Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin
Annette Schavan hat mit Ablauf des 30. Juni 2014 auf
ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Für sie ist der Kollege Waldemar Westermayer nachgerückt. Im Namen des gesamten Hauses begrüße ich
den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche eine gute
Zusammenarbeit.
({0})
Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung
darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen
ab dem 9. September 2014 keine Befragung der Bundes-
regierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen
Stunden durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage
von Montag, dem 8. September, bis Freitag, dem
12. September 2014, festgelegt worden. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann verfah-
ren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes
zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorgefonds ({1})
Drucksache 18/1798
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über das Ergebnis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe
einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung nach § 30 des Elften Buches
Sozialgesetzbuch
Drucksache 18/1600
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia
Zimmermann, Sabine Zimmermann ({4}),
Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiterentwickeln
Drucksache 18/1953
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Hermann Gröhe.
({6})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich,
heute mit Ihnen den Entwurf des ersten Pflegestärkungsgesetzes der Bundesregierung diskutieren zu können.
Formal, dem Titel nach, handelt es sich um den Entwurf
eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches
Sozialgesetzbuch. Was aber dahintersteckt, ist alles andere als formal. Es geht um ein Thema, das nahezu jede
und jeden in diesem Land betrifft, wenn nicht am eigenen Leib, dann doch in der Familie, in der Verwandtschaft, im Freundeskreis, bei der Arbeit. Es geht um
Pflege; es geht um gute Pflege. Darauf kommt es an.
({0})
Und es kommt darauf an, dass wir 20 Jahre nach Einführung dieser wichtigen Sozialversicherung einen entscheidenden, einen notwendigen Schritt nach vorne gehen. Ich bin davon überzeugt, dass der vorliegende
Gesetzentwurf der richtige Schritt ist, die Pflege in unserem Land nachhaltig zu stärken. Knapp 2,5 Millionen
Menschen sind bei uns jeden Tag auf Pflegeleistungen
angewiesen. Das entspricht der Einwohnerzahl von Köln
und München zusammen. Rund 950 000 Frauen und
Männer sind bei uns in gut 12 000 Pflegediensten und
genauso vielen Pflegeheimen beschäftigt. Sie und die
unzähligen pflegenden Angehörigen engagieren sich
tagtäglich in beeindruckender Weise für ihre Mitmenschen. Herzlichen Dank für diesen Dienst!
({1})
Diese Zahlen zeigen die gesellschaftliche Dimension,
die das Thema Pflege besitzt. Aber es geht nicht um
Zahlen. Es geht um Menschen. Es geht genau genommen um die Generation unserer Mütter und Väter, Menschen, denen wir alle unendlich viel verdanken. Eine
gute und den Menschen in seinen individuellen Bedürfnissen respektierende Pflege ist Ausdruck der Humanität
unserer Gesellschaft. Es geht darum, dass diese Menschen die pflegerische Begleitung erfahren, die ihren
persönlichen Bedürfnissen entspricht. Mit unserem Gesetzentwurf stellen wir genau sie in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen.
Dieser Bundesregierung liegen die Verbesserungen in
der Pflege am Herzen. Das gilt auch für mich ganz persönlich. Das zeigt sich darin, dass wir bereits ein gutes
halbes Jahr nach dem Regierungsstart heute dieses Gesetz vorlegen. Das zeigt sich darin, dass seit April dieses
Jahres die Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff läuft. Und
das macht sich auch an Personen fest. Ich freue mich,
dass heute Staatssekretär Karl-Josef Laumann auf der
Regierungsbank Platz genommen hat. Als Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung wird er nicht nur dieses,
sondern auch weitere Gesetzeswerke intensiv begleiten.
Er ist gleichsam Ohr und Sprachrohr für die Belange der
Pflege innerhalb der Bundesregierung. Ich freue mich,
ihn bei dieser Aufgabe an meiner Seite zu wissen.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen eine Pflege, die die Besonderheit eines jeden einzelnen Pflegebedürftigen wahrnimmt und berücksichtigt. Herzenswärme, Fachkompetenz und auch die Zeit
für die kleinen Wünsche, das erhoffen wir uns von einer
guten Pflege. Pflege und Pflegebedürftigkeit sind Themen, die uns alle bewegen und in Zukunft eine noch
wichtigere Rolle spielen werden. Am Montag hat die
OECD die aktuellen Gesundheitsdaten für Deutschland
veröffentlicht. Demnach ist die Lebenserwartung in
Deutschland bei Geburt auf nunmehr 81 Jahre gestiegen,
und sie steigt weiter an. Ein heute 65-jähriger Mann darf
erwarten, weitere gute 18 Jahre zu leben, eine gleichaltrige Frau rund 21 Jahre. Wir werden also in den nächsten
Jahren mehr ältere und alte Menschen unter uns haben.
Dies bedeutet, vielen Menschen werden viele gute Jahre
geschenkt - wahrlich ein Grund zur Freude!
Damit steigt zugleich die Zahl derjenigen an, die
voraussichtlich der Pflege bedürfen. Bis zum Jahr 2030
- so schätzen wir - werden aus den heute 2,5 Millionen
Pflegebedürftigen dann 3,5 Millionen pflegebedürftige
Menschen, also rund 1 Million mehr, geworden sein.
Dabei weise ich ausdrücklich darauf hin: Pflege ist nicht
allein eine Sache des Alters.
({3})
Auch ein Unfall, eine tückische Krankheit können für jeden von uns bedeuten, von einem Tag auf den anderen
auf Pflege angewiesen zu sein.
Meine Damen, meine Herren, in mehreren Gesetzen
stellen wir deshalb in dieser Wahlperiode die Weichen
für eine Stärkung unseres qualitativ hochwertigen Pflegesystems. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist
dazu ein wichtiger erster Schritt. Wir stärken die Pflegebedürftigen. Wir stärken die Angehörigen. Wir stärken
die Pflegekräfte.
Was heißt das konkret? Das bedeutet jährlich ein Plus
von 2,4 Milliarden Euro an Leistungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Davon fließen rund
1,4 Milliarden Euro in die Stärkung der ambulanten
Pflege. Dies entspricht dem Wunsch der ganz überwiegenden Zahl der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, Pflege in den eigenen vier Wänden erleben zu können. Alle Leistungsbeträge der Pflegeversicherung
werden um 4 Prozent angehoben, um der Preisentwicklung der letzten drei Jahre Rechnung zu tragen.
Wichtig für die Pflege in den eigenen vier Wänden ist
der Umstand, dass wir die Unterstützung für den Umbau
der eigenen Wohnung deutlich erhöhen. Da geht es mitunter um kleine Maßnahmen, die das Leben wieder
vereinfachen oder sicherer machen, wie Haltestangen
oder -griffe oder der Umbau der Toiletten, der Badezimmer. All dies wollen wir verstärkt fördern.
Pflege daheim. Der größte Pflegedienst in Deutschland ist nach wie vor die Familie. Hier geht mein besonderer Dank an die vielen Kinder und Enkel, Brüder und
Schwestern und alle Verwandten, die ihren Angehörigen
oftmals im wahrsten Sinne des Wortes unter die Arme
greifen. Herzlichen Dank! Dies trägt zur Menschlichkeit
unserer Gesellschaft unendlich viel bei.
({4})
Meine Damen und Herren, jede Pflegesituation ist anders. Deswegen bedürfen die Pflegebedürftigen und ihre
Angehörigen passgenauer Hilfe für ihre jeweilige Lebenssituation. Unterstützungsleistungen wie die Kurzzeit-, Verhinderungs-, die Tages- und Nachtpflege sollen
deshalb weiter ausgebaut und besser miteinander kombiniert werden können. Bisher wurden diese Leistungen
zum Teil gegeneinander aufgerechnet. Das ändert sich
nun. Wer beispielsweise bereits ambulante Pflegeleistungen und/oder Pflegegeld bekommt, kann künftig daneBundesminister Hermann Gröhe
ben die Tages- und Nachtpflege ohne Anrechnung voll
in Anspruch nehmen.
Erstmalig - dies ist mir auch ganz wichtig - werden
Demenzkranke in der sogenannten Pflegestufe 0 Sachleistungen der teilstationären Tages- und Nachtpflege in
Anspruch nehmen können. Gerade für Familien mit demenziell erkrankten Pflegebedürftigen ist dies eine
wichtige Verbesserung. Es ist übrigens ein Vorgriff auf
den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit seinen künftig
fünf Pflegegraden.
Neben der ambulanten Pflege nehmen wir auch eine
Stärkung der stationären Pflege vor. Lassen Sie mich zunächst aber einige Anmerkungen zu denen machen, die
Tag und Nacht professionell in unseren Pflegediensten
und Pflegeheimen ihren Dienst tun. Ich habe bereits die
Gelegenheit genutzt, ihnen für ihre wichtige Arbeit zu
danken. Sie leisten einen Dienst am Menschen und an
der Gesellschaft, dessen Anerkennung sich auch in einer
angemessenen Vergütung widerspiegeln muss.
({5})
Wenn ich mir die Vergütungen der ausgebildeten Pflegekräfte in einzelnen Bundesländern ansehe, stelle ich
fest: Diese fallen immer noch sehr unterschiedlich aus.
Bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation gibt es
Unterschiede von bis zu 800 Euro im Monat. Ich bin sicher, dass die Vertragspartner angesichts des ansteigenden Fachkräftemangels in diesem Bereich hier zu weiteren Angleichungen nach oben kommen werden und
kommen müssen.
({6})
Meine Damen, meine Herren, gute Pflege braucht
Zeit. Deswegen treiben wir den Abbau überflüssiger Bürokratie voran und erhalten dabei die notwendige Qualitätssicherung. Wir setzen auf Betreuung als Ergänzung
zur Pflege; denn Lebensqualität für den Pflegebedürftigen hängt nicht nur an der fachlichen Pflege, sondern
auch an anderen Dingen wie Zuhören, Geselligkeit und
Vorlesen; jeder von uns kennt solche Lebenssituationen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir im Rahmen dieses Gesetzes eine halbe Milliarde Euro pro Jahr in die Hand
nehmen, um die Zahl der Betreuungskräfte in unseren
Pflegeeinrichtungen von 25 000 auf bis zu 45 000 zu erhöhen. Das bringt eine spürbare Verbesserung des Alltags und der Lebenssituation in unseren Pflegeeinrichtungen.
({7})
Wie Sie wissen, werden wir neben diesen Leistungsverbesserungen zum 1. Januar 2015 jährlich rund 1 Milliarde Euro in einen Pflegevorsorgefonds einzahlen mit
dem Ziel, dann, wenn die sogenannte Babyboomer-Generation ins Pflegealter kommt, zu erreichen, dass die
Pflegebeiträge nicht ins Uferlose steigen. Dies ist ein
konkreter Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
({8})
Wir werden zu Anfang des nächsten Jahres mit der
Arbeit am zweiten Pflegestärkungsgesetz beginnen.
Wenn wir die Erprobungsergebnisse aus der laufenden
Parallelbegutachtung haben, beginnt sofort der nächste
Schritt: die Realisierung des in dieser Legislaturperiode
insgesamt umzusetzenden neuen Begutachtungsverfahrens.
Heute aber bringen wir den ersten kraftvollen Schritt
zur Verbesserung der Lage der Pflegebedürftigen, ihrer
Angehörigen und der Pflegekräfte auf den Weg.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt
das Wort Pia Zimmermann.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Seit Herbst letzten Jahres legen sich in
Deutschland in vielen Städten immer mehr Menschen
samstags fünf vor zwölf auf die Straße und auf Plätze.
Damit wollen sie zum Ausdruck bringen, dass in der
Pflege hierzulande etwas nicht in Ordnung ist, dass die
Pflege hierzulande am Boden liegt. Ich selber habe
15 Jahre im Pflegebereich gearbeitet und weiß genau:
Sie legen sich auf die Straße für mehr Wertschätzung
und Anerkennung ihrer Arbeit, für ein grundsätzlich anderes Verständnis von Pflege und für eine menschenwürdige Pflege.
({0})
Die Linke unterstützt dieses Anliegen; denn gute und
umfassende Pflege ist ein Menschenrecht.
Und was machen Sie, meine Damen und Herren von
der Großen Koalition? Sie täuschen Handlungsbereitschaft vor, anstatt die Probleme in der Pflege ernsthaft
anzugehen.
({1})
Die Pflegeversicherung ist ungerecht. Als Teilleistungsversicherung macht sie gute Pflege vom Geldbeutel der
Betroffenen abhängig, und das ist mit uns nicht zu machen.
({2})
Gute Pflege darf kein Privileg sein, sondern muss für
alle umfänglich zugänglich sein entsprechend den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen.
Schauen wir uns einmal an, was Sie vorhaben. Sie
wollen die Leistungen der Pflegeversicherung um 4 Prozent anheben, das heißt eine Erhöhung um 4 Prozent in
jeder Pflegestufe. Das verkaufen Sie als Verbesserung.
Aber - das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden hierbei handelt es sich um eine längst überfällige Anpassung der Leistungen der immer teurer werdenden Pflege,
Herr Minister Gröhe, und zudem ist es eine unzureichende Anpassung. Sie selber schreiben in dem heute
vorliegenden „Bericht der Bundesregierung über das Ergebnis der Prüfung der Notwendigkeit und Höhe einer
Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung“,
dass Sie noch nicht einmal die vollständige Angleichung
an die Preisentwicklung vornehmen, weil diese in den
Jahren 2011 und 2012 vom hohen Anstieg der Energiepreise bestimmt war. Dies, meine Damen und Herren,
lasse ich ganz unkommentiert.
Nur so viel: Hier zeigt sich deutlich, dass die immer
wieder von den Verbänden formulierte Kritik an den fehlenden Regeln für diese Leistungsdynamisierung durch
die Pläne der Bundesregierung einmal mehr bestätigt
wird. Damit Anpassungen der Leistungen der Pflegeversicherung nicht weiterhin von politischer Willkür und
von politischem Gutdünken abhängig sind, fordern wir
eine gesetzliche, verbindliche jährliche Leistungsdynamisierung.
({3})
Darüber hinaus muss die Pflege vollumfänglich ausfinanziert werden. Wir haben hier eine gesellschaftliche
Verantwortung. Menschen mit Pflegebedarf, mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen haben einen
Anspruch auf eine gute umfassende Pflegeversorgung,
die sich nicht an Profiten orientiert, sondern an ihrem individuellen Bedarf.
({4})
Herr Minister Gröhe, diese Verantwortung darf nicht
ins Private abgeschoben werden.
({5})
Heute ist es so: Wer sich professionelle Pflege nicht leisten kann, ist auf die Unterstützung und auf ehrenamtliche Pflege aus der Familie und dem sozialen Umfeld angewiesen. Wer wo wann von wem gepflegt wird, muss
aber eine selbstbestimmte Entscheidung der Betroffenen
sein. Diese Entscheidung darf natürlich nicht durch finanzielle Nöte beschränkt werden.
({6})
Und da ist noch etwas: Sie haben die Personalsituation in der Pflege überhaupt nicht im Fokus Ihres politischen Handelns. Sie behaupten zwar, mit der ersten
Stufe der Pflegereform die Personalsituation verbessern
zu wollen, tatsächlich tun Sie das aber nicht. Herr Minister Gröhe, es kommt nicht nur darauf an, die Anzahl der
Köpfe zu erhöhen, sondern es kommt auch darauf an, die
Ganzheitlichkeit in der Pflege wiederherzustellen und
das, was wir haben, zu behalten. Wenn Sie auf der Seite
der Betreuungskräfte den Personalschlüssel erhöhen,
aber auf der Seite der Pflegefachkräfte alles beim Alten
lassen, senken Sie insgesamt das Pflegeniveau.
({7})
Weder für die Pflegefachkräfte noch für die Betreuungskräfte wird es weniger Belastung geben. Die einen tragen Verantwortung und müssen zusehen, wie sie im
Schweinsgalopp ihre Arbeit erledigt bekommen; die anderen tragen Verantwortung, erledigen die Betreuungsarbeit im Dauerlauf, und alle haben keine Chance, sich
fort- und weiterzubilden.
Die meisten Menschen, die in der Pflege arbeiten, haben diesen Beruf ergriffen, weil sie gerne mit Menschen
zusammenarbeiten wollen. Für sie sind Gespräche,
Unterstützung bei der Grundpflege sowie soziale Interaktion elementarer Bestandteil ihres beruflichen Selbstverständnisses. Die Unterteilung von Pflege- und Sorgearbeit in verschiedene Arbeitsprozesse, nämlich Pflege
auf der einen Seite und Betreuung und Unterstützung auf
der anderen Seite, zerstört das Verständnis von umfassender Pflege. Herr Minister, so wird umfassende Pflege
weiter abgewertet, und eine Attraktivitätssteigerung der
Pflegeberufe findet nicht statt.
Meine Damen und Herren, kommen wir zur Bezahlung. Damit Lohndumping in der Pflege endlich ein Riegel vorgeschoben wird, muss der Pflegemindestlohn für
Helferinnen und Helfer auf 12,50 Euro, wie es auch
Verdi fordert, erhöht werden.
({8})
Für Fachkräfte darf ein Bruttogehalt von 3 000 Euro
nicht unterschritten werden. Auch die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in der Pflege müssen spürbar
verbessert werden. Aber statt einer solchen Anerkennung der professionellen Pflegearbeit schaffen Sie mit
dieser Reform ein neues Einfallstor für prekäre Beschäftigung in der Pflege. Sie wollen Pflegesachleistungen in
niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote
umwidmen. Die Pflegesachleistungen waren bisher für
die Finanzierung von ambulanten Pflegedienstleistungen
vorgesehen. Nun sollen aus diesen Mitteln Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Helferinnen und
Helfer bezahlt werden. Meine Damen und Herren, so
geht das nicht. Das dahinterstehende Verständnis ist
doch Folgendes: Pflege kann jeder. - Das ist eine Missachtung der hochanspruchsvollen Arbeit der Pflegekräfte.
({9})
Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass mit diesem
Schritt ein eigenständiger Sektor an niedrigschwelligen
Entlastungsangeboten geschaffen und der private Pflegemarkt weiter ausgebaut werden soll.
Meine Damen und Herren, die Linke fordert Sie auf:
Lassen Sie die Pflege nicht länger am Boden liegen!
({10})
Wir wollen das Recht auf selbstbestimmte Pflege in den
Mittelpunkt stellen, sowohl für die Pflegebedürftigen als
auch für die Pflegenden. Pflege und Betreuung müssen
sich an den individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen ausrichten. Angehörige und nahestehende Personen müssen entlastet werden. Die Arbeitsbedingungen in
der Pflege müssen unbedingt grundlegend verbessert
werden. Das Pflegepersonal muss gerecht entlohnt werden.
({11})
Um all das verwirklichen zu können, braucht es eine
entsprechende Finanzierung; das ist klar. Wir als Partei
der Pflegegerechtigkeit
({12})
schlagen Ihnen dafür die solidarische Bürgerinnen- und
Bürgerversicherung vor.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis,
SPD-Fraktion.
({0})
Guten Morgen, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Vor ungefähr einem Jahr attestierte eine
Allensbach-Studie der Politik: Nur 64 Prozent der Bevölkerung glauben, dass sich bei der Pflege in der nächsten Zeit etwas ändern werde. 56 Prozent glauben sogar,
dass die Politik überhaupt nicht in der Lage sei, für gute
Pflege zu sorgen.
Diese Ergebnisse haben uns damals sehr beunruhigt.
Ich glaube, wir haben uns in dieser Koalition auf einen
guten Weg gemacht, genau das zu widerlegen und zu sagen: Wir sind bereit, und wir können in diesem Land für
gute Pflege viel bewegen. - Ich fordere die Opposition
auf, uns auf diesem Weg positiv und kritisch-konstruktiv
zu begleiten.
({0})
Fundamentalkritik ist an der Stelle, an der es um Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige geht, nicht
immer unbedingt dienlich. Wir wollen, dass in diesem
Land bessere Leistungen bei den Pflegebedürftigen und
ihren Angehörigen ankommen. Das tun wir mit diesem
ersten Umsetzungsschritt.
({1})
Wir wollen uns in dieser Legislaturperiode nicht nur mit
diesem einen Baustein zufriedengeben. Unser Grundkonzept für bessere Pflege, für die Unterstützung von
pflegenden Angehörigen und für mehr Anerkennung und
Wertschätzung - da finden Sie uns ganz massiv an Ihrer
Seite -,
({2})
unser Konzept sieht mehrere notwendige Bausteine vor.
({3})
Diese Bausteine - schauen Sie in unseren Koalitionsvertrag - haben wir miteinander verabredet. Wir wollen
nicht nur diesen ersten Umsetzungsschritt, sondern wir
wollen die Ausbildungsreform und natürlich auch eine
bessere Verankerung sowie eine Verständigung mit Ländern und Kommunen darüber, was deren Aufgabe ist.
Frau Zimmermann, ich glaube, da sind wir einer Meinung: Wir hier in Berlin, in diesem Saal, können nicht
sagen, welche Infrastruktur in einer Stadt notwendig ist.
Da müssen wir uns schon auf einen gemeinsamen Weg
begeben.
({4})
Neben all diesen Punkten ist uns ein wichtiges Anliegen, dass - das steht auch so im Koalitionsvertrag - in
dieser Legislatur so schnell wie möglich die Reform des
Pflegebedürftigkeitsbegriffs kommt.
({5})
Wenn wir jetzt diese Schritte miteinander vereinbaren, ist uns sehr wohl bewusst: Wir gehen damit einen
Weg und nehmen einige Leistungen vorweg, aber - auch
das ist eine Vereinbarung, die wir getroffen haben - die
Reform dieses Begriffes wird kommen. Wenn nicht jetzt,
wann dann in einer Großen Koalition?
Wir wollen mit der Vorwegnahme von Pflegeleistungen sehr schnell die Situation von Pflegebedürftigen und
ihren Angehörigen verbessern. Wir haben lange darauf
gewartet.
({6})
In der letzten Legislaturperiode war der Erfolg in diesem
Bereich nur sehr eingeschränkt. In dieser Legislaturperiode - das zu sagen, gestatten mir die Fachpolitiker aller
anderen Fachrichtungen; man ist, wenn man mit Herzblut für eine Sache streitet, immer ein Stück weit mit
Scheuklappen versehen - ist das, was Pflege anbelangt,
eines der zentralen Anliegen dieser Regierung.
({7})
Jetzt stellen Sie sich vor, wir hätten hier sehr schnell
für alle Bereiche, die ich aufgezählt habe, etwas vorgelegt! Sorgfalt geht hier vor Schnelligkeit. Lassen Sie uns
in dieser Legislatur lieber „step by step“ die Punkte umsetzen, die wir miteinander vereinbart haben.
Die Verbesserungen, zu denen es in der ersten Stufe
kommen wird, sind nicht banal. Da geht es um bessere
und flexiblere Leistungen für Angehörige. Da geht es
darum, einen Mix hinzubekommen: Wenn man die Leistungen in der Kurzzeitpflege oder der Verhinderungspflege nicht voll ausschöpft, dann kann man im Rahmen
der Leistungshinterlegung die Mittel, die für den einen
Bereich vorgesehen waren, für den anderen Bereich nutzen. Das ist doch gut.
Wir wollen, dass die Tages- und Nachtpflege stärker
unterstützt wird. Denn die Lebenssituation in den Familien ist einfach so, dass zum Beispiel Menschen mit De4342
menz eine Tagesstrukturierung nicht mehr hinbekommen, dass Angehörige wenigstens in der Nacht oder
zeitweise am Tag entlastet werden wollen. Das ist doch
die Lebensrealität.
({8})
Es wurde hier eine Individualisierung gefordert; auf
diese Weise kann man sie ein Stück weit erreichen.
Ein Punkt, der schon angeführt wurde, ist für uns von
Bedeutung: Wir wollen die Leistungen nach § 45 b
SGB XI verbessern und flexibilisieren. Das heißt auch,
sich damit auseinanderzusetzen - das ist von Wichtigkeit -:
Wie kriegen wir es hin, zwischen einer Entlastungsleistung, einer Betreuungsleistung und einer Fachpflegeleistung zu differenzieren und das Zusammenspiel so individuell zu gestalten, dass es wirklich dem Bedarf der
Menschen gerecht wird,
({9})
anstatt einfach einen kategorischen Schnitt zu machen
und für alle etwas zu hinterlegen? Wir selber können dabei nicht den Bedarf im Einzelfall ermessen; aber wir
können den Rahmen dafür angeben, dass sich Bedarfe an
individuellen Bedürfnissen ausrichten. Da machen wir
jetzt mit diesem Gesetz einen ersten wichtigen Schritt
und machen einen Knopf dran, so wie wir es jahrelang
gefordert haben.
Der zweite Punkt. Ja, wir brauchen mehr Pflegefachkräfte. Sie haben es ausgeführt; wir alle sind uns da im
Grunde einig. Wie kriegen wir das hin? Da gibt es keinen Königsweg; da gibt es viele Wege. Ein Weg ist eine
Ausbildungsreform. Ein weiterer ist, den Beruf so attraktiv zu machen, dass die Verweildauer erhöht wird, dass
Menschen diesen Beruf so lange ausüben können, bis sie
in die Lebensphase der Rente eintreten, und ihn nicht
vorher verlassen müssen, weil die psychische und körperliche Belastung so groß ist. Dazu brauchen wir ein
Ausbildungsgesetz. Aber wir brauchen eben auch eine
gute Bezahlung und einen guten Fachkräfteschlüssel. All
diese Punkte betreffen die Rahmenbedingungen; wir
werden sie angehen.
Wir haben den Bereich der Vorsorge in der Tat stark
im Blick. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, Vorsorge zu organisieren. Eine Möglichkeit ist, Geld anzusparen, womöglich aber mit dem Risiko eines hohen Realwertverlustes. Eine andere Möglichkeit ist, Gelder
einzusetzen, um Vorsorge dafür zu treffen, dass es im
Jahr 2030 bzw. 2033 genug Arbeitskräfte gibt, die Menschen professionell pflegen können und in diesem Beruf
ihre Erfüllung finden. - Dass dieser Beruf erfüllt, dass
ihn sehr viele Menschen gerne ausüben möchten, zeigen
unter anderem die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit:
Auf eine Ausbildungsstelle kommen drei Bewerber. An
diesem Punkt müssen wir ansetzen. Wir wollen durch
eine Erhöhung der Vorsorgemittel im Bereich Pflege dafür sorgen, dass im Jahr 2030 genügend gut ausgebildete
Fachkräfte vorhanden sind, um die Menschen zu pflegen.
({10})
Beim Thema Pflege braucht es nicht nur eine breite
gesellschaftliche Akzeptanz, sondern auch eine breite
gesellschaftliche Unterstützung. Pflege kommt nicht immer laut daher. Sie betrifft einen Bereich des Lebens, in
dem es darum geht, dass Menschen ihre Würde behalten
können und zu garantieren, dass Solidarität in der Gesellschaft greift - eine Solidarität, die darauf beruht, dass
diejenigen geben, die geben können, und diejenigen nehmen können, die den Bedarf haben; das betrifft den Anfang und das Ende des Lebens. So definieren wir Generationengerechtigkeit.
Lassen Sie uns das in die Tat umsetzen, damit die
Menschen davon überzeugt werden: Politik ist imstande,
etwas für die Pflege zu tun. Das wollen wir gemeinsam
tun.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Elisabeth
Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Weiterentwicklung in der Pflege, Neuorientierung
in der Pflege, heute nun die Stärkung der Pflege - egal
welchen Namen Ihre Reform trägt, sie bleibt weit hinter
den berechtigten Erwartungen der betroffenen Menschen
und auch der Expertinnen und Experten sowie der Verbände zurück.
({0})
Auch innerhalb der Koalition scheint keine uneingeschränkte Harmonie zu herrschen.
({1})
Frau Kollegin Mattheis, Sie haben dieser Tage nochmals
- übrigens vollkommen zu Recht - den unsinnigen Pflegevorsorgefonds infrage gestellt, und die Reihen werden
immer dichter; die taz berichtet heute davon.
({2})
Auf den unsinnigen Pflegevorsorgefonds komme ich
später noch einmal zurück.
Zunächst stelle ich fest: Ja, wir brauchen eine bessere
Pflege, und dafür brauchen wir wesentlich mehr Geld.
Deswegen ist es im Grundsatz richtig, dass diese Koalition den Beitragssatz zur Pflegeversicherung deutlich
anheben will; das ist unbestritten.
({3})
Ich will auch nicht abstreiten, dass das eine gewisse politische Kraft erfordert. Aber ich frage mich: Ist das schon
Leistung genug? Nein, es ist nicht genug; denn mehr
Geld allein ist kein Wert an sich, mehr Geld allein ist
auch keine Reform. Geld ersetzt keine Ideen, und diese
Koalition hat keine Ideen.
({4})
Sie haben keine Vision, wohin sich der Bereich Pflege in
unserer Gesellschaft entwickeln könnte. Sie haben kein
mutiges, kein fortschrittliches Konzept, in welche Richtung Sie die pflegerische Versorgung in unserem Land
weiterentwickeln wollen.
({5})
Völlig klar ist: Wir können nicht weitermachen wie
bisher. Die Menschen in unserem Land wollen das auch
nicht, und doch machen Sie einfach so weiter.
({6})
Sie setzen den Pflegezug auf die Schiene und lassen ihn
in die falsche Richtung fahren. Aber bei einem Zug, der
in die falsche Richtung fährt, ist eben auch jeder Haltebahnhof falsch. Auch wenn Sie uns hier erzählen, dass
dieser Zug durch blühende Landschaften in Form Ihrer
wirr zusammengewürfelten Leistungsverbesserungen
fährt, können Sie es nicht schönreden. Am Ende des Tages liefern Sie Stückwerk ab. Sie nehmen die wirklich
brennenden Probleme nicht in Angriff.
({7})
Machen wir es konkret!
({8})
Sie haben wieder einmal die überfällige Einführung des
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vertagt.
({9})
Ob er dann, wenn er überhaupt jemals kommt, die hohen
Erwartungen erfüllt, die über Jahre geweckt wurden,
bleibt abzuwarten. Sie tun nichts für die Pflegekräfte. Sie
tun nichts gegen den Fachkräftemangel. Über die angekündigte Reform der Pflegeausbildung sind Sie sich
auch noch nicht einig.
({10})
Sie haben auch noch nichts zur besseren Vereinbarkeit
von Pflege, Familie und Beruf unternommen. Ebenso
wenig schaffen Sie es, die Pflegeversicherung endlich
nachhaltig und sozial gerecht zu finanzieren.
Stattdessen bleibt es dabei, dass sich die Privatversicherten konsequent aus der Solidarität mit den
Schwächsten entziehen können.
({11})
Dafür parken Sie 1 Milliarde Euro pro Jahr in einem
Pflegevorsorgefonds, der nicht funktionieren kann. Auch
hier wird nur der Anschein von Nachhaltigkeit erweckt.
Wir haben dazu vor einigen Wochen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Das Ergebnis
war: Sie konnten oder wollten keine halbwegs konkrete
Zahl nennen oder sagen, was genau dieser Fonds eigentlich bringt. Mit anderen Worten: Sie können Ihre eigene
Politik gar nicht erklären, weil Sie selbst nicht genau
wissen, was der Fonds bringen soll, oder weil Sie genau
wissen, dass der Fonds nichts taugt.
({12})
Bis auf Herrn Spahn glaubt in dieser Koalition ja nicht
wirklich jemand an diesen Unsinn.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister
Gröhe, wie erklären Sie denn eigentlich den Pflegebedürftigen und den Angehörigen, den Pflegekräften und
den gesetzlich Versicherten, dass Sie zwar viel Geld ausgeben werden - es ist das Geld der Versicherten, das Sie
ausgeben -, aber die Probleme nicht wirklich angehen?
Was sagen Sie den ausgepowerten Pflegekräften? Was
sagen Sie den überforderten pflegenden Angehörigen,
die mit ihren realen Problemen, mit denen sie sich tagtäglich auseinandersetzen müssen, weiterhin alleingelassen werden? Diese Menschen werden dieser Debatte
heute kopfschüttelnd und enttäuscht folgen. Herr Gröhe,
Sie bleiben hier nicht nur Antworten schuldig - das
muss ich Ihnen ganz offen sagen -,
({14})
sondern ignorieren auch die Lebenswelt und die Lebenswirklichkeit genau derer, die eine echte Pflegereform
dringend gebraucht hätten.
({15})
Dieses Gesetz ist keine Pflegereform. Es ist allenfalls
eine Pflegeversicherungsreform, eine sehr teure, aber bestimmt keine fortschrittliche Reform. Pflege ist mehr,
viel mehr als nur die Pflegeversicherung. Das müssen
wir endlich alle begreifen. Sie müssen sich viel deutlicher darauf besinnen, worum es bei den Betroffenen eigentlich geht. Deswegen sollten Sie sich, deswegen sollten wir uns alle fragen, welche Versorgung wir uns denn
für uns selbst wünschen. Sagen Sie einmal ganz ehrlich:
Wollen Sie für sich wirklich nur etwas mehr von dem,
was wir schon haben? Das ist nämlich genau der Kurs,
den Sie hier fahren. Ist es wirklich damit getan, die Leistungen der Pflegeversicherung um 4 Prozent anzuheben?
Ich will das nicht kleinreden, wirklich nicht.
({16})
Aber ist das die Antwort auf die Probleme, die wir in der
Pflege haben, die dieses Land braucht?
({17})
Wird diese Antwort den Menschen die Angst vor einem
unwürdigen Leben im Alter nehmen?
({18})
Geht es nicht vielmehr darum, den Menschen eine Perspektive zu eröffnen, damit sie selbstverständlich auch
bei Pflegebedürftigkeit an dieser Gesellschaft teilhaben
können,
({19})
die Perspektive, dass ein Leben im Alter und bei Pflegebedürftigkeit keine Last, sondern ganz normaler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens
ist?
({20})
Teilhabe ist ein elementares Grundbedürfnis, ein elementares Recht. Das spielt in Ihrem Reformwerk aber
überhaupt keine Rolle. Dabei ist es das, worum es uns
allen im Kern geht.
({21})
Dazu braucht es ein grundlegendes Umdenken. Wir
müssen Pflege wieder stärker als Aufgabe und Verantwortung von uns allen und für uns alle begreifen. Ein
bisschen Rumwerkelei an der Pflegeversicherung ist einfach zu wenig. Es braucht ein deutliches Signal zur Stärkung ambulanter Versorgungsstrukturen. Wir brauchen
einen neuen Pflegebegriff, mit dem nicht nur bestehende
Leistungen der Pflegeversicherung erweitert werden,
sondern mit dem flexible Formen von Leistungen bereitgestellt werden, Leistungen, die die Betroffenen bei der
Führung eines selbstbestimmten Lebens wirklich unterstützen.
({22})
Das Allerwichtigste ist: Die Pflege muss wieder dort
gestaltet und gesteuert werden, wo sie stattfindet, das
heißt vor Ort, in den Gemeinden, in den Vierteln, in den
Quartieren, dort, wo die Menschen leben. Das kann eine
Pflegeversicherung alleine aber nicht stemmen. Wir
müssen vor allem die Kommunen in die Lage versetzen
und dabei unterstützen, diese Gestaltungsaufgabe wieder
wahrnehmen zu können. Das ist die eigentliche Zukunftsaufgabe, um die es geht.
In Ihrem Koalitionsvertrag steht einiges dazu drin.
Dort steht auch, dass Sie sich mit der Situation der Kommunen beschäftigen wollen und klären wollen, wie die
Rolle der Kommunen bei der Pflege gestärkt werden
kann. Nur, es passiert einfach nichts. Man hört rein gar
nichts von Ihnen dazu.
({23})
So mutig es erscheinen mag, der Pflegeversicherung
mehr Geld zur Verfügung zu stellen, so kraftlos, beinahe
feige, ist das, was Sie diesbezüglich am Ende des Tages
anstellen.
({24})
Meine Fraktion, ich und auch die betroffenen Menschen
im Land haben wirklich mehr von Ihnen erwartet.
Vielen Dank.
({25})
Vielen Dank. - Der nächste Redner ist Dr. Georg
Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Frau
Scharfenberg und Frau Zimmermann, Ihre Kritik war
mir zu pauschal.
({0})
Wenn man diesem Thema gerecht werden will, dann
muss man schon beim Thema bleiben
({1})
und die Substanz zumindest ein bisschen würdigen, dann
muss man sich mit dem beschäftigen, was wir tatsächlich verbessern.
({2})
Wenn Sie im Detail Kritik üben wollen, können Sie das
gerne tun. Wenn Sie hier aber in Minioppositionsmanier
in Bausch und Bogen alles pauschal verdammen, was
wir hier machen, dann werden Sie nicht einmal Ihrer
Rolle als Opposition ordentlich gerecht.
({3})
Der Deutsche Bundestag hat vor 20 Jahren die Pflegeversicherung beschlossen.
({4})
Sie war damals gar nicht unumstritten, was man heute
gar nicht mehr glauben mag; denn wir alle wissen, dass
diese Pflegeversicherung ein Erfolgsmodell ist, um das
uns Europa mittlerweile beneidet.
({5})
Wir haben in den letzten beiden Legislaturperioden bereits deutliche Verbesserungen vorgenommen: Wir haben Leistungen dynamisiert, Maßnahmen zur Entlastung
pflegender Angehöriger und Zusatzleistungen für an Demenz erkrankte Pflegebedürftige beschlossen; das ist
nichts Neues. Zusammengenommen gab es dadurch
Leistungsverbesserungen mit einem Volumen von über
3 Milliarden Euro. Von einem Stillstand in der Pflegepolitik zu sprechen, war also schon vor der Reform, über
die wir heute in erster Lesung debattieren, falsch.
({6})
Es geht weiter voran. Mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz bringen wir in einer ersten Stufe - ich sage
das ganz bewusst; hier hat die Nummerierung tatsächlich
einmal einen Sinn, weil es in dieser Legislaturperiode
zwei Reformstufen geben wird - die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen im Bereich Pflege auf
den Weg. Dabei geht es um eine Vielzahl von Verbesserungen und um ein Volumen von 2,4 Milliarden Euro.
Wir haben vor, die Leistungsbeträge um 4 Prozent anzuheben. Dabei geht es um den Inflationsausgleich.
({7})
- Da können Sie ruhig schreien. - Aber allein das ist
ganz wichtig für die Betroffenen, für die Pflegebedürftigen. Mit dem von Ihnen viel gescholtenen Vorsorgefonds setzen wir ein Zeichen,
({8})
dass wir das System zukunftsfähig machen wollen. Auch
das sollten Sie aus meiner Sicht würdigen.
Die Leistungen im Bereich der häuslichen Pflege
werden deutlich verbessert und flexibilisiert; denn wir
wollen jedem älteren Menschen ein selbstbestimmtes
Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen, solange
das irgendwie geht. Das ist ein gerechtfertigter und der
wichtigste Anspruch älter werdender pflegebedürftiger
Menschen.
({9})
Dafür wollen wir das Zusammenwirken von Fachkräften, Angehörigen und Ehrenamtlichen intensivieren. Die
Bereiche ambulante Pflege, innovative Wohn- und Pflegeformen sowie stationäre Einrichtungen sollen Hand in
Hand arbeiten. Den pflegenden Angehörigen helfen wir
insbesondere durch die vorgesehenen Verbesserungen
im Bereich der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege. Damit greifen wir die
Wünsche der vielen pflegenden Angehörigen auf, entlastende und unterstützende Pflegeleistungen flexibler in
Anspruch nehmen zu können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich
für eine weitere Flexibilisierung werben, insbesondere
im Hinblick auf die sechsmonatige Wartezeit im Bereich
der Verhinderungspflege. Hier geht es darum, mehr
Menschen zu motivieren bzw. ihnen die Möglichkeit zu
geben, in einem plötzlich und überraschend auftretenden
Fall der Pflegebedürftigkeit häusliche Pflege zu praktizieren. Über diesen Punkt sollten wir im Laufe des Verfahrens noch einmal diskutieren.
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann?
Ja, gern.
Frau Kollegin Zimmermann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Nüßlein, dass Sie meine Frage zulassen.
Sie haben gerade gesagt, dass Sie gerne möchten,
dass Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier
Wänden gepflegt werden können. Sie haben die Verhinderungspflege und weitere Möglichkeiten angesprochen.
Das alles ist ja nur für einen bestimmten Zeitraum gedacht. Eine Person, die pflegebedürftig ist, muss aber
meistens mehrere Jahre gepflegt werden. Dieser Zustand
setzt ein, ändert sich meistens aber nicht mehr. Das sind
die Fälle, von denen ich ausgehe.
Wie können wir mit Blick auf die zu pflegenden Personen, aber auch mit Blick auf die Pflegenden eine Regelung treffen, die verhindert, was meistens der Fall ist:
dass die Frauen ihren Beruf aufgeben oder in Teilzeit gehen müssen und dann, wenn sie nach der Arbeit, meinetwegen nach einem vierstündigen Arbeitstag, nach Hause
kommen, bei besonders schweren Pflegefällen noch
20 Stunden am Tag im Stand-by-Modus sind, weil sie
bestimmte Pflegeleistungen erbringen müssen? Wie
wollen Sie es regeln, dass die Pflege nicht auf den sogenannten größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich
auf die Familie und das soziale Umfeld, zurückfällt? Wie
können wir das so regeln, dass die Pflege professionell
durchgeführt wird und es auch zu einer Entlastung der
Angehörigen und der pflegenden Personen kommt?
({0})
Zunächst einmal will ich in meiner Antwort auf Ihre
Frage ganz ausdrücklich betonen, dass man die Pflege in
der Familie nicht durch professionelle Pflege ersetzen
sollte. Die Pflege in der Familie müssen wir wertschätzen; wir können sie gar nicht hoch genug bewerten. In
der Tat müssen wir auch mit Blick auf das Arbeitsrecht
die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit hier
Spielräume entstehen. Aber man kann natürlich nicht sagen: Auf der einen Seite wollen wir, dass in der Familie
gepflegt wird. Auf der anderen Seite stehen wir dem
aber kritisch gegenüber, weil die Pflege in der Familie
nicht so professionell, wie wir es uns wünschen, durchgeführt werden kann; das kam ja in Ihrer Frage zum
Ausdruck.
({0})
Im Gegenteil, das, was die ambulanten Dienste an
dieser Stelle leisten, und das, was in der Familie leistbar
ist, sollte miteinander verknüpft werden. Ich sehe eine
Chance darin, dies fortzuführen. Ich will das überhaupt
nicht, wie Sie es gerade zwischen den Zeilen angedeutet
haben, infrage stellen. Ganz im Gegenteil, ich glaube,
dass es uns durch das, was wir vorhaben, gelingen wird,
den ambulanten Bereich zu stärken und dafür Sorge zu
tragen, dass Pflege möglichst lange im familiären Umfeld praktiziert werden kann. Aber das geht eben nur unter bestimmten Bedingungen.
Für Personen, die so pflegebedürftig sind, dass die
Pflege nicht mehr zu Hause zu leisten ist, gibt es stationäre Einrichtungen, die wir an dieser Stelle ebenfalls
stärken, und zwar dadurch, dass wir mehr Personal zur
Verfügung stellen; der Personalschlüssel ändert sich ja.
Deshalb kann ich nicht erkennen, warum man das infrage stellen sollte. Ganz im Gegenteil, wir tun das Richtige, meine Damen und Herren.
