Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir die Sitzung eröffnen, möchte ich Ihr Einverständnis dazu herbeiführen, dass wir mit der Sitzung beginnen können,
obwohl der Flügel nach der Gedenkstunde noch hier im
Plenarsaal steht. Aus noch nicht restlos geklärten Gründen sind die Techniker, die ihn vorher hatten wieder zurückbringen sollen, im Augenblick nicht verfügbar. Da
ich aber ziemlich sicher bin, dass die Verfügbarkeit eines
Flügels der Harmonie unserer Beratungen nicht im Wege
steht, bin ich zuversichtlich, dass Sie damit einverstanden sind. Ist das so?
({0})
- Sehr gut.
Einen schönen guten Morgen von meiner Seite nach
einem sehr bewegenden Vormittag! Der Präsident hat
schon darauf hingewiesen, dass wir heute musikalisch
begleitet werden. Ich habe bisher eine Rednerliste vorliegen, aber noch nicht die Liste derjenigen, die uns zwischendurch etwas spielen wollen. Aber es ist eine Premiere, und ich bin mir ganz sicher, dass uns dieser
Flügel in unserer heutigen Debatte beflügeln wird.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Kollegen Dr. Klaus-Peter Schulze sehr, sehr
herzlich im Namen des ganzen Hauses zu seinem heutigen kugelrunden 60. Geburtstag gratulieren. Ich wünsche im Namen des Hauses alles, alles Gute, Herr
Dr. Schulze.
({0})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Vereinbarte Debatte
Bedrohung der regionalen Stabilität durch
das Vorgehen der ISIS-Truppen
ZP 2 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Beschaffungsprogramm von Drohnen für die
Bundeswehr
({1})
ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Ergänzung zu TOP 32
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spielverordnung umgehend in Kraft setzen
Drucksache 18/1875
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2})
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 33
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn ({3}),
Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Moratorium beim Verkauf von Wohnimmo-
bilien in Städten mit angespanntem Woh-
nungsmarkt durch die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben
Drucksache 18/1965
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 74 zu Petitionen
Drucksache 18/1974
Vizepräsidentin Claudia Roth
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 75 zu Petitionen
Drucksache 18/1975
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 76 zu Petitionen
Drucksache 18/1976
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 77 zu Petitionen
Drucksache 18/1977
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 78 zu Petitionen
Drucksache 18/1978
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 79 zu Petitionen
Drucksache 18/1979
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 80 zu Petitionen
Drucksache 18/1980
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 81 zu Petitionen
Drucksache 18/1981
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 82 zu Petitionen
Drucksache 18/1982
ZP 5 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu Einwänden
der EU-Kommission in Bezug auf die Einfüh-
rung einer Pkw-Maut in Deutschland
ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten
als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für
Asylbewerber und geduldete Ausländer
Drucksachen 18/1528, 18/1766
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({13})
Drucksachen 18/1954, 18/2004
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Schutzbedarf von Roma aus Westbalkan-
staaten anerkennen
Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004
ZP 7 a) - Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Drucksachen 18/1312, 18/1759
- Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Jan Korte, Sevim
Dağdelen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht
Drucksache 18/1092
- Zweite und dritte Beratung des von der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Drucksache 18/185 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({16})
Drucksachen 18/1955, 18/2005
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Sevim Dağdelen, Jan Korte, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht
Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({18})
Antrag auf Genehmigung zum Vollzug eines
gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses
Drucksache 18/1990
({19})
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkt-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Vizepräsidentin Claudia Roth
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie
({20})
Drucksache 18/1558
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({21})
Drucksache 18/2010 ({22})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({23}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/2011
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({24}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde
einführen
Drucksachen 18/590, 18/2010 ({25})
Zu dem Gesetzentwurf liegen drei Änderungsanträge
und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie über einen Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Ich
möchte darauf hinweisen, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes
die absolute Mehrheit, das sind 316 Stimmen, erforderlich ist.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Andrea Nahles.
({26})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zehn Jahre diskutieren wir nun über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Zehn Jahre
streiten wir uns über das Für und Wider. Zehn Jahre bestimmt dieses Thema die politische Debatte in diesem
Land. Jetzt kommt er. Das ist ein Grund zur Freude,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am
27. November 2013 war klar: Er kommt. Daran hat sich
notwendigerweise eine Debatte über die Frage angeschlossen: Wie wird er ausgestaltet? Ich möchte mich an
dieser Stelle bei Ihnen und bei allen, die sich an dieser
ernst und intensiv geführten Debatte beteiligt haben,
herzlich bedanken. Wir haben viele Hinweise und kritische Anmerkungen bekommen. Sie sind alle in diesen
hier vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen. Wir haben hart gerungen. Das ist aber auch kein Wunder; denn
wir beschließen hier heute nicht irgendetwas. Was wir
heute beschließen, ist von herausragender Bedeutung für
Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
diesem Land, die endlich einen anständigen Lohn erhalten werden. Deswegen war es richtig, um den besten
Weg zu ringen, und heute haben wir nun ein gutes Ergebnis vorliegen.
({1})
Es ist nicht übertrieben, zu behaupten: Wir setzen
heute einen Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitik
der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
So sehr ich mich ja gerade für viele Beiträge in der
Debatte bedankt habe, muss ich allerdings auch sagen,
dass in der letzten Phase der eine oder andere Debattenbeitrag dabei war, den man in meiner Heimat schlicht als
Kokolores bezeichnen würde.
({3})
Deswegen will ich doch noch einmal die Fakten vortragen. Fakt ist: Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschland
flächendeckend der gesetzliche Mindestlohn von
8,50 Euro, und zwar in Ost und West gleichermaßen,
ohne dass irgendeine einzige Branche ausgenommen
wird.
({4})
Ja, keine einzige Branche. Wer anderes behauptet: Kokolores!
Lassen Sie uns doch einmal über die sogenannten
Ausnahmen reden. An dieser Stelle hilft schlicht der
Blick ins Gesetz. Ich fange einmal mit der sogenannten
Ausnahme „Praktika“ an. Unser Gesetz schreibt fest:
Wer einen Abschluss hat - ob nun Berufsabschluss oder
Studium - bekommt in Deutschland ab 1. Januar 2015
einen Mindestlohn. Es gibt kein Fegefeuer mehr, in dem
man sich von Praktikum zu Praktikum schwitzt, um
dann am Ende vielleicht doch noch einen bezahlten Job
zu ergattern. Damit ist nun endlich Schluss. Die Generation Praktikum gehört der Vergangenheit an.
({5})
Ja, richtig ist: Während der Ausbildung oder während
des Studiums sind auch Praktika ohne Mindestlohn mög4092
lich, beispielsweise Pflichtpraktika oder auch freiwillige
Praktika, aber klar begrenzt auf drei Monate und nur,
wenn sie dem Zweck der Ausbildung dienen. Durch dieses Gesetz wird zum ersten Mal überhaupt ein Qualitätsrahmen für Praktika geschaffen. Zum ersten Mal werden
in Deutschland feste Regeln für Praktika eingeführt,
klare Ansprüche definiert, Ausbildungsziel, Dauer und
Lohn im Vertrag festgehalten, und jeder hat ein Recht
auf ein Zeugnis. Das gilt - und ansonsten gilt der Mindestlohn.
({6})
Ich sage es ganz klar: Die sogenannte Ausnahme „Praktika“ ist keine Ausnahme.
Kommen wir zur nächsten sogenannten Ausnahme,
über die ja in den letzten Tagen sehr viel geredet wurde:
den Erntehelfern. Das Gesetz sagt klar: Für Erntehelfer
gilt wie für alle anderen auch der Mindestlohn. Wenn für
sie kein Tarifvertrag abgeschlossen wird - die Verhandlungen laufen derzeit -, gilt ab 1. Januar 2015 der Mindestlohn. Ich lasse mir übrigens keine Kritik dafür gefallen, dass ich zusammen mit Landwirtschaftsminister
Schmidt versuche, die Einführung des Mindestlohnes für
diese Branche möglichst vernünftig zu gestalten. Dafür
haben wir uns einige Hilfestellungen überlegt.
Wenn sich zum Beispiel Landwirte und Saisonbetriebe mit gefälschten Sozialversicherungspapieren herumschlagen müssen und nachher noch auf ihrer Beitragsschuld sitzen bleiben, dann müssen wir Abhilfe
schaffen.
Oder ein anderer Punkt: sehr bürokratische Formen
der Inrechnungstellung von Kost und Logis. Hierzu habe
ich auch in seriösen Medien in den letzten Tagen einen
ziemlichen Quatsch gehört, nämlich, dass wir Kost und
Logis auf den Lohn anrechnen würden. So etwas geht
gar nicht. Es gibt keine Anrechnung von Kost und Logis
auf den Lohn. Was wir aber machen, ist, das Verfahren
der Inrechnungstellung von Kost und Logis einfacher
und transparenter zu gestalten - nicht mehr und nicht
weniger. Es ist gut für die Betriebe, dass wir das gemacht haben, und übrigens auch gut für den Zoll, der
jetzt wesentlich leichter kontrollieren kann.
({7})
Und: Wir wollen eine vierjährige Übergangszeit für
die ohnehin jetzt schon geltende Möglichkeit der kurzfristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung schaffen, in
der der Zeitraum der Befreiung von Sozialabgaben von
50 auf 70 Tage verlängert wird.
Das alles wird den Saisonarbeitern, aber auch den
Erntebetrieben helfen. Aber es gibt hier keine Ausnahme
vom Mindestlohn. Die sogenannte Ausnahme für Erntehelfer und Saisonarbeiter ist keine Ausnahme, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Kommen wir zu der sogenannten Ausnahme für Zeitungsausträger. Auch hier gilt: Für sie gilt der Mindestlohn. Ich hätte mir eine tarifliche Übergangsregelung gewünscht, die die Sozialpartner miteinander aushandeln.
Aber das ist nicht gelungen. Deswegen legen wir eine
gesetzliche Übergangsregelung vor. Das ist übrigens der
einzige Unterschied zu dem, was wir für andere Branchen regeln, die es selber in die Hand nehmen und tariflich regeln. Die sogenannte Ausnahme für Zeitungsausträger ist keine Ausnahme. Sie sind von Anfang an im
Mindestlohn, wie andere Branchen auch.
({9})
Ein weiterer Punkt, der immer wieder kritisiert wird,
ist, dass Langzeitarbeitslose den Mindestlohn erst nach
sechs Monaten bekommen sollen. Es gibt hier sehr viele
Befürchtungen, dass diese Leute jetzt ausgenutzt werden. Ich möchte Ihnen einmal aus der Realität am deutschen Arbeitsmarkt berichten: Wir finden kaum
genügend Arbeitgeber, die überhaupt bereit sind, Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Wir werden im
nächsten Jahr ein ESF-Programm auflegen, das die Akquise von Arbeitgebern, die Langzeitarbeitslosen eine
Chance geben, zum Thema hat, weil es so schwer ist, sie
zu finden. Das hat viele Gründe, die wir heute nicht diskutieren können.
({10})
In jedem Falle ist es eine Sonderregel, die Chancen
schaffen soll.
Ich gebe ehrlich zu: Wir wissen nicht, ob es so funktioniert. Deswegen haben wir uns in der Koalition vorgenommen, dass wir diese Regeln für Langzeitarbeitslose
in zwei Jahren auf den Prüfstand stellen. Ich gebe auch
zu: Das ist eine befristete Ausnahme. Aber vielleicht
birgt sie für viele Menschen die Chance, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
({11})
Nun komme ich zur Ausnahme für Schüler bis
18 Jahre. Die Ausnahme für Schüler bis 18 Jahre ist tatsächlich eine Ausnahme, und das hat einen guten Grund:
Gerade schwache Schulabgänger sollen nicht durch einen ungelernten Job davon abgehalten werden, eine
Ausbildung zu machen; dazu stehe ich.
({12})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt also
wirklich hinter den sogenannten Ausnahmen und der
einzigen wirklichen Ausnahme, die das Gesetz vorsieht.
Lassen Sie uns jetzt doch auch mal darüber reden,
was dieses Gesetz schafft, was es leistet, was es verändert. Lassen Sie uns über den Kern und die wirkliche
Substanz des Gesetzes reden, liebe Kolleginnen und
Kollegen. „Fleißig, billig, schutzlos“ - so hat es mal ein
kluger Kopf auf den Punkt gebracht. „Fleißig, billig,
schutzlos“ - das ist doch bisher die Realität für MillioBundesministerin Andrea Nahles
nen Arbeitnehmer in Deutschland, und damit ist jetzt
Schluss.
({13})
Das Gesetz, das wir hier heute verabschieden wollen,
kann niemand ehrlich anders interpretieren. Der Mindestlohn gilt flächendeckend, er gilt in Ost und West, er
gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er
bringt endlich anständige Löhne für Millionen von Menschen, die fleißig arbeiten, aber bisher billig abgespeist
wurden. Wenn Sie demnächst bei einer netten Frau einen
Blumenstrauß kaufen, wenn Sie beim Callcenter anrufen, um eine Auskunft zu bekommen, wenn Sie bei Ihrem Einkauf jemanden sehen, der Waren in die Regale
räumt, dann können Sie sicher sein: Hier überall wird
der Mindestlohn gelten.
Fast 4 Millionen Menschen werden ab Januar besser
schlafen, besser zurechtkommen, besser fühlen, dass
sich ihr Einsatz lohnt,
({14})
auch weil wir im Gesetz nicht nur regeln, dass sie mehr
Geld bekommen; übrigens für viele die höchste Lohnerhöhung ihres Lebens. Wir regeln auch, wie wir den
Mindestlohn durchsetzen und kontrollieren wollen; denn
der Mindestlohn auf dem Papier nützt niemandem, er
muss in der Wirklichkeit ankommen.
({15})
Deswegen werden wir 1 600 neue Kolleginnen und
Kollegen beim Zoll einstellen. Ich möchte Finanzminister Schäuble ausdrücklich dafür danken, dass er das
möglich gemacht hat.
({16})
Mit einer solchen Kontrolle - das ist wichtig - wird
Wettbewerbsfairness geschaffen. Es darf nicht sein, dass
sich einige schwarze Schafe vor dem Mindestlohn drücken und anderen, die den Mindestlohn zahlen, mit
Dumpinglöhnen Konkurrenz machen.
Ein weiterer Punkt, der zum Kern und zur Substanz
dieses Gesetzes gehört, ist die Stärkung der Tarifautonomie. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes geben wir
den Mindestlohn übrigens in die Hände der Sozialpartner zurück. Sie - und nicht wir, die Politik; und das ist
auch gut so - werden in Zukunft in einer Mindestlohnkommission die Entwicklung des Mindestlohnes bestimmen; zum ersten Mal übrigens schon ein Jahr früher als
ursprünglich geplant.
({17})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir hier
und heute den Mindestlohn verabschieden können, dass
wir diesen Schritt heute machen, ist - und das muss an
dieser Stelle auch gesagt werden - ein Verdienst und ein
großer Erfolg der deutschen Gewerkschaften.
({18})
Ich möchte einen ganz besonders nennen, der sich jahrelang für diesen Mindestlohn eingesetzt hat. Er ist heute
mit vielen Kollegen unter uns: Michael Sommer, schön,
dass du da bist. Herzlichen Dank für dein Engagement!
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben um dieses Gesetz gerungen, wir haben um dieses Gesetz gekämpft. Ich bin überzeugt: Das Gesetz, das uns heute
vorliegt, ist gut geworden und ein notwendiger Schritt.
Es schafft sozialen Frieden und mehr soziale Stabilität,
es schafft ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit in unserem Land.
Es ist wichtig und richtig, dass wir ein festes Haltenetz nach unten spannen, dass wir endlich dem Niedriglohnsektor einen Riegel vorschieben, dass Millionen
Menschen endlich ihren verdienten Lohn bekommen.
Das ist moderne soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert.
({20})
Ich bitte jeden einzelnen Abgeordneten und jede einzelne Abgeordnete um seine, um ihre Stimme. Es ist eine
Stimme für die, die hart arbeiten, eine Stimme für die
Tüchtigen, deren Arbeit endlich einen Wert bekommt.
Jede Stimme für dieses Gesetz ist ein Beitrag für mehr
soziale Gerechtigkeit.
Ich danke Ihnen.
({21})
Vielen Dank, Frau Ministerin Andrea Nahles. Nächster Redner in der Debatte: Klaus Ernst für die
Linke.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn
ohne Ausnahmen ist dringend notwendig.
({0})
Durch die sogenannten Reformen auf dem Arbeitsmarkt sind die Löhne in der Bundesrepublik Deutschland auf eine Rutschbahn nach unten geraten. Wir können jetzt nur fragen, wer für die Reformen auf dem
Arbeitsmarkt verantwortlich ist, die die Löhne zum Sinken gebracht haben. Fast 25 Prozent aller Beschäftigten
arbeiten bei uns inzwischen zu Niedriglöhnen.
Zur Erinnerung - weil der ein oder andere von Ihnen
das offensichtlich nicht mehr weiß -: Vor fast genau
zwölf Jahren, am 2. Juli 2002, hat der Bundestag auf
Antrag einer unserer Vorgängerparteien, der PDS, zum
ersten Mal über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abgestimmt. Selbstverständlich waren alle anderen dagegen.
({1})
Gefühlte zehn Mal haben Sie seit 2005 hier im Deutschen Bundestag vernünftige Löhne für Millionen von
Menschen verhindert. Ja, es ist ein Erfolg, dass Sie endlich zur Vernunft gekommen sind.
({2})
Der ehemalige Herausgeber der FAZ Müller-Vogg
schreibt dazu im Cicero am 1. Juli dieses Jahres:
Dieser „Meilenstein in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der Bundesrepublik“ … ist in
erster Linie das Verdienst der Linkspartei. Die SPD
hatte nämlich jahrelang diese „Begrenzung der
Tarifautonomie im unteren Bereich“ … abgelehnt.
({3})
Nehmen Sie doch wenigstens die Realität zur Kenntnis,
meine Damen und Herren!
Dass Sie heute in der Koalition einen gesetzlichen
Mindestlohn vorlegen, hat im Wesentlichen drei Gründe:
Es waren der Kampf und die Kampagne der
Gewerkschaften, es war der unermüdliche Kampf der
Linkspartei, und es war der Zeitgeist, gegen den Sie sich
nicht länger stellen konnten. Deshalb haben wir jetzt
einen gesetzlichen Mindestlohn, meine Damen und
Herren.
({4})
Ja, es ist auch ein Erfolg der Linken.
Warum machen Sie einen richtigen Punkt wie den gesetzlichen Mindestlohn so grottenschlecht wie in diesem
Gesetz? In Ihrem Koalitionsvertrag versprechen Sie zum
1. Januar 2015 einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich zitiere:
Von dieser Regelung unberührt bleiben nur Mindestlöhne nach dem AEntG.
Sie sehen im Koalitionsvertrag Ausnahmen vor, die allerdings nur tariflich möglich sein sollen. Und heute,
kein Jahr später?
({5})
- Da will einer eine Frage stellen.
Ich dachte, Sie wollen den Satz noch zu Ende führen,
bevor Sie - - Also nicht.
Ich greife den Satz noch einmal auf.
Sie greifen den Satz noch einmal auf. Das heißt, Sie
erlauben eine Zwischenfrage.
Ja freilich, selbstverständlich.
({0})
- Sie brauche ich dazu nicht.
Gut. - Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Ernst. - Ich habe Ihren Äußerungen entnommen, dass Sie für die heutige
Entscheidung zur Einführung des Mindestlohns wirklich
brennen. Sie sehen sich bestätigt.
({0})
Ich frage Sie: Rührt Ihr Enthusiasmus daher, dass Sie
uns jetzt sagen können, dass Ihre Fraktion geschlossen
zustimmen und Teil dieses historischen Ereignisses sein
wird?
({1})
Ich danke Ihnen für diese Frage, Herr Kollege. Sie
gibt mir Gelegenheit, ganz ausführlich zu begründen,
warum wir uns enthalten werden.
({0})
Wir werden uns enthalten, weil Sie eben nicht das machen, was Sie versprochen haben, weil der Mindestlohn
zum Beispiel für unter 18-Jährige überhaupt nicht gelten
soll. Sie schließen sämtliche Menschen unter 18 von der
Regelung aus. Jetzt frage ich Sie: Warum soll die Schülerin Johanna, die im Supermarkt an der Kasse sitzt,
17 Jahre alt ist und dort ihre Tätigkeit verrichtet, mit
5 oder 6 Euro abgespeist werden, während ihr Kollege,
der vielleicht Student und 18 Jahre alt ist, 8,50 Euro
kriegen soll? Wo ist da bei Ihnen eigentlich die Logik?
Wo ist die Gerechtigkeit?
({1})
Es gibt überhaupt keinen Grund für Ihre Ausnahmeregelungen.
({2})
- Ich bin noch nicht fertig. Ich beantworte noch Ihre
Frage.
Sie haben gefragt, wie wir uns dazu verhalten. Ich
habe gesagt: Wir werden uns enthalten. Ein Grund, warum wir uns enthalten, ist: Sie führen keinen gesetzlichen Mindestlohn für alle ein, sondern nur für einen Teil
der Beschäftigten. Frank Bsirske, der Vorsitzende des
DGB, sagt, dass bis zu 3 Millionen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die von der Mindestlohnregelung
eigentlich betroffen sein sollten, nicht betroffen sein
werden. Deshalb werden wir uns enthalten. Deshalb
können wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({3})
Da wir gerade bei den unter 18-Jährigen sind, sage ich
auch Folgendes: Wir haben die Bundesregierung gefragt,
wie viele unter 18-Jährige davon betroffen sein werden.
Knapp 30 Prozent der 450 000 Beschäftigten unter 18
Jahren sind Auszubildende. Es geht nur um 9 200 der
unter 18-Jährigen, die zurzeit einer normalen, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Der
größte Teil, mehrere Hunderttausend junge Menschen,
sind ganz normale Jobber. Sie verrichten bei Lidl oder
sonst wo ihre Tätigkeit, weil sie sich etwas
dazuverdienen wollen. Warum wollen Sie denen den
Mindestlohn nicht zugestehen? Sie brechen damit in
eklatanter Weise Ihr Versprechen, das auch in Ihrem
Wahlprogramm steht, Herr Kollege.
({4})
Ferner enthalten Sie über 1 Million Langzeitarbeitslosen den Mindestlohn vor - darauf wird meine Kollegin
Sabine Zimmermann eingehen -, und Sie erhöhen die
versicherungsfreie Zeit für Saisonarbeiter von 50 auf
70 Tage. Jetzt sagen Sie: Na ja, bei den Saisonarbeitern
gab es schon immer die Möglichkeit, Kosten für Unterkunft und Verpflegung anzurechnen. Ich sage Ihnen:
Wenn man einen Mindestlohn einführt, darf man nicht
an einer vorkapitalistischen Regelung wie der Verrechnung der Kosten für Kost und Logis mit dem Lohn festhalten. Wir wollen, dass die Menschen ihren Lohn voll
ausgezahlt bekommen und der mächtige Arbeitgeber die
Kosten für Kost und Logis nicht abziehen kann. Auch
diese Regelung, die Sie vorschlagen, ist unmöglich.
({5})
Sie haben von Kontrolle gesprochen: Wie wollen Sie
denn das kontrollieren? Was ist das für eine Regelung?
Wie wollen Sie kontrollieren, wie viel abgezogen wird?
Es ist unmöglich, das zu kontrollieren. Deshalb ist diese
Regelung unmöglich.
Jetzt kommen wir zu den Zeitungsausträgern. Auch
sie erhalten ab 2015 nicht einen Mindestlohn von
8,50 Euro. Ihr Lohn ist weit davon entfernt. Ich nehme
als Beispiel den Zeitungsausträger Helmut: Er ist erwerbsgemindert und will sich etwas dazuverdienen. Er
steht um 4 Uhr morgens auf, um Zeitungen auszutragen.
Sie haben ihm einen Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015
versprochen - deshalb hat er Sie vielleicht auch gewählt;
das würde er heute wahrscheinlich nicht mehr machen.
Heute bekommt er gerade einmal 6,38 Euro in der
Stunde, 2015 bekommt er 6,38 Euro in der Stunde, 2016
7,23 Euro und ab 2017, wo der allgemeine flächendeckende Mindestlohn nach Ihrer Regelung das erste Mal
angehoben werden soll, erhält er 8,50 Euro, und bei
8,50 Euro bleibt sein Lohn dann erstmal stehen. Er erhält
die Anhebung der 8,50 Euro, die Sie ihm versprochen
haben, frühestens in vier Jahren, also 2018. Das ist Ihr
Mindestlohn! „Mein Gott!“, kann ich dazu nur sagen.
({6})
Der entscheidende Punkt bei dieser Regelung ist folgender: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt,
dass Abweichungen nur auf der Grundlage von Tarifverträgen möglich sind. Bei den Zeitungsverlegern, einer
Branche ohne Tarifvertrag, machen Sie jetzt eine Ausnahme. Warum haben die anderen eigentlich Tarifverträge abgeschlossen? Die müssen sich ja jetzt an den
Kopf fassen. Da Sie dieses Gesetz jetzt auch noch als
Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie bezeichnen, ist
die Kritik der Gewerkschaften vollkommen berechtigt.
Ursula Engelen-Kefer, die ehemalige stellvertretende
Bundesvorsitzende des DGB, Kollegin des Kollegen
Sommer, der auf der Tribüne sitzt, hat das im Handelsblatt als - Zitat - „Täuschungsmanöver“ bezeichnet. Sie
schreibt: Durch die Ausnahmeregelungen werden „etwa
drei Millionen Arbeitnehmer vom Mindestlohn ausgeschlossen, vor allem diejenigen, die ihn dringend
brauchen. Am meisten betroffen sind wieder einmal die
Frauen, die mit 67 Prozent etwa doppelt so viele Dumping-Löhner stellen wie die Männer.“ Zitateende. Das ist
der Grund.
Mit diesem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, sind wir
von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn meilenweit entfernt. Herr Bsirske, der Vorsitzende von
Verdi, sagt - ich zitiere -:
Das hat mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, den die SPD in ihrer Mitgliederbefragung vor
der Regierungsbildung zur Abstimmung gestellt
hat, nichts mehr zu tun.
Zitateende. Das ist nicht in Ordnung.
({7})
Ich will auf ein Argument eingehen, das im Zusammenhang mit den Zeitungsausträgern formuliert wurde.
Es wurde gesagt, die Pressefreiheit wäre in Gefahr, wenn
der Lohn der Zeitungsausträger 8,50 Euro betragen
würde. Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölke4096
rung? Jeder weiß, dass bei den Tageszeitungen ein Riesenkonzentrationsprozess vor sich geht. Bei den Tageszeitungen haben die zehn größten Verlagsgruppen
inzwischen 60 Prozent Marktanteil; der Anteil stieg von
2006 bis 2014 um 6 Prozentpunkte. Bei den Kaufzeitungen haben die fünf größten 97 Prozent Marktmacht.
Wenn Sie etwas für die Pressefreiheit tun möchten, dann
versuchen Sie, das Problem der Konzentration im Pressebereich zu lösen. Sie dürfen aber nicht den
Zeitungsausträgern ihren Lohn vorenthalten, meine Damen und Herren!
({8})
Weil meine Redezeit gleich vorbei ist, nur noch eine
kurze Bemerkung. Ich habe den Eindruck, wir müssen
uns einmal die Frage stellen: Wer regiert eigentlich wirklich? Zwar hat der Zeitungsausträger Helmut bei Wahlen
genauso viel Stimmrecht wie Friede Springer; das ist
richtig. Aber hat er auch genauso viel Einfluss? Wer sagt
der Regierung eigentlich, wie diese Regelungen auszugestalten sind? In der Anhörung hat Herr Professor
Dr. Dr. h. c. Preis zur Regelung für Zeitungsausträger
Folgendes gesagt: Ich möchte - Zitat - „nicht ausschließen, dass diese Regelung ein Produkt eines außerordentlich intensiven Lobbyismus ist“. So machen Sie inzwischen die Gesetze, und sie sind meilenweit von dem
entfernt, was Sie versprochen haben.
Herr Kollege.
Was Sie hier vorlegen, ist kein flächendeckender
Mindestlohn, sondern ein Flickenteppich. Da kann ich
nur sagen: Versprechen gegeben, Versprechen gebrochen.
({0})
Danke, Herr Kollege Ernst. - Das Wort hat Karl
Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Ernst, ich finde es
schon sehr spannend, in welchem Wettbewerb Sie seit
Jahren sind, um festzustellen, wer der Erfinder des Mindestlohnes ist.
({0})
Ich will Ihnen sagen, dass das ein bisschen arrogant und
überheblich ist.
({1})
Wissen Sie, es hat Zeiten gegeben - sie sind noch gar
nicht so lange her -, da war auch der DGB davon überzeugt, dass der Mindestlohn falsch ist; da hat auch er dagegen gestimmt, mit der SPD, mit den Grünen und mit
der Union. Damals hat sich Deutschland in einem Veränderungsprozess befunden. Inzwischen hat es neue
Entwicklungen gegeben, und es gibt neue Perspektiven.
Die Situation 2014 ist eine andere als die Situation 2002
und 2003. Deswegen wird heute gehandelt.
({2})
Der Union geht es darum, Arbeitsplätze zu erhalten,
den Menschen eine Perspektive zu geben, ja, für
Fairness am Arbeitsplatz zu sorgen, dabei die bewährte
Tarif- und Sozialpartnerschaft zu stärken und so die
Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft sicherzustellen. Dabei stehen wir vor der Herausforderung, die
wirtschaftliche Prosperität in Deutschland zu erhalten
und dabei in der Tat für faire und gerechte Bedingungen
in unserem Land zu sorgen. Das ist die Grundlage sozialpolitischer Maßnahmen dieser Koalition.
Meine Damen und Herren, heute legen wir den Entwurf eines Tarifautonomiestärkungsgesetzes vor. Es
heißt deswegen „Tarifautonomiestärkungsgesetz“, weil
die Tarifautonomie im Mittelpunkt steht. Es geht um die
Frage: Wer ist in diesem Land für die Findung von Löhnen zuständig? Es sind Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Tarifverträge aushandeln, und nicht der Staat.
Denn wenn der Staat anfangen würde, die Höhe der
Löhne festzusetzen, dann würde er eines Tages auch
über die Gurkenpreise entscheiden. Wir müssen klar sagen, wer zuständig ist. Deswegen fordern, fördern und
unterstützen wir mit diesem Gesetz die Tarifautonomie.
Ich darf Sie an Folgendes erinnern - das ist ein Teil
der deutschen Geschichte -: Als die deutschen Bundeskanzler in den 70er- und 80er-Jahren nach Moskau gefahren sind, um mit den Sowjets auch über Wirtschaft zu
reden, haben sich die Sowjets verwundert die Augen gerieben, dass im Gefolge des jeweiligen Kanzlers nicht
nur Wirtschaftsvertreter, sondern auch Gewerkschaftsvertreter waren. Der Gegensatz von Arbeit und Kapital,
von dem der Kommunismus gezehrt hat, war in
Deutschland in der sozialen Marktwirtschaft aufgehoben. Betriebspartnerschaft und Tarifpartnerschaft haben
dazu geführt, dass wir nicht nur Betriebsfrieden und gesellschaftlichen Frieden - auch wenn es zu Auseinandersetzungen kam - hatten, sondern dadurch haben wir
auch gemeinsam die Grundlage für unseren wirtschaftlichen Erfolg gelegt. Der Weg, den wir damals gegangen
sind und den wir stolz verkündet haben, hat sich bewährt. Deswegen gehen wir ihn weiter.
({3})
Überall dort, wo sich die Tarifpartnerschaft bewährt,
geht es den Menschen besser, haben wir höhere Löhne,
haben wir höhere Einkommen. Deswegen steht sie im
Zentrum dieses Gesetzentwurfs. Wir wollen es bestimmten Branchen leichter ermöglichen, in das ArbeitnehmerEntsendegesetz aufgenommen zu werden, damit für
diejenigen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten, die
gleichen Bedingungen gelten. Wir wollen die Tarifautonomie stärken, indem wir dafür sorgen, dass Tarifverträge leichter auf eine gesamte Branche erstreckt werden
können, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, ohne dabei den Wettbewerb zu verhindern.
Weil das alles allerdings nicht ausreicht, halten wir es
für notwendig, den Mindestlohn einzuführen. Wenn es
nach der Union gegangen wäre, hätten wir die Entscheidung darüber, wie hoch der Mindestlohn sein soll, von
Anfang an der Mindestlohnkommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften unter Beteiligung der Wissenschaft übertragen.
({4})
Da wir aber vereinbart haben, dass 8,50 Euro Gesetz
sind, haben die Verhandlungen länger gedauert und waren sie geprägt von der Sorge, wie alle Menschen von
diesem Mindestlohn profitieren können. Die Diskussion
hat deswegen im Rahmen dieser Gesetzgebungsmaßnahmen stattgefunden. Ansonsten hätte sie in der Mindestlohnkommission nach den Regeln, die in Großbritannien
gelten, geführt werden müssen.
Ich glaube, der Weg, den wir hier gegangen sind, ist
sehr verantwortungsbewusst. Wir haben deutlich gesagt,
warum wir Ausnahmen für Branchen nicht wollen, aber
dennoch einige Ausnahmen für bestimmte Personengruppen geregelt haben.
Wir wollen, dass der Mindestlohn erst für Menschen
ab 18 Jahren gilt. Wenn es nach der Union gegangen
wäre, dann wäre die Altersgrenze noch höher gewesen,
damit sich junge Menschen nicht in erster Linie für die
Erwerbsarbeit entscheiden, sondern zuerst eine Berufsausbildung machen. Ob wir das damit erreichen oder
nicht, wird die Zeit zeigen. Auch heute gibt es schon
junge Menschen, die sofort in die Erwerbsarbeit gehen;
es sind - die Zahl mag stimmen - 9 000. Ich sage Ihnen
aber: Mir wäre es lieber, diese 9 000 jungen Menschen
wären nicht in der Erwerbsarbeit, sondern in einer Berufsausbildung.
({5})
Wir tun dies nicht, um die jungen Menschen zu ärgern, sondern wir tun dies, um sicherzustellen und den
Weg dafür zu ebnen, dass wir nicht die Verantwortung
dafür tragen, dass sie keine Berufsausbildung machen.
Sie sollen den Weg in die Berufsausbildung gehen.
Daneben haben wir eine Ausnahme für die Langzeitarbeitslosen eingeführt. Wir wissen nicht, ob sich diese
Ausnahme für die Langzeitarbeitslosen, die ein halbes
Jahr lang kein Anrecht auf den Mindestlohn haben, negativ oder positiv entwickelt. Man sagt uns, dass Langzeitarbeitslose es besonders schwer haben, in den ersten
Arbeitsmarkt zurückzukehren. Gleichzeitig sagt man
uns, dass das damit zusammenhängt, dass wir einen
Mindestlohn einführen werden. Ich sage Ihnen: Wir wollen nicht, dass der Zugang in ein Arbeitsverhältnis und
in den ersten Arbeitsmarkt durch einen falsch gesetzten
Lohn behindert wird.
Wir werden sehen, ob wir recht haben oder nicht, und
wir sind auch bereit, neue Wege zu gehen. Das ist deswegen notwendig, weil wir es bei der Einführung des
Mindestlohns mit einer Operation am offenen Herzen
der sozialen Marktwirtschaft zu tun haben; denn keiner
kann richtig beurteilen, wie sich die Einführung des
Mindestlohns, die wir heute beschließen werden, auswirken wird.
Als weitere Ausnahme haben wir die Ausnahme für
Praktikanten formuliert. Was Frau Nahles dargestellt hat,
ist richtig: Das war unser gemeinsamer Wunsch, weil
wir aus der Zeit 2004 bis 2007 geprägt sind, als Praktika
vornehmlich angeboten wurden, um Ausbildungsplätze
nicht besetzen oder jemanden nicht fest anstellen zu
müssen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung und den
Fachkräftemangel sind wir Gott sei Dank aus dieser
Situation heraus, aber die Gefahr besteht, dass dies wieder geschieht, und deswegen haben wir das getan. Für
uns ist völlig klar: Praktika dienen der Vertiefung der beruflichen Erfahrungen und Erkenntnisse, um eines Tages
nach einem Studium oder einer Berufsausbildung in den
Beruf übergehen zu können.
Ich bin froh, dass wir diese Regelungen so getroffen
haben - auch mit einer schriftlichen Vereinbarung des
Praktikumvertrags, damit das Ganze Rechtskraft und
eine Ordnung hat -, dass wir vor allen Dingen die Flexibilität behalten haben, dass bei Praktika in den ersten
drei Monaten nicht zwangsweise ein Mindestlohn
gezahlt werden muss. Ich bin froh, dass der von uns eingeschlagene Weg den jungen Menschen eine Perspektive
gibt.
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Sätze zu der Mindestlohnkommission sagen. Im
Laufe des Dialogs haben wir mitbekommen, dass es den
einen oder anderen Vertreter der Tarifvertragsparteien etwas geschüttelt hat, wenn sie darüber nachdachten, dass
sie sich plötzlich um einen Mindestlohn zu kümmern haben, während sie im Rahmen der Tarifpolitik normalerweise ganz andere Löhne und Gehälter aushandeln. Ich
kann das sogar verstehen. Wenn wir aber die Tarifautonomie stärken wollen, wenn die Gewerkschaften und die
Arbeitgeberverbände eine besondere Verantwortung in
dieser Gesellschaft tragen und für die Lohnfindung zuständig sein sollen, dann müssen sie ihre Verantwortung
auch in diesem Bereich übernehmen.
Ich freue mich sehr, dass das jetzt im Konsens so
geregelt ist, dass sie sich bei der Lohnfindung und der
Frage, wie der Mindestlohn auszugestalten ist, die gesamte wirtschaftliche Entwicklung und die gesamte Entwicklung der Löhne und Gehälter anschauen und dass
sie in diesem Zusammenhang im Blick behalten, dass es
einen vernünftigen Wettbewerb in Regionen und Branchen geben muss und dabei die Arbeitnehmer zu schützen sind, weil auch sie, wie alle anderen, ein Anrecht auf
Schutz haben.
Ich bin sicher, dass die Mindestlohnkommission ähnlich wie in Großbritannien über all die Zeit Erfahrungen
sammeln wird. Das ist vor allem deswegen wichtig, weil
sie für die Evaluation, die Überprüfung, verantwortlich
sein wird. Die Auswirkungen des Mindestlohns, den wir
zum 1. Januar 2015 einführen, wollen wir beobachten.
Wir wollen uns genau anschauen, welche Wirkungen er
in Regionen und Branchen entfaltet. Ich bin ganz sicher,
dass wir dann miteinander verantwortungsvoll die weiteren Entscheidungen treffen.
Ich danke der Bundesarbeitsministerin, dem Bundesarbeitsministerium und unserem Koalitionspartner für
die äußerst konstruktiven Gespräche sehr herzlich, auch
wenn es - das liegt in der Natur der Sache - gelegentlich
mühsam war. Aber wir haben das Ganze gemeinsam
sehr verantwortungsbewusst gestaltet.
Lassen Sie mich als Christdemokrat am Schluss einem lieben Kollegen ein besonders herzliches Dankeschön sagen, der durch seinen großen Einsatz und sein
unglaubliches Engagement in unserer Partei dafür
gesorgt hat, dass wir die Diskussion so führen, wie wir
sie jetzt führen. Ich meine Karl-Josef Laumann. KarlJosef, das ist auch Dein Tag.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. - Das Wort
zu einer Kurzintervention hat Michael Schlecht.
Herr Schiewerling, ich möchte Sie gerne zu einem
Punkt befragen, und zwar zu der Ausnahme für die Zeitungszustellerinnen und -zusteller. Es ist seit mehreren
Wochen bekannt, dass der Verlegerverband versucht hat,
Ausnahmeregelungen im Gesetz durchzusetzen. Ich
muss, ehrlich gestanden, sagen, dass ich dieses Begehren
von Anfang an so abstrus fand, dass ich mir gar nicht so
richtig vorstellen konnte, dass die Regierungskoalition
auf diesen Wunsch überhaupt eingehen würde.
Es ist vollkommen abstrus, dass die 300 000 Zeitungszusteller - das ist eine relativ große Anzahl von
Menschen -, die unter ziemlich harten Bedingungen arbeiten müssen - sie müssen sehr früh aufstehen, und
zwar im Sommer wie auch im Winter, und schwer
tragen, um nur einige der erheblichen Belastungen zu
nennen -, weiterhin nur einen Hungerlohn bekommen
sollen. Im nächsten Jahr gilt für sie ein Mindestlohn von
6,38 Euro.
Es ist vollkommen unklar, weshalb Sie auf die Forderung des Verlegerverbands eingegangen sind; denn viele
Unternehmen in diesem Bereich stehen finanziell sehr
gut da. Hinter diesen Unternehmen stehen häufig Eigentümerfamilien, im Regelfall sind das Millionäre. Es war
mir vollkommen unverständlich, weshalb auf derartige
Wünsche und Forderungen eingegangen wird, weshalb
man von Ihrer Seite weiterhin Hungerlöhne zulässt, damit die Millionäre unter den Verlegern weiterhin ungestört auf ihrem Geld sitzen können.
Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wie genau ist
denn der Lobbyprozess gelaufen? Wer hat denn dabei
am meisten Einfluss gehabt?
({0})
Wer von den beiden Koalitionspartnern hat am ehesten
die Verlegerposition übernommen und sich für die Beibehaltung der Hungerlöhne starkgemacht?
({1})
War das die Union? War das die SPD? Waren es beide
gleichermaßen? Mich interessiert, wie diese Kampagne
des Verlegerverbandes im Hintergrund gelaufen ist.
({2})
Die letzte Frage dazu: Schwingt bei der Tatsache,
dass Sie auf dieses Begehren eingegangen sind, am Ende
die Sorge mit, dass Sie dann, wenn Sie die Verleger nicht
so behandeln, wie sie behandelt werden wollen, durch
die publizistische Macht dieser Verleger Nachteile erfahren könnten?
Danke schön.
({3})
Herr Schiewerling kann, wenn er möchte, auf die
Kurzintervention, die drei Minuten nicht überschreitet,
Herr Kauder, antworten.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Schlecht. - Auf Ihre
lange Anfrage will ich Ihnen kurz antworten. Die
Bundesarbeitsministerin hat genau wie Mitglieder unserer Fraktion umfangreiche Branchendialoge geführt. Mit
diesen Dialogen sollte sichergestellt werden, dass die
Branchen, die gesagt haben, dass sie mit dem von uns
festgelegten Mindestlohn von 8,50 Euro besondere Probleme haben, im Rahmen dieser Einführung Hilfestellungen bekommen. Das Ergebnis dieses Branchendialogs ist sehr erfreulich: Zahlreiche Branchen haben sich
auf den Weg gemacht, einen Tarifvertrag abzuschließen.
Ich kann nur hoffen, dass wie in der Landwirtschaft mit
der IG BAU schnell der Tarifvertrag abgeschlossen wird
und man sich nicht auf dem Ergebnis von heute Morgen
ausruht.
Ein zweites Ergebnis des Branchendialogs war die Erkenntnis, dass einige Branchen wirkliche Probleme haben. Wir hatten die Arbeitsplätze und die Auswirkungen
des Mindestlohns auf diese Arbeitsplätze im Blick, und
wir haben keine ideologische Debatte darüber geführt,
wer in welchem Land wo wann was zu sagen oder zu
schreiben hat.
({0})
Als Ergebnis ist das herausgekommen, was Ihnen
jetzt vorliegt. Ich sage sehr deutlich: Dieser Mindestlohn
kennt keine Branchenausnahmen. Wir bauen vielmehr
Brücken und Wege, um 2016 bzw. spätestens 2017 einen
Mindestlohn für alle zu haben. Hätten wir von Anfang
an die Mindestlohnkommission gehabt, hätte sie all
diese Entscheidungen abzuwägen und zu treffen gehabt.
Da es sie nicht von Anfang an gab, sondern wir einen
Stundenlohn festgelegt haben, mussten wir uns zwangsläufig mit dieser Situation auseinandersetzen.
Uns liegt die Situation der Menschen, die in diesen
Branchen arbeiten, sehr am Herzen. Deswegen bauen
wir eine Brücke. Deswegen wird auch dort der Mindestlohn gelten, und deswegen haben wir die Strukturen so
geschaffen, dass jede Branche sich auf den Pfad begeben
kann, dass es am Ende keinen Tarifvertrag mehr gibt, der
unter dem Mindestlohn liegt, und dass auch diejenigen,
die keinen Tarifvertrag wollen, den Mindestlohn nicht
unterschreiten können.
Ich halte das im Gegensatz zu Ihnen für einen vernünftigen Weg. Aber das hängt auch damit zusammen,
dass wir als Unionsfraktion und als Koalition nicht nur
für die Frage der Mindestlöhne Verantwortung tragen,
sondern auch für die wirtschaftliche Prosperität unseres
Landes und für vernünftige Entscheidungen, die den
Menschen dienen.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Schiewerling. - Das Wort hat nun
für Bündnis 90/Die Grünen Brigitte Pothmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es ist
richtig: Der Mindestlohn in Deutschland ist seit langem
überfällig.
({0})
Wir haben lange dafür gekämpft, dass der Wettbewerb
nicht länger über Lohndumping ausgetragen wird. Wir
haben lange dafür gekämpft, dass Löhne von 5 oder
6 Euro brutto pro Stunde endlich der Vergangenheit angehören. Wir haben mit anderen Worten lange dafür gekämpft, dass die Arbeit ihre Würde zurückerhält.
({1})
Vielleicht hat es wirklich etwas von einer historischen
Dimension, wie es heute in der Süddeutschen Zeitung zu
lesen ist, wenn wir heute die Einführung des Mindestlohns in Deutschland beschließen. Schade ist nur, dass
Ihr Gesetzentwurf dieser historischen Dimension so gar
nicht gerecht wird.
({2})
Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen von kleinlichen Kämpfen um politische Geländegewinne untereinander.
({3})
Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen vom Einknicken
vor mächtigen Lobbyinteressen.
({4})
Die Verlierer lassen sich genau benennen: Es sind die
Langzeitarbeitslosen, die Jugendlichen, die Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller und die Saisonarbeiter. Die haben heute keinen Grund, zu jubeln, Frau
Nahles.
({5})
Wirklich übel nehme ich Ihnen die Ausnahmen bei
den Langzeitarbeitslosen. Die haben Sie auf dem Altar
des Koalitionsfriedens geopfert.
({6})
Sie sind die Bauernopfer, die Sie der CDU/CSU dargebracht haben. Eine solche Regelung gibt es in keinem
einzigen anderen Land. Dafür gibt es auch gute Gründe.
Langzeitarbeitslose sind eine sehr heterogene Gruppe.
Es gibt leistungsstarke, und es gibt leistungsschwache.
Sie scheren sie alle über einen Kamm und stigmatisieren
damit über 1 Million Menschen.
({7})
Die Botschaft, die Sie damit aussenden, lautet: Die
können nichts, die kriegt ihr billiger, und zwar alle, ohne
Ansehen der Person. - Aber diese Botschaft ist falsch.
Ich schlage Ihnen vor: Lesen Sie sich doch einfach einmal die Stellungnahme des IAB zu der Anhörung zum
Mindestlohn durch! Dann werden Sie erkennen, dass
derzeitig fast die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen, die
Arbeit aufnehmen, über 8,50 Euro die Stunde verdienen.
Ich will jetzt einmal den Arbeitgeber, der nicht tarifgebunden ist, sehen, der nach dieser Entscheidung noch
den Mindestlohn oder sogar mehr bezahlt.
Da komme ich zu der nächsten Ungereimtheit Ihres
Gesetzentwurfs. Herr Schiewerling, Sie haben ja so großen Wert darauf gelegt, zu sagen: Dieses Gesetz heißt
Tarifautonomiestärkungsgesetz.
({8})
Aber von Ihrer Lohndumpingregelung für die Langzeitarbeitslosen können nur die Betriebe profitieren, die sich
aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet haben. Es gibt
keine Tarifverträge, nach denen ehemalige Arbeitslose
weniger als 8,50 Euro verdienen. Und, meine Damen
und Herren, das ist auch gut so.
({9})
Sie schaffen einen Wettbewerbsvorteil für die Betriebe, die sich aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet
haben. Sie konterkarieren Ihre eigenen Ziele. Wo da die
Logik ist, das müssen Sie einmal erklären.
({10})
Richtig schämen sollten Sie sich für die Sonderregelung für Zeitungszusteller.
({11})
Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist nun wirklich,
dass Sie das jetzt auch noch pathetisch mit der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit begründen.
Meine Damen und Herren, da lacht doch die Koralle.
({12})
Wenn die Pressefreiheit in Deutschland tatsächlich an
den Dumpinglöhnen für Zeitungszusteller hängt, dann
kann ich nur sagen: Gute Nacht, Marie.
({13})
Nein, diese Sonderregelung für Zeitungszusteller - das
hat Ihr Sachverständiger in der Anhörung gesagt - ist
Ausdruck äußerst gelungenen Lobbyismus. Mit anderen
Worten: Sie sind einfach vor den Springers dieser Welt
eingeknickt. Sie wollten keine schlechte Presse, und auslöffeln müssen das jetzt die Zeitungszusteller, die wirklich einen Knochenjob machen und bis 2018 auf einen
Mindestlohn warten müssen.
Ich sage Ihnen noch etwas anderes: Sie werden sich
noch wundern, was die Sonderregelung für Saisonarbeit
alles so mit sich bringt. Was in Zukunft alles Saisonarbeit sein wird, das kommt Sie teuer zu stehen.
Meine Damen und Herren, die Kritikpunkte - ich
konnte sie nicht alle vortragen - wiegen wirklich schwer.
Trotzdem sage ich Ihnen: Wir haben uns dazu durchgerungen, heute mit Ja zu stimmen.
({14})
Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir einen Mindestlohn in Deutschland für dringend notwendig halten.
({15})
Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir uns weiter
dafür einsetzen werden, dass dieser Mindestlohn besser,
umfassender und gerechter wird.
Wenn Sie so wollen, kann man das vielleicht auch ein
bisschen mit der aktuellen Situation der deutschen Nationalmannschaft vergleichen. Die Jungs spielen derzeitig wirklich nicht gut,
({16})
und wir unterstützen sie trotzdem, weil es derzeit einfach
keine andere amtierende Nationalmannschaft gibt.
Frau Kollegin.
({0})
Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Bundesregierung und der Truppe von Jogi Löw. Die haben einen
in Bestform befindlichen Torhüter. Das hat diese Bundesregierung nicht. Sigmar Gabriel ist nicht Manuel
Neuer.
({0})
Eigentlich schade für die Geringverdienenden in diesem
Land.
Ich danke Ihnen.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke schön auch für
die Erkenntnis, dass die Koralle lacht. Ihre Aussage über
das Spielvermögen unserer Nationalmannschaft werden
wir morgen Abend um 18 Uhr verifizieren.
Die nächste Rednerin ist Katja Mast für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jeder, der hier Empörungsrhetorik anwendet, muss
gut begründen können, warum er hinterher zustimmt
oder das schärfste Schwert des Parlamentarismus, die
Enthaltung, wählt.
({0})
Ich will mich zu Beginn meiner Rede bei unserer
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles für die sehr gute
Zusammenarbeit bedanken.
({1})
In diesen Dank schließe ich das gesamte Haus ein, weil
der vorliegende Gesetzentwurf unter anderem in einigen
Nachtschichten erarbeitet wurde. Ich danke aber auch
beiden Fraktionen sowie den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Fraktionen, weil alle bei den Leidenschaftsthemen „Stärkung der Tarifautonomie“ und
„Mindestlohn in Deutschland“ alles gegeben haben, was
sie konnten, damit dieser Gesetzentwurf heute verabschiedet werden kann. Vielen Dank.
({2})
Es waren anstrengende Wochen und anstrengende
Verhandlungen. Aber wir erleben heute eine historische
Stunde, weil Deutschland endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von zunächst 8,50 Euro
- gleichermaßen in Ost und West sowie ohne Branchenausnahmen - bekommt.
({3})
Dafür haben wir in mehr als zehn Jahren mit unseren
Freundinnen und Freunden von den Gewerkschaften gekämpft. Ich will an dieser Stelle Michael Sommer, der
das viele Jahre begleitet hat,
({4})
und Reiner Hoffmann sowie die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften, die heute anwesend sind, herzlich
begrüßen. Wir sind stolz, dass ihr mit uns diesen langen
Weg gemeinsam gegangen seid.
({5})
Es war nicht immer einfach. Am Anfang mussten wir
uns zusammenraufen, um überhaupt eine gemeinsame
Position einzunehmen. Dann mussten wir ziemlich lange
dafür kämpfen, dass der Mindestlohn kommt. Er kommt
eben heute.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben im Wahlkampf versprochen: Mit uns gibt es nur eine
Regierung, wenn dafür gesorgt wird, dass derjenige, der
Vollzeit arbeitet, von seiner Hände Arbeit leben kann.
Dafür legen wir heute einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Schlussabstimmung vor. Gesagt, getan! Das ist
gerecht.
({6})
Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz schaffen wir
aber auch etwas ganz Neues. Wir schaffen endlich bundesweit Tarifvertragsstrukturen in Branchen, bei denen
wir uns vor einem Jahr noch nicht einmal hätten vorstellen können, dass es dort überhaupt zu Tarifverhandlungen kommt. Wir haben es schon in der Fleischindustrie
und beim Friseurhandwerk geschafft. Das Taxigewerbe
versucht, einen Arbeitgeberverband zu gründen. Die
Landwirtschaft verhandelt über einen bundesweiten Tarifvertrag, genauso wie der DEHOGA. Das ist ein Gewinn für unsere soziale Marktwirtschaft.
({7})
Wir schaffen das nicht nur dadurch, dass wir aufgrund
des zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes alle Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen
können. Vielmehr schaffen wir auch neue Strukturen der
Tarifautonomie, weil wir künftig die Allgemeinverbindlichkeitserklärung erleichtern werden. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist es immer wichtig,
unsere Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften und den Betrieben mit unseren Gesetzen zu stärken.
({8})
Der Mindestlohn schützt aber nicht nur die Beschäftigten, indem er eine untere Haltelinie festlegt. Der
Mindestlohn schützt auch die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler, weil keine Dumpinglöhne mehr über Steuergelder quersubventioniert werden müssen. Er schützt
vor allen Dingen - das will ich insbesondere als BadenWürttembergerin an dieser Stelle sagen - unsere Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die für faire Arbeitsbedingungen in ihren Betrieben sorgen.
({9})
Denn die können jetzt nicht mehr durch Dumpingkonkurrenz ausgestochen werden. Auch das ist wichtig.
({10})
Der Mindestlohn stärkt also die soziale Marktwirtschaft,
er schwächt die soziale Marktwirtschaft nicht.
Ich will noch etwas zu unseren großen Punkten sagen.
Wir haben auf der letzten Strecke die Generalunternehmerhaftung durchgesetzt, sodass jetzt die gleiche gilt
wie im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wir haben durchgesetzt, dass die Mindestlohnkommission ein Jahr früher
die Mindestlöhne für ungefähr 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöhen kann. Wir haben
die Situation also im Vergleich zum Koalitionsvertrag
verbessert und nicht verschlechtert.
