermann, gestatten Sie vorher eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Matthias W. Birkwald?

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender, dass Sie die Frage zulassen. Sie haben eben eine Bemerkung zum gesetzlichen Mindestlohn gemacht und kritisiert, dass Gregor Gysi darauf hingewiesen hat, dass es ohne die Linke den Mindestlohn heute nicht gäbe. ({0}) Ich will Sie darüber in Kenntnis setzen, dass es einen Bundesparteitag der SPD gab, auf dem die heutige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, für einen Mindestlohn als Position der SPD geworben hat und es Franz Müntefering war, der dem Parteitag empfohlen hat, diesen Vorschlag abzulehnen. ({1}) Das Ganze geschah zu einem Zeitpunkt, als die Linke schon längst für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland gekämpft hat. Wir haben damit in unserer Partei 1995 begonnen und haben damals auch in der eigenen Partei Schwierigkeiten gehabt. Ab dem Jahr 2000 hat unsere Vorgängerpartei PDS eine Kampagne für den gesetzlichen Mindestlohn gemacht. Im Jahr 2002 hat die Linke den ersten Antrag für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in den Bundestag eingebracht. ({2}) Die SPD hat damals immer Nein gesagt. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich freue mich sehr, dass heute die SPD und sogar die CDU/CSU und einige wenige Kollegen, die diesem Hause jetzt nicht mehr angehören, und sämtliche Gewerkschaften dafür sind. Aber zur Wahrheit gehört schon, zu sagen, wer begonnen hat, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, das anzuerkennen. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, wenn Sie sich wirklich freuen würden, dass es heute einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, dann hätten Sie vor zwei Monaten mit Ja stimmen müssen und nicht mit Enthaltung. ({0}) Wenn Sie an der historischen Wahrheit interessiert sind, dann müssen Sie die Debatte über den Mindestlohn in Deutschland auch korrekt darstellen. Zur Wahrheit gehört nämlich, dass vor 2005, als die SPD den Mindestlohn in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat, es in den Gewerkschaften eine heftige Kontroverse über diese Frage gab und mehrere DGB-Gewerkschaften die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abgelehnt haben. ({1}) Das war eine offene Debatte. An dieser Debatte haben wir teilgenommen und daraus die richtige Schlussfolgerung gezogen. Am Ende ist entscheidend, dass wir den Mindestlohn umgesetzt haben. Sie haben dabei gefehlt. Das war ein historischer Fehler, den Sie gemacht haben. ({2}) Herr Gysi, noch ein Wort zu TTIP. Auch damit haben Sie sich ausführlich beschäftigt. Ich kann Ihnen sagen: Es wird kein Freihandelsabkommen geben, das die Rechte des demokratischen Gesetzgebers, verfassungskonforme Gesetze zu erlassen, in irgendeiner Weise beeinträchtigt. Ich sage Ihnen: Es gibt nur Freihandelsabkommen, bei denen jeder Investor in Deutschland die verfassungsgemäßen, gesetzlichen Regeln voll zu beachten und zu respektieren hat. Etwas anderes kann es gar nicht geben. ({3}) Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist gut. Wir hatten im Juli einen Ausfuhrrekord: Waren im Wert von über 100 Milliarden Euro wurden exportiert. Die Zahl der Beschäftigten steigt weiter. Wegen guter Lohnabschlüsse mit kräftigen Steigerungen haben wir auch eine starke Binnennachfrage. Aber der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wird, wenn er nicht beigelegt wird, auch an unserer Wirtschaft nicht spurlos vorübergehen. Es gibt Unsicherheit über Investitionen, weswegen Investitionsentscheidungen aufgeschoben werden. Wir haben im August gesehen, dass das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 2014 etwas schwächer ausgefallen ist. Die Entwicklung zeigt: Wirtschaftlicher Erfolg kommt nicht von selbst. Wir müssen aktiv dafür arbeiten, dass die wirtschaftliche Stärke Deutschlands erhalten bleibt. Ausdruck dieser wirtschaftlichen Stärke ist, dass wir diesen Haushalt verabschieden können - zum ersten Mal seit 46 Jahren einen Haushalt ohne neue Schulden. Das ist eine historische Zäsur. ({4}) 46 Jahre lang haben wir immer nur neue Schulden aufgetürmt. Jetzt schaffen wir einen ausgeglichenen Haushalt. In Spitzenzeiten hatten wir eine Zinsbelastung von 40 Milliarden Euro. Das hat die Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Gemeinwesens drastisch eingeschränkt. Nur ein Staat, der finanziellen Spielraum hat, kann investieren, kann gestalten und kann für sozialen Ausgleich sorgen. ({5}) Deshalb ist es gut, dass wir jetzt einen ausgeglichenen Haushalt haben. Das ist auch eine gute Botschaft an die jungen Menschen in diesem Land: Wir wollen keine Politik zulasten der künftigen Generationen mehr machen. ({6}) Aber der Haushalt enthält auch andere Botschaften. Wir entlasten die Länder beim BAföG, damit sie mehr in Bildung investieren können. Wir entlasten die Kommunen um weitere 1 Milliarde Euro jährlich im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz. Mit der Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung sind das jetzt 5,5 Milliarden Euro Entlastung. Wir investieren 6 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode in Forschung und Entwicklung. Außerdem investieren wir in den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur in dieser Wahlperiode insgesamt 5 Milliarden Euro. Das alles sind Schritte in die richtige Richtung, aber sie reichen nicht aus, um die gewaltigen Investitionsprobleme in diesem Lande zu lösen. Der Investitionsstau ist leider keine Erfindung der Medien, sondern ein real existierendes Problem unserer Volkswirtschaft. Im Bereich der öffentlichen Infrastruktur investiert Deutschland 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also 20 Milliarden Euro pro Jahr weniger als der Durchschnitt der OECD-Länder. ({7}) Die getätigten Investitionen reichen nicht aus, um das abzudecken, was jährlich durch Verschleiß verloren geht. ({8}) Mit anderen Worten, wir leben von der Substanz. Allein im Verkehrsbereich müssten in Deutschland nach den unbestrittenen Feststellungen der Bodewig-Kommission 7 Milliarden Euro im Jahr mehr investiert werden, um die Substanz zu erhalten. ({9}) Davon sind wir trotz aller Anstrengungen noch weit entfernt. ({10}) Deshalb müssen wir uns jetzt vor allem auf zwei Dinge konzentrieren: Erstens. Wir dürfen die Mautdebatte nicht auf die Pkw-Maut verengen, sondern wir müssen vor allem für eine schnelle Ausweitung der Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen sorgen. ({11}) Das Geld, das wir einnehmen, muss dort investiert werden, wo es am dringendsten benötigt wird: in die großen überregionalen Engpassstellen unseres Verkehrsnetzes. Wir brauchen eine klare Prioritätensetzung, ({12}) und das muss sich auch in der Investitionsplanung der Bundesregierung widerspiegeln. Zweitens. Wir müssen kreative Wege und Möglichkeiten suchen, wie das in Deutschland reichlich vorhandene private Kapital stärker in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden kann, ({13}) statt in spekulativen und hochriskanten Anlagen im Ausland verbrannt zu werden. Dabei will ich ganz klar sagen: Autobahnen und Schienenwege sind und bleiben öffentliches Eigentum. Herr Gysi, Sie haben keine Chance, eine Straße zu kaufen und sie „Gregor-GysiStraße“ zu nennen. Wenn das doch noch passieren sollte, müssten Sie sich die historischen Verdienste dafür noch erwerben. ({14}) Öffentlich-private Partnerschaften sind nur sinnvoll, wenn sie eindeutig wirtschaftlicher, günstiger sind als staatliche Maßnahmen. ({15}) Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart, und das werden wir natürlich auch genau so umsetzen. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Oppermann, nicht der Kollege Gysi, aber der Kollege hinter ihm würde gern eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Oppermann, vielen Dank für die Möglichkeit, nachzufragen, weil sich in der Behandlung der Frage „ÖPP bei Verkehrsinfrastrukturprojekten“ doch ein Widerspruch auftut. Sie haben als niedersächsischer Abgeordneter massiv dagegen gewettert, als Verkehrsminister Dobrindt die Landesregierung angewiesen hat, die Maßnahme an der A 1 auf jeden Fall privat auf den Weg zu bringen. Das gilt heute offenbar nicht mehr so. Sie wehren sich nicht dagegen, zu sagen: „Wir müssen mehr private Investitionen haben“, sondern sagen: Es muss ganz genau nachgeprüft werden, dass es so wirtschaftlicher ist. ({0}) Es sind bereits einige Projekte im Verkehrsetat 2014 enthalten. Es sind weitere neun im Verkehrsetat 2015 vorgesehen. Sie sagen: Es geht nur, wenn diese Projekte auch wirtschaftlich sind. ({1}) Ist es aus Ihrer Sicht gewährleistet, dass alle jetzt im Bundeshaushalt, im Einzelplan 12, vorhandenen Projekte so wirklich wirtschaftlich sind und deshalb privat finanziert werden sollen? ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hatte die Antwort schon gegeben, bevor Sie die Frage gestellt hatten. Es muss in jedem Fall der Nachweis erbracht werden, dass diese Projekte wirtschaftlicher sind; sonst sollten sie so nicht finanziert werden; denn es macht keinen Sinn, die Steuerzahler mit teuren privatwirtschaftlichen Projekten zu belasten. Die Projekte müssen effizient und kostengünstig sein. Das ist die Maxime, die wir haben, und die finde ich auch richtig. Ein gutes Beispiel für einen kreativen neuen Weg sind die Lebensversicherungen. Die Lebensversicherungen benötigen sichere Anlagen mit sicherer Rendite. Das waren lange die Staatsanleihen. Die fallen wegen der niedrigen Zinsen weitgehend aus. Deshalb kommen die Versicherer zu uns und sagen: „Wir würden gern mehr in Infrastruktur und in erneuerbare Energien investieren, aber die Rechtslage erlaubt das nicht.“ - Das müssen wir schnellstens ändern. Das Bundeskabinett hat einen Entwurf zur Neufassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes auf den Weg gebracht. Damit bekommen Versicherungen die Möglichkeit, in größerem Maße in erneuerbare Energien, in Stromleitungen und in den Breitbandausbau zu investieren. Das ist überfällig. Das werden wir mit Nachdruck unterstützen. ({0}) Aber auch das ist nur ein erster Schritt. Deshalb freue ich mich, dass Wirtschaftsminister Gabriel mit der Wirtschaft ins Gespräch gekommen ist, um eine Investitionsoffensive für unser Land auf den Weg zu bringen. Investitionen, meine Damen und Herren, sind kein Feld für ideologische Auseinandersetzungen; sie sind zentraler Gegenstand unserer Verantwortung gegenüber künftigen Generationen, und der müssen wir gerecht werden. ({1}) Der zweite Engpass - neben der Infrastruktur - sind die Fachkräfte. Bis 2025, also innerhalb eines Zeitraums von zehn bis elf Jahren, stehen dem Arbeitsmarkt 6 Millionen Erwerbspersonen weniger zur Verfügung als heute. Gleichzeitig verlassen jedes Jahr immer noch 50 000 junge Menschen das deutsche Schulsystem, ohne einen Abschluss zu haben, und jedes Jahr brechen 25 Prozent der Jugendlichen ihre Ausbildung ab. Im Ergebnis haben dadurch 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 25 und 35 keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist nicht nur ökonomisch ein ganz großer Missstand; es kann uns auch menschlich nicht kaltlassen, dass junge Menschen ohne Perspektive sind, sich als moderne Tagelöhner durchschlagen müssen und schon Hartz IV bekommen. Wir müssen dringend etwas an diesem Zustand ändern, meine Damen und Herren. ({2}) Im Augenblick leben wir von der Einwanderung, wenn es darum geht, unseren Fachkräftemangel auszugleichen, aber das wird auf Dauer nicht reichen. Wir müssen mehr Anstrengungen unternehmen, um unsere jungen Menschen durch Nachqualifizierung in den Arbeitsmarkt zu bringen. Genau das sollen die Allianz für Aus- und Weiterbildung und die Allianz für Fachkräfte in der Zusammenarbeit von Bundesregierung, Wirtschaft und Sozialpartnern erreichen. Wer seine erste Chance verpasst und aus dem Bildungssystem herausfällt, dem müssen wir eine zweite und - wenn es sein muss - eine dritte Chance geben, meine Damen und Herren. ({3}) Aber bei denjenigen, die den Abschluss schaffen, dürfen die weiteren Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Deshalb wird es 2016 eine kräftige BAföG-Erhöhung geben. Wir erhöhen aber auch die Freibeträge um 7 Prozent, mit der Wirkung, dass zusätzlich 100 000 Studierende aus den Mittelschichten durch das BAföG gefördert werden können. Wir haben uns mit den Ländern darauf geeinigt, dass der Bund ab 2015 die Ausgaben für das BAföG allein übernimmt. Das ist ein großer Schritt nach vorn; denn dadurch können die Länder Milliarden in den Ausbau von Kitas, Schulen und Hochschulen stecken. Ganz wichtig ist: Künftige BAföG-Erhöhungen sind nicht mehr von der Kassenlage der Länder abhängig. Diese Koalition hat sich vorgenommen, dass Frauen und Männer gleiche Rechte und gleiche Chancen bekommen. Es kann nicht sinnvoll sein, wenn fast 50 Prozent der Studierenden weiblich sind, bei den Führungskräften nur noch 30 Prozent und bei den Vorstandspositionen nur noch 4 Prozent. Das ist eine Schwundquote, die mit dem Leistungsprinzip nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. ({4}) Natürlich sind das immer noch tradierte Rollenbilder und Arbeitsteilungen, die Frauen den Weg in eine erfolgreiche Berufstätigkeit verbauen. Aber wir merken, dass eine Änderung des Status quo immer auch eine Machtfrage ist. Manche Dinge bewegen sich eben nur, wenn man Druck ausübt, zum Beispiel für die Gleichberechtigung in deutschen Aufsichtsräten oder Großkonzernen. Deshalb brauchen wir nicht nur freiwillige Vereinbarungen, wir brauchen Regeln und Mechanismen wie die Frauenquote und ein Entgeltgleichheitsgesetz, um diese Machtstrukturen aufzubrechen. Deshalb sage ich ganz klar: Die Frauenquote muss kommen. ({5}) Viele Familien in diesem Land beklagen sich auch über die enormen Schwierigkeiten des Alltages. Es gibt nicht genügend Kitaplätze von hoher Qualität. Sie finden keine Ganztagsschule für ihre Kinder. Sie wollen ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Es ist ein Himmelfahrtskommando, beim Arbeitgeber wegen Teilzeit nachzufragen. Unsere Arbeitsministerin, Andrea Nahles, nennt das „den ganz normalen Wahnsinn der Familie“. Wir wollen, dass die Familien mehr Unterstützung und mehr Freiheit bekommen, ihre Zeit nach ihren eigenen Vorstellungen einzuteilen. Dazu werden wir mit dem ElterngeldPlus und dem Familienpflegezeitgesetz zwei ganz wichtige Initiativen der Koalition im Parlament beraten. Auch wenn es darüber im Koalitionsvertrag, lieber Volker, keine Einigung gegeben hat, finde ich den Vorschlag von Manuela Schwesig, eine Familienarbeitszeit einzuführen, hochinteressant; denn das ist eine Idee, mit der am Ende - das sagen uns die Vertreter der Wirtschaft - sogar die Gesamtarbeitszeit von Männern und Frauen erhöht werden kann und sie trotzdem mehr Zeit für die Familie haben. Vielleicht sollten wir darüber noch einmal nachdenken. ({6}) Es hilft den Menschen, ihre eigene Zeit nach ihren eigenen Vorstellungen aufzuteilen, um Beruf, Kinder, Pflege und Freizeit unter einen Hut zu bringen. Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir ihnen dieses Stück Freiheit zurückgeben können. Die Situation der Flüchtlinge. Krieg und Terror führen dazu, dass immer mehr Flüchtlinge Schutz in Deutschland suchen. In diesem Jahr rechnen wir mit über 200 000 Asylbewerbern. Es ist nicht absehbar, dass es im nächsten Jahr weniger werden. Ich sage: Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Aufgabe aller Fraktionen in diesem Hause, diese Flüchtlinge in Deutschland so aufzunehmen und unterzubringen, dass sie nicht zum Angriffsobjekt für rechtsextreme Gruppen werden. Dabei dürfen wir die Kommunen nicht alleine lassen. ({7}) Deutschland nimmt zurzeit die meisten Flüchtlinge in der Europäischen Union, und zwar 30 Prozent aller Flüchtlinge, die nach Europa kommen, auf. Die anderen Länder müssen sich dieser Verantwortung aber auch stellen. Wir wollen ein europäisches Flüchtlingskonzept, Herr Innenminister. Wir unterstützen Sie in der Forderung, dass die große Zahl der Flüchtlinge unter allen Mitgliedsländern in der Europäischen Union fair verteilt werden muss. Jeder muss dabei mitmachen. Keiner kann sich dieser Aufgabe entziehen. Dabei haben Sie unsere Unterstützung. Wenn wir am Ende sehen, dass wir nicht allen Flüchtlingen in Deutschland helfen können, dann müssen wir uns auf die konzentrieren, die am stärksten von Krieg, Verfolgung und Vertreibung betroffen sind. Mit anderen Worten: Wir müssen dort helfen, wo die Not am größten ist. Das setzt voraus, liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, dass wir Prioritäten setzen, wenn wir es gut machen wollen. Und wir müssen es gut machen. Deshalb appelliere ich an Sie, das Gesetz über sichere Herkunftsstaaten nicht aufzuhalten, sondern im Bundesrat passieren zu lassen. Dieses Gesetz beendet übrigens das neunmonatige Arbeitsverbot für Asylbewerber und gibt ihnen die Möglichkeit, schon nach drei Monaten zu arbeiten. Ich sage Ihnen: Der beste Schutz vor Diskriminierung ist es, wenn Flüchtlinge schon früh eine Arbeit aufnehmen und ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Oppermann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Volker Beck?

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Oppermann. - Würden Sie der Einschätzung von Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband zustimmen, dass man die Rechte für Flüchtlinge, zum Beispiel im Hinblick auf den Zugang zum Arbeitsmarkt, nicht gegen das Asylgrundrecht von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten ausspielen sollte, sondern dass man diese Fragen unabhängig voneinander betrachten muss? Man kann doch eine Verbesserung der Situation der Menschen, die hier sind, nicht erkaufen, indem man anderen Rechte abschneidet. Entweder sind diese Herkunftsstaaten sicher oder nicht. Ich glaube das zwar nicht; denn das gilt zumindest nicht für Roma und Homosexuelle in diesen Ländern. Wenn Sie aber sicher sind, dann kann man das so regeln. Man muss das nicht mit einer anderen Frage verbinden. Das klingt ein bisschen nach Zuckerbrot und Peitsche. Wenn Sie den Arbeitszugang für Flüchtlinge für so wichtig für die Integration halten, wie Sie es sagen - diese Einschätzung teile ich -, dann verstehe ich nicht, warum man nur die Frist verkürzt, aber die Vorrangprüfung beim Zugang zum Arbeitsmarkt, an der die meisten, die grundsätzlich arbeiten dürfen, scheitern, nicht gleichzeitig beseitigt. Die Vorrangprüfung beim Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge bedeutet nämlich, dass man erst schauen muss, ob ein Deutscher oder EU-Bürger für eine bestimmte Stelle infrage kommt, und dass der Unternehmer erst, wenn keiner gefunden wird, einen Flüchtling einstellen kann. Das führt unabhängig von den Fristen dazu, dass Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis faktisch nicht arbeiten können. Diese Regelung muss weg, wenn wir die Flüchtlinge tatsächlich willkommen heißen und dafür sorgen wollen, dass deren Leben hier in Deutschland nach der Aufnahme neu beginnen kann. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Beck, Volker Kauder und ich haben doch deutlich gemacht, dass wir miteinander über diese Dinge reden können. In vielen Situationen läuft die Vorrangprüfung doch vollständig ins Leere, weil die Unternehmen überhaupt keine Arbeitnehmer mehr auf dem Arbeitsmarkt bekommen, da es in vielen Regionen in Deutschland Vollbeschäftigung gibt. Selbstverständlich können wir darüber reden. Ich weise aber entschieden zurück, dass wir hier mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten. ({0}) Wir hatten im letzten Jahr knapp 40 000 Flüchtlinge aus den Westbalkanländern. Ich glaube, es ist eine Frage der Verantwortung, ob es in der jetztigen Situation, in der Flüchtlingen aus Syrien, aus dem Nordirak und aus Afrika dringend geholfen werden muss, politisch richtig ist, 40 000 Menschen durch ein Asylverfahren laufen zu lassen, dessen Anerkennungsquote bei unter 1 Prozent liegt. Ich sage ganz deutlich: In diesen Westbalkanländern gibt es in der Regel keine politische Verfolgung, und wenn es sie gäbe, müsste sie sofort beendet werden; denn diese Länder wollen alle Mitglieder der Europäischen Union werden. ({1}) Dann können Sie doch nicht mit politischer Verfolgung argumentieren; das kann doch nicht richtig sein. Was derzeit in vielen Großstädten und Ballungszentren, aber auch in vielen kleinen Universitätsstädten passiert, macht uns große Sorgen: Wer eine größere Wohnung braucht, hat häufig keine Chance, eine neue Wohnung im angestammten Umfeld zu finden. Es kommt vermehrt zu Zwangsräumungen, weil Menschen Mieterhöhungen nicht zahlen können. Und Investoren entmieten systematisch Häuser, weil sie wissen, dass bei einem Mieterwechsel die Miete verdoppelt werden kann. Die soziale Verdrängung, die hier stattfindet, meine Damen und Herren, darf so nicht weitergehen. ({2}) Wir haben im Koalitionsvertrag eine Mietpreisbremse vereinbart. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch in den angesagten Wohnquartieren der Städte in Zukunft noch eine sozial gemischte Wohnbevölkerung gibt. Deshalb sage ich ganz klar: Die Mietpreisbremse muss kommen. Das Wohnen in großstädtischen Quartieren muss auch für Menschen möglich sein, die nur ein normales Einkommen zur Verfügung haben. ({3}) Zum Schluss noch eine Bemerkung zu einer politischen Frage, die uns seit der Landtagswahl in Sachsen beschäftigt. Zum zweiten Mal in sechs Jahrzehnten haben wir erlebt, dass in Deutschland weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten bei einer Landtagswahl wählen gegangen sind. Ich finde, da dürfen wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen; denn je niedriger die Wahlbeteiligung bei einer Landtags- oder Bundestagswahl ist, umso höher ist hinterher der Einfluss extremistischer Parteien, meine Damen und Herren. ({4}) Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Wer Landtagswahlen in die Sommerferien verlegt, der stärkt das Desinteresse an Politik ({5}) und macht es Menschen leicht, sich aus der Demokratie zu verabschieden. ({6}) Ich finde, dass wir es 25 Jahre nach dem Mauerfall nicht hinnehmen dürfen, dass sich immer mehr Menschen in Deutschland von der Demokratie abwenden. Das müssen wir stoppen. Deshalb regen wir an, dass alle Fraktionen bei dieser Frage in einem Bündnis zur Steigerung der Wahlbeteiligung zusammenarbeiten. Ich finde, das ist etwas, was wir gut zusammen machen können. Wir jedenfalls sind dazu bereit. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Am Mittwoch in einer Haushaltswoche dient die Debatte zum Etat der Bundeskanzlerin immer dazu, sich mit den Schwerpunkten, den großen Herausforderungen der deutschen Politik auseinanderzusetzen und sie darzustellen. Das heißt nicht, dass wir die vielen innenpolitischen Fragen nicht ernst nehmen; aber dafür haben wir ja auch die Diskussionen zu den Einzelplänen. Deswegen sollten wir uns heute - auch im Hinblick auf das, was die Bundeskanzlerin gesagt hat - mit den großen Herausforderungen beschäftigen und uns einmal anschauen, welche Antworten von uns gefragt sind. Da ist natürlich die große Herausforderung, mit der wir bei Abschluss der Koalitionsverhandlungen nicht gerechnet haben und nicht rechnen konnten: die neue Situation in der Welt und vor allem die neue Situation auch in Europa. Ich war von der Rede des polnischen Staatspräsidenten heute Morgen beeindruckt, der in einer Klarheit über die Herausforderungen und die Notwendigkeit der Antworten gesprochen hat, wie man es sehr selten in Europa hört, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Er hat davon gesprochen, dass wir es natürlich nicht hinnehmen dürfen, dass die Errungenschaften in Europa, zum Beispiel unser Bild vom Menschen, einfach drangegeben werden. Es ist völlig richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt und wir hier, in diesem Deutschen Bundestag, mehrfach wiederholt haben: Wir sehen keine militärische Lösung des Konflikts in der Ukraine. Es wäre ja geradezu aberwitzig, wenn wir in diesem Jahr, in dem wir über den Ersten und den Zweiten Weltkrieg reden, militärische Lösungen suchen würden. Eines ist aber auch klar: Deswegen müssen wir umso mehr mit den politischen Möglichkeiten, die wir haben, arbeiten, und die Dinge, die nicht gut laufen, auch beim Namen nennen. ({1}) - Einen dümmeren Zwischenruf kann man sich gar nicht vorstellen, als jetzt, da ich hier über humanitäre Probleme rede, von „Säbelrasseln“ zu sprechen. Sie sollten sich schämen für diesen Zwischenruf! ({2}) Jetzt werde ich Ihnen einmal etwas sagen. Ich hoffe, Ihnen stockt der Atem. Ich habe gesagt, wir müssen für unser Menschenbild eintreten und die Dinge beim Namen nennen. Die Kollegin Marieluise Beck hat mich heute Morgen auf etwas hingewiesen, was einem wirklich den Atem stocken lässt - auch darüber müssen wir reden, wenn wir über Sanktionen sprechen -: Natürlich üben die Separatisten in der Ukraine Gewalt aus, und natürlich werden dort mit militärischem Gerät keine Spielzeugveranstaltungen durchgeführt; aber noch schrecklicher als das ist, dass die Menschen in den Gebieten, in denen die Separatisten das Sagen haben, in einer Art und Weise bedroht werden, die wir nicht hinnehmen können. Betroffen sind oft die Frauen. Es gibt das Beispiel von Frau Dowgan, die, weil sie sich für die ukrainische Armee ausgesprochen hat, an einen Pranger gestellt und mit Waffen bedroht worden ist ({3}) - das ist „Säbelrasseln“! -, die bespuckt worden ist, geschlagen worden ist, gedemütigt worden ist, über mehrere Stunden hinweg. Dazu kann ich nur sagen: So etwas dürfen wir nicht dulden, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({4}) - Ihr Klatschen ist mir völlig egal. - Deswegen bin ich der Meinung, dass wir die Sanktionen durchsetzen müssen, dass wir die Antwort geben müssen, dass wir dies nicht hinnehmen. Ich muss sagen: Diese neue Herausforderung, auf die wir zunächst einmal keine Antwort geben konnten, wird von dieser Bundesregierung großartig angenommen. Die Bundesregierung argumentiert und handelt richtig. Dafür sage ich einen herzlichen Dank der Bundeskanzlerin, aber genauso auch dem Bundesaußenminister. Wir können wirklich froh sein, in dieser Situation eine solche Bundesregierung unserem Land stellen zu können. ({5}) Das zweite große Thema, mit dem wir uns in der internationalen Politik auseinandersetzen müssen, ist der Umgang mit islamistischen Terrorgruppen. Auch da gilt, dass wir konsequent und, wie der polnische Staatspräsident gesagt hat, entschlossen sein müssen und diese Entschlossenheit denen, die in grober Weise gegen Menschenrechte verstoßen, auch zeigen müssen. Dass diese Entwicklung uns Sorgen machen muss, zeigen die jüngsten Ankündigungen, und dass dieses Thema uns über viele, viele Monate, wahrscheinlich Jahre beschäftigen wird, ist doch für uns eine unglaubliche Herausforderung. Deswegen werden der Einsatz für Frieden, für Menschenrechte und für Religionsfreiheit sowie die Bekämpfung dieses islamistischen Terrors in der nächsten Zeit immer ein Thema unserer Politik in der Großen Koalition sein müssen und auch sein. Es muss uns doch wirklich erschrecken und dann zum Handeln bringen, wenn wir lesen, dass die verschiedenen Terrorgruppen jetzt in einen Wettbewerb um die größtmögliche Aufmerksamkeit eintreten. In diesen Tagen haben wir erfahren, dass al-Qaida sagt: „Wir kommen einfach nicht mehr vor, weil nur noch über ISIS und deren Brutalität gesprochen wird. Wir wollen das ändern, und deswegen werden wir uns jetzt unserer Glaubensgeschwister in Asien annehmen. Wir haben bereits einen Chef von al-Qaida in Indien benannt“. - Dass es nicht nur dabei bleiben wird, kann man in diesen Tagen in Indien ganz genau sehen. Zum ersten Mal werden in den Slumgebieten in Indien Großplakate aufgestellt, auf denen Israel dafür verantwortlich gemacht wird, dass Kinder verletzt werden, und für vieles andere mehr, um damit in solchen Gebieten zunächst einmal ein Bewusstsein zu schaffen. Das Nächste wird sein, dass man natürlich über den Einsatz der Muslime in Indien sprechen wird. Da kann ich nur sagen: Man muss aufmerksam sein, und natürlich muss man den Menschen vor Ort helfen, damit sie denen nicht auf den Leim gehen. Frau Göring-Eckardt, ich teile Ihre Auffassung, dass man nur mit Strafrecht die Dinge nicht regeln kann, aber es gibt Herausforderungen, bei denen man auch mit dem Strafrecht eine moralische Kompetenz in diesem Land beweisen muss. Ich kann nur sagen: Es macht mir große Sorgen - ich finde es unglaublich und hätte nie damit gerechnet -, dass wir am Sonntag wenige Meter von diesem Reichstagsgebäude entfernt eine Kundgebung des Zentralrats der Juden unter dem Thema „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ haben müssen. Es ist unglaublich, dass das notwendig geworden ist. Da kann ich nur sagen: Es ist richtig, dass wir mit mehreren Maßnahmen den Antisemitismus bekämpfen, unter anderem auch mit dem Strafrecht. Damit sorgen wir dafür, dass bestimmte Thesen in unserem Land nicht ungestraft gesagt oder wiederholt werden dürfen. ({6}) Natürlich muss abgewogen werden, aber von vornherein nur die soziale Kompetenz herauszustellen und zu sagen: „Strafrecht geht nicht“, halte ich für falsch. ({7}) Ich bin der Meinung, dass mehrere Dinge geschehen müssen. Wenn jetzt aber wieder gerufen wird, dass wir besondere Maßnahmen und Projekte brauchen, dann kann ich nur sagen: Der Einsatz für Toleranz, das Lernen aus unserer Geschichte - nie wieder Judenhass -, das gehört nach meiner Auffassung schon zur Grundausbildung in unseren Schulen. Das kann man nicht nach dem Motto wegschieben: Der Bund muss irgendwelche Projekte auflegen. Ich finde es erschreckend, wenn ich in Berichten lese, dass junge Leute wenig Ahnung von dem haben, was war. Geschichtsunterricht und damit Kenntnis über das, was in unserem Land einmal war und nie wieder sein darf, kann nicht das Thema von Projekten der Bundesregierung sein, sondern muss Thema der Ausbildung in unseren Schulen sein. ({8}) Da sind in besonderer Weise auch unsere Länder gefordert. Da wir über das Thema Flüchtlinge reden: Ich bin einverstanden - ich habe das am letzten Montag hier gesagt; da gab es noch eine breite Übereinstimmung -, dass wir Flüchtlinge in unserem Land aufnehmen und alles dafür tun müssen, dass sie anständig untergebracht sind. Dass dies natürlich eine große Herausforderung für viele Kommunen ist, wissen wir; auch die Oberbürgermeister, die der Partei der Grünen angehören, sagen, dass das eine Herausforderung ist. Deswegen denke ich, hier brauchen wir gar nicht groß über das, was im Bundesrat passieren muss, zu diskutieren. Aber Thomas Oppermann hat doch recht: Wir spielen nicht die eine Gruppe gegen die andere aus. Ich denke, ein Schuh wird daraus - das wäre das Richtige -, wenn wir uns hier im Bundestag sagen würden - die Linke hat ja auch ein bisschen Einfluss; zumindest an einer Landesregierung ist sie beteiligt. -: Die Herausforderung, die wir in der Flüchtlingspolitik haben, stellt sich nicht nur diesem Haus, sondern sie muss sich im Bundesrat fortsetzen. Deswegen müssen wir dort zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Ich bin davon überzeugt, dass dies auch gelingen wird. Die ersten Botschaften haben wir vernommen. Ich sage auch hier: Natürlich sind wir bereit, in einem Gespräch mit Ihnen über viele Punkte zu reden. Ich kann nur sagen: Nehmen Sie dieses Angebot an, damit wir in den nächsten Tagen im Bundesrat zu einer guten Lösung kommen. Sie helfen damit vor allem den Kommunen in unserem Land. ({9}) - Wir können nachher, Frau Göring-Eckardt, über die Vorschläge des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann reden. Sie gehen schon in eine ganz gute Richtung. Was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, sage ich also Ja. Aber ich habe schon am Montag darauf hingewiesen, dass es natürlich genauso notwendig ist, die Situation vor Ort zu verbessern. Da möchte ich die Bundesregierung, sehr geehrter Herr Bundesaußenminister, bitten, noch einmal genauer hinzuschauen. Ich hatte gestern ein Gespräch mit Vertretern der Jesiden. Sie haben mir berichtet, dass bis heute in großen Gebieten, in Dohuk beispielsweise, die Hilfe noch nicht richtig angekommen sei. Ich habe sie gebeten, dies auch dem UNHCR mitzuteilen. Offenbar gibt es da noch immer Probleme. Ich wäre dankbar, wenn man sich darum kümmert. Es gibt einen zweiten Punkt, mit dem ich noch nicht zufrieden bin. Wir haben noch immer keine Antwort und keine Lösung aus Europa. Es ist nicht allein Sache der Bundesregierung, wie wir den Flüchtlingen helfen. Es vergeht Woche für Woche, der Winter kommt, die Regenzeit kommt, und die Zeit wird immer knapper, um dort für eine entsprechende Unterbringung zu sorgen. Ich habe die herzliche Bitte, dass man hier noch einmal auf die EU-Kommission zugeht. Geld ist dort vorhanden; das wissen wir. Dort hat man das Geld. Es muss jetzt endlich einmal einen Ruck geben und sich etwas tun. Wir können die Leute im Nordirak nicht einfach sitzen lassen. Deswegen sage ich: Ja, es ist richtig, dass wir Waffenhilfe leisten. Aber wir werden mehr als die 50 Millionen Euro in die Hand nehmen müssen, um den Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Das Geld ist da. Ich habe die Bitte an die Bundesregierung, Europa da einmal etwas Beine zu machen, damit das endlich vorangeht. ({10}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, neben diesen großen Herausforderungen in der Außenpolitik bleibt in unserem Land und in Europa natürlich die große Aufgabe, weiter für Wachstum zu sorgen und damit die Grundlagen für den Wohlstand in unserem Land und in Europa zu legen. Wachstum entsteht in unserer Wirtschaft. Deswegen ist es völlig richtig, wenn die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung darauf hinweist, dass wir in einem wichtigen neuen Feld, nämlich im Bereich Industrie 4.0 und im Bereich Internet, vorankommen müssen und dass wir dort neue Start-ups, also neue Firmengründer, brauchen. Gerade von diesen Firmengründern hören wir, dass es für sie nicht nur ein Thema ist, wie sie an Kapital kommen, sondern dass sie sich natürlich auch wünschen, ja geradezu verlangen, dass man sie in ihrer Startphase von bürokratischen Gängeleien weitgehend befreit. Die haben andere Sorgen. Deswegen, Herr Bundeswirtschaftsminister, bin ich dankbar für das Signal, dass man überlege, gerade bei Start-up-Unternehmen eine ganze Reihe von bürokratischen Auflagen einmal eine Zeit lang auszusetzen. Deswegen, lieber Kollege Oppermann, kann ich nur sagen: Gerade diese Firmen brauchen hohe Flexibilität und nicht neue Arbeitszeitmodelle; das regeln die schon selber. Deswegen warne ich vor „Stressverordnungen“ und neuen Arbeitszeitmodellen. ({11}) Ich finde - dazu stehen wir in der Union -: Wir haben eine ganze Reihe von Dingen gemacht, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Ich nenne die Rente mit 63 und den Mindestlohn. Wir werden auch die anderen Punkte, die wir im Koalitionsvertrag stehen haben, wie die Frauenquote, umsetzen. Aber dann muss es auch gut sein. ({12}) Ich rate uns, uns in der Koalition nicht jeden Tag und an jedem Wochenende in irgendwelchen Interviews neue mögliche Belastungen für die deutsche Wirtschaft einfallen zu lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Das ist bei der Investitionsfrage eher ein Problem als vieles andere: wenn ich als Unternehmer nicht weiß, was alles noch auf mich zukommt. ({14}) Das hemmt die Investitionsbereitschaft mehr als alles andere. Deswegen bin ich froh über die Signale, die ich vernommen habe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wir brauchen natürlich auch Investitionen in unserem Land, Investitionen in die Infrastruktur. Das ist angesprochen worden. Deswegen können Sie ganz sicher sein: So, wie wir alle anderen Punkte im Koalitionsvertrag umgesetzt haben, werden wir auch mit dem derzeitigen Lieblingsthema der Medien, der Maut, bis Ende des Jahres zu einem guten Ergebnis kommen. Da dürfen Sie ganz sicher sein, dass wir das schaffen und packen. ({15}) - Ja, wissen Sie, Frau Göring-Eckardt, das, was Sie mir manchmal als gute Ergebnisse vorschlagen, entpuppt sich bei näherem Hinschauen meist als schlecht. Deswegen können wir das nicht machen. ({16}) Es gibt ein paar Punkte, in denen wir uns einig sind, aber an den allermeisten Punkten kann man erkennen: Von Wirtschaft verstehen Sie nun wirklich nicht so viel. Das muss ich einmal deutlich formulieren. ({17}) - Sie sowieso schon gar nicht, Herr Gysi. Sie sind da jetzt der schlechteste Ratgeber; nein, nein. Deswegen ist es richtig, dass wir beim Thema Wirtschaft helfen, in neue Entwicklungen hineinzukommen. Auch da werden in dieser Regierung die richtigen Entscheidungen getroffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, für all die großen Aufgaben, die vor uns liegen - Frieden schaffen in Europa, in der Ukraine, den islamistischen Terror bekämpfen und dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft weiter wachsen kann und damit auch der Wohlstand -, werden mit diesem Bundeshaushalt die Voraussetzungen geschaffen. Dieser Bundeshaushalt, mit dem zum ersten Mal seit langem keine neuen Schulden aufgenommen werden, was auch für die nächsten Jahre versprochen wird, schafft die Grundlagen für neue Entscheidungsmöglichkeiten. Es wird die Botschaft vermittelt: Wir werden mit dem auskommen, was wir haben. Mit dem auskommen, was wir haben, heißt auch, dass wir sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Wirtschaft am Wohlstand beteiligen. Deswegen bleibt es dabei - auch wenn der eine oder andere meint, er müsse jetzt wieder eine andere Diskussion führen; aber die Kanzlerin hat es hier gesagt, der Vizekanzler hat es gesagt, der Finanzminister hat es gesagt, und ich kann es nur noch einmal bestätigen -: Es wird mit uns in dieser Koalition keine Steuererhöhungen geben. Alles andere ist Quatsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({18}) Es wird mit uns keine Steuererhöhungen geben; das haben wir zugesagt, und dabei bleibt es. Das ist eine zentrale Botschaft, die sich auch an unsere Wirtschaft richtet: Ihr könnt euer Geld investieren, ihr könnt für Wachstum sorgen und damit für eine gute Situation in unserem Land. - Wir schaffen dafür eine wichtige Voraussetzung. Gestern Abend beim Parlamentarischen Abend im Haus der Deutschen Wirtschaft ist man immer wieder angesprochen worden auf das Thema „qualifizierte Arbeitskräfte“. Die Industrie 4.0 verlangt natürlich entsprechende Ausbildung. Wenn ich den ein oder anderen aus der Linksfraktion da so höre, muss ich denken: Wo sind die denn die ganze Zeit unterwegs? - Es wird in unserem Land so viel für Bildung und Ausbildung ausgegeben wie nirgendwo in Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da brauchen wir überhaupt keine Hinweise von einigen in diesem Haus. Was im Bildungs- und Forschungsministerium getan wird, ist ein Supervorbild für ganz Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({19}) Das schafft Zukunft für eine junge Generation.Die Länder müssen allerdings ihren Beitrag dazu leisten. Der Bund hat den Ländern Geld gegeben für Hochschule, für Ausbildung. Einige Länder wollen wenigstens den wesentlichen Teil dieses Geldes dafür einsetzen; das kann ich gerade noch akzeptieren. Aber vor dem Hintergrund, dass Bildung und Ausbildung das entscheidende Zukunftsprojekt für unser Land ist, kann ich es nicht akzeptieren, wenn einige rot-grün-geführte Bundesländer den wesentlichen Teil dieser Mittel, die vom Bund kommen, nicht für Hochschule und Ausbildung ausgeben wollen, sondern für viele andere Dinge. Ich kann nur sagen: Wer so argumentiert, hat jedes Recht verloren, zu sagen: „Der Bund muss mehr für Bildung und Ausbildung tun“, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({20}) Deswegen werden wir da auch nicht nachlassen; wir werden in den Landtagen nachfragen, wofür das Geld eingesetzt wird. Ich bitte auch die SPD-Bundestagsfraktion, unseren Koalitionspartner, dass wir uns dieses Projekt, das wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, nicht unterhöhlen lassen von denjenigen, die glauben, sie könnten das Geld für alle möglichen Haushaltszwecke, aber nicht für Hochschule und Ausbildung einsetzen. Dafür tragen wir in dieser Koalition Verantwortung. ({21}) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die großen Herausforderungen beschrieben. Ich bin sicher, dass diese Koalition und diese von der Koalition getragene - nicht nur getragene, sondern in jeder Hinsicht unterstützte - Bundesregierung diesen Aufgaben und Herausforderungen gerecht werden. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Özoğuz. ({0})