({1})
- Sie haben das infrage gestellt,
({2})
jedenfalls zwischen den Zeilen;
({3})
so habe jedenfalls ich Sie verstanden. Sonst müssen Sie
sich klarer ausdrücken. Ich hatte den Eindruck, dass Sie
das infrage gestellt haben.
({4})
Ich werbe ernsthaft dafür, dass wir an dieser Stelle
weiterarbeiten und uns Gedanken darüber machen, was
wir noch tun können. Diejenigen, die ihre Wohnung altersgerecht umbauen, werden wir mit Zuschüssen von
bis zu 4 000 Euro unterstützen; das ist fast eine Verdopplung der bisherigen Obergrenze. Auch das ist ein Ansatz,
um häusliche Pflege zu erleichtern. Außerdem sorgen
wir für eine weitere Angleichung der Leistungen bei körperlich und bei demenziell bedingter Pflegebedürftigkeit. Pflegebedürftige, die körperlich in stärkerem Maße
eingeschränkt sind, zum Beispiel nach einem Schlaganfall - Sie haben zu Recht gesagt, das sei nicht immer
eine Frage des Alters -, können jetzt zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen.
Damit räumen wir den Pflegebedürftigen mehr Wahlmöglichkeiten ein. Das ist ja etwas, was Sie einfordern.
Insofern sind wir da auf dem richtigen Weg. Ich hätte gewünscht, dass Sie das mehr würdigen.
Wer seinen Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen nicht voll ausschöpft, der kann den nicht genutzten Betrag künftig für niedrigschwellige Angebote, etwa
in der Betreuung, verwenden. Auch das ist ein Beispiel
für mehr Wahlmöglichkeiten.
Ich will noch einmal deutlich machen - ich habe das
schon in meiner Antwort auf Ihre Frage gesagt -, dass
die Kritik mancher Pflegeverbände an dieser Neuregelung nicht gerechtfertigt ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir bei der Betreuung und Entlastung von
Pflegebedürftigen mehr ehrenamtlich tätige Menschen
brauchen und zum bürgerschaftlichen Engagement bereite Personen fördern müssen. Wenn wir den Anspruch
haben: „ambulant vor stationär“, dann können wir dies
nur mit Ehrenamtlern umsetzen. Wir wollen die Anforderungen an die Qualität nicht reduzieren oder infrage
stellen. Ganz im Gegenteil: Wir werden die Anforderungen an die Qualität aufrechterhalten, aber zusätzlich die
Bedeutung des Ehrenamts in diesem Zusammenhang
ganz deutlich herausstellen.
Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der sogenannten Pflegestufe 0 erhalten künftig
Zugang zu Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowie
der Kurzzeitpflege. Dies ist bereits ein wichtiger Schritt
zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs
und betrifft auch die Frage, wie man die häusliche Pflege
befördert.
In der stationären Pflege - auch das habe ich angedeutet - wird das Betreuungs- und Aktivierungsangebot
schon vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs erweitert und auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Das Betreuungsverhältnis wird auf eine Betreuungskraft zusätzlich für 20 Pflegebedürftige verbessert,
was den Einsatz von weiteren 20 000 Betreuungskräften
möglich macht. Allerdings muss der Arbeitsmarkt diese
Kräfte auch hergeben. Wir werden uns also auch Gedanken darüber machen müssen, wie man im Rahmen von
Arbeitsmarktmaßnahmen und durch Ausbildung die Voraussetzungen dafür schafft, dass das gelingt.
Wer die von uns vorgesehenen Maßnahmen schlechtoder kleinredet, Frau Scharfenberg, verunsichert die
Menschen und schadet der Akzeptanz der Pflegeversicherung.
({5})
Insofern tut mir persönlich die Pauschalkritik weh. Wenn
Sie ein Detail kritisieren, dann ist das kein Thema; aber
eine solche Pauschalität tut mir weh, weil Sie die Menschen hinsichtlich dessen verunsichern, was wir im Rahmen der Pflegeversicherung tatsächlich für die Pflegebedürftigen leisten.
({6})
- Sie haben recht: Es bleibt eine Teilkaskoversicherung.
Das ist eine Frage, die man unter der Überschrift der Finanzierbarkeit, der Machbarkeit diskutieren muss. Es
muss eine Teilkaskoversicherung bleiben, weil es nämlich darum geht, das Pflegerisiko abzusichern.
({7})
Wir dürfen die Versicherung doch nicht so gestalten
- das müsste Ihnen als Argument gefallen -, dass wir die
Erbschaft für die nächste Generation absichern. Darum
kann es doch nicht gehen. Wenn man eine Vollkaskoversicherung einführt, also eine Versicherung, ohne dass Eigenanteile zu leisten sind, dann sichert man im Grunde
bei weiten Teilen der Bevölkerung die Erbschaft der
nächsten Generation, sonst nichts.
Ich will deutlich unterstreichen: Wir machen jetzt einen ersten wichtigen Schritt und werden einen weiteren
Schritt folgen lassen, der wohlüberlegt ist und mit dem
wir den Pflegebegriff anpassen. Wir werden dafür Sorge
tragen, dass aus beiden Schritten eine runde Sache wird.
Ich bin gespannt, aber nicht gerade erwartungsvoll, ob
Sie das am Schluss entsprechend würdigen und uns dafür loben werden. Ich glaube es nicht wirklich; aber
wünschen und hoffen darf man ja kurz vor Beginn der
Sommerpause.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Kathrin Vogler das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Nüßlein, wenn man Sie hat sagen
hören, welcher Reformbedarf hier auf einmal besteht,
dann fragt man sich, wer eigentlich in den letzten Jahren
in Deutschland regiert hat.
({0})
Das kann ja nicht die Union gewesen sein.
({1})
Wir wissen doch alle, und nicht erst seit gestern, dass
grundlegende Verbesserungen in der Pflege dringend
notwendig sind. Wenn ich mit Pflegenden spreche
- ganz egal, ob es sich um Angehörige oder Beschäftigte
in der ambulanten oder stationären Pflege handelt -,
dann höre ich immer nur: Stress, Zeitdruck, übermäßige
Arbeitsbelastung. Wenn man mit Menschen mit Pflegebedarf spricht und sie fragt, was sie sich wünschen, dann
hört man nur eines, nämlich mehr Zeit.
({2})
Herr Kollege Nüßlein hat gerade sehr eindrucksvoll dokumentiert, dass auch diese Bundesregierung leider
keine Antwort auf diese große Herausforderung hat.
Wir alle haben eine Vorstellung davon, wie wir im Alter leben wollen. Dazu gehören größtmögliche Selbstständigkeit und Teilhabe. Die Realität sieht für viele aber
leider ganz anders aus. Auch die Berichte über Zwangsmaßnahmen in der Pflege müssen uns, glaube ich, Sorgen machen. Aus Personalmangel, aus Zeitmangel und
aus Unwissenheit werden Menschen gegen ihren Willen
angebunden oder hinter Bettgitter gesteckt. Diese Menschenrechtsverletzungen - das will ich noch einmal ganz
klar sagen - geschehen nicht aus Bosheit, sondern sind
Ausdruck einer strukturellen Unterversorgung.
({3})
Diese Unterversorgung müssen wir beenden; denn gute
Pflege ist ein Menschenrecht.
({4})
Ich höre mit Freude, dass Sie zumindest zaghafte
Schritte der Verbesserung ankündigen. Ich sage aber
ganz klar: Mit Ankündigungen alleine wird sich die
Linke nicht abfinden. Wir werden weiter darauf achten,
dass für die Menschen tatsächlich etwas passiert.
({5})
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, über den wir in
Expertenkommissionen und hier im Hause über drei
Wahlperioden diskutiert haben, bringt nur dann etwas für
die Menschen mit Pflegebedarf, wenn Teilhabe und
Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen. Hier sehe ich
mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf leider noch
keinen echten Fortschritt. Das ist eine vertane Chance.
({6})
Uns allen ist doch klar, dass wir für die Umsetzung einer
solchen grundlegenden Pflegereform viel Geld benötigen. Die jetzige Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge hat aber rein gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.
Nach unserem Zeitplan werden wir heute Nachmittag
um 13.20 Uhr das Lebensversicherungsreformgesetz beraten. Die Menschen werden die Erfahrung machen, dass
das, was sie im Rahmen ihrer Lebensversicherungen fürs
Alter angespart haben, vor dem Hintergrund der Niedrigzinssituation und der Finanzkrise eben nicht mehr sicher ist.
({7})
Sie wollen dieses Modell der Lebensversicherung, bei
dem eine Rücklage für spätere Zeiten gebildet wird, mit
dem Vorsorgefonds auch auf den Bereich der sozialen
Pflegeversicherung übertragen.
({8})
Da die SPD jetzt offensichtlich erkannt hat, dass das
hoch problematisch ist, und das strittig stellt, kann ich
Ihnen nur sagen: Bitte bleiben Sie hier hart! Sorgen Sie
dafür, dass das Struck‘sche Gesetz, dass eben nichts so
aus diesem Parlament herausgeht, wie es hineingekommen ist, gerade bei diesem Vorsorgefonds eingehalten
wird
({9})
und dass die 1,2 Milliarden Euro jährlich, die die Union
für spätere Zeiten bei Banken und in Aktienfonds parken
möchte, jetzt unmittelbar für Verbesserungen für die
Pflegebedürftigen und deren Angehörigen verwendet
werden!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unbedingt einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung des
neuen Pflegebegriffs haben. Es muss auch sichergestellt
werden, dass kein pflegebedürftiger Mensch später
schlechter gestellt ist als heute.
({10})
In der Perspektive brauchen wir aber Leistungen, die
sich wirklich am individuellen Bedarf orientieren. Dafür
werden wir uns als Linke weiter einsetzen. Wir werden
Sie auch unterstützen, wenn wir Schritte in diese Richtung erkennen können.
({11})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Karl
Lauterbach, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich muss meine Rede umstellen. Als so später
Redner in dieser Debatte dachte ich, dass über die Reform schon alles gesagt worden wäre. Bisher hat man
aber nicht viel dazu gehört. Das alles war sehr unspezifisch,
({0})
und nicht alles, was man gehört hat, war richtig.
({1}):
Da wollen wir einmal wissen, was Sie zu bie-
ten haben!)
Worum geht es bei dieser Reform eigentlich? Die
Grünen haben vorgetragen, die Reform sei teuer. Es ist
richtig: Die Reform ist teuer. Darauf sind wir stolz. Wir
sind stolz darauf, dass die Reform teuer ist, denn sie
muss teuer sein. 6 Milliarden Euro, paritätisch finanziert.
Die Leistungen der Pflegeversicherung werden in zwei
Schritten um 20 Prozent erhöht. Das ist die größte Steigerung im Rahmen einer Sozialreform in den letzten
Jahrzehnten. Wir sind stolz darauf, die größte Reform
der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen vorlegen zu
können. Wir stehen dazu: Die Reform ist teuer. Aber genau das brauchen wir auch.
({2})
Ich will auch ehrlich sagen: Diese Reform ist nicht
perfekt; das ist gar keine Frage. Ich möchte aber trotzdem sagen: Das, was wir als Reform zum jetzigen Zeitpunkt vorlegen, ist das Ergebnis dessen, was wir im Koalitionsvertrag über viele Wochen verhandelt haben. Ich
möchte Minister Gröhe ausdrücklich dafür danken, dass
er sich aus meiner Sicht sehr eng an den Vertrag gehalten
hat, der in dieser Sache zielführend ist und den wir mit
gutem Willen und im Konsens vereinbart haben. Daher
gilt: Wir werden diese Reform verbessern können; das
ist gar keine Frage. Jeder Parlamentarier weiß: Wir wollen nicht verändern, sondern wir werden verbessern.
Aber der Raum für Verbesserungen ist hier nicht groß;
denn der eingebrachte Gesetzentwurf ist sehr gut. Dafür
sind wir dankbar.
({3})
Ehrlich gesagt habe ich nicht viel an Gegenvorschlägen gehört.
({4})
Was haben wir an Vorschlägen - ich vermeide es, polemisch zu sein - von den Grünen gehört? Die Pflege
muss für alle begreifbar sein. Die Pflege muss menschenwürdig sein. Wir müssen so gepflegt werden, wie
wir gepflegt werden wollen. - Das wollen wir alle. Aber
was haben wir heute an konkreten Gegenvorschlägen gehört? Wer erinnert sich an konkrete Gegenvorschläge?
({5})
Keine konkreten Gegenvorschläge!
({6})
Wir sind bereit, jederzeit mit Ihnen konkrete Gegenvorschläge zu diskutieren. Sie müssen aber auch vorgetragen werden. Wir wollen die Reform im Geist einer gemeinsamen Arbeit umsetzen.
({7})
Ich will auf die Reform selbst zu sprechen kommen.
Ich komme zunächst einmal zur Dynamisierung der
Leistungen. Hier wurde gesagt, die Dynamisierung der
Leistungen müsse ein Automatismus sein und müsse
nicht jedes Mal verhandelt werden; das hat Frau
Zimmermann vorgetragen. - Die Pflegeversicherung ist
keine Vollkaskoversicherung. Die von Ihnen vorgeschlagene Dynamisierung würde nur Sinn machen, wenn es
eine Vollkaskoversicherung wäre.
({8})
Bei einer Teilkaskoversicherung muss jedes Mal neu
verhandelt werden. Dann muss es einen Kompromiss
zwischen der Dynamisierung der Leistungen auf der einen Seite und der Einführung neuer Leistungen auf der
anderen Seite geben. Wir dynamisieren zwar nur um
4 Prozent, aber das macht fast 1 Milliarde Euro aus. Zusätzlich führen wir zahlreiche neue Leistungen ein. Somit verbessern wir die Pflege durch die Dynamisierung
und durch die Einführung neuer Leistungen.
({9})
Diese Freiheit muss das Parlament haben. Das ist bei einer Teilkaskoversicherung der einzige Weg, auf sich verändernde Verhältnisse rasch zu reagieren.
({10})
Hier wurde auch von den Betreuungskräften gesprochen. Frau Zimmermann, Sie haben gesagt - dafür gab
es aus Ihren eigenen Reihen wenig Beifall -, die Linkspartei sei die Partei der Pflegegerechtigkeit.
({11})
Ist Ihnen aufgefallen, dass in Ihrer ganzen Rede die Angehörigen, die den größten Teil der Pflegeleistungen erbringen, nicht ein einziges Mal erwähnt worden sind?
({12})
Sie haben sich ausschließlich auf die Pflegekräfte in den
Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten konzentriert.
Die Betreuer wurden dadurch von Ihnen abqualifiziert.
Sie haben doch versucht, die Betreuer gegen die ausgebildeten Pflegekräfte auszuspielen.
({13})
Das ist unfair. Auch die Betreuer, egal ob Ehrenamtliche
oder Familienangehörige, leisten eine wichtige Arbeit.
Wir dürfen in der Pflege die einzelnen Gruppen nicht gegeneinander ausspielen.
({14})
Ich sage Ihnen ganz offen: Ein gutes Wort und die
Zeit, den zu pflegenden Menschen einmal zuzuhören,
ohne dass dabei gepflegt wird,
({15})
hilft diesen Menschen oft mehr als das Waschen, Rasieren und Saubermachen. Die menschliche Komponente
wird vom Betreuer genauso geleistet wie von der ausgebildeten Pflegekraft.
({16})
- Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, können Sie diese
jederzeit stellen. Aber das Zwischenrufen nervt. - Es
kam überhaupt nicht zur Sprache, dass wir zahlreiche
Maßnahmen unternommen haben, die Pflege unbürokratischer zu machen. Wir haben dafür gesorgt, dass jemand, der zu Hause einen anderen Menschen pflegt,
aber kurzfristig verhindert ist, im Rahmen der Verhinderungspflege und der Kurzzeitpflege eine professionelle
Pflegekraft organisieren oder den zu pflegenden Menschen in eine Pflegeeinrichtung bringen kann. Die Tatsache, dass man ständig im Druck ist, wenn man für die
Eltern die Pflege übernimmt oder organisiert hat, dass
man dann, wenn etwas dazwischenkommt, gar nicht
weiß, wie es weitergeht, das ist einer der Hauptstressfaktoren in der Pflege überhaupt. Viele Menschen sind in
Pflegeeinrichtungen, weil die Leute den Stress nicht bewältigt bekommen, die Pflege auch dann ständig vorhalten zu müssen, wenn es gerade nicht geht. Dem begegnen wir mit der deutlichen Flexibilisierung und Stärkung
der Verhinderungs- und der Kurzzeitpflege. Das ist eine
wesentliche Entbürokratisierung.
({17})
Das ist das, was die Menschen, die Angehörigen und die
zu Pflegenden, wünschen. Darauf sind wir eingegangen.
Das wurde hier mit keinem Wort gewürdigt.
({18})
Das gilt genauso für die sogenannten Entlastungsleistungen. Wir machen es jetzt zum Beispiel möglich, dass
man die Betreuungsleistung umwidmen kann, indem
man einfach für jemanden einkaufen geht. Wenn Sie sich
die Reform konkret vorstellen - es sind hier ja oft nur
Schlagworte, die vorgetragen werden -, dann betrifft das
jemanden, der einkaufen geht und für jemanden sorgt.
Hier kann die Leistung abgerechnet werden, auch wenn
es keine Betreuung ist. Wenn jemand Papierkram erledigt, zu einem Amt geht und so, dann kann das demnächst abgerechnet werden. Das ist von uns auch ein
Vertrauensbeweis gegenüber den Angehörigen. Denn
wir gehen nicht davon aus, dass das ausgenutzt wird.
Wir vertrauen den Angehörigen und den Pflegenden,
dass sie in dieser Zeit tatsächlich auch etwas für den zu
Pflegenden machen. Da sagen wir, ihr müsst nicht nachweisen, dass das immer nur Betreuungsleistungen sind,
sondern diese sogenannten Ergänzungsleistungen, Entlastungsleistungen sind alles Maßnahmen, die im Konkreten den Stress in der Familie und bei den zu Pflegenden wegnehmen. Das halte ich für richtig. Das sind
unbürokratische und gute Wege.
({19})
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wurde schon erwähnt. Da wird immer kritisiert, er kommt nicht schnell
genug usw., usf. Machen wir uns doch nichts vor: Es
sind 2,5 Millionen Menschen, auf die der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff langfristig angewendet wird. Wir
wollen sicherstellen, dass niemand weniger bekommt,
als ihm zusteht. Niemand soll schlechtergestellt werden.
Das muss in der Praxis funktionieren. Dieses Projekt hau
ruck einzuführen, wäre doch völlig unverantwortlich gewesen.
({20})
Machen wir uns doch nichts vor: Das ist die größte Veränderung in der Art und Weise, wie wir eine Sozialleistung bezahlen. Wir wollen ja, dass die Dinge unbürokratischer und besser werden. Es wäre rücksichtsloser,
unverantwortlicher Populismus gewesen, wenn wir,
ohne das in den Regionen auszutesten, dem „Druck der
Straße“ nachgegeben und im Hauruckverfahren einen
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt hätten.
({21})
- Obwohl Sie hierzu nicht einen einzigen konkreten Vorschlag zur Pflegereform vortragen können, erwarten Sie
von uns, für die gesamte Bevölkerung ein kompliziertes
System einzuführen, ohne dass wir es ausgetestet haben.
Diese Verantwortungslosigkeit haben wir nicht. Wir stehen dazu. Wir führen das zu dem Zeitpunkt ein, an dem
es angemessen ist, und zwar so schnell wie möglich.
Dieses Vertrauen haben wir verdient.
({22})
Ich komme auch noch zu dem Pflegevorsorgefonds.
Ich sage dazu schlicht und ergreifend meine persönliche
Meinung. Wir werden das diskutieren. Das ist ganz klar.
Das geht in diese Runden hinein, in denen wir alles verbessern wollen. Aber ich sage einmal das, was ich persönlich denke. Ich persönlich finde den Vorschlag nicht
falsch. Denn wir müssen Folgendes bedenken: Wir werden in 30 Jahren folgende Situation haben: Die Menschen werden durch sinkende Renten von Altersarmut
bedrängt werden, die Familien werden zum Teil zerbröckelt sein, höhere Scheidungsquoten, weniger Kinder.
({23})
- Hören Sie doch einfach zu! - Die Differenz zwischen
dem, was eine Familie dann finanziell und menschlich
einbringen kann, und dem, was dann gefordert wird,
wird für die Babyboomer-Generation größer sein als für
jede andere Generation davor.
Daher halte ich es persönlich nicht für falsch, dass wir
einen Teil dieses Geldes - es sind ja nur 20 Prozent der
Ausgaben, die wir jetzt beschließen - zurücklegen und
dann verbrauchen, wenn es die Leute benötigen. Das
gibt auch eine gewisse Sicherheit. Insoweit bin ich für
jeden zusätzlichen Vorschlag dankbar. Aber wir stehen
auch in diesem Punkt zum Koalitionsvertrag. Wir werden das diskutieren, aber wir stehen zum gesamten Paket. Ich glaube, dass wir insgesamt ein Paket vortragen
werden, das die Pflege entbürokratisiert, das die Pflege
ein Stück weit nachhaltiger macht und das die Pflege
menschlicher macht. Davon bin ich überzeugt.
Vielen Dank.
({24})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Maria KleinSchmeink, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich glaube, hier
im Haus fehlt es nie an wertschätzenden Worten für die
Pflege.
({0})
Aber an entscheidenden wertschätzenden Taten herrscht
seit Jahrzehnten in diesem Haus ein großer Mangel; das
müssen wir feststellen.
({1})
In der heutigen Diskussion geht es zum größten Teil um
die massiven Versäumnisse in den letzten acht Jahren.
Deshalb müssen wir davon sprechen, dass die Pflege am
Boden liegt und dass die Pflegekräfte und die Familienangehörigen nicht mehr können.
({2})
Das ist eigentlich die Grundsituation, über die wir nun
reden und die Sie überall vor Ort erleben.
Dann haben Sie sich als Union in der letzten Legislaturperiode in einem lang andauernden Streit mit der FDP
erlaubt, die Probleme im Pflegebereich auszusitzen. Sie
haben nichts Materielles auf den Weg gebracht. Sie haben nur kleinste Korrekturen vorgenommen und beispielsweise Stellen für Entlastungskräfte geschaffen.
Das ist tatsächlich nicht die Lösung des Problems. Deshalb reden wir hier so kontrovers über den Pflegebereich.
Karl Lauterbach, es ist sicherlich schön, staatstragend
zu reden. Wenn man in einer Großen Koalition ist, ist
das vielleicht auch notwendig. Aber ich muss wirklich
sagen: Die gleiche Rede, die Frau Scharfenberg eben gehalten hat, hätten Sie vor einem Jahr genauso gehalten.
Das halten wir fest.
({3})
Kommen wir zum nächsten Punkt. Nachdem Sie sich
endlich durchgerungen haben, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU, eine Erhöhung des Beitragssatzes in
der Pflegeversicherung um insgesamt 0,5 Prozentpunkte
und eine Ausweitung des Leistungskatalogs zu beschließen, erlauben Sie sich, davon etwas für ein teures Symbolprojekt abzuzwacken - es ist ein Drittel der Mehreinnahmen aus der Erhöhung um 0,3 Beitragssatzpunkte ab
1. Januar 2015 -, das kein einziges Problem lösen wird,
({4})
weder bei den Angehörigen noch bei den Pflegekräften
und auch nicht bei uns, den Finanziers und Beitragszahlern. Was nutzt es mir, wenn ich 2035 einen um
0,14 Prozent geringeren Beitrag zur Kranken- und PfleMaria Klein-Schmeink
geversicherung zahle? Das ist Irrsinn, was Sie hier machen. Sie parken das Geld quasi weg, das wir dringend
für Entlastungen im Pflegebereich brauchen. Das ist der
entscheidende Punkt.
({5})
Nun kommen wir zum nächsten Punkt. Sie heben sehr
stark auf die Entlastung der Angehörigen ab. Es ist sicherlich richtig, die verschiedenen Instrumente, die wir
heute haben, für die Entlastung zu flexibilisieren. Es
wäre überhaupt nicht nachvollziehbar, das nicht zu tun.
({6})
Darauf kann man sich aber nicht ausruhen. Wer sind
denn diese zusätzlichen Betreuungs- und Assistenzkräfte? Ich kenne - wahrscheinlich genauso wie Jens
Spahn - sehr viele solcher Kräfte bei uns im westlichen
Münsterland. Es handelt sich in der Regel um erfahrene
Hausfrauen, die nach der Familienphase und mit einer
Bezahlung in Höhe von 400 Euro in den entsprechenden
Einrichtungen arbeiten. Das ist aber kein Zukunftskonzept. Wir brauchen auf Dauer andere Wege, wenn wir
diesen wichtigen Teil abdecken wollen.
({7})
Denn bei diesem Konzept wird darauf gesetzt, dass diese
Frauen beispielsweise nicht in die Rentenversicherung
einzahlen und nicht in einem regulären Vollzeitarbeitsverhältnis stehen. Es handelt sich also um prekäre Bedingungen, auf die wir nicht grundsätzlich setzen können.
({8})
Frau Mattheis pocht nicht umsonst darauf, das Geld,
das Sie nun im Vorsorgefonds parken wollen, beispielsweise für die Verbesserung der Ausbildung der Pflegekräfte auszugeben. Wenn ich heutzutage ein Pflegeseminar besuche, dann sagen mir die Teilnehmer: Ich lerne
hier etwas, was ich eigentlich gerne tun würde. Aber ich
weiß schon heute, dass ich unter den hier herrschenden
Arbeitsbedingungen niemals länger als zehn Jahre arbeiten werde. - Das ist unwürdig für unsere Gesellschaft.
Das dürfen wir nicht erst am Ende der Legislaturperiode
ändern, sondern das müssen wir schnell angehen.
({9})
Aber wahrscheinlich werden wir erleben, dass die Erweiterung und die Neufassung des Pflegebegriffs, der
endlich für mehr Zeit in der Pflege sorgen könnte, erst
2017, also am Ende der Legislaturperiode, kommen werden. So sieht die Situation aus. Dann müssen wir uns
auch ehrlich damit befassen und dürfen nicht nur drum
herumreden.
({10})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Jens Spahn,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema der Pflege und die Frage, welche Herausforderungen Pflege für jeden Einzelnen bedeutet, sind mittlerweile in jeder Familie angekommen. Jeder hat als
Partner, als Kind, als Enkelkind erlebt, was es physisch
und psychisch für eine Familie bedeutet, wenn jemand
pflegebedürftig wird. Was heißt es eigentlich, pflegebedürftig zu sein?
Am Ende heißt es, die Dinge des Alltags - waschen,
aufstehen, essen - nicht mehr alleine tun zu können. Das
ist, glaube ich, eine Erkenntnis, die für jemanden, der
dies nach 75, 80 oder 85 Jahren im Safte nicht mehr
kann, ganz schwierig ist; sie ist nicht nur für den Betroffenen selbst schwierig, sondern auch für die Angehörigen. In dieser Situation Unterstützung zu leisten, ist das,
was Pflegeversicherung am Ende tun soll. Wir können
den Schicksalsschlag der Pflegebedürftigkeit nicht irgendwie ungeschehen machen, aber wir können so gut
es geht Unterstützung für die Familien, für den Pflegedienst der Nation, leisten. Das Pflegestärkungsgesetz,
das wir heute beraten, leistet einen ganz wichtigen Beitrag dazu, Familien und Pflegebedürftige in ihrer Situation zu unterstützen.
({0})
Kollege Lauterbach hat recht: Da helfen nicht die
grundsätzlichen wolkigen Worte, sondern es braucht
ganz konkrete Verbesserungen für die Pflegebedürftigen,
ihre Angehörigen und die Pflegekräfte.
Wenn man einmal schaut, Frau Kollegin
Scharfenberg, was wir denn konkret tun, dann wird man
eine ganze Menge sehen. Das eine ist der ambulante Bereich. Ich habe gerade gesagt: Die Familien sind der
Pflegedienst der Nation. Für die werden wir ganz konkrete Verbesserungen haben. Wir werden mehr Betreuungsleistung haben. Sie sagen, das sei nichts, aber ich
glaube, dass es für viele wichtig ist, drei, vier oder fünf
Stunden Entlastung zu haben, zu wissen, dass man von
zu Hause weg kann und sich einmal mit Freundinnen
treffen kann, dass man einkaufen gehen kann oder einfach den Kopf von der 24-Stunden-Pflege freibekommen
kann, weil man weiß, dass jemand da ist und sich zu
Hause um den Pflegebedürftigen kümmert. Das ist für
die, die konkret betroffen sind, eine große Hilfe. Es ist
kleinkariert, wie Sie, Frau Scharfenberg, das hier gerade
kritisiert haben.
({1})
Es ist auch eine konkrete Hilfe, dass zum 1. Januar
2015 mehr Geld für die Familien zur Verfügung steht,
weil wir die Sätze um 4 Prozent erhöhen, und es zusätzliche Flexibilität gibt - Stichwort Verhinderungs-, Kurzzeitpflege -, also das, was man braucht, um einmal eine
Auszeit für zwei oder drei Wochen nehmen zu können,
was ganz wichtig ist. Wir erhöhen die Mittel - Geld, das
direkt bei den Betroffenen ankommt -, wir erhöhen die
Flexibilität. Das hilft den Menschen konkret. Ich finde,
das kann man auch einmal in einer solchen Debatte anerkennen. Man muss nicht alles schlechtreden.
({2})
Das Gleiche gilt für die stationären Einrichtungen.
Die Betreuungskräfte leisten nicht die klassische Pflege,
und das sollen sie auch nicht, sondern sie sind da zur zusätzlichen Unterstützung, um Gespräche zu führen oder
um mit den Pflegebedürftigen spazieren zu gehen. Sie
entlasten damit die Pflegekräfte und machen insgesamt
möglich, dass mehr Zeit für den Einzelnen da ist. Das ist
es, was übrigens aus allen Pflegeeinrichtungen berichtet
wird.
({3})
Wenn Sie einmal vor Ort sind, dann werden Sie hören,
dass alle sagen: Es war eine der besten Maßnahmen der
letzten Jahre, dass es diese Betreuungskräfte gibt. - Wir
wollen die Zahl der Betreuungskräfte mehr als verdoppeln. Das sind ganz konkrete Verbesserungen. Man
könnte einmal anerkennen, Frau Kollegin Scharfenberg,
wie wir den Menschen helfen.
({4})
Seit zehn Jahren und länger wird über Bürokratieabbau geredet. Wir haben jetzt endlich beschlossen, dass
nicht mehr alles aufgeschrieben wird, was den ganzen
Tag in der Pflege geleistet wird, sondern, um es einfach
zu formulieren, es wird nur noch dokumentiert, was ungewöhnlich oder anders als sonst ist. Nach allem, was
wir wissen, reduziert das die Bürokratie um mehr als ein
Drittel. Selbst wenn es nur die Hälfte davon ist, wäre das
eine deutliche Verbesserung. Zum ersten Mal gibt es einen konkreten Vorschlag, wie der Alltag der Pflegekräfte
verbessert werden kann. Diesen Vorschlag müssen wir
jeder einzelnen Pflegeeinrichtung unterbreiten, damit die
Verbesserungen konkret spürbar werden.
({5})
Es ist einfach kleinkariert, was Sie gerade abgeliefert
haben. Sie haben nicht eine der konkreten Verbesserungen, die den Menschen und den Pflegebedürftigen helfen, gewürdigt,
({6})
sondern Sie haben pauschal alles vom Tisch gewischt.
Wenn das das Niveau ist, auf dem Sie die Debatte in den
nächsten Wochen führen wollen, dann bitte schön. Ich
glaube, wir haben gute Argumente und konkrete Vorhaben, die zeigen, dass wir wollen, dass es den Menschen
in der Pflege ab dem 1. Januar besser geht. Wenn Sie,
Frau Scharfenberg, pauschal bei Ihrer Position bleiben,
dann glaube ich nicht, dass das bei den Menschen ankommen wird.
({7})
Wir werden jetzt in zwei Schritten - auch darauf ist
hingewiesen worden - 6 Milliarden Euro mehr in der
Pflegeversicherung ausgeben. Das ist bei einem System,
das heute einen Umfang von 22 Milliarden Euro hat,
enorm. Das ist eine Erhöhung um ein gutes Viertel.
({8})
Sie haben mit einem recht: Geld allein bringt nichts.
Aber ohne zusätzliches Geld wird es auch nicht gehen.
Deswegen ist das ein sehr wichtiger, großer Schritt, den
wir auch immer angekündigt haben; denn in einer älter
werdenden Gesellschaft werden für das gesellschaftspolitische Megathema Pflege am Ende alle mehr Geld
brauchen.
Jetzt kommt es darauf an - ich glaube, die genannten
Beispiele haben es deutlich gemacht -, dass dieses Geld
am Bett ankommt, bei den Pflegebedürftigen, und nicht
bei den Sozialhilfeträgern, dass es nicht irgendwo im
System versickert, sondern ganz konkret am Bett in
Leistungsverbesserungen, in zusätzliche Betreuungskräfte, in mehr Zeit investiert wird. Die Maßnahmen, die
wir hier vorschlagen, stellen genau das sicher. Wir wollen das zusätzliche Geld ganz konkret bei den Menschen
haben. Es soll mehr Zeit, mehr Pflege, mehr Betreuung
bringen.
({9})
Das stellen wir sicher, auch wenn viele gerne gesehen
hätten, dass das Geld an anderer Stelle ausgegeben wird.
({10})
Nun zum Pflegebedürftigkeitsbegriff. Sie wissen ganz
genau, Frau Scharfenberg, dass man - auch wenn jetzt
zwei Gutachten vorliegen; das sagen die Pflegewissenschaftler und die anderen Sachverständigen selber nicht vom einen auf den anderen Tag hätte regeln können, dass Demenz und andere Einschränkungen im Alter
besser berücksichtigt werden.
({11})
Eines machen wir nicht - das ist ganz wichtig -: Wir machen kein Experiment mit 1 Million Menschen.
({12})
Jedes Jahr wird 1 Million Menschen in Deutschland in
der Pflegeversicherung neu daraufhin angeschaut, welche Unterstützung sie brauchen. Da machen wir nicht
mal eben, nur weil es ein theoretisches Gutachten gibt,
ein Gesetz, in dem wir regeln, was wir mit diesen Menschen machen. Möglicherweise stellen sich dann einige
schlechter; es gibt Unklarheiten und viel Durcheinander.
Stattdessen untersuchen wir gerade in diesen Wochen
parallel in der Praxis, in Studien, was sich konkret
- nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis Jens Spahn
ändert, um vor einer gesetzlichen Regelung herauszufinden, welche Folgen das hat. Das ginge - das wissen Sie
ganz genau - nicht von heute auf morgen. Wir machen
das mit der nötigen Gründlichkeit. Ich glaube, damit ist
den Menschen am Ende am besten geholfen.
({13})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Scharfenberg? - Bitte schön.
Vielen Dank, dass ich die Zwischenfrage noch stellen
darf. - Lieber Herr Kollege Spahn, Sie haben jetzt wunderbar ausgeführt, dass man das nicht von heute auf
morgen regeln und den Menschen überstülpen kann,
dass das ein sehr großer Umschwung und eine sehr
große Aufgabe ist. Wann ist Ihnen denn diese Erkenntnis
gekommen? Sie sind jetzt seit acht Jahren in der Regierung. Die Vorschläge liegen uns seit Jahren vor. Wenn
man vor vier Jahren angefangen hätte, sich damit auseinanderzusetzen, dann wären wir jetzt an dem Punkt,
dass wir das umsetzen könnten. Ich kritisiere nicht, dass
es Modellvorhaben gibt, sondern ich kritisiere den Zeitpunkt; ich kritisiere, dass es die erst jetzt gibt. Wann ist
Ihnen die Erkenntnis gekommen, und hätte das nicht
schon vor vier Jahren stattfinden können? Dann wären
wir und die Menschen im Land schon ein ganzes Stück
weiter.
({0})
Zunächst einmal sind wir und die Pflegebedürftigen
schon ein ganzes Stück weiter, denn wir haben in den
letzten Jahren, auch im Vorgriff auf diese Debatte, schon
viele zusätzliche Leistungen ermöglicht. Ich habe gerade
schon einige Leistungen für Menschen mit Demenz dargestellt; es ist ja nicht so, als ob es heute gar keine Leistungen gäbe. Weil wir wussten, dass diese Debatte noch
Zeit braucht, haben wir in den letzten Jahren im Vorgriff
bereits viele konkrete zusätzliche Verbesserungen auch
für Menschen mit Demenz beschlossen.
Zum Zweiten wissen auch Sie, dass das erste Gutachten aus der vorletzten Legislatur nicht gereicht hat. Frau
Ministerin Schmidt, die seinerzeit im Amt war, hat damals gesagt, damit könne man noch nichts konkret umsetzen. Deswegen haben wir in der letzten Legislatur
weiter daran gearbeitet. Dass im Beirat alle, bis auf einen, wieder mitgemacht haben, macht deutlich, dass alle
erkannt haben, dass der Bedarf, weiter an diesem Thema
zu arbeiten, vorhanden ist. Jetzt haben wir die Basis.
Man kann immer sagen: zu spät; hätte schneller geschehen müssen. Aber jetzt haben wir die Basis, das gründlich und vernünftig zu machen. Wir tun das, und das ist
das, was Sie eigentlich wurmt: dass wir es sind, die das
jetzt vernünftig umsetzen.
({0})
Das bringt mich abschließend zu dem Thema Vorsorgefonds, Vorsorgen für die Zukunft. Der Jahrgang 1964
ist der geburtenstärkste Jahrgang, den Deutschland jemals hatte. 1,4 Millionen Menschen wurden 1964 geboren; Sie werden nie wieder so häufig zu 50. Geburtstagen eingeladen wie dieses Jahr. Wir wissen schon jetzt,
ab wann die alle etwa pflegebedürftig werden. Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, besteht meistens ab 75,
80 Jahren. Wir wissen gleichzeitig, dass es zu diesem
Zeitpunkt in Deutschland deutlich weniger Beitragszahler geben wird als heute. Da ist es doch vernünftig, Vorsorge zu betreiben! Wenn man weiß, dass in den nächsten Jahren die Situation eintreten wird, dass wir
besonders hohen Unterstützungsbedarf haben, weil es in
Deutschland besonders viele Pflegebedürftige und
gleichzeitig viel weniger jüngere Menschen, die Beiträge zahlen können, geben wird, dann ist es doch kluge
Politik, über vier Jahre hinauszudenken und zu sagen:
Wir sorgen vor, wir sparen an, und zwar nicht nur zum
Schutz der Beitragszahler, sondern vor allem zum
Schutz der Pflegebedürftigen der Zukunft. Denn übermäßige Beiträge würden am Ende auch Debatten über
Leistungskürzungen bedeuten. Es braucht diesen Fonds,
um auch die in der Zukunft Pflegebedürftigen zu unterstützen. Deswegen wollen und werden wir ihn gemeinsam, wie dargestellt, schaffen.
({1})
Das ist Ihr Prinzip: Sie wollen das Geld am liebsten
heute ausgeben. Es gibt viele Vorschläge, wie man das
Geld, das wir jetzt sparen, heute noch zusätzlich ausgeben kann. Sie leben eh im Vorgestern. Diese Koalition
denkt an morgen. Wir denken an die Zukunft. Wir führen
zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungssystem in
Deutschland eine Säule ein, durch die zum Ausdruck gebracht wird, dass wir nicht nur an heute denken, dass wir
nicht nur - in der Vergangenheit zu Recht erworbene Ansprüche bedienen; vielmehr sorgen wir auch dafür,
dass dieses System fit für die Zukunft ist. Ich glaube, die
Basis für die Beratungen der nächsten Wochen ist gut.
({2})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Mechthild
Rawert, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesagt,
getan: Die SPD setzt sich schon seit langem mit dem
Thema Pflege auseinander. Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt hat das Recht auf Beratung eingeführt, Pflegestützpunkte, den Beirat zur Pflegebedürftigkeit, die Einrichtungen zur Prüfung von Qualität und, und, und.
Ohne das wäre es nicht möglich, dass wir heute dieses
erste Pflegestärkungsgesetz überhaupt auf den Weg bringen könnten.
({0})
Die SPD hat in Regierungs- und auch in Oppositionszeiten gründlich gearbeitet. Wir sind konstant am Ball
geblieben. Wir haben im Wahlkampf die 0,5-ProzentBeitragssatzerhöhung gefordert. Ich bin dankbar, dass
diese Koalition diese Forderung jetzt umsetzt; denn das
ist die Grundlage dafür, dass wir mittlerweile über zusätzlich 6 Milliarden Euro für den Bereich Pflege verfügen.
({1})
Wir haben schon vorhin über den Pflegebedürftigkeitsbegriff gesprochen. Ja, seit Einführung der Pflegeversicherung wird darüber gesprochen, dass wir eine
Ausweitung von den somatischen über die kognitiven
bis hin zu den psychischen Einschränkungen brauchen.
Das ist richtig; denn wir wollen mehr Selbstständigkeit.
Wir wollen soziale Teilhabe, und wir wollen eine stärkere Orientierung an Kommunikation.
Gesagt, getan: Dieses Pflegestärkungsgesetz bringt
mehr und bessere Leistungen für Pflegebedürftige, für
an Demenz Erkrankte. Vor allen Dingen bringt es mehr
und auch zusätzliche Leistungen für pflegende Angehörige.
Vorhin ist gesagt worden, das wäre alles nichts, und
auch wir würden es letztendlich als zu kleines Paket betrachten. Es ist richtig - ich habe schon mitbekommen,
dass die Koalitionsvereinbarung intensiv gelesen worden
ist -: Diese Debatte heute, die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs, ist ein Aufschlag:
Erstens. Wir werden ein zweistufiges Verfahren zur
Reform der sozialen Pflegeversicherung haben. Wir werden damit eine Dynamisierung des Leistungsrechts herbeiführen und somit mehr Geld - 4 Prozent zusätzlich
sind nicht zu unterschätzen - zur Verfügung stellen und
damit den Eigenfinanzierungsanteil tatsächlich senken.
Zweitens. Wir werden - es steht in der Koalitionsvereinbarung; es ist also schon vereinbart - ein neues Pflegeberufegesetz auf den Weg bringen.
({2})
- Keine Panik, Maria. Wir werden es haben, und wir
werden uns gegen Ende dieser Legislaturperiode die
Hände schütteln. - Ein solches Gesetz sorgt für mehr
Qualität durch mehr Fachkräfte. Alle wissen: In die Pflegeausbildung muss investiert werden. Wir wollen - auch
das steht in der Koalitionsvereinbarung - kein Schulgeld
mehr, und wir wollen mehr horizontale und auch vertikale Durchlässigkeit im Kontext der Pflegeausbildung.
({3})
Drittens. Wir wollen eine qualifiziertere, wohnortnahe
Pflegeberatung. Wir wollen einen Ausbau der Pflegestützpunkte. Ja, die Zukunft der Pflege liegt im Quartier. Aber
auch das steht letztendlich in unseren Vereinbarungen.
Viertens. Wir wollen eine Entlastung der Menschen in
den Pflegeberufen erreichen, unter anderem durch Personalmindeststandards. Ich selber bin keine Anhängerin
dieser Flashmobs, wo man sich freiwillig auf den Boden
legt, um damit zu symbolisieren: Tritt doch auf mich
drauf! Vielmehr bin ich eine Anhängerin davon, Pflege
tatsächlich stark zu machen, etwas, was hier in der Charité geschieht, das übrigens bundesweit als gutes Beispiel dienen kann. Das halte ich für einen sehr viel sinnvolleren Weg.