({11})
Wir haben durchgesetzt, dass alle, die in Deutschland
morgens, nachts oder wann auch immer arbeiten gehen,
ab dem 1. Januar 2015 mindestens einen Lohn von
8,50 Euro bekommen. Es sind ungefähr 4 Millionen
Menschen, deren Situation wir verbessern. Wir verbessern für alle, die die Überbrückung über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nutzen, die Situation ab 1. Januar
2017. Dann gilt überall der Mindestlohn von 8,50 Euro.
Ich will zum Schluss kommen, Frau Präsidentin. Für
uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist
heute
({12})
ein bewegender Tag, Herr Kauder, ein echt bewegender
Tag. Wir stärken die Tarifautonomie, wir stärken die
soziale Marktwirtschaft, wir stärken die Menschen, die
arbeiten gehen und gute Arbeit schaffen. Wir sind stolz
auf dieses Gesetz. Wir sind stolz darauf, dass wir einstimmig diesem Gesetz zustimmen werden.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Mast.
Nicht nur die Sozialdemokraten begrüßen die Vertreter der Gewerkschaften. Das möchte ich jetzt auch für
das ganze Haus tun. Michael Sommer ist schon begrüßt
worden. Ich begrüße auch recht herzlich Reiner
Hoffmann, seinen Nachfolger, und freue mich auf eine
gute Zusammenarbeit mit dem gesamten Haus.
({0})
Das gilt auch für die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften. Frank Bsirske, auf eine gute Zusammenarbeit!
Vizepräsidentin Claudia Roth
Bevor ich jetzt abschweife, erteile ich Sabine
Zimmermann für die Linke das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegin Mast, die Agenda 2010 haben
Sie nicht für die Gewerkschaften gemacht. Damit haben
Sie garantiert, dass sich die Lohnspirale in Deutschland
in den letzten zehn Jahren immer weiter nach unten gedreht hat.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewerkschaften,
Verbände, Vereine und viele andere haben seit Jahren für
einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geworben.
Sie haben dafür gekämpft, sie haben dafür gestritten, und
sie haben dafür demonstriert. Alle dürfen heute einen
Teilerfolg einfahren.
Wenn ich den Reden der CDU/CSU und der SPD hier
zuhöre, dann muss ich feststellen: Sie wollen sich den
Erfolg einfach am liebsten allein an die Brust heften.
({1})
- Nein, hören Sie mir zu! - Ich kann Ihnen nur sagen:
Ohne uns hätten Sie das alles nicht geschafft.
({2})
Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Linke die erste
Partei war, die diese Frage hier im Deutschen Bundestag
gestellt hat. Da Sie, Kolleginnen und Kollegen der SPD,
hier so herumschreien, will ich Ihnen sagen: Wir haben
zehnmal einen entsprechenden Antrag gestellt, sogar
wortgleich mit Ihrem eigenen Aufruf. Sie haben immer
dagegen gestimmt. Wir hätten den Mindestlohn schon
früher haben können.
({3})
Was Sie heute hier abliefern, ist nun wirklich kein
echter flächendeckender Mindestlohn, wie ihn viele
Menschen erwarten und den Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, im Wahlprogramm ausdrücklich
versprochen haben. Unter den Ausnahmen Ihres Flickenteppichs ist die wohl skandalöseste die geplante
Ausnahmeregelung für 1 Million Menschen, die langzeitarbeitslos sind.
({4})
Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der Union
und der SPD: Finden Sie Stundenlöhne von 1,60 Euro
vertretbar? So viel hat nämlich ein Brandenburger
Rechtsanwalt mit arbeitsgerichtlicher Genehmigung
zwei langzeitarbeitslosen Kollegen für Aushilfstätigkeiten gezahlt. Das ist ungerecht. So etwas darf es in diesem Land doch nicht geben!
({5})
Ist es das, was Sie mit Ihrer Ausnahmeregelung auch
weiterhin möglich machen wollen? Müssen dafür Langzeitarbeitslose zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert werden? Wollen Sie diesen Menschen dafür ihre
Würde und ihre Wertschätzung absprechen? Und Sie
frage ich: Glauben Sie ernsthaft, dass Arbeitgeber Menschen, die zehn oder elf Monate erwerbslos gewesen
sind, zum Mindestlohn einstellen? Nein, das werden sie
nicht, weil sie dank Ihrer Regelung nur etwas zu warten
brauchen, und dann können sie diese Kolleginnen und
Kollegen einstellen und unterhalb des Mindestlohns bezahlen.
Sie behaupten, Sie wollten Langzeitarbeitslosen eine
Chance eröffnen. Meine Damen und Herren, das ist einfach nur Unsinn. Sie diskriminieren die Kolleginnen und
Kollegen, die langzeitarbeitslos sind, und das können
wir nicht zulassen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es sind vor
allen Dingen Frauen, die Sie hier diskriminieren; denn
diese sind häufiger langzeitarbeitslos als Männer. Unter
den betroffenen Frauen sind übrigens auch besonders
viele Alleinerziehende. Ich frage Sie: Entspricht ein
Lohn unterhalb des Mindestlohnes, der insbesondere
Frauen trifft, Ihrer Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen
Koalition?
({7})
Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass wir so etwas in
diesem Haus zulassen.
({8})
Was für Frauen gilt, gilt leider auch für Menschen mit
Behinderung. Auch sie sind von Langzeitarbeitslosigkeit
leider überproportional betroffen. Deutschland hat den
zweitgrößten Niedriglohnsektor Europas. Damit sich das
nicht so schnell ändert, öffnen Sie großzügig die Türen
zur Umgehung des Mindestlohnes. Hire and fire, anstellen und entlassen, wird so ein attraktives Modell für
Arbeitgeber werden, und das geht nicht.
({9})
Damit sich die Betroffenen dagegen auch gar nicht
wehren können, halten sie zudem stur an den Sanktionen
bei Hartz IV fest.
({10})
Das ist nicht nur ein sozialer Skandal, es ist auch arbeitsmarktpolitisch völlig unsinnig.
({11})
Es droht ein Drehtüreffekt bei den Langzeitarbeitslosen,
ein Hin- und Herpendeln zwischen kurzfristigen Dumpingjobs und Arbeitslosigkeit. Damit wird ihnen die
dauerhafte Beschäftigung verwehrt.
Ich komme zum Schluss.
({12})
Sabine Zimmermann ({13})
Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was diese Ausnahmeregelung rechtfertigt.
Ein Mindestlohn ohne Ausnahmen ist nur dann ein
Mindestlohn ohne Ausnahmen, wenn der Mindestlohn
keine Ausnahmen hat. - Wer hat das wohl gesagt? Das
war der DGB. Und er hat recht! Wo bleiben denn da Ihre
sozialdemokratischen Wurzeln, liebe Kolleginnen und
Kollegen der SPD?
({14})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss.
Ich sage Ihnen: Die Linke wird weiter für einen Mindestlohn streiten, der seinen Namen auch verdient.
({0})
Danke schön, Frau Kollegin. - Wie ich aus gutunterrichteten Kreisen höre, bittet der Bundesfinanzminister
um einen differenzierten Umgang mit der Spieltaktik unserer Nationalmannschaft. Ich übermittle diese Bitte
gerne.
({0})
Ich erteile das Wort Stephan Stracke für die CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Große Koalition unter Führung von Angela
Merkel ist erfolgreich. Seit 1. Juli 2014 ist die Mütterrente da. Das nutzt über 9 Millionen Frauen, aber auch
Männern in diesem Land, die in ihrem Leben viel geleistet haben. Jetzt bringen wir ein Gesetzespaket auf den
Weg, das zum einen die tarifliche Bindung in diesem
Land weiter stärken wird und zum anderen einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreibt. Das nutzt 4 Millionen
Menschen in diesem Land, und das ist gut.
({0})
Wir stellen faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen sicher, indem wir die Sozialpartnerschaft
stärken, und wir schaffen gleichzeitig einen Mindestschutz für Beschäftigte. Ich finde, das, was wir auf den
Weg bringen und Ihnen vorlegen, ist ein guter Kompromiss, der die Vorgaben des Koalitionsvertrages umsetzt
und dabei auch die Belange der Wirtschaft mit in den
Blick nimmt und beachtet.
Dabei lassen wir uns von einem Grundsatz leiten,
nämlich: Gute Leistung muss sich lohnen und soll auch
fair bezahlt werden. Dafür zu sorgen, das ist Aufgabe der
Sozialpartnerschaft. Die Sozialpartner haben ihre Aufgaben in den letzten Jahren hervorragend erledigt. Beispielhaft will ich an dieser Stelle die Branchenmindestlöhne nennen: Es liegen bereits 90 Prozent aller
Branchenmindestlöhne über 8,50 Euro und knapp
80 Prozent bei 10 Euro und mehr. Ich glaube, das ist ein
Beispiel dafür, dass Sozialpartnerschaft in diesem Land
gut funktioniert, auch wenn es das eine oder andere Mal
wie beim Fleischereihandwerk eines Schubses bedarf.
Aber insgesamt können wir feststellen: Das funktioniert.
({1})
Deswegen wollen wir in dieser Frage die Sozialpartnerschaft stärken; denn wir wissen auch, dass die direkte
Tarifbindung in den letzten Jahrzehnten abgenommen
hat. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen stärken wir zum einen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung und stellen damit sicher, dass die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften das Arbeitsleben künftig
wieder weitgehend gemeinsam ordnen. Wir tun dies,
indem wir das 50-Prozent-Quorum abschaffen und an
diese Stelle ein konkretisiertes öffentliches Interesse rücken. Ich glaube, das ist eine gute Reform.
Ein zweiter Ansatz dieser guten Reform ist es, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu verändern. Die Branchenmindestlöhne haben sich bewährt. 4 Millionen Menschen fallen darunter. Diesen erfolgreichen Weg wollen
wir fortsetzen, indem wir das Gesetz für alle Branchen
entsprechend öffnen.
Wir beseitigen die weißen Flecken, die im Rahmen
der tarifvertraglichen Bindung entstanden sind, durch
einen Mindestlohn. Die gesetzliche Umsetzung haben
wir im Dialog mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern
aller Branchen erarbeitet, um dabei mögliche Probleme
zu berücksichtigen.
Wichtig war uns immer: Wir wollen einen Mindestlohn mit Augenmaß.
({2})
Dies ist das zentrale Ergebnis unserer Verhandlungen.
Wir haben eine Mindestlohnkommission. Diese Mindestlohnkommission haben wir gestärkt. Es gab bei dem
einen oder anderen die Vorstellung, man setzt sich hier
zusammen und hat eine bloße Notarfunktion gegenüber
dem, was beispielsweise das Statistische Bundesamt
feststellt. Genau diesen Automatismus - unter Umständen bei der Anpassung der Mindestlöhne nach oben wollen wir nicht. Die Sozialpartner haben anfangs gesagt: Wir brauchen eigentlich gar keine Geschäftsstelle.
Ein bloßes Sekretariat würde vielleicht genügen. - Klar,
wenn man zum Kaffeetrinken zusammenkommen will,
dann braucht man unter Umständen nur ein Sekretariat.
Aber genau das ist nicht unser Ansatz, sondern unser
Ansatz ist es, dass wir verantwortungsvoll vorgehen,
wenn es darum geht, Mindestlöhne zu überprüfen und
unter Umständen zu einer Erhöhung zu kommen. Dieser
Verantwortung müssen und sollen auch die Sozialpartner
gerecht werden. Genau deswegen haben wir die Mindestlohnkommission in unserem Gesetz stärker in die
Pflicht genommen,
({3})
indem wir beispielsweise eine Evaluation vornehmen
lassen, bei der vor allem der Blick darauf gerichtet werden soll: Wie ist der Schutz der Arbeitnehmer? Wie ist es
mit den Wettbewerbsbedingungen? Wie ist die Beschäftigung in bestimmten Branchen und Regionen?
Es ist im Übrigen nicht die einzige Evaluation, sondern wir wollen eine breite wissenschaftliche Expertise
im Land darüber haben, wie der gesetzliche Mindestlohn
wirkt. Deswegen sagen wir: Der Mindestlohn soll evaluiert werden. Aber die Bundesregierung soll das Gesetz
auch insgesamt evaluieren. Bevor sich dann die
Mindestlohnkommission im Jahre 2016 an die Arbeit
macht, sollen zusammen mit dem IAB bereits gewisse
Grunddaten festgestellt werden, damit wir Sicherheit darüber haben, wie es sich insgesamt auswirkt.
Ein Mindestlohn mit Augenmaß bedeutet auch immer, dass wir diesen an der Lebenswirklichkeit messen.
Deswegen war für uns eine Regelung wichtig, die die
Praktikantenverhältnisse umfasst. Auch wir als Bundestagsabgeordnete erleben es doch oft, wenn wir beispielsweise Lebensläufe von Bewerberinnen und Bewerbern
bekommen, dass sie sehr viele Praktika machen, ganz
überwiegend nach Abschluss eines Studiums. Es ist
nicht Ausdruck von Wertschätzung gegenüber zum Teil
sehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass sie auf
Praktika verwiesen werden und nicht eine Anstellung erhalten, sei sie auch befristet. Deswegen verändern wir
das. Wir sagen, die Generation Praktikum hat keine
Zukunft mehr.
({4})
Deswegen verändern wir dies im Rahmen des Mindestlohngesetzes, indem wir zum einen Pflichtpraktika
vom Mindestlohn ausnehmen und zum anderen die
Attraktivität von freiwilligen Praktika erhalten. Wir sind
mit einem Vorschlag von vier Wochen gestartet und
kommen nun mit einer Regelung von drei Monaten heraus. Ich glaube, das ist eine gute Lösung.
Eine weitere gute Lösung sind die Sonderregelungen,
die wir getroffen haben, gerade auch was die Befürchtungen von einzelnen Branchen angeht, Befürchtungen,
die beispielsweise an uns herangetragen wurden vonseiten der Obst- und Gemüsebauern, die Angst haben um
ihre Zukunft, oder aus dem Bereich des Gaststätten- und
Hotelgewerbes. Beides hat ja die Ministerin mit großer
Absicht auch in den Blick genommen. Wir haben jetzt
entsprechende Regelungen im Rahmen eines Maßnahmenbündels getroffen. In diesem Zusammenhang danke
ich ganz herzlich unserem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, der hier wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet hat, damit dieses Maßnahmenbündel tatsächlich gut ist.
({5})
Kost und Logis werden auf den Mindestlohn angerechnet, und zwar dauerhaft. Das ist eine gute Regelung.
Hier können bis zu 450 Euro im Monat bei der Monatsabrechnung ausgewiesen werden.
Wir weiten den Begriff der kurzfristigen Beschäftigung aus. Als kurzfristig gilt eine Beschäftigung bis zu
70 Tagen bzw. drei Monaten - befristet auf vier Jahre.
Was in der Praxis auch von wesentlicher Bedeutung
ist: Wir schützen den redlichen Arbeitgeber, der auf die
Richtigkeit von ausländischen Sozialversicherungsbescheinigungen vertraut. Wir haben uns darauf verständigt, dass er von der unter Umständen drohenden doppelten Beitragszahlung - das ist die Gefahr - freigestellt
wird. In dem Fall, dass er an die Sozialversicherung des
Herkunftslandes zahlt und sich herausstellt, dass das zu
Unrecht geschehen ist, gilt diese Zahlung gegenüber der
deutschen Sozialversicherung als geleistet, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Höhe. Ich finde, das ist
ein guter Kompromiss, und das zeigt, dass wir hier für
die Saisonarbeit insgesamt gute Maßnahmen getroffen
haben.
({6})
Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Menschen mit
Behinderung. Mit Blick auf Arbeitsverhältnisse, für die
in Zukunft der Mindestlohn gilt, darf es nicht dazu kommen, dass Menschen, die in Integrationsfirmen beschäftigt sind - da gibt es auch Zuschüsse -, die Ersten sind,
die dann auf der Straße landen. Deswegen haben wir uns
politisch dahin gehend verständigt, dass wir unter Umständen die Fördermöglichkeiten anpassen werden,
wenn es zu Verwerfungen kommen sollte. Auch das ist
ein gutes Ergebnis.
({7})
Klar ist natürlich auch: Der Mindestlohn muss kontrolliert werden. Wir haben hier die goldene Mitte gefunden, was den administrativen Aufwand angeht.
Deswegen wird das BMF im Rahmen einer Verordnungsermächtigung in Zukunft im Einvernehmen mit
dem BMAS die Art und Weise der Erfüllung der Dokumentationspflichten gegebenenfalls anpassen. Auch das
ist etwas, was der Wirtschaft insgesamt guttut.
Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom
Kollegen Birkwald?
Ja, herzlich gern. Meine Zeit wäre jetzt abgelaufen.
Ich verstehe auch nicht, warum der Kollege das jetzt
macht; aber gut.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen! Auch an Sie, Herr Stracke, vielen
Dank! - Außerdem: Ihre Zeit ist zum Glück noch nicht
abgelaufen; nur Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Das ist
doch ein bedeutsamer Unterschied.
({0})
Sie haben eben über zahlreiche Ausnahmen beim
Mindestlohn gesprochen. Sie haben in Ihrer Aufzählung
aber eine Ausnahme nicht erwähnt, und das ist die Ausnahme der Zeitungszusteller und Zeitungszustellerinnen,
({1})
die heute schon ein paar Mal angesprochen wurde.
Ein Thema ist dabei allerdings nicht behandelt wor-
den. Wir haben gestern im Ausschuss zusammen darüber
diskutiert. Heute lesen wir in der Beschlussempfehlung,
dass unter bestimmten Bedingungen bei den Zeitungszu-
stellern und -zustellerinnen das Wegegeld als Entgelt-
bestandteil auf den Mindestlohnanspruch angerechnet
werden kann. Das heißt, die Zeitungszustellerinnen und
Zeitungszusteller kriegen für ihren harten Job früh am
Morgen und spät in der Nacht nicht nur lediglich
6,38 Euro im kommenden Jahr und 7,23 Euro im Jahr
danach, sondern darauf soll zum Teil auch noch Wege-
geld angerechnet werden. Da würde ich Sie bitten, a) uns
einmal zu erläutern, wie das gedacht ist, und b) das zu
bewerten.
Meine zweite Frage an Sie ist: Wie ist denn dann der
Mindestlohn Ihrer Regierung überhaupt definiert? So
weiß doch überhaupt niemand mehr, was gilt. Deswegen
- Sie haben gerade über die Kontrolle gesprochen - hat
heute ein Forscher vom DIW, Herr Brenke, gesagt: „Das
Problem der Kontrolle ist überhaupt nicht gelöst.“ Wie
das werden soll, ist unklar.
Zu den Zeitungszustellern will ich zum Schluss noch
sagen: Diese Männer und Frauen, die jede Nacht bzw.
morgens früh dafür sorgen, dass wir die Zeitung im
Briefkasten haben, leisten einen knallharten Job, bei
Wind und Wetter. Ich habe mich am 16. April von
3.30 Uhr bis 5.30 Uhr bei einem Selbstversuch davon
überzeugen können. Ich sage: Sie brauchen den vollen
Mindestlohn ab sofort.
({2})
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. - Da sieht man
einmal, was ein Rollentausch - angeblich - an Erkenntnisgewinn für den einen oder anderen bringen kann.
({0})
Bei uns ist das nicht nötig. Wir haben uns intensiv mit
den Dingen beschäftigt. Insofern geht es vor allem darum, dass wir keine Sonderregelung auf den Weg bringen wollen, was das Wegegeld angeht. Es besteht bereits
jetzt die gesetzliche Möglichkeit, dass das Wegegeld,
solange es Entgeltbestandteil ist, auf den Mindestlohn
angerechnet wird. Das ist nichts Neues. Wenn Sie das
mit den Aufwendungen beispielsweise für Fahrtkosten
vergleichen, so muss man sagen: Das ist selbstverständlich nicht auf den Mindestlohn anrechenbar.
Wir werden im Rahmen einer Durchführungsverordnung alle diese Fragen, auch was die Anrechenbarkeit
angeht, klarstellen, sodass auch die Rechtspraxis in diesen Dingen hinreichende Klarheit hat. In dem Gesamtzusammenhang stellt es sich so dar, dass man nicht sagen
kann: Wir haben es hier, was Ausnahmen angeht, mit einem Schweizer Käse zu tun. - Ganz im Gegenteil: Jede
Ausnahme lässt sich gut begründen. Das betrifft die
Praktikanten, das betrifft die Langzeitarbeitslosen; das
betrifft die unter 18-Jährigen.
Insgesamt stellt dieses Gesetzgebungsvorhaben einen
guten Kompromiss dar und verdient Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({1})
Das war es jetzt offensichtlich. Danke schön, Herr
Stracke. - Jetzt hat das Wort Beate Müller-Gemmeke für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen wurde heftig
gestritten und gedealt wegen eines Mindestlohnes von
8,50 Euro. Ich frage mich wirklich: In welcher Welt leben wir eigentlich?
({0})
In einem reichen Land wie Deutschland muss dieser
Mindestlohn nicht nur möglich sein, sondern eigentlich
muss mehr möglich sein.
({1})
Mit „mehr“ meine ich Tariflöhne. Deshalb stimmen
wir heute nicht nur über den Mindestlohn ab, sondern
über das Tarifautonomiestärkungsgesetz. Es geht um den
Dreiklang von Mindestlohn und Erleichterungen im Tarifvertragsgesetz und im Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
Der Mindestlohn soll das Tarifsystem von unten stützen
und im Zusammenspiel mit Branchenmindestlöhnen und
Tarifverträgen, die für alle Beschäftigten einer Branche
gelten, die Tarifbindung erhöhen. Endlich wird die Tarifflucht nicht mehr ignoriert, sondern bekämpft. Es geht
um soziale Leitplanken, die die Tarifpartnerschaft wirklich stärken.
({2})
Endlich setzt die Bundesregierung um, was wir Grünen
bereits 2011 auf die Tagesordnung gesetzt haben.
({3})
Die Maßnahmen sind bitter nötig; denn viel zu viele
Unternehmen haben sich in den letzten Jahren aus der
Tarifpartnerschaft verabschiedet. Die Tarifbindung sinkt.
Heute sind nur noch knapp 60 Prozent der Beschäftigten
durch tarifliche Vereinbarungen geschützt. Deshalb
konnte sich in Deutschland im Vergleich zu anderen eu4106
ropäischen Ländern auch ein ausgeprägter Niedriglohnbereich entwickeln. Die Tarifflucht hält die Löhne auch
insgesamt auf niedrigem Niveau, insbesondere bei den
unteren Einkommen. Das Tarifsystem muss also gestärkt
werden; denn die Beschäftigten haben faire Löhne, also
Tariflöhne, verdient.
({4})
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Intention des
Tarifautonomiestärkungsgesetzes unterstütze ich also
von ganzem Herzen. Kritik aber haben wir bei der
Ausgestaltung. Den Beschäftigten wurde ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn versprochen. Der
gesetzliche Mindestlohn kommt, aber für viele Menschen nur auf dem Papier; denn gleichzeitig entsteht ein
neuer Niedrigstlohnbereich. Die Sonderregelungen und
Ausnahmen sind fatal. Sie sind nicht akzeptabel. Der
Mindestlohn wird zum Flickenteppich, und zwar zulasten der Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt. Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus.
({5})
Die Ausnahmen bei den Arbeitslosen gehen mir besonders unter die Haut. Damit stigmatisieren sie die
Menschen und behandeln sie wie Beschäftigte zweiter
Klasse; denn trotz Mindestlohn gilt für Langzeitarbeitslose weiterhin nur die Grenze der Sittenwidrigkeit. Das
werden wir immer und immer wieder kritisieren.
({6})
Die Ausnahmen treffen aber nicht nur die Menschen
direkt, sondern sie wirken auch kontraproduktiv. Denn
sie schwächen das Tarifsystem, anstatt es zu stärken,
weil die Ausnahmen nur von tarifungebundenen Betrieben genutzt werden können. Das Gleiche gilt für die
neue Sonderregelung für die Zeitungsverleger. Eigentlich wollen Sie ja die Tarifbindung erhöhen. Jetzt entlasten Sie aber eine Branche, die Tarifverhandlungen
ablehnt. Das alles macht einfach keinen Sinn. Das ist widersinnig und deshalb nicht akzeptabel.
({7})
Ein anderes Beispiel. Im Tarifvertragsgesetz fällt ja
die 50-Prozent-Hürde. Das ist richtig. Nur so können
mehr Branchen beantragen, dass ihre Tarifverträge für
alle Beschäftigten gelten, und damit verhindern, dass die
Schmutzkonkurrenz in den eigenen Reihen immer größer wird. Das ist ausdrücklich auch unser Ziel. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist aber, dass Sie das Abstimmungsverfahren im Tarifausschuss nicht verändern.
Es können zwar leichter Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt werden, im Tarifausschuss können
diese Anträge aber weiter blockiert werden. Das macht
keinen Sinn. Das ist nicht schlüssig und auch nicht konsequent.
({8})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, das Tarifautonomiestärkungsgesetz allein reicht nicht aus. Der gesetzliche Mindestlohn und
die branchenspezifischen Mindestlöhne müssen auch tatsächlich durchgesetzt werden. Die möglichen Ausweichmanöver sind bekannt: Scheinwerkverträge, Scheinselbstständigkeit, fingierte Stundenabrechnungen. Hier
sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Notwendig sind
also effektive Kontrollen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat aber schon heute zu wenig Personal. Die
Zollgewerkschaft fordert ja mindestens 2 000 bis 2 500
neue Stellen. Sie haben im Haushalt 2014 keine einzige
zusätzliche Stelle bewilligt. Für 2015 scheint es so, als
würden Sie, wenn überhaupt, maximal 500 Stellen bewilligen. Effektive Kontrollen gibt es nicht zum Nulltarif. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis!
({9})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen
den Dreiklang im Tarifautonomiestärkungsgesetz; denn
für tariftreue Betriebe entsteht so ein verlässlicher Wettbewerbsrahmen und Schutz vor Dumpingkonkurrenz.
Tarifflucht hingegen wird sich zukünftig immer weniger
lohnen, zum Vorteil der Beschäftigten. Aber ich muss
schon sagen: Wir hätten das Tarifautonomiestärkungsgesetz besser gemacht. Dennoch: Die Richtung stimmt.
Deshalb werden wir trotz der vielfältigen Kritik auch zustimmen. Wir bleiben aber dran. Wir werden die Ungerechtigkeiten weiter aufzeigen und notwendige Korrekturen einfordern; das kann ich Ihnen versichern.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke auch, dass Sie die
Redezeit eingehalten haben. - Nächste Rednerin:
Dr. Carola Reimann für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir schließen heute mit dieser Lesung eine intensive parlamentarische Debatte zum Tarifpaket ab. Wir
haben, wie in Gesetzgebungsverfahren üblich, in den
letzten Wochen bei ein paar wenigen Punkten noch
Änderungen und Präzisierungen vorgenommen. Bei der
Debatte über diese letzten Änderungen darf man nicht
aus dem Blick verlieren, was wir mit diesem Gesetz erreichen werden: Deutschland bekommt einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.
({0})
Für Millionen von Menschen bedeutet dies die größte
Gehaltserhöhung ihres Lebens. Das, meine Damen und
Herren, ist eine der größten Sozialreformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
Kolleginnen und Kollegen, wir haben von Anfang an
klargemacht, dass wir die Sorgen einzelner Branchen
sehr ernst nehmen und mögliche Probleme bei der
Umsetzung berücksichtigen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, eine zweijährige Übergangszeit zu ermöglichen, wenn tarifvertragliche Lösungen
vereinbart werden. Und deshalb gab es auch einen intensiven Branchendialog. Für diese umfangreichen Gespräche will ich mich hier ausdrücklich bei der Ministerin
und ihrem Haus bedanken. Durch sie konnten in Branchen tarifvertragliche Vereinbarungen gefunden werden, die man bisher wohl als tarifpolitisches Niemandsland bezeichnen musste. Wir setzen damit nicht nur
einen ersten Mindestlohn in Branchen fest, die von
Lohndumping geprägt waren. Wir haben damit zugleich
auch die Tarifautonomie gestärkt - und das alles, bevor
das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist.
({2})
Das Beispiel zeigt: Dialog und Praxisnähe lohnen sich,
und vor allen Dingen lohnt es sich, auf das Erfolgsmodell Tarifpartnerschaft zu setzen.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
bei der Gesetzgebung eine klare Linie verfolgt: Hilfen
für praxistaugliche Übergänge ja, aber keine Branchenausnahmen. Genau so sieht das Gesetz aus, das nun vorliegt. Wer hier große Ausnahmen anprangert, redet einfach an der Sache vorbei.
({4})
Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro,
flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Sehr gern.
Dann ist Herr Ernst jetzt dran.
Danke schön. - Frau Kollegin, ist Ihnen noch folgender Satz bekannt? Ich zitiere:
Es muss sichergestellt werden, dass kein Arbeitsuchender auf einen Arbeitsplatz unterhalb der
ortsüblichen Entlohnung verwiesen wird. Der Mindestlohn von 8,50 Euro muss in jedem Fall gewährleistet sein.
Ich helfe Ihnen weiter: Das ist aus Ihrem Wahlprogramm.
Jetzt habe ich heute hier viele Stimmen aus Ihrer Partei gehört, die gerade jene Regelung verteidigen, nach
der Arbeitsuchende sechs Monate lang keinen Mindestlohn bekommen; sie gilt übrigens nicht befristet, sondern
auf Dauer. Wie kriegen Sie das mit Ihrem Wahlprogramm zusammen?
({0})
Lieber Kollege Ernst, auch da bitte ich um ein bisschen Differenzierung. Es geht um die Langzeitarbeitslosen; aber Arbeitsuchende werden Mindestlohn erhalten ({0})
in vielen Branchen hoffentlich die Löhne, die in den Tarifen vorgesehen sind.
({1})
Die Ausnahme für Langzeitarbeitslose ist hier mehrfach
angesprochen worden. Es ist ein offenes Geheimnis,
dass wir Sozialdemokraten auch diese Ausnahme lieber
nicht gehabt hätten. Aber Sie haben auch die Begründung gehört: Es soll verhindert werden, dass die Hürde
beim Zugang zum Arbeitsmarkt - man muss fairerweise
sagen, dass sich diese Leute sehr schwertun und Arbeitgeber ihnen in vielen Fällen keine Chance geben; das ist
sehr mühsam, und in fast allen Fällen ist Unterstützung
nötig - höher gelegt wird. Das haben wir mit dem Koalitionspartner vereinbart.
Wir haben darüber hinaus in den letzten Änderungen,
die ich angesprochen habe, eine Evaluierung vorgesehen, die vorgezogen werden soll, weil wir das sehr genau
beobachten wollen.
({2})
Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro,
flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme. Davon profitieren fast 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und, Kollegin Zimmermann, insbesondere
sehr viele Frauen.
({3})
Es profitieren nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmen - die redlichen Unternehmen nämlich, die beim Unterbietungswettbewerb auf dem Rücken der Menschen nicht
mitmachen. Ich freue mich, dass wir das nun gegen alle
Widerstände durchsetzen konnten.
Kolleginnen und Kollegen, ich will einen weiteren
Punkt ansprechen. Mit dem Tarifpaket beenden wir auch
die Auswüchse bei der Generation Praktikum. Wir dulden nicht länger, dass sich gut ausgebildete und hochmotivierte junge Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung von Praktikum zu Praktikum - mies oder
gar nicht bezahlt - hangeln müssen. Mit dem vorliegenden Gesetz verhindern wir Ausbeutung und ermöglichen
doch weiterhin Qualifizierung und Orientierung wäh4108
rend der Ausbildung. Auch dies ist eine sehr praxisnahe
Lösung im Interesse der jungen Menschen.
Dazu zählt auch, dass es in Zukunft zu jedem Praktikum einen schriftlichen Vertrag gibt. Dort werden Ziele,
Arbeitszeiten und vor allem Vergütung festgehalten. Damit stärken wir nicht nur die Rechte der Praktikantinnen
und Praktikanten, sondern senden auch eine klare Botschaft aus: Wir brauchen unsere gut qualifizierten Nachwuchskräfte und anerkennen ihre Leistungen durch gute
Arbeitsbedingungen auch bei Praktika.
({4})
Das wird im Übrigen auch für die Praktikantinnen und
Praktikanten des Deutschen Bundestages gelten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
vergangenen Wochen intensive Gespräche geführt, Präzisierungen vorgenommen und nicht wenige Angriffe
auf den Mindestlohn abgewehrt. Ich bin sicher, wir haben eine Regelung gefunden, die für mehr Ordnung am
Arbeitsmarkt sorgt, einen neuen Fairnessstandard setzt
und sich in der Praxis bewähren wird.
Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen danken, die
über viele Jahre hinweg gegen große Widerstände für
diesen Mindestlohn gekämpft haben. Sie alle können
heute zu Recht stolz auf sich sein. Mein ganz besonderer
Dank gilt unserer Ministerin Andrea Nahles, die dieses
Gesetz mit uns gemeinsam mit viel Engagement, mit
viel Herzblut und mit großer Ausdauer auf den Weg gebracht hat.
({5})
Ich bin sicher: Der Mindestlohn wird eine Erfolgsgeschichte. Er wird nicht nur knapp 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen, er wird auch unserem Land guttun.
Danke fürs Zuhören.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Matthias
Zimmer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es
richtig ist, dass es Aufgabe des Staates ist, in der sozialen Marktwirtschaft Schiedsrichter des Wettbewerbs,
Hüter des Gemeinwohls und vor allem Anwalt für die
Schwachen zu sein, dann ist der Mindestlohn, wie wir
ihn heute beschließen, ordnungspolitisch richtig und
normativ geboten.
({0})
Und doch ist es richtig, auf einige kritische Argumente
einzugehen.
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat
durchaus recht, wenn sie sagt: Die Mindestlohndebatte
ist geprägt von Halbwissen und Mythen. Leider stammen viele der aus Halbwissen vorgetragenen Mythen
von dieser Initiative selbst.
({1})
So behauptet die Initiative, der Mindestlohn gefährde
Arbeitsplätze, und sie begründen das mit den ökonomischen Theorien. Nun kann man aus schiefen Annahmen
in der ökonomischen Theorie immer die passenden
Schlüsse ziehen. Deswegen lohnt ein Blick in die empirische Wirklichkeit.
In Großbritannien ist der Mindestlohn 1998 eingeführt worden. Wir haben die zuständige Mindestlohnkommission dort besucht und gefragt: Hat der Mindestlohn Arbeitsplätze gekostet? Die eindeutige Antwort
war: Nein, auch nicht in strukturschwachen Gebieten.
({2})
Das ist alles sehr genau untersucht worden, und es entspricht auch den Ergebnissen der internationalen Forschung.
({3})
Nun wird man einwenden: Na ja, der Mindestlohn ist
in Großbritannien doch viel niedriger. Das ist richtig.
Aber man muss die Zahlen vergleichbar machen. Der
Mindestlohn liegt in Großbritannien bei etwa 53 Prozent
des Medianlohnes, in Deutschland wären es 2015 weniger als 52 Prozent des Medianlohnes; das ist also durchaus vergleichbar.
Nein, hier drängt sich der Verdacht auf, meine Damen
und Herren, dass es der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nicht um das Erbe von Ludwig Erhard geht.
Sie halten Verwerfungen und Verzerrungen der Wettbewerbsordnung in der sozialen Marktwirtschaft für normal, weil der Markt nun einmal so ist, wie er ist. Nein,
hier - der Verdacht drängt sich auf - will jemand das Soziale neu denken, während es doch darauf ankommt, das
Neue sozial zu denken.
({4})
Das Neue ist: Die Tarifbindung hat deutlich abgenommen. Die Tarifpartner erreichen heute viele Arbeitsverhältnisse nicht mehr. Dadurch kommt es zu einem
Niedriglohnsektor, den viele für ungerecht halten. Er ist
es auch; denn nichtauskömmliche Löhne müssen durch
den Staat aufgestockt werden.
({5})
Der Niedriglohnsektor ist eine Subvention nichtauskömmlicher Löhne. Mir ist überhaupt nicht bekannt,
dass sich die Ideologen der Neuen Sozialen Marktwirtschaft jemals über diese Subventionen beschwert hätten.
({6})
Wenn die gesellschaftlichen Kräfte wie Arbeitgeber
und Arbeitnehmer etwas nicht mehr regeln können, wird
subsidiär der Staat tätig. Das ist eine der wunderbaren
Ideen aus der katholischen Soziallehre, die auch den
Geist der sozialen Marktwirtschaft durchdrungen haben.
Subsidiarität heißt auf der einen Seite: Kompetenzanmaßungsverbot. Der Staat soll nicht eingreifen, wo es
die Menschen oder die sozialen und gesellschaftlichen
Akteure selbst richten könnten. Insofern ist Subsidiarität
ein wirksames Instrument gegen Staatsallmachtsideologien. Subsidiarität heißt aber auch: Hilfestellungsgebot,
wo die Menschen und die sozialen Akteure einen Regelungsbereich nicht mehr durchdringen können. Das ist
hier der Fall.
Die Ordnung der Lohnfindung in unserer sozialen
Marktwirtschaft ist aus den Fugen geraten. Gewerkschaften und Arbeitgeber alleine können es nicht richten.
Deswegen ist der gesetzliche Mindestlohn, wie wir ihn
heute verabschieden, eine subsidiäre Maßnahme. Er ist
eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft
aus dem System der sozialen Marktwirtschaft heraus. Er
entspricht der Denklogik, indem er der sozialen Marktwirtschaft ein Ordnungsgefüge einzieht und Lohnspiralen nach unten verhindert.
({7})
Wir anerkennen damit auch, dass der Arbeitsmarkt
ein besonderer Markt ist, nicht einer, auf dem Pfeffer
und Käse, Gurken und Wein gehandelt werden und lediglich das Spiel von Angebot und Nachfrage gilt. Nein,
der Arbeitsmarkt ist ein abgeleiteter Markt, und er hat etwas mit Wertvorstellungen zu tun, die jenseits der Preise
angesiedelt sind. Aus unserem Selbstverständnis als
christliche Demokraten gehört nämlich die Arbeit zur
Identität des Menschen und darf deswegen nicht vollständig dem Markt unterworfen sein.
({8})
Meine Damen und Herren, sozial ist nicht, was Arbeit
schafft - das war schon immer eine gedankenlose und
falsche Aussage -,
({9})
sondern sozial ist, was gute Arbeit schafft. So denken
wir als christliche Demokraten
({10})
das Neue sozial in der Tradition von Ludwig Erhard und
in der Tradition der Sozialphilosophie der Kirchen.
Wir haben lange gerungen, bis dieses Gesetz zustande
gekommen ist. Viele berufene und unberufene Stimmen
haben sich zu Wort gemeldet. Einige haben zur Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses geführt, andere
nicht. Mich hat häufig überrascht, wie sehr alle im Prinzip den Mindestlohn begrüßt haben, aber doch bitte nicht
in dieser oder jener Branche. Und tatsächlich, es gab in
der ein oder anderen Branche objektive Probleme. Sie
sind aus meiner Sicht aber sehr konstruktiv abgearbeitet
worden.
Ein bemerkenswertes Argument hat aus meiner Sicht
Professor Di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter,
vorgetragen. Er argumentiert, die Einführung eines Mindestlohnes bei der Zeitungszustellung könne gegen die
Pressefreiheit verstoßen. Nun sind Professoren kluge
Leute, und Verfassungsrichter sind das allemal. Aber
nicht alles, was sie sagen, ist gleichermaßen klug.
({11})
Ich habe den Eindruck, die Klugheit der Argumente
nimmt deutlich ab, wenn man sie in fremdem Auftrag
entwickelt und vorbringt.
({12})
Professor Di Fabio hat einmal in einem bemerkenswerten Buch geschrieben, bürgerlich sei es, Freiheit auch als
Freiheit zur Bindung zu begreifen. Zumindest hat er uns
nicht im Unklaren darüber gelassen, an wen er sich gebunden hat.
({13})
Meine Damen und Herren, am Ende verabschieden
wir heute einen Kompromiss. Wir als christliche Demokraten hätten sicherlich vieles anders geregelt, die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei sicherlich
auch.
({14})
Entscheidend ist aber, dass wir uns in die Augen sehen
und sagen können: Wir haben eines der großen kontroversen Themen der vergangenen Jahre vernünftig geregelt. Von diesem Gesetz werden viele Menschen profitieren, denn sie haben ab 1. Januar 2015 einen
gesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn. Von dem
Gesetz werden viele Betriebe profitieren, denn Wettbewerbsvorteile durch Lohndrückerei wird nicht mehr
möglich sein.
({15})
Von dem Gesetz können auch die Sozialversicherungen
profitieren, denn es wird mehr einbezahlt. Nicht zuletzt
profitiert auch die Zeitautonomie der Abgeordneten, die
sich mit dem Thema über Jahre beschäftigt haben.
({16})
Wir werden heute entscheiden. Unsere Arbeit ist damit
getan. Unsere Aufgabe ist erfüllt. Ich denke, wir haben
Gutes getan.
({17})
Vielen Dank. - Für die SPD hat jetzt Bernd Rützel das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Prominentester Teil dieses
Gesetzes ist zweifelsohne der Mindestlohn, der allgemeine und flächendeckende Mindestlohn. Zur historischen Dimension dieser Einführung haben wir in der
letzten Stunde viel Richtiges und Wichtiges gehört. Wer
genau hingehört hat, hat vielleicht erkannt, was wirklich
wichtig ist und was nur vorgeschoben ist. Der Mindestlohn ist aber nicht das Ziel, sondern er ist ein Stück des
Weges, ein breites und gut ausgebautes Wegstück, kein
„Flickenteppich“. Das Ziel ist die Stärkung der Tarifautonomie.
({0})
Die Geschichte der Tarifautonomie ist im Grunde die
Geschichte des Kampfes von benachteiligten Menschen,
nicht nur zur Sicherung eines lebenswerten Daseins,
sondern oftmals zur Erlangung einer existenzsichernden
Versorgung. Die Tarifautonomie, wie wir sie heute kennen, dient dem Wohle der Menschen, aber auch und vor
allem dem Wohle der ganzen Volkswirtschaft. Um diese
Tarifautonomie - das haben wir in England wieder
gehört - beneiden uns viele Länder. Die Sozialpartner
haben sich oft gestritten. Es wurde gestreikt, aber die
Sozialpartner haben immer wieder verhandelt und
schließlich Frieden geschlossen. Es gab immer eine Verlässlichkeit in diesem System.
Aber in den letzten 20 Jahren ist etwas aus dem Ruder
gelaufen. Die Löwen haben gebrüllt. Man hat den brüllenden Löwen ein Stück Fleisch hingeworfen, aber sie
sind nicht ruhiger geworden. Sie haben immer lauter gebrüllt, und mit jedem Stück Fleisch haben sie noch mehr
verlangt. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind gefordert. Wir werden dafür sorgen, dass wieder Ordnung
herrscht. Untertarifliche Entgelte, die Streichung oder
Kürzung von Sonderzuwendungen, längere Arbeitszeiten und vieles mehr wollen wir nicht. Das ist die falsche
Weichenstellung. Es muss sich etwas ändern. Heute setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen. Das ist ein Signal
und eine wichtige Weichenstellung. Vielen Dank an die
Bundesarbeitsministerin.
({1})
Vielen Dank an alle, die tatkräftig und sehr effektiv in
den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben.
({2})
Herr Kollege Rützel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?
Ja, bitte.
Lieber Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen hinsichtlich der positiven Würdigung der Tarifautonomie überein. Auch ich bin der Meinung, dass diesbezüglich manches, wie Sie es gesagt haben, „aus dem Ruder gelaufen“
ist; ich finde, das ist noch eine relativ harmlose Formulierung. Wenn Sie das so sehen, sind Sie dann auch mit
mir der Meinung, dass in diesen Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Tarifautonomie, mit dem erstmalig
offiziell anerkannt wird, dass politische Rahmenbedingungen etwas mit der Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften in der Tarifpolitik zu tun haben - bisher ist das
ja immer negiert worden -, eine ganze Menge mehr
hineingehörte, zum Beispiel eine Neuregelung hinsichtlich der Befristungen, damit dieses elende Befristungswesen abgeschafft wird, eine Regelung zur Leiharbeit,
eine Regelung, nach der Werkverträge nicht mehr möglich sind, usw.? Ich könnte Ihnen eine Reihe weiterer
Maßnahmen aufzählen. Das ist doch nur Stückwerk, was
hier vorgelegt wird.
Herr Schlecht, ich habe Ihnen doch das mit den
Löwen erklärt. Die Weichenstellung war falsch. Ich bin
Ihnen dankbar für diese Zwischenfrage. Es ist richtig:
Das, was wir jetzt gebaut haben, ist ein erstes, breites,
wichtiges Stück auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in
der Arbeitswelt, im Tarifvertragswesen und in der Tarifautonomie. Diesen Weg werden wir weitergehen. Die
Punkte, die Sie angesprochen haben, werden wir nach
der Sommerpause wieder auf der Agenda haben; denn es
geht weiter.
({0})
Wir werden als Nächstes in diesem Gesetz die Allgemeinverbindlichkeit stärken. Das ist ein vielleicht noch
wichtigerer Punkt. Dies wird dazu führen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber künftig wieder mehr Tarifverträge aushandeln und diese für wesentlich mehr Menschen bzw. für die breite Masse gelten werden. Die starre
50-Prozent-Marke, die aufgrund der abnehmenden Tarifbindung immer schwieriger zu erreichen war - das wird
sich in Zukunft wieder ändern -, schaffen wir ab. Es
muss ein öffentliches Interesse vorliegen; das ist zukünftig das entscheidende Kriterium für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung.
({1})
Damit werden auch die Trittbrettfahrer erfasst, die
sich die Ordnungsfunktion eines Tarifvertrages zunutze
machen, aber nicht Mitglied in einem Verband sind,
keine Mitgliedsbeiträge zahlen und Tarifverträge nach
Gutsherrenart anwenden. Das wird nach diesem Gesetz
nicht mehr möglich sein.
Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit der
Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle
Branchen schaffen wir eine wichtige Grundlage für eiBernd Rützel
nen fairen Wettbewerb und gleichzeitig gleiche und
gerechte Arbeitsbedingungen unabhängig von der Herkunft von Arbeitgeber und Beschäftigten. Wahrlich:
Heute ist ein historischer Tag.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Wilfried Oellers,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den
Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Die besondere Bedeutung des Gesetzespakets wurde von den
Vorrednern schon hervorgehoben. Die besondere Bedeutung ist natürlich auch mit besonderen Auswirkungen
verbunden. Das Mindestlohngesetz legt einen Mindestlohn von 8,50 Euro fest, der die Basis des Lohns sein
soll. Mit dieser grundsätzlichen Feststellung wird die
weitere Anpassung des Mindestlohns in die Hände der
Mindestlohnkommission und damit der Tarifvertragsparteien gelegt. Dort gehört diese Aufgabe auch hin, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
({0})
Hier wird die besondere Aufgabe zu erfüllen sein, den
Mindestlohn unter Berücksichtigung aller zur Entwicklung des Mindestlohns in Betracht zu ziehenden Umstände weiterzuentwickeln. Der Gesetzgeber gibt hier
nur einen beispielhaften und keinen abschließenden
Rahmen vor. Es ist daher Aufgabe der Mindestlohnkommission, die weiteren Kriterien zu erarbeiten. Es muss
hier quasi eine Gesamtabwägung erfolgen.
Dies soll nicht ausschließen, dass die Mindestlohnkommission für bestimmte Branchen und Regionen Ausnahmeregelungen treffen kann; diese Freiheit hat die
Mindestlohnkommission. Denn es muss gewährleistet
sein, dass auf der einen Seite ein angemessener und fairer Lohn gezahlt wird, auf der anderen Seite aber auch
berücksichtigt wird, dass der Lohn erwirtschaftet werden
muss. Das kann in bestimmten Branchen und Regionen
unterschiedlich sein. Ich wünsche mir, dass die Kommission von dieser flexiblen Ausgestaltung nach Bedarf hinreichend Gebrauch macht und ihrer Verantwortung für
die Entwicklung des Mindestlohns gerecht wird.
Es ist daher auch richtig, dass die Entwicklung des
Mindestlohns nicht fest an einen Tarifindex gekoppelt
ist. Denn dies würde der Kommission nicht die Möglichkeit geben, sämtliche Umstände zu berücksichtigen. Wir
sind froh, dass unsere Forderung an dieser Stelle umgesetzt werden konnte.
Es ist ebenfalls zu begrüßen, dass unserer Forderung
nach einer sofort einsetzenden Datenerfassung zur Evaluation Rechnung getragen worden ist. Dies ist die unerlässliche Voraussetzung zur Feststellung und Beurteilung einer Gesamtsituation bzw. Gesamtentwicklung,
um hiernach die Höhe des Mindestlohns anpassen zu
können. Es ist wichtig, dass hiermit sofort begonnen
wird, damit die Auswirkungen des Mindestlohns bestmöglich erfasst werden können.
Die bereits angesprochenen Regelungen für Zeitungszusteller und Saisonarbeiter berücksichtigen besondere
Umstände. Hinsichtlich der Praktikanten ist eine
Regelung schon deswegen geboten, damit weiterhin die
Bereitschaft der Unternehmer besteht, jungen Menschen
die Möglichkeit zu gewähren, zur Berufsorientierung
oder zur Wahl eines Ausbildungsplatzes Einblicke in die
jeweiligen Berufe zu bekommen und im Rahmen von
Ausbildungs- und Studienordnungen die notwendigen
Pflichtpraktika zu erfüllen. Die Generation Praktikum
wird es hiernach nicht mehr geben. Man muss es den
Unternehmern daher hoch anrechnen, dass sie jungen
Menschen diese Möglichkeit gewähren, da der Aufwand, der damit verbunden ist, größer ist als der Nutzen,
den die Unternehmer dadurch sofort haben. Die Unternehmer kommen damit ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung gegenüber jungen Menschen nach. Daher ist
es richtig, dass hier kein Mindestlohn gefordert, sondern
die Möglichkeit des Praktikums für junge Menschen gefördert wird.
Wie angekündigt, haben wir auch das ArbeitnehmerEntsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Daneben
haben wir die nach dem Tarifvertragsgesetz mögliche
Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen
von der starren und oft schwer nachweisbaren 50-Prozent-Grenze entlastet. Hierzu ist neben einem gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien das Vorliegen eines öffentlichen Interesses erforderlich. Dieses liegt
dann vor, wenn der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat. Der Tarifvertrag muss
sich demnach durch faktische Anwendung durchgesetzt
haben, das heißt also auch im Vergleich zu Arbeitgebern,
die die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten nicht
entsprechend gestalten.
Nicht ausreichend ist dabei, dass sich der Tarifvertrag
bloß relativ im Vergleich zu anderen Tarifverträgen
durchgesetzt haben muss. Das Ministerium ist hier
gehalten, die Voraussetzungen und insbesondere das öffentliche Interesse sorgfältig zu prüfen.
Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch - lassen Sie mich das als Jurist erwähnen -, dass im Arbeitsgerichtsgesetz eine einheitliche und klare gerichtliche
Zuständigkeit geregelt ist. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung und der schnelleren Herstellung von
Rechtssicherheit.
Es gilt nun, die neuen gesetzlichen Regelungen mit
Augenmaß und im Sinne aller umzusetzen und auszugestalten.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Joachim
Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die heutige Debatte verfolgt, der kann, glaube ich, unschwer
feststellen, dass sie mit Pathos und Superlativen belegt
und aufgeladen ist. „Historische Stunde“, „historischer
Tag“, „historische Dimension“, sagen die einen, die anderen sprechen von „Täuschungsmanöver“. Die einen
sprechen von einem „flächendeckenden Mindestlohn“,
der erreicht wird, während die anderen von einem „Flickenteppich“ reden.
Unzweifelhaft wird deutlich, welche höchste politische Symbolik das Thema Mindestlohn hat. Es wurde
aber auch deutlich: Egal, wie viele Debatten wir in der
Vergangenheit geführt haben oder in Zukunft noch führen werden: Den universalen, allgemeingültigen Mindestlohn gibt es nicht, und den wird es auch nie geben.
Der Mindestlohn muss richtig ausgehandelt und aufgestellt sein, um auch die Vielfalt des Landes zu berücksichtigen und abzubilden. Ein Mindestlohn - egal, wie er
aufgestellt und zustande gekommen ist - wird nie in der
Lage sein, alle Probleme unseres Landes zu lösen.
({0})
Ob der Eingriff, den wir heute vornehmen - ich sage
es einmal nüchtern: Es ist schon ein einzigartiger und, so
hoffe ich, auch einmaliger Eingriff in die Tarifautonomie; wir sind uns hoffentlich einig, dass es dabei bleibt -,
am Ende des Tages volkswirtschaftlich sinnvoll und arbeitsmarkt- und sozialpolitisch richtig ist, wird sich noch
zeigen. Der Begriff, den der Kollege Schiewerling gewählt hat - „Operation am offenen Herzen der sozialen
Marktwirtschaft“ - ist insoweit richtig und zu unterstreichen. Denn ein Mindestlohn, der Arbeitsplätze vernichtet, in Schwarzarbeit abdrängt oder das Lohnabstandsgebot so verletzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit
des Landes gefährdet ist, hilft niemandem weiter.
({1})
Deshalb wurde hart gerungen, um die richtigen Lösungen zu finden und die Vielfalt unseres Landes in einem
Instrumentenmix abzubilden.
Es ist auch richtig, dass es keine starren Lösungen
gibt; denn wir brauchen Flexibilität. Frau Nahles, es ist
egal, wie man das nennt. Sie haben versucht, deutlich zu
machen, dass es in diesem Gesetz keine Ausnahmen
gibt, dass Kost und Logis bei den Saisonarbeitern auf
den Mindestlohn angerechnet werden. Mir ist es letztlich
egal - den Menschen und der Volkswirtschaft im Allgemeinen übrigens auch -, ob das als Ausnahme bezeichnet wird oder als Anrechnung. Wir brauchen Flexibilität,
und es ist uns gemeinsam gelungen, dies gegenüber dem
Entwurf, der ursprünglich auf dem Tisch lag, zu verbessern.
Es ist auch sehr wichtig - das wurde in der Debatte
deutlich -, dass die Rolle der Mindestlohnkommission
aufgewertet wird. Es wird bei einem einmaligen Eingriff
in die Tarifautonomie bleiben. Zukünftig werden wieder
diejenigen, die in der sozialen Marktwirtschaft verantwortlich sind, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Tarifautonomie in der Mindestlohnkommission übernehmen
und sehr genau beobachten, welche Auswirkungen der
Mindestlohn in den einzelnen Branchen, in den Regionen und in den Bereichen hat, über die diskutiert wurde.
Die Frage wird sein, ob der richtige Maßstab angelegt
wurde. Deshalb hat die Kommission zukünftig die
Möglichkeit, hier zu differenzieren und entsprechende
Vorschläge zu machen. Wir legen das Verfahren somit
wieder in die Hände derer zurück, die soziale Marktwirtschaft am besten können, und stärken damit die bereits
angesprochene Vielfalt des Landes.
Ich will die anderen Punkte nur stichwortartig ansprechen: Übergangsregelungen, Praktika, Einstiegsqualifizierungen, Saisonarbeitnehmer. Auch die Dokumentationspflichten mit Augenmaß - das Ziel ist, dies
möglichst unbürokratisch umzusetzen - seien nur noch
einmal erwähnt.