Not found (Gast)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln wurde bereits gestern und auch heute darauf hingewiesen, dass die Nachrichten und Geschehnisse aus aller Welt auch für unser Land nicht folgenlos bleiben. Ich glaube, dass diese vielen Beiträge auch das Ausmaß der Geschehnisse deutlich zeigen. Laut den Vereinten Nationen sind aktuell weltweit über 51 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 17 Millionen Menschen außerhalb ihres Landes. Das sind unglaubliche Dimensionen, die natürlich auch uns erreichen. Die erschütternden Bilder und Nachrichten brauche ich kaum zu wiederholen; ich tue es trotzdem: Unfassbare Gräueltaten der IS-Terrormiliz, Bürgerkrieg in Syrien, Eskalation in der Ostukraine, israelisch-palästinensische Auseinandersetzungen, ein Gazastreifen, der in Trümmern liegt, Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer. Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für dieses Jahr mit rund 200 000 Asylanträgen rechnet, dann hat das natürlich auch Folgen für die Länder und Kommunen; das ist hier schon lange und oft genug gesagt worden. Ich möchte nur noch einmal betonen, dass es nicht nur bei der Unterbringung Herausforderungen gibt und dass sich Deutschland natürlich seiner Verantwortung stellt. Wer vor Krieg, Bürgerkrieg oder Verfolgung flieht, muss Schutz in unserem Land finden. ({0}) Die Asylantragsteller brauchen schneller Klarheit über ihren Status. Jahrelange Verfahren, wie wir sie ja durchaus kennen, helfen niemandem weiter. Darum haben wir 300 neue Stellen beim Bundesamt für MigraStaatsministerin Aydan Özoğuz tion und Flüchtlinge eingerichtet, und in 2015 soll es vermutlich noch einmal einen Aufwuchs geben; mein Fraktionskollege Martin Gerster hat dies gestern angesprochen. Es nützt natürlich niemandem, wenn die Asylbewerber oft monatelang herumsitzen und nicht arbeiten dürfen. Das haben wir alle miteinander erkannt. Deshalb werden wir das Verbot der Arbeitsaufnahme von Asylbewerbern und Geduldeten auf drei Monate begrenzen. Diese Frist braucht man schon; so fair muss man sein. Wenn jemand gerade hier ankommt, kann er nicht sofort irgendwohin geschickt werden. Die Menschen wollen aber arbeiten und selbstbestimmt ein Stück zu ihrem Lebensunterhalt beitragen können. Dabei geht es auch um Menschenwürde, die wir damit ermöglichen. ({1}) Dazu passt es auch, dass wir junge Flüchtlinge, die in unser Land kommen und die richtig gut und schnell sind - sie lernen Deutsch und machen ihre Abschlüsse; über sie reden wir leider nur sehr selten -, nicht vier Jahre lang warten lassen, bis sie eine Ausbildung machen dürfen. ({2}) Mit Unterstützung des Bildungsministeriums und des Innenministeriums haben wir jetzt dafür sorgen können, dass schon nach 15 Monaten eine Ausbildungsförderung gezahlt wird. Hierfür haben uns übrigens auch Unternehmer schon ein großes Dankeschön ausgesprochen. ({3}) Die Bilder, die uns vom Mittelmeer und von Lampedusa erreichen, zeigen einen unhaltbaren Zustand und sind unwürdig für die Europäische Union. Ich möchte noch einmal wiederholen: Wir müssen gemeinsam mit den europäischen Partnern eine faire, solidarische Aufgabenaufteilung erreichen. Auch Thomas Oppermann hat das eben noch einmal gesagt. Deutschland nimmt heute 30 Prozent der Flüchtlinge auf. Ich glaube, wir können sagen: Außer in Schweden sehen wir eigentlich nirgendwo vergleichbare Anstrengungen. So darf das natürlich nicht bleiben. Das ist keine Partnerschaft. ({4}) Deutschland ist mittlerweile ein richtig beliebtes Land. Ich glaube, es ist für manche überraschend, dass wir plötzlich einen solchen Stellenwert haben. Diese hohe Position haben wir in der OECD erreicht, weil wir den zweithöchsten Wanderungsgewinn nach den USA zu verzeichnen haben. Ich möchte hervorheben, dass wir eine sehr erfreuliche und sehr positive Grundeinstellung der Hilfsbereitschaft in unserer Bevölkerung feststellen können - ich glaube, das ist sehr wichtig -, ({5}) und zwar nicht nur gegenüber Einwanderern insgesamt, sondern insbesondere auch gegenüber Flüchtlingen. Es gibt unglaubliche viele Nachbarschaftsinitiativen rund um Flüchtlingsheime, die sich in den letzten Monaten gegründet haben, um den Flüchtlingen direkt zu helfen, um den Kontakt zu anderen zu ermöglichen und um aufzuklären. Wir alle sind uns darüber im Klaren: Die Arbeit, die die Menschen in diesen Nachbarschaftsinitiativen leisten, könnten wir aus unserem Haushalt überhaupt nicht bezahlen. Es ist also wirklich ein Dankeschön an all die Menschen angebracht, die sich dort engagieren. ({6}) Ich möchte an das anschließen, was Volker Kauder gesagt hat. Wir haben heute Morgen an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und die Gräueltaten der Nationalsozialisten erinnert. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal sagen: Wenn ich mir manche Demonstrationen auf deutschen Straßen anschaue, dann kann ich nur unterstreichen, dass diejenigen, die antisemitische Parolen rufen, das Recht auf Meinungsfreiheit deutlich überschreiten. Antisemitismus hat keinen Platz in unserem Land. ({7}) Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen - das ist jetzt an Volker Kauder gerichtet -: Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wäre es ebenso angebracht, zu sagen: Auch Antiziganismus hat in Deutschland keinen Platz. ({8}) Natürlich ist auch niemandem damit geholfen, Islamfeindlichkeit auszublenden. Ich finde, dass die Brandanschläge auf Moscheen, die sich im Moment häufen, uns durchaus nachdenklich machen müssen. Jegliche Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit oder Herkunft dürfen wir in Deutschland nicht dulden. Das muss uns doch die Geschichte gelehrt haben. ({9}) Wenn selbsternannte „Scharia-Polizisten“ durch Wuppertal spazieren, dann dulden wir auch das nicht. Das hat der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger deutlich gemacht. Aber wir sollten diese Verirrten mit ihren abstrusen Ideen nicht wichtiger machen, als sie eigentlich sind. Das ist schon ein schmaler Grat, auf dem wir uns da bewegen. Anders sieht es bei gewaltbereiten, meist jungen Männern aus Deutschland aus, die von hier in den Nahen Osten oder nach Afghanistan reisen, um sich dort in den sogenannten Terrorcamps ausbilden zu lassen oder gleich in den Kampf zu ziehen. Hierzu möchte ich sagen: Es hat sich mir noch nie erschlossen - das konnte ich noch nie nachvollziehen -, wie ein Mensch in Deutschland auf die Idee kommen kann, in ein soge4576 nanntes Ausbildungslager im Ausland zu reisen oder sich gar einer Terrormiliz anzuschließen. Das hat in meinen Augen weder mit dem Islam noch mit dem Thema Religion überhaupt irgendetwas zu tun. Deswegen ist es besonders wichtig, dass deutschlandweit am 19. September dieses Jahres die Moscheegemeinden aufstehen wollen und ein Zeichen gegen Hass und Unrecht und für Frieden auf der Welt setzen wollen. Ich habe den Eindruck, dass viele in unserer Bevölkerung schon lange darauf warten. Es ist gut, dass ein solches Zeichen gesetzt wird. ({10}) Ein Beweis dafür, dass man auch mit einem sachlichen Blick und ohne zu starke emotionale Aufwallungen an die Herausforderungen herangehen kann, ist die Umsetzung der Empfehlungen des Staatssekretärsausschusses bezüglich der Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger. Alle Ressorts haben in diesem Ausschuss gemeinsam mit den Kommunen in akribischer Sacharbeit Daten und Fakten über die Zuwanderung nach Deutschland, insbesondere - weil es angesprochen wurde - aus Bulgarien und Rumänien, zusammengetragen. Das wenig überraschende Ergebnis, wenn ich das einmal so sagen darf, ist: Es ist keineswegs so, dass Deutschland unter der Last der rumänischen und bulgarischen Zuwanderung zusammenbrechen würde. Ganz im Gegenteil: Die Einwanderer aus Südosteuropa sind in der Regel gut ausgebildet und gehen einer Arbeit nach. Ja, es gibt Einzelne, auf die das nicht zutrifft - das will ich gar nicht bestreiten -, was dazu führt, dass sich in den Kommunen die Herausforderungen ballen. Aber es ist schon erstaunlich, dass bis heute niemand so recht das Ausmaß eines angeblich übermäßigen Sozialleistungsbetrugs faktisch darstellen konnte. Der Ausschuss hat beschlossen, den Kommunen - ich glaube, das ist wirklich wichtig - mit insgesamt über 235 Millionen Euro schnell zu helfen. Einen unschätzbaren Beitrag zur Versachlichung der Debatte hat - das möchte ich in diesem Zusammenhang gern erwähnen - der Mediendienst Integration geleistet; denn viele Journalistinnen und Journalisten fragen dort nach Zahlen. Sie wollen wissen: Wie verhält es sich denn wirklich mit den Zuwanderern? Wer arbeitet? Wer bekommt Sozialleistungen? - Dieser Mediendienst wird von mir als Integrationsbeauftragter aus meinem extrem kleinen Budget - wenn ich das in der Haushaltsdebatte noch einmal anmerken darf - unterstützt. Er bereitet für Journalisten Daten auf und erklärt Hintergründe zu diesen Themen. Ich glaube, dass das sehr hilfreich sein kann. Deswegen halten wir an diesem Mediendienst weiter fest. ({11}) Zwei kurze Stichworte zum Schluss. Ein bewährtes Instrument für ein Gelingen der Integration sind die Integrationskurse zum Spracherwerb. Der große Erfolg dieser Kurse gibt uns recht. Wir haben am Tag der offenen Tür des Kanzleramts ein Quiz gemacht und die Leute gefragt, wie viele Menschen so einen Kurs wohl schon gemacht haben mögen. Es ist doch erstaunlich, dass die meisten sich höchstens 300 000 Teilnehmer vorstellen konnten und nicht wussten, dass es schon 1,3 Millionen Menschen sind, dass die Menschen Schlange stehen, um sich für diese Kurse anzumelden, und diese Kurse gern besuchen. Deswegen war es wichtig, dass die Mittel in diesem Bereich nicht gekürzt wurden, dass wir sie also erhalten konnten. ({12}) Auch die Migrationsberatungsstellen für erwachsene Zuwanderer sind im Moment sehr stark gefordert. Das möchte ich nur einmal erwähnen; denn bei ihnen stehen die Familien vor der Tür, die ganz viel Hilfe brauchen. Und wenn man sich einmal die Zahlen anschaut, dann stellt man fest, dass mehr Menschen kommen, aber nicht mehr Berater vorhanden sind. Auch darüber sollten wir noch einmal sprechen. Es freut mich, dass wir mit der weitestgehenden Abschaffung der Optionspflicht - das möchte ich zu guter Letzt sagen - ein ganz klares Signal in Richtung Einwanderungsdeutschland gegeben haben. Frau GöringEckardt, ich bin vorhin ein bisschen zusammengezuckt, als Sie sagten, Deutschland sei seit 1989 ein Einwanderungsland. Natürlich ist Deutschland schon länger ein Einwanderungsland. Wir hatten immer ein bisschen Probleme damit, das zuzugeben. Aber nun ist es vollbracht, wenn man so will. Wir sind mit der weitestgehenden Abschaffung der Optionspflicht dem Ganzen ein großes Stück näher gekommen. Es ist jetzt eben nicht mehr so - wie noch in meiner Generation -, dass man hier geboren wird, groß wird und immer Ausländer bleibt und zum Beispiel nicht irgendwann einmal am Kabinettstisch sitzen kann. Das haben wir nun endlich geändert. Ich glaube, so fühlen sich die jungen Menschen auch wirklich als fester Bestandteil dieses Landes, ohne ihre Herkunft verleugnen zu müssen. ({13}) Letzter Satz - das ist für den Haushalt wichtig -: Die Mittel, die wir für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland, für mehr Bildungsmöglichkeiten, für Austausch, für Begegnung und Beratung einsetzen - das ist manchmal in Zahlen nicht so leicht auszudrücken -, sind echte Investitionen in unsere Gesellschaft und in die Zukunft und den Frieden unseres Landes. Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen spüren wir alle, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Wir erleben weltweit eine politisch bewegte Zeit, und zwar in einer Intensität, die wir bisher noch kaum erlebt haben. In Europa wird uns klar, dass die Folgen der Finanzund Wirtschaftskrise noch nicht ganz aufgearbeitet und bewältigt sind. Wenn dennoch immer wieder Stimmen in der Richtung laut werden, doch wieder einmal kreditfinanzierte Programme aufzulegen, dann, kann ich nur sagen, hat man das alles nicht verstanden. ({0}) Gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir sowohl in Europa als auch weltweit erlebt haben und erleben, ist es umso wichtiger, dass wir unseren Stabilitätskurs, unseren Konsolidierungskurs in Deutschland so, wie er die letzten Jahre gefahren worden ist, fortsetzen. Der Haushalt 2015, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist in der Tat ein Meilenstein. Das ist eine historische Zeitenwende; denn das erste Mal seit mehr als 45 Jahren macht der Bund keine neuen Schulden. Das letzte Mal war das unter der Verantwortung des Finanzministers Franz Josef Strauß der Fall. ({1}) - Das muss einmal gesagt werden. - Heute ist es unter der Verantwortung von Wolfgang Schäuble der Fall. Ich möchte ihm persönlich, aber auch den Haushältern und allen, die hier in den letzten Jahren Verantwortung getragen haben, herzlich dafür danken. Denn das ist nicht nur das Ergebnis einer kurzfristigen Haushaltsaufstellung in diesem Jahr, sondern es ist das Ergebnis harter Arbeit in den letzten Jahren, die heute Früchte trägt und auch künftig tragen wird. ({2}) Und wir tun das, meine Damen und Herren, ohne Steuererhöhungen. ({3}) Das ist eine ganz wichtige Botschaft, die Volker Kauder am Ende seiner Rede deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Man kann gar nicht oft und deutlich genug betonen, dass dies dazugehört. Steuererhöhungen bremsen die Leistungsbereitschaft eines jeden Steuerpflichtigen; sie blockieren Investitionen. Wenn, wie im Laufe der gestrigen und heutigen Debatte, von Oppositionskollegen immer wieder angemahnt wird, dass zu wenig investiert wird, dann sollten wir uns einmal klarmachen: Nicht nur die öffentlichen Haushalte tätigen Investitionen, sondern der wesentliche Teil der Investitionen wird durch Private getätigt, und zwar durch die Wirtschaft, durch unsere Unternehmen. Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen und können keine zusätzlichen Belastungen ertragen. Deshalb ist unser Credo: keine Steuererhöhungen in dieser Legislaturperiode. Darauf können sich die Menschen verlassen. Das haben wir vor der Wahl gesagt, und das halten wir über die ganze Legislaturperiode ein. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ausgeglichener Haushalt ist nichts, das man als Monstranz vor sich herträgt. Er ist auch kein Selbstzweck. Nein, er ist aus dreierlei Gründen, die ich ansprechen möchte, besonders wichtig: Erstens ist er ein Zeichen der Verlässlichkeit. Verlässlichkeit ist die Basis für Vertrauen; ohne Vertrauen finden keine Investitionen statt. Es ist die wesentliche Grundlage für wirtschaftliche Betätigung und wirtschaftlichen Erfolg in einem Land, dass sich all diejenigen, die investieren und wirtschaftlich tätig sind, auf Rahmenbedingungen verlassen können, die ihnen den entsprechenden Spielraum geben. Das Zweite ist: Wir schaffen damit Spielraum für die notwendigen Schwerpunkte und die notwendigen öffentlichen Investitionen, beispielsweise im Infrastrukturbereich, sowohl im Verkehr als auch in der digitalen Infrastruktur, oder auch im Bildungs- und Forschungsbereich. Das wurde heute schon mehrfach angesprochen. 15 Milliarden Euro allein in diesem Jahr für Bildung: Das ist mehr als doppelt so viel wie 2005. Es geht aber auch um Schwerpunkte im sozialen Bereich wie das, was wir in den vergangenen Jahren für die Entlastung der Kommunen gemacht haben und immer noch machen, und zwar bei Aufgaben, für die der Bund eigentlich gar nicht zuständig ist. Das Dritte und ganz Wesentliche ist, dass wir keine Politik auf Kosten der jüngeren Generation machen. Wir sind uns vielmehr bewusst, dass das Allerbeste, was wir den jungen Menschen, unseren Kindern und Enkelkindern, mitgeben können, schuldenfreie Haushalte sind: keine Schulden, sondern Chancen, dass sie sich entfalten und auf die aktuellen Herausforderungen ihrer Zeit entsprechende Antworten geben können und entsprechende Spielräume haben. ({5}) Das Beste, was wir für unsere wirtschaftliche Entwicklung tun können, und das Beste, was wir für unsere Kinder und Enkelkinder tun können, das machen wir mit diesem Haushalt 2015. ({6}) Wenn, wie in der gestrigen und heutigen Debatte, die Kollegen aus der Opposition versuchen, das madigzumachen und kleinzureden, ({7}) dann muss ich sagen: Jeder, der diese Erfolgsgeschichte, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung und Steuererhöhungen mit entsprechenden in4578 vestiven Schwerpunkten, madigmacht, dokumentiert damit: Er hat mit dieser Erfolgsgeschichte nichts zu tun. ({8}) So ist es auch: Die Herrschaften von der Opposition haben an dieser Erfolgsgeschichte keinen Anteil. ({9}) Sie haben keinen Beitrag dazu geleistet. ({10}) Dieser ausgeglichene Haushalt ist auch ein richtiges Signal in Richtung Europa. Wenn uns Europa in den letzten Jahren eines gelehrt hat, dann war es dies: Eine zu hohe Staatsverschuldung blockiert Leistungsbereitschaft, Investitionen, Wachstum und damit eine weitere positive Entwicklung und schafft Krisen. Das haben wir alle miteinander erlebt. Es war die zu hohe Staatsverschuldung in den einzelnen Ländern, die die Krise in Europa herbeigeführt hat. Deshalb war es richtig, wie wir gehandelt haben. Heute sehen wir: Portugal, Irland und Spanien haben den Rettungsschirm verlassen. Griechenland und Zypern haben zumindest Fortschritte erzielt und sind auf einem guten Weg. Aber wir wissen auch, dass wir noch nicht am Ende angelangt sind, dass wir noch nicht das eigentliche Ziel erreicht haben. Das werden wir nur dann erreichen, wenn wirklich jedes Land seine Hausaufgaben macht, wenn in jedem der betroffenen Länder die notwendigen Strukturreformen durchgeführt werden und für solide Haushalte gesorgt wird. Unser Kurs war richtig, der da lautete: Wir wollen die Problemländer nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Solidarität ja, aber nur in Verbindung mit Solidität. Keine Vergemeinschaftung von Schulden und keine Aufweichung der Stabilitätskriterien. - Das gilt für alle Länder. Das gilt in Zukunft und aktuell für Italien und Frankreich. Dabei muss es auch bleiben. Dass diese Linie erfolgreich ist, haben die letzten Monate gezeigt. ({11}) Wir erleben - das ist in allen Debattenbeiträgen deutlich zum Ausdruck gekommen - eine Welt voller Krisen; gerade heute ist mir das bei der Rede des polnischen Staatspräsidenten wieder ganz bewusst geworden. Bei all den Krisen rings um uns herum mit ihren unterschiedlichen Ursachen muss uns doch immer wieder klar sein, welch großer Segen es ist, dass wir in der Europäischen Union verankert sind, dass wir in einer Europäischen Union als Friedens- und Freiheitsunion leben können, in einer Gemeinschaft, in der nicht irgendwelche Gebietsansprüche oder geostrategische Einflusssphären eine Rolle spielen. Vielmehr ist die Europäische Union geprägt von Freiheit, Frieden und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das ist ein riesiges Glück für uns. Ich bin - das sage ich ganz offen - jeden Tag dankbar dafür, erst recht angesichts der Krisen, die wir in der Welt erleben. ({12}) Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich beispielsweise auch die Menschen in der Ukraine danach sehnen. Daher ist es unsererseits notwendig, nicht nur einfach zuzuschauen, sondern dies auch zu verteidigen und entsprechend politisch zu handeln. Ich unterstütze deshalb mit großem Engagement alle Entscheidungen, die die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister in den letzten Wochen und Monaten vorbereitet und getroffen haben. Es kann natürlich keine militärische Lösung geben. Es muss eine politische Lösung geben. Gespräche müssen weiterhin geführt werden. Aber es müssen auch klare Worte fallen, und es muss klare Kante gezeigt werden. Für den bisher eingeschlagenen Weg bin ich sehr dankbar. Ich bitte, auf diesem fortzufahren. ({13}) Natürlich sind wir angesichts der Krisen als traditionelles Zufluchtsland auch mit Herausforderungen konfrontiert, die größere Anstrengungen von uns verlangen als in früheren Jahren. Wir rechnen in diesem Jahr mit etwa 200 000 Flüchtlingen; das wurde bereits angesprochen. Ich möchte meinerseits den Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg, das ich letzte Woche besucht habe, sehr herzlich für die Arbeit danken, die dort geleistet wurde und geleistet wird. Ich möchte auch all jenen danken, die in den Städten und Gemeinden bei der Betreuung der Flüchtlinge ehrenamtlich Hilfe leisten. Es ist großartig, was in vielen Städten und Gemeinden geleistet wird. ({14}) Wir haben hier einige Aufgaben zu bewältigen. Ich plädiere dafür, dass wir das gemeinsam machen, in gemeinsamer Verantwortung des Bundes, der Länder und der Kommunen, aber auch Europas. Ich wünsche dem Bundesinnenminister viel Erfolg bei seinen Verhandlungen, wenn es darum geht, auch die anderen europäischen Länder ein Stück weit stärker in die Pflicht zu nehmen. Es kann nicht sein, dass die Flüchtlinge, die in Italien ankommen, nicht registriert werden, ihnen aber ein Zugticket gegeben wird, mit dem sie Richtung Norden fahren können. Das ist nicht im Sinne dessen, was auf europäischer Ebene vereinbart wurde, das ist nicht im Sinne des europäischen Geistes. An dieses Problem muss man herangehen, man muss es artikulieren, und das tut der Bundesinnenminister. Dafür bin ich sehr dankbar. Was zu den sicheren Herkunftsländern vorhin gesagt wurde, teile ich. Wir sind darüber in Gesprächen. Ich hoffe sehr, dass wir zu einem Ergebnis kommen; denn es kann nicht sein, dass 20 Prozent der Asylbewerber in Deutschland aus drei Ländern des Westbalkans kommen, wobei deren Anerkennungsquote weniger als 1 Prozent beträgt. Das blockiert die Arbeit der Mitarbeiter im BAMF, das blockiert auch alle Aufnahmemöglichkeiten. Ich möchte die Diskussion sehr sachlich führen und darauf hinweisen, dass die Einstufung als sicheres Herkunftsland nicht bedeutet, dass die Menschen, die aus diesen Ländern kommen, kein Asylverfahren bekommen. Es geht nur darum, dass die Beweislast anders ist, dass die Verfahren verkürzt werden können. Es hat natürlich jeder Einzelne ein Recht darauf, dass sein Antrag geprüft wird. Dies will ich nur zur Klarheit sagen, weil gelegentlich eine Legendenbildung erfolgt, die den Tatsachen nicht entspricht. Meine Damen und Herren, ich habe vorhin vom Haushalt der Schwerpunkte gesprochen. Wir haben in diesem wie auch schon im vergangenen Haushalt deutliche Schwerpunkte gesetzt. Ein ganz wesentlicher ist der Schwerpunkt Bildung und Forschung. Wenn uns vor wenigen Tagen der Präsident des Fraunhofer-Instituts gesagt hat, dass wir beim Handel mit Produkten, die auf Forschung und Entwicklung basieren, an zweiter Stelle weltweit stehen, hinter China und noch vor den USA, dann macht das deutlich, dass die Anstrengungen der letzten Jahre nicht irgendwo verpufft sind, sondern sichtbar und spürbar sind. Die Hightech-Strategie, die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt - all das waren und sind Anstrengungen des Bundes in den vergangenen Jahren und aktuell, die weitergeführt werden und die zu diesem positiven Ergebnis geführt haben. Wir können heute sagen: Wir sind ein wichtiges Forschungsland in der Welt. Das haben wir uns in den letzten Jahren aufgebaut. Der zweite Schwerpunkt liegt auf dem Bereich Soziales, Kinder, Familie. Wir reden heute schon gar nicht mehr über das Elterngeld; in manchen Ländern, wie in Bayern, gibt es auch noch das Landeserziehungsgeld. Es gibt das Betreuungsgeld und die Kindertagesbetreuung. Wir haben vieles für Familien mit Kindern getan, und wir tun das auch weiterhin, obwohl der Bund zum Beispiel für die Kinderbetreuung gar nicht originär zuständig ist. Das tun wir aus der festen Überzeugung heraus, dass unsere Politik eine Politik ist, die den Kindern, Jugendlichen und jungen Familien bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen, vor denen sie stehen, hilft. Das Gleiche gilt übrigens auch in anderen Sozialbereichen, was ich aufgrund der Zeit nicht mehr vertiefen kann. Aber eines will ich noch sagen: Wenn wir die Menschen fragen, wie es ihnen geht, wenn wir die Umfragewerte sehen, wenn wir die objektiven Zahlen unserer Beschäftigungs- und Wirtschaftsentwicklung sehen, dann merken wir: Die Menschen sind zufrieden. Sie erkennen an, dass diese Bundesregierung sie durch schwierigste internationale Krisen gut, ja bestens gesteuert hat. Sie erkennen an, dass Deutschland eine hohe Reputation, ja höchste Anerkennung in der Welt genießt, nicht zuletzt durch die Arbeit der Bundeskanzlerin. Sie erkennen an, dass wir eine hervorragende Beschäftigungssituation haben. Sie erkennen an, dass wir einen starken Mittelstand haben, den wir auch pflegen müssen, und sie erkennen an, dass wir eine stabile Sozialversicherung mit hohen Sozialstandards im ganzen Land haben. Diese Anerkennung und der Haushalt 2015 sind eine gute Grundlage, damit auch weiterhin erfolgreich gearbeitet werden kann. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Bettina Hagedorn hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nach 46 Jahren gibt es das erste Mal keine neuen Schulden auf Bundesebene. Das ist auch für meine Kinder und Enkel eine richtig gute Nachricht. Die Kehrseite der Medaille, sozusagen der Preis dafür ist aber - darüber wird im Moment öffentlich und auch in diesem Hause debattiert -, dass unser öffentliches Vermögen verrottet; so hat es manch einer überspitzt formuliert. Insofern ist das Ganze auch für meine Kinder und Enkel in der Tat eine zwiespältige Nachricht. Darum will ich mich mit diesem Thema hier näher beschäftigen; es berührt uns alle in der Tat zutiefst. Es wäre volkswirtschaftlich verantwortungslos, wenn wir uns um das, was wir an öffentlicher Daseinsvorsorge haben, was in Deutschland einmal traditionell mit einem hohen Standard versehen und in einem guten Zustand war, nicht in dem Umfang kümmern würden, wie es erforderlich ist. Auf dem gestrigen zweiten Welt-Infrastrukturgipfel hier in Berlin wurde moniert, dass wir bei der Qualität der Infrastruktur 2008 weltweit noch auf Platz drei lagen und aktuell auf Platz sieben abgerutscht sind. Das ist ein Trend, der uns nachdenklich machen muss. Eine ganz besondere Rolle spielt in unserem Haushaltsentwurf der Etat von Herrn Dobrindt. Ich zitiere, was ein Landesverkehrsminister, den die meisten von uns noch als Kollegen kennen, nämlich Winfried Hermann von den Grünen, auf dem von mir gerade angesprochenen Infrastrukturgipfel forderte: Der Bund hat 20 Jahre lang zu wenig investiert, das muss er jetzt nachholen mit mindestens 7,2 Milliarden Euro pro Jahr. Gut gebrüllt, Löwe! 7,2 Milliarden Euro, das ist das Ergebnis der Beratungen der Bodewig-Kommission, das niemand hier im Hause ernsthaft anzweifeln will. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Also, es wäre schon schön, wenn uns Vorschläge gemacht würden, wie diese 7,2 Milliarden Euro pro Jahr aufgebracht werden können. Ein Blick in unseren Koalitionsvertrag lässt erkennen, wie wir dabei auf jeden Fall nicht vorgehen werden: Wir werden ganz bestimmt nicht neue Schulden machen; da sind wir uns einig. Wir sind uns auch einig - ich denke, darin sind wir uns auch mit Oppositionsabgeordneten in diesem Hause einig -, dass wir diese Summe schon gar nicht durch Umgehung der Schuldenbremse, die wir ge4580 meinsam in die Verfassung geschrieben haben, bereitstellen. Das wäre ja Lug und Trug; das kann es nicht sein. ({0}) Herr Minister Dobrindt, unser Koalitionsvertrag enthält eine sehr kritische Formulierung zu PPP-Projekten; sie ist von Herrn Oppermann hier schon angesprochen worden. Dort ist eindeutig festgehalten, dass im Einzelfall nachgewiesen werden muss, dass PPP-Projekte wirtschaftlich günstiger sind als Projekte, bei denen die öffentliche Hand allein die Verantwortung trägt, etwa bei großen Verkehrsvorhaben. Darum gibt es in der Republik Auseinandersetzungen zwischen Ihnen, Herr Dobrindt, und dem Bundesrechnungshof; Sie selbst haben auf dem Infrastrukturgipfel darauf hingewiesen. Es tobt eine fröhliche Debatte. Eines kann man, glaube ich, sagen: Von uns Koalitionspartnern wird diese Auseinandersetzung nicht als ideologischer Grabenkrieg geführt. Es geht nicht darum, ob man grundsätzlich dafür oder dagegen ist, sondern es geht darum, etwas möglich zu machen; aber es muss dann auch wirklich volkswirtschaftlich günstiger sein. Der Wirtschaftsweise Bofinger hat es auf dem Infrastrukturgipfel gut formuliert - heute steht das übrigens in der Welt; ich zitiere -: Besser ÖPP als gar nichts. Das ist unstrittig. Aber eins ist klar: ÖPP ist insoweit teurer, als niemand sich so günstig verschulden kann wie der Staat. ÖPP muss eben auch finanziert werden, die Anleger wollen etwas damit verdienen, dass sie sich am Ausbau der Infrastruktur beteiligen. ({1}) Das, was er hier sagt, ist zutiefst richtig, und genau das sagt auch der Bundesrechnungshof, nämlich dass sich niemand so günstig verschulden kann wie der Staat. Vor diesem Hintergrund will ich an dieser Stelle sagen, dass ich es gut finde, dass wir in der Koalition gemeinsam verabredet haben - es geht nicht nur darum, was wir alles nicht wollen, sondern wir wollen ja vor allen Dingen gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen -, dass wir uns mit der Frage befassen - Sigmar Gabriel hat initiiert, dass es dazu in seinem Haus Expertenrunden gibt -: Wie kann man eigentlich das Vermögen von Menschen im Land nutzen? Thomas Oppermann hat darauf hingewiesen, dass Deutsche ihr Vermögen teilweise im Ausland investieren, und zwar in Projekte, die sehr zwiespältig sind. Warum suchen wir nicht lieber einen Weg, der es möglich macht, dass sie in die Infrastruktur hier in Deutschland investieren? Auf diesem Weg sind wir. Das finde ich ausdrücklich gut. Das Ganze ist ergebnisoffen. Was ich aber hinzufügen will, ist: Wir sind uns einig, dass wir auf diese Art und Weise nicht privatisieren wollen, wie Herr Gysi uns heute Morgen unterstellen wollte; wir wollen die Infrastruktur im öffentlichen Eigentum behalten. Wir wollen die Verantwortung dafür nicht etwa abgeben; wir wollen nur ihren Erhalt intelligent möglich machen. Da ist besonders wichtig, dass wir für diese Güter der Daseinsvorsorge die politische und die demokratische Steuerung sowie die parlamentarische Kontrolle behalten, und das setzt Transparenz voraus. Das sind drei Schlüsselworte. Wenn die drei Schlüsselworte „Steuerung“, „Kontrolle durch das Parlament“ und „Transparenz“ eine Seite der Medaille sind, dann kriegen wir es gemeinsam mit Sicherheit hin, dass die „Mobilisierung von privatem Kapital“ die andere Seite der Medaille wird. ({2}) Das ist ein spannender Prozess. Nur dann, wenn wir das miteinander hinkriegen, können meine Kinder und Enkel sagen: Super! Ihr macht nicht nur keine neuen Schulden mehr, sondern ihr sorgt auch dafür, dass das, was der Staat an Vermögen hat, nicht verrottet, sondern auch für die nächste Generation noch vorhanden ist. Dann hätten wir den Praxistest ernsthaft bestanden. Wenn wir darüber reden, dass wir für Verkehrsinvestitionen nicht genug Geld haben, dann müssen wir noch etwas in den Blick nehmen, und das ist die Einnahmesituation in Ihrem Haus, Herr Dobrindt. Da haben wir in der Vergangenheit durchaus Gutes gemacht. Wir haben in Deutschland nämlich die Lkw-Maut eingeführt. Bei dem Stichwort „Lkw-Maut“ haben manche gar nicht im Blick, wie viel Geld dadurch tatsächlich in Ihrem Etat ankommt, Herr Dobrindt, und damit in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden kann. Das waren in den letzten fünf Jahren 22 Milliarden Euro - 22 Milliarden Euro! Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten wollen. Das ist enorm wichtig. Ich glaube, durch diese Summe ist noch einmal deutlich geworden, dass wir hier nicht sozusagen über Peanuts reden. Um 2 Milliarden Euro, so schätzen wir, könnten wir damit Ihren Etat, Herr Dobrindt, à la longue, und zwar nachhaltig und auf Dauer, vergrößern: von round about 10 auf 12 Milliarden Euro. Das wäre natürlich eine richtig gute Sache. Darum will ich hier sagen: Diesen Weg müssen wir dringend weiterverfolgen. Ich weiß, dass das Thema Maut öffentlich und in den Medien im Moment völlig anders besetzt ist; ich möchte davon auch keineswegs ablenken. Ich will nur sagen: Im Thema Lkw-Maut steckt, finanziell betrachtet, der wesentlich größere Betrag. Ich glaube, dass sich alle Deutschen - egal wie sie zur Pkw-Maut stehen - in einem Punkt einig sind: Es sind doch die großen Lkw, die unsere Straßen ganz erheblich kaputtmachen. Darum sollten wir diesen Weg gemeinsam gehen. Damit Sie die Dimension erkennen: Aktuell wird auf 13 000 Kilometern Bundesfernstraßen für Lkw mit 12,5 Tonnen - zukünftig schon ab 7,5 Tonnen; die Gesetze werden kommen - Maut erhoben. Unser Ziel ist, dass auf 40 000 Kilometern Bundesfernstraßen Maut erhoben wird, also eine Verdreifachung. Man kann sich vorstellen, dass dadurch viel Geld eingenommen wird. Das ist auch angemessen; denn wir wissen, dass viele Lkw zum Leidwesen der Anwohner die Autobahn verlassen und dadurch verstärkt Straßen belasten, die dafür eigentlich nicht geeignet sind. Für die Leute, die dort wohnen, bedeutet das zusätzlichen Lärm und einen schlechteren Zustand der Straßen. ({3}) An dieser Stelle haben wir gemeinsam viel vor. Dass wir die Aufgabe, mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur zu bekommen, gemeinsam lösen, darauf setzen die Menschen in diesem Land große Hoffnung. Ich bin gespannt, inwieweit uns die Verwirklichung dieses hehren Ziels im Laufe der Haushaltsberatungen in den nächsten zwei Monaten gelingen wird. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke. ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Staatsministerin! Liebe Besucherinnen und Besucher der heutigen Sitzung! Als ich das letzte Mal an dieser Stelle über den Entwurf des Einzelplans der Staatsministerin für Kultur und Medien gesprochen habe, konnte ich meine Rede mit einem Lob einleiten. Damals waren 90 Millionen Euro zusätzlich für den Etat „Kultur und Medien“ zu feiern gewesen. Diese zusätzlichen Millionen waren fraktionsübergreifend erstritten worden. Heute kann ich leider nicht mit einem solchen Lob beginnen. Ich muss feststellen, dass der Entwurf des Einzelplans „Kultur und Medien“ ideologischem Ballast folgt, dass er zweitens nicht auf der Höhe der Zeit ist und dass er drittens verteilungstechnisch unausgewogen ist. Ich möchte Ihnen das begründen. Zum Ersten. Frau Staatsministerin, mit insgesamt 12 Millionen Euro wollen Sie den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam unterstützen. 12 Millionen Euro für ein Vorhaben, das selbst von der großen Mehrheit der Potsdamerinnen und Potsdamer strikt abgelehnt wird. Stellen Sie sich vor, was wir allein in Potsdam mit diesem Geld für Soziokultur, für Theaterprojekte, für Ausstellungen, für Kulturvereine, für Künstlerinnen und Künstler anstellen könnten. ({0}) Sie wollen Geld für die Wiedererrichtung eines Gebäudes ausgeben, das in der Geschichte Deutschlands zu einem Symbol für den preußischen Militarismus und die nationalsozialistische Machtergreifung wurde. Sie fördern ein Bauwerk, dessen Wiedererrichtung selbst für Christinnen und Christen eine Zumutung darstellt. Eine wiedererbaute Garnisonkirche in Potsdam wäre nachträglich eine Demütigung des evangelischen Widerstandes gegen die Barbarei, wie er in der Bekennenden Kirche zum Ausdruck gekommen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte Sie bitten: Lassen Sie uns gemeinsam verhindern, dass ein Tempel der Täter wieder errichtet wird, auch im Respekt vor unseren gemeinsamen Opfern, die unsere beiden Parteien bzw. Vorgängerparteien in der Zeit der Nazidiktatur hinnehmen mussten. ({1}) Herr Kollege Kauder, Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn Sie fragen, was wir aus der Geschichte lernen, und fordern, dass Aufklärung und Information in den Schulen stattfinden müssen. Ich möchte Sie zum zweiten Mal darauf aufmerksam machen, dass im Haushaltsentwurf der Staatsministerin für Kultur und Medien das Sonderinvestitionsprogramm für Gedenkstätten auf null gesetzt worden ist. Ich frage Sie, ob es unser Ernst ist, dass wir hier um 9 Uhr eine Gedenkstunde aus Anlass des 75. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges begehen und anderthalb Stunden später ein Haushalt vorgelegt wird, der für Gedenkstätten für die Opfer dieser faschistischen Barbarei keine Sonderinvestitionen mehr vorsieht. Ich sage das auch als Vertreter eines Wahlkreises, in dem sich mit den Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück zwei ganz besonders wichtige Gedenkstätten befinden. Ich möchte Sie bitten, diesen unhaltbaren Zustand nicht aufrechtzuerhalten. ({2}) Es ist absurd, auf der einen Seite ein fragwürdiges, rückwärtsgewandtes Bauprojekt zu unterstützen und auf der anderen Seite mit dem Zukunftsprojekt „Digitale Agenda“ einen Text vorzulegen, der alles andere ist als eine Agenda. ({3}) Dieses Papier ist bestenfalls eine Sammlung aus Absichten und Unverbindlichkeiten. Allein sein medien- und kulturpolitisches Kapitel leidet unter inhaltlicher Schwindsucht. Sie erklären, dass die Deutsche Digitale Bibliothek ausgebaut werden soll, sagen aber nicht, wie. Die einzelnen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen sind mit den an sie gerichteten Anforderungen der Digitalisierung in technischer, organisatorischer und personeller Hinsicht sehr oft einfach überfordert. Deswegen sagt die Linke - und das seit vielen Jahren -: Es braucht keine weiteren Ankündigungen, die zu nichts verpflichten, es braucht eine nationale Digitalisierungsstrategie, untersetzt mit einem Sonderprogramm in Höhe von rund 30 Millionen Euro zur Digitalisierung des kulturellen Erbes. ({4}) Diese Zahlen habe ich mir nicht selber ausgedacht, sondern sie stammen vom Fraunhofer-Institut. Ich sage: Je länger wir mit einer solchen Strategie warten, umso teurer wird es am Ende. Harald Petzold ({5}) Der dritte Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die Medienordnung. Ich gönne den Menschen in Thüringen eine bessere Regierung, und ich gönne ihnen mit Bodo Ramelow einen linken Ministerpräsidenten. Ich als Medienpolitiker habe natürlich verständlicherweise ein Eigeninteresse an einem politischen und personellen Wechsel in der Erfurter Staatskanzlei; denn in den Staatskanzleien wird die Medienpolitik gemacht, unter anderem auch die Medienordnung. Wenn die Kanzlerin sagt: „Wir müssen die Start-upUnternehmen stärker unterstützen“, dann sage ich: Natürlich! Das hat etwas mit der Medienordnung zu tun. Denn die Medienordnung stimmt seit langem nicht mehr mit dem überein, was tatsächlich Medienrealität ist. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle unbedingt eine Änderung und einen neuen Impuls. ({6}) Daher sage ich: Am Sonntag wählen gehen in Thüringen und Brandenburg und die Linke wählen! Das ist ein guter Schritt, damit an dieser Stelle endlich eine Veränderung einsetzt und wir auch in der Medienordnung vorankommen. Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte für die Angelegenheiten der Kultur und Medien, Professor Dr. Monika Grütters. ({0})

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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der bewegenden Gedenkstunde heute Vormittag zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren fällt es in einer Debatte über den Kulturhaushalt, der auch die Mittel für die Erinnerungskultur und die authentischen Orte des Gedenkens einschließt, in der Tat nicht leicht, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Ich bitte den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Herrn Gysi, ganz kurz zuzuhören. - Herr Petzold, Sie haben kritisiert, es seien Mittel für das Gedenken gestrichen worden. Das ist nicht richtig. Das Gegenteil ist der Fall: Mehrere neue Gedenkstätten wie zum Beispiel der Jugendwerkhof Torgau wurden in die Gedenkstättenkonzeption aufgenommen. Außerdem haben wir die Mittel für dieses Gedenkjahr erheblich erhöht, unter anderem, weil wir die Ausstellung zur friedlichen Revolution vor 25 Jahren am Standort Normannenstraße neu errichten möchten. Mit Blick auf unsere Gedenkstunde und die aktuelle politische Situation bin ich dankbar für den geradezu symbolträchtigen Zufall, dass sich ausgerechnet heute, am 10. September 2014, die Überführung des wohl berühmtesten Picasso-Bildes nach Spanien zum 33. Mal jährt. Es ist ein Gemälde, das, so denke ich, wie kaum ein anderes geradezu symbolhaft wie eine zeitlose Antikriegsikone wirkt. ({0}) Es ist das Bild „Guernica“. Dieses Bild sollte nach Picassos Willen erst dann in sein Heimatland Spanien rücküberführt werden - es war bis dahin im MoMA in New York -, wenn sein Heimatland wieder eine Demokratie ist. Es ist 1937 unter dem Eindruck der deutsch-italienischen Luftangriffe während des spanischen Bürgerkriegs entstanden. Guernica, die gleichnamige baskische Stadt, wurde dabei dem Erdboden gleichgemacht; mehr als 1 500 unschuldige Menschen wurden ermordet. Auf rund 27 Quadratmetern Leinwand sind heute tote, verstümmelte, in Panik flüchtende Menschen und Tiere zu sehen, abgetrennte Gliedmaßen, aufgerissene Münder das blanke Entsetzen eines Krieges eben. „Guernica“ offenbart schonungslos die Gräuel jedes Krieges und zwingt uns, zu sehen, was im bloßen Abwägen des Für und Wider eben nicht immer sichtbar wird. Darin liegt das Subversive, das Verstörende, aber eben auch die Kraft der Kunst, auch dieses Werkes. Es sagt viel über die Verfasstheit einer Gesellschaft aus, ob sie bereit ist, sich damit wirklich auseinanderzusetzen. Wir haben nicht zuletzt aus unserer Erfahrung mit der menschenverachtenden Diktatur des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, dass wir die Künstler, die Kreativen, die Vor-, die Querdenker als kritisches Korrektiv unserer Gesellschaft brauchen, als Stachel im Fleisch der Demokratie - deshalb ist deren Freiheit schon sehr früh in der Verfassung, in Artikel 5, festgeschrieben. Sie sind es, die immer wieder Grenzen ausloten, provozieren, hinterfragen, aber eben auch verhindern, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Fantasielosigkeit und auch manche politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Vielfalt und Freiheit für Kultur und Medien zu sichern, muss deshalb oberster Grundsatz unserer Kulturpolitik sein. ({1}) Wenn wir über den Kultur- und Medienetat reden, meine Damen und Herren, dann reden wir immer auch darüber, was uns die kulturelle Vielfalt und Freiheit wert sind. Deshalb bin ich froh, dass wir den Kulturhaushalt des Bundes trotz des notwendigen und richtigerweise strikten Sparkurses auch gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf des Haushalts 2014 noch einmal leicht erhöhen konnten. Das ist auch ein Bekenntnis der Regierung zum besonderen Stellenwert der Kunst und Kultur. Ich bin froh, dass dies hier sehr wohl fraktionsübergreifend unterstützt wird. Eine in diesem Sinne gute und enge Zusammenarbeit wünsche ich mir aber auch mit den Ländern und Kommunen. Ich habe nach dem ersten Treffen im März mit den 16 Kulturministerkolleginnen und -kollegen der Länder sowie den Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände vereinbart, dass wir uns künftig zweimal im Jahr in dieser Zusammensetzung treffen. Das hatte es noch nie gegeben, aber es soll jetzt wegen der guten Erfahrungen verstetigt werden. Außerdem bin ich in den letzten Monaten in 27 Städten und Kommunen gewesen und habe immer wieder zwei Erfahrungen machen müssen. Die eine Erfahrung ist: Es gibt Länder, die aufgrund des Engagements des Bundes die Mittel für ihre Länderprogramme, beispielsweise Nordrhein-Westfalen im Bereich des Denkmalschutzes, prompt nicht nur herunterfahren, sondern ganz streichen. So war das nicht gemeint, und so darf es auch nicht sein. Wir müssen die Länder gelegentlich durchaus öffentlich stärker in die Pflicht nehmen. Auf Kulturhoheit pochen und sich bei der Finanzierung aus der Verantwortung stehlen - das geht so nicht! ({2}) Zum anderen sehen wir, dass gelegentlich Kommunen, die ja eigentlich sehr viel für die Kultur tun - natürlich kennen auch wir die finanziellen Nöte der Städte und Gemeinden - jetzt gerade hier den Rotstift ansetzen. Das kostet mittelfristig mehr, als es an Einsparungen bringt; das wissen wir. Ich bitte Sie, auch in Ihren Wahlkreisen immer mal wieder auf diesen Mechanismus hinzuweisen - das muss man nämlich vor Ort tun - und nicht nur hier zu applaudieren. Der Bund tut alles, was im Rahmen des Grundgesetzes möglich ist, um die kulturelle Vielfalt vor Ort zu fördern. Da gibt es nicht nur herausragende Programme wie zum Beispiel den Kinoprogrammpreis, den Spielstättenprogrammpreis und das Programm zur Förderung der Digitalisierung von Kinos, damit sie als Kulturorte erhalten bleiben, sowie die Denkmalschutzprogramme - auch im Bereich Buch wollen wir künftig etwas tun -, sondern wir entlasten die Kommunen auch materiell, zum Beispiel bis 2016 von den Pflichtleistungen für Kosten der Unterkunft und Grundsicherung im Alter, und zwar in Milliardenhöhe. Das schafft Investitionsfreiräume, die gut für freiwillige Leistungen und da zuvörderst für die Kultur genutzt werden können. Im Rahmen dieses kleinen kulturföderalistischen Exkurses möchte ich aber auch sagen, dass vieles in der Zusammenarbeit supergut funktioniert. Ich bin ehrlich stolz, dass es in Zusammenarbeit mit allen Bundesländern, mit den Kommunen und der Kulturstiftung der Länder gelingen wird, unser Deutsches Zentrum Kulturgutverluste tatsächlich noch Ende dieses Jahres an den Start zu bringen - in Form einer Stiftung, die in SachsenAnhalt gegründet wird. Wir haben darüber hinaus auch international Erfolge: Die Vereinbarung mit der israelischen Regierung über die Zusammenarbeit ist geschlossen. Dass das in so kurzer Zeit auf beiden Seiten möglich war, zeigt, finde ich, wie Zusammenarbeit in der Kultur funktionieren kann. ({3}) Das ist deshalb wichtig, weil es in 60 Prozent aller Museen Bestände gibt, die noch nicht erforscht sind, aber nur 10 Prozent dieser Museen die Mittel haben, um solch eine Arbeit zu leisten. Ich finde, es ist unser aller Aufgabe, dabei zu helfen, und das tun wir gern. Ein weiteres Thema, das in Gesprächen mit Künstlern und Kreativen immer wieder hochkommt, ist die Sorge, dass die Vielfalt der Kultur in unserem Land Stück für Stück dem Primat des Ökonomischen geopfert werden könnte. Ich nehme diese Sorge sehr ernst und werde einiges tun, um die Freiheit der Kunst konkret zu stärken. Das gilt zum Beispiel für die staatliche Filmförderung - der Film hat eben einen Doppelcharakter: Wirtschaftsgut und Kulturgut -, das gilt aber natürlich auch für die Buchpreisbindung. Gerade Filme und Bücher sind in unserer Kulturnation wichtig, weil sie viel mehr sind als bloße Handelsobjekte. Deshalb habe ich mich auch mit den Autoren solidarisiert, die von Amazon unter Druck gesetzt worden sind. Natürlich sind Rabattverhandlungen mit den Verlagen wirtschaftlich legitim. Ich glaube, der Sündenfall besteht in diesem Fall darin, dass man sich an den Autoren, an den Künstlern, die am Beginn der Kette stehen, rächt, wenn die Verlage auf die Rabattforderungen nicht eingehen. Das geht kulturpolitisch wirklich zu weit. ({4}) Es gibt ja nur einen kleinen Handlungsspielraum für Gegenmaßnahmen. Wir können über kartellrechtsähnliche Regeln bei Google, Amazon usw. nachdenken, aber wir können natürlich auch kulturpolitisch etwas tun, zum Beispiel mit einem Preis für kleine, inhabergeführte Buchhandlungen, um dieses Netz geistiger Tankstellen, wie Helmut Schmidt es so schön gesagt hat, ein bisschen zu stärken. Ich glaube, dass selbst kleine Summen - analog zum Kinoprogrammpreis - große Wirkung entfalten können. Damit passen wir auch unsere Arbeit an diese neue Herausforderung an. Am Beispiel Amazon sehen wir aber auch, worin die vielleicht größte Herausforderung für die Kultur- und Medienpolitik im digitalen Zeitalter besteht: Es geht darum, die Rahmenbedingungen für ästhetische Vielfalt und Meinungsvielfalt der digitalen Lebenswirklichkeit anzupassen. Die Demokratie lebt von unterschiedlichen Standpunkten, Perspektiven und Weltanschauungen. Diese Vielfalt in unserer Medien- und Kulturlandschaft zu sichern und dabei der Perspektive der Kunst zur Geltung zu verhelfen - neben dem Blickwinkel der Ökonomie, des Rechts, der Wissenschaft, der Religion -, das bleibt, glaube ich, über das Haushaltsjahr 2015 hinaus eine große Herausforderung. Dabei hoffe ich natürlich weiterhin auf Ihre Unterstützung, ganz im Sinne Pablo Picassos, der - das möchte ich zum Abschluss sagen -, lange bevor er „Guernica“ gemalt hat, es einmal so formuliert hat - ich zitiere -: Wir alle wissen, daß Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist - manchmal 4584 eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. Ich danke Ihnen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Monika Grütters. - Nächste Rednerin in der Debatte für Bündnis 90/Die Grünen: Tabea Rößner.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir leben in bewegten Zeiten. Kultur und Medien sollen uns - gerade in solchen Zeiten - zum Reflektieren anregen, helfen, aktuelle Geschehnisse einzuordnen, oder der Stachel im Fleisch sein, wie Frau Grütters es eben sagte. Sie stehen aber selbst vor einem Umbruch. Eine der größten Herausforderungen ist das Handelsabkommen TTIP. Eigentlich sollen Kultur und audiovisuelle Medien ausgenommen sein, aber wer kann da - bei so intransparenten Verhandlungen - so sicher sein? Es ist doch bezeichnend, Frau Grütters, dass Sie TTIP nicht einmal erwähnt haben. ({0}) Deshalb frage ich Sie: Was ist tatsächlich mit unseren Kulturgütern, die die Amerikaner nur als Wirtschaftsgüter betrachten? Was ist mit der Buchpreisbindung? Was ist mit der Filmförderung? Was ist mit dem Schutz der Urheber? Und was ist mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Wir sagen ganz klar: Europäische Kulturstandards dürfen den Handelsinteressen nicht geopfert werden! ({1}) Natürlich gibt es Befürchtungen der Kreativen in Deutschland. TTIP soll den Markt liberalisieren und Subventionen und Preisbindungen beseitigen, die den Wettbewerb verzerren könnten. Da wird deutlich, gegen wen wir hier antreten: Das sind Giganten wie Amazon, die ein Interesse daran haben, europäische Standards zu mindern. Amazon hat mit seinem erpresserischen Vorgehen ja sehr deutlich gezeigt, welche Ambitionen es tatsächlich hat. Buchpreisbindung, Urheberrecht, Filmförderung - all dies sind für solche Konzerne europäische Sonderlinge, die dem Profit im Wege stehen. Aber für uns sind Kultur und Medien eben nicht nur Ware. Sie sind elementar für eine vielfältige, für eine innovative, für eine demokratische Gesellschaft. ({2}) Sie bieten uns in bewegten Zeiten Halt. Deshalb ist es unsere Aufgabe, sie zu schützen. Die Staatsministerin ist sehr spät auf den fahrenden Protestzug aufgesprungen. Die französischen Kollegen haben sich früher und auch viel engagierter für diese Ausnahmen eingesetzt. Wir fordern die Bundesregierung auf: Ziehen Sie die Notbremse! Binden Sie die Akteure ein, und sorgen Sie für Transparenz! ({3}) Auch die Deutsche Welle steht vor bewegten Zeiten. Die Umstrukturierung des Senders bereitet vielen Sorge. Der Intendant will den BBCs und CNNs dieser Welt Konkurrenz machen, muss aber gleichzeitig sparen. Die Inhalte sollen multimedial sein, und zugleich soll das Fernsehprogramm ausgebaut werden. Das ist so, als würde man gleichzeitig vorwärts und rückwärts laufen wollen. Solch ein Laufen ist nicht sinnvoll und kostet vor allen Dingen viel Kraft. Über 200 der 3 000 Mitarbeiter stehen bereits auf der Straße. Ist das sozial verträglich? ({4}) Mitten in der Umstrukturierung werden viele Mitarbeiter im Regen stehen gelassen. Das können wir so nicht dulden. ({5}) Noch ein paar Worte zum Film. Die Staatsministerin ist dabei, sowohl das Erbe als auch die Zukunft des deutschen Films zu verspielen. Unser Filmerbe besteht aus Zehntausenden Filmrollen. Um sie zu bewahren, müssen sie digitalisiert werden. Aber die extra Million, die es 2014 gab und die im Juli schon aufgebraucht war - mit diesem Geld wurden gerade einmal 74 Filme digitalisiert! -, ist im Haushaltsjahr 2015 wieder gestrichen. Es fehlt vor allem ein Konzept, wie das Filmerbe dauerhaft gerettet werden kann. Das muss - wie vieles andere auch - dringend angegangen werden. Und die Zukunft des Films kürzen Sie sukzessive ein. 2013 gab es 70 Millionen Euro für den Filmförderfonds, dieses Jahr 60 Millionen Euro und für das nächste Jahr sind trotz gegenteiliger Ankündigungen nur noch 50 Millionen Euro eingeplant. Wenn das so weitergeht, dann haben Sie 2020 den Filmförderfonds abgewickelt. ({6}) Die Förderung deutscher Produktionen ist nicht nur kulturell von Wert, sondern auch wirtschaftlich. Jeder investierte Euro bringt 6 Euro für die Wirtschaft. Wenn wir dann auch noch offen und ehrlich die Vergabe der Gelder evaluieren würden, hätten wir richtig was für den Filmstandort Deutschland getan. ({7}) Wir sollten der Kultur und den Medien gute und verlässliche Partner sein. Denn in unruhigen Zeiten zeigt sich, auf wen man sich tatsächlich verlassen kann. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin in der Debatte: Hiltrud Lotze für die SPD. ({0})