Ich finde es auch richtig - das ist eine der Forderungen, die wir haben -, dass in der Pflege Tariflöhne gezahlt werden müssen, einmal abgesehen vom Pflegemindestlohn. Das ist noch eine andere Baustelle, die aber
schon bearbeitet worden ist.
Wir sagen auch, Tariflöhne dürfen nicht so angesehen
werden, dass hinterher jemand sagt: Das ist ein unwirtschaftliches Verhalten. - Das ist tatsächlich ein Punkt,
über den wir noch reden müssen.
Wir werden - fünftens - selbstverständlich auch etwas zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf tun. Die
meisten Angehörigen sind erwerbstätig, und wir sagen
natürlich nicht - das gilt nicht nur für die Männer, sondern insbesondere für die Frauen -: Geht alle wieder in
den Haushalt zurück. Gebt eure Erwerbstätigkeit auf. Nein, wir suchen nach Wegen der Vereinbarkeit. Deswegen gibt es ja den Rechtsanspruch auf Pflegezeit. Wir
werden ihn ausbauen. Vor allen Dingen werden wir eine
gesetzlich geregelte zehntägige bezahlte Auszeit für
pflegende Angehörige einführen. Auch das ist Bestandteil der großen Baustelle Pflege.
Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich
sage das nicht nur, weil mittlerweile jede und jeder irgendwie Ahnung davon hat bzw. in der Familie davon
betroffen ist, sondern ich sage das, weil derjenige, der
von einer würdevollen Pflege spricht, auch Verantwortung dafür übernehmen muss, dass diese würdevolle
Pflege ausfinanziert wird und geleistet wird durch qualifiziertes Personal, durch letztendlich liebevolle Angehörige, die das auch schaffen und für die es nicht nur eine
zusätzliche Belastung ist.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Abgeordneten Zimmermann?
Ja.
Ich mache darauf aufmerksam: Das ist die letzte Zwischenfrage, die ich in dieser Debatte zulassen werde.
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kollegin
Rawert, diese Frage muss jetzt natürlich kommen. Wenn
wir von Ausfinanzierung einer auskömmlichen Pflege
reden, dann steht natürlich auch die Frage der solidariPia Zimmermann
schen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung im Raum.
Die SPD hat das ja im Wahlkampf auch proklamiert. Es
war auch auf euren Fahnen zu lesen. Die Frage ist: Wann
können wir denn damit rechnen? Wann bringt ihr das
denn in die Koalition ein, damit wir tatsächlich zu einer
auskömmlichen Pflege kommen, die wirklich rundum
finanziert ist?
Die SPD hat das Konzept der Bürgerversicherung sowohl für den Bereich Gesundheit als auch für die soziale
Pflegeversicherung nicht aufgegeben. Wir haben aber
derzeit eine andere Koalitionsvereinbarung. Karl
Lauterbach hat vorhin gesagt, er sagte es persönlich.
Okay, dann sage ich es auch persönlich. Ich trete in keinen Urheberstreit ein, wenn es um die Rechte für die
Pflegevorsorge geht. Das ist eindeutig „made by CDU/
CSU“. Das ist so. Aber das Konzept wird von uns spätestens im nächsten Wahlkampf weiter betrieben; denn
wir glauben an die Parität. Wir glauben an eine gerechte
Finanzierung. Wir glauben aber auch daran, dass es notwendig ist, jetzt viel Geld - über 4 Milliarden Euro - für
die Pflege bereitzustellen, und dass wir dieses auch umsetzen müssen.
({0})
Es wurde vorhin ein bestimmtes Bild von Familien
beschrieben. Ich glaube nicht, dass - ich sage jetzt einmal - die Familien in 20, 30 Jahren alle viel desaströser
sind oder Ähnliches mehr. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass eines den Bereich Pflege noch mehr herausfordert, nämlich die Vielfalt der unterschiedlichsten Lebenssituationen. Da sind selbstverständlich die Singles
zu nennen. Es gibt 15-jährige Enkeltöchter, die quasi als
Einzige in der Familie wissen, wie der Medikamentenplan für die Oma aussieht. Es gibt mittlerweile Wohngemeinschaften, wo die 102-jährige Mutter sich um das
Wohlergehen der 80-jährigen Tochter kümmert.
Es geht aber auch darum, diskriminierungsfreie
Räume zu schaffen: wie zum Beispiel den „Lebensort
Vielfalt“ hier in Berlin, wie zum Beispiel das Wohn- und
Lesbenprojekt „RuT - Rad und Tat“. Wir brauchen auch
in dieser Richtung viel mehr Ideen und Kompetenzen.
Wir brauchen eine kultursensible Pflege; denn eines
ist klar: Die Senioren und Seniorinnen aus dem Kreis der
Zugewanderten sind eine der größten Gruppen, die mittlerweile - so sage ich jetzt einmal - in die Pflegebedürftigkeit gehen. Aber unser Pflegesystem hat für deren
spezielle Bedürfnisse noch viel zu wenig Kompetenzen.
Ich sage auch - das war ein Punkt, der hier vorhin zur
Debatte geführt hat -: Ja, es bedarf noch der genaueren
Abgrenzung zwischen den Tätigkeiten der Betreuungskräfte, der Entlastungskräfte und auch der Pflegefachkräfte. Nichtsdestotrotz: Wir werden dieses Thema noch
diskutieren. Wir werden auch noch andere Bereiche diskutieren. Was ist zum Beispiel mit der Behandlungspflege? Das können wir aber heute nicht mehr machen,
zumal meine Redezeit schon zu Ende ist.
Ich wünsche allen eine schöne Sommerpause. Ich
lade Sie ein: Laden Sie uns ein! Erzählen Sie uns von Ihren Pflegeerfahrungen!
Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen.
Schaffen wir gemeinsam eine bessere Pflege!
Einen schönen Sommer!
({0})
Nächster Redner ist Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! 20 Jahre Pflegeversicherung. Eben sind die
folgenden Begriffe gefallen: Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, Pflegestärkungsgesetz. Das sind alles Gesetze, die sehr eng mit der
CDU/CSU verbunden sind. Liebe Frau Kollegin
Scharfenberg, auch die Grünen haben in Deutschland
eine Zeit lang Verantwortung getragen, und in diesen
Jahren stand die Pflege nicht auf ihrer Agenda.
Wir reden heute über die bedeutendste Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung seit ihrer Einführung. Wir
sprechen über die umfassendste Leistungsverbesserung
für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen.
Wir reden über verbesserte Arbeitsbedingungen für alle,
die in der Pflege tätig sind. Wir sprechen über geeignete
Maßnahmen, um rechtzeitig dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen. Wir reden über mehr Qualität,
mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände für gute
Pflege in Deutschland.
Die Pflegereform zählt zu den zentralen innenpolitischen Vorhaben der Koalition in dieser Legislaturperiode. Deshalb wollen wir den großen Wurf, und den
werden wir umsetzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Diese Koalition hält ihr Wort,
das sie den Pflegebedürftigen, den Angehörigen und den
Pflegekräften gegeben hat.
({0})
Auf die Details der Leistungsverbesserungen sind
meine Vorredner bereits ausführlich eingegangen.
Dass wir bei der Reform in zwei Stufen vorgehen, dafür gibt es gute Gründe. Die Abkehr von der Minutenpflege und die regelhafte Einbeziehung von an Demenz
erkrankten Menschen kann sinnvoll erst nach wissenschaftlicher Vorbereitung umgesetzt werden. Hier geht
Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Die neue Systematik
muss in sich schlüssig sein und einheitlich angewendet
werden. Das sind wir den Pflegebedürftigen schuldig;
denn vom künftigen Pflegebedürftigkeitsbegriff sind
Hunderttausende von Menschen betroffen.
Deshalb ist es richtig, das neue Begutachtungsverfahren in Modellversuchen auf seine Praxistauglichkeit zu
prüfen. Im Ergebnis werden alle, die ab einem bestimmten Stichtag pflegebedürftig werden, nach den neuen Bedingungen begutachtet werden. Alle diejenigen, die bereits eine Pflegestufe haben, erhalten Bestandsschutz.
Bereits mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz haben
wir Grundlagen für Verbesserungen zugunsten an Demenz erkrankten Menschen gelegt. Diesen Weg gehen
wir mit dem Pflegestärkungsgesetz konsequent weiter.
Ich sage es noch einmal: Die Koalition hält ihr Wort und
wird noch vor Ende der Legislaturperiode die zweite
Stufe der Reform verabschieden, durch die Menschen
mit demenziellen Erkrankungen in der Pflegeversicherung entscheidend besser gestellt sein werden.
({1})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch
eine Bemerkung zum Thema Bürokratieabbau und Dokumentation. Die Ombudsfrau für Entbürokratisierung
in der Pflege, Frau Beikirch, hat hervorragende Arbeit
geleistet. Jetzt kommt es darauf an, die Ergebnisse möglichst rasch mit allen Beteiligten umzusetzen. Weniger
Bürokratie bedeutet mehr Zeit für Zuwendung.
({2})
Die Dokumentation muss auf das Maß reduziert werden, das zur Qualitätssicherung wirklich notwendig ist.
Es muss uns um die Qualität der Ergebnisse gehen, um
das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Selbstständigkeit von Pflegebedürftigen und weniger um die
Strukturqualität. Die Dokumentation sollte deutlich reduziert werden, indem nur bei Abweichungen vom Regelfall Dokumentation notwendig ist.
({3})
Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das sogenannte Wingenfeld-Modell. Hier liegt der Fokus darauf, wie sich der Pflegezustand eines Bewohners im
Laufe der Zeit verändert und wie sich die Pflege im Einzelfall konkret auswirkt, soweit das von den Mitarbeitern beeinflusst werden kann. Wichtig ist mir vor allem,
dass wir Qualität, Bürokratieabbau und Transparenz in
der Pflege nicht gesondert betrachten, sondern als Dreiklang. Dazu gehört auch die Harmonisierung der Prüfkriterien der Medizinischen Dienste der Krankenkassen
und der Heimaufsicht.
({4})
Meine Damen und Herren, auch die Pflege kann nicht
isoliert betrachtet werden. Wir müssen deshalb die Zukunft der Pflege innerhalb von Strukturen planen, in denen ambulante und stationäre Versorgung in der Pflege
zusammenwirken. Ein Beispiel ist die zugehende ärztliche Versorgung von Pflegebedürftigen oder Vorkehrungen für Notfallsituationen an den Wochenenden. Sie
helfen dabei, den Bewohnern belastende Klinikeinweisungen zu ersparen. Wir werden zudem unsere große
Pflegereform mit einer ganzen Reihe weiterer Maßnahmen flankieren, wie dem Ausbau der Vorsorge in einem
neuen Präventionsgesetz oder der Förderung von innovativen Versorgungsformen von niedergelassenen Ärzten oder Kliniken.
Mit der Reform der Pflege und ihren Vorhaben im
Gesundheitswesen verfolgt diese Koalition eine weitsichtige Politik, die sich konsequent an mehr Qualität
und am Nutzen für die Betroffenen orientieren wird.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSUFraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wir besprechen heute die erste Stufe der Pflegereform; so möchte ich es nennen. Sowohl in der häuslichen als auch in der stationären Pflege gibt es immer
mehr Menschen mit Demenzerkrankungen, was sich in
einer stärkeren Berücksichtigung im vorliegenden Gesetzentwurf widerspiegelt. Über zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Deutschland werden nach wie vor zu
Hause gepflegt. So viel dazu, dass Familie im Jahr 2014
angeblich nicht mehr funktioniert. Ich kann nur sagen:
Das ist das Leben des Generationenvertrages. Ich sage
allen Angehörigen: Respekt und herzlichen Dank, dass
Sie sich tagtäglich dieser Aufgabe stellen.
({0})
Gesellschaftliche Veränderungen, neue Familienstrukturen sowie die berufliche Situation vieler pflegender Angehöriger erfordern Maßnahmen zur Stabilisierung und flexibleren Gestaltung der häuslichen Pflege,
die wir heute auf den Weg bringen. Deshalb tun wir das
auch. Auch hinsichtlich der stationären Pflege besteht
Verbesserungsbedarf. Auch das gehen wir an. Hier erfolgen weitere Verbesserungen der ergänzenden Betreuung
der Pflegebedürftigen.
Mit dem Gesetz werden viele notwendige Schritte
aufgegriffen, auf die meine Vorredner bereits eingegangen sind. Besonders wichtig ist, dass in einer späteren
zweiten Stufe dieser Pflegereform bis 2017 ein neuer
Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt wird. Dies ist notwendig, da der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff rein
somatisch ausgerichtet war, nun aber auch andere wesentliche Aspekte wie Kommunikation und soziale Teilhabe berücksichtigt werden können. Damit werden insbesondere für Menschen mit Demenzerkrankungen oder
psychischen Problemlagen Verbesserungen einhergehen.
Aber ich sage nochmals - das möchte ich unterstreichen -: „Satt und sauber“ ist nicht unsere Vorstellung
von stationärer Pflege. In unserer Vorstellung ist die hygienische Versorgung und eine alters- und patientengeErich Irlstorfer
rechte Ernährung eine Selbstverständlichkeit. Unser Anspruch ist eine individuelle und vor allem auch
personifizierte Pflege, bei der das persönliche Gespräch,
das kurze Innehalten am Pflegebett und somit auch
Nächstenliebe und Menschlichkeit von Pflegerinnen und
Pflegern regelmäßig gelebt werden können und nicht die
Ausnahme sind.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Diese
Bundesregierung setzt sich für eine massive Verbesserung im Bereich der Pflege ein. Das ist ein Hauptthema
dieser Legislaturperiode und vor allem ein Zukunftsthema für ganz Deutschland. Das dürfen wir nicht verschweigen, und wir lassen uns das auch nicht kleinreden.
Aber ich sage auch: Die Pflegeversicherung hat einen
Teilkaskocharakter. Staatliche Maßnahmen können hier
nur eine Säule der Unterstützung bilden. Gerade daher
ist es notwendig, ein gewisses Erwartungshaltungsmanagement zu betreiben und zu betonen, dass das alles nur
ein erster Schritt in die richtige Richtung ist. Es ist nicht
möglich, alles auf einmal zu erreichen. Doch unser tägliches Bestreben ist es, für Pflegebedürftige, für Angehörige und für Beschäftigte im gesamten Pflegebereich
deutliche Verbesserungen herbeizuführen, die auch
wirklich ankommen.
Es gibt im Bereich der Pflege auch weitere wichtige
Felder, auf denen Handlungsbedarf besteht. Dazu gehört
vor allem die haus- und fachärztliche Versorgung. Hier
stehen wir vor der Aufgabe, dass pflegebedürftige Menschen immer noch zu oft für Routineuntersuchungen und
-behandlungen in Krankenhäuser transportiert werden
müssen. Dies führt zu einer erheblichen Belastung der
Pflegebedürftigen sowie zu enormen Kosten für das Gesundheitssystem. Weitere Schritte zur Verbesserung der
Situation sind aber notwendig. Wir dürfen uns hier auch
neuen Versorgungs- und Behandlungsformen nicht verschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur in diesem
Punkt besteht Verbesserungsbedarf. Deshalb bauen wir
zum einen auf eine konservative Strategie, die ich vorhin
mit den Worten Nächstenliebe und Menschlichkeit beschrieben habe. Zum anderen bauen wir auf eine innovative Strategie, die zum Beispiel auch auf digitale Lösungen bei der Pflege, vor allem bei der Dokumentation,
setzt. Hier erkenne ich enorme Potenziale für telemedizinische Lösungen, die zu deutlichen Verbesserungen in
der Betreuung und Behandlung führen können. Wir
brauchen ein Dokumentationssystem, das sich mehr an
den wirklich wichtigen pflegerelevanten Bereichen ausrichtet und die Ergebnisqualität aufzeigt. Statt der reinen
Dokumentation müssen künftig der Zustand und der Bedarf des Menschen sowie die Frage, wie es ihm geht,
stärker im Mittelpunkt stehen.
({2})
Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass wir in
Bayern Initiativen ergriffen haben, um den Bürokratieaufwand im Pflegebereich zu verringern. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege begleitet das Projekt Redudok von Einrichtungsträgern, der
Heimaufsicht München und des MDK. Die Dokumentations- und Kommunikationsstrukturen in Pflegeeinrichtungen werden in diesem Projekt kritisch analysiert und
Anregungen zum Bürokratieabbau erarbeitet.
Aber auch auf Bundesebene wird das Thema engagiert angegangen. Ich bin dem Patienten- und Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann,
dankbar, dass er sich gerade auch bei diesem Thema engagiert.
Eine neue Pflegedokumentation, die den inhaltlichen
und rechtlichen Anforderungen entspricht, ist entscheidend, gerade auch für die Beschäftigten in der Pflege.
Denn diese Dokumentation stellt klar, dass nicht jede
einzelne Tätigkeit beschrieben werden muss und es
trotzdem zu keinen negativen Haftungskonsequenzen für
den einzelnen Beschäftigten kommt. Auch das ist eine
Verbesserung.
({3})
Diese Bundesregierung investiert nicht nur in Straßen, Schienen und Gebäude - nein, diese Bundesregierung investiert in Menschen, in Bildung und Ausbildung,
weil wir alle wissen, dass die demografische Entwicklung einen Fachkräftemangel erstens schon bewirkt hat
und sich dieser zweitens noch verschärfen wird.
Gleichzeitig wissen wir, dass Pflegeberufe schwere
Berufe sind, die leider oft finanziell und gesellschaftlich
unzureichend anerkannt werden. Mit anderen Worten:
Wenn wir wollen, dass eine angemessene Versorgung in
der Pflege gewährleistet wird, müssen wir sicherstellen,
dass wir genügend Pflegerinnen und Pfleger ausbilden
und der Beruf so attraktiv ist, dass die ausgebildeten
Kräfte ihn gerne und lange ausüben.
({4})
Das heißt, dass sie Aufstiegsmöglichkeiten haben müssen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet sein muss, und vor allem, dass sie anständig
bezahlt werden und davon auch leben können müssen.
({5})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Deshalb müssen wir nach der Sommerpause die Weichen stellen, wie wir die Pflegeausbildung neu definieren. Dazu brauchen wir aber auch die Bundesländer. Ich
sage ganz deutlich: Monatliches Schulgeld für Auszubildende in der Pflege kann nicht die Antwort auf Pflegekräftemangel sein.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss
der heutigen Debatte -
Aber jetzt bitte zum Schluss.
Jawohl. - Ein herzliches „Vergelts Gott“ an alle Beteiligten! Ich hoffe, Sie stimmen diesem Gesetzentwurf
zu. - Frau Präsidentin, herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. Es ist immer so, dass wir alle gemein-
sam die Redezeiten vereinbaren und deshalb auch alle
gehalten sind, sie einzuhalten.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/1798, 18/1600 und 18/1953 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-
sen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kohleausstieg einleiten - Überfälligen Strukturwandel im Kraftwerkspark gestalten
Drucksache 18/1962
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Energiewende durch Kohleausstiegsgesetz absichern
Drucksache 18/1673
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte jetzt die Kollegen, die den Saal verlassen
wollen, dies zu tun.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Annalena
Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
Schönen guten Morgen, sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Wir brauchen einen
… Entwicklungspfad des konventionellen Kraftwerksparks, der mit den klimapolitischen Zielen
der Bundesregierung im Einklang steht. Insbesondere muss vermieden werden, dass das nationale
Klimaschutzziel verfehlt wird, wenn erneuerbare
Energien ausgebaut und die Energieeffizienz verbessert wird, aber nicht im Gegenzug fossile Stromerzeugung um- und abgebaut wird.
({0})
Jetzt müssten Sie von den Regierungsfraktionen eigentlich klatschen, weil das die Ansage aus dem Bundesumweltministerium vom Frühjahr dieses Jahres ist,
({1})
geschrieben im Lichte des Weltklimaberichtes, der hier
in Berlin vorgestellt wurde und sehr deutlich gemacht
hat: Einen unkontrollierbaren Klimawandel können wir
nur verhindern, wenn der größte Teil der weltweiten
Kohlevorräte dort bleibt, wo er ist, nämlich unter der
Erde.
({2})
Es wundert nicht nur uns Grüne, dass ein paar Wochen nach der Veröffentlichung eines solchen Berichts,
den die Bundesregierung offiziell entgegengenommen
hat, in Brandenburg beschlossen wird, genau das Gegenteil zu tun, nämlich bis 2040 weiter Kohle auszubuddeln,
die man eigentlich unter der Erde lassen wollte. Das
wundert, wie gesagt, nicht nur uns Grüne, sondern mittlerweile selbst die Amis.
In der New York Times hieß es, dass es schon etwas
„strange“ sei, also sehr merkwürdig und komisch, dass
die Kanzlerin auf der einen Seite beschließt, Klimapolitik wieder zur Vorreiterpolitik zu machen, und auf der
anderen Seite in Ostdeutschland ganze Dörfer ausradiert
werden. Auch uns als Klimapolitikern - da schließe ich
die CDU/CSU und die SPD ein - ist es immer wieder
peinlich; denn wir haben, wenn wir auf internationalen
Konferenzen angesprochen werden, wie es denn sein
könne, dass wir die erneuerbaren Energien ausbauen und
unsere CO2-Emissionen trotzdem steigen, leider gar
keine Antwort.
({3})
Nachdem es die Amerikaner begriffen haben, müssen
auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU und SPD, begreifen: Deutschland kann nicht Energiewendeland werden wollen und gleichzeitig Kohleland
bleiben; das geht nicht.
({4})
Sie hätten gleich noch eine zweite Chance, das zu revidieren. Aber leider setzt sich Ihre energiepolitische
Schizophrenie im EEG weiter fort. Das ErneuerbareEnergien-Gesetz wird zu einem „Erneuerbaren-Beschneidungs-Gesetz“ zum Schutz der Kohle. Das ist
wirklich absurd.
({5})
Da hilft es auch nichts, dass das Bundesumweltministerium jetzt ein Aktionsprogramm - mittlerweile heißt es
„mittelfristiges Sofortprogramm“; auch sehr schizophren auf den Weg bringen will - ich habe eingangs daraus zitiert -; denn es ist zu befürchten, dass das Wirtschaftsministerium - der Minister selbst ist jetzt leider nicht da auch diesmal wieder getreu nach dem Motto verfahren
wird: Was schert mich das Geschwätz aus dem Bundesumweltministerium? Anders kann man nicht erklären,
dass die Bundesumweltministerin sehr richtig ankündigt,
dass 2 Milliarden Zertifikate aus dem ETS genommen
werden müssen,
({6})
aber die Bundesregierung in Brüssel die Position vertritt:
Herausnahme von 900 Millionen Zertifikaten. Das reicht
definitiv nicht aus. Das ist ein Affront gegen die Umweltministerin.
({7})
Ähnlich ist es beim Entwicklungspfad für fossile
Kraftwerke. Das Umweltministerium kündigt das groß
an - sogar im Spiegel steht, man wolle jetzt aus der Kohlekraft aussteigen -, aber wenn man dann die Bundesregierung konkret fragt, antwortet wieder das Bundeswirtschaftsministerium. Dort heißt es: Nein, keineswegs, die
Bundesregierung beabsichtige nicht, Kohlekraftwerke
vom Markt zu nehmen. - Das passt doch vorne und hinten nicht zusammen.
({8})
Liebe SPD, Sie müssen sich jetzt wirklich einmal entscheiden, ob Ihre Umweltministerin in der Regierung
noch eine Rolle spielen soll oder ob Herr Gabriel das
jetzt alles einfach übernimmt. Sie müssen sich entscheiden, ob Umwelt- und Klimapolitik für Sie noch eine
Rolle spielen wird.
({9})
Denn ein bisschen Energiewende - das geht genauso wenig wie: ein bisschen schwanger; man muss sich entscheiden, was man will. Sie sollten sich schnell entscheiden; denn die CDU/CSU hat sich leider - das müssen
wir zu unserem großen Bedauern feststellen - von diesem Thema verabschiedet.
Merkel hat beschlossen:
({10})
Während andere Staats- und Regierungschefs in New
York über das Weltklima diskutieren, möchte sie, Frau
Merkel, lieber etwas anderes tun. Es heißt, sie habe
Wichtigeres zu tun.
({11})
- Da klatschen Sie auch noch? Das ist ja unglaublich.
({12})
- Das ist ja nett, dass sie wenigstens bei dem Begriff
„Frau“ klatschen. Schön, dass Sie so an einzelnen Wörtern hängen.
({13})
Sie müssen sich also entscheiden, mit welcher Position Sie nach New York reisen. Bisher ist unklar, welcher der SPD-Minister - Frau Hendricks, Herr Gabriel
oder vielleicht Herr Steinmeier - nach New York fahren
wird. Aber wer auch immer fährt: Einer von denen muss
eine Antwort darauf geben, was Deutschland zu der Forderung sagt - mit der Annahme des IPCC-Teilberichts
hat man das zugesagt -, dass man die Kohle in Zukunft
unter der Erde lassen soll.
Damit Sie nicht ganz nackig dastehen, wenn Großbritannien sagt: „Also wir haben jetzt CO2-Grenzwerte eingeführt, damit das Betreiben von Kohlekraftwerken ausläuft“, damit Sie nicht ganz nackig dastehen, wenn
Obama sagt
({14})
- Herr Freese, jetzt regen Sie sich einmal ab. -: „Wir reduzieren unseren CO2-Austoß aus Kohlekraftwerken um
30 Prozent“, haben wir als Opposition etliche Vorschläge auf den Tisch gelegt, von denen Sie sich gerne
welche aussuchen können.
Wir regen an, dass Sie sich in der Sommerpause einmal das Bergrecht vornehmen, und zwar nicht nur zum
Thema Fracking, sondern auch zum Thema Kohle, um
dann vorzuschlagen, dass in Zukunft neue Tagebaue
nicht mehr genehmigt werden.
({15})
Damit Sie in New York nicht im Schatten von Obama
stehen müssen, regen wir an: Denken Sie darüber nach,
wie Sie das Bundes-Immissionsschutzgesetz so ändern
können, dass die Menschen in Deutschland vor Quecksilber genauso geschützt sind wie in den USA. Wir regen
insbesondere an - ich bitte darum, hier etwas genauer
zuzuhören -, dass Sie einen Plan vorlegen, wie Sie aus
der Kohle aussteigen können. Unser Vorschlag ist, CO2Grenzwerte einzuführen. Das würde endlich Planungssicherheit in den fossilen Kraftwerkspark bringen. Es kann
doch nicht sein, dass die Gaskraftwerke mittlerweile
vollkommen aus dem Markt gedrängt werden. Es kann
auch nicht in Ihrem Sinne sein, Herr Pfeiffer, dass eine
Branche komplett plattgemacht wird.
({16})
Schauen Sie sich diesen Vorschlag einmal genauer an.
Denn die anderen Länder könnten Sie in Lima oder in
Paris fragen
({17})
- es ist interessant, dass Sie mich dauernd belehren müssen. -: Wie kann es denn sein, dass fünf Kohlekraftwerke in Deutschland genauso viel CO2 ausstoßen wie
die 90 emissionsärmsten Länder der Welt? - Das ist
doch unglaublich. Lassen Sie sich das einmal auf der
Zunge zergehen.
({18})
Ihre Antwort, liebe CDU, dass es doch völlig egal sei, ob
Deutschland international etwas tue, ist nicht zielführend. Wenn Sie nicht an die Kohle herangehen, werden
wir keinen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
({19})
Sie rufen immer herein, wie absurd das Ganze sei und
dass wir Grüne - das wird jetzt sicherlich auch von
Herrn Pfeiffer kommen ({20})
den Industriestandort Deutschland ganz bewusst kaputtmachen wollten. Deshalb zitiere ich zum Abschluss
nicht uns Grüne, sondern den Präsidenten der Weltbank
- das ist sicherlich keine ökofundamentale Organisation -, Dr. Jim Yong Kim:
Es gibt keine Ausreden mehr, 2014 muss das Jahr
des Klimaschutzes sein. Und nicht nur, um unseren
Planeten zu schützen, sondern auch, um der Weltwirtschaft einen neuen Schub zu verleihen.
({21})
In diesem Sinne hoffen wir auf Ihre zweite Halbzeit
2014. Nutzen Sie die Sommerpause erkenntnisreich.
Schauen Sie sich unsere Vorschläge an. Ich kann verstehen, wenn Sie nicht mit einem grünen Antrag am Strand
liegen wollen.
Frau Kollegin Baerbock, ich erinnere Sie an die vereinbarte Redezeit.
Ich komme zum Schluss. - Nehmen Sie statt unseres
Antrags dann halt den DIW-Bericht, den Bericht des
größten Wirtschaftsforschungsinstituts Deutschlands.
Auch die haben einen Plan vorgeschlagen, der beinhaltet, über die Festlegung von CO2-Grenzwerten aus der
Kohle auszusteigen. Nehmen Sie sich das zu Herzen. Lesen Sie das und machen Sie Ihre Vorschläge im zweiten
Halbjahr. Denn eines geht nicht: nichts zu tun und den
Kopf weiter in den Kohlesand zu stecken.
Herzlichen Dank und einen schönen Sommer.
({0})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Baerbock, wir debattieren heute
über einen Antrag, den die Fraktion der Grünen eingebracht hat. Ich finde das, was Sie hier fordern, ziemlich
unseriös. Es ist so, als ob man Äpfel mit Birnen vergleichen würde.
({0})
Wie ist denn der Status quo der Stromerzeugung? Wir
reden zunächst einmal über die Stromerzeugung in
Deutschland. Wir haben den Anteil der erneuerbaren
Energien von 7 Prozent in 2000 auf heute 25 Prozent
ausgebaut. Wir wollen und werden sie weiter ausbauen.
Tatsache ist, dass die Kohle heute 45 Prozent der Stromversorgung in Deutschland erbringt. Die Kohle wird
noch auf absehbare Zeit einen Großteil der Stromerzeugung erbringen müssen. Denn wir sind - dazu haben Sie
kein Wort gesagt - gerade dabei, aus der Kernenergie
auszusteigen. Die Kernenergie hatte einen Anteil von
30 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland und
war und ist CO2-frei.
({1})
Wir hatten 2010 knapp 30 Prozent Kernenergie und
10, 15 Prozent erneuerbare Energien. Das heißt, 45 Prozent der Stromerzeugung waren CO2-frei. Im Zuge des
Ausstiegs aus der Kernenergie ersetzen wir nur die
Kernenergie durch die erneuerbaren Energien. Das ist
die Wahrheit.
({2})
Das ist Ihre Politik, die Sie favorisiert haben und die
auch die Mehrheit des Hauses hier so beschlossen hat.
Ich war anderer Meinung, aber die Mehrheit hat es so
beschlossen. Zur Wahrheit gehört das dazu. Heute stellen Sie sich hierhin und beklagen, dass die Kohle unter
CO2-Gesichtspunkten noch diese Rolle spielt, die sie
- nach Ihrer Meinung - gar nicht mehr spielen müsste.
Auch das gehört zur Wahrheit.
Die Entscheidung, die getroffen wurde, wurde so begründet: Die Nutzung der Kernkraft ist unverantwortlicher, und die Problematik bei der Kernkraft ist noch größer. - Eines geht aber mit Sicherheit nicht: aus beidem
gleichzeitig auszusteigen.
({3})
Der Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland wird
es sich nicht leisten können, gleichzeitig aus der Kernenergie und der Kohle auszusteigen. Um die Ziele zu erreichen, werden wir zwar im Lauf der Zeit aus beiden
Energien aussteigen, aber sicher nicht so, wie Sie es vorschlagen.
Ich finde es schon ein bisschen scheinheilig - das
muss ich sagen -, wenn Sie Fortschritte in den USA bei
der Emissionsreduzierung als Beispiel heranziehen,
gleichzeitig aber kein Wort zur Schiefergasförderung sagen, obwohl dies der alleinige Grund dafür ist, dass die
CO2-Emissionen in den USA zurückgehen.
({4})
In den USA hat ein Fuel Switch von der Kohle zum Gas
stattgefunden. Allein deshalb sind die Emissionen in den
USA um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen. So ist die
Kohle ersetzt worden.
({5})
Das ist die andere Seite der Wahrheit. Aus diesem Bereich wollen Sie aber auch aussteigen bzw. erst gar nicht
in diesen Bereich einsteigen. Sie verteufeln diese Technologie ja von vornherein.
({6})
Insofern ist das, was Sie uns hier heute erzählen, wirklich unredlich.
({7})
Kommen wir zur Nutzung der erneuerbaren Energien.
Wir haben zurzeit zwei Stromerzeugungssysteme. Aber
nur die Energieerzeugung im Bereich der konventionellen Systeme kann eine gesicherte Leistung erbringen.
Was nützt uns eine hohe installierte Leistung im Bereich
der Photovoltaik, wenn wir heute noch zu 100 Prozent
Kapazitäten fossiler Energieträger, also konventioneller
Kraftwerke, vorhalten müssen, um die Leistung zu gewährleisten, wenn die Sonne nicht scheint? Beim Wind
sind es 90 Prozent. Insofern ist es auch unredlich, wenn
Sie hier behaupten, durch einen mengenmäßigen Ausbau
des Bereichs der erneuerbaren Energien wäre die benötigte Energie in Deutschland zu erzeugen.
Ich nenne ein weiteres Stichwort: Versorgungssicherheit. Die Braunkohle ist - das ist nun wirklich unstrittig - ein heimischer Rohstoff. Er ist in ausreichender
Menge vorhanden, und er ist subventionsfrei, anders als
andere Energieträger wie die erneuerbaren Energien, die
wir gerade ausbauen. Die Braunkohle ist subventionsfrei
und absolut wettbewerbsfähig. Die erschlossenen Tagebaue reichen noch für weitere 30 Jahre. Das ist übrigens
auch der zeitliche Horizont unserer energiepolitischen
Einsparziele, unserer CO2-Reduktionsziele
({8})
und des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang sprechen wir über 2050.
Zu dem, was ich jetzt anspreche, haben Sie bisher
nichts gesagt. Ich bin gespannt, was Sie im weiteren Verlauf dieser Debatte noch dazu sagen werden. Sie blenden
die Realitäten aus, greifen in eine Schublade und arbeiten sich daran ab, ohne darauf zu achten, dass die Dinge
zusammenpassen. - Braunkohle wird in Deutschland
verstromt. Der Strom aus Braunkohle ist zu 90 Prozent
KWK-Strom
({9})
und fließt in die Fernwärme.
({10})
Das heißt, ohne Braunkohle werden wir auch unsere
KWK-Ziele nicht erreichen.
({11})
- Zu 90 Prozent in Strom- und Fernwärmeerzeugung.
Das ist doch unstrittig.
({12})
Herr Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?
Selbstverständlich, gerne.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Pfeiffer, für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Sie haben gerade
eine ganz abenteuerliche These aufgestellt. Sie haben
behauptet, der in Deutschland erzeugte Strom aus
Braunkohle sei KWK-Strom und damit klimafreundlich.
Ich komme aus einem rheinischen Braunkohlerevier.
Die in den dortigen Kraftwerken stattfindende Braunkohleverstromung führt zu einer Leistung von ungefähr
10 000 Megawatt. Etwa 100 bis 200 Megawatt davon
fließen in die Wärmenutzung. Am Ende fließen also nur
ein paar Prozent in die Wärmenutzung. Könnten Sie mir
vor diesem Hintergrund erläutern, wie Sie auf die abenteuerliche These kommen, dass 90 Prozent des in
Deutschland erzeugten Braunkohlestroms KWK-Strom
ist?
In Strom und KWK.
Ich stelle hier die umgekehrte Behauptung auf, dass
95 Prozent des in Braunkohlekraftwerken erzeugten
Stroms reiner Kondensationsstrom mit Wirkungsgraden
von teilweise unter 30 Prozent und entsprechenden Klimaemissionen ist. Können Sie mir erklären, wie Sie zu
Ihrer Behauptung kommen?
({0})
Das kann ich gerne tun und es wiederholen - ich habe
das vorhin schon gesagt -: 90 Prozent der Braunkohleenergie wird zur Erzeugung von Strom und Fernwärme
eingesetzt. Wir werden die KWK-Ziele ohne Braunkohle
nicht erreichen.
({0})
- Noch einmal: Wir werden die KWK-Ziele ohne Braunkohle nicht erreichen. Wie die Situation in Ihrem Wahlkreis ist, weiß ich nicht im Detail. Aber schauen Sie sich
einmal an, wie KWK in den neuen Bundesländern eingesetzt wird.
({1})
Deshalb haben auch Sie die KWK-Ziele mitbeschlossen.
Bis zum Jahr 2020 wollen wir das KWK-Ziel von
25 Prozent erreichen.
({2})
Dieses Ziel werden wir ohne die Braunkohle nicht erreichen. Das ist in der Sache ja wohl unstrittig;
({3})
das können Sie auch nachrechnen.
Sie haben die Technologie angesprochen; dieses
Thema können wir in der Tat gerne vertiefen.
({4})
- Die Frage ist noch nicht beantwortet, Herr Krischer.
({5})
- Nein, die Frage ist noch nicht beantwortet;
({6})
ich sage Ihnen noch, wie wir unsere Ziele erreichen.
Sie haben, wie gesagt, die Technologie angesprochen,
und zwar zu Recht. Die CO2-Emissionen durch Kohleverstromung betragen in Deutschland im Moment ungefähr 380 Kilogramm je Megawattstunde. Weltweit sind
es etwa 1 100 Kilogramm; das ist fast das Dreifache. Das
heißt, die weltweiten Klimaziele - ich komme nachher
noch auf die weltweite Situation zu sprechen - werden
wir ohne die entsprechenden Wirkungsgrade in Deutschland nicht erreichen. Sind Sie etwa gegen die weltweiten
Klimaziele? Ich hoffe nicht, dass dem so ist.
({7})
- Ja, die Argumente sind falsch; das ist klar, dass Sie das
sagen.
({8})
- Werden wir die KWK-Ziele ohne Braunkohle bis 2020
erreichen können, Herr Krischer? Nein.
({9})
Wie sieht die technologische Situation aus? Steinkohlekraftwerke haben in Deutschland einen Wirkungsgrad
von 46 Prozent, Braunkohlekraftwerke von ungefähr
43 Prozent.
({10})
Was bedeutet das? Da Sie ja CO2-Emissionen einsparen
wollen, sage ich Ihnen: Der Wirkungsgrad beträgt im
weltweiten Durchschnitt 30 Prozent.
({11})
- Sie wollen die Zahlen, die Fakten und die Realitäten
nicht wahrhaben. - Die CO2-Emissionen betragen ungefähr 1 200 Gramm je Kilowattstunde.
({12})
- Der weltweite Durchschnitt liegt bei 30 Prozent.
({13})
- Auch Sie haben gerade davon gesprochen, wie die Situation weltweit ist.
({14})
Jetzt zu unseren Kraftwerkskapazitäten. Sie wollen
den Export unserer Technologie ins Ausland unterbinden. Sie haben im Ausschuss kürzlich beantragt, dass
unsere hocheffiziente Kohletechnologie nicht ins Ausland exportiert werden soll. Sie stellen sich also hierhin
und beklagen die weltweit ansteigenden Emissionen.
Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie eine Reduzierung erreichen?
({15})
Tatsache ist - ob es Ihnen gefällt oder nicht und unabhängig davon, was wir in Deutschland machen oder
nicht machen -: 40 bis 50 Prozent der Kraftwerkskapazitäten, die weltweit neu gebaut werden, sind Kohlekraftwerke. Da das so ist und auf absehbare Zeit so bleiben
wird, sage ich Ihnen: Dafür sollten wir am besten unsere
eigene Technologie zur Verfügung stellen. Aber Sie wollen, dass diese Technologie weder in Deutschland noch
anderswo auf der Welt zum Einsatz kommt. Insofern ist
das, was Sie tun, unredlich. Das passt vorne und hinten
nicht zusammen.
({16})
Noch einmal zu den CO2-Emissionen. Sie fordern einen planwirtschaftlichen Eingriff in das System des
Emissionshandels, einen Mindestpreis hier und Veränderungen dort. Sie wissen ganz genau, dass weder ein Kohleausstieg noch das EEG dazu führen, dass auch nur
1 Kilogramm oder 1 Gramm mehr CO2 eingespart wird.
({17})
Entscheidend für die CO2-Einsparung in Europa ist der
Emissionshandel. In diesem Rahmen wird festgelegt,
wie hoch die Emissionen im Industriebereich und im
Stromerzeugungsbereich maximal sein dürfen. Das ist
vereinbart, und das ist geltende Gesetzeslage. Sie wollen
in dieses System planwirtschaftlich eingreifen, statt zu
sagen: Wir brauchen eine Gesamtrevision und ein neues
Marktdesign, bei dem alle Aspekte - die Förderung der
Erneuerbaren, der Emissionshandel, die konventionellen
Kraftwerke und KWK - aufeinander abgestimmt sind.
Dazu sagen Sie kein Wort. Das ist nicht nur unredlich,
sondern völlig daneben, auch in der Sache. Da wird
überhaupt nichts funktionieren.
({18})
Ihr Problem ist: Sie haben eine Pippi-Langstrumpf-Mentalität; Sie verstehen nichts von der Sache und sind nicht
bereit, die Zusammenhänge zu akzeptieren.
({19})
Dann fordern Sie auch noch Änderungen beim Bergrecht, da das Bergrecht angeblich zu alt sei. Wenn Sie so
denken, dann können Sie auch gleich die Abschaffung
des BGB fordern, schließlich ist das BGB aus dem Jahr
1900. Es ist aber ständig modernisiert worden. Gleiches
gilt für das Bergrecht. Deutschland hat eines der modernsten Bergrechte der Welt.
({20})
Unser Bergrecht hat sich bewährt und ist aufgrund der
Anforderungen der EU ständig weiterentwickelt worden.
Sie wollen aber gar kein modernes Bergrecht.
Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen. Wir wissen
nur, was Sie nicht wollen: Sie wollen kein Gas und keine
Kohle importieren; Sie wollen die heimischen Rohstoffe
nicht abbauen; Sie wollen keinen Bergbau mehr in
Deutschland. - Genau da liegt das Problem. Das ist ein
schwerer Fall von Aussteigeritis.
({21})
Alle Technologien passen Ihnen nicht. Sie zeigen den
Menschen Luftschlösser, indem Sie einzelne Themen
herausgreifen, die aber nicht zusammenpassen. Sie wollen aus der Kohle- und aus der Gasförderung aussteigen,
Sie wollen kein Freihandelsabkommen, und auch Fracking wollen Sie nicht zulassen. Mit Ihrer Aussteigeritis
gefährden Sie den Industrie- und Investitionsstandort
Deutschland.
({22})
Wir brauchen die Kohle in Deutschland so lange, bis
sichergestellt ist, dass die Energieversorgung auch hinsichtlich der zugesicherten Leistung und der Bezahlbarkeit durch andere Technologien erfolgen kann. Sie dagegen wollen am liebsten aus der Realität aussteigen. Wir
werden einen solchen Weg nicht zusammen mit Ihnen
gehen,
({23})
sondern werden den Industrie- und Wirtschaftsstandort
Deutschland so weiterentwickeln, dass wir eine sichere,
saubere und bezahlbare Energieversorgung bekommen,
ohne unseren Standort, wie es ihre Vorschläge bewirken
würden, kaputtzumachen.