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der heute
vonseiten der Linken angesprochen wurde. Da hieß es,
die Langzeitarbeitslosen würden auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert. Ich frage Sie: Was nützt einem
Langzeitarbeitslosen, der seit über einem Jahr arbeitslos
ist und im Zweifel andere sogenannte multiple Hemmnisse hat, die Einführung des Mindestlohns, wenn er
keine Arbeit findet? Mit einem Mix an Instrumenten
kann es gelingen, ihn weiter auszubilden, ihn weiter zu
fördern und ihn in Lohn und Brot zu bringen. Warum
soll dieser Langzeitarbeitslose nicht übergangsweise,
zeitlich begrenzt, zu einem geringeren Lohn arbeiten?
Das ist allemal besser, als weiterhin arbeitslos zu sein.
Wir brauchen alle Instrumente, die sich in der Vergangenheit schon bewährt haben, ob das die Zeitarbeit ist
oder ob das neue Programme sind, die sich speziell an
Langzeitarbeitslose richten und diese fördern.
Ich stelle fest: Auch wenn der Mindestlohn wirtschafts- und ordnungspolitisch immer noch eine Herausforderung darstellt, so ist der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf, der einen Kompromiss darstellt,
tragbar. Damit sind wir aber sicher nicht am Ende der
Diskussion. Wir werden uns weiter mit dem Thema befassen müssen, dann aber bitte mit den Mitteln der Tarifautonomie in der Mindestlohnkommission.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Kolleginnen und Kollegen, bevor ich
dem nächsten Redner das Wort erteile, bitte ich Sie, die
Stimmkarten so geräuschlos wie möglich zu holen.
Wenn es dringende Gespräche gibt, bitte ich Sie, diese
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
vor den Türen zu führen; denn sie stören den jeweiligen
Redner.
Der nächste Redner ist jetzt der Kollege Peter Weiß,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf die Abschlussrede in dieser Debatte halten
und freue mich darüber. Heute ist ein guter Tag; denn
wir beenden heute eine große gesellschaftspolitische Debatte, deren klare Botschaft lautet: Wir wollen die Tarifautonomie in Deutschland stärken.
({0})
Ludwig Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft, der Vater des Wirtschaftswunders nach dem
Zweiten Weltkrieg, hat damals ein eingängiges und bei
den Leuten hochbeliebtes Motto ausgegeben: Wohlstand
für alle! Wohlstand für alle ist für viele, für die große
Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
unserem Land, dadurch Wirklichkeit geworden, dass sie
durch gute Tarifverträge und gute Löhne in angemessener Weise am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes beteiligt wurden.
({1})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir
Ludwig Erhard mit seinem Motto „Wohlstand für alle“
noch einmal den Rücken stärken.
({2})
In der Öffentlichkeit ist vor allen Dingen das Thema
„Mindestlohn“ bzw. das Thema „Ausnahmen vom Mindestlohn“ diskutiert worden. Die zentrale und wichtigste
Botschaft dieses Gesetzentwurfs ist, dass wir Tarifverträgen, die zwischen starken Gewerkschaften und starken Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, wieder
zu mehr Geltung verhelfen, indem wir die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern und das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen,
sodass jede Branche, in der es Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen, für sich eine eigene Mindestlohnregelung für allgemeinverbindlich erklären lassen kann, wie
es bislang schon bei 14 Branchen in Deutschland der
Fall ist, in der Regel übrigens mit einer unteren Lohngrenze, die über 8,50 Euro liegt.
Dass das, was wir vorhaben, nicht nur ein frommer
Wunsch ist, sondern bereits Wirkung gezeigt hat, zeigen
die folgenden Beispiele: In den vergangenen Legislaturperioden wurden hier mehrere Reden gehalten, in denen
immer wieder ein Mindestlohn von 3,50 Euro für Friseure in Ostdeutschland angeführt worden ist.
({3})
Das gibt es mittlerweile nicht mehr. Das Friseurhandwerk hat es geschafft, in Deutschland einen einheitlichen
Tarifvertrag hinzubekommen. Das ist eine großartige
Leistung.
({4})
Im Umfeld des Bundestagswahlkampfes ist über
skandalöse Verhältnisse bei der Entlohnung von Arbeiterinnen und Arbeitern in den großen fleischverarbeitenden Unternehmen unseres Landes diskutiert worden. Die
Diskussion ist beendet. Wir haben vor wenigen Wochen
einen Mindestlohn für das Fleischerhandwerk in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Das ist eine
großartige Leistung der Tarifpartner.
({5})
In diesen Tagen verhandeln Gewerkschaft und Arbeitgeber darüber, ob sie bundesweit die Lohnregelungen für
das Hotel- und Gaststättengewerbe, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Landwirtschaft und für das
Bäckerhandwerk so ausgestalten, dass sie ebenfalls in
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden können.
Mit unserem Gesetzentwurf stärken wir zuallererst
die Tarifpartner. Hut ab vor den Gewerkschaften und den
Arbeitgeberverbänden, die sich jetzt anstrengen, einen
vernünftigen Tarif auf den Weg zu bringen und endlich
Zustände zu beenden, in denen Tarife kaum noch oder
gar nicht mehr Geltung haben!
({6})
Der Mindestlohn ist für uns kein Referenzlohn neuer
Art, sondern eine untere Auffanglinie für all die Bereiche, in denen es leider nicht gelingt, einen Tarifvertrag
abzuschließen.
({7})
Sicherlich wäre es uns allen, zumindest uns in der Koalition, lieber, es gäbe überall einen gültigen Tarifvertrag
und wir bräuchten keinen Mindestlohn. Der Mindestlohn
ist ein Hilfsinstrument.
({8})
In der Tat legen wir den Mindestlohn zum ersten Mal
durch einen Beschluss des Bundestages auf 8,50 Euro
fest. Wir haben uns aber - dafür bin ich sehr dankbar - in
der Koalition darauf geeinigt, dass der Mindestlohn in
Zukunft durch eine gemeinsame, von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern paritätisch besetzte Kommission festgelegt wird. Wir wollen, dass nicht wir im Deutschen Bundestag, sondern diejenigen, die etwas von Lohnfindung
verstehen und deren tägliches Geschäft das ist, in Zukunft definieren, wie der Mindestlohn steigt. Das heißt,
auch bei der Festlegung des Mindestlohns wählen wir einen Weg zur Stärkung der Sozialpartnerschaft. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber haben es künftig in
der Hand, wie der Mindestlohn in Deutschland definiert
wird.
({9})
Peter Weiß ({10})
Wir haben der Kommission durch die Änderungsanträge
der Koalitionsfraktionen noch zusätzliche Aufgaben
übertragen, indem sie sich auch um die Evaluierung und
die Auswertung der Evaluierung der Mindestlohnregelung kümmert, also sehr genau hinschaut und begründet,
wie sich der Mindestlohn künftig entwickeln soll.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, von vielen
Wissenschaftlern in Deutschland wird immer die Frage
gestellt, ob ein Mindestlohn zu einer sozialen Marktwirtschaft passt. Ich glaube, da liegt zum Teil ein Missverständnis vor. Soziale Marktwirtschaft ist in der Tat eine
Wettbewerbsordnung, aber sie ist keine Wettbewerbsordnung für Lohndumping.
({11})
Es geht in der sozialen Marktwirtschaft nicht darum,
dass der einen Vorteil hat, der den niedrigsten Lohn
zahlt, sondern darum, dass sich derjenige mit seinem
Produkt oder seiner Dienstleistung gut positioniert, der
im Wettbewerb um gute Qualität, um gute Ideen, um
gute Dienstleistungen, um mehr Kreativität antritt. Das
ist Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft. Es ist
nicht ein Wettbewerb um Lohndumping; Lohndumping
gehört nicht zur sozialen Marktwirtschaft.
({12})
Wenn wir einige Ausnahmen bzw. eine zweijährige
Übergangsfrist vorsehen, dann bedeutet das nicht, dass
wir am Prinzip einen Abstrich machen. Wir wollen vielmehr, dass auf dem Weg zu einem allgemeinen Mindestlohn in Deutschland alle Branchen und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden. Es
wäre schlimm, wenn die Einführung eines allgemeinen
Mindestlohns zum Verlust von Arbeitsplätzen und zur
Zunahme von Schwarzarbeit führen würde. Deshalb
finde ich die Debatte um die Ausnahmen auch reichlich
daneben. Es geht uns nicht darum, dauerhaft Ausnahmen
zu machen, sondern wir wollen sinnvolle Übergänge
schaffen, damit in allen Bereichen in Deutschland die
Menschen zu einem anständigen und angemessenen
Lohn kommen.
({13})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, guter Lohn für
gute Arbeit - das gehört für uns wesentlich zu einer sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist dieses Gesetz, das
wir heute zur Stärkung der Tarifautonomie und zur Vermeidung von Lohndumping in Deutschland beschließen,
ein Gesetz, mit dem wir die Ideen der sozialen Marktwirtschaft in unserem Land stärken. Ich freue mich, dass
das deutsche Parlament diesem Gesetz, das ein Gesetz
zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft, zur Stärkung
der Sozialpartnerschaft und zur Stärkung der Tarifpartnerschaft ist, mit großer Mehrheit zustimmt. Heute ist
ein guter Tag für unser Land.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, erinnere ich daran, dass wir gleich zwei namentliche Abstimmungen
durchführen werden. Ich mache darauf aufmerksam,
dass im Laufe des Tages weitere namentliche Abstimmungen folgen werden.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Tarifautonomie. Es liegen 36 Erklärun-
gen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung
vor.1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/2010 ({1}), den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/1558 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei
Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die
wir zuerst abstimmen. Wir beginnen dabei mit einem
Änderungsantrag, zu dem eine namentliche Abstim-
mung verlangt wurde. Bei der Stimmabgabe bitte ich
alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu
achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren
Namen tragen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2019.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung über den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/2019.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich sehe, das ist
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.2)
Ich möchte Sie bitten, sich jetzt zu Ihren Plätzen zu
begeben, bevor wir zur Abstimmung über zwei weitere
Änderungsanträge der Fraktion Die Linke kommen.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2017 ab. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/2018 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
1) Anlagen 2 bis 4
2) Ergebnis Seite 4115 C
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegen
des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu
nehmen.
Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit
Ja haben gestimmt 122, mit Nein haben gestimmt 479,
Enthaltungen keine. Damit ist der Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 601;
davon
ja: 120
nein: 481
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({0})
Martina Renner
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({1})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({2})
Volker Beck ({3})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({4})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({5})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({7})
Axel E. Fischer ({8})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({9})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({10})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({14})
Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({15})
Gabriele Schmidt ({16})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({17})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({20})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({21})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({24})
Klaus-Peter Willsch
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({25})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({26})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({27})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({28})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({29})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({30})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({31})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({32})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({33})
Matthias Schmidt ({34})
Dagmar Schmidt ({35})
Carsten Schneider ({36})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({37})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
({38})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die
absolute Mehrheit - das sind 316 Stimmen - erforder-
lich. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf nament-
lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze
an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall. Ich er-
öffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Bitte! - Haben jetzt
alle ihre Stimme abgegeben? - Ich sehe, das ist der Fall.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1) 2)
1) Ergebnis Seite 4119 D
2) Anlagen 4 bis 7
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über zwei Entschließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/2020. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/2021. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Damit
ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 4 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohn in Höhe
von 10 Euro pro Stunde einführen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/2010 ({39}), den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/590 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen mit,
dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 8 - es handelt sich um den Jahresbericht
2013 des Wehrbeauftragten - von der Tagesordnung
abzusetzen. An dieser Stelle sollen nunmehr die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b - es handelt sich um Vorlagen zu Renten in Ostdeutschland - beraten werden. Ich
weise darauf hin, dass wir zu diesen Tagesordnungspunkten eine namentliche Abstimmung durchführen
werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl
Holmeier, Thomas Jarzombek, Patrick
Schnieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Martin Dörmann, Kirsten Lühmann, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Moderne Netze für ein modernes Land Schnelles Internet für alle
Drucksache 18/1973
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({40})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ulrich
Lange, CDU/CSU-Fraktion.
({41})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
… wir müssen die Versorgung mit Breitband verbessern … Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit
deutscher Unternehmen. Es geht in diesem Zusammenhang darum, dass wir die Telekommunikationsund Netzunternehmen beim Ausbauprozess durch
vernünftige Rahmenbedingungen unterstützen …
So Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. Juni im Rahmen der Haushaltsberatungen.
Mit der „Netzallianz Digitales Deutschland“ hat unser
Bundesminister Alexander Dobrindt das richtige Format
gewählt, um ebendiese vernünftigen Rahmenbedingungen gemeinsam mit der Branche zu erarbeiten; denn wir
haben uns als Koalition ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: flächendeckend 50 Megabit pro Sekunde für alle Bürgerinnen und Bürger.
Der nun hier vorliegende Antrag - es ist ein ambitionierter Antrag; das sieht man auch an seinem Umfang versteht sich als ein konstruktiver und konkreter Beitrag
zu ebendieser Netzallianz. Die Vorstellungen der Koalitionsfraktionen, von Union und SPD, sollen auf diese
Weise in das Kursbuch für den Breitbandausbau Eingang
finden, und wir sind zuversichtlich, hier gute Akzente zu
setzen.
Beim Zugang zur digitalen Welt handelt es sich um
die grundlegenden Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben und
um die Frage der Innovationsgerechtigkeit. Betroffen
sind Stadt und Land, Ost und West und unser Land als
europäischer und Weltwirtschaftsstandort. Ziel ist es, in
wettbewerblichen Strukturen eine starke deutsche und
europäische Telekommunikations- und IT-Industrie sicherzustellen und den Breitbandausbau insbesondere im
ländlichen Raum konsequent voranzutreiben.
Dass es dabei keine allgemeingültige, keine einfache
und auch nicht nur eine einzige Lösung gibt, zeigt der
Antrag in seiner Vielschichtigkeit. Ja, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir brauchen auch und insbesondere
pragmatische Ansätze. Wir wollen eines vermeiden:
Brüche im Regulierungsregime. Bund, Länder und
Kommunen profitieren gemeinsam vom Breitbandausbau. Deshalb muss auch jede staatliche Ebene ihren
Beitrag leisten. Wir setzen dabei insbesondere auf
folgende Schwerpunkte: deutliche Kostenreduzierung
beim Ausbau der Glasfasernetze mit einer entsprechenden Umsetzung der Kostenreduzierungsrichtlinie der EU
im Breitbandinfrastrukturausbaugesetz, den schnellen
Einsatz hochleistungsfähiger Mobilfunkfrequenzen, den
effizienten Einsatz von Fördermitteln, aber nur dort, wo
es wirtschaftlich keine sinnvollen Lösungen für den
Netzausbau gibt. Dann wollen wir den Blick auf die europäische Ebene lenken. Eines ist für uns auch klar: Es
darf von dort zu keinen Maßnahmen kommen, die sich
negativ auf den Breitbandausbau auswirken.
80 Prozent der Kosten sind Grabungskosten. Deswegen ist der Breitbandausbau - liebe Kolleginnen und
Kollegen, das wissen wir alle, die wir aus dem ländlichen Raum kommen - insbesondere im ländlichen Raum
so teuer und teilweise schwierig. Das heißt aber, dass wir
die Synergien durch die Mitnutzung anderer Infrastrukturen nutzen müssen. Es gibt Hunderte von Abwasserleitungen, Wasserleitungen, Stromleitungen und sonstigen
Verkehrsnetzen, die derzeit nur auf freiwilliger Basis
mitgenutzt werden. Hier wollen wir einen Rechtsanspruch auf Mitnutzung vor Ort. Ich habe gesagt, wir
brauchen pragmatische Lösungen. Dazu gehört, dass bei
Verkehrsprojekten, zum Beispiel bei BrückensanierunUlrich Lange
gen, verpflichtend Leerrohre mitverlegt werden. Auch
bei der Querung von Bahntrassen darf es nicht zu monatelangen Diskussionen, Verhandlungen und Verzögerungen kommen.
({0})
Gerade in dem Bereich - Stichwort für alle Liebhaber
unter anderem: Hindenburgdamm - müssen wir schneller und besser werden. Auch die Oberlandleitungen, die
wir im ländlichen Raum noch haben, eignen sich, um
hier Glasfaserleitungen anzusetzen. Teuer verbuddeln
können wir auch später noch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dann, wenn
es zu Streitfällen kommt, brauchen wir schnelle und verbindliche Entscheidungen. Es darf nicht sein, dass der
Breitbandausbau durch eine juristische Salamitaktik
über Monate und Jahre ins Stocken gerät. Hier muss die
Bundesnetzagentur schnell verbindlich entscheiden können.
Der Einsatz von mobilem Breitband ist zwingend notwendig, insbesondere im ländlichen Raum: kurzfristig,
um leistungsfähige Internetzugänge zu schaffen, mittelund langfristig für innovative Geschäftsmodelle im
Verkehrs- und Logistikbereich. Wir müssen auch im
700-Megahertz-Bereich die Weichen stellen. Dieser Bereich etabliert sich weltweit als nächster Standard für die
mobile Breitbandanwendung. Wir werden - auch das haben die Diskussionen gezeigt - natürlich auf die Belange
des Rundfunks Rücksicht nehmen und die Interessen
von Behörden und die Sicherheitsaufgaben unseres
Landes ausreichend berücksichtigen. Aber am Ende des
Tages muss bei den 700-Megahertz-Frequenzen ein attraktiver Bereich für den Breitbandausbau übrig bleiben.
({1})
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere
Aufforderung an Bund und Länder zum nationalen Konsens: konstruktiv, zügig und zielorientiert zu arbeiten.
Verzögerungen schaden uns allen am Standort Deutschland. Wir wissen, dass der Breitbandausbau in gewissen
Teilen des Landes und insgesamt von uns ohne Förderung nicht gestemmt werden kann. Das gilt insbesondere
im Hinblick auf mögliche Erlöse aus den Frequenzvergaben. Hier würden wir gerne Haushaltsspielräume nutzen, wohl wissend, dass die Haushaltskonsolidierung
auch in dieser Koalition ein hohes Gut ist.
({2})
Fördern und Fordern: Immer nur dann Geld zur Verfügung stellen, wenn alle Maßnahmen zur Reduzierung
der Ausbaukosten vor Ort genutzt sind. Wir wollen die
erfolgreiche Arbeit des Breitbandbüros auch in diesem
Zusammenhang weiter ausbauen und stärken. Wir haben
seit Beginn unserer Tätigkeit als Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur dessen wertvolle Arbeit kennengelernt. Auch darauf liegt unser Augenmerk.
Ich habe schon gesagt, dass wir darauf achten müssen, dass von Brüssel aus nicht negativ auf den Breitbandausbau in Deutschland eingewirkt wird. Hierzu gehört auch, sich bei der Diskussion um die Netzneutralität
nicht gänzlich von netzpolitischen Erwägungen leiten zu
lassen. Wettbewerbs- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen müssen vielmehr so ausgestaltet sein,
dass Investitionen in den Ausbau hochleistungsfähiger
Netze weiterhin wirtschaftlich tragfähig sind. Für den
Verbraucher muss transparent und erkennbar sein,
welche Bandbreite des Anschlusses bei ihm zu Hause
tatsächlich nutzbar ist. Das ist eine wichtige Forderung
von uns.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen mit diesem Antrag die Sicht des Parlamentes und der Koalitionsfraktionen dar, und wir legen ein Maßnahmenpaket
für den zukünftigen Breitbandausbau vor, das nun in der
Netzallianz Digitales Deutschland des Bundesministeriums einen entsprechenden Niederschlag finden wird;
davon sind wir überzeugt. So ist es möglich, über die
Ebenen gemeinsam das von uns im Koalitionsvertrag
vereinbarte, wirklich ehrgeizige Ziel eines Breitbandausbaus bis 2018 flächendeckend mit 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich
Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 601.
Mit Ja haben gestimmt 535, mit Nein haben gestimmt 5,
Enthaltungen 61.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 601;
davon
ja: 535
nein: 5
enthalten: 61
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({13})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Dagmar G. Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({21})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({27})
Matthias Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Carsten Schneider ({30})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({31})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
({32})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({33})
Volker Beck ({34})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({36})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Gitta Connemann
Dr. Thomas Feist
Katharina Landgraf
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Ulrich Petzold
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({37})
Martina Renner
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({38})
Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit
nach Artikel 87 Absatz 2 Grundgesetz erreicht.
({39})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege
Herbert Behrens, Fraktion Die Linke.
({40})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Schnelles Internet für alle“, wie es im Titel des Antrags
heißt, klingt gut, das gebe ich zu. Nun muss man aber
auch alles tun, um zumindest genauso schnell an das
Umsetzen heranzugehen. Ich will noch einen Punkt hinzufügen, nämlich: Schnelles Internet für alle und für alle
bezahlbar.
({0})
Nur dann ist ein wirklich freier Zugang zum Netz möglich. Ist das gewährleistet, bekommt die Regierung die
notwendige Unterstützung in der Gesellschaft, und es
bleibt nicht bei einer digitalen Spaltung.
Nun reden wir nicht das erste Mal über dieses Thema
und über den Ausbau der Netze. Der Koalitionspartner
CDU/CSU hat bereits 2009 in der damaligen Koalition
eine Breitbandstrategie vorgelegt mit dem Ziel, kurzfristig flächendeckend 1 Megabit pro Sekunde zu erreichen.
Bis Ende 2014 sollten drei Viertel aller Haushalte mit bis
zu 50 Megabit Downstreamgeschwindigkeit ausgestattet sein. Die tatsächliche Zahl lautet: Ende 2013 waren
erst knapp 60 Prozent aller Haushalte so versorgt.
Dennoch ist der Fortschritt beachtlich. Doch der
Datenverkehr wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. Der Breitbandausbau muss jetzt mit Druck
vorangetrieben werden, damit die Menschen an ihrem
Wohnort in modernen Betrieben einen modernen Arbeitsplatz finden können, dessen technische Infrastruktur
digital aufgebaut ist, damit sie Zugang zu moderner Bildung an Schulen und Hochschulen haben und damit sie
auch im Privatleben digitale Angebote nutzen können.
Die Linke unterstützt deshalb die Initiativen für ein
flächendeckendes, schnelles Internet; wir haben bereits
Anträge dazu vorgelegt.
({1})
Nur sie bieten, wenn sie wirklich so ausgestaltet sind,
dass sie gut realisiert werden können, gleiche Lebenschancen in Stadt und Land, in Ost und West und ohne
Barrieren. Nun sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es dazu kommt. Das heißt im Wesentlichen,
Geld in die Hand zu nehmen; denn es wird teuer, die
letzten 40 Prozent der Haushalte an das Glasfasernetz
anzuschließen. Wir wissen, dass es schwierig sein wird,
diese Leistung auf dem Land zu erbringen. Dort ist es
nämlich, anders als in den Ballungsräumen, für die großen Investoren und Telekommunikationsunternehmen
nicht interessant, zu investieren; dort wird erheblicher
Mangel festzustellen sein.
Die Koalition eint zwar die feste Überzeugung, dass
nur im Rahmen „wettbewerblicher Strukturen“ - so nennen Sie das - bis 2018 flächendeckend eine Internetversorgung mit 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung gestellt werden kann. Aber wie auf diesem Wege die
benötigten Investitionsmittel von 20 Milliarden Euro zusammenkommen sollen, bleibt Ihr Geheimnis.
Der Wettbewerb soll es bringen, heißt Ihre Devise.
Wo die privaten Investoren nicht einsteigen wollen, soll
es öffentliche Förderung geben, damit sich das Geschäft
auch lohnt. Ich denke, öffentliche Zuschüsse können einen wesentlichen Schub auslösen, damit der Netzausbau
nicht ausschließlich über bessere Marktbedingungen realisiert werden muss. Auch Kommunen, kommunale
Stadtwerke und Genossenschaften sind Investoren, die
das hinbekommen können,
({2})
und zwar ohne bei ihren Investitionen auf den höchsten
Gewinn zu schauen. Schon heute gibt es viele Beispiele
dafür, dass es auf diese Art erfolgreich praktiziert wird:
in Marburg, in Moos, in Herrieden und anderswo. Auf
der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Energie wird auf diese Art basisorientierter Selbstversorgung hingewiesen; im Antrag von CDU/CSU und
SPD kommt nicht einmal das Wort „Genossenschaft“
vor. Investitionen in die Zukunft müssen den Menschen
in den Mittelpunkt rücken und nicht die Profitinteressen
von Investoren.
({3})
Die Kommunen sollen wichtige Aufgaben übernehmen, um den Breitbandausbau voranzubringen, fordert
der Antrag. Das macht Sinn, denn die Kommunen besitzen, bauen und unterhalten die technische Infrastruktur
für ihre Bürgerinnen und Bürger. Aber da stellt sich die
Frage, wie sie das finanziell leisten sollen. Bei Baumaßnahmen sollen gleichzeitig Leerrohre verlegt werden,
damit das Glasfaserkabel später einfach durchgezogen
werden kann. Aber viele Kommunen, insbesondere die,
die finanziell knapp dran sind, können das gar nicht leisten; denn die Kommunalaufsicht würde ihnen überhaupt
nicht genehmigen, Mittel für diese zusätzliche Investition in ihren Haushalt einzustellen, weil es sich hierbei
um sogenannte freiwillige Leistungen handelt.
Im Antrag heißt es: „Hier muss den Kommunen die
Möglichkeit gegeben werden, in zukunftsweisende
Breitbandinfrastruktur zu investieren.“ Ja, wie denn?
Kommunen brauchen mehr Geld für eine gute soziale
Infrastruktur und auch für eine gute technische Infrastruktur. Darum fordert die Linke ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Kommunen.
({4})
Es könnte ohne neue Schulden finanziert werden. Allein,
wenn Reiche und Superreiche wieder stärker besteuert
würden, wenn deren Steuern zumindest auf das Niveau
der Regierungszeit Helmut Kohls angehoben würden,
wären wir dem Ziel eines schnellen Internets für alle
schon ein gehöriges Stück näher.
({5})
Die Kommunen sind aus einem weiteren Grund ein
wichtiger Partner bei der Breitbandversorgung - Sie
schreiben es selbst in Ihrem Antrag -: Die Kommunen
sind Träger von Baumaßnahmen, sie verfügen über Geoinformationen, über Planungs- und Bauämter. Aber wie
sind diese Ämter denn personell ausgestattet? Kommunalpolitiker wissen es: Seit Jahren bauen Kommunen
Personal ab, weil sie ihre Haushalte ausgleichen sollen
oder weil sie sich aus Aufgaben zurückziehen. Und nun
sollen sie die - nicht vorhandenen - personellen Ressourcen für den Breitbandausbau auf regionaler Ebene
einsetzen? Das ist doch absurd.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, schnelles Internet für alle ist nicht zu verwirklichen, wenn man schöne Ziele nur formuliert und
es ausschließlich bei Ankündigungen einzelner Gesetzesänderungen und bei Absichtserklärungen belässt. Es
muss richtig viel Geld in die Hand genommen werden;
das wissen Sie. Minister Dobrindt weist immer auf die
Digitale Dividende II, also Geld aus Frequenzvergaben,
hin. Die entsprechenden Mittel reichen aber nicht aus.
Wir reden hier über 1,2 Milliarden Euro, die vielleicht in
die Kasse kommen.
({6})
Angesichts der Ziele, die Sie sich selbst gestellt haben,
ist mindestens die zehnfache Summe nötig; das wissen
Sie.
Es bleibt nur eins: Entweder Sie backen kleinere
Brötchen, oder Sie präsentieren ein realistisches Finanzierungskonzept. Ich hoffe - nein, ich fordere -, dass Sie
sich für das Letztere entscheiden.
({7})
Vielen Dank. - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist Martin Dörmann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Digitalisierung und das Internet haben immer größeren Einfluss auf alle Lebensbereiche. Der viel zu früh
verstorbene Frank Schirrmacher wurde nicht müde, auf
den gesellschaftlichen Wandel durch das Internet hinzuweisen. Er sprach von einer „Informationsexplosion“,
die einen ähnlichen Effekt auf die Menschen habe wie
die industrielle Revolution. Vor diesem Hintergrund gilt
es, dafür zu sorgen, niemanden im „vordigitalisierten“
Zeitalter zurückzulassen; um bei Schirrmachers Bild zu
bleiben.
Gerade auch die Wirtschaft ist immer stärker von einer leistungsfähigen IT-Infrastruktur abhängig. Schnelles Internet muss deshalb für alle Menschen und Regionen in ganz Deutschland verfügbar sein. Es sichert
gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten und wirtschaftliche Chancen.
Im Koalitionsvertrag streben Union und SPD eine flächendeckende Breitbandabdeckung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde an. Das
ist ein wahrlich sehr ehrgeiziges Ziel gerade vor dem
Hintergrund, dass die diesbezügliche Versorgungsquote
Ende letzten Jahres erst bei 60 Prozent lag.
({0})
Selbst wenn man die in den nächsten Jahren bereits
angekündigten Investitionen der Unternehmen - das sind
Milliardeninvestitionen - durchaus berücksichtigt, wird
ohne zusätzliche Maßnahmen etwa jeder vierte oder
fünfte Haushalt in Deutschland unterversorgt bleiben.
Damit würden ganze Regionen vom digitalen Fortschritt
abgehängt. Diese digitale Spaltung gilt es zu vermeiden
bzw. zu überwinden. Deshalb will die Koalition die Rahmenbedingungen dafür schaffen, Breitbandinvestitionen
deutlich nach vorne zu bringen.
Mit dem vorliegenden Antrag legen wir ein schlüssiges Gesamtkonzept mit einer Vielzahl konkreter
Maßnahmen vor. Ich freue mich, dass darin viele Punkte
enthalten sind, die wir in der SPD-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode in unserem Projekt „Infrastrukturkonsens“ erarbeitet haben. Ich möchte mich an
dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen meiner
Fraktion, aber durchaus auch bei allen in der Unionsfraktion bedanken, dass es uns gelungen ist, gemeinsam
einen sehr umfassenden Antrag vorzulegen, und das in
relativ kurzer Zeit. Das ist ein hoher Anspruch, den wir
aber erfüllen wollen.
({1})
Wir setzen auf einen Technologiemix. Nur wenn wir
die Potenziale der unterschiedlichen Technologien, insbesondere DSL, Kabel, Glasfaser, Satellit und Funktechnologie, miteinander verbinden, können wir die Breitbandziele erreichen. Es geht also um eine optimale
Kombination aus guten Festnetz- und Mobilfunkanwendungen, die jeweils eine hohe Bandbreite beinhalten.
Wo liegt nun die größte Herausforderung beim Breitbandausbau? In städtischen Gebieten, in denen viele
Kunden wohnen, gibt es eine gute Versorgung, weil es
dort einen Infrastrukturwettbewerb gibt. Etwa 60 Prozent der Haushalte werden von Kabelunternehmen versorgt. Die TK-Unternehmen ziehen mit hohen Bandbreiten nach, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist die eine
Seite der Medaille. Im ländlichen Raum haben wir eine
ganz andere Situation. Dort handelt es sich eben nicht
um dichtbesiedelte Regionen mit ganz vielen Kunden,
sondern um eher dünner besiedeltes Gebiet. Die Strecken bis zum Kunden sind länger, und dadurch sind die
Kosten pro Haushalt höher. Laut einer TÜV-Studie aus
dem letzten Jahr liegen die Kosten in den unterversorgten Gebieten, je nach Region, pro Haushalt im Schnitt
zwischen 700 und 4 000 Euro. Das ist angesichts der üblichen Flatratetarife natürlich ein hoher Betrag. Daran
erkennt man, dass es sich heute nicht unbedingt in jeder
Region lohnt, zu investieren.
Das Hauptproblem beim Breitbandausbau ist die
beschriebene Wirtschaftlichkeitslücke in weniger dicht
besiedelten Gebieten. Deren Folge sind zu geringe Investitionen und geringe Internetbandbreiten. Genau da
setzt der Antrag der Koalition an. Um zusätzliche Investitionsanreize zu setzen und Wirtschaftlichkeitslücken zu
schließen, schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, das
auf fünf Säulen beruht.
Erste Säule. Wir wollen eine innovations- und investitionsfreundliche Regulierung sicherstellen und den
Wettbewerb stärken; denn auch in Zukunft brauchen wir
die Milliardeninvestitionen möglichst vieler TK-Unternehmen. Der Staat selber würde sich übernehmen,
könnte es sich auch gar nicht leisten, die Netze selber
auszubauen und alleine zu finanzieren.
Zweite Säule. Um Ausbaukosten zu senken und damit
die Wirtschaftlichkeitslücken zumindest teilweise zu
schließen, brauchen wir eine optimale Hebung von
Synergieeffekten; das ist bereits vom Kollegen Lange erwähnt worden. Darunter verstehen wir die Nutzung bzw.
Mitnutzung bereits bestehender Netzinfrastrukturen für
den Breitbandausbau. Es geht also um Strom-, Gas-,
Fernwärme- oder Abwassernetze, in die dann Kabeloder Glasfasernetze mit verlegt werden können. Hier
sorgen wir mit zahlreichen neuen Regelungen dafür,
dass das erleichtert wird.
Dritte Säule. Wir wollen die Potenziale von Funkfrequenzen für den Breitbandausbau konsequent nutzen.
Deutschland braucht beides, eine hochleistungsfähige
Glasfaserinfrastruktur und ein modernes Mobilfunknetz. Wir alle wollen ja mit hohen Geschwindigkeiten
nicht nur am Heim-PC arbeiten, sondern unterwegs auch
auf dem Tablet und dem Smartphone.
Funktechnologie ersetzt aber nicht den weiteren Festnetzausbau, sondern ergänzt diesen. Allerdings bietet gerade der weiterentwickelte Mobilfunkstandard LTEAdvanced durchaus Möglichkeiten, den Breitbandausbau gerade in den ländlichen Räumen kostengünstiger
und damit schneller mit höheren Bandbreiten zu realisieren. So ließen sich laut der zitierten TÜV-Studie die
Kosten für die teuersten 5 Prozent der Haushalte um
8 Milliarden Euro senken, wenn wir das zusätzlich mit
LTE-Advanced machten. Auch das wäre also ein Beitrag
zur Kostensenkung und damit zur Schließung der Wirtschaftlichkeitslücke.
Besonders heiß wird in diesem Zusammenhang die
Nutzung der sogenannten Digitalen Dividende II diskutiert. Hierbei geht es um die Frequenzen im 700-Megahertz-Band, die derzeit vom Rundfunk genutzt werden.
Wir unterstützen ausdrücklich die Länder und die Rundfunkanstalten bei ihrem gemeinsamen Ziel, den Umstieg
dort auf den neuen, zukunftsträchtigen Standard
DVB-T2 vorzunehmen; denn damit können terrestrische
Rundfunkanbindungen mit HD-Qualität realisiert, eine
stärkere Durchdringung bei der Bevölkerung erreicht
und im Übrigen beim Rundfunk Kosten und Frequenzbelegungen eingespart werden. Hierdurch frei werdende
Frequenzen sollen nach dem Umstieg aus unserer Sicht
vorrangig für den Breitbandausbau genutzt werden, wobei klar ist, dass wir bei der neuen Frequenzordnung die
Belange anderer Bedarfsträger berücksichtigen werden,
nämlich insbesondere von Kultureinrichtungen, die
drahtlose Mikrofone nutzen, oder die Sicherheitsfrequenzen im Bereich der Polizei und der Feuerwehr.
Wir hoffen, dass die derzeit laufenden Gespräche
zwischen dem Bund und den Ländern insofern bald zu
einem Erfolg führen und abgeklärt wird, bis wann
DVB-T2 umgesetzt werden kann. Anschließend können
diese Frequenzen auch für den Breitbandausbau genutzt
werden.
Vierte Säule. Ja, um unsere ehrgeizigen Breitbandausbauziele bis 2018 erreichen zu können, brauchen wir
eine effiziente und stärkere finanzielle Förderung für unterversorgte Gebiete. Förderprogramme sollen Wirtschaftlichkeitslücken nicht nur schließen, sie sollen auch
zusätzliche private Investitionen anregen, und das mit einem Faktor 1: 3 oder 1: 4, je nach Ausgestaltung.
Herr Kollege Dörmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Dörmann. - Sie sprachen
eben an, dass Sie die kabellosen Mikrofone der Kulturschaffenden schützen wollen. Ich stelle die Frage, wie
das stattfinden soll, da es zurzeit weder ausgereifte technische Lösungen gibt, dass das Frequenzband für diesen
Bereich umgestellt werden kann, noch klar ist, welches
künftige Frequenzband von Kulturschaffenden und Veranstaltungen genutzt werden kann. Da dies nicht klar ist,
Sie aber gleichzeitig eine Beschleunigung der Abgabe
und der Versteigerung dieser Frequenzen ankündigen,
frage ich Sie wirklich, wie die Kultur- und Veranstaltungslandschaft in unserem Land als ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geschützt werden soll. Vor allen Dingen
frage ich Sie, warum Sie, da die Bänder um 1 800 Megahertz nach wie vor noch nicht richtig ausgenutzt werden
und noch genügend Kapazitäten bestehen, nicht darauf
drängen, dass diese Kapazitäten genutzt werden, bevor
Sie eine Chance für Kultur und Veranstaltungen in unserem Land kaputtmachen oder zumindest erschweren.
({0})
Danke, Herr Kollege Lenkert. - Bitte schön, Herr
Kollege Dörmann.
Herr Kollege Lenkert, ich bin dankbar für diese
Frage, weil sie durchaus Besorgnisse aufgreift, die auch
an uns herangetragen werden. Ich versichere Ihnen, dass
wir diese Besorgnisse nicht nur sehr ernst nehmen, sondern auch an Lösungen arbeiten. Es ist nicht ganz richtig, dass es dafür keine Vorschläge gibt; denn die Bundesnetzagentur hat in ihrem Projekt 2016 bereits im
letzten Jahr dargestellt, wo die Frequenzbedarfe anderer
Bedarfsträger, insbesondere bei den drahtlosen Produktionsmitteln, also auch der Kultureinrichtungen, liegen.
Sie sind nämlich in dem etwas unteren Bereich angesiedelt, der ökonomisch günstiger ist als der Bereich um
1 800 Megahertz, in dem höhere Kosten anfallen. Das ist
also genau der Punkt, der jetzt geklärt wird. Das ist auch
Bestandteil der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Sie wissen, es gab Eckpunkte, die noch nicht endgültig verifiziert sind. Die klare Maßgabe ist: Bevor die
Frequenzverordnung geändert wird - das kann nur im
Einvernehmen mit den Ländern geschehen -, werden
diese Punkte geklärt. Darum gibt es diese Arbeitsgruppe
der Beteiligten. Sie können gewiss sein: Wir werden keiner Änderung der Frequenzverordnung zustimmen, sofern die von Ihnen und mir geschilderten Fragen nicht
gelöst sind. Ich denke, wir werden eine sehr befriedigende Lösung finden.
Sie haben gefragt, warum der Bereich von 1 800 Megahertz nicht noch stärker für den Mobilfunk genutzt
wird. Warum brauchen wir auch den 700-Megahertz-Bereich? Es ist einfach so: Je größer der Kuchen ist, den
Sie für Breitband zur Verfügung haben, desto höhere
Bandbreiten können Sie verwirklichen. Sie brauchen
nämlich bestimmte Frequenzpakete. Der Standard LTEAdvanced ist ein zukunftsträchtiger Standard. Ich bin
davon überzeugt, dass er in fünf Jahren in technischer
Hinsicht noch ganz andere Bandbreiten ermöglichen
wird als die, die wir heute kennen. Deshalb müssen alle
Frequenzen zusammen betrachtet werden. Dazu gehört
die 900er-, die 1 800er-, aber auch die 700er-Frequenz.
Sie wissen ebenso wie ich, dass der Bedarf an mobilen Breitbandangeboten ständig wächst. Der größte
Zuwachs hinsichtlich der Internetnutzung wird zurzeit
im Mobilfunkbereich verzeichnet. Dafür müssen wir ein
zukunftsfestes Konzept entwickeln. Der 700-MegahertzBereich - das ist vom Kollegen Lange bereits angesprochen worden - ist nun einmal der Bereich, der international auch für die Nutzung von Mobilfunk vorgesehen ist.
In anderen Ländern gibt es die gleichen Bestrebungen.
Bald wird es auch mehr Endgeräte geben, die den LTEStandard beherrschen. Das wäre aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer der optimale Erfolg. Daran arbeiten wir.
({0})
Ich habe bereits geschildert, dass es darauf ankommt
- Stichwort „vierte Säule“ -, dass wir zusätzliche finanzielle Mittel generieren, um die Wirtschaftlichkeitslücke
zu schließen. Uns ist bewusst, dass das bei unserem
Breitbandkonzept die größte Herausforderung ist. Klar
ist: Wir brauchen zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt,
und das vor dem Hintergrund, dass wir nach wie vor das
Ziel haben, nicht nur im nächsten, sondern auch in den
folgenden Jahren einen ausgeglichenen Bundeshaushalt
vorzulegen. Von daher steht in unserem Antrag, dass es
Aufgabe des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und des Finanzministeriums ist, mögliche
Haushaltsspielräume zu prüfen und zu eröffnen. Diesbezüglich kommen in der Tat die möglichen Erlöse aus
Frequenzvergaben im Jahr 2015 in Betracht. Wir hoffen
- das ist dargestellt worden -, dass es eine Klärung bei
der Frage der Digitalen Dividende II, also im 700-Megahertz-Bereich geben wird. Zusätzlich gibt es andere
Frequenzbereiche, die unabhängig von der Zustimmung
der Länder in jedem Fall 2015 zur Vergabe anstehen. Die
Bundesnetzagentur hat das ausgerechnet: Sie erwartet
Mindesteinnahmen von 1 Milliarde Euro aus diesen Bereichen. Wenn es zu einer Versteigerung kommt oder der
700-Megahertz-Bereich einbezogen werden kann, wird
dieser Betrag noch deutlich höher sein. Ich freue mich,
dass die Bundesregierung bereits angekündigt hat, zusätzliche Einnahmen aus dem Bereich 700 Megahertz
für den Breitbandausbau zu nutzen. Die Bundeskanzlerin höchstpersönlich hat das in der letzten Woche in der
Generaldebatte so dargestellt.
Ich komme nun zur fünften und letzten Säule. Neben
den dargestellten Maßnahmen für Investitionsanreize
und zur Schließung von Wirtschaftlichkeitslücken brauchen wir beim Breitbandausbau eine bessere Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die
Koalition strebt deshalb einen nationalen Konsens zum
Breitbandausbau an. Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten können wir viel bewegen.
Sie sehen: Die Koalition hat sich sehr ehrgeizige
Ziele gesetzt, um den Breitbandausbau in Deutschland
nach vorne zu bringen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür
sorgen, dass schnelles Internet für alle realisiert werden
kann. Damit tragen wir dazu bei, dass gesellschaftliche
Teilhabe möglich ist. Damit sichern wir aber auch unsere
wirtschaftlichen Zukunftschancen. Das ist, glaube ich,
ein gemeinsames Ziel aller in diesem Hause.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Tabea Rößner.
Werte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Nach meiner letzten Rede zum Thema Breitband kam
ein Bundesminister auf mich zu - er soll hier unerkannt
bleiben; er ist auch nicht anwesend - und sagte, ich solle
doch nicht immer so schimpfen,
({0})
worauf ich entgegnete: Ich höre gerne mit der Kritik auf,
wenn es keinen Grund mehr gibt, zu schimpfen.
({1})
Ich bin nicht maßlos, aber es gibt immer noch keinen
Grund für diese Bundesregierung, sich zufrieden in die
Sommerpause zu verabschieden. Der Breitbandausbau
ist eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für dieses Land. Jahr für Jahr verlieren wir enorme Potenziale.
Deutschland ist in Sachen Breitband weit abgeschlagen.
Laut FTTH Council Europe hat gerade einmal 1 Prozent
der Haushalte einen Glasfaseranschluss, und es gibt
noch viele Gebiete, in denen die Menschen nur mit Modemgeschwindigkeit ins Netz kommen. Immerhin geben
Sie das jetzt in Ihrem Antrag zu. Sie zitieren sogar die
OECD-Studie, die wir Ihnen sonst immer um die Ohren
hauen; das ist gut. Aber dann muss man auch den eigenen Minister in die Pflicht nehmen und auffordern, endlich zu liefern, liebe Damen und Herren.
({2})
Die bisherige Antwort von Herrn Dobrindt und
seinem neu geschaffenen Ministerium für Verkehr und
digitale Infrastruktur war vor allem Palaver mit der Internetwirtschaft und die Ankündigung, die Erlöse der
Digitalen Dividende II in den Ausbau zu stecken. Das ist
wenig. Es ist noch viel weniger, wenn man einmal auf
die Fakten schaut. Resultat der sogenannten Netzallianz
Digitales Deutschland ist, dass man ein Kursbuch erarbeiten will, in dem man Meilensteine festhält. Mit
Kursbüchern und Meilensteinen gewinnt man beim
Buzzword-Bingo. Aber die Menschen, die dort leben,
wo weiße Flecken sind, haben gar nichts davon. Die
wollen heute am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Die
lassen Sie im Stich.
({3})
Die Zeit der Ankündigungen ist lange vorbei. Der
Minister hat eine Zahl genannt, an der er sich messen
lassen muss: 50 MBit/s. Die Koalitionsfraktionen haben
nun einen Antrag vorgelegt. Man könnte ja meinen, sie
sagen darin, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Aber
statt den Minister an die kurze Leine zu nehmen und ihm
Aufgaben auf die To-do-Liste zu schreiben, ergeht man
sich im Hätte, Sollte, Könnte - von wegen „ehrgeizig“,
lieber Kollege Dörmann.
({4})
Darin heißt es: Die Bundesregierung soll prüfen, sie soll
Konzepte erarbeiten, es ist anzustreben und darauf hinzuwirken. Allein „die Bundesregierung sollte“ kommt in
diesem Antrag 35 Mal vor. Aber: Man kann im Konjunktiv nun einmal nicht regieren.
({5})
Am schwierigsten ist die Finanzierungsfrage. Der
Breitbandausbau kostet richtig viel Geld. Sie stellen aber
nicht 1 Euro bereit und planen mit Einnahmen aus einer
Frequenzversteigerung, von der noch niemand weiß,
wann sie eigentlich kommt, und erst recht nicht, wie viel
Geld sie überhaupt einbringt. Schon die letzte Versteigerung brachte nur halb so viel wie erwartet.
Vor allem ist das nicht allein Ihr Geld; das wissen Sie.
Sie sagen ja auch: Ja, über die Verwendung der Erlöse
muss man dann mit dem Finanzministerium verhandeln. Dann gibt es da ja auch noch die Bundesländer. Die wollen die Hälfte und lassen sich kaum von Ihnen vorschreiben, wofür sie das Geld einsetzen sollen.
({6})
Der Breitbandausbau ist in den Ländern ja auch ganz unterschiedlich weit fortgeschritten.
Die für 2018 versprochenen 50 MBit/s werden Sie
mit Funkanbindungen nicht erreichen, genauso wenig
wie mit der ursprünglich einmal angedachten 1 Milliarde Euro. Die Kosten für den festnetzgebundenen
Ausbau liegen im zweistelligen Milliardenbereich. Die
Unternehmen investieren diese Milliarden nur, wenn es
sich tatsächlich lohnt. Das ist auf dem Land schwierig.
Deshalb werden Sie sich hier ehrlich machen müssen,
woher dieses Geld denn kommen soll. Gute Regulierung
hin oder her, am großen Rad drehen Sie jedenfalls nicht.
({7})
Wie kommt Breitband in ländliche Regionen, in
denen die Investitionen hoch und die zu erwartenden
Gewinne niedrig sind? Sie wollen eine Grundversorgung immerhin. Aber den konsequenten Schritt unterlassen
Sie. Wir Grüne fordern, dass jeder Haushalt einen
Anspruch auf einen Breitbandanschluss hat. Auch die
SPD wollte das, bis zur Bundestagswahl. Gemessen daran ist die Forderung, jetzt doch bitte die Regionen mit
unter 2 Mbit/s zu erschließen, ein trauriger Abschied von
Ihren Versprechungen und das Eingeständnis eines
mageren Ergebnisses in den Koalitionsverhandlungen
aufseiten der SPD.
({8})
- Ja, da bin ich mal gespannt.
Dafür planen Sie einen Bürgerfonds. Das klingt irgendwie nett und wie etwas Gutes für die Bürgerinnen
und Bürger. Aber was steckt denn dahinter? Private Einzahler erwarten doch eine solide Rendite, wenn sie Geld
in einen Fonds einzahlen. Wie sollen diese Renditen bei
defizitären Breitbandprojekten denn erwirtschaftet werden? Der Ausbau in den ländlichen Regionen ist nicht
lukrativ; denn sonst hätten die TK-Unternehmen das
doch schon längst gemacht. Und was, wenn die erwartete Rendite dann nicht kommt? Zahlt dann der Staat die
Differenz?
({9})
Das ist im besten Falle unausgegoren und im schlimmsten Falle eine große Mogelpackung für die Bürgerinnen
und Bürger.
Noch ein paar Worte zur Netzneutralität. Nachtigall,
ick hör dir trapsen! Die gleichberechtigte Übertragung
von Daten war Garant der bisherigen demokratischen
Entwicklung des Internets, und sie ist elementar für dessen Zukunft.
({10})
Die Debatte darüber führen wir seit vielen Jahren. Vorschläge zur gesetzlichen Absicherung gibt es, auch von
der SPD. Aber noch immer weigern Sie sich, die Netzneutralität im Sinne der Verbraucher effektiv zu sichern.
Ihre Vorschläge reichen nicht aus, die Einführung von
Managed Services und Co. zu verhindern. Im Gegenteil:
Sie legitimieren diese Praxis durch Ihre Initiativen sogar
noch. Indem Sie auf die EU-Ebene verweisen, die Ähnliches plant, machen Sie sich als Gesetzgeber einen
schlanken Fuß. Schaffen Sie endlich eine gesetzliche
Regelung zur Sicherung der Netzneutralität! Das ist
dringend notwendig.
({11})
Aber ich soll ja nicht nur schimpfen. Es ist ein Fortschritt, dass sich die Koalition zum Wettbewerb bekennt.
Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes hat
den Nutzern viel Gutes gebracht. Trotzdem haben Sie im
Koalitionsvertrag eine Lockerung der Regulierungsauflagen angekündigt. Das hat nicht nur mich irritiert, sondern auch die ganze Branche. Na ja, vielleicht nicht die
ganze Branche: Die Telekom hat sich, glaube ich, sehr
darüber gefreut. Sie wäre nämlich die Profiteurin einer
solchen Lockerung. Gut, dass bei Ihnen Vernunft eingekehrt ist; denn der Wettbewerb funktioniert eben nur mit
mehreren Anbietern und nicht mit einem Monopolisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
wenn man zum großen Sprung ansetzt und auf halber
Strecke beschließt, anzuhalten, passiert eines: Man fällt
auf die Nase. Das ist beim Breitband weder dem Land
noch den Menschen hier zu wünschen.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Patrick Schnieder,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Internet ist
aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Weite Lebensbereiche sind von einer immer stärkeren Digitalisierung durchdrungen. Das gilt für Anwendungen, die wir
zu Hause nutzen, für Anwendungen im gewerblichen
Bereich und zunehmend aber auch für mobile Anwendungen.
Deshalb ist die Versorgung mit schnellem Internet
eine Zukunftsaufgabe für Deutschland. Das gilt ganz besonders für ländliche Räume; denn dort geht es in diesem Zusammenhang zwar auch um die Zukunft von Unternehmen, Standorten und Arbeitsplätzen, aber eben
auch um die Zukunft der ländlichen Räume schlechthin,
nämlich um die Frage, ob Menschen in Zukunft dort
noch wohnen und arbeiten wollen und können. Deshalb
müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die weißen Flecken, die wir haben - dort gibt es keine ausreichende Versorgung mit schnellen Internetverbindungen -, möglichst schnell zu beseitigen und dort zu einer
flächendeckenden Versorgung mit schnellem Internet zu
kommen. Das ambitionierte Ziel, das sich diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat, ist deshalb
genau richtig.
Es ist auch richtig, dass wir das nicht nur in einem
überschaubaren Zeitraum bis 2018 schaffen wollen, sondern dass wir auch eine Mindestversorgung mit einer
Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde angesetzt haben; denn alles andere wird in Zukunft nicht mehr genügen. Wir werden zunehmende Datenmengen haben und
deshalb auch auf immer größere Geschwindigkeiten angewiesen sein.
Der Antrag, den wir als Koalition hier vorgelegt haben, ist ambitioniert, aber er wird diesen ambitionierten
Zielen auch gerecht. Wir zeigen einen Weg auf, wie wir
das erreichen wollen. Das werden wir nur mit einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden und auch nur mit einem Technologiemix schaffen, indem wir alle Möglichkeiten, die sich bieten, auch
nutzen: sowohl kabelgebundene als auch mobile Lösungen, Funklösungen und satellitengestützte Lösungen all das, was technisch möglich ist.
Wir müssen uns auch eingestehen - das gehört zum
Ehrlichmachen dazu, verehrte Frau Kollegin Rößner -,
dass wir das Geld, das wir in Kürze für einen flächendeckenden Glasfaserausbau bräuchten, heute nicht zur Ver4128
fügung haben. Deshalb bin ich schon etwas erstaunt über
die Lässigkeit, mit der Sie über diese Tatsache und auch
über das hinweggehen, was Landesregierungen, auch
von Ihnen gestützte Landesregierungen, zum Beispiel in
Rheinland-Pfalz, auf den Weg gebracht haben. Dort wurden in den letzten sieben Jahren 29 Millionen Euro für
den Breitbandausbau zur Verfügung gestellt. Wer dann
mit dem Finger auf den Bund zeigt und Milliarden einfordert, aber nicht sagt, woher sie kommen, der macht
sich unglaubwürdig. Er macht sich noch unglaubwürdiger vor dem Hintergrund, dass die genannte Landesregierung gerade 500 Millionen Euro am Nürburgring in
den Sand gesetzt hat. Von diesem Geld hätten wir viele
Glasfaserkabel verlegen können.
({0})
Wir wollen einen Schwerpunkt auf die Möglichkeiten
legen, die wir in den nächsten Jahren haben. Dazu gehört
der kabelgebundene Ausbau. Aber dazu gehört eben
auch die Nutzung von Funkfrequenzen, und zwar in doppelter Hinsicht: Wir werden nicht nur die Erlöse aus der
Vergabe der frei werdenden Frequenzen in den Breitbandausbau stecken, sondern es geht eben auch um die
Nutzung der 700-Megahertz-Bänder.
Ich will hier sehr deutlich betonen: Wir wollen die
verschiedenen Nutzer nicht gegeneinander ausspielen.
Ich bin dem Kollegen Dörmann dankbar, dass er das
noch einmal deutlich gesagt hat. Wir brauchen diese Frequenzen für schnelle Internetverbindungen, aber wir
brauchen sie auch für den Rundfunk; das ist überhaupt
keine Frage.
Ich bin allerdings der Meinung, dass die Ziele, die
noch bis vor kurzem in den Köpfen der Intendanten von
Rundfunkanstalten waren, noch etwas ambitionierter
ausgestaltet werden können. Ich glaube, dass wir noch
etwas schneller darin sein können, auf den neuen Standard DVB-T2 umzustellen.