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Wir haben heute Morgen in einer Gedenkstunde des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren gedacht. Der polnische Staatspräsident Komorowski hat dazu eine beeindruckende europäische Rede gehalten. Sie hat mich an die Worte von Alfred Grosser erinnert, der im Juli auch hier zu uns gesprochen hat, als wir des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedacht haben. Das sind zwei historische Ereignisse, die uns eines mehr als deutlich machen, nämlich die Bedeutung Europas als Friedensprojekt. Beide Festredner haben das deutlich betont. Die Europäische Union ist aus den Ruinen zweier Weltkriege entstanden, aus der Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Freiheit. Auch Präsident Komorowski hat noch einmal deutlich hervorgehoben, dass wir in Europa die Zukunft nur gemeinsam gestalten können. Die Erinnerung an die schmerzliche Vergangenheit des 20. Jahrhunderts läuft aber auch Gefahr, eher trennend als identitätsstiftend für die Europäische Union zu wirken. Gerade in diesen Tagen sehen wir, dass sich jede Nation primär an das je eigene Schicksal erinnert. Die Gedenkveranstaltungen und die Inhalte unterscheiden sich doch sehr. Ein gemeinsames europäisches Geschichtsbewusstsein, ein Wir-Gefühl ist da noch nicht wirklich zu erkennen. Dabei geht es nicht darum, eine Gleichmacherei in der Gedenk- oder Geschichtspolitik zu erreichen, ganz im Gegenteil: Die Verantwortung und Schuld Deutschlands sind unbestritten und dürfen auch nicht vergessen werden. Es bietet sich hier jedoch die Gelegenheit, eine historische Chance zu ergreifen, nämlich uns mit den europäischen Nachbarn über unsere Vergangenheit auszutauschen, das Trennende nicht zu verschweigen, aber eben auch das Gemeinsame unserer europäischen Geschichte zu betonen, und zwar mit dem einen Ziel, uns besser zu verstehen. ({0}) Aus diesem gegenseitigen Verstehen kann dann eine gemeinsame europäische Identität erwachsen, die wir doch dringender brauchen als je zuvor. Auch ich darf Richard von Weizsäcker zitieren: Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Gemeinsames Gedenken und Erinnern in Europa machen uns gemeinsam stark für die Zukunft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier sind wir Kulturpolitiker gefragt. Natürlich muss sich dieses Ansinnen - Gedenken und Erinnern - auch im Haushalt, den wir hier debattieren, wiederfinden. Das ist natürlich eine ziemlich große Aufgabe, die wir damit für den doch recht übersichtlichen Etat der Beauftragten der Bundesregierung formulieren, der für das nächste Jahr 1 237 231 000 Euro umfasst. Verglichen mit dem Regierungsentwurf für 2014 steigt das Budget für Kulturpolitik aber immerhin um 2,2 Prozent. Damit, denke ich, sind wir doch recht gut aufgestellt und können die Kulturpolitik auf hohem Niveau fortführen, zumal es uns bislang in den Haushaltsberatungen eigentlich immer gelungen ist, bestimmte Schwerpunkte noch einmal zu verstärken, auch wenn es die Kulturstaatsministerin nicht geschafft hat, die Erhöhungen an allen Stellen fortzuschreiben. Aber gerade wir Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker wissen ja: Wir müssen immer ein bisschen mehr kämpfen als die anderen. Dabei haben uns die Haushaltspolitiker - ich sehe da den Kollegen Kruse - bisher immer unterstützt. Gemeinsam haben wir auch viel für die Kultur erreicht. ({1}) Schauen wir uns den Etat einmal genauer an - ich erlaube mir, auch da symbolisch die erinnerungs- und gedenkpolitische Brille aufzusetzen; zu weiteren Aspekten des Etats wird mein Kollege Burkhard Blienert gleich noch etwas sagen, weil wir ja über den Etat für Kultur und Medien sprechen -: Mit Blick auf die historischen Ereignisse, derer wir 2014 gedenken, wurde im Haushalt 2014 für die historischen Jahrestage eine Summe von 550 000 Euro zur Verfügung gestellt. Im Regierungsentwurf für 2015 ist diese Position leider auf null gesetzt. Das ist ein Punkt, über den wir angesichts der anstehenden Jubiläen in 2015 - ich erinnere an die Wiedervereinigung - noch einmal reden müssen. Die friedliche Revolution war ja nicht am 31. Dezember 1989 beendet, sondern sie setzte sich im darauffolgenden Jahr fort. Wie wichtig dieses Ereignis für Deutschland und für Europa war und wie sehr es unsere Welt verändert hat, hat Herr Komorowski auch heute Morgen betont. Ich denke, hier sollten wir uns doch sehr um ein europäisches Gedenken bemühen. Ein wichtiger Akteur, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die europäische Erinnerungskultur zu fördern und ein gemeinsames Geschichtswissen über die Grenzen hinweg zu entwickeln, ist das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität. Deutschland beteiligt sich daran mit 300 000 Euro. Diese Mittel werden auch 2015 wieder zur Verfügung stehen, was ich sehr begrüße. Wir haben übrigens im Koalitionsvertrag die Bedeutung dieses Netzwerkes festgeschrieben. Dem muss natürlich auch der Haushalt der Kulturstaatsministerin Rechnung tragen. Ebenfalls im Koalitionsvertrag besonders erwähnt ist das Gedenkstättenkonzept des Bundes. Dieses wollen wir weiterentwickeln, auch um der positiven Momente unserer Geschichte - ich nannte eben schon die Wiedervereinigung - zu gedenken. Der Titel erfährt mit 7 670 000 Euro in 2015 eine Steigerung um fast 2 Millionen Euro. Gedenkstätten - wir haben eben in der Debatte schon etwas darüber gehört - haben ja eine wichtige Funktion. Sie können und sollen das Gedenken lebendig halten und gerade auch jungen Menschen ein authentisches Bild unserer Geschichte vermitteln. Wir leben in einer Zeit, in der es immer weniger Zeitzeugen, die an die Zeit des Nationalsozialismus oder an Flucht und Vertreibung erinnern könnten, gibt. Deswegen ist es so wichtig, die Gedenkstätten weiterhin in die Lage zu versetzen, ihre Aufgabe wahrzunehmen. Sie dürfen sich nicht einfach zu Denkmälern entwickeln, die ich mir angucke, aber von denen keine Impulse und keine Bildung ausgehen. Gerade das Interesse von Jugendlichen zum Beispiel an Orten der Nazivergangenheit ist groß. Dieses Interesse, das vorhanden ist, dürfen wir nicht verspielen. Aber gerade diese NS-Gedenkstätten - das ist eben schon gesagt worden - klagen über einen Investitionsstau. Schon im Haushalt 2014 wurde ein Sonderinvestitionsprogramm eingestellt, weil die Bundesländer nicht in der Lage waren, mitzufinanzieren. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir hier über andere Möglichkeiten und Wege nachdenken, um den Bundesländern bei dieser wichtigen Aufgabe zu helfen. Ich sprach bereits darüber, dass wir aus Geschichte lernen wollen. Dazu will ich noch ganz kurz das zentrale Projekt der nächsten Jahre ansprechen, den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, vor allen Dingen aber das darin enthaltene Humboldt-Forum. Jeder, der daran vorbeigeht oder vorbeifährt, merkt, dass da schon ziemlich was zu sehen ist. Soweit wir wissen, läuft da auch alles nach Plan. Was aber unsere höchste Aufmerksamkeit als Kulturpolitiker verdient, ist die inhaltliche Ausgestaltung und das Konzept des Humboldt-Forums. Hier soll sich ja - so ist die Idee - die Welt treffen und über kulturelle Grenzen hinweg die wichtigen Themen der Zeit verhandeln. Insofern ist das eine einmalige und historische Chance. Ebenfalls wollen wir die Planungen und Bauvorhaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterstützen, die ein einzigartiges kulturelles Erbe bewahrt. Dafür sind 25 Millionen Euro zusätzlich für Bauinvestitionen in den Haushaltsentwurf der BKM eingestellt. Das ist eine beträchtliche Summe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss noch einmal betonen, dass wir mit dem Entwurf der Bundesregierung für den Etat der Beauftragten für Kultur und Medien in 2015 eine erfreuliche Arbeitsgrundlage haben. Gemeinsam mit unseren Haushältern, die ebenso wie wir ein großes Herz für die Kultur haben, werden wir uns bemühen, noch einige Akzente zu setzen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Lotze. - Nächster Redner in der Debatte: Rüdiger Kruse für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden schon gelesen oder gehört haben: Die Einbringung eines Haushaltes, der eine schwarze Null hat, ist ein historisches Ereignis. Okay. Warum ist das ein historisches Ereignis? Was macht etwas zu einem geschichtlichen Ereignis? Nicht nur die Tatsache, dass es irgendwann vergangen sein muss, sondern auch, dass daran erinnert wird, das heißt, dass darüber gesprochen wird. Geschichten müssen erzählt werden. Eine Tat allein führt nicht dazu, dass etwas historisch wird. Vergangenheit garantiert nicht die Ewigkeit der Geschichtsschreibung. Die Frage ist ja auch angesichts der vielen Mühe, die man darauf verwendet, diese schwarze Null zu erreichen: Warum tut das der Bundesfinanzminister? Was ist da sein Antrieb? Hat er jetzt eine besondere Schwäche für Nullen? Wenn ich mir seinen Mitarbeiterstab ansehe, kann ich das nicht unterschreiben. Daran wird es nicht liegen. Eine schwarze Null steht eben für Stabilität. Stabilität ist ein hoher Wert. Das kennen wir von Gebäuden. Wir erwarten, dass sie stabil sind. Aber warum erwarten wir das? Wir erwarten das, weil wir ihre Funktion nutzen wollen. Das heißt, das Gebäude muss einen Sinn machen. Dann macht die Stabilität einen Sinn. Es muss also einen Sinn für all diese Arbeit geben. Nun ist ja das Ziel der Arbeit, auch wenn man das Wolfgang Schäuble nicht ansieht, die Muße. Und die Muße ist eine Schwester der Freiheit. ({0}) Wenn Sie sich all die Bemühungen ansehen, die er und die Bundeskanzlerin auch auf europäischer Ebene unternehmen, glauben Sie denn, dass sie das nur tun, weil Europa wirtschaftspolitisch gut für Deutschland ist? Das ist ja schon eine Geschichte, die wir keinem unserer Wähler dauerhaft so richtig erzählen können, weil es auch viele Beispiele dafür gibt, dass zumindest kurzfristig gewisse Hilfsprogramme nicht das bringen, was vielleicht etwas anderes in Deutschland selbst bringen würde. Da muss also noch etwas anderes zu erzählen sein, es muss sie etwas anderes antreiben. Wäre Europa ein rein finanzpolitisch zu bewertendes Konstrukt, wäre es quasi eine große Holding, die Beteiligungen in den Ländern hält, dann würden wir alle drei Monate darüber nachdenken, ob wir uns über die Gewinne freuen, ob wir reinvestieren oder ob wir eines dieser Länder abstoßen - das ist nicht die Geschichte, die wir über Europa erzählen. Die Belohnung, diese wenigen Mußestunden all dieser Akteure, die sich um Europa und um Deutschlands Stabilität bemühen, das ist die Vielfalt von freiheitlichen Nationen in Europa; darum geht es. Da die Muße die Schwester der Freiheit ist und die Freiheit eine große Familie hat, zu der auch die Sicherheit und eine Tochter, die Kunst, gehören, ({1}) sind wir dann doch endlich bei dem kleinen und schönen Etat von Monika Grütters. ({2}) - Bei acht Minuten Redezeit kann man sich so eine Vorrede erlauben. Die Frage ist jetzt: Was machen wir mit diesem Etat? Vorhin ist die Deutsche Welle angesprochen worden. Es ist uns gesagt worden, wir hätten da nicht genug getan, nichts getan. Das ist nicht so ganz der Fall. Wir hatten dieses Jahr das Vergnügen, zwei Haushalte aufstellen zu dürfen. Im 2014er-Haushalt haben wir der Deutschen Welle sowohl für Investitionen 3 Millionen Euro bereitgestellt, aber auch, was ich für viel wichtiger halte, für das Programm für die Ukraine 3,5 Millionen Euro. Das heißt, das Parlament hat schnell reagiert und gesagt: Das ist uns wichtig, weil wir einen wesentlichen Beitrag leisten können, indem wir andere Informationen, nämlich die Informationen, die man in einer freien Welt bekommen kann, zur Verfügung stellen. ({3}) Das wird natürlich auch eine Frage sein, wenn wir über die Kooperation mit den baltischen Ländern sprechen; auch da ist nicht nur die Frage, wie wir die NATO-Versprechen einlösen, sondern vorrangig auch, wie wir jetzt schon unterstützen können. Da ist es natürlich auch wichtig, dass bei all den russischsprachigen Informationen, die durch den Äther gehen, nicht bloß die Putintreuen Informationen durch den Äther gehen. Es war schon immer wichtig, dass Demokratie mit dem Wort für sich kämpft; und das werden wir fördern müssen. ({4}) Wenn man sich das Regierungsprogramm bzw. den Koalitionsvertrag anschaut, sieht man: Da stehen viele Maßnahmen drin, die nicht genau beziffert sind - das istauch in Ordnung -; im Kulturbereich sind das an die 35. Wenn man jetzt ein bisschen schaut, dann muss man sagen: Wir alle wissen nicht, wie lang das Leben ist; aber wir haben eine Vorstellung davon, wie lang eine Legislaturperiode ist. Das heißt, wir haben natürlich die Erwartungshaltung, dass diese Projekte - darunter sind viele ehrgeizige Projekte, und einige, die nicht ganz billig sind - binnen der nächsten Jahre Stück für Stück abgearbeitet werden. Die Frage ist, ob das unsere einzige kulturpolitische Agenda ist. Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist angesprochen worden. Zum Glück sind seit einigen Jahren die Zeiten überwunden, in denen wirklich wie in einem Kulturkampf die Haltung vorherrschte: Kultur ist Ländersache, Bund, halte dich da raus! - Stattdessen ist es zu einem Miteinander gekommen. Wir haben auch Herausforderungen zu bewältigen, die nur gemeinschaftlich zu bewältigen sind: Wir haben eine kulturelle Infrastruktur geerbt, die im Wesentlichen noch aus der Zeit kommt, als man sich in Deutschland zu Fuß oder mit der Pferdekutsche bewegte. Da das heute nicht mehr so ganz der Fall ist, müssen wir uns überlegen: Welche kulturelle Infrastruktur brauchen wir? Wie reagieren wir auf demografische Entwicklungen? Das kann sich nicht darin erschöpfen, bloß irgendwo Pflaster zu kleben oder Bedauernsschreiben aufzusetzen. Wir müssen vorausschauend sehen, wie wir unsere föderale kulturelle Vielfalt in den kommenden 20, 30 Jahren in dieser Form bewahren und in jener Form ausbauen können; das gilt es in Augenschein zu nehmen. Dazu gehört auch, dass wir mit den Ländern in einen Dialog eintreten. Es nützt nichts, wenn der Bund seine Mittel erhöht, die Länder ihre Mittel für Kultur jedoch kürzen. Das sollten keine kommunizierenden Röhren sein. Das wäre auch eine schlechte Idee: Wenn die Länder ihre Mittel halbierten, müsste der Bund seinen Beitrag vervierfachen. Ich bin ja gerne im Wettstreit mit anderen um einen höheren Kulturetat; aber ich glaube, dass spätestens dann das Ganze unrealistisch wird - und in der Summe würde das noch nicht einmal etwas bringen. Wenn wir uns gegenüber den Ländern auf die Schulter klopfen, dass wir den Kulturetat seit zehn Jahren nicht abgesenkt haben, muss man zugleich sehen, dass aus 100 Prozent - einmal unterstellt, dass die Dinge jedes Jahr um 2 Prozent teurer werden - 80 Prozent geworden sind. Das heißt, Sie dünnen das Ganze aus, und dann müssen Sie irgendwann die Entscheidung treffen: entweder in die gleiche Struktur mehr Geld zu geben oder die Struktur zusammenzustreichen. Sie kommen um diese Entscheidung nicht herum; sonst stirbt flächendeckend irgendwann alles. Das darf man nicht wollen. Politik ist auch immer Mut zu Entscheidungen. Ein weiterer Punkt ist, dass man gemeinsam mit den Ländern darüber reden muss, wie wir die tarifvertraglichen Bedingungen so umsetzen, dass wir uns nicht jedes Jahr aufs Neue damit beschäftigen, wie prekär es den Schauspielern geht, dann aber doch wieder zum normalen Leben umschalten. Dazu muss es Entscheidungen geben. Das bedeutet: Wenn der Bund die Kommunen mal wieder entlastet, dann müssen wir darauf achten, dass diese Entlastung auch in den Bereichen ankommt, die uns allen nützen. Das ist im Bildungsbereich so und, ich denke, auch im Bereich der Kultur. Gleichzeitig sollten wir uns auch überlegen, ob es allein Aufgabe der Städte und Kommunen ist, eine kulturelle Infrastruktur aufrechtzuerhalten, die nicht nur für die eigentliche Stadt und für das Umfeld, sondern auch für die gesamte Nation von Bedeutung ist. Bei der Hauptstadt haben wir das selbstverständlich so angenommen. Wir fördern hier und da - fast überall - die Projekte und begründen das selbstverständlich nicht mit unserer Vorliebe für Berlin, sondern damit, dass das unsere deutsche Hauptstadt ist. In Frankreich wäre das ja auch ganz okay. Dort gibt es Paris und la-bas en pro4588 vince. Das sind nicht wir. Wir sind ein föderalistisches Land und haben diese Vielfalt, weil es ganz viele Subzentren gibt. Es lohnt sich, hier zu überlegen und mit den Ländern in einen konstruktiven Dialog darüber einzusteigen, ob wir analog zu dem vorgehen sollten, was wir bei den Universitäten tun, nämlich die Exzellenz zu fördern und unterstützend tätig zu werden, wenn Länder etwas erbringen, was national und international von Bedeutung ist. Wir müssen das, was im Koalitionsvertrag steht, abarbeiten und die Dinge in Angriff nehmen, die wir für die nächste Zukunft wirklich lösen müssen. Ich glaube, wenn wir diese Mischung erreicht haben, dann stehen wir am Beginn einer für uns sehr guten Zeit, und das ist dann auch ein Signal dafür, dass es der vielen Mühe wert ist, für Stabilität in diesem Land zu sorgen und die kulturelle Freiheit in einem geordneten Rechtsstaat zu erhalten. Herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. - Nächste Rednerin in der Debatte ist Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kaum ein Thema beschäftigt die Kulturszene im Moment so sehr wie die laufenden TTIP-Verhandlungen. Die Aufregung ist groß, und darum will ich hier jetzt darauf eingehen, weil Staatsministerin Grütters das gerade nicht getan hat. Die gebetsmühlenartigen Beteuerungen seitens der Bundesregierung, die Kultur sei von den Verhandlungen ausgenommen, kann die Gemüter nicht beruhigen, und ich meine: zu Recht. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich frage Sie: Wer würde denn auf die Idee kommen, seine Blankounterschrift auf ein leeres Blatt Papier zu setzen? Wenn es um TTIP geht, erwarten Sie quasi genau das von den Bürgerinnen und Bürgern. Ich sage Ihnen: Ein völlig intransparentes Verfahren mit einem „Wird schon gut gehen“ zu legitimieren, reicht mir nicht, und es reicht mir auch nicht, darüber zu spekulieren, wie eine Ausnahme für die Kultur am Ende wirklich aussehen könnte. ({0}) Spekulationen über eine mögliche Ausnahme in der Präambel, unklar, in welchem Kontext, und unklar, mit welcher Wirkung: Das ist keine Information, das ist ein Placebo. ({1}) Kulturelle Güter haben einen Wert, der über das Materielle weit hinausgeht. Deshalb haben wir alle uns hier in Deutschland und in Europa immer für den besonderen Schutz der kulturellen Güter ausgesprochen - nicht zuletzt durch eine UNESCO-Konvention. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, sich nicht daran halten, dann verletzen Sie nicht nur die Grundwerte dieser Konvention. Nein, wenn Sie dem kulturellen Ausverkauf durch TTIP Tür und Tor öffnen, dann stellen Sie auch unsere kulturelle Vielfalt zur Disposition und gefährden unsere Daseinsvorsorge auf fundamentale Weise, und das geht nicht. ({2}) Frau Grütters, Sie wollen uns immer glauben machen, dass Sie eine der entschiedensten Gegnerinnen des TTIP-Abkommens sind - zumindest in Bezug auf den kulturellen Bereich. Wenn es Ihnen mit der Kultur und mit den Ausnahmen für die Kultur wirklich so ernst ist, dann fordern Sie keine Generalklausel, deren Wirkung Sie nicht kennen! Sie müssen dann schon konkreter werden. ({3}) Wir erwarten von Ihnen eine nachhaltige Kulturpolitik, eine Kulturpolitik, die ihre Projekte nicht anfängt und erst dann schaut, wohin die Reise geht - wie jetzt bei TTIP oder wie beim Humboldtforum, um noch ein prominentes Beispiel zu nennen. Mitten in Berlin wächst und wächst der Rohbau des Berliner Schlosses, aber er wächst noch immer ohne inhaltliche Substanz, und das, Frau Grütters, ist keine nachhaltige Kulturpolitik. ({4}) Noch ein Thema der Kategorie „Ende offen“ steht auf der Agenda der Kulturpolitik: der Neubau für ein Museum der Kunst des 20. Jahrhunderts hier in Berlin. Seit über einem Jahr reden Sie jetzt über diesen Neubau, Frau Grütters. Bis heute ist aber auch hier nichts Substanzielles passiert: kein Budget, kein Zeitplan. Das Ende ist offen - wie so oft. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Letzter Redner in der Debatte ist Burkhard Blienert für die SPD. ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor wenigen Tagen habe ich mit Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für Kultur und Medien die europäischen Kulturhauptstädte 2014 besucht: Umeå in Schweden und Riga in Lettland. Insbesondere in Lettland begegnete uns ein Thema sehr intensiv, welches heute Vormittag in der Gedenkstunde und auch in den Reden meiner Kollegin Hiltrud Lotze und meines Kollegen Kruse eine wichtige Rolle gespielt hat: die Erinnerung an die Zeit der sowjetischen Besatzung und die immense Bedeutung der europäischen Integration für diese Staaten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise in der Ukraine wurde uns deutlich vermittelt, wie wichtig die mediale Berichterstattung und die Vielfalt der Medien sind. Lettland ist ein kleines Land, kaum groß genug für ein eigenes, vielfältiges und unabhängiges Medienangebot. Unsere Medienlandschaft dient dort als Vorbild für eine neue Struktur. Ich beschreibe dies, weil wir mit der konkreten Erwartung konfrontiert waren, den Aufbau eines unabhängigen und vielfältigen Medienangebotes zu unterstützen. Dabei fällt mir auf Bundesebene natürlich zuerst die Deutsche Welle ein. Diese bietet auch in dieser Region ein wichtiges Informationsangebot und ermöglicht es Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt, an der Medienakademie das Handwerk des guten Journalismus zu erlernen. Ich spreche diesen Punkt an, weil wir mit der Bereitstellung von Haushaltsmitteln in der Verantwortung sind, die Arbeit der Deutschen Welle so zu finanzieren, dass sie das leisten kann, was von ihr erwartet wird. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Bund Kunst und Kultur fördert, dann geht es vor allem darum, unser reiches kulturelles Erbe zu sichern und unsere Erinnerungskultur zu pflegen. Es geht darum, neue Impulse zu setzen, das Innovative, das Zeitgenössische zu fördern. Wir wollen die kulturelle Infrastruktur unseres Landes in ihrer ganzen Vielfalt erhalten. Wir wollen den Menschen unabhängig von ihrer sozialen und individuellen Situation kulturelle Teilhabe ermöglichen. Der Haushalt der Beauftragten für Kultur und Medien für das laufende Jahr wird diesen Aufgaben gerecht. Mit dem Haushalt für 2015 wollen wir das konsequent fortführen. Damit setzen wir weiter um, was wir uns mit unserem Koalitionspartner vorgenommen haben. Lassen Sie mich nun einige Bereiche herausgreifen. Der Erhalt von Denkmälern ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Dabei hat sich das Denkmalschutz-Sonderprogramm des Bundes in den vergangenen Jahren als besonders wirksamer Beitrag zur Pflege der kulturellen Infrastruktur in der Fläche bewährt. Beim Tag des offenen Denkmals am kommenden Sonntag können wir uns allerorten davon wieder überzeugen. Deshalb unterstützt der Bund seit Jahren Substanzerhaltung und Restaurierung dieser Baudenkmäler. Auch in diesem Jahr werden wir uns bei den Haushältern dafür starkmachen müssen, dass die dafür notwendigen Mittel bereitgestellt werden. ({1}) Unser neues Förderprogramm für die Kinodigitalisierung ist ein weiteres Beispiel dafür, wie erfolgreich der Bund in die Fläche hineinwirkt und für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur sorgt; ein Programm übrigens, das wir in Umsetzung des Koalitionsvertrages ebenfalls im letzten Haushaltsverfahren beschlossen haben. Damit sichern wir zugleich das Angebot zu kultureller Teilhabe, gerade auch in den kleineren Orten und in den ländlichen Regionen. Unser kulturelles Erbe umfasst auch ein reiches Filmerbe. Hier stehen wir vor immensen Herausforderungen. Zwei Dinge sind im Wesentlichen zu leisten: Einerseits müssen die Filmträger, seien es Filmrollen oder auch schon digitale Medien, gesichert werden. Viele sind akut vom Verfall bedroht, und es gibt bereits unwiederbringliche Verluste. Wir müssen das Material retten, und wir müssen nach Lösungen suchen, wie wir es langfristig erhalten können. Andererseits drohen viele Schätze in den Archiven zu verstauben, weil sie die Menschen nicht mehr erreichen. Ich habe eben von der Kinodigitalisierung gesprochen. Das bedeutet, dass die alten Filme auf analoger Rolle logischerweise nicht mehr auf die Leinwand gebracht werden können. Sie müssen erst digitalisiert werden. Das eröffnet natürlich auch neue Möglichkeiten; denn Filme werden heutzutage nicht nur im Kino, sondern immer häufiger über das Internet konsumiert. Wir stehen also vor der großen Aufgabe, unser Filmerbe zu digitalisieren. ({2}) Die ersten Schritte dazu sind getan. In den vergangenen Jahren sind für diesen Zweck auch Mittel bereitgestellt worden, die allerdings ebenfalls nicht fortgeschrieben wurden. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diesen Prozess gemeinsam mit allen Verantwortlichen auf „Dauer“ zu stellen. Dazu gehört es auch, die Einrichtungen des Kinematheksverbundes - die Stiftung Deutsche Kinemathek, das Deutsche Filminstitut und das Bundesfilmarchiv - weiter zu stärken. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch für den Deutschen Filmförderfonds. Unser vorrangiges Ziel ist es, den überaus erfolgreichen Einsatz von Fördermitteln auf „Dauer“ zu stellen - und das auf hohem Niveau. ({4}) Im Etatentwurf stehen 50 Millionen Euro für diesen Zweck. Ich werde mich im weiteren Verfahren dafür einsetzen, dass wir die deutsche Filmwirtschaft und den Filmproduktionsstandort Deutschland am Ende wieder mit 60 Millionen Euro fördern können. Die Erfahrung in der Vergangenheit hat gezeigt, dass jeder Förder-Euro aus dem DFFF 6 Euro an Investitionen auslöst. Und das bringt nicht zuletzt auch Beschäftigung für viele Filmschaffende. ({5}) Die Debatte über den nächsten Einzelplan schließt insofern nahtlos an dieses Thema an. Denn Filmförderung ist im wahrsten Sinne auch kulturelle Förderung und Wirtschaftsförderung. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Posten im Haushalt ansprechen, der mich ganz besonders freut: der neue Preis für unabhängige Buchhandlungen. Denn gerade die „geistigen Tankstellen“, wie Helmut Schmidt die Buchhandlungen einmal bezeichnet hat, bilden die Grundlage für unsere vielfältige Buchkultur. Sie ermöglichen erst literarische Vielfalt und Qualität. Zudem sind sie Orte der Begegnung. Insofern ist das auch ein Preis, der insgesamt zur kulturellen Bildung beitragen sollte. Abschließend noch ein paar Worte zur sozialen Absicherung der Kulturschaffenden. Wenn wir kulturelle Vielfalt erhalten wollen, müssen wir auch diejenigen im Blick haben, die das Hervorbringen von Kunst und Kultur zu ihrem Erwerb gemacht haben. Oftmals arbeiten sie unter prekären Arbeitsbedingungen. Deshalb haben wir uns als eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen die Künstlersozialkasse vorgenommen und auf sichere Beine gestellt. Ende des Jahres läuft aber die Regelung für den Arbeitslosengeldbezug von kurz befristet Beschäftigten aus. Besondere viele Kulturschaffende sind davon betroffen. Hier werden wir uns für eine vernünftige Anschlussregelung einsetzen, so wie wir es im Koalitionsvertrag angekündigt haben. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben schon einiges erreicht, aber wir müssen in den kommenden Haushaltsberatungen noch vieles umsetzen, was uns wichtig ist. Ich denke, das werden wir gemeinsam mit den Haushältern und im Ausschuss beraten und dementsprechend auf den Weg bringen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzelplan 09. Ich gebe das Wort an Sigmar Gabriel, den zuständigen Minister. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschlands Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren als sehr krisenfest und stark erwiesen. Wichtigster Beweis dafür waren steigende Beschäftigung, steigende Löhne und Gehälter und sinkende Arbeitslosenzahlen. Auch jetzt, wo wir uns - nicht zuletzt aufgrund der internationalen Krisen - in einem schwierigeren Umfeld bewegen, erweisen sich der Arbeitsmarkt und die Beschäftigung sowie die Entwicklung der deutschen Wirtschaft als robust. Die Exportzahlen im Juli sind auf 100 Milliarden Euro gestiegen. Und der leichte Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung, den wir im zweiten Quartal gesehen haben, hat eher etwas mit Vorzieheffekten in der Bauwirtschaft aufgrund des milden Winters zu tun als mit einem tatsächlichen konjunkturellen Problem. Aber viel wichtiger für die Menschen im Land ist, dass sich diese wirtschaftliche Entwicklung auch am Arbeitsmarkt weiter zeigt. Wir haben mit über 42 Millionen Beschäftigten ein Rekordniveau bei den Arbeitsplätzen in Deutschland, und - das ist vielleicht noch wichtiger - wir haben mit mehr als 30 Millionen Beschäftigten auch ein Rekordniveau bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen erreicht. Das ist mehr als eine halbe Million zusätzlich gegenüber dem letzten Jahr. ({0}) Die Arbeitslosigkeit sinkt selbst im Vergleich zum Vorjahresmonat noch etwas, und vor allen Dingen steigen die Löhne und Gehälter in Deutschland. Das ist gut für die Binnenkonjunktur, und es ist übrigens das größte Umverteilungsprogramm, das man sich vorstellen kann, viel größer jedenfalls als das, was Änderungen in der Steuerpolitik jemals bewirken könnten. Es ist gut, dass in Deutschland für gute Arbeit auch wieder mehr gute Löhne und Gehälter gezahlt werden, meine Damen und Herren. ({1}) Die gute wirtschaftliche Entwicklung hilft uns, das zu erreichen, was am heutigen Tag und auch gestern schon mehrfach angesprochen wurde, nämlich zum ersten Mal nach 46 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt zu bekommen. Mir fällt es immer noch schwer, zu verstehen, warum das in der Öffentlichkeit, aber auch im Parlament gelegentlich kritisiert wird. Denn abgesehen von der Tatsache, dass eine gute und solide Finanzpolitik das Vertrauen in den Investitionsstandort Deutschland stärkt, ist es, finde ich, auch sozialpolitisch richtig, keine Schulden zu machen. ({2}) Wer hat denn Interesse an steigender Staatsverschuldung? Das können doch nur Menschen sein, die so reich sind, dass sie eine Bank zu ihrem Eigentum zählen können; denn dort leiht sich der Staat das Geld. Aber die Menschen, die Steuergelder erarbeiten und an den Staat zahlen, wollen, dass in Schulen, Infrastruktur, Umweltschutz und soziale Sicherheit investiert wird, aber nicht mit immer mehr Anteilen von jedem Steuer-Euro in Zinsen, die wir für Staatsschulden zahlen. Insofern kann man, glaube ich, das Ergebnis gar nicht hoch genug loben und schätzen, dass wir es geschafft haben, mit Hilfe der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und ihrer Unternehmen in Deutschland dieses Ziel zu erreichen. ({3}) Genauso klar ist aber auch - das ist unbestritten -, dass uns das nur dann nachhaltig gelingen wird, wenn fiskalische Konsolidierung und höhere Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Entwicklung kein Widerspruch werden. Konsolidierung auf Kosten der Zukunftsfähigkeit des Landes wäre natürlich nicht der richtige Weg. Aber genau deshalb ist es gut, dass wir mit dem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung auch die Investitionstätigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden stärken. Wir geben 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur. Man muss das alles zusammenrechnen. In diesem Jahr, 2014, ist die letzte Stufe der Entlastung der Kommunen um 4,5 Milliarden Euro pro Jahr bei der Grundsicherung im Alter erreicht worden. Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet - das können Sie in der Finanzplanung nachlesen -, die Kommunen um weitere 5 Milliarden Euro pro Jahr zu entlasten. Das bedeutet, wir erreichen in wenigen Jahren eine finanzielle Entlastung der Kommunen in Höhe von fast 10 Milliarden Euro. ({4}) Das ist, glaube ich, ein enormer Beitrag auch zur Stärkung der Investitionstätigkeit der Kommunen. Denn sie leisten nun einmal den Großteil der öffentlichen Ausgaben für die Infrastruktur. 3 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung und 6 Milliarden Euro für Bildungsinvestitionen in den Ländern: Ich glaube, dass diese Kombination - keine Neuverschuldung und trotzdem erhebliche Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes - zeigt, dass wir gerade nicht auf Kosten der Zukunft sparen. Richtig ist, dass wir auf mittlere Sicht einen noch breiteren Investitionspfad brauchen, wenn wir den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes und damit auch gesunde Finanzen sichern wollen. Wenn Deutschland eine Achillesferse hat, dann sind es in der Tat die fehlenden Investitionen, und das schon seit mehr als zehn Jahren. Wir halten uns viel auf den Titel Exportweltmeister zugute, aber Investitionsweltmeister sind wir schon sehr lange nicht mehr. Deswegen ist es, glaube ich, richtig, dass sich das Parlament, die Ausschüsse, die Regierung, Herr Schäuble, ich und viele andere mit der Frage befassen, was wir tun können, um zwei Dinge stärker in den Griff zu bekommen, nämlich erstens die trotz dieser Investitionen noch immer nicht ausreichende Investitionsquote in der öffentlichen Infrastruktur, aber zweitens natürlich auch die seit mehr als zehn Jahren zu geringe Nettoinvestitionsquote in der privaten Wirtschaft bzw. in den Unternehmen. Das gefährdet auf Dauer die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ganz erheblich. Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschland im Kern seiner Leistungsstärke auf Dauer von der Substanz lebt. ({5}) Der größte Teil der Investitionen in Deutschland wird von Privaten getätigt. Wir werden die strukturellen Probleme angehen müssen, damit mehr privates Kapital in Deutschland investiert wird. Da Herr Gysi heute Morgen erklärt hat, dass das in einer weiteren Welle der Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge münde: Genau darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, dass wir überhaupt eine Infrastruktur erhalten. Es gibt am Ende nichts zu privatisieren, wenn die Infrastruktur gar nicht mehr da ist oder zu sehr verrottet ist. ({6}) Es geht auch nicht um die Neuauflage von PPP-Projekten, sondern um veränderte Rahmenbedingungen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Genauso wichtig ist die Frage, welche Rahmenbedingungen wir verändern müssen, damit die Unternehmen selbst das Geld in die Realwirtschaft und nicht in Spekulationsgeschäfte an den Finanzmärkten investieren. Ich hätte erwartet, dass insbesondere die Linkspartei öffentlich sagt, dass das der richtige Weg ist. ({7}) - Das kann ja noch kommen. Klaus Ernst kann sagen, dass er es verstanden hat und gut findet. Wir sind aufgeklärte Menschen und glauben an die Emanzipationsfähigkeit jedes Menschen. Wir haben eine Expertenkommission aus Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften, kommunalen Spitzenverbänden und Wissenschaft eingesetzt, um eine Investitionsstrategie zu entwickeln, die uns wirklich hilft, das Kernproblem in Deutschland in den Griff zu bekommen. Der nun vorgelegte Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums, den wir beschließen werden, liefert dafür schon ein paar Hilfestellungen. Zuerst sei genannt das gut laufende Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Die Mittel für das Programm werden ab 2015 dauerhaft um 30 Millionen Euro erhöht. Was nicht ganz unwichtig ist: Mehr als 40 Prozent der Mittel dieses Programms finden ihren Weg in innovative Unternehmen in Ostdeutschland; denn nach wie vor haben wir eine Wettbewerbsfähigkeitslücke, eine Investitionslücke, eine Industrialisierungslücke und, wie wir heute noch einmal gehört haben, leider weiterhin eine Lohnlücke zwischen Ost- und Westdeutschland zu beklagen. Sollten wir den Solidarpakt 2019 abschaffen, dann müssen wir bis dahin alles tun, um die Unterschiede zwischen Ost und West bei Löhnen und Renten zu beseitigen. ({8}) Wir werden nach wie vor auf Dauer in die ostdeutschen Länder investieren müssen, weil diese den Rückstand auf Westdeutschland noch nicht aufgeholt haben. Das zweite wichtige Förderinstrument in diesem Zusammenhang ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Diese Förderung kommt sogar zu mehr als 80 Prozent den ostdeutschen Bundesländern zugute. In der aktuellen Finanzplanung haben wir die Mittel für die GRW in einem ersten Schritt bei 600 Millionen Euro verstetigt. Wir haben sie nicht wie geplant absinken lassen, sondern verabredet, sie auf das alte Niveau ansteigen zu lassen. Wichtig wird aber auch sein, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir mit den Schwierigkeiten bei der Kofinanzierung umgehen. Es nutzt am Ende nichts, wenn GRW-Mittel nur von denjenigen abgerufen werden können, denen es schon gut geht, während die anderen das nicht können, weil sie nicht kofinanzieren können. Dann stärken wir die Starken, schwächen aber die Schwachen. Deswegen glaube ich, dass wir darüber noch einmal reden müssen. Junge Unternehmen in Deutschland haben es in der Wachstumsphase besonders schwer; denn hierzulande wird im internationalen Vergleich zu wenig Wagniskapital investiert. Ich bin deshalb dem Kollegen Schäuble dankbar, dass er begonnen hat, die Rahmenbedingungen für Wagniskapital international wettbewerbsfähiger zu gestalten. Wir wollen gemeinsam den neuen Markt 2.0 in Deutschland unterstützen. Gleichzeitig beginnen wir aber auch damit, durch die ertragsteuerliche Freistellung des INVEST-Zuschusses das steuerliche Umfeld für Start-ups zu verbessern. Um bessere Investitionsbedingungen für Unternehmensgründungen geht es auch bei dem Entwurf eines Gesetzes zum Kleinanlegerschutz, den die Bundesregierung erarbeitet. Eine entscheidende Rahmenbedingung für die Stärkung der Investitionstätigkeit ist natürlich die Entwicklung auf dem Energiesektor. Deshalb ist die Stabilisierung des Strompreises eines der zentralen Projekte der Bundesregierung. Wir arbeiten weiter an einer bezahlbaren Energiewende. Ich habe das hier im Haus schon ein paar Mal gesagt: Die Novellierung des EEG war nur der erste Schritt. Wir haben in dieser Legislaturperiode die Aufgabe, vieles von dem, was sich im Rahmen der Energiewende nebeneinander oder gegeneinander entwickelt hat, zu systematisieren. In diesem Jahr wird es vor allen Dingen um die Themen fossile Kraftwerksparks, Strommarktdesign, Netze und europäische Einbindung gehen. Wir werden auf Dauer nicht in Europa klarkommen, wenn wir nicht eine gemeinsamere, harmonisiertere Form der Energiepolitik vorantreiben. Das wird nicht gehen. ({9}) Es gibt auch in meinem Ministerium eine große Baustelle, an der wir in diesem Jahr verstärkt arbeiten müssen. Das ist die sehr lange Vernachlässigung des Themas Energieeffizienz. Am Ende des Jahres werden wir in der Bundesregierung einen Aktionsplan Energieeffizienz vorlegen, weil wir - das hat uns die Europäische Union ins Stammbuch geschrieben - hier eine Lücke haben, die in den letzten Jahren entstanden ist. Energie, Fachkräfte, Digitalisierung und immer wieder Investitionsstärke - das zeigt, dass wir auch unabhängig von außenpolitischen Krisen eine ganze Reihe von Aufgaben vor uns haben, die die Bundesregierung angepackt hat, die uns aber noch sehr viel Arbeit und auch Entscheidungsbedarf hier im Haus verschaffen werden. Natürlich spielt für unsere wirtschaftliche Entwicklung Europa nach wie vor die bedeutendste Rolle. Nicht China ist unser wichtigster Exportpartner, sondern die Europäische Union und die Euro-Zone. Deswegen ist es von großer Bedeutung, dass wir immer wieder öffentlich klarmachen, dass, wenn wir in Europa investieren - was Deutschland nun wirklich getan hat -, das nicht reiner Altruismus ist, sondern ganz viel mit den Arbeitsplätzen in unserem Land zu tun hat. Um es in diesen Tagen, in denen viel über eine Alternative für Deutschland gesprochen wird, auch einmal auszusprechen: Für Mitarbeiter und Professoren des öffentlichen Dienstes, die sich einer solchen Partei anschließen, oder für ehemalige Wirtschaftslobbyisten mag es egal sein, wohin die deutsche Industrie Exportprodukte ausführt und wohin nicht. Für Facharbeiter und Angestellte dieses Landes ist das nicht egal. ({10}) Wir brauchen Europa auch, um Arbeitsplätze in unserem Land zu halten. Deswegen rate ich dazu, dass wir dieser Propaganda offensiv entgegentreten, gerade bei denen, die sich Sorgen machen, gerade bei denen, die nicht sicher sind, ob diese komplizierte Welt überhaupt noch beherrschbar ist. Denen müssen wir sagen: Europa ist nicht die Gefahr, sondern die Antwort, gerade für ein exportorientiertes Land. Dazu gibt es eben keine Alternative für Deutschland. ({11}) Das heißt auch, dass wir insbesondere schauen müssen, wie wir die beiden Aufgaben zusammenbekommen, die in vielen Ländern Europas nach wie vor nicht bearbeitet worden sind. Das ist der Stau bei strukturellen Reformen. Das wissen die Franzosen, das wissen die Italiener, und das wissen viele andere. Aber wir Deutsche wissen aus eigener Erfahrung auch: Es gibt einen Reformbedarf auch bei Investitionen und Wachstumsimpulsen. Deutschland hätte 2003 die Agenda 2010 nach meiner Einschätzung nicht durchsetzen können, wenn wir zeitgleich noch 20 Milliarden Euro zusätzlich hätten einsparen müssen. Der Unterschied zu Frankreich ist: Frankreich hat nur die Defizitkriterien überschritten und ansonsten nichts gemacht. Ich glaube, dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht zu ändern brauchen und ihn nicht ändern sollten; aber wir müssen jede Flexibilität nutzen, die wir in Europa haben, um verbindliche und nachvollziehbare Reformvorhaben mit einer Wachstums- und Investitionsstrategie zu verbinden. Sonst kommen wir aus der europäischen Krise nicht heraus. ({12}) Am Ende sind es aber nicht nur Förderprojekte oder gesetzliche Rahmenbedingungen, die über die WettbeBundesminister Sigmar Gabriel werbsfähigkeit unseres Landes entscheiden. Ich glaube, mindestens ebenso entscheidend ist die Frage, mit welcher Haltung wir eigentlich an die Herausforderungen herangehen: ängstlich und risikoscheu oder offensiv und selbstbewusst. Ich will das einmal an zwei Beispielen der aktuellen Debatte deutlich machen. Natürlich ist es so, dass die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auch Risiken mit sich bringt und dass wir schwere Entscheidungen vor uns haben, zum Beispiel wie wir Datensicherheit, das Recht auf Persönlichkeitsschutz oder die Freiheitsrechte des Einzelnen ins Verhältnis zu dem bringen, was jetzt gemeinhin unter der Überschrift „Big Data“ gehandelt wird und was, na klar, auf der anderen Seite große Geschäftsmodelle ermöglicht. Natürlich ist das ein Problem. Natürlich wissen wir, dass es nicht von selbst passieren wird, dass der deutsche Maschinen- und Anlagenbau und die Automobilindustrie noch die Innovationstreiber ihrer Bereiche sein werden; vielmehr hoffen Google und andere, dass sie in Zukunft die Innovationstreiber einer digitalisierten Industrie 4.0 sein werden. Das sind objektiv existierende Herausforderungen. Nur, ich glaube, es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass wir sie in Deutschland und Europa ängstlich angehen müssen. Wir - wir Deutschen, viele andere in Europa mit uns - sind die Ausrüster der Industrialisierung der Welt. Wir haben den modernsten und besten Automobilbau, den modernsten und besten Maschinen- und Anlagenbau. Es müsste doch wirklich mit dem Teufel zugehen - würde ich fast sagen; eigentlich hat der Teufel hier im Parlament nichts verloren -, wenn es uns nicht gelingen würde, das auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Da muss der Schwerpunkt der Auseinandersetzung um die Frage „Wohin gehen Investitionen, und wo finden Innovationen statt?“ liegen. Das ist nicht nur ein Risiko, sondern es ist vor allen Dingen eine Riesenchance, die Industrialisierung der Welt in Zukunft auf ein neues und höheres Niveau zu bringen. Natürlich bin ich ganz sicher, dass es uns mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung gelingen kann, Standards zu schaffen, die Europa zum sichersten Standort für Daten machen. ({13}) Das, glaube ich, ist es, wofür wir sorgen müssen. Ein weiterer Punkt sind die Freihandelsabkommen, über die heute schon ein paarmal diskutiert wurde. Natürlich gibt es berechtigte Sorgen. Ich teile die öffentlich geäußerten nicht alle. Es gibt eine Menge Vermutungen und Ängste, die etwas damit zu tun haben, dass die bisherige Verhandlungsführung durch die Europäische Union und die Amerikaner hinreichend dafür Sorge getragen hat, dass jeder seine Ängste abladen konnte. Ich habe einmal gesagt: Wenn man die Absicht hätte, das geplante Freihandelsabkommen mit den USA zu Fall zu bringen, dann muss man es so machen, wie die Europäische Kommission es bisher vorangetrieben hat; denn dann ist relativ sicher, dass es am Ende keiner mitmachen wird. Deswegen ist Transparenz sehr wichtig. Wir hier in Deutschland schaffen Transparenz. Wir haben einen entsprechenden Beirat geschaffen. Ich hoffe, dass es die Europäische Union auch tut. Natürlich ist es auch so - das ist auch meine Überzeugung; es war übrigens auch die Überzeugung der alten Bundesregierung -, dass man für eine solche Verhandlung zwischen zwei entwickelten Rechtssystemen kein Investitionsschutzabkommen braucht. ({14}) Das war schon für die alte Regierung keine Frage. Jetzt muss man sich aber entscheiden, ob man diese Verhandlungen sozusagen risikoavers, ängstlich und mit wenig Selbstbewusstsein betreibt und dann auch noch die Forderung aufstellt, die Verhandlungen am besten gleich abzubrechen. Übrigens, wer die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten abbrechen will, der soll öffentlich keine Reden mehr über die notwendigen Nachhaltigkeitsregeln, die sozialen und ökonomischen Regeln der Globalisierung halten. ({15}) Wer sich nicht traut, mit den Vereinigten Staaten zu verhandeln, der soll den Menschen keine Hoffnung machen, der Rest der Welt werde mit uns Nachhaltigkeitsstandards verabreden. Das ist nicht der Fall. ({16}) - Im Unterschied zu Ihnen bin ich bekanntlich Sozialdemokrat. Ich weiß aufgrund der 151-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie, dass Forderungen nach revolutionären Veränderungen in der Regel nichts bringen, ({17}) sondern dass man sich auf den Weg machen muss, Schritt für Schritt, über Kompromisse. ({18}) - Der Unterschied zu Ihnen ist: Wir bekennen uns seit 151 Jahren zu Kompromissen. In Ihren Vorläuferorganisationen ist das bekanntermaßen etwas anders gewesen. ({19}) Ich bin dagegen, dass wir naiv an die geplanten Abkommen herangehen. Ich bin dagegen, dass wir da blauäugig herangehen. Es will übrigens auch niemand ein weißes Blatt Papier unterschreiben. Wir haben gerade noch einmal klargestellt, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, das deswegen auch hier im Bundestag beschlossen werden muss. Aber wogegen ich bin, ist, dass wir so tun, als ob es uns besser geht, wenn wir gar nicht verhandeln, wenn wir mit niemandem reden. ({20}) Wir sind das exportstärkste Land Europas. Wir müssen uns doch wohl zu dem Ziel eines möglichst umfas4594 senden Freihandels - am liebsten natürlich über die WTO, aber wenn es nicht geht, dann auch in bilateralen Abkommen - bekennen. Wer, wenn nicht wir, hat eigentlich ein Interesse an Freihandel? ({21}) Deswegen, glaube ich, geht es aufgeklärter Politik nicht darum, naiv damit umzugehen. Es geht auch nicht darum, die eigenen Interessen nicht klar zu definieren. Aufgeklärte Politik hat nicht die Aufgabe, Ängste zu schüren, sondern die, die Fragen der Bevölkerung klar und eindeutig zu beantworten ({22}) und am Ende eines Prozesses zur Beantwortung der Frage zu kommen, wie man sich entscheidet. Man darf nicht bereits am Anfang alles abbrechen und sagen: Ich mache nicht mehr mit. ({23}) Deswegen: keine Naivität, aber Selbstbewusstsein Europas und Deutschlands. Ich glaube, dass am Ende die Haltung darüber entscheidet, ob wir erfolgreich sind oder nicht. Ich finde, unser Land und seine Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, NGOs, Gewerkschaften haben wirklich Grund, die Herausforderungen, die auf uns zukommen - sie sind wahrlich nicht klein -, mit großer Zuversicht und Selbstbewusstsein anzugehen und mit dieser Haltung die Zukunft des Landes zu beeinflussen und nicht ängstlich zurücksteckend die Chancen zu vergeben, die in all diesen Herausforderungen immer auch stecken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sigmar Gabriel. - Der nächste Redner in der Debatte: Roland Claus für Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da der Bundeswirtschaftsminister gleich zu Beginn seiner Rede die Infrastrukturkompetenz der Linkspartei hervorgehoben hat, muss ich den Ball natürlich aufnehmen. Es geht um die Frage der privaten Beteiligung an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen. Da will ich von einem Vorgang erzählen, an dem ich intensiv beteiligt war. Vor fast zwei Jahren hat ein Chemieunternehmen in Wittenberg dem Bund 35 Millionen Euro für den Ausbau einer Umgehungsstraße angeboten - ohne Bedingungen -, weil sich dort Bürgerinitiativen und mehrere Unternehmen einig waren. Der Bund war bis heute nicht in der Lage, mit dieser Schenkung auch nur umzugehen. Deshalb zweifle ich an den Infrastrukturkapazitäten dieser Bundesregierung, Herr Minister, und das müssen Sie sich dann auch gefallen lassen. ({0}) Ich denke, Wirtschaftspolitik steht in diesen bewegten Tagen in der besonderen Verantwortung, einen Beitrag zu Frieden, einer gerechten globalen Entwicklung und Abrüstung zu leisten. Ich glaube, wenn ich diesen Satz vor einem Jahr gesagt hätte, hätte ich noch den Zwischenruf geerntet: Wovon träumen Sie nachts? ({1}) Aber ich will mit der Verflechtung von Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik beginnen. Bekanntlich hat die EU weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen, hat sie zunächst angedroht. Jetzt will ich nur einen einzigen Fakt benennen, um die Absurdität dieses Vorgangs zu kennzeichnen. Sie haben vor einer Woche mit großer Mehrheit Waffenlieferungen in den Irak beschlossen. Im Moment ist die Fluggesellschaft Wolga-Dnjepr damit befasst, diese Waffen in den Irak zu fliegen. Der Dnjepr ist bekanntlich der größte Strom in der Ukraine, und die Wolga ist der größte Strom im Westen Russlands. Nun muss man wissen, dass Wolga-Dnjepr ein russisches Flug-, Logistikund Handelsunternehmen ist - mit ukrainischer Beteiligung. Dann muss man noch wissen, dass Wolga-Dnjepr vor kurzem 49 Prozent der Air Cargo Germany, also einer deutschen Luftfrachtgesellschaft, erworben hat. Diese Verflechtung von Wirtschaftsstrukturen macht kenntlich, wie absurd die Vorstellung ist, man könnte Sicherheits-, Friedens- und Außenpolitik mit Wirtschaftssanktionen beeinflussen. Deshalb ist Sanktionspolitik in aller Regel kontraproduktiv. Sie ist aber auch eine Irreführung der Öffentlichkeit. Ich hätte gar nichts gegen die Idee einer Sanktionspolitik, wenn Sie mal darauf kämen, wenn es um Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und Katar geht, meine Damen und Herren. ({2}) Ich will noch einen Fall internationaler Wirtschaftspolitik ansprechen: die Verhandlungen über die transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, Kanada und anderen, die im Moment im Wesentlichen als Geheimverhandlungen stattfinden. Der Bundesfinanzminister hat gestern bei der Einbringung seines Etats einen sehr bemerkenswerten Satz zu den Abkommen gesagt: Wir wollen sie zu einem guten Ergebnis verhandeln, aber auf Augenhöhe. So etwa Schäuble. Neben mir saß zu dem Zeitpunkt eine junge Kollegin aus München, und die fragte mich: Du kennst doch den Finanzminister schon länger. Glaubt der das wirklich? Glaubt der das angesichts einer Situation, in der Abhörund Ausspähaktionen durch die NSA unvermindert fortgesetzt werden? - Ich bin ihr die Antwort noch schuldig geblieben und hoffe auf Unterstützung durch den Bundesfinanzminister. Ich bin übrigens froh, dass gestern aus den Reihen der SPD eine ganze Reihe kritischer Äußerungen zu den Freihandelsabkommen gemacht wurden. Zu einigen Elementen Ihres Etats für das nächste Jahr: Herr Wirtschaftsminister, wir wissen: Fast die Hälfte dieses Etats wird für Subventionen bei Steinkohle sowie Luft- und Raumfahrt aufgebraucht. Gewiss, bei der Kohle stehen wir im Wort; aber bei Luft- und Raumfahrt handelt es sich um die Subventionierung staatsnaher Monopolisten. Nur ein Drittel dessen, was in die Luftund Raumfahrt geht, verwenden wir für Innovationsforschung und Innovationsförderung bei kleinen und mittelständischen Unternehmen - und das alles vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir uns alle mit schöner Regelmäßigkeit vor dem deutschen Mittelstand verneigen. Natürlich ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand gut und unterstützenswert. Es findet auch unsere Unterstützung. Aber angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist es viel zu gering. Ich will darauf verweisen, dass uns in diesem Jahr nur drei Monate für die Umsetzung dieses Programms zur Verfügung stehen, weil bekanntlich der Etat 2014 erst spät verabschiedet wurde und der Dezember ja der Kassenmonat ist. ({3}) Das Bundeswirtschaftsministerium hat uns, die wir nachgefragt haben, bislang immer gesagt: Du musst keine Sorge haben, das wird in Ordnung kommen. - Trotzdem schlagen wir für den Fall, dass es doch klemmen sollte, vor - in diesem Fall und auch bei großen Verkehrsinfrastrukturvorhaben -, im Haushalt Vorsorge zu treffen und Überjährigkeit zu beschließen. Wenn wir sie nicht brauchen, umso besser. ({4}) Ich will zum Schluss noch auf die Wirtschaft im Osten zu sprechen kommen, wohl wissend, dass es inzwischen schick geworden ist, nicht mehr über den Osten zu reden. Selbstverständlich weiß ich auch, welche Probleme im Ruhrgebiet und in Bremen zu finden sind. Selbstverständlich weiß ich, dass es inzwischen manche Leuchttürme im Osten gibt, über die wir reden. Das ist im Detail alles richtig, aber insgesamt falsch. Sie können das beispielsweise ablesen am Industrieatlas der DAXUnternehmen, den die Beauftragte für die neuen Bundesländer vor kurzem veröffentlicht hat. Oder Sie können sich die Veröffentlichung über die Zahl der Millionäre, also die Einkommensverteilung, im Osten anschauen. Deshalb werden wir weiter vorschlagen, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu fördern, wohl wissend, wie kompliziert es bei der Kofinanzierung ist. Wir werden Einsparungen beim Luft- und Raumfahrtzentrum zugunsten des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand vorschlagen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber jetzt nichts mehr vorschlagen, weil Sie über die Redezeit sind. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bedanke mich, Frau Präsidentin, für den Hinweis und habe das auch als Mahnung verstanden. - Wir brauchen eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. Dies geht mit diesem Etat nicht. Wir wollen eine sozialökologische Gerechtigkeitswende. Davon sind wir noch weit entfernt, aber da wollen wir hin. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner in der Debatte: Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fühle mich zurzeit in Deutschland ausgesprochen wohl. ({0}) Uns geht es in Deutschland auch ausgesprochen gut. Der Bundeswirtschaftsminister hat eben völlig zu Recht gesagt: Wir haben in Deutschland 42 Millionen Beschäftigte. Wir haben über 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das ist eine Zahl, die es ewig nicht gegeben hat. Dadurch haben wir alle Sozialversicherungssysteme wieder in einen Zustand versetzt, der es erlaubt, dass wir nicht mit irgendwelchen Zuschüssen rechnen müssen. Das hat uns - darüber kann man glücklich sein oder nicht glücklich sein - auch in die Lage versetzt, die Rente mit 63 und die Mütterrente umzusetzen. Das wäre überhaupt nicht gegangen, wenn sich die Sozialversicherungssysteme nicht in diesem exzellenten Zustand befänden. ({1}) Das bedeutet, dass wir in den letzten neun Jahren den richtigen Weg gegangen sind; in neun Jahren Angela Merkel haben wir es richtig gemacht. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit Jahren nicht. Übrigens: Das Allerbeste ist - ich denke, das müsste jeder in diesem Hohen Hause genauso sehen -: Die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem niedrig. Wenn man sie mit der in irgendeinem europäischen Land vergleicht, kann man nur sagen: Es geht uns ziemlich gut. ({2}) Meine Damen und Herren, parallel dazu sind wir Vizeexportweltmeister. Es ist eine Erfolgsstory für ein relativ kleines Land, so hohe Exportleistungen an den Tag legen zu können. Das liegt daran, dass wir über Jahre einen Konsolidierungskurs gefahren haben, der sich gelohnt hat; denn jetzt sind wir so weit, dass wir erstmalig eine schwarze Null fahren, einen Haushalt hinbekom4596 men, in dem es keine Neuverschuldung mehr gibt. Das schaffen wir ohne Steuererhöhungen. Ich weiß, wie schwierig die Diskussionen in den Koalitionsverhandlungen gewesen sind. Aber mittlerweile, Herr Minister, haben wir uns gemeinsam daran gewöhnt, dass es eben keine Steuererhöhungen geben wird. Und das ist auch gut so. ({3}) Wir sollten das auch unseren europäischen Freunden immer wieder mitteilen. Denn das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ohne Neuverschuldung lebt es sich wesentlich besser. Es hat auch in keinem einzigen Land bis jetzt irgendetwas gebracht, wenn mit hoher Verschuldung irgendwelche Konjunkturprogramme finanziert worden sind. Das waren in aller Regel Seifenblasen, die dann auch dementsprechend schnell kaputt waren. Ist also alles in Butter, wie es so schön heißt? Man muss nicht unbedingt ein Hellseher sein, um zu sehen, dass am Horizont doch ein paar dunkle Wolken aufziehen. Es gibt eine durchaus nachlassende Dynamik auf den für uns wichtigsten Auslandsmärkten, Stichwort China. Da sieht es nicht mehr so gut aus: von wegen zweistelliges Wachstum - das war einmal. Es gibt Streiks und permanente Streikandrohungen in einem Bereich Deutschlands, in dem man fast von Daseinsvorsorge sprechen kann, nämlich bei der Luftfahrt und der Bahn. ({4}) Das wird unsere Zuverlässigkeit nicht unbedingt fördern und macht mir Sorgen. Ich wünsche mir, dass die Bundesarbeitsministerin möglichst schnell mit einem vernünftigen Vorschlag kommt, der natürlich die Rechte der kleinen Gewerkschaften berücksichtigt, der aber auch sicherstellt, dass ganz kleine Gruppierungen - ich sage jetzt mal: und wenn es die Feuerwehr bei BASF ist - nicht ein riesiges Unternehmen lahmlegen. Das darf uns nicht passieren. Wir müssen dafür Lösungen finden. Ich weiß, dass das kompliziert ist. Ich weiß auch, dass das verfassungsrechtlich - Stichwort Artikel 9 - nicht einfach ist. ({5}) Hinnehmen können wir es so aber nicht, dass sich eine Gruppe von 5 000 Leuten herausnimmt, nicht nur den Flugverkehr für Personen, sondern auch den CargoVerkehr lahmzulegen. Das bereitet uns als Exportnation erhebliche Schwierigkeiten. Das wird eine wichtige Aufgabe sein. ({6}) Wir haben durch die Auseinandersetzung mit Russland natürlich Probleme. Ich finde es völlig richtig, was der polnische Präsident heute Morgen hier in diesem Hohen Hause gesagt hat. Es war eine bemerkenswerte Rede. Aber dass die Sanktionen der deutschen Wirtschaft wehtun, wollen wir nicht verschweigen. Ich darf in diesem Zusammenhang einmal ausdrücklich den BDIPräsidenten loben, der gesagt hat: Klar ist, dass der Frieden in Europa und die Geltung des Völkerrechts Vorrang vor unseren wirtschaftlichen Interessen haben. - Ich finde, das ist eine sehr bemerkenswerte Aussage. Denn er hat die Interessen der Wirtschaft deutlich hinter das Völkerrecht gestellt. Dafür sollten wir ihm auch in diesem Hohen Hause dankbar sein. Das ist sehr verantwortlich. ({7}) All das führt nicht unbedingt dazu, dass wir uns in einer wirtschaftlich besseren Situation als in den Jahren zuvor befinden. Das heißt: Wir müssen jetzt darauf achten, dass es keine zusätzlichen Belastungen gibt. Ich bin dem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder sehr dankbar für die klaren Worte heute Morgen in seiner Rede, in der er sehr deutlich gemacht hat, dass jetzt Schluss mit weiteren Belastungen ist. Erhebliche Sorgen bereitet mir der Investitionshaushalt. Über den Investitionshaushalt der öffentlichen Hand will ich gar nicht reden; das haben Sie getan. Dass das besonders toll ist, was da investiert wird, kann man nicht unbedingt sagen. Obwohl wir beispielsweise die Kommunen zusätzlich mit annähernd 10 Milliarden Euro ausgestattet haben, wird wenig investiert. In vielen Ländern - Stichwort NRW - wird fast überhaupt nichts investiert. ({8}) Die haben schon seit Jahren keinen verfassungsgemäßen Haushalt mehr hinbekommen. Obwohl wir deutliche Fortschritte in dieser Koalition gemacht haben, sind auch die Investitionen in unserem Haushalt nicht so, dass man sagen kann: Wir werden all die Probleme lösen können, die vor uns liegen. - Vor allen Dingen im Verkehrs- und Infrastrukturbereich ist ein ganz dicker Betrag erforderlich, der sich eher in der Größenordnung dessen bewegt, was wir heute für das EEG ausgeben. Wir werden uns in der nächsten Zeit darüber Gedanken machen müssen, wie wir diese Investitionen, unter Umständen über öffentlich-private Partnerprogramme, pushen und wie wir zu mehr Investitionen kommen können. Denn das macht mir Sorge. Sorge macht mir aber auch - da sollten wir genau hinschauen -, dass in der Industrie ein ähnlicher Attentismus feststellbar ist. Zumindest in der energieintensiven Industrie finden kaum noch vernünftige Investitionen statt. Der VDMA hat eine Statistik herausgegeben, die besagt, dass energieintensive Unternehmen zurzeit nur noch 80 Prozent ihrer Abschreibungen reinvestieren. Was heißt das denn? Das heißt im Prinzip nichts anderes, als dass in fünf Jahren die Investitionen aufhören. Der Unterschied zwischen einem Unternehmen und einem Bürger ist, dass sich der Bürger beim Amt abmelden muss, wenn er umzieht. Die Industrie macht das nicht. Irgendwo investieren sie, jedenfalls nicht in Deutschland. Da sind wir gefordert, und zwar alle gemeinsam, darüber nachzudenken, was wir denn machen können, um diesen Attentismus zurückzuführen, und was die Gründe dafür sind, dass es einen solchen InvestitionsatDr. Michael Fuchs tentismus gibt. Da ist an allererster Stelle natürlich das Energieproblem: Die energieintensive Industrie kann sich Deutschland nicht leisten. ({9}) Das wird uns immer schwerer treffen; es wird in der nächsten Zeit immer mehr darüber diskutiert werden. Es ist ja nicht so, als könnten wir auch nur annähernd erwarten, dass es da einen Schritt zurück geben wird, dass es billiger wird - nein, es wird teurer. In anderen Ländern läuft es genau umgekehrt: Die Strom- und Gaspreise in den USA sind göttlich niedrig. Das liegt natürlich am Fracking und all den Folgen, die das hat. ({10}) Dann gibt es in diesem Hohen Hause natürlich immer wieder Versuche, weitere Belastungen für die Wirtschaft zu schaffen, leider auch - Herr Gabriel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das schon zurückgewiesen haben - das eine oder andere Mal aus Ihrer Fraktion, Stichwort Antistressgesetz. Lieber Thomas Oppermann, wenn das Gesetz käme, dann dürftest du nach 18 Uhr deine Kollegen nur noch dann anrufen, wenn Andrea Nahles es dir erlaubt. ({11}) Das wollen wir nicht haben; wir wollen eine solche Regelung nicht. Stellen Sie sich bitte einmal vor, da ist ein Handwerksbetrieb, bei dem ein Kunde anruft und sagt: „Bei mir ist eine Wasserleitung geplatzt“, und der Handwerksmeister darf seinen Gesellen nicht mehr anrufen, weil es nach 18 Uhr ist und er sonst Stress hätte. So etwas kann es nicht geben. Es ist, wenn überhaupt, die Aufgabe der Tarifpartner, so etwas zu regeln. Das machen sie, dazu haben sie die Kompetenz; dafür brauchen sie uns nicht. ({12}) Deswegen sollten wir solche Gesetze nicht machen. Wir werden uns sehr intensiv mit dem Thema Fracking zu beschäftigen haben. Es wird Sie nicht wundern, dass ich es noch kurz erwähnen muss. Aber es macht mir einfach Sorge, dass Deutschland heute zu 40 Prozent von russischem Gas abhängig ist. ({13}) Wenn ich höre, was Putin am letzten Wochenende wieder gesagt hat, nämlich dass wir uns nur ja nicht trauen sollen, auch nur 1 Kubikmeter Gas an die Ukraine zurückzuliefern, weil er uns in diesem Moment sofort das Gas abstellen würde, dann beruhigt mich das nicht wirklich. ({14}) Also ist es unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, welche technischen Möglichkeiten, welche anderen Möglichkeiten wir überhaupt haben. ({15}) Man muss sich ein Stück weit wundern, wenn selbst Panorama, eine Fernsehsendung, die man nicht gerade als katholisch und CDU-nah bezeichnen kann, ({16}) uns mittlerweile mitteilt, dass das mit dem Fracking ja wohl ein Irrtum von Panorama und auch aus dem Hause UBA gewesen sei und dass Frau Krautzberger anscheinend das Gutachten, das für das UBA erstellt wurde, nicht verstanden hat. Das mag an mangelnder Intellektualität oder woran auch immer liegen - jedenfalls hat sie es völlig falsch ausgelegt und dann auch noch die Bundesumweltministerin falsch beeinflusst. ({17}) Ich empfehle jedem, sich einmal diese Sendung anzusehen, aus der deutlich hervorgeht, dass Fracking keine Gefahr für Deutschland darstellt ({18}) und wir Fracking unproblematisch betreiben können. Das halte ich für notwendig.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Lieber Michael Fuchs, ich muss jetzt Stress machen. Sie sind über die vorgesehene Redezeit hinaus.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, dass wir das tun müssen. ({0}) Zum Schluss möchte ich - das kann ich ziemlich unbeschwert tun - Bodo Hombach zitieren, der gesagt hat: Es muss jetzt Schluss sein mit dem „Fräckingsausen“. Recht hat er.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Würden Sie eine Zwischenfrage oder Anmerkung von Frau Hendricks erlauben?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer, ja.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Fuchs, ich bin von der Präsidentin des UBA, Frau Krautzberger, deren intellektuelle Kapazität ich keinesfalls in Zweifel ziehen möchte, ({0}) nicht falsch beeinflusst worden. Ich darf Sie aber vielleicht darauf hinweisen, dass dem UBA zwei Gutachten vorliegen und Panorama fälschlicherweise und wider besseres Wissen nur aus dem einen Gutachten zitiert hat und die UBA-Pressestelle rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass dies eine einseitige Sichtweise, bezogen auf ein einziges und nicht auf die Summe zweier Gutachten, war. Im Übrigen bitte ich Sie einfach, die Diskussion mit Ihrem Kollegen Mattfeldt zu führen. ({1})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Hendricks, selbstverständlich werde ich das tun; davon können Sie schon ausgehen. Zweitens darf ich Ihnen aber mitteilen, dass Professor Dannwolf, der das Gutachten für das Umweltbundesamt erstellt hat, klar und deutlich gesagt hat und es auch Ihnen und Frau Krautzberger mitgeteilt hat, dass diese Techniken heute risikolos und sicherlich beherrschbar seien. ({0}) Dieses Gutachten ist vom Umweltbundesamt in Auftrag gegeben worden. Es wundert mich, dass es unter der Decke gehalten wird. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Fuchs. - Darüber werden wir sicher noch heftige Debatten führen. - Nächste Rednerin in der Debatte: Kerstin Andreae für Bündnis 90/ Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fuchs, Sie heben zu Beginn Ihrer Reden gerne Zeitschriften hoch. Dieses Mal haben Sie das nicht gemacht. Sie hätten den Spiegel von dieser Woche mit dem Titel „Der Bröckelstaat“ hochhalten können. Seit Jahren investiert der Staat weniger, als zum Erhalt der Infrastruktur notwendig wäre. ({0}) Da muss im Wirtschaftsministerium die Alarmglocke angehen. Sie sagen: Wir haben eine schwarze Null. Sie sagen: Wir nehmen keine neuen Schulden auf. Fakt ist aber, dass Sie sich weiterhin verschulden. Sie holen sich das Geld im Augenblick nicht bei den Banken, aber Sie mindern das Erbe unserer Kinder und verschulden sich an der Zukunft. Das ist das, was Sie gerade tun. ({1}) Es bröckelt an allen Ecken und Kanten, bei Straßen, Brücken und Schulen. Als Begründung sagen Sie: Die Kassen sind leer - trotz stetig steigender Steuereinnahmen. Heute Morgen wurde es gesagt: 111 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen in den kommenden vier Jahren. Trotz dieser Steuereinnahmen sind die Kassen leer? Wir Grünen sagen klipp und klar: Nicht jede Investition ist sinnvoll, viele davon sind sogar absoluter Blödsinn. ({2}) Was Sie als Erstes machen müssten, wäre, die Spatenstichpolitik von Dobrindt zu stoppen. Nach wie vor geht nur jeder vierte Euro in den Erhalt von Straßen; 75 Prozent des Etats gehen in den Neubau. Dabei bröckeln die Brücken so stark, dass die Lkws nicht mehr darüber fahren können. Stoppen Sie diese Verschwendung! Setzen Sie die Priorität auf den Erhalt von Straßen und Brücken. ({3}) Ich möchte, dass wir über Wettbewerbsfähigkeit sprechen. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir sehen einfach nur zu, wie ganze Orte von der digitalen Entwicklung abgekoppelt sind, weil sie nicht über schnelles Internet verfügen. Das ist im Übrigen ein Thema, das im Wahlkampf eine große Präsenz hatte. Der Breitbandausbau wurde von allen gefordert, vorneweg von der SPD. Aber nichts passiert. 1,4 Milliarden Euro werden in die Luft- und Raumfahrt investiert und gerade einmal 73 Millionen Euro in neue Informations- und Kommunikationstechnologien. Das sind 5 Prozent. Was fehlt, ist eine offensive Breitbandstrategie. Wir sagen: Machen Sie endlich Schluss mit Dobrindts Politik, bei der Maut sowieso, aber auch beim mangelnden Breitbandausbau. Investieren Sie in die Infrastruktur der Zukunft. Machen Sie Ihr Versprechen vom Breitbandausbau wahr, ({4}) und zwar so, dass man davon mal etwas merkt. Sie versprechen seit Jahren, dass Sie das tun. Faktisch kommt aber nichts an. Das ist aber ein entscheidender Faktor für unsere Wettbewerbsfähigkeit in zehn Jahren. Das entscheidet darüber, ob am Standort investiert wird. Es geht - das ist zu Recht angesprochen worden - nicht nur um öffentliche Investitionen. Es geht auch um private Investitionen. Klare Signale an die Unternehmerinnen und Unternehmer und an die Investoren sind nötig. Ich finde, Sie haben im vergangenen halben Jahr gerade bei der Energiewende an vielen Stellen Missmanagement an den Tag gelegt. Ich will das an einer Stelle verdeutlichen, die zeigt, dass Ihnen die Investoren wirklich wegbrechen: Wirtschafts- und Energieminister Gabriel hat zugestimmt, dass jetzt jedes Bundesland seine eigenen Abstandsregeln für Windkraftanlagen festlegen kann. Das bedeutet erstens, dass Flächen für den Windkraftausbau drastisch reduziert werden. Es bedeutet aber noch etwas anderes: Was passiert denn, wenn ein Investor Repowering machen möchte, wenn er die Anlagen ertüchtigen möchte, wenn er ein besseres Windrad aufstellen möchte? Was passiert dann? Dann greift die Abstandsregel. So hat uns das Staatssekretär Baake im Wirtschaftsund Energieausschuss klar und deutlich gesagt. Das heißt faktisch, dass Neuinvestitionen und Ertüchtigungen bei Windenergie nicht mehr möglich sind. Das ist doch absurd. Das kann ein Energie- und Wirtschaftsminister unserer Ansicht nach nicht zulassen. Das haben Sie aber zugelassen. Hier hätten Sie Seehofer in den Arm springen müssen; denn Deutschland bleibt nur Technologiestandort, wenn hier geforscht wird. ({5}) - Ich kann mir vorstellen, dass das Bild, Seehofer in den Arm zu springen, nicht ganz so hübsch ist; aber Sie wissen, wie ich es gemeint habe. ({6}) - Ja, oder für ihn; je nachdem. Ich glaube, beide leiden. Der Mittelstand braucht Impulse. Sie haben ja nicht nur den Breitbandausbau immer wieder im Wahlkampf thematisiert, sondern auch immer gesagt, dass Sie eine steuerliche Forschungsförderung machen werden. Das können Sie jetzt als Große Koalition auf den Weg bringen. Sie hätten sogar unsere Unterstützung. Wieso gelingt es nicht, das zu machen, was 27 von 34 OECDLändern machen? Warum fördern Sie nicht Kreativität, Tüftlertum, den Geist von vielen kleinen Unternehmen und bringen die steuerliche Forschungsförderung auf den Weg? Denn dort ist unheimlich viel Potenzial. Nein, Sie machen Projektförderung. Wir wollen aber steuerliche Forschungsförderung. Da sind wir uns mit den Wirtschaftsexperten dieses Landes einig und im Übrigen auch mit Ihren Wirtschaftspolitikern. Zeigen Sie Initiative, und machen Sie steuerliche Forschungsförderung. Das wäre eine kluge, vorausschauende Wirtschaftspolitik. ({7}) Sie haben gesagt, wie wichtig Ihnen Investitionen in die Zukunft sind. Was haben Sie gemacht? Sie haben ein 160 Milliarden Euro schweres Rentenpaket beschlossen. Die Rentenkasse, Herr Fuchs, wird in den nächsten Jahren leer sein. Sie machen sie leer. So kommt übrigens auch der Haushalt zustande. Sie bedienen sich derart bei den Sozialkassen, dass man dafür gar keine Worte findet. Sie schröpfen die Rentenkasse, und Sie schröpfen die Gesundheitskasse. Es ist auch wirtschaftspolitisch Unfug, Frühverrentung zu fördern und höhere Sozialbeiträge herbeizureden. Ein Wirtschaftsminister muss sich doch dagegen stellen und sagen: Wir geben Antworten auf den Fachkräftemangel und auf den demografischen Wandel. - Wir brauchen keinen Griff in die Sozialkassen und keine Beitragssatzsteigerung, sondern eine kluge Politik, die auch in den nächsten Jahren eine soziale Sicherung garantiert, und zwar wirtschaftspolitisch abgefedert. Das muss ein Wirtschaftsminister machen. ({8}) Schließlich erwarten wir von einem Wirtschaftsminister, dass er sich zum Anwalt einer nachhaltigen Konsolidierung macht, und zwar nachhaltig im besten Sinne. Ich nenne als Stichworte Investitionen und Innovationen für den Klimaschutz, eine konsequentere Energiewende, Ressourcenschonung und Energieeffizienz; das ist ein ganz wichtiges Thema. Aber wir müssen auch aus einer europäischen und globalen Perspektive den Blick darauf haben, wie die europäische Strategie „weg vom Öl“ aussieht. Wie sieht denn die europäische Energiewende aus?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin!