({24})
Vielen Dank. - Für die Linke spricht jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Energiewende und Klimawandel haben einen mächtigen
Gegner: die Braunkohleindustrie, die derzeit boomt wie
nie. Braunkohlekraftwerke sind ein überkommenes Relikt aus dem fossilen Energiezeitalter. Wir müssen die
Verstromung von Kohle so schnell wie möglich überwinden, wollen wir unseren Kindern nicht eine zerstörte
Welt hinterlassen. Wenn ich sage „schnell“, dann heißt
das für uns: 2040 ist Schluss. Dazu haben auch wir einen
Antrag eingebracht.
({0})
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Kilowattstunden Strom aus Kohle erzeugt worden wie seit
20 Jahren nicht mehr. Kohlestrom stößt mehr CO2 aus
als jeder andere Energieträger; das ist hier unbestritten.
Es ist völlig falsch, dass ausgerechnet die Kohle, der
schmutzigste Energieträger, solch einen großen Erfolg
feiert, in einer Welt, in der wir uns abmühen, den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Daran ändern auch
die neuesten Zahlen nichts, die besagen, dass der Anteil
der Kohle im letzten Halbjahr etwas zurückgegangen ist.
Kohlestrom ist billig, aber nur, weil seine immensen
Folgekosten für Gesundheit und Natur nicht in den Preis
mit einfließen; das sagt Herr Pfeiffer leider nicht. Billig
ist er auch deshalb, weil alte Kohlekraftwerke, die die
meisten Schadstoffe ausstoßen, jetzt viel profitabler sind
als schadstoffarme Gaskraftwerke. Das beweist auch die
Tatsache, dass es im ersten Halbjahr einen Produktionsrückgang bei Gaskraftwerken um 25 Prozent gegeben
hat. Das ist wahnsinnig viel. Das müssen wir ändern.
({1})
Der schmutzige deutsche Braunkohlestrom flutet auch
das europäische Ausland. Auch dort beschwert man sich
darüber.
Die Kosten für den Kohlestrom tragen die Menschen.
Die gesundheitlichen Folgen wegen Quecksilberbelastung, Atemwegs- und Kreislaufbeschwerden, verkürzte
Lebenszeit, die Kosten für die Vertreibung aus der Heimat wegen Braunkohletagebauen, die Zerstörung riesiger Naturflächen - all diese Kosten tragen wir, die Bürgerinnen und Bürger.
Ich habe das Gefühl, dem Kartell der Kohlelobby ist
das egal. Das finde ich sehr schade.
({2})
Die Vertreter der Kohleindustrie sitzen überall mit drin auch hier im Deutschen Bundestag - und reden und entscheiden mit.
Eigentlich sollte der Emissionshandel den CO2-Ausstoß über hohe Preise ja verringern. Dieser Plan ist leider
völlig misslungen. Der Emissionshandel ist kläglich gescheitert. Als Folge von Fehlentscheidungen gibt es
enorme Überschüsse an CO2-Zertifikaten, wodurch der
Preis in den Keller gefallen ist. Eine Tonne CO2-Ausstoß
kostet derzeit unter 5 Euro. Im Grunde genommen
müsste die Tonne CO2-Ausstoß aber mindestens 60 bis
80 Euro kosten, wenn der Emissionshandel den Betrieb
von Kohlekraftwerken ernsthaft infrage stellen soll.
({3})
Jetzt will man den Emissionshandel reparieren, indem
man einen Teil dieser Überschüsse vom Markt nimmt.
Aber selbst wenn die Reform gelingt, werden immer
noch zu wenige Zertifikate herausgenommen. Die Versuche, den Emissionshandel wiederzubeleben, werden
ihn leider nicht mehr retten. Der Patient Emissionshandel ist klinisch tot.
Nehmen wir einmal an, es würde tatsächlich gelingen,
den Preis für eine Tonne CO2 auf jene 60 bis 80 Euro zu
treiben, damit die Braunkohle hierzulande irgendwann
vom Markt gedrängt wird. Was wären die Folgen, wenn
wir solche enorm hohen CO2-Kosten erzwingen würden? Das käme der Umwelt sehr zugute, aber die Verbraucherinnen und Verbraucher würde das über den
Strompreis teuer zu stehen kommen, und das wollen wir
ja alle miteinander nicht.
Wie kommen wir aus dieser Zwickmühle heraus? Die
Bundesregierung will den CO2-Ausstoß bis 2040 um
60 Prozent reduziert haben. Wir sagen: Bis zu diesem
Datum muss es ein definitives Ende der Kohleverstromung geben.
({4})
Es ist ein Gebot der Stunde, so schnell wie irgend möglich aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das ist
nicht sofort möglich; das ist klar. Wir brauchen aber jetzt
ein Kohleausstiegsgesetz mit einem ambitionierten Ausstiegsfahrplan.
({5})
Anders bekommen wir diesen Rückwärtsgang nicht in
den Griff.
Wir wollen den Kohleausstieg vom Ende her denken
und schlagen Folgendes vor - bitte hören Sie zu -: kein
Neubau von Kohlekraftwerken, kein Neuaufschluss von
Tagebauen, Stilllegung des letzten Kohlekraftwerks spätestens 2040,
({6})
ab 2015 jährliche Begrenzung der Strommengen aus
Kohlekraftwerken, ineffiziente Kraftwerke früher abschalten als effizientere, Übertragung von Reststrommengen auf jüngere, effizientere Anlagen zulassen.
Auch das ist wichtig: Der Kohleausstieg muss arbeitsmarkt- und sozialpolitisch flankiert werden. Mit den Betriebsräten vor Ort muss eine Regelung getroffen werden, mit der alle Beschäftigten in diesem Bereich
zukünftig leben können.
({7})
Dafür sind Konversionsprogramme und eine soziale Absicherung notwendig.
({8})
Ich verstehe die Angst der Kohlekumpel. Das ist mir als
Betriebsrätin doch nicht fremd. Wichtig ist, dass sich
alle darauf einstellen können.
Ich meine, es wird langsam Zeit, diesen wichtigen
Schritt in verantwortungsvoller Weise zu tun. Das ist im
Sinne des Klimas wirklich notwendig. Beweisen Sie,
dass Sie nicht am Tropf der Kohlelobby hängen und dass
Ihnen die Gesundheit, die Umwelt und das Klima wichtiger sind als die Profite der Kohleindustrie. Ich denke,
wir sollten uns von den Relikten des vergangenen Jahrhunderts trennen - für zukünftige Arbeitsplätze im Bereich der regenerativen Energien und in vielen anderen
Bereichen mit Perspektive und mit guten Löhnen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Leute, die vor Ort arbeiten, sind sehr qualifiziert. Hier können wir Qualifikationsprogramme und Strukturprogramme durchführen.
Das ist dringend notwendig; denn sonst gibt es Probleme.
({9})
Natürlich wird es immer Probleme geben. Aber Sie wollen nicht nach vorne schauen, sondern sagen hier einfach
Nein.
Danke.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Becker für die
Sozialdemokraten.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen! Ich
meine es wirklich ernst: Ich habe mir sehr viel Mühe gemacht, Ihren Antrag und auch den Antrag der Linken zu
lesen, weil ich weiß, dass das Thema Klimaschutz für
Sie ausgesprochen wichtig ist.
({0})
- Für uns auch. Darum habe ich es ja gemacht.
In dem Antrag habe ich ein paar Punkte entdeckt, bei
denen ich gedacht habe: Das werden wir in den nächsten
Jahren ernsthaft diskutieren müssen. Das wussten wir
aber schon länger. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Die
Art und Weise, wie Sie dieses Thema versemmeln - Sie
versuchen nur, der Regierung irgendetwas um die Ohren
zu hauen -, finde ich schade und dem Thema nicht angemessen.
({1})
Ich finde auch: Es ist ein bisschen grenzwertig, wenn
Sie beispielsweise auf Großbritannien und dessen Rolle
im Zusammenhang mit der Kohleverstromung verweisen und dabei verschweigen, dass in Großbritannien
neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ich finde, auch
das ist nicht so ganz glaubwürdig.
({2})
Ich will nur für all die, die den Antrag nicht gelesen
haben, die Frage stellen: Gibt es bei den Grünen das
Ziel, die gemeinsam vereinbarten Treibhausgasminderungspotenziale im Hinblick auf 2050 vorzuziehen? Dieses Ziel gibt es nicht. In Ihrem Antrag steht: Es bleibt bei
der Vereinbarung, bis 2050 eine Reduktion der Treibhausgase um 80 bis 95 Prozent zu erreichen.
Wenn Sie hätten glaubwürdig bleiben wollen, hätten
Sie sagen müssen: Wir wollen schneller aus der Kohleverstromung aussteigen, um das genannte Ziel nicht
2050, sondern schon 2045 oder 2040 zu erreichen. - Das
machen Sie aber nicht. Das heißt, Sie bleiben bei genau
diesen Vereinbarungen.
({3})
Das ist nach meiner Einschätzung etwas problematisch.
Das Gleiche gilt für die Linksfraktion. Die Linksfraktion hat immerhin gesagt: Wir haben das Ziel, bis 2040
aus der Kohleverstromung auszusteigen. - Das heißt
also: Die Linke will zehn Jahre, bevor die genannten
Treibhausreduktionen erreicht werden sollen, aus der
Kohleverstromung aussteigen. Das Problem ist aber
auch hier: Sie wollen zwar bis 2040 aus der Kohleverstromung aussteigen, bleiben aber bei der Gesamtstrategie, bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 bis
95 Prozent zu reduzieren. Das heißt, Sie hätten zwar
dann weniger CO2-Emissionen aus der Kohleverstromung, aber die Gesamtmenge wollen Sie nicht reduzieren. Da fehlt eine schlüssige Systematik. Das ist nicht
glaubwürdig. - Frau Baerbock möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich bitte darum, abzuwägen: Wenn wir Zwischenfragen zulassen, wird die Debatte auf der einen Seite natürlich sehr lebendig, auf der anderen Seite wird aber die
Sitzungsdauer verlängert. Die Sitzungsleitung hat angesichts einer sehr ambitionierten Tagesordnung die Möglichkeit, Zwischenfragen nicht zuzulassen. Davon
möchte ich jetzt Gebrauch machen, damit wir zügig weiterkommen.
({0})
Mit Blick auf die Fraktion der Grünen habe ich die
Bitte, dass wir uns mit dieser Thematik einmal ernsthaft
auseinandersetzen. Ich habe nach der sehr emotionalen
Debatte über die Reform des EEG, die ich nachvollziehen kann, die Hoffnung: Es ist jetzt wirklich an der Zeit,
dass wir uns mit dem gesamten energiepolitischen Umbau, der jetzt mit der Energiewende zwingend kommen
muss, intensiver und fundierter auseinandersetzen; denn
auf viele Fragestellungen haben wir alle noch keine
schlüssige Antwort.
Nach der Sommerpause, Frau Baerbock, wird die
prinzipielle energiepolitische Diskussion kommen: Wie
sieht das Marktdesign aus? Was brauchen wir vor dem
Hintergrund von Versorgungssicherheit und von Netzstabilität?
({0})
Wie gehen wir mit der Struktur der deutschen Energieversorgung grundsätzlich um?
Eines ist klar und unstrittig: Wir wollen und brauchen
den Erfolg dieser Energiewende, weil wir unsere Klimaschutzziele einhalten wollen, aber auch, weil die
Minimierung unserer Abhängigkeit, insbesondere von
Energieimporten, ein Akt und ein Gebot der volkswirtschaftlichen, der ökonomischen Vernunft ist. Darum
wollen wir den Erfolg dieser Energiewende bis 2050.
({1})
Es gibt für diese Energiewende weltweit kein Vorbild.
Das macht es sehr schwierig, herauszufinden, welcher
Weg richtig ist. Was aber nicht geht, ist, dass wir weiterhin eine fragmentierte Energiepolitik machen: gestern
die Reform des EEG, jetzt das Kohleausstiegsgesetz,
morgen dies und übermorgen jenes. Ich bin dem Wirtschafts- und Energieminister ausgesprochen dankbar,
dass er diese Woche einen Fahrplan, eine Zehn-PunkteAgenda vorgelegt hat, mit der erstmals die Energiewende insgesamt strukturiert und systematisiert wird. Es
wird so für alle nachvollziehbar, welche Probleme jetzt
zu lösen sind und was bis zum Ende der Legislaturperiode vorliegen muss, damit die Energiewende Erfolg
hat.
({2})
Es gibt aber auch Fehlentwicklungen - wir haben das
gehört -: Die Strompreisentwicklung und die Entwicklung der CO2-Zertifikatspreise sind anders verlaufen, als
es noch vor wenigen Jahren prognostiziert worden war.
Sie haben Frau Hendricks angesprochen, die gefordert habe, 2 Milliarden Zertifikate aus dem Markt zu
nehmen. Außerdem habe sie ein Vorziehen der Einführung der Marktstabilitätsreserve auf 2017 ins Spiel gebracht. Sie haben dabei den Eindruck erweckt, das sei
gegen die Meinung des Wirtschaftsministeriums erfolgt.
({3})
Ich würde Sie bitten, sich einmal die Pressemitteilung
anzugucken, die von Sigmar Gabriel und von Frau
Hendricks war. Ich sage das nur deshalb, damit kein falscher Eindruck hängenbleibt.
({4})
Darüber hinaus haben sich auch die Börsenstrompreise in Deutschland teils drastisch reduziert. Sie alle
kennen das. Im Prinzip ist man ja immer ein Freund fallender Preise, aber in diesem Fall führt das leider zu fatalen Fehlentwicklungen.
Durch diese fallenden Preise steigen die Kosten für
die hocheffizienten, modernen Kraftwerke, für die
KWK-Anlagen, während neben den erneuerbaren Energien insbesondere sehr günstige, aber auch ineffiziente
Anlagen mit einem hohen CO2-Ausstoß die Stromproduktion sicherstellen.
Hier brauchen wir uns nichts vorzumachen: Auch der
Minister hat mehrfach gesagt, wenn es bei dieser Entwicklung bleibt, kriegen wir insgesamt ein Akzeptanzproblem mit der Energiewende. Daher müssen wir Maßnahmen ergreifen, um hier gegenzusteuern.
Ich sage noch einmal ausdrücklich mit Blick auf die
Grünen und auch mit Blick auf die Linkspartei: Wir stehen zu dem gemeinsamen Ziel der Reduktion der CO2Emissionen bis zum Jahr 2050.
({5})
Und ich sage auch ausdrücklich: Wenn man eine Reduktion der CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050
will, erfordert das im Klartext die vollständige Dekarbonisierung der Stromversorgung.
({6})
Das ist völlig unstrittig.
Ich möchte, wenn ich darf, Herr Präsident, einmal
kurz aus einer Drucksache aus der letzten Legislaturperiode zitieren. Es heißt dort:
Im Sinne einer effizienten Ausnutzung fossiler
Brennstoffe muss bis zur Erreichung des Ziels der
Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien eine
Modernisierung des konventionellen Kraftwerksparks unter Erreichung höchstmöglicher Wirkungsgrade erfolgen. … Hierzu werden über Instrumente,
wie des Immissionsschutzgesetzes, die gesetzlichen
Anforderungen an die Wirkungsgrade so anzupassen sein, dass Kraftwerke, die nicht dem aktuellen
Stand der Technik entsprechen - ({7})
- Was ist das?
({8})
- Ja, Sie haben in der Tat recht. Das ist ein Zitat aus dem
Energiekonzept der SPD-Bundestagsfraktion aus dem
Jahr 2011.
({9})
Da Sie sagen, Sie hätten hier das Rad neu erfunden,
sage ich Ihnen:
({10})
Bereits 2011 haben wir darüber gesprochen. Wenn Sie
jetzt wieder mit dieser Märchenstunde kommen, wir
würden nichts machen, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich gerade erwähnt habe, dass ab Herbst die
Debatte über diese Punkte beginnen wird. Sie haben
doch auch vom Bundeswirtschaftsminister die Agenda
bekommen, dass ein Grünbuch erstellt werden wird, dass
wir uns in einem sehr intensiven, ernsten Prozess mit all
diesen Fragen, auf die wir die Antwort heute noch nicht
abschließend kennen, auseinandersetzen wollen.
({11})
Hören Sie jetzt bitte einmal auf, hier immer zu sagen,
wir machten nichts. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die Arbeitsagenda liegt vor, und bringen Sie sich bitte sachlich
in die Diskussion ein.
({12})
Uns liegt daran, Versorgungssicherheit, Netzstabilität,
die klimapolitischen Ziele,
({13})
aber auch das Thema Preisstabilität zusammenzubekommen. Ich lade Sie wirklich ein: Lassen Sie sich dann mit
uns auf eine sachliche Debatte ein!
({14})
Ich weiß, die letzten Tage und Wochen waren auch
aus anderen Gründen für manche emotional sehr schwierig. Das liegt auch an der EEG-Debatte. Ich wünsche uns
allen ein bisschen Zeit für Ruhe, um dann vielleicht auch
wieder Kraft für eine sachliche Debatte zu tanken.
Herzlichen Dank.
({15})
Vielen Dank. - Ich darf insbesondere anmerken, dass
Sie sehr vorbildlich mit der Redezeit umgegangen
sind. - Jetzt spricht der Kollege Andreas Jung von der
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem in dieser Debatte schon die eine oder andere
Zahl umstritten war, will ich eine Zahl vorwegstellen,
die - wie ich hoffe - unumstritten sein wird, weil sie
nämlich vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme kommt. Dieses Institut hat in diesen Tagen wieder
einmal berechnet, welche Energiequelle am meisten zum
deutschen Strommix beiträgt. Das war bis zum Jahr
2007 die Kernenergie. 2007 wurde die Kernenergie von
der Braunkohle abgelöst. Bis zum gesamten letzten Jahr
blieb es dabei, dass die Braunkohle am meisten zum
Strommix beitrug. In den ersten sechs Monaten dieses
Jahres haben die erneuerbaren Energien zum ersten Mal
die Braunkohle überholt. Sie trugen rund 81 Terawattstunden zum Energiemix bei, während die Braunkohle
rund 69 Terawattstunden beitrug. Die erneuerbaren
Energien sind nun Tabellenführer im deutschen Strommix. Darüber sollten wir uns erst einmal gemeinsam
freuen.
({0})
Das zeigt im Übrigen, dass wir bei allen berechtigten
und notwendigen Debatten über den richtigen Weg bei
der Förderung der erneuerbaren Energien vorankommen
und dass die erneuerbaren Energien Schritt für Schritt
die tragende Säule in unserem Energiesystem werden.
Die heutige Debatte dient dazu, die Frage zu klären, wie
wir auf diesem Weg vorankommen. Warum machen wir
das eigentlich? Die Förderung der Erneuerbaren ist kein
Selbstzweck, sondern hat letztlich eine dienende Funktion. Sie dient der Sicherstellung der Stromversorgung
der Wirtschaft und der Privathaushalte. Dabei werden
keine neuen Risiken eingegangen wie beispielsweise
beim Fracking, das es erforderlich macht, Chemikalien
in den Boden zu pumpen. Wir werden im Herbst diesbezüglich ein konsequentes Gesetz verabschieden.
({1})
Die Förderung der Erneuerbaren führt dazu, dass wir
Schritt für Schritt auf die Kernenergie verzichten und die
Risiken des Umgangs mit radioaktivem Material ausschließen können und dass wir unseren CO2-Ausstoß,
also den Ausstoß an Treibhausgasen, reduzieren können.
Die Bestandsaufnahme zeigt, dass wir das erste Ziel erreichen, den zurückgehenden Anteil der Kernenergie in
vollem Umfang durch den aufwachsenden Anteil der Erneuerbaren zu ersetzen, dass wir aber das zweite Ziel
noch nicht erreichen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Dieser steigt im Moment. Warum ist das so? Das liegt
daran, dass Gaskraftwerke durch Kohlekraftwerke vom
Markt verdrängt werden. Das ist erst einmal die Analyse.
Nun stellt sich die Frage, woran das liegt. Es liegt
nicht an der deutschen Gesetzgebung - es ist mir wichtig, das zu sagen -, sondern maßgeblich am Emissionshandel der Europäischen Union,
({2})
der zurzeit schwächelt bzw. daniederliegt. Dabei kann es
nicht bleiben. Hier muss repariert und verändert werden.
Wir brauchen eine nachhaltige und zeitnahe Reform des
europäischen Emissionshandels.
({3})
Wenn wir das nicht schaffen, wird die Vorreiterrolle,
die die EU und insbesondere Deutschland im Klimaprozess einnehmen, infrage gestellt. Auf den Klimakonferenzen schaut man bislang mit Respekt auf Deutschland
und erkennt unsere Rolle an. Auf Dauer wird das aber
gefährdet werden, wenn unser CO2-Ausstoß steigt.
({4})
Um unsere Rolle beibehalten zu können, müssen wir in
Europa dieses Problem lösen. Dabei ist der Emissionshandel das Herzstück.
Ich bin froh - der Kollege Becker hat das bereits angesprochen -, dass es eine abgestimmte Position der
Bundesregierung gibt, die auf die Entscheidungen, die
wir schon getroffen haben, aufsetzt. Wir alle wissen,
dass wir lange - ich sage: zu lange - um die Entscheidung zum Backloading gerungen haben. Es war aber
diese Bundesregierung, die schon in den ersten Tagen
die Entscheidung getroffen hat, eine erste Reparatur
beim Emissionshandel vorzunehmen. Was ist das Problem? Im Rahmen des Emissionshandels gibt es so viele
Zertifikate, dass die Preise in den Keller gefallen sind.
({5})
Zuerst ist man von 30 Euro und dann von 17 Euro ausgegangen. Nun liegt der Preis zwischen 4 und 6 Euro, also
in Regionen, die dazu führen, dass Braunkohlekraftwerke rentabel und Gaskraftwerke unrentabel werden.
Woran liegt das? Das liegt daran, dass von Anfang an
viele Zertifikate auf dem Markt waren. In der Wirtschaftskrise ist dann die Produktion eingebrochen. Damit ging der CO2-Ausstoß automatisch zurück. Gleichzeitig ist aber die Anzahl der Zertifikate gleich geblieben.
Seitdem gibt es eine Bugwelle, die wir vor uns herschieben. Deshalb kann ein Eingriff in den Emissionshandel
nur die Ultima Ratio sein, das letzte Mittel; denn das ist
ein marktwirtschaftliches System, das von Verlässlichkeit lebt.
Aber wann, wenn nicht in dieser Situation und bei
solchen CO2-Preisen, ist es Zeit und notwendig, von einer solchen Ultima Ratio zu sprechen? Deshalb bin ich
der Meinung, dass die Entscheidung, mit dem Backloading zunächst einmal Zertifikate vom Markt zu nehmen,
richtig war. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung
sagt: Wir müssen jetzt einen Schritt weiter gehen. Wir
begrüßen den Vorschlag, den die EU für die Marktstabilitätsreserve gemacht hat, nämlich die Anzahl der Zertifikate flexibel an die wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung sagt,
dass das früher als 2020 geschehen muss; es muss in den
nächsten Jahren passieren, weil die Zeit drängt und das
maßgeblich für den CO2-Ausstoß innerhalb der Europäischen Union ist.
({6})
Ich lade alle ein, dass wir gemeinsam darum ringen,
weil in der Europäischen Union diese Diskussion noch
nicht ausgetragen ist. Dort wird die Entscheidung getroffen, da werden die maßgeblichen Beschlüsse gefasst.
Wir können natürlich darüber diskutieren, wie wir diese
Maßnahme flankieren. Wir werden im Herbst über Kapazitätsmärkte sprechen. Ich will sehr dafür werben,
dass wir dabei insbesondere die Versorgungszeit in den
Blick nehmen, also fragen, welche Kraftwerkskapazitäten wir brauchen, um eine sichere Versorgung mit Energie sicherzustellen, dass wir aber gleichzeitig fragen,
welchen Beitrag diese Kapazitäten zur Energiewende
leisten und welche Rolle sie beim CO2-Ausstoß spielen.
Das ist sicherlich eine der Debatten, die wir ergänzend,
neben der Debatte über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, hier auf nationaler Ebene führen können.
Ich möchte noch hinzufügen, dass, wenn wir über den
CO2-Ausstoß in Deutschland sprechen, der Energieerzeugung eine wichtige Bedeutung zukommt, aber eben
nicht die alleinige Bedeutung. Deshalb halte ich es auch
für richtig, dass die Bundesregierung in diesem Jahr ein
Sofortprogramm Klimaschutz angekündigt hat, mit dem
die Lücke, die auf dem Weg zur Erreichung unseres
2020-Ziels noch besteht, geschlossen werden kann, und
dass dabei die ganze Breite der Sektoren in den Blick genommen werden soll.
Ich will ausdrücklich dazusagen, dass die Haltung unserer Fraktion ist, dass ein besonderer Schwerpunkt auf
Energieeffizienz gelegt werden soll. Am besten ist es,
Energie erst gar nicht zu verbrauchen.
({7})
Es kann nicht darum gehen, dass man, wenn man in der
Badewanne sitzt, noch weiter Wasser einlaufen lässt und
dabei weniger umweltfreundliche Energie durch umweltfreundlichere Energie ersetzt, sondern am besten ist
es, wenn überhaupt keine Energie verloren geht, und das
bedeutet, den Stöpsel in die Badewanne zu stecken. Deshalb sind wir für Energieeffizienz.
Wir glauben, dass ein besonderer Schwerpunkt der
Gebäudebereich sein muss. Ich will ausdrücklich dafür
werben, dass wir die öffentlichen Gebäude in den Blick
nehmen, den Sanierungsfahrplan verbessern und den
Prozess beschleunigen. Wir sollten aber auch darüber
nachdenken, wie wir ohne Zwang im privaten Gebäudebereich mehr Anreize schaffen können, um in diesem
Bereich, den wir alle im Übrigen schon seit vielen Jahren als schlafenden Riesen bezeichnen, schneller voranzukommen.
Dazu muss der Nationale Energieeffizienz-Aktionsplan, den wir im Koalitionsvertrag verabredet haben, mit
Leben gefüllt werden. Es wird die Frage sein, welchen
Beitrag jeder dazu leisten kann. Da geht es auch um Unternehmen, die mit Energiemanagementplänen weitere
Beiträge leisten können. Energieeffizienz ist ein besonders wichtiges Thema, und da wollen wir uns kraftvoll
einbringen.
({8})
Zuletzt will ich die Mobilität ansprechen. Wir müssen
uns auf den Weg machen, um zu einer nachhaltigen Mobilität zu kommen. Ich halte das Ziel der Bundesregierung, die Elektromobilität voranzubringen, für richtig.
Ich halte es für notwendig, dass wir entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringen. Das soll ebenfalls in diesem Herbst mit dem Elektromobilitätsgesetz passieren.
Wir sind auf dem richtigen Weg, weil für uns der
Schwerpunkt Forschung und Entwicklung ist. Jetzt geht
es aber auch darum, wie wir den einen oder anderen Anreiz setzen können, um die Hürde, die es noch gibt, um
ein Elektroauto zu erwerben, überwinden zu können.
Auch diese Diskussion steht jetzt an. Die werden wir
führen. Für die Union gilt: Wir werden uns kraftvoll einbringen.
Wir stehen hinter den Klimaschutzzielen, die wir, national wie europäisch, vereinbart haben und die wir auf
der Klimakonferenz durchsetzen wollen. Wir werden
durch die Weichenstellungen, die wir national vornehmen und auf europäischer Ebene beeinflussen können,
alles dafür tun, dass die Klimakonferenz in diesem Jahr
in Lima und vor allem im nächsten Jahr in Paris zu einem Erfolg wird. Der Klimawandel schreitet voran. Er
hat schon jetzt dramatische Auswirkungen. Die Weltgemeinschaft muss jetzt handeln, um diesen Prozess zu
stoppen. Dabei haben wir eine besondere Verantwortung, und der wollen wir gerecht werden. Deshalb machen wir uns auf diesen Weg.
Herzlichen Dank.
({9})
Der Kollege Hubertus Zdebel spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Fraktion Die Linke hat für die heutige
Plenarsitzung einen Antrag auf ein Kohleausstiegsgesetz
vorgelegt. Infolge eines solchen Gesetzes könnte - zumindest fordern wir das - spätestens 2040 das letzte
deutsche Kohlekraftwerk vom Netz gehen.
({0})
Warum legen wir zur heutigen Plenarsitzung einen
solchen Antrag vor? Für einen erfolgreichen Klimaschutz ist ein Ausstieg aus der Kohleverstromung unserer Meinung nach unerlässlich. Diese Meinung teilt auch
der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Martin Faulstich. Gegenüber der Zeit sagte er am
4. Mai mit Blick auf die Bundesregierung - ich zitiere
mit Erlaubnis des Präsidenten -:
Wenn sie den Klimaschutz wirklich ernst nimmt,
dann kommt sie aber am Kohleausstieg nicht vorbei.
In Deutschland existiert schon seit längerem, gerade
was die Frage der Treibhausgase angeht, eine Lücke bei
der Erfüllung des Minderungsziels. Seit 2010 steigen die
Treibhausgasemissionen in Deutschland sogar wieder.
Sie alle wissen, dass den größten Anteil an diesem Anstieg die emissionsintensive, aber betriebswirtschaftlich
preiswerte Braunkohleverstromung hat. Nach wie vor
stammen 25 Prozent der in Deutschland erzeugten Elektrizität aus der Braunkohle.
Vor diesem Hintergrund sagen wir: Damit muss endlich Schluss sein.
({1})
Wir sind bis zu einem bestimmten Grade aus der Atomkraft ausgestiegen - noch nicht ganz; es wird in Deutschland nach wie vor Atomstrom produziert. Als Nächstes
müssen wir meines Erachtens vor allen Dingen aus der
dreckigen Braunkohleverstromung aussteigen, um in
Deutschland die Energiewende hinzubekommen.
({2})
Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus NordrheinWestfalen, wo es Garzweiler II gibt. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass es absolut an der Zeit ist - nicht
nur aus Gründen des schmutzigen oder sauberen Stroms,
sondern auch mit Blick auf die Landschaftsfragen -, aus
dieser Form der Energiegewinnung endlich auszusteigen.
Klimaforscher wie der ehemalige NASA-Direktor
James Hansen gehen davon aus, dass schon die bislang
ausgestoßenen Treibhausgase eine 2-Grad-Erwärmung
auslösen könnten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der
Weltklimarat in seinen Studien. Mit Planeten lassen sich
allerdings keine Kompromisse ausverhandeln. Deswegen sagen wir: Es muss Schluss damit sein, dass Klimaschutzziele im Interesse der Stromkonzerne und der
energieintensiven Industrie mit Füßen getreten werden.
({3})
Wer den Klimaschutz ernst nimmt, muss endlich auf
die Klimaforschung hören. Die Wissenschaft spricht
eine deutliche Sprache. Für halbherzige Klimaschutzmaßnahmen ist keine Zeit mehr.
({4})
Vor diesem Hintergrund ist die völlig verfehlte Änderung des EEG - das wird heute noch Thema sein - eine
Katastrophe. Die Koalition hat das in seiner ursprüngli4370
chen Form so erfolgreiche EEG zerstört. Über das Ergebnis kann sich die Kohlelobby nur freuen. Durch die
Befreiung von der EEG-Umlage sparen die Tagebaue
250 Millionen Euro, die Braunkohlekraftwerke 630 Millionen Euro. Das besagt eine Studie des BUND, die vor
einigen Wochen bei einer Anhörung des Umweltausschusses vorgestellt wurde.
Damit gefährdet die Bundesregierung nicht nur die
Energiewende in Deutschland, sondern auch die auf internationaler Ebene. Denn Deutschland hat - besser formuliert wäre vielleicht: hatte - in dieser Frage eine Vorreiterrolle. Dass die Bundesregierung die Energiewende
hierzulande ausbremst, ist Wasser auf die Mühlen der
Energiewendegegner anderswo in der Welt. Auch diese
Zusammenhänge müssen klar werden.
Sie haben gerade zu Anfang der Diskussion im europäischen Sektor auf einige Widersprüchlichkeiten, was
die Energiepolitik angeht, aufmerksam gemacht. Ich bin
ganz bei Ihnen, wenn Sie zum Beispiel erwähnen, dass
andere europäische Länder jetzt wieder verstärkt auf
Atomkraft setzen und dass man bestimmte Entwicklungen in Europa nicht ausblenden darf.
({5})
Das muss man meines Erachtens deutlich formulieren.
Ich bin sehr daran interessiert, mit Ihnen einen wirklich sachorientierten, konstruktiven Dialog darüber zu
führen, wie eine Energiewendepolitik in Deutschland
vor dem Hintergrund der allgemeinen weltwirtschaftlichen Entwicklung - Stichwort „Ressourcensicherheit“ geführt werden kann. Damit habe ich gar keine Probleme. Allerdings müssen Sie auch tatsächlich dazu bereit sein, die Entwicklung hier in eine vernünftige Richtung zu lenken und Deutschland nicht die Vorreiterrolle
zu nehmen, die es bisher hatte; denn dass es diese Rolle
hat, ist sehr wichtig.
({6})
Was wir im Moment erleben, ist eine Rolle rückwärts
im Interesse der großen Konzerne, deren Börsenkurse in
Gefahr waren. Dort liegt nach meiner Einschätzung der
eigentliche Grund dafür, dass das EEG vor kurzem geändert worden ist. Eine Rolle rückwärts erleben wir in vielen Bereichen, gerade was die Braunkohleverstromung
angeht. Einen Dialog über all das würde ich mit Ihnen
ganz gerne einmal vertiefend führen wollen. Dazu ist
heute leider keine Zeit; aber bei nächster Gelegenheit
sollten wir das tun.
({7})
Ich will noch kurz auf die Emissionspreise eingehen.
Wie bereits etliche betont haben, ist es so, dass es da aufgrund der viel zu hohen Anzahl an Zertifikaten, die auf
dem Markt sind, dringend Änderungen bedarf, was das
ganze Handelssystem angeht. Ich will zum Schluss Frau
Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zitieren. Sie hat vor kurzem gesagt:
Um Braunkohlestrom zu vermindern wären aber
CO2-Preise von 40 bis 50 Euro pro Tonne CO2 notwendig. Da dies eher unwahrscheinlich ist, muss
man über flankierende Maßnahmen diskutieren.
Das kann ein Kohleausstiegsplan sein …
Recht hat sie.
({8})
Für einen solchen Kohleausstiegsplan setzen wir Linken uns auf jeden Fall ein, sei es in Brandenburg, sei es
in Nordrhein-Westfalen oder sei es anderswo.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Matthias Miersch.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, die Debatte hat gezeigt, dass wir hier mit einem
sehr kontrovers diskutierten Thema beschäftigt sind. Es
handelt sich um ein Thema, das letztlich zentrale
Menschheitsfragen berührt. Wir machen das hier alles
nicht zum Selbstzweck. Ich glaube, wir erkennen alle an,
dass das, was wir augenblicklich erleben - den kontinuierlichen Anstieg der CO2-Emissionen und darüber hinaus viel gefährlicherer Gase -, dringend gestoppt werden muss. Ich glaube, da sind wir alle uns in diesem
Haus einig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann stellen
wir fest, dass sowohl auf der internationalen Ebene wie
auf der europäischen Ebene wie auf der nationalen
Ebene - in diesem Parlament, aber auch, das sage ich
ganz deutlich, innerhalb der einzelnen Fraktionen, innerhalb der einzelnen Parteien, in den Bundesländern, im
Bundestag - unterschiedliche Konzepte existieren. Nach
meiner Auffassung gibt es niemanden, der heute sagen
kann: Wir haben ein Patentrezept, um diese große
Menschheitsherausforderung tatsächlich in den Griff zu
bekommen. Das festzustellen, gehört, finde ich, zur Ehrlichkeit einer solchen Debatte.
({1})
Umso begrüßenswerter finde ich es, dass wir hier
heute diese Debatte führen. Frau Baerbock, ich weiß
nicht, ob ich die grünen Anträge in den Strandkorb
- wenn ich im Urlaub einen in Anspruch nehme - mitnehme. Da die Bundesregierung diesbezüglich gerade
Vorarbeiten leistet, bin ich mir sehr sicher, dass wir im
Herbst darum ringen müssen, wie wir auf dieses Problem zumindest mit einer nationalen Antwort reagieren.
Ich will mich über die Ziele nähern und fragen, ob wir
dort miteinander gehen können. Ich glaube, niemand kann
mit der heutigen Situation, wie wir sie vorfinden, zufrieden sein. Niemand darf damit zufrieden sein, dass hocheffiziente Gaskraftwerke augenblicklich durch Kohlekraftwerke verdrängt werden. Das darf nicht sein, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich finde, es kann auch niemandem in diesem Hause
recht sein, dass der europäische Emissionshandel und
damit das, was wir durch ihn erreichen wollten, nämlich
die Verteuerung von klimaschädlicher Energiegewinnung, am Boden liegt und der Energie- und Klimafonds
praktisch leer ist. Auch das darf uns in diesem Haus
nicht zufriedenstellen.
({3})
Wir dürfen auch nicht damit zufrieden sein, dass die
CO2-Emissionen in Deutschland im vergangen Jahr gestiegen und nicht gesunken sind. Damit darf keiner in
diesem Haus zufrieden sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Ich habe Sie aufmerksam beobachtet und gesehen, es
haben irgendwie alle geklatscht.
({5})
- Jetzt müssen wir gucken, Herr Krischer, wie wir es von
der Metaebene auf die konkrete Ebene kriegen. Ich bin
mir sicher, dass wir über die eine oder andere Frage diskutieren müssen. Aber - das will ich vorweg sagen - es
muss klar sein, dass wir Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielen können und dürfen.
({6})
- Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, und dann regen Sie
sich auf! Aber ich komme gleich noch dazu.
Als Umweltpolitiker liegt mir daran, zu sagen: Der
Gleichsatz dieser drei Werte geht nicht;
({7})
denn die industrielle Überlebensfähigkeit in Deutschland
und der soziale Ausgleich gehen nicht zusammen, wenn
die Natur unwiderruflich zerstört wird.
({8})
Diese Sache müssen wir auch als Umweltpolitiker immer wieder berücksichtigen.
({9})
Jetzt, Herr Krischer, kommen wir zu der Frage, welche Antworten wir geben. Ich glaube, dass das Handeln
der internationalen Staatengemeinschaft entscheidend
ist. Das soll nicht heißen, dass wir auf nationaler Ebene
nichts tun sollen.
({10})
Aber wir brauchen auch die anderen. Mit dem Emissionshandel wurde ein System entwickelt, um mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu versuchen, diese Herausforderung in den Griff zu bekommen. Nach meiner
persönlichen Auffassung müssen wir im Herbst in diesem Haus als Erstes darüber diskutieren, ob dieser europäische Emissionshandel überhaupt reanimierbar ist.
({11})
Diese Grundsatzfrage, finde ich, müssen wir diskutieren.
({12})
Wenn wir die Anträge von Linken und Grünen, die
wir heute diskutieren, lesen, dann stellen wir fest, dass
die Antworten von beiden Seiten unterschiedlich sind,
({13})
also auch die Opposition unterschiedliche Wege vorschlägt, und darüber müssen wir diskutieren.
({14})
Ich glaube aber, Frau Baerbock und Herr Krischer, eines hat sich im Vergleich zu den letzten vier Jahren massiv geändert: Wir haben eine Bundesregierung, die nach
Brüssel fährt und erstmals dort sagt: Der Emissionshandel geht so, wie er augenblicklich aufgestellt ist, nicht. Endlich gibt es eine deutsche Bundesregierung, die in
Brüssel ambitioniert für die Reform wirbt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Andere Länder sind anders unterwegs. Dazu muss
man sehen, dass die Briten das locker machen können.
Der Kollege Becker hat zu Recht darauf hingewiesen.
Nur, der britische Weg, in die Atomkraft wieder einzusteigen, ist nicht unser Weg und darf nicht unser Weg
sein!
({16})
Deswegen, finde ich - da, lieber Kollege Pfeiffer,
müssen wir wahrscheinlich noch alle zusammen miteinander ringen -, ist das, was Professor Edenhofer und
andere vorschlagen, nämlich über CO2-Mindestpreise zu
reden, eine Möglichkeit. Dies greifen die Grünen in ihrem Antrag ja auch auf. Wir müssen überlegen, Marktwirtschaft und - Sie sagen jetzt: Planwirtschaft; ich sage:
Ordnung - Mindestpreise in irgendeiner Form zusammenzubringen; denn nur Markt bringt nichts. Das ist jedenfalls meine Überzeugung, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({17})
Aber darüber hinaus werden wir uns die Frage stellen
müssen, ob das ausreicht. Deswegen plädieren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in unseren
Energiekonzepten auch für eine Mehrwegestrategie. Ja,
wir brauchen ein internationales Abkommen, spätestens
in Paris im nächsten Jahr. Ja, wir brauchen europäische
Antworten. Aber wir brauchen auch nationale Wege.
({18})
Der Kollege Jung hat die Gebäudesanierung und die Mobilität angesprochen. Ich nenne noch die Landwirtschaft.
Aber auch ordnungspolitische Maßnahmen sind zumindest zu diskutieren.
({19})
Ich war bis vor kurzem ein Verfechter der CO2-Steuer.
Nach der Rechtsprechung zur Brennelementesteuer
muss ich allerdings sagen, dass das juristisch wohl nicht
ganz einfach werden wird.
({20})
Deswegen werden wir uns nach meiner Auffassung auch
über weitere ordnungsrechtliche Ansätze unterhalten
müssen, wenn wir beispielsweise um Effizienzstandards
von Kraftwerken ringen.
({21})
Ich glaube, das wäre eine Maßnahme, die wir flankierend einsetzen könnten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({22})
Wir werden darüber hinaus noch über ganz andere
Maßnahmen reden, an denen Barbara Hendricks gerade
im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative arbeitet. Wir werden auch darüber im Herbst diskutieren können. Da wird es eine Fülle von kommunalen, nationalen
und Ländermaßnahmen geben, und wir werden die
Frage stellen müssen, ob unser Ziel „40 Prozent Reduktion bis 2020“ mit diesen Maßnahmen erreicht wird.
Herr Krischer, dann werden wir um die einzelnen
Maßnahmen miteinander ringen müssen. Sie haben einige genannt; Barbara Hendricks hat andere genannt. Ich
hoffe sehr, dass es uns gelingt, bei diesem großen Thema
einen Konsens zu finden.
({23})
Ähnlich wie bei der Atomkraft ist es hier sehr einfach,
als Opposition etwas in die Debatte zu werfen. Damit
kann man super bestehen. Das ist ja auch Ihre Aufgabe.
Aber letztlich werden wir nur eine Lösung finden, wenn
wir alle mitnehmen. Das haben wir beim Atomkonsens
geschafft. Etwas Ähnliches ist dringend notwendig beim
Thema Kohle.
Lassen Sie uns das gemeinsam machen! Lassen Sie
uns die Sommerpause meinetwegen als schöpferische
Pause begreifen und dann im Herbst miteinander die
Maßnahmen diskutieren! Ich glaube, hier haben wir einen langen Weg vor uns. Aber wir haben bei der Atomenergie gezeigt: Es geht gemeinsam. - Das würde ich
mir auch hier wünschen.
Vielen Dank.