Wir sollten überlegen - auch das steht in dem Antrag -, ob nicht große Ereignisse wie die Fußballeuropameisterschaft im Jahr 2016 auch für den Markt einen besonderen Anreiz bieten, eine solche Umstellung bei den
Endgeräten schneller durchzuführen und dieses Ereignis
in diesem Sinne zu nutzen. Aber wir sind uns einig
- auch das möchte ich noch einmal betonen -: Wir brauchen die 700-Megahertz-Bänder, sowohl für den Rundfunk als auch für sicherheitsrelevante Belange, aber auch
für die drahtlosen Produktionsmittel, die im Antrag genannt sind.
Die Erlöse, die wir aus der Vergabe der Frequenzen
erzielen, müssen wir verstärkt wieder in die Netze investieren; darin sind wir uns einig. Ich hoffe, dass wir auf
nationaler Ebene den angestrebten Konsens zwischen
Bund und Ländern erreichen. Ich glaube, dass man diesen Konsens finden kann. Mir wäre es auch recht, wenn
möglicherweise die Länder, die an der Lösung beteiligt
sind, das Geld vorrangig in den Breitbandausbau stecken; denn uns alle eint das Ziel, dass wir es möglichst
schnell schaffen, für alle in Deutschland schnelles Internet verfügbar zu machen: für die Menschen in Ballungsräumen genauso wie für die Menschen im ländlichen
Raum. Das brauchen wir für die Weiterentwicklung unseres Landes. Das brauchen wir für die wirtschaftliche
Prosperität unseres Landes. Das brauchen wir aber auch,
weil wir darauf angewiesen sind, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben überall und in gleicher Art und
Weise möglich ist.
Deshalb werbe ich sehr eindringlich für den Antrag.
Ich werbe auch eindringlich dafür, dass alle Akteure, die
wir brauchen und deren Interessen wir unter einen Hut
bringen müssen, Verantwortung wahrnehmen und sich
am Ziel orientieren, anstatt herumzumäkeln und zu fragen: Was könnte uns in den Weg kommen? Man darf
nicht nur die Schwierigkeiten sehen, sondern auch das
Ziel und die Chancen. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich werbe dafür, dass wir diesen Antrag
mit breiter Mehrheit hier im Deutschen Bundestag verabschieden.
({1})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt Halina Wawzyniak.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Großen Koalition beschreibt viele
Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass bis 2018 eine
flächendeckende Breitbandversorgung von mindestens
50 Megabit die Sekunde gewährleistet wird. Das ist
- das haben wir hier gehört - ein durchaus ambitioniertes Ziel. Aber in puncto Breitbandausbau sind ambitionierte Ziele nichts Neues.
({0})
Doch selten wurden sie erreicht. Ob sie dieses Mal erreicht werden, darf durchaus bezweifelt werden; denn
ohne Geld in die Hand zu nehmen, wird das nicht funktionieren.
({1})
Der Antrag enthält einige Vorhaben, die wir begrüßen. Wir begrüßen, dass Sie die Netzneutralität gesetzlich verankern wollen. Die Debatte auf europäischer
Ebene ist bereits an diesem Punkt angelangt. Aber es
könnte problematisch werden, dass die Netzneutralität
nicht durch eine, wie Sie schreiben, „Vielzahl von Managed Services“ eingeschränkt werden darf. Hier muss
man nämlich aufpassen, dass dies die Netzneutralität
nicht gleichzeitig wieder unterhöhlt.
Es ist völlig unstreitig, dass zeitkritische Dienste wie
zum Beispiel Videotelefonie eine gewisse Bevorzugung
benötigen, um zu funktionieren. Wenn aber Anbieter von
Diensten anfangen, Geld an Provider zu bezahlen, um in
irgendeiner Form besser behandelt zu werden, zum BeiHalina Wawzyniak
spiel indem ihre Daten schneller durchgeleitet werden,
dann hat das mit Netzneutralität nichts mehr zu tun.
({2})
Wir begrüßen weiterhin, dass Sie endlich die Störerhaftung bei Betreibern offener WLANs abschaffen wollen. Praktischerweise haben wir in der letzten Legislaturperiode auf Basis eines Vorschlages der Digitalen
Gesellschaft einen Gesetzentwurf eingebracht, der dieses Problem sehr elegant lösen würde. Den können Sie
einfach übernehmen.
({3})
Doch Ihr Antrag bringt auch Probleme mit sich und
wirft einige Fragen auf. Sie erkennen richtig - das ist
schon mehrfach gesagt worden -, dass das Gefälle zwischen Stadt und Land eines der größten Probleme ist.
Was den Leuten auf dem Land teilweise zugemutet wird,
ist haarsträubend. Kürzlich wandte sich eine junge Familie aus Woltersdorf bei Berlin an mich. Sie hatte sich
dort gerade ein Haus gekauft und wollte nun auch einen
schnellen Internetanschluss haben. Nun bestand aber das
Problem, dass das Haus nicht mit dem DSL-Netz verbunden war. Allerdings wird es mit Kabelfernsehen versorgt, worüber eine Internetverbindung möglich ist. So
einfach, wie gedacht, ist es aber nicht. Denn der zuständige Kabelbetreiber vertreibt in Woltersdorf nur eine bestimmte Anzahl von Anschlüssen. Sie können sich vorstellen, dass diese schon alle vergeben sind. Das soll
vorkommen.
Das heißt also, obwohl die notwendige Infrastruktur
vorhanden ist, wird der Familie, aus welchen Gründen
auch immer, verwehrt, einen Internetanschluss nutzen zu
können. Das ist ein wenig absurd. Denn der Familie bleiben jetzt nur wenige Möglichkeiten: entweder wie zu
DDR-Zeiten auf ein Auto jetzt auf einen Internetanschluss zu warten, mit hoher Eigenbeteiligung das Haus
an das DSL-Netz anschließen zu lassen oder auf Funkund Satellitenverbindung zu setzen, die teuer sind.
Das bringt uns gleich zum nächsten Problem. Um das
Ziel eines flächendeckenden Breitbandinternets bis 2018
zu realisieren, schlagen Sie einen Technologiemix aus
kabelgebundener Technologie, Funk- und Satellitentechnologie vor. Nun sind wir uns hoffentlich einig, dass
Funktechnologien einen DSL-Anschluss nicht ersetzen
können. Das hat mehrere Gründe. Funktechnologien
sind deutlich anfälliger für Fehler, und die Übertragungsleistung ist schwankend. Sie sind für den Endverbraucher vor allem teurer und bieten deutlich weniger
Leistung.
Während es bei Festnetzanschlüssen im Großen und
Ganzen noch echte Flatrates gibt, sind bei Mobilfunkverträgen Datenvolumengrenzen schon längst gang und
gäbe. Wir reden hier aber nicht von Grenzen von 300 Gigabyte im Monat; wir reden von Grenzen von 10 Gigabyte im Monat. Für die alltägliche Nutzung ist das kaum
brauchbar, und das im Übrigen zu Preisen jenseits von
VDSL-Verträgen. Auf Dauer ist das den Endverbrauchern kaum zuzumuten.
({4})
Hier schließt sich auch der Kreis zur Netzneutralität.
Sie ist nämlich im Mobilfunkbereich schon längst passé.
Es gibt keine echten Flatrates; es gibt eine Vielzahl von
Managed Services. Wer also ein neutrales Netz will,
muss entweder die Netzneutralität im Mobilfunkbereich
wiederherstellen oder auf Mobilfunk als Ersatz für kabelbasiertes Internet verzichten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Thomas Jarzombek von der CDU/CSU?
Nein, heute ausnahmsweise nicht. Ich bin nämlich
gleich fertig.
Ich hätte mir von Ihnen im Übrigen auch eine deutlich
solidere Finanzierung und auch ein paar innovative
Ideen gewünscht. Wie wäre es beispielsweise mit Ideen
wie einer Commons-basierten Förderung? Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Ich könnte dem sehr viel abgewinnen.
Letztendlich muss ich aber sagen: Sie setzen nur das
fort, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Sie haben
hohe Ziele, aber selber finanzieren wollen Sie sie nicht.
So wird es mit dem flächendeckenden Breitbandausbau
nicht klappen. Sie müssen irgendwann realisieren, dass
ein Breitbandanschluss zur Daseinsvorsorge gehört und
jedem zur Verfügung gestellt werden muss.
({0})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Kirsten Lühmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! WLAN in Zügen stand am Anfang. Aber das ist
nicht das wichtigste Ziel, das wir uns mit unserer Breitbandstrategie vornehmen. Als regelmäßige Bahnfahrerin
weiß ich natürlich, wie nervig es ist, wenn ich Mails und
Anhänge nicht öffnen kann, weil die Übertragung stockt.
Aber im Zug ist das nur eine Frage von wenigen Reisestunden. Zu Hause ist eine solche Situation oft von
Dauer. Das betrifft in Deutschland immer noch viele
Menschen und auch viele Unternehmen insbesondere in
ländlichen Räumen. Diesem Zustand wollen wir abhelfen, liebe Kollegen und Kolleginnen. Deshalb legen wir
Ihnen heute diesen hervorragenden Antrag vor.
({0})
Wer wie ich in einer ländlichen Region zu Hause ist,
kennt die Problematiken aus nächster Nähe. In meinem
Heimatort gibt es zum Beispiel einen Elektronikfachmarkt, der täglich erhebliche Datenpakete transportieren
muss und das aufgrund der nur wenigen zur Verfügung
stehenden Frequenzen in der normalen Geschäftszeit gar
nicht mehr abwickeln kann. Es ist abzusehen, dass er irgendwann die Wettbewerbsfähigkeit verliert und im
schlimmsten Fall sogar schließen muss. Das bedeutet
nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern das
bedeutet auch, dass seine Kunden und Kundinnen mindestens 30 Kilometer bis in das nächste Mittelzentrum
fahren müssen. Dass solche Unternehmen vor Ort bleiben, ist nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen,
die ihren Wohnort nicht aufgeben wollen, sondern es ist
auch im Interesse der Kommunen, die den Wirtschaftsstandort erhalten müssen.
Die Digitalisierung des Alltags ist bereits weit vorangeschritten. Keiner von uns hier wird mehr denken, dass
eine gute Internetverbindung nur für Nerds von Interesse
ist, die den ganzen Tag im abgedunkelten Zimmer
„World of Warcraft“ spielen.
({1})
Die schnelle Breitbandverbindung wird auch im Alltag
von Privatmenschen immer wichtiger. Ob ich nun im
Rahmen des E-Governments einen Antrag bei meinem
Meldeamt abwickeln will, ob ich eine Anzeige bei der
Polizei aufgeben will, ob ich eine ärztliche OnlineSprechstunde in Anspruch nehmen will oder ob ich mich
als Bürgerin an einem Dialog zu einem Bauprojekt beteiligen will, für all das brauche ich guten Zugang zum Internet. Den werden wir schaffen.
({2})
Ein gut ausgebautes Internet ist für die Entwicklung
einer Region heutzutage genauso wichtig wie ein gut
ausgebautes Straßen- oder Schienennetz. Deshalb haben
wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir bis 2018 flächendeckend ein schnelles Internet verfügbar machen. Es
wurde mehrfach gesagt: Wir haben uns ein hohes Ziel
gesetzt, aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, wir werden dieses Ziel auch erreichen.
({3})
Der Antrag, den wir heute vorgelegt haben, stellt ausführlich dar, wie wir das machen.
Ich fasse die wichtigen Ziele noch einmal in zwei
Punkten zusammen. Wir brauchen eine gezielte, effiziente Förderung des Breitbandausbaus in dünnbesiedelten Regionen. Denn dort wird es wegen der mangelnden
Wirtschaftlichkeit, die ja mehrfach angesprochen wurde,
nicht allein der Markt regeln. Außerdem brauchen wir
flankierende Maßnahmen - das ist der zweite Punkt, den
wir sehr schnell umsetzen müssen -, mit denen der Ausbau beschleunigt wird, wie zum Beispiel Erleichterungen für alternative Kabelverlegungen. Dazu ist es von
großer Bedeutung, dass wir mit den Ländern und Kommunen eng zusammenarbeiten. Die Kommunen sind in
dieser Frage unsere Partner; denn sie profitieren am
meisten davon. Ich hatte es bereits erwähnt.
Das betrifft unter anderem die Abstimmung von
Förderprogrammen, die wichtig ist, damit wir mit dem
Einsatz von Fördermitteln einen maximalen Effekt erzielen können. Es gibt bei Kommunen ganz unterschiedliche Voraussetzungen, zum Beispiel im Hinblick auf die
Eigenanteile, die die Kommunen bei den Förderprogrammen leisten müssen, oder im Hinblick auf Bürgschaftsverpflichtungen, was insbesondere für Kommunen mit Haushaltsnotlagen von Bedeutung ist. Wenn
zum Beispiel eine Kommune bei Tiefbauarbeiten keine
Leerrohre mit verlegen darf, weil das unter dem Gesichtspunkt der Haushaltssicherung eine unzulässige Zusatzinvestition ist, dann steht diese Regelung nicht nur
unserem Ziel des schnellen Breitbandausbaus entgegen,
sondern sie ist auch unwirtschaftlich, weil der Erdboden
nämlich später ein zweites Mal teuer aufgebuddelt werden muss. Das ist sinnlos.
({4})
Aus meiner Sicht sollten wir daher die Länder und
Kommunen auch bei der Netzallianz mit ins Boot nehmen. Ich sagte schon: In dünnbesiedelten Regionen sind
es gerade die Kommunen, die das Projekt Breitbandausbau inzwischen in die eigene Hand nehmen. Schließlich
wird es auch darauf ankommen, die Förderprogramme in
ausreichendem Maße finanziell auszustatten.
Auch ich halte es deshalb für erforderlich, dass wir
uns den Einnahmen aus der Neuvergabe der Frequenzen
widmen. Hier wurde ja sehr lange und ausführlich über
den Frequenzbereich von 700 Megahertz und über die
Schwierigkeiten gesprochen. Aber es gibt daneben die
Bereiche von 900 und 1 800 Megahertz, die wir wesentlich früher und einfacher vergeben können. Ich denke,
dass sich der Verkehrsminister in Zusammenarbeit mit
dem Finanzminister unseren Bemühungen, Gelder für
die Lösung dieses Problems zu generieren, anschließen
wird.
({5})
Abschließend: Investitionen in den Breitbandausbau
sind gut angelegte Gelder. Denn eine Breitbandversorgung ist Grundlage für das Erreichen von zwei ursozialdemokratischen Zielen: die gesellschaftliche Teilhabe
und das wirtschaftliche Wachstum. In diesem Sinne: Packen wir es an!
Danke schön.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter nicht anwesender Ankündigungsminister Dobrindt,
({0})
ich bin aus Bayern einiges gewohnt. So wollen wir Bayern immer in der Champions League spielen. Wenn Sie
aber wirklich Champions League beim Breitbandausbau
gewollt hätten, dann hätten Sie während der Koalitionsverhandlungen diese 1 Milliarde Euro nicht gestrichen.
Diese Mittel brauchen wir nämlich dringend. Sie werden
es mit den Frequenzerlösen allein nicht schaffen; das
wissen Sie ganz genau.
({1})
Man kann natürlich auch einmal fragen: Ist es das
Ziel, dass wir bei der Fußballeuropameisterschaft 2016
über DVB-T Fußball schauen können? Ich glaube nicht,
dass dies das ist, was die Menschen beschäftigen wird,
wie man am Zuspruch für das Public Viewing bei der
laufenden Weltmeisterschaft sehen kann. Das Ziel wird
sein, dass wir den Breitbandausbau auch im ländlichen
Raum - ich komme aus Niederbayern und weiß daher
um die Probleme in den ländlichen Regionen - so effizient gestalten, dass die Breitbandinfrastruktur selbst für
den mittelständischen Wettbewerber vor Ort attraktiv
wird. Hier ist Bayern nicht gerade Vorbild. Wenn man
sich die Verflechtungen mit der Telekom in Bayern anschaut, dann stellt man fest, dass in der Regel nicht die
kleinen Unternehmen zum Zuge kommen, sondern die
Telekom das Geschäft macht. Ich bitte Sie, dass das ganz
im Sinne des Mittelstands abgewickelt wird.
({2})
Ich kann den Bayern auch folgenden Punkt nicht ersparen: Nur 16 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum
haben in Bayern einen Breitbandzugang. Auch hier sind
wir Bayern keine Vorreiter.
Kommen wir zur Bürokratie. Dazu finden Sie wolkige Worte. Aber Realität ist: Das Förderprogramm in
Bayern war an 700 Kommunen adressiert. Aber wie
viele davon haben in den ersten Jahren dieses Programm
durchlaufen? Zwei! Machen Sie sich Gedanken, wie
man hier vorankommen könnte! Wenn Herr Dobrindt
von einem Daten-Tsunami spricht, dann ist das Ausdruck der Erkenntnis, dass hier etwas Gewaltiges auf uns
zukommt; das teile ich. Aber bei ihm hört sich das nach
einer Bedrohung und nicht nach der Möglichkeit an, Basis und Rohstoff für den Erfolg unserer Wirtschaft im
Zeitalter der digitalen Revolution zu schaffen.
({3})
Laut Statistischem Bundesamt verfügte 2013 nur
jedes vierte Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten über eine schnelle Onlineverbindung von mindestens 30 Megabit pro Sekunde. Da haben wir Nachholbedarf. Schauen Sie nach Belgien, in die Niederlande oder
nach Dänemark! Dort liegt der Anteil bei 40 Prozent. Es
ist gut, wenn wir uns das nun zum Ziel setzen. Ich habe
Ihren Antrag durchaus sorgfältig gelesen und festgestellt, dass dort viel Richtiges steht. Wenn es aber konkret werden soll, dann steht dort nur noch sehr wenig.
Sie müssen das Ganze mit Zahlen und Fakten unterlegen. Sonst wird es nichts mit dem Breitbandausbau.
({4})
2013 standen 8 Prozent der Unternehmen mit mehr
als zehn Beschäftigten nur ein ISDN-Anschluss oder ein
analoger Anschluss zur Verfügung. Laut einer Studie der
bayerischen Wirtschaft gibt ein Viertel der Unternehmen
an, dass sie wichtige netzbasierte Anwendungen nicht
nutzen können. Was bedeutet das heutzutage im Zeitalter
von Big Data und Wettbewerb? Diese Unternehmen haben ein Problem. Sie kommen nicht mehr mit. Die Wertschöpfung verschiebt sich von der Hardware hin zur
Software. Wir sind sehr stark bei der Hardware. Aber bei
der Software sind wir wirklich noch nicht gut. Deshalb
empfehle ich Ihnen, hier besser in die Spur zu kommen.
({5})
Für mich ist das Bekenntnis zum Wettbewerb sehr
wichtig. Wettbewerb ist im Telekommunikationsbereich
unerlässlich. Wir haben diesbezüglich gute Erfahrungen
in der Europäischen Union gemacht. Schauen Sie sich
nur die Preise in den USA an. Sie sind teilweise doppelt
so hoch, weil dort Monopole vorherrschen. Wir in Europa haben eine Vielzahl von Wettbewerbern zugelassen
und haben die Deutsche Telekom - nicht zu ihrer eigenen Freude, wohl aber zur Freude des Verbrauchers - in
den Wettbewerb gezwungen.
Nun haben wir auf dem Markt eine Konzentrationsballung zu beobachten. Ich kann von meinem Wahlkreisbüro in München auf den O2-Tower sehen. Gestern fiel
die Entscheidung, den Zusammenschluss von O2 und einem Wettbewerber zu genehmigen. Das kann man zur
Kenntnis nehmen, aber Sie müssen bitte darauf achten,
dass auch in der Zukunft mittelständische Stadtwerke
beim Breitbandausbau eine Rolle spielen. Die Gefahr,
die insbesondere von der EU-Ebene ausgeht, ist real,
nämlich dass man zu stark in großen Strukturen denkt.
Wenn zu stark in großen Strukturen gedacht wird, dann
wird das schlecht für die Verbraucher und die Marktteilnehmer insgesamt sein.
({6})
Ein Punkt, der schon angesprochen wurde, ist mir
wichtig: Rechtssicherheit für WLAN-Netze zu schaffen.
Beim Thema WLAN-Verfügbarkeit hat Deutschland
noch einen gewissen Nachholbedarf. Sie haben das Beispiel von WLAN im Zug geschildert. Man könnte auch
ähnliche Beispiele von Cafés oder Hotels schildern.
Dazu gehört auch die Frage, ob man nicht zu einem offenen Standard kommen kann, der das Internet frei zugänglich macht. Das ist mittlerweile in vielen Ländern
wie den USA und Südkorea, wo ich in letzter Zeit war,
ein Standard, der gepflegt wird. Auch darüber muss man
nachdenken.
WLAN-Zugang hat viel mit wandelnden Lebensstilen
zu tun, aber auch mit wirtschaftlicher Innovationskraft;
denn junge Kreative und Start-ups arbeiten gerne einmal
im Park oder im Café. Deswegen ist es wichtig, dass
man diese Infrastrukturentscheidung grundsätzlich für
diejenigen trifft, die so etwas nutzen können. Man sollte
da nicht nur in großen Zusammenhängen denken, sondern auch den Mittelstand in Betracht ziehen. In diesem
Sinne unterstützen wir Sie, dass Sie da vorankommen,
bitten Sie aber, dass Sie das konkret unterlegen, damit
wir wirkliche Fortschritte erzielen.
Danke schön.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Dass wir mit dem Breitbandausbau in Deutschland in
den letzten Jahren enorm vorangekommen sind, zeigt
sich alleine an der Tatsache, dass Sie heute auf Ihrem
Handy oder - neudeutsch - auf Ihrem Smartphone die
Sitzungen des Deutschen Bundestages live verfolgen
können. Das hätten Sie vor drei Jahren oder vor vier Jahren niemals gekonnt. Das ist die Folge des Ausbaus vor
allem im LTE-Bereich, des Ausbaus des mobilen Internets.
({0})
- Wer braucht das? Ich meine, wenn die Linken damit
nicht umgehen können, dann ist das nicht unser Problem.
({1})
Ich denke, die Bevölkerung schätzt das sehr.
Warum brauchen wir diesen Breitbandausbau? Dazu
ist heute viel gesagt worden. Die Bevölkerung hat einen
Anspruch darauf. Aber ich möchte das Augenmerk auf
das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung lenken. Ich
hatte das schon anlässlich der Haushaltsdebatte angesprochen: Wir befinden uns im Übergang zur Industrie 4.0. Die Industrie 4.0 lebt von vernetzten, internetbasierten Dienstleistungen. Das heißt, wenn es uns nicht
gelingt, in den nächsten Jahren unser Ziel - bis 2018 flächendeckend 50 Megabit pro Sekunde - zu erreichen,
dann werden wir die Vorreiterrolle, die wir im Moment
noch beim Übergang zur Industrie 4.0 haben, einbüßen.
Deshalb ist das ein existenzielles Thema für die weitere
wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.
Schaut man sich den sehr detaillierten Breitbandatlas
an, der im Internet abrufbar ist - auch das ist eine Innovation aus Deutschland; vielleicht haben Sie auch in den
noch keinen Blick hineingeworfen, was ich Ihnen aber
dringend empfehlen würde, weil sehr viele Informationen zum Breitbandausbau in Deutschland dort ablesbar
sind -, dann kann man sehen, dass wir beim Breitbandausbau bis 6 Megabit pro Sekunde schon sehr gut
vorangekommen sind, aber die großen Bandbreiten nach
wie vor fehlen, zumindest flächendeckend.
Herr Janecek, es ist ganz interessant, dass Sie sich für
Wettbewerb aussprechen.
({2})
Da sind wir durchaus einer Meinung; denn auch wir
stehen dafür, dass dieser Ausbau eigentlich nur im
Wettbewerb gelingen kann, und zwar im Wettbewerb der
Unternehmen, aber auch im Wettbewerb der Technologien. Nur das bringt Innovationen und vor allem effiziente Lösungen hervor.
Bei einer Sache sind Sie auf dem „Bayern-Auge“
etwas blind; denn Bayern hat - da kann man noch Sachsen und einige andere Bundesländer hinzufügen - mit eigenem Geld enorme Anstrengungen unternommen, um
den Breitbandausbau auf Landesebene voranzubringen.
({3})
Sie wissen ganz genau, dass Bayern alleine 1,5 Milliarden Euro in die Hand nimmt, um da schneller voranzukommen. Da Sie aus Bayern kommen, sollten Sie auch
das loben, was aus Ihrem Lande kommt. Zumindest entspricht es dem sächsischen Anspruch, Leistungen aus
dem eigenen Lande zu loben. Dass Sie das nicht machen,
ist, wie ich finde, Ausdruck von fehlendem Lokalpatriotismus.
({4})
Man sollte sich einmal fragen: Wie sind die durchschnittlichen Geschwindigkeiten in anderen Ländern
dieser Welt? Wer liegt dabei an der Spitze? Ganz vorn
liegt Südkorea: Dort beträgt die durchschnittliche Geschwindigkeit 21,9 Megabit pro Sekunde. In Deutschland liegt die durchschnittliche Geschwindigkeit bei
7,7 Megabit pro Sekunde. Die Südkoreaner haben auf
diesem Gebiet eine enorme Leistung erbracht; das ist
überhaupt keine Frage. Wir konnten uns davon überzeugen.
Ich finde die Leistung dieses kleinen Landes sehr beeindruckend. Aber dort herrschen natürlich andere Bedingungen: Erstens. Man hat die notwendigen Arbeiten
im Wesentlichen unter dem Dach eines monopolistischen Staatskonzerns erbracht. Zweitens. Dort gibt es
überwiegend Freileitungen, was in Deutschland kaum
noch möglich ist.
Dann möchte ich noch etwas zur Versteigerung von
Frequenzen sagen. Alle rechnen mit mehr Geld: Der
Bund und auch die Länder rechnen mit mehr Geld; alle
wollen sie eine Menge zusätzliches Geld durch die Versteigerung der Frequenzen bekommen. Man muss natürlich auch sagen: Das Geld, das den Unternehmen durch
die Ersteigerung von Frequenzen entzogen wird, steht
ihnen für den Netzausbau nicht mehr zur Verfügung.
({5})
Insofern muss man die Sache schon von beiden Seiten
betrachten. Wir haben bei der Versteigerung der UMTSFrequenzen sehr gut sehen können: Diese Versteigerung
hat zwar den Finanzminister hoch erfreut und eine
Menge Geld in die Staatskasse gespült; aber sie hat die
Investitionskraft der Unternehmen stark geschwächt.
Die damals erworbenen UMTS-Frequenzen liegen teilweise bis heute sozusagen brach.
Ein weiteres Thema - es wurde heute mehrfach angesprochen; es wird auch in unserem Antrag ausgeführt ist der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz. Die Linken fordern, endlich einmal eine deutsche Regelung für
ein schnelleres Netz zu treffen. Wissen Sie, wir leben in
Europa. Jetzt eine deutsche Regelung zu treffen, die womöglich in einem halben Jahr durch europäische Regelungen, etwa durch Verordnungen, die die Europäische
Kommission erlässt, überholt wird, ist sinnlos. Ich weiß,
dass die Linken dann die Ersten wären, die hier eine Debatte anzetteln und behaupten würden: Die Regierung ist
einfach unfähig, eigene Regulierungen zu schaffen.
({6})
- Sie müssen sich mal für irgendetwas entscheiden. Aber
Sie wissen anscheinend selber nicht, wohin Sie wollen.
Ihr Verweis vorhin auf die glorreichen Zeiten der
DDR war bezeichnend. Die Dichte an Telefonen in der
DDR war geringer als die Dichte an Breitbandanschlüssen auf dem Land heutzutage.
({7})
Ihr Verweis auf die DDR ist völliger Unfug. Wissen Sie,
wozu der Einsatz des Internets in der DDR, wenn es sie
noch geben würde, dienen würde? Er würde vor allem
zur Überwachung der Bürger genutzt werden, aber nicht
zum Wohl der Bürger. Solch einen Schwachsinn sollten
Sie von diesem Pult aus lieber nicht mehr verbreiten.
({8})
Meine Damen und Herren, zum Thema Netzneutralität. Es wird sicherlich sehr wichtig sein, dass wir in den
nächsten Monaten intensiv darüber diskutieren. Natürlich kommen all die Dinge zur Sprache, die heute hier
diskutiert worden sind. Wir brauchen den diskriminierungsfreien Zugang; er muss gesetzlich garantiert werden. Aber die Regulierung an sich muss sich auf das
Festlegen von Mindeststandards für das Netz beschränken. Wir brauchen jetzt keine Regulierung, die sämtliche
Standards festlegt, da diese Standards in einem halben
oder in einem Jahr schon wieder überholt sind.
({9})
Noch einmal: Was wir brauchen, sind Mindeststandards.
Man muss sich Folgendes klarmachen: Die Netzausbauer investieren jedes Jahr viel Geld, egal ob in Kabelnetze oder in Funknetze. Aber sie sind im Prinzip nur
diejenigen, die den Verbreitungskanal bauen. Die Diensteanbieter, wie die großen amerikanischen Konzerne, nutzen diese Infrastruktur völlig kostenlos, und sie treiben
sozusagen von hinten immer wieder dazu an, noch
schnellere Netze aufzubauen.
Ich halte das für ein Missverhältnis: Auf der einen
Seite sitzen die Nutznießer, die mit einer großen Power
immer mehr Inhalte durch das Netz transportieren wollen, und auf der anderen Seite sitzen diejenigen, die die
Infrastruktur schaffen und keine Möglichkeit haben, daraus Nutzen zu ziehen. Man sollte hier für Ausgewogenheit sorgen und eine Balance finden.
Nötig ist, wie gesagt, ein diskriminierungsfreier Zugang; das ist ganz klar. Darüber hinaus muss es möglich
sein, über Managementsysteme Vorrangspuren zu schaffen - wenn genügend Bandbreite vorhanden ist, ist das
auch möglich -, um die Netzbetreiber und die für die Infrastruktur Verantwortlichen in die Lage zu versetzen,
mit schnellen Diensten zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften.
Ich kann also nur für den Antrag werben. Er ist hervorragend. Er ist zwar ein bisschen umfangreich geworden. Aber so ist es nun einmal: In einer Großen Koalition braucht man auch einen großen Antrag.
({10})
Insgesamt umfasst er alle Bereiche, die beim Breitbandausbau berücksichtigt werden müssen. Deswegen
bitte ich Sie um Zustimmung.
({11})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Saskia Esken, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Wahlkreis Calw liegt im nördlichen Schwarzwald. Dieser
wunderschöne, bei Touristen aus der ganzen Welt sehr
beliebte Landstrich zeichnet sich aus durch dichte Wälder, durch Berge und verwinkelte Täler. Ich gebe es
gerne zu: Ich genieße die Ruhe, wenn ich dorthin zurückkehre.
Doch das Arbeiten im Internet, die Recherche, die
Kommunikation, die Vernetzung mit Kolleginnen und
Kollegen und mit anderen, das ist oft sehr beschwerlich;
denn schon für die ganz triviale Internetnutzung einer
Bundestagsabgeordneten ist das Netz in vielen kleineren
Orten in meiner Heimat nicht ausreichend.
Die Architekten, die Grafikdesigner, die kleinen Energieunternehmen oder die Krankenhäuser im ländlichen
Raum können ein Lied singen von den wirtschaftlichen
Auswirkungen der fehlenden oder zumindest unzureichenden Breitbandversorgung. Lange werden sie sich an
solchen Standorten nicht halten können. Auch Einrichtungen, Schulen und Vereine sind auf schnelles und verlässliches Internet angewiesen. Ich stelle einmal die
Frage in den Raum: Liegt die wirtschaftliche Stärke
Deutschlands nicht auch in einer dezentralen Struktur,
und wäre es nicht unsere Aufgabe, diese zu erhalten?
Nicht nur die Industrie und ihre besonderen Potenziale im Zuge einer sogenannten vierten industriellen
Revolution verdienen unsere Aufmerksamkeit. Dies tun
auch die beiden Sektoren, die in Deutschland die meisten und die zweitmeisten Arbeitsplätze hervorbringen.
An erster Stelle steht hier die berühmte Wirtschaftsmacht von nebenan, also das Handwerk. An zweiter
Stelle steht der Tourismus, der ohne ein schnelles, verlässliches und kostenfreies WLAN-Angebot in der Gunst
der Gäste schnell ins Hintertreffen gerät.
Mit dem vorliegenden Antrag erneuern und konkretisieren wir das Ziel dieser Koalition, bis 2018 eine Versorgung aller deutschen Haushalte, aber auch Einrichtungen und Unternehmensstandorte mit 50 Megabit pro
Sekunde zu erreichen. 50 Megabit pro Sekunde, das ist
für eine ländliche Kommune wie die, von der ich gerade
gesprochen habe und die gerade einmal über Übertragungsraten von 1 oder 2 Megabit pro Sekunde verfügt,
ein recht ambitioniertes Ziel. Ich glaube, wir könnten
uns eines großen Fortschritts rühmen, wenn wir diese
Rate flächendeckend und verlässlich installiert haben.
({0})
Aber ich möchte nicht nur am Rande anmerken, dass
dieses Ziel im internationalen Vergleich und bei der rasanten Zunahme auch der Anwendungsbereiche in digitaler Wirtschaft und Gesellschaft ganz sicher kein zu
ambitioniertes Ziel ist. Für die datenintensive Wirtschaft
ist eine Übertragungsleistung von 50 Megabit schon
heute bei weitem nicht ausreichend.
Neben der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist der Breitbandausbau aber auch eine
Grundbedingung dafür, dass alle Menschen im Land an
der Wissens- und Informationsgesellschaft, am sozialen
und am öffentlichen Leben und immer mehr übrigens
auch an politischen Prozessen teilhaben können. Der
Staat - diese Überzeugung teilen sicher alle in diesem
Haus - ist dem Wohl seiner Bürger verpflichtet. Dazu
gehört auch die Daseinsvorsorge. Deshalb kümmern wir
uns darum, dass auf gut ausgebauten Straßen überall im
Land Menschen fahren können und Güter transportiert
werden können. Wir sorgen dafür, dass zu Hause und in
der Fabrik das Licht brennt und dass morgens sauberes
Wasser aus der Dusche kommt. Wir betreiben Bildungsund Kultureinrichtungen überall im Land. Wenn Menschen krank sind, dann sorgen wir dafür, dass sie auch in
der Fläche eine gute medizinische Versorgung vorfinden.
({1})
Ich bin vollkommen davon überzeugt: Aufgabe der
Daseinsvorsorge ist es ebenso, allen Menschen überall
im Land eine gute und zukunftsfähige Netzinfrastruktur
zu bieten.
({2})
Die digitale Spaltung in besser versorgte und weniger
oder gar nicht breitbandversorgte Wohnorte und Unternehmensstandorte muss überwunden werden. Jeder muss
dieselben Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft haben. Deshalb bin
ich auch dankbar, dass dieser Antrag ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität enthält.
({3})
Zur Netzneutralität werden wir noch einen Gesetzentwurf vorlegen. Entsprechende Regelungen sind selbstverständlich nicht Bestandteil dieses Antrags. Wir wollen mit diesem Antrag ja nicht die Welt retten; es geht
hier um den Breitbandausbau.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der digitalen
Bildung - diese Bemerkung mögen Sie mir als Bildungspolitikerin verzeihen - ist das schnelle Internet für alle
eine weitere grundlegende Bedingung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland.
Weil Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen von den
Chancen der Digitalisierung profitieren, sind sie auch
gemeinsam für das Gelingen verantwortlich. Die Wirtschaft und die Politik im Bund, in den Ländern und in
den Kommunen müssen sich also gemeinsam auf den
Weg machen, um den Ausbau des schnellen Internets voranzubringen; das befördernde Element des Wettbewerbs ist schon angesprochen worden.
In einer idealen Welt würden wir dabei sicher von Anfang an jeden Haushalt, jeden Betrieb, jede Schule und
jedes Rathaus mit Glasfaserkabeln ans schnelle Netz
anbinden. Angesichts der finanziellen Begrenzungen
können wir aber auf den Einsatz von Funklösungen zumindest im Übergang nicht verzichten, wenn wir die gesteckten Ziele bis 2018 erreichen wollen.
Ich möchte als Abgeordnete eines ländlichen Raums
deutlich sagen: Gerade bei uns im ländlichen Raum
- das weiß jeder, der auf der Fahrt durch den Schwarzwald schon einmal mobil telefoniert hat, selbstverständlich als Beifahrer ({5})
stoßen Funklösungen schnell an ihre natürlichen Grenzen. Wenn in einem solchen Funknetz nicht nur ich, sondern auch mein Nachbar größere Datenmengen laden
und verarbeiten will, dann verkommt die versprochene
hohe und stabile Übertragungsleistung schnell zur schönen Theorie. Deshalb müssen zu den Unterschieden zwischen vertraglich vereinbarter und tatsächlich zur Verfügung stehender Leistung bei Funklösungen klare,
transparente Informationen auf den Tisch.
Langfristig muss in der ganzen Fläche des Landes der
Ausbau des Glasfasernetzes vorangetrieben werden. Die
vorbereitenden Arbeiten - das wissen wir -, insbesondere der Tiefbau, machen hier 90 Prozent der Kosten
aus. Deswegen müssen die Arbeiten im Zuge einer Mitverlegungspflicht heute schon so ausgeführt werden,
dass die Aufrüstung später erleichtert wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politik
ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Vielerorts haben
sich Kommunen - das wurde auch schon erwähnt - im
Sinne der angesprochenen Daseinsvorsorge auf den Weg
gemacht. Sie gründen Zweckverbände - es war die Rede
von Genossenschaften und anderen Zusammenschlüssen -,
um die Breitbandversorgung für ihre Bevölkerung und
für die ansässige Wirtschaft zu verbessern. Insbesondere
in der Fläche,
({6})
wo die Kosten pro Anschluss kaum refinanziert werden
können, müssen wir die Kommunen dabei unterstützen.
Der bürokratische Aufwand für die Projektierung
selbst - der Kollege hat es angesprochen -, aber auch für
die Erlangung der unterschiedlichsten Fördermittel muss
dabei vor allem für die Kommunen deutlich reduziert
werden.
Einen erfolgreichen und schnellen Breitbandausbau
werden wir nur auf den Weg bringen können, wenn auch
die finanziellen Mittel dafür gewährleistet sind; der
Punkt ist ebenfalls schon angesprochen worden. Basierend auf einer eher konservativen Kostenaufstellung haben wir deutlich gemacht - da waren sich alle Fachpolitiker einig -, dass für den anvisierten Breitbandausbau,
den wir uns vorgenommen haben, pro Jahr mindestens
1 Milliarde Euro investiert werden müsste. Erwartet
wird jetzt, dass durch die Versteigerung von freiwerdenden Funkfrequenzen einmalig rund 1 Milliarde Euro
oder etwas mehr erzielt werden kann. Selbst wenn diese
Einnahmen zu 100 Prozent in den Breitbandausbau gingen, wären wir von der notwendigen Bereitstellung von
1 Milliarde Euro pro Jahr weit entfernt. Ich möchte deshalb hier deutlich sagen: Wenn wir die Potenziale, die
mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
verbunden sind, ausschöpfen wollen, wenn wir mit der
internationalen Entwicklung Schritt halten wollen, dann
muss der Bund bereit sein, künftige Haushaltsspielräume
hierfür zu nutzen.
({7})
Die Koalition muss hier auch ein Zeichen setzen: Investitionen in die digitale Infrastruktur sind prioritär. Zur
Nutzung der sogenannten Digitalen Dividende II müssen
Bund und Länder zu einer guten gemeinsamen Strategie
zusammenfinden, um weitere Investitionsmittel für den
Breitbandausbau freizumachen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist ein modernes und ein wohlhabendes Land.
Chancengleichheit, Innovation und eine starke Wirtschaft waren auf dem Weg dahin unsere Erfolgsmotoren,
und das sollen sie auch bleiben. Um nicht einen Schritt
zurück zu machen, sondern weiter nach vorn zu gehen,
müssen wir uns für die Digitalisierung von Wirtschaft
und Gesellschaft starkmachen, also für den Ausbau der
Breitbandversorgung.
Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dürfen den vorliegenden Antrag deshalb durchaus als Auftrag verstehen, Deutschland zu einem - wie heißt es so schön? modernen Land mit modernen Netzen zu machen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Frau Kollegin, wenn Sie noch eine Sekunde stehen
bleiben würden. - Sie hatten die Zeit leicht überzogen.
Das hatten Sie schon selbst gemerkt, und deswegen haben Sie einfach weitergesprochen, statt mir zuzuhören.
Es gibt aber noch den Wunsch des Kollegen Behrens
von der Linken, eine Frage zu stellen. Wenn Sie die noch
zulassen, haben Sie Gelegenheit, präzise und kurz darauf
zu antworten. Mögen Sie sie zulassen?
Ich lasse das zu. Bitte schön.
Bitte schön.
Vielen Dank, Kollegin Esken, dass Sie das noch zulassen! - Sie haben eben von Zeichen und auch von Geld
gesprochen. Nun habe ich in einer Antwort des Ministeriums erfahren, wie es denn um die Finanzierung und
den Einstieg in den Ausbau der Netze steht. In der Antwort wird uns mitgeteilt:
Von Bund und Ländern werden - unter Einbeziehung der EU-Mittel - in den nächsten Jahren rund
zwei Milliarden Euro für den Ausbau hochleistungsfähiger Breitbandnetze eingesetzt.
Ist das das Zeichen, von dem Sie sprechen, oder ist es
schon das Geld, was zu erwarten ist?
({0})
Ich denke, dass es ein guter Anfang ist. Das ist der
bisherige Stand. Ich habe von einer gemeinsamen
Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
gesprochen. Ich denke, wenn wir uns zusammentun,
können wir das auch leisten.
Danke schön.
({0})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
uns als Netzpolitiker stehen die Chancen des Internets
im Vordergrund: das gesamte Wissen der Welt mit einem
Mausklick überall verfügbar, zumindest theoretisch.
Bei aller Faszination, die von den ungeahnten Möglichkeiten im Netz ausgeht: Grundlegende Voraussetzung für die Teilhabe an den Chancen der digitalen Ge4136
sellschaft ist und bleibt der physische Zugang zum
Internet selbst.
Breitband ist Standortfaktor Nummer eins. Das ergab
vor kurzem eine Umfrage für die Breitbandstudie 2014
des Verbands BREKO. Für mittelständische Unternehmen und Selbstständige ist die Fähigkeit, vielfältige Informationen und große Datenmengen - von Verträgen
bis hin zu komplexen technischen Zeichnungen - mit
Kunden und Partnern weltweit jederzeit rasch und verlässlich austauschen zu können, zu einem entscheidenden Faktor in einem internationalen Wettbewerb geworden.
Aber auch die Attraktivität einer Gemeinde als Wohnstandort hängt inzwischen vom Internetzugang ab. Ohne
Zugang zu schnellem Internet sind Orte nicht nur für
junge Familien als Wohnstandort unattraktiv, Einfamilienhäuser an derartigen Standorten erweisen sich daher
zunehmend als praktisch unverkäuflich.
Eine „digitale Spaltung“ unseres Landes können und
dürfen wir uns nicht leisten. Es wäre doch geradezu absurd, wenn wir die mit dem Internet verbundenen Chancen zur Dezentralisierung vieler Funktionen und Aktivitäten in ihr krasses Gegenteil verkehren würden. Wenn
die erforderliche Infrastruktur nur in den Ballungsräumen verlässlich zur Verfügung stünde, wären die
volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten einer solchen Fehlentwicklung auf Dauer immens.
Deshalb brauchen wir ein modernes Netz für ein modernes Land, und zwar flächendeckend und so rasch wie
möglich. Natürlich wäre - jedenfalls nach heutigem
Stand der Technik - ein flächendeckendes Glasfasernetz
das Idealziel. Das sollte es vor allem längerfristig auch
bleiben. Über den Investitionsbedarf von gut 90 Milliarden Euro, der dafür notwendig wäre, ist schon gesprochen worden. Zu erwähnen ist hier auch, dass die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für den Mehrwert des
schnellen Netzes nur eingeschränkt ausgeprägt ist.
Deswegen ist der flächendeckende Breitbandausbau
mit 50 MBit pro Sekunde bis 2018 ein richtiges und
wichtiges Etappenziel, aber nur ein Etappenziel auf einem Weg, der weiterführen muss. Dazu müssen wir
- das ist schon gesagt worden - in einem ersten Schritt
auf einen breiten Technologiemix setzen. Kernstück ist
natürlich der zielgerichtete Ausbau der Kabel- und
Glasfasernetze, ergänzt durch die Möglichkeiten, die die
moderne Mobilfunktechnologie mit LTE und Next
Generation Mobile Networks, NGMN, bietet. Damit
können wir in bisher unversorgten Gebieten Lücken
schließen, aber auch die Voraussetzung für die Nutzung
zukünftiger mobiler Anwendungen schaffen.
Mobiles Internet - vor wenigen Jahren kaum vorstellbar - ist durch die rasante Verbreitung von Smartphones
und Tablets, nicht nur in diesem Hause, bereits allgegenwärtig. Aber 76 Prozent der Internetnutzungen mit
mobilen Endgeräten erfolgen in festnetzgebundenen
WLAN-Netzen. Auch deshalb brauchen wir in Deutschland eine möglichst weitgehende Verfügbarkeit von allgemein zugänglichem WLAN, wie es bereits in vielen
anderen Ländern Standard ist.
({0})
Dazu müssen wir Rechtsunsicherheiten - Stichwort
„Störerhaftung“ - möglichst rasch beseitigen.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die notwendige Festnetzinfrastruktur für Mobilfunk und
WLAN mit dazu beiträgt, Glasfaser immer näher an den
Endkunden heranzubringen.
Für das Erreichen des Ziels bis 2018 kommt aber vor
allem der Ertüchtigung der bestehenden DSL-Infrastruktur durch sogenanntes Vectoring eine besondere Bedeutung zu. Allerdings kann Vectoring immer nur von einem einzelnen Netzbetreiber in einem Leitungsbündel
eingesetzt werden, das heißt, der Betreiber benötigt die
Kontrolle über sämtliche Leitungen, die an dem jeweiligen Kabelverzweiger ankommen.
Hier müssen wir durch wirksame Regulierung dafür
sorgen, dass dies möglich ist, aber weiterhin auch
Wettbewerb sicherstellen, und zwar nicht nur den
Wettbewerb der Infrastrukturanbieter um die einzelnen
Kabelverzweiger - Stichwort „Vectoring-Liste“ der
Bundesnetzagentur -, sondern darüber hinaus auch den
weiteren diskriminierungsfreien Wettbewerb unterschiedlicher Leistungsanbieter auf dieser Infrastruktur.
Wir brauchen nicht nur den Wettbewerb der Technologien, sondern auch den Wettbewerb unterschiedlicher
Infrastruktur- und Dienstleistungsanbieter. Es wäre ein
gewaltiger Irrweg, zu glauben, mit einer weitgehenden
Remonopolisierung, ob verdeckt oder offen, wäre der
Netzausbau durch große nationale Anbieter effektiver zu
erreichen. Das Gegenteil ist häufig der Fall. Es sind doch
gerade die kleineren, alternativen Netzbetreiber, die für
einen deutschlandweiten Ausbau mit Highspeed-Internet
unentbehrlich sind.
({1})
So haben sich zum Beispiel die alternativen Netzbetreiber des BREKO-Verbandes mit dem Start ihrer
Glasfaseroffensive bei entsprechenden politischen und
regulatorischen Vorgaben dazu verpflichtet, bis zum Jahr
2018 bis zu 9,1 Milliarden Euro zu investieren und damit bis zu 11,2 Millionen Anschlüsse - das sind nahezu
75 Prozent der Anschlüsse außerhalb der Ballungszentren - mit Bandbreiten bis zu 50 MBit pro Sekunde zu
versorgen.
Ein typisches Beispiel für die Bedeutung alternativer
Anbieter findet sich in meinem ländlich geprägten Wahlkreis. Das ist bei vielen Kollegen ähnlich. Bei uns investiert derzeit die KEVAG Telekom als Tochter des regionalen Energieversorgers evm 18 Millionen Euro in die
Anbindung von mehr als 150 Ortsgemeinden durch
mehr als 250 Kilometer Glasfaserleitung.
Oftmals ist es ja gerade erst dieser Wettbewerb, ob
durch Kabelanbieter oder regionale Anbieter, der einen
großen Player wie die Telekom dazu bringt, selbst aktiv
zu werden, dann auf einmal auch in Regionen, die aus
der Sicht eines großen Versorgers lange Zeit offenbar
keine Relevanz hatten.
Ein praktisches Beispiel dafür findet sich ebenfalls in
meinem Wahlkreis. In der Verbandsgemeinde Montabaur errichtet die VGM-net, eine kommunal getragene
Anstalt öffentlichen Rechts, derzeit für 2,3 Millionen
Euro ein Glasfasernetz, über das künftig 13 000 Einwohner in 16 kleineren Gemeinden mit schnellem Internet
versorgt werden können. Das ist im Übrigen eine kommunale Eigeninitiative, die ohne Fördermittel des Landes Rheinland-Pfalz auskommt. Erst als das zunächst
noch deutlich größer angelegte Projekt bereits auf den
Weg gebracht war, erklärte sich die Telekom, nachdem
zuvor jahrelange Gespräche vergeblich geblieben waren,
plötzlich bereit, die Versorgung des Kerngebiets der
Stadt Montabaur selbst zu übernehmen. Wettbewerb
wirkt!
({2})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir stehen in der Tat erst am Anfang des digitalen Zeitalters, das von rasanten Entwicklungen geprägt
ist: Smartphone, Tablet-PC, modernes Auto, Internet der
Dinge, das alles wird unseren Alltag noch viel mehr
durchdringen. In fast allen gesellschaftlichen Bereichen
haben digitale Technologien bedeutenden Einfluss darauf, wie wir leben und arbeiten. Ohne das Internet wären die digitale Wirtschaft oder Industrie 4.0 nicht denkbar.
Der Breitbandausbau und damit die Möglichkeit, am
schnellen Internet teilzuhaben, ist deshalb kein Selbstzweck. Er ist essenziell für die weitere wirtschaftliche
und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands als ein
modernes und zukunftsfähiges Land.
Vielen Dank.
({3})
Ich freue mich, dem Abgeordneten Stefan Zierke,
SPD-Fraktion, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag das Wort zu geben.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir reden heute über 40 Prozent der deutschen Bevölkerung, die nicht am Internet teilhaben können. Wir reden nicht über die 60 Prozent, die sich aussuchen können, mit wem sie denn ins Internet gehen. Liebe
Kollegen von der Linksfraktion und von der Fraktion der
Grünen, helfen Sie doch diesen 40 Prozent der
Deutschen, damit auch sie 2018 Internetzugänge haben
können, und unterstützen Sie die Daseinsvorsorge der
Regionen vor Ort.
({0})
- Ich kann dem Kollegen, der gesagt hat, dass Sie immer
zwischenrufen und pessimistisch sind, nur zustimmen.
Ich möchte den Menschen in ländlichen Regionen
helfen. Ich möchte dafür auch einige Beispiele bringen.
Ich komme aus der Uckermark. Wer die Uckermark
nicht kennt: Sie liegt 90 Kilometer nördlich von Berlin.
Diese Region hat erhebliche Probleme. Bei uns in der
Uckermark verfügen nur 5 Prozent der Haushalte im
ländlichen Raum über einen Breitbandzugang mit einer
Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde. Das
heißt, 95 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum
können zum Beispiel gar nicht meine heutige erste Rede
über den Livestream des Bundestages miterleben.
({1})
- Ja, das ist traurig; aber 95 Prozent der Haushalte können auch Ihre Reden nicht miterleben. ({2})
In 24 von 48 Gemeinden existiert gar kein schnelles Internet.
Über Teilhabe und gleiche Wettbewerbsbedingungen
für urbane und ländliche Räume wurde heute schon viel
diskutiert. Ich möchte einen typischen Architekten zitieren - das Beispiel wurde schon genannt -, den es in der
Uckermark wirklich gibt. Er hat gesagt: Die Standortvorteile, die die Uckermark aufweist - die Ruhe und die
Natur, die mir ein Ausleben der Kreativität ermöglichen,
das ich für meinen Beruf wirklich brauche -, sind sehr
gut, die Baukosten sind niedrig; aber leider kann ich
nicht an den Standort kommen, weil ihr es nicht schafft,
eine Datenleitung bereitzustellen, über die ich mit meinen Partnern, die überall auf der Welt sind, über Videokonferenzen kommunizieren kann und meine architektonischen Leistungen per Datenpaket an meine Partner
weitergeben kann. - Das muss geändert werden, und das
wollen wir mit diesem Antrag bis 2018 ändern.
({3})
Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Herz und Blut
Tourismuspolitiker bin. Im ländlichen Raum ist gerade
der Tourismus einer der Wirtschaftsfaktoren, mit dem
man Defizite in anderen Wirtschaftszweigen, die momentan nicht mehr ihre Blüte erreichen, auffangen kann
und wirtschaftliche Potenziale heben kann. Was stört
aber momentan die Entwicklung des Tourismus im ländlichen Raum? - Es ist der fehlende Zugang zum Internet.
Es geht nicht nur darum, dass die Hoteliers ihre Angebote im Internet weltweit präsentieren wollen, sondern
auch darum - das ist der umgekehrte Fall -, dass diejenigen Gäste, die sich ihre Reisen zum größten Teil im Internet aussuchen - es sind 60 Prozent -, nur die Reisen
finden, die dort zu finden sind. Im Internet findet man
nicht so viele Angebote zu Reisen in den ländlichen
Raum, obwohl die Leistungsfähigkeit der dortigen Tourismusbranche groß ist. Der fehlende Zugang zu schnellem Internet ist ein großer Nachteil. Ich hoffe, dass wir
diesen Nachteil mit dem Antrag ausmerzen und damit
dem Tourismus im ländlichen Raum einen Wachstumsschub geben können.
({4})
Ich bin im Verkehrsausschuss, und Verkehre im ländlichen Raum interessieren mich. Ich habe festgestellt
- da kann man ruhig die Berliner als Beispiel nehmen -,
dass sich die Berliner sehr gut in ihrem S-Bahn-Netz
auskennen; sobald sie aber in den ländlichen Raum gehen und nicht mehr gesicherten Zugriff auf eine Reisekette verschiedener Verkehrsträger haben, fällt es den
Berlinern sehr schwer, den Nahverkehr zu nutzen. Ein
Internetzugang und eine flächendeckende Funkverbindung für Mobiltelefone erleichtern es den Gästen erheblich, die verschiedenen Verkehrsträger zu nutzen, die
aufeinander abgestimmt sind. Sie erhalten einen viel
besseren Zugang zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr, wenn sie sich mithilfe ihres Smartphones und des
Internets ihre Reiseketten zusammenstellen können und
damit viel sicherer zum Ziel, zur Destination, zum gebuchten Haus kommen. Das ist Fortschritt. Ich denke,
die Regionen brauchen diesen wirtschaftlichen Fortschritt.
({5})
Das erreichen wir nur mit unserem Antrag, mit dem wir
bis 2018 einen flächendeckenden schnellen Internetzugang schaffen wollen.
Ich habe noch zwei Sekunden Redezeit, muss aber
einfach noch ein paar Worte zur Bildung loswerden; als
Sozialdemokrat muss man die Bildung ansprechen. Entschuldigen Sie die Überziehung! - Schüler, die in meiner
Heimatstadt Prenzlau auf das Gymnasium gehen, erhalten vom Lehrer die Aufgabe, im Internet zu recherchieren. Alle, die in Prenzlau wohnen, sagen: Kein Thema;
ich bin in einer halben Stunde zu Hause und recherchiere. - Diejenigen, die aus dem ländlichen Raum kommen und nach der Schule noch eine Dreiviertelstunde
lang in ihr Dorf fahren müssen, fragen sich: Wie soll ich
im Internet recherchieren? Meine Heimat ist ja gar nicht
angebunden. - Das heißt, sie haben schon bei der Aufgabenstellung den Stress und fragen sich: Wo komme ich
wie ins Internet, um diese Aufgabe zu lösen?