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Dafür brauchen wir eine wirtschaftspolitische Agenda, die über das hinausgeht, was der Wirtschaftsminister hier angedeutet hat. Dafür muss man sich auch einmal mit den Unternehmen und mit den Gewerkschaften anlegen. Letzter Satz. Stichwort Tarifeinheit: Ich warne den SPD-Parteivorsitzenden und die SPD-Bundestagsfraktion davor, leichtfertig mit dem Thema Streikrecht und leichtfertig mit dem Thema Koalitionsfreiheit umzugehen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Letzter Satz.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie bei der Tarifeinheit machen. ({0}) Wir stehen für Tarifpluralität. Ich danke Ihnen. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin. - Nächster Redner in der Debatte ist Wolfgang Tiefensee für die SPD. ({0})

Wolfgang Tiefensee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist die Aufgabe der Opposition, sich dieses oder jenes herauszupicken, schwarzzumalen und zu prognostizieren, dass alles ganz schlimm wird. Es wäre nicht schlecht, wenn in diesem Hause dennoch zunächst die Zahlen und Fakten sprechen würden. Deutschland ist in einer sehr robusten wirtschaftlichen Situation. Wenn wir uns das Bruttoinlandsprodukt anschauen, dessen Steigerung wir nach wie vor mit 1,8 Prozent prognostizieren, und wenn wir uns den Arbeitsmarkt anschauen, dann kann man sagen: Trotz eines schwierigen europäischen und internationalen Umfelds stehen wir gut da. In Richtung der Linken - Herr Ernst hat gleich Gelegenheit, zu diesem Thema zu sprechen - sage ich: Ein Blick auf den Osten ist ebenfalls interessant. Die große Lücke, die wir bisher bei der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes zwischen den westlichen und den östlichen Ländern gesehen haben und die der Durchschnitt eben nicht abbildet, hat sich geschlossen. Die starken ostdeutschen Länder haben beim BIP und beim BIPWachstum aufgeschlossen; sie haben sogar zum Teil die schwächeren westlichen Länder überholt. Schauen wir uns die Arbeitslosigkeit an. Sie beträgt im Durchschnitt in Deutschland 6,7 Prozent, in Ostdeutschland 9,4 Prozent, im Westen 6 Prozent. Angesichts dieser Zahlen kann nicht mehr regelmäßig die schlimme Nachricht verbreitet werden, dass die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland doppelt so hoch ist. Das ist ein Erfolg der letzten Jahre, ein Erfolg der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Unternehmer und derjenigen, die die Ärmel hochgekrempelt haben. ({0}) Schaut man sich die Konjunkturberichte des DIHK an, sieht man durchweg eine positive Resonanz bei den Unternehmen. Der ZDH hat eine Konjunkturumfrage durchgeführt. 86 Prozent der Handwerksbetriebe sind mit der Situation ihres Betriebes sehr zufrieden bzw. zufrieden. Das ist eine sehr gute Ausgangslage für die Zukunft. Das Wachstum, das auf das Handwerk entfällt, wird das Wachstum der allgemeinen Wirtschaft, des BIP, sogar um 2 Prozent übersteigen. Schaut man sich den Export an - er ist schon angesprochen worden -, stellt man fest: Wir haben die magische Grenze von 100 Milliarden Euro überschritten. Bei den Ausrüstungsinvestitionen ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Das Auftragsvolumen der Industrie ist von Juni auf Juli dieses Jahres um 4,6 Prozent gestiegen. Insgesamt haben wir also eine sehr gute wirtschaftliche Lage. Jetzt geht es darum, zu diagnostizieren: Wo sind die Gefahren? Wo sind die Herausforderungen? Ich will zunächst bei dem international schwierigsten Thema, nämlich bei den Brandherden auf dieser Welt, beginnen, und als Beispiel die Ukraine erwähnen. Die Sanktionen werden auch von der deutschen Wirtschaft, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als das richtige Instrument, als die richtige Antwort auf die katastrophalen Zustände und die katastrophale Politik Putins betrachtet. Greifen wir den Maschinen- und Anlagenbau heraus. Hier beträgt das Umsatzvolumen 200 Milliarden Euro; 9 Milliarden Euro davon entfallen auf das Geschäft mit Russland. Es wird prognostiziert, dass dieser Anteil auf 4,5 Milliarden Euro sinken wird. Das entspricht einem Minus von 2 Prozent. Das ist nicht gravierend. Aber mit Blick auf Sie, Herr Wirtschaftsminister, und die Regierung sage ich: Ich finde, wir müssen jetzt intensiv darüber nachdenken, welche Antwort wir kurz- und mittelfristig geben, wenn Mittelständler oder auch große Unternehmen fragen: Wie können wir eine Entlastung erfahren? Wie können wir neue Märkte erschließen? Da sind mir zwei Dinge wichtig. Der erste Punkt ist: Wir müssen die USA und insbesondere Afrika als neue Märkte erschließen. Meine Bitte ist, dass wir in der Zukunft darüber nachdenken, wie wir die Hermesbürgschaften so gestalten können, dass der Mittelstand dort insbesondere gegenüber den chinesischen Wettbewerbern Fuß fasst. Die Produkte müssen dort ihren Markt haben und ihre Käufer finden. Dazu braucht es eine intensive, eine intensivere Unterstützung durch die Bundesregierung in Form von Hermesbürgschaften. Das zweite Thema - es wurde schon mehrfach angesprochen - betrifft das Freihandelsabkommen und die Öffnung der Märkte insbesondere gegenüber den USA. Darüber, dass wir keinen Investorenschutz brauchen, ist hinlänglich diskutiert worden. Dass wir unsere klaren Positionen haben - zur öffentlichen Daseinsvorsorge, zur Kultur, zu vielen anderen Fragen, auch was das Chlorhühnchen usw. angeht -, ist sattsam bekannt. Ich plädiere dafür, das, was den Mittelstand und die großen Unternehmen tatsächlich interessiert, möglichst schnell zu verhandeln und zum Abschluss zu bringen, nämlich die nichttarifären Handelshemmnisse. Wenn wir uns darauf beschränken und in einer ersten Etappe mit den USA hier möglichst schnell Boden gewinnen, können wir dem Mittelstand nachhaltig helfen. Schauen wir ins Inland, stellen wir fest: Die Investitionsquote liegt auf einem bedenklichen Niveau. Sie beträgt nach wie vor 17 Prozent. Der OECD-Durchschnitt legt die Latte mit 20 Prozent wesentlich höher. Was müssen wir hier tun? Wir müssen uns anschauen: Wo werden die meisten Investitionen getätigt? 51 Prozent, also über die Hälfte, werden im Bereich der öffentlichen Hand getätigt. Darauf reagiert die Bundesregierung. Darauf werden auch wir als Bundestag mit der Verabschiedung dieses Haushalts reagieren. Es ist schon angesprochen worden: Die zusätzlichen 5 Milliarden Euro, die auf 10 Milliarden Euro per annum aufwachsen, werden helfen, die Investitionen anzukurbeln. Das ist die richtige Antwort auf diese Frage. ({1}) Ein weiterer wichtiger Punkt, der in Zukunft auf der Agenda stehen wird, betrifft das Stichwort „Industrie 4.0“. Hier macht mir etwas Sorgen. Auch in der Rede von Frau Bundeskanzlerin kam, nachdem der Begriff „Industrie 4.0“ gefallen ist, sofort der Hinweis auf den IT-Gipfel. Uns in Deutschland muss es zusätzlich zu diesem Blickwinkel aber um etwas ganz anderes gehen. Wir müssen die Mittelständler, insbesondere im Maschinenund Anlagenbau und im Automobilbau, in den Blick nehmen. Das ist nämlich kein Thema, das nur den IT-Bereich betrifft, sondern es ist ein Thema, das vorwiegend im Maschinen- und Anlagenbau und in der Automobilindustrie eine Rolle spielt. Warum? Zum Ersten müssen wir uns darum kümmern, dass sich alle, in Kindergarten über die Hochschule bis zu den Facharbeitern, die sich nachqualifizieren müssen, auf diese neue Entwicklung einstellen. Zum Zweiten müssen wir bedenken, dass wir bei den IT-Instrumenten immer ein Stück hinter den Amerikanern herhinken werden. Wir können Leitmarkt, Leitanbieter für Industrie 4.0 werden, wenn wir uns insbesondere auf den Maschinenbau und die Automobilindustrie konzentrieren. ({2}) Des Weiteren werden wir das ZIM-Programm um 30 Millionen Euro auf 443 Millionen Euro aufstocken. Der Plafonds für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit 600 Millionen Euro wird in den nächsten Jahren eine Steigerung erfahren. Wir werden Existenzgründungen fördern, beispielsweise durch die Freistellung von der Ertragsteuer. Oder denken Sie an die Mini-Mezzanine-Fonds, an das, was wir kleinen Start-ups, kleinen Unternehmen, kleinen Mittelständlern geben, damit sie sich entwickeln können. Auch hier gibt es einen Aufwuchs von 35 Millionen Euro auf 70 Millionen Euro. Das alles sind wichtige Instrumente, um deutlich zu machen: Sowohl die Wirtschaftskraft von nebenan, das Handwerk, als auch die Industrie werden in Deutschland gestärkt, damit sie europäisch und global wettbewerbsfähig bleiben, Arbeitsplätze schaffen und erhalten und hier im Land investieren. Denn das brauchen wir, damit das Wirtschaftswachstum auch in Zukunft stabil bleibt. Wir wollen diese Politik so fortsetzen. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in der Debatte ist Klaus Ernst für Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. „Ja, wir haben in Deutschland seit zehn Jahren eine schlechte Investitionsentwicklung, und zwar zuallererst mal im öffentlichen Bereich“, haben Sie, Herr Wirtschaftsminister, heute früh im Rundfunk gesagt. Ich habe das zur Kenntnis genommen. Sie haben recht. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass dieser Zustand, den Sie da beschreiben, natürlich auch von Ihrem jetzigen Koalitionspartner mit verursacht wurde; denn die Investitionen sind ja irgendwann von Leuten unterblieben, die darüber entschieden haben. Wir waren es nicht. ({0}) Das waren Sie. Zweitens. Der Spiegel schreibt: Kaum eine andere Industrienation geht so fahrlässig und knauserig mit der eigenen Zukunft um. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnet, dass, um den Status quo zu halten, also das, was wir jetzt haben, jährlich 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen notwendig wären. 100 Milliarden Euro! Das kann ich in Ihrem Haushalt beim besten Willen nicht finden. Ich stelle vielmehr fest, dass wir hier die schwarze Null als Riesenerfolg feiern. Angesichts des notwendigen Investitionsbedarfs ist die schwarze Null aber doch geradezu absurd. Herr Minister, Sie haben vorhin, bezogen auf das Schuldenmachen, gesagt, das wäre falsch. Sie haben übrigens auch in dem Interview gesagt - das hat mich geradezu erstaunt -, durch mehr Schulden bekomme man ja nicht mehr Geld für Investitionen. - Natürlich, Sie können geliehenes Geld für Investitionen ausgeben. Mich wundert diese ganze Politik deshalb sehr, weil wir aktuell eine ganz besondere Situation haben. Gestern hat Herr Schäuble Schatzanweisungen zu Zinsen unter 0 Prozent verkauft. Mit anderen Worten: Die, die ihm das Geld geben, bekommen nachher weniger zurück, als sie ihm gegeben haben. Wenn ich in einer Situation Geld aufnehme, für das ich null Zinsen zahlen muss, gleichzeitig 100 Milliarden Investitionsbedarf habe und die schwarze Null feiere, dann versteht das doch die Welt nicht mehr. Da müssen Sie doch als Wirtschaftsminister eingreifen und sagen: Wir brauchen Investitionen, um dieses Land am Laufen zu halten. ({1}) Von der schwarzen Null kann keiner leben, Herr Gabriel. Das ist das Problem. ({2}) - Zu Ihnen komme ich gleich noch. Gerade hat sich Herr Fuchs in seinen hervorragenden Ausführungen - er ist ja wirklich ein Fuchs in dieser Frage ({3}) noch einmal für private Investitionen ausgesprochen. Dazu sagt Herr Bofinger, Wirtschaftsweiser - ich habe den Eindruck, er ist ein bisschen weiser als Herr Fuchs -: ({4}) In der Regel ist PPP - Public Private Partnership teurer als eine konventionelle öffentliche Investition, da sich der Staat sehr viel günstiger finanzieren kann als private Investoren. Im Gegensatz zum Staat wollen sie zudem noch einen Gewinn erzielen. Sie legen hier also ein Konzept vor, das vielleicht Ihren Freunden Gewinn verschafft; aber der Steuerzahler muss es zahlen. Es ist Unfug und deshalb abzulehnen. ({5}) Es gäbe eine Lösung, wie wir tatsächlich ohne zusätzliche Schulden das finanzieren könnten, was notwendig ist. Diese Lösung hatte auch die SPD ein Stück weit in ihrem Wahlprogramm stehen; ich habe mich darüber gefreut. Ihr habt das leider zu schnell aufgegeben. Der Punkt, den ich meine, ist: Natürlich brauchen wir auch vernünftige Steuererhöhungen, ({6}) um das zu bezahlen, und zwar Steuererhöhungen bei denen, denen das nicht wehtun. In der Bundesrepublik Deutschland befinden sich 35 Prozent des Vermögens im Besitz des reichsten Prozents. Das sind übrigens die Vermögen, die trotz Krise weiter gewachsen sind. Wenn wir nicht dort, wo das Wachstum gelandet ist, bei den Privaten, ({7}) durch Steuern etwas abschöpfen, dann wird der Staat künftig nicht mehr in der Lage sein, seine Aufgaben zu erfüllen; das ist ein großes Problem. ({8}) - Weil Sie, meine Herren, sich da so aufregen, möchte ich einmal erwidern, was Herr Stephan Hebel in der Frankfurter Rundschau von heute dazu schreibt - ich zitiere -: Ein Land atmet auf, weil es keine Schulden mehr macht - und nimmt die Verrottung seiner Besitztümer in Kauf. So ein Land hat die Milchmädchen an der Macht fast schon verdient. - Es können auch Milchbubis sein. ({9}) Meine Damen und Herren, natürlich wäre es notwendig, dass wir über einen vernünftigen Spitzensteuersatz nachdenken; er liegt nach wie vor 11 Prozentpunkte niedriger als unter Kohl. Und es wäre notwendig, dass wir über eine Abschaffung der Abgeltungsteuer nachdenken und einen vernünftigen Steuersatz entsprechend dem für das private Einkommen vorsehen. Wir müssten auch wieder über eine vernünftige Körperschaftsteuer nachdenken. - Aber Sie lehnen Steuererhöhungen ab und verhindern damit, dass der Staat das Geld bekommt, das er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen. Was daran vernünftig sein soll, verstehe ich nicht. ({10}) Jetzt kommen wir zu der Situation, dass - Sie haben das angesprochen - auch die Unternehmen zu wenig investieren. Wundert es Sie eigentlich nicht, dass das so ist? Was ist alles unternommen worden, um die Anreize für die Unternehmen zu erhöhen, damit sie doch bitte schön freudiger Geld investieren. Da wurden die Löhne gedrückt, da wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert, da wurde ein Niedriglohnsektor aufgebaut, da wurden Leiharbeit und befristete Beschäftigung ausgeweitet. Trotzdem investieren die Unternehmen nicht. Haben Sie sich eigentlich einmal die Frage gestellt, warum? Die einzige Erklärung dafür ist offensichtlich, dass die Senkung des Faktors Lohnkosten nicht ausreicht; wir brauchen Nachfrage. ({11}) Dadurch, dass Sie die Löhne und die Renten senken in diesem Land, machen Sie die Nachfrage kaputt. Das gilt auch auf europäischer Ebene: Durch das Abwürgen der Wirtschaft in Südeuropa haben Sie dazu beigetragen, dass die Probleme dort zunehmen. Wenn die Nachfrage fehlt - egal ob in Deutschland oder in Europa -, wird natürlich auch kein Wachstum möglich sein. Sie können sich kaputtsparen und bekommen trotzdem kein Wachstum zustande. Deshalb brauchen wir eine andere Politik. Wir brauchen ({12}) höhere Löhne, höhere Renten und vor allen Dingen ein Investitionsprogramm, und zwar möglichst rasch, für Südeuropa; das ist notwendig. ({13}) In der Presse wird von der schwarzen Null geredet und der Finanzminister ist gemeint. Ich wäre also ein bisschen vorsichtig damit, von roten Nullen zu reden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie langsam zum Schluss?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren, ich habe meine Redezeit bereits ausgeschöpft und werde gleich aufhören. Nur noch eine kleine Bemerkung, die letzte, zu CETA; ich bin auch gleich fertig.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber wirklich!

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich wundere mich nur, Sigmar Gabriel; denn ihr habt etwas ganz anderes gesagt. Es steht ein Investorenschutz im CETA-Abkommen. Ich weiß auch, dass fraglich ist, ob dieses Parlament überhaupt mitreden darf in dieser Frage. Bitte klären Sie das! So ist das wirklich nicht zu akzeptieren. Danke fürs Zuhören. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Ernst. - Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist Dr. Joachim Pfeiffer. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man hier hört, wie schlecht es uns angeblich geht, muss endlich einmal gesagt werden: Das Gegenteil ist der Fall. Es ist doch deutlich geworden: Deutschland geht es gut, und zwar so gut wie lange nicht, trotz manchem Dämpfer auch konjunktureller Art - 0,2 Prozentpunkte Wachstum geben uns durchaus zu denken -, zahlreichen politischen Krisen in Europa und auch weltweit und der Schuldenkrise in Europa, die sicherlich nicht vorbei ist, aber im Moment pausiert. In einigen Ländern wurden die richtigen Entscheidungen getroffen - dort nimmt die Wettbewerbsfähigkeit zu; auch bei den Exporten legen diese Länder zu -; ich meine Spanien und Portugal. In anderen Ländern wie in Frankreich sind die Weichen noch nicht richtig gestellt. Deutschland steht dagegen so gut da wie nie zuvor. Die Beschäftigtenzahl hat einen historischen Höchststand erreicht: Fast 43 Millionen Menschen sind in Lohn und Brot. Wir eilen hier von Rekord zu Rekord. In den letzten Jahren haben wir erst von 40 Millionen, dann von 41 Millionen und schließlich von 42 Millionen gesprochen. Jetzt scheint es eine realistische Perspektive zu sein, dass 43 Millionen Menschen in Lohn und Brot sein werden. Sehr viele dieser Menschen zahlen natürlich Sozialversicherungsbeiträge und Steuern und ermöglichen dadurch, dass es Deutschland auch weiterhin gut geht. Ich werde versuchen, darauf einzugehen, was wir hier noch tun müssen. Die Arbeitslosigkeit ist im Gegenzug auf einem Rekordtief angelangt. Es gibt zwei Säulen, die dieses Wachstum gleichermaßen tragen. Es ist eben nicht so, dass es keine Lohnzuwächse gibt, wie der Kollege Ernst gesagt hat. Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben in diesem Jahr Reallohnzuwächse, wie wir sie schon lange nicht mehr gesehen haben. Die andere Säule des Wachstums sind die Binnennachfrage und der Export. Im Juli haben wir beim Export erstmalig die Marke von 100 Milliarden Euro geknackt. Insofern ist das, was Sie hier gesagt haben, überhaupt nicht nachvollziehbar.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Ernst? - Ja oder Nein?

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, immer gerne. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut. - Herr Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, dass Sie die Frage zulassen. - Herr Pfeiffer, Sie haben gerade gefragt, wie ich auf diese Zahlen komme. Das ist ganz einfach: Die realen Arbeitsentgelte pro Beschäftigtem waren im Jahre 2013 um 3,7 Prozent niedriger als im Jahre 2000. Das heißt, die Einkommen der Beschäftigten sind über einen längeren Zeitraum, nämlich über die genannten 13 Jahre, deutlich gesunken. Es gab also keine Erhöhung und damit auch keine steigende Nachfrage. Übrigens: Auch die Renten der langjährig Versicherten sind von 2000 bis 2012 real gesunken: im Westen um fast 20 Prozent, im Osten um 23 Prozent. ({0}) Die Masseneinkommen sind also gesunken. Damit geht davon über einen längeren Zeitraum gesehen natürlich kein Wachstumsimpuls aus. Das war die Feststellung, die ich getroffen habe. Ich denke, dass Sie die Zahlen nun zur Kenntnis genommen haben und in Ihren weiteren Ausführungen wohlwollend berücksichtigen werden. ({1})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht, woher Sie die Zahlen haben und welche Schlussfolgerungen Sie aus Ihren Zahlen ziehen. Tatsache ist: Fast 43 Millionen Menschen sind in Lohn und Brot - darunter sind 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte -, die Selbstständigenquote hat zugenommen, und der Anteil der Schwarzarbeit ist so niedrig wie nie zuvor. Wenn sie sich anschauen, wie lange die Menschen heute real arbeiten müssen, um beispielsweise Konsumgüter oder Lebensmittel kaufen zu können, dann sehen Sie, dass sie heute deutlich weniger arbeiten müssen, um sich beispielsweise einen Kühlschrank, einen Computer oder ein Auto kaufen zu können. Das heißt, real stehen die Menschen heute viel besser da als 1990. Das werden Sie doch wohl nicht ernsthaft bestreiten wollen, Herr Ernst. ({0}) Auf die Staatsschulden ist bereits eingegangen worden. Wir sind nun wirklich in der historisch einmaligen, glücklichen Situation, die allerdings auch nicht vom Himmel gefallen ist, dass wir jetzt einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen können. Was bedeutet es, keine Neuverschuldung zu machen? Im letzten Jahr hat Deutschland erstmalig real über 30 Milliarden Euro an Schulden abgebaut. Damit gewinnen wir in der Zukunft Spielräume. Der Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt lag in der Spitze bei 82 Prozent. In diesem Jahr schaffen wir vielleicht eine Reduzierung auf 76 Prozent, und in dieser Legislaturperiode wollen wir auf unter 70 Prozent kommen. Dadurch schaffen wir die notwendigen Spielräume, um die notwendigen Mittel für Innovationen und Wachstum an anderer Stelle zur Verfügung zu haben. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns darauf ausruhen sollten. Wir dürfen jetzt die Agenda 2010, die für diesen Strukturwandel in Deutschland richtig und wichtig war, nicht rückabwickeln, sondern müssen überlegen: Wie sieht die Agenda 2030 aus? Was müssen wir heute tun, damit die Entwicklung nicht wieder nach unten geht, sondern wir 2030 genauso gut dastehen wie heute? Dafür ist in der Tat ein langfristiger Rahmen für Wachstum und Beschäftigung von zentraler Bedeutung. Das Freihandels- und Investitionsabkommen mit den Vereinigten Staaten kann da ein zentraler Wachstumstreiber sein. ({1}) Dieses Freihandelsabkommen schafft den größten Binnenmarkt der Welt, schafft Wachstumsimpulse über Jahrzehnte hinweg. Es trägt dazu bei, Zollschranken abzubauen ({2}) - ohne zusätzliche Kosten. In der Automobilindustrie zum Beispiel könnten 1 Milliarde Euro pro Jahr - die Kosten für die Zölle auf Autos sind zwar nicht mehr sehr hoch, aber sie summieren sich ganz schön auf - eingespart werden. ({3}) Einem mittelständischen Maschinenbauer entstehen heute für Zulassungen und Umrüstungen von Maschinen im Rahmen des Exports in die USA Zusatzkosten von 15, 20 oder sogar 25 Prozent. Mit Inkrafttreten dieses Abkommens würde er wettbewerbsfähiger, würde der Austausch von Waren verbessert. Das ist Wirtschaftsförderung im besten Sinne. ({4}) Es geht doch nicht darum, Standards abzusenken. Glauben Sie denn ernsthaft, dass uns dann, wenn wir es zusammen mit den USA nicht schaffen, weltweit gültige Standards zu setzen, zum Beispiel im Arbeitsschutz, im Umweltschutz oder auch in anderen Bereichen, andere ihre Standards vorgeben und wir dann besser dran wären? Das glauben Sie doch selber nicht. Das Beste, was uns passieren kann, ist, dieses Freihandelsabkommen mit einem guten Ergebnis zügig abzuschließen. ({5}) Des Weiteren ist für eine Agenda 2030 natürlich von zentraler Bedeutung, dass wir Innovation, Forschung, Entwicklung und Bildung als Nährboden für das Wachstum und die Sicherung des Wohlstandes weiter stärken. Deshalb ist es sicher richtig - offensichtlich sind mittlerweile alle, selbst die Linken, dafür -, dass wir das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand stärken, indem wir die Mittel um 30 Millionen Euro auf 543 Millionen Euro erhöhen und sie auf diesem hohen Niveau halten; Kollege Tiefensee hat das angesprochen. Dadurch können gerade mittelständische Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen und für Innovationen, für Produkte von morgen, sorgen. Ich halte es für ziemlich daneben - das muss ich einmal deutlich sagen -, wenn man versucht, diese Mittelstandsförderung gegen die Förderung der Luft- und Raumfahrt auszuspielen. Auch die Luft- und Raumfahrt ist für uns und für den Mittelstand eine Schlüsseltechnologie. Ohne Galileo, ohne Kommunikationsmittel und ohne Satelliten, mit denen das Klima beobachtet wird, werden wir keine guten Wettervorhersagen haben, die für Windkraft oder die Photovoltaik wichtig sind. Auch eine Energiewende, wie wir sie uns gemeinsam vorstellen, wird es ohne diese Technologie nicht geben. Insofern ist es zu kurz gesprungen, zu sagen: Wir brauchen keine Luft- und Raumfahrt. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen diese Technologie. ({6}) Wollen Sie den Beschäftigten von Airbus ernsthaft sagen, dass all das, was sie machen, Quatsch ist und wir das, was wir in Europa geschaffen haben, nicht brauchen? An dieser Technologie hängen Hunderttausende von direkten und indirekten Arbeitsplätzen und die Technologieführerschaft im Luftfahrtsektor. Das kann also nicht ihr Ernst sein. Noch etwas - das sage ich ohne Schadenfreude, weil das zu unser aller Schaden ist -: Die letzten zwei Galileo-Satelliten, die mit einem russischen Trägersystem transportiert wurden, sind nicht dort ausgesetzt worden, wo sie hätten ausgesetzt werden sollen. Das ist ein Problem. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir in Europa weiterhin ein eigenes Trägersystem haben. Wir müssen die Ariane-Trägerrakete weiterentwickeln. Es ist von zentraler Bedeutung für Deutschland und Europa, dass wir eine wettbewerbsfähige und leistungsfähige Luftund Raumfahrt haben. ({7}) Lassen Sie mich auch etwas zum Thema „Stärkung der Investitionen“ sagen; viele haben das bereits angesprochen. Die Tatsache, dass wir früher 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Investitionen ausgegeben haben und im Moment bei 17 Prozent liegen - der OECDDurchschnitt beträgt 20 Prozent -, sollte uns nachdenklich machen. Wir müssen überlegen, was wir hier tun können. Wir brauchen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in Netze, Straßen und Schienen. Ich freue mich, dass sich die neue Lkw- und brückenpolitische Sprecherin der Grünen nachhaltig für den Ausbau von Straßen einsetzt. ({8}) Herzlich willkommen an Bord! Bei diesem Thema können wir gar nicht genug Verbündete haben, liebe Kerstin Andreae. Ich freue mich, dass wir uns zukünftig gemeinsam - gegen den grünen Verkehrsminister in Baden-WürtDr. Joachim Pfeiffer temberg - für die Verbesserung der Infrastruktur des Landes einsetzen. ({9}) Wir müssen aber nicht nur für Infrastrukturmaßnahmen im Bereich Straße und Schiene, sondern auch für solche im Breitbandbereich und im kommunalen Bereich private Mittel mobilisieren. Öffentliche Mittel allein werden dafür nicht ausreichen. Und wenn wir die Haushaltskonsolidierung, der heute eigentlich niemand - außer von ganz links - ernsthaft widersprochen hat, weiter vorantreiben wollen, dann werden wir uns Konjunkturpakete oder Investitionen auf Pump nicht leisten können. ({10}) Wir wollen auch keine Investitionen durch Steuererhöhungen finanzieren. Deshalb brauchen wir die Mobilisierung von privatem Kapitel für öffentliche genauso wie für private Infrastruktur. Ich frage Sie: Was ist Schlechtes daran? Die Grünen sind doch auch für Investitionen von Bürgern in Windparks und Photovoltaikanlagen. ({11}) Warum sind Sie dann gegen Investitionen von Bürgern in kommunale Infrastruktur oder Straßeninfrastruktur? Lassen Sie uns doch hier Modelle entwickeln, damit wir diese Investitionen in die richtige Richtung lenken können. Wir haben das beispielsweise bei den Netzen geschafft: Gas- und Stromnetze werden auch hier in Deutschland von internationalen Investoren finanziert. ({12}) Da kommt das Geld hierher. Warum soll das nicht auch in anderen Bereichen gehen? Durch eine intelligente Regulierung werden wir es schaffen, dieses Investitionsdefizit auszugleichen. Mit dem Blick auf die Uhr möchte ich noch sagen, bevor Sie mich ermahnen, Herr Präsident: Es gibt noch viele Dinge, die man in eine Agenda 2030 aufnehmen könnte - Stichworte sind Digitalisierung, Internet 4.0 und andere Dinge mehr. Das ist eine Chance. Auch am Arbeitsmarkt dürfen wir nicht untätig bleiben. Wir werden daran arbeiten. Wir werden jetzt säen, damit wir in Zukunft ernten können und damit Deutschland in Europa und in der Welt weiterhin an der Spitze bleibt. Dieser Bundeshaushalt legt einen Grundstein dafür, dass es dabei bleiben wird. Und wir werden sicherlich in den parlamentarischen Beratungen und Verhandlungen noch an der einen oder anderen Stellschraube drehen, damit es in die richtige Richtung geht. Vielen Dank. ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Anja Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich möchte Sie gleich zu Beginn meiner Rede auf das Thema TTIP ansprechen. Sie haben hier sehr klar Position dazu bezogen. ({0}) Ich will auch nicht verhehlen, dass ich das Argument überlegenswert finde: Wer für die Internationalisierung von Standards eintritt und höhere Standards will, der muss sich auch mit der Frage beschäftigen, ob er Verhandlungen mit den USA ausweichen kann. - Ich werde das gerne aufnehmen; das werden wir bei unseren Argumentationen bedenken. Aber wenn man das zu Ende denkt und ernst nimmt, dass es um die Sicherung von Standards und Regelungen geht, die auch souveräne Parlamente - wie der Deutsche Bundestag oder das Europaparlament - festlegen, dann wird nur dann etwas daraus, wenn Sie es wirklich schaffen, das beabsichtigte Investitionsschutzabkommen rauszukicken. ({1}) Wenn Sie das nicht schaffen, dann hat Ihre Aussage keinen Wert. Ich sage das aus einer zutiefst demokratischen Überzeugung heraus. Wenn durch Investitionsschutzabkommen das ausgehebelt wird, was wir als Souverän des Volkes entscheiden, dann haben wir ein tiefgreifendes Problem. Ich habe - das möchte ich hier heute feststellen Ihre Aussage als Kritik am Investitionsschutzabkommen, als Festlegung der Bundesregierung begriffen. Sie müssen das eigentlich schon bei CETA umsetzen, sonst ist das nicht glaubwürdig, sonst wird CETA eine Blaupause für TTIP. Und dann hätten Sie sich hier wirklich widersprochen. Insofern wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei diesen Verhandlungen. An dem Punkt haben Sie uns an Ihrer Seite. ({2}) Seit gestern liegt der Fokus auf unserem Haushalt, und wir haben häufig über die schwarze Null gesprochen. Trotz der schwarzen Null stellen wir aber fest: Es gibt in dieser Debatte einen wichtigen Punkt, um den sich die Aufmerksamkeit dreht und in dem wir uns recht einig sind: Unsere Investitionen sind zu gering. Sie sind eine Regierung mit großer Mehrheit. Ich kann nicht verstehen, warum Sie in Ihrem Finanzplan zulassen, dass die öffentliche Investitionsquote sinkt. ({3}) Sie sinkt um ein Fünftel. Das habe ich gestern schon gesagt. Deshalb reichen Ihre warmen Worte nicht aus, mit denen Sie feststellen: Wir brauchen auch mehr öffentliche Investitionen. - Gute öffentliche Infrastruktur ist auch eine Voraussetzung für mehr private Investitionen. Es ist doch ein Warnhinweis, wenn wir in Vergleichen, die beispielsweise das Weltwirtschaftsforum tätigt, zurückfallen mit dem Hinweis auf mangelhafte Infrastruktur. Das ist eine Aufforderung an die Regierung, jetzt und heute umzusteuern und mehr zu tun. ({4}) Ich möchte eine Frage ansprechen, die wir ehrlich beantworten müssen, und die hätten der Wirtschaftsminister, aber auch der Finanzminister noch ehrlicher beantworten können. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die schlechte Investitionsquote dieser Regierung dazu führt, die Schuldenbremse zu diskreditieren. ({5}) Die Schuldenbremse schreibt nicht vor, dass die Investitionsquote sinken muss, weil wir sonst die Nullverschuldung nicht hinbekommen. Wir müssen das zusätzlich sehen: Das Ziel der schwarzen Null heißt auch, innerhalb des Haushaltsrahmens die Investitionen zu steigern. An dieser Zielsetzung scheitern Sie nicht nur im Haushalt 2015, sondern über die gesamte Finanzplanperiode. ({6}) Ich habe schon darauf hingewiesen, dass das auch ein Grund ist, warum private Investitionen zurückhaltend erfolgen und der Kapitalmarkt sich anderen Ländern zuwendet. Dabei geht es nicht um Schwarzmalerei. Wir haben zurzeit in Deutschland eine in Teilen wirklich gute Entwicklung. Herr Pfeiffer hat darauf hingewiesen. Aber wir müssen auch sehen, dass es dabei ernsthafte Eintrübungen gibt und dass wir auch zukünftig dem Wettbewerb standhalten müssen. Zurück zu der Frage, warum eine steigende Investitionsquote und das Einhalten der Schuldenbremse nicht zusammengehen bzw. wie man das doch hinbekommt. Das schafft man dann, wenn man Strukturreformen durchführt, die bei den laufenden Ausgaben zukünftig zu Einsparungen und Begrenzungen führen. Das ist aber das genaue Gegenteil von dem, was Sie gemacht haben. Sie haben mit der Rentenreform und dem falschen Griff in die Sozialkassen die Spur dafür gelegt, dass die laufenden Ausgaben nicht in einem Rahmen bleiben, der auch für zukünftige Generationen gerecht ist, sondern steigen. Insofern liegt auch in Ihrer mangelhaften Fähigkeit zu Strukturreformen die Ursache dafür, dass wir bei den Investitionen zu kurz kommen. ({7}) Insofern ist gerade auch für einen Wirtschaftsminister diese Strategie der Bundesregierung eine absolut mangelhafte Strategie. Ich hoffe, dass der Minister das neu anpackt und ändert. Ich möchte zum Schluss noch erwähnen, dass dieser Minister auch ein Energieminister ist. Es ist in diesem Haushalt überhaupt nicht zu erkennen, wie die Energieeffizienz gesteigert werden soll. Herr Gabriel hat gerade gesagt, dass er im Herbst seinen nationalen Plan zur Steigerung der Energieeffizienz vorlegen wird. Dazu gibt es schon eine Mahnung seitens der EU-Kommission. Angesichts seines jetzigen Haushalts gehe ich davon aus, dass das nach den Haushaltsberatungen sein wird. Dann werden wir das Traurige erleben, dass nicht nur der Haushalt 2014, sondern auch der Haushalt 2015 verschlafen wird, ohne dass wir bei der Energieeffizienz vorankommen. Auch dazu werden wir in diesen Beratungen Vorschläge machen, wie man das hoffentlich noch beheben kann. Schönen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Bevor jetzt der Kollege Thomas Jurk das Wort ergreift, erteile ich Sigmar Gabriel zu einer Kurzintervention das Wort.

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Hajduk, da ich Sie in der Debatte als eine sehr sachbezogene Kollegin kennengelernt habe, liegt mir daran, klarzustellen, worum es bei den Freihandelsabkommen auf gar keinen Fall gehen darf, nämlich um ein Investitionsschutzabkommen - das gilt auch für jede andere Regelung -, das die Möglichkeit bietet, Gesetze oder die Willensbildung in einem demokratisch gewählten Parlament - egal ob auf nationaler oder europäischer Ebene - auszuhebeln. Darum geht es bei dem infrage stehenden Investitionsschutzabkommen nicht. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Inanspruchnahme von Schadenersatz- bzw. Entschädigungsregelungen durch solche Investitionsschutzabkommen gegenüber dem nationalen Recht erleichtert wird und ob dadurch möglicherweise der Gesetzgeber indirekt beeinflusst wird. ({0}) - Ich führe darüber eine sachliche Debatte. Das kann man nicht von jedem Teilnehmer erwarten; das verstehe ich. Es geht also um die Frage, ob durch solche Abkommen indirekt Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt wird. Das zu untersuchen, ist in der Tat unsere Aufgabe bei CETA genauso wie bei dem amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommen. Einem Freihandelsabkommen, das Investitionsschutz vorsieht und bei dem diese oder eine weitergehende Gefahr durch andere Regelungen besteht, kann man nach meiner Meinung nicht viel abgewinnen. Wir müssen nur aufpassen, nicht den Eindruck zu erwecken - das würde das Vertrauen der Öffentlichkeit in gewählte Parlamente und Regierungen beschädigen -, dass ein Freihandelsabkommen - egal welches - einen Gesetzgeber an etwas hindern oder auch nur ein Gesetz oder einen Standard in Europa außer Kraft setzen könnte. Das ist nicht Gegenstand der Freihandelsabkommen. Deutschland hat nämlich bereits 130 solcher Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Im Unterschied zu dem infrage stehenden Freihandelsabkommen sind diese Abkommen zumeist mit Staaten abgeschlossen worden, die Defizite im Rechtsschutz haben. Deswegen ist meine Grundsatzposition: Eigentlich bedarf es solcher Investitionsschutzabkommen mit Staaten mit ausgeprägten Rechtsschutz überhaupt nicht. Aber selbst wenn sie wie bei CETA durch EU und Kanada vereinbart wurden, geht es nie um die Frage, ob eine Parlamentsentscheidung oder eine Regierungsentscheidung dadurch außer Kraft gesetzt werden könnte. Es geht vielmehr um die Frage, ob dabei ein erhöhter Entschädigungsanspruch entsteht. Mir liegen derzeit zwei Gutachten vor. Nachdem ich selber mit den Gutachtern gesprochen habe, werde ich diese Gutachten Ihnen allen hier im Parlament zur Verfügung stellen. Das eine Gutachten geht davon aus, dass es sich bei CETA selbstverständlich um ein gemischtes Abkommen handelt, sodass der Deutsche Bundestag - genauso wie alle anderen Parlamente - darüber entscheiden muss. Das zweite Gutachten geht davon aus, dass die Investitionsbestimmungen, die zwischen Kanada und der Europäischen Union verabredet wurden, keinen höheren Schutzstandard bieten als das nationale, deutsche Recht, im Gegenteil. Es wird allerdings auch davon ausgegangen, dass sich die Vereinigten Staaten mit einem solch schwachen Investitionsschutzabkommen nicht zufrieden geben werden. Wie gesagt, sobald ich die Chance hatte, mit den Gutachtern zu reden, werde ich Ihnen das alles mitteilen. Mir liegt nur daran, dass wir in der öffentlichen Debatte niemals den Eindruck erwecken, ein Freihandelsabkommen könne einem souveränen Parlament zum Beispiel in Deutschland, Frankreich oder Italien oder dem Europäischen Parlament Vorschriften machen oder Gesetze, Verordnungen und Standards ändern. Genau das kann ein Freihandelsabkommen nicht. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Hajduk, ich vermute, dass Sie darauf antworten wollen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne, Herr Präsident. - Herr Minister Gabriel, das ist ein enorm kitzliger Punkt. Ich möchte gar nicht allgemein diffamierend unterstellen, dass jedes internationale Freihandelsabkommen eine solche Wirkung entfalten will. Wenn aber zwischen Staaten mit belastbaren, entwickelten Rechtssystemen verhandelt wird, dann ließen sich die Bedenken am einfachsten ausräumen, indem man anerkennt, dass man gar kein Investitionsschutzabkommen braucht. Das ist doch klar. ({0}) In der Tat ist die Diskussion für eine deutsche Regierung nicht einfach zu führen, weil gerade Deutschland als Exportnation viele Freihandelsabkommen mit Ländern ausgehandelt hat, in denen nicht klar war, ob der Rechtsschutz hinreichend garantiert ist. Deshalb wurde eine gewisse Absicherung gesucht. Wir müssen uns aber in der heutigen Situation davon deutlich emanzipieren. Ich glaube Ihnen, dass Sie ausschließlich gute Absichten haben. Wir sind es gewohnt, dass unser Rechtssystem mithilfe einer gegliederten Gerichtsbarkeit darauf achtet, dass die Standards, die wir setzen, eingehalten werden. Wenn aber nicht die klassische Gerichtsbarkeit zuständig ist, sondern ein Schiedsgericht, das nicht die nationalen und europäischen Gesetze auslegt, sondern solche Probleme eher im Rahmen einer Mediation löst, dann ist der Druck sehr hoch, dass große internationale Konzerne gegenüber souveränen Gebietskörperschaften hohe Schadensersatzsummen geltend machen. Ich möchte nicht, dass wir das akzeptieren. Deswegen möchte ich, dass Sie sich mit Ihrer Meinung, die Sie hier vertreten, für die deutsche Regierung durchsetzen bzw. sonst nicht die Zustimmung Deutschlands geben, wenn trotzdem Investitionsschutzabkommen zwischen Staaten mit entwickelten Rechtssystemen gefordert werden. Sie haben gute Argumente auf Ihrer Seite. Da begleiten wir Sie gerne. Setzen Sie sich damit durch! ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Thomas Jurk. ({0})

Thomas Jurk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich dem Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums zuwende, gestatten Sie bitte eine Vorbemerkung. Eine Exportnation wie Deutschland benötigt, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ein positives außenpolitisches Klima. Die derzeitigen Krisen von der Ukraine bis in den Nahen Osten stellen dagegen erhebliche Belastungen dar, weil ohne friedliches Umfeld kein Handel und kein Wandel, kein Austausch von Waren und Dienstleistungen mehr stattfinden können. Auch wirtschaftliche Sanktionen, über deren Berechtigung und Sinnhaftigkeit ich mich an dieser Stelle nicht auslassen möchte, fallen schlussendlich auf uns zurück. Bei mir in Sachsen gibt es viele Unternehmen, die ihre Produkte nach Russland liefern. Diese Betriebe bekommen aufgrund der Krise nun zunehmend Absatzschwierigkeiten. Daran wird sehr deutlich, dass unsere exportorientierte Wirtschaft mehr denn je auf ein friedliches Umfeld angewiesen ist und Sanktionen eben auch unsere eigene Wirtschaft treffen. ({0}) Deshalb müssen wir unsere Bemühungen, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen, verstärkt fortsetzen, ganz im Sinne von Helmut Schmidt, der einst formulierte: „Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“ Wir alle sind uns sicherlich einig, dass der Bund mehr investieren, aber auch die Wirtschaft zu mehr Investitionen anregen muss. Entgegen der Kritik der Opposition bietet der vorliegende Entwurf des Einzelplans des Bundeswirtschaftsministeriums dafür eine gute Grundlage. Warum dies so ist, möchte ich an zwei nach meiner Ansicht positiven Entwicklungen in diesem Einzelplan verdeutlichen. Zum einen handelt es sich um die zusätzlichen Forschungsmittel, die ab 2015 im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums zur Verfügung stehen. Bekanntlich hatte die Regierungskoalition vereinbart, in der laufenden Wahlperiode bis 2017 zusätzlich 3 Milliarden Euro in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Ein erheblicher Teil dieser Mittel wird künftig im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums veranschlagt. Im kommenden Jahr sind das 52 Millionen Euro, die 2016 auf 161 Millionen Euro und 2017 auf 310 Millionen Euro aufwachsen sollen. Insgesamt handelt es sich damit also um 523 Millionen Euro, die bis 2017 im Einzelplan 09 zusätzlich für Forschung und Innovation verwendet werden können. Ich finde, dies ist vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig erstmals seit 1969 ein ausgeglichener Bundeshaushalt vorgelegt wird, eine beachtliche Leistung. ({1}) Auch ich freue mich natürlich über die Aufstockung der Mittel beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, kurz ZIM. Wie schon meine Vorredner erwähnt haben, steigt das Programmvolumen auf mittlerweile 543,5 Millionen Euro. Was nicht erwähnt wurde und was ich deswegen hinzufügen will, ist, dass wir wiederum im laufenden Jahr 15 Millionen Euro Verstärkungsmittel zur Verfügung stellen, die nach Bedarf abgerufen werden können. Die zweite positive Entwicklung in diesem Einzelplan - sie wurde von meinem Fraktionskollegen Wolfgang Tiefensee ebenfalls bereits erwähnt - ist die Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz: GRW. Der Titelansatz für die GRW wurde gegenüber dem Haushalt 2014 um 17 Millionen Euro auf nunmehr 600 Millionen Euro angehoben. Gegenüber der bisherigen Finanzplanung der Vorgängerregierung sind es damit übrigens sogar 31 Millionen Euro mehr. Damit wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte Anhebung der Mittel für die GRW nunmehr schrittweise umgesetzt. Ich begrüße diese Aufstockung der Mittel für die GRW ausdrücklich; denn gerade stärkere Investitionen in den strukturschwachen Regionen sind in Deutschland nach wie vor dringend notwendig. Allein im Zeitraum 2011 bis 2013 konnten durch den Einsatz öffentlicher Gelder in Höhe von 3,5 Milliarden Euro Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro ausgelöst werden. Hervorheben möchte ich außerdem, dass das Bundeswirtschaftsministerium derzeit mit den Ländern im Gespräch darüber ist, wie deren Kofinanzierung besser sichergestellt werden kann. Die Bundesregierung stellt hier also zusätzliche Mittel nicht nur ins Schaufenster, sondern sie kümmert sich auch um den Mittelabfluss. Da ich gerade dabei bin, zu loben, möchte ich kurz das Thema Personal ansprechen. Gerade als Sozialdemokrat finde ich es richtig, dass das Wirtschaftsministerium viele aus dem Umweltministerium übernommene Energieexperten jetzt endlich fest anstellt und damit deren befristete Beschäftigungsverhältnisse beendet. ({2}) So wird diesen Beschäftigten eine berufliche Perspektive gegeben, und gleichzeitig wird wichtiges Know-how für das Gelingen der Energiewende gesichert. Damit komme ich zur Gestaltung der Energiewende. Anfang Juli hat der Minister seine 10-Punkte-EnergieAgenda für diese Legislatur vorgestellt. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die Energieeffizienz ein. Diese wichtige Rolle spiegelt sich auch im Haushalt wider; denn von den zusätzlichen Forschungsmitteln fließt ein großer Teil in die Energieforschung, insbesondere in die Energieeffizienzforschung. Für den Energiebereich hoffe ich auch auf die vom Minister in Aussicht gestellte Bewertung der einzelnen Programme. Mir ist bewusst, dass dafür auch Zeit erforderlich ist. Aber für unsere Arbeit im Haushaltsausschuss und im Parlament generell halte ich es für wichtig, dass diese Ergebnisse alsbald vorgestellt werden. Leider muss ich auch ein wenig Wasser in den Wein gießen und wie schon bei den letzten Haushaltsberatungen die Finanzierung des Betreuungsgeldes ansprechen. Die Einsparung dafür beläuft sich im Einzelplan 09 des Haushaltes für das kommende Jahr auf knapp 63 Millionen Euro, und sie soll ab 2016 weiter steigen. Für den Haushaltsentwurf 2015 hatte dies zur Folge, dass an vielen Stellen gekürzt werden musste. Insbesondere Kürzungen bei der Förderung von Innovationen konterkarieren doch den Aufwuchs durch die zusätzlichen Forschungsmittel. Wir Haushälter werden uns in den kommenden Beratungen natürlich ganz genau anschauen, ob die Kürzungen zur Finanzierung des Betreuungsgeldes im Einzelnen sachgerecht sind und wo gegebenenfalls eine andere Schwerpunktsetzung erfolgen muss. Für 2016 möchte ich an dieser Stelle dafür werben, den Einsparbetrag für das Betreuungsgeld nicht mehr über eine Umlage auf die Einzelpläne der Ressorts zu finanzieren. Dann könnten beispielsweise die Titelansätze für Forschung und Innovation im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums weiter verstärkt werden. Wir alle wissen: Forschung und Innovation sind die Grundlagen unseres Wirtschaftswachstums und deshalb von besonderer Bedeutung. Ich freue mich auf die kommenden Beratungen im Haushaltsausschuss und auf sicherlich viele spannende Diskussionen mit den Fachpolitikern. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Die weltweite Konzentration von CO2 hat im vergangenen Jahr so stark zugenommen wie seit 30 Jahren nicht mehr. - Das titelten gestern die Zeitungen. Ich halte das für beängstigend. Wir haben da sehr viel Handlungsbedarf. Ich frage mich natürlich: Ist Klimaschutz bei dieser Bundesregierung überhaupt ein Thema? Man hat den Eindruck: im Bundeswirtschaftsministerium eher nicht, auch wenn in den Debatten zum Einzelplan 09, Wirtschaft und Energie, wieder einmal behauptet wird, die Umsetzung der Energiewende sei ihr wichtigstes Vorhaben. Wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit einem Haushaltsvolumen von 7 Milliarden Euro eine solche Behauptung aufstellt, dann sollte man meinen, dies finde einen Niederschlag in Heller und Pfennig bzw. Euro und Cent ebendieses Einzelplans. Aber weit gefehlt! Das Wirtschaftsministerium ist unter Ihrer Führung, Herr Gabriel, ein klassisches Ministerium zur Förderung der Großindustrie geblieben, wie es das auch schon unter den Ministern Rösler, Brüderle, Glos, zu Guttenberg und selbstverständlich auch Wolfgang Clement war, die allesamt die Energiewende - diesen Eindruck hatte man jedenfalls - bekämpft haben. Sie atmen den Geist Ihrer Vorgänger, einen Geist, der den Interessen der Kohleindustrie und der Großkonzerne inniglich verbunden ist. Sie pflegen die gleichen Routinen und Kontakte zu den Konzernen, weniger zu mittelständischen Unternehmen, die schon vor Jahren in die Erneuerbaren investiert haben und die jetzt als Folge der EEG-Reform wahrscheinlich - ich hoffe, wir können es noch verhindern - zugrunde gehen werden. Ich frage mich: Wo ist der Ehrgeiz? Wir müssen das verhindern. ({0}) Wie paradox es bei der Energiewende zugeht, zeigt die Tatsache, dass bei der Finanzierung der Energiewende nur der geringere Teil aus dem Haushalt gestemmt wird. Der Löwenanteil wird aus dem Energieund Klimafonds bestritten, den die Bundesregierung mit seinen 1,68 Milliarden Euro als das zentrale Finanzierungsinstrument für die Energiewende betitelt. Dabei handelt es sich, wie wir wissen, gar nicht um einen Haushaltstitel, sondern um ein Sondervermögen, das sich hauptsächlich aus dem kraftlosen Patienten „Emissionshandel“ speist. Sie wissen auch, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel nicht vorhersehbar sind und dass mittlerweile regelmäßig aus dem Haushalt aufgefüllt werden muss. Ich sage: Das ist ein Flickwerk. Jetzt wollen Sie einen dauerhaften Bundeszuschuss etablieren. Wir halten das für richtig. Allerdings steht im Gesetzentwurf, dass die Höhe des Bundeszuschusses gedeckelt wird, und im Gesetz stehen Maximalbeträge. Was ist, wenn der CO2-Preis wieder stärker sinkt als prognostiziert? Das kann ja sein; das war auch in der Vergangenheit mehrfach der Fall. Streichen wir dann den Programmtitel, oder woher kommt das Geld dann? Es ist leider Flickschusterei. Es geht um Geld, das wir dringend benötigen würden. Die Bundesregierung befreit sich damit nicht aus den EU-Fesseln. Ich kann nur noch einmal fragen: Wann bemühen wir uns, die weiteren Zertifikate aus der Pipeline zu nehmen und stillzulegen? Sie wissen, das ist der einzige Weg im Sinne des Klimaschutzes: Der Preis steigt, um das Ganze klimarelevant werden zu lassen. ({1}) Dazu kommt noch: Von den 1,68 Milliarden Euro aus dem Energie- und Klimafonds entnehmen Sie gleich 203 Millionen Euro, um der Aluminium-, der Leder-, aber auch der Papierindustrie und vielen anderen Geschenke zu machen. ({2}) „Strompreiskompensation“ nennt sich das. Es ist, mit Verlaub, völlig verkehrte Welt, ({3}) die Mittel für Klimaschutz und für die Energiewende für die Förderung der stromintensiven Industrie zu verwenden. Noch ein Privileg der Industrie, das zu den vielen anderen Privilegien hinzukommt! Dieses Geld fehlt der Energiewende. ({4}) Jetzt zum Thema Fracking. Herr Fuchs hat noch einmal dargestellt, dass er Fracking für sicher hält. In einem wegweisenden Interview im Sommer hat er sich für Gentechnik, für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten ({5}) und auch für Fracking ausgesprochen. ({6}) Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Der Exxon-Chef Rex Tillerson hat sich öffentlich dagegen ausgesprochen, dass auf seinem Grundstück gefrackt wird. ({7}) Er war sogar in der Stadtratssitzung, gemeinsam mit Initiativen, und hat sich dagegen ausgesprochen. Wenn der Exxon-Chef das schon selbst macht - das ist in den Me4610 dien zu belegen -, dann frage ich Sie: Wie sicher ist denn Fracking überhaupt? ({8}) Sie zitieren nur eine Studie. ({9}) Sie nehmen nicht wahr, dass die Bevölkerung Fracking nicht will, dass man Angst davor hat. Politik hat die Aufgabe, die Bevölkerung vor Gefahren zu schützen: vor Gefahren durch Gentechnik, vor atomaren Gefahren und vor Gefahren durch Fracking. Das sollten auch Sie einmal sehen. - Man kann natürlich immer eine Studie zitieren, die man selbst bezahlt hat; dazu sagt der Volksmund etwas. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht als nächster Redner der Kollege Karl Holmeier. ({0})

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz Europa schaut bewundernd auf Deutschland. Unsere Wirtschaft ist unter der Regierungsverantwortung der Union und unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder zur schwarzen Lokomotive in Europa geworden. Die Wirtschaft verlangt nach Vertrauen. Dieses notwendige Verlangen der deutschen Wirtschaft haben wir vor allem während und nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise mit Inhalt und mit Rückhalt erfüllt. Deutschland steht heute im europäischen Vergleich hervorragend da. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ganz Europa blickt auf Deutschland. Deutschland ist die unumstrittene Lokomotive für Wachstum und Beschäftigung. Den Aufschwung in Deutschland haben wir nicht mit Worten herbeigeredet. Es waren vielmehr umfassende Anstrengungen auf allen Ebenen des Staates und in der Wirtschaft, die die Weichen für die Wachstumslokomotive Deutschland gestellt haben. Die Zahlen geben uns Recht. Die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland sind weiterhin gut. Die Schätzungen erwarten in diesem Jahr ein Wachstum von etwa 1,8 Prozent. Auch die Prognose für 2015 ist hervorragend. Es wurde schon oft angesprochen: 42,7 Millionen Menschen sind in Deutschland erwerbstätig, ein Rekordwert. Seit 2005 sind mehr als 3 Millionen Menschen in Arbeit gekommen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist auf über 30 Millionen gestiegen, ein Plus von über 540 000 im Vergleich zum Vorjahr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der europäische Durchschnitt bei der Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 22,5 Prozent, mit Spitzenwerten in Spanien und Griechenland von über 50 Prozent. Deutschland - das bescheinigt uns das europäische Amt für Statistik - hat mit 7,9 Prozent die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa, ein großartiger Erfolg. ({0}) In meiner Region finden alle jungen Leute eine Lehrstelle. Wir helfen auch, indem wir auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Lehrstellen für junge Spanier und Spanierinnen anbieten. Das wird dankend angenommen. Der in Deutschland eingeschlagene Weg aus Wachsen, Konsolidieren und Reformieren zeigt, dass er richtig ist. Dieser Weg sollte Vorbild für ganz Europa sein. Mit dem vorliegenden Bundeshaushalt 2015 tragen wir dazu bei, diese guten Aussichten weiter zu verfestigen. Der klare Kurs der Haushaltskonsolidierung wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Der Haushalt 2015 weist erstmals seit 45 Jahren wieder eine schwarze Null auf. Der Erfolgsweg aus Wachsen und Konsolidieren wird fortgesetzt. Wir fördern den Mittelstand. Wir fördern Innovationen und investieren weiter in Forschung und Entwicklung. Wir unterstützen die Energiewende und setzen auf Energieeffizienz. Wir erhöhen die Fördermittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und werden sie, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, weiter bedarfsgerecht steigen lassen. Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Gründerland. Daher werden wir auch in Zukunft Unternehmensgründungen unterstützen, den innovativen Mittelstand fördern und die regionale Wirtschaft weiter stärken. Familienunternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen sind die Stütze unserer Wirtschaft. Unser gesunder Mittelstand hat bei der Finanzund Wirtschaftskrise gezeigt, wie stark und zukunftsfest er aufgestellt ist. Unsere gesunde mittelständische Wirtschaft war und ist der Garant, dass Deutschland die Krise schneller als andere Staaten bewältigt hat. Gerade der Mittelstand schafft Arbeitsplätze, vor allem Lehrstellen, und erhält sie in Krisenzeiten. Die Vergangenheit hat das ganz klar bewiesen. Die Bundesregierung unterstützt innovative Unternehmensgründungen im Jahr 2015 mit einer Gesamtsumme von 67 Millionen Euro. Dies sind wichtige Zukunftsinvestitionen in den Standort Deutschland. Für den Ausbau der Forschungsinfrastruktur stellen wir dem Mittelstand rund 200 Millionen Euro zur Verfügung. So sollen vorwettbewerbliche Forschungsaufgaben mit hohem Umsetzungspotenzial unterstützt werden. Wir fördern die deutsche Wirtschaft ressortübergreifend. Eine gesunde und intakte Infrastruktur ist der Schlüssel zum Erfolg eines jeden Unternehmens. Daher ist es richtig und wichtig, dass wir den Breitbandausbau in Deutschland vorantreiben. Bis zum Jahr 2018 wollen wir bundesweit ein schnelles Internet mit einer Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde etablieren, auch und vor allem im ländlichen Raum. Darüber hinaus stellt die Bundesregierung bis 2017 zusätzlich 5 Milliarden Euro zur Stärkung der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung. Ein schnelles Internet und eine gesunde Verkehrsinfrastruktur sind für unsere deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung. Indem wir beides ausbauen, stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wesentlicher Schwerpunkt der Förderung des Mittelstands als Innovationsmotor ist auch in der Zukunft das bislang sehr erfolgreiche, technologieoffene Zentrale Investitionsprogramm Mittelstand, ZIM. Aufgrund des großen Erfolges - es wurde bereits angesprochen - werden die Mittel 2015 um 30 Millionen auf insgesamt 543 Millionen Euro steigen. Mit der Erhöhung der Mittel für ZIM und der Förderung innovativer Unternehmensgründungen sind die Weichen für künftiges Wachstum und künftige Beschäftigung somit richtig gestellt. Erhöht werden auch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, GRW, auf insgesamt knapp 600 Millionen Euro. Zusammen mit den Mitteln aus der Kofinanzierung durch die Bundesländer stehen somit 1,2 Milliarden Euro für strukturschwache Regionen zur Verfügung. Von den GRW-Mitteln profitieren in erster Linie die Grenzregionen. Ich möchte, weil meine Region betroffen ist, der Bundesregierung an dieser Stelle einen herzlichen Dank dafür sagen, dass die ostbayerische Region an der Grenze zur Tschechischen Republik wieder Fördergebiet geworden ist. Dies ist wichtig und vor allem für die künftige, gute Weiterentwicklung unserer ostbayerischen Region von hoher Bedeutung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der herausragende Stellenwert von Energie als Bestandteil einer intakten und erfolgreichen Wirtschaft ist unbestritten. Die Energiewende ist beschlossen, sie ist auf den Weg gebracht, und sie wird im Jahre 2022 sicherlich erfolgreich enden. ({1}) Wir haben ein neues EEG beschlossen, das die langfristige Bezahlbarkeit von Strom für Unternehmen und Verbraucher sowie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft gewährleistet. Die Energiewende ist ein richtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg in eine Industriegesellschaft der Nachhaltigkeit. Mit der Energiewende verfestigen wir den nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz. Wir machen uns damit auch unabhängiger von Energieimporten. Die Energiewende, meine Damen und Herren, sichert Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland, gerade im ländlichen Raum. Die Energiewende ist eine riesige Chance für den ländlichen Raum in Deutschland. Eine der Herausforderungen der Großen Koalition ist natürlich auch, den engagierten Klimaschutz zum wirtschaftlichen Fortschrittsmotor zu entwickeln und dabei Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Wir wollen die Entwicklung zu einer Energieversorgung ohne Atomenergie und mit stetig wachsendem Anteil erneuerbarer Energien konsequent und planvoll fortführen. Wir müssen uns aber auch klar darüber sein, dass die Energiewende nicht von alleine kommt. Die Verabschiedung des EEG 2014 war ein erster Schritt. Weitere Schritte müssen und werden folgen: Wir brauchen ein neues Marktdesign, mehr Energieeffizienz, Speicherkapazitäten und ein leistungsfähiges Stromnetz. In unseren Haushaltsplanungen wird daher den Projekten zur Energieeffizienz und zur energetischen Gebäudesanierung ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Wir werden alleine für die Forschung und Entwicklung in den Bereichen der Energieeffizienz, der erneuerbaren Energien und der Sicherheitsforschung 324 Millionen Euro für 2015 bereitstellen. Das Marktanreizprogramm zur Förderung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien verfügt zusammen mit der Finanzierung des Betriebs der Clearingstelle EEG über Mittel von insgesamt 255 Millionen Euro. ({2}) Schwerpunkte des Marktanreizprogramms sind der Wärmemarkt und die Energiegewinnung. Wir werden die Energiewende auch in Zukunft mit dem Energieund Klimafonds als zentralem Finanzierungsinstrument unterstützen und voranbringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem vorliegenden generationengerechten Haushalt stellt die Bundesregierung unter Beweis, dass sie einen Zukunftsplan hat. Wir planen und gestalten mit diesem Haushalt die Zukunft unseres Landes. Wir stärken damit die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, nachhaltig und langfristig. Diese Stärkung wird auf unsere Nachbarn in Europa sicherlich abstrahlen. Auch sie werden von unserer Stärke in Deutschland profitieren. Deutschland ist damit ein starkes Herz im Zentrum Europas. Nach Jahren, in denen in Deutschland ohne Rücksicht auf nachfolgende Generationen aus dem Vollen geschöpft wurde, befinden wir uns heute im Zeitalter der konsolidierten Staatsfinanzen. Wir schließen somit einen Kreis zu Franz Josef Strauß, der 1969 den letzten schuldenfreien Haushalt in Deutschland vorlegen konnte. Im Jahr 2015 legen wir wieder einen schuldenfreien Haushalt in Deutschland vor. Das ist nach 45 Jahren ein Riesenerfolg. Darauf können wir stolz sein, genauso wie auf unsere Wirtschaft, genauso wie auf unser Land. Herzlichen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Lieber Kollege Karl Holmeier, Sie haben heute nicht nur im Hohen Hause gesprochen, sondern Sie feiern heute auch Ihren 58. Geburtstag. Im Namen der Kolleginnen und Kollegen möchte ich Ihnen recht herzlich dazu gratulieren und für das neue Lebensjahr Glück, Gesundheit und Gottes Segen wünschen. ({0}) Vizepräsident Johannes Singhammer Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Julia Verlinden für Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gebe mir Mühe. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzten Monate waren geprägt von erschreckenden Nachrichten aus den Krisenregionen unserer Welt: Ukraine, Irak, Syrien, Libyen, Nigeria - die Liste ließe sich lange fortsetzen. Weltweit sind Menschen auf der Flucht und brauchen Hilfe - von uns, sofort. ({0}) Darüber hinaus müssen wir kritisch reflektieren, was diese Konflikte für unsere Wirtschafts- und Energiepolitik eigentlich bedeuten; denn neben all den schrecklichen Nachrichten über die humanitären Konsequenzen dieser Auseinandersetzungen wird auch unsere Abhängigkeit von Energieimporten deutlich. Etwa die Hälfte unserer Energierohstoffe importieren wir aus Krisenregionen. Diese Abhängigkeit kann außenpolitisch extrem problematisch sein. Und es gibt Menschen, die sich Sorgen machen, dass die verabredeten Energielieferungen womöglich nicht zuverlässig kommen. Manche sagen: Dann müssen wir uns die Energie halt woanders herholen. - In diesem Zusammenhang wird der Begriff der sogenannten heimischen Energiequellen gerne verwendet. Jedoch: Den Menschen einzureden, wir seien langfristig auf fossile Energieträger angewiesen, das ist einfach falsch. Sie von der Koalition wollen eine Steinzeitenergiepolitik mit dreckiger Kohle und mit Fracking durchsetzen. ({1}) Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({2}) Es soll bei Ihnen einige geben, die meinen, es sei eine gute Idee, Chemikalien unter hohem Druck in die Erde zu pressen, um auch noch das letzte bisschen Erdgas aus dem Boden zu fracken. Aber ich sage Ihnen: Ein viel besserer und dauerhafterer Weg aus der Abhängigkeit von Energieimporten ist es, weniger Energie zu benötigen. Die Energieeffizienz, das Einsparen von Energie, das ist die eigentliche heimische Energiequelle. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Verlinden, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mattfeldt?