({24})
Jetzt hat das Wort der Kollege Oliver Krischer für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Miersch, das war jetzt einmal ein vernünftiger Beitrag, der die Sache auf den Punkt gebracht hat.
({0})
- Ja, das war ein Kompliment. Das hat sich wohltuend
unterschieden von dem und steht in diametralem Gegensatz zu dem, was Herr Pfeiffer und andere eben gesagt
haben.
({1})
Eines ist doch klar wie Kloßbrühe: Es geht nicht mehr
um das Ob des Kohleausstiegs; es geht nur noch um das
Wie, darum, wie wir das organisieren.
({2})
Wenn wir unsere Klimaschutzziele ernst nehmen - minus 80 Prozent bis minus 95 Prozent bis Mitte des Jahrhunderts -, dann wird es kein Kohlekraftwerk mehr geben dürfen.
Wir müssen uns die Frage stellen: Lassen wir das jetzt
alles irgendwie geschehen, oder reden wir so wie Herr
Pfeiffer? Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Er tritt
die Klimaschutzziele in die Tonne. - Die Frage, meine
Damen und Herren, müssen Sie beantworten; die müssen Sie als Große Koalition beantworten. Da sind Sie ein
bisschen im Nebulösen geblieben.
Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben
konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Man kann andere Vorschläge machen. Aber nichts zu tun, so wie es
Herr Pfeiffer vorgeschlagen hat, das wird nicht gehen.
Da werden wir Sie nicht rauslassen.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist doch völlig irre: Im
Energiewendeland Deutschland - das muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen; das wird weltweit
sehr wohl registriert - steigen die CO2-Emissionen. Das
ist das Energiewendeparadoxon, gegen das wir dringend
etwas unternehmen müssen. Es kann doch nicht sein,
dass in meiner Heimat, im Rheinischen Braunkohlerevier, Kraftwerke aus den 60er-Jahren 8 000 Stunden,
365 Tage im Jahr rund um die Uhr, laufen und brummen,
während nebenan ein hochmodernes Gaskraftwerk steht,
sein Geld nicht verdient, nicht laufen kann, stillsteht.
Das, meine Damen und Herren, müssen wir ändern.
Dazu haben wir konkrete Vorschläge gemacht, die Ihnen
auf dem Tisch liegen. Ich hätte mir gewünscht, dass die
Union an der Stelle klar sagt, wie sie dazu steht,
({4})
anstatt dumpfbackige Parolen in die Welt zu setzen.
({5})
Unsere Antwort ist: Wir müssen über den Emissionshandel reden. Ich hoffe - bei der Union bin ich mir nicht
ganz sicher -, dass es wenigstens hier einen Konsens
gibt. Das allein wird das Problem aber nicht lösen. Wir
sagen: Wir brauchen CO2-Grenzwerte für fossile Kraftwerke nach britischem Modell. Das hat nichts mit der
Atomkraft in Großbritannien zu tun. Die Briten haben
sie; daran können wir uns orientieren, damit es auch europäisch funktioniert. Dabei kann man in keinen Konflikt mit der Kommission geraten, weil es dort praktiziert
wird. Das schlagen wir Ihnen kombiniert mit einem ökologischen Flexibilitätsmarkt vor. Das ist unser Angebot
für die Debatte, die jetzt ansteht. Wenn das am Ende die
Vorschläge der Großen Koalition sind, dann haben Sie
uns auf Ihrer Seite. Aber bisher habe ich dazu konkret
nichts gehört. Ich habe von der Union gehört, dass sie
darüber überhaupt nicht reden will. Offensichtlich hat
sie die Vorstellung, dass es bis zum Jahr 2100 Kohlekraftwerke in Deutschland geben soll. So habe ich Herrn
Pfeiffer verstanden, meine Damen und Herren.
({6})
Wir Grüne sagen klipp und klar - auch das gehört
dazu -: Es muss in Deutschland endlich Schluss sein,
dass ganze Landschaften abgebaggert werden, dass
Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, dass Naturressourcen zerstört werden, um dann zu 60 Prozent
aus Wasser bestehende Braunkohle zu fördern und in
Kraftwerken zu verfeuern. KWK findet dort nicht statt,
Herr Pfeiffer, weil diese Kraftwerke Wirkungsgrade unter 30 Prozent haben. Das ist nicht einmal Technik des
20. Jahrhunderts, das ist Technik des 19. Jahrhunderts.
Das ist nicht modern. Das ist nicht zukunftsweisend. Damit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Herren.
({7})
Deshalb brauchen wir auch endlich ein Ende des Tagebaus.
Ich will noch einen anderen Aspekt anführen. Bei
Kohle reden wir völlig zu Recht über Klimaschutz, CO2.
Das ist ein ganz entscheidendes Thema. Wenn wir Klimaschutzziele erreichen wollen, dann müssen wir an die
Kohlekraftwerke denken. Wer anderes erzählt, erzählt
Unsinn. Aber es gibt noch andere Punkte. Kohlekraftwerke sind inzwischen bei manchen Schadstoffen die
größten Schadstoffquellen in Deutschland. Ich will nur
ein Beispiel herausgreifen.
({8})
- Quecksilber. Ja, Sie haben es begriffen.
Die größte Emissionsquelle für Quecksilber, für einen
hochgiftigen Stoff, sind Braunkohlekraftwerke. Es ist
doch ein Irrwitz, dass in den USA, einem Land, das nun
wirklich nicht für seine Umweltstandards bekannt ist,
viel strengere Quecksilbergrenzwerte gelten als in
Deutschland. Diese Werte werden mit einer Technologie
eingehalten, die in Deutschland entwickelt worden ist.
Wenn wir diese Grenzwerte in Deutschland einführten,
müsste jedes alte Kohlekraftwerk stillgelegt werden.
Deshalb sage ich: Lassen Sie uns deutsche Technologie
und deutsches Know-how anwenden, damit endlich mit
diesem Irrsinn von Quecksilberemissionen, die die Gesundheit und die Umwelt belasten, Schluss ist. Es müssen endlich Umweltstandards eingeführt werden, die
dem Stand der Technik entsprechen. Da, meine Damen
und Herren, hat die Große Koalition bisher versagt, genauso wie vorher Schwarz-Gelb. Es gab genug Gelegenheiten, das zu tun. Auch das müssen wir anpacken.
({9})
Zum Schluss, eines ist klar: Das Kohlezeitalter ist definitiv zu Ende. Die Träumereien, die es vor einigen Jahren einmal gab, von 30 neuen Kohlekraftwerken - auch
Sigmar Gabriel und der eine Christ- oder Sozialdemokrat sprachen begeistert davon -, sind vorbei. Alle, die in
Kohle investiert haben, schreiben heute tiefrote Zahlen.
Es ist zum Albtraum geworden. Wir müssen uns jetzt um
den Strukturwandel im fossilen Kraftwerkspark im Zusammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren im
Sinne des Klimaschutzes kümmern, aber auch, um Investitionssicherheit in der Energiewirtschaft zu schaffen.
Deshalb, meine Damen und Herren, verstehen Sie unseren Antrag, den wir heute hier vorlegen, als Angebot,
um einen Strukturwandel zu schaffen; denn die Zeit für
einen organisierten Kohleausstieg ist überfällig. Das
müssen wir gemeinsam anpacken.
Ich danke Ihnen.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Lanzinger
für die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kohle ist auf Dauer auch für uns keine Lösung.
({0})
Ich denke, daraus haben wir nie einen Hehl gemacht.
({1})
Wir alle wollen langfristig aus der Kohle aussteigen. Wir
sehen das ganz genauso. Alles andere wäre paradox in
der Energiewende. Kaum jemand arrangiert sich mit einer neuen Stromtrasse vor der Haustür, wenn durch sie
immer mehr statt immer weniger klimabelastender
Strom transportiert wird. Aber ich sage jetzt einmal: Erst
die Atomkraft, jetzt die Kohle, alles auf einmal geht
nicht.
({2})
Bei uns würde man dann auf gut Bayerisch sagen: Gemach, gemach, net oalles oaf oimoa, schee loangsoam.
({3})
Eines ist klar: Wir wollen eine Versorgung mit einem
intelligenten Energiesystem ohne Kohlestrom und mit
mehr marktwirtschaftlicher Steuerung statt staatlicher
Regulierung. Wir als CSU haben bereits im Januar 2014
in Wildbad Kreuth - darauf möchte ich ganz bewusst
verweisen - eine konsequente und klimafreundliche
Umsetzung der Energiewende beschlossen. Dazu gibt es
einen Plan, den wir als Koalition gemeinsam formen
- wir sind gerade dabei - und umsetzen werden. Die
Energiewende ist weitaus mehr als nur das Drängen, aus
der Kohlekraft auszusteigen. Wir müssen schon aufpassen, dass bei den derzeitigen Grundstrukturen unserer
Energieversorgung keine Versorgungslücke entsteht.
Deshalb ist alles gut durchdacht anzugehen. Wichtig ist,
denke ich - ich glaube schon, dass wir uns da auch einig
sind -, dass in Bezug auf die Versorgungssicherheit
Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht.
Nun habe ich mir allerdings schon die Frage gestellt,
warum Sie diesen Antrag überhaupt noch stellen. Wir
haben den Koalitionsvertrag, und wir haben einen Zeitplan des Wirtschaftsministeriums zur Umsetzung wichtiger Schritte im Rahmen der Energiewende - der Kollege
Becker hat schon darauf hingewiesen -, übrigens auch
zur Reform des Emissionshandels und der Einführung
einer Marktstabilitätsreserve.
An die Fraktion der Grünen gerichtet sage ich: In Ihrer Kleinen Anfrage, die Sie am 4. Juni 2014 an die Bundesregierung gerichtet haben und die am 26. Juni 2014
beantwortet wurde, haben Sie ja detaillierte Fragen zu
den geplanten Vorhaben zur Erreichung der gesetzten
Klimaschutzziele gestellt. Ich erläutere gerne jetzt noch
einmal unsere Vorhaben in dieser Legislaturperiode: Wir
brauchen und wollen zügig ein neues marktwirtschaftliches Strommarktdesign. Deshalb wird nach der Sommerpause ein strukturierter und offener politischer
Dialog über das Strommarktdesign in Deutschland beginnen. Im Herbst 2014 wird das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie dann ein Grünbuch zum zukünftigen Strommarktdesign veröffentlichen, welches öffentlich konsultiert und im Jahr 2015 zu einem Weißbuch
mit konkreten Lösungsvorschlägen weiterentwickelt
werden soll. Im Rahmen dieses Dialogs über das neue
Marktdesign geht es für uns ausdrücklich nicht um die
Subventionierung alter Kohlekraftwerke, sondern um einen sehr viel breiteren Ansatz.
({4})
Bayern setzt sich dafür ein, Umweltbelange, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit in eine verträgliche
Balance zu bringen. Viele Jahre lang stand der Aufbau
von Kapazitäten aus erneuerbaren Energien sehr im Vordergrund. Ich denke, ich kann sagen: Wir in Bayern wissen, wovon wir reden. Wir sind an der Spitze bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien - im
Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen zum Beispiel. Wir
decken bereits 36 Prozent unseres Stromverbrauchs aus
erneuerbaren Energien.
({5})
Wir alle wissen aber auch: Leistung durch erneuerbare Energien ist nicht durchgängig sicher und auch
nicht grundlastfähig.
({6})
Die Energiewende bedeutet die Umstellung unseres gesamten Energiesystems. Dafür brauchen wir verlässliche
Rahmenbedingungen - das möchte ich heute auch noch
einmal erwähnen -, wie es zum Beispiel bei einem Kapazitätsmarkt der Fall sein kann.
Für einen Kapazitätsmarkt brauchen wir eine technologieoffene, wettbewerbliche und europakompatible Lösung. Notwendig sind die Einbeziehung gesicherter Erzeugungskapazitäten, von Speichern - dahinter setze ich
mehrere Ausrufezeichen; Fragezeichen könnte man
theoretisch auch setzen -, eines Lastmanagements sowie
die Verstetigung von erneuerbaren Energien, die sehr
verlässlich Strom liefern, wie zum Beispiel Wasserkraft
und Biogas. Wir brauchen die richtige Mischung.
Es ist gut, dass Sie ebenso wie wir die Speicher als
wichtigen Bestandteil der Umstrukturierung unseres
Energiesystems betrachten. Es wäre gut gewesen - das
sage ich heute sehr deutlich -, wenn wir es geschafft hätten, das Thema Speicher in das EEG einzupflegen. Das
ist leider nicht geschehen.
({7})
Im Kapazitätsmarkt werden konventionelle Kraftwerke weiter eine Rolle spielen. Sie sind auf absehbare
Zeit zur Deckung der Residuallast und damit zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit unverzichtbar.
Diese konventionellen Kraftwerke müssen jedoch dringend einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der
CO2-Reduktionsziele leisten; es ist von mehreren Kollegen ausgeführt worden. Deshalb werden an einen zukünftigen Kraftwerkspark hohe Anforderungen hinsichtlich
Effizienz, Emissionen, Flexibilität und Verfügbarkeit gestellt. Hier kommen - auch das wurde schon diskutiert Gaskraftwerke oder Gasturbinen infrage, die teilweise
mit Biogas sowie regenerativ erzeugtem Wasserstoff und
Methan betrieben werden könnten.
Neben dem Einsatz hocheffizienter und flexibler Gaskraftwerke ist jedoch der europäische Emissionshandel
- auch darauf wurde schon eingegangen - das wichtigste
regulatorische Instrument zur Reduktion der CO2-Emissionen. Ich denke schon, dass die zu günstigen Preise
- auch das wurde gesagt - ein wesentlicher Grund für
den Anstieg der Kohlestromproduktion sind; sie führen
dazu, dass sich die klimaschonenden und effizienten
Gaskraftwerke nicht rentieren. Auch deshalb müssen wir
dringend gemeinsam mit der EU-Kommission an neuen
marktwirtschaftlichen Modellen arbeiten und auf nationaler Ebene über unser System der Strombörse diskutieren.
Neben der Umstrukturierung des bisherigen CO2Emissionszertifikatehandels gilt es aber auch, an anderen Stellen weiterzuarbeiten. Die Sicherstellung der Zuverlässigkeit und der Bezahlbarkeit unserer Energieversorgung kann nicht allein dadurch erreicht werden, dass
wir weitere Kapazitäten zubauen, ohne über einen Abbau von Kapazitäten im Kohlebereich zu diskutieren.
Erforderlich sind Maßnahmen zur Umsetzung verbindlicher Effizienzvorgaben. Wir haben ein riesiges Energieeffizienzpotenzial von mindestens 10 bis 15 Prozent,
das wir nutzen können, um den Leistungsbedarf zu reduzieren und dadurch Lasten zu verschieben. Ich denke
schon, es ist allerhöchste Zeit, insgesamt verantwortungsbewusster mit Energie umzugehen.
Auch wenn wir alle aus der Kohle aussteigen wollen,
müssen wir uns dessen bewusst sein, dass sich der Kohleausstieg über etliche Jahrzehnte hinziehen und auch
nicht nach dem Muster des Atomausstiegs erfolgen kann
und wird. Ich denke, den gewaltigen Unterschied kennen
wir alle: Die Atomkraft birgt weitaus höhere Risiken als
die Kohlekraft, was einen möglichst schnellen Ausstieg
aus der kommerziellen Atomenergienutzung rechtfertigt.
So sieht es im Übrigen auch der Sachverständigenrat für
Umweltfragen. Er bescheinigt, dass ein Kohleausstieg
und eine vollständige Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen technisch erst ab 2040 realisierbar sind,
und ich denke, darauf gründet auch der Antrag der Linken.
({8})
Klar ist auch: Die Bedeutung der Kohle muss in dem
Maße schrumpfen, in dem die Bedeutung der erneuerbaren Energien wächst; darüber besteht auch in der Gesellschaft durchaus Konsens.
Lassen Sie mich unsere bayerische Umweltministerin
Ilse Aigner zitieren. Sie hat einen sehr treffenden Vergleich gezogen:
Die Energiewende … ist kein Spaziergang, sondern
eine anspruchsvolle Bergtour, bei der man Kondition braucht und die Fähigkeit, bei Unvorhergesehenem auch mal die Route anzupassen oder das
Tempo zu ändern.
({9})
Man muss auch mal stehen bleiben, wenn es zum Beispiel Unwetter gibt; das weiß jeder, der schon mal im
Gebirge war. Entscheidend ist jedoch, dass es aufwärts
geht, dass man - ich bleibe bei diesem Vergleich - das
Gipfelkreuz vor Augen hat, das die Richtung und das
Ziel vorgibt. Dieses Ziel ist eine sichere, bezahlbare,
umweltfreundliche Energieversorgung in einem gut
durchdachten Energiesystem.
Je schneller wir die Kohle nicht mehr brauchen, desto
besser - das sage ich ganz deutlich. Wir können den
Ausstieg aus der Kohle allerdings erst dann gezielt planen, wenn wir ein funktionierendes Marktdesign haben;
erst dann können wir sicher sein, eine ausreichende Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Zum Schluss wünsche ich allen einen schönen
Sommer, auch einen Arbeitssommer; ich gehe davon
aus, dass wir nicht nur Ferien haben, sondern auch zu
Hause arbeiten. Ich wünsche, dass alle Kraft tanken können, damit wir im Herbst in aller Sachlichkeit und Ruhe
mit Verantwortungsbewusstsein und einem Stück Gelassenheit weiterdiskutieren können.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Danke auch, Frau Kollegin Lanzinger. - Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege Thomas Jurk.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Energiewende muss gelingen,
und zwar unter ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten. Das löst man nicht mit einem „den
Schalter umlegen“. Die Energiewende ist für mich kein
unendliches Experimentierfeld, sondern es gibt Rahmenbedingungen, die wir beachten müssen. Als ehemaliger
Elektrotechniker sage ich dazu: Es gibt Gesetzmäßigkeiten, die auch wir als Politiker nicht außer Kraft setzen
können.
Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, Sie haben als
Beispiel die Energiepolitik in Großbritannien genannt.
Also, ich möchte keine Verhältnisse wie in Großbritannien.
({0})
Soweit ich weiß, plant man in Großbritannien, Kernkraftwerke unter Zuhilfenahme von Einspeisevergütungen zu errichten.
({1})
Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Wollen Sie das
wirklich?
({2})
Es ist völlig richtig, was einige Vorredner betont haben: Ein paralleler Ausstieg aus der Atomkraft und aus
der Braunkohle wird nicht funktionieren können.
({3})
Es ist Ihnen schon einmal vorgetragen worden, aber damit Sie es sich vor Augen führen:
({4})
Woraus erzeugen wir unseren Strom in Deutschland?
45 Prozent Kohle, 15 Prozent Kernkraft, 25 Prozent erneuerbare Energien. Ich möchte gerne, dass der letztgenannte Anteil weiter steigt. Aber wir alle wissen doch,
dass erneuerbare Energien volatil sind. Deshalb müssen
wir uns als Politiker darum kümmern, dass die Rahmenbedingungen, auch was die Speicherung anbetrifft, verbessert werden. Ich glaube, die Bundesregierung ist gerade dabei.
Ein anderer wichtiger Punkt ist für mich für das Gelingen der Energiewende notwendig, und das ist die Regelbarkeit. In diesem Zusammenhang komme ich zu den
von einigen so verhassten Braunkohlekraftwerken.
Ich komme aus einer Region, in der vor kurzem ein
neuer Block ans Netz gegangen ist, der Block R in Boxberg. Er hat übrigens einen Wirkungsgrad von 44 Prozent. Dieser Block lässt sich im Lastmanagement zu je
3 Prozent pro Minute hoch- und runterfahren. Das heißt
konkret: Man kann bei einer Gesamtleistung von
675 Megawatt bis zu 250 Megawatt in einer Viertelstunde hoch- oder runterregeln. Das ist eine gewaltige
Leistung. Das ist auch dringend notwendig, um passgenaue Lösungen dann zu finden, wenn es mal mehr, mal
weniger Sonnen- und Windstrom gibt. Und deshalb
sollte man zur Kenntnis nehmen: Das ist ein wichtiges
Element für unsere Energiewende.
({5})
Bundesminister Gabriel hat am Montag seine 10-PunkteEnergie-Agenda zu zentralen Vorhaben der Energiewende für die 18. Legislaturperiode vorgestellt; einige
Vorredner sind bereits darauf eingegangen. Ich finde, es
ist ein sehr gutes Papier und es lohnt, gelesen zu werden,
auch vor dem Hintergrund, dass es klare Aussagen zum
Strommarktdesign enthält; ich erinnere an die Arbeitsweise: Grünbuch, Weißbuch und entsprechende Gesetzesvorhaben. Das macht deutlich, dass wir nicht nur mit
unseren Nachbarländern grenzüberschreitende Lösungen
brauchen, sondern in der Europäischen Union insgesamt.
Neue Erzeugerstrukturen, wie sie in den letzten Jahren aufgewachsen sind, verlangen daran angepasste
Netze. Sowohl bei Übertragungs- wie auch bei Verteilnetzen gibt es riesigen Investitionsbedarf. Das alles muss
finanziert werden.
An dieser Stelle möchte ich den Verteilnetzbetreibern
durchaus meinen Dank und meine Anerkennung zollen.
In den letzten Monaten und Jahren haben sie Hervorragendes geleistet, um die Versorgungssicherheit in unserem Land aufrechtzuerhalten.
({6})
Auch hier macht die 10-Punkte-Energie-Agenda von
Sigmar Gabriel klar: Wir brauchen Vorgaben und vor allen Dingen eine zeitliche Rahmensetzung, damit auch
dieser riesige Kraftakt des Netzausbaus bewältigt werden kann.
Ich komme zum Thema Bergrecht. Ich habe mir sagen lassen, dass das ein altes Thema ist, das auch Sie,
Kollege Krischer, immer wieder vor sich hertragen.
({7})
Selbst wenn es in Deutschland keine Kohlekraftwerke
gäbe, wäre die rohstoffliche Bedeutung für viele Branchen unserer Volkswirtschaft darin abgebildet. Es ist
klar: Da braucht man eine Gesetzgebung.
({8})
Seit 1982 haben wir mit dem einheitlichen Bergrecht,
das damals in Deutschland geschaffen wurde, eine solide
Grundlage geschaffen, die am 3. Oktober 1990 auf das
Gebiet der ehemaligen DDR übertragen wurde.
({9})
Natürlich gab es noch weitere Vorläufer von Vorschriften, aber ich bitte Sie von den Grünen: Tun Sie doch
nicht so, als hätten Sie ein altes und völlig überholtes
Gesetz vor sich.
({10})
- Das Garzweiler-Urteil legt jeder so aus, wie er es
braucht; auch wir haben eine Meinung dazu. Wenn Sie
ganz in Ruhe darüber nachdenken, stellen Sie fest: So
weit ist man da manchen nicht entgegengekommen; das
interpretieren Sie hinein.
Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat in der jüngsten
Zeit Bedarf nach Weiterentwicklung des Bergrechts gesehen,
({11})
ohne es abschaffen zu wollen.
({12})
Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen - Sie haben
es wahrscheinlich vergessen, deshalb sage ich es jetzt
noch einmal -: Uns geht es um die Beteiligung der Öffentlichkeit, zum Beispiel von Gemeinden, von Umweltund Wasserbehörden. Besonders wichtig ist uns eine
frühzeitige Bürgerbeteiligung auch, um die Akzeptanz
für bergrechtliche Verfahren zu erhöhen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bergrecht muss an die Anforderungen einer modernen, aufgeklärten und an Teilhabe interessierten Gesellschaft angepasst werden.
({13})
Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung heraus: Es gibt
keine undemokratischen Verfahren. Schaue ich mir die
Erweiterung des Tagebaus in meiner Heimat an, so kann
ich feststellen, dass die Mitglieder des Braunkohleausschusses oder der regionale Planungsverband in seiner
Verbandsversammlung sehr verantwortungsbewusst das
umgesetzt haben, was sie an Informationen bekommen
haben. Sie haben übrigens nicht nur Vorlagen von bergbautreibenden Unternehmen, sondern auch Hinweise aus
der Bevölkerung aufgegriffen. Nicht jeder war damit
einverstanden. Am Ende gehört es zur Demokratie dazu,
dass man abstimmt.
Frau Baerbock, ich hatte im Gegensatz zu Ihnen nicht
das Glück, vor 1990 einen solchen Rechtsstaat erleben
zu können. Mein Heimatort wäre im Jahre 2010 abgebaggert worden, hätte es die DDR noch gegeben. Ich bin
sehr froh, dass die Menschen 1989 dafür gesorgt haben,
dass das zu Ende war.
({14})
- Ich bin jetzt bei der Region angekommen. Kohle ist ein
regionaler Wirtschaftsfaktor - Herr Krischer, das werden
Sie selbst für NRW nicht bestreiten können - für Brandenburg, für Sachsen und für Sachsen-Anhalt. Ganz nebenbei reden wir über einen einheimischen Energieträger, genau so, wie das auch auf die erneuerbaren
Energien zutrifft.
Im Koalitionsvertrag ist dazu völlig richtig ausgeführt:
Die Energiewende ist für die neuen Länder sowohl
als Produktionsstandort für Anlagen als auch für die
Erzeugung erneuerbarer Energien eine große
Chance. Auch die Braunkohle spielt nach wie vor
eine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsstruktur.
Bei manchen Antragstellern hatte ich den Eindruck
- spontan fällt mir das Bild vom Hebelumlegen ein -:
Jetzt beschließen wir einmal den Strukturwandel. Meine
sehr verehrten Damen und Herren, in meiner Heimatregion, in ganz Ostdeutschland haben wir seit 24 Jahren einen ständigen Strukturwandel - mit unterschiedlichem
Erfolg.
({15})
- Ich glaube, das kann man nicht vergleichen, Herr
Krischer.
({16})
Das hat noch eine andere Dimension. Viele Probleme,
die wir im Osten haben, die wir jetzt gerade lösen, werden Sie auch in Westdeutschland einholen.
({17})
Ich bin froh, dass diese Planung zu Ende ist und dass
wir ganz genau wissen, was wir vor uns haben. Deshalb
ist es notwendig, einen richtigen Planungsrahmen zu haben. Sie haben nicht vor 1990 in meiner Heimat gelebt
und können sich kein Bild machen.
({18})
Was Sie jetzt machen, ist eine pauschale Verurteilung
derjenigen, die dort leben. Das weise ich mit Entschiedenheit zurück.
({19})
Da bin ich bei einem wichtigen Punkt. Auch in der
Braunkohlewirtschaft hat es enorme Anpassungsprozesse gegeben. Wir hatten 1990 noch rund 140 000 Beschäftigte in diesem volkswirtschaftlichen Sektor sicherlich völlig aufgebläht. Momentan arbeiten in Ostdeutschland 11 000 Leute direkt im Tagebau, in Kraftwerken. Rechnet man mit einem Multiplikator von zwei,
kommt man ungefähr auf die Effekte, die durch Dienstleister und Zulieferer entstehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Strukturwandel führt auch zu neuen Landschaftsstrukturen.
Das sind einerseits Chancen für den Tourismus - wenn
ich an die Seengebiete denke -, aber auch Chancen, der
Natur Flächen wieder zurückzugeben. Stetiger Wandel
braucht Zeit.
({20})
- Das, was Sie sagen, ist alles zu vereinfacht, Frau
Höhn. Das ist der Sache nicht angemessen. Sie setzen
sich nicht mit Argumenten auseinander.
({21})
Strukturwandel braucht seine Zeit. Sie können jetzt
gern einmal aufstehen. Ich bin ja noch relativ neu in diesem Parlament. Ich kenne aus dem Sächsischen Landtag
Mikrofone; von diesen aus kann man Zwischenfragen
stellen. Ich bin bereit, sie zu beantworten.
({22})
Stetiger Wandel braucht Zeit. Wir haben für die Region übrigens auch gute Konzepte. Da wird nicht alles
gelöst werden können. Das ist doch gar keine Frage.
Aber es gibt in diesem Zusammenhang nach wie vor
eine sehr hohe Akzeptanz für die Braunkohle. Das sollte
man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es gab im Jahr
2013 eine repräsentative Umfrage von Forsa in allen
Landkreisen und Städten der Region. Zwei Drittel der
Befragten haben auf die Frage - ich lese sie Ihnen vor,
damit Sie wissen, was gefragt wurde -: „Ist zur Sicherung der langfristigen, zuverlässigen und kostengünstigen Versorgung mit Energie die Erweiterung des Braunkohletagebaus in der Lausitz notwendig?“, mit Ja
geantwortet.
Ich verstehe alle, die von Braunkohletagebauen betroffen sind und die ihre Heimat verlassen müssen. Das
ist ein unglaublich schmerzhafter und harter Prozess, der
begleitet werden muss. Ich sage aber auch sehr deutlich:
Die Menschen in der Region wollen keine falschen Versprechungen, und sie wissen, was wichtig für sie ist.
Lassen Sie mich die Debatte zusammenfassen. Eines
ist klar geworden: In dem Maße, in dem der Ausbau und
die Systemintegration der erneuerbaren Energien voranschreiten, wird der Einsatz der Braunkohle als Energieträger zur Stromerzeugung mehr und mehr reduziert
werden können. Das ist ja auch das Ziel des Ausbaus der
erneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang wird
der Anteil der Braunkohle sinken.
Herr Kollege Jurk, denken Sie an die vereinbarte Redezeit.
Ja, ich sehe gerade die Uhr, Herr Präsident. - Ich sage
noch einen schönen Schlusssatz: Wir betrachten die
Braunkohle als Brückentechnologie, die wir so lange benötigen, bis wir unser Ziel einer klimaneutralen Energieerzeugung erreicht haben.
({0})
Vielen Dank. - Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/
CSU.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wenn
wir über den Kohleausstieg reden - alle Monate wieder -,
dann geht es sehr emotional zu. Aus meiner Sicht ist das
verständlich. Sie von den Grünen sind mit Ihren Anträgen immer sehr beharrlich und sehr konsequent.
({0})
Das nötigt mir natürlich Respekt ab. Allerdings sind Sie
immer auch sehr dogmatisch. Deswegen müssen Sie damit rechnen, dass wir Ihre Anträge beharrlich und konsequent zurückweisen, weil Ihre Anträge keiner wirklich
sachlichen Betrachtung standhalten.
({1})
Wir wollen ruhig und sachlich,
({2})
aber auch ein bisschen emotional antworten. Eigentlich
ist es schade, dass wir jetzt, am letzten Sitzungstag vor
der Sommerpause, noch einmal anderthalb Stunden lang
darüber reden müssen. Wir haben in Plenarsitzungen, in
Ausschusssitzungen und in AG-Sitzungen darüber gesprochen, und immer wieder wurde dasselbe thematisiert
und wurden dieselben Anträge gestellt.
Die Geschichte ist eigentlich sehr schnell erzählt: Der
überstürzte Ausstieg aus der Kohleverstromung - das
haben letztendlich alle Redner gesagt - ist derzeit nicht
machbar, jedenfalls nicht ohne größere volkswirtschaftliche Risiken.
({3})
Zur Historie gehört auch - auch das haben alle gesagt -,
dass es einen politischen Beschluss gibt, aus der Kernenergieerzeugung auszusteigen. Wir haben noch nicht
beschlossen, aus der Kernenergienutzung auszusteigen,
aber wir haben beschlossen, aus der Kernenergieerzeugung auszusteigen. Im Jahr 2003 betrug der Anteil des
Stroms aus Kernenergie noch 27 Prozent, im Jahr 2013
15 Prozent. Auch diese 15 Prozent weiter zurückzufahren und damit weiter auszusteigen, ist kein Thema.
Gleichzeitig überstürzt aus der Kohleverstromung auszusteigen - das haben alle Redner gesagt -, wäre aber
energiepolitischer und volkswirtschaftlicher Harakiri.
Nahezu jede zweite Kilowattstunde, Frau Baerbock,
wird durch Kohleverstromung erzeugt. 2003 waren es
noch 50 Prozent, 2013 waren es 45 Prozent, und jetzt
sind es noch etwas über 40 Prozent.
Wir sollten uns eigentlich das Thema der erneuerbaren Energien vornehmen, anstatt an den anderen Themen
herumzudaddeln; denn der Ausbau der erneuerbaren
Energien ist eine Erfolgsgeschichte. 2003 betrug der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien 7,5 Prozent,
und jetzt sind es 25 Prozent. Das ist ein Erfolg. Lassen
Sie uns doch darüber reden. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir auf diesem Gebiet weiterkommen können,
um dann synchron aussteigen zu können.
({4})
Zu glauben, den 45-prozentigen Anteil der Kohle
heutzutage durch Gas ersetzen zu können, und das
schnell, ist aus meiner Sicht schlicht und ergreifend naiv.
({5})
Ich jedenfalls möchte nicht, dass wir in Abhängigkeit
von unsicheren Gaslieferanten geraten, von Staaten wie
- das kann man ruhig sagen - Russland. Ich möchte
keine nationale Klima- und Umweltpolitik. Sie wollen
keine Kohleverstromung in Deutschland. Sie wollen natürlich auch kein Fracking in Deutschland. Sie wollen
keine CCS-Technologie in Deutschland. Aber ist es denn
sinnvoll, fossile Energien im Ausland zu fördern und in
Deutschland zu verbrennen? Das ist doch auch kein
Weg.
({6})
Eine rein nationale Orientierung - das ist klar - ist nicht
sinnvoll. Das ist nicht mein Verständnis von einem sinnvollen Umgang mit fossilen Energieträgern.
Der eilige und national einseitige Kernenergieausstieg
führte bereits zu einigen Absurditäten; das kann uns natürlich auch bei der Kohle passieren. Bei den erneuerbaren Energien haben wir an Tagen mit geringer Abnahme
natürlich einen negativen Strompreis; das kennen wir
alle. An Tagen mit großem Bedarf hingegen kaufen wir
Strom aus Kernenergie in Frankreich oder Temelin in
Tschechien; auch das ist nicht der richtige Weg. Deswegen kommt es zur nächsten Absurdität - das stand neulich auch in der Zeitung -: dass Russland bzw. Putin uns
Strom aus noch nicht einmal gebauten Kernkraftwerken
in Kaliningrad anbietet. Das ist völlig absurd. Wollen Sie
diesen Weg etwa gehen und sich in diese Abhängigkeit
begeben? Ich denke, das ist nicht der Sinn der Energiewende.
({7})
Die Kohle wird eine Brücke sein - da haben Sie alle
recht; Barbara Lanzinger hat darauf hingewiesen, Herr
Jurk auch -, logischerweise aber eine Brücke hin zu erneuerbaren Energien. Sie kann keine Brücke zu einem
anderen fossilen Energieträger sein, aus meiner Sicht jedenfalls nicht. Anders als bei der Kernenergie müssen
wir den Ausstieg synchron betreiben:
({8})
synchron mit den neuen Technologien, synchron mit den
erneuerbaren Energien, synchron mit den Speichern, die
wir teilweise noch nicht haben, synchron mit den Netzen, bestenfalls natürlich mit den vorhandenen Netzen,
und synchron mit der Grundlast bzw. mit nutzbarer
Energie. Es nützt uns nichts, wenn wir erneuerbare Energien nur installieren, sie aber dann, wenn sie gebraucht
werden, nicht zur Verfügung stehen. Unser Ziel muss
sein, wegzukommen von der Renditeversorgung und
wieder hinzukommen zur Energieversorgung.
Sie sprechen in Ihrem Antrag von steigenden Emissionen. Aber Sie haben dabei nicht bedacht, dass die
Braunkohleverstromung sehr viel effizienter geworden
ist. Das mag Sie nicht zufriedenstellen, aber es ist zumindest so. 2013 wurde mehr Strom aus Kohle produziert; das ist richtig. Dafür wurde aber weniger Kohle
verbrannt. Das ist ein Szenario, das dargestellt wurde. Es
geht um die NOx- und die SO2-Werte. Bei NOx sind wir
so weit, dass wir den Wert von 1990 halbiert haben. Bei
SO2 beträgt der Wert, von der Basis 1990 ausgehend,
7 Prozent. Lediglich 6 Prozent aller Feinstaubemissionen kommen von Kraftwerken; alles andere ist auf den
Straßenverkehr und auf andere Bereiche zurückzuführen.
Zum Quecksilber - Sie haben es angesprochen - kann
man sagen: Beim Quecksilber ist die Situation kritisch;
gar keine Frage. Aber europäische Kraftwerke machen
weniger als 2 Prozent der weltweiten Quecksilberemissionen aus. Auch das kann uns nicht zufriedenstellen,
aber das sind erst einmal die Fakten. Die Produktion einer Leuchtstofflampe oder einer Energiesparlampe irgendwo auf der Welt trägt jedoch mehr zum Quecksilberausstoß bei als die Kraftwerke.
Zu Ihren Forderungen zum Emissionshandel sei gesagt: ETS ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Es ist
kein Instrument, um den Energiemix staatlich festzulegen. Es ist auch kein Instrument, um die Staatskasse zu
füllen; das sage ich, weil Sie immer wieder den Klimafonds ansprechen. Ein Mindestpreis führt dazu, dass das
ganze System ad absurdum geführt wird. Ein Eingriff
der EU-Ebene wäre ein Eingriff in den Energiemix der
Nationalstaaten.
Meine Damen und Herren, die Energiewende ist auf
einem guten Weg. Im ersten Halbjahr 2014 waren die erneuerbaren Energien die wichtigste Stromquelle in
Deutschland. Sie haben die Braunkohle abgelöst; das
wurde heute schon gesagt. Das ist der richtige Weg, und
da müssen wir hin. Die Braunkohle durch eine andere
fossile Energiequelle zu ersetzen, ist aus meiner Sicht
energiepolitischer Unfug.
Ich widme die letzten drei Minuten meiner Redezeit,
die ich noch habe, dem heutigen Fußballspiel und höre
ein bisschen früher auf.
Vielen Dank.
({9})
Ein nicht völlig unbedeutender Hinweis. - Damit
schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/1962 und 18/1673 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im
Geschäftsverkehr
Drucksachen 18/1309, 18/1576
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({0})
Drucksache 18/2037
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Christian Lange.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich freue mich, dass wir mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung
von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr die im Jahr
2011 überarbeitete Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr umsetzen. Dabei bestand durchaus Zeitdruck; denn die Umsetzungsfrist ist,
wie Sie wissen, seit über einem Jahr abgelaufen, und die
EU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
Der Entwurf hat das Ziel, eine bessere Zahlungsdisziplin im Geschäftsverkehr zu fördern. Wir wollen vor allen Dingen Handwerk und Mittelstand davor schützen,
dass sie ihren verhandlungsstärkeren Auftraggebern zur
Begleichung des Entgelts oder zur Überprüfung der
Ware lange Fristen einräumen und damit praktisch kostenlosen Kredit gewähren müssen. Vor allem diese Unternehmen können sehr schnell in eine finanzielle
Schief- oder gar Notlage geraten, wenn sie gegenüber ihrem Geschäftspartner in Vorleistung gehen und zu lange
auf ihr Geld warten müssen, während sie ihre eigenen
Zahlungsverpflichtungen sofort erfüllen müssen.
Der Entwurf beschränkt deshalb das Recht, vertraglich Zahlungs-, Abnahme- und Überprüfungsfristen zu
vereinbaren. Dies gilt vor allem für Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nach den intensiven
Diskussionen, die schon in der letzten Wahlperiode geführt worden sind, sind wir der Überzeugung, dass es
sachgerecht ist, Klauseln im Zweifel als unwirksam anzusehen, in denen sich ein Schuldner vorbehält, erst nach
mehr als 30 Tagen zu zahlen. Der Entwurf weicht damit
geringfügig von den Vorgaben der Richtlinie ab, die eine
solche 30-Tage-Frist nur für öffentliche Auftraggeber als
Zahlungsschuldner vorsieht.
Eine dramatische Verschärfung der geltenden Rechtslage ist dabei freilich nicht zu befürchten; denn schon
heute orientiert sich die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer solchen Klausel an besagter
30-Tage-Frist. Der Entwurf bleibt vielmehr dem schon
geltenden hohen Schutzniveau des deutschen Rechts treu
und vermeidet es, den geltenden Kontrollmaßstab aufzuweichen. Zugleich lässt er genügend Spielraum, um auch
künftig die Besonderheiten einer Vertragsbeziehung zu
berücksichtigen, die im Einzelfall die Vereinbarung längerer Fristen rechtfertigen.
Dementsprechend wird auch das Recht, Klauseln mit
Überprüfungs- und Abnahmefristen zu verwenden, stärker beschränkt. Hier sind Fristen im Zweifel unangemessen, wenn sie mehr als 15 Tage betragen. Vereinbaren
die Vertragsparteien individualvertragliche Zahlungs-,
Überprüfungs- oder Abnahmefristen, müssen dabei
künftig in Übereinstimmung mit der Richtlinie folgende
Maßstäbe eingehalten werden:
Erstens. Lässt sich ein Unternehmer eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Tagen einräumen, so ist diese Vereinbarung nur wirksam, wenn sie „ausdrücklich getroffen“ und „nicht grob unbillig“ ist.
Zweitens. Dieselben Wirksamkeitsanforderungen gelten, wenn sich Unternehmer oder öffentliche Auftraggeber Überprüfungs- und Abnahmefristen von mehr als
30 Tagen einräumen lassen.
Drittens. Im Hinblick auf vereinbarte Zahlungsfristen
gelten, wenn der Zahlungsschuldner ein öffentlicher
Auftraggeber ist, wie bereits erwähnt, strengere Anforderungen; Stichwort: Vorbildfunktion der öffentlichen
Hand. Eine Frist von mehr als 30 Tagen ist nur dann
wirksam, wenn sie „ausdrücklich getroffen“ und „sachlich gerechtfertigt“ ist. Eine Zahlungsfrist von mehr als
60 Tagen ist hingegen in jedem Fall unwirksam.
Diese Regeln sollen nun also in der Praxis umgesetzt
werden. Hierzu wird beitragen, dass Unternehmensverbände das Recht haben werden, Ansprüche auf Unterlassung von gesetzeswidrigen AGB oder entsprechende
Geschäftspraktiken gerichtlich geltend zu machen.
Kleine und mittlere Unternehmen erhalten damit Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Genau
das wollen wir, meine Damen und Herren.
Die neuen Regelungen sollen nun möglichst schnell
in Kraft treten. Sie sollen auch für bereits bestehende
Dauerschuldverhältnisse gelten. Es wäre nicht mit dem
Ziel des Schutzes der Gläubiger vereinbar, weit in die
Zukunft hinein an vereinbarten Zahlungs-, Überprüfungs- oder Abnahmefristen festzuhalten, die nach
neuem Recht nicht mehr möglich wären. In diesen Fällen soll das neue Recht gelten, sofern die Leistung, für
die ein Zahlungsziel vereinbart wurde, nach dem
30. Juni 2016 erbracht wurde. Diese lange Übergangsfrist lässt hinreichend Zeit, um bestehende Rahmenverträge anzupassen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zahlungsmoral zu verbessern, ist das Ziel. Ich glaube, dass
der Gesetzentwurf der Bundesregierung dafür sorgen
wird, dass Deutschland auch zukünftig ein verlässlicher
Rechtsstandort für Schuldner und Gläubiger sein wird,
und bitte Sie um Ihre Unterstützung und Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Nächster Redner
ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Richard
Pitterle.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
soll der Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr bekämpft
werden. Im Klartext: Es soll dafür gesorgt werden, dass
die Rechnungen bei Geschäften zwischen Unternehmen
zügig beglichen werden. - So weit das erklärte Ziel.