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bitte unterstützen
Sie alle diesen Antrag, damit unsere Schülerinnen und
Schüler im gesamten ländlichen Raum die Möglichkeit
haben, Bildungsangebote wirklich wahrzunehmen.
Vielen Dank.
({6})
Wir gratulieren dem Kollegen Stefan Zierke zu seiner
ersten Rede im Deutschen Bundestag
({0})
und sind sicher, dass er in Zukunft die Redezeit ordnungsgemäß einhalten wird. Sie können das dann wieder
abarbeiten. Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen weitere interessante Debatten.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dieser
Jungfernrede, Herr Kollege. Sie hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig eine gute Breitbandinfrastruktur ist.
Im Übrigen habe ich heute auch gelernt, dass der Berliner den Mut haben soll, einmal ins Umland zu fahren.
Das war ein starkes Plädoyer.
({0})
- Sagt der Düsseldorfer, ganz genau. Sie werden es nicht
glauben: Ich war in meinem Leben sogar schon mal in
Köln. Es geht nichts über interkulturellen Austausch.
Nach all den Beiträgen, die wir heute zum Thema
Breitbandausbau gehört haben, ist mir wichtig, festzuhalten: Wir sind viel besser, als es in manchen Reden
klingt. Das möchte ich anhand eindrucksvoller Zahlen
belegen.
Hier wird oft nur über die Kabel geredet. Aber das,
worauf es ankommt, ist doch: Wie viele Menschen nutzen die Dienste?
({1})
Noch vor rund fünf Jahren, im Jahr 2008, haben lediglich 55 Prozent der deutschen Haushalte tatsächlich einen Breitbandanschluss gehabt. Laut Eurostat ist dieser
Anteil in den letzten Jahren von 55 Prozent auf 85 Prozent gestiegen. Es ist ein großer Erfolg der Politik der
letzten Jahre,
({2})
dass wir in Deutschland mittlerweile eine so hohe Verfügbarkeit und auch Nutzung von Breitbandanschlüssen
haben. Damit liegen wir immerhin auf Platz vier, nur
drei Punkte hinter dem Spitzenreiter Finnland. Ich glaube,
das kann sich sehen lassen.
({3})
Wir müssen, wenn wir sehr detailliert beschreiben,
wie wir unsere Ziele beim Breitbandausbau erreichen
wollen, auch an die Nutzung denken; das ist für mich ein
wichtiger Punkt, der nicht vergessen werden darf. Ich
persönlich finde es, ehrlich gesagt, absolut unbefriedigend, dass im Jahr 2014 in der Schule das Thema Medien immer noch stiefmütterlich behandelt wird.
({4})
Wir müssen uns wirklich dafür einsetzen, dass die Chancen, die das Internet auch im Bereich Bildung bietet, erkannt und nutzbar gemacht werden. Wir reden viel zu
viel über Risiken. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nennen.
Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat einen Erlass herausgegeben, der jeden Schüler ab der
zehnten Klasse dazu verpflichtet, sich einen Grafiktaschenrechner für 85 Euro zu kaufen. In meinem Wahlkreis gibt es mehrere Schulen, die sagen: Da können wir
doch eigentlich gleich ein Tablet anschaffen; das kostet
nicht viel mehr, aber man kann viel mehr damit machen,
zum Beispiel auf Wikipedia zugreifen oder ausländische
Zeitungen lesen etc. Die NRW-Landesregierung sagt:
Nein, das dürft ihr nicht, ihr müsst diesen Grafiktaschenrechner kaufen, und keiner darf vom Plan abweichen. Da unser Koalitionspartner eventuell bessere Drähte
nach Nordrhein-Westfalen hat, wünschen wir uns von
ihm, dass er hier aktiv wird; denn da gibt es noch Luft
für Verbesserungen.
({5})
Zum Thema „Internet und seine Entwicklung“. Wir
diskutieren darüber, ob 50 Megabit pro Sekunde eigentlich ein ambitioniertes Ziel oder ein realistisches Ziel
sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Zahl
nennen. Die erste mobile Internetnutzung über paketvermittelte Netzwerke gab es im Jahr 2000 mit 38 Kilobit
pro Sekunde; das hat übrigens sogar für den DB-Navigator gereicht, aber für viel mehr auch nicht.
({6})
Zehn Jahre später war man schon bei 3,6 Megabit pro
Sekunde. Wir sehen, dass sich die Datenmengen in diesem Zeitraum um den Faktor 100, in anderen Bereichen
sogar um den Faktor bis zu 1 000 erhöht haben.
So wird es weitergehen. Weitere Anwendungen werden folgen. Es wird immer wieder von Unternehmen berichtet, die im ländlichen Raum Probleme haben. Ich
höre vielmehr von Bürgermeistern, die sich darüber Sorgen machen, wie sie Anreize schaffen könnten, damit
sich Familien mit kleinen Kindern ansiedeln; denn heutzutage ist es so: Wenn kein YouTube in HD zur Verfügung steht, dann ist der Familienfrieden in ernsthafter
Gefahr.
({7})
- Für die Jugendlichen. - Dieses Problem darf man nicht
zu gering ansehen.
Es ist wichtig, auf mobile Lösungen zu setzen. Das
zeigt gerade das Thema Automobil, worüber hier viel
diskutiert wird. Wenn das autonome Auto seine gesamte
wundervolle Funktionalität im Ballungsgebiet, im städtischen Raum entfalten kann, der Fahrer aber im ländlichen Raum selbst die Kontrolle übernehmen muss, weil,
zum Beispiel, wenn man nach Brandenburg fährt, die
Netze nicht funktionieren, dann ist das ein zentrales Problem. Deshalb ist es sehr wichtig, einen Schwerpunkt
beim Thema Mobile zu setzen. Ich glaube, dass die mobile Anwendung in Zukunft noch viel wichtiger sein
wird als die kabelgebundene.
Mein Plädoyer geht hier deutlich an die Länder und
insbesondere an die Intendanten der Rundfunkanstalten.
Ich persönlich finde das Vorgehen beim Thema terrestrisches Fernsehen total unambitioniert. Das sage ich einfach einmal in voller Härte. Ich war vor einigen Tagen
mit einem alten Freund in einer Kneipe und habe dort
ein WM-Spiel angeguckt. Der Fernseher war mit
DVB-T angebunden. Wir hatten Schwierigkeiten, überhaupt die Spielzeit abzulesen. Da fragte einer: Was für
ein komisches System habt ihr da? Wir können nicht einmal sehen, in welcher Minute gerade gespielt wird.
Das ist doch nicht mehr der Standard für terrestrisches
Fernsehen im Jahr 2014. Wenn die ARD erklärt, dass
man den Umstieg auf hochauflösendes Antennenfernsehen erst in fünf Jahren schafft, finde ich das unambitioniert. Ich wünsche mir das früher, zur Europameisterschaft 2016. Wenn RTL das kann, werden doch die
Öffentlich-Rechtlichen das mit unseren ganzen Gebühren erst recht hinbekommen können!
({8})
Wichtig ist aber nicht nur die Frage des Mobilfunkinternets, sondern auch die Frage des drahtlosen Internets über WLAN. Auch hier behandelt der Antrag einen
Punkt aus unserer Koalitionsvereinbarung. Ich glaube, es
ist wichtig, hier schnell nachzulegen. Das jetzige Recht,
dass man als Provider seine Kunden gar nicht mehr genau identifizieren muss - durch Richterrecht entstanden -, man aber als Betreiber eines Restaurants oder eines Cafés oder eines Hotels genau festlegen muss, wer
der Nutzer gewesen ist, finde ich nicht fair, insbesondere
den Kleinen gegenüber nicht. Beim Thema WLAN müssen wir den Koalitionsvertrag sehr schnell erfüllen und
die Haftungsvoraussetzungen so verändern, dass auch in
Deutschland ein WLAN-Anschluss flächendeckend und
problemlos möglich wird.
({9})
Vorhin ist verschiedentlich das Thema Netzneutralität
beleuchtet worden. Auch dazu möchte ich gern etwas sagen, zumal das Europäische Parlament dazu gerade Beschlüsse gefasst hat. Bei der Netzneutralität ist aus unser
aller Sicht wichtig, dass niemand diskriminiert wird,
dass alle die gleichen Zugangschancen bekommen und
dass dem Endkunden nicht einfach irgendwelche
Dienste abgedreht werden, dass es nicht zu einem Internet der Deals kommt. Das alles haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Sie können es nachlesen. Wir haben
es auch in unserem Antrag genau so geschrieben.
Ich finde auch wichtig, dass man beim Thema Netzneutralität den Blick auf die Innovationen richtet; denn
am Ende - glaube ich - müssen wir hier Regelungen
treffen, die Innovationen ermöglichen. Wir sind uns dabei alle einig, dass bestimmte Maßnahmen zum Netzwerkmanagement einfach schon deshalb wichtig sind,
weil man Dienste wie beispielsweise E-Health anbieten
kann. Wir haben aber auch gesehen, dass es Dienste wie
zum Beispiel IP-TV gibt - von der Deutschen Telekom
mittlerweile schon mit erheblichem Marktvolumen -,
aber auch Dienste, mit denen man Musikstreaming auf
dem Mobiltelefon realisieren kann, und zwar, indem
man dafür im Monat 10 Euro mehr bezahlt und für diese
Art von Diensten aus der Volumenbeschränkung herauskommt. Ich wünsche mir nicht, dass das für alle Anbieter
gelten muss. Aber das sind Innovationen, die wir nicht
kaputtmachen dürfen. Solche Innovationen müssen meiner persönlichen Meinung nach auch in Zukunft möglich
sein. Deshalb darf man den Innovationsaspekt nicht vernachlässigen.
Zum Thema Volumenbeschränkung. Die Kollegin
Wawzyniak hat leider vorhin hier am Rednerpult meine
Frage nicht angenommen. Wenn man von Volumenbeschränkungen beim Mobilfunk spricht, muss man feststellen: Das ist etwas, was es früher auch im Festnetz
gegeben hat. Mein erster DSL-Anschluss hatte ein Volumen von 5 Gigabyte. Das erschien einem damals als die
Welt; heute ist es nicht mehr so viel. Insofern ist es einfach der technischen Restriktion geschuldet. Ich bin mir
sicher, beim Mobilfunk wird sich das ähnlich wie beim
Festnetz entwickeln. Das ist sicherlich keine der Fragen,
die wir im Zusammenhang mit dem Punkt Netzneutralität lösen müssen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich dafür,
dass wir dieses komplexe Antragswerk hinbekommen
haben, und zwar nicht nur bei meinen eigenen Kollegen,
bei Uli Lange, bei der Bundesregierung, bei Doro Bär,
die mit der Netzallianz einen ganz hervorragenden Job
macht, sondern auch bei unserem Koalitionspartner. Ich
habe gestaunt, wie oft ich einem Sozialdemokraten zustimmen musste, wenn Martin Dörmann gesprochen hat.
Dafür danke ich dir vielmals.
({10})
Insofern bin ich überzeugt: Wir werden etwas Gutes zuwege bringen.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1973 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel
machen
Drucksache 18/1874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung
Drucksache 18/7
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
Drucksache 18/879
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann,
Fraktion Die Linke.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, insbesondere aus Hameln! Wir haben heute Morgen über das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie diskutiert. Ein ganz wichtiger
Teil hat aus unserer Sicht dabei gefehlt, und zwar die
Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen.
({0})
Seit dem 1. Mai 1985 haben die Arbeitgeber mit dem
Beschäftigungsförderungsgesetz die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse ohne Angabe von Gründen zu befristen. Die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse
hat sich seitdem verdoppelt. Jede zweite Neueinstellung
erfolgt sachgrundlos befristet. Von den sachgrundlosen
Befristungen hat sich Schwarz-Gelb damals große beschäftigungspolitische Effekte erhofft. Wie zu erwarten
war, sind diese nicht eingetreten. Stattdessen sind immer
mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse durch befristete
ersetzt worden. Das ist ein Drehtüreffekt nach unten.
Sachgrundlose Befristungen haben in Deutschland
Hochkonjunktur. Die Arbeitgeber begründen ihre Vorliebe für Befristungen mit Sätzen wie diesen: Was denn?
Wir machen das doch nur, weil es gesetzlich erlaubt ist.
Wir machen das doch nur, weil wir es machen dürfen.
Was wollen eigentlich die Beschäftigten? Knapp
90 Prozent ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wichtig. Das zeigt eine Umfrage der IG Metall aus dem letzten Jahr unter Beschäftigten. Im Grunde fordern alle Gewerkschaften die Abschaffung der sachgrundlosen
Befristungen. Wir finden das gut und laden die Gewerkschaften ein, mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen.
({1})
Lassen Sie mich ein paar Sätze zu den Folgen von Befristungen für die Beschäftigten sagen. Hier gibt es zwei
große Probleme: Die Arbeitsschutzgesetze werden
ausgehöhlt, und die Qualität der Arbeit leidet. Eine
Befristung führt praktisch zu einer Ausweitung der
gesetzlichen Probezeit. Darüber hinaus können die Unternehmen unliebsame Beschäftigte, beispielsweise kritische Betriebsräte, werdende Mütter und Menschen mit
Behinderungen, einfacher loswerden als in anderen Fällen.
Aber auch eine Krankmeldung kann im Zweifel
schon zu einem Problem werden. Das zeigt das Beispiel
einer befristet Beschäftigten bei der Deutschen Post. Die
Kollegin hatte über einen Zeitraum von 17 Jahren - ich
wiederhole: 17 Jahre - mehr als 80 Arbeitsverträge, um
ihren Job zu behalten. Das allein ist schon ein Unding.
({2})
Weil sie Anfang des Jahres krankheitsbedingt ausgefallen ist, wurde ihr Vertrag nicht weiter verlängert. Das
zeigt: Wer für den Arbeitgeber unbequem ist oder seine
Rechte einfordert, läuft Gefahr, nach Ablauf der Befristung nicht weiterbeschäftigt zu werden. Nur durch massiven Druck ist es gelungen, zu erreichen, dass diese
Frau einen unbefristeten Vertrag bekommen hat. Das ist
eine unglaubliche Geschichte. So etwas darf es einfach
nicht geben.
({3})
Auch für die Qualität der Arbeit ist es entscheidend,
ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht; denn wer
befristet beschäftigt ist, hat Angst vor dem Verlust seiner
Arbeit und hält deswegen lieber die Klappe. Wer befristet beschäftigt ist, wehrt sich nicht gegen Ungerechtigkeit und beteiligt sich auch nicht an so etwas wie Warnstreiks oder Streiks im Betrieb; das ist der
Zusammenhang zum Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Nur so kann man auch die Tarifautonomie stärken.
({4})
Wer befristet beschäftigt ist, kann deshalb nie seine
Rechte als Beschäftigter in vollem Umfang wahrnehmen. Das darf es aus unserer Sicht in Deutschland nicht
länger geben. Besonders schlimm finde ich, dass viele
junge Menschen davon betroffen sind. Jeder zweite Berufseinsteiger wird heute nur noch befristet eingestellt.
Das erschwert nicht nur die berufliche Lebensperspektive, sondern auch die Lebensplanung für die Zukunft.
Dass die Große Koalition dies nicht anerkennt, zeigt, wie
unwichtig ihr diese Generation praktisch ist, Fachkräftemangel hin oder her. Dabei war gerade die SPD auf dem
richtigen Weg. Wir alle erinnern uns: Noch vor neun
Monaten war auch die SPD für die Abschaffung sachgrundloser Befristungen. Das stand in ihrem Wahlprogramm. Jetzt schweigen Sie und hoffen, dass es keinem
auffällt. Aber nicht mit uns!
({5})
Meine Fraktion und ich werden dafür sorgen, dass das
Thema Befristung weiterhin präsent bleibt. Ich kämpfe
nicht umsonst seit 1985 gegen befristete Arbeitsverhältnisse. Wir werden so lange nicht locker lassen, bis das
unbefristete Arbeitsverhältnis in Deutschland wieder zur
Regel wird.
Vielen Dank.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute zwei Vorlagen der Fraktion
Die Linke zur Befristung von Arbeitsverhältnissen nach
dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. In Ihrem Gesetzentwurf geht es um die Abschaffung der sachgrundlosen
Befristung. Ihr Antrag trägt den Titel „Das unbefristete
Arbeitsverhältnis zur Regel machen“.
({0})
- Ich habe Sie zunächst einmal nur zitiert.
({1})
Zunächst sei dazu Folgendes erwähnt: Als Neuling
hier im Hause war ich im Rahmen des Verfahrens schon
überrascht, Ihren Gesetzentwurf zur Abschaffung der
sachgrundlosen Befristung zu lesen. Grund hierfür war,
dass dieses Thema hier bereits in der letzten Legislaturperiode - es war im Jahre 2010 - beraten worden ist.
({2})
Interessant war in diesem Zusammenhang, zu erfahren,
dass Sie nun den gleichen Gesetzentwurf einbringen,
den in der letzten Wahlperiode die SPD-Fraktion eingebracht hat.
({3})
Ihr Gesetzentwurf datiert vom 23. Oktober 2013; das
war unmittelbar nach der Konstituierung des 18. Deutschen Bundestages, als die Koalitionsverhandlungen
stattfanden. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass
Sie die SPD-Fraktion vorführen wollen und nicht an einer sachlichen Diskussion interessiert sind.
({4})
Für mich ist das schlicht und ergreifend eine Sauerei.
Das muss an dieser Stelle einmal deutlich gesagt werden.
({5})
Zudem sind Ihre Vorlagen in sich widersprüchlich
und unschlüssig. Das stellt man fest, wenn man sich die
Zahlen und Fakten genau anschaut. In Ihrem Antrag
schreiben Sie, dass Sie unbefristete Arbeitsverhältnisse
zur Regel machen wollen. Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, stellt man jedoch fest: Dies ist bereits der
Fall, auch nach dem derzeitigen Teilzeit- und Befristungsgesetz. Seit 2006 liegt der Anteil der befristeten
Arbeitsverhältnisse in Deutschland gleichbleibend bei
unter 9 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass
91 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristeter Natur
sind.
({6})
Damit ist das unbefristete Arbeitsverhältnis bereits die
Regel und nicht die Ausnahme, wie von Ihrer Seite hier
fälschlicherweise vorgetragen wird.
Herr Kollege, es gibt eine Flut von Wünschen nach
einer Zwischenfrage; nein, es sind nur zwei. Der Herr
Kollege Ernst und die Frau Kollegin Krellmann wollen
eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen,
oder wollen Sie weitersprechen?
Nein, ich möchte sie nicht zulassen. Das muss sich
die Fraktion Die Linke jetzt einmal anhören.
({0})
Ich habe gerade gesagt, dass 91 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristeter Natur sind. Das ist ein eindeutig positives Signal für Deutschland und vor allen Dingen auch für das Teilzeit- und Befristungsgesetz.
Daneben ist die Zahl der befristeten Neueinstellungen
seit 2011 von seinerzeit etwas unter 1 Million auf nunmehr etwas unter 900 000 gesunken. Relativ gesehen ist
die Zahl der befristeten Neueinstellungen sogar bereits
seit 2009 von 47 auf 42 Prozent zurückgegangen. Von
einem Missbrauch der befristeten Arbeitsverhältnisse
kann daher nicht die Rede sein.
Weiter kommt das IAB auch zu dem eindeutigen Ergebnis, dass sachgrundlose Befristungen häufig das
Sprungbrett in eine unbefristete Beschäftigung bzw. in
ein unbefristetes Arbeitsverhältnis sind. Die Übernahmequote ist von 30 Prozent im Jahre 2009 auf derzeit
39 Prozent gestiegen. Das ist eine absolut positive Entwicklung, und diese sollten wir nicht durch eine Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes aufhalten.
({1})
Es muss uns doch ein Anliegen sein, Menschen in Beschäftigung zu bekommen. Ob das befristet oder unbefristet ist, sollte in meinen Augen zunächst einmal egal
sein, da es besser ist, zunächst einmal befristet als gar
nicht beschäftigt zu sein. Wir wissen, dass die Menschen
mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen auch eine
Beschäftigung haben. Das wüssten wir nicht - und wir
können uns auch kein Urteil darüber erlauben, ob das so
wäre -, wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe.
Wenn man die positive Entwicklung bei den Übernahmequoten sieht, die ich eben erwähnt habe, dann erkennt
man, dass es keine schlechte Aussicht ist, zunächst ein
befristetes Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Dabei ist
ausdrücklich zu betonen, dass eine sachgrundlose Befristung, wie sie angesprochen worden ist, nur für zwei
Jahre erfolgen kann. Ihr Beispiel wäre sicherlich einmal
juristisch zu überprüfen. Ob das nicht geschehen ist,
kann ich nicht beurteilen. Rein rechtlich kann dies aber
nur für zwei Jahre erfolgen. Sicherlich ist mir in diesem
Zusammenhang natürlich auch die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts bekannt. Diese Rechtsprechung
des höchsten Arbeitsgerichts in Deutschland sollte man
hier im Hause auch einmal akzeptieren.
Zudem sei erwähnt, dass eine Befristung mit Sachgrund ohne zeitliche Begrenzung vorgenommen werden
kann. Wenn Sie also Ihr Ansinnen konsequent fortsetzen
würden, dann müssten Sie die vollständige Aufhebung
des § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz verlangen. Das
tun Sie hier nicht, und daher ist Ihr Antrag in sich schon
einmal unschlüssig.
Die Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Teilzeit- und
Befristungsgesetz sollten so bestehen bleiben, wie sie
sind, da sie sich als arbeitsmarktpolitisches Instrument
absolut bewährt haben. Wir müssen schon schauen, dass
wir den Unternehmen auch flexible Instrumente an die
Hand geben, um auf besondere wirtschaftliche Situationen reagieren zu können, wie zum Beispiel bei Auftragsspitzen.
Ich betone noch einmal, dass fast 40 Prozent der befristeten neuen Arbeitsverhältnisse in ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis umgewandelt werden. Von Missbrauch
kann hier keine Rede sein,
({2})
zumal es die meisten befristeten Arbeitsverhältnisse im
öffentlichen Sektor und nicht in der freien Wirtschaft
- ich denke, Ihr Vorwurf zielt in diese Richtung - gibt.
({3})
Das müsste doch auch Sie von der Fraktion Die Linke
überzeugen.
({4})
Insgesamt ist zu bewerten, dass sämtliche Zahlen und
auch Feststellungen des IAB gegen Ihren Antrag sprechen. Dieser neutralen Einrichtung sollten Sie einmal
Glauben schenken, meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke.
Im Übrigen erlaube ich mir, auf den Inhalt des Protokolls aus dem Jahre 2010 zu diesem Thema zu verweiWilfried Oellers
sen, um die Diskussion hier nicht unnötig in die Länge
zu ziehen.
In der Hoffnung, dass wir nun nicht jedes Jahr über
solche Gesetzentwürfe und Anträge zu debattieren haben, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Zu einer Kurzintervention hat sich der Abgeordnete
Klaus Ernst, Fraktion Die Linke, gemeldet.
Lieber Kollege Oellers, der Vorwurf, wir wollten die
SPD vorführen, ist nun wirklich Quatsch. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass ich mich als ehemaliger Sozialdemokrat
- 30 Jahre lang! - zusammen mit meiner damaligen Partei immer dafür eingesetzt habe, dass Menschen ein
planbares Leben haben. Planbar heißt: Sie müssen wissen, ob sie in einem Betrieb beschäftigt werden, und
zwar nicht nur für ein halbes Jahr, für ein Jahr oder für
zwei Jahre, sondern für länger. Sie müssen ein planbares
Leben haben. Dieses Argument haben Sie überhaupt
nicht beachtet.
Wir reden darüber, dass junge Menschen eine Familie
gründen und dass sie sich am Anfang möglicherweise
verschulden sollen, weil sie wenig verdienen. Auch
8,50 Euro ist nicht gerade der Renner. Gleichzeitig verwehren wir den jungen Menschen eine planbare Perspektive, um ihr Arbeitsleben zu gestalten. Ich halte es
für sehr bedauerlich, dass Sie sich diesem Problem überhaupt nicht zuwenden, sondern bei dem bleiben, was Sie
bisher vertreten haben.
Ein zweiter Punkt. Wir haben heute Vormittag über
die Stärkung der Tarifautonomie gesprochen. Dieses Anliegen wollen Sie gemeinsam mit der Koalition verfolgen. Glauben Sie, dass Sie die Tarifautonomie stärken,
wenn Sie zulassen, dass Menschen für zwei Jahre ohne
eine Perspektive auf eine feste Anstellung beschäftigt
werden? Was glauben Sie, was diese Menschen ohne
feste Anstellung machen, wenn es zur Stärkung der Tarifautonomie erforderlich wird, dass einer der beiden Tarifpartner für seine Sache streikt? Glauben Sie, dass sich
jemand, der befristet beschäftigt ist, an einem solchen
Streik beteiligt, wenn er damit rechnen muss, gekündigt
zu werden? Glauben Sie, dass sich dieser Mensch wehrt,
wenn es um unbezahlte Überstunden oder um die Nichteinhaltung des Tarifvertrages geht? Nein!
In meiner Region erlebe ich es immer wieder, dass
Menschen aus einem Betrieb herausfliegen, sie im
nächsten Betrieb wieder mit einem befristeten Arbeitsvertrag eingestellt werden und sie nach zwei Jahren wieder in den ersten oder einen anderen Betrieb kommen,
und zwar wieder mit einer befristeten Anstellung. Viele
Menschen haben jahrelang nur befristete Jobs. Wenn das
Ihr Zukunftsmodell ist, wenn das Ihre Stärkung der Tarifautonomie ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht!
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Flexibilität erfordert Anpassungsfähigkeit. Die Beschäftigten in Deutschland sind in den
vergangenen Jahren äußerst anpassungsfähig geworden.
Unter dem Dogma der Flexibilisierung nehmen sie ständig wechselnde Arbeitszeiten in Kauf. Sie verleihen ihre
Arbeitskraft. Vor allem arbeiten sie aber immer häufiger
auf Zeit, also befristet. Ja, Flexibilität ist notwendig, aber
sozialverträglich. Deshalb sehen auch wir Reformbedarf.
Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Befristung
abschaffen.
({0})
Befristungen waren eigentlich als Brücke in dauerhafte Beschäftigung gedacht, aber das funktioniert zu
wenig. Befristungen führen die Beschäftigten stattdessen
häufig in eine Sackgasse. Von Qualifizierungsmaßnahmen und Karrieremöglichkeiten in einem Betrieb sind
sie per se ausgeschlossen. Sie verdienen weniger und haben häufiger Phasen der Erwerbslosigkeit. Alles zusammen führt zwangsläufig zu Problemen bei der Alterssicherung. Nehmen Sie, die Regierungsfraktionen, das
endlich zur Kenntnis.
({1})
Fast 3 Millionen Menschen hatten im letzten Jahr einen befristeten Job. Das sind zu viele! Manche von ihnen arbeiten sogar jahrelang befristet, wie etwa die Postbotin, die vor kurzem der Öffentlichkeit bekannt wurde,
weil ihr Vertrag 17 Jahre lang immer wieder befristet
wurde: 88 Mal insgesamt! Das ist unglaublich. Das
zeigt: Manche Arbeitgeber missbrauchen die Befristungsmöglichkeiten in unverantwortlicher Weise. Das ist
nicht akzeptabel.
({2})
Fast die Hälfte aller Befristungen hat keinen sachlichen Grund. Betroffen sind insbesondere Jugendliche
und junge Erwachsene. Eine aktuelle Untersuchung des
Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt
eindeutig zu dem Ergebnis: Die erste Phase des Erwerbslebens für junge Menschen ist heute instabiler und unsicherer als noch vor einigen Jahren. Befristete Arbeitsverträge erschweren die Lebens- und Familienplanung.
Die beruflichen Perspektiven sind unsicher, und Brüche
in den Erwerbsbiografien sind vorgezeichnet. Vor dem
Hintergrund des Fachkräftemangels ist das unverantwortlich. Aber vor allem für die jungen Menschen ist das
nicht gut und ermutigend erst recht nicht.
({3})
Natürlich sind flexible Möglichkeiten der Beschäftigung für die Wirtschaft in unserem Land wichtig. Die
heutigen Regelungen zur sachgrundlosen Befristung
werden aber inzwischen von manchen Unternehmen
hemmungslos ausgenutzt, beispielsweise in der Callcenterbranche. Wenn die soziale Verantwortung in Teilen
der Wirtschaft verloren geht, dann muss die Politik handeln.
({4})
Mir kann auch niemand erzählen, die Betriebe wären
ohne die sachgrundlose Befristung nicht mehr flexibel
genug in ihrer Personalplanung. Es gibt eine ausreichend
lange Probezeit. Kleine Betriebe sind ohnehin vom Kündigungsschutz befreit, und für die anderen gibt es noch
die Befristung mit sachlichem Grund. Wer gute Gründe
hat, kann also auch weiterhin befristen.
Vor der Bundestagswahl war das den Sozialdemokraten auch noch klar. Noch vor zwei Jahren forderte die
jetzige Ministerin Nahles wortgewaltig - ich zitiere -:
Schluss mit immer mehr befristeten Verträgen.
Sachgrundlose Befristung gehört abgeschafft.
Gut gebrüllt, Frau Nahles! Wo bleibt aber jetzt die entsprechende parlamentarische Initiative? Im Koalitionsvertrag sind die sachgrundlosen Befristungen mit keinem einzigen Wort erwähnt.
Wir hingegen bleiben bei unserer Haltung: Durch Befristungen darf weder das unternehmerische Risiko auf
die Beschäftigten übertragen noch der Kündigungsschutz umgangen werden. Nur so wäre es richtig und
fair.
({5})
Deshalb werden wir heute dem Gesetzentwurf der
Linken zustimmen,
({6})
auch wenn wir im Detail geringfügig andere Schwerpunkte setzen. Entscheidend ist und bleibt: Flexible Arbeitsverhältnisse dürfen keine Einbahnstraße sein. Denn
die Menschen brauchen soziale Sicherheit.
Vielen Dank.
({7})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Fakt ist: Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden heute nur noch befristet eingestellt. Häufig geschieht dies sogar ohne jegliche sachliche Begründung. Die Beschäftigten wissen
dann oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob sie übernommen werden oder nicht bzw. ob sie in die Arbeitslosigkeit entlassen werden oder wieder eine Chance bekommen. Das finden wir falsch. Deshalb stimmen wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Ziel
des vorliegenden Gesetzentwurfs der Linken, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen, inhaltlich durchaus
zu.
({0})
In der letzten Legislaturperiode - bereits im Mai 2010 haben wir zu diesem Thema einen Antrag mit dem Titel
„Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“ vorgelegt, übrigens vor den Initiativen von Linken
und Grünen.
({1})
In unserem Wahlprogramm steht - ich zitiere:
Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von
Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.
({2})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nach wie vor.
Das ist die SPD-Position.
({3})
Denn wir wollen erstens nicht, dass inzwischen fast jeder zweite Arbeitsvertrag nur noch auf Zeit abgeschlossen wird, zweitens vor allem junge Menschen dadurch
unsichere Berufsaussichten und Lebensperspektiven erhalten und drittens Frauen besonders hart von Befristungen betroffen sind.
Was heute möglich ist, zeigt das bereits erwähnte Negativbeispiel der Postzustellerin, die 88 befristete Verträge in 17 Jahren bekommen hatte. Solche Kettenbefristungen sind mit Sachgründen, beispielsweise Elternzeitoder Krankheitsvertretungen, möglich. Auch dem müssen wir einen Riegel vorschieben. Das ist unwürdig, und
nötig ist so etwas auf keinen Fall. Gerade in großen Unternehmen wie der Post gibt es immer Möglichkeiten,
Menschen vernünftige feste Arbeitsverträge anzubieten,
auch den Vertretungskräften.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und
auch der Grünen, man muss die Kirche im Dorf lassen.
Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutschland nur
noch befristete Arbeitsverträge haben.
({4})
Je nach Quelle sind 9 bis 10 Prozent aller Arbeitsverhältnisse befristet. Richtig ist aber auch, dass über 90 Prozent der Beschäftigten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben. Aufgrund der guten Konjunktur ist die Zahl
der Befristungen in den letzten Jahren glücklicherweise
wieder etwas zurückgegangen.
Fakt ist auch, dass Befristungen und insbesondere
sachgrundlose Befristungen ein Sprungbrett in unbefristete Beschäftigung sein können. Trotzdem würden wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen die sachgrundlose Befristung gern abschaffen und die Auswüchse bei
befristeten Verträgen mit Sachgrund angehen. Das Beispiel der Postzustellerin mit den 88 Verträgen in 17 Jahren zeigt, dass auch hier dringend gehandelt werden
muss.
Nun ist es aber bekanntlich so, dass in jeder Regierungskoalition Kompromisse gemacht werden müssen.
Keiner kann alle eigenen Forderungen in einem Koalitionsvertrag unterbringen. An vielen Stellen konnten wir
mit der Union gute Lösungen finden, bei den Befristungen leider nicht.
Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, werden wir Ihren Initiativen heute auch nicht
zustimmen.
({5})
Die entscheidende Frage ist aber doch, ob der Koalitionsvertrag der Großen Koalition ein guter und richtiger
Kompromiss ist, den einzugehen sich insgesamt lohnte.
Die Antwort ist ein klares Ja.
({6})
Denn der Koalitionsvertrag ist ein gutes Handlungsfundament, in dem ein Großteil unserer sozialdemokratischen Forderungen enthalten ist. Vieles von dem, wofür
wir seit Jahren - auch gemeinsam mit den Gewerkschaften - gekämpft haben, kann jetzt Wirklichkeit werden.
Genau deshalb findet die Große Koalition breite Unterstützung - so zum Beispiel beim DGB in seiner Zeitung
klartext. Ich zitiere daraus:
Koalitionsvertrag: Deutschland wird ein Stück gerechter. … Die Richtung stimmt. Gut für Deutschland, gut für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Umfragen zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Große Koalition will und mit ihrer Arbeit zufrieden ist. Auch 76 Prozent unserer Mitglieder
haben basisdemokratisch für den Koalitionsvertrag gestimmt, und das, obwohl sie die Große Koalition von
2005 bis 2009 und das daraus resultierende Ergebnis für
die SPD noch schmerzhaft in Erinnerung hatten.
Meine Damen und Herren, diese Bewertungen fallen
deshalb so aus, weil wir zahlreiche Maßnahmen durchsetzen konnten, die die Lage der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in unserem Land verbessern werden.
Da ist natürlich an einem so historischen Tag wie
heute zuallererst der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn zu nennen, den wir gerade beschlossen haben.
Ich freue mich sehr, dass uns hier dieser Kraftakt gemeinsam gelungen ist.
({7})
Ab dem nächsten Jahr kommt der einheitliche und
flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde,
({8})
und spätestens ab 2017 gilt er nach Ende der Übergangsregelungen ausnahmslos in allen Branchen. Davon werden etwa 4 Millionen Menschen direkt profitieren und
mehr Geld auf ihrem Konto haben.
Gleichzeitig werden wir mit dem Mindestlohn auch
die Ausbeutung von Praktikantinnen und Praktikanten
beenden. Die sogenannte Generation Praktikum,
({9})
die nach ihrem Hochschulabschluss ohne Bezahlung
vollwertige Tätigkeiten in Unternehmen ausübt, wird es
ab 1. Januar 2015 nicht mehr geben. Das ist dann Vergangenheit.
({10})
Wir stärken außerdem die Tarifautonomie und die Sozialpartner. Wir weiten das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen aus. Diese Öffnung ermöglicht es
allen Wirtschaftszweigen, zusätzlich verbindliche Branchenmindestlöhne zu vereinbaren, die natürlich über
dem gesetzlichen Mindestlohn liegen müssen.
({11})
Außerdem können zukünftig Tarifverträge und damit das
gesamte Lohngefüge leichter auf gesamte Branchen ausgeweitet werden. Damit bekämpfen wir auch unlauteren
Wettbewerb durch Dumpinglöhne und helfen den Unternehmen, die gute Löhne zahlen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns noch
mehr vorgenommen. So werden wir den Missbrauch von
Werkverträgen verhindern und die Leiharbeit regulieren
und auch hier den Menschen helfen.
({12})
Auch das Thema „Gerechte Löhne“ werden wir gesetzlich angehen; denn immer noch verdienen Frauen im
Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Das, meine Damen und Herren, ist eine nicht hinnehmbare Ungerechtigkeit. Das müssen wir ändern.
({13})
Hier muss endlich genauso wie für die Leiharbeiter das
Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bereits von
2005 bis 2009 eine Große Koalition als Abgeordnete begleitet. Ich hätte mir nach den damals gewonnenen nicht
so guten Erfahrungen nicht träumen lassen, dass wir ein4146
mal mit der Union als Partner so viel für die Menschen
in unserem Land erreichen.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, mit Ihren Initiativen zur Einschränkung von Befristungen laufen Sie bei uns offene Türen ein. Uns brauchen Sie nicht
zu überzeugen. Vielleicht haben Sie ja bei unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU, Erfolg. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten würden uns darüber
freuen.
({16})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute über den von der Linken
eingebrachten Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“ und den Entwurf eines Gesetzes
zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Vorab
einige Bemerkungen: Grundsätzlich müssen wir zwischen den einzelnen Befristungen differenzieren. Im
Teilzeit- und Befristungsgesetz werden die Arbeitsverhältnisse mit und ohne Sachgrund genannt. Befristete
Arbeitsverhältnisse mit Sachgründen können sich aus
unterschiedlichen Faktoren ergeben - ich glaube, das
sind wichtige Argumente -: dem Alter des Beschäftigten, dem Bedarf in dem Unternehmen, der Erprobung
des Beschäftigten und der Vertretung eines anderen Arbeitnehmers. Kollegin Hiller-Ohm, ich möchte daran erinnern, dass das von der Fraktion der Linken kritisierte
Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund nach § 14 Absatz 2
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes von Rot-Grün in
der 14. Legislaturperiode eingeführt wurde, um Arbeitslosen die Rückkehr in die Beschäftigung zu erleichtern.
Ich bin der Auffassung, dass ein Arbeitsverhältnis mit
einer Befristung ohne Sachgrund nicht automatisch negativ zu bewerten ist. Der Arbeitnehmer kann - genauso
wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis - Erfahrungen
sammeln, seine Fähigkeiten erweitern und sich im Betrieb einsetzen und dadurch seinen Arbeitgeber überzeugen. Vergessen sollten wir dabei nicht, dass befristete
Arbeitsverhältnisse eine echte Alternative zur Arbeitslosigkeit und einen Einstieg in die Dauerbeschäftigung bedeuten können. Ich muss auch der Aussage der Linken
widersprechen, wonach es für die Qualität von Arbeit
entscheidend ist, „ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder
nicht.“ Ich gehe davon aus, dass diese Aussage auf unsere befristet beschäftigten Mitarbeiter in unseren Abgeordnetenbüros nicht zutrifft und auf Ihre Mitarbeiter
doch wohl auch nicht.
Zweifelsfrei ist eine Altersgruppe am meisten von
Befristungen betroffen: die jungen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer als Berufseinsteiger nach einem Studium oder einer Ausbildung. Das kann aber auch im Einzelfall seine berechtigten Gründe haben. Zum Beispiel
kann eine Befristung hier dem Erwerb von Vertrauen
und dem Nachweisen von Fähigkeiten dienen. Hier ist
das entscheidende Stichwort die Übernahmequote. Das
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat vor
kurzem festgestellt, dass insbesondere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse oft als Brücke zu dann unbefristeten Arbeitsverhältnissen genutzt werden.
Bei diesem Thema dürfen wir auch nicht vergessen,
dass insbesondere in der heutigen Zeit Arbeitgeber flexibel handeln müssen. Gerade Start-up-Unternehmen und
Existenzgründer können am Anfang ihrer Unternehmensgründung schwer einschätzen, wie viele Beschäftigte sie tatsächlich benötigen. Ebenso kann in großen
Betrieben die Auftragslage aufgrund verschiedener
Gründe erheblich schwanken. Dann müssen Arbeitgeber
schnell reagieren können. Dazu gehört auch das Instrument der Befristung von Arbeitsverträgen. Deshalb dürfen wir nicht - so glaube ich - zu viele Eingriffe in die
Privatautonomie vornehmen, die zu erheblichen Einschränkungen der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen führen könnten.
Als Gesetzgeber haben wir die Verantwortung und
auch die Pflicht, zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des
einzelnen Arbeitnehmers und der Flexibilität der Wirtschaft genau abzuwägen. Um beiden Seiten gerecht zu
werden, gibt das Teilzeit- und Befristungsgesetz Rahmenbedingungen vor, auf die sich der Arbeitnehmer berufen kann; mit diesem Gesetz kann er seinen Anspruch
auf dem Rechtsweg durchsetzen.
Herr Kollege, Frau Kollegin Hiller-Ohm würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie sie zulassen?
Ich würde das gerne in einem Zusammenhang vortragen, Herr Präsident.
Auch unterliegen befristete Arbeitsverhältnisse gesetzlichen Vorschriften, die zum Beispiel die Schriftform
und den Zeitraum betreffen. Ein Ausschluss von befristeten Arbeitsverträgen könnte den gesamten Arbeitsmarkt verändern. Ich sehe die Gefahr, dass Arbeitgeber
dann zurückhaltender bei Einstellungen sein könnten
und eher auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen, um Personal flexibler einzusetzen.
Laut derzeitigen Statistiken gewinnen befristete Verträge an Bedeutung - das wurde heute schon in dieser
Debatte mehrmals gesagt -, dennoch müssen wir auch
das Zahlenverhältnis sehen. Schauen wir uns das letzte
Jahr an: Nach Auskunft des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung waren 2013 nur 7,5 Prozent aller
Arbeitsverträge befristet. Das bedeutet, dass über 92 Prozent aller Arbeitsverträge unbefristet waren. Gerade in
Zeiten des Fachkräftemangels setzen viele Unternehmen
darauf, kompetente und gute Beschäftigte langfristig zu
halten. Genau das spiegeln die gerade genannten Zahlen
wider.
Ich halte Arbeitsverträge mit Befristungen für ein
wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument. Diese haben sich in der Praxis bewährt, und wir wollen auch daran festhalten. Wir sehen bei der Befristung mit und
ohne Sachgrund keinen Änderungsbedarf und werden
deshalb den Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen.
({0})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Michael Schlecht, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Befristungen sind ein entscheidender Hebel zur Beschädigung der Tarifautonomie in den letzten zehn, fünfzehn Jahren - eigentlich schon seit 1985 - geworden;
denn es ist vollkommen klar, dass befristet eingestellte
Arbeitnehmer nicht in der Weise frei sind und sich sicher
im Betrieb fühlen wie unbefristet Beschäftigte. Sie sind
nämlich Beschäftigte quasi ohne Kündigungsschutz.
Wenn man ohne Kündigungsschutz ist und ein auf
sechs Monate, ein Jahr oder wie lange auch immer befristetes Arbeitsverhältnis hat, dann überlegt man sich
natürlich dreimal, ob man mit seiner Gewerkschaft gemeinsam eine Tarifauseinandersetzung führt, sich zum
Beispiel an Warnstreiks und anderen Kampfformen beteiligt, um in einer Tarifrunde Druck zu machen. Dann
ist man unter Umständen sogar bereit, wenn die anderen
Kollegen aus dem Betrieb streiken, sich zum Büttel des
Unternehmers machen zu lassen und als Streikbrecher zu
operieren, weil man Angst hat, dass man seine Arbeit
verliert, wenn man das nicht macht, weil das befristete
Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird. Insofern ist es
dringend notwendig - wenn man die Tarifautonomie und
das Handeln der Gewerkschaften wieder stärken will -,
dass man die sachgrundlose Befristung abschafft. Die
muss weg.
({0})
Ich will mit einem Satz illustrieren, wozu das faktisch
führt. Wir haben in Deutschland nach wie vor die Situation, dass der durchschnittliche Beschäftigte über 3,6 Prozent weniger Reallohn verfügt als im Jahr 2000.
Deutschland ist das Land des Lohndumpings. Das ist
deshalb so gekommen, weil die Politik den Gewerkschaften in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in einer absolut brutalen Weise zwischen die Beine gegrätscht ist.
Damit muss Schluss sein. Heute Morgen ging es ja um
ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie; nur, dieses
Gesetz ist leider vollkommen unvollständig. Es müsste
mindestens eine Neuregulierung der Befristung dort hinein.
({1})
Ich möchte noch einen zweiten Punkt nennen. Befristungen sind ein Instrument, das eigentlich menschenunwürdig ist. Mir fällt dazu eine junge Frau aus meinem
Wahlkreis Mannheim ein, Janine F. - ich will sie hier ja
nicht outen -, 29 Jahre alt, die als Hotelfachfrau gut qualifiziert ist. Sie hat in ihrem Leben noch keine anderen
Jobs als nur befristete gehabt. Sie weiß auch nicht, wie
es weitergehen wird. Sie geht davon aus, dass es mit den
befristeten Jobs immer so weitergehen wird. Sie hat einen Lebenspartner. Wenn ich sie frage: „Wie stellst du
dir das alles vor? Was wollt ihr machen? Wie stellt ihr
euch euer Leben vor? Wollt ihr vielleicht einmal Kinder
haben?“, dann antwortet sie mir: „Das ist natürlich ganz
schwierig. Ich würde schon gerne mit meinem Freund
ein Kind haben; allerdings ist auch er befristet beschäftigt. Wir überlegen uns das gut. Woher sollen wir in solchen Zeiten eigentlich den Mut nehmen, uns für ein
Kind zu entscheiden?“
Wenn man sich dies einmal ernsthaft anschaut, dann
wird klar, welche Folgen die Befristung nicht nur für die
Arbeitswelt, sondern auch unter familienpolitischen Gesichtspunkten hat; dann wird klar, dass auch das dazu
beiträgt, dass die Geburtenrate in Deutschland so niedrig
ist. Sonst wird allenthalben, insbesondere von der CDU/
CSU, immer wieder beklagt, dass die Geburtenrate so
niedrig ist, und es werden alle möglichen Gründe dafür
herangezogen, warum junge Frauen keine Kinder mehr
bekommen.
Ich sage Ihnen: Die Politik, die in der Arbeitswelt gemacht worden ist, zum Beispiel mit den Befristungen,
eine Politik, die Sie zu verantworten haben, die Sie heute
hier wieder hoch gelobt haben, ist dafür verantwortlich,
dass Menschen solche Restriktionen ihrer Privatsphäre
aufgezwungen werden. Es ist wirklich zynisch und pervers, wenn auf der anderen Seite immer wieder darüber
gejammert wird, dass in Deutschland so wenig Kinder
geboren werden; schließlich werden den jungen Leuten
durch die Befristungen die Möglichkeiten genommen,
sich positiv und offensiv für Familie und Kinder zu entscheiden. Auch deshalb müssen die sachgrundlosen Befristungen endlich weg.
Danke schön.
({2})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Fraktion der Linken hat den Entwurf eines Gesetzes zur
Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vorgelegt.
({0})
Es ist kein Geheimnis - das wurde heute schon erwähnt -, dass sich die SPD in ihrem Wahlprogramm für
die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen hat. Ich will es wiederholen, damit es sich gut
einprägt - das ist für jedermann nachlesbar -:
Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von
Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen.
({1})
Es ist aber auch kein Geheimnis, dass wir uns seit
dem Mitgliederentscheid im Dezember letzten Jahres in
einer Koalition mit der CDU und der CSU befinden. In
den Koalitionsverhandlungen konnten wir unsere Position an dieser Stelle nicht durchsetzen.
({2})
An anderer Stelle dagegen schon. Erst heute Morgen
haben wir das Tarifpaket mit dem Mindestlohn und der
Beendigung der Generation Praktikum beschlossen.
({3})
- Genau. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antrag
der Linken steht zu Recht, dass fast die Hälfte der Neueinstellungen befristet sind. Wenn wir genauer hinschauen,
stellen wir fest, dass es in den einzelnen Branchen sehr
unterschiedlich ist. Selbst in den zehn Branchen mit dem
höchsten Anteil von befristeten Arbeitsverträgen sind
die Unterschiede riesig. Auf Platz zehn liegt der Bereich
„Verkehr und Logistik“ mit einem Anteil von 6,4 Prozent befristet Beschäftigten, und auf Platz eins liegt hören Sie jetzt genau hin; ich sehe viele Schüler auf der
Besuchertribüne - der Bereich „Erziehung und Unterricht“ mit einem Anteil von 17,2 Prozent befristet Beschäftigten; das ist fast jeder Sechste.
Wir finden unter den zehn Branchen mit den meisten
befristet Beschäftigten viele Dienstleistungsbranchen,
auch solche mit schwankenden Arbeitsvolumen. Die
Wirkung eines Verbots der sachgrundlosen Befristung
darf man von daher nicht überbewerten, weil sich für
viele Fälle Sachgründe finden lassen.
({4})
Wenn in der Land- und Forstwirtschaft gerade einmal
8 Prozent der Mitarbeiter in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen werden, ist dies, glaube ich, ein deutlicher Hinweis. Ich finde, dass die Anzahl befristeter Arbeitsverträge viel zu hoch ist. Betroffen sind vor allem
Frauen und junge Menschen.
Was mich aber viel mehr als diese Zahlen bewegt,
möchte ich an einem Beispiel deutlich machen - der
Kollege Schlecht hat das fast vorweggenommen; aber
ich will aus eigenem Erleben berichten -:
Im Rheiderland lernte ich vor ein paar Jahren - es ist
schon einige Jahre mehr her - Keno kennen. Keno
machte gerade eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker, war richtig motiviert und machte kurz darauf seine Abschlussprüfung. Er bestand sie auch noch
mit „sehr gut“. Das waren die besten Startchancen für
den Einstieg in den Beruf - dachte er und ich auch. Relativ schnell nach der Ausbildung fand er auch einen Job,
jedoch als Leiharbeiter, mit einem befristeten Vertrag.
Als dieser Vertrag auslief, nahm er in der Hoffnung auf
eine in Aussicht gestellte Festanstellung eine Stelle in
Nordrhein-Westfalen an. Er zeigte also nicht nur Interesse an Arbeit, war nicht nur motiviert, sondern war
auch flexibel und bereit, umzuziehen etc.
In Nordrhein-Westfalen blieb er vier Jahre, aber nicht
ein einziges Mal hatte er eine Festanstellung. Er hatte
immer nur befristete Stellen, war immer nur in Leiharbeit tätig, vier lange Jahre. Mit 28 kam er dann wieder
zurück nach Ostfriesland und begann eine weitere Ausbildung, seine zweite, weil ihm in Aussicht gestellt
wurde, er würde, wenn er noch einmal eine Ausbildung
macht, anschließend eine Festanstellung bekommen.
Doch auch hier ein Satz mit x: Das war nämlich nix. Er
erhielt wieder nur befristete Arbeitsverträge.
({5})
Letztes Jahr kam endlich die Wende. Mit 34 34 Jahre war er alt! - erhielt er die erste Festanstellung
seines Lebens. Sosehr ich mich für ihn persönlich freue,
so sehr beunruhigt mich jedoch sein Lebenslauf; denn
die Zahlen zeigen deutlich, dass es sich hierbei nicht um
eine Ausnahmeerscheinung handelt. Im Gegenteil: Es
wird zunehmend zur Regel, dass gerade junge Menschen
nur befristete Arbeitsverträge erhalten. Das finde ich
nicht nur sehr bedauerlich, sondern ich halte es schlichtweg für falsch.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren reden
wir über Fachkräftemangel, den demografischen Wandel
und darüber, dass wir etwas für junge Familien tun müssen. Zu Recht reden wir darüber. Aber hier zeigt sich leider sehr deutlich, dass zwischen Reden und Realität eine
Riesenlücke klafft; denn Fakt ist: Um junge Familien zu
fördern, bedarf es erst einmal vernünftiger Rahmenbedingungen, die es den jungen Menschen überhaupt ermöglichen, eine Familie zu gründen. Planungssicherheit
ist mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben.
Wenn ich nicht weiß, ob ich im nächsten Jahr noch einen
Job habe, wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, meinen Partner und meine Kinder ernähren kann, dann überlege ich es mir dreimal, ob ich eine Familie gründe. Es
ist, finde ich, kurzsichtig, und es bringt uns nicht voran,
wenn wir auf Kosten kurzfristiger Gewinne und kurzfristiger Flexibilität die Zukunft unserer Jugend aufs Spiel
setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auch
von unserem Koalitionspartner, lassen Sie uns gemeinsam für gute Rahmenbedingungen und für die notwendige Sicherheit für die jungen Menschen sorgen, damit
unsere Jugend auch wieder Familien gründen kann,
({7})
ohne Existenzangst und mit Lust auf die Zukunft.
Einen ersten Schritt sind wir bereits gegangen; denn
im Koalitionsvertrag haben wir uns auf viele wichtige
und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verständigt,
({8})
deutliche Verbesserungen hin zu guter Arbeit und weg
von prekärer Beschäftigung. Ich finde, das ist ein großer
Erfolg. Das Erreichen großer Ziele - wie die Einführung
eines flächendeckenden Mindestlohns, wie die Rente mit
63, wie die Bekämpfung des Missbrauchs bei Werkverträgen und Leiharbeit, wie das Ende der Generation
Praktikum - erfordert aber hin und wieder auch das
Schlucken von Kröten.
({9})
Einige der Kolleginnen und Kollegen von der Union
haben heute Morgen auch geschluckt. Wir haben uns mit
der Union im Zuge der Koalitionsverhandlungen auf ein
einheitliches Abstimmungsverhalten geeinigt. Wir sind
vertragstreu, und wir halten uns an die Abmachungen.
Die SPD steht zu ihrem Wort.
({10})
Wir schlucken jetzt also diese Kröte und werden den
vorliegenden Gesetzentwurf heute ablehnen.
({11})
Meine Eltern - das will ich zum Schluss einmal sagen haben mir beigebracht, dass man sich an Vereinbarungen
und Absprachen unbedingt hält; sonst sollte man sie gar
nicht erst treffen.
({12})
Das hat etwas mit Verlässlichkeit zu tun.
({13})
Auf Sozialdemokraten - das will ich auch einmal deutlich sagen - kann man sich jederzeit verlassen, meine
Damen und Herren.
({14})
Denken Sie bitte an die Zeit.
Da dies wahrscheinlich meine letzte Rede in dieser
Woche war, wünsche ich schon jetzt uns allen neun intensive und erholsame Wochen im Wahlkreis.
({0})
Danke schön.
({1})
Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das
Wort der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/
Die Grünen.
Lieber Markus Paschke, offen gestanden lässt mich
deine Rede etwas ratlos zurück. Zeitweise klang sie wie
eine Begründung für die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Linksfraktion.
({0})
Dann habe ich wieder gedacht: Wahrscheinlich ist das
eine Fortbildungsveranstaltung für euren Koalitionspartner.
({1})
- Nein, da brauche ich wirklich keinen Nachhilfeunterricht, jedenfalls nicht von den Sozialdemokraten.
({2})
Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem; ich
bin mal gespannt, wie das am Ende ausgeht.