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ein bisschen den Eindruck, Sie sind nicht ganz so gut informiert, was die Erdgasförderung insgesamt und insbesondere in Niedersachsen anbelangt. ({0}) Ich würde wirklich gerne einmal wissen, wie Sie dazu stehen, dass der grüne Umweltminister Herr Wenzel es toleriert, dass giftige Frackingfluide, dass Lagerstättenwasser sogar in Trinkwasserschutzgebieten verpresst werden dürfen. ({1}) Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Steinen werfen. Vielleicht können Sie mir einmal erläutern, warum das von einem grünen Umweltminister nicht zurückgenommen wird. Diese Kritik müssen Sie sich gefallen lassen. ({2})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Mattfeldt, ich bin darüber informiert, dass Sie ein Skeptiker der Frackingtechnologie sind. Da sind wir einer Meinung. ({0}) - Ja, genau. Es geht um das Handeln. - Deswegen warte ich seit einiger Zeit darauf, dass die Bundesregierung endlich einen Vorschlag für eine Änderung des Bundesbergrechts vorlegt; ({1}) denn nur so können wir rechtssicher die Frackingtechnologie verhindern. ({2}) Wir brauchen mehr als nur eine Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes. ({3}) Wir brauchen mehr als nur eine Änderung der Umweltverträglichkeitsprüfung für Bergbau. Wir brauchen klare Anweisungen aus Richtung der Bundesregierung. Wir als Bundesländer können die Missstände, die auf Bundesebene existieren, nicht ausmerzen. ({4}) Wir können das Thema aber gerne einmal bei einem Kaffee vertiefen, Herr Mattfeldt. ({5}) Sie alle reden immer von Energieeffizienz, aber ich glaube, Sie haben es noch nicht verstanden ({6}) als echte Strategie der Energie-, Wirtschafts- und Außenpolitik. Sie alle sprechen immer in Ihren Reden davon, aber es passiert nichts. Energieeffizienz nützt nicht nur dem Klima, sondern schont auch unsere Kassen. Derzeit geben wir 100 Milliarden Euro für den Import von Erdöl, Erdgas und Kohle aus, und zwar jedes Jahr. Diese Ausgaben zu senken, sollte doch auch in Ihrem Interesse sein. Mehr als 35 Prozent unseres Erdgases kommt aus Russland. Dieses Gas benötigen wir in erster Linie zum Heizen des Fraunhofer-Instituts IWES. Eine Studie hat jüngst gezeigt, dass wir durch eine schnellere energetische Sanierung unserer Häuser und durch einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien diese Erdgasimporte bis 2030 komplett überflüssig machen können. Dafür müssen wir aber jetzt mit dem Energiesparen anfangen. Das heißt, wir brauchen eine spürbare Erhöhung der KfW-Mittel für energetische Sanierung. Dies ist im augenblicklichen Entwurf des Haushalts leider nicht vorgesehen. Aber nicht nur das: Wir brauchen auch einen Energiesparfonds, mit dem wir Effizienzpolitik und Energieeinsparungen umfassend, sozial gerecht und wirkungsvoll finanzieren. Das wäre der richtige Weg, um hier endlich voranzukommen. ({7}) Seit der Bundestagswahl ist nun fast ein Jahr vergangen. In den Wahlprogrammen aller im Bundestag vertretenen Parteien finden sich, wie gesagt, diese rhetorisch starken Bekenntnisse zur Energieeffizienz. Aber es geht ums Handeln. Das haben Sie ja eben sehr richtig angemerkt. Selbst im Wahlprogramm der FDP stand etwas zum Thema Energieeffizienz. Aber was ist in diesem Bereich seit einem Jahr passiert? So gut wie gar nichts. ({8}) Diesmal können Sie nicht der FDP die Schuld dafür geben. ({9}) - Nein, gehen sie nicht. ({10}) Der vorliegende Haushaltsentwurf steht nicht für große Sprünge bei der Energieeffizienz im nächsten Jahr, schlimmer noch, es geht schrittchenweise zurück mit der Energiewende. Es geht zurück, Herr Jurk. So wollen Sie zum Beispiel die Mittel für das eben angesprochene erfolgreiche Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien im Wärmebereich um 12 Millionen Euro kürzen. Wie passt das bitte schön mit der Energiewende zusammen? ({11}) Zur Erinnerung, Herr Gabriel: Auch diese Legislaturperiode dauert nur vier Jahre. Das erste Jahr ist um. Es wird langsam Zeit, dass Sie in die Hufe kommen. Wir brauchen eine Energieeinsparpolitik, die sich auch im Bundeshaushalt ganz klar niederschlägt, und zwar jetzt, sofort. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Mark Hauptmann. ({0})

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Deutschland geht es gut und sorgt dafür, dass das so bleibt. - So könnte die Überschrift in den Zeitungen lauten, nachdem wir in dieser Woche über den Haushalt debattiert haben. Denn dieses Jahr haben wir mit dem Haushalt einen großartigen Erfolg erzielt. Zum ersten Mal seit 1969 liegt für 2015 ein Haushaltsentwurf vor, der ohne Neuverschuldung auskommt. Dies zieht sich in der Finanzplanung bis 2018 so weiter. Dem Schuldenmachen auf Kosten kommender Generationen wird hiermit ein Riegel vorgeschoben. Die schwarze Null ist daher auch eine historische Leistung im Sinne der Generationengerechtigkeit, auf die wir zu Recht stolz sein können. ({0}) Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, diesen Erfolg gerade im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit wollen wir uns von Ihnen und von Ihren Kollegen, die permanent nach Steuererhöhungen und Umverteilung schreien, nicht zerreden lassen. Wir haben hier quasi einen zukunftsweisenden Erfolg erzielt. Der stabile Bundeshaushalt ist aber aktuell auch auf die gute Beschäftigungssituation zurückzuführen, die wir vor allem unseren mittelständischen Unternehmen zu verdanken haben. Die Kernaufgabe der deutschen Wirtschaftspolitik muss daher die Impulsgebung für mittelständische Aktivitäten sowie die gezielte Förderung innovativer Technologien sein. Wir brauchen Mittelstand, wir brauchen Investitionen, und wir brauchen Technologien für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Kommen wir zum ersten Punkt, zum Mittelstand. Der Mittelstand ist bei uns in Deutschland Innovationsmotor und das Fundament unseres deutschen Wohlstands. Über 1 500 deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer in ihren jeweiligen Marktsegmenten. Das Bundeswirtschaftsministerium hat festgestellt, dass neun von zehn Spitzenunternehmen Mittelständler sind. Der Bereich Mittelstandspolitik hat im Einzelplan dieses Haushaltsentwurfes ein Volumen von 875 Millionen Euro. Der größte Teil entfällt dabei auf die Investitionsförderung in strukturschwachen Regionen. Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, GRW, hat im Haushalt 2015 eine Aufwertung um 17 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro erfahren. Gerade ostdeutsche Bundesländer haben in den vergangenen Jahren von dieser Förderung profitiert, beispielsweise durch Fördermittel für die Erschließung des Breitbandausbaus. Die strukturschwächeren ländlichen Räume haben hier besonders mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen eine Infrastruktur vorzuweisen, die wir nachhaltig stärken sollten. Die Erhöhung der GRW-Mittel entspricht daher exakt der Zielsetzung unserer Wirtschaftspolitik, allen Regionen einen marktorientierten Strukturwandel mit verlässlichen Rahmenbedingungen zu ermöglichen und positive Wachstumskräfte freizusetzen. ({1}) Zweitens: zum Bereich der Innovationen. Ein innovativer Mittelstand ist für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft entscheidend. Aufgrund ihrer Spezialisierung und unmittelbaren Kundennähe tragen gerade die mittelständischen Unternehmen mit vielen Entwicklungen zu innovativen Produkten bei. Kleine, aber hochinnovative Familienbetriebe stärken als Hidden Champions das Qualitätssiegel „Made in Germany“. Ziel einer erfolgreichen Mittelstandspolitik muss also sein, entsprechende Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln zu schaffen, um Gründung, Wachstum, Innovationen und Investitionen zu erleichtern. Die Erhöhung der Förderung des Kapitels zu Innovationen und Technologie im Haushaltsentwurf um 39 Millionen Euro auf über 2,38 Milliarden Euro ist hierbei ein klarer Schritt in die richtige Richtung. Es wurde bereits angesprochen: Unser deutsches Leuchtturmprojekt zur Unterstützung von anwendungsorientierter technologieoffener Forschung ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Auch hier haben wir dafür gesorgt, dass mit der Erhöhung der ZIM-Mittel um 30 Millionen Euro auf rund 543 Millionen Euro ein Schritt in die richtige Richtung gemacht wird. Mit der Unterstützung von ZIM können Unternehmen und kooperierende Forschungseinrichtungen Zuschüsse für anspruchsvolle Forschungs- und Entwicklungsprojekte erhalten und so auch innovative Ideen in ganz Deutschland umsetzen. Es ist zu begrüßen, dass die neuen Länder mit einem Anteil von 40 Prozent besonders von diesen Forschungsunterstützungsleistungen profitieren. Warum ist das so? Während im Süden und im Westen der Republik die großen Unternehmen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben übernehmen, findet diese Innovationsleistung in Ostdeutschland - Herr Claus, Sie haben das angesprochen - gerade bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen statt. Die Bezeichnung des Mittelstandes als „Brutkasten“ für innovative Ideen und Entwicklungen ist daher gerade für die neuen Bundesländer in besonderem Maße zutreffend. ZIM kann diese Lücke füllen und kleine und mittlere Betriebe entscheidend stärken. ({2}) Neben den vielen Chancen gibt es natürlich auch zahlreiche Herausforderungen. Wir alle wissen, dass der demografische Wandel uns alle betrifft. Wir müssen auch Antworten im Hinblick auf den ländlichen Raum und den demografischen Wandel dort finden. Meine Heimat, der Freistaat Thüringen, ist hier bereits einen Schritt weiter als wir im Bund. Seit dem 1. September dieses Jahres werden Familien in Thüringen mit einem Sanierungsbonus von mindestens 12 000 Euro unterstützt, wenn sie bestehende Gebäude energetisch und barrierearm umgestalten und mindestens 50 000 Euro investieren. Insgesamt investiert der Freistaat Thüringen 25 Millionen Euro in dieses Projekt. Wenn wir dies flächendeckend in ganz Deutschland haben wollen, dann brauchen wir diesen Sanierungsbonus auch mit der Unterstützung des Bundes. In den Koalitionsvertrag hat der Sanierungsbonus schon Eingang gefunden; nun müssen wir ihn auch mit Leben erfüllen. Drittens: der Bereich der Technologie. Von der Innovationsfähigkeit unserer mittelständischen Betriebe ist es nicht weit zur Technologiepolitik. Die große Stärke unseres Landes liegt darin, dass wir gerade hier wollen, dass der Erhalt der Technologie und die Erschließung neuer Märkte weiter gefördert werden. Von daher, sehr geehrter Herr Minister, gestatten Sie mir eine kurze Anmerkung. Wir alle wollen Hochtechnologie in diesem Land halten. Von daher verstehen wir in der Union teilweise nicht die Frage, dass wir auf der Grundlage der zu rot-grünen Zeiten festgelegten Exportrichtlinien im Bereich der Verteidigung weitere Einschränkungen vornehmen wollen und eben einen Abbau dieser Technologie zumindest billigend in Kauf nehmen. Von daher bitte ich Sie - das sollte auch noch einmal zusammen mit uns überlegt werden -, dass wir diesen Bereich gerade dort, wo Dual-Use-Güter hergestellt werden, wo also zivile als auch sicherheitsrelevante Güter hergestellt werden, besonders berücksichtigen. Sie alle kennen diese Spill-Over-Effekte, die im Bereich der sicherheitsrelevanten Forschung auch auf die zivile Nutzung entstehen. Denken Sie an das GPS, an die Sensorik, die Optik, die IT-Sicherheit, die Oberflächentechnik, die Mechatronik und, und, und. Wir alle wollen, dass diese Bereiche auch in Zukunft erfolgreich hier in Deutschland bleiben können und hier für Arbeitsplätze und für die Hochtechnologie in diesem Land sorgen. Von daher bitte ich Sie, dass wir noch einmal darüber nachdenken, wie wir es schaffen können, Hochtechnologie in diesem Bereich auch in Zukunft in diesem Land erfolgreich zu erhalten, und wie wir hier dafür sorgen, dass wir auch beim Haushaltsentwurf 2016 sagen können: Deutschland geht es gut, und wir sorgen auch in Zukunft dafür, dass dies so bleibt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Jan Metzler, CDU/CSU. ({0})

Jan Metzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein ausgeglichener Bundeshaushalt: ein Ziel, an dem Generationen von Politikerinnen und Politikern gearbeitet haben. Seit Jahren wird daran beharrlich gefeilt, oft gegen Widerstände und - das ist heute in der Debatte gewissermaßen auch noch einmal als „Restreminiszenz“ deutlich geworden auch mit Rückschlägen, aber immer das Langfristziel vor Augen. Ein großer Dank geht dabei zuallererst an unseren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit 45 Jahren - das ist für mich ein klares Bekenntnis zur Generationengerechtigkeit. ({0}) Ein Paradigmenwechsel weg von einer Politik des Schuldenmachens ohne Steuererhöhungen eröffnet Deutschland neue Chancen und Perspektiven. Was heißt das konkret? Die Zinsen sind mit rund 9 Prozent der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt. Je weniger Zinsbelastung, desto mehr Gestaltungsspielraum für unser Land. Das wird sich auch schon im kommenden Jahr zeigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Zinsausgaben sinken dann um beinahe 650 Millionen Euro. Das ist beachtlich. Das festigt das Vertrauen in die deutsche Finanz- und Haushaltspolitik sowohl im Inland als auch im Ausland. Maßgebliche Treiber der positiven Haushaltsentwicklung sind ohne Frage die starke Wirtschaft mit einem leistungsfähigen Mittelstand und der daraus resultierende solide Arbeitsmarkt. ({1}) Gerade dieser Tage erlebt die deutsche Industrie erneut einen Exportrekord. Darauf können wir stolz sein. Deshalb müssen wir jetzt die finanziellen Spielräume nutzen und die richtigen Impulse setzen, um Deutschland auch in Zukunft fit zu halten. Natürlich gilt: Die weltwirtschaftliche Entwicklung hat ebenfalls einen maßgeblichen Einfluss auf unser Land und darauf, wie wir gemeinsam den bestmöglichen wirtschaftspolitischen Rahmen für Deutschland gestalten können. Jetzt gilt es, unsere entschlossene und unaufgeregte Politik fortzusetzen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat das gestern betont, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, er hat recht damit. Wie packen wir das an? Erstens. Wir werden auch weiterhin gezielt in die Infrastruktur als Fundament der deutschen Wirtschaft investieren. Zweitens. Die gerade erst von der Bundesregierung verabschiedete Digitale Agenda ist Dreh- und Angelpunkt der Hightech-Strategie für die kommenden Jahre. Sie wird die Innovationskraft in Deutschland weiter voranbringen. Drittens. Wir werden auch weiterhin beständig in Bildung, Wissenschaft und Forschung investieren und hier vor allem in die Vernetzung mit der Wirtschaft. Viertens - und damit abschließend -: Wir setzen einen wirtschaftspolitischen Rahmen, der solide Wachstumsimpulse schafft und Innovation als Schlüssel dazu identifiziert. Das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir ein Land der Forscher und der kreativen Köpfe sind. Also müssen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland auch verlässlich und darüber hinaus besonders attraktiv als Nährboden für Innovationen gestalten und erhalten. Wir werden mehr Anreize als bisher für Neugründungen und Innovationen schaffen. Neue Ideen aus Wissenschaft und Forschung sollen erfolgreich in Deutschland zum Produkt oder zur Dienstleistung werden. Unternehmen müssen auch weiterhin bei uns investieren, produzieren und ansässig sein wollen, egal ob es sich dabei um einen kleinen Betrieb, einen Mittelständler oder einen Konzern handelt. Nur so kann es uns auch weiterhin gelingen, Vorreiter auf den Märkten von morgen zu sein. Was wir ebenfalls tun müssen: Wir müssen insgesamt mutiger werden. Wir müssen Unternehmer in ihrem Tun bestärken und den Gründergeist fördern. ({2}) Auch unternehmerisches Scheitern kann dazugehören. Aber gerade hiermit tun wir uns in unserer Gesellschaft immer noch schwer. Das müssen wir lernen, um den Mut zum Risiko nicht zu verlieren und Menschen in ihrem Bestreben nicht zu bremsen, sondern sie zu stärken. Hier setzt der Haushaltsplan des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie an: Beispiel eins. Mit dem Förderprogramm EXIST soll eine Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit an Hochschulen und Forschungseinrichtungen etabliert und somit die Zahl der Unternehmensneugründungen erhöht werden. Beispiel zwei. Das Programm INVEST zielt darüber hinaus auf eine Stärkung des Wagniskapitalmarktes in Deutschland ab. Beispiel drei. Der entscheidende Impulsgeber ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand mit einem Volumen von mehr als 540 Millionen Euro. Der Wissenstransfer zwischen Forschung und Mittelstand wird hier gefördert und Innovation so beschleunigt. Das sind passgenaue Programme, meine sehr geehrten Damen und Herren. Insgesamt werden Innovation, Gründergeist und Wissenstransfer in der deutschen Wirtschaft mit fast 850 Millionen Euro gefördert, mehr als 10 Prozent des gesamten Wirtschaftsetats. Das ist richtungsweisend, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die regionale Wirtschaftspolitik, der strukturpolitische Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Mit der GRW, der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, werden wir die schwächeren Regionen in Deutschland weiter fördern und voranbringen. Die GRW ist ein Erfolgsmodell seit 1969. So können beispielsweise durch die Förderung von Unternehmen, Industrie- und Gewerbegeländen oder der touristischen Infrastruktur wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen und nachhaltig gesichert werden. Wir müssen auch künftig schwächeren Regionen in Deutschland unter die Arme greifen; denn die Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und strukturstarken Ballungszentren werden durch den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel weiter zunehmen. Dieser Entwicklung werden wir uns stellen. Darum ist es wichtig, dass für dieses zentrale und bewährte Instrument ab dem nächsten Jahr mehr Mittel, nämlich insgesamt rund 600 Millionen Euro jährlich, zur Verfügung gestellt werden. Förderung von Innovation, eine verlässliche Infrastruktur und Vertrauen in unsere Haushalts- und Finanzpolitik sind die Rahmenbedingungen, die wir als Politik setzen können und müssen, um der Wirtschaft ein langfristiges und nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Die Menschen vertrauen auf eine verlässliche Finanzund Wirtschaftspolitik in unserem Land. Ein ausgeglichener Haushalt ohne Neuverschuldung das erste Mal seit 1969 ist dabei ein starkes und das richtige Signal. ({4}) Dies ist kein einmaliges Ziel für ein Jahr, eine Regierung, eine Koalition oder eine Legislaturperiode. Nein, es muss vielmehr ein gesamtpolitischer Anspruch an uns alle sein, um den bisher eingeschlagenen Weg in die Zukunft erfolgreich fortsetzen zu können. Der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit 45 Jahren ist für mich - das möchte ich klar unterstreichen - ein klares Bekenntnis zur Generationengerechtigkeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Andreas Mattfeldt, CDU/CSU. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast zwei Stunden nähern sich dem Ende, und wir kommen jetzt endlich zum Schluss der Debatte. Ich denke auch, es ist schon fast alles gesagt worden, nur noch nicht mit meinen Worten. Ich darf Ihnen zur Haushaltspolitik sagen: Gerade bei der derzeitigen weltpolitischen Lage ist es natürlich sehr schwierig gewesen, einen Haushalt in dieser Dimension aufzustellen. Zu Recht haben derzeit viele Menschen in Deutschland Angst, und ich hoffe inständig, dass sich die vereinbarte Waffenruhe in der Ukraine zu einem tragfähigen Frieden entwickeln wird. ({0}) Natürlich kann oder wird sich die derzeitige fragile Situation auch auf die wirtschaftliche Lage bei uns in Deutschland auswirken. Noch kann niemand abschätzen, wie sich die Wirtschaftsdaten zukünftig entwickeln. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir den erfolgreichen Weg mit den in diesem Haushalt gesetzten Schwerpunkten fortsetzen und weiterhin eine mittelstandsfreundliche Förderpolitik hin zu noch mehr Innovation und Forschung umsetzen, damit Arbeitsplätze erhalten, neue Arbeitsplätze geschaffen und - das stellen wir in diesen Tagen fest - sowohl Unternehmer als vor allem auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einer stabilen Wirtschaft profitieren werden. ({1}) Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und die immer stärker werdende Bedrohung durch die sogenannte IS-Terrortruppe im arabischen Raum verlangen dieser Koalition wichtige Entscheidungen ab, die sich - das darf ich auch in Bezug auf den Beschluss in der letzten Woche einfach einmal sagen - niemand leicht macht. Deshalb hat Deutschland in der vergangenen Woche richtigerweise Hilfs-, aber auch Waffenlieferungen in die Krisenregion des Irak auf den Weg gebracht. Weil eben etwas anderes anklang, stelle ich hier zudem fest: Auch die Sanktionen gegenüber Russland sind richtig. Mit Blick auf den Verkauf des Erdgasförderbetriebes RWE Dea an einen russischen Oligarchen sage ich, dass sie meiner Auffassung nach sogar noch schärfer hätten ausfallen können. Das Verhalten der russischen Seite gegenüber der Ukraine darf eben nicht sehenden Auges still hingenommen werden - auch nicht, wenn, wie in diesem Fall, ein großes Geschäft eines deutschen Rüstungskonzerns gestoppt werden muss. ({2}) Freiheit gibt es eben nicht kostenlos. Herr Minister, Sie wissen, dass wir beide uns nicht nur persönlich sehr nahe sind, ({3}) sondern uns auch in vielen Dingen auf einer Linie befinden. Allerdings - und das darf in einer Koalition auch angesprochen werden - haben viele Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion große Probleme mit der neuen Rüstungsexportlinie Ihres Hauses. Es kann nicht nachvollzogen werden, warum schusssichere Westen, die Ende Mai von der Ukraine angefordert wurden und die nun wirklich nicht im Verdacht stehen, als Waffen eingesetzt werden zu können, die Ukraine bis heute nicht erreicht haben. Viele in unserer Fraktion haben die Sorge, dass ein ganzer Wirtschaftszweig in große wirtschaftliche SchwieAndreas Mattfeldt rigkeiten gerät, und ich habe den Eindruck, dass sich Nachbarländer darüber freuen, dass die Rüstungsexportrichtlinien von uns zu streng ausgelegt werden. Dabei geht es eben nicht nur um zahlreiche Arbeitsplätze, sondern auch um Know-how und die Erhaltung unserer Verteidigungsfähigkeit durch die Weiterentwicklung von Technologien. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir all dies nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen. ({4}) Kommen wir zum Kernthema, über das wir heute sprechen, zurück: zum Haushaltsentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums für 2015. Das Gesamtvolumen ist um rund 300 Millionen Euro auf gut 7,1 Milliarden Euro gesunken, liegt damit aber immer noch 1,1 Milliarden Euro über dem Ansatz des Finanzplans. Das liegt natürlich an der Tatsache, dass die Zuständigkeit für die Energiepolitik in dieser Legislaturperiode in Ihr Wirtschaftsressort übertragen wurde. Doch neben der Energiepolitik fällt auch ein weiterer wichtiger Schwerpunkt in die Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums, nämlich die Luft- und Raumfahrtindustrie, die richtigerweise aus diesem Haushalt mit 1,4 Milliarden Euro gefördert wird. Ende dieses Jahres stellt sich beim EU-Ministerrat die Frage, ob wir Europäer weiterhin einen eigenständigen Zugang zum All haben wollen oder ob wir hierauf verzichten wollen. Ich bin hinsichtlich eines Verzichts skeptisch; denn erst kürzlich durften wir erleben, was es heißt, wenn wir uns beim Transport ins All von anderen Nationen abhängig machen. Wir haben kräftig Lehrgeld gezahlt: Wir haben zwei teure Galileo-Satelliten mit einer russischen Sojus-Rakete ins All befördern lassen. Leider wurden die Satelliten in einer falschen Umlaufbahn ausgesetzt und konnten nicht mehr gerettet werden. Deshalb ist klar: Deutschland darf seine Aktivitäten unter dem Dach der ESA nicht einschränken, und wir Europäer benötigen weiterhin einen eigenständigen Zugang zum All. ({5}) Unser technisches Wissen in diesem Bereich darf nicht verloren gehen. Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, dass deutsche Firmen auch zukünftig bei der Weiterentwicklung und beim Bau der Ariane federführend tätig sind. Wir müssen das Wissen und das Können unserer Ingenieure nutzen, und wir müssen es gewinnbringend einsetzen. Deshalb ist es richtig, dass wir uns mit dem Projekt Galileo im Bereich der Navigation als Europäer unabhängig machen. Eingehen möchte ich, weil es noch nicht angesprochen worden ist, auf den Tourismus. Die Welt ist nicht nur durch unser fußballerisches Können auf uns aufmerksam geworden, sondern sie interessiert sich auch - manch einen auf der linken Seite des Hauses mag das wundern - für unser Land. Viele Menschen im Ausland wollen nach Deutschland. Sie wollen bei uns Urlaub machen, sie wollen sich unsere Städte ansehen, unsere Kultur erleben und deutsche Lebensart schnuppern. Deutschland ist in! Davon profitiert auch unsere Volkswirtschaft. ({6}) In den vergangenen Jahren betrugen die Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr um die 30 Milliarden Euro. Um sich das einfach einmal auf der Zunge zergehen zu lassen: Wir reden von über 2,9 Millionen Beschäftigten allein in der Hotel- und Gastronomiebranche. ({7}) Damit sich dieser Erfolg fortsetzt und wir das auch durch den Gewinn des Weltmeistertitels erreichte Interesse an Deutschland als Urlaubsziel erhalten und weiter ausbauen können, brauchen wir die Arbeit der Deutschen Zentrale für Tourismus. Jeder hier investierte Euro lohnt sich. Die Deutsche Zentrale für Tourismus wirbt im Ausland für unsere schöne Heimat. Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir in den kommenden Beratungen mehr Mittel dafür einsetzen. ({8}) Deutschland als rohstoffarmes Land kann natürlich nicht nur auf den Tourismus setzen. Das machen wir auch nicht. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag fest verankert, 3 Milliarden Euro zusätzlich für die Forschung auszugeben, Geld, von dem das Wirtschaftsministerium massiv profitiert. Eben ist schon das Zentrale Investitionsprogramm Mittelstand angesprochen worden. Das ist die tragende Säule der Mittelstandsförderpolitik. Das Programm ist äußerst erfolgreich: Der Mittelstand forscht erfolgreich, und er forscht im Gegensatz zu manch großem Unternehmen sehr effektiv. Deshalb ist es gut - ich habe das bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr angekündigt -, dass wir dieses Programm mit 30 Millionen Euro zusätzlich ausstatten dürfen. Wichtig ist aber - das sage ich, weil man ja auch Kritik üben soll -, dass wir die Unternehmen auch nach erfolgreicher Produktentwicklung begleiten, damit Innovationen produziert und vermarktet werden können. Hier sehe ich noch Defizite, die wir ganz offen ansprechen müssen. Wir sollten überlegen, ob wir nicht zum Beispiel den Titel für Beteiligungen an Auslandsmessen erhöhen, um kleinen Unternehmen den Zugang zu den für sie wichtigen Märkten zu verschaffen, den sie sich alleine nicht leisten können. Herr Minister, Ihr Haushaltsentwurf sieht, wie übrigens auch in den vergangenen Jahren, vor, dass 40 Prozent der ZIM-Fördermittel - bei anderen Programmen ist der Anteil noch höher - in die neuen Bundesländer fließen sollen. Ich möchte hier wirklich keine Ost-WestKlischee-Schublade öffnen; aber es muss doch erlaubt sein, dass wir uns an Fakten orientieren. Ich sage: Es gibt prosperierende Regionen in Ost- und in Westdeutschland. Aber wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, dass es genauso in Ost- und in Westdeutschland Regionen gibt, die eine Förderung brauchen. ({9}) Ich bin mir unserer besonderen Verantwortung gegenüber den neuen Ländern sehr wohl bewusst. Aber im Jahre 25 nach der deutschen Teilung muss man sich doch fragen, ob eine dauerhafte Bevorzugung der neuen Länder durch Fördergelder in der derzeitigen dogmatischen Art noch zeitgemäß ist. Ich glaube, hierüber sollten und müssen wir sprechen. ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben heute einen sehr guten Haushaltsentwurf vor uns, und wir werden ihn sicherlich in den anstehenden Haushaltsberatungen noch weiter verbessern. In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden Beratungen, und ich kann Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, nur erneut auffordern, hieran konstruktiv und vor allen Dingen ideologiefrei mitzuarbeiten. Herzlichen Dank. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor. Deshalb kommen wir jetzt zum nächsten Geschäftsbereich, nämlich dem des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Ich warte noch ein bisschen, bis die Kolleginnen und Kollegen, die zu diesem Einzelplan sprechen bzw. sich an der Diskussion beteiligen wollen, die Sitzplätze eingenommen haben. Für die Bundesregierung erteile ich zuerst der Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen das Wort. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren den Haushalt 2015 vor einer Folie gravierender Veränderungen, die zurzeit in Europa stattfinden - fast die gravierendsten seit Ende des Kalten Krieges. Es sind vor allen Dingen die beiden Konflikte in der Ukraine und im Irak, die ihre langen Schatten werfen. Zunächst einmal zur Ukraine: Wir erleben ein Vorgehen Russlands - darüber haben wir heute schon viel gesprochen -, das nicht nur die Ukraine destabilisiert, sondern auch die Grundprinzipien der Sicherheitsarchitektur, die wir in den letzten 20, 30 Jahren aufgebaut haben, infrage stellt. Vor allen Dingen erleben wir durch das russische Agieren ein aktuelles Beispiel dessen, wofür inzwischen der Begriff „hybride Kriegsführung“ eingeführt worden ist. Russland ergreift eine Mischung von Maßnahmen: verdeckte Operationen und offener Einsatz von Mitteln, Einsickern von Geheimdienstpersonal, Militärpersonal ohne Hoheitsabzeichen, Desinformationen, sehr gezielte Propaganda, Schüren von sozialen Disparitäten oder Spannungen in einer bestimmten Region, massiver Aufwuchs von Truppen in Grenzregionen, auch als psychologisches Druckmittel - und das Ganze zum Teil kombiniert mit wirtschaftlichem Druck. Meine Damen und Herren, diesem Verhalten müssen Grenzen gesetzt werden. Wir haben uns beim NATOGipfel ausführlich damit auseinandergesetzt und mit Geschlossenheit und Entschlossenheit reagiert. Überwölbendes Ergebnis des NATO-Gipfels ist der Readiness Action Plan. Wir werden uns von deutscher Seite aus erstens an der neuen Einsatztruppe, der sogenannten Speerspitze, beteiligen, die die Voraussetzungen dafür schaffen soll, Kräfte - wenn nötig - schnell an die Ränder der Allianz zu verlegen und sie dort schnell zum Einsatz zu bringen. Es geht hier vor allem um Reaktionsgeschwindigkeit. Zweitens werden sich Deutschland und die Bundeswehr weiterhin dauerhaft an der stärkeren Präsenz in den baltischen Mitgliedstaaten, die wir in den letzten Monaten schon gezeigt haben, beteiligen. Wir werden drittens zusammen mit Dänemark und Polen das Multinationale Korps Nordost verstärken. Auch das verbessert die Reaktionsgeschwindigkeit und bietet vor allen Dingen Sicherheit für die östlichen Mitgliedsländer. Wir werden viertens das Rahmennationenkonzept, das auf deutsche Initiative hin vor einem Jahr in den NATO-Prozess eingebracht worden ist, nutzen, um die Entwicklung von militärischen Fähigkeiten innerhalb der NATO voranzutreiben. Das ist insgesamt, meine Damen und Herren, ein starkes und ausbalanciertes Paket an Maßnahmen, das die Anpassungsfähigkeit der NATO unterstreicht und voranbringt. In Wales war auch der Irak ein Thema. Wir sehen einen blutigen Vormarsch des „Islamischen Staates“ im Irak und in Syrien, geprägt von unbeschreiblicher Grausamkeit. Wir alle sehen, dass eine ganze Region in ihrer Sicherheit bedroht ist. Auch hier hat die Bundesregierung rasch reagiert. Wir stellen humanitäre Hilfe für die unmittelbar Verfolgten und die Flüchtlinge im Norden des Iraks zur Verfügung. Aber wir unterstützen auch diejenigen, die sich dem IS entgegenstellen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass das zum einen selbstverständlich in erster Linie unsere Verantwortung ist, zum anderen aber auch unser sicherheitspolitisches Interesse, und dass deshalb beides zwei Seiten einer Medaille sind. Unsere aktuelle Unterstützung ist aber auch - das ist mir wichtig - in einen politischen Prozess eingebettet - unser Außenminister ist dafür unermüdlich unterwegs -, der im Irak dazu führen muss, dass eine inklusive Regierung gebildet wird, die alle Religionsgruppen an der Regierungsbildung und vor allem an der Gestaltung des Landes teilhaben lässt und auch alle Länder in der Region konstruktiv mit einbezieht. Beim NATO-Gipfel war sehr deutlich zu spüren, dass kein Zweifel daran besteht, dass es lange dauern wird, bis der „Islamische Staat“, der mit großer Kompromisslosigkeit auftritt, niedergerungen ist. Das heißt, wir werden Geduld brauchen. Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern vorgehen, und wir werden unsere Politik im Einklang vor allem mit den islamischen Ländern der Region gestalten müssen; denn nur das wird mittelfristig zu einer Stabilisierung der Region führen. Beide Entwicklungen, im Osten wie im Süden, werden für einige Jahre unsere volle Aufmerksamkeit erfordern. Das heißt aber auch, dass mit unseren internationalen Aufgaben unsere Verantwortung wächst. Das, was ich eben beschrieben habe, führt uns auch immer wieder vor Augen, dass Freiheit und Sicherheit nicht zum Nulltarif zu bekommen sind. ({0}) Mir ist wichtig, dass wir uns nicht missverstehen, weil dies eine Haushaltsdebatte ist: Ich fordere keine Erhöhung des Plafonds 2015. Das ist alles in den letzten Monaten geschehen, und wir können jetzt nicht als Reaktion darauf einfach mehr Geld für Verteidigung in 2015 fordern. Aber - und das ist mir wichtig - Kürzungen, vor allem Kürzungen in allerletzter Minute, wären bei diesen Aufgaben für die Bundeswehr hochriskant. Das sage ich bewusst an dieser Stelle. ({1}) Die Bundeswehr ist gut aufgestellt. Sie ist einsatzbereit. Sie stellt täglich unter Beweis, was sie leisten kann. Wir sind weltweit in 17 Auslandseinsätzen unterwegs. Der größte davon ist der Einsatz in Afghanistan. Hilfe bei Naturkatastrophen, die Hilfsflüge in den Irak, innerhalb von 72 Stunden auf die Beine gestellt, die Bereitstellung von militärischem Material für die Peschmerga, die Versorgung verwundeter ukrainischer Soldaten sind nur einige Beispiele. Das ist alles keine Selbstverständlichkeit, sondern eine hochprofessionelle Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, und dafür muss der Verteidigungshaushalt bereitstehen, und zwar jetzt und auch in Zukunft. Das ist das Ziel unserer Beratungen. ({2}) Wir reden über einen Etat von 32,26 Milliarden Euro für das nächste Jahr. Wenn wir die vom Finanzministerium bereitgestellten zusätzlichen Mittel für die Tarifund Besoldungsrunde 2015 mit einbeziehen, dann kommen wir auf rund 33 Milliarden Euro. Vom NATO-Gipfel haben wir das Ziel mitgenommen, auf Dauer 2 Prozent unseres BIP für die Verteidigung aufzuwenden. Das bleibt ein langfristiges Ziel. Kurzund mittelfristig sollte allerdings der Fokus darauf liegen, dass wir das vorhandene Geld möglichst effizient und effektiv ausgeben. Darum geht es auch in der Debatte dieser Tage. Ich möchte die Situation, vor der sich das abspielt, etwas näher beleuchten. Wir kommen aus einer Umbruchphase. Die Bundeswehr steckt noch mitten in der Neuausrichtung. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten wird binnen weniger Jahre von rund 250 000 auf 185 000 verkleinert werden. Bundesweit werden zurzeit 32 Standorte geschlossen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode bei der Beschaffung schon neue Prozesse eingeführt. Wir haben Aufgaben in neuen Ämtern gebündelt, um die Truppe schneller und effizienter mit moderner Ausrüstung zu versorgen. Es gab also ganz viel Bewegung. Das alles ist natürlich nicht ohne Auswirkung auf die laufenden Planungs- und Beschaffungsprozesse geblieben. Projekte sind ausgefallen wie der Euro Hawk im Jahr 2013. Die Industrie hat zum Teil große Schwierigkeiten, zeitgemäß in der verlangten Qualität zu liefern, wie zum Beispiel beim A400M, der inzwischen vier Jahre Verspätung hat. Das produziert natürlich auch Engpässe. Hierbei handelt es sich um Milliardenprojekte, die nicht ohne Weiteres durch ein Austauschprojekt schnell kompensiert werden können. Wichtig ist, dass wir aus den Schwierigkeiten der Vergangenheit Konsequenzen ziehen. Deswegen unterziehen wir den Rüstungsbereich einer tiefgreifenden Überprüfung. Das ist kein Selbstzweck; es dient nicht dazu, sich einmal selbst zu spiegeln. Vielmehr geht es - mit Blick auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten - um die notwendige Ausrüstung auf der einen Seite und um den verantwortlichen Umgang mit Milliarden von Steuergeldern auf der anderen Seite. Wie Sie alle wissen, ist zurzeit ein externes Konsortium in unserem Haus dabei, bestehende Rüstungsprojekte und -prozesse zu untersuchen. Das Gutachten erwarte ich Anfang Oktober. Es wird uns inhaltlich helfen, künftig die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen, zum Beispiel bei den Hubschraubern, beim Luftverteidigungssystem, bei den Wartungsverträgen für den A400M, beim Schützenpanzer Puma und beim Mehrzweckkampfschiff, um nur einige Themen zu nennen, die konkret anstehen. All dies sind Investitionen in die Zukunft der Bundeswehr. Noch einmal zur Erinnerung: Wir sind uns in der NATO nicht nur über das 2-Prozent-Ziel einig, sondern auch darüber, dass 20 Prozent des Etats für eine stetige Modernisierung der Ausrüstung einzusetzen sind. Hier zeichnet sich folgendes Bild ab: Wir hatten in dem schwierigen Jahr 2013 einen Rückschritt auf 16,6 Prozent des Einzelplans für Investition, Forschung und Entwicklung zu verzeichnen. Auch das ist nicht ohne Folgen geblieben. Unser Ziel ist, diesen Anteil im Haushalt 2015 wieder auf über 19 Prozent zu steigern und vor allen Dingen in den Folgejahren bei gut 20 Prozent zu verstetigen. Wir werden außerdem Schwerpunkte für künftige Planungsvorhaben setzen. Das alles gehört in die Oktoberdebatte. Dabei geht es auch um die Identifizierung der wehrtechnischen Kernfähigkeiten, die wir in Deutschland und Europa unbedingt halten wollen. Das ist nicht nur eine Frage der Fähigkeiten, sondern auch eine Frage der Souveränität und der Unabhängigkeit eines jeden Landes; diese sind uns viel wert. Wir reden in diesen Tagen auch viel über das Thema Einsatz- und Verwendungsfähigkeit unseres Materials. Es ist richtig: Die Ausrüstung der Bundeswehr ist stark gefordert. Wir tragen dem Rechnung, indem wir die Ausgaben für Instandsetzung und Wartung von 2013 an in dieser Legislaturperiode um immerhin rund ein Fünftel, um 20 Prozent, steigern. Infrastruktur und Material sind die beiden großen Themen, die im Augenblick die Debatte beherrschen. Trotzdem bleibt es dabei - darüber herrscht Konsens in diesem Hohen Hause -: Das eigentlich Entscheidende sind die Menschen in der Bundeswehr. Es kommt auf motiviertes und qualifiziertes Personal an; das hat die Frühjahrsdebatte sehr stark dominiert. Wir haben deshalb unsere Agenda Attraktivität und untergesetzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht. Richten wir den Blick jetzt auf das angekündigte Artikelgesetz. Ich möchte Sie informieren, dass wir die Vorabstimmung über das Artikelgesetz mit dem Finanzministerium und dem Innenministerium fast abgeschlossen haben. Wir gehen dann in die Ressortabstimmung und die Verbändeabstimmung. Im Oktober werden wir bereit sein, den Gesetzentwurf in das Kabinett einzubringen, von dem ein Teil 2015 und ein anderer Teil erst danach in Kraft treten wird. Ich sage mit Blick auf das Artikelgesetz ganz deutlich: Dieses Gesetz wird nach jetzigem Stand der Dinge zusätzliche Mittel beanspruchen. Die exakten Zahlen können wir erst vorlegen, wenn wir das Gesetz zwischen den Ressorts abgestimmt haben und feststeht, was wir tatsächlich umsetzen. Dann werden wir darüber hier gemeinsam diskutieren. Abschließend, meine Damen und Herren: Viele Menschen in unserem Land stellen sich vor allem angesichts der schrecklichen Bilder, die wir tagtäglich sehen, zunehmend die bange Frage, ob wir auch in Zukunft sicher leben. Man sieht auch an den Umfragen, dass sich da etwas im Augenblick verändert. Meine Antwort lautet: Deutschland ist sicher - dank eines guten Miteinanders von Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und ja, ganz ohne Zweifel, auch den Leistungen der Bundeswehr, eingebettet in EU und NATO. Damit das auch in Zukunft so bleibt, damit wir eine einsatzfähige Bundeswehr behalten, braucht es vor allem mittel- und langfristig einen verlässlichen Verteidigungshaushalt. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen und danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Es spricht jetzt der Kollege Dr. Alexander Neu, Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Darstellung von Frau von der Leyen hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, dass es eine Linke in diesem Bundestag gibt, die ein differenzierteres Bild der sicherheitspolitischen Lage zeichnet. ({0}) Zunächst einmal zu den Einzelplänen. Es ist schon interessant, dass die beiden größten Einzelpläne des Bundeshaushalts die für Arbeit und Soziales und für Militär sind. Die Militärausgaben betragen nicht 33 Milliarden Euro, sondern nach NATO-Kriterien - das ist das Entscheidende im Haushalt - 35,1 Milliarden Euro. Das entspricht etwa 440 Euro jährlich pro Einwohner in diesem Land. Deutschland hat den viertgrößten Militärhaushalt in der NATO und den siebtgrößten global. Viele Staaten dieser Welt haben einen geringeren Gesamthaushalt, als Deutschland für sein Militär ausgibt. ({1}) Viele Staaten haben sogar ein geringeres Bruttoinlandsprodukt, als Deutschland für sein Militär ausgibt. Das sollte uns zu denken geben. Was sagt das aber über eine Gesellschaft aus, in der die Einzelpläne für Arbeit und Soziales und für Militär die beiden größten Einzelpläne darstellen? Zum einen, dass wir eine verfehlte Wirtschaftspolitik oder - besser ein falsches Wirtschaftssystem haben, das mehr Menschen in Armut und prekäre Verhältnisse bringt, die mit sozialpolitischen Maßnahmen mehr schlecht als recht korrigiert werden müssen. Zum anderen zeugt das von einem Verständnis einer militarisierten Außen- und Sicherheitspolitik in einer Zeit, in der Deutschland nicht einmal ansatzweise bedroht wird. So lautet auch die Feststellung von Generalinspekteur Wieker 2010 in seiner Stellungnahme zu einem Prüfauftrag. Ich zitiere: Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mitteleuropas und damit Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln besteht heute nicht mehr. Warum aber brauchen wir einen so hohen Militäretat? Zum einen, weil es immer noch die anachronistische Vorstellung gibt, wonach eine gewachsene Verantwortung auf internationaler Ebene primär mit militärischen Mitteln ausgeübt werden müsse. Steinmeier, von der Leyen und Gauck fordern immer unverhohlener, die internationale Reputation Deutschlands und die Mitsprache auf internationaler Ebene über das Militärische auszubauen. Gerade wurde es gesagt: Es gibt derzeit 17 Militäreinsätze der Bundeswehr. Der zweite Grund, warum es einen so hohen Militäretat gibt, besteht im westlichen Selbstverständnis: der Westen als Zentrum der Welt. Entweder unsere Vorstellungen und Werte werden global übernommen, oder aber es gibt Konflikte. So ist auch das Verständnis in der Kooperation mit Russland. Wenn Russland eine Berücksichtigung seiner sicherheitspolitischen Interessen einfordert, wird das weitestgehend ignoriert. ({2}) Wenn Russland seine sicherheitspolitischen Interessen umsetzt, da die Diplomatie und Gespräche mit dem Westen erfolglos waren, wird Russland als Aggressor dämonisiert. ({3}) Gemeinsame Sicherheit sieht gravierend anders aus. ({4}) Die Frage ist und bleibt doch, wer sich vor wessen Haustür mit militärischen Strukturen breitmacht. Russland auf jeden Fall nicht. ({5}) - Ihnen sollte die NATO-Osterweiterung bekannt sein. Wenn Ihnen die nicht bekannt ist, ist das traurig. Schaut man sich die sicherheitspolitische Bilanz der Out-of-Area-Kriege der NATO oder der kriegführenden NATO-Staaten wie USA, Frankreich und Großbritannien seit dem Endes des Kalten Krieges an, so stellt man fest, dass sie desaströs ist. Alle Kriege wurden verloren. Die Schlachten wurden gewonnen, keine Frage; aber das offiziell formulierte politische Ziel wurde niemals erreicht. Afghanistan, Libyen, Irak, die serbische Provinz Kosovo, Bosnien-Herzegowina - das alles sind gescheiterte Staaten, nachdem der Westen dort militärisch Hand anlegte und letztendlich die Situation verschlimmbesserte. Das ist übrigens ein wesentlicher Grund für die Verweigerung, ehrliche Einsatzbilanzen vorzulegen; denn die Ergebnisse würden das Scheitern belegen. Genau das will man vermeiden. Aber den Tod Hunderttausender Menschen als Kriegsopfer, Kriegsfolgenopfer oder Sanktionsopfer durch NATO-Kriege oder Kriege der USA mit ihren Koalitionen der Willigen kann man nicht verleugnen und nicht verstecken. Trotz dieses offenkundigen Scheiterns der militarisierten Außen- und Sicherheitspolitik zeigt man sich völlig unbeeindruckt. „Weiter so wie bisher und ein bisschen mehr“ scheint das Leitmotto zu sein. Das „ein bisschen mehr“ ergibt sich aus der Reaktivierung des alten Feindbildes Russland, wie Beschlüsse auf dem NATO-Gipfel belegen: Schaffung einer „Speerspitzen“-Eingreiftruppe, Bekräftigung der Ausdehnung der NATO nach Osteuropa und in den postsowjetischen Bereich, Open Door Policy, das Festhalten am NATO-Raketenabwehrsystem zwecks Neutralisierung des atomaren Gleichgewichts und die Bekräftigung der 2-Prozent-Klausel für die Militärhaushalte. - Eine kurze Anmerkung zur Absurdität der letzteren Argumentation: Die NATO hat mehr als das Zehnfache an Geldern, die der russische Militärhaushalt zur Verfügung hat. ({6}) Die einzige friedenspolitische Alternative für Europa ist nicht die NATO, sondern ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. ({7}) Wir brauchen die Retransformation der Bundeswehr zu einer reinen Verteidigungsarmee und zur Landesverteidigung. ({8}) Eins ist klar: Frieden in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Auch wenn Deutschland es manchmal für sich beansprucht: Russland ist faktisch das größte Land Europas und ein wichtiger Handelspartner Deutschlands und der Europäischen Union. Sich von der US-amerikanischen Außenpolitik diktieren zu lassen, wie wir unsere Handelsbeziehungen mit Russland handhaben, ist schon beschämend. So viel zur Souveränität deutscher Außenpolitik. ({9}) Daher fordert die Linke haushaltspolitisch die Einsparung und Umwidmung von Steuergeldern: von Menschen für Menschen und nicht für Waffen und Gewaltpolitik. Hierzu kann ich drei Beispiele anführen: Mit dem Geld für 53 Transportflugzeuge A400M kann man in diesem Land 6 300 Kitas bauen. Mit dem Geld für vier Fregatten 125 können Kommunen - sie sind eh gebeutelt 620 Sporthallen bauen. ({10}) Mit dem Geld für den Eurofighter - das große Milliardengrab - ließen sich 210 000 Sozialwohnungen bauen, die in diesem Land dringend gebraucht werden. Das wäre echte Friedenspolitik und bedeutete einen Gewinn an internationalem Ansehen und zugleich einen Gewinn für die Menschen in diesem Land. Ich danke. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Rainer Arnold. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir in diesem Haus haben heute des Leids im Zweiten Weltkrieg gedacht. Gerade meine Generation erinnert sich in solchen Stunden daran, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass wir in Frieden aufwachsen konnten. ({0}) Dieser Friede wurde organisiert durch eine weitsichtige Politik, und er wurde unterstützt, getragen und gesichert von Streitkräften, die glaubwürdig einsatzfähig sind. ({1}) In den letzten Monaten mussten wir erleben, dass sich im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika Terror und Krieg breitmachten. Mit Blick auf den Kollegen Neu: Es sind nicht wir, es ist nicht der Westen, der zur Stunde im Norden von Nigeria den Menschen Gewalt antut und den Menschen seinen Willen aufzwingen will; es sind die fundamentalen Islamisten der Boko Haram. Herr Kollege, wir alle haben geglaubt, dass es nach Beendigung der Balkankriege undenkbar sein wird, dass in Europa Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen werden. An die Kollegen der Linken: Es sind nicht wir, es ist nicht der Westen, der den Menschen im Osten der Ukraine und auf der Krim seine Regierungsform und die russische Lebensart aufzwingen will. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie glauben immer noch, Russland habe ein linkes Regime. Nein, es ist ein autokratisches, nationalistisches Regime. ({2}) Was Sie mit dem zu tun haben wollen, das verstehe ich wirklich nicht. Wir wissen gleichzeitig alle in diesem Haus, dass militärische Einsätze die meisten Konflikte nicht lösen werden. Militär wird an der einen oder anderen Stelle aber gebraucht, um sich schützend vor Menschen zu stellen, um Zeitfenster für diplomatische Lösungen zu öffnen und um Zeitfenster für humanitäre Hilfe und für die Eindämmung von Terror offenzuhalten. Das alles ist häufig notwendig. Deutschland redet immer über militärische Zurückhaltung. ({3}) Das Gegenteil von militärischer Zurückhaltung wären militärisches Vorpreschen und militärische Abenteuer. Ich glaube, kein vernünftiger Mensch in einer Demokratie wird dies wollen. Ich sage das deshalb, weil die deutsche militärische Zurückhaltung nicht mit einem möglichen Sonderweg Deutschlands innerhalb der Bündnisse verwechselt werden darf. Wir alle wissen: Unsere Sicherheit basiert darauf, dass dieses große Land in Europa mit leistungsfähigen Streitkräften ein verlässlicher Partner ist. ({4}) Die NATO-Tagung in Wales hat dies sehr deutlich gemacht. Ich bin der Bundesregierung außerordentlich dankbar dafür, wie besonnen sie auf der NATO-Tagung die deutschen Ziele erreicht hat. Es ist nicht einfach, Verständnis für die Sorgen unserer Partner in Osteuropa aufzubringen, ein verlässlicher Partner zu sein, wenn es darum geht, Fähigkeiten zu erweitern - ich glaube, die Schritte, die Deutschland hier mitträgt, vor allen Dingen in Polen, in Stettin, sind richtig und notwendig -, und gleichzeitig mit dafür zu sorgen, dass die Tür zum Dialog mit Russland bei allen Schwierigkeiten offen bleibt. Es ist mit ein Verdienst der Bundesregierung, dass die NATO-Tagung dies erreicht hat. ({5}) Zu dieser Debatte gehört am Ende natürlich auch die Debatte über die Frage: Welche Rolle und welche Verantwortung hat Deutschland in der Welt? Klar ist eines: Die negativen, die schlimmen Veränderungen in den letzten Monaten werden auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Streitkräfte der Bundeswehr haben. Politiker, die dies thematisieren, sind alles andere als Kriegshetzer, wie die Linken behaupten, ({6}) sondern sind Politiker, die schlichtweg der Realität, der Wirklichkeit ins Auge schauen. Einige, sowohl in der NATO als auch in Deutschland, glauben, die Gunst der Stunde nutzen zu müssen, um eine Debatte über mehr Geld - auf Basis eines schlichten Mechanismus - zu führen. Das meine ich nicht. Ich glaube, man hilft den Soldaten überhaupt nicht, wenn man in dieser Richtung falsche Erwartungen weckt. Die Soldaten sind Klarheit gewohnt. Für unsere Fraktion möchte ich aber noch einmal betonen - wir reden über den Haushalt -: Es ist doch logisch: Solange jedes Jahr über 1 Milliarde Euro an den Finanzminister zurückfließen, weil die Bundeswehr das Geld nicht ausgeben kann, kann niemand ernsthaft sagen: Herr Schäuble, wir brauchen mehr Geld. - Dies wird nicht funktionieren. Dass dieses Geld zurückfließt, ist - das muss man auch klar sehen - ein Erbe der alten Bundesregierung. Dort lag die Verantwortung für dieses Vorgehen. Aber richtig bleibt auch: Am Ende des Jahres 2015 wird weder die Verteidigungsministerin noch werden wir als Koalitionäre - wir sind hier mit im Boot - sagen können: Die Ursachen liegen in der Vergangenheit. ({7}) Wir müssen alles tun, dass diese Entwicklung umgekehrt wird. Wenn die alten Vorhaben geordnet sind - in diesem Bereich ist viel Zeit verloren worden; Sie haben unsere Unterstützung bei dem Prozess, um das alles zu überprüfen -, dann muss die Phase des Geldrückflusses beendet sein. Am liebsten wäre es uns, das würde auch im Haushalt einmal deutlich vermerkt werden. Wenn die Jahre kommen, in denen die Großgeräte geliefert werden, parallel und in hoher Stückzahl, dann muss sichergestellt sein, dass die Mittel dafür auf den Verteidigungsetat verlässlich obendrauf kommen. Wenn dies nicht gelingt, dann werden wir ein Problem bei der Attraktivität haben - die hat etwas mit der Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr zu tun -, und dann werden wir ein ganz großes Problem bei neuen Investitionen, bei der Modernisierung und Instandhaltung des Geräts haben. ({8}) Für die Zeit, wenn kein Geld mehr zurückfließt, wird auch gelten: Wenn die Bundeswehr Ausstattungshilfe in Regionen leistet, in denen wir dafür sorgen wollen, dass Staatlichkeit gegen Terror durchgesetzt werden kann - ich will nicht ausschließen, dass das mehr wird; zu der Einschätzung komme ich, wenn ich auf den afrikanischen Kontinent schaue -, und sie die Ausstattung wieder neu kaufen muss, dann muss sichergestellt sein, dass das Geld dafür aus dem allgemeinen Etat, aus dem Einzelplan 60, kommt und nicht aus dem Verteidigungsbereich. Dies heißt, neben dem, was die Ministerin schon gesagt hat - es sind keine weiteren Kürzungen mehr möglich -, muss auch sichergestellt sein, dass solche zusätzlichen Aufgaben, die uns alle gemeinsam berühren, aus dem allgemeinen Etat finanziert werden. Darüber hinaus: Natürlich müssen wir mittelfristig für steigende Betriebs- und Personalkosten Mittel obendrauf bekommen. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht notwendig, dass der Bundeswehretat ein breiteres Stück vom Gesamtkuchen des Etats bekommt. Aber er muss sich seinen Anteil an diesem Kuchen sichern. Damit ist auch klar: Das 2-Prozent-Ziel, das die NATO wieder beschlossen hat, wird für Deutschland nicht machbar sein. Stellen Sie sich das einmal vor: Wir müssten dann 52 Milliarden Euro aufbringen. Ich weiß gar nicht, ob es politisch überhaupt gewollt wäre, dass Deutschland ein so großer Zahler wäre und so viele Streitkräfte hätte, vor allem in Relation zu Großbritannien und zu Frankreich. Ich glaube, wir sind gut aufgehoben, wenn wir uns an diesen beiden Mittelmächten in Europa orientieren. Das tun wir im Augenblick mit unserem Etat. Deshalb ist es auch vernünftig, was hier vorgeschlagen worden ist. Das Entscheidende bei der Debatte um Geld ist nicht das Geld, sondern Intelligenz. Es muss endlich gelingen, die knappen Mittel in der NATO und in der Europäischen Union klüger auszugeben. Die Themen liegen auf der Hand; sie sind allesamt bekannt. Wir brauchen eine engere Verzahnung. Da Deutschland klar sagt, dass das 2-Prozent-Ziel für Deutschland mit seiner starken Volkswirtschaft nicht umsetzbar ist, hat Deutschland im Umkehrschluss eine besondere Verantwortung dafür, in Europa und innerhalb des Bündnisses die Prozesse in einer vertieften Sicherheitspolitik voranzubringen und Motor hierfür zu werden. Wir würden der Bundesregierung schon raten, dass, abgestimmt zwischen Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt, eine Stelle, ein hochrangig Beauftragter eingerichtet wird, der durch die Hauptstädte zieht, die Projekte identifiziert und zusammenführt. Zu diesen Themen ist in Europa und der NATO genug Papier beschrieben worden. Wir müssen sie jetzt realisieren. Deutschland wird dann bestimmte Kernfähigkeiten einbringen können. Dazu gehört sicherlich Luftbetankung, also Dinge, die in der NATO fehlen. Dazu gehören Aufklärungsdrohnen. Dazu gehört unsere dann gute Kapazität im Bereich des Lufttransportes. Wenn wir die Hubschrauber auch abnehmen, wie wir es gerne hätten, gilt dies auch bei den mittleren Hubschraubern. Dazu gehören der Sanitätsdienst, wo Deutschland wirklich Mustergültiges leistet, die bodengebundene Luftverteidigung, die Fregatte, ein sicheres Tankschiff, das heutigen Sicherheitsanforderungen genügt, und manches andere mehr. Wenn wir dies in diesem Herbst schnell aufs Gleis setzen - Sie haben unsere Unterstützung; wir möchten, dass es schnell diskutiert wird -, dann helfen wir der Rüstungswirtschaft mit ihren Problemen viel mehr, als wenn wir andauernd lamentieren, dass Deutschland plötzlich die Exportrichtlinien einhalten soll. Neue Ideen, neue Projekte sichern Ingenieurwissen in Deutschland. Wir sollten nicht alte Produkte in Länder verkaufen, wo wir sie gar nicht haben wollen. ({9}) Das ist der richtige Weg, und dabei haben Sie unsere Unterstützung.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das tue ich grundsätzlich. Ich versuche, zum Ende zu kommen. Lassen Sie mich noch einen Punkt ganz kurz ansprechen. Wenn wir den Weg, den die NATO jetzt diskutiert hat, gehen, werden wir priorisieren müssen. Es wird nicht mehr so weitergehen, dass wir glauben, wir können alles, aber von allem nur ein bisschen. Ich habe den Eindruck, dass sich etwas im Ministerium und beim Koalitionspartner bewegt. Das finde ich gut. Wir wollen die Debatte darüber führen und sollten dabei nicht vergessen, dass das Wichtigste für die Streitkräfte und das Wichtigste für die Fähigkeit, ein Land zu verteidigen, nicht Technik, nicht Waffen, nicht Geld allein sind, sondern die Menschen, die diesen ganz besonderen Beruf ausüben. Vor allem bei denjenigen, die auch bei widrigen Umständen motoviert und engagiert ihren Dienst tun, möchte ich mich ganz besonders bedanken. Auf sie kommt es am Ende an. Sie haben aber auch Anspruch darauf, dass wir alles tun, um den Soldatenberuf attraktiv zu halten, dass sie angemessen bezahlt werden, dass ihnen Verlässlichkeit geboten wird und sie eine Perspektive haben.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