Ich kann Ihnen aber gleich vorwegsagen: Die Fraktion Die Linke wird sich bei der Abstimmung über Ihren
Gesetzentwurf enthalten; denn es gibt zwar Positives an
Ihrem Gesetzentwurf, aber auch Negatives bzw. Schwächen; dazu werde ich noch Stellung nehmen.
({0})
Ich bin seit 1990 als Rechtsanwalt im Bereich des nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehrs tätig.
Glauben Sie mir: Ich weiß, dass an der zeitigen Zahlung
von Rechnungen - gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen - allzu oft Existenzen hängen. Nehmen Sie
als Beispiel die Handwerkerin oder den Handwerker von
nebenan: Wenn einmal ein größerer Auftraggeber längere Zeit nicht zahlt, dann kann das für das kleine Unternehmen aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur Zwischenfinanzierung existenzbedrohend sein.
Zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Ich will mich dabei
auf drei Punkte beschränken:
Zum Ersten. Das hier verfolgte Ziel, durch gesetzliche Höchstfristen zeitige Rechnungszahlungen zu garantieren, begrüßen wir. Im Gesetzentwurf ist das für den
Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch
gut gelungen. Hier können sich Unternehmen nicht mehr
von vornherein 90 Tage als Zahlungsfrist ausbedingen.
Grundsätzlich dürfen es jetzt nur noch 30 Tage sein.
({1})
Viele große Unternehmen verschafften sich bisher zulasten des Handwerks einen zinslosen Kredit. Das ist ein
Skandal, der auch beendet gehört.
({2})
So weit, so gut.
Im Bereich der individuellen Verträge ohne Allgemeine Geschäftsbedingungen lassen Sie jedoch noch
eine Frist von 60 Tagen zu - in Ausnahmefällen sogar
von mehr als 60 Tagen.
({3})
In Teilen der mittelständischen Wirtschaft besteht hier
die Befürchtung, wie wir aus der Anhörung wissen, dass
dieses Schlupfloch künftig vermehrt ausgenutzt werden
könnte. Hier müssen Sie nachbessern.
({4})
Zweiter Punkt. Ihr Gesetzentwurf ist nach wie vor zu
kompliziert gestaltet. Bereits in der öffentlichen Anhörung waren sich die geladenen Sachverständigen uneinig, wie einzelne Regelungen Ihres Gesetzentwurfs auszulegen sind. Nun frage ich Sie, meine Damen und
Herren der Regierungskoalition: Wie soll es für kleine
und mittelständische Unternehmen möglich sein, dieses
Gesetz richtig auszulegen, wenn sich bereits die Sachverständigen in der Anhörung, die ausgewiesenermaßen
Experten auf diesem Gebiet sind, nicht auf eine Auslegung einigen konnten? Ihnen dürfte ja wohl bewusst
sein, dass der Bäcker oder der Elektroinstallateur in der
Regel keine tiefer gehenden Kenntnisse über die Niederungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat - geschweige
denn eine eigene Rechtsabteilung, die hier weiterhelfen
könnte.
({5})
Dritter und letzter Punkt. Sie hätten die Arbeit im
Ausschuss nutzen sollen, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition, um hier noch einmal nachzubessern und entsprechende Änderungen vorzunehmen.
Doch was machen Sie stattdessen? Sie bringen zwar einen Änderungsantrag ein, doch der beinhaltet fast nur
Änderungen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, die mit
der vorliegenden Materie null zu tun haben.
Meine Damen und Herren, das muss ich Ihnen leider
ganz grundsätzlich sagen: Zwar drängt die Zeit manchmal, aber der Mischmasch, den Sie hier zusammenrühren, hat mit seriöser parlamentarischer Arbeit kaum etwas zu tun.
({6})
Im Gegenteil: Mit den Änderungen zum EEG bringen
Sie hier eine Materie ein, die überhaupt nicht im Sachzusammenhang zu diesem Gesetzentwurf steht. Vielleicht
wissen Sie es nicht, was, nebenbei bemerkt, recht bedenklich wäre, aber ein solches Vorgehen entspricht weder der Geschäftsordnung dieses Hauses noch der Verfassung unseres Landes.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege
Dr. Stephan Harbarth.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein
guter Tag für den Mittelstand in Deutschland. Wir bringen ein wichtiges Projekt auf den Weg, das den Mittelstand in seiner tagtäglichen Arbeit unterstützt. Es ist unserer Fraktion seit jeher ein großes Anliegen gewesen,
Mittelstandspolitik nicht in Sonntagsreden zu betreiben,
sondern in praktische Politik umzusetzen. So handhaben
wir das, seit wir ab dem Jahr 2005 wieder mitregieren
dürfen. Deshalb freuen wir uns, dass wir mit dem heutigen Tag wichtige Akzente für den Mittelstand in
Deutschland setzen können.
({0})
Wir erreichen heute gewissermaßen das Ende einer
mehrjährigen Wanderung. Diese Wanderung begann zu
Beginn der letzten Legislaturperiode, als der Entwurf einer Richtlinie der EU über die Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr auf dem Tisch lag. Wir
als Deutscher Bundestag haben damals - ich empfand
das als sehr starkes und sehr gutes Signal nach Brüssel eine in diesem Hause einstimmig verabschiedete Stellungnahme nach Artikel 23 Grundgesetz abgegeben.
Wir haben darin festgestellt, dass der Entwurf der
Kommission an einer Vielzahl von Punkten aus Sicht der
deutschen Rechtskultur unvertretbar und inakzeptabel
war. Wir haben damals sehr klare Kritik formuliert. Das
war ein deutliches Signal nach Brüssel, und wir haben
uns sehr gefreut, dass dieses Signal in Brüssel gehört
wurde. Der Deutsche Bundestag war mit seiner Stellungnahme erfolgreich: Die Richtlinie wurde an vielen Stellen positiv verändert.
Wie ist die Ausgangslage? Die Ausgangslage ist so,
dass in Europa in vielen Fällen Rechnungen nicht zeitnah beglichen werden. Wir in Deutschland sind in einer
noch vergleichsweise guten Situation. Aber auch bei uns
werden Rechnungen in manchen Fällen nicht so schnell
beglichen, wie man sich das wünscht. Man sieht, dass in
vielen anderen europäischen Ländern die Zahlungskultur
geradezu dramatisch ist. Man sieht auch, dass in vielen
Ländern innerhalb Europas gerade die Zahlungskultur
der öffentlichen Hand schlecht ist, dass in manchen Ländern die öffentliche Hand Rechnungen viel schleppender
bezahlt, als dies private Einheiten tun.
Deshalb ist es richtig, dass die Kommission hier tätig
geworden ist. Es reicht nicht aus, den Zahlungsverkehr
in einem Binnenmarkt in einzelnen Ländern zu bekämpfen, sondern das muss grenzüberschreitend geschehen,
weil auch der Geschäftsverkehr grenzüberschreitend ist.
Wir halten auch den Ausgangspunkt der Kommission für
richtig, an die öffentliche Hand, bei der die Missstände
im Augenblick am größten sind, besonders strenge Maßstäbe anzulegen.
Wir wollen heute den vorliegenden Gesetzentwurf
verabschieden. In diesem Gesetzentwurf sind strikte Regeln für den Versuch vorgesehen, Zahlungsfristen in die
Zukunft zu verlagern. Wir sind der Auffassung: Wer eine
Leistung erbringt, hat das Recht, dass er dafür zeitnah
Geld sieht. Deshalb gehen wir an vielen Stellen weit
über die Richtlinie hinaus. Wir machen keine Eins-zueins-Umsetzung, sondern im Sinne der Interessen der
Gläubiger, gerade auch im Sinne des Mittelstands, der
auf Liquidität in besonderer Weise angewiesen ist, gehen
wir über die Richtlinie hinaus. Das ist ein gutes Signal
für den Mittelstand.
({1})
Strikte Regelungen gibt es insbesondere im Bereich
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wo eigentlich
die Musik spielt. Es ist vorgesehen, dass alle Zahlungsfristen, die über 30 Tage hinausgehen, im Zweifel unwirksam sind. Damit soll erreicht werden, dass gerade
Handwerksbetriebe, mittelständische Betriebe, Bauunternehmen und andere nicht mehr in gleicher Weise wie
in der Vergangenheit Gefahr laufen, eine Zeitlang auf
Fehlbeträgen sitzen zu bleiben; denn sie müssen mit diesem Geld arbeiten. Bei einem Handwerksbetrieb, der ein
oder zwei große Rechnungen verschickt und dann monatelang auf das Geld wartet, kann man sich die Konsequenzen lebhaft vorstellen: Arbeitsplatzverlust oder sogar Insolvenz. Deshalb ist es sehr gut, dass wir hier tätig
werden.
Herr Kollege Pitterle, dass verschiedene Sachverständige zu Bestimmungen in Gesetzen immer wieder unterschiedlicher Meinung sind, ist ein relativ normaler Vorgang. Dazu fällt mir auch im Bürgerlichen Gesetzbuch
eine Reihe von Bestimmungen ein. Ich erinnere zum
Beispiel daran, dass dort auf die Begrifflichkeit „Treu
und Glauben“ rekurriert wird. Da gilt der alte Grundsatz:
drei Juristen, drei Meinungen.
({2})
Deshalb kann der Umstand, dass zu einzelnen Passagen
verschiedene Rechtsauffassungen bestehen, nicht dazu
führen, dass wir sagen: Das ist kein guter und zustimmungsfähiger Entwurf. Das gilt umso mehr, als gerade
bei Fragen des Zahlungsverkehrs, die sich jeden Tag
stellen, die Gerichte mit Sicherheit sehr schnell Rechtssicherheit schaffen werden. Das ist komplett anders als
an vielen anderen eher entlegenen Stellen der Materie.
Der Gesetzentwurf ist durch die Sachverständigenanhörung noch einmal bestätigt worden. Deshalb würde
ich Sie auch bitten - Sie haben ja noch ein paar Minuten
Zeit -, dass Sie sich vielleicht noch einmal in Ruhe überlegen, ob Sie einem derart guten Entwurf nicht doch zustimmen möchten. Sie haben das ja damals bei der Stellungnahme getan. Wir würden es begrüßen, wenn wir
auch hier wieder ein einstimmiges Signal im Sinne des
Mittelstandes hinbekämen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung als Parlamentarier machen. Ich glaube, dass es ein Zeichen des Mutes
und ein Zeichen aufrechten Ganges ist, dass die handwerklichen Fehler, die in der vergangenen Woche offenkundig im Rahmen der EEG-Reform begangen wurden,
nun rasch korrigiert werden. Das haben die Menschen so
verdient. Ich sage als Parlamentarier aber auch, dass ich
es mir sehr wünschen würde - so herausfordernd und so
komplex die Materien für die Ministerien auch sein mögen -, dass derartige Dinge, dass man bereits wenige
Tage nach Verabschiedung einer Reform eine Reparatur
vornehmen muss, in Zukunft unterbleiben.
Wir werden diesem Gesetz heute zustimmen, weil es,
wie bereits gesagt, ein gutes Signal für den Mittelstand
ist.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Katja Keul.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Beschleunigung des
Zahlungsverkehrs verdient es eigentlich, aufmerksam
diskutiert zu werden. Es geht dabei um die Umsetzung
einer EU-Richtlinie, nach der große und starke Auftraggeber gegenüber kleineren Auftragnehmern mit einer
schwächeren Verhandlungsposition nicht unendlich lange
Zahlungsfristen aushandeln können sollen. Leider wird
dieses Gesetzvorhaben jetzt dazu missbraucht, hierin
Reparaturen für das völlig chaotisch zustandegekommene EEG unterzubringen. Inhaltlich wird gleich mein
Kollege dazu noch einiges sagen, von mir nur zum Verfahren noch eine rechtspolitische Anmerkung.
Man kann daran sehen, dass es eben doch Sinn macht,
dem Parlament die Gesetzgebung zu überlassen.
({0})
Überlassen wir dies der Exekutive, indem wir deren Vorlagen nicht einmal mehr lesen, bevor wir sie verabschieden, geht es eben schief. Gewaltenteilung hat ihren Sinn.
An diese alte Weisheit sollte sich auch eine Große Koalition erinnern.
({1})
Aber zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Als
Erstes stellen wir fest, dass auch ein geordnetes Verfahren inklusive Sachverständigenanhörung nicht immer
eine Garantie für eine gelungene Gesetzgebung ist. Die
europäische Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zielt darauf ab, die Zahlungsdisziplin zu verbessern. - So weit, so gut.
Es soll in Europa eine „Kultur der unverzüglichen
Zahlung“ entstehen. Insbesondere kleine und mittlere
Unternehmen sollen von der Last des Gläubigerkredits
befreit werden. Das Ziel ist gut, und in Deutschland war
die Gesetzeslage auch bisher schon eindeutig. Der bisherige § 271 BGB schreibt sinngemäß vor, dass die Zahlung nach erfolgter Leistung vom Gläubiger sofort verlangt werden kann, wenn nichts anderes vereinbart
worden ist.
In der Praxis wurden 2012 in Deutschland Zahlungsziele von durchschnittlich 24 Tagen vereinbart. Weil das
in anderen EU-Ländern teilweise schlechter läuft, schreibt
die Richtlinie als Obergrenze für vereinbarte Zahlungsfristen bis zu 60 Tage vor.
Man kann aber eine EU-Richtlinie auch umsetzen, indem man über sie hinausgeht.
({2})
Wenn man sich die Werte aus Deutschland ansieht und
das Ziel einer Beschleunigung ernst nimmt, sollte man
daher für den neuen § 271 a BGB einen Wert von maximal 30 Tagen erwarten. Das würde der Richtlinie ebenfalls entsprechen und wäre der Praxis angemessen.
({3})
Anderenfalls ist zu befürchten, dass sich der neue
§ 271 a BGB mit seinen 60 Tagen künftig als gesetzliches Leitbild etabliert und sich die Praxis sogar noch
verschlechtert.
Alle Sachverständigen haben in der Anhörung betont,
wie wichtig es ihnen sei, dass im Rahmen Allgemeiner
Geschäftsbedingungen maximal 30 Tage vereinbart werden dürfen, und gaben sich damit zufrieden. Das ist auch
nachvollziehbar, da diese Experten überwiegend Verbände vertraten, die ohnehin fast ausschließlich mit
AGB, also mit vorformulierten Geschäftsbedingungen,
arbeiten. Für die allgemeinere Vorschrift des § 271 a
BGB interessieren die sich naturgemäß weniger. Danach
dürfen es auch 60 Tage sein.
Ich sehe jedoch nicht, warum nicht auch an dieser
Stelle Rücksicht auf die Gepflogenheiten in Deutschland
genommen wird. 30 Tage wären für alle angemessen und
ausreichend - egal ob AGB oder individuelle Verträge.
({4})
Außerdem unterscheiden Sie dann noch zwischen privaten und öffentlichen Auftraggebern. Bei den Kommunen wollen Sie ebenfalls nur 30 Tage zulassen. Die Begründung dafür ist überhaupt nicht plausibel. Einmal
heißt es, die Öffentlichen seien besonders langsam - das
haben wir gerade gehört -, und dann wieder, die Öffentlichen sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Beides
mag ja stimmen. Das begründet aber nicht, warum man
den privaten Auftraggebern mehr Spielraum lassen will.
Was für die einen recht ist, sollte für die anderen billig
sein. Letztlich interessiert den Handwerker nicht, ob er
wegen ausstehender Zahlungen von Kommunen oder
von Privatunternehmen in Not kommt. Hauptsache, das
Geld kommt.
Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen,
weil wir eine einheitliche Obergrenze von 30 Tagen für
nötig halten, wenn man den Zahlungsverkehr in Deutschland tatsächlich beschleunigen will. Ein Beschleunigungsgesetz, das nichts beschleunigt, sollte man lieber ganz
lassen.
Vielen Dank.
({5})
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Dirk Wiese.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs setzen wir einen wichtigen
Punkt bei der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr; denn bisher mussten gerade mittelständische Betriebe und das Handwerk viel zu oft finanziell in
Vorleistung treten. Rechnungen durch die Auftraggeber
wurden zumeist erst verspätet gezahlt. Lange Zahlungsfristen von teilweise über drei Monaten waren nicht selten an der Tagesordnung. Für die kleineren und mittleren
Unternehmen barg dieser Zeitrahmen ein großes finanzielles Risiko; denn sie liefen in dieser Zeit Gefahr, eigene Rechnungen und Angestellte nicht mehr bezahlen
zu können. Das war und ist eine soziale Ungerechtigkeit.
Dem setzen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf ein
Ende.
({0})
Liebe Frau Winkelmeier-Becker, ich habe heute Morgen aufmerksam im Handelsblatt gelesen, dass Sie im
Namen von Mittelstand und Handwerk diesen Gesetzentwurf sehr begrüßen. Ich erinnere mich noch an die
Stellungnahmen aus der letzten Legislaturperiode, in der
Sie einen anderen Koalitionspartner hatten und ein diametral entgegengesetztes Ziel verfolgten, nämlich mehr
in Richtung Industrie. Deshalb freuen wir uns als Sozialdemokraten heute ganz besonders, dass wir Sie wieder
auf den Pfad der Tugend bringen konnten und Sie wieder
Politik für Mittelstand und Handwerk machen. Schön,
dass Sie uns da gefolgt sind!
({1})
- Ich sehe, dass Sie im Vergleich zur letzten Legislaturperiode dazugelernt haben.
Fair Play unter Geschäftspartnern muss wieder unser
Ziel sein. Dazu trägt auch der vorliegende Gesetzentwurf bei. Im Handel wird zeitweise erst 90 Tage nach
Erhalt der Ware gezahlt. Das kann nicht sein. Ich habe
schon in der ersten Lesung gesagt: Wir alle müssen an
der Kasse im Supermarkt direkt bezahlen. Deshalb können nicht so lange Zahlungsfristen gelten. Es muss wieder eine Selbstverständlichkeit sein, dass schnell gezahlt
wird und kleine Unternehmen ihr Geld bekommen.
Staatssekretär Lange hat darauf verwiesen, dass gerade
Großkonzerne, die mit enormen Summen operieren,
durch die Streckung der Zahlungsfristen einen Zinsgewinn in ihren operativen Gewinn einplanen, und das auf
dem Rücken von kleinen und mittleren Unternehmen,
die dadurch um ihre Existenz bangen. Das geht nicht.
Dem schieben wir mit diesem Gesetzentwurf einen Riegel vor, und das ist gut so.
({2})
Besonders ist an dieser Stelle die Neuregelung des
§ 308 bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen - das
ist der wichtigste Punkt im Gesetzentwurf - hervorzuheben. Ich glaube, hier haben wir eine sehr gute Regelung
gefunden, insbesondere bei den Übergangsfristen. Ich
danke dem Kollegen Dr. Harbarth, dass wir uns in den
Verhandlungen verständigt haben. Das ist ein guter Weg,
den wir hier gefunden haben.
Ich kann nur sagen: Die rot-schwarze Bundesregierung legt mit dem Gesetzentwurf ein wirksames Instrument vor, um die Zahlungsmoral im Geschäftsverkehr zu
verbessern. Wir sorgen mit diesem Gesetzentwurf dafür,
dass ein Plus in den Geschäftsbüchern auch ein tatsächliches Plus auf dem Konto ist. Entsprechend positiv sind
auch die Reaktionen, die uns in den vergangenen Tagen
erreicht haben. Einige Verbände haben geschrieben: Die
Bundesregierung setzt ein deutliches Zeichen zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.
Schlechter Zahlungsmoral und unverhältnismäßig langen Zahlungsfristen wird so künftig ein wirksamer Riegel vorgeschoben. - In einer anderen Stellungnahme
heißt es: Die Bundesregierung hat die Lage der Branche
verstanden, und der Gesetzentwurf gibt die richtige Antwort auf die Probleme.
Kurzum: Sozialdemokraten und Wirtschaft, das passt.
Davon verstehen wir etwas. Wir waren gerne behilflich,
sozusagen die Fehler der letzten Legislaturperiode zu
korrigieren.
({3})
- Ja.
Da muss ich jetzt doch einmal nachhaken, lieber Herr
Kollege. Sind Sie bereit, den Werdegang dieses Gesetzesvorhabens zur Kenntnis zu nehmen? Damals hatte
unser Koalitionspartner, das FDP-Ministerium, einen anderen Entwurf - die Eins-zu-eins-Umsetzung - eingebracht. Es war die Union, die sich damit eben nicht abgefunden hat, sondern sich dafür starkgemacht hat, dass
wir eine mittelstandsfreundliche Lösung bekommen.
Der Entwurf ist dann der Diskontinuität anheimgefallen.
Aber es war gerade unser Ansatz, diese Differenzierung
hinzubekommen und dem Mittelstand den Weg zu ebnen.
Genauso ist es jetzt umgesetzt worden. Das Ministerium hat einen Lernprozess durchgemacht und uns einen
entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn Sie damals
noch nicht Mitglied des Hohen Hauses waren?
({0})
Mich würde Ihre Stellungnahme dazu interessieren.
Geschätzte Frau Kollegin, ich stimme Ihnen an der
Stelle vollkommen zu.
({0})
Ich glaube, wir haben hier gemeinsam einen guten
Entwurf vorgelegt, und wir beide stimmen der Feststellung zu, dass es gut ist, dass der Entwurf, der in der letzten Legislaturperiode vorgelegt worden ist, genauso wenig die parlamentarischen Hürden überwunden hat wie
die FDP die 5-Prozent-Hürde.
({1})
Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. Ich glaube,
wir stärken das Handwerk und den Mittelstand mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf. Das freut mich als Sauerländer - das muss ich an dieser Stelle sagen - ganz besonders; denn im Sauerland haben Handwerksberufe und
mittelständische Familienunternehmen nicht nur eine
lange Tradition, sondern sie sind eben auch eine kulturelle und gesellschaftliche Bereicherung für das Leben
vor Ort.
Vielen Dank.
({2})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Silke Launert
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen
Tagen hört man in den Medien und in der politischen
Diskussion oft, wie wichtig es ist, die deutsche Wirtschaft zu schützen, und dass wir sie doch nicht über die
Maßen belasten dürfen. Was aber oft übersehen wird, ist:
Was ist die deutsche Wirtschaft? Was macht das Gros
der deutschen Wirtschaft aus? Genau das sind nämlich
die kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze werden von diesen gestellt. Sie sind oft noch
familiengeführt, identifizieren sich oft in besonderer
Weise mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
und der Region, in der sie ansässig sind, und unterstützen vor Ort kulturelle Einrichtungen und Sportvereine.
Deshalb ist es so wichtig, dass man diese kleinen und
mittelständischen Unternehmen im Blick hat; denn, wie
schon angesprochen, sie sind nicht nur das Fundament
der Wirtschaft, sondern eine tragende Säule unserer Gesellschaft.
Deshalb müssen wir bei allen Entscheidungen, die wir
in diesem Parlament treffen, besonders auf die Interessen dieser kleinen und mittelständischen Unternehmen
Rücksicht nehmen. Ich freue mich daher, dass das mit
dem Gesetz zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im
Geschäftsverkehr gelungen ist, weil wir genau auf die
Interessen dieser Gruppe achten.
Wir setzen eine EU-Richtlinie um, die das Ziel hat,
die Zahlungsmoral zu verbessern. Das ist gut, wir haben
es schon mehrfach gehört. Wenn jemand ewig nicht
zahlt, ist die Gefahr für den, der geliefert hat, groß, in Insolvenz zu kommen. Oft stehen kleine Unternehmen der
Marktmacht des größeren Unternehmens gegenüber und
lassen sich deshalb auf Zahlungsfristen ein, die sie eigentlich gar nicht tragen können. Aber man will halt den
Auftrag nicht verlieren. Dem wollen wir einen Riegel
vorschieben. Wir wollen grundsätzlich die Zahlungsfristen begrenzen, bei Individualverträgen auf 60 Tage, bei
den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf 30 Tage.
Das heißt, bei diesen vorformulierten Bedingungen, bei
denen das Risiko, dass man etwas unterschreibt, was
man nicht so genau gelesen hat, größer ist, will man
strengere Anforderungen stellen. Das finde ich auch gut
so.
Natürlich ist es trotzdem möglich, im Einzelfall Verträge über einen längeren Zeitraum individuell auszuhandeln. Aber - und genau da schafft der Entwurf Klarheit - das muss ausdrücklich geregelt sein, und es darf
im Hinblick auf die Belange des Gläubigers nicht grob
unbillig sein. Hier haben wir für Rechtssicherheit und
Schutz gesorgt.
Wir haben bewusst auf Branchenausnahmen verzichtet, was natürlich nicht heißt, dass es sich aus der Natur
des Geschäfts nicht auch einmal ergeben kann, dass man
längere Fristen hat; das kann ja auch im Interesse des
Gläubigers sein. Aber wir setzen da ein Stoppschild, wo
die Regelung zum Nachteil des Gläubigers ist und letztlich der Vertragspartner seine Marktmacht ausnutzt.
Ein Stoppschild setzen wir auch bei den Abnahmeoder Überprüfungsfristen. Grundsätzlich wollen wir diese
in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf maximal
15 Tage nach Leistungserhalt begrenzen. Gleichzeitig
läuft ab Leistungserhalt auch die Zahlungsfrist. Wir wollen verhindern, dass man durch das Aneinanderreihen
dieser Fristen die Zahlungsfrist insgesamt verlängert.
Davon profitieren das Baugewerbe und das Handwerk,
diejenigen, die in der Praxis in besonderer Weise von Insolvenzen betroffen sind, wenn nicht gezahlt wird. Das
sind auch diejenigen, die sehr häufig wochen-, manchmal monatelang mit Materialien und Lohnkosten in Vorleistung gehen.
Ein weiterer Aspekt ist die Entschädigung für die Beitreibungskosten. Immer wenn jemand nicht zahlt, muss
der andere seinem Geld hinterherrennen. Das ist aufwendig und kostet Geld, nämlich Anwalts- und Inkassogebühren. Die in der Richtlinie angemahnten Maßnahmen
haben wir in Deutschland zum Teil schon umgesetzt.
Wenn jemand in Zahlungsverzug ist und einen Schaden
verursacht, hat der andere einen Schadensersatzanspruch. Nur, wie sieht die Praxis aus? Ich muss den
Schaden beweisen. Ich muss vor Gericht und ihn einklagen. Oft ist es in der Praxis aber so, dass der Schaden
sich nur auf einen kleineren Betrag beläuft. Ein kleines
oder mittelständisches Unternehmen, das keine Rechtsabteilung hat, scheut oft vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung; es scheut die Beweissituation. Oder es
kommt zu Gerichtsverfahren mit kleinen Beträgen. Für
diese Fälle haben wir jetzt eine Neuregelung: Wir sehen
einen pauschalen Schadensersatzanspruch in Höhe von
40 Euro vor. Das ist praktikabel. Ich hoffe, dass dadurch
einige Verfahren vermieden und die Gerichte entlastet
werden.
Ein weiterer Aspekt, der heute, glaube ich, noch nicht
angesprochen wurde, ist die Anhebung des Verzugszinses auf 9 Prozent. Bei der derzeitigen Zinssituation ist
jedem klar: Das könnte durchaus die Zahlungsmoral
stärken.
Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz insgesamt die
Zahlungsmoral stärken wird. Deshalb bitte ich Sie alle,
zuzustimmen. Alle reden vom Mittelstand. Ich bitte Sie:
Lassen Sie uns hier und heute ganz konkret etwas für
den Mittelstand tun.
Vielen Dank.
({0})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Eva BullingSchröter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Linke freut sich natürlich, noch einmal etwas zum
großen EEG sagen zu dürfen, wenn auch im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr; das ist etwas verwirrend, wie
ich finde.
Um es gleich zu sagen: Wir enthalten uns.
({0})
Kollege Pitterle hat sich dazu schon geäußert. Ich
möchte aber sagen, dass wir den Verbesserungen im
EEG sehr wohlwollend gegenüberstehen.
({1})
Denn die Linke ist eine Partei der Energiewende. Bestandsschutz und Fristverlängerungen für Biogasanlagen
sind natürlich im Sinne der Energiewende.
({2})
Wie Sie wissen, haben wir der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht zugestimmt, weil wir
es dabei mit einem Ende der Ökostromförderung auf Raten zu tun haben. Der heutige Antrag mildert Einschnitte
bei der Biomasseförderung immerhin etwas ab.
Biogas ist ein wichtiger Bestandteil einer sauberen
Energieversorgung und auch die einzige erneuerbare Regelenergie, wenn die Sonne einmal nicht scheint und der
Wind einmal nicht weht. Diesem Umstand trägt allerdings das gesamte EEG, das wir letzte Woche beschlossen haben, nicht Rechnung. Der Ausbau von Biomasse
wird abgewürgt, und Fachleute sagen uns immer wieder,
dass nicht einmal der angestrebte Ausbau auf 100 Megawatt erreicht werden wird, weil die Vergütung drastisch
abgesenkt wird.
Warum beschäftigen wir uns heute eigentlich noch
einmal mit Ihrem sogenannten Neustart der Energiewende, und das nach Wochen des Tauziehens zwischen
Brüssel, Berlin und den Ländern? Weil Sie die Rechte
des Parlaments mit Füßen treten, weil Ihr „großer Wurf“
ein mit heißer Nadel gestricktes Provisorium ist. Die
Medien haben ja auch von einem „unsauberen Herumdoktern“ geschrieben. Das ist also der Grund, meine Damen und Herren.
({3})
Ich möchte vor allem daran erinnern, wie unwürdig
sich Regierung und Koalition gegenüber der Minderheit
verhalten, wie schlampig die Koalition einfach arbeitet
und wie sie Fehlerhaftes übernommen hat, was ihr die
Regierung diktiert hat. Es heißt, wir hätten es hier mit einem Parlamentsgesetz zu tun. Es sind ja alle Gesetze
Parlamentsgesetze. Die Koalition übernimmt die Formulierungshilfen aus dem Ministerium und winkt sie eins
zu eins quasi im Guttenberg-Verfahren, nämlich per
Copy-and-paste, durch das Parlament.
({4})
Was das mit Parlamentsdemokratie zu tun hat, das müssen Sie uns hier noch einmal erklären.
({5})
Gestern hat sich auf Nachfrage herausgestellt, dass
vonseiten der Regierung noch weitere Dinge geändert
wurden. Nicht einmal der Kollege Dr. Pfeiffer, der ja
Mitglied des Wirtschaftsausschusses ist, wusste Bescheid, worüber da genau abgestimmt wurde. Das finde
ich schon ein bisschen scharf, muss ich sagen.
({6})
Ich halte das auch für einen dicken Hund.
Dann ist uns unterstellt worden: Sie sind ja nicht fähig, diese fünf Seiten zu lesen.
({7})
- Man sollte nicht immer von sich auf andere schließen,
Kollege.
({8})
Ich finde, Sie haben sich wirklich blamiert.
({9})
Wir haben in den Sommerferien hoffentlich die Zeit,
das EEG wirklich durchzulesen. Ich bin gespannt, wie
viele unbeabsichtigte Fehler sich durch dieses Eilverfahren noch eingeschlichen haben. Ich sage Ihnen: Machen
Sie in Zukunft Ihre Hausaufgaben als Abgeordnete und
Regierung wirklich besser.
({10})
Als nächster Redner hat der Kollege Marcus Held das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung setzt mit ihrem Gesetzentwurf ein deutliches Zeichen zur Bekämpfung von
Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Schlechter
Zahlungsmoral und unverhältnismäßig langen Zahlungsfristen wird so künftig ein wirksamer Riegel
vorgeschoben.
Dies ist nicht nur meine Meinung, dies ist nicht nur Meinung der SPD-Fraktion; dieses Zitat stammt von Holger
Schwannecke, dem Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.
Aber nicht nur das Handwerk in Deutschland bewertet den heutigen Gesetzentwurf positiv. Die heutige Entscheidung ist ein wichtiges Signal für den Mittelstand,
mit dem wir grundsätzlich vor unverhältnismäßig langen
Zahlungsfristen schützen, dafür sorgen, dass mittelständische Betriebe nicht zu lange auf ihr Geld warten müssen - sowohl von öffentlichen wie auch von privaten
Vertragspartnern -, und sicherstellen, dass allgemeine
Geschäftsbedingungen nicht mehr einfach von einem
großen Auftraggeber vorgegeben werden können.
({0})
Warum ist es so wichtig, dass sich die Zahlungsdauer
verkürzt? Weil Unternehmen des Handwerks und des
Mittelstandes in aller Regel in Vorleistung treten, weil
sie Material bestellen, weil sie die Aufträge vorbereiten
und weil sie dann über einen längeren Zeitraum das
Werk ausfertigen. Unternehmen des Handwerks und des
Mittelstandes leiden aus diesem Grunde häufig unter den
finanziellen Folgen ausbleibender Zahlungen.
Wir sorgen mit dem heutigen Beschluss dafür, dass
dem ein Ende gesetzt wird.
({1})
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen anständige Löhne erhalten; das haben wir gestern mit dem Gesetz zum Mindestlohn beschlossen. Aber auch die Unternehmen sollen eine faire Chance haben, ihre
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ordentlich und
vor allem pünktlich zu bezahlen. Das unterstützen wir
mit dem heutigen Gesetzentwurf.
({2})
Wir unterstützen mit diesem Gesetz auch die positive
Entwicklung in Deutschland, dass Unternehmensinsolvenzen weiter zurückgehen, und steigern die Liquidität
in den Unternehmen. Und wir unterstützen den Mittelstand und das Handwerk, weil hier rund 15,7 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland
beschäftigt sind. Das sind fast 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Für diese Menschen, meine Damen und Herren, schaffen wir mit dem
heutigen Gesetz mehr Sicherheit.
({3})
Wir als SPD machen damit deutlich: Wir stehen an
der Seite des Mittelstands. Wir stehen an der Seite der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.
Wir sind dafür, dass Innovation und soziale Gerechtigkeit auch in Zukunft in Deutschland im Mittelpunkt stehen. Das erreichen wir mit dem Gesetz zum gesetzlichen
Mindestlohn, das wir in dieser Woche beschlossen haben, und jetzt mit der Verabschiedung des Gesetzes zum
Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.
Vielen Dank.
({4})
Als nächster Redner hat der Kollege Oliver Krischer
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ehrlich gesagt, bin ich entsetzt darüber,
({0})
dass kein einziger der 500 Abgeordneten der Großen
Koalition den Mut hat, hier nach vorne zu kommen und
einmal etwas zu dem EEG-Desaster zu sagen, das Sie
gerade dabei sind zu reparieren. Das ist unglaublich.
({1})
Vor einer Woche hat Sigmar Gabriel hier gestanden
und hat jeden zum Querulanten erklärt, der den Anspruch hat, nicht nur fünf Seiten Vorblatt zu lesen, sondern ein 204-seitiges Gesetz komplett lesen zu wollen.
Heute steht er vor den Trümmern dessen, was er hier erzählt hat.
({2})
Da frage ich mich: Was ist das für ein Demokratieverständnis, wenn hier nicht einmal der Herr Großwesir
Wirtschaftsminister sitzt, nicht einmal das Wirtschaftsministerium vertreten ist und Sie hier alleine gelassen
werden, um die Trümmer dieser Politik zu beseitigen,
meine Damen und Herren? Was ist das für ein Parlamentsverständnis?
({3})
Ich kann Ihnen sagen: Hätten Sie auf die Vorschläge
der Opposition, hätten Sie auf meine Kollegin Britta
Haßelmann gehört, die Ihnen gesagt hat: „Lassen Sie uns
eine Anhörung machen, lassen Sie uns fünf Tage Zeit
nehmen“, dann wäre dieses Desaster nicht passiert.
({4})
Das haben Sie arrogant weggebügelt. Jetzt stehen Sie
da und müssen hier eine peinliche Reparaturnummer
machen und haben nicht einmal die Größe, sich bei den
Kollegen dafür zu entschuldigen, deren Gesetz hier gekapert wird. Das ist ein absolutes Unding.
({5})
Das eine, was Sie gemacht haben, muss man sich auf
der Zunge zergehen lassen: Sie haben nonchalant einen
Eingriff in den Bestand vorgenommen, der dazu geführt
hätte, dass 1 000 Biogasanlagen in Deutschland in die
Insolvenz getrieben worden wären. Das haben Sie mit
Ihrem Verfahren in Kauf genommen.
({6})
Wenn Sie das jetzt notdürftig reparieren, zusammen
mit angeblichen redaktionellen Fehlern, die keine redaktionellen Fehler sind, sondern auch substanzielle Fehler,
dann ist das keine Glanzleistung,
({7})
sondern dann ist das schiere Notwendigkeit.
({8})
Sie machen aber dann noch etwas: Sie ändern die
Stichtagsregelung im EEG. Das hätten Sie auch vor einer
Woche machen können. Vor einer Woche war der Sachverhalt genau der gleiche. Sie packen aber dieses Gesetz
durch die Fehler, die Sie produziert haben, noch einmal
an einer Stelle inhaltlich an. Da fragt man sich ja: Warum an dieser Stelle, bei den Biomethananlagen?
({9})
Ich habe gar nichts dagegen. Aber warum packen Sie
die Stichtagsregelung nicht insgesamt an, so wie es der
Bundesrat mit großer Mehrheit gefordert hat?
({10})
Warum ändern Sie nicht all die anderen Dinge, die in
diesem Gesetz falsch sind? Das frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition.
Ich will Ihnen die Antwort liefern, warum das so ist:
Die Union hat gemoppert. Sie hat intern gemoppert über
dieses desaströse Verfahren.
({11})
Sie haben dann ein kleines Bonbon eingefordert. Das
mussten der Herr Wirtschaftsminister und die Sozialdemokraten Ihnen liefern. Deshalb gab es für die CSU
noch ein Geschenk bei den Biogasanlagen; denn die
wollten das haben. Das ist Politik, wie sie die Große Koalition macht. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern
es geht einfach nur noch darum: Wie kommt man zum
besten Deal, damit man das Gesicht wahrt?
({12})
Das, meine Damen und Herren, ist nicht in Ordnung.
Das sage ich in aller Deutlichkeit.
({13})
Wenn man das EEG insgesamt sieht, dann merkt man:
Sie stehen ja absolut vor dem Desaster. Wir haben gestern gehört: In Brüssel ist nichts geregelt.
({14})
Herr Almunia ist nicht bereit, das an der Stelle zu akzeptieren. Es ist völlig offen, ob das Gesetz am 1. August in
Kraft treten kann. Das heißt, Ihre ganze Brechstangenpolitik hat überhaupt nichts gebracht.
({15})
Dann haben Sie noch Herrn Oettinger, der qua Amt
das deutsche EEG eigentlich schützen sollte;
({16})
nach dem Urteil des EuGH in der letzten Woche hätte er
auch allen Grund, das zu tun. Was erzählt Herr
Oettinger, dem Sozial- und Christdemokraten sowie
Christsoziale eine Laufzeitverlängerung geben? Er erzählt, das EEG sei nicht mehr reformierbar und gehöre
abgeschafft. Wer solche Freunde in der EU-Kommission
hat, der braucht keine Feinde mehr, wenn es um die
deutsche Energiewende geht.
({17})
Das muss an der Stelle einmal klar gesagt werden.
({18})
Meine Damen und Herren, wir werden selbstverständlich der notwendigen und überfälligen Reparatur
des EEG an der einen Stelle zustimmen.
({19})
Das ändert aber nichts daran, dass dieses Gesetz ein Desaster ist,
({20})
ein Desaster für die Energiewende, für die Investitionssicherheit, für die Branche der erneuerbaren Energien, für
den Klimaschutz und für die Bürgerenergien.
({21})
Da kommen Sie nicht mehr raus, auch nicht mit Ihrem
unwürdigen Verfahren in diesem Parlament. Ich hoffe
nur, dass Leute zum Gericht gehen und das problematisieren werden, was Sie hier veranstalten.
Ich danke Ihnen.
({22})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Heider das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Krischer, wer hätte das gedacht,
dass Sie einmal versuchen, zum Gesetz zur Bekämpfung
von Zahlungsverzug zu reden.
({0})
- Natürlich haben wir das aufgesetzt. Ich finde es völlig
in Ordnung - bei allen Aufgeregtheiten heute -, dass wir
dann, wenn vor der Sommerpause die Notwendigkeit besteht,
({1})
redaktionelle Fehler zu korrigieren, Gleichlauf mit Übergangsvorschriften herzustellen und Korrekturen im
Sinne der Rechtssicherheit vorzunehmen, das an dieser
Stelle machen.
({2})
Sie haben uns doch gerade gesagt, dass Sie zustimmen
wollen. Wo ist das Problem?
Sie haben das einmal als Omnibusgesetz bezeichnet,
ein Verfahren, das jetzt genutzt wird. Selbst die Opposition fährt gern Omnibus. Ich kann mich noch gut erinnern, meine Damen und Herren, dass Sie uns hier im
letzten Jahr, als es um ein Gesetz gegen den Missbrauch
im Geschäftsverkehr ging, Änderungsanträge präsentiert
haben, die Ihre Meinung zur Mietpreisbremse und zur
Abgeordnetenbestechung enthielten. Da haben Sie auch
ganz vorn im Omnibus gesessen. Das ist ein Verfahren,
das zwar parlamentarisch nicht besonders schön ist, aber
das man zur Not auch einmal wählen kann.
({3})
Meine Damen und Herren, damit kommen wir wieder
zum eigentlichen Thema des Gesetzes zurück. Der Entwurf aus der letzten Legislaturperiode unterschied nicht
zwischen Individualvereinbarungen und den für die
Wirtschaft wichtigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Außerdem sah der Entwurf eine Zahlungsfrist von
60 Tagen für alle vor, für Verbraucher und Unternehmer.
Jedenfalls im Handwerk und auch in der Bauwirtschaft
wäre das keine Verbesserung gewesen, und das hätte
eher zu einer Verschlechterung der Zahlungsmoral geführt.
Jetzt kommen wir zu den 30 Tagen. Das Gesetz bringt
natürlich auch für andere Branchen Veränderungen. Es
muss sich noch zeigen, ob das für Automobilindustrie
und Handel eine gute Regelung ist. Ausgesprochen positiv wird sie sich für Handwerk und Bauwirtschaft auswirken. Die anderen Branchen haben Strukturen, die wir
in Zukunft genauer beobachten müssen.
Im Handwerk und in der Bauwirtschaft werden überwiegend Werkverträge vereinbart. Bei solchen ist der
Gläubiger der Entgeltforderung vorleistungspflichtig.
Daher sind kurze Zahlungsfristen okay. In der Automobilwirtschaft dagegen werden zwischen Automobilhersteller und Zulieferer zumeist Verträge geschlossen, auf
die das Kaufrecht, Herr Kollege Wiese, Anwendung findet. Auch bei Werklieferungsverträgen ist das so. Die
Zahlungen, die dort in einem rollierenden Gutschriftensystem jeweils zum Ende des nächsten Monats ausgelöst
werden, sehen im Detail etwas anders aus, sodass man
das alles nicht über einen Leisten schlagen sollte. Wir
müssen aufmerksam beobachten, wie das läuft.