Lieber Herr Oellers, lieber Herr Strebl, wir sollten
doch mal eines klarstellen: Es geht in dem Gesetzentwurf der Linken nicht darum, Befristungen abzuschaffen. Sie wissen vielleicht, dass das Teilzeit- und Befristungsgesetz
({3})
neben der sachgrundlosen Befristung acht Gründe für
Befristungen enthält, und dieser Katalog ist nicht abgeschlossen. Hinzu kommt, dass Betriebe mit bis zu zehn
Beschäftigten überhaupt keinen Kündigungsschutzregeln unterliegen. Das heißt, wir haben in der Arbeitswelt ein hohes Maß an Flexibilität.
Gerade ich als Grüne, die auch ein Stück Mitverantwortung dafür trägt, dass wir die sachgrundlose Befristung haben, sage Ihnen: Wir haben das evaluiert und
mussten feststellen: Es gibt in dieser Frage tatsächlich
einen Missbrauch. Wenn über 40 Prozent aller Neueinstellungen befristet erfolgen, dann hat das mit einer
Flexibilitätsreserve und mit atmenden Betrieben nichts
mehr zu tun, sondern dann ist das schlicht die Verlängerung von Probezeit.
({4})
Es ist Aufgabe der Politik, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden zwischen den Bedürfnissen der Betriebe,
die wir ernst nehmen, und den Bedürfnissen von Menschen, ein Stück Sicherheit in ihrem Leben zu haben.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wir streiten hier
jedes Mal über familienpolitische Leistungen. Wir geben
inzwischen 200 Milliarden Euro für familienpolitische
Leistungen aus, auch um den jungen Menschen zu ermöglichen, eine Familie zu gründen und Kinder zu kriegen. Wir machen doch einen Riesenfehler, wenn wir
diese Intention mit der Arbeitsmarktpolitik konterkarieren. Dann ist das am Ende des Tages rausgeschmissenes
Geld, und das jedenfalls müssen wir jetzt endlich einmal
zur Kenntnis nehmen.
({5})
Wir müssen in der Politik raus aus dem schlichten
Ressortdenken. Wir müssen die Lebenswirklichkeit der
Menschen endlich zur Kenntnis nehmen. Da braucht es
einen Arbeitsmarkt, der auf die Bedürfnisse von Menschen und jungen Familien Rücksicht nimmt,
({6})
der ihrem Bedürfnis nach Lebensplanung und dem Bedürfnis der Betriebe nach Flexibilität Rechnung trägt.
Die sachgrundlose Befristung brauchen wir dazu nicht,
und deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1874 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung der
sachgrundlosen Befristung. Zu diesem Gesetzentwurf
liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäfts-
ordnung des Bundestages vor.1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/879,
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/7 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Verlangen der
Fraktion Die Linke namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Damit eröffne ich
die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
1) Anlagen 8 bis 10
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 f sowie
den Zusatzpunkt 3 auf:
32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November
2001 zum Europäischen Übereinkommen
vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in
Strafsachen
Drucksache 18/1773
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun
Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einschränken
Drucksache 18/1873
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen - Rückstellungen der AKW-Betreiber
in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen
Drucksache 18/1959
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate MüllerGemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen Sanktionsmoratorium jetzt
Drucksache 18/1963
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
2) Ergebnis Seite 4155 D
Vizepräsident Peter Hintze
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stellungnahme im Rahmen des Konsulta-
tionsverfahrens der Europäischen Kommis-
sion zum Investitionsschutzkapitel im geplan-
ten transatlantischen Freihandelsabkommen
TTIP
Drucksache 18/1964
f) Unterrichtung durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten
der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages
Drucksache 17/4325
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spielverordnung umgehend in Kraft setzen
Drucksache 18/1875
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({5})
Ausschuss für Gesundheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen der Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d und 32 f
sowie Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 32 e. Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1964 mit dem Titel „Stellungnahme im Rahmen
des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP“. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der
Sache über ihren Antrag auf Drucksache 18/1964, die
Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über
den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie
an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die
Überweisung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen.
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/1964 in der Sache nicht ab.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 s sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 33 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen
den Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten andererseits ({6})
Drucksache 18/1569
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({7})
Drucksache 18/1997
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1997, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/1569 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 15. Dezember 2010 zwischen
der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen
Königreich Jordanien andererseits ({8})
Drucksache 18/1570
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({9})
Drucksache 18/1998
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1998, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/1570 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012
zwischen der Europäischen Union und ihren
Mitgliedstaaten und der Republik Moldau
über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum
({10})
Drucksache 18/1571
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({11})
Drucksache 18/1999
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1999, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/1571 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
9. September 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der
Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen
Drucksache 18/1568
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12})
Drucksache 18/1984
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1984, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1568 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes
Drucksache 18/1585
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({13})
Drucksache 18/1992
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1992, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/1585 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer
enthält sich? - Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sofortiges Moratorium für die Wohnungsund Grundstücksverkäufe durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
Drucksache 18/1952
Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der
Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an
den Innenausschuss, an den Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz, an den Finanzausschuss sowie an
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die
Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so
beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag
auf Drucksache 18/1952 nicht in der Sache ab. Damit
entfällt die hierzu bereits beantragte namentliche Abstimmung.
Tagesordnungspunkt 33 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({1}), Wolfgang
Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kürzungspolitik beenden - Soziale Errungenschaften verteidigen - Soziales Europa schaffen
Drucksachen 18/1116, 18/1605
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1605, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/1116 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsauschusses ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommunen im Jahr 2014 umsetzen
Drucksachen 18/975, 18/1655
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1655, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/975 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({3}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Zweite Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Drucksachen 18/1233, 18/1379 ({4}) Nr. 2.1,
18/1677
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache
18/1233 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({5}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Erste Verordnung zur Änderung der Elektro-
und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung
Drucksachen 18/1471, 18/1702 Nr. 2, 18/1993
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, der Verordnung auf Drucksache 18/1471 zuzustim-
men. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 k:
Beratung der dritten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am
22. September 2013
Drucksache 18/1810
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.1)
1) Anlage 11
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({0}) zur
Übersicht 2
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
Drucksache 18/1970
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 33 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 67 zu Petitionen
Drucksache 18/1882
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 67 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 68 zu Petitionen
Drucksache 18/1883
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 68 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 69 zu Petitionen
Drucksache 18/1884
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 69 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
angenommen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 33 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 70 zu Petitionen
Drucksache 18/1885
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 70 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 71 zu Petitionen
Drucksache 18/1886
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 71 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 72 zu Petitionen
Drucksache 18/1887
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 72 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 73 zu Petitionen
Drucksache 18/1888
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 73 mit den
Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Zusatzpunkt 4 a:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn ({8}),
Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Moratorium beim Verkauf von Wohnimmobilien in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
Drucksache 18/1965
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen CDU/CSU und
SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss, zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz,
an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die
Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
Vizepräsident Peter Hintze
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 18/1965 in der Sache nicht ab.
Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 74 zu Petitionen
Drucksache 18/1974
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 74 mit den
Stimmen aller Fraktionen beschlossen.
Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 75 zu Petitionen
Drucksache 18/1975
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist auch die Sammelübersicht 75 mit
den Stimmen aller Fraktionen beschlossen.
Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 76 zu Petitionen
Drucksache 18/1976
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 76 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen.
Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 77 zu Petitionen
Drucksache 18/1977
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 77 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke so beschlossen.
Zusatzpunkt 4 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 78 zu Petitionen
Drucksache 18/1978
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 78 mit den
Stimmen aller Fraktionen beschlossen.
Zusatzpunkt 4 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 79 zu Petitionen
Drucksache 18/1979
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 79 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beschlossen.
Zusatzpunkt 4 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 80 zu Petitionen
Drucksache 18/1980
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 80 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke beschlossen.
Zusatzpunkt 4 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 81 zu Petitionen
Drucksache 18/1981
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 81 mit den
Stimmen der Fraktion der CDU/CSU und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen.
Zusatzpunkt 4 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 82 zu Petitionen
Drucksache 18/1982
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 82 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unserer Tagesordnung fortfahren, darf ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke bekannt geben: abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 119, mit Nein
haben gestimmt 466. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon
ja: 119
nein: 466
Ja
SPD
Stefan Rebmann
Peer Steinbrück
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({0})
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({1})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({2})
Volker Beck ({3})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({4})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({5})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({7})
Axel E. Fischer ({8})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({9})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({10})
Mark Helfrich
Uda Heller
Michael Hennrich
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Präsident Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({14})
Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({15})
Gabriele Schmidt ({16})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({17})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({20})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({21})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({24})
Klaus-Peter Willsch
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({25})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({26})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({27})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({28})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({29})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({30})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({31})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({32})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({33})
Matthias Schmidt ({34})
Dagmar Schmidt ({35})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({36})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
({37})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch
die weitere Beratung.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 7:
Wahl eines Mitglieds der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß
§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 3 und 6
des Standortauswahlgesetzes
Drucksache 18/1961
Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/
CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
18/1961 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Vorschlag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu Einwänden
der EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut haben Sie uns
Grünen zu verdanken. Wir wollen nämlich endlich einmal Klarheit haben, nachdem die Zeitungen am Wochenende zu diesem Thema schon gut gefüllt waren.
Inzwischen rufen schon die Spatzen von den Dächern,
dass es bei dem Konzept für eine Ausländermaut à la
CSU eine deutliche Verzögerung gibt. Die CSU hatte das
zur Bundestagswahl noch großspurig angekündigt. Und
von wem ist davon bisher nichts zu hören? Von Minister
Dobrindt - er ist heute leider auch in dieser Debatte abwesend ({0})
- wahrscheinlich! -, obwohl er als Wahlkämpfer diese
Ausländermaut immer besonders laut gefordert hatte.
Man muss inzwischen schon vermuten, dass der
Minister mit seiner Pkw-Maut à la CSU im letzten
Sommer nur einen Wahlkampfschlager als bayerischer
Löwe herausbrüllen wollte. Jetzt ist er aber kleinlaut auf
dem harten Boden der Realität gelandet.
({1})
Aus allen Ecken kommen deutliche Hinweise, dass so
eine CSU-Maut mit der Gleichbehandlung aller Menschen in der Europäischen Union nicht vereinbar ist.
Denn sie wird nur dazu dienen, ausländische Autofahrer
abzukassieren.
EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat Ihnen das am
letzten Sonntag in einem Gastbeitrag in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben. Ich zitiere:
Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit der
Kfz-Steuer verrechnet werden.
({2})
Ein richtiger Einwand, wie ich finde, den Sie nicht so
einfach vom Tisch fegen können.
({3})
Soll Ihr Konzept dann etwa die Einführung einer
Pkw-Maut für alle Autofahrer in Deutschland durch die
Hintertür sein, wie man es den heutigen Veröffentlichungen im Focus oder von der dpa entnehmen kann? Man
hört aber nichts Genaues von Ihnen. Inzwischen verschieben Sie die Veröffentlichung Ihres Konzeptes erneut von Woche zu Woche. Der Verkehrsminister ist der
Ankündigungsminister dieser Großen Koalition, der
Minister für unerledigte Dinge.
Werfen wir doch einmal einen Blick auf den Zeitplan
dieses bayerischen Traumprojekts - oder sollte ich besser „Albtraumprojekt“ sagen?
({4})
Erst sollte im Mai, zu Himmelfahrt, etwas vorgelegt
werden. Dann hieß es: im Frühjahr. Dann hieß es: zur
CSU-Klausur im Juni, und jetzt heißt es: vor der Sommerpause. Wenn man den Minister beim Wort nimmt,
müsste bis morgen etwas kommen. Danach sind wir hier
im Bundestag nämlich in der Sommerpause. Aber es
geht weiter mit immer neuen Ankündigungen des Verkehrsministers. In einer dpa-Meldung war gestern Nachmittag schon wieder eine neue Aussage zu lesen: Jetzt
sollen bis zum 11. Juli 2014 Eckpunkte vorgelegt werden. Uns soll also nicht, wie uns immer mitgeteilt wurde,
ein Gesetzentwurf, den wir dann parlamentarisch beraten könnten, vorgelegt werden, sondern es sollen nur irgendwelche Eckpunkte vorgelegt werden. Wir kennen
das Spielchen ja schon vom EEG. Wir wissen daher, wie
Sie damit umgehen.
({5})
Selbst aus der eigenen Koalition, sogar aus den Reihen der CSU, kommt Gegenwind zur Pkw-Maut. Das
zeigt die Aussage der CSU-Landesgruppenchefin, Gerda
Hasselfeldt. Sie sagte am Dienstag gegenüber der Presse
- ich zitiere -: „Dass das nicht so einfach ist, liegt auf
der Hand.“ Ganz so leicht, wie Sie es sich im Wahlkampf erträumt hatten - damals gab es den vor Ressentiments triefenden Ruf nach einer Ausländermaut -,
scheint es nicht zu werden, werte Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Ich frage mich inzwischen, wie Sie
das Kunststück „Pkw-Maut für Halter von im Ausland
zugelassenen Fahrzeugen“ hinbekommen wollen. Sie
müssen es ja quasi jedem recht machen: Herrn Seehofer,
der Ihnen aus München diktiert: „Maut für ausländische
Fahrzeughalter, egal wie“, der EU-Kommission, die berechtigterweise sagt: „Maut nur, wenn dadurch ausländische Fahrzeughalter nicht diskriminiert werden“, und
dann kam letzte Woche auch noch der Finanzminister ins
Spiel, der sagte: „Maut nur, wenn sie auch zu Mehreinnahmen führt“.
({6})
Nach ersten Schätzungen werden den Einnahmen aus Ihrer diskriminierenden CSU-Maut in Höhe von rund
300 Millionen Euro aber Bürokratiekosten in Höhe von
rund 300 Millionen Euro gegenüberstehen. Das ist also
ein echtes Nullsummenspiel.
({7})
Damit ist der Fall klar: Ihre Ausländermaut ist der Einstieg in eine Pkw-Maut für alle, und das wäre Betrug am
Wähler durch die CSU.
({8})
Wirklich sinnvoll hingegen wäre eine Ausweitung der
Nutzerfinanzierung durch diejenigen, die die Schäden an
den Straßen verursachen.
({9})
Das sind die Lkw - das wird Ihnen auch im Wegekostengutachten sehr deutlich aufgezeigt -; denn der normale
Lkw beansprucht die Straßen bis zu 60 000-mal stärker
als ein Pkw. Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle
Bundesstraßen würde auf Anhieb, wenn Sie sie jetzt
schnellstens in Gang setzen würden, bis zu 2,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen. Dafür brauchte man
keinen so großen ideologischen Aufwand zu betreiben,
wie Sie es bei der Pkw-Maut tun.
({10})
Geben Sie Ihre Planungen zum CSU-Traum „Ausländermaut“ endlich auf, und konzentrieren Sie sich auf die
wichtigen Dinge in der Verkehrspolitik.
Herzlichen Dank.
({11})
Für die Bundesregierung hat nun die Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich denke, wir sind
uns alle einig - das gilt sicherlich auch für Sie, Frau
Wilms -, dass wir eine gesunde Verkehrsinfrastruktur in
Deutschland brauchen, die den wachsenden Verkehren
in den nächsten Jahren gerecht wird. Wir haben trotz einer geringer werdenden Einwohnerzahl einen starken
Anstieg in den Bereichen Güterverkehr und Personenverkehr. Deswegen brauchen wir, wenn Deutschland
weiterhin den Anspruch hat, ein modernes Land zu sein,
moderne Netze für dieses Land.
Ich glaube, wir sind uns ferner alle darüber einig, dass
der Wohlstand in diesem Land auch von einer modernen
Infrastruktur abhängt. Wir wissen alle, was man noch
bauen könnte, wenn zusätzliche Einnahmen vorhanden
wären. Diesbezüglich hat jeder Einzelne, insbesondere
jeder einzelne Verkehrspolitiker, viele Ideen. Da gibt es
zwei Denkschulen: Die eine ist global und hat die ganze
Bundesrepublik im Blick, die andere - auch sie betrifft
jeden Einzelnen hier - hat die eigene Heimat, die eigene
Region im Blick.
Wir diskutieren seit Jahren darüber, wie zusätzliche
Einnahmen generiert werden können. Wir sind sehr froh,
dass es in den Koalitionsverhandlungen gelungen ist, in
dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro mehr zur
Verfügung zu stellen.
({0})
Wir wissen aber, dass wir noch mehr Geld brauchen.
Deswegen diskutieren wir in Deutschland seit Jahrzehnten über die Nutzerfinanzierung für Pkw. Ich verstehe,
ehrlich gesagt, eines nicht: Wir haben hier in diesem
Haus schon so viele Debatten geführt, bei denen es wirklich um Reizthemen ging, die man hochstilisieren kann,
über die man sich auch ideologisch auseinandersetzen
kann, bei denen man vielleicht sogar sagen kann: Das ist
eine Gewissensentscheidung. - Das gilt aber doch, bei
aller Liebe, nicht beim Thema Pkw-Maut!
({1})
- Für mich sind Gewissensentscheidungen, Herr Kollege
Behrens, Entscheidungen, bei denen es um Leben und
Tod geht, aber nicht solche Entscheidungen, bei denen es
darum geht, wo weitere Einnahmen generiert werden
können. Aber dazu kann jeder seine eigene Meinung haben.
({2})
Für uns ist es eine Frage der Notwendigkeit. Sie
bringt vor allem unsere ganz große Überzeugung zum
Ausdruck. Liebe Frau Kollegin Wilms, das ist auch kein
CSU-Projekt, sondern es ist das gemeinsame Projekt
dieser Bundesregierung. Das ist auch im Koalitionsvertrag nachzulesen.
({3})
- Ich sehe stürmischen Applaus beim Kollegen Bartol;
das überzeugt mich an dieser Stelle.
({4})
Weil wir davon überzeugt sind, sagen wir aber auch
- das richtet sich an die Menschen in diesem Land -:
Das ist ein absolutes Gerechtigkeitsprojekt.
({5})
Wir wollen keine Ungerechtigkeit. Wenn man sich
Deutschland anschaut, dann sieht man - da muss man
kein Geografiegenie sein -, dass wir ein Transitland im
Herzen Europas sind. Deutschland ist das Land mit dem
am besten ausgebauten Autobahnnetz.
({6})
Es wird natürlich nicht nur von inländischen Fahrern genutzt, sondern eben auch von Millionen Transitreisenden
aus allen denkbaren Nachbarländern,
({7})
und zwar kostenfrei und gebührenfrei, während deutsche
Autofahrer in vielen europäischen Nachbarländern über
entsprechende Systeme an der Infrastrukturfinanzierung
beteiligt werden.
({8})
Ich nenne nur Polen, Tschechien, Slowenien, Österreich,
Italien, die Schweiz oder auch Frankreich.
Wenn man von München nach Verona fährt, dann fallen in Österreich und Italien für einen relativ kurzen
Zeitraum 30 Euro an. Wenn man von Köln nach Bordeaux fährt, dann zahlt man in Frankreich 70 Euro.
Wenn man aber von Rotterdam bis ins wunderschöne
Rosenheim fährt, bis zur Kollegin Ludwig, dann zahlt
man 0 Euro.
({9})
Es kann mir keiner sagen, dass es gerecht ist, dass man
nichts zahlen muss, wenn man sich nur auf deutschem
Boden bewegt, dass man aber zahlen muss, sobald man
außerhalb Deutschlands unterwegs ist.
({10})
Das ist eine Ungleichbehandlung, und das ist eine Gerechtigkeitslücke, die wir schließen wollen.
({11})
Das ist unser Kernanliegen.
Spannenderweise teilt dieses Anliegen - so das Ergebnis, nachdem man die Befragung einmal richtig
durchgeführt hat - mittlerweile auch weit über die Hälfte
aller ADAC-Mitglieder in Deutschland;
({12})
auch das ist sehr erfreulich. Es ist also ein Gesellschaftsprojekt, ein Projekt, das in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
({13})
Natürlich weckt ein solches Konzept, liebe Frau Kollegin Wilms, große Neugierde; das verstehe ich natürlich.
({14})
Wir haben, wie gesagt, jahrelang darüber diskutiert. Was
ich nicht nachvollziehen kann - ich habe es angesprochen -, ist, dass man teilweise sehr ideologisch diskutiert. Gerade weil diesem Projekt eine so wahnsinnig
große Aufmerksamkeit zuteil wird, ist ein Höchstmaß an
Sensibilität geboten. Ich bin sehr froh, dass unser Minister zu den Sensiblen in dieser Bundesregierung gehört.
({15})
Wenn man sich anschaut, worüber wir hier eigentlich
reden - es geht um 42 Millionen Autofahrer in Deutschland, und es geht um viele weitere Millionen Autofahrer
aus dem Ausland -, dann muss man ganz ehrlich sagen:
Natürlich geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Sonst
wären Sie doch die Ersten, die kritisieren würden, man
habe hier einen Schnellschuss gemacht.
({16})
Deswegen ist uns die Gründlichkeit an dieser Stelle
wichtig.
Man muss auch sagen: In einer Zeit, in der es heißt,
dass jedes Selbstgespräch in Berlin öffentlich ist, ist es
doch toll, dass es auch noch möglich ist, etwas vertraulich miteinander zu besprechen.
({17})
Es gehört zur Normalität des Verfahrens, dass der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sein
Konzept erst einmal mit dem Bundesfinanzminister und
mit dem Bundeskanzleramt bespricht.
({18})
- Nein, das stimmt nicht, Frau Lemke. Die beiden haben
Vertraulichkeit vereinbart, und genau diese Vertraulichkeit ist auch gewahrt worden.
({19})
Ich zumindest habe keine solche Aussage gelesen. Da
liegen Sie völlig falsch. - Natürlich bespricht der Minister sein Konzept auch erst einmal mit den Koalitionsfraktionen, also mit der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion, bevor es dann den Grünen zugänglich gemacht wird. Auch das ist selbstverständlich, genauso wie
die Tatsache, dass er es mit der EU-Kommission erörtert.
Unser Bundesminister führt diese Diskussionen also seit
geraumer Zeit und mit einer sehr hohen Intensität.
Wenn er davon sprach, dass er sein Mautkonzept noch
vor der Sommerpause vorstellen wird,
({20})
dann war das, Frau Wilms, auch ernst gemeint. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, dass das Konzept steht
und dass es detailliert ausgearbeitet ist. Wenn Sie der
Meinung sind, dass für Sie schon morgen die Sommerpause anfängt, dann kann ich nur sagen: Wir arbeiten
noch etwas länger.
({21})
Ich sage Ihnen: Wenn die notwendigen vertraulichen
Gespräche geführt und die letzten Rückkopplungen erfolgt sind - das wird sehr bald sein -, dann wird Ihnen
dieses Konzept, das bereits steht, auch vorgestellt werden, und natürlich halten wir uns auch an die vereinbarten Vorgaben: keine Zusatzbelastungen für deutsche
Pkw-Fahrer und selbstverständlich eine Übereinstimmung mit den Europaregeln.
({22})
Wir wissen um die Sensibilität - gerade bezogen auf
die Europakonformität. Sie haben vorhin Herrn Kallas
zitiert. Herr Präsident, das werde ich jetzt auch tun.
Auch ich habe den Artikel nämlich gelesen, wie Sie sich
denken können. Ich darf Ihnen jetzt also einmal vier
Aussagen aus dem Artikel von Herrn Kallas in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zitieren:
Zitat eins:
Die Europäische Kommission empfiehlt Mitgliedstaaten, Straßenbenutzungsgebühren zu erheben,
um die für die Instandhaltung benötigten Mittel aufzubringen.
({23})
Zitat zwei:
So werden die Verkehrsteilnehmer nach dem Verursacher- und dem Nutzerprinzip an den Kosten beteiligt, die sie der Gesellschaft verursachen.
Zitat drei:
Die Europäische Kommission begrüßt deshalb die
Einführung oder Ausweitung von Mautsystemen in
einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland.
Zitat vier:
Die Mitgliedstaaten entscheiden selbst darüber, wie
sie die Maut erheben - ob zeitabhängig mit Vignetten oder mit Gebühren, die sich nach der gefahrenen Strecke bemessen.
({24})
Sie sehen also: Das hat Herr Kallas auch dargelegt.
({25})
Ich kann Ihnen sagen: Der Minister hat Gespräche geführt, und aus der Europäischen Kommission kommen
hier sehr positive Signale, die uns zeigen, dass wir auf
dem richtigen Weg sind.
({26})
Deswegen noch einmal an die Adresse der Grünen:
Für uns ist es selbstverständlich, dass wir ein europarechtskonformes Modell vorstellen und einführen werden.
({27})
Das ist überhaupt nicht der Diskussion wert, und ich bin
mir ganz sicher: Wenn wir die Pkw-Maut erfolgreich
eingeführt haben, werden Sie alle nicht verstehen können, wie Sie dieses Zukunftsmodell jemals haben blockieren können.
Herzlichen Dank.
({28})
Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke ist der
nächste Redner.
({0})
Frau Bär, Sie haben sich wacker geschlagen, aber ich
finde es unfair, dass Ihr Minister Sie hier ins Rennen
schickt, um das zu vertreten, was er schon längst vorbereitet hat bzw. was er nicht durchsetzen kann.
({0})
Darum will ich mich auch vornehmlich an Herrn
Dobrindt abarbeiten, und ich hoffe, dass das, was hier
vorgetragen wird, auch bei ihm ankommt.
Als Erstes möchte ich ihn einmal zitieren:
Es gibt zwei Dinge, die ohne Zweifel sind: dass
Deutschland ins WM-Finale kommt und dass die
Pkw-Maut zum 01.01.2016 scharfgeschaltet wird.
Das ist eine gewagte These. Sie stammt vom Verkehrsminister und ist gerade einmal knapp drei Wochen alt.
Der erste Teil seiner Prophezeiung kann noch in Erfüllung gehen, beim zweiten sehe ich allerdings schwarz.
Gestern war Minister Dobrindt bei EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel. Es hieß, das sei ein Routinearbeitstreffen. Ein Routinearbeitstreffen, obwohl es
noch nicht einmal einen Antrittsbesuch in Brüssel gegeben hat? Das ist eine merkwürdige Art von Routine.
Nein, man muss hier nur einmal eins und eins zusammenzählen, um zu sehen, wie es zu diesem spontanen
Besuch gekommen ist. Da es im Kanzleramt mit der Präsentation des Mautkonzepts gar nicht mehr so schnell
gehen muss, ist doch jedem klar, dass ihn die Kanzlerin
nach Brüssel geschickt hat, um dort nachzufragen, was
möglich ist und was nicht. Das heißt, hier von einem
Routinebesuch zu sprechen, ist eine ziemliche Frechheit.
({1})
Die Europäische Kommission hat von Anfang an
klargemacht, dass die Ausländermaut - das ist der Unterschied, Frau Bär - und das Europarecht einfach nicht
zusammengehen werden. Ich weiß nicht, wie oft Herr
Kallas in den letzten Monaten mit folgendem Satz zu hören war:
Eine Pkw-Maut darf so nicht einfach mit der KfzSteuer verrechnet werden.
Das ist ein wichtiger Satz, den Sie vorhin nicht zitiert haben.
Ihr Vorschlag verstößt eindeutig gegen das Diskriminierungsverbot. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CSU, um das zu erkennen, reichen ein paar europarechtliche Grundkenntnisse. Sie sollten sich einmal ansehen, wie die Einführung der Maut in den 90er-Jahren
in Österreich verlaufen ist. Sie müssen offensichtlich genau auf die Höhe der Mautsätze achten, wenn Monatsund Wochenvignetten eingeführt werden sollen, wie zuletzt angekündigt worden ist. Diese Regelung ist den Österreichern nämlich auf die Füße gefallen, weil sie dabei
einen Fehler gemacht hatten. Oder nehmen Sie doch einfach das EU-Ratsdokument 10166/12 zur Kenntnis.
Diese Art Grundkurs in Sachen Verhältnismäßigkeitsprüfung sollte eigentlich genügen.
An Ihrer Stelle würde ich mir Gedanken darüber machen, wie Ihre Mautpläne mit dem europäischen Beihilferecht zu vereinbaren sind, wenn es diese Pläne noch
geben sollte. Es gibt in Deutschland mehrere Hunderttausend Mietwagen. Wenn diese bei der Maut durch die
Kfz-Steuer genauso entlastet werden sollten wie die Privat-Pkw, dann kann mit einer Welle von Klagen von Autovermietern zum Beispiel aus Enschede oder Stettin gerechnet werden, da ihnen der Marktzugang durch diese
Art der Verrechnung schlicht und ergreifend erschwert
würde. Das wäre vielleicht eine Denksportaufgabe für
das kommende Wochenende.
({2})
Aber der Gegenwind kommt beileibe nicht nur aus
Brüssel. Wie in den letzten Tagen zu hören war, gibt es
offenbar auch eine kleine Palastrevolution im Verkehrsministerium. Auf den Fluren des Ministeriums beklagt
man die fehlende Kommunikation in Sachen Pkw-Maut.
({3})
Andere Ressorts sind verstimmt, weil es eine Abstimmung mit der EU und vor allem mit dem Finanzministerium nicht gab und weiterhin nicht gibt. Minister Schäuble
dürfte aufgefallen sein, dass mit der Dobrindt’schen Ausländermaut einfach kein Geld zu machen ist und dass das
Konzept hinten und vorne nicht stimmt.
({4})
Gleiches gilt wohl auch für den CSU-Parteivorsitzenden
Seehofer. Die für das Wochenende groß angekündigte
Vorstellung der Mautvorschläge wurde kurzfristig abgeblasen.
Herr Dobrindt steht inzwischen vor dem Nichts. Er
hat sich die Suppe aber selbst eingebrockt. Er war für
den Rechtsruck im Bundestagswahlkampf der Union
verantwortlich. Er ist kein Sensibelchen, wie eben dargestellt worden ist. Er hat beispielsweise Volker Beck aufs
Übelste beschimpft und schwulenfeindliche Klischees
bedient, um seine Politik zu machen.
({5})
Bei dem Versuch, mit der Pkw-Maut die AfD rechts zu
überholen, ist er in eine verkehrspolitische Sackgasse
geraten.
({6})
Wer mit einer Ausländermaut üble Ressentiments bedient, der hat auch nichts anderes verdient.
({7})
So kommt der Verkehrsminister aus der Zwangslage
nicht heraus.
Eine Maut, die nur Ausländer belastet und trotzdem
Geld in die Kasse spült, gleicht einer Quadratur des
Kreises. Das dürfte auch Siim Kallas im Hinterkopf gehabt haben, als er dem Minister bei der Einführung der
Pkw-Maut „Viel Spaß“ gewünscht hat. Aber der Spaß
dürfte wohl bald ein Ende haben.
({8})
Ich werde jetzt nicht den Rücktritt des Ministers fordern. Aber was sagen seine Parteifreunde? Ich will es
einmal fußballtechnisch ausdrücken: Was bedeutet es,
wenn ein Vereinsvorstand seinem Trainer nach einer
Niederlage der Mannschaft das volle Vertrauen ausspricht? Richtig, er sollte sich schleunigst einen neuen
Job suchen. - Die Vertrauensbekundung von Gerda
Hasselfeldt für ihren Parteifreund Dobrindt sollte ihn
sehr stutzig machen. Er sollte genau zur Kenntnis nehmen, wie sein Parteivorsitzender Seehofer auf das Mautkonzept reagiert hat.
({9})
Herr Minister Dobrindt, Sie haben ganz offensichtlich
das Vertrauen verloren, nicht das der Linken - das hatten
Sie nie -, aber das der CSU-Spitze, der Kanzlerin und
Ihrer Ministerkollegen von der SPD und der CDU/CSU.
Was sehen wir nach sechs Monaten Amtszeit? Einen
Mauthelden auf dem Schleudersitz. Frau Bär, einen
schönen Gruß an Ihren Minister. Er möge sich das, was
ich gesagt habe, zu Herzen nehmen.
({10})
Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass nach
unserer Geschäftsordnung die Reden in einer Aktuellen
Stunde nicht länger als fünf Minuten dauern dürfen. Wenn das keine Steilvorlage ist: Bitte schön, Herr
Bartol.
Herr Präsident, die Frage ist, warum bei mir dieser
Hinweis kommt. - Aber vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Plan der Opposition ist
sehr durchschaubar. Sie wollen die Bundesregierung unter Druck setzen und den zuständigen Minister öffentlich
bloßstellen.
({0})
Ich sage Ihnen ganz klar: Sie sollten Ihre Ungeduld etwas zügeln. Geben Sie doch dem Bundesverkehrsminister und seinem Ministerium und den Kollegen im Bundesfinanzministerium und im Bundeskanzleramt die
notwendige Zeit, um in Ruhe ein Konzept für eine PkwMaut auszuarbeiten! Das ist eine große Herausforderung, die höchste Präzision erfordert.
({1})
- Hören Sie gut zu! - Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich kann Sie beruhigen. Am Ende wird der Deutsche
Bundestag entscheiden, und zwar nicht nur auf der
Grundlage von Eckpunkten,
({2})
sondern auf der Basis eines konkreten Gesetzentwurfes
in einem geordneten Verfahren mit Expertenanhörung
und Beratungen in den Ausschüssen.
Offensichtlich schaut gerade das ganze Land nach
Berlin und will die Details der Pkw-Vignette erfahren.
Das ist nur zu verständlich, da es sich um kein ganz einfaches Unterfangen handelt. Ich weiß jedoch, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gerade sehr
hart und intensiv an einer Lösung arbeitet. Dabei hat er
mein vollstes Vertrauen.
({3})
Gut ist auch, dass sich das Bundesfinanzministerium
jetzt intensiv in die Beratungen eingeschaltet hat.
({4})
Aus unserer Sicht drängt die Zeit nicht. Der Minister hat
selbst angekündigt, noch vor der Sommerpause etwas
vorzulegen. Ob das eine Woche früher oder später passiert, ist aus unserer Sicht nicht entscheidend.
({5})
Wir sind uns in der Koalition einig, dass der Koalitionsvertrag gilt. Mobilität muss in Deutschland auch in
Zukunft für alle bezahlbar bleiben. Das haben CDU,
CSU und SPD miteinander fest vereinbart. Deswegen
darf auch kein einziger Autofahrer aus Deutschland
durch eine Pkw-Maut mehr belastet werden. Das ist ein
Versprechen, auf das sich alle verlassen können.
({6})
Gleichzeitig haben sich CDU, CSU und SPD darauf verständigt, dass wir uns an die Spielregeln der Europäischen Union halten werden: Alle Autofahrer, auch aus
den Niederlanden und Dänemark, die nach Deutschland
kommen, müssen gleichbehandelt werden. Das ist eine
Frage der guten Nachbarschaft und damit eine Selbstverständlichkeit in einem gemeinsamen Europa. Daher
nehme ich die Hinweise des EU-Kommissars Siim Kallas sehr ernst, der letzten Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben hat - es ist bereits einiges daraus zitiert worden -:
Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit der
Kfz-Steuer verrechnet werden. Es kann nicht sein,
dass ein inländischer Autofahrer die Maut über die
Steuer automatisch zurückerstattet bekommt.
Wenn das die Position der Europäischen Kommission
ist, gehe ich davon aus, dass die Bundesregierung das
selbstverständlich bei ihrer Erarbeitung der Pläne berücksichtigt.
({7})
Die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland kann
kein Selbstzweck sein. In den Koalitionsfraktionen sind
wir uns einig, dass eine Pkw-Vignette nur dann die breite
Akzeptanz der Bevölkerung finden wird, wenn es am
Ende auch nennenswerte Einnahmen gibt. Die Bürgerinnen und Bürger werden genau darauf achten, ob durch
die Kosten der Erhebung die zusätzlichen Einnahmen
nicht umgehend wieder aufgefressen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD im Bundestag steht zum Koalitionsvertrag. Das gehört sich auch
so unter Koalitionspartnern.
({8})
Wenn die im Koalitionsvertrag formulierten Bedingungen erfüllt sind, dann - und nur dann - wird es in
Deutschland eine Pkw-Vignette geben. Jetzt ist die Bundesregierung, vorneweg der Bundesverkehrsminister, an
der Reihe, etwas Konkretes vorzulegen. Wenn das vorliegt, werden wir als SPD bzw. als Koalitionspartner
und, ich denke, auch Sie alle - dafür ist die wunderbare
Sommerpause da - das gemeinsam wohlwollend, aber
kritisch prüfen.
Vielen Dank.
({9})
Ich weiß jetzt, Herr Bartol, warum ich den Hinweis
auf die Redezeit zu Beginn Ihrer Rede gegeben habe:
weil ich geahnt habe, dass Sie den Nachweis führen würden, dass es auch in vier Minuten geht.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Sie gestatten, werde ich versuchen, die fünf Minuten auszunutzen. - Mütterrente, Mindestlohn, Pkw-Maut das waren Schlagworte, die die Koalitionsverhandlungen überschrieben haben, die aber auch wichtige Anliegen der drei Parteien wiedergeben. Vielleicht erklärt der
Umstand der politischen Bedeutung des Themas PkwMaut auch die, wie ich finde, etwas unsinnige Aufgeregtheit, mit der diese Debatte bisweilen geführt wird,
bis hin zu dieser Aktuellen Stunde im Bundestag.
({0})
Eigentlich sind sich alle einig. Die Infrastruktur
braucht mehr Geld. Da ist es doch naheliegend, über Zusatzeinnahmen nachzudenken. Frau Wilms, wir denken
selbstverständlich auch an die Lkw-Maut;
({1})
wir werden dieses Thema heute Abend noch im Bundestag debattieren. Wir denken aber auch an andere Zusatzeinnahmen. Wenn es Zusatzeinnahmen sind, die noch
nicht einmal den deutschen Autofahrer zusätzlich belasten, dann ist diese Überlegung, glaube ich, sinnvoll.
Zumindest ist die Aufregung, mit der sich auch hier
manche eingebracht haben, in höchstem Maße unangemessen.
Vielleicht liegt das aber auch daran, dass über die
Pkw-Maut schon so lange diskutiert wird und wahrscheinlich jeder Deutsche dazu eine klare Meinung
- entweder dafür oder dagegen - hat. Ich kann nur sehr
begrüßen, dass diese Koalition die Umsetzung der PkwMaut in Angriff nimmt. Liebe Kolleginnen und KolleSteffen Bilger
gen von der SPD, ich persönlich hätte nicht gedacht,
dass ich in wenigen Wochen sowohl der Rente mit 63 als
auch dem Mindestlohn zustimmen würde.
({2})
Daher bitte ich um Gelassenheit, wie Sie Sören Bartol
gerade ausgestrahlt hat. Nach den genannten politischen
Großprojekten freuen wir uns natürlich über Unterstützung für dieses Anliegen, das uns besonders wichtig ist.
({3})
Ich habe darauf verzichtet, zusammenzutragen, wann
sich welche Landesverbände welcher Partei für welche
Art einer Pkw-Maut ausgesprochen haben. Ich glaube,
uns allen ist bewusst, dass die Positionierung zu diesem
Thema doch sehr von regionalen Erfahrungen abhängt,
sodass es keinesfalls so ist, dass die eine Partei dafür und
die andere komplett dagegen wäre. So gab es vor kurzer
Zeit auch einen Vorschlag von Ministerpräsident Albig,
der auf viel Kritik gestoßen ist, der aber gezeigt hat, dass
bei dem Thema Infrastrukturfinanzierung Handlungsbedarf besteht.
({4})
Ausgangslage für unsere aktuellen Überlegungen zur
Pkw-Maut ist der Koalitionsvertrag; das wurde schon
angesprochen. Dort ist festgehalten: Die Pkw-Maut wird
im Inland zugelassene Fahrzeuge nicht zusätzlich belasten. Die erzielten Einnahmen fließen in die Infrastruktur,
und - ganz klar - das Ganze muss europarechtskonform
sein.
Ich muss wegen der Art, wie diese Diskussion zurzeit
geführt wird, noch einmal darauf hinweisen: Brüssel hat
überhaupt nichts gegen eine Pkw-Maut; das wurde schon
gesagt. Ganz im Gegenteil: EU-Verkehrskommissar
Kallas hat in seinem bereits angesprochenen Beitrag in
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kommission den
Mitgliedstaaten die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren empfiehlt. Was vielen auch nicht richtig bewusst
ist, ist, dass die EU auch heute schon eine gewisse Benachteiligung von Haltern ausländischer Fahrzeuge zulässt. Denn wer eine 10-Tages-Vignette in einem EUMitgliedstaat erwirbt, der bezahlt mehr als der, der die
Jahresvignette hat, wenn man es auf die Tage der Autobahnbenutzung herunterrechnet. Eine gewisse Benachteiligung ausländischer Verkehrsteilnehmer ist also
durchaus konform mit den Vorgaben der Europäischen
Kommission. Deshalb wundere ich mich manchmal über
die Erwartung, die jetzt an Brüssel gerichtet wird, dass
die Pkw-Maut auf jeden Fall scheitern wird. Ich bin mir
sehr sicher, dass wir mit der EU-Kommission einen Weg
finden werden, die Pkw-Maut in Deutschland einzuführen.
Ich will allerdings noch eine Vorstellung, die Herr
Kallas geäußert hat, ansprechen; denn sie ist keine Vorstellung, die wir teilen. Entfernungsabhängige Gebühren
für Pkw - er hat sie nicht zur Bedingung gemacht, aber
in seinem Beitrag empfohlen - halten wir nicht für die
richtige Lösung. Wir wollen eine einfache Lösung, die
zudem keinen Anlass zur Besorgnis hinsichtlich einer
Überwachung der Autofahrer bietet und nicht zu einer
Benachteiligung von Berufspendlern und ländlichen
Räumen führt.
({5})
Gerade einmal fünf Länder in Europa verzichten
komplett auf eine Pkw-Autobahnmaut. Dass ausgerechnet das Transitland Nummer eins, Deutschland, dazu gehört, kann doch wirklich nicht sein, meine Damen und
Herren. Wir haben gute Gründe für die Einführung einer
Pkw-Maut: Transitland Nummer eins bedeutet vielfach
Stauregion Nummer eins. Unsere Infrastruktur ist unterfinanziert; wir brauchen einfach mehr Geld im System.
Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wer unsere
Straßen benutzt, soll dafür bezahlen, genauso wie Millionen deutscher Pendler und Urlauber.
Herr Behrens, eines will ich doch noch einmal klarstellen: Die Einführung einer Pkw-Maut für ausländische Fahrzeuge hat nun wirklich nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun.
({6})
Aus den genannten Gründen sollten wir alle an der
Einführung einer Pkw-Maut arbeiten. Ich bitte hierfür
um Unterstützung und auch um die nötige Gelassenheit
bei dieser Debatte.
Vielen Dank.
({7})
Thomas Lutze ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin, es geht Ihnen
um Gerechtigkeit. Das ist eine gute Idee. Bei diesem
Thema sind wir sogar dabei.
({0})
- Warten Sie es ab! - Ihnen geht es, wenn ich Sie richtig
verstanden habe, darum, dass sich alle, die auf deutschen
Straßen Auto fahren, an der Finanzierung beteiligen. Vor
diesem Hintergrund verweisen Sie darauf, dass ausländische Pkw hierzulande ohne Plakette fahren dürfen, während deutsche Autofahrer im Ausland zumeist für Plaketten oder an Mautstationen zahlen müssen. Nun
suchen Sie genauso wie Ihre Vorgänger nach einer Lösung und haben sich dabei sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Sie haben ein für meine Begriffe in der Öffentlichkeit sehr populäres Thema aufgebauscht, um Ihre
zurückgehenden Wahlergebnisse in Bayern wieder etwas
aufzubessern. Es tut mir leid, aber mit Realpolitik hat
das relativ wenig zu tun.
({1})
Nun zieht ausgerechnet die von Ihnen sehr geliebte
EU die Notbremse. Alle vorausgegangenen Warnungen
- übrigens auch aus den Reihen der Union und des Koalitionspartners SPD - haben Sie kontinuierlich ignoriert. Doch es ist noch nicht zu spät. Blasen Sie einfach
die ganze Aktion ab! Das Ganze kommt Sie gar nicht so
teuer. Vielleicht steht morgen noch etwas Negatives in
der Presse. Aber spätestens am Samstag hat jeder das
Thema vergessen.
Wenn Sie nach Lösungen unter dem Gerechtigkeitsaspekt vor allem bei der Finanzierung im Verkehrssektor
suchen, dann probieren Sie es doch einmal mit folgendem Thema: Zum Beispiel im Fernverkehr konkurrieren
die Bahn, das Flugzeug und neuerdings die Fernbuslinien um die Reisenden. Nun kann man zu jedem Verkehrsmittel seine eigene Meinung haben; auch wir waren
an der ein oder anderen Stelle sehr kritisch. Wenn Sie
aber schon Wettbewerb organisieren und zulassen, dann
muss dieser Wettbewerb wenigstens zu denselben Rahmenbedingungen stattfinden. Gehen Sie also einmal der
Frage nach, warum ein Bahnbetreiber für jeden Kilometer, der auf der Schiene zurückgelegt wird, eine Gebühr
zahlt, warum ein Eisenbahnverkehrsunternehmen für jeden Halt an einem Bahnhof oder Haltepunkt ebenfalls
eine Gebühr zahlen muss. Ich frage Sie: Warum fahren
die Fernlinienbusse auf deutschen Autobahnen kostenlos? Warum wird hier keine Maut erhoben? Ich glaube,
ein entsprechendes Gesetz benötigt eine halbe DIN-A4Seite, und Sie haben dann eine zusätzliche Einnahme für
die Verkehrsinfrastruktur.
({2})
Oder haben wir etwa keine Probleme bei der Finanzierung der Sanierung von Autobahnbrücken?
Ich stelle auch die Frage, warum gerade die Kommunen, deren Kassen ohnehin sehr klamm sind, selber die
Haltestellen für Fernbusse bezahlen müssen, während
die Betreiber der Fernbuslinien völlig außen vor sind. Ist
das Gerechtigkeit, Frau Staatssekretärin? Ich glaube
nicht. Noch eine Frage ist interessant, Stichwort „Treibstoff“. Während die Betreiber von Bussen und Bahnen
Mineralölsteuer und Ökosteuer und was weiß ich für
Steuern zahlen müssen, fliegen die Airlines kostenlos.
Kerosin? Fehlanzeige bei Mineralölsteuer und Ökosteuer! Ist das Gerechtigkeit im Verkehrssektor, wenn es
um die Finanzierung geht? Ich glaube: Nein.
Liebe Frau Staatssekretärin - das geht auch an die
Adresse von Herrn Dobrindt -, kümmern Sie sich bitte
um die gravierenden Probleme im Verkehrssektor und
um dessen Finanzierung! Lassen Sie den Unfug mit der
Pkw-Maut!
({3})
Ich glaube, das uneingeschränkte Lob der Opposition
und vielleicht auch aus Teilen der Regierung wird Ihnen
dann hier im Hohen Hause sicher sein.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kirsten
Lühmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr verehrte Gäste! In einer Aktuellen
Stunde sollte man sich mit aktuellen Themen befassen,
also mit etwas Neuem zu einem Thema, über das debattiert wird. Ich habe geschaut, was es Neues zum Thema
Maut gibt. Ich habe etwas gefunden: Eine Gemeinde im
Kreis Oldenburg bei uns in Niedersachsen plant eine
Treckermaut, um Geld für den Erhalt ihrer Wirtschaftswege einzunehmen. Das ist eine aktuelle Meldung von
gestern.
({0})
Ich glaube aber, dass das kein Thema ist, mit dem sich
der Deutsche Bundestag befasst. Wenn ich der Meldung
glauben darf, wird dieser Vorschlag keine Mehrheit finden. Wenn es nun aber nichts Neues zur Maut gibt, dann
könnten Sie auch andere Formate nehmen, liebe Freunde
von den Grünen, zum Beispiel eine Pressekonferenz, um
die eigene Meinung zu gewissen Themen darzulegen.
Das, was die Koalition zum Thema Maut vereinbart
hat, steht schon seit längerem in unserem Koalitionsvertrag. Da haben wir übrigens auch alle Pläne, wie wir uns
eine Infrastrukturfinanzierung vorstellen, dargelegt. Wir
haben dort nämlich festgelegt, dass es uns hauptsächlich
um die Sanierung von Straßen und Brücken geht. Wir
haben festgelegt, dass wir um einen Neubau nicht ganz
herumkommen werden, um den prognostizierten Zuwachs des Güterverkehrs um 39 Prozent bewältigen zu
können. Wir haben dort auch festgelegt, dass wir die Finanzierung dazu auf zwei Säulen stellen werden. Die
erste Säule ist die Steuerfinanzierung, und die zweite
Säule wird die Nutzerfinanzierung sein. Wir haben auch
gesagt, dass wir das so eingenommene Geld effizienter
verplanen und verbauen wollen, sodass wir mehr für unsere Infrastruktur tun können. Ich glaube, das sind sehr
gute Verabredungen.
Zum einen stärken wir das Prinzip „Erhalt vor Neubau“. Das ist ein ganz wichtiges Thema, das die Menschen draußen betrifft. In meinem Wahlkreis gibt es eine
viel befahrene Bundesstraße durch einen Ort, die diese
Woche erneuert wird. Die Fahrbahn wird neu gemacht;
das ist eine Maßnahme, auf die die Menschen schon sehr
lange warten, weil sie lärmgeplagt sind und es mit dieser
neuen Fahrbahndecke wesentlich ruhiger werden wird.
Zum anderen werden wir beim Neubau darauf achten,
dass die geförderten Projekte auch einen optimalen Nutzen entfalten können. Wir werden Verkehrsknoten entlasten und zusätzliche Kapazitäten auf den meistgenutzten Verbindungen schaffen. Geld, das am Ende des
Jahres noch nicht verbaut wurde, muss nun nicht mehr
an den Finanzminister zurückgegeben werden, sondern
steht im nächsten Jahr zusätzlich zur Verfügung. Das ist
eine weitere sinnvolle Neuerung, die wir eingeführt haben.
Doch ohne weiteres Geld werden wir die Herausforderungen nicht bewältigen. Darum haben wir verabredet,
zusätzliche 5 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode zur
Verfügung zu stellen. Wir wollen die Infrastruktur wieder in einen Zustand versetzen, wie es für den Wirtschaftsstandort Deutschland unabdingbar ist. Wir wissen
auch: Wenn wir das wollen, reichen diese 5 Milliarden
Euro nicht aus. Wir werden also um eine verstärkte
Nutzerfinanzierung nicht herumkommen. Dabei berücksichtigen wir aber, dass ein Lkw - das wurde schon erwähnt - unsere Straßen 60 000-mal mehr schädigt als
ein Pkw. Deshalb haben SPD und Union vereinbart, die
Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen und auf Lkw ab
7,5 Tonnen auszudehnen.
Wir haben weiterhin vereinbart, dass wir über die
Einführung einer Pkw-Maut für Halter und Halterinnen
von im Ausland gemeldeten Kraftfahrzeugen nachdenken. In 21 europäischen Ländern gibt es eine allgemeine
Pkw-Maut, meist streckenbezogen, manchmal mit Vignette. Aber zehn Länder in Europa verzichten darauf,
darunter auch unsere Nachbarn Niederlande, Dänemark
und Großbritannien. Daher können wir die Mauterhebung nicht zu einer Frage der Gerechtigkeit machen.
Wenn wir das nämlich machten, dürften wir nur von den
Fahrern solcher Länder Maut erheben, in denen auch wir
zahlen müssen. Also, für die Dänen, bei denen wir freie
Fahrt haben, wäre die deutsche Pkw-Maut ungerecht.
({1})
Die Pkw-Maut, so wie wir sie vereinbart haben, muss
drei gleichwertige Bedingungen erfüllen - sie sind genannt worden -: Die Halter und Halterinnen von in
Deutschland gemeldeten Kraftfahrzeugen dürfen nicht
zusätzlich belastet werden, weil sie genug in den allgemeinen Haushalt einzahlen, aus dem wir unsere Straßen
bezahlen. Es müssen erhebliche zusätzliche Mittel generiert werden. Ein Verwaltungsmonster, das den Großteil
der Einnahmen auffrisst, wäre sinnlos. Und sie muss
dem europäischen Recht entsprechen.
Verkehrsminister Dobrindt hat versichert, dass er eine
so ausgewogene Lösung vorlegen wird. Also, warten wir
sie ab. Ich weiß nicht, woher diese Hektik kommt. Wenn
dieser Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegt, dann wird
die EU-Kommission qualifiziert dazu Stellung beziehen.
Da ich nicht hellsehen kann, weiß ich weder, was in dem
Gesetzentwurf zur Pkw-Maut steht, noch weiß ich, welche Gedanken sich die EU-Kommission dann dazu machen wird. Darum erschließt sich mir nicht, warum wir
heute darüber reden. Eine Aktuelle Stunde dient üblicherweise dazu, aktuelle und nicht zukünftige Themen
zu debattieren.
({2})
Wenn die Stellungnahme der EU-Kommission vorliegt,
freue ich mich darauf, diese Stellungnahme mit Ihnen zu
debattieren. Jetzt freue ich mich erst einmal auf den Beginn der Parlamentspause Ende der Woche.
Frau Kollegin!
Ich wünsche uns allen gute Erholung, damit wir im
September die dann aktuellen Themen und eventuell die
vorliegenden Gedanken der EU-Kommission zu dem einen oder anderen Thema gemeinsam debattieren können.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun freue ich mich auf den nächsten Redner der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Kollegen Gastel,
den ich bitten möchte, wenn er ebenfalls schöne Wünsche für die Urlaubspause unterbringen möchte, das innerhalb der fünf Minuten Redezeit zu tun, die er zur Verfügung hat.
({0})
Wann die Pause losgeht, definiert ja in diesem Jahr
der Minister. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eines
der größten Staatsgeheimnisse unserer Zeit. Ich spreche
nicht über die Handytelefonate unserer Kanzlerin. Nein,
ich spreche über die geplante CSU-Maut. Wenn die
Pläne vorgelegt werden, dann bleiben viele spannende
Rätsel zu lösen:
Rätsel Nummer eins: Sind die Mautpläne EU-rechtskonform? Die Aussagen von EU-Verkehrskommissar
Kallas vom Wochenende haben nochmals die hohen
Hürden aufgezeigt. Unabhängig davon ist der Gedanke,
Autofahrer aus dem Ausland einseitig zu belasten,
schlichtweg antieuropäisch.
({0})
Rätsel Nummer zwei: Wie wird eine Mehrbelastung
deutscher Autofahrer vermieden? Eine solche Vermeidung war ja ein zentrales Wahlversprechen der CSU.
Aber selbst dann, wenn eine Kompensation über die
Kfz-Steuer gelingen sollte: Was ist, wenn die Niederländer oder die Dänen als Reaktion auf die deutsche Maut
ebenfalls eine Maut einführen? Spätestens dann ist dieses Versprechen gebrochen.
({1})
Rätsel Nummer drei: Werden Gelder in nennenswertem Umfang für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung
generiert? Der Aufwand für die Pkw-Maut wird gigantisch sein. Für die Erhebung der Kfz-Steuer sind schon
jetzt knapp 1 800 Personalstellen eingerichtet. Wenn die
Steuer künftig mit verschiedenen Mautsätzen, beispielsweise für Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahres4168
vignetten, verrechnet werden muss, wird noch viel
mehr Personal erforderlich sein. - Jetzt einmal Tacheles
gesprochen: Jährlich fehlen für den Erhalt der Infrastruktur in Deutschland 7,2 Milliarden Euro. Was macht die
Große Koalition? Sie finanziert mit ihrer CSU-Maut den
Betrag hinter dem Komma,
({2})
und dafür verursacht sie einen gigantischen bürokratischen Aufwand mit enormen Verwaltungskosten: mehr
Personal für die Verwaltung bei geringeren Einnahmen
aus der Kfz-Steuer. Sie sollten sich besser endlich einmal um die Infrastruktur kümmern. Wie es um diese
steht, ist nämlich im Gegensatz zu Ihren Mautplänen
kein Geheimnis. Die Infrastruktur an Schienenwegen
und Straßen verlottert zusehends. Aber was machen Sie?