So, jetzt müssen wir trotzdem zum Schluss kommen.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich für Ihre Geduld und für Ihre durchaus vorhandene Nachsicht. - Entschuldigung. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Haushaltsdebatte ist die eine oder andere Zahl genannt worden. Ich will eine weitere Zahl nennen: 267 Tage. Ich weiß nicht, Frau Ministerin, ob Ihnen diese Zahl - 267 Tage - etwas sagt. Es ist die Zeit, in der Sie jetzt im Amt sind. Sie legen dem Hohen Haus den zweiten Haushaltsentwurf vor. Wenn man über die Rahmenbedingungen redet, über die wir heute diskutieren, von denen der Kollege Arnold zu Recht sagt, dass Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des BIP für Verteidigung eine absurde Vorstellung sind, und ich aus der Union Rufe nach mehr Geld wahrnehme, dann muss man sich Folgendes klarmachen: Ich habe bisher niemanden aus der Union vernommen, der gesagt hätte: Karl-Theodor zu Guttenbergs Bundeswehrreform ist ein Fehlgriff gewesen. ({0}) Wenn man der zu-Guttenberg’schen Reform glaubt, dann hätten Sie, Frau von der Leyen, uns heute einen Etatentwurf vorlegen müssen, der sich zwischen 27 und 28 Milliarden Euro bewegt. Stattdessen haben Sie bereits heute 5 Milliarden Euro mehr erhalten, im Jahr 2013 rund 1,5 Milliarden Euro nicht ausgegeben ({1}) und von Ihrer eigenen Koalition mit dem Haushalt 2014 eine globale Minderausgabe von 400 Millionen Euro auferlegt bekommen. Das, meine Damen und Herren, sind die Rahmenbedingungen, unter denen wir diesen Verteidigungshaushalt diskutieren müssen. Ich will Ihnen eine weitere Zahl nennen: 203 Tage. Vor 203 Tagen haben Sie Ihren Staatssekretär entlassen und 15 Projektstatusberichte, die zur Information des Parlaments gedacht waren, nicht gebilligt. Seitdem ist ein halbes Jahr ins Land gegangen. Eigentlich wollten Sie alle sechs Monate das Parlament informieren. Nun untersucht eine Unternehmensberatung 9 der 15 Projekte. Sie haben jetzt für Oktober einen Bericht angekündigt. Ich persönlich frage mich: Was ist eigentlich mit den restlichen sechs Projekten? Haben Sie die Berichte in die Tonne getreten? Haben sie sich von allein gesundgeschrieben? Wann werden wir da die Informationen erhalten? Frau von der Leyen, das, was Sie hier tun, ist das Gegenteil von Transparenz, wie Sie dies immer gegenüber dem Parlament predigen, und das muss ein Ende haben. ({2}) Sie sprechen gern davon, dass Sie sich ein Vollbild der Lage im Rüstungsbereich machen wollen. Ich habe Ihr Haus in meiner jugendlichen Naivität am 9. Januar um eine Übersicht aller laufenden Rüstungsprojekte mit einem Volumen oberhalb von 25 Millionen Euro gebeten, 93 an der Zahl. Ich wollte wissen: Wie hoch sind die Kostensteigerungen? Wie viel Geld ist verausgabt worden? Was sind die Nachweisfristen? Wann soll geliefert werden? Es dauerte über sieben Monate - ich habe mehrfach nachgefragt; eigentlich habe ich gar nicht mehr damit gerechnet, dass noch irgendeine Antwort kommt -, bis zum 14. August, als plötzlich die Antwort eingetroffen ist. Die Realität lautet: Die Rüstungsprojekte haben sich um 4,3 Milliarden Euro verteuert, es haben sich über 1 300 Verspätungsmonate angehäuft. Das, Frau Ministerin, ist das Vollbild der Lage, von dem Sie immer gerne sprechen. Diese beiden Zahlen sind ein Armutszeugnis für das Management in Ihrem Hause. Um eines klarzumachen: Die Antwort auf die Frage, in welche Projekte das Geld abfließt und was die Hauptkostentreiber sind, ist nichts, wofür man eine Unternehmensberatung braucht, sondern etwas, was Ihnen die Buchhaltung jedes mittelständischen Unternehmens in Deutschland per Knopfdruck liefern kann. In den letzten Tagen - es ist heute schon mehrfach erwähnt worden - fiel noch ein Punkt stark auf: Es gibt neben der Verteidigungspolitik kaum ein Politikfeld - mir fällt sonst nur die Maut ein, aber die Diskussion in der Großen Koalition darüber läuft außer Konkurrenz -, in dem die Lage bei den Koalitionspartnern so diffus ist. „Breite vor Tiefe“ bekommt in Bezug auf die Meinungen eine ganz neue Bedeutung. Da haben wir die Kollegen Otte und Hahn, die für höhere Verteidigungsausgaben eintreten. Da haben wir den Kollegen Gädechens, der uns in jeder Debatte erklärt, wie wichtig die Marine ist. Da haben wir den Kollegen Rainer Arnold, der beim Grundsatz „Breite vor Tiefe“, was Fähigkeiten betrifft, eine ganz andere Meinung hat und die Standortentscheidungen, zu denen Sie von der Union sich ausdrücklich bekennen, wiederum in Zweifel zieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Verteidigungspolitik streiten Sie sich wie die Kesselflicker. ({3}) Das Ganze wird noch getoppt, zum einen vom Vizekanzler, der sich Gedanken darüber macht, in welcher Körperhaltung wohl die Ministerin am Fotokopierer steht - Frau von der Leyen, ich weiß nicht, ob Sie selbst kopieren, aber ich habe zumindest diese Debatte wahrgenommen -, zum anderen vom geschätzten Kollegen Johannes Kahrs, der dankenswerterweise im Plenarsaal anwesend ist ({4}) und in einem Interview im Spiegel dieser Woche davon spricht, dass die Ministerin die Kontrolle über das Haus verloren habe. Jetzt kenne ich den Kollegen Johannes Kahrs nicht unbedingt als Hinterbänkler hier in diesem Hause. Im Gegenteil: Er ist der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Ich finde, es ist schon ein Ausdruck des Misstrauens, wenn sich der Koalitionspartner im Spiegel so über die Ministerin äußert - auch wenn ich die Äußerungen inhaltlich teile. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in diesen Haushaltsberatungen viel über das Thema Sicherheitspolitik gesprochen. Ich habe dabei folgenden Eindruck gewonnen: Die größte Gefahr für die Bundesverteidigungsministerin, die größte Bedrohung dieser Verteidigungspolitik geht im Moment von der Rückkehr der Gurkentruppe unter ihrem Kommandeur Oberst Johannes Kahrs aus. Ich danke Ihnen. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Henning Otte, CDU/ CSU. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dr. Lindner, Gurken sind grün, glaube ich. Das war eine grüne Rede. ({0}) Heute beraten wir den Verteidigungshaushalt für das Jahr 2015 - in einer Zeit überraschender Änderungen hinsichtlich der Sicherheitslage, auf die wir reagieren müssen, an einem Tag, an dem wir in einer sehr bewegenden Gedenkstunde dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gedacht haben, in einer Zeit, in der wir zusammen den Auftrag haben, dem Frieden in der Welt zu dienen und die Integrität Deutschlands, seiner Partner und Europas zu jeder Zeit zu verteidigen. Herr Dr. Neu, wie Sie hier heute die russischen Interessen dargestellt haben, ist eine Verunglimpfung der Gefühle Polens und kommt schon einer Geschichtsfälschung gleich. ({1}) In Artikel 87 a des Grundgesetzes heißt es: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. Das heißt auch: Der Verteidigungshaushalt muss die Verteidigungsbereitschaft unseres Landes sicherstellen. Wenn man sich die sicherheitspolitische Diskussion in den letzten Wochen anschaut, muss man feststellen, dass sich die Konfliktlage vehement zugespitzt hat. Neben den laufenden Einsätzen der Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union, an denen Deutschland beteiligt ist, tragen dazu die Konflikte im Nordirak, in Syrien, im Jemen, in Mali, im Norden Afrikas, aber vor allem auch die islamistischen Strukturen um alQaida, Boko Haram und vor allem auch des IS bei. Aber auch das militärische Vorgehen Russlands zur Landnahme der Krim und - zumindest - zur Destabilisierung der Ostukraine tragen dazu bei. Dieses Verhalten Russlands hatte die NATO als solches nicht auf dem Schirm. Sie hat es erst jetzt, auf dem NATO-Gipfel in der letzten Woche in Wales, zum Anlass für eine strategische Strukturanpassung genommen. Der NATO-Gipfel hat ergeben und damit Deutschland den Auftrag erteilt, die Reaktionszeiten der NATO zu beschleunigen, schnelle Kräfte als sogenannte Speerspitzen einzusetzen und sich hinsichtlich der Führungsstrukturen, der Manöverbewegungen und der Luftraumüberwachungen dauerhaft noch stärker zu beteiligen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns vergewissern, was das für die Bundeswehr bedeutet. Neben dem normalen Grundbetrieb, der Abrufbereitschaft bei Katastrophenfällen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den Feuerwehren - ich begrüße hier eine Abordnung der Feuerwehr aus Uelzen -, muss die normale Verteidigungsbereitschaft aufrechterhalten werden. Die Modernisierung der Großprojekte Puma, A400M, Fregattenhubschrauber NH90 und Tiger muss vorankommen; das ist schon dargestellt worden. Die mandatierten Einsätze müssen absolviert werden. Ausrüstungsgegenstände werden aus dem Bestand und damit aus dem Betrieb heraus zur Verfügung gestellt. Für die Logistik bei humanitären Maßnahmen ist die Bundeswehr zuständig. Zusätzlich werden wir beauftragt, als Rahmennation tätig zu werden, um als viertgrößte Industrienation einen verantwortungsvollen Beitrag zu leisten. Hinzu kommen die Ergebnisses des NATO-Gipfels: die dauerhaften Beteiligungen an einzelnen Aufgaben wie auch an den schnellen Einsatzstrukturen und Führungsstrukturen. Das alles muss gemeistert werden mitten in der größten Reform der Bundeswehr seit ihrem Bestehen. Die Bundeswehr ist eine Einsatzarmee. Sie muss genügend attraktiv sein. Deshalb brauchen wir auch noch eine Attraktivitätsoffensive, die wir kraftvoll angehen; Frau Bundesverteidigungsministerin hat darüber berichtet. Es ist also viel los in der Truppe, und das bei laufendem Betrieb, bei gefährlichen Auslandseinsätzen und einer brisanten Sicherheitslage. Die jetzigen Belastungen und die zukünftig steigenden Erwartungen an die Bundeswehr sind enorm. Wir als Parlamentarier sind aufgefordert, dafür die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und sie gegebenenfalls anzupassen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vielfach gesagt worden: Die Zeit der sogenannten Friedensdividende ist vorbei. ({3}) Die Zeit ist vorbei, in der aus dem Verteidigungsetat immer noch ein Stück herausgenommen werden konnte, um den allgemeinen Haushalt zu stärken. Denn Sicherheit ist die Grundlage unseres Handelns. Ohne Sicherheit keine Freiheit! Zur Verteidigung unserer Werte wie Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, territorialer Inte4626 grität und zur Verbesserung der Situation im Hinblick auf den Weltfrieden darf es uns an Entschlossenheit nicht fehlen. ({4}) Oder wie es der polnische Präsident Komorowski heute in seiner sehr beeindruckenden Rede genau an dieser Stelle gesagt hat: Als Antwort der Verantwortungsgemeinschaft müssen wir in Stabilität und damit in die Zukunft investieren. Wir brauchen ein sicheres Europa und die transatlantischen Verbindungen, die Stärkung der Ostflanke der NATO durch Präsenzen und schnelle Spitzen wie auch multinationale Einheiten in Europa. ({5}) - Wie bitte? Wie haben Sie den polnischen Präsidenten eben genannt? ({6}) - Kriegskurs. Na ja. Noch haben wir ein Zeitfenster, in dem wir bei der Neuausrichtung der Bundeswehr Anpassungen ohne große personelle oder auch finanzielle Anstrengungen vornehmen können. Denn Streitkräfte sind keine Institution, die man nach Belieben rauf- oder runterfahren kann; sie bedürfen einer langfristigen Planung. Das war auch der Grund, warum wir an dem Prinzip „Breite vor Tiefe“ so bestimmt festgehalten haben. Es ist nämlich wie in der Wirtschaft: Gehen Fähigkeiten erst einmal verloren, benötigt man umso mehr Geld, Kraft und Anstrengungen, um diese wieder aufzubauen. Hier waren wir vorausschauend. Wir können nun auf Fähigkeitskerne zurückgreifen, die gegebenenfalls, je nach Lage, auch wieder aufwachsen können. Diese Maßnahmen treffen wir nicht, weil wir eine größere Armee haben wollen, sondern diese Maßnahmen treffen wir, weil wir eine Armee brauchen, die stets die richtigen Antworten auf die jeweilige Sicherheitslage geben muss. Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr wollen wir zwei besondere Punkte abbilden: Zum einen wollen wir die Bundeswehr so aufstellen, dass wir den jeweiligen aktuellen sicherheitspolitischen Anforderungen optimal begegnen können, und zum anderen wollen wir die Bundeswehr so breit aufstellen, dass wir uns immer flexibel auf veränderte Lagen einstellen können. Auf das aggressive Vorgehen Putins in der Ukraine, wo auch mit Soldaten und auch gepanzerten Fahrzeugen der Westen und das Land erpresst werden sollen, müssen wir eine entschlossene Antwort haben, die glaubhaft untermauert ist. Denn nur eine glaubhafte, entschlossene Stärke ermöglicht den Verhandlungsraum für diplomatische Lösungen. ({7}) Wenn wir die umfangreichen russischen Streitkräfte betrachten, müssen wir feststellen, dass wir wohl doch mehr gepanzerte Fähigkeiten im Heer vorhalten sollten als gedacht. Denn die Abwehrfähigkeit der NATO ist immer der Grundpfeiler gewesen. Russland hat in der Vergangenheit offensichtlich nicht abgerüstet, sondern eher modernisiert und ist damit auch in der Lage, mit Großverbänden aktiv zu werden. Das Gleiche gilt übrigens für die Marine wie auch für die Luftstreitkräfte. Die Steigerung unserer eigenen Fähigkeiten ist zu diesem Zeitpunkt auch deswegen noch möglich, da die neue Struktur noch nicht in allen Teilen eingenommen ist. Wir wollen eigene Fähigkeiten in das europäische Konzert eingeben, aber ohne dass wir sie national aufgeben. Das heißt, wir wollen ein Zusammenwirken der Streitkräfte in Europa durch Zurverfügungstellung von einzelnen abgestimmten Fähigkeiten, also eine Stärkung der europäischen Komponente durch einzeln bereitgestellte Kernfähigkeiten. Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass wir im Sinne einer noch weit entfernten europäischen Armee einzelne Fähigkeiten in Deutschland aufgeben können oder dürfen oder uns in Abhängigkeit anderer Nationen begeben. Zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt hat auch noch kein Partnerland ein konkretes Angebot gemacht, entsprechende Fähigkeiten von uns zu übernehmen. Hier ist eine klare Realpolitik gefragt. Wenn man sich ansieht, wer heute die modernsten Kampfpanzer hat, stellt man fest: Es sind die Griechen. Ich bin der Meinung, dass Deutschland selbst diese Fähigkeit und diese Komponente behalten muss. Das gilt auch für andere Fähigkeiten wie zum Beispiel die Luftund Seeraumüberwachung und die ABC-Abwehr. Jegliche Stärkung - das sei gesagt - ist dabei gut, jegliche Schwächung dagegen nicht zu verantworten, zumindest nicht für die Union. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen das Konzept der Neuausrichtung voranbringen. Wir werden es erfolgreich praktizieren, weil es sich auch in den Einsätzen als die richtige Variante darstellt. Wir werden aber nicht darum herumkommen, die Streitkräfte in einzelnen Bereichen so anzupassen, dass wir die innere und äußere Sicherheit gewährleisten können. Das wird vielleicht nicht günstiger, vielleicht nicht angenehmer. Aber ich will nicht, dass die Scharia-Polizei bzw. Ableger des IS in Deutschland unterwegs sind und dass wir Anschläge erleiden müssen. Deshalb muss es uns gelingen, Krisenherde dort einzudämmen, wo sie entstehen. ({8}) Mit der Bundeswehr muss Deutschland innerhalb des Bündnisses in der Lage sein, unsere Sicherheitsbedürfnisse durchzusetzen, damit das Recht dem Unrecht nicht weichen muss, weil sonst die Probleme auf uns zukommen. Der beschriebene Terrorismus ist expansiv und missionarisch ausgerichtet. Nur die Bundeswehr ist in der Lage, schnell und umfassend auch in umkämpften Gebieten Menschen zu helfen. Dafür brauchen wir das gesamte Spektrum der Fähigkeiten. Wir müssen im Querschnitt modern ausgerüstet sein. Es kann nicht sein, dass wir erst bei Einsätzen anfangen, die notwendige Modernisierung umzusetzen. Hier ist im investiven Bereich des Etats zumindest in 2016 nachzubessern. In diesem Zusammenhang sollten wir auch dafür sorgen, dass die Fähigkeiten, die wir abbilden, zu 100 Prozent zur Verfügung stehen. Ein Zustand, in dem wir Truppenteile haben, die nicht über das notwendige Gerät verfügen, oder in dem Teile in Deutschland unterwegs sind, die wir bei einer Bedrohungslage erst zusammenfügen müssen, kann nicht verantwortungsvoll sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verteidigungsetat hat nach der deutschen Einheit stets einen wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Haushalt geleistet. Allein seit 2004 sind 3 Milliarden Euro weniger Investitionen getätigt worden, weil geplante Vorhaben nicht durchgeführt wurden und stattdessen als Beitrag zu den laufenden Einsätzen herhalten mussten. Auf die Dauer ist das für die Substanz der Streitkräfte nicht gut. Hierauf müssen wir eine Antwort finden, um die Abwehr- und Bündnisfähigkeit aufrechtzuerhalten und damit die Abwehrbereitschaft zu erhöhen. Was der Einzelplan 14 braucht, ist keine Kürzung in der Zielgeraden, sondern Planungssicherheit und die Möglichkeit, in allen Bereichen genügend Mittel zur Verfügung zu haben. ({9}) Das Wichtigste ist das Personal. Wir dürfen nicht vergessen, dass hinter allen Einsätzen Soldatinnen und Soldaten, Beamtinnen und Beamte und vor allem deren Familien stehen. Sicherlich ist die Modernität des Geräts ein Motivationsfaktor. Gutes Material mildert aber auch die Folgen der Einsätze ab und schützt. Auch hier müssen wir nachhaltig investieren, auch in die Attraktivität. Die Bedrohung ist grundlegend anders als noch vor einem Jahr. Lassen Sie uns bei alldem beachten: Hinter all den Zahlen stehen Menschen, die schützen und die geschützt werden müssen. Herzlichen Dank. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Inge Höger. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzte Woche traf sich die NATO in Wales zu ihrem Kriegsrat. Ich habe mit Aktivistinnen und Aktivisten der britischen und der internationalen Friedensbewegung an den Protesten gegen diese Konferenz teilgenommen. ({0}) Leider gab es sehr viele Gründe für Protest. Denn neben dem verbalen Säbelrasseln - das kennen wir ja schon gab es konkrete Verabredungen für eine weitere Aufrüstung des Bündnisses. ({1}) Allein die Vorgabe, dass die Mitgliedstaaten 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär ausgeben sollen, ist völlig inakzeptabel. ({2}) Das würde für Deutschland eine Aufstockung der Ausgaben von zurzeit etwa 32 Milliarden Euro auf 56 Milliarden Euro bedeuten. Das wäre eine haushaltspolitische Katastrophe. Aber ein lautes und deutliches Nein der Bundesregierung oder auch von Frau von der Leyen gegen diese Zumutung habe ich bisher nicht gehört. Ebenfalls nicht gehört habe ich ein Nein zur Atomaufrüstung. Die geplante Modernisierung der Atomwaffen wird auch von Deutschland mitbezahlt. Die in Büchel stationierten US-Atombomben müssen abgezogen und entsorgt werden. ({3}) Einen Ersatz durch neue, moderne Massenvernichtungswaffen darf es nicht geben. Der renommierte US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer machte vor kurzem klar, dass die Darstellung, Russland sei der maßgebliche Verursacher der Ukraine-Krise, schlicht falsch ist. ({4}) Er wies auf die NATO-Osterweiterung als Wurzel des Konfliktes hin. Diese verfehlte Ostpolitik setzt die NATO mit ihren Beschlüssen von Wales fort. Sicherheit lässt sich nicht gegen, sondern nur mit Russland herstellen. ({5}) Säbelrasseln und Aufmärsche helfen dabei nicht weiter. ({6}) Denken Sie nun nicht, ich sei blind gegenüber der russischen Politik. Als Abrüstungspolitikerin halte ich die Sezession der Krim für mehr als bedenklich. ({7}) Aber man muss immer beide Seiten sehen, um das beurteilen zu können. Und die Politik der NATO eröffnet keine gemeinsame Friedensperspektive. Sie verstärkt eine neue Blockkonfrontation. Ein Zurück zu einem Entspannungsprozess geht nicht mit dem Ausbau von neuen Militärbasen im Osten. ({8}) Aber das wurde nun von der NATO beschlossen. Das ist ein völlig falsches Signal. Lassen Sie es mich deutlich sagen: In Wales wurde der Bruch der NATO-Russland-Akte vorbereitet oder zumindest perspektivisch ermöglicht. Die neuen Militärbasen sollen zwar dauerhaft nur mit einer überschaubaren Anzahl von einigen Hundert Militärangehörigen besetzt werden, aber sie sollen die Infrastruktur und die Ausrüstung für wesentlich größere Einheiten bereithalten. Damit schafft sich die NATO die Möglichkeit, größere Einheiten nach Osten zu verlegen. Anstatt neue Militärbasen auszubauen, sollte sie besser die bereits existierenden schließen. ({9}) Auch die geplante neue und angeblich superschnelle Eingreiftruppe ist garantiert kein Schritt zur Deeskalation. 4 000 bis 5 000 Soldatinnen und Soldaten sollen in dieser neuen Speerspitze für Interventionen zusammengefasst werden, und sie sollen innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein. Wie das mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz übereinstimmen kann, frage ich mich. Die Linke spricht sich gegen jede Kriegsvorbereitung und gegen die Einschränkung der Rechte des Parlaments aus. ({10}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch zum Thema Drohnen kommen. Frau Ministerin, Sie haben zu Beginn des Sommers gegenüber den Medien erklärt, dass Sie der Überzeugung seien - Zitat -, dass wir in die Entwicklung einer europäischen bewaffnungsfähigen Drohne einsteigen müssen. ({11}) Es wundert Sie sicherlich nicht, dass ich diese Überzeugung nicht teile. Weltweit sind schon 80 Staaten im Besitz von Drohnen. Viele davon erwägen die Entwicklung von Kampfdrohnen oder haben bereits damit begonnen. Die New York Times warnte vor kurzem vor einem Rüstungswettlauf in diesem Bereich. Glaubt hier wirklich jemand, dass die Existenz von noch mehr Kampfdrohnen dazu führt, dass das Völkerrecht besser geachtet wird oder dass diese Tötungsmaschinen dann seltener und verantwortungsvoller eingesetzt werden? - Sie wissen, dass damit nicht zu rechnen ist. Im Gegenteil, die Schwellen in einen Krieg werden so immer weiter gesenkt. Wer wirklich die Zivilisation gegen die Barbarei verteidigen will, der muss sich für einen sofortigen Ausstieg aus dieser Technologie einsetzen. ({12}) Wir brauchen eine globale und völkerrechtlich bindende Ächtung von Kampfdrohnen. Ich möchte alle diejenigen, die sich gegen Drohnen und für Frieden einsetzen wollen, auffordern, sich am 4. Oktober am Globalen Aktionstag gegen Kampf- und Überwachungsdrohnen zu beteiligen. ({13}) Die zentrale Lehre aus dem Grauen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges ist und bleibt die Forderung: Nie wieder Krieg! ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat die Kollegin Karin Evers-Meyer von der SPD das Wort. ({0})

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns in der Koalition einig: Wir wollen 2015 keine neuen Schulden machen. Wir wollen, dass Deutschland in schwierigen Zeiten ein Stabilitätsanker in Europa bleibt. Und wir wollen keine neuen Schulden zulasten unserer Kinder und Enkel. Wir wollen natürlich auch deswegen keine neuen Schulden machen, weil wir uns für die Zukunft Handlungsspielräume erhalten wollen, die wir sicherlich auch im Verteidigungsetat noch brauchen. Wir haben uns also in der Koalition auf einen Keine-neue-Schulden-Pakt verständigt. Selbstverständlich wird auch der Verteidigungsetat dazu seinen Beitrag leisten. Das nur einmal vorweg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das bedeutet aber nicht, dass wir vor den bestehenden und künftigen finanziellen Notwendigkeiten im Verteidigungsetat die Augen verschließen. Ganz im Gegenteil, der vorliegende Haushaltsentwurf bietet auch heute schon Spielraum dafür, Dinge besser zu machen: für die Bundeswehr genauso wie für die Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten, die ihren Dienst dort versehen. Dass viele Dinge besser werden müssen, darüber sind wir uns mit den Kollegen aus dem Fachressort weitgehend einig. Es muss investiert werden in die Bundeswehr: in die Beschäftigten - Stichwort: Attraktivität - und natürlich auch dringend ins Material. Das geht los bei Zulagen, Beförderungsmöglichkeiten und Ruhestandsbezügen, es geht weiter bei der persönlichen Ausrüstung, zieht sich hin über den zum Teil wirklich erbärmlichen Zustand von Kasernen und anderen Liegenschaften und landet schließlich bei großen Beschaffungsprojekten. Wir sind uns über den Bedarf in diesen Bereichen, jedenfalls im Grundsatz, einig, auch über die Regierungskoalition hinaus. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die meisten von uns sind lange genug im Verteidigungsressort unterwegs, um zu wissen, dass wir da nicht nur und auch nicht in erster Linie über Probleme sprechen, die man mit mehr Geld allein lösen kann. Aus diesem Grund erwarte ich zumindest von denjenigen, die sich intensiver mit Verteidigungspolitik beschäftigen, dass sie das auch so klar und differenziert in der Öffentlichkeit sagen. Mehr Geld allein wird die zum Teil gravierenden Probleme im Verteidigungsbereich nicht lösen. Wer heute nach dem Motto „Wir nutzen jetzt einmal die Gunst der Stunde, um eine Schippe draufzulegen“ argumentiert, der macht es sich nicht nur viel zu einfach, sondern verplempert schlicht und ergreifend das Geld der Steuerzahler, verehrte Kollegen. ({0}) Wenn Soldatinnen und Soldaten heute völlig zu Recht ihr Leid klagen, weil irgendein Ausrüstungsgegenstand nicht zur rechten Zeit am rechten Ort verfügbar ist, dann ist das Problem nicht immer nur darin zu suchen, dass kein Geld da ist. Das Problem ist oft genug, dass entweder der Beschaffungsprozess wilde Blüten treibt oder das benötigte Teil gerade genau da ist, wo es gerade nicht gebraucht wird. Die heruntergekommenen Liegenschaften, in denen hochmoderne U-Boote für 500 Millionen Euro das Stück liegen, sind ein Trauerspiel, aber eben keines, das sich nur ums Geld dreht. Die Frage ist vielmehr, warum vorhandenes Geld nicht abgerufen wird und die notwendigen Aufträge nicht endlich rausgehen. Damit komme ich quasi nahtlos zum größten Brocken, nämlich zu den großen Beschaffungsprojekten unserer Zeit. Da muss ich einmal aus einem Rahmenerlass zur Neuordnung des Rüstungsbereiches zitieren, den Verteidigungsminister Helmut Schmidt Anfang der 70erJahre in Kraft gesetzt hat - ich finde das wirklich sehr spannend -: Bei einer Reihe von Rüstungsprojekten … waren erhebliche Verzögerungen, unangenehme Kostensteigerungen und beachtliche technische Fehlleistungen aufgetreten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann eigentlich nur sagen: Willkommen zurück in der Gegenwart! Aus dem Haushalt 2013 war über 1 Milliarde Euro nicht abgeflossen, aus dem Haushalt 2014 wird voraussichtlich knapp 1 Milliarde Euro nicht abfließen, und man braucht kein Prophet zu sein, um für 2015 fast das Gleiche zu prognostizieren. Der Grund dafür ist: Bestellte Rüstungsgüter werden nicht oder nicht pünktlich oder nicht so, wie bestellt, ausgeliefert. Bei allem Verständnis für die Komplexität des Problems: Wie soll der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages denn mit so etwas umgehen? Wie sollen wir damit umgehen, dass solche Summen einfach nur so umherschwirren? - Das kann man nicht akzeptieren. Deswegen gilt: Bevor wir über Geld sprechen, und erst recht, bevor wir über mehr Geld sprechen, muss aufgeräumt werden. Es gibt Probleme im System, und da nützt es nichts, mehr Geld obendrauf zu schütten. ({1}) Voraussetzung für Wahrheit und Klarheit im Verteidigungshaushalt ist heute vor allem Wahrheit und Klarheit innerhalb der Beschaffungsprozesse im BMVg. Das Bundesministerium der Verteidigung hat angekündigt, dass genau dafür gesorgt werden soll. Das ist sehr gut, und wir unterstützen das. Wir erwarten also in Kürze einen Bericht zur Klarlage. Dann wissen wir, was an Gerät da ist und was davon einsatzbereit ist. Wir erwarten in Kürze auch den Bericht des von der Ministerin eingesetzten Prüfkonsortiums. Dann müssen endlich Entscheidungen auf den Tisch. Es muss dann ein klarer Fahrplan auf den Tisch, in dem steht, was beschafft werden soll, was wir brauchen und wofür, wie beschafft werden soll und mit wem wir das vielleicht gemeinsam beschaffen können. Insofern gibt es tatsächlich eine Gunst der Stunde. Es ist aber nicht die Stunde des finanziellen Aufwuchses - die Ministerin hat das ja eben auch sehr deutlich gesagt -, es ist vielmehr die Stunde sauberer Grundlagenarbeit. Sie, Frau Ministerin, haben die Chance, nach vielen vertanen Jahren, für die Sie natürlich nicht haften, vernünftige, transparente Prozesse zu etablieren, damit das Geld, das da ist, intelligent und effizient investiert werden kann. Sie haben jetzt die Chance, mit der Industrie ein offenes Wort über Kosten, über die Einhaltung von Fristen und natürlich auch über die Einhaltung von technischen Anforderungen zu sprechen; denn natürlich ist auch die Industrie ein Teil des Problems. Sie haben jetzt auch die große Chance - auch vor dem Hintergrund des NATO-Gipfels in Wales -, sich die richtigen Partner zu suchen, mit denen wir Beschaffungsprojekte vielleicht gemeinsam stemmen können. Ich erwarte vom angekündigten Beschaffungskonzept des Ministeriums mehr als Ideen für ein Framework. Wir wollen klare europäische und internationale Optionen. Geben Sie den Startschuss für echte europäische Beschaffungsszenarien! In diesem Zusammenhang danke ich dem Wirtschaftsminister dafür, dass er gerade das Thema „Europäische Perspektiven der Rüstungsindustrie“ auch von seiner Seite aus anpackt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte direkt an die Soldatinnen und Soldaten richten. Ich betreibe schon lange Verteidigungspolitik und weiß aus unzähligen Gesprächen, wo Dinge schieflaufen und wo Ihnen die Sorgen unter den Nägeln brennen. Das Gleiche gilt für meine Kolleginnen und Kollegen im Haushalts- und im Verteidigungsausschuss. Seien Sie sicher: Wir gehen nach bestem Wissen und Gewissen und mit hoher Verantwortung mit Ihren Sorgen um. Wir haben die feste Absicht, auch im Rahmen der Haushaltsverhandlungen für den Haushalt 2015, dafür zu sorgen, dass Sie weiterhin einen guten Job machen können und dass sich Ihre Arbeit für Sie und Ihre Familien auszahlt. Wir sind stolz auf unsere Parlamentsarmee, und wir sind stolz auf die Bundeswehr und auf die Arbeit, die Sie dort jeden Tag an vielen Orten der Welt leisten. Dafür danke ich Ihnen auch heute wieder. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat die Kollegin Agnieszka Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ergreifen uns große Bestürzung und Erschütterung angesichts der zahlreichen eskalierenden Konflikte und blutigen Kriege im Irak und in Syrien, im Nahen Osten, in der Ukraine, aber auch in der Zentralafrikanischen Republik und im Südsudan, auch wenn wir davon heute nicht mehr so viel in den Medien lesen wie noch vor ein paar Monaten. Und auch die Entwicklungen in Staaten wie Mali und Afghanistan geben großen Anlass zur Sorge. Diese Krisen stellen die Weltgemeinschaft, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und natürlich auch Deutschland vor schwierige Fragen: Was können und was müssen wir tun, um Leid zu mindern, die Zivilbevölkerung zu schützen und Gewalt einzudämmen? Es gibt keine schnellen und keine einfachen Antworten und auch kein Patentrezept, das für jede Krise passt. Ich glaube, vieles muss auch neu und ernsthaft diskutiert werden. Wo und mit welcher politischen Gesamtstrategie, mit welchen Zielen und Mitteln engagiert man sich, auch rückblickend und auf Basis einer kritischen Evaluation der Einsätze der letzten Jahre? Welche Rolle kommt in diesen Strategien der Bundeswehr zu? Wo und unter welchen eng begrenzten Bedingungen ist militärisches Eingreifen erforderlich und sinnvoll, wo ist es kontraproduktiv, wo sind die Grenzen und Risiken? Was heißt das für den Fortgang der Bundeswehrreform? Über welche Fähigkeiten muss die Bundeswehr in welchem Ausmaß verfügen, und auf welche muss sie deshalb vielleicht verzichten? Diese vielen Fragen sollten eigentlich das Fundament für den Haushalt, den wir heute hier diskutieren, bilden. Angesichts des Verlaufs der bisherigen Debatte habe ich nicht das Gefühl, dass wir diesen Fragen in ausreichender Form gerecht geworden sind. Ich stelle auch sehr unterschiedliche Meinungsäußerungen aus der Koalition fest. Sie zerlegen sich gerade, statt hier um ernsthafte Antworten zu ringen. Ich glaube, das wird der dramatischen Lage nicht gerecht und ist unverantwortlich. ({0}) Herr Otte und Herr Hahn von der Union fordern jetzt mehr Panzer und eine Erhöhung des Verteidigungsetats, dessen Volumen schon jetzt bei über 30 Milliarden Euro liegt. Sie verabschieden sich damit nicht nur von dem Haushalt, den Ihre eigene Bundesregierung vorgelegt hat, sondern auch von der Bundeswehrreform der letzten Jahre. Sie wissen doch sehr genau, dass auch im letzten Jahr über 1 Milliarde Euro wegen der riesigen Probleme im Beschaffungsbereich nicht ausgegeben wurden und dass wir noch weit davon entfernt sind, diese Probleme als gelöst zu bezeichnen. ({1}) Gleichzeitig glauben Sie, Herr Otte, doch nicht ernsthaft das, was Sie gerade hier vorgetragen haben, dass nämlich der Rückfall in die Kalte-Kriegs-Logik in irgendeiner Art und Weise einen Beitrag zur Lösung des Konfliktes und der Krise in der Ukraine ist. ({2}) Das, was Sie hier fordern, ist finanzpolitisch und sicherheitspolitisch schlicht und ergreifend irrsinnig. ({3}) Auch die Kanzlerin und der Koalitionspartner SPD widersprechen Ihnen hinsichtlich der Forderung nach Erhöhung des Einzelplanetats. Auch die zuständige Verteidigungsministerin kommentierte ihren eigenen Haushalt am Wochenende mit einem „vielleicht“. Man müsse jetzt erst einmal schauen, wie viel eigentlich all das koste, dem man beim NATO-Gipfel in Wales schon zugestimmt habe. Meine Damen und Herren, statt einer ernsthaften Debatte offenbart mir diese chaotische Diskussion, dass Sie eben kein Konzept und keine durchdachte und kluge Sicherheitspolitik haben. ({4}) Frau Ministerin, man kann Ihnen eines sicherlich nicht vorwerfen, nämlich dass Sie seit Ihrem Amtsantritt untätig geblieben seien. Im Gegenteil: Sie haben wirklich sehr viele Meldungen und Auftritte in den Medien produziert. Unterm Strich stellt sich dabei aber immer wieder die Frage: Was ist dabei herausgekommen? Folgt der Show dann auch Substanz? Nehmen wir das Beispiel Waffenlieferungen. Nach wie vor schulden Sie uns eine Antwort auf die Frage, welcher Großverband der Peschmerga genau die Waffen bekommen soll, die Sie dorthin liefern wollen. Wir haben auch nicht erfahren, was andere Nationen liefern. Das ist eine wichtige Information, um zum Beispiel das Proliferationsrisiko einzuschätzen. Wir erfahren aus den Medien, dass Deutschland jetzt Teil einer Koalition ist, die die USA angestoßen hat und die ISIS bekämpfen soll. Bis heute wissen wir aber nicht: Was ist unser genauer Beitrag? Welcher Strategie folgt das Ganze? Welche Rolle spielen dabei die Nachbarstaaten in der Region, die ganz wichtig sind, wenn man nur in irgendeiner Art und Weise zur Lösung dieses Konflikts beitragen will? All diese Fragen müssen geklärt und beantwortet werden. Stattdessen haben Sie sich eher als tatkräftige Ministerin dargestellt, der es vor allem darum geht, ein Tabu zu brechen. ({5}) Wir erinnern uns auch alle an den großen Medienrummel um das Thema Vereinbarkeit von Familie und Dienst bei der Bundeswehr. Nach wie vor bleiben Sie uns hier viele Antworten schuldig. Wir haben erhebliche Zweifel, ob es am Ende wirklich gelingt, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu verbessern, ob das auch finanziell unterlegt ist. Aber die Hochglanzbroschüre mit dem Titel „Aktiv. Attraktiv. Anders.“ ist schon lange entworfen und verteilt. Nur auf das Artikelgesetz zum Attraktivitätsprogramm warten wir seit Monaten. Eine ähnliche Geschichte gab es in der Frage der Rüstungsdesaster. Wutentbrannt über das Chaos in Ihrem Haus haben Sie einen Staatssekretär und den zuständigen Abteilungsleiter verabschiedet und 15 Projektstatusberichte in Bausch und Bogen abgelehnt. Sie haben dann einen Auftrag an eine Unternehmensberatung vergeben. Diese sollte Ihnen dabei helfen, diese 15 kritischen Rüstungsprojekte und die Strukturen im Ministerium grundsätzlich zu durchleuchten. Dann aber räumt Ihr Ministerium kleinlaut ein, dass wegen des zeitlichen und finanziellen Umfangs des Auftrages völlig willkürlich nur noch neun Projekte geprüft werden. Frau Ministerin, es sieht auch hier nicht danach aus, dass Sie es schaffen, Ihre Versprechen umzusetzen. Es muss aber endlich Schluss sein damit, dass im Verteidigungsbereich Steuergeld in dieser Form dermaßen verschleudert und verschwendet wird. ({6}) Ich möchte noch ein viertes Beispiel anführen: Ein paar Monate später sind Sie in die USA gereist und haben dort die Vereinten Nationen besucht. Sie haben ein stärkeres deutsches Engagement innerhalb der Vereinten Nationen angekündigt. Aber bis heute haben wir nicht einen einzigen konkreten Vorschlag dazu gesehen, wie das eigentlich umgesetzt werden soll. Alles was passiert ist, ist, dass wir uns weniger stark an der UN-Mission in Mali beteiligen. Ich muss Ihnen sagen: Das ist ja ein richtiger Gedanke, aber wir erwarten, dass Ihren Ankündigungen an dieser Stelle auch Taten folgen. Frau von der Leyen, allzu oft schrumpfen die Ankündigungen, die Sie im Scheinwerferlicht machen, bei Tageslicht dann doch auf sehr mickrige Ergebnisse zusammen. Meine Damen und Herren, wir von der Opposition würden wirklich gerne mit Ihnen über die schwierigen Fragen und die Herausforderungen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren. Aber dazu sollten Sie erst einmal dieses koalitionäre Gezänk beenden, einen soliden Haushalt vorlegen und die Substanz vor die Show stellen. Denn die Krisen auf dieser Welt erfordern kluge und durchdachte Antworten. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Ingo Gädechens das Wort. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der sitzungsfreien Zeit hatten wir eine angeregte Haushaltsdebatte für das jetzige Haushaltsjahr, und heute folgt - fast nahtlos daran anschließend - die Haushaltsdebatte für das kommende Jahre 2015. Wer noch einmal aufmerksam die Reden, die hier in diesem Haus vor wenigen Wochen gehalten wurden, liest, stellt fest, wie schnelllebig die Zeit ist, wie fragil sicher geglaubte Strukturen sind und wie labil sich aktuell die Sicherheitslage in der Welt zeigt. Traditionell geht es heute in der ersten Lesung um den Haushalt für das kommende Jahr. Aber die Sondersitzung in der vergangenen Woche hat uns bereits deutlich vor Augen geführt: Überall auf der Welt lodern Krisenherde auf. Nicht nur die bedrückende Situation in der Ukraine treibt uns mit Sorge um und veranlasst die Regierung der freien Völker zum Handeln, sondern mit großer Sorge blicken wir auch wieder Richtung Gazastreifen und auf die Sicherheit Israels. Fassungslos blicken wir auf islamistischen Terror und Hass, der sich in Teilens des Iraks und Syriens breit gemacht hat. Wir schauen auch auf Libyen und auf das humanitäre Elend in Afrika. Wer von uns, meine Damen und Herren, hätte gedacht, dass wir in einem Glaubenskrieg Gräueltaten sehen, die mehr an das Mittelalter erinnern als an das 21. Jahrhundert? Wir alle sind gezwungen, mehrere Krisenherde gleichzeitig zu bewerten, um diese gemeinsam mit unseren Verbündeten einzudämmen und ihnen entgegenzuwirken. Wir dürfen nicht darauf hoffen - leider nicht -, dass die Vernunft mehr und mehr um sich greift und die Menschen überall auf der Welt endlich auf Krieg und Gewalt verzichten. Dies wäre nicht nur politisch naiv, sondern würde die gegenwärtige Realität in der Welt ignorieren. Der NATO-Generalsekretär - nur noch wenige Tage im Amt - hat die prekäre Situation beim Gipfeltreffen wie folgt beschrieben: Unsere Allianz ist eine kleine sichere, stabile und gedeihende Insel, die von Krisen umgeben ist. Natürlich machen die Krisen deutlich, wie hoch der eigentliche Stellenwert des Nordatlantischen Bündnisses ist. Auf dem NATO-Gipfel in Wales wurden die derzeitige Lage und die künftigen Herausforderungen klar benannt: Bündnisverteidigung rückt somit nach Jahren einer gewissen Vernachlässigung wieder stärker in den Mittelpunkt des Handelns. Genauso wichtig ist in der jetzigen Lage, dass wir alle im Kopf ein gut Stück aufwachen und konsequent handeln. Niemand, meine sehr verehrten Damen und Herren, wünscht sich kriegerische Eskalation, aber Deutschland darf nicht wegschauen, wenn an Europas Grenzen Völkerrechtsbruch, Krieg und Völkermord geschehen. ({0}) Aus diesem Grund begrüße ich die aktuelle Entscheidung, entgegen bisheriger Normen in begrenzter Form auch Waffenlieferungen in Krisengebiete zu erlauben. Dies wird sicherlich die Ausnahme bleiben, und aus meiner Sicht bleibt eine gute Diplomatie die wichtigste Waffe, um Krisenherde in der Welt einzudämmen. Auch hierfür gebühren den Handelnden in der Regierung, der Bundeskanzlerin und dem Außenminister, aber insbesondere unserer Verteidigungsministerin - sie kann nicht alles allein machen - ein herzliches Dankeschön und ein großes Lob für all ihre deeskalierenden Gespräche mit den Bündnispartnern, um die Krisenherde in der Welt einzudämmen. ({1}) Deutschland sieht nicht tatenlos zu, wenn an Europas Grenzen Gräueltaten geschehen. Ebenso begrüße ich die in Wales getroffene Entscheidung, eine NATO-Eingreiftruppe mit hoher Einsatzbereitschaft und einem Hauptquartier in Osteuropa aufzustellen. Wir brauchen als Antwort auf die um sich greifende Aggression eine ver4632 besserte Reaktionsfähigkeit der NATO. Auch diese Maßnahme wird Geld kosten. Darauf sollten wir uns jetzt schon einstellen. ({2}) Meine Damen und Herren, jede Krise erfordert ein abgestimmtes, kluges und gerade jetzt auch ein entschlossenes Vorgehen. Sie aber grummeln jetzt herum, und Sie, Frau Höger, haben gerade gesagt, man müsse Russland mit anderen Augen betrachten und man müsse beide Seiten sehen. ({3}) Zum jetzigen Zeitpunkt werden Atomtests durchgeführt, und zwar nicht von der NATO und nicht von Amerika, sondern in Russland, und weitere sind geplant. Das sind Aggressionen, und das sind Zeichen, die nicht auf Frieden hindeuten. Das sollten Sie lieber registrieren, statt hier vom Rande aus herumzugrummeln. ({4}) Meine Damen und Herren, jede Krise erfordert ein abgestimmtes, kluges und gerade jetzt auch ein entschlossenes Vorgehen. Die Sanktionen gegen Russland waren Gegenstand kritischer Diskussion. Denn Sanktionen erzeugen oftmals Gegensanktionen, und Handelsbeschränkungen treffen gerade auch unsere exportabhängige Wirtschaft in besonderer Weise. Dennoch dürfen wir nicht den Fehler begehen, uns nur an ökonomischen Fakten zu orientieren. Die Bundesregierung handelt besonnen und mit Bedacht. Das Handeln Russlands in der Krise ist hingegen absolut inakzeptabel. Russland, insbesondere Präsident Putin, hat den Schalthebel zur Konfliktbewältigung in der Ukraine in den Händen. Solange dieser Schalthebel nicht auf Deeskalation gestellt wird, ist zunehmender Druck auf Russland notwendig. Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser weltpolitischen Lage ist der Einzelplan 14 zu bewerten. Im Verteidigungsetat geht es einmal mehr um die finanzielle Ausstattung. Es geht um das Geld, das wir der Bundeswehr, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung stellen wollen bzw. können. Es geht um attraktivitätssteigernde Maßnahmen, um Wartung und Instandsetzung, aber es geht auch um viel Geld, das wir für modernes Gerät und für den Schutz und die Sicherheit unserer Soldaten investieren müssen. Nahezu alle Redner haben in dieser laufenden Haushaltsdebatte das große Ziel beschrieben, das wir gemeinsam erreichen wollen: Wir wollen auf jegliche neue Schulden im Haushaltsjahr 2015 verzichten. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Ziel nach 45 Jahren endlich erreichen werden. Aber der Weg dahin ist so fragil wie die derzeitige Sicherheitslage in der Welt. Meine Damen und Herren, die Basis für jede wirtschaftliche Entwicklung und soziale Stabilität ist innere und äußere Sicherheit. Wir sollten das bei all den berechtigten Forderungen, die andere Fachbereiche an den Bundeshaushalt stellen, stets im Blick behalten. Unsere innere und äußere Sicherheit und der Schutz der Souveränität und Integrität Deutschlands und seiner Verbündeten sind ein enorm hohes Gut. Wir Verteidigungspolitiker haben sicherlich die besten Argumente, um mehr Geld für den Einzeletat zu fordern. Wir tun das nicht - ich sage leise: wir tun das noch nicht, liebe Frau Höger -, weil wir der Überzeugung sind, dass wir im Haushaltsjahr 2015 mit dem zugewiesenen Etat von 32,2 Milliarden Euro auskommen werden. Aber ich sage auch sehr deutlich: Wir stoßen bereits jetzt an Schmerzgrenzen. Der Verteidigungshaushalt ist auf Kante genäht. Finanzielle Spielräume sind nicht mehr vorhanden. Neue Aufgaben neben den derzeitigen Aufträgen kann unsere Bundeswehr nicht mehr verkraften. Denn - auch daran sei noch einmal erinnert - die Bundeswehr befindet sich neben den Einsätzen in einer Neuausrichtung, die oft als Operation am offenen Herzen beschrieben wurde - nur mit dem Unterschied, dass der Patient nicht im OP liegt, sondern auf dem Gehweg läuft. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in dieser Umbruchphase in zahlreichen Einsätzen im In- und Ausland wirklich Außerordentliches. Ihnen gilt daher unser ganz besonderer Dank. ({5}) Trotz Abzug großer Kontingente aus Afghanistan und der erhofften Entlastung der Truppe haben wir bereits neue Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen. Ich nenne hier beispielsweise die Operation Active Fence in der Türkei oder das Air Policing im Baltikum. Die Zahl der Einsätze wird also absehbar nicht geringer, genauso wenig wie die Belastungen für Soldaten und Material. Der Verteidigungshaushalt wird sich - das ist meine feste Überzeugung - dieser Entwicklung mittelfristig anpassen müssen. Frau Präsidentin, ich weiß, dass Sie das nicht so gerne mögen. Aber Henning Otte hat die Latte so hochgelegt, als er die Feuerwehrleute aus Uelzen persönlich begrüßt hat, dass ich noch sagen möchte: Ich freue mich, dass der Kreisfeuerwehrverband Ostholstein ebenfalls auf der Tribüne zugegen ist. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Feuerwehr dürfen Sie immer begrüßen. Auf die sind wir schließlich angewiesen. Ich mag es aber nicht, wenn die Redezeit zu sehr überschritten wird, Herr Gädechens. Liebe Kollegen, als nächste Rednerin hat jetzt die Kollegin Gabi Weber das Wort. ({0})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute wurde bereits einiges zur Bundeswehr, ihren Aufgaben und ihrer Ausrichtung gesagt. Besonders die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten verlangen unsere Aufmerksamkeit. Darauf werde ich aber an dieser Stelle nicht näher eingehen. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass die Menschen, die alles umsetzen sollen, was wir von ihnen verlangen, unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen. Damit komme ich zu dem Thema Attraktivität der Bundeswehr, das unser aller Anliegen werden muss. Wenn wir die Attraktivität der Bundeswehr nicht steigern, wird die Bundeswehr auf Dauer nicht in der Lage sein, das zu tun, was wir von ihr verlangen. Frau Ministerin, seit Beginn Ihrer Amtszeit steht das Thema Attraktivität neben dem Beschaffungswesen ganz oben auf Ihrer Agenda. Das ist richtig so; denn die Bundeswehr ist in hohem Maße davon abhängig, gut ausgebildete und zufriedene Menschen für den Dienst zu gewinnen und vor allen Dingen auch zu halten. Bereits im Frühjahr haben Sie dazu eine Debatte angestoßen und erste Schritte unternommen. Der Haushalt 2015 sieht nun weitere Maßnahmen auf diesem Gebiet vor. Wir sind willens, Sie bei Ihrem Vorhaben weiterhin konstruktiv zu unterstützen. Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst in der Bundeswehr ist ein Anliegen, das wir als SPD schon länger verfolgen, nicht nur für die Zivilbeschäftigten, sondern auch für die Soldatinnen und Soldaten. Die Ministerin hat dazu in den verschiedenen Kapiteln des Verteidigungshaushalts Vorsorge getroffen und stellt finanzielle Mittel zur Verfügung. Mit diesen sollen unter anderem eine eigene Beauftragte für die Vereinbarkeit von Familie und Dienst finanziert und Verbesserungen bei der Betreuung von Familien und Kindern erreicht werden. Der Ansatz von 19,5 Millionen Euro für diesen Zweck ist ein erster Schritt hin zur Vereinbarkeit. Aber an dieser Stelle muss noch mehr folgen. ({0}) Es lohnt sich, hinzusehen, was wo in der Bundeswehr bereits gemacht wurde, welche Best-Practice-Beispiele es gibt, die Orientierung bieten. Da fällt mir als Erstes ein, dass die Bundeswehr einen großen Anteil Zivilbeschäftigter hat, deren Arbeitszeit ordentlich geregelt ist. Eine moderne Dienstzeitregelung auch für Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst im Grundbetrieb leisten, inklusive einer Regelung für geleistete Überstunden ist lange überfällig. ({1}) Wenn wir schon von einer Dienstzeitregelung sprechen, gehören dazu sicherlich auch Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit für Soldaten. Wer glaubt, dass nun die alte Häme vom Teilzeitkrieger oder von Einsätzen, die nur noch vormittags stattfinden können, angebracht sei, den möchte ich mit einem Rechenbeispiel nachdenklich stimmen. In einer Zielstruktur von 185 000 Soldaten sollen 30 000 jeweils zu einem Zeitpunkt entweder im Einsatz oder in der Vor- oder Nachbereitung sein können. Also arbeiten immerhin 150 000 im normalen Grundbetrieb. Dort ist Teilzeit durchaus möglich. ({2}) Teilzeitarbeit ist auch deswegen wichtig, um Möglichkeiten zu schaffen, die Zeit nach dem persönlichen Bedarf einteilen zu können - und natürlich auch für die Familie. Die Menschen von heute wollen mehr Flexibilität und Freiräume, und wenn die Bundeswehr dies anbieten kann, steigert das die Attraktivität des Dienstes und damit auch die Zufriedenheit unserer Soldatinnen und Soldaten. Nicht auf der Strecke bleiben dürfen bei diesem Modell die Aufstiegsmöglichkeiten auch für Teilzeitbeschäftigte. Machen wir uns nichts vor: Auch in Teilzeit will und kann Mensch Karriere machen. Aber gerade die Männer sind es, die bei den Teilzeitbeschäftigten zurzeit noch deutlich in der Minderheit sind, nicht zuletzt aus Angst davor, dass ihre Leistungen auf dem Weg nach oben gegenüber den Vollzeitkollegen nicht vergleichbar berücksichtigt werden. Zur Attraktivität zählen aber nicht nur die genannten zentralen Punkte Familie und Dienst, sondern, beim Thema Karriere, auch ein vernünftiges Berufsbildungsund Personalentwicklungskonzept für Soldaten und zivile Mitarbeiter. Ein solches würde auf beiden Seiten für höhere Planungssicherheit und größere Transparenz bei Personalentscheidungen sorgen. Im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft um die besten Köpfe ist ein solches Konzept dringend notwendig. Leider vermisse ich eine entsprechende Regelung in Ihrem für den Herbst geplanten Artikelgesetz. Unsere Unterstützung hätten Sie an dieser Stelle, Frau Ministerin. ({3}) Es gibt eine Reihe von Punkten, die ich hier nicht mehr ausführen kann, wie Homeoffice, Innere Führung sowie Offenheit gegenüber neuen Technologien. So sollte WLAN auf Schiffen mittlerweile zur Grundausstattung gehören; ({4}) denn Marinesoldaten leisten dort rund um die Uhr fernab ihrer Familien einen intensiven Dienst. Skype sollte ebenso selbstverständlich sein. ({5}) Das Thema Infrastruktur hat meine Kollegin vorhin schon angerissen. Hier ist noch einiges nachzuholen. Das Geld ist vorhanden, aber es muss schneller abfließen, damit auch an dieser Stelle die Attraktivität der Bundeswehr steigt. Zwei Dinge möchte ich zum Abschluss noch sagen. Attraktivität kostet Geld. Deshalb müssen entsprechende Maßnahmen seriös im Haushalt abgebildet werden. Und: Die Bundeswehr soll attraktiv für Ältere und Jüngere sein, nach außen und innen, für bestehendes Personal und für neue Bewerberinnen und Bewerber. Dabei darf es aber keine Schlechterstellungen für diejenigen geben, die bereits bei der Bundeswehr sind. Ein letzter Satz. Es werden gut ausgebildete und zufriedene Leute gesucht. Die kommen aber nicht einfach so. Wenn uns am Ende die Leute fehlen, dann brauchen wir auch nicht über neue und komplizierte Waffensysteme nachzudenken; denn dann haben wir niemanden, der diese bedienen kann. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungsetat - das wurde gesagt ist der zweitgrößte Einzelplan im Bundeshaushalt und damit natürlich von ganz besonderer Bedeutung. Vor der Sommerpause haben wir auch hier über die Aussagen des Herrn Bundespräsidenten, aber auch der Frau Bundesverteidigungsministerin bei der Münchener Sicherheitskonferenz über die gestiegene Verantwortung diskutiert. Es gab außerhalb dieses Kreises eine unschöne Entwicklung auf der Seite der Linken, als ein Parlamentarier aus Potsdam gemeint hat, den Herrn Bundespräsidenten in unsäglicher Weise diffamieren zu müssen. Heute früh hat uns der polnische Staatspräsident sehr eindringlich gesagt, dass es um eine gemeinsame Verantwortung geht. Wenn man von Verantwortung spricht, dann muss man auch in der Lage sein, diese Verantwortung wahrzunehmen. ({0}) Wir alle sind weit davon entfernt - auch die Bundesministerin hat es vorhin gesagt -, zu meinen, man wäre nur mit Verteidigungspolitik und nur mit militärischen Mitteln in der Lage, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil: Wir in der Koalition sind dankbar, dass der Außenminister und der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Diplomatie setzen. Diese und die humanitäre Hilfe sind Elemente einer Politik, die wir gemeinsam mit den Möglichkeiten, die wir im Verteidigungsbereich haben, bereitstellen müssen, um dieser Verantwortung gerecht werden zu können. Es ist von allen Rednern schon gesagt worden, wie sehr sich für uns alle die Welt geändert hat, deshalb will ich mich gar nicht länger damit befassen. Wir konnten uns doch bis vor wenigen Monaten überhaupt nicht vorstellen, dass eine Art militärische Auseinandersetzung auf dem europäischen Kontinent in dieser Weise stattfinden könnte. Es gab zuvor den Balkankonflikt, und wir meinten, wenn er beendet sei, dann seien die größten Probleme in Europa gelöst. Jetzt stehen wir vor völlig neuen Herausforderungen. Schon gestern sind die Herausforderungen beschrieben worden, die sich für uns durch den sogenannten arabischen Krisenbogen ergeben. Wir können uns da nicht aus unserer Verantwortung stehlen. Vorhin hat ein Abgeordneter - ich glaube, es war Herr Arnold - auf die derzeit 17 Auslandsmissionen der Bundeswehr hingewiesen. Über diese Einsätze reden wir im Moment schon gar nicht mehr; aber sie sind natürlich eine besondere Herausforderung für die Angehörigen der Bundeswehr, aber auch für uns. Ich sage heute noch einmal, weil es mir sehr wichtig ist - ich glaube, die Kollegin Karin Evers-Meyer denkt auch so -: Wir wollen auch in der Zukunft eine Parlamentsarmee haben. Das heißt, dass wir uns als Parlamentarier selbst in der Verantwortung sehen, sodass wir unter Umständen nach schwierigen Abwägungs- und Diskussionsprozessen entscheiden müssen, was wir den Angehörigen der Bundeswehr an Einsatzaufträgen zumuten. Dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, garantiert, dass unsere Armee nicht am Rande der Gesellschaft steht, sondern in ihrer Mitte angesiedelt ist. Ich denke, das ist wichtig. Die Soldatinnen und Soldaten müssen, wenn es Einsatzaufträge gibt, immer wissen, dass das Parlament zu ihnen steht, auch wenn es für uns Abgeordnete manchmal durchaus schwierig ist, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. ({1}) Wir können allen Angehörigen der Bundeswehr, ob zu Hause oder in Einsatzgebieten tätig, nur sehr dankbar sein, dass sie bereit sind, diese Aufgaben wahrzunehmen, und dass sie bereit sind, für uns alle ein hohes Risiko einzugehen und eine hohe Verantwortung zu übernehmen. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Rückbindung der Bundeswehr an das Parlament - im Begriff „Parlamentsarmee“ kommt die Parlamentszuständigkeit zum Ausdruck - geradezu ein Markenzeichen und ein Qualitätsmerkmal für die deutsche Sicherheitspolitik darstellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch ein paar andere Dinge ansprechen. Die demografische Entwicklung allgemeiner Art und die Gott sei Dank gute konjunkturelle Lage, die wir in unserem Land haben, stellen uns in der Frage der Nachwuchsgewinnung natürlich vor völlig neue Herausforderungen; wir haben ja nicht mehr die allgemeine Wehrpflicht. Ich denke, dass Wehrdienstleistende leichter für einen längeren Dienst bei der Bundeswehr zu gewinnen waren. Nach Abschaffung der Wehrpflicht stehen wir heute in Konkurrenz mit anderen Berufstätigkeiten, mit anderen Branchen. Wir befinden uns in einem Wettbewerb um die guten, tüchtigen und klugen Köpfe in der jungen Generation, die die Bundeswehr in besonderer Weise braucht. Ich bin schon befremdet, wenn ich höre, dass irgendwelche Lehrer der Meinung sind, Jugendoffiziere dürften an Schulen ihren Beruf nicht vorstellen und keine Gespräche führen. Wenn wir den Bundeswehrangehörigen die gleichen Chancen bieten wollen, dann müssen auch die Nachwuchswerber der Bundeswehr die Chance haben, junge Menschen über Möglichkeiten, über Risiken und über Bedingungen aufzuklären. Ob das in Schulklassen oder auf Ausbildungsmessen geschieht, sei dahingestellt. Es gehört nun einmal dazu, dass über das Aufgabenspektrum, das sich hier bietet, informiert wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie bereits angesprochen worden ist, ist es wichtig, dass die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr gesteigert wird. Entsprechende Maßnahmen sind auch im aktuellen Haushaltsentwurf vorgesehen. Daran muss sicher noch weitergearbeitet werden; keine Frage. Wichtig ist auch eine Idee, die die Frau Bundesministerin entwickelt hat und die wir nur unterstreichen können, nämlich die interne Weiterqualifikation insbesondere derer, die zeitlich befristet einen Dienst bei der Bundeswehr leisten, damit dann auch der Übergang in einen Zivilberuf leichter möglich ist. Das ist ebenfalls eine wichtige Maßnahme für unsere jungen Leute, die sich zunächst für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden. Das Thema Familienfreundlichkeit ist vorhin schon angesprochen worden. Keine Frage, dass hier alles getan werden muss, was möglich ist. Nur: Wir müssen bei allen diesen Bemühungen ehrlich genug sein, zu sagen: Der Dienst in der Bundeswehr bringt besondere Herausforderungen mit sich. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um Ausrüstung, Geräte, Großprojekte und Vorhaben. Das alles ist stichwortartig schon genannt worden. Ich kann mich damit nicht länger aufhalten. Es ist natürlich wichtig, dass wir die nötige Ausrüstung und das nötige Gerät zur Verfügung stellen können. Wir müssen auch schauen, welche militärischen Fähigkeiten und Kompetenzen wir in der Zukunft haben werden. Ich bin erstaunt, wenn ich in Magazinen dazu etwas mit dem Unterton lese, es sei ja völlig unmöglich, dass Politik und Ministerien und Industrie miteinander redeten. Was denn sonst? Natürlich muss man über diese Fragen miteinander reden. Das ist geradezu geboten und schon gar nicht unanständig. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Haushälter haben den Appell der Bundesministerin und der Fachkollegen schon gehört. Es geht darum, was am Ende von Haushaltsberatungen gelegentlich drohen kann, aber nicht drohen sollte. Es war eine ziemlich imperativ vorgetragene Bitte, Frau Bundesministerin. Ich kann Ihnen sagen: Wir Berichterstatter werden die Beratungen natürlich sehr ernsthaft führen. Wir werden sehr ernsthaft versuchen, auf die drängenden Probleme einzugehen, die drängenden Probleme zu berücksichtigen. Herr Arnold hat es angesprochen: Es ist in der mittelfristigen Planung vorgesehen, dass die Kürzungen, die jetzt im Einzelplan 60 für das sogenannte Überhangpersonal vorgenommen werden