Auch im Einzelhandel haben wir meistenteils Kaufrecht. Hier liegt das Problem darin, dass Einzelhändler,
die Ware von Einzelhändlern oder Lieferanten kaufen,
nicht absehen können, in welchem Zeitraum sie die Ware
absetzen. Daher muss die Ware zwischenfinanziert werden. Ich wage, heute zu prognostizieren, dass sich das
über kurz oder lang auf die Verbraucherpreise auswirken
wird.
Trotzdem ist das Gesetz, so wie es jetzt ausgestaltet
ist, ein gutes Gesetz. Es hilft dem Mittelstand. Ich hoffe,
dass es bei den Branchen, die vom Volumen her größer
sind und im internationalen Rechtsverkehr besondere
Bedürfnisse haben, möglich sein wird, entsprechende Individualvereinbarungen zu treffen. Ob das möglich ist,
ist die Frage. Wir haben natürlich das Problem, Herr
Staatssekretär, dass wir uns mit dieser gesetzlichen Regelung von den anderen Mitgliedstaaten in Europa deutlich abheben. Auch da werden wir beobachten müssen,
ob sich das Gesetz auf die Wahl deutschen Rechts für
Lieferverträge und auf den Rechtsstandort Deutschland
auswirken wird. Ich kann das, genau wie Sie, heute nicht
absehen. Aber wir tun gut daran, uns die beiden Branchen anzusehen.
Es ist gut, dass noch eine Änderung hinzugekommen
ist, wonach alle Marktbeteiligten die Möglichkeit haben,
ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen bis zum Jahr
2016 anzupassen. Im Juni 2016 müssen diese Anpassungen vollzogen sein. Ich glaube, dass diese Übergangsfrist ausreichend ist, um für die Branchen, die Unternehmen, aber auch die Verbraucher etwas im Sinne der
Zahlungssicherheit und der Zahlungsschnelligkeit zu
tun. Damit gehen wir in die Sommerpause. Nach der
Sommerpause werden wir mit den Beobachtungen beginnen.
Vielen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2037, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/1309 und 18/1576 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? - Das ist die
Fraktion Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Wer
enthält sich? - Die Linke. Damit ist der Gesetzentwurf
mit den Stimmen der Koalition angenommen.
({0})
Es war Teilung der Abstimmung beantragt. Deshalb
bitte ich um Verständnis, dass wir die Abstimmung wiederholen. Wir stimmen zuerst über den Antrag der Teilung ab.
({1})
- Wir wiederholen die Abstimmung, und zwar geteilt.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2037, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/1309 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
({2})
Ich gehe davon aus - so habe ich Frau Haßelmann verstanden -, dass Sie folgende Teilung wollen: auf der einen
Seite eine Abstimmung über die Drucksache 18/1309 und
auf der anderen Seite eine Abstimmung über die Drucksache 18/1576. Ist das zutreffend, oder ist das nicht zutreffend? Ansonsten müssen Sie mir jetzt bitte kurz erläutern, welche Teilung Sie wollen.
({3})
Nachdem nun geklärt ist, worüber eine getrennte Ab-
stimmung erreicht werden soll, wiederholen wir die Ab-
stimmung noch einmal. Aller guten Dinge sind drei. Es
wird eine getrennte Abstimmung über Artikel 4 ge-
wünscht. Deshalb ziehe ich das jetzt vor. Ich lasse zu-
nächst abstimmen über Artikel 4 auf Drucksache 18/2037.
Wer stimmt dafür? - Das sind alle. Wer stimmt dagegen? -
Niemand. Wer enthält sich? - Auch niemand. Damit ist
Artikel 4 auf Drucksache 18/2037 einstimmig angenom-
men.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Jetzt lasse ich über den Gesetzentwurf im Übrigen ab-
stimmen, und zwar in der Ausschussfassung, wie es vor-
hin angekündigt worden ist. Wer stimmt dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zu? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/
Die Grünen. Wer enthält sich? - Die Linke. Damit ist der
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen
worden. Das war die zweite Beratung.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen jetzt über den
Gesetzentwurf insgesamt, so wie wir ihn eben beschlos-
sen haben, ab. Wer stimmt dem Gesetzentwurf, so wie
wir ihn in der zweiten Lesung beschlossen haben, zu? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Linken angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir
jetzt zu den Tagesordnungspunkten 29 a und 29 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte ({4})
Drucksache 18/1772
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5})
Drucksache 18/2016
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({6}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. Axel
Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen - Kein Schnellverfahren zu Lasten der
Versicherten
Drucksachen 18/1815, 18/2016
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Herr Dr. Michelbach das Wort.
Wenn sich alle Kolleginnen und Kollegen gesetzt haben - ich bitte auch alle Kolleginnen und Kollegen in
den ersten Reihen darum -, können wir mit der Aussprache beginnen. - Herr Michelbach, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Seit
dem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 haben
wir in Deutschland, in Europa und weltweit vieles unternommen, um einer Wiederholung dieser Ereignisse vorzubeugen. Mit Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang
Schäuble haben wir konsequent Regulierungs- und Stabilitätsgesetze auf den Weg gebracht. Allerdings kämpfen wir an manchen Fronten heute noch immer damit,
die Folgen der Finanzmarktkrise zu bewältigen.
Zu diesen Folgen gehört auch die anhaltende Niedrigzinspolitik der Notenbanken. Seit fünf Jahren sinken die
Zinsen. Für eine Trendumkehr gibt es keine Hinweise.
Vielmehr hat die EZB ihren Leitzins gerade erst wieder
gesenkt und sogar Negativzinsen für Einlagen bei der
Zentralbank eingeführt. Das bedeutet, Kredite werden
billiger, was einerseits Verbraucher und Investoren freut.
Das bedeutet aber auch, dass die Kapitalerträge zurückgehen, wodurch zum Beispiel private Vorsorge- und
Spareinlagen entwertet werden. Ein erheblicher Teil der
privaten Altersvorsorge in Deutschland steckt in Lebensversicherungen. Deshalb besteht die Notwendigkeit zu
diesem Lebensversicherungsreformgesetz.
Rund 88 Millionen derartige Versicherungsverträge
gibt es in Deutschland aktuell. Damit ist die Lebensversicherung eine der wichtigsten Spar- und Altersvorsorgeformen in unserem Land. Gegenwärtig erleben wir die
paradoxe Situation, dass Lebensversicherungen umso
mehr Geld ausschütten müssen, je niedriger die Zinsen
sind. Bewertungsreserven entstehen, weil der Marktwert
von Kapitalanlagen bei sinkenden Zinsen über dem früheren Kaufpreis liegt. Dabei handelt es sich um Buchgewinne ohne realen Zuwachs von Finanzmitteln; es gibt
also keinen echten Wertzuwachs. Das kann nach Adam
Riese auf Dauer nicht gut gehen. Deshalb müssen wir
die Vorschriften zur Beteiligung an den Bewertungsreserven bei festverzinslichen Wertpapieren - nicht bei
Aktien und Immobilien - anpassen.
Die Deutsche Bundesbank warnt in einem langfristigen Stressszenario nicht umsonst davor, dass mehr als
ein Drittel der deutschen Lebensversicherungen in einem
Umfeld langanhaltender Niedrigzinsen bis 2023 die Eigenkapitalanforderungen nicht einhalten können. Das ist
der langfristige Ausblick, den wir als Verantwortliche
berücksichtigen müssen. Dieser Verantwortung kommen
wir heute mit diesem Gesetz nach.
Es wäre absolut fahrlässig, die Warnungen nicht ernst
zu nehmen. Wenn wir nicht handeln, fahren wir zwangsläufig einen wesentlichen Teil der privaten Altersvorsorge vor die Wand. Das gebe ich all jenen zu bedenken,
allen voran der Opposition in diesem Hause, die seit Wochen mit falschen Argumenten und ohne einen eigenen
vernünftigen Lösungsansatz gegen die nun vorliegende
Lösung polemisieren. Manchmal habe ich den Eindruck,
Sie haben geradezu Freude daran, den Menschen Zukunftsängste zu bereiten. Ich kann Sie nur warnen: Hören Sie mit den Verunsicherungskampagnen auf! Letzten
Endes gibt es bei den garantierten Leistungen keine Veränderungen. Sie müssen deutlich machen, dass es hier
nur um die Bewertungsreserven geht. Das kann man
doch nicht in einen Topf werfen. Sonst verursacht man
Zukunftsängste und Verunsicherung. Das lehnen wir ab;
wir müssen den Menschen für die Zukunft Sicherheit geben.
({0})
Es steht außer Frage, dass der Gesetzgeber auf die
Entwicklung bei den Bewertungsreserven reagieren
muss. Es kann nicht sein, dass das Auslaufen der Verträge von 7 Millionen Versicherten einen Nachteil für
mehr als 80 Millionen verbleibende Versicherte bedeutet. Ansonsten wäre mittel- und langfristig die Fähigkeit
der Versicherungsunternehmen in Gefahr, ihre zugesagten Zinsgarantien einzuhalten. Eine solche Situation darf
nicht eintreten. Das ist im Interesse der Versicherungsunternehmen, aber insbesondere auch im Interesse der
Versicherten. Wir bevorteilen niemanden, sondern wollen den Ausgleich. Wir wollen Verteilungsgerechtigkeit
und eine Balance zwischen den bestehenden Interessen.
({1})
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, können wir nur durch einen gerechten Interessenausgleich
bewältigen. Es ist meine feste Überzeugung, dass ein
solcher Interessenausgleich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht wird. Der Leitgedanke der Solidargemeinschaft und der Verteilungsgerechtigkeit steht im
Vordergrund. Deshalb wird von allen Beteiligten, also
von den Versicherungsunternehmen, den Eigentümern
- das ist ganz wichtig - und natürlich auch von den Versicherten, ein angemessener und ausgewogener Beitrag
verlangt. Wir haben darauf geachtet, dass, sollten sich
die Bewertungsreserven für die Versicherten ändern,
auch die Eigentümer, die Aktionäre in Form von Ausschüttungen daran beteiligt werden. Damit stärken wir
die Eigenkapitalausstattung, die die Versicherungen
nach der Solvency-II-Vereinbarung in Zukunft verstärkt
benötigen. So schafft das Reformgesetz eine gerechte
Verteilung der Lasten zwischen Eigentümern und Versicherten. Darüber hinaus werden wir die Überschussbeteiligung der Versicherten an das Niedrigzinsumfeld
anpassen. Die Versicherten werden in Zukunft mit mindestens 90 Prozent an den Risikoüberschüssen beteiligt
statt wie bislang mit 75 Prozent. Überschüsse verbleiben
im Sondervermögen.
Zudem stärkt das Gesetz die Handlungsmöglichkeiten
der Aufsichtsbehörden. Es ist ganz wichtig, dass wir den
Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen das richtige Werkzeug an die Hand geben, damit gefährliche
Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt und effektiv bekämpft werden können. Damit leistet das Gesetz einen
wichtigen Beitrag zur Stabilität der Lebensversicherungen. Jedes andere Handeln wäre ein Verstoß gegen eine
seriöse Finanzpolitik. Wir haben nach wie vor das Ziel,
mit unserer Finanzpolitik zu einer Stabilisierung beizutragen.
Wir haben die Krise in vielerlei Hinsicht erfolgreich
bekämpft;
({2})
aber wir sind noch nicht über den Berg. Deswegen ist es
notwendig, dass wir auch in Zukunft entsprechende Gesetzentwürfe einbringen. In diesem Sinne ist heute ein
guter Tag für die Stabilität unseres Finanzmarktes, für
die Versicherten, für die Anbieter und für die Produkte.
Lassen Sie uns dieses Gesetz beschließen!
Vielen Dank.
({3})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susanna
Karawanskij das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ausgewogen und gerecht haben Sie, Herr Finanzminister - wir
haben es jetzt noch einmal vom Kollegen Michelbach
gehört -, das Gesetz zur Reform der Lebensversicherungen genannt.
({0})
Das ist, wenn man sich das Gesetz anschaut, aber nicht
zu erkennen.
({1})
Es gibt keinen fairen Interessenausgleich zwischen den
Versicherten und den Versicherungsunternehmen.
({2})
Sie sind vor der Versicherungslobby - man muss es einfach so sagen - eingeknickt.
({3})
Sie haben Ihr Ziel verfehlt.
({4})
Die Versicherungsbranche jammerte, es müsse schnell
gehandelt werden, und ruck, zuck wird ein Gesetz auf
den Weg gebracht, das für viele Versicherte - 62 Millionen können davon betroffen sein -,
({5})
gravierende Auswirkungen hat, die noch gar nicht überblickt werden können, weil die entsprechenden Daten
fehlen. Bislang sind sie nur bruchstückhaft vorhanden.
({6})
Nun frage ich mich, wie schlimm es wirklich um die
Lebensversicherer steht. Heute war im Handelsblatt zu
lesen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht einen Stresstest vorgenommen hat. Dort haben
alle Lebensversicherer positiv abgeschnitten. „Die Risikotragfähigkeit der deutschen Versicherungswirtschaft
ist weiterhin stabil“, heißt es dort. Ich frage Sie: Warum
dann eine solche Hast? Warum wollen wir nicht ausgiebig und vor allen Dingen umfassend diskutieren und
dann ein wirklich gutes Gesetz auf den Weg bringen?
({7})
Konkret zum Gesetzentwurf. Es gibt durchaus Punkte,
die wir unterstützen. Gut ist in unseren Augen, die Zuführung aus den Risikoüberschüssen - Sie haben es gerade gesagt - auf 90 Prozent anzuheben. Wir sind allerdings der Meinung, dass auch die Kostenüberschüsse auf
90 Prozent anzuheben sind.
({8})
Eine Ausschüttungssperre an die Aktionäre und Eigentümer der Versicherung ist ebenfalls etwas, das wir
grundsätzlich begrüßen. Wir sind aber der Meinung,
dass wir hier nachbessern müssen, um dies umgehungssicher zu machen.
({9})
Die am Ende der Gesetzesberatungen hinzugekommene Beschränkung variabler Vergütungen, also Boni,
Gratifikationen, Zulagen bei den Vorständen, begrüßen
wir ebenfalls. Wir hätten es auch begrüßt, wenn die Offenlegung der Provisionen, was lange im Gesetzentwurf
enthalten war, dringeblieben wäre. Schon während der
Expertenberatung im Finanzausschuss wurde im Ticker
gemeldet, dass diese vom Tisch seien. Die Versicherungslobby hat schon gejubelt, während die Sachverständigen bei der Anhörung noch über einen veralteten
Gesetzentwurf diskutiert haben. Das ist nicht nur ein Affront den Experten gegenüber.
({10})
Vielmehr zeigt sich hier, dass die Bundesregierung im
Zweifel wieder einmal dem Druck der Versicherungslobby nachgibt.
({11})
Das ist nicht im Sinne der Versicherten. Hier wird der
Weg für Falschberatung bereitet. Die Geheimniskrämerei bei den Provisionen bleibt bestehen. Nein, Sie sind
nicht an der Seite der Versicherten. Sie betreiben Versicherungslobbyschutz statt Versichertenschutz.
({12})
Sie behaupten, es gäbe die dringende Notwendigkeit,
sofort zu handeln. Sie behaupten auch, dass Sie innerhalb der Versichertengemeinschaft solidarisch vorgingen. In Wahrheit spielen Sie die Versicherungsnehmer
gegeneinander aus. Bis jetzt konnte mir auch noch niemand die Frage beantworten, wie viele der langlaufenden hochverzinsten Wertpapiere tatsächlich zur Bedienung ausscheidender Kunden verkauft werden mussten.
Letzten Endes bedeutet nämlich die Reduzierung der Beteiligung an den Bewertungsreserven aus den festverzinslichen Wertpapieren für jeden Kunden eine Kürzung.
Die jetzt ausscheidenden Kunden sehen es schwarz auf
weiß; da ist es offensichtlich. Den Bestandskunden wird
- vereinfacht gesagt - weniger gutgeschrieben. Wir sagen: Das ist eine Frechheit.
({13})
- Ja, das ist eine Frechheit.
Meine Damen und Herren, bei Lichte betrachtet
bringt dieses Gesetz den Versicherten wenig Gutes. Sie
sanieren vielmehr die Versicherungskonzerne. Die tragen das dann auf dem Rücken der Versicherten aus. Wir
sagen: Da muss umgesteuert werden:
({14})
Erstens. Gewinne und Erträge, die mit Kundengeldern erwirtschaftet werden,
({15})
sollen bei den Kunden bleiben. Das bedeutet, die Mindestzuführungsquoten bei den Überschusstöpfen müssen
auf einheitlich 90 Prozent angehoben werden, auch bei
den Kostenüberschüssen; die sind nämlich noch nicht
dabei.
Zweitens. Die Bewertungsreserven können nicht mit
Taschenspielertricks sozusagen von der Ausschüttung
ausgenommen werden.
({16})
Wir sagen: Ziehen Sie die Einschränkung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven zurück bzw. verzichten Sie darauf!
({17})
Drittens. Wir brauchen in den Unternehmen Transparenz, wie welche Überschüsse und stille Reserven in
welcher Höhe ermittelt, verteilt und ausgekehrt werden.
Das komplette Überschuss- und Reservesystem gehört
auf den Prüfstand.
Dieses Hickhack um die kapitalgebundenen Lebensversicherungen zeigt nur eines: Die private Altersversorgung erodiert.
({18})
Nur mit geschickter Lobbyarbeit schaffen Sie es, diese
am Leben zu erhalten. Mit diesem Gesetz missbrauchen
Sie das Vertrauen der Versicherungsnehmer. Deswegen
lehnen wir es ab.
({19})
Als nächster Redner hat der Kollege Manfred Zöllmer
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dass dieser Gesetzentwurf kontrovers diskutiert wird, konnten wir eben erleben.
Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Ist
dieses Gesetzesvorhaben notwendig? Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland deutlich mehr
Lebensversicherungsverträge gibt als Einwohner. Für
sehr viele Menschen ist dies eine ganz wesentliche Säule
ihrer Altersversorgung. Sie sind deshalb existenziell darauf angewiesen, auf Dauer stabile Lebensversicherungen zu haben.
({0})
Sie haben Garantieversprechen bekommen, auf die sie
sich auch in Zukunft verlassen können müssen.
({1})
Was gefährdet nun die Stabilität? Das ist das aktuelle
Niedrigzinsumfeld. Dieses Niedrigzinsumfeld war vor
zehn Jahren überhaupt nicht in Sicht. Die durchschnittliche Rendite deutscher Anleihen beträgt 1,6 Prozent, und
der durchschnittliche Garantiezins der Lebensversicherungen beträgt 3,2 Prozent. Nun muss man nicht unbedingt zwölf Semester Volkswirtschaft studiert haben,
liebe Frau Karawanskij, um zu erkennen: Da gibt es ein
Problem.
Ergänzend hat die Deutsche Bundesbank einen Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht und deutlich gemacht, dass langfristig - ich betone: langfristig - bei
einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld über ein Drittel
der deutschen Lebensversicherungsunternehmen die versprochenen Garantieleistungen nicht einhalten können.
Die BaFin hat auf diese Probleme hingewiesen. Auch
die Sachverständigen haben in unserer Anhörung auf
diese Probleme hingewiesen, und zwar durchgängig alle.
({2})
Es besteht Handlungsbedarf. Oder gibt es hier irgendjemanden, der sagen kann, wie sich in Zukunft das Zinsumfeld entwickeln wird?
({3})
Diese Probleme sind nicht neu. Wir unternehmen den
zweiten Anlauf zur Lösung. Der erste Anlauf ist gescheitert, da wir gemeinsam mit den Grünen gesagt haben:
Wir wollen eine Beteiligung der Unternehmen bei der
langfristigen Stabilisierung der Lebensversicherungen. Das machen wir jetzt. Wir wollen ein Gesetz, das die
Verbraucherinnen und Verbraucher stärkt, die Unternehmen an den Kosten beteiligt und eine faire Verteilung der
Überschüsse für die gesamte Versichertengemeinschaft
vorsieht. Ein Entwurf dieses Gesetzes liegt nun vor. Was
sind die Kernpunkte?
Erstens. Wir verbessern die Eingriffsbefugnisse der
Versicherungsaufsicht BaFin. Mögliche Risiken müssen
frühzeitig erkannt werden. Die Aufsicht muss in der
Lage sein, auch uneinsichtige Unternehmen zu zwingen,
entsprechend zu handeln. Ziel ist es, die Unternehmen
anzuhalten, selbstständig rechtzeitig tätig zu werden.
Zweitens. Wir wollen die Versicherungskunden zukünftig stärker an den Risikogewinnen der Unternehmen
beteiligen, statt bisher zu 75 Prozent in Zukunft zu
90 Prozent. Das heißt, wir stellen die Versicherungsnehmer besser als bisher.
({4})
Drittens. Wir wollen die Eigentümer beteiligen. Das
machen wir, indem wir eine Ausschüttungssperre für Dividenden in das Gesetz schreiben. Diese Ausschüttungssperre greift, wenn ein sogenannter Sicherungsbedarf
vorliegt. Die Aktionäre müssen sich also in Zukunft an
den Krisenlasten der Unternehmen beteiligen. Die Aufsicht kann dies anordnen.
({5})
Wir wissen, dass das bei Unternehmen mit einem Gewinnabführungsvertrag nicht greift. Aber bei einem Gewinnabführungsvertrag muss dann das Mutterunternehmen haften und frisches Geld zur Verfügung stellen.
Damit schaffen wir sogar noch mehr Sicherheit als nur
mit einer Ausschüttungssperre. Wir können Aktionäre
natürlich nicht zwingen, frisches Geld zur Verfügung zu
stellen.
Viertens. Wir wollen die Abschlusskosten senken.
Die bilanzielle Anrechenbarkeit, die Zillmerung, soll auf
25 Promille verringert werden, damit diese Kosten in
Zukunft geringer werden.
Fünftens. Wir werden die Garantiezinsen für Rentenund Kapitallebensversicherungen für Neuverträge - ich
betone: für Neuverträge - zukünftig auf 1,25 Prozent
senken. Dies ist im aktuellen Niedrigzinsumfeld dringend erforderlich.
Sechstens. Wir schaffen eine größere Transparenz für
Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Unternehmen
sollen den Kunden gegenüber detaillierter ausweisen,
welche Gewinne erwirtschaftet werden und wie viel davon an die Kunden geht.
({6})
Wir sind nicht dem Vorschlag gefolgt, Abschlussprovisionen offenzulegen. Warum nicht? Weil das eine
Fehlsteuerung der Konsumenten zur Folge hätte.
({7})
Warum? Es gibt ganz unterschiedliche Vertriebswege
mit ganz unterschiedlich hohen Abschlussprovisionen.
({8})
Ein Angestellter bei einer Sparkasse bekommt eine niedrige Abschlussprovision, ein selbstständiger Versicherungsmakler eine hohe, weil er viele Versicherungen hat,
weil er ein eigenes Unternehmen hat. Aber die GesamtManfred Zöllmer
kosten können sich unterscheiden, müssen sich aber
nicht unterscheiden.
Wenn man eine solche Summe ausweist, dann führt
das dazu, dass sich die Versicherungsnehmer an der
Größe in Euro und Cent orientieren und möglicherweise
eine falsche Entscheidung treffen, weil diese Größe sie
in die Irre führt. Deshalb werden wir in Zukunft, orientiert an den Riester-Verträgen, Angaben zum Preis-Leistungs-Verhältnis machen und eine Kennziffer für die
Entwicklung und für die Minderung der Wertentwicklung insgesamt ausweisen. Dann können diese Anlageformen auch mit anderen Anlageformen verglichen werden, und wir haben eine Kenngröße, die sicherstellt, dass
hier mehr Transparenz für die Kunden geschaffen wird.
({9})
Wir werden - siebtens - bei den Unternehmen, bei
denen ein Sicherungsbedarf besteht, weil die Marktzinsen unterhalb der Garantiezinsen liegen, die Beteiligung
der Kunden an den Bewertungsreserven festverzinslicher Wertpapiere kürzen. Damit stellen wir die Generationengerechtigkeit für das gesamte Versicherungskollektiv sicher. Liebe Frau Karawanski, das Geld
bekommen nicht die Unternehmen - das sollten Sie inzwischen aber verstanden haben -, sondern es wird nur
anders an die Versicherungsnehmer verteilt.
({10})
Wir wollen nicht nur 5 Prozent begünstigen und die übrigen 95 Prozent im Regen stehen lassen, sondern wir
wollen 100 Prozent begünstigen; das ist ein ganz wichtiger Punkt.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Kern
ein ausgewogenes Reformgesetz, das Unternehmen,
Aufsicht, Versicherte und Vertrieb in die Pflicht nimmt
und damit auch im Hinblick auf die Mammutreform Solvency II die notwendigen Anpassungen vornimmt.
Es ist wirklich schade, dass sich die Grünen so verhalten, wie sie sich verhalten. Das ist wirklich ein Rückfall
in den Fundamentalismus. Herr Schick, Sie haben sich
hier hingestellt und gesagt: Ja, es besteht die Notwendigkeit, zu handeln. - Dann haben Sie gesagt, Sie hätten all
das Gute erfunden. Aber dann lehnen Sie den Gesetzentwurf ab? Sie haben noch nicht einmal einen Änderungsantrag eingebracht.
({12})
- Ja, das war ein gemeinsamer Antrag. Aber warum haben Sie dem Gesetzentwurf dann nicht zugestimmt? Warum denn nicht?
({13})
Konfuzius hat einmal gesagt: Wer etwas will, sucht
Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe. - In diesem
Fall haben Sie nach Gründen gesucht, nicht zu wollen.
({14})
Als nächster Redner hat der Kollege Gerhard Schick
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, es ist genau anders.
({0})
Es gibt viele Gründe, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Sie reden sich die Lage gerade schön, obwohl Sie vor einem Jahr, als Sie noch in der Opposition waren, über genau dieselben Themen ganz anders gesprochen haben.
({1})
Deswegen lohnt ein Blick zurück. Vor eineinhalb Jahren hat der Bundesfinanzminister einen Gesetzentwurf
vorgelegt, bei dem es im Kern um das Gleiche ging, um
das es auch heute geht.
({2})
Es ging nämlich um die Begrenzung der Ausschüttung
von Bewertungsreserven. Als die Öffentlichkeit, auch
aufgrund der parlamentarischen Arbeit, erfuhr, um was
es ging, gab es einen großen Protest. Ein CDU-Parteitag
hat gesagt: Dieses Gesetz ist schlecht. - Ein CDU-Parteitag! Und er hatte recht.
({3})
- Ja, Herr Kauder, es war ein Bundesparteitag der CDU.
({4})
Ich erinnere Sie gerne daran; denn dieser Bundesparteitag der CDU hat unsere Kritik, dass dieser Gesetzentwurf nicht ausgewogen war, bestätigt.
Seither haben Sie sich aber nicht darin geübt, eine
klare Fundierung Ihres Gesetzentwurfs vorzunehmen,
sondern haben in der Öffentlichkeit erst einmal eine
Pause eingelegt. Auch jetzt haben Sie wieder versucht,
zwischen Europawahl und Sommerpause das Verfahren
so kurz wie möglich zu halten, damit möglichst wenig
Diskussion um dieses Gesetz entstehen kann.
({5})
Ich meine aber, dass man bei einem Gesetz, das das
Licht der Öffentlichkeit scheut, schon einmal die Frage
stellen muss, warum Sie Angst vor der öffentlichen Diskussion haben.
({6})
Wir haben schon vor eineinhalb Jahren gesagt: Was es
braucht, ist eine klare Analyse, wie es dem Sektor geht,
was die Handlungsnotwendigkeiten sind. Wir haben damals gefordert, dass ein Szenario ausgearbeitet werden
muss, dass einmal dargelegt wird, wie die Entwicklung
im Bereich Versicherungen in den nächsten Jahren aussieht; denn das Versicherungsgeschäft ist ein langfristiges, da muss man einige Jahre in die Zukunft schauen.
Es hieß immer, ein solches Szenario könne man nicht
entwickeln. Nun hat uns die Bundesbank aber genau das
vorgelegt, von dem Sie immer gesagt haben, das ginge
nicht, weil Sie keine klare und transparente Diskussion
wollten. Dies haben wir aber erst am Montag für die Anhörung bekommen, also vor vier Tagen.
({7})
- Natürlich, erst dann lag das vor.
Die Bundesbank bestätigt - das ist der entscheidende
Punkt -, dass es Handlungsbedarf gibt; diesen habe ich
auch nicht geleugnet. Aber die Bundesbank bestätigt
auch, wie wichtig es ist, nicht nur auf Kundenseite etwas
zu tun, sondern dass auch eine wirksame Ausschüttungssperre für die Eigentümer bestehen muss; denn sonst
bliebe es bei einer zu großen Anzahl von Unternehmen,
die bei einem Stressszenario in Schwierigkeiten kommen könnten.
Jetzt haben wir einen Gesetzentwurf vorliegen, von
dem wir wissen, dass die darin vorgesehene Ausschüttungssperre bei vielen Unternehmen überhaupt nicht
greift. Das ist ein massives Problem.
({8})
Der Chef der Finanzaufsicht hat, als wir ihn danach gefragt haben, gesagt, das sei ein politisches Signal. Wir
brauchen hier aber kein politisches Signal, sondern eine
effektive Ausschüttungssperre, die dafür sorgt, dass
nicht nur die Kunden, sondern auch die Eigentümer der
Versicherungsunternehmen ihren fairen Beitrag zur Stabilisierung dieser Branche leisten.
({9})
Wie sieht die Gesamtbewertung dieses Gesetzes aus
unserer Sicht aus? Inzwischen sind auch auf unsere Initiative ein paar Verbesserungen vorgenommen worden.
Deswegen habe ich bei der ersten Lesung gesagt, der
Gesetzentwurf heute sei besser als der, der vor eineinhalb Jahren eingebracht worden ist; dazu stehe ich auch.
Aber der Maßstab kann doch nicht zwischen „sehr
schlecht“ und „schlecht“ sein; der Maßstab muss doch
sein, was die Anforderungen an die Reform der Lebensversicherungsbranche in Deutschland sind. Da stellen
wir fest, dass Sie an entscheidenden Stellen nach wie vor
einen blinden Fleck haben.
Provisionsoffenlegung. Hierzu gab es im Gesetzentwurf schon einmal einen guten Ansatz. Anstatt diesen zu
verbessern und mehr Transparenz zu schaffen, haben Sie
das zur Seite gewischt und sehen jetzt eine Effektivkostenregelung vor. Aber was bleibt, ist die Situation, dass
ein Kunde, wenn ihm ein Vermittler gegenübersitzt,
nicht weiß, welches finanzielle Interesse dieser Berater
hat, ihm möglicherweise einen Vertrag zu empfehlen,
der dem Vermittler mehr Provision bringt statt eine bessere Leistung für den Kunden. Genau diese Transparenz
braucht es, wenn wir provisionsorientierte Fehlberatung
zurückdrängen wollen und dafür sorgen wollen, dass die
Menschen die Produkte bekommen, die auch gut für sie
sind. Das muss doch das Ziel sein.
({10})
Sie gehen an drei weitere Bereiche praktisch überhaupt nicht heran. Es ist im Vertrieb nach wie vor der
Fall, dass Menschen ohne ausreichende Qualifikation
Versicherungen, die komplizierte Produkte sind, verkaufen dürfen. Diese Lücke bei den gebundenen Vermittlern
schließen Sie nicht.
Wir haben nach wie vor das Problem, dass das Produkt Lebensversicherung intransparent ist und Menschen selbst mithilfe von Sachverständigen nicht sehen
können, ob das, was sie ausgezahlt bekommen, auch das
ist, was ihnen zusteht. An dieser Stelle machen Sie praktisch nichts.
Auch die Eigenkapitalausstattung - das ist der dritte
Punkt - bleibt ein Problem. Das werden wir in der
nächsten Zeit angehen müssen. Die Eigenkapitalausstattung von Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland ist unterirdisch gering; im Durchschnitt beträgt sie
1,4 Prozent. Auch an dieses Problem gehen Sie nicht
richtig heran.
Daher müssen wir sagen: Das Gesetz ist zwar besser
als das letzte, aber weit weg von gut. Deswegen werden
wir es ablehnen.
Danke.
({11})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anja Karliczek
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Schick, als Erstes
möchte ich Ihnen sagen: Wir haben keine Angst vor Diskussionen, aber die Stabilität der Lebensversicherer ist
davon abhängig, dass keine übermäßige Liquidität mehr
abfließt.
({0})
Erlauben Sie mir vorweg eine Bemerkung zum Vorwurf der Medien - ich habe das beim letzten Mal in der
Diskussion auch von Ihnen gehört, Frau Karawanskij -,
wir würden unliebsame Gesetzentwürfe immer nur gegen Mitternacht oder bei einem Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft verabschieden. Jetzt ist es gerade 14 Uhr, und das Spiel ist erst heute Abend. Wir tun
das hier also öffentlich und transparent.
({1})
Wir verabschieden heute das Lebensversicherungsreformgesetz. Das parlamentarische Verfahren verlief sehr
zügig und in einer sehr guten Zusammenarbeit. Sehr geehrter Herr Dr. Meister, an dieser Stelle möchte ich mich
ganz herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern im Finanzministerium dafür bedanken. Sie
hatten immer ein offenes Ohr für unsere vielen Fragen,
die sich aus diesem umfangreichen Gesetzentwurf ergeben haben.
({2})
Die Altersvorsorge und damit die Kapitallebensversicherung als ein wesentlicher Bestandteil ist ein zentrales
Anliegen vieler Menschen. Es gibt fast 90 Millionen
Verträge. Damit hat jeder durchschnittlich mehr als einen Vertrag. Deswegen geht dieses Thema fast jeden an.
Frau Karawanskij, es waren nicht die Versicherer,
sondern es war die Deutsche Bundesbank, die schon in
ihrem Finanzstabilitätsbericht 2013 festgestellt hat: „Das
Niedrigzinsumfeld birgt ein beachtliches Gefährdungspotenzial“ für circa ein Drittel unserer Lebensversicherer. Ein Drittel: Das sind 30 Versicherer, die sogar
43 Prozent der Beiträge erheben, 30-mal ein Kollektiv,
dem die Menschen heute noch vertrauen, 30-mal ein
Kollektiv, aus dem jeder im Alter garantierte Zahlungen
erwartet, heute, aber eben auch morgen und übermorgen.
Deswegen handeln wir, und zwar jetzt.
Die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat Europa vor
große Herausforderungen gestellt. Wir haben schon viel
getan, um Risiken künftig besser zu erkennen und zu
mindern. Trotzdem ist Vertrauen verloren gegangen.
Vertrauen ist aber eine ganz wichtige Säule für unsere
Wirtschaft, insbesondere für unsere Finanzwirtschaft.
Nach wie vor vertrauen die Menschen jedoch der Kapitallebensversicherung mit ihrem garantierten Zins. Damit dieses Vertrauen gerechtfertigt bleibt, müssen wir
gemeinsam dafür sorgen, dass die garantierten Leistungen aus dieser Versicherung auch sicher und stabil bleiben. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf,
und ich meine, wir tun das fair und ausgewogen; denn
alle Beteiligten müssen einen Beitrag leisten.
({3})
Dazu ist eine Systematik entwickelt worden, die offenlegt, wie hoch die nicht ausfinanzierten Verpflichtungen der einzelnen Lebensversicherer sind. Daraus ergibt
sich der sogenannte Sicherungsbedarf. Dieser Sicherungsbedarf wird den stillen Reserven aus festverzinslichen Wertpapieren einerseits und dem Bilanzgewinn
andererseits entgegengestellt. Erst wenn sich stille Lasten und stille Reserven wieder die Waage halten, haben
die Menschen die Sicherheit, dass sie im Alter auch unter extremen Bedingungen eine Leistung bekommen.
Sind die garantierten Leistungen nicht sicher, ist es
den Versicherern verboten, die vielbeschworenen Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere oder
auch eine Dividende an die Aktionäre auszuzahlen. Herr
Schick, ich kann nur sagen: An dieser Stelle machen wir
genau den Unterschied. Wir geben das Signal, dass Haftung und Risiko zusammengehören. Deswegen macht es
einen Unterschied, ob wir die Aktionäre beteiligen, indem sie eine Zeit lang keine Dividende bekommen, oder
ob wir in Gewinnabführungsverträge eingreifen.
({4})
Im Gegenzug werden wir den Höchstrechnungszins
für neue Verträge von 1,75 Prozent auf 1,25 Prozent senken. Ich meine, auch dies ist fair; denn wenn wir den
Menschen, die heute im Versicherungskollektiv sind, einen Beitrag zur Sicherung des Systems abverlangen,
dann dürfen wir im Gegenzug zukünftigen Versicherten
keine Versprechungen machen, die diesen Sicherungsbedarf weiter erhöhen. Wichtig ist - das ist festzuhalten -:
Wir greifen nicht in die heutige Auszahlungssystematik
ein, sondern bauen einen Sicherungsmechanismus ein.
({5})
Dass wir damit richtig liegen, zeigt schon der Charakter der Kapitallebensversicherung. Sie ist einerseits eine
Absicherung der Familie gegen einen frühen Tod - wer
einmal ein Haus gebaut hat, der weiß, wie wichtig es ist,
die Familie vor dem Ausfall eines Verdieners abzusichern -, andererseits ist sie auch ein Instrument des Risikoausgleichs in der Zeit. Gemeinschaftliches Sparen und
Anlegen ermöglicht bessere Konditionen der Anlage und
eröffnet die Möglichkeit, größere Renditeschwankungen
über einen langen Zeitraum abzufedern. Wer das nicht
zur Kenntnis nimmt, der handelt fahrlässig.
({6})
An dieser Stelle, Herr Schick, möchte ich die Eigenkapitalausstattung von Versicherungsunternehmen ansprechen. Die Finanzierung von Eigenkapital verursacht
Kosten, die am Ende immer der Verbraucher zu zahlen
hat. Die Einführung der Lebensversicherung vor knapp
200 Jahren war immer der gemeinschaftliche und damit
kostengünstige Risikoausgleich, einer der großen Vorteile einer individuellen Absicherung im Kollektiv. Deshalb ist das Vermögen der Solidargemeinschaft eigenmittelfähig und auch bei einer Schieflage heranzuziehen.
Deshalb wird es der Sache nicht gerecht, so zu tun, als
wenn diese historische Tatsache aktiv herbeigeführt worden wäre.
Die Finanzkrise und damit neue Rahmenbedingungen
haben uns gelehrt, dass wir eine Eigenkapitalstärkung
unserer finanzwirtschaftlichen Unternehmen brauchen.
Mit Solvency II haben wir dafür aber bereits einen Katalog, der im kommenden Jahr in nationales Recht umgesetzt wird. Damit die Unternehmen diese Herausforderung überhaupt stemmen können, wird es einen
Übergangszeitraum von 16 Jahren geben, innerhalb dessen alles umgesetzt ist. Genau deswegen ist es heute
richtig und wichtig, die Finanzstabilität der Unternehmen und damit die Solidargemeinschaft der Versicherten
zu stärken.
({7})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir noch
einen Schritt weiter. Seit langer Zeit wissen wir, dass es
neben der gesetzlichen Rente weiterer Vorsorge für den
Lebensabend bedarf. Dafür gibt es unterschiedliche
kapitalgedeckte Systeme. Unter ihnen kann jeder frei
wählen. Diese Wahlfreiheit kann aber nur der effektiv
nutzen, der vergleichen kann. Dazu brauchen wir Transparenz. Da die Lebensversicherung aber ein hoch reguliertes und sehr komplexes Produkt ist, müssen wir mit
möglichst einfachen Mitteln Transparenz der Kosten
herstellen. Deshalb haben wir uns entschieden, diese
Transparenz der Kosten über eine sogenannte Gesamtkostenquote herzustellen. Das bedeutet: Die Versicherer
werden künftig in ihren Produktinformationsblättern
ausweisen: Wie viel Rendite kosten mich die Kosten der
Lebensversicherung? Damit verfolgen wir ein analoges
Verfahren zu Riester-Verträgen. Es ist ein wichtiger
Schritt, um unterschiedliche Altersvorsorgeprodukte
vergleichbar zu machen.
({8})
Doch nicht nur die Vergleichbarkeit ist ein wichtiges
Kriterium. Altersvorsorge ist eine sehr langfristige Aufgabe. Kurzfristige Veränderungen verursachen meistens
hohe Kosten und konterkarieren die Möglichkeit, den
Zinseszinseffekt bei Kapitalanlagen zu nutzen. Wir wollen das Interesse an einer langfristigen Bindung zwischen Versicherern und Versicherten stärken. Deshalb
begrenzen wir mit der Absenkung des Höchstzillmersatzes die Aktivierung der Abschlusskosten. Die weitergehende Forderung, die Abschlusskosten gesetzlich zu begrenzen, wie wir das schon gehört haben, lehnen wir ab.
Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, in die Preisfindung einzugreifen. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft Aufgabe des Wettbewerbs.
({9})
Auch die Forderung nach einer Änderung der Kostengewinnbeteiligung lehnen wir ab. Mit einer hälftigen
Aufteilung der Kosten stellen wir nämlich sicher, dass
das Interesse des Unternehmens, im Sinne der Kunden
möglichst effizient zu arbeiten, überhaupt erhalten
bleibt.
Aus meiner Sicht ein letzter, sehr wichtiger Schritt,
den wir mit diesem Gesetzentwurf gehen: Wir stärken
die Aufsichtsmöglichkeiten der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht. Zukünftig kann sie von
den Versicherern verlangen, dass diese sich langfristiger
mit den erwarteten Geschäftsergebnissen, der Risikotragfähigkeit und auch der Solvabilität ihres Unternehmens auseinandersetzen. Dies ermöglicht beiden Seiten
tiefere Einblicke in das Unternehmen, eine in volatilen
und finanzpolitisch schwierigen Zeiten aus meiner Sicht
sehr sinnvolle Maßnahme.
Alles in allem bleibt festzuhalten: Die Ausgewogenheit des Gesetzentwurfes wurde in der öffentlichen Anhörung von fast allen Experten anerkannt. Mit dem Lebensversicherungsreformgesetz tragen wir der Sorge um
eine stabile Alterssicherung Rechnung. Wer vorsorgt,
soll sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass
er die garantierten Versprechen seiner Altersvorsorge
wirklich erhält. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
wird ein System etabliert, mit dem dieses Ziel erreicht
wird. Deshalb bitte ich im Namen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD um Ihre Zustimmung.
({10})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Binding das Wort. - Ich habe an die Kolleginnen und
Kollegen die Bitte, den Geräuschpegel etwas zu senken.
({0})
Der Kollege Binding hat zwar eine laute Stimme, aber es
wäre trotzdem für uns alle entspannter, wenn der Pegel
etwas gesenkt wird.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Schlussredner zu
diesem Tagesordnungspunkt möchte ich noch einmal etwas zur Dimension sagen. Wir haben 90 Millionen Lebensversicherungsverträge. Da ist ein Volumen von etwa
860 Milliarden Euro gebunden, also ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes, und da sind 80 Milliarden Euro stille
Reserven. Um die geht es den ganzen Tag. Dazu ist
schon viel gesagt worden.
Gerhard Schick hat gesagt, wir hätten vor einem Jahr
ganz anders gesprochen. Das stimmt, denn das heutige
Gesetz ist Lichtjahre von dem Entwurf entfernt, den wir
letztes Jahr vorgelegt bekamen.
({0})
Insofern ist es richtig, anders zu formulieren. Es erschreckt mich ein wenig, dass du immer noch so formulierst wie im letzten Jahr.