Sie arbeiten an einer Maut, die nichts bringt.
({3})
Ich komme zum vierten und letzten Rätsel: Worin
liegt der Sinn dieser Maut? Dieses Rätsel, meine Damen
und Herren, kann ich lösen: Sie macht keinen Sinn, und
sie ist noch dazu ungerecht; denn egal ob Viel- oder Wenigfahrer, die Einheitsmaut kostet alle das Gleiche, und
egal ob Spritschlucker oder sparsames Fahrzeug, die
Einheitsmaut kostet alle das Gleiche. Mit dieser Flatratevignette werden völlig falsche Anreize gesetzt:
({4})
einmal zahlen und dann fahren, so viel man will. So wird
der Stau nicht weniger, und so gibt es auch keinerlei Anreiz, vermehrt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Was
wir von Ihnen als Regierung erwarten, ist ein Konzept,
wie Sie Mobilität mit geringerem Ressourcenverbrauch
möglich machen wollen, und dafür bedarf es der richtigen Anreize.
({5})
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Diese Maut ist
das Ergebnis eines unsinnigen, populistischen Wahlversprechens der CSU. Sie bringt nichts, kostet aber viel.
Im Übrigen bricht einer von Ihnen ohnehin ein Wahlversprechen: entweder die Kanzlerin, die vor laufenden Kameras versprochen hat: „Mit mir gibt es keine solche
Maut“, oder die CSU, die im Wahlkampf genau das Gegenteil verspochen hat. Wir wünschen uns, dass die CSU
ihr Versprechen brechen muss.
({6})
Denn deren Mautidee ist der Versuch einer Quadratur
des Kreises: hohe Einnahmen ohne Mehrbelastungen für
deutsche Autofahrer, und das auch noch EU-rechtskonform. Die Vignette kann aber nur eines davon sein: entweder rund oder eckig.
({7})
Herr Minister - er ist zwar nicht da, ich sage es ihm
trotzdem -, nutzen Sie die Sommerpause! Nicht um vorher noch einen Schnellschuss mit einer unsinnigen Maut
zu machen, nein, nutzen Sie die Sommerpause, um sich
im schönen Bayern zu entspannen! Steigen Sie in Bayern auf einen hohen Berg und erhaschen Sie einen Weitblick, um zu erkennen: Die CSU-Maut ist ein Rohrkrepierer und gehört gestoppt!
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Andreas Scheuer das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Am Kollegen Gastel sieht man, dass es guttut, dass die
Sommerpause bald kommt, damit man sich wieder ein
bisschen abreagieren kann, Herr Kollege Gastel. Sie sind
ja selbstständiger Wirtschaftsmediator. Wenn Sie alle
Probleme in den von Ihnen zu beratenden Unternehmen
lösen, wie Sie manche politischen Probleme lösen, dann
wird daraus nichts.
({0})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Gastel
kommt ja aus Baden-Württemberg. Da las ich schon am
13. August 2012: Vorstoß für Pkw-Maut. Wir brauchen
dringend mehr Geld. - 25. August 2013: Eine Maut für
alle ist die beste Lösung. - 24. August 2013: Hermann
fordert Pkw-Maut auf allen deutschen Straßen. - Meine
Damen und Herren, das ist Ihr baden-württembergischer
Verkehrsminister, der die CSU in ihrem Kurs unterstützt.
Das ist die Wahrheit.
({1})
Wir haben jetzt auch entdeckt, dass die Kolleginnen
und Kollegen der Grünen-Fraktion hellseherische Fähigkeiten haben. Sie diskutieren jetzt schon über ein Konzept,
({2})
das der Bundesminister erst sehr sorgfältig erstellen und
dann vorlegen wird. Sie aber spekulieren und kommentieren schon. Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Das
soll auch die Weltöffentlichkeit wissen. Wenn es richtig
wäre, was Sie sagen, nämlich dass es antieuropäisch
wäre, eine Pkw-Maut einzuführen, dann wären 21 Staaten in der EU, die ein Pkw-Maut-System haben, antieuropäisch. Ja, was ist denn das für eine Logik?
({3})
Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch, dass
sich unsere Kolleginnen und Kollegen von den Grünen
in einer verkehrspolitischen Sackgasse bewegen.
({4})
Damals, am 28. Oktober 2013, hat der Europaabgeordnete Cramer von den Grünen nämlich eine Antwort des
EU-Kommissars Siim Kallas bekommen, und darin
heißt es ganz eindeutig: Die EU-Kommission hat nichts
gegen eine Pkw-Maut. - Das ist in Wahrheit Ihr verkehrspolitischer Rohrkrepierer, mit dem Sie jetzt nicht
zurechtkommen; denn die EU-Kommission ist in dieser
Antwort klar für ein nutzerfinanziertes System und für
eine Pkw-Maut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
- Herr Kollege, regen Sie sich wieder ab! Ich konzentriere mich jetzt auf die Linksfraktion.
Ich habe nämlich gerade mitbekommen, Herr Kollege
Lutze, dass Sie gegen die wichtigen Fernbuslinien in
Deutschland argumentieren; denn Sie wollen jetzt eine
Bus-Maut für die Fernbuslinien einführen. Sie wollen
doch auch, dass unsere jungen Menschen, unsere Rentnerinnen und Rentner, die vielleicht nicht so auf die Zeit,
aber vor allem auf ihr Portemonnaie schauen müssen,
Mobilität in Deutschland haben. Dass diese Fernbuslinien zum Erfolgsschlager, zu einem Erfolg für die Mobilität in Deutschland geworden sind, sieht man an dem
breiten Angebot.
({6})
Für mich ist neu, dass die Linke jetzt so unsozial ist, dass
sie diese Personengruppen am liebsten noch zusätzlich
durch steigende Preise belasten will, indem wir eine
Bus-Maut einführen sollen. Das ist eine gute Nachricht
für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion; denn wir haben
das in der letzten Wahlperiode eingeführt, und die Fernbuslinien sind ein großer Erfolg.
({7})
Meine Damen und Herren, was ist die eigentliche Situationsanalyse, wenn man es verkehrspolitisch betrachtet? Seit Jahrzehnten diskutieren wir über eine PkwMaut. Seit Jahrzehnten diskutieren die EU-Kommission,
der EU-Ministerrat über nutzerfinanzierte Systeme. Seit
Jahrzehnten beklagen sich die Verkehrspolitiker, dass zu
wenig Geld im Infrastruktursystem ist. Diese Große
Koalition schafft es zum einen, dass wir 5 Milliarden
Euro zusätzlich für die Infrastruktur bekommen und damit auch den Länderinteressen und -anliegen Rechnung
tragen, indem unsere Infrastruktur noch besser wird. Wir
erschließen auf der anderen Seite zusätzliche Finanzierungsquellen und schließen, liebe Kollegin Lühmann,
eine Gerechtigkeitslücke, indem wir die beteiligen, die
kostenlos durch das Transitland Deutschland durchfahren. Wir beteiligen die ausländischen EU-Mitbürger an
der Finanzierung der Infrastruktur, die unser Land bis
dato kostenlos zum Durchfahren nutzen. Wir beteiligen
sie an der Infrastrukturfinanzierung. Es ist doch gerecht,
dass sie herangezogen werden, wenn sie unsere Infrastruktur benutzen.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch einmal die Vorschläge an, die in den letzten Jahrzehnten auf
dem Tisch gelegen haben: Im letzten Jahr forderte der
ADAC eine Erhöhung der Mineralölsteuer. 92 Prozent
der Bürgerinnen und Bürger sind gegen die Erhöhung
der Mineralölsteuer. Die Grünen fordern in ihrem Programm die Citymaut. 78 Prozent sind gegen die Einführung einer Citymaut. Aber 88 Prozent der Bürgerinnen
und Bürger sind für das Modell der Pkw-Maut für Ausländer, und das setzt die Große Koalition um.
({8})
Wir machen das, was die Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger will, nämlich die Gerechtigkeitslücke zu schließen und zusätzlich Finanzierungsquellen für unsere Infrastruktur zu erschließen.
Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, werden sehr überrascht sein davon, wie viel Mehreinnahmen
wir bekommen. Deswegen freue ich mich auf das Konzept, das Bundesverkehrsminister Dobrindt
({9})
ausarbeitet. Er war gestern in Brüssel. Er ist mit guten
Nachrichten aus Brüssel zurückgekommen und wird zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung und in den Koalitionsfraktionen ein Konzept auf den Weg bringen, wovon alle profitieren, die
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland am allermeisten, wenn sie nämlich durch zusätzliche Mauteinnahmen
eine bessere Infrastruktur bekommen.
Herzlichen Dank.
({10})
Martin Burkert ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Bär, mich würde einmal interessieren, ob Sie
sich vorgestellt haben, dass es mit der Pkw-Maut jemals
ernst werden könnte. Denn die ersten Rufe nach der
Pkw-Maut vom Podium im Deutschen Bundestag ertönten, als dieser noch in Bonn war. Da waren wir beide
noch Teenager.
({0})
- Der Herr Scheuer auch; darauf können wir uns vielleicht einigen.
Ich denke da gerade an jemanden aus Ihren Reihen.
Von dem CSU-Abgeordneten Dionys Jobst - Sie wissen,
wer das war - stammt bekanntermaßen auch die Idee,
dass man Mallorca zum 17. Bundesland machen könnte.
Daraus ist bis heute nichts geworden. Da stehen die Aktien und die Chancen für die Pkw-Maut aktuell besser.
Es wird unterschiedlich beurteilt.
Sie werden es noch wissen, Herr Präsident.
Ich sage ja gerade: Es wird sehr unterschiedlich beurteilt, ob daraus nichts geworden ist.
({0})
Aus Mallorca, ja? - Das wäre eine extra Aktuelle
Stunde wert.
({0})
Sie haben es mit Ihren CSU-Mitstreitern geschafft,
erst den Unionsfreunden außerhalb Bayerns die PkwMaut aufs Auge zu drücken, und dann - das will ich
auch sagen - haben Sie es geschafft, dieses von uns nicht
gewollte Kind der Großen Koalition in die Wiege zu legen. Die Verhandlungsführer sind da: der Kollege
Pronold, der Kollege Ramsauer.
({1})
Deshalb werden wir das jetzt begleiten; völlig klar. Wir
Sozialdemokraten stehen zu dem, was im Koalitionsvertrag enthalten ist; nicht mehr, aber auch nicht weniger.
So ist das.
Ihr Parteifreund Jobst wetterte bereits in den 80erJahren, also vor 30 Jahren, er sei es leid, vergeblich darauf zu warten, dass die Nachbarstaaten ihre Autobahngebühr abschaffen, während Ausländer auf deutschen
Autobahnen umsonst fahren. Ob allerdings eine Politik
nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ unbedingt
christlich ist, das wage ich zu bezweifeln.
({2})
Es sind nicht unbedingt edle Gefühle, die bei den Wählerinnen und Wählern abgerufen werden, wenn das Motto
heißt: Wenn wir im Ausland zahlen, sollen die Ausländer
auch bei uns zahlen. - Zu diesem Thema und zu den mäßigen finanziellen Effekten hat Peer Steinbrück im
Kanzlerduell das Nötige gesagt.
Es würde auch ganz bestimmt nicht die Weitsicht der
Autofahrer fördern, wenn die Windschutzscheibe mit
Dutzenden farbenfroher Plaketten zugeklebt würde, weil
jedes Land in Europa ein „Papperl“ verlangt. Von einer
wünschenswerten einheitlichen europäischen Verkehrspolitik will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag geeinigt, dass wir
uns einer Pkw-Maut unter bestimmten Voraussetzungen
nicht entgegenstellen werden. Die Punkte müssen erfüllt
sein - es ist mehrfach genannt worden -: Die Maut darf
nicht gegen Europarecht verstoßen und darf den deutschen Autofahrer nicht stärker belasten. Ich will daran
erinnern, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik
Deutschland das mehrfach und vor allem in dem Kanzlerduell Millionen von Zuschauern gesagt hat.
({3})
Wir wollen mehr Geld in die Kasse bekommen und
nicht, dass Verwaltungskosten gleich alles auffressen;
denn in einem sind wir uns hier im Hohen Hause einig:
Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist der entscheidende Punkt.
({4})
Wir haben auch Vorschläge gemacht. Die Lkw-Maut
- wir haben sie gefordert - gibt es heute.
Frau Bär, verstehen Sie mich nicht falsch, ich will
Ihre Qualitäten als Köchin nicht infrage stellen.
({5})
Herr Kollege Kampeter, Sie halten sich auf der Regierungsbank bitte heraus, solange Sie sich nicht ordentlich
zu Wort melden.
({0})
Herr Präsident, die Zeit läuft davon, aber es macht
nichts. Ich will nur sagen, dass der andere Koch nicht anwesend ist. Aber, Frau Bär, ich hoffe, Brüssel wird die
Suppe dann nicht versalzen. Darauf werden wir genau
schauen. Das EU-Recht haben wir angesprochen.
Es wäre auch ungerecht - das will ich noch einmal sagen -, wenn jemand, der im Jahr Tausende Kilometer auf
Autobahnen fährt, genauso viel zahlen müsste wie derjenige, der einmal im Jahr von dem wunderschönen Rosenheim über den Brenner zum Gardasee fährt. Auch
hier müssen wir aufpassen.
({0})
Zum Schluss möchte ich als bayerischer Abgeordneter anmerken:
({1})
Liebe Opposition, die Sommerpause beginnt in Bayern
im August. Das muss man einmal sagen. Um eines
möchte ich Sie, Frau Bär und Herr Scheuer, ausdrücklich
bitten: Die bayerische CSU hat die Pkw-Maut in die
Welt gesetzt, weil sie die Ausländer nicht ungeschoren
auf unseren Autobahnen fahren lassen will. Bitte achten
Sie beide und auch Herr Minister Dobrindt darauf, dass
Herr Seehofer in der Hitze des Sommerlochs nicht noch
den bayerischen Stammtischen folgt und für die Preußen
eine Extramaut auf bayerischen Autobahnen vorschlägt.
Darum bitte ich Sie.
({2})
Als bayerischer Landesgruppenchef habe ich einige
Sperenzchen mitgemacht und bin es gewohnt. Deshalb
will ich zum Schluss schon sagen, dass unsere Zusammenarbeit erfreulich gut ist. Das darf man heute auch sagen.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Oliver Wittke für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der
EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer
Pkw-Maut in Deutschland
So lautet das Thema der Aktuellen Stunde, die Bündnis 90/Die Grünen beantragt hat.
({0})
Ich stelle zu Beginn meiner Rede fest, dass von Ihnen,
Frau Wilms und Herr Gastel, kein einziger Einwand von
Bedeutung der EU-Kommission gegenüber einer PkwMaut in Deutschland, die im Konzept vorliegt, vorgetragen worden ist. Das kann auch gar nicht sein; denn es
wäre komisch, wenn die Einwände vor der Veröffentlichung eines Gesetzentwurfes öffentlich werden. Von daher ist die heutige Debatte, die Sie beantragt haben,
nichts anderes als der Versuch, einen Vorgang zu skandalisieren, der gar nicht skandalisierbar ist, weil ein tatsächliches Konzept das Licht der Öffentlichkeit noch gar
nicht erblickt hat. Darum kann es keine Einwände der
Europäischen Union in dieser Frage geben.
({1})
- Wenn Sie den Entwurf haben, dann stellen Sie ihn hier
vor. Wenn es tatsächlich Einwände der EU-Kommission
gibt, tragen Sie diese hier vor. Sie haben es bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht getan.
Der Kollege Scheuer hat gerade EU-Kommissar
Kallas zitiert. Ich will dies auch noch einmal tun. In der
gerade erwähnten Antwort vom 28. Oktober 2013 auf
eine Anfrage von Michael Cramer, Mitglied Ihrer Fraktion im Europäischen Parlament, hat der Verkehrskommissar wörtlich gesagt:
Grundsätzlich stellt eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuern für gebietsansässige Nutzer … bei
gleichzeitiger Erhebung angemessener Nutzungsgebühren für alle Nutzer also keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar.
Deutlicher geht es nimmer. Das müssen Sie zur Kenntnis
nehmen. Das ist ein Kommentar der Kommission der
Europäischen Union. Die ist hier maßgebend.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es hier
tatsächlich? Es geht darum, darüber nachzudenken, wie
wir mehr Geld in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren können.
({3})
Das ist mittlerweile eine politische Binsenweisheit, die
auch bei Ihnen, Frau Wilms, angekommen sein müsste.
({4})
Wir müssen mehr Geld in die Unterhaltung, in die Sanierung und auch in den Ausbau unserer Fernstraßen investieren.
({5})
Da gibt es nur drei Möglichkeiten, woher das Geld kommen kann: entweder neue Schulden oder Steuermittel
oder Gebühren. Neue Schulden sind mit uns nicht zu
machen. Aus Steuermitteln stellen wir in dieser Legislaturperiode schon 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung.
({6})
Darüber hinaus werden wir gebührenfinanziert, nämlich
durch eine Pkw-Maut, zusätzliche Mittel für den Fernstraßenbau und für die Sanierung von Fernstraßen in
Deutschland generieren.
({7})
Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie glauben, es
ginge darum, Ausländer abzuzocken. Nein, es geht, wie
es im Koalitionsvertrag heißt, um die zusätzliche Finanzierung von Fernstraßenbau in Deutschland, um nichts
anderes - nicht um Abzocke, sondern um mehr Mittel
für Investitionen.
({8})
Darum haben wir - das ist mehrfach vorgetragen worden - zwei Bedingungen ausdrücklich festgelegt. Ich
komme gleich noch zu einer weiteren konkludenten Bedingung, wenn man so sagen will. Die beiden ausdrücklich niedergeschriebenen Bedingungen lauten „keine
Mehrbelastung für deutsche Autofahrer“ und „die Regelung soll EU-rechtskonform sein“.
({9})
Ich habe keinen Zweifel daran, dass beide Bedingungen
im Gesetzentwurf von Minister Dobrindt enthalten sein
werden. Lassen Sie uns dann darüber reden, wenn der
Gesetzentwurf vorliegt. Ich sage Ihnen: Beide Bedingungen werden erfüllt sein.
({10})
Es gibt eine konkludente Bedingung, die ich hier auch
noch erwähnen will: Vernünftig muss die Regelung
schon sein. Vernünftig heißt: Der Aufwand muss deutlich geringer sein als der Nettoertrag. Beides muss in
einem vernünftigen Verhältnis stehen; denn nur zum
Geldwechseln werden wir natürlich keine Pkw-Maut
einführen können. Wir wollen, dass am Ende Mittel für
den Fernstraßenbau übrig bleiben. Wenn ich mir anschaue, dass seit der erfolgreichen Einführung der LkwMaut gerade einmal 10 Prozent des Aufkommens für deren Verwaltung aufgewandt werden, dann muss ich sagen: Da liegt die Latte in einer richtigen Höhe. Sie muss
nach Möglichkeit noch darunter liegen, damit möglichst
viele Mittel in den Fernstraßenbau investiert werden
können und nicht nur Geld gewechselt wird.
({11})
Das bedeutet im Übrigen auch, dass die Regelung praktikabel sein muss. Wir wollen kein bürokratisches Monster. Wir wollen eine praktikable Handhabung der PkwMaut; auch das ist selbstverständlich.
({12})
Ich bin sicher, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass
all diese Bedingungen in einem Gesetzentwurf von
Minister Dobrindt enthalten sein werden. Darum verstehe ich die Aufregung zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
Wir werden - dann auf dem Fundament eines ordentlichen Gesetzentwurfs - ja noch viele Möglichkeiten haben, darüber zu debattieren. Dann werden Sie sehen: Der
Koalitionsvertrag wird Punkt für Punkt eingehalten werden, so wie wir es vereinbart haben
({13})
und wie wir es im Übrigen der Infrastruktur und damit
den Menschen in diesem Land schulden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Ulrich Lange ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Hurra, sie lebt noch, die Opposition.
({0})
Wenn ihr schon gar nichts mehr einfällt, dann nimmt sie
noch ein Thema, zu dem es eigentlich nichts Neues gibt.
Liebe Kollegin Wilms, lieber Kollege Gastel, wo waren Sie denn heute in der Fachdebatte zur digitalen Infrastruktur?
({1})
Da waren Sie weit und breit nicht zu sehen, weil Sie hier
noch Ihren Showtanz vorbereiten mussten, für den es eigentlich keinen Anlass gibt. Seien Sie beruhigt: Vonseiten der CSU gab und gibt es keinen Betrug am Wähler,
liebe Kollegin Wilms.
({2})
Ich kann mich noch sehr gut an die letzte Aktuelle
Stunde vor der Sommerpause vor der Bundestagswahl
erinnern. Da habe ich Ihnen auf die Frage, wie diese
Pkw-Maut denn in den Koalitionsvertrag kommen soll,
geantwortet: Seien Sie beruhigt, die CSU verhandelt mit. Sie steht jetzt im Koalitionsvertrag. Wie es Horst
Seehofer gesagt hat: ohne Maut keine Unterschrift, und
wie es die Kanzlerin gesagt hat: keine Mehrbelastung für
die deutschen Bürgerinnen und Bürger.
({3})
Also sind die Bedingungen abgesteckt. Damit ist auch
klar, in welchem Rahmen die Maut kommt.
Herr Kollege Lutze, schön, dass Sie auch mal wieder
da sind; im Ausschuss sehen wir Sie nicht mehr so häufig. Es ist klar: Wir brauchen kein Lob von Ihnen. Das ist
der Unterschied zwischen Opposition und Regierung.
Wir haben einen Wählerauftrag, den wir hier erfüllen.
Loben können Sie sich in der Opposition selber; es wird
nichts bringen.
Kollege Burkert, eine Bemerkung sind Sie mir als
bayerischer Kollege jetzt wert. Ihre Rede hat gezeigt,
warum die Verhältnisse in München so sind, wie sie
sind: Das, was Sie sagen, geht manchmal am bayerischen Lebensgefühl vorbei.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehrfach angesprochen worden: Es gibt eigentlich nichts
Neues. Auch der Namensartikel von Siim Kallas in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bietet keinen
Anlass zu dieser Diskussion. Darin stellt er nur fest: Die
EU sagt Ja zu einer Nutzerfinanzierung, weil sie genau
weiß, dass es ohne Nutzerfinanzierung nicht genügend
Geld für die in Europa so notleidende Verkehrsinfrastruktur gibt. Ja, die EU sagt, dass wir frei entscheiden
können, wie wir die Pkw-Maut aufsetzen. Auch das ist
nichts Neues, sondern nur eine Bestätigung unserer Position.
({5})
Am Ende des Artikels heißt es, dass wir nicht diskriminieren dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
denke doch, dass wir hier im Deutschen Bundestag bisher sehr gute Europäer sind und waren; wir werden die
europäischen Grundsätze mit Sicherheit nicht verletzen.
({6})
Ich glaube, dass das hier Konsens ist, und in diesem
Konsens werden wir die Pkw-Maut auf den Weg bringen.
({7})
Für mich steht außer Zweifel, dass die Einführung der
Maut am Ende eine Frage der Gerechtigkeit ist. In über
20 EU-Staaten ist eine solche Infrastrukturfinanzierung
in Form einer Nutzerfinanzierung möglich. Dann ist es
doch nur eine Frage der Gerechtigkeit und Solidarität,
die ich durchaus empfinde, wenn ich durch Österreich
oder Italien fahre;
({8})
ich habe Verständnis für die Österreicher, dass sie für die
Nutzung ihrer Straßen von mir Geld verlangen, denn ich
nutze sie ja auch - ich nutze sie in Italien, ich nutze sie in
Frankreich, ich nutze sie in über 20 Staaten der EU. Das
ist gerecht;
({9})
das ist europäische Solidarität. Ich glaube, auch wir können uns in diesem Rahmen bewegen.
Der Vergleich mit einem Trainer amüsiert mich. Wer
ist denn Präsident, wer ist Trainer, und wer ist Kotrainer?
- Liebe Frau Staatssekretärin, ich würde Sie hier auf der
Regierungsbank nie als Kotrainerin sehen. - Das gilt insbesondere deshalb, lieber Kollege Behrens, weil die Kollegin Dorothee Bär als sehr kompetente und sehr gute
Staatssekretärin heute hier den Minister vertreten hat.
({10})
Der Präsident leuchtet schon.
({11})
Aber ich bleibe im Rahmen der bisherigen Überziehungen in der letzten Aktuellen Stunde vor der Sommerpause; wir wollen ein bisschen amüsiert in diese Pause
gehen.
Ich halte fest: Wir haben einen Koalitionsvertrag, in
dem es heißt, dass die Pkw-Maut zu keiner Mehrbelastung deutscher Autofahrer führen darf und EU-rechtskonform ausgestaltet werden soll. Das ist die Aufgabe,
die uns gestellt ist. Wir werden sie erfüllen.
Herr Kollege.
Eine Koalition mit der CSU, mit der Union heißt immer: mehr Geld für die Infrastruktur, Schließung der Gerechtigkeitslücke und Straßenbau.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Herr Kollege, wenn die Koalition die eigene Regierung lobt, bleibt dem Präsidenten eigentlich nichts mehr,
als zu leuchten.
({0})
Nun hat als letzter Redner der Kollege Arnold Vaatz
das Wort.
({1})
Danke, Herr Präsident, für Ihre wertvolle Erläuterung
zu Ihrer Rolle.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stellt
sich die Frage: Wozu führen wir diese Debatte?
({1})
An manchen Sitzungstagen gehen die Debatten bis tief
in die Nacht. Wir verplempern heute unsere wertvolle
Zeit, indem die Möglichkeit, eine Aktuelle Stunde
durchzuführen, missbraucht wird, um über Dinge zu reden, die der Volksmund als ungelegte Eier bezeichnet.
({2})
Solange wir den Gesetzentwurf nicht kennen, ist eine
Diskussion darüber reine Spekulation; das müsste eigentlich jedem klar sein. Eines wissen wir - das ist vielleicht der einzige Bezug zum Thema der heutigen Debatte -: Kommissar Kallas hält es prinzipiell für richtig,
dass wir stärker in die Nutzerfinanzierung eintreten. Das
sollte eigentlich auch unser gemeinsames Bestreben
sein.
Ich bin trotzdem nicht ganz unglücklich über die Debatte, weil sie uns die Gelegenheit gibt, etwas dazu zu
sagen, was die Menschen empfinden, die in der Nähe der
Grenze von Ländern wohnen, in denen eine Maut erhoben wird.
({3})
Sie empfinden die Situation als grobe Ungerechtigkeit
und die Art, wie wir darüber reden, als ignorant, und
zwar aus dem ganz einfachen Grund: Es sind ärmere Gegenden, die an jene Länder grenzen, in denen Maut erhoben wird, zum Beispiel das Erzgebirge oder der Bayrische Wald. Die Menschen dort wünschen sich von uns,
dass wir diese tiefempfundene Ungerechtigkeit beseitigen. Sie möchten nicht als Ausländerfeinde oder als Antieuropäer bezeichnet werden, sondern Sie wollen ernst
genommen werden. Sie wollen, dass dieselben Regeln,
die sie im Ausland beachten müssen, auch von Menschen aus dem Ausland, die zu uns ins Inland kommen,
beachtet werden müssen. Das ist der Punkt.
({4})
Ich kann daran nichts Negatives erkennen.
Es gibt zwei Möglichkeiten der Finanzierung: einerseits durch Steuern und andererseits durch eine Nutzerfinanzierung durch die Maut. Ich kann an diesem dualen
Prinzip nichts Falsches erkennen. Falsch ist allerdings,
dass fortwährend Dinge vermischt werden, wo es nichts
zu vermischen gibt.
Was bedeutet das? Wir wollen eine Maut für alle
({5})
- Moment! -, wir wollen allerdings eine Maut, die unsere inländischen Autofahrer nicht zusätzlich belastet.
Das haben wir gesagt, und an diese Prämisse werden wir
uns halten.
({6})
Die Kraftfahrzeugsteuer festzusetzen, ist ein originäres souveränes Recht jedes europäischen Landes; wir
brauchen dafür keine Genehmigung der Europäischen
Union. Wenn wir die Kraftfahrzeugsteuer neu festsetzen,
dann ist das unser Recht als Parlament. Wenn inländische Autofahrer, also Fahrzeughalter, die ihre Fahrzeuge
in Deutschland zugelassen haben, im Zuge dieser Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer keine zusätzliche
Belastung erfahren, dann ist das kongruent zu unserem
Wahlversprechen, und wir werden es auch so umsetzen.
Wie das genau geschehen wird, das werden Sie dem
Gesetzentwurf entnehmen, den der Herr Minister bald
vorlegen wird. Ich bin sicher: Wenn dieser Gesetzentwurf vorliegt, dann wird Ihr Empörungspotenzial - das
ist der einzige Grund, warum Sie die heutige Debatte beantragt haben - erheblich zurückgegangen sein.
Ich wünsche Ihnen eine schöne Sommerpause, viel
Sonne und Zeit zum Nachdenken.
({7})
Noch ist es nicht so weit. - Die Aktuelle Stunde ist
damit beendet.
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einstufung weiterer Staaten als sichere
Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des
Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und
geduldete Ausländer
Drucksachen 18/1528, 18/1766
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksachen 18/1954, 18/2004
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen
Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister des Innern, Thomas de Maizière, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf, der zwei wichtige Bestandteile hat, die Einstufung von drei Ländern als sichere Herkunftsstaaten
und eine erleichterte Arbeitsaufnahmemöglichkeit für
Asylbewerber.
Seit Aufhebung der Visumspflicht für Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien haben wir in
Deutschland einen sprunghaften Anstieg der Zahl der
Asylanträge aus diesen Ländern beobachtet. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum haben sich die Zahlen
mehr als verdoppelt. Für das zweite Halbjahr 2014 ist
nochmals eine deutliche Steigerung zu erwarten. Die
Zahl der anerkannten Schutzbedürftigen bei den Angehörigen dieser Staaten liegt jedoch bei unter 1 Prozent.
Die Aufhebung der Visumspflicht für diese Staaten war
gedacht, damit Reiseverkehr entsteht, Handel entsteht,
Wandel entsteht, Kontakte entstehen, aber die Aufhebung der Visumspflicht war nicht dazu gedacht, damit
man ohne Visum hier Asyl beantragen kann.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf sollen aussichtslose Asylanträge von Angehörigen dieser Staaten
schneller bearbeitet und ihr Aufenthalt in Deutschland
schneller beendet werden können. Bund, Länder und
Kommunen können dadurch von erheblichen Kosten
entlastet werden. Hinzu kommt, dass die hohe Zahl der
letztlich erfolglosen Asylanträge aus den Westbalkanstaaten im Ergebnis zulasten der tatsächlich schutzbedürftigen Asylsuchenden geht. Wir können mehr
Verfolgte aus Syrien aufnehmen, wenn weniger Nichtverfolgte zum Beispiel aus Serbien zu uns kommen. So
einfach ist die Lage.
Die Anhörung im Deutschen Bundestag hat unsere
Einschätzung bestätigt, dass diese drei Staaten als sichere Herkunftsstaaten angesehen werden können. Dort
drohen weder Verfolgung noch Folter noch unmenschliche Behandlung. Das gilt auch in Bezug auf die Volksgruppe der Sinti und Roma. Die Anhörung hat ferner gezeigt - Herr Oppermann hat das in der Generaldebatte
sehr überzeugend vorgetragen -: Das Asylrecht ist nicht
der richtige Ort, der zweifellos schwierigen sozialen und
wirtschaftlichen Lage in bestimmten Herkunftsländern
zu begegnen und die damit verbundenen Fragen zu lösen.
({0})
Die Sachverständigen haben auch deutlich gemacht,
dass es sich bei diesem Gesetzentwurf um eine Regelung
handelt, die die materielle Rechtsposition der betroffenen Asylbewerber nicht schmälert. Jeder Asylbewerber
aus den drei Westbalkanstaaten hat die Chance, darzulegen, dass er abweichend von der allgemeinen Lage in
dem als sicher dargestellten Herkunftsland in seinem
konkreten Fall dennoch mit Verfolgung rechnen muss.
Das kann vorgetragen werden und wird geprüft.
Deutschland folgt - ein wichtiger Punkt, ich habe
schon darauf hingewiesen - mit diesem Gesetzentwurf
dem Beispiel anderer, auch unterschiedlich politisch regierter Staaten, die diese drei Staaten längst zu sicheren
Herkunftsländern erklärt haben: Belgien, Frankreich,
Österreich, das Vereinigte Königreich.
Dieses Gesetz hat auch noch einen anderen Aspekt.
Das Gesetz verkürzt die Wartefrist, nach der Asylbewerbern und Ausländern, die eine Duldung besitzen, die
Ausübung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt
werden kann, auf nur noch drei Monate. Wir wollen
durch verschiedene Bemühungen erreichen, dass die
Asylverfahren im Durchschnitt nach drei Monaten abgeschlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten klar ist,
wer bleibt und wer nicht bleibt. Warum sollen denn diejenigen, die bleiben dürfen, nicht arbeiten dürfen, ihren
Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten, Beiträge und
Steuern nicht zahlen und sich hier nicht integrieren? Die
Verkürzung der Wartezeit ist richtig, und auch dafür bitte
ich um Ihre Zustimmung.
({1})
Das Gesetz ist zustimmungspflichtig. Das heißt, der
Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen. Dazu gibt es
Gespräche. Wir werden aufnahmebereit zuhören, was
von einigen Ländern in diesen Gesprächen dazu vorgetragen wird, gegebenenfalls auch in einem Gesamtzusammenhang mit dem Thema Migration. Das Konzept
der sicheren Herkunftsstaaten als solches kann aber nicht
zur Disposition stehen. Es ist europäisches Recht. Ich
sehe im Rat überhaupt keine politische Mehrheit, das zu
ändern. Die Staats- und Regierungschefs haben in ihren
Beschlüssen zum Post-Stockholm-Prozess, also zu ihren
Vorhaben in der Innen- und Rechtspolitik in den nächsten fünf Jahren gesagt: Wir haben eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Wir wollen sie jetzt einheitlich
und solidarisch angewendet sehen, aber wir wollen sie
nicht grundsätzlich ändern.
Unser Bundespräsident hat zu Beginn dieser Woche
eine vielbeachtete Rede zum Flüchtlingsschutz gehalten.
({2})
- Zunächst einmal hat er auf meinen Migrationshintergrund hingewiesen. Das ist das eine. - Über manches
wird sicher noch zu reden sein, auch selbstkritisch, Frau
Jelpke; das ist klar. Das werden wir tun. Das Thema
„Flüchtlingsschutz/Asylbewerber“ bleibt uns in der ganzen Legislaturperiode im Zusammenhang mit dem
Thema „Migration und Integration“ erhalten. Das ist so.
Daran gibt es gar keinen Zweifel.
Der Bundespräsident forderte aber auch - ich zitiere
ihn -, „die Verfahren für die Flüchtlinge gerechter und
effektiver zu gestalten“. Ferner sagte er:
Zu einer effektiveren Flüchtlingspolitik gehört aber
auch, dass wir diejenigen auf humane Weise zurückweisen, die nach den gültigen Kriterien keine
Fluchtgründe haben, die zur Aufnahme … in der
Bundesrepublik berechtigen …
Er beendete diesen Gedanken mit dem Satz:
Ich wünsche mir eine Solidarität, die wir auch leben
können.
Darum geht es.
Ich meine, dass wir mit diesem Gesetz einen maßvollen und vernünftigen Beitrag dazu leisten, dass wir in
unserer gesamten Gesellschaft eine solche Solidarität leben können und die Aufnahmebereitschaft der deutschen
Bevölkerung, die sehr groß ist, für die wirklich politisch
Verfolgten erhalten können. Deswegen bitte ich Sie um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
({3})
Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition will heute einen Gesetzentwurf durch das Parlament
peitschen, der zu einem weiteren Einschnitt beim Flüchtlingsschutz in Deutschland führen wird. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sollen pauschal als
sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Flüchtlinge
aus diesen Ländern werden in Zukunft im Asylschnellverfahren abgelehnt. Der Rechtsschutz wird extrem eingeengt. Die Linke lehnt diese Änderungen strikt ab.
({0})
Wir fordern in unserem Antrag, auf dieses Vorhaben
zu verzichten. Statt Menschen im Schnellverfahren abzufertigen, sollten die Fluchtgründe wirklich genau geprüft werden. Niemand, Herr Innenminister, der in seinem Herkunftsland unter massiven Diskriminierungen
und Menschenrechtsverletzungen zu leiden hat, darf abgeschoben werden. Vor allen Dingen darf man nicht
Flüchtlinge aus dem einen Land gegen Flüchtlinge aus
dem anderen Land ausspielen. Das halte ich wirklich für
unglaublich skandalös.
({1})
Der Innenausschuss hat in der letzten Woche eine
Sachverständigenanhörung durchgeführt. Am Dienstag
fand mal eben eine Sondersitzung statt, in der dieser Gesetzentwurf durchgewinkt wurde. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Ergebnis der Anhörung hat es
überhaupt nicht gegeben. Der Koalition war es wichtiger, diesen Gesetzentwurf vor der Sommerpause durchzuprügeln, als sich mit den Bedenken der Sachverständigen auseinanderzusetzen. Die Berichte des Europarats
oder auch die Menschenrechtslage, die von vielen NGOs
beschrieben wurde, spielten überhaupt keine Rolle. Dabei gilt: Wenn der Gesetzgeber - das sind wir - in diesem Haus eine Liste sicherer Herkunftsstaaten erstellt,
muss er sich selbst ein umfassendes Bild von der Lage
dieser Herkunftsstaaten machen. Das war die Maßgabe
des Bundesverfassungsgerichts von 1996. Aber die
Koalition hat sich davor gedrückt. Sie folgen nicht menschenrechtlichen Erwägungen, sondern koalitionspolitischer Räson. Sie opfern Flüchtlingsrechte auf dem Altar
des Koalitionsfriedens. Ich kann dazu nur sagen: Das
finde ich schäbig.
({2})
Meine Damen und Herren, in der erwähnten Anhörung wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung
deutlich kritisiert. Die Sachverständige Dr. Waringo zum
Beispiel hat der Bundesregierung vorgeworfen, Rechtsverstöße zu bagatellisieren und zu verharmlosen. Insbesondere Roma würden in den drei Staaten, von denen
heute die Rede ist, gesellschaftlich diskriminiert und an
den Rand gedrängt. Sie hat an vielen Beispielen geschildert, wie Roma die Aufnahme in Krankenhäuser verwehrt wird, wie ihre Kinder in Sonderschulen verschoben werden, nur weil sie Roma sind. Die Armut der
Roma sei Ergebnis einer strukturellen Diskriminierung
über Jahrzehnte hinweg, sagte die Sachverständige. Die
Polizei schreite bei Angriffen auf Minderheiten einfach
nicht ein. Es sei klar, dass alle diese Diskriminierungen
zusammengenommen zu einer Situation führen, in der
Menschen in ihrer Existenz und Menschenwürde gefährdet sind. Diesen Menschen müssen wir weiter Schutz
bieten; das kann überhaupt keine Frage sein.
({3})
Meine Damen und Herren, die Anhörung im Ausschuss hat weitere gravierende rechtliche Mängel Ihres
Gesetzentwurfes aufgezeigt. Sie orientieren sich bei der
Einstufung als sicherer Herkunftsstaat weiterhin an der
Frage, ob der Staat selbst für politische Verfolgung verantwortlich ist. Das ist ein viel zu enger Maßstab. Der
Sachverständige Dr. Marx - übrigens ein sehr versierter
Asylanwalt - hat dargelegt, dass nach europäischem
Recht die Frage lauten müsste, ob der Staat effektiv und
dauerhaft vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen schützt, egal von wem sie ausgehen. Das ist der erste
Mangel.
Der zweite Mangel besteht darin, dass europarechtlich auch kumulative Diskriminierungen als Verfolgung
gewertet werden müssen. Das bedeutet, Menschenrechtsverletzungen müssen nicht so weit gehen, dass
Leib und Leben bedroht sind. Auch viele kleine Menschenrechtsverletzungen können die Lage für die Betroffenen so unerträglich machen, dass ein Anrecht auf
Schutz besteht. Auch Verletzungen der sozialen Menschenrechte müssen berücksichtigt werden. Darauf, Herr
Innenminister, hat im Übrigen der UN-Flüchtlingskommissar in seiner Stellungnahme deutlich hingewiesen.
Dem schließen wir uns an. Wenn Menschen dauerhaft an
den Rand gedrängt werden, darf ihnen die Flucht aus
dieser lebensbedrohlichen Armut nicht zum Vorwurf gemacht werden.
({4})
Ich komme zum Schluss. Ihr Gesetzentwurf ist rechtlich mangelhaft, er verletzt die verfassungsrechtlich gebotene Sorgfaltspflicht, er ignoriert europäisches Recht,
und er verharmlos rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung in den Herkunftsländern. Ich kann nur an Sie
appellieren - insbesondere an die Vertreter der Grünen
im Bundesrat -: Knickt nicht ein! Stimmen Sie diesem
Gesetzentwurf nicht zu!
Danke schön.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Özdemir
das Wort.
Präsident Dr. Norbert Lammert
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Entwurf des Gesetzes der Bundesregierung zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer wurde
anlässlich der ersten Lesung differenziert debattiert.
Hierbei stand und steht der humanitäre Gesichtspunkt,
aber vielmehr der Mensch für uns Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten immer im Mittelpunkt.
Nüchtern zu lösen ist die dem Thema innewohnende
Problematik, wenn man sich emotional gelöst den Komplexen erstens einer Priorität von Asylsuchenden aufgrund von politischer Verfolgung vor anderen Gründen
wie Armut nähert und zweitens analytisch unter verwaltungsjuristischem Aspekt die politische Dimension nicht
nur aus Berlin, sondern auch unmittelbar aus den betroffenen Kommunen heraus betrachtet. Die Kommunen
sind nämlich die erste Instanz, mit der die Asylbewerber
und die geduldeten Ausländer in Berührung kommen.
Diese Ebene ist befähigt, für das BAMF ein Höchstmaß
an Entscheidungsreife aufgrund von Fakten herbeizuführen. Gleichsam wurden die Kommunen in der Vergangenheit in den betroffenen Ressorts leider kontinuierlich
ausgedünnt. Gerade deshalb will ich als Mitglied im Unterausschuss Kommunales diesen Blickwinkel noch einmal herstellen.
Der Gesetzentwurf konstatiert die Fakten, auf die ich
noch einmal kurz eingehen möchte:
Seit Aufhebung der Visumpflicht für die ehemalige
jugoslawische Republik Mazedonien und Serbien
… sowie für Bosnien und Herzegowina … ist die
Zahl der … Asylanträge sprunghaft angestiegen.
So steht es im Gesetzentwurf. Der Beleg hierfür ist, dass
ein Fünftel der Erstanträge Staatsangehörigen dieser
Herkunftsstaaten zuzurechnen ist. Das ängstigt uns Sozialdemokraten nicht. Vielmehr sind wir uns unserer
deutschen Verantwortung bewusst, und wir haben gerade
in diesem Bewusstsein auch den Koalitionsvertrag mit
der CDU/CSU ausgehandelt.
Auf dieser Basis werte ich zunächst die Erleichterung
hinsichtlich des Arbeitsmarktzuganges als sehr positiv
und begrüßenswert. Natürlich können wir gemessen an
unserer Wirtschaftskraft mehr tun. Die Bundesregierung
in Person von Staatsministerin Özoğuz hat dies auch bereits in die richtige Richtung formuliert.
({0})
Fraglich ist hingegen, wo wir als Erstes ansetzen. Ein
Blick ins Grundgesetz erleichtert hier die Gesetzgebung.
Aus Zeitmangel verweise ich auf Artikel 16 a Absatz 3
Grundgesetz. Die umstrittene Beweislastumkehr, auf die
ich hier abstelle, ist bereits Verfassungsrecht und durch
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit
1996 auch etabliert. Entscheidende Prüfsteine, so Karlsruhe, sind die Rechtsstaatlichkeit und die Freiheitlichkeit
im Allgemeinen.
Damit gibt uns unser Grundgesetz quasi vor, prioritär
nach der zuweilen lebensbedrohlichen politischen Verfolgung der Menschen zu entscheiden. Selbstredend
kann man über das Rechtsstaats- und Freiheitsverständnis der betroffenen drei Staaten diskutieren. Diese Diskussion hat allerdings eine völlig andere Qualität als die
Diskussion darüber, ob die Gefahr für Leib, Leben und
Freiheit durch Verfolgung zum Asyl berechtigt.
Ich möchte diese Gruppen gar nicht gegeneinander
ausspielen. Jedoch müssen wir garantieren, dass wir denjenigen, deren Notlage am größten ist, helfen können, indem wir eine fundierte Bearbeitung zügig gewährleisten
und indem wir zunächst nicht asylrelevante Tatsachen
ausscheiden. Die Zahlen geben uns in dieser Hinsicht
recht. Die Anerkennungsquote - das haben wir vom
Minister gehört - liegt bei unter 1 Prozent. Zu diesen
Herkunftsstaaten sind rund 12 000 Gerichtsurteile ergangen, und eine Schutzgewährung erfolgte nur in 82 Fällen.
({1})
Die Obliegenheit eines Asylbewerbers aus einem sicheren Herkunftsstaat, Gründe beizubringen, die sein
Anliegen untermauern, ist verhältnismäßig, wenn man
beachtet, dass dadurch die Schutzintensität möglicherweise dringlich schutzbedürftiger Asylbewerber erheblich steigt. Angesichts von 127 000 Asylanträgen allein
im Jahre 2013 ist es vielmehr geboten, asylrelevante und
asylfremde Tatsachen durch eine Vorprüfung zu trennen.
Die Einzelfallprüfungen sämtlicher Rechte werden ja
nicht ausgehebelt - ebenso wenig wie das Recht, den
Erstantrag durch das Vorbringen eines Folgeantrags zu
erneuern und zu vertiefen.
Ich kenne die persönlichen Schicksale von europäischen und nichteuropäischen Flüchtlingen und geduldeten Ausländern aus meinem Wahlkreis in Duisburg.
Willy Brandt hat einst gesagt, er habe gesehen, wie
Krieg zu Armut führe, und er möchte nicht sehen, wie
Armut zu Krieg führe. - Tauscht man das martialische
Wort „Krieg“ gegen „sozialer Unfrieden“, so haben wir
ein ziemlich passgenaues Zitat für das Jahr 2014.
({2})
Die Kommunen haben nämlich neben ihren üblichen
Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge - vom
Stopfen der Straßenlöcher bis zum Strom - eine massiv
erhöhte Zahl von Asylanträgen vor Ort zu bearbeiten.
Aus Erstanträgen werden Folgeanträge. Es grenzt schier
an Unmöglichkeit, alle Asylbewerber unterzubringen,
weil Übergangswohnheime für Asylantragsteller erst
eingerichtet und teilweise neu gebaut werden müssen.
Dies setzt zunächst voraus, dass ein unumstrittener
Standort in der Nachbarschaft anständig kommuniziert
wird. In meiner Heimatstadt sind jüngst 280 Wohnungen
Mahmut Özdemir ({3})
für die Unterbringung von Asylbewerbern beschlagnahmt worden - Tendenz steigend.
Mit Beton alleine ist es aber auch nicht getan. Das Betreuungspersonal der Wohnanlagen und der Sammelunterkünfte finanzieren ebenfalls die Kommunen aus
dem eigenen Etat. Ich möchte daher in diesem Hohen
Hause die Gelegenheit nutzen, den Oberbürgermeistern,
den Bürgermeistern, den Beigeordneten und auch den
ehrenamtlichen Menschen vor Ort aufrichtig für ihren
Einsatz zu danken, unser Asylrecht - jenseits der Auslegung von Gesetzestexten - herunter bis in die Stadtviertel verständlich zu vermitteln.
Auf diese Art können wir den Menschen vor Ort ihre
Sorgen nehmen, etwa um den Wert der eigenen Immobilie. Vor allem aber gilt es, die Sorgen aufgrund der sich
immer größer auftuenden Diskrepanz zu nehmen, der
Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Aufgaben aus
Berlin auf der einen Seite, die gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erfüllen sind, und dem kommunalen Sparzwang auf der anderen Seite, der durch die
Schließung von kommunalen Einrichtungen augenfällig
wird. Diese Diskrepanz müssen wir als Bundespolitiker
gemeinsam beseitigen. Hier möchte ich ansetzen.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!
({4})
Das Wort erhält nun die Kollegin Luise Amtsberg für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Ich brauche keinen Klatscher am Anfang, Herr
Özdemir. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Zahlreiche Flüchtlings-, Menschenrechtsund Bürgerrechtsorganisationen haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten an uns als Parlamentarier, an den Bundesrat und an die Bundesregierung gewandt, um die Pläne, die drei schon mehrfach genannten
Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, zu verhindern. Wir finden diese Aufrufe richtig; denn die Grünenfraktion widerspricht vehement der Auffassung der
Bundesregierung und der Großen Koalition, dass Asylbewerber aus den Balkanstaaten keinen Schutz brauchten und Armutszuwanderer seien.
({0})
Fakt ist, dass ethnische Minderheiten und Homosexuelle extrem diskriminiert werden, die serbischen,
mazedonischen und bosnischen Behörden sie nicht ausreichend vor Übergriffen schützen wollen oder können,
und es gibt eklatante Mängel im Justizsystem. Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten haben zudem eine derartige Dimension angenommen, dass sie für diese Menschen existenziell und
lebensgefährdend werden können.
({1})
Dass Sie, Herr de Maizière, sagen, es gebe keine Verfolgung von Roma, erschließt sich mir nicht. Ich halte
das für eine ganz gewagte These und empfehle noch einmal, vielleicht im Kontext dieses Parlamentes, in diese
Region zu reisen und vor Ort mit Betroffenen zu reden.
Gerade weil solche im Europarecht angelegten Verfolgungsmomente, wenn sie im Kontext eines Beitrittslandes stattfinden, nicht so offensichtlich auszumachen sind
wie in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, ist
eine einzelfallbezogene Betrachtung in einem sorgfältigen und individuellen Asylverfahren dringend notwendig.
({2})
Der vorliegende Gesetzentwurf verhindert eine - das
sage ich ganz bewusst - unvoreingenommene Anhörung
der Fluchtgründe, wenn man einen Staat vorher pauschal
als sicher einstuft. Ihre Argumente zu diesem Gesetzentwurf folgen zudem einer wirklich schrägen Logik. Ich
referiere aus den Erfahrungen der Anhörung im Innenausschuss. Die Logik heißt übersetzt: Wenn wir schon so
viele Syrer aufnehmen, können wir nicht auch noch so
viele Mazedonier oder Bosnier aufnehmen. Das läuft frei
nach dem Motto: Das Boot ist voll. Wir müssen uns entscheiden, wen wir aufnehmen.
({3})
So funktioniert unser Asylrecht nicht, auch das europäische funktioniert so nicht; denn der Schutzanspruch ist
keine Auslegungssache. Das ist auch gut so.
({4})
Es kommt eben nicht auf die Nationalität oder die ethnische Zugehörigkeit an, sondern auf die Gründe eines
einzelnen Menschen und die Dinge, die er oder sie erlebt
hat. Weil Sie das eben nicht steuern können, greifen Sie
zu dem Mittel der sicheren Herkunftsstaaten. Sie bestreiten noch nicht einmal - zumindest einige aus der Fraktion der CDU tun das nicht -, dass es Mehrfachdiskriminierungen gibt, die nach Europarecht einen Menschen in
die Lage versetzen, Schutz zu beanspruchen. Trotzdem
halten Sie es für gerechtfertigt, das Grundrecht auf Asyl
einzuschränken. Meine Damen und Herren, ich finde,
das geht entschieden zu weit. Und Flüchtlingsgruppen
gegeneinander auszuspielen, ist wirklich unter aller Kanone.
({5})
Für die Menschen, die es betrifft, hat es enorme Auswirkungen. Die Frist, gegen eine Ablehnung mit dem
Vermerk „offensichtlich unbegründet“ zu klagen, beträgt
eine Woche. Ich brauche keine Juristin zu sein, um zu
wissen, dass effektiver Rechtsschutz ganz anders aussieht.
Darüber hinaus berufen Sie sich immer auf Frankreich, das diese Staaten bereits als sicher eingestuft hat,
und rekurrieren auf die niedrige Schutzquote. Ich habe
es schon einmal gesagt: Das sind Fakten, die Sie selber
geschaffen haben. Sie beziehen sich also auf Frankreich,
halten es aber nicht für nötig, zu erwähnen, dass viele
andere Staaten das nicht so handhaben, also diese Länder nicht als sicher einstufen, und dass die Schutzquoten
in anderen Ländern deutlich höher sind als bei uns. Für
mich ist das Augenwischerei.
Was ich auch nicht mehr hören kann, ist das Argument, dass ein Beitrittskandidat wohl per se ein sicheres
Land sein muss. Ich weiß nicht, was dieses Argument
soll. Beitrittsverhandlungen sind dafür gedacht, Staaten,
noch dazu welche, die sich nach wie vor im Aufbau befinden, dabei zu unterstützen, die Anforderungen aus
dem Kapitel für Menschenrechte und Justiz schrittweise
umzusetzen.
({6})
Wir erwarten von diesen Staaten, dass sie diese Diskriminierungen abbauen. Natürlich: Das ist unser Ziel.
Aber diesen Prozess beschleunigen wir eben nicht durch
den Passus oder den Stempel des sicheren Herkunftsstaates. Im Gegenteil: Wir senden eine ganz andere Botschaft.
Kurzum: Ihre Politik in dieser Sache, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, soll den
Korridor für Schutzsuchende verengen. Das ist das Ziel
dieses Gesetzentwurfes. An Lösungen, die den Menschen auf lange Sicht tatsächlich helfen, auch hier in
Deutschland, arbeiten Sie leider nicht.
Liebe CDU-Kollegen, Sie rechtfertigen den Entwurf
mit der Situation in den Kommunen. Es ist richtig, über
die Kommunen zu reden; denn sie stehen vor großen Herausforderungen, manche vor Herausforderungen, die sie
nur schwer oder vielleicht auch gar nicht meistern können.
({7})
Aber das bedeutet doch nur: Wenn mehr Flüchtlinge
kommen, dann muss sich auch unser Engagement - auch
unser finanzielles - vergrößern. Das heißt doch nicht,
dass man auf der anderen Seite eine Attacke auf das
Asylrecht fahren kann, indem Sie sagen: Wir verengen
den Korridor und lassen die Leute nicht mehr rein.
({8})
Nebenbei bemerkt haben wir in den vergangenen Tagen überall lesen können, was Schutzsuchende und Geflüchtete selbst zu ihrer Situation zu sagen haben. Es
lohnt sich, das anzusprechen. Denn das Parlament ist der
richtige Ort dafür. In diesem Parlament entscheiden wir
über das Asylrecht.
Zu Recht fordern die protestierenden Flüchtlinge in
Berlin ein liberales Bleiberecht, Bewegungsfreiheit und
Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung.