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Kalb, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich bin sofort am Ende, Frau Präsidentin -, zeitnah, ab 2016 wieder zurückgenommen werden. Frau Präsidentin, wenn Sie erlauben, will ich auch im Namen der übrigen Berichterstatter zum Einzelplan 14 die Kollegin Karin Evers-Meyer als Mitberichterstatterin ansprechen. Ich glaube, es ist ein Beispiel für Pflichtbewusstsein, wenn man an einem bedeutenden Geburtstag, wie sie ihn heute begehen kann, hier seine Pflicht tut, den ganzen Tag hindurch. Herzlichen Glückwunsch zu dem bedeutenden Geburtstag! ({0}) Herzlichen Dank.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Diesen Glückwünschen schließen wir uns als ganzes Haus ausdrücklich an. - Als nächster Redner hat der Kollege Karl-Heinz Brunner das Wort. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Dem letzten Redner zu einer Tagesordnung hat der Münchner Volkssänger Karl Valentin einmal empfohlen, er möge damit beginnen, zu sagen: „Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht in dieser Deutlichkeit ({0}) und noch nicht von mir“, er möge dann sofort in sein Manuskript schauen und kurz entschlossen dieses verwenden. Meine Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, das möchte ich am Ende dieser Rednerliste nicht tun, möchte aber doch noch in der gebotenen Kürze einige Aspekte gern ansprechen. Ich hoffe, dass ich dafür noch ein bisschen Aufmerksamkeit erhalte. ({1}) Gern, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Haushaltsberatungen als die höchste Disziplin der parlamentarischen Demokratie bezeichnet. Das mögen sie sein. Ich sage: Ja, sie sind es, aber sie sind nicht Selbstzweck, sondern sie sind Mittel zum Zweck, und dieser Zweck ist letztendlich die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen unseres Landes, der Menschen der heutigen Generation und der Menschen der kommenden Generationen. Deshalb sage ich hier ganz unverhohlen: Es fühlt sich richtig gut an, heute einen Haushaltsentwurf ohne Neuverschuldung in Händen zu halten. Ich finde das gut, ich finde das schön, und ich freue mich darüber. ({2}) Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch besser wird aber das Gefühl, wenn man sich sicher sein kann, dass die im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel auch so eingesetzt werden, dass sie dort ankommen, wo sie hin4636 gehören. Das bedeutet bei der Beratung des Verteidigungsetats, dass die Mittel bei denen ankommen, die dem Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, dem Schutz unserer Freiheit und dem Schutz unseres Wertesystems dienen, also bei unseren Soldatinnen und Soldaten und, nicht zu vergessen, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gibt es noch einiges zu tun. Den Komplex „Attraktivität“ hat die Kollegin Gabi Weber schon beleuchtet. Es ist aber noch mehr. Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, verdienen es die Soldatinnen und Soldaten, bestmöglich ausgebildet - das ist der Fall - und bestmöglich ausgerüstet zu sein. Schlichtweg: Sie haben Anspruch darauf, einen guten, nein, einen hervorragenden Arbeitsplatz zu bekommen. Sehr verehrte Frau Ministerin, vor etwa sechs Monaten haben Sie für die Bundeswehr das Bild von einem Unternehmen mit etwa 200 000 Beschäftigten gebraucht und als Ziel bezeichnet, dass die Bundeswehr künftig wie ein Unternehmen geführt wird. Das hat mir ausgesprochen gut gefallen. Ich werde dies gerne unterstützen. Aber wir sind erst ein kleines Stück auf diesem Weg vorangekommen; denn es passt noch nicht in das Bild einer modernen Armee, wenn ich beispielsweise bei Truppenbesuchen feststelle, dass die Soldatinnen und Soldaten manchmal Ausrüstungsgegenstände aus eigener Tasche bezahlen und beschaffen, weil sie im täglichen Dienst spüren, dass die Beschaffung von Material auf einem langen und zähen Weg erfolgt. Können wir uns einen Kfz-Mechaniker vorstellen, der zum Üben ein Fahrzeug langfristig vorbestellen muss? Nein. Ein Kollege hat gestern gesagt: Warum kann man beispielsweise bei Amazon garantieren, dass was heute bestellt wird, morgen geliefert wird? Geht dies nicht auch bei der Bundeswehr? Ich glaube, darin liegt ein Körnchen Wahrheit. Die Truppenbesuche zeigen: Die Soldaten wollen keine Plüschtiere und Plüschteppiche, sie wollen vernünftiges Arbeitsmaterial, und sie wollen vor allen Dingen die Unterstützung ihres Auftraggebers, unseres Hohen Hauses, des Deutschen Bundestages. Hören wir doch auf die Menschen in den Kasernen, die für uns Dienst tun, und sorgen wir dafür, dass es dann auch insoweit klappt. Wir müssen sie dafür rüsten, hier und im Einsatz bereit zu sein, damit sie ihren Auftrag erledigen können. Ich bin davon überzeugt, dass sie für das viele Klein-Klein keine Zeit haben. Der jüngste NATO-Gipfel in Wales hat gezeigt, welche Aufgaben und welche Verantwortung auf uns zukommen: beispielsweise mit der Verabschiedung des Readiness Action Plan, dem verstärkten Baltic Air Policing, den AWACS-Flügen, der Marinepräsenz in der Ostsee und im Schwarzen Meer, der Erhöhung der Bereitschaft und der Reaktionsfähigkeit durch die Schaffung einer Einheit für höchste Bereitschaft. Deutschland ist Pflichten eingegangen und hat Verantwortung übernommen. Dem müssen wir gerecht werden. Sehen wir den Druck der aktuellen Krise doch als Chance, unseren Standpunkt, unsere Verantwortung, unsere Politik in der Welt und der Wertegemeinschaft in einem gemeinsamen Europa und in der NATO mit mehr Gewicht einzubringen. Sehen wir es als Chance, endlich über unsere Rolle in der Welt auch hier in diesem Hause ganz offen zu sprechen, eine Rolle im Gleichklang von Diplomatie, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Entwicklung sowie effektiver Verteidigung. Nur wenn alle drei Teile zusammenpassen, kann es auch gelingen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sehe das Licht hier blinken, aber ich habe keinen Nachredner, dem ich etwas abziehe. ({4}) Ich komme zum Ende.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Also, lieber Kollege, so geht es nicht. Wir haben noch eine Runde vor uns. Deshalb muss ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Es geht nicht anders. Es tut mir leid.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihrer Mahnung, sehr verehrte Frau Präsidentin, Rechnung tragen. - Die Ausrüstung ist entscheidend, bis hin zur erhöhten Reaktionsfähigkeit im östlichen NATO-Bündnisgebiet, sonst funktioniert unser Fähigkeitscluster mit den gemeinsamen Expeditionskräften nicht. Deshalb: Haushaltsmittel sind nicht nur selbstständige Zahlen, nicht selbstgefällige Zahlen, sondern sie haben für über 200 000 Menschen, nein, für die über 80 Millionen Menschen dieses Landes, für die Bürgerinnen und Bürger, eine große Bedeutung. Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen und eine gute, anregende Diskussion. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Beratungen zum Einzelplan 14, da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. Wir kommen jetzt zum Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sobald die Kolleginnen und Kollegen die Plätze gewechselt haben, werden wir unsere Beratungen fortsetzen. Die vereinbarte Redezeit für die Aussprache beträgt 96 Minuten. Als erster Redner hat Bundesminister Dr. Gerd Müller das Wort. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht nur ein spannender Abend, sondern auch eine spannende Zeit, in der wir leben, voller Dynamik und Entwicklungen. Die Bevölkerung Afrikas wird sich in diesem Jahrhundert verdoppeln. Die Bevölkerung eines Landes wie Nigeria, in dem ich vor kurzem war, wird in diesem Jahrhundert auf 400 Millionen Menschen wachsen. Die Bevölkerung Deutschlands macht noch 1 Prozent der Weltbevölkerung aus. Das heißt, lieber Barthl Kalb, in 99 Prozent der Fälle sind wir Ausländer. Deshalb ist es gut, einen Blick über das eigene Land hinaus zu werfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet diese Bevölkerungsdynamik? Jeden Tag kommen auf unserem Planeten 250 000 Menschen hinzu. Das bedeutet, dass wir bis 2030 - so weit wollen wir einmal vorausschauen; ich richte mich auch an die jungen Leute da oben auf der Besuchertribüne - 30 Prozent mehr Wasser, 40 Prozent mehr Energie und 50 Prozent mehr Nahrung benötigen. Das sind die Überlebensfragen der Menschheit: Wasser - ohne Wasser kann man keine Woche leben -, Nahrung - ohne Nahrung überlebt man vielleicht vier Wochen -, Energie - wenn wir den Stecker ziehen würden und Berlin eine Woche ohne Strom wäre, hätten wir Bürgerkrieg -, Klima und Umwelt. Das sind die Überlebensfragen der Menschheit. Das spannendste Ressort, die Entwicklungspolitik, sucht und gibt Antworten darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir sind ein internationales Haus und befinden uns mit 70 Ländern der Welt in einer langfristigen Partnerschaft. Wir müssen Lösungen für diese Herausforderung finden: Das Ressourcenproblem. 20 Prozent der Menschheit - nämlich wir hier in Berlin, in Deutschland, in den Industriestaaten - beanspruchen für sich, 80 Prozent der Ressourcen des Planeten zu verbrauchen. Zweitens: das Gerechtigkeitsproblem. 20 Prozent der Menschheit - wir hier in Deutschland, in Europa, in den reichen Ländern - besitzen und beanspruchen 90 Prozent des Vermögens. Glauben Sie nicht, dass wir einfach nur eine Mauer um die Wohlstandsinseln bauen und die Zäune höher machen können, damit wir unser Vermögen und unseren Reichtum bewahren können. Nein, meine Damen und Herren, wir Entwicklungspolitiker und viele mehr sind sicher: Frieden auf der Welt wird es nur geben, wenn Ressourcen, Einkommen und Lebenschancen auch global einigermaßen fair verteilt sind. ({1}) Da die Verteidigungsministerin noch im Saal ist und eben der Verteidigungshaushalt und der auswärtige Haushalt diskutiert wurden, sage ich: Wir brauchen einen vernetzten Ansatz für die Bewältigung dieser Herausforderungen, und das nicht nur auf dem viel beschworenen Papier, sondern auch in der Realität, meine Damen und Herren. ({2}) Ich könnte jetzt auf viele Krisenherde der Welt eingehen, Stichwort Irak. Meine Damen und Herren, diese Kriege und Krisen haben immer ein Davor - dann donnert es - und ein Danach. Deshalb brauchen wir einen vernetzten Ansatz, um Krisen und Kriege durch Prävention und Friedensarbeit zu verhindern. Das ist unsere Aufgabe in der Entwicklungspolitik. ({3}) Es könnten viele Auseinandersetzungen verhindert werden. Natürlich muss man Not und Elend bekämpfen und die Infrastruktur für ein Danach schaffen. 2015 ist das Jahr der Entwicklung. Wir brauchen einen neuen Aufbruch. Wir brauchen neues Denken, eine neue Partnerschaft im globalen Miteinander. Dazu sage ich: Nachhaltigkeit muss über allem stehen; sie muss das Prinzip aller Entwicklung sein. Auf der Tribüne sitzen vornehmlich junge Leute. Meine Damen und Herren, wir sind dem Erhalt der Schöpfung und der Zukunft verpflichtet. Wir, die heutige Generation, sind nur für einen kurzen Flügelschlag hier auf diesem Planeten. Wir stehen in der Verantwortung, diese Schöpfung, diesen Planeten, weiterzugeben an kommende Generationen. Darin müssen wir uns bewähren. Das bedeutet ökonomisch, dass wir doppelte Zurückhaltung walten lassen müssen: Wir müssen erstens Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln, und wir müssen zweitens - das kann ich aufgrund der Kürze meiner Redezeit nicht detailliert ausführen - das Nord-Süd-Gefälle - das heutige Verhältnis von 80 : 20 wurde eben beschrieben - zu einem fairen Verhältnis weiterentwickeln, und zwar durch eine Verstärkung unseres Entwicklungsengagements und eine neue Wachstums- und Verteilungsphilosophie. Der Klimaschutz wird im nächsten Jahr aufgrund des Pariser Gipfels von zentraler Bedeutung für die politische Agenda sein. Das Erreichen des 2-Prozent-Ziels ist in der Tat eine Überlebensfrage für viele, für uns alle vielleicht nicht für den Planeten. Vielleicht wird es auch dann noch Leben geben, wenn wir eine Erwärmung um 2 oder 4 Prozent haben. Ob der Mensch dann noch Platz hat und eine Lebensgrundlage findet, das ist eine andere Frage. Wir müssen zu klaren, neuen, verbindlichen Festlegungen kommen. Deshalb hat der Klimaschutz auch in unserem Haushalt einen hohen Stellenwert. Wir investieren 1,6 Milliarden Euro in Maßnahmen zum Ausbau des Klimaschutzes. Dabei geht es beispielsweise auch darum, in Indien neue und nachhaltige erneuerbare Energieformen zu nutzen. Es kann nicht sein, dass wir den Energiehunger dieser Länder, dieser Kontinente mit Braunkohle, durch Kohleverkoksung befriedigen. ({4}) Dazu habe ich gestern eine Festlegung getroffen, die wir gemeinsam umsetzen müssen. Wir sagen 750 Millionen Euro für den Grünen Klimafonds zu. Ich sage: Deutschland muss bei allen Maßnahmen Vorbild sein; es muss auf internationaler Ebene der Taktgeber für den Klimaprozess sein. Wir sind diesbezüglich zusammen mit dem Bundesumweltministerium federführend. Wir setzen uns aber auch für weltweit verbindliche ökologische und soziale Standards ein. Ich war vor kurzem im Textilmuseum in Augsburg. Die Dokumentation der Geschichte der Textilproduktion, die vor 150 Jahren begann, ist hochspannend und interessant. Vor 150 Jahren begann die Industrialisierung der Textilproduktion und damit die Versklavung und Kasernierung der Textilarbeiter. Die Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert mussten sechs Tage die Woche 16 Stunden am Tag arbeiten, ohne sozialen Grundschutz. Wenn die Frauen schwanger wurden, wurden sie entlassen. Die Menschen arbeiteten ohne Mindestlöhne und hatten keine anständigen Wohnungen. Das ist der Gründungshintergrund der SPD. Denken Sie an Ferdinand Lassalle. Die Gewerkschaften und Frauenverbände haben sich damals entwickelt. Die SPD wurde gegründet. ({5}) - Ich weiß um dieses historische Verdienst. Seitdem sind 150 Jahre vergangen. Mit Schrecken erleben wir dieses Modell der Ausbeutung, dieses Modell des Kapitalismus ohne Grenzen heute in Bangladesch, in Vietnam, aber auch in Afrika. Das ist eine Folge der Internationalisierung. Deshalb sage ich: Wir brauchen weltweit - ich betone: weltweit - verbindliche ökologische und soziale Mindeststandards. Auch die Näherin in Bangladesch muss einen Lohn bekommen, von dem sie leben kann. ({6}) Gestern habe ich ein Referat darüber gehalten. Ich rufe nicht zu Boykotten auf - dieses Wort nehme ich überhaupt nicht in den Mund -, sondern zu Nachhaltigkeit und zu Verantwortlichkeit. Ich bin sicher, dass die jungen Leute auf der Tribüne, wenn sie wüssten, wie ihre T-Shirts hergestellt werden und welchen Hungerlohn die Näherinnen bekommen, anders handeln würden. Deshalb werden wir gerade im Textilbereich Transparenz durch ein Textilbündnis schaffen. Wir sind hier auf gutem Weg. ({7}) Aber das ist nur ein Ansatz. Wir müssen - da haben wir über alle Parteien hinweg, glaube ich, eine grundlegende Übereinkunft - die ILO-Standards und UNEPStandards nicht neu erfinden - sie wurden bereits erfunden -, aber was wir tun müssen, ist, sie mit dem WTOAbkommen verbinden. Der unbegrenzte Freihandel kann nicht unsere Vision im 21. Jahrhundert sein. ({8}) Die Multis müssen verpflichtend daran gebunden werden. Die Märkte brauchen weltweit Grenzen und Regeln. Das gilt auch gerade beim TTIP-Abkommen. Wir werden in unserem Ministerium an verbindlichen Standards festhalten und in die Diskussionen und Verhandlungen auch die Sicht der Entwicklungsländer einbringen. Ich werde dazu eine eigene Anhörung im Haus durchführen. Unsere Entwicklungspolitik ist wertegebunden. Das heißt, jeder Mensch hat ein Recht auf Leben in Würde. Wir stehen für die Einhaltung der Menschenrechte, Gleichberechtigung und insbesondere auch die Durchsetzung der Frauenrechte. Diese stehen beispielsweise in Indien heute in der Verfassung, aber sie werden in der Praxis nicht durchgesetzt. Dafür müssen wir uns weltweit starkmachen. Wir setzen im Haushalt wichtige Schwerpunkte. Vielen Dank allen Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitikern! Die Mittel für die Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ werden jetzt auf rund 1,4 Milliarden Euro aufgestockt. Unsere Vision - es ist nicht nur meine - ist, bis 2030 eine Welt ohne Hunger zu haben. Dies ist machbar. Der größte Skandal ist, dass heute noch 850 Millionen Menschen unterernährt sind und hungern und täglich 20 000 Kinder an Hunger sterben, obwohl dies nicht so sein muss; denn der Planet bietet für 10 Milliarden Menschen die Ernährungsgrundlage. ({9}) Deshalb investieren wir hier. Thema Gesundheit. Das ist vielen Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig. Wir bekämpfen Krankheiten und Seuchen. Ich bin ein Stück weit begeistert. Denn wenn man gefragt wird: „Was nutzt denn Entwicklungspolitik, und welche Erfolge habt ihr?“, kann man auf die Gesundheitspolitik verweisen, in der dies anschaulich deutlich wird. Zu meiner Schulzeit war in meiner Klasse ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das an Kinderlähmung, an Polio, erkrankt war. Sie hat den Fuß dann ein Leben lang nachgezogen. Polio ist heute durch die Impfung von 450 Millionen Kindern in den letzten 20 Jahren praktisch kein Thema mehr, ebenso Masern. Bei HIV und Tbc ist noch einiges zu tun. Wir setzen natürlich den aktuellen Schwerpunkt auf Kriegs- und Flüchtlingselend. Ich habe das jetzt nicht an den Schluss gesetzt, weil es unwichtig ist. Vielmehr ist es im Augenblick der wichtigste Punkt, aber er hat auch schon in den anderen Diskussionen eine ganz erhebliche Rolle gespielt. Es ist die größte Herausforderung von heute und der nächsten Jahre. Dazu setzen wir alle verfügbaren Mittel ein. Ich habe dazu eine Sonderinitiative für Flüchtlinge mit 190 Millionen Euro aufgelegt, um bei der größten humanitären Katastrophe wirksam eingreifen zu können. Diese spielt sich im Augenblick in Syrien und im Irak ab. Aber ich sage auch - das ist mir wichtig -: Wir dürfen nicht nur dahin blicken, wo die Bilder herkommen. Wenn wir Kameras in den Südsudan - einige Kollegen bzw. Kolleginnen waren dabei - oder in die Zentralafrikanische Republik mitnehmen, dann kann auch dort das Kopfabschlagen gefilmt werden. Deshalb dürfen wir auch diese Länder nicht vergessen. ({10}) Ich lade morgen zu einem großen Afrika-Tag ein, den unser Haus veranstaltet. Unter anderem wird der Ministerpräsident aus dem Kongo anwesend sein - ein Land mit Licht und Schatten, aber mit allem, was Afrika zu bieten hat. Wir sind in Gaza, in Palästina und in Afghanistan erheblich gefordert. Das muss eine eigene Debatte werden. Wie reagieren wir in Afghanistan? ISAF zieht ab; wir, die Entwicklungspolitik, bleiben dort. Machen wir bitte nicht dieselben Fehler wie vor drei Jahren im Irak, um dann drei Jahre später bestraft zu werden. Die TalibanFahne im ehemaligen Bundeswehrcamp Kunduz soll uns eine Warnung sein. Wir brauchen hier ein stärkeres entwicklungspolitisches Engagement. Wir haben die Mittel für die Ukraine verdoppelt. In Syrien und im Irak - das sage ich hier ganz klar - ist der Bedarf jetzt am größten. Der Winter steht bevor. Lieber Barthl Kalb - stellvertretend für alle Haushaltspolitiker -: Wir, das BMZ, bauen mit unseren Partnern Infrastruktur und können das umsetzen. Humanitäre Hilfe besteht nicht nur aus Erstversorgung, EPas und dem Verteilen von Mullbinden und Wolldecken. Im Lager in Satari sitzen 130 000 Menschen in der Wüste, und das seit zwei bzw. zweieinhalb Jahren. 50 Prozent von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Sie brauchen Toiletten, Strom, Wasser, Schulen, Ausbildung. Das geht weit über humanitäre Hilfe hinaus. Dieses Problem kann unser Haushalt mit dieser Ausstattung nicht zufriedenstellend lösen. ({11}) 2014/2015 ist für uns kein normales Jahr; ich habe die Herausforderungen dargestellt. Ich warne vor einem dramatischen Winter. Herr Präsident, ich bin gleich am Ende. ({12}) - Frau Präsidentin. Hier leuchtet aber „Präsident“ auf. Das muss man ändern. Es sollte „Präsident/Präsidentin“ heißen. Das ist Gender-Politik. ({13}) Wir müssen jetzt handeln. Ich bitte die Fraktionen nur um eines: um die Einlösung der von allen Seiten in der Sondersitzung gegebenen Versprechen. Wir müssen uns jetzt um Winterquartiere und Infrastruktur für Millionen Menschen kümmern. Dazu habe ich im Haushalt 100 Millionen Euro überplanmäßige Ausgaben beantragt. Deutschland leistet viel. Aber ich sage noch einmal ganz klar: Wir brauchen jetzt grünes Licht für die Winterhilfe, um tätig werden zu können. Das sage ich auch in Richtung der Europäischen Union. Die Sondermilliarde muss jetzt kommen. Die neue Kommission steht. Leider gibt es keinen Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen. Ich bedaure es außerordentlich, dass diese Aufgabe wieder auf vier Kommissare verteilt wurde. Diese Verteilung der Zuständigkeiten macht wenig Sinn. Wir müssen jetzt effektiv handeln. Ich bin überzeugt, dass wir dafür auch die Unterstützung des Parlaments bekommen. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Heike Hänsel das Wort. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller, Sie haben die globalen Herausforderungen und die großen Krisen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, angesprochen. Sie bilden sich aber leider überhaupt nicht in diesem Haushaltsentwurf ab; Sie selbst haben das erwähnt. Ich denke, Sie können mit diesem Haushalt überhaupt nicht zufrieden sein. Alle, die sich für Entwicklung einsetzen, müssen diesen Haushaltsentwurf eigentlich ablehnen. ({0}) Ich muss dazusagen: Es klingt in unseren Ohren schon fast wie blanker Hohn, wie Herr Schäuble die schwarze Null gepriesen hat. Sie sei kein Selbstzweck, sondern ein Zeichen der Verlässlichkeit, sagte er und fügte hinzu: Wir halten unsere Versprechen. - Da frage ich mich natürlich: Welche Versprechen hält er denn? Vielleicht hält er das Versprechen der Haushaltsdisziplin. Aber das jahrzehntelange Versprechen, endlich 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens - das ist wahrlich nicht viel - für Entwicklung auszugeben, haben wir wieder deutlich verfehlt; ich finde, das ist beschämend. ({1}) Wir sind mit ungefähr 0,38 Prozent meilenweit davon entfernt. Da der Aufwuchs fast null beträgt, wird die ODA-Quote sogar zurückgehen. Haushaltsdisziplin wird also sowohl in Deutschland als auch weltweit auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit durchgesetzt. Die schwarze Null steht über allem. Das lehnen wir ab. ({2}) Natürlich muss ich in diesem Zusammenhang auch neue Versprechen, die gemacht werden, erwähnen; auch das war heute schon Thema. Die NATO-Mitgliedstaaten haben sich auf Rüstungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttonationaleinkommens geeinigt. Das ist dann natürlich der Gipfel. Frau von der Leyen sagt ja: So viel Geld wollen wir insgesamt nicht ausgeben. - Aber es steht fest: Es wird deutlich mehr Geld für Rüstung geben und viel zu wenig Geld für Entwicklung. Diese Politik unterstützen wir nicht. ({3}) Denn sie ist auch mit einer weiteren Militarisierung verbunden, mit Aufrüstung. Wir erleben ja - das war heute auch Thema -, wie die NATO auch im Ukraine-Konflikt agiert. Für uns ist das eine Politik der Eskalation. Man muss sich vorstellen, dass derzeit ein breit angelegtes NATO-Manöver auch in der Ukraine stattfindet, in einem Land, in dem Krieg herrscht und wo wir Zeichen des Dialogs bräuchten und keine Zeichen militärischer Stärke. Es soll eine neue Eingreiftruppe mit erhöhter Einsatzbereitschaft eingerichtet werden, die Präsenz der NATOTruppen in den osteuropäischen Ländern soll ausgebaut werden usw. Aus gutem Grund fordert die Linke die Auflösung der NATO - genauso, wie der Warschauer Pakt aufgelöst wurde. Wir brauchen zivile Sicherheitsstrukturen, die gegenseitiges Vertrauen, den Interessenausgleich fördern, um gemeinsam die Probleme, die Sie, Herr Müller, hier angesprochen haben, zu bewältigen. Das ist in unseren Augen die große Zukunftsaufgabe: dass wir die NATO überwinden ({4}) und diese Politik der Militarisierung. Konfliktursachen können nur zivil bekämpft werden. 1 Billion Dollar geben die NATO-Mitgliedstaaten derzeit für Rüstung aus. Wenn wir gleichzeitig - das ist auch eine Kritik an Ihrem Haus - die Ausbreitung des Ebola-Virus sehen - über 4 000 Menschen sind infiziert, 2 300 bereits gestorben - und wenn ich lese, dass Sie dafür derzeit gerade einmal 1,4 Millionen Euro zur Verfügung stellen, dann meine ich: Das ist völlig inakzeptabel zumal Sie hier vor ein paar Tagen in einer Sondersitzung 70 Millionen Euro für Waffenlieferungen beschlossen haben. Es geht dabei auch in Afrika um Menschenleben, darum, dass diese Menschen vor diesem tödlichen Ebola-Virus gerettet werden. Da könnte man sehr viel machen. Da erwarte ich auch von Ihnen, Herr Müller, dass Sie sich viel mehr einsetzen. Sie haben sich - das muss ich auch sagen - kritisch gegenüber den Waffenlieferungen geäußert. Darin haben Sie unsere Unterstützung. Wir appellieren an Sie, dass Sie den Mut aufbringen, beim nächsten Mal im Bundessicherheitsrat dagegen zu stimmen. Wir würden das sehr unterstützen. Die Linke setzt sich für ein Verbot von Rüstungsexporten ein. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag für Entwicklung. ({5}) Es gibt übrigens viele andere Bereiche, die zur ODA zählen, in denen auch gekürzt wird. Da werden zum Beispiel die Mittel für humanitäre Hilfe im Etat des Auswärtigen Amtes um 38 Prozent gekürzt. Das muss man sich vorstellen! Die Mittel für Krisenprävention und für den zivilen Friedensdienst stagnieren. All das geschieht in einer Zeit, in der wir mit Krisen konfrontiert werden, für die wir neue zivile Instrumente benötigen, die ausgebaut werden müssen, die aber leider seit Jahren, mittlerweile seit Jahrzehnten, ein Schattendasein führen. Wir fordern eine Stärkung dieser zivilen Instrumente. Für uns ist das ein starkes Zeichen für eine friedliche Außenpolitik. Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Situation im Nahen Osten sagen, was in meinen Augen bisher in der heutigen Debatte zu kurz kam. Wir haben alle die massiven Bombardierungen des Gazastreifens erlebt mit über 2 000 toten Palästinensern und 68 Toten auf israelischer Seite; der Gazastreifen ist nach wie vor abgeriegelt. Sehr viel Infrastruktur wurde zerstört. Dazu haben wir eine Anfrage gestellt: 6 Milliarden Euro soll der Wiederaufbau kosten. Wer zahlt das eigentlich? Dabei ist das nicht das erste Mal. Wir erleben diese Zerstörungen jetzt zum dritten Mal. Immer wieder werden von der internationalen Gemeinschaft diese Entwicklungsprojekte und die UN-Einrichtungen mit Steuergeldern wieder aufgebaut. In unseren Augen kann das nicht sein. Man muss auch die israelische Regierung zur Verantwortung ziehen. Es kann nicht sein, dass wir immer wieder aufbauen, und dann wird immer wieder zerstört. ({6}) Weiter brauchen wir eine neue Ausrichtung in der Nahostpolitik. Dazu gehört auch, dass die Besatzung endlich beendet wird. Dabei spielt auch die Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle, Herr Müller, nämlich insofern, ob sie mit ihren Projekten diese Besatzung stabilisiert oder ob sie dazu beiträgt, dass der zivile Widerstand gegen die Besatzung gestärkt wird. Das ist in unseren Augen ein wichtiger Beitrag für einen gerechten Frieden im Nahen Osten. Abschließend möchte ich sagen -

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Nein, Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit jetzt um eine Minute überschritten. Deshalb bitte ich, jetzt wirklich zu schließen.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich schließe. Für uns ist eine aktive Friedenspolitik der beste Beitrag für Entwicklung. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen angesichts der fortgeschrittenen Zeit, die Redezeit einzuhalten. Jetzt hat als nächste Rednerin Frau Steffen das Wort. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen Tagen ist sehr viel von der neuen Dimension die Rede; das war ein Schlüsselwort in fast allen heutigen Debatten. Wir erleben Kriege und Katastrophen, die wir noch vor kurzer Zeit für undenkbar gehalten haben: Kriege in Europa und im Nahen und Mittleren Osten und eine Ebola-Seuche, die außer Kontrolle geraten ist. Wir haben große Probleme, die richtigen Worte für all diese Bedrohungen zu finden, und wählen deshalb so oft den Ausdruck „neue Dimension“. Viele, auch hier im Deutschen Bundestag, meinen damit vor allem die neue Dimension in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir sprechen von Gegnern und Bündnissen, von Waffen und Boykotten. Von Entwicklungszusammenarbeit sprechen wir nicht oder allenfalls am Rande, und das ist falsch. ({0}) Die neue Dimension, von der wir hier so oft sprechen, gilt zuallererst für die Entwicklungszusammenarbeit. Im Mittleren Osten, vor allem im Irak und in Syrien, aber auch im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik sind Millionen Menschen auf der Flucht. Staatsministerin Özoğuz hat heute Morgen die erschreckenden aktuellen Zahlen genannt. Man geht derzeit von 51 Millionen Flüchtlingen weltweit aus. Ihre oft einzige Hoffnung ist die Hoffnung auf Erste Hilfe von außen, Erste Hilfe auch von uns. Das ist ihre Hoffnung, vielleicht sogar ihre einzige Chance. Auch die von der Ebola-Seuche bedrohten Menschen in Westafrika setzen auf uns, auf unsere Erste Hilfe. Wir müssen über diese Erste Hilfe hinausdenken. Nachhaltigkeit ist gefragt, Herr Minister; ich gebe Ihnen völlig recht. Wir müssen überlegen, was wir tun können, um Flüchtlingen langfristig zu helfen. Wir brauchen Programme, um Flüchtlinge wiedereinzugliedern. Auf lange Sicht müssen wir darangehen, Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen. Deshalb bin ich sehr froh und dankbar, dass Sie im letzten Haushalt eine Sonderinitiative aufgelegt haben mit dem Titel „Fluchtursachen bekämpfen Flüchtlinge reintegrieren“, eine, wie ich finde, richtig gute Initiative. Sie hilft den Ländern, die unter der Flüchtlingskrise besonders leiden, wie etwa Jordanien und dem Libanon. Für 2015 sind Barmittel im Wert von 60 Millionen Euro geplant. Reicht das? Wenn ich Ihren Worten folge, muss ich sagen: Das reicht nicht; das ist nicht die richtige Antwort auf die neue Dimension, mit der wir es zu tun haben. ({1}) Wer sich das Elend in diesen Ländern vor Augen führt, weiß: Deutschland muss mehr tun, wir müssen mehr tun. Vielleicht müssen wir auch umschichten. Klar muss sein: Flüchtlingshilfe hat Priorität. „Eine Welt ohne Hunger“ lautet der Titel eines weiteren Programms, das der Minister auf den Weg gebracht hat. Der Name ist gut gewählt. Hunger ist und bleibt eine der größten Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit. Die entscheidenden Fragen sind jedoch: Welchen Beitrag kann dieses Programm leisten? Wie viele Mittel stehen dafür bereit? Und vor allem: Wie und wohin werden die Mittel verteilt? Wir alle wünschen uns, dass wir bis 2030 das Ziel, das Sie genannt haben, erreichen, dass wir dann tatsächlich eine Welt ohne Hunger haben werden. Ich bin sehr gespannt, ob uns das gelingt. Auch für diese Initiative gilt: Wir müssen in langen Linien denken, wir müssen nachhaltige Lösungen finden, um den chronischen Mangel zu bekämpfen. Die Menschen müssen selbstständig werden, ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können. Das ist hier die zweite Aufgabe, nach dem Bekämpfen der akuten Hungersnöte. Meine Damen und Herren, in der letzten Woche habe ich Plan International in Hamburg besucht. Das Gespräch dort hat mich wirklich tief bewegt. Die Mitarbeiterinnen von Plan haben mir erzählt: Wo Ebola wütet, bricht das Leben zusammen. Ebola beherrscht den Alltag. Die Menschen arbeiten nicht mehr auf den Feldern. Schulen und öffentliche Einrichtungen sind geschlossen. Die Behörden versuchen, Ebola Herr zu werden, indem sie Slums räumen oder sogar einzäunen. Wir kennen die dramatischen Bilder in den Medien. Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Angst sprechen aus den Gesichtern der Menschen. Auch Helfer und Ärzte aus der Ersten Welt haben sich bereits angesteckt; Frau Hänsel hat darauf hingewiesen. Derzeit gibt es knapp 2 300 Todesopfer und viele weitere Ansteckungen. Erst heute wurde bekannt, dass sich erneut ein WHO-Arzt angesteckt hat. Diese Menschen riskieren ihr Leben, um den Hilfslosen zu helfen, und dafür gebührt ihnen großer Respekt. ({2}) Wir müssen leider fürchten, dass sich Ebola weiter ausbreitet. In Worte fassen können wir die Katastrophe nicht; die Dimension ist einfach zu groß. Wir müssen die richtigen Antworten finden, Antworten, die der neuen Dimension, mit der wir es zu tun haben, gerecht werden. Krankheiten und Hunger gehören traurigerweise immer zusammen. Wo Hunger herrscht, sind Krankheiten nicht weit. Sie lähmen die Zivilgesellschaft, hemmen und verhindern Entwicklung. Wir müssen die Faktoren, die Krankheiten auslösen, zurückdrängen. Entscheidend ist der Zugang zu Medikamenten. Entscheidend ist aber auch, dass wir möglichst viele Menschen erreichen, um Krankheiten durch Impfungen und weitere Präventionsmaßnahmen zu verhindern. Gesundheitsversorgung und Vorbeugung sind Schlüsselthemen der Entwicklungszusammenarbeit. Hier geht es nicht nur um Ebola, sondern auch um viele andere Krankheiten, die gerade nicht im grellen Scheinwerferlicht der Medien stehen, deren Ausbruch jetzt jedoch durch Ebola wieder verstärkt wird: Tuberkulose, Polio, Aids, Malaria. Das alles sind gefährliche und oft tödliche Krankheiten, die bekämpft werden müssen, vor allem mit Impfprogrammen. Herr Minister, 2015 ist für die Entwicklungszusammenarbeit in der Tat ein entscheidendes Jahr. Wie Sie wissen, richtet Deutschland 2015 die Konferenz zur Wiederauffüllung der Globalen Impfallianz, GAVI, aus. Impfen bedeutet, lebensbedrohliche Krankheiten zurückzudrängen und Leben zu retten, vor allem das Leben von Kindern. Die Bundesregierung sollte diese Konferenz nutzen und deutlich machen, wie sehr sie dieses Programm unterstützt. ({3}) Meine Redezeit ist fast zu Ende. Ich will aber noch ganz kurz erwähnen, dass auch ich persönlich den Bereich „Friedensdienst, private Träger, Kirchen und Stiftungen“ für sehr wichtig halte. Hier geht es nicht nur darum, dass wir die Kräfte der Zivilgesellschaft stärken. Für uns ist es auch wichtig, vor Ort von diesen Organisationen zu hören, wie die Situation tatsächlich ist; denn die Medien - kein Medium! - können die persönliche Anschauung hier nicht ersetzen. Zuallerletzt kann ich nicht umhin, ein unerfreuliches Kapitel kurz anzusprechen, nämlich die ODA-Mittel und den ODA-Stufenplan. Wir hatten uns einmal verpflichtet, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsleistungen einzusetzen. Hier können wir in der Tat nur verschämt feststellen: Wir haben das Ziel nicht erreicht; wir sind weit von den 0,7 Prozent entfernt. ({4}) Meine Damen und Herren, ich habe anfangs von der neuen Dimension und von den neuen Bedrohungen gesprochen. Diese neue Dimension muss sich auch in unserem Etat abbilden. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Steffen, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Es muss sichtbar werden, dass wir unseren gerechten finanziellen Beitrag leisten, um Armut zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen. Ich freue mich daher sehr auf die anstehenden Haushaltsberatungen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anja Hajduk das Wort.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss leider feststellen, dass dieser Haushalt - gerade auch Ihr Etat, Herr Müller - keine ausreichenden Antworten auf die Dramatik der außenpolitischen Entwicklungen gibt. ({0}) Ich finde, es zeugt schon von einer bemerkenswerten Offenheit, dass Sie das im Grunde ja auch selber sagen, indem Sie um die Unterstützung des Haushaltsausschusses bzw. des Parlamentes bitten; Sie haben von 100 Millionen Euro gesprochen. Ich will dazu nur sagen: Wir werden Sie unterstützen, soweit es in unseren Möglichkeiten als Opposition liegt. Aber ich muss auch kritisch sagen: Sie als Minister haben im Kabinett selber die Möglichkeit, zum Beispiel über Nachtragshaushaltsentscheidungen die entsprechenden Mittel einzuwerben. ({1}) Wir leisten hier gerne unseren Beitrag. Aber es kann nicht sein, dass der zuständige Minister hier zwar die richtigen Worte findet, aber uns im Grunde nur zeigt, dass er nicht das ausreichende Backing von der Kanzlerin hat, die in ihrer heutigen Rede zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die Zeichen der Zeit in der Außenpolitik erkannt haben will. Das passt nicht zusammen. Arbeiten Sie am Kabinettstisch! Wir arbeiten gerne parallel dazu im Ausschuss! ({2}) Ich will auf die von Ihnen genannte Forderung zu sprechen kommen, die europäische Ebene solle mehr tun. Ich habe das im Sommer aufmerksam verfolgt: Sie fordern von der EU 1 Milliarde Euro für die Flüchtlingshilfe. Sie haben aber als Minister die Verantwortung, diese Forderung mit Substanz zu unterlegen, weil unsere Stimme auf der europäischen Ebene schließlich Gewicht hat, und zwar ein nicht geringes. ({3}) Wenn ich dazu Ihrem Haus eine Frage stelle und Anfang August die Antwort bekomme, es sei möglich, der Forderung nach 1 Milliarde Euro durch den Einsatz von Mitteln aus Programmen wie dem Europäischen Entwicklungsfonds nachzukommen, dann stelle ich fest, dass das mit Blick auf die Krisenregion Nahost gar nicht passt, weil die Mittel aus dem Entwicklungsfonds in die südlich der Sahara gelegenen Staaten und in die anderen AKP-Staaten fließen. Ich erwarte ein substanzielles Agieren von Ihnen, wenn es darum geht, wie die europäische Ebene hier vorgehen kann. Wir wollen bei so ernsten Themen nicht nur heiße Luft. Wir wollen neue Vorschläge. ({4}) Man muss sich auch einmal auf den eigenen Handlungsrahmen der Bundesregierung besinnen. Meine Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt hat heute Morgen ein Beispiel genannt: Es ist ein Ungleichgewicht, dass die beschlossenen Waffenlieferungen einen Wert von 70 Millionen Euro haben, aber der Wert der humanitären Hilfe bei 50 Millionen Euro liegt. Sie haben jetzt im Rahmen der humanitären Hilfe von zusätzlichen 100 Millionen Euro gesprochen. Sehen wir die Mittel der humanitären Hilfe nicht mehr aufgeteilt zwischen Auswärtigem Amt und BMZ, sondern integriert. Im Sommer dieses Jahres, als es um den Beschluss zum Haushalt 2015 ging, ist sage und schreibe ein gutes Drittel der Mittel der humanitären Hilfe im Etat für das Auswärtige Amt gekürzt worden. Das sind 116 Millionen weniger. Das kann man doch überhaupt nicht verstehen, wenn man weiß, dass schon im Juli 2014 klar war, welcher Druck sich durch die internationalen Krisen aufbauen würde. Ich könnte jetzt sagen: Das bezieht sich nur auf Herrn Steinmeier. Aber nein, auch in Ihrem Haus ist das so. Wenn wir nicht die kurzfristigen Maßnahmen der humanitären Hilfe betrachten, sondern die mittelfristigen Mittel für die entwicklungsfördernden und die strukturbildenden Übergangshilfen, dann stellt man fest: Sie treten mit Ihren 49 Millionen Euro auf der Stelle. Nichts kommt dazu. Ich muss ganz ehrlich sagen: Da reicht der Hinweis auf die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ einfach nicht mehr aus. ({5}) Wir haben Ihnen in diesem Sommer, Ende Juni, Anträge vorgelegt, sowohl zur Übergangshilfe - wir haben eine Erhöhung um 100 Millionen Euro gefordert - als auch zur humanitären Hilfe, bei der wir eine Aufstockung um 350 Millionen Euro verlangt haben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Meine Fraktion ist wirklich nicht glücklich darüber, dass wir bei diesem Thema so schnell recht behalten haben - man hätte diese Anträge beschließen müssen - und Sie uns jetzt bitten: Helfen Sie mir, diese Forderungen durchzusetzen. - Dahinter steht eine tragische Entwicklung. Aber jetzt haben wir die Verantwortung, endlich zu handeln. ({6}) Ich möchte noch auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen. Im Jahr 2015 wird es entscheidende, auch langfristig angelegte Zusammenkünfte internationaler Art geben, um die zukünftigen internationalen Herausforderungen anzugehen. Die neue Entwicklungs- und Umweltagenda wird in New York im Juli 2015 festgelegt. Auch hier, Herr Müller, äußern Sie sich zu den Entwürfen positiv. Ich finde aber keine entsprechende finanzielle Unterlegung in Ihrem Etat dazu für das Jahr 2015. Es ist wichtig, dass die Mittel für wirksame Vorhaben wie im Rahmen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria nicht gekürzt, sondern aufgestockt werden. Auch dort müssen wir in eine ganz andere Richtung arbeiten. Ich will auf das Thema ODA-Quote nicht eigens eingehen, weil das meine Vorrednerin Frau Hänsel schon getan hat. Aber es ist natürlich keine Antwort auf internationalem Terrain, wenn noch nicht einmal ein Programm oder ein Plan zu der Frage vorgelegt wird, wie wir die Erfüllung des 0,7-Prozent-Versprechens, das wir bisher nicht halten konnten, neu angehen wollen. Sprachlosigkeit schwächt uns in diesem Kontext. Das ist auch nicht zu verantworten. ({7}) Ein weiterer Punkt ist der Klimagipfel in Paris im Jahr 2015. Er ist sehr entscheidend für die Zukunft unseres Planeten und insbesondere für die Regionen in der Welt, die schon mächtig unter den ersten Folgen des Klimawandels zu leiden haben. Auch hier sehe ich nicht, dass wir als Industrieland das Versprechen, das wir in Kopenhagen gegeben haben - bis 2020 wollen die Industrieländer zusammen 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz bereitstellen -, erfüllen können. Einen entsprechenden Aufwuchspfad in Ihrem Haus kann ich jedenfalls nicht erkennen. Ich will jetzt gar nichts dazu sagen, dass Frau Merkel im Moment hier mit Abwesenheit glänzt, auch wenn ich das bedauerlich finde. Herr Müller, Sie fahren zwar mit Frau Hendricks im September zum Klimagipfel nach New York; aber dass unsere Kanzlerin trotz der Anwesenheit von Herrn Obama, Herrn Hollande und auch der chinesischen Regierungsspitze ihren Platz leer lässt, ist ein ganz schlechtes Zeichen. An dieser Stelle müssten Sie umkehren und Substanz liefern. ({8}) Ich komme zum Schluss. Dieser Etat ist sehr mager; Ihre richtigen Worte fangen das nicht auf. Einen weiteren Punkt werden wir in den Haushaltsberatungen zu überprüfen haben: eine kritische Evaluation der eigenen Entwicklungsprogramme. Ich hoffe sehr, dass Sie sich einer kritischen Aufsicht nicht entledigen, sondern eine kritische Aufsicht stärken. Darüber sprechen wir allerspätestens - vielleicht sogar schon früher - im November. Schönen Dank. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Jürgen Klimke das Wort. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die von der Opposition formulierte Kritik - manchmal waren die Reden ja auch mit etwas Lob versehen kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. ({0}) Noch vor einem knappen Jahr haben Sie die Arbeit des Ministers hier sehr wohlwollend kommentiert, und ich sehe überhaupt keinen Bereich, den der Minister vernachlässigt hätte. Im Gegenteil: Er greift mit frischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ansätzen die drängenden Fragen dieser Zeit auf, und das vor allen Dingen ohne Dogmen. Das ist das Entscheidende. ({1}) Frau Hajduk, die Arbeit des Ministers ist keine heiße Luft. Ihre Kritik ist heiße Luft; das ist das Entscheidende. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einiges zu den wirklich grundsätzlichen Problemen sagen. Wir erleben derzeit eine Gleichzeitigkeit von bewaffneten Konflikten in dieser Welt, die wir alle in der jüngsten Vergangenheit nicht erlebt, nicht gekannt haben. Das gilt insbesondere für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien und im Irak, verübt von der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“. Sie erschüttern uns durch ihre Brutalität. Die Folge ist ein sprunghafter Anstieg der Anzahl der Menschen auf der Flucht. Schnelle humanitäre Hilfe und eine starke, auch militärische Antwort auf die Gräueltaten des IS-Terrorismus erfordern große Anstrengungen von uns. Laut UNHCR-Report gibt es seit dem letzten Jahr erstmals mehr als 50 Millionen Flüchtlinge, Asylsuchende und Binnenvertriebene weltweit. So zählen wir in den genannten Ländern Syrien und Irak circa 7,5 Millionen Binnenflüchtlinge, die vor Ort mit elementaren Hilfsgütern unterstützt werden müssen. Von Flüchtlingsströmen sind auch andere Krisenregionen betroffen. Die Nachbarstaaten, vor allen Dingen Libanon und Jordanien, haben die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Aus diesem Grunde bin ich Minister Müller außerordentlich dankbar, dass er im Rahmen von Sofortmaßnahmen in den aktuellen Krisenregionen im Irak und in Gaza zusätzlich jeweils 20 Millionen Euro bereitgestellt hat. Auch die Entscheidung von Innenminister Thomas de Maizière und seinen Länderkollegen, das bisherige Aufnahmekontingent für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge um 10 000 auf nunmehr 20 000 zu erweitern, begrüßen wir ausdrücklich. ({3}) Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass unsere wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit nur dann erfolgreich und nachhaltig wirken kann, wenn wir Fluchtursachen weltweit gezielter bekämpfen. Gerade in Regionen mit fragilen Staaten stehen wir vor besonders großen Herausforderungen. Betroffene Staaten - ich nenne beispielhaft die EZ-Partner Pakistan, Südsudan und Nigeria - stellen aus unterschiedlichen Gründen nicht nur ein regionales, sondern auch ein globales Sicherheitsrisiko dar. Die internationale Staatengemeinschaft muss dort mit entwicklungspolitischen Instrumenten auf eine Verbesserung der Lage hinwirken. Das ist nicht nur unsere Aufgabe, die Aufgabe der EU oder der westlichen Länder, sondern es ist meines Erachtens auch eine wichtige Funktion der Vereinten Nationen, in diesem Bereich tätig zu sein. Deshalb unterstützen wir diese Institution im kommenden Jahr - auch das muss man ansprechen, wenn wir über Entwicklungszusammenarbeit reden mit 140 Millionen Euro Barmitteln und 128 Millionen Euro an Verpflichtungsermächtigungen bei ihrer Arbeit. Das ist in beiden Fällen ein finanzieller Aufwuchs und aus meiner Sicht ein essenzieller Beitrag zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Vertreibung in der Welt. Wie meine kurze Einführung zeigt, haben aktuelle politische Entwicklungen großen Einfluss auf die Haushaltsplanungen. Die Herausforderung besteht darin, darauf zu reagieren, und das tun wir. Das ist das Entscheidende, auch wenn die Kritik am Haushalt zum Teil durchaus nachvollziehbar ist. Die Not der Menschen im Nahen Osten, aber auch in der Ostukraine und anderen Konfliktregionen stellt die finanzielle Ausrichtung deutscher Entwicklungspolitik vor neue Aufgaben. Dabei geht es nicht darum, verschiedene Aufgabengebiete gegeneinander auszuspielen, sondern darum, langfristige Antworten auf drängende Fragen zu geben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein anderes Thema ansprechen, das Sie sicherlich auch kennen. In Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern werden wir immer wieder gefragt, wie finanzielle Mittel in der EZ eingesetzt werden und ob das Geld auch vor Ort ankommt. An dieser Stelle verweise ich gerne auf das noch junge Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit, kurz: DEval. Das Institut unterstützt das BMZ, unsere Durchführungsorganisationen wie die GIZ und die KfW sowie nichtstaatliche Einrichtungen dabei, ihre Entwicklungsprojekte auszuwerten und die Ergebnisse vor allen Dingen auch für den Bürger transparenter darzustellen. Was erreichen wir damit? Folgeprojekte können auf einen Erfahrungspool zurückgreifen, und finanzielle oder personelle Mittel für zukünftige Projekte können noch gezielter eingesetzt werden. Damit ist das DEval ein gutes Beispiel, um die effizientere Herangehensweise deutscher Entwicklungspolitik unseren Bürgerinnen und Bürgern aufzuzeigen. Es wird nicht nur die Umsetzung von Maßnahmen evaluiert, sondern damit auch intensiver geprüft, ob der erhoffte entwicklungspolitische Nutzen eingetreten ist und die eingesetzten Mittel einen Beitrag zur Verbesserung der Situation vor Ort geleistet haben. Aus diesem Grunde begrüße ich ausdrücklich den Aufwuchs im Haushaltsjahr 2015 um 378 000 Euro Barmittel auf 7,4 Millionen Euro für das DEval. Meine Damen und Herren, wir debattieren hier gemeinsam den Einzelplan 23. Die Mittel im Haushalt des BMZ wurden nicht zurückgefahren; der Haushalt bleibt stabil. Aber das 0,7-Prozent-Ziel ist sicherlich mit einem großen Fragezeichen zu sehen. Wir geben es aber nicht auf - das müssen wir festhalten -, ({4}) und wir arbeiten unter dieser Regierung daran, vernünftig voranzukommen. Unter anderen Regierungen war es im Übrigen sehr viel schlechter. Den Kritikern sei an dieser Stelle einmal mehr der Blick auf die Entwicklung des BMZ-Haushaltes nahegelegt. Während im Jahr 2005 für die Entwicklungszusammenarbeit weniger als 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestanden haben, haben wir heute ein Volumen von knapp 6,5 Milliarden Euro. Das ist ein großer Schritt nach oben, den wir trotz der Euro-Krise und der notwendigen Konsolidierung des Haushaltes für zukünftige Generationen gegangen sind. Ich darf auf einen weiteren Punkt eingehen. Den messbaren Erfolg in der Entwicklungszusammenarbeit steigern wir nur im Einklang mit anderen Ressorts und zivilen Akteuren. Ich bekräftige ganz ausdrücklich das Bekenntnis der CDU/CSU zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gerade im Entwicklungsbereich. Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Schwellenländern zu stärken, ist mir in diesem Kontext die Weiterentwicklung von Rohstoffpartnerschaften ein wichtiges Anliegen. Hier müssen wir ideologische Ängste in unserem Land abbauen, dass solche Partnerschaften ausschließlich zur Ausbeutung in den Zielländern führen. Dies gelingt insbesondere durch mehr Transparenz. Rohstoffeinnahmen können, wenn sie richtig verwaltet werden, in den Entwicklungsländern zur Wohlstandsentwicklung beitragen; das stellen wir sicher. Zudem müssen alle betroffenen Akteure gehört werden. Es gibt aber keinen Grund, mit Schaum vor dem Mund die Weiterentwicklung solcher Projekte zu bekämpfen. Maßgeblich für den Erfolg sind gute Regierungsführung, ein verantwortlicher Umgang mit den Steuereinnahmen und begleitende Antikorruptionsmaßnahmen in den Herkunftsländern. ({5}) Wir stellen fest: Die Entwicklungszusammenarbeit ist auf dem richtigen Weg. Minister Müller hat mit diesem Haushaltsentwurf erneut unter Beweis gestellt, dass er auf aktuelle Entwicklungen reagiert und dabei nicht den Gesamtkontext aus den Augen verliert. Wir werden ihn dabei tatkräftig unterstützen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Annette Groth das Wort. ({0})