({1})
Denn das zeigt ja, es ist eine gewisse Erkenntnisverweigerungshaltung.
Das ist eine schwierige Angelegenheit, denn wir haben damals nicht von Ausschüttungssperre gesprochen,
wir haben nicht von der höheren Beteiligung an den RiLothar Binding ({2})
sikogewinnen gesprochen, wir haben nicht von der erhöhten, wenn auch nicht vollständigen Transparenz der
Provisionen und der Honorarberatung gesprochen, und
insbesondere haben wir damals nicht darüber gesprochen, dass nicht nur die stillen Reserven zu verteilen wären, diese 80 Milliarden Euro. Es ist eine gute Idee, die
nur für 5 Prozent der Versicherten bereitzustellen - ja,
eine gute Idee für die 5 Prozent! Wir wollen die stillen
Reserven für 100 Prozent der Versicherten verfügbar
machen. Dann wird ein gerechter Gesetzentwurf daraus.
({3})
Auch haben wir früher die stillen Lasten nicht thematisiert. Auch die stillen Lasten sollen korrekt verteilt werden. Insofern ist das eine sehr kluge Gesetzgebung.
Man muss schon sagen: Wenn man sich um alle kümmert, ist die Sache schwierig. Natürlich, die Versicherungskonzerne kümmern sich um sich. Die wollen Gewinne machen, wollen die bescheidenen Gehälter für
ihre Manager auszahlen. Dafür haben wir Verständnis.
Aber auch die Verbände kämpfen natürlich für sich, für
ihre Reputation, für ihren Einfluss, ihre Einnahmen.
Auch das ist verständlich. Auch die Makler kämpfen,
häufig natürlich selbstlos.
({4})
Die kümmern sich aber auch um sich. Jetzt ist die Frage:
Wer kümmert sich in all diesem Lobbyismus eigentlich
um die Versicherten,
({5})
und zwar nicht nur um die Neuversicherten, nicht nur
um die Altversicherten, nicht nur um die Versicherten in
spe, also um die zukünftig Versicherten? Denn wir haben
eine Solidargemeinschaft, die in Deutschland eine ganz
wichtige Funktion hat. Wer kümmert sich eigentlich um
die Versicherten? Die Antwort ist: Wir alle. Denn die
einzelnen Versicherten haben keine Lobby. Wir sind die
Lobby der Versicherten.
({6})
Deshalb ist dieses Gesetz ein sehr gelungener Versuch,
zwischen all diesen einen Ausgleich zu finden. Deshalb
sind wir auch so davon überzeugt.
Aber es gibt ja nichts, was nicht irgendwie noch den
Restzweifel in sich trüge. Deshalb wollen wir eine Evaluierung machen, weil keiner weiß, wie sich in Zukunft
Dinge am Markt entwickeln. Wenn wir dann die Evaluierung haben, bekommen wir einen ganz stabilen Pfad,
um Versicherte gerecht zu behandeln.
Warum ereifere ich mich so? Der Grund ist einfach:
Einmal angenommen, wir ruinierten die Versicherungen.
Dann stelle sich hier jeder vor, wie unsere Gesellschaft
aussähe, wenn wir keine Versicherungen mehr hätten.
Deshalb wollen wir die Lebensversicherung stabilisieren. Ich glaube, dass die Versicherten mit diesem Gesetz eine gute Zukunft haben.
Schönen Dank und alles Gute.
({7})
Der Kollege Schick erhält das Wort für eine Kurzintervention.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das gehört zu
den parlamentarischen Gepflogenheiten.
({1})
Weil die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion und
von der SPD-Fraktion mich sehr persönlich angesprochen haben, möchte ich jetzt doch noch einmal kurz die
Gelegenheit zur Reaktion haben.
Der erste Punkt ist der zum Verfahren. Es ist ein Verfahren, das nur möglich geworden ist, weil wir ausnahmsweise im Finanzausschuss die Anhörung schon
beschlossen hatten, bevor hier die erste Lesung erfolgte,
und im Bundesrat ein Fristverzicht zugelassen worden
ist. In der Folge war es so knapp, dass der Normenkontrollrat entgegen den Bestimmungen der Geschäftsordnung dieser Bundesregierung nicht die Zeit hatte, Stellung zu nehmen. Wenn das nicht ein extrem kurzes
Verfahren für ein so wichtiges Gesetzgebungsverfahren
ist, dann weiß ich nicht, was ein kurzes Verfahren ist.
({0})
Halten Sie sich wenigstens an die Geschäftsordnung Ihrer Bundesregierung! Wenn das kein Maßstab ist!
Dann zu der Frage des Vergleichs und ob wir uns da
jetzt irgendwie Argumente zusammensuchen. Wir haben
immer gesagt: Wir verschließen uns einer fairen Regelung nicht. - Wir haben gemeinsam vor einem Jahr gesagt - das waren unsere Vorschläge im Vermittlungsverfahren -, dass wir im Vertrieb auch die Qualifikation der
gebundenen Vermittler regeln wollen. Nichts davon steht
nun im Gesetz.
Es wäre ebenfalls notwendig gewesen, die Frage zu
klären, ob die Ausschüttungssperre funktioniert. Das war
einer der zentralen Punkte, die ich in der ersten Lesung
noch gelobt habe. Aber die Anhörung hat klar gezeigt:
Die Ausschüttungssperre funktioniert bei einigen Unternehmen nicht. Deswegen kann man nicht behaupten, wir
suchten Gründe für eine Ablehnung. Vielmehr haben wir
sehr gute Gründe, zu sagen: Dieses Gesetz leistet keinen
fairen Ausgleich.
({1})
Die Kollegen verzichten auf eine Erwiderung.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensver-
sicherte. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2016, den
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/1772 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu
liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke
vor.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2025 ab. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Die Koalitions-
fraktionen. Wer enthält sich? - Die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Damit ist der Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/2025 mit den Stimmen der Koalition abgelehnt
worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/2026. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Die Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Wer
enthält sich? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt
worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt da-
gegen? - Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wer
enthält sich? - Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition ange-
nommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktio-
nen angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksa-
che 18/2027. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? -
Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? - Bünd-
nis 90/Die Grünen. Dann ist auch dieser Entschließungs-
antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden.
Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/2016 fort. Unter Buchstabe b
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1815 mit dem
Titel „Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen -
Kein Schnellverfahren zu Lasten der Versicherten“. Wir
stimmen nun über den Buchstaben b der Beschlussemp-
fehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke nament-
lich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. Ist das überall der Fall? - Es ist der
Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buch-
stabe b der Beschlussempfehlung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung einer „Expertenkommission zur
Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ({0})“
Drucksache 18/1957
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Marco
Wanderwitz erhält als erster Redner das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause
haben wir uns als letzte Debatte ein durchaus gewichti-
ges Thema vorgenommen, die Einsetzung einer Exper-
tenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Be-
hörde. Die bewegenden Bilder von der Erstürmung der
Stasizentrale in der Normannenstraße hier in Berlin am
15. Januar 1990 gingen um die Welt. Ich habe heute Vor-
mittag die Gelegenheit genutzt, mir einige dieser Bilder
anzuschauen. Für viele in Deutschland, aber auch da-
rüber hinaus wurden sie zu einem der Symbole der Be-
freiung vom Willkür- und Unterdrückungsapparat der
SED. Die Stasi, das Ministerium für Staatssicherheit,
nach eigener Wahrnehmung „Schild und Schwert der
SED“, war der Inbegriff der Diktatur der DDR. Es war
die Oppositionsbewegung, die die geplante völlige Ver-
nichtung der Stasiunterlagen verhinderte, indem sie fast
alle Bezirks- und Kreisdienststellen der ehemaligen
Staatssicherheit besetzte. Leider ist es in einigen Bezir-
ken gleichwohl gelungen, sehr viel Aktenmaterial zu
vernichten. Was übrig geblieben ist, sind 150 laufende
Kilometer Akten, darunter rund 1,3 Millionen Fotos.
Unmittelbar mit der Sicherstellung folgten die Offen-
legung der Akten und damit die Weichenstellung für die
tiefgreifende Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit der
Stasi-Unterlagen-Behörde haben wir als Deutscher Bun-
destag - ich war damals noch nicht dabei; aber manche
der heutigen Kolleginnen und Kollegen waren schon im
Hohen Haus - die rechtliche Grundlage für die Aufarbei-
tung der Stasiunterlagen und die Zugänglichmachung für
Opfer, Forschung und Bildungsarbeit geschaffen.
Heute beschließen wir die Einsetzung einer Experten-
kommission, die uns als Deutschem Bundestag Rat-
schläge geben soll, wie wir nach 2019 mit diesem The-
menkomplex weiter verfahren sollen. Bis 2019 haben
1) Ergebnis Seite 4407 C
wir noch eine gesetzliche Grundlage, auf der die StasiUnterlagen-Behörde, die BStU, arbeitet.
Wir als Union haben großen Wert darauf gelegt, dass
der Kommissionsauftrag offen formuliert wird und dass
wir, was die Strukturen betrifft, der Expertenkommission
keine Vorgaben machen; denn sie soll ihre Vorschläge
frei unterbreiten, allerdings auf der Grundlage der Aufgabenstellungen, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz beinhaltet.
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat sich bewährt. Wir
haben es seit seinem Inkrafttreten 1991 insgesamt achtmal novelliert. Ich denke, es ist ein Beispiel für ein gutes
Gesetz.
({0})
Der Zugang zu den Stasiakten und ihre weitere Erschließung bleiben wichtige Voraussetzungen für die nötige weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das ist weitestgehend, über die Fraktionsgrenzen hinweg - bis auf
die bekannte Ausnahme -, Konsens.
({1})
Bereits 1994 forderte die PDS die Schließung der Behörde, weil sie die Menschen in den neuen Ländern angeblich diskriminiere und unter Generalverdacht stelle.
Ich zitiere aus Bundestagsdrucksache 13/4359 aus der
13. Wahlperiode des Bundestages, einem Gesetzentwurf
der PDS für ein viertes Gesetz zur Änderung des StasiUnterlagen-Gesetzes von 1996:
Die Persönlichkeitsrechte der als Täter charakterisierten offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des
Ministeriums für Staatssicherheit … der DDR sind
weitgehend aufgehoben.
Das ist völliger Unsinn, aber es ist eine klar erkennbare
Geisteshaltung, die Sie bis heute einnehmen.
({2})
Mit uns in der Regierungsverantwortung - ich glaube,
das trifft auch auf die beiden anderen einbringenden
Fraktionen zu - wird es keinen Schlussstrich unter die
SED-Unrechtsaufarbeitung geben, heute nicht und auch
in Zukunft nicht.
({3})
Ich möchte deshalb den Kolleginnen und Kollegen
der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,
speziell meinen beiden Berichterstatterkollegen Siegmund
Ehrmann und Harald Terpe, für die gemeinsame Erarbeitung des Antrages in sehr kollegialer Atmosphäre herzlich danken. Ich glaube, das ist auch ein gutes Zeichen
für die Zeit nach 2016, wenn uns die Kommission ihre
Ergebnisse vorlegt. Ich hoffe und glaube, dass wir dann
in ähnlicher Einhelligkeit und konstruktiver Atmosphäre
gemeinsam miteinander die nötigen Novellen auf den
Weg bringen können.
Die wissenschaftliche Erforschung der SED-Diktatur
darf sich aber nicht auf das Wirken der Staatssicherheit
beschränken. Ich glaube, sie muss künftig noch stärker
die Rolle der SED, der Spinne im Netz in der ehemaligen DDR, in den Fokus nehmen.
({4})
In der ersten Debatte im Deutschen Bundestag zum
Stasi-Unterlagen-Gesetz 1991 führte unser damaliger
CDU/CSU-Fraktionskollege Johannes Gerster aus:
Wir brauchen Regelungen, die den effektiven
Schutz der Opfer und deren Persönlichkeitsrechte
sichern. … Die Opfer des Stasi-Terrors müssen erfahren - soweit sie dies wollen -, was die Bespitzelungsorgane über sie zusammengetragen haben.
Das ist auch heute eine gültige Forderung. Ich möchte
ein paar Zahlen liefern, die unterlegen, dass das eine
richtige Aussage war:
Seit Bestehen der Stasi-Unterlagen-Behörde gab es
rund 3 Millionen Anträge auf Akteneinsicht, rund
3,3 Millionen Ersuchen für eine Überprüfung auf eine
Stasitätigkeit, fast 30 000 Forschungsaufträge und rund
eine halbe Million Anträge auf Rehabilitierung oder
Strafverfolgung. Schon das allein zeigt, dass diese Arbeit auch in Zukunft unverzichtbar ist.
Lieber Roland Jahn - Sie sitzen oben auf der Besuchertribüne -, Ihre Behörde hat sowohl im Inland wie im
Ausland hohes Ansehen und große Akzeptanz. Vielen
Staaten, nicht nur in Osteuropa, dient Ihre Arbeit als
Vorbild. Ihnen, Ihrer Amtsvorgängerin, Ihrem Amtsvorgänger und Ihren Mitarbeitern möchte ich heute im Namen des Hauses Dank für Ihre Arbeit sagen. Ihr Selbstverständnis als Opferbehörde ist auch das unsere.
({5})
Die DDR war eine Diktatur, in der Menschenrechte
massiv verletzt wurden, man der Willkür der Stasi ausgeliefert war, man Angst haben musste, seine Meinung
zu sagen; Millionen Biografien wurden fremdbestimmt.
Mehr als 250 000 Menschen wurden in der DDR aus
politischen Gründen verhaftet. Über 1 000 Menschen
verloren ihr Leben an der innerdeutschen Grenze. Ja, an
der DDR klebt auch Blut.
Deswegen schaue ich zum Abschluss meiner Rede
nach links und stelle ganz einfach wieder einmal die
Frage, ob Sie, die Linken, es heute über die Lippen bringen, diese Diktatur ohne Wenn und Aber als Unrechtsstaat zu bezeichnen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
hat der Kollege Stefan Liebich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Vor wenigen Tagen starb in Leipzig der Pfarrer der Nikolaikirche Christian Führer. In einem Interview bezogen auf den Herbst 1989 hat er gerade mit Blick auf
junge Menschen gesagt:
Der Aufklärungsbedarf ist hoch, weil niemand unter den Zuhörern je zuvor in einer Weltanschauungsdiktatur gelebt hat.
Und er ergänzte:
Das einzige Mittel gegen die Staatssicherheit war
die Offenheit.
Ich finde es gut, dass wir heute endlich über die Zukunft dieser Behörde sprechen, die weit mehr ist als
Nachlassverwalterin des Ministeriums für Staatssicherheit.
({0})
Es kann eigentlich niemanden in diesem Hause, außer
vielleicht Herrn Wanderwitz, überraschen, wenn ich jetzt
sage, dass meine Fraktion die Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde begrüßt. Wir fordern das schon sehr lange. Unsere
Partei, Die Linke, hat als Rechtsnachfolgerin der PDS
eine ganz besondere Verantwortung bei der Diskussion
über die DDR-Geschichte - das stimmt -, die die Geschichte eines Teils unseres Landes ist.
Wir haben aus unserer Geschichte gelernt:
Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen
Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteiführung autoritär
gesteuert wird, muss früher oder später scheitern.
({1})
So steht es im Programm unserer Partei, und wir ducken uns auch nicht weg. Das ist in den Protokollen der
Sitzungen dieses Hauses nachlesbar. Wir haben uns immer wieder für all diejenigen eingesetzt, die in der DDR
Unrecht erlitten haben und Opfer von staatlicher Willkür
geworden sind. Gerade deshalb, Herr Wanderwitz, ist es
völlig inakzeptabel, dass wir als zugleich größte Oppositionsfraktion insbesondere auf Betreiben Ihrer Fraktion
von der Erarbeitung und Einbringung dieses Antrages
ausgeschlossen wurden. Dieses Spielchen können Sie
nun wirklich langsam einmal beenden.
({2})
Roland Jahn hat gesagt, er fände es gut, wenn die Debatte über die Kommission ausreichenden Abstand von
parteipolitischen Auseinandersetzungen hätte. Es wäre
schön, wenn Sie sich das zu Herzen genommen hätten.
Noch ein Blick auf die CDU/CSU. Sie haben bereits
im Jahr 2009 eine Expertenkommission in Aussicht gestellt. Dann ist vier Jahre lang nichts passiert. Ich glaube,
die Arbeit des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen,
Roland Jahn - der übrigens auch von vielen Kolleginnen
und Kollegen meiner Fraktion ins Amt gewählt wurde,
wie übrigens schon der erste Stasi-Unterlagen-Beauftragte, Joachim Gauck, von vielen Abgeordneten der
PDS-Fraktion in der Volkskammer gewählt wurde, machen sie nicht leichter, wenn Sie diese Debatte so lange
vor sich herschieben. Wenn Sie nur halb so viel Ihrer
Energie in Überlegungen zur Zukunft der Behörde gesteckt hätten wie in jene Überlegungen über die Ausgrenzung unserer Fraktion, dann hätten Sie unserem
Land mehr geholfen.
({3})
Wir haben drei Prämissen für die Zukunft der Behörde. Erstens. Der Zugang der Betroffenen zu den Akten muss gesichert bleiben, unter welchem Türschild
auch immer. Zweitens. Die Expertise der Behörde für die
Forschungs- und Bildungsarbeit darf nicht verloren gehen. Drittens. Natürlich, Herr Wanderwitz, es darf keinen Schlussstrich unter die Debatte über die DDR geben.
({4})
Darauf werden wir konsequent dringen, auch in der
Arbeit der Kommission selbst; wobei das mit dem „wir“
wahrscheinlich etwas schwierig wird. Sie haben nun verabredet, dass von den 14 Mitgliedern 12 von der Koalition und 2 von der Opposition vorgeschlagen werden
dürfen. Angesichts der verrückten Debatten, über die ich
im Vorfeld gelesen habe, dass wir eventuell gar keinen
Vorschlag machen dürften, sollten wir uns jetzt vielleicht
freuen, dass wir wenigstens einen Platz vorschlagen dürfen. Ich will es aber einmal andersherum aufzäumen: 2
von 14, das ist nun wirklich kein Grund für unbändigen
Jubel. Wir haben hier eine lange Debatte über Minderheitenrechte gehabt. Ich finde, das spiegelt diese Zusammensetzung hier nicht wider. Ich finde es, ehrlich gesagt,
auch schade, dass die Grünen dabei mitgemacht haben.
Schade ist auch, dass im Antragstext nichts über die
Transparenz der Beratung der Kommission steht und
schon gar nichts von begleitenden öffentlichen Debatten.
Dabei wird das für die vielen Bürgerinnen und Bürger,
die aus der DDR kommen, und ihre Nachkommen eine
besonders wichtige Frage; denn die Menschen wollen
natürlich daran teilhaben, wie die Forschungsarbeit fortgesetzt wird und wie und vor allen Dingen wo künftig
die Akten eingesehen werden können. Sie haben das
wahrscheinlich nicht mit böser Absicht getan, sondern es
einfach so vergessen. Das wäre Ihnen nicht passiert,
wenn Sie uns an der Mitarbeit beteiligt hätten.
({5})
Es sind nicht nur Details. Deshalb werden wir uns der
Stimme enthalten. Gleichwohl wünsche ich der Expertenkommission bei ihrer Arbeit namens meiner Fraktion
viel Erfolg; denn diese Arbeit ist für uns alle wichtig.
Ich möchte zum Abschluss unseren ehemaligen Alterspräsidenten Stefan Heym zitieren, der in seinem
Buch 5 Tage im Juni völlig zu Recht formulierte, dass
nur der sich der Zukunft zuwenden kann, der seine Vergangenheit bewältigt hat. Ich hoffe, dass die Kommission dazu einen wichtigen Beitrag leisten wird. Wir wünschen ihr für ihre Arbeit viel Erfolg.
Vielen Dank.
({6})
Als nächster Redner hat der Kollege Siegmund
Ehrmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute, unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause, vor
der sitzungsfreien Zeit, den Auftrag erteilen, eine Expertenkommission zu berufen, die sich mit der Zukunft der
Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigt. Dies tun wir im
Jahre 2014, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution.
Herr Liebich hat an Christian Führer erinnert, den
mutigen Pfarrer, Seelsorger, den Mutmacher der Leipziger Demonstrationen, ein wichtiger Mann der Freiheitsbewegung. Ich möchte aber auch an Reinhard Höppner
erinnern, der vor wenigen Wochen verstorben ist. Bei
beiden handelt es sich um große Persönlichkeiten, deren
Andenken wir bewahren sollten. Das gilt insbesondere
für Höppner, der in vielen schwierigen Debatten auch
der Volkskammer seine Erfahrungen als ehemaliger
Synodaler einbringen konnte.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, der Ruf nach Freiheit 1989 mündete sehr
schnell und direkt in den unbedingten Willen nach Aufklärung, nach Aufklärung der Stasiverbrechen und des
Stasiunrechts. Ich persönlich kann nur sagen: Ich bin tief
im Westen geboren, habe aber eine leichte Ahnung davon bekommen, was das bedeutet, als wir uns in den
60er-, frühen 70er-Jahren mit Freunden aus der jungen
Gemeinde des Kirchenkreises Selo in Ostberlin getroffen haben. Ich erinnere mich an einen Besuch von Verwandten in Erfurt in den 70er-Jahren. Das war schon
wirklich bedrückend.
Überträgt man das auf das, was die Repressionen
letztendlich bedeuteten: Wir wissen heute sehr genau,
wie Freiheit und Menschenwürde verletzt und eingeschränkt wurden. So macht das den zwingenden Wunsch
verständlich, die Dokumente zu sichern, zu recherchieren, was los ist, und dies auch in einen rechtlichen Rahmen zu passen. Insofern ist das Gesetz, das die Arbeit
der Stasi-Unterlagen-Behörde heute beschreibt, etwas,
was eigentlich zentral dem einzigen und frei gewählten
Parlament der ehemaligen DDR geschuldet ist, nämlich
der Volkskammer. Dort ist der Ursprung verabschiedet
worden. 1991 hat dann der Deutsche Bundestag dieses
Gesetzeswerk, das immer aus der Mitte des Parlaments
initiiert wurde, weiterentwickelt und als Auftrag in unsere Gesetzgebung übernommen.
({1})
Meine Damen und Herren, erinnern möchte ich auch
daran: Es war nicht die Normannenstraße, die den Auftakt gemacht hat, sondern es waren die Stasizentralen in
Leipzig und dann später in Rostock und in Erfurt. Dort
in der Fläche - das zeigt, wie stark der Unmut war - hat
es angefangen, am 4. Dezember 1989, und am 15. Januar
1990 folgten schließlich die Aktionen um die Normannenstraße. Alles das ist zu bedenken.
Zentral und im Mittelpunkt stand, das Instrumentarium des Datenschutzes, der Aufklärung, der Forschung,
aber auch der Rehabilitierung in das Gesetz zu schreiben. Aber unmittelbar nach der Wiedervereinigung 1990
hat die Enquete-Kommission, die sich mit dem Unrechtssystem der DDR auseinandergesetzt hat, die Quellen und Akzente der Geschichtspolitik weiterentwickelt.
So erinnere ich an die Stiftung Aufarbeitung, die ein
ganz wichtiger Partner ist und das Thema weit über die
Aufgabenstellung der Stasi-Unterlagen-Behörde entwickelt hat.
Wir haben uns im Gedenkstättenkonzept des Jahres
2008 den Auftrag gegeben, den wir heute erfüllen, nämlich eine Expertenkommission einzusetzen. Wir haben
dort als Parlament ausdrücklich unterstrichen und bekundet, dass es nicht um eine Schlussstrichdebatte gehen
kann; wir haben aber auch zum Ausdruck gebracht, dass
die Stasi-Unterlagen-Behörde keine Behörde auf Dauer,
auf Ewigkeit ist, sondern dass es zu einem bestimmten
Zeitpunkt die Chance geben muss, darüber sorgfältig zu
reflektieren. Das soll mithilfe dieser Expertenkommission geschehen.
Es gibt verschiedene Prüffelder, die sorgfältig ins
Auge zu fassen sind:
Da geht es um das Verhältnis der Bundesstelle, der
Zentrale, zu den Außenstellen. Das schließt die Frage
ein: Wie ist künftig der Zugang zu den Akten? Wie ist
dieser rechtlich zu organisieren?
Es geht um das weite Feld der Forschung. Wie ist das
eigentlich justiert, die behördeninterne Forschung im
Verhältnis zur universitären Forschung?
„Erinnern für die Zukunft“ ist das Thema der politischen Bildung. Da stellen sich Fragen der Zusammenarbeit und Kooperation im Verhältnis zur Stiftung Aufarbeitung, aber auch zur Bundeszentrale für politische
Bildung oder/und zu den Landeszentralen für politische
Bildung.
Schließlich geht es um die Weiterentwicklung der authentischen Orte. Es reicht nicht aus, zu träumen, dass
auf den Dächern der Normannenstraße möglicherweise
irgendwann die Rolling Stones spielen, sondern es geht
vor allen Dingen um die Frage: Welche pädagogischen
Impulse gehen nicht nur an diesem Ort? Wie können
weit über die Normannenstraße hinaus eventuell andere
authentische Orte genutzt werden?
({2})
Alles das sind Fragen, die wir zu klären haben. Dazu
gehört auch die Frage des Umgangs mit den Bürgerarchiven. Da sind zu nennen das Robert-Havemann-Archiv, aber auch das Archiv der Bürgerbewegung Leipzig
oder das Matthias-Domaschk-Archiv. Alle diese Fragen
sind sorgfältig ins Auge zu fassen, um für die Zukunft
wichtige Impulse zu setzen.
Ich bedanke mich bei allen, die intensiv an dem Antrag mitgewirkt haben. Ich freue mich, dass wir uns jetzt
gemeinsam auf den Weg machen.
Herr Liebich, die Tatsache, dass die Experten nach einem bestimmten Vorschlagsrecht benannt werden, heißt
nicht zwingend, dass diejenigen, die zum Beispiel meine
Fraktion beruft, glühende sozialdemokratische Parteigänger sind. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass viele
der Experten, aus welcher Ecke sie auch vorgeschlagen
werden, uns fachlich sehr fundiert eine Orientierung geben werden. Es wird eine Kommission des Deutschen
Bundestages sein. Wir werden sie begleiten. Es geht um
wichtige Weichenstellungen. Ich wünschte mir, dass wir
es tatsächlich schaffen, bis zum Frühjahr 2016 Orientierung zu bekommen, um ebendiese Weichen zu stellen.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es danach eine
weitergehende geschichtspolitische Debatte geben muss.
Man muss das Rad nicht permanent neu erfinden. Es gibt
viele öffentliche Einlassungen zu all den Themen, die
ich gerade kurz touchiert habe. Ich glaube zum Beispiel,
dass die Arbeit der Sabrow-Kommission, die seinerzeit
durchaus zu Debatten geführt hat, Inhalte enthält, die uns
weiterführen können. Insofern glaube ich, dass wir alle
diese Anregungen in einem qualifizierten geschichtspolitischen Dialog aufgreifen und so das Gedenkstättenkonzept fortschreiben sollten.
Ich freue mich darüber, dass wir diese Arbeit gewissermaßen unmittelbar vor der Sommerpause hier gemeinsam in Gang setzen.
Herzlichen Dank.
({3})
Als nächster Redner hat der Kollege Harald Terpe das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst möchte ich mich auch dem Gedenken an Herrn Führer und Herrn Höppner anschließen, gleichzeitig aber sagen, dass es auch vieler anderer
zu gedenken gilt, die in der Zeit aktiv gewesen sind und
die viel dazu beigetragen haben, dass wir heute über unsere Vergangenheit in dieser Weise diskutieren können.
({0})
Gestaltung der Zukunft erfordert, sich den Anforderungen der Vergangenheit zu stellen und sich dieser zu
vergewissern. Sie können mir glauben, dass ich bei der
Auseinandersetzung mit diesem Thema natürlich auch
die eigene Vergangenheit reflektiere. Ich war am 4. Dezember 1989 in Rostock bei der Besetzung der Stasibehörde und gehörte zur Verhandlungskommission. Ich
gebe etwas preis: Es ist ein Typikum in der deutschen
Geschichte, dass man häufig feststellt: Als Familie hat
man auf verschiedenen Seiten gestanden. An diesem
Abend habe ich das in der eigenen Familie deutlich erkennen müssen.
In der Wendezeit haben also viele Menschen, damals
getragen von der Bürgerbewegung und denen, die für die
neue demokratische Entwicklung eingetreten sind, die
Stasizentralen besetzt. Es ist auch schon gesagt worden,
dass es in Berlin nicht zuerst die Normannenstraße war.
Sie ist als Letzte besetzt worden. Daraus ist quasi ein föderaler Aspekt der Vergangenheitsbewältigung geworden, der bis heute in der Existenz der Außenstellen auf
Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes fortgeschrieben wird. Das war, glaube ich, auch gut. Bei dieser Art
der Aufarbeitung von Geschichte handelt es sich in
Deutschland und international um einen beispiellosen
Prozess, weil er das erste Mal ermöglicht hat, sich unmittelbar mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und die Schmerzen, die damit verbunden sind, unmittelbar zu erleben. Das hat für die Zukunft eine viel
heilendere Wirkung, als wenn man Jahrzehnte auf die
Aufarbeitung der Geschichte warten muss und die
Schmerzen dann beginnen. Insofern war diese Entscheidung der letzten demokratisch frei gewählten Volkskammer - mein Vater hat übrigens auch an dieser Entscheidung mitgewirkt - sehr richtig. Ich glaube, diesen Geist
müssen wir weiter in die Zukunft tragen.
Man muss ganz klar sagen, dass der Auftrag an die
Expertenkommission, sich über die Zukunft der Behörde
zu unterhalten, nicht als Signal der Abwicklung verstanden werden darf. Hier ist die Orientierung am bisherigen
Gesetz ganz klar vorhanden. Es geht um eine Weiterentwicklung. Warum muss es um eine Weiterentwicklung
gehen? Auch deshalb, weil wir bei der Zusammensetzung der Zuhörer - oben auf der Tribüne, aber auch hier
im Saal - feststellen müssen, dass es Verantwortliche aus
Ost und West und aus älteren und jüngeren Generationen
sind. Wir hatten heute zwei Redner, die sagten, sie haben
keine eigene Erfahrung aus diesen interessanten Tagen
gemacht. Auch dieses Feld soll mit der Expertenkommission bearbeitet werden.
Wie muss eine Behörde und das, was damit zusammenhängt, für die zukünftigen Generationen gestaltet
werden? Die geschichtliche Dimension wird dort noch
viel größer, weil es in die zukünftigen Generationen hineinwirkt. Ich sage aber auch, natürlich dürfen die Gefühle und Erfahrungen der Verfolgten und Bespitzelten,
also der Opfer, bei der Diskussion nicht auf der Strecke
bleiben. Deswegen ist es auch gut, dass wir bei der Beauftragung der Expertenkommission einen Schwerpunkt
auf Rehabilitation und Opferhilfe gelegt haben. Es ist
darüber hinaus wichtig - darauf verweise ich zum Abschluss meiner Rede -, zu sagen, es handelt sich unabhängig von der Aufarbeitung der eigenen Geschichte um
einen Aktenbestand, der stellvertretend für viele vernichtete Aktenbestände der ehemaligen DDR steht. Wir
wissen, dass bestimmte Parteiarchive nur noch teilweise
erhalten sind. Deswegen ist es auch ganz wichtig, den
Bestand in seiner Gesamtheit zu erhalten und nicht durch
nachträgliche Bewertungen größere Bestände zu vernichten. Darauf lege ich einen Schwerpunkt.
Zum Schluss lassen Sie mich sagen: Ich glaube, dass
es richtig ist, zu sagen, dieser Prozess ist ergebnisoffen;
natürlich nicht ganz ergebnisoffen, weil wir auch einen
Auftrag erteilt haben. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse und denke, dass die Experten am Ende empfehlen werden, dass wir den Zugang zu den Akten wie
bisher sichern, dass wir auch eine regionale Erinnerungskultur erhalten und Forschung, Wissenschaft und
geschichtliche Aufarbeitung kombinieren.
In diesem Sinne wünsche ich der zukünftigen Expertenkommission, dass sie gute Vorschläge macht - wir
werden darüber ja noch debattieren -, und Ihnen allen
von meiner Seite einen schönen Sommer.
Vielen Dank.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nächste Redner,
Hartmut Koschyk, hat seine Rede zu Protokoll gege-
ben.1)
({0})
Deshalb erhält jetzt Matthias Schmidt das Wort.
({1})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen!
Sehr geehrter Herr Jahn! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir sprechen heute über die Zukunft der Stasi-Un-
terlagen-Behörde. So steht es an der Tafel, auf der bei
uns im Bundestag immer das Thema der Debatte ange-
kündigt wird. Korrekt müsste es lauten: Wir reden über
die Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR, kurz BStU. Die Bevölkerung hat diese Bezeich-
nung nie verwandt, sondern sie hat die Behörde immer
kurz nach dem jeweiligen Bundesbeauftragten bezeich-
net. Zunächst war es die Gauck-Behörde, später die
Birthler-Behörde, und jetzt, Herr Jahn, ist es eben die
Jahn-Behörde.
Im ersten Jahrzehnt unter der Leitung des heutigen
Bundespräsidenten Gauck etablierte sich in unserem ge-
samtdeutschen Sprachgebrauch sogar das Wort „gau-
cken“. Es bezog sich auf die Überprüfung, mit der im öf-
fentlichen Dienst festgestellt werden sollte, ob jemand
für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat
oder nicht. Die Bezeichnung „gaucken“ ist dann auf die
beiden Nachfolger nicht mehr übertragen worden, was
auch zeigt, dass die Behörde in einem Wandel steht. In
jedem Fall aber verbinden sich mit dieser Einrichtung
viele Tausend Schicksale von Menschen, Ehen, Fami-
lien, Arbeitskollegen und Freundschaften, überwiegend
in der ehemaligen DDR. Wir sind uns hier einig, dass
1) Anlage 4
diese Behörde eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllt hat und immer noch erfüllt.
Die Aktenführung des MfS war, wenn ich das so formulieren darf, typisch deutsch. Wer je eine Akte zu Gesicht bekommen hat, erkennt darin die erschreckende
Gründlichkeit eines perfiden Systems. Sensible Akten
über eine Vielzahl von Menschen galt es zu sichern, aufzubereiten, zu archivieren und den Menschen auf Antrag
zu öffnen. Kollege Wanderwitz hat darauf hingewiesen:
Rund 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben bisher
Akteneinsicht beantragt und sich damit auf einen oft
schmerzhaften Weg in die eigene Vergangenheit begeben. 2009 erreichte die Zahl der Anträge mit über
100 000 in einem Jahr einen Höhepunkt. Die Zahl ist
seitdem auf rund 64 000 Anträge im Jahr 2013 zurückgegangen. Gleichwohl beweist auch diese Zahl, dass die
Aufgabe des Bundesbeauftragten noch längst nicht zu
Ende ist.
Hinter der Behörde stand von Anfang an ein Anspruch: Wir wollen begreifen. Wir wollen begreifen, wie
das System der Staatssicherheit funktionierte. Wir wollen begreifen, welche Strukturen dahinterstanden. Wir
wollen begreifen, wie das Leben der Menschen davon
betroffen war.
Der Gedanke der Aufklärung war ebenso prägend für
zahlreiche Forschungsanfragen. Knapp 30 000 Anträge
von Wissenschaftlern und Journalisten belegen dies.
Auch das ist eine enorme Zahl. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten ist auf der Basis der Akten entstanden.
Sie haben uns dem Anspruch des Begreifenwollens nähergebracht, nicht selten mit Schmerzen, individuell und
kollektiv. Heute verändern sich die Forschungsanfragen.
Internationale Forschungskooperationen haben längst
den Fokus erweitert.
Viele dieser Erkenntnisse sind in die politische Bildungsarbeit eingeflossen. Das war und ist von hoher Bedeutung. Nicht nur die Bundeszentrale für politische Bildung und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur haben diese Erkenntnisse in ihren Bildungsprogrammen aufgegriffen, sondern auch viele kleinere Einrichtungen und Institute. Lernen aus der Geschichte:
Dazu hat der BStU mit seiner Arbeit einen großen Beitrag geleistet. Das wollen wir fortführen.
Gleichwohl ist die Arbeit dieser Behörde nicht als
Daueraufgabe angelegt. Schon länger stellt sich die
Frage, wie wir zukünftig mit der Behörde umgehen, was
mit den Akten geschehen soll und wie wir den Zugang
für Wissenschaft und Bürger sichern. Und noch immer
sind nicht alle Akten erschlossen.
Bereits Ende 2008 hat der Bundestag bei der Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts festgelegt, dass
eine unabhängige Expertenkommission die Aufgaben
des BStU analysieren und neu bestimmen soll. Seitdem
sind mehr als fünf Jahre vergangen, und es wird Zeit,
den Auftrag aus dem Gedenkstättenkonzept umzusetzen.
Wir wollen mit dem Antrag eine Expertenkommission
ins Leben rufen, die Bilanz zieht und Handlungsempfehlungen zur Zukunft des BStU erarbeitet. Dabei geht es
keineswegs um einen Abschluss, sondern vielmehr um
Matthias Schmidt ({0})
eine Neujustierung der Aufarbeitung. Der Aktenzugang
soll ebenso gesichert bleiben wie der wichtige Auftrag
der historischen und politischen Bildung. Viele Fragen
sind zu klären, wie die nach der Zukunft der Außenstellen oder nach dem Ort der Archivierung der Akten.
Die Aufarbeitung der SED-Diktatur muss fortgeführt
werden; da, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, sind
wir uns sicherlich einig. Die Handlungsempfehlungen
der Kommission sollen den Weg dafür weisen. Lassen
Sie uns mit der Einberufung der Expertenkommission
nun endlich diesen Weg beschreiten.
Auch ich darf Ihnen von dieser Stelle eine angenehme
Sommerpause und uns allen heute Abend ein erfolgreiches Fußballspiel wünschen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Jörg
Hellmuth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erlauben Sie mir, dass ich an dieser Stelle als gelernter
DDR-Bürger von einigen ganz persönlichen Erfahrungen mit dem System der Staatssicherheit bzw. dem Umgang mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz erzähle.
Es war im Sommer 1987, als ich von meinem Onkel
aus Dortmund eine Einladung zum Besuch einer Tante
bekam; es war, glaube ich, der 86. Geburtstag. Ich bin
dann, wie es üblich war, zum Volkspolizei-Kreisamt gegangen und habe die Formalitäten erledigt. Ich hatte mit
niemandem im Ort darüber gesprochen. Zwei Tage später sprach mich ein Arbeitskollege darauf an, dass ich
zum 86. Geburtstag fahren wollte. - Das, meine Damen
und Herren, war die erste Begegnung mit dem Staatssicherheitssystem. Die Staatssicherheit war eben nicht
nur in der Normannenstraße oder in Leipzig; sie war
überall, fast in jedem Dorf. - Interessant an dieser Episode ist noch: Ich durfte fahren, aber meine Geschwister,
die einige Landkreise weiter südlich wohnten, durften
nicht fahren. Es war also Willkür.
Einige Jahre später - es war nach der Wende; ich war
mittlerweile in kommunalpolitischer Verantwortung habe ich ein Paket mit Stasiunterlagen entgegennehmen
müssen. Bei Auswertung dieser Unterlagen stellte sich
heraus: Wir mussten über 20 Mitarbeiter entlassen.
Meine Damen und Herren, zum damaligen Zeitpunkt
habe ich noch etwas mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz
gehadert. Natürlich sind wir damals angetreten, dieses
Land aufzubauen; natürlich haben wir unseren Wählern
auch versprochen, aufzuarbeiten. Aber wir hatten keinerlei Erfahrung: Wie sollte das denn geschehen? Wie sollte
man die Zumutbarkeit feststellen?
Auch unsere Berater aus den alten Bundesländern
konnten uns da nicht allzu hilfreich zur Seite stehen. Unzählige Gespräche folgten, dramatische Szenen haben
sich abgespielt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich kann Ihnen sagen: Der Aufbau insbesondere in
den 90er-Jahren war schwierig; aber die Aufarbeitung
dieses Teils der Geschichte war ungleich schwieriger.
Wieder einige Jahre später - wir dachten, die Aufarbeitung wäre im Wesentlichen abgeschlossen - bekam
ich noch einmal einen Bescheid zugesandt; es war ein
Einzelbescheid. Der betreffende Mitarbeiter war als
Hausmeister angestellt, wie schon vor der Wende. Wir
dachten zuerst: Der Fall ist eindeutig. Es gab zahlreiche
Berichte über kleinere Geldprämien. Aber dann wurde
uns irgendwie klar: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Als wir den Mitarbeiter zum Gespräch geholt haben,
hat er uns unter Tränen geschildert, was sich seinerzeit
abgespielt hat. Er hatte - das nur am Rande - eine
schwierige Kindheit und Jugend. Er war Hausmeister einer Kegelbahn, teilweise hat er dort übernachtet. Dort
haben die hauptamtlichen Mitarbeiter der Dienststelle
vor Ort regelmäßig ihre Kegelabende durchgeführt. Dieser Hausmeister bekam dann als Entschädigung ein paar
Mark zugesteckt. Um das zu dokumentieren bzw. zu verrechnen, haben die hauptamtlichen Mitarbeiter die Berichte selbst geschrieben und ihn nur unterschreiben lassen. Meine Damen und Herren, so pervers war dieses
System.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir vollends bewusst, wie wichtig das Instrument Stasi-Unterlagen-Gesetz für die tatsächliche Aufarbeitung in unserem demokratischen Rechtsstaat ist. Nach mehreren Gesprächen
und nochmaliger Recherche in dem Fall des Hausmeisters haben wir dann eine Entscheidung getroffen. Ich
kann Ihnen sagen: Er arbeitet heute noch als Hausmeister in dieser Behörde.
Die Einsetzung einer Expertenkommission ist genau
der richtige Weg. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt
noch keinen Schlussstrich ziehen. Möge die Expertenkommission uns entsprechende Hinweise geben, die uns
hinterher in die Lage versetzen, die Weichen zu stellen
für die hoffentlich letzte Etappe der Aufarbeitung dieses
düsteren Kapitels unserer Geschichte. Das sind wir den
Opfern schuldig. Ich bitte um Zustimmung zu diesem
Antrag.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1957 mit dem Titel „Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzung
schließe, muss ich Ihnen noch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu den Drucksachen 18/1815
und 18/2016 mitteilen: Abgegeben wurden 538 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 437, mit Nein haben gestimmt 47, 54 haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 538;
davon
ja: 437
nein: 47
enthalten: 54
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Dr. Stefan Heck
Helmut Heiderich
Frank Heinrich ({4})
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({8})
Lothar Riebsamen
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({11})
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Tino Sorge
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({13})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier-Heite
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({21})
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Axel Schäfer ({25})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Waltraud Wolff
({31})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({32})
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Halina Wawzyniak
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
({33})
Enthalten
CDU/CSU
Uda Heller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({34})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({35})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({36})
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss unserer heutigen Debatte.
Ich wünsche Ihnen allen eine erholsame Sommerpause - ich glaube, wir können das alle gut gebrauchen -,
und ich freue mich auf ein Wiedersehen im September.
Heute Abend werden wir sicherlich viel Spaß haben und
alle gemeinsam der deutschen Mannschaft ganz kräftig
die Daumen drücken.
({37})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. September 2014, 10 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.