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, Minister Müller, dass Sie den Weltagrarbericht von 2008 zumindest erwähnt haben, der sonst immer in Schubladen verschwindet. Dieser Bericht besagt, dass man auf diesem Planeten 12 Milliarden Menschen problemlos ernähren kann, und zwar allein auf ökologisch-nachhaltiger Basis, ohne Gentechnik; das muss man immer wieder betonen. Wir haben eigentlich die Tools. Wir müssen sie nur nutzen. ({0}) Ich möchte an Sie appellieren - dazu wurde schon viel gesagt -: Setzen Sie sich für eine nachhaltige Entwicklung ein! Setzen Sie sich für höhere Ausgaben für Entwicklung und humanitäre Hilfe ein! Der Bedarf an humanitärer Hilfe und Entwicklungsleistungen ist so groß wie nie. 81 Millionen Menschen benötigen in diesem Jahr humanitäre Hilfe. Um diese Menschen angemessen zu versorgen, werden 17 Milliarden USDollar benötigt. Gedeckt sind davon bisher 39 Prozent. Ich will nicht noch einmal an die katastrophale Situation im Nahen Osten, in Syrien, im Jemen, in Nigeria oder Mali erinnern; das alles ist uns bekannt. Wir haben gestern im Auswärtigen Amt ein Gespräch mit der stellvertretenden Generalsekretärin von OCHA, dem UNBüro für humanitäre Hilfe, geführt. Sie sagte, dass allein 4 Millionen Menschen im Sudan in den nächsten zwei Monaten von Hunger bedroht sind. Sie beklagte die katastrophale Situation in Gaza, wo dringend Trinkwasser, Nahrungsmittel, Baumaterialien sowie medizinische Geräte wie Rollstühle und Medikamente benötigt werden. Waren im Werte von 100 Millionen Dollar warten derzeit auf Erlaubnis der israelischen Regierung, in den Gazastreifen eingeführt zu werden. In diesem Zusammenhang fordert OCHA das Ende der völkerrechtswidrigen Blockade von Gaza, ({1}) da durch diese Blockade die dringend benötigten Waren nicht reinkommen und die Schwerverletzten nicht rauskommen, die dringend einer medizinischen Behandlung bedürfen. Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung den 2010 vom Bundestag gefassten Beschluss, dass die Blockade aufgehoben werden muss, umsetzt. Daran möchte ich uns alle erinnern. ({2}) Wir haben so viele Flüchtlinge wie noch nie. Das wurde schon von einigen erwähnt. Es sind mehr als 50 Millionen. Die meisten dieser Flüchtlinge sind Kriegsflüchtlinge. Mit den Kriegen gegen den Irak, Afghanistan, Libyen, aber auch mit den Waffenlieferungen an die Golf-Diktaturen und oppositionelle Gruppen in Syrien sind Waffen in die Region gepumpt worden, die heute von den Terroristen des „Islamischen Staats“ eingesetzt werden. Auch die Bundesregierung geht mit ihren Waffenlieferungen an die irakischen Kurden ein hohes Risiko ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Waffen morgen in einem blutigen Konflikt um einen kurdischen Staat eingesetzt werden, ist groß. Vor allem können diese Waffen auch in die Hände der Dschihadisten gelangen. Seit nunmehr zwei Jahren verüben Islamisten im Norden Syriens Massaker, insbesondere an religiösen Minderheiten. Interessiert hat sich allerdings im Westen kaum jemand dafür. Erst als sich der „Islamische Staat“ den großen Ölfeldern im Irak näherte, wurde er plötzlich als Gefahr wahrgenommen. ({3}) Der Westen hat mit der Irak-Invasion 2003 und mit seiner einseitigen Syrien-Politik den Nährboden für das Erstarken des ISIS erst geschaffen. ({4}) Bis heute verschließen die USA und die EU-Mitgliedstaaten weitgehend die Augen vor der vielfältigen Unterstützung des „Islamischen Staats“ insbesondere durch den NATO-Partner Türkei und auch durch Katar. Die westlichen Staaten müssen endlich angemessen auf die humanitäre Katastrophe in der Region reagieren. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist inzwischen auf der Flucht, 3 Millionen Menschen haben ihr Land verlassen. Im Irak sind seit Beginn dieses Jahres 1,6 Millionen Menschen geflüchtet. Wir wissen alle, dass die großen Aufnahmeländer in der Region, insbesondere der Libanon und Jordanien, schon lange nicht mehr in der Lage sind, neue Flüchtlinge aufzunehmen und die bereits angekommenen angemessen zu versorgen. Flüchtlinge brauchen eine Möglichkeit, legal in die EU zu kommen. ({5}) Dazu gehören sichere Fluchtwege ohne Frontex sowie eine geregelte EU-Aufnahmepolitik. Volker Kauder, der leider nicht hier ist, sagte vor einigen Wochen, Deutschland könne keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, da es angeblich nicht möglich sei, sie hier gut unterzubringen. ({6}) Angesichts der Lage in den Flüchtlingslagern in der Region, ohne ausreichend Trinkwasser, ohne sanitäre Einrichtungen und Medikamente, ist das eigentlich der reine Hohn. ({7}) Ich fürchte aber, sehr geehrter Herr Minister, verehrte Damen und Herren, dass demnächst noch viel mehr Menschen zur Flucht gezwungen werden. Durch die zunehmende Vergiftung des Wassers und der Böden wird in vielen Regionen der Welt die Produktion von Lebensmitteln drastisch abnehmen. Das wird noch eine echte Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe. Darum müssen wir endlich eine nachhaltige Entwicklungspolitik und eine nachhaltige Umweltpolitik auf nationaler und internationaler Ebene durchsetzen. Sonst geht der Planet flöten oder vor die Hunde. Das haben auch Sie mit anderen Worten eben angedeutet. Noch einmal meine Bitte an Sie, Herr Minister - Sie haben ein paar kritische Worte zu dem Freihandelsabkommen gesagt -: Setzen Sie sich bitte dafür ein, dass TTIP und CETA von der Tagesordnung verschwinden. ({8}) NAFTA - das ist das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Mexiko - tötet. Das sagt jeder. Der Papst sagt: Kapitalismus tötet. - Das Wirtschaftssystem, das tötet, gehört abgeschafft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler das Wort. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben sehr richtige Worte zur Beschreibung der Situation auf unserem Planeten gefunden. Sie haben den Satz gesagt - so habe ich es mir aufgeschrieben -: Es geht bei den Fragen, die wir in der Entwicklungszusammenarbeit bearbeiten, um die Überlebensfrage der Menschheit. - Ich bin da ganz bei Ihnen. Ich bin nur leider enttäuscht, dass sich dies nicht in diesem Haushalt wiederfindet und dass es in der Höhe der Haushaltsmittel nicht abgebildet wird. ({0}) Ich habe den Aufruf sehr wohl verstanden, dass wir alle hier in dieser Debatte einen Beitrag leisten sollen und müssen, die Haushaltsmittel zu erhöhen. Ich finde das auch ganz wichtig und ganz nötig. Trotzdem ist es für mich persönlich sehr enttäuschend, dass wir mit diesem Haushalt nicht konkreter werden können, sondern dieser Haushaltsentwurf eigentlich nur den Haushalt für 2014 fortschreibt. ({1}) Jetzt weiß ich natürlich, dass von der Vorgängerregierung eine Absenkung geplant gewesen ist, und zwar eine ganz erhebliche: Das ist die sogenannte Niebel-Delle, über die man in diesem Zusammenhang so gerne redet. Ich bedauere sehr, dass aus der Niebel-Delle keine Müller-Welle geworden ist; denn genau die hätten wir in diesem Fall gebraucht. ({2}) Warum das Ganze? Auch bei meiner Rede zum Haushalt 2014 habe ich betont: Es ist kein Selbstzweck. Alle Vorredner haben es angesprochen: In den letzten Wochen und Monaten ist die Entwicklungszusammenarbeit mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, weil die aktuellen Krisen einfach deutlich machen, wo überall Unterstützung nötig und auch machbar wäre. Allerdings geht es nicht nur um Nothilfe; es geht in der Entwicklungszusammenarbeit um ein kontinuierliches Arbeiten daran, Länder aufzubauen, Krisen vorzubeugen, präventiv zu wirken. Ordentliche Entwicklungszusammenarbeit ist immer Krisenprävention und damit Friedenspolitik, und dazu müssen wir einen größeren Beitrag leisten. ({3}) Zurzeit findet auf der UN-Ebene, aber auch in verschiedensten zivilgesellschaftlichen Organisationen, in den Ministerien, in den verschiedensten Ländern eine Debatte darüber statt, wie nachhaltige Entwicklung in den nächsten Jahren überhaupt organisiert werden soll. Es geht um die großen Herausforderungen, nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch bei uns. Drei Finger der eigenen Hand zeigen immer auf uns und unser Verhalten zurück, wenn wir auf andere zeigen. Wir stehen vor der Bewältigung von Herausforderungen im Bereich ökologischer Fragen sowie den Bereichen Arbeitsbedingungen und faire Handelsbedingungen. Sie haben das Thema Wertschöpfungsketten angesprochen. Ich freue mich im Übrigen, dass Sie dieses Mal das Wort „Verbindlichkeit“ in den Mund genommen haben, Herr Minister; ich habe das sehr wohl gehört. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Wir brauchen verbindliche Standards und verbindliche Regeln in puncto Arbeitsbedingungen auf diesem Planeten. ({4}) An dieser Stelle ein kleines Beispiel dafür, warum Freiwilligkeit der falsche Weg ist und wir damit nicht weiterkommen: Wie wir alle wissen, fand vor etwa anderthalb Jahren, am 24. April 2013, in Dhaka in Bangladesch mit dem Einsturz des Fabrik- und Bürohauses Rana Plaza ein schreckliches Unglück mit mehr als 1 000 Toten und mehr als 2 000 Verletzten statt. Jetzt, Ende September 2014, immerhin etwa anderthalb Jahre später, sollten die Entschädigungen an die überlebenden Opfer und an die Angehörigen der verstorbenen Opfer gezahlt werden. Die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, hat ausgerechnet, dass die Summe von 40 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt werden sollte. Leider sind von den Unternehmen, die dort produzieren ließen und die somit auch Verantwortung tragen, nur 18 Millionen US-Dollar einbezahlt worden. Das kann so nicht sein. Dieser Umgang mit den Opfern ist beschämend. Vielleicht kann das Ministerium hier noch einmal tätig werden. ({5}) Eine wichtige Frage ist: Wie können wir das Haushaltsvolumen erhöhen? Ich habe vorhin von dem von der UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung ausgehenden Prozess gesprochen. Diese Expertengruppe hat einen Bericht vorgelegt, in dem verschiedene Dinge deutlich gemacht worden sind: Wir müssen uns um die Einnahmesituation in den Entwicklungsländern selber kümmern. Das hat viel mit der Verhinderung von Steuerflucht, mit Aufbau von Staatlichkeit, mit Steuereinnahmesystemen und mit der Möglichkeit, hier unterstützend tätig zu sein, zu tun. Diese Seite ist ganz wichtig. Diese Expertengruppe hat aber auch gesagt - das darf man ebenfalls nicht vergessen -: Wir müssen unsere internationalen Verpflichtungen einhalten. Das bezieht sich auf die ODA-Quote und den Klimaschutz. Ich glaube, hier müssen wir noch dringend nachlegen. ({6}) Wichtig ist auch, dass wir miteinander noch einmal die eine oder andere konkrete Verwendung von Haushaltsmitteln besprechen. Ich setze da sehr wohl auf die Beratung. Ich habe ein paar Dinge durch die Blume gehört, und ich hoffe, ich interpretiere das richtig. Sie haben zu Recht über das Thema Friedenssicherung und über die Bedeutung des Zivilen Friedensdienstes geredet. Wir als Koalition haben im letzten Haushalt hier einen Aufwuchs beantragt und uns auch für die zukünftige Entwicklung - das betrifft die sogenannten VEs für die langjährige Planung - für eine deutliche Steigerung ausgesprochen. Ich sage es jetzt einmal vorsichtig: Ich finde das im Regierungsentwurf nur bedingt wieder, vor allem was die zukünftige Planung anbelangt. Im Gegensatz zu unserem Antrag sind die VEs leider wieder abgesenkt worden. Ich hoffe - ich bitte darum -, dass wir das in den nächsten Wochen in den Beratungen noch korrigieren können. ({7}) Es ist gesagt worden: Es geht darum, dass wir einen Beitrag dazu leisten, insbesondere in Ländern mit fragilen Staatlichkeiten Konflikte aufzuarbeiten und weiteren Konflikten vorzubeugen, zu verhindern, dass sie überhaupt entstehen und ausbrechen. Es ist leider Tatsache, dass es viele Projekte gäbe, die man hier noch anschieben könnte, wenn denn nur die Mittel da wären. Wir müssen hier für einen kontinuierlichen Aufbau sorgen. Ich war am Montag mit vielen Kollegen, die auch hier versammelt sind, bei einer Initiative, bei der es um frühkindliche Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit geht. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir auch im Koalitionsvertrag gemeinsam als einen unserer Schwerpunkte beschlossen haben: Bildungsfragen in der Entwicklungszusammenarbeit. Ich möchte daran erinnern, dass es eine Initiative gibt, die in diesem Jahr eine Wiederauffüllungskonferenz veranstaltet hat und weltweit tätig ist; das ist die sogenannte Global Partnership for Education. Diese Initiative sammelt weltweit Mittel ein, um Bildung auf allen Ebenen voranzubringen. Angestrebt sind 3,5 Milliarden US-Dollar bis 2018. Leider sind bisher nur 2,1 Milliarden US4648 Dollar erreicht worden. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht davon überzeugt, dass die 7 Millionen Euro, die wir im Haushalt dafür vorgesehen haben, ein so üppiger Beitrag sind, dass wir hier nicht noch besser werden könnten. ({8}) Das Thema Gesundheit, das vielen Kolleginnen, so auch mir, ganz besonders am Herzen liegt, ist schon verschiedentlich angesprochen worden, auch von Ihnen, Herr Minister. Die Impfinitiative halte ich für extrem wichtig. Heute Morgen hatten verschiedene Kollegen die Gelegenheit, das mit der Initiative selbst, mit GAVI, zu besprechen. Eines ist klar geworden: Alles, was hier an Mitteln eingesetzt wird, wird von den Entwicklungsländern in einem deutlichen Maße mit eigenen Mitteln aufgestockt. Jeder Euro, den wir einsetzen, bringt also durch das Engagement der Länder des Südens selbst einen Mehrwert. Wir haben im nächsten Jahr die Wiederauffüllungskonferenz. Die Länder des Südens haben ihre Mittel für Impfstoffe um 250 Prozent gesteigert; so haben wir heute Morgen gelernt. Das heißt aber: Auch wir müssen deutlich erhöhen. Die Verpflichtungsermächtigungen für GAVI - es tut mir leid, das sagen zu müssen - in diesem Haushalt geben das noch nicht her. Wir wissen, dass wir einen Betrag in Höhe von ungefähr 100 Millionen Euro erreichen müssen. Ich habe alle diese Dinge nur anreißen können. Es gibt noch viele andere Punkte, über die wir noch einmal sprechen müssen, auch über den Globalen Fonds. Ich hoffe sehr, dass wir miteinander in den Haushaltsberatungen einen Beitrag dazu leisten, dass die Mittel erhöht werden, und auch noch einen Beitrag dazu leisten, dass ein paar Akzente gesetzt werden. Darüber würde ich mich sehr freuen. Danke. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Motto meines Vortrags heißt: Folgt der Show auch die Substanz? Herr Minister Müller, Sie werfen der EU meines Erachtens zu Recht vor, dass sie humanitär versagt hat. Sie fordern deshalb 1 Milliarde Euro von der EU für Flüchtlingshilfe. Auch wenn ich diesen Betrag noch für zu klein halte, bin ich da völlig auf Ihrer Seite. Aber wie schaut es denn mit dem BMZ-Etat aus? Die Sonderinitiative „Fluchtursachen“ ist bereits zwei- oder dreimal erwähnt worden. Es ist doch erstaunlich: Sie ist positiv erwähnt worden, obwohl Sie die Mittel für diese Initiative um 10 Millionen Euro kürzen. Es ist doch grotesk, die ohnehin viel zu geringen Anstrengungen bezüglich der Bekämpfung der Fluchtursachen noch weiter zu reduzieren. ({0}) Gerade in Bayern schürt Ihre Partei mit der Speerspitze Herrmann die Ressentiments gegenüber den Menschen in Not, und hier kürzen Sie die Mittel zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Glaubwürdigkeit schaut etwas anders aus. ({1}) Wir wissen, dass Sie es im Kabinett sehr schwer haben. Was war es für ein herrliches Possenspiel um die Waffenlieferungen. Sie haben sich dagegen ausgesprochen, völlig zu Recht. Hier sind wir auf Ihrer Seite. Aber als es dann um die Abstimmung ging, wurden Sie schlicht ausgesperrt. Diese Sache hat mich völlig irritiert. Das ist für mich aber auch ein Zeichen, dass der Außenminister und die Kanzlerin den Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nicht ernst nehmen. Das war für mich ein sehr schlechtes Signal an die deutsche Öffentlichkeit; denn eigentlich sind Sie dafür zuständig. Sie sind Mitglied im Bundessicherheitsrat, aber dies war keine Entscheidung des Bundessicherheitsrates. Wenn es eine gewesen wäre, dann hätte man auch den Minister zulassen müssen. Man hat die Entscheidung aber einfach aus der Zuständigkeit des Bundessicherheitsrates herausgenommen und dann im Bundestag darüber abgestimmt. Waffenlieferungen - da bin ich auf Ihrer Seite - sind nicht hilfreich. Völlig indiskutabel ist aber das Verhältnis von humanitärer Hilfe - 50 Millionen Euro - zu Waffenlieferungen - 70 Millionen Euro. ({2}) Wenn diese Regierung vorgibt, dass die humanitäre Situation die Ursache ihres Handelns ist, dann muss Hilfe in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und Unterbringung der Menschen, also Hilfe zum Erhalt der Menschenwürde, zur obersten politischen Leitmaxime dieser Regierung werden. Waffenlieferungen helfen da kaum. Das Thema „Ebola“ wurde heute auch schon angesprochen: über 2 000 Tote, bald 20 000 Infizierte. Wir haben hier eine humanitäre Katastrophe. Wir stehen nicht davor, sie ist bereits da, und Deutschland stellt weniger als 3 Millionen Euro zur Verfügung. Auch wenn in letzter Zeit versprochen wurde, dass wir Fachkräfte und Ausstattungsmaterial schicken, so kommt dies sehr, sehr spät. Die Ebolakrise, Herr Minister, offenbart aber schmerzlich, dass der Aufbau von Gesundheitssystemen sträflich vernachlässigt wurde und wird. Herr Müller, setzen Sie das Thema „soziale Sicherung“ endlich wieder auf die politische Agenda; denn wir brauchen nachhaltige Strukturen. Diese wirken in Ruanda. Dort gab es, was vielleicht nicht so bekannt ist, in den letzten Jahren vier Ausbrüche von Ebolaepidemien. In Ruanda gibt es aber funktionierende soziale Strukturen, insbesondere ein funktionierendes Gesundheitssystem. Deswegen hat die Regierung dort diese vier Ausbrüche sehr schnell wieder unter Kontrolle bekommen. Wir in Europa haben davon überhaupt nichts mitbekommen. Werte Kolleginnen und Kollegen, können Sie mir eigentlich sagen, warum die Maut kommt? Nein, es hat nichts mit kabarettistischen Leistungen im Haus zu tun. Die Maut kommt deshalb, weil die Kanzlerin festgestellt hat, dass die Maut im Koalitionsvertrag steht. Lesen Sie bitte einmal den Koalitionsvertrag genauer durch. Der Koalitionsvertrag hebt beim Thema „Global Fund“ hervor, dass der Global Fund eine herausragende Bedeutung hat und dass diese Regierung ihn stärken wird. Allerdings wundere ich mich schon, was diese Regierung unter „stärken“ versteht. ({3}) - Nein, nein, nein. Die Maut wird ein Draufzahlgeschäft. Die brauchen wir hier nicht. ({4}) Also, Sie kürzen den Betrag um 45 Millionen Euro. Stärken schaut anders aus. ({5}) Das ist vielleicht ein Hinweis für die SPD: Wenn also mit dem Koalitionsvertrag argumentiert wird, dann könnt ihr doch in Zukunft auch sagen: Koalitionsvertrag, Global Fund. ({6}) Herr Minister, wir begrüßen, dass Sie sich des Themas „Arbeitsbedingungen in der Textilbranche“ annehmen. Ich freue mich natürlich auch, dass Sie heute zum ersten Mal tatsächlich gesagt haben, Sie wollen verbindliche Standards. Gut so. Jetzt würde es mich natürlich interessieren, was Sie innerhalb des Kabinetts dafür tun und wie Sie auf europäischer Ebene argumentieren und die Maschinerie in Richtung Verbindlichkeit bewegen wollen; denn die Signale, die wir momentan aus Europa bekommen, sind nicht gerade sehr aufmunternd. Aber ich bin davon überzeugt, Sie schaffen das noch. Die Frau Präsidentin blinkt schon. ({7}) Das 0,7-Prozent-Ziel wurde angesprochen. Es ist vorhin kritisiert worden, dass der Aufholplan nicht richtig funktioniert. Es gibt doch gar keinen mehr. Seien Sie doch endlich so ehrlich und stehen Sie dazu, dass Sie diesbezüglich nichts machen wollen oder nichts machen können, aber erklären Sie den Menschen in diesem Land auch, wie Sie den kommenden SDG-Prozess finanzieren werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Also, jetzt fängt die Präsidentin bald wirklich an zu blinken.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich bei Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun spricht Johannes Selle. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland wird in der Entwicklungszusammenarbeit sehr gut wahrgenommen. Zu dem ausgesprochen positiven Bild ist es durch Bundesminister Müller und seine Führungsmannschaft gekommen, die seit dem Amtsantritt mit Leidenschaft arbeiten - wir haben es heute selbst wieder erlebt. ({0}) Deutschland ist preis- und wechselkursbereinigt zweitgrößter Geber nach den USA, und wir bleiben mit diesem Haushalt führend. Wir wissen, dass wir nicht nachlassen dürfen, und Deutschland ist sich seiner Verpflichtung in Sachen Mitmenschlichkeit bewusst. Mehrfach wurde heute die Ausnahmestellung dieses Haushaltes, der ohne neue Schulden auskommt, hervorgehoben; ich will das auch tun. Als Entwicklungspolitiker und als Mitglied der Regierungskoalition kann ich nur daran interessiert sein, dass die Leistungskraft Deutschlands erhalten bleibt. Es gibt nämlich nicht sehr viele Partner, die noch wirksam helfen können. Deshalb ist das Betreten des Weges ohne neue Schulden auch für uns ein gutes Signal, und wir tragen es mit. Der Einzelplan 23 für das Jahr 2015 ist ein Bekenntnis der Bundesregierung zur herausgehobenen Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit. Wir können unsere starke Präsenz fortführen und unsere weltweiten Verpflichtungen erfüllen. In der Finanzplanung ist ein weiterer, stärkerer Aufwuchs im Jahr 2016 vorgesehen, und dieser Kurs - das möchte ich schon andeuten muss auch fortgesetzt werden, nicht nur, weil wir als Fachpolitiker es uns wünschen, sondern auch, weil wir das 0,7-Prozent-Ziel nicht aufgeben. Die Herausforderungen an die Entwicklungspolitik sind im letzten Jahr sprunghaft gestiegen. Das Umfeld nimmt an Fragilität zu. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung listet für das Jahr 2013 über 200 gewaltsame Konflikte auf. Davon sind 45 als Kriege klassifiziert. Auf diese Krisen hat Deutschland mit seinem entwicklungspolitischen Instrumentarium schnell reagiert; ich denke da nicht nur an die sehr präsenten Konflikte im Irak, in Syrien und im Gazastreifen, sondern auch an die weniger beachteten, aber nicht weniger grausamen Konflikte im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Das hat uns weltweit Anerkennung verschafft. ({1}) Im Übrigen hat es auch zu einer Priorisierung der Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit geführt. Mit Sonderinitiativen zu Flüchtlingsfragen und zu Verbesserungen der landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten werden entscheidende Themen angegangen; diese Bereiche werden verstärkt mit Mitteln ausgestattet. Dabei geht es nicht nur um Unterstützung für die Flüchtlinge selbst, sondern auch um Hilfe für die Aufnahmeregionen. Vielerorts ist die ohnehin schon unzureichende Infrastruktur dem Ansturm der Flüchtlinge nicht mehr gewachsen, und neben das Problem der Versorgung der Flüchtlinge tritt die Gefährdung der sozialen und ökonomischen Entwicklung der Aufnahmeregionen selbst, zum Beispiel in Jordanien und im Libanon, wie es die Kollegen schon ausgeführt haben. Menschen wollen nicht entwurzelt werden. Deshalb ist die heimatnahe Unterbringung, wenn sie möglich ist, von Vorteil, insbesondere dann, wenn wir darauf achten, dass die Aufnahmeregionen entwicklungspolitisch ebenfalls von ihrer Bereitschaft profitieren. Dies kann über die Sonderinitiative zur Flüchtlingsproblematik gut unterstützt werden. ({2}) In der Sonderinitiative zur Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten liegt ein Schlüssel zu einer erfolgreichen Reintegration von Flüchtlingen. Die Rückkehrbereitschaft des Einzelnen hängt maßgeblich von seinen ökonomischen Perspektiven ab. Es bedarf nicht nur politischer Stabilität; es muss auch gelingen, bestehende Potenziale zu nutzen. Wir müssen Modelle etablieren, die sich ohne unsere Zuschüsse tragen können. Dieses Potenzial im landwirtschaftlichen Bereich ist - gerade wenn wir an Afrika denken - ohne Zweifel vorhanden. Dies kann über die Sonderinitiative zur Landwirtschaft ebenfalls gut unterstützt werden. ({3}) Infrastrukturinvestitionen sind eine wesentliche Voraussetzung für soziale und ökonomische Entwicklung. Als Berichterstatter für die Finanzielle Zusammenarbeit halte ich den in diesem Bereich erzielten Barmittelaufwuchs von 34 Millionen Euro und die erhebliche Anhebung der Verpflichtungsermächtigungen auf gut 2,4 Milliarden Euro daher für besonders wichtig und erfreulich. Die KfW als Durchführungsorganisation der deutschen Finanziellen Zusammenarbeit genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Hervorzuheben ist dabei die Erfolgsquote von KfW-geförderten Projekten in fragilen Kontexten. Fragilität wächst, wie ich bereits ausgeführt habe, im Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit. In den kommenden Verhandlungen können wir noch den einen oder anderen Akzent setzen. Darauf freue ich mich. Insgesamt ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, wie ich finde, mit dem Haushalt 2015 gut aufgestellt. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie Ihre Redezeit eingehalten haben. ({0}) Jetzt hat die Kollegin Gabriela Heinrich das Wort. ({1})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, dringen Sie eigentlich noch durch mit Ihren Themen, wenn Sie mit Ihren Besuchergruppen, wenn Sie mit Ihren Wählerinnen und Wählern aus dem Wahlkreis oder mit Schülergruppen reden? Müssen Sie nicht auch überall über die Krisen reden, die wir heute schon vielfach besprochen haben, die so viele verängstigen? Über das Blutvergießen in der Ukraine, über die unzähligen Flüchtlinge in Syrien, über die unerträglichen Grausamkeiten im Nordirak, über eine Welt, die offensichtlich völlig aus den Fugen geraten ist? Aktuell wird die eine Krise in rasender Geschwindigkeit von der nächsten verdrängt; der Minister erwähnte es schon. Vor einigen Tagen und Wochen waren es noch der Gaza-Konflikt, die Bürgerkriege und die damit verbundenen drohenden Hungersnöte in Südsudan, in Zentralafrika, in Somalia. Wer redet heute noch von Mali? Unvorstellbare und sinnlose Gewalt. 1,5 Milliarden Menschen leben derzeit in fragilen Staaten. Fragil, das bedeutet, das sind Staaten, in denen die Menschen ihren Alltag nicht mehr leben können; denn ihr Alltag besteht aus Terror, Hunger, Krieg und Flucht. Sie flüchten, und viele versuchen, irgendwie Europa zu erreichen. Was heißt „viele“, wenn aktuell mehr als 50 Millionen - das wurde auch schon erwähnt - auf der Flucht sind? In Deutschland sind in diesem Jahr bis Juli 2014 rund 97 000 angekommen. Das stellt selbst unser reiches Land vor enorme Herausforderungen. An dieser Stelle treffen uns diese Krisen ganz unmittelbar; denn die Flüchtlinge kommen in ihrer Mehrzahl aus all diesen instabilen, fragilen Ländern, und sie brauchen Schutz. Es betrifft uns ebenso unmittelbar, wenn wir Angst haben vor Anschlägen, vor Terror im eigenen Land, ob von Deutschen, die in den Dschihad gezogen sind und zurückkehren werden, oder von möglichen Schläfern. Warum, fragen wir uns, werden so viele junge Männer, auch ein paar Frauen, von einem ungeheuren Fanatismus angezogen, sodass sie bereit sind, zu morden, zu plündern, zu vergewaltigen, zu zerstören? Auch wenn es mit Sicherheit unterschiedliche Motivationen geben mag, liegt ein Beweggrund ganz sicher im Fehlen jeder persönlichen Perspektive. Wer nichts zu verlieren hat, wer keine andere Anlaufstelle, Unterstützung oder auch nur Struktur vorfindet, wird leichter empfänglich für die Propaganda von Terrorgruppen. Diese bieten häufig Strukturen, Versorgung und vielleicht auch Anerkennung für diejenigen, die hoffnungslos, wütend und enttäuscht sind. Die Unterstützung vieler radikaler Gruppierungen, seien sie politisch oder religiös verbrämt, speist sich genau aus dieser Mischung. Damit kann der unvorstellbare Terror des IS und anderer Mörderbanden niemals gerechtfertigt werden; aber sollten wir nicht in Jahrhunderten gelernt haben, welche Alternativen es gibt, Hass und Fanatismus den fruchtbaren Boden zu entziehen? Die Alternativen sind Nahrung, Bildung, Arbeit, Gesundheit und nicht zuletzt Frieden und Sicherheit. ({0}) Es ist richtig und notwendig - dies wurde auch bereits gesagt -, dass wir angesichts der aktuellen Krisen kurzfristig schnelle Hilfe leisten. Wir dürfen es aber nicht beim Reagieren belassen. Es geht darum, vorausschauend zu handeln. Jetzt endlich bin ich beim Thema Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik. Entwicklungspolitik ist Prävention. Der Minister hat es gesagt: Entwicklungspolitik kann und muss einen Beitrag dazu leisten, dass Konflikte entschärft werden oder gar nicht erst entstehen. Denken Sie an die Kämpfe, die noch zu befürchten sind, wenn es um die Verteilung von Wasser geht. Die deutsche Entwicklungspolitik besteht aus einer Vielzahl von Programmen und Projekten, die Chancen und Teilhabe fördern, sei es die Hoffnung auf Versöhnung, für die der Zivile Friedensdienst steht, die Chance auf Bildung und damit eine Chance auf Aufstieg, die wir mit Bildungsprojekten, Ausbildungspartnerschaften und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst unterstützen, die Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, um den Hunger zu bekämpfen, und die vielfach erwähnte Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“. Zugunsten besserer Chancen auf Arbeit und für wirtschaftliches Wachstum fördern wir Wirtschaftspartnerschaften und wichtige Infrastrukturprojekte von der Trinkwasserversorgung bis zum Krankenhaus. Unsere Entwicklungspolitik unterstützt Maßnahmen gegen Mütter- und Kindersterblichkeit und stärkt die sexuellen und reproduktiven Rechte. Wir stärken gute Regierungsführung in Entwicklungsländern und finanzieren Beratung für wichtige Strukturreformen in unseren Partnerländern. Dabei machen wir uns für Umwelt und Klimaschutz, aber auch für die Menschenrechte, für Gleichberechtigung, Frauenförderung und letztlich für die Demokratie stark. Bei allem darf man nie vergessen, dass es nicht nur um den Staat, sondern auch um die Zivilgesellschaft geht. Sonja Steffen hat es bereits sehr eindrücklich beschrieben. Gerade weil viele Länder ihren Bürgern keine ausreichende Sicherheit geben, gerade weil Machteliten häufig eben nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind, ist es aus unserer Sicht wichtig, dass wir die Zivilgesellschaft, die politischen Stiftungen und die Kirchen stärken und auch die privaten Träger unterstützen. Das werden wir bei den kommenden Haushaltsberatungen deutlich machen. ({1}) Wir wollen und wir müssen unsere Partnerländer dabei unterstützen, ein tragendes Fundament aufzubauen. Ein solches Fundament ist die beste Prävention dafür, Fluchtursachen zu bekämpfen, den Zulauf zu Terrorismus zu senken und die Krisen von morgen zu vermeiden. Alles, was ich beschrieben habe, wollen alle hier; das weiß ich. Das ist nicht mein Vorrecht. Ich meine aber, dass der vorgelegte Haushaltsentwurf in Bezug auf den Etat für das BMZ noch deutlich Luft nach oben hat, gerade auch angesichts der Verpflichtungen und Zusagen der Bundesregierung auf internationaler Ebene. Denn wer Vorreiter sein will, muss diese Rolle auch kontinuierlich ausfüllen. ({2}) Herr Minister, wir werden Sie dabei unterstützen. Ich bin sicher, dass auch die CDU/CSU Sie dabei unterstützen wird. ({3}) Ich bin auch überzeugt, dass die Vermeidung und Entschärfung von Konflikten nicht nur klüger und menschlicher ist, sondern langfristig auch kostengünstiger. Wenn wir mehr wollen, als nur zu reagieren, dann werden wir stärker in die Prävention von Krisen investieren müssen. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Tobias Zech das Wort. ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Ich habe heute festgestellt, dass Entwicklungspolitiker und Haushaltspolitiker vor allem eines gemeinsam haben: Lieber Volkmar Klein, wir müssen in großen Zeiträumen denken und nachhaltige Entscheidungen treffen. Das ist in Zeiten, in denen die Welt von Krisen gebeutelt ist - nicht nur wir haben hier in den letzten Wochen und Monaten darüber diskutiert, sondern auch in den Medien wird es thematisiert, und es bewegt auch die Menschen in unseren Wahlkreisen -, eine große Herausforderung. Zum einen lässt sich die Zukunft nur noch schwer antizipieren, und zum anderen stoßen wir auf Akteure wie Boko Haram und ISIS, Akteure, die unsere zivilisatorischen Errungenschaften, Menschenrechte, Rechtstaat4652 lichkeit, und unser christliches Moralverständnis mit Füßen treten. In dieser Situation muss unsere Sicherheits- und Entwicklungspolitik stärker denn je miteinander verzahnt werden. Wir blicken aktuell auf eine steigende Anzahl von Staaten, die sich in einem Zerfallsprozess befindet und von Krankheiten befallen ist, von Krankheiten wie Willkür, Korruption oder Gewalt. Diese Krankheiten bleiben nicht in diesen Ländern, sondern sie infizieren auch die Nachbarländer und ganze Regionen. Im Nordirak sind in diesem Moment, in dem wir darüber diskutieren, über 10 000 traumatisierte und verängstigte Menschen auf der Flucht. Der Syrien-Konflikt ist jetzt schon die größte humanitäre Katastrophe in den letzten 50 Jahren in dieser Region. Ich denke, man kann eines sagen - wir haben das vor allem heute Vormittag gehört -: Die schwarze Null ist sehr wichtig. Die schwarze Null ist ein generationengerechter Haushalt. Ich denke, die schwarze Null ist auch wichtig, weil sie eine Vorbildfunktion für andere Länder hat. Aber angesichts der Herausforderungen, vor denen wir in der Außenpolitik und vor allem in der Entwicklungs- und Sicherheitspolitik stehen, müssen wir die Verteilung der Mittel zwischen den Ressorts vielleicht noch einmal überdenken. Dafür sollten wir die nächsten Wochen nutzen und dem Haushalt des BMZ noch mehr Mittel zur Verfügung stellen. ({0}) Aus fragilen Staaten können schnell realpolitische Bedrohungen entstehen. Wir haben erst in der vergangenen Woche über die Waffenlieferungen in den Nordirak diskutiert. Ich muss sagen: Auch als Entwicklungspolitiker kann ich die Waffenlieferungen in den Nordirak bzw. an die Peschmerga-Truppen nur unterstützen. Denn bevor sie Entwicklungspolitik machen können, müssen sie Sicherheit herstellen können. Es ist schon zynisch, zu sagen: „Waffen liefern wir euch nicht“, wenn gerade Frauen, Kinder und ganze Dörfer auf der Flucht vor mordenden und hetzenden ISIS-Horden sind. Ihnen müssen wir helfen. Sie brauchen erst einmal Sicherheit, um in diesem Land, das ihre Väter und Mütter mit aufgebaut haben und in dem sie ihren Lebensraum haben, leben zu können. Dazu gehört, auch wenn es die Ultima Ratio ist und wir uns das nicht leicht machen, auch die Lieferung von Waffen. ({1}) Denn zu dem Dreiklang aus Nothilfe, Schutz und Waffen gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine Alternative. Herr Minister, ich glaube, Ihnen kann man stellvertretend für die ganze Bundesregierung schon einmal Danke für die Soforthilfe in Höhe von 50 Millionen Euro sagen, die unbürokratisch und schnell von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt worden ist. ({2}) Gleichzeitig müssen allerdings die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Neben dem Schutz der bedrohten Minderheiten und der Menschen in diesen Regionen geht es auch um den Schutz der Helfer, die nicht nur von staatlichen Organisationen kommen, sondern auch bewusst und freiwillig in diese Länder gehen und sich einbringen, die in Vereinen und NGOs engagiert sind. Viele sind schon seit langem vor Ort; sie waren schon dort, bevor sich die Weltbevölkerung und die Presse diesen Konflikten genähert haben. Sie versuchen, die Situation der Menschen zu verbessern. So helfen zum Beispiel der Menschenrechtsaktivist und Kabarettist Christian Springer mit seiner Kollegin Monika Gruber aus Bayern mit ihrem Verein „Orienthilfe“ seit mittlerweile zwei Jahren syrischen Flüchtlingen im Libanon dabei, Operationen von Kindern zu bezahlen oder in den Lagern Müllautos und Krankenwagen zu organisieren, damit ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit gegeben ist. Diesen Menschen, die freiwillig, selbstlos und mit unglaublich viel Kraft und Verve helfen, müssen auch wir als Parlament Dank und Anerkennung zollen; denn die Politik allein kann diese Krisen nicht bewältigen. ({3}) Es gäbe noch viel zu sagen, aber die Uhr tickt. Eines möchte ich allerdings noch anmerken, da wir über die Mittel sprechen. Bei dem Ansatz, Herr Minister, den Sie mit dem BMZ verfolgt haben und weiter verfolgen werden, geht es um Fördern und Fordern. Die Vergabe von Mitteln erfolgt also nicht im Rahmen pauschaler Maßnahmen. Vielmehr fordern Sie Ergebnisse ein und nutzen sie auch als Anreiz - als Beispiel nenne ich Afghanistan -, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Das ist der richtige Weg, insbesondere in Staaten - lassen Sie mich kurz bei Afghanistan bleiben -, in denen wir mit Korruption zu kämpfen haben. Das gilt erst recht, da es im Moment ein Machtvakuum zwischen Ghani und Abdullah gibt und Karzai die letzten Jahre wirklich versäumt hat, nachhaltige Mittel gegen die Korruption vor Ort zu finden. Es ist der richtige Anreiz, den wir hier setzen. Ich denke, wir sind es nicht nur den Afghanen, sondern vor allem auch den Soldaten, die dort im Auftrag dieses Hauses ihr Leben riskiert und von denen manche ihr Leben leider sogar verloren haben, schuldig, diesen Auftrag richtig zu Ende zu führen. Das macht das BMZ. Dafür wünschen wir Ihnen Kraft und sagen Ihnen die Unterstützung unserer kompletten Fraktion zu. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Stefan Rebmann das Wort. ({0})

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern und heute haben wir hier im Plenum mehrfach gehört, wie gelungen dieser Haushaltsentwurf ist, und wir haben gestern vom Kollegen Brinkhaus die neue mathematische Erkenntnis vernommen, dass bei 299 Milliarden Euro Einnahmen und bei 299 Milliarden Euro Ausgaben unter dem Strich null herauskommt. Wir haben auch diesmal beim Entwicklungshaushalt - wie auch beim letzten Entwicklungshaushalt, den wir erst vor kurzem beschlossen haben - die magische schwarze Null an Aufwuchs für den Etat nur ganz knapp verfehlt. Ich sage das hier ganz offen: Das lässt mich nicht frohlocken. ({0}) Ich habe es damals gesagt, und ich sage es auch heute wieder: Kaum ein Etat ist so sensibel wie der Entwicklungsetat. Hinter all den vergleichsweise geringen Summen stehen Schicksale von Menschen, Familien und ganzen Regionen. Ganz besonders deutlich wird das im Gesundheitsbereich. Auf Dauer können wir es uns nicht leisten, gerade den Entwicklungshaushalt derart stiefmütterlich zu behandeln. ({1}) Ich sage übrigens ganz bewusst, dass wir es uns nicht leisten können. Denn jeder von uns hier weiß, dass Versäumnisse von heute die Rechnungen von morgen sind. Wenn wir nachhaltige Entwicklung wollen, müssen wir in Entwicklungszusammenarbeit investieren und auch mehr für den Bereich Gesundheit und Prävention tun. Zum Beispiel die Ebola-Epidemie, mit der wir es heute zu tun haben und die ja nur wenige Flugstunden von uns entfernt grassiert, zeigt das ganz besonders. Ich begrüße es schon sehr, wenn unser Minister die WHO mit mehr als 1 Million Euro im Kampf gegen Ebola unterstützt. Nur, das reicht nicht aus. Das ist nicht seine Schuld, denn er kann ja nur das ausgeben, was ihm im Etat zur Verfügung steht. Dass der Entwicklungsetat aber so ist, wie er ist, ist auch eine Frage der Prioritätensetzung und der Wertigkeit der Entwicklungspolitik innerhalb des Gesamthaushalts. ({2}) Was wir brauchen, ist ein Haushalt, der es uns, der es den NGOs, den Stiftungen, den Entwicklungsorganisationen, den Entwicklungshelferinnen und -helfern vor Ort ermöglicht, in den Partnerländern ihre Arbeit zu tun. Was wir aber tatsächlich haben, ist eine Situation, in der wir zwar viel Gutes leisten können, in der wir aber auch auf viel Gutes verzichten müssen. Ich finde, die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen hat es bei einer UN-Anhörung zu Ebola in der vergangenen Woche auf den Punkt gebracht. Ich zitiere: Die Weltgemeinschaft versagt bei ihrer Reaktion auf die bisher schlimmste Ebolaepidemie. Sie hat recht, denn die Folgen einer solchen Katastrophe sind sehr schnell nicht mehr kontrollierbar. Im John-F.-Kennedy-Krankenhaus in Monrovia wurden Kranke aus Angst vor Ansteckung eingesperrt und vernachlässigt, bis einige Patienten im Krankenhaus nicht an Ebola gestorben sind, sondern verhungert sind. ({3}) Aus dem gesamten betroffenen Gebiet wird immer wieder berichtet, wie Kranke von Verwandten versteckt werden. Sierra Leone will deshalb eine dreitägige Ausgangssperre verhängen, während der dann medizinische Teams nach Kranken suchen sollen. Viele von diesen Teams werden sehr wahrscheinlich nicht ordentlich ausgestattet sein, weil dort viel zu wenig Hilfsgüter ankommen. Bei einer Inkubationszeit von 8 bis 21 Tagen wird das die Ausbreitung des Virus nicht verhindern. Im Gegenteil, es wird dazu führen, dass es zu einem Vertrauensverlust gegenüber den Helferinnen und Helfern kommt. Denn danach werden wieder Menschen erkranken, was ja aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Fall ist. Die Preise von Grundnahrungsmitteln sind bis zu 150 Prozent gestiegen, und das in einer Region, wo die Masse der Menschen quasi ihr komplettes Einkommen ausgeben muss, um sich zu ernähren. Die Vereinten Nationen warnen schon jetzt, dass in den kommenden Monaten über 1,3 Millionen Menschen, bedingt durch diese Epidemie, hungern werden. Das löst wieder Wanderungsbewegungen aus. Es ist die traurige Wahrheit, aber das alles wäre zum Teil auch zu verhindern gewesen. Wir sehen hier und heute, wie Menschen sterben und Familien zerstört werden. Wir sehen auch dabei zu, wie Erfolge in der Entwicklungspolitik, wie erfolgreiche Entwicklungsprojekte nachhaltig zerstört werden. Ich sage aber auch: Unser Engagement in den armen und ärmsten Ländern ist sinnvoll, und wir haben auch Erfolge vorzuweisen, gerade im Bereich Gesundheit: Zum Beispiel wurden seit 2000 durch Impfungen 8,5 Million Poliofälle verhindert, und die Zahl der Neuerkrankungen ist um 95 Prozent zurückgegangen. Wenn wir an diesem Punkt so weiterkämpfen, können in den nächsten 20 Jahren allein in den Entwicklungsländern bis zu 50 Milliarden US-Dollar an Behandlungs- und Folgekosten gespart werden. Ein solcher Erfolg wäre umso wichtiger, wenn man sich vor Augen führt, welch positive gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Folgen das haben kann. In den ärmsten Ländern der Welt gilt nämlich: Wer krankheitsbedingt ausfällt, kann nicht arbeiten, kann seine Familie nicht ernähren, kann seine Kinder nicht zur Schule schicken und vieles mehr nicht leisten. Dadurch werden Entwicklung, Lebenschancen und Perspektiven behindert oder gar verunmöglicht. Auch deshalb ist unser Engagement im gesamten Gesundheitsbereich gerade bei Impfungen, bei Aufklärungskampagnen, beim Aufbau von Systemen für eine soziale Grundsicherung, bei der Erforschung von vernachlässigten Krankheiten so wichtig. Gesundheit ist die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Volkswirtschaft und für menschliche Entwicklung. ({4}) Wir haben also nicht nur eine moralische, sondern auch eine politische Pflicht, erreichbare Ziele Wirklichkeit werden zu lassen. Das bedeutet, dass wir die Mittel für den gesamten Gesundheitsbereich, für die Forschung, für die Impfallianz GAVI, für den Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria deutlich erhöhen müssen. ({5}) 600 000 Menschen sterben jährlich an Malaria. Das sich ausbreitende Dengue-Fieber hat in diesem Monat erstmals seit 70 Jahren wieder die Industrienation Japan erreicht, und zahlreich vernachlässigte Krankheiten behindern echte Entwicklung. Was wir jetzt an dieser Stelle an Mitteln einsetzen, dürfen wir aber nicht an anderer Stelle einsparen. Mit einem Umbuchen von A nach B ist nichts gewonnen; damit verschieben wir nur Not und Elend und das Sterben zeitversetzt, buchhalterisch von A nach B - um es dann bei der nächsten Katastrophe von B nach C zu verschieben? Ich sage dazu Nein. Ich will eine nachhaltige und vorausschauende Entwicklungspolitik. Die ist mit diesem Haushaltsentwurf leider nur bedingt möglich. ({6}) Ich komme, meine Präsidentin, zum Schluss. Es ist schon mehr als traurig, dass wir nicht einmal 176 000 Euro für eine bereits im Aufbau befindliche Brustkarzinomklinik in Afghanistan zur Verfügung stellen können. Wir lassen die Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, die zum Teil mit offenen Geschwüren leben müssen, allein. Diese 176 000 Euro haben wir angeblich nicht. Gleichzeitig wird aber der Etat für die DeutschGriechische Versammlung um 135 000 Euro erhöht. Ich finde, wir sollten darüber noch einmal nachdenken. ({7}) Wir haben ein ganzes Stück Arbeit vor uns.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Lieber Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. - Wir haben ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Ich hoffe, dass der nicht überzogene politische Wille der Fachpolitiker in der Bereinigungsrunde der Haushaltspolitiker nicht der schwarzen Null oder einer Priorisierung der Entwicklungspolitik unter „ferner liefen“ zum Opfer fällt; denn dann werde ich diesem Haushalt nicht zustimmen können. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Volkmar Klein das Wort. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt, am Ende dieses Tagesordnungspunktes, kann man ein Stück zurückblicken und feststellen, dass ziemlich viel ({0}) zu diesem Einzelplan gesagt worden ist. Die Bewertung - das kann man auch irgendwo nachvollziehen - ist im Einzelfall sehr unterschiedlich gewesen; aber wenn man sich das einmal insgesamt anschaut, dann muss man doch objektiv feststellen: In diesem Ministerium gibt es einen Minister, der mit seiner Mannschaft ganz kräftig anpackt und erfolgreich und anerkannt ist. ({1}) Darüber hinaus gibt es Zahlen, die auf jeden Fall deutlich besser sind, als manche Zwischentöne, die hier zwischenzeitlich zu hören waren, glauben machen wollen. Beides, der Minister und der deutsche Beitrag für Entwicklungszusammenarbeit, findet international eine ganz erhebliche Anerkennung. ({2}) Vielleicht liegen diese Zwischentöne ja auch ein bisschen am deutschen Wesen, immer wieder einmal verbale Depressiva zu verteilen, damit man nicht allzu glücklich ist. ({3}) Das internationale Feedback in Bezug auf die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist aber einfach anders. Wenn man sich die Zahlen anguckt, dann kann man durchaus auch Positives feststellen, und dies kann man sogar an der Amtszeit von Angela Merkel festmachen. ({4}) - Ja, vorher wurde diesem Thema nämlich viel zu wenig Beachtung beigemessen. - Als Angela Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde, hatte der Einzelplan 23 einen Umfang von 3,8 Milliarden Euro. Inzwischen ist er um 70 Prozent auf 6,45 Milliarden Euro gestiegen, und die Finanzplanung verspricht weitere deutliche Zuwächse. ({5}) Nur einmal zur Erinnerung: Der Gesamthaushalt ist in dieser Zeit um gerade einmal 20 Prozent gestiegen. Das heißt, für uns ist dieses Thema mit der Zeit immer wichtiger geworden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk? ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich über jede Unterstützung.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das war jetzt für mich nach der bisherigen Debatte ein sehr überraschender Einstieg, aber das ist ja das Recht des letzten Redners. - Lieber Herr Kollege Klein, vor dem Hintergrund Ihrer Äußerung in Bezug auf die Realität, dass Sie ein bisschen das Gefühl haben, dass es eine für uns Deutsche typische Attitüde ist, zu Depressiva zu neigen, möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Machen Sie sich im Lichte der selbstkritischen Worte des Ministers Sorgen um seinen Gemütszustand? ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Minister verbreitet die richtige Stimmung. ({0}) - Nein. - Es geht ihm nämlich vor allen Dingen um Chancen. Das ist übrigens auch noch ein wichtiger Punkt: Wir dürfen nicht immer nur über die Länder der Dritten Welt als Problemländer und über Afrika als Problemkontinent reden, sondern wir müssen auch sehr viel mehr über die Chancen der Dritten Welt und über den Chancenkontinent Afrika reden. Das tut der Minister sehr intensiv. ({1}) Es geht nicht nur um die generellen Zahlen, sondern auch um einzelne Bereiche. Ich will zwei Bereiche herausgreifen: Erstens. Die Klimafinanzierung. Für die Klimafinanzierung - der Minister hat sie eben noch einmal herausgestellt, und er hat auch die Zahl genannt - stehen in unserem Haushaltsplan 1,6 Milliarden Euro. Hier tun wir sehr viel, weil wir das für wichtig halten. Es geht um den Schutz der Schöpfung - das ist eine grundsätzliche ethische Frage - und auch um unser direktes europäisches Interesse an einer vernünftigen Klimaentwicklung. Deswegen haben wir in den laufenden Haushalt ja auch noch zusätzlich Verpflichtungsermächtigungen für den Green Climate Fund eingebracht, und im nächsten Jahr - mit dem Haushalt 2015 - fangen wir damit an, das auch tatsächlich zu finanzieren. Zweitens. Der Bereich Gesundheit. Der Kollege Rebmann hat zu Recht auf die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung hingewiesen. Dort, wo Krankheiten grassieren, kann sich keine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung ergeben. Deswegen ist auch dieser Bereich für uns sehr wichtig. GAVI wurde schon genannt. Wir sind ja nicht nur Ausrichter der Konferenz zur Wiederauffüllung der Globalen Impfallianz, GAVI, sondern wir werden für GAVI auch deutlich mehr, nämlich 45 Millionen Euro, in den Haushaltsplan einstellen. Es gibt Wünsche, das noch weiter zu erhöhen, aber das ist ja schon einmal relativ viel. Aber ich will an dieser Stelle, weil der Kollege Kekeritz auf die hervorragende Entwicklung Ruandas hingewiesen hat, davor warnen, Geld überzubewerten und nur über die Wirkung des von uns bereitgestellten Geldes zu reden, sondern es geht eben auch um die Frage von Eigenverantwortung. Ruanda ist insofern ein hervorragendes Beispiel. Wir alle sind bei mehreren Gedenkveranstaltungen anlässlich des 20. Jahrestages des Genozids in Ruanda gewesen. Dem Land Ruanda könnte es theoretisch mit am schlechtesten gehen. Das ist aber nicht der Fall. Auch mit unserer Hilfe - der 2014 erschienene Evaluierungsbericht über ruandisch-deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitswesen hat das noch einmal unterstrichen -, aber Hilfe zur Selbsthilfe - wir haben uns 2012 wegen der großen Eigenverantwortung der ruandischen Regierung zurückziehen können -, ist das Gesundheitssystem in Ruanda überall gut aufgestellt, es wird hoch gelobt. Zu Recht hat der Kollege Kekeritz darauf verwiesen, dass Ruanda für den Fall, dass dort eine Epidemie ausbrechen sollte, in der Lage wäre, die Ausbreitung der Krankheit in den Griff zu bekommen, was in vielen anderen Ländern leider nicht der Fall ist. Eine sich selbst tragende Entwicklung muss unser Ziel sein. Wir haben auch über die Nothilfe - sie ist sehr wichtig - viel diskutiert. Aber wichtiger ist es, darüber zu reden, wie wir zu sich selbst tragenden Entwicklungen, also zu nachhaltigen Entwicklungen, in den jeweiligen Ländern beitragen können. Da müssen wir bestimmt noch ein bisschen umsteuern. Wir haben relativ viel Geld in Entwicklungshilfeprojekte gesteckt, die dann eben nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Insofern ist diese Diskussion gemeinsam mit dem Evaluierungsinstitut ganz wichtig. Ich glaube, dass die Eigenverantwortung der Länder ein ganz wichtiger Schlüssel ist. ({2}) Das habe aber nicht ich gerade erfunden, sondern das ist eigentlich jedem klar. Schon im Monterrey-Consensus 2002 ist das Stichwort „Mobilisierung nationaler finanzieller Ressourcen“, also die Stärkung der Steuerkraft im eigenen Land, als ganz wichtiger Punkt festgehalten worden. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass es mehr Jobs und mehr Steuerzahler in den entsprechenden Ländern gibt, die dann einerseits die Infrastruktur und das Gesundheitswesen finanzieren, auf der anderen Seite aber auch in der Bürgergesellschaft dieses Landes eine starke Stimme haben. Wenn jemand selber Steuern zahlt, dann fragt er doch seine Regierung, was sie mit dem Geld macht, anders als jemand ohne eigene Beiträge. Deswegen ist es nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig, Jobs und somit auch Steuerzahler zu schaffen, sondern auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Das ist Nachhaltigkeit. ({3}) Nachhaltigkeit muss dann auch für uns gelten. Deswegen ist dieser Haushalt ein ganz großer Meilenstein. Der erste Haushalt ohne Schulden - das wurde hier und da en passant als nicht so wichtig abgetan - ist kein Selbstzweck. Es geht darum, Stabilität zu schaffen und so die Grundlage von nachhaltiger Wirtschaftskraft in Deutschland zu sichern. Das ist wiederum kein Selbstzweck, sondern das ist die notwendige Bedingung dafür, dass Deutschland weiterhin anderen helfen kann und dabei seine Stärke behält. Deswegen ist es wichtig, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt haben. ({4}) Wir haben uns im Übrigen zu dieser längerfristigen Hilfe verpflichtet. Es ist nicht nur so, dass wir das wollen. Unser Haushaltsplan mit dem jetzigen Beschluss enthält 31 Milliarden Euro an Verpflichtungsermächtigungen, die wir alle bezahlen wollen. Das muss weiterhin die Grundlage sein: Wir brauchen stabile, finanzielle Verhältnisse in Deutschland. Dann können wir auch in Zukunft gegenüber den Ländern des Südens Solidarität zeigen. Ich glaube, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen noch ausreichend Gelegenheit haben werden, Details dazu auszudiskutieren. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. September 2014, 9 Uhr, ein. Damit ist die Sitzung geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.