({9})
Das wurde übrigens hier gar nicht erwähnt. All das lässt
sich in den Vorstößen des BMI nicht finden.
Liebe CDU/CSU, wenn Sie den Kommunen helfen
wollen, dann schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz ab und helfen Sie bei der Unterbringung!
({10})
Damit würden Sie die Kommunen wirklich entlasten,
und dann hätten diese auch kein Problem damit.
({11})
Zum Verfahren werde ich jetzt nichts mehr sagen. Interessant ist aber, dass hier nicht auf den anderen Teil in
dem Gesetzentwurf eingegangen wurde, nämlich den
Arbeitsmarktzugang und die großen Verbesserungen, die
in diesem Zusammenhang angekündigt wurden. Daran
erinnere ich alle in diesem Hause und fordere Sie auf:
Ziehen Sie die beiden Vorschläge auseinander! Dann haben wir vielleicht auch etwas zum Zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen diesen
Angriff auf das Grundrecht auf Asyl? Bitte schön. Aber
Sie haben die Rechnung ohne die Grünen in den Ländern
gemacht.
Frau Kollegin.
Restriktionen im Asylrecht mit grüner Unterstützung
wird es so nicht geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die CDU/CSU hat die Kollegin Nina Warken das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Migrationsströme in die Europäische Union haben in
den letzten Jahren massiv zugenommen. Zum einen ist
dafür die gestiegene Anzahl an Flüchtlingen verantwortlich, die aus Krisenländern wie Syrien, Afghanistan oder
dem Irak fliehen, wo sie jeden Tag fürchten müssen, gefoltert, vergewaltigt oder getötet zu werden.
Zum anderen gibt es aber auch immer mehr Menschen, die in ihren Heimatländern wirtschaftlich keine
Zukunft mehr für sich sehen und deshalb unbedingt in
die EU wollen, wo sie sich gut bezahlte Arbeit und soziale Sicherheit erhoffen. Viele dieser Menschen stellen
einen Asylantrag in einem EU-Mitgliedstaat, allen voran
in Deutschland.
Genau darin liegt das Problem im Hinblick auf die
Balkanstaaten. Wir erleben bei den Asylbewerberzahlen
aus diesen Ländern seit der Visaliberalisierung einen
massiven Anstieg, obwohl dort keine systematische Verfolgung oder andere Gefahren für Leib und Leben drohen, die asylrechtlich relevant wären.
Erst vergangene Woche wurde in einer Expertenanhörung vom Präsidenten des zuständigen Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge bestätigt, dass 49 Prozent der
Asylbewerber aus Serbien, Mazedonien sowie Bosnien
und Herzegowina von sich aus angeben, dass sie nach
Deutschland gekommen sind, weil sie hier arbeiten wollen oder der Schulbesuch und die medizinische Versorgung in Deutschland besser seien als bei ihnen zu Hause.
({0})
Damit handelt es sich in den meisten Fällen nicht um
Asylbewerber, sondern um Zuwanderer, für die unser
Asylsystem eindeutig nicht zuständig ist.
({1})
Nach den Erfahrungen des Bundesamts für Migration
und Flüchtlinge ist den meisten Antragstellern auch bewusst, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Sie
kommen dennoch, weil sie wissen, dass sie allein dadurch, dass sie einen Asylantrag stellen, bei uns staatliche Leistungen erhalten, die vielfach höher sind als das
Einkommen, das sie in ihren Heimatländern haben. Das
ist nicht gerecht, und diesen Missbrauch unseres Asylsystems müssen wir dringend beenden.
({2})
Anders als von der Opposition behauptet, hat die
Expertenanhörung ergeben, dass nur in ganz wenigen
Einzelfällen die Schwelle zur sogenannten kumulativen Verfolgung erreicht wird. Dabei wurde von den
Sachverständigen unmissverständlich klargestellt, dass
für eine asylrechtliche Anerkennung Einschränkungen
von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Rechten
allein nicht ausreichen. Das bestätigt auch die Spruchpraxis der Gerichte.
Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass es in
Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien noch
verschiedene Defizite gibt. Ebenso ist unbestritten, dass
die Lage der Roma in diesen Ländern nach wie vor verbessert werden muss. Das möchte ich an dieser Stelle
klar betonen. Andererseits muss man auch sagen: Das
Asylrecht ist nicht der Ort, um die politischen, sozialen
und wirtschaftlichen Probleme der Herkunftsstaaten zu
lösen.
({3})
Dafür gibt es andere Instrumente, und Deutschland hat
diesbezüglich schon sehr viel getan und setzt dies auch
fort, sei es im Rahmen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit oder mit den zahlreichen Stiftungen und
Organisationen, die vor Ort tätig sind. Die Lage der
Roma anzuerkennen, meine Damen und Herren, bedeutet daher nicht, den Gesetzentwurf ablehnen zu müssen.
Entscheidend für die gesetzliche Vermutung, dass die
drei Balkanländer als sicher eingestuft werden können,
ist letztlich, dass die Sicherheitslage in allen drei Ländern stabil ist und weder Verfolgung noch systematische
Menschenrechtsverletzungen drohen. Darauf kommt es
beim vorliegenden Gesetzentwurf an, und das ist laut
den Sachverständigen für alle drei Länder auch eindeutig
gegeben. Dass die Opposition das nicht hören will, ist
mir klar. Die Sachverständigen haben aber bestätigt, dass
keine EU-rechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Gesetzentwurf bestehen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in
Deutschland ein faires Asylsystem haben möchten, müssen wir klar zwischen Zuwanderung und Asyl trennen
und dafür sorgen, dass die Kapazitäten unseres Asylsystems den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten bleiben. Das sind wir nicht nur den Flüchtlingen aus Syrien
und anderen Ländern mit Menschen in Not, die unsere
Hilfe dringend brauchen, sondern auch unseren Kommunen schuldig. Denn es sind unsere Kommunen, die letztlich die Unterbringung und Versorgung schultern müssen.
({5})
Wenn uns die Kommunen sagen - damit meine ich auch
die grün regierten Landkreise, Städte und Gemeinden -,
dass sie bei der Unterbringung der Asylbewerber mit
dem Rücken zur Wand stehen, dürfen wir dies nicht einfach ignorieren.
({6})
Deshalb brauchen wir ein klares Signal durch die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und
Serbien als sichere Herkunftsstaaten, dass ein Asylantrag in Deutschland kein Mittel zur Zuwanderung ist.
({7})
Damit entlasten wir unsere Kommunen und sorgen dafür, dass die Kapazitäten in unserem Asylsystem den
wirklich Schutzbedürftigen zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam
dieses Signal für ein gerechtes und effizientes Asylsystem setzen! Das ist es, was die Menschen in Deutschland, aber auch in den Krisenländern von uns erwarten.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Einen schönen Nachmittag von meiner Seite aus. Nächster Redner in der Debatte ist Uli Grötsch für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin, vielen Dank für die Erinnerung. Wir hätten es
natürlich nicht vergessen, dass wir heute nicht nur die
Regelungen über sichere Herkunftsstaaten, sondern auch
die Erleichterungen des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer beraten. Das möchte
ich am Beginn meiner Rede ganz dick unterstreichen,
weil ich glaube, dass uns von der SPD mit dieser Regelung ein wirklich großer Schritt im Zusammenhang mit
den Chancen, die Asylbewerberinnen und Asylbewerber
bei uns im Land haben, gelungen ist.
({0})
Ich beginne mit dem zweiten Teil dieses Gesetzes,
weil meines Erachtens dieser Teil und insbesondere - ich
habe es schon gesagt - die Dimension dessen in der bisherigen Debatte, auch in der heutigen Debatte, leider etwas zu kurz gekommen sind. Bislang mussten Asylbewerber neun Monate warten und Geduldete sogar zwölf
Monate, bis sie die Chance, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, nutzen konnten.
Ich bin auch meiner Kollegin Daniela Kolbe dankbar,
dass sie in ihrer Rede im Rahmen der ersten Beratung
des Gesetzentwurfs deutlich gemacht hat, was das konkret bedeutet. Der frühe Zugang zum SGB III nach drei
Monaten bedeutet nämlich zum Beispiel die Übernahme
von Bewerbungskosten. Wenn man nicht über viel Geld
verfügt, dann sind auch die Portokosten oder die Kosten
für Papier ein durchaus relevanter Betrag, den die betroffenen Menschen zu stemmen haben. Dieser frühe Zugang beinhaltet auch Beratungs- und Vermittlungsangebote durch die Bundesagentur für Arbeit.
Ich würde mich freuen, wenn dieser große und längst
fällige Schritt vorwärts von der Opposition nicht kleingeredet würde.
({1})
Denn für die Betroffenen selbst ist es eine immense Erleichterung. Wir erleichtern die Integration dieser
Schutzbedürftigen in unsere Gesellschaft, wir bauen ein
Integrationshemmnis ab und erhöhen damit auch die Akzeptanz der Asylbewerber bei uns im Land.
Der andere Teil betrifft die Einstufung von BosnienHerzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten. Das bedeutet in der Praxis des BAMF,
dass künftig ein Antragsteller aus einem dieser sicheren
Herkunftsländer für seinen Einzelfall glaubhaft darlegen
muss, warum er in seinem eigentlich sicheren Heimatland doch politisch verfolgt wird bzw. Menschenrechtsverletzungen erfahren hat, um in Deutschland Asyl gewährt zu bekommen.
Der Grund für diese getroffene Regelung ist die Tatsache, dass von den 22 000 Entscheidungen des BAMF
über Asylerstanträge und Asylfolgeanträge von bosnischen, serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen
im Jahr 2013 nur einer Handvoll Menschen Asyl bzw.
Abschiebeverbot zugesprochen wurde. Die überwiegende Mehrheit wird als unbegründet abgelehnt. Trotzdem sind sie regelmäßig und in beachtlichem Umfang in
der Top Ten der Herkunftsländerstatistik des BAMF vertreten. Der Vorwurf, das BAMF sei zu restriktiv und
lehne unberechtigt massenhaft ab, greift auch nicht.
Nicht einmal 1 Prozent der Klagen von Menschen aus
diesen drei Westbalkanstaaten ist vor den Verwaltungsgerichten erfolgreich. Das alles bindet Kapazitäten beim
BAMF; das wurde schon gesagt. Wir wollen niemanden
gegeneinander ausspielen. Trotzdem müssen wir der
Realität ins Auge blicken.
Der Bundestag hat in der letzten Woche erfreulicherweise - es ist wichtig, das zu erwähnen - 300 zusätzliche
Stellen für das BAMF bewilligt. Das war dringend notwendig. Ich meine, dass diese personellen Ressourcen
für die wirklich schutzbedürftigen Menschen aus Syrien,
Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern genutzt
werden müssen. Wir alle wollen doch die Bearbeitungsdauer von Asylanträgen verkürzen. Zurzeit beträgt die
Bearbeitungsdauer etwa ein Jahr. Ein Jahr bedeutet für
die asylsuchenden Menschen in unserem Land ein Jahr
Ungewissheit über ihre eigene Zukunft. Das wollen wir
ändern.
({2})
Ich gebe zu, dass die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten keine Herzensangelegenheit der Sozialdemokratie ist. Sie steht aber im Koalitionsvertrag, und
deshalb tragen wir diese Entscheidung mit. Dort steht
auch - Herr Minister de Maizière hat in seiner Rede darauf hingewiesen -, dass wir auf europäischer Ebene auf
die Regierungen der Westbalkanstaaten einwirken wollen, um die Lebenssituation vor Ort in den Ländern zu
verbessern.
({3})
Armutsmigration kann nur so bekämpft werden. Das ist
keine Aufgabe der deutschen Asylpolitik. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, ab.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Grötsch. - Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Andrea Lindholz für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Weltweit sind über 43 Millionen Menschen
auf der Flucht. Die Gründe für Flucht und Vertreibung
sind vielschichtig. Gewalttätige Konflikte wie der Bürgerkrieg in Syrien sind die offensichtlichste Ursache.
Aber auch ökologische, ökonomische und soziale Pro4182
bleme führen dazu, dass sich heute Millionen Menschen
gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Klimawandel, Wassermangel, Dürreperioden, starkes Bevölkerungswachstum und Verstädterung verursachen ebenfalls
enorme Flüchtlingsströme.
Die multiplen Fluchtursachen finden sich auch in dem
Bericht, den die Vereinten Nationen am Weltflüchtlingstag am 20. Juni vorgestellt haben. Auch wenn diese Probleme weit weg zu sein scheinen, betreffen sie Europa
und Deutschland ganz unmittelbar. Für Deutschland
rechnet das Bundesinnenministerium in diesem Jahr mit
rund 200 000 Asylanträgen. Das ist eine Steigerung um
über 700 Prozent im Vergleich zu 2008. Allein im letzten
Jahr hat die Zahl der Asylanträge um rund 60 Prozent
zugenommen.
Rund ein Viertel der heutigen Asylbewerber stammt
aus Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt seit
Jahren in über 99 Prozent aller individuellen Anhörungen, Frau Kollegin Amtsberg, keine asylrelevanten
Schutzgründe fest. Die Menschen vom Westbalkan fliehen nach eigenen Angaben in erster Linie vor Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not. Das wurde uns in der
letzten Woche in der Anhörung vom Präsidenten des
BAMF bestätigt. Er hat nochmals dargelegt, wie individuell und gründlich jeder einzelne Antrag geprüft wird.
Unser Asylrecht dient dem Schutz von politisch Verfolgten und nicht der Entwicklungshilfe.
Die EU hat für Serbien, Mazedonien und Bosnien die
Visumspflicht aufgehoben. Serbien und Mazedonien haben den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten.
Bosnien-Herzegowina wird als potenzieller Beitrittskandidat geführt. Ohne wesentliche soziale und politische
Fortschritte wäre die Visaliberalisierung nicht erfolgt.
Diese Länder erfüllen die Kriterien eines sicheren Herkunftslandes.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
eine Zwischenbemerkung von Herrn Nouripour?
Bitte.
Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Sie haben gerade gesagt, jeder
einzelne Fall werde tatsächlich geprüft. Warum soll denn
jeder einzelne Fall geprüft werden, wenn der Betroffene
aus einem Staat kommt, der vorher per Gesetz als tatsächlich sicher erklärt wurde? Was ist die Logik der Geschichte?
Erklären Sie doch bitte den Menschen nicht jedes
Mal, sie hätten dann bei uns keinen Asylanspruch. Das
ist doch nicht richtig.
Moment, Frau Kollegin. Vielleicht lassen Sie ihn bitte
ausreden. Dann können Sie auch darauf antworten.
Jetzt haben Sie mich auf eine Idee gebracht, und ich
kann meine Frage so schließen - das ist ja wundervoll -:
Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, die Leute hätten
einen Anspruch auf Asyl, wenn ihre Anträge sowieso
von vorneherein negativ beschieden werden - egal wie
man sie prüft -, weil die Leute aus einem sicheren Drittstaat kommen?
({0})
Herr Kollege, so ist das nicht korrekt. Auch dann,
wenn wir die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, besteht nach wie vor beim Vorliegen kumulativer
Gründe - Frau Kollegin Amtsberg und Frau Kollegin
Jelpke weisen regelmäßig zu Recht darauf hin - ein Anspruch darauf, bei uns Asyl zu beantragen. Genau das
wird vom BAMF geprüft.
({0})
- Natürlich gibt es einen Rechtsschutz. Dass Ihnen der
Rechtsschutz nicht weit genug geht, weiß ich, aber es besteht ein Rechtsschutz.
({1})
Es besteht die Möglichkeit, hier Asyl zu beantragen.
Aber es gibt keinen Anspruch auf Asyl, wenn keine politische Verfolgung oder keine kumulativen Gründe vorliegen. Ganz einfach.
({2})
Daran wird sich auch nichts ändern, auch wenn Sie es
nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Was wir auch machen müssen, ist, die Kommunen zu
entlasten. Mit all diesen Maßnahmen tun wir dies. Wir
können doch nicht den Blick davor versperren, dass es in
vielen Städten und Gemeinden schwierig ist, die Asylbewerber unterzubringen. In Bayern kommen inzwischen
täglich rund 100 neue Asylbewerber an. Die Erstunterkünfte platzen aus allen Nähten. Selbst in einer wohlhabenden Stadt wie München muss ernsthaft über die Errichtung von Zeltstädten nachgedacht werden, um allen
Ankommenden ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Angesichts dieser prekären Situation müssen wir
handeln, und wir müssen die Anreize, aus rein wirtschaftlichen und sozialen Gründen nach Deutschland zu
kommen, verringern. Sonst fehlen uns nämlich für diejenigen die Kapazitäten, die unseren Schutz wirklich brauchen.
Deutschland übernimmt im europäischen Asylsystem
mehr Verantwortung als alle anderen Länder. Auch das
wurde erst gestern bei der Anhörung mit Zahlen belegt.
Das ist auch gut so. Aber auch unsere AufnahmekapaziAndrea Lindholz
täten sind begrenzt. Wir sind verpflichtet, uns auf die
wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge zu konzentrieren.
Gleichzeitig sollten wir denjenigen, die zu uns kommen und die ein begründetes Recht auf Asyl haben,
echte Zukunftsperspektiven in Deutschland eröffnen.
Das tun wir, indem wir den Arbeitsmarktzugang erleichtern; das tun wir, indem wir die Verfahrensdauer verkürzen. Das ist im Sinne einer langfristigen Integration der
Menschen und ist hinsichtlich ihres Wunsches, schneller
mehr Sicherheit zu haben, schneller arbeiten zu können
oder schneller selbstständig bei uns sein zu können, der
bessere Weg, als auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein.
Ein letzter Satz noch, an die Grünen gerichtet: Wenn
wir uns mit den Landespolitikern in den Bundesländern
unterhalten, dann stellen wir fest, dass diese wesentlich
näher an der Realität sind als Sie. Ich empfehle Ihnen
einfach, mit Ihren Landesregierungen zu sprechen, damit
Sie sehen, wie man dort zu diesen Themen steht.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunfts-
staaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs
für Asylbewerber und geduldete Ausländer. Dazu liegt
eine ganze Anzahl von Erklärungen nach § 31 der Ge-
schäftsordnung vor.1)
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1954 und
18/2004, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksachen 18/1528 und 18/1766 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
CDU/CSU und SPD, bei Neinstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und Linksfraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit der Zustimmung von CDU/CSU und
SPD bei Ablehnung durch die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und Linksfraktion und einer Enthaltung einer
Kollegin aus der SPD angenommen.
Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Schutzbedarf
von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen“. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf den Drucksachen 18/1954 und 18/2004, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1616
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
1) Anlagen 12 und 13
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grü-
nen und Linksfraktion angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Drucksachen 18/1312, 18/1759
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen,
Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung
der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht
Drucksache 18/1092
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Drucksache 18/185 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
Drucksachen 18/1955, 18/2005
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht
Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heute zu entscheidende Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts ist das Ergebnis einer langen und leidenschaftlichen Debatte in unserer Gesellschaft und auch in
der Koalition. Ich halte das für angemessen und richtig;
denn es geht um die Staatsangehörigkeit. Darüber zu debattieren, ist wertvoll im umfassenden Sinne des Wortes.
Die Staatsangehörigkeit ist für uns alle ein hohes Gut.
({0})
Die vorgeschlagene Neuregelung erfüllt zwei Ziele:
Erstens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht ist
gut für die Betroffenen. Es gibt ihnen Rechtssicherheit
und soll ihr Heimatgefühl stärken. Beides brauchen wir
Menschen, wenn wir daran denken, eine dauerhafte berufliche Existenz aufzubauen und eine Familie zu gründen.
Zweitens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht ist
gut für unser Gemeinwesen. Es befriedet einen langjährigen politischen Konflikt, und es stärkt den Zusammenhalt in unserem Land. Das Staatsangehörigkeitsrecht
muss immer beides im Blick behalten: den Einzelnen
und die Allgemeinheit.
Mit dieser Änderung haben wir einen Ausgleich gefunden zwischen den Interessen der jungen Deutschen,
die ihre Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland erworben haben, und der besonderen Bedeutung der
Staatsangehörigkeit für unser Staatswesen. Für den überwiegenden Teil der Betroffenen, die in Deutschland aufgewachsen sind und dadurch Bindungen zu unserem
Land aufgebaut haben, sagen wir in Zukunft Ja zu einer
Mehrstaatlichkeit. Sie leben hier seit ihrer Geburt ganz
selbstverständlich sowohl mit der deutschen Staatsangehörigkeit als auch mit der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Ihnen, die in Deutschland in der Regel ihre berufliche und private Zukunft sehen und sich hier integriert
haben, trauen wir den loyalen Umgang mit der Bindung
an Deutschland und das Land ihrer Mütter und Väter zu.
Für „in Deutschland aufgewachsen“ haben wir eine
klare und praktikable Definition gefunden.
({1})
Die Voraussetzungen sind sachgerecht, einfach in der
Anwendung, und sie sind einfach nachzuweisen.
({2})
Mit dieser Modifikation des Optionsrechts werden sowohl die Betroffenen als auch die Verwaltungen erheblich entlastet.
Herr Beck wird gleich in seiner Rede vortragen, es
handele sich um ein Bürokratiemonster. Das hat in der
Anhörung allerdings niemand bestätigt, auch nicht die
Leiter von Ausländerbehörden. Diese haben nämlich gesagt, der Gesetzentwurf sei eine große Erleichterung für
ihre Arbeit.
({3})
Ich traue, was die Beurteilung der Bürokratiegefahr angeht, den Leitern von Ausländerbehörden mehr zu als
dem geschätzten Kollegen Beck; das muss ich sagen.
({4})
- Das finden Sie.
Meine Damen und Herren, mit der Änderung senden
wir ein Signal an über 90 Prozent der bisher von der Optionspflicht betroffenen und zumeist jungen Menschen:
Ihr gehört zu Deutschland, nicht nur gefühlt, sondern
auch auf dem Papier, nicht nur beim Public Viewing,
sondern auch auf dem Amt.
({5})
Diese Botschaft ist umso deutlicher, als wir gleichzeitig daran festhalten, den Verzicht auf die Optionspflicht
nicht auf diejenigen auszuweiten, die seit ihrer Geburt
kaum etwas mit Deutschland zu tun hatten. Wer bis zu
seinem 21. Geburtstag keine Beziehung zu Deutschland
aufgebaut hat, von dem können und müssen wir eine
Entscheidung verlangen. Das ist zumutbar und nicht zu
viel verlangt.
({6})
Staatsangehörigkeit ist mehr als Aufenthalts- und Einreiserecht. Sie definiert ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und Bürger, das durch Identifikation und
Loyalität geprägt ist. Hier ist das berechtigte Interesse
der Allgemeinheit begründet in der besonderen Sorge
um das Staatsangehörigkeitsrecht.
Das Staatsangehörigkeitsrecht ist aufgrund dieser besonderen Bedeutung für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens auf einen breiten Konsens angewiesen.
Über die Staatsangehörigkeit definiert unsere Verfassung, wer zum Staatsvolk gehört, wer der eigentliche
Souverän ist. Mit der Staatsangehörigkeit ist das Recht
verbunden, über unser Gemeinwesen vollumfänglich
mitzubestimmen. Aus diesem Grunde kann es nicht darum gehen, jeweils Maximalpositionen durchzusetzen.
Wer mehr Zusammenhalt will, muss aufeinander zugehen. Das gilt und galt innerhalb der Koalition, und das
gilt für unsere Gesellschaft. Dafür reichen manchmal
kleine Schritte nicht aus. Dafür sind auch große Schritte
notwendig. Das war im Ausländerrecht immer so. Was
wir heute tun, ist ein solcher großer Schritt.
({7})
Für die Sozialdemokraten ist die Zustimmung zu diesem Gesetz nicht leicht. Sie kommen von einem ganz
anderen Modell, einem Modell einer prinzipiell doppelten Staatsbürgerschaft. Für die Union ist die Zustimmung zu diesem Gesetz auch nicht leicht.
({8})
Sie kommt nämlich von einer grundlegenden inneren
Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Darüber
sind erbitterte Wahlkämpfe geführt worden. Darüber
sind Landesregierungen gestürzt und andere Landesregierungen gebildet worden; wir wissen das. Das war
zwischen den beiden großen Volksparteien ein bitterer
und harter Streit.
Herr de Maizière, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder Zwischenbemerkung des Kollegen Mutlu?
Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen;
dann gerne, Frau Präsidentin.
Wenn jetzt diese beiden großen Volksparteien in dieser Frage aufeinander zugehen, dann hat das nicht den
Charakter eines Kompromisses innerhalb dieser Koalition, sondern dann hat das für unser Land einen nachhaltig befriedenden Charakter. Darin liegt der eigentliche
Wert dieses Kompromisses.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Minister, letzte Woche war eine junge Frau bei
mir, die im August 23 Jahre alt wird und optionspflichtig
ist. Sie wird, bevor dieses Gesetz, dieser sogenannte
große Schritt, von dem Sie reden, in Kraft getreten ist,
vermutlich ihre deutsche Staatsbürgerschaft zwangsweise verlieren, weil sie eben ihre beiden Staatsbürgerschaften gerne behalten würde.
Sie haben gesagt, dass die Verbundenheit zu diesem
Land in einem Alter von 21 Jahren gegeben sein müsse.
Was raten Sie denn solchen jungen Leuten, die jetzt
während des Gesetzgebungsverfahrens ihre deutsche
Staatsbürgerschaft verlieren? Was tun Sie in all den Fällen - es sind mehrere Tausend -, in denen Menschen bis
zu dem Zeitpunkt, bis zu dem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben mussten oder sie verloren haben? Warum wollen Sie diese
Altfälle nicht in den Genuss dieses sogenannten großen
Schrittes kommen lassen?
Wir haben über die Frage einer Altfallregelung diskutiert. Sie kennen den alten Grundsatz: Wenn ein Gesetz
nicht nötig ist, dann soll man es nicht machen. Die junge
Frau soll einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Wenn
sie die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllt,
wird das zuständige Bundesland ihre Einbürgerung sehr
schnell entscheiden, und das ist auch richtig so.
({0})
Jeder Stichtag ist ein Stichtag; das kennen wir.
Wir sind jetzt dabei, eine wirklich befriedende Lösung zu finden. Es wird Ihnen nicht gelingen, mit Verweis auf zwei, drei Einzelfälle, die vielleicht ein Problem sein könnten und die die Länder pragmatisch
regeln können, das Gesetz insgesamt madigzumachen.
Es ist ein gutes Gesetz. Das war nicht leicht für unsere
Koalition und für die Bundesregierung. Es ist im Übrigen auch nicht zustimmungspflichtig. Wir freuen uns,
dass es bald in Kraft tritt, damit wir wenige solcher Fälle
haben, von denen Sie berichten.
({1})
Danke, Herr de Maizière. - Das Wort hat die Kollegin
Dağdelen für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister de Maizière, das Gesetz, das Sie hier vorgelegt haben, ist weder ein großer Schritt, noch ist es ein
gutes Gesetz; es ist eine wirklich kleingeistige Änderung
des bestehenden Staatsangehörigkeitsgesetzes. Es ist
nichts weiter als Murks. Es ist eigentlich ein Armutszeugnis, dass auch diese Koalition es nicht geschafft hat,
die unsägliche Optionsregelung tatsächlich ersatzlos abzuschaffen ({0})
und das nur, weil Sie aus der Union ideologisch borniert
an dem längst überholten Dogma der Vermeidung von
Mehrstaatigkeit in diesem Land festhalten. Allein deshalb
werden ab dem Jahr 2018 etwa 40 000 Optionsverfahren
pro Jahr durchgeführt werden müssen. 40 000 Optionsverfahren jährlich! Was, wenn nicht ein Bürokratiemonster, ist das bitte schön, meine Damen und Herren?
Wir als Linke wollen jedenfalls diese verwaltete Welt
nicht. Wir möchten kein sinnloses Beschäftigungsprogramm für die Verwaltung. Deshalb möchten wir diese
Regelung einfach ersatzlos streichen.
({1})
Uns stimmt es traurig, dass die SPD hier mitmacht,
obwohl sie im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen
({2})
sogar die doppelte Staatsangehörigkeit versprochen
hatte.
({3})
Ich finde es wirklich unsäglich, wenn man, wie bei der
ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Parlament, auch
noch wahrheitswidrig behauptet, dass mit dem Gesetz
die Optionspflicht abgeschafft werden würde. Das ist
schlicht falsch, und das wissen Sie auch.
Die Optionspflicht bleibt im Grundsatz in diesem Gesetz enthalten. Natürlich kann die Optionsregelung auch
künftig dazu führen, dass hier geborene Kinder ihre
deutsche Staatsangehörigkeit im Erwachsenenalter wieder verlieren. Ich bitte Sie deshalb, redlich zu sein und
bei den Fakten zu bleiben. Sagen Sie den Leuten klar,
was Sie hier machen! Sie verhindern nämlich dauerhaft
die doppelte Staatsbürgerschaft als Regel.
({4})
Wenn Sie die Abschaffung der Optionspflicht tatsächlich wollen, müssten Sie den § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes komplett abschaffen.
({5})
Sollten Sie das tatsächlich wollen, dann bietet die Linke
Ihnen hier eine Gelegenheit, das umzusetzen.
({6})
Wir haben einen Gesetzentwurf eingereicht, über den
heute Abend hier namentlich abgestimmt wird. Dieser
Gesetzentwurf sieht genau die Streichung von § 29 des
Staatsangehörigkeitsgesetzes vor. Wenn Sie unserem
Gesetzentwurf zustimmen, meine Damen und Herren
von der SPD, stimmen Sie eigentlich sich selbst zu; denn
dieser Gesetzentwurf bildet eins zu eins eine Bundesratsinitiative von drei SPD-regierten Bundesländern ab.
({7})
Sie können Ihrer eigenen Vorlage hier zustimmen.
Das Gute ist: Sie würden damit auch das erreichen,
was Sie schon in der ersten Beratung versprochen haben:
Sie würden sozusagen eine rechtlich verbindliche Regelung für all die Menschen schaffen, die die deutsche
Staatsangehörigkeit infolge des Optionsmodells bereits
verloren haben. Die Zahl dieser Menschen steigt von
Tag zu Tag. Diese Menschen darf man nicht vage auf irgendwelche Ermessensspielräume im geltenden Recht
verweisen, wie Sie es machen.
({8})
- Nein, ein Ermessensspielraum im geltenden Recht hilft
nicht. Wir möchten Tatsachen und klare Verhältnisse
schaffen.
({9})
Neben vielen Betroffenen wären auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörden
dankbar für eine konsequente Abschaffung der Optionspflicht. Herr Bundesinnenminister - ich muss Sie enttäuschen -, die Sachverständigenanhörung in der letzten
Woche, bei der ich anwesend war, hat ergeben, dass die
Arbeitszeit, die für die jährlich etwa 40 000 Optionsverfahren aufgewendet werden muss, weitaus besser für
eine Verkürzung der viel zu langen Einbürgerungsverfahren genutzt werden könnte.
({10})
Dass Sie nicht wirklich an einer Verbesserung der Lage
für die Betroffenen interessiert sind,
({11})
zeigt das unwürdige Politikgeschacher, das hier von der
Großen Koalition in den letzten Tagen aufgeführt wurde.
({12})
Die Erleichterungen bei der Optionspflicht wollen Sie
nur dann beschließen,
({13})
wenn im Gegenzug Verschlechterungen im Asylrecht im
Bundesrat eine Mehrheit finden. Geben Sie es doch zu!
Wir haben darüber doch debattiert. Wir finden das Verfahren zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht einfach
unwürdig. Deshalb haben wir Ihnen zwei Anträge vorgelegt: einen Gesetzentwurf, unterstützt von drei SPD-regierten Ländern
({14})
- Sie können dem zustimmen und damit ein gemeinsames Zeichen setzen für gleiche Rechte, gegen Ausgrenzung und tatsächlich für die Abschaffung der Optionspflicht -, und einen Antrag, in dem wir umfangreiche
Vorschläge für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht gemacht haben. Ich denke, es ist wichtig, die Optionspflicht abzuschaffen. Aber es ist auch wichtig und
richtig, Einbürgerungen zu erleichtern. Auch das ist eine
Erkenntnis aus der Sachverständigenanhörung.
({15})
Danke, Frau Kollegin. - Ich möchte darauf hinweisen, dass man sehr unterschiedlicher Meinung zu diesem
Thema sein kann. Aber der Kommentar „dummes Geschwätz“ passt in irgendwelche Bierzelte, aber nicht in
eine solche Debatte.
({0})
Nichts gegen Bierzelte, ich komme auch aus Bayern.
Nächster Redner ist Rüdiger Veit für die SPD.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu - das
sieht auch die SPD so -: Es ist ein besonderer Tag, und
es ist ein bedeutendes Gesetz zu einer ausgesprochen
wichtigen Frage. Deswegen - wenn ich das einmal beiläufig sagen darf, selbstkritisch an uns alle gerichtet, die
für das Timing verantwortlich sind - hätte man sich sicherlich eine längere und ausführlichere Debatte als
36 Minuten vorstellen können.
({0})
So werden wir uns bemühen müssen, uns kürzer zu fassen.
Dieser Tagesordnungspunkt ist zugleich auch ein Beleg dafür, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Das
sage ich mit der Bitte, dies als Trost aufzufassen, sowohl
an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion als auch ein Stück weit an die sozialdemokratische
Seite gerichtet. Wir brauchen von Ihnen, von euch nicht
daran erinnert zu werden: Wir treten seit 1998, 1999
konsequent dafür ein, dass in Deutschland die Mehrstaatlichkeit generell hingenommen werden darf.
({1})
- Deswegen - liebe Ulla Jelpke, ich fahre mit meinem
Satz fort - haben wir bei der Staatsbürgerschaftsreform
dieses alte Gesetz aus der Kaiserzeit zwar nicht ganz ersetzen können - durch die hessische Landtagswahl ging
die Mehrheit im Bundesrat verloren -, sondern wir
mussten diesen Kompromiss mit der Optionspflicht eingehen.
Alle Sozialdemokraten haben nie etwas davon gehalten. Wir haben uns ein bisschen damit getröstet, dass die
Optionspflicht spätestens im Verwaltungsvollzug bei den
ersten Fällen noch einmal von fachlicher Seite durchleuchtet wird. Das haben wir auch als wichtiges Ziel im
Wahlprogramm formuliert. Es stand auch im HundertTage-Programm von Peer Steinbrück. Ihr braucht uns
nicht daran zu erinnern. Das wissen wir selber.
({2})
Wir hätten selbstverständlich gerne im Koalitionsvertrag
mit der Union eine Regelung gehabt, dass wir die Mehrstaatlichkeit generell hinnehmen. Das ist nicht gelungen.
So ist es zu einem Kompromiss gekommen. Es ist im Ergebnis dann aber doch kein ganz schlechter Kompromiss
gewesen. Aus unserer Sicht ist dieses Glas nicht halb
leer, sondern deutlich mehr als halb voll.
({3})
Trotz des Beifalls wollen wir es auf der einen Seite
mit dem Lob nicht übertreiben, weil uns, wenn wir ihn
zu sehr loben, auf der anderen Seite vielleicht noch der
eine oder andere von der Fahne geht.
({4})
Wir stehen jetzt aber zu diesem Kompromiss.
Ich komme dann noch einmal kurz zu der Anhörung
und zu dem, was wir, wie ich finde, leider bei der Gelegenheit nicht mit berücksichtigt haben. Die Praktiker,
Herr Minister, die diesmal übrigens auf Wunsch der SPD
eingeladen worden sind, haben eine Reihe wichtiger Änderungen vorgeschlagen, nämlich die Überprüfung des
Verfahrens und die Einleitung von Amts wegen und den
Wegfall der Ausschlussfrist bei der Beibehaltungsgenehmigung, und auf das Problem einer angemessenen Übergangsregelung hingewiesen. Das alles konnte nicht mehr
aufgegriffen werden, sicherlich zum Teil auch aus Zeitgründen, zum Teil aber auch, weil es politisch nicht gewollt war. Das müssen wir akzeptieren. Es gibt Verbesserungsbedarf. Auch der Kollege Volker Beck hat auf
einige rechtliche Aspekte hingewiesen. Das kann man
dann vielleicht bei anderer Gelegenheit machen.
({5})
Trotzdem sollten wir jetzt hier im Bundestag zum
Ende kommen. Damit das auch nicht gering geschätzt
wird, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich sage das
auch mit Blick auf die Öffentlichkeit -: Das betrifft sehr
viele junge Menschen - jetzt 4 000, ab 2018 40 000 -,
die sich dann eben nicht mehr zwischen der Staatsangehörigkeit des Landes, aus dem ihre Eltern kommen, und
der deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden müssen
und die deshalb nicht mehr in diesen Konflikt kommen.
({6})
Das Entscheidende ist - darauf haben uns auch die
Praktiker in der Anhörung hingewiesen -, dass mit den
Regelungen, die jetzt gefunden worden sind - da bin ich
Ihnen, Herr Minister de Maizière, genauso dankbar wie
Heiko Maas, der an dieser Einigung mitgewirkt hat -,
höchstwahrscheinlich allenfalls eine Zahl im einstelligen
Prozentbereich dieser jungen Menschen - wie gesagt
4 000 bzw. fast 40 000 -, unter die Optionspflicht fällt.
Für alle anderen ist mit den jetzt zu schaffenden gesetzlichen Voraussetzungen das Problem, sich irgendwann
einmal zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden
zu müssen, vom Tisch.
({7})
Darüber können wir uns auch im Interesse der Betroffenen für die Zukunft alle freuen.
Danke sehr.
({8})
Danke, Herr Kollege Veit. - Nächster Redner in der
Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
beraten heute über das Optionspflichtverlängerungs- und
-abschmelzungsgesetz. Es beinhaltet eben nicht die Abschaffung der Optionspflicht,
({0})
obwohl Ihr Parteivorsitzender Ihnen im November letzten Jahres sogar versprochen hat, er unterschreibe nur einen Koalitionsvertrag, der die doppelte Staatsangehörigkeit beinhalte.
Volker Beck ({1})
({2})
Das Dramatische daran, Rüdiger Veit, sind nicht diese
400 Leute, die übrig bleiben und sich dann optionspflichtig zwischen einem deutschem Pass und dem Pass
des Herkunftslandes ihrer Eltern entscheiden müssen.
Das Dramatische ist: Wir sagen jungen Deutschen, dass
sie nur Deutsche auf Probe sind. Das sagen wir all diesen
40 000 jungen Menschen. Das ist verfehlt. Es gibt keine
Deutschen unterschiedlichen Rechts.
({3})
Ich will Ihnen einmal plastisch machen, wie absurd
das im Ergebnis ist: José ist in Bolivien geboren. Sein
Vater, der Deutscher ist, verlässt die Mutter noch während der Schwangerschaft, erkennt aber die Vaterschaft
an. José hat seinen deutschen Vater nie kennengelernt. Er
war nie in Deutschland. Er spricht kein Wort Deutsch. Er
ist Deutscher und nicht optionspflichtig.
Veli ist in Köln-Ehrenfeld geboren. Seine Eltern sind
30 Jahre zuvor nach Deutschland eingewandert, aber
noch nicht eingebürgert. Nach seinem sechsten Lebensjahr geht seine Familie - der Vater Ingenieur, die Mutter
Deutschlehrerin - nach Frankreich, um dort zu arbeiten.
Er unterliegt nach Ihrem Gesetz nicht nur der Optionspflicht, sondern er wird wahrscheinlich auch seinen
deutschen Pass verlieren, obwohl er - das ist das Absurdeste an Ihrem ganzen Vorhaben - das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die ihm als
deutschem Staatsbürger zusteht, wahrnimmt und sich in
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union
aufhält. Das ist ethnische Diskriminierung!
Wir wollten Ihnen im Innenausschuss die Chance geben, wenigstens diesen Unsinn zu bereinigen und zu sagen, dass Aufenthalte in der Europäischen Union den
Aufenthalten in Deutschland gleichstehen, dass Schulabschlüsse aus der Europäischen Union den deutschen
Schulabschlüssen gleichstehen und dass wenigstens ein
Abschluss an einer deutschen Auslandsschule so behandelt wird wie ein inländischer Abschluss.
({4})
Sie waren dazu nicht bereit.
Und warum?
({5})
Es liegt ja nicht am schlechten Willen der Sozialdemokratie; das weiß ich. Es liegt daran, dass die CDU/CSU
an der schwarzen Pädagogik im Staatsbürgerschaftsrecht
festhalten will;
({6})
sie setzt damit ihre Integrationspolitik fort. Sie tun so,
als ob sich diese jungen Deutschen noch bewähren
müssten, um anständige Deutsche zu sein. Nein, es gibt
nach unserer Verfassung keine Deutschen unterschiedlichen Rechts,
({7})
und nach den europäischen Verträgen hat jeder Deutsche
das Recht, sich in der Europäischen Union frei zu bewegen. Das sprechen Sie den Menschen, die ausländische
Eltern haben, hiermit ab. Das ist schändlich und verkehrt. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf integrationspolitisch verfehlt und europarechtswidrig; deshalb werden
wir ihn heute ablehnen.
({8})
Wir sind für die Abschaffung der Optionspflicht ohne
Wenn und Aber. Ihre damalige Einführung war ein hoher
Preis, um das Geburtsortsprinzip überhaupt ins deutsche
Recht übernehmen zu können.
({9})
- Wir waren uns einig, dass es der größte Unfug ist, was
wir da im Staatsangehörigkeitsrecht anrichten, und haben immer gehofft, die Optionspflicht zu überwinden.
({10})
Ich will Sie an jene Länder erinnern, die eine ganz andere Rechtskultur haben. Daran hat der Bundespräsident
am 22. Mai in seiner großen Rede zur Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue erinnert. Er hat nämlich gesagt, die Deutschen würden sich gar nicht mehr daran
stören, dass man durch Geburt Deutscher wird, auch
wenn man ausländische Eltern hat. - Leider ist es noch
nicht so weit. Es ist nicht nur die Optionspflicht, die
noch besteht; die Eltern müssen hier zudem acht Jahre
lang eine Aufenthaltserlaubnis gehabt haben, bevor ihre
Kinder überhaupt als Deutsche in diesem Land zur Welt
kommen können, unabhängig davon, wie lange sie sich
hinterher tatsächlich in diesem Land aufhalten.
Da rate ich Ihnen einen Blick in die amerikanische
Verfassung. Im 14. Amendment steht:
All persons born … in the United States … are citizens of the United States …
Im kanadischen Recht heißt es:
… a person is a citizen if the person was born in Canada …
So einfach kann man es machen.
({11})
Das bleibt eine Aufgabe für die Zukunft: Wenn Kinder von hier legal lebenden Eltern in Deutschland geboren sind, dann gehört ihnen ohne Wenn und Aber der
deutsche Pass; das müssen wir nach diesem Tag noch
durchsetzen. Ich kündige Ihnen an: Da werden wir im
Parlament erneut initiativ werden, auch beim Thema
Volker Beck ({12})
„Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft bei der
Einbürgerung“.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Schon heute hat jeder Zweite, der eingebürgert wird,
das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Warum
machen wir bei der Hälfte ein solches Buhei, wenn wir
die doppelte Staatsbürgerschaft bei den anderen selbstverständlich hinnehmen? Hören Sie auf, die Staatsbürgerschaft dazu zu nutzen, um die Menschen, die zu uns
gekommen sind, zu knuten. Sagen Sie Ja zur Willkommenskultur.
Herr Beck.
Da können Sie auf der rechten Seite des Hauses noch
eine Menge lernen.
({0})
Danke, Herr Kollege Beck. - Nächster Redner ist
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir setzen mit dem Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts den
Koalitionsvertrag um. Auch wenn dieses Gesetz - ich
möchte das gar nicht negieren - nicht der innigste
Wunsch der Unionsfraktion war und ist, auch wenn es
uns kein Herzensanliegen war und ist, möchte ich schon
betonen: Wir verabschieden heute ein gutes, ein zukunftsweisendes Gesetz.
({0})
Ich möchte ganz klar festhalten: Es bleibt beim
Grundsatz der Optionspflicht. Es bleibt auch beim richtigen Grundsatz der Vermeidung der doppelten Staatsangehörigkeit. Es wird allen Unkenrufen zum Trotz auch in
Zukunft in Deutschland keinen generellen Doppelpass
geben.
({1})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte klar herausstreichen: Die Staatsbürgerschaft ist
keine Vereinsmitgliedschaft, die man schnell annimmt
und auch schnell wieder aufgibt.
({2})
Mit der Staatsangehörigkeit wird ein intensives Band
zwischen dem Staat und dem Bürger vermittelt. Ich verstehe das, um es klar festzuhalten, nicht als ein Unterund Oberordnungsverhältnis. Ich sehe dies gleichrangig.
Natürlich impliziert die Staatsangehörigkeit klare
Rechte, aber auch klare Pflichten. Deshalb ist sie ein hohes Gut, vielleicht mit das höchste Gut, das ein Staat
ausreichen kann.
({3})
Ich möchte auch betonen: Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht hat sich bewährt. Wir haben in den letzten
Legislaturperioden häufig über das Thema Staatsangehörigkeit debattiert. Ich und viele andere Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU haben deutlich gemacht, dass wir das Ausreichen der deutschen Staatsangehörigkeit ganz eindeutig an klare Integrationsvoraussetzungen knüpfen. Es kann nicht sein, dass jemand,
ohne dass er nachweist, in Deutschland integriert zu
sein, die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt.
Ich bin der festen Überzeugung: Die mit diesem Gesetz vorgelegten Änderungen, in denen die Bedingungen
dafür genannt werden, wie man von der Optionspflicht
ausgenommen werden kann, sind aus meiner Sicht mehr
als ein Indiz dafür, dass die betreffenden Personen in
Deutschland integriert sind. Wenn jemand mindestens
acht Jahre in Deutschland lebt, wenn jemand mindestens
sechs Jahre in Deutschland die Schule besucht hat, wenn
jemand in Deutschland erfolgreich die Schule oder eine
Berufsausbildung absolviert hat, dann sind das ganz
klare Hinweise darauf, dass diese Person in Deutschland
angekommen ist, dass sie in Deutschland beheimatet ist
und dass sie in Deutschland integriert ist.
Mit diesem Gesetz machen wir guten Gewissens
deutlich, dass wir den Koalitionsvertrag in seinem eigentlichen Sinn umsetzen: Wir werden die Optionspflicht für die Personen, die in Deutschland geboren und
aufgewachsen sind, abschaffen.
({4})
Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz integrationspolitisch eine sinnvolle Maßnahme ist. Ich knüpfe
die Hoffnung daran, dass es auch den gesellschaftlichen
Zusammenhalt in Deutschland stärkt.
({5})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion oder auch von den Grünen, es handelt
sich beileibe nicht um ein Bürokratiemonster. Ich verstehe die Aufregung nicht.
({6})
Es ist doch ganz einfach: Wenn jemand in Deutschland
erfolgreich die Schule abgeschlossen hat, dann braucht
er nur das Schulabschlusszeugnis an die Ausländerbehörde zu schicken. Damit wird er von der Optionspflicht
befreit und hört nie mehr etwas vom Staat.
({7})
Wenn jemand erfolgreich seine Berufsausbildung abgeschlossen hat, muss er nur sein Abschlusszeugnis an die
Ausländerbehörde schicken, und er hört von den Ausländerbehörden nie mehr etwas.
({8})
Was hat denn das mit Bürokratie zu tun?
({9})
Mit diesem Gesetz wird vermieden, dass jemand, der
zum Beispiel im dritten oder vierten Lebensjahr mit seinen Eltern Deutschland verlässt und in die Türkei zieht,
auch von der Integrationspflicht ausgenommen wird.
({10})
- Herr Kollege Beck, vielleicht zu Ihrem Beispiel vom
Willi aus Köln-Ehrenfeld und vom José.
({11})
Was ich nicht verstehe, Herr Kollege Beck: Sie haben
mit Ihrer Aussage sogar impliziert, dass Sie dem José
gerne die deutsche Staatsangehörigkeit nehmen würden.
({12})
Wir wollen dies aber nicht: Ihr Freund aus Köln-Ehrenfeld wird auch mit diesem Gesetz beide Staatsangehörigkeiten behalten können.
({13})
Ich sage Ihnen zu. Wir haben eine Härtefallklausel in
das Gesetz eingebaut. Ich gehe davon aus, dass die Länder sehr vernünftig und auch sehr weitsichtig mit dieser
Härtefallklausel umgehen werden.
({14})
Ich bin mir sehr sicher, Herr Kollege Beck, dass der von
Ihnen geschilderte Fall unter die Härtefallregelung fällt,
({15})
was im konkreten Fall dazu führt, dass Ihr Freund beide
Staatsangehörigkeiten behalten kann.
({16})
Wir beenden mit dieser heutigen Debatte eine langjährige Diskussion über unser Staatsangehörigkeitsrecht.
Es ist schon erwähnt worden: Es fällt dem einen oder anderen Kollegen seitens der CDU/CSU mit Sicherheit
nicht leicht, diesem Gesetz zuzustimmen.
({17})
Herr Minister de Maizière hat schon darauf hingewiesen: Mit diesem Gesetz sind Wahlkämpfe geführt worden. Es sind Landesregierungen gewählt oder abgewählt
worden. Ich bin der Überzeugung: Von diesem Gesetz
wird eine Befriedungswirkung für unser Land ausgehen.
Ich glaube auch, dass dieses Gesetz den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland
Rechnung trägt. Deswegen können wir diesem Gesetz
guten Gewissens zustimmen. Es ist ein zukunftsweisendes, modernes Staatsangehörigkeitsgesetz, und ich bitte
herzlich um Ihre Zustimmung.
({18})
Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. - Nächste Rednerin in der Debatte ist Frau Staatsministerin Aydan
Özoğuz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich versuche einmal, das zusammenzufassen:
Deutschlands Kinder, die mit ihrer Geburt zwei Pässe
haben, behalten diese zukünftig in den allermeisten Fällen, müssen ihre Herkunft auch nicht mehr verleugnen.
({0})
Das heißt, genau zehn Jahre nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes bekennt sich Deutschland zu den
Kindern seiner Einwanderer mit ihren Herkünften. Das
ist ein sehr schöner Befund.
({1})
Ich kann Kritik sehr gut verstehen. Ich höre auch sehr
genau zu. Man zählt die Nachteile, die durch die Optionspflicht entstehen, die einmal gemeinsam beschlosStaatsministerin Aydan Özoğuz
sen wurde, auf - das sind eventuell die Ausnahmen, die
noch bestehen bleiben - und übersieht vollkommen, dass
Hunderttausende Kinder und Jugendliche - die Zahlen
sind gerade genannt worden -, die schon geboren sind,
von diesem neuen Gesetz profitieren werden,
({2})
von dieser belastenden Entscheidung befreit werden und
sich im wahrsten Sinne des Wortes in einem Deutschland befinden, das sagt: „Ja, du gehörst hierher,
({3})
du bist deutsch, und du bist noch etwas anderes.“ Das
kann man doch nicht kritisieren.
({4})
Ich finde auch, dass wir den Streit um das Wort „Aufwachsen“ gut gelöst haben. Denn tatsächlich, wir hätten
mehr gewollt - das kann man nicht oft genug wiederholen -, und die Unionsfraktionen hätten etwas anderes gewollt. Auch das ist kein Geheimnis.
({5})
Wir haben uns darauf geeinigt, zu sagen: Wenn jemand
acht Jahre hier ist - Entschuldigung, es sind doch fast
alle acht Jahre hier; es gibt wenige Ausnahmen -, wenn
jemand seinen Schulabschluss oder seinen Berufsausbildungsabschluss hier gemacht hat, dann gilt diese Regelung, die wir heute gemeinsam treffen, ab jetzt. Das ist
doch ein gutes Signal, welches wir an die deutsche Jugend mit zwei Pässen und alle anderen senden.
({6})
Die Härtefallregelung gibt es auch noch. Sie ist ja gerade für solche Fälle gedacht, die wir uns heute nicht alle
überlegen können. Diese Jugendlichen können dann zeigen: Ich habe einen Bezug zu Deutschland, ich bin hier
genauso verwurzelt. Ich finde, das Staatsangehörigkeitsrecht wird ein Stück gerechter. Es hat mit Identität zu
tun, mit Verwurzelung, nicht mit dem Herkunftsland, aus
dem jemand kommt. Danach haben wir ja bisher unterschieden. Wir werden allen jungen Menschen, die jetzt
so gebannt darauf warten, dass wir das endlich umsetzen, dass sie endlich eben nicht mehr diese Angst haben
müssen, diese Angst nehmen, das Gesetz jetzt umsetzen
und nicht sagen: Lieber gar nichts, wenn man nicht
100 Prozent und alles bekommt.
Danke schön.
({7})
Danke, Frau Kollegin. - Bevor ich dem Kollegen
Helmut Brandt das Wort gebe, bitte ich die anderen Kolleginnen und Kollegen, den letzten zwei Rednern in dieser Debatte noch zuzuhören. Sie haben es definitiv verdient. - Helmut Brandt für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, der Wortbeitrag der Staatsministerin hat
zur Versachlichung der Atmosphäre beigetragen. Deshalb danke ich ihr ausdrücklich für ihren Beitrag. Da
kann man hundertmal „Murks“ rufen; das disqualifiziert
nur den Rufer und nicht den Diskussionsbeitrag als solchen.
({0})
Natürlich hätte man heute noch einmal sehr lange
über diesen Gesetzentwurf diskutieren können, Herr
Kollege Veit. Aber wir haben im letzten Jahr über die
Frage der Staatsangehörigkeit und über die Frage der
Optionspflicht - ja oder nein? - oft diskutiert. Jetzt debattieren wir schon zum fünften Mal darüber. Deshalb
halte ich es für angemessen, dass wir die Debatte heute
abschließen.
Wir haben heute in zweiter und dritter Lesung diese
Neuregelung zu beschließen, die für die betroffenen jungen Leute sicherlich eine enorme Erleichterung bedeutet. Wir haben in der Sachverständigenanhörung, die hier
schon mehrfach erwähnt worden ist, gehört, dass die
Zahl der Betroffenen bis zum Jahr 2018 auf 40 000 im
Jahr ansteigen wird. Deshalb ist es, glaube ich, an der
Zeit, sich mit dieser Neuregelung abschließend zu beschäftigen.
({1})
Wir haben mit diesem Kompromiss natürlich nicht
alle Erwartungen erfüllen können. Es gab und gibt bis
heute vehemente Befürworter einer kompletten Abschaffung der Optionspflicht. Aber die Anhörung der Sachverständigen hat deutlich gezeigt, dass die geplante
Modifizierung der Optionspflicht ausgewogen und praktikabel ist, dass sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben
genügt und vor allen Dingen auch sachgerecht ist. Sie
verstößt gerade nicht, wie von den Linken und vom
Bündnis 90/Die Grünen immer wieder behauptet, gegen
das Grundgesetz.
({2})
Sie ist auch keine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit im Sinne des Artikels 16 Absatz 1.
({3})
Ich erinnere an die Ihnen sicherlich bekannte Rechtsprechung, nach der eine Verlustzufügung nur dann vorliegt,
wenn der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare
Weise dieselbe beeinflussen kann. Das ist hier aber nicht
der Fall.
Die jungen Erwachsenen, die nach dieser neuen Regelung von der Optionspflicht betroffen sein werden, haben es selbst in der Hand, ob sie sich für die deutsche
Staatsangehörigkeit oder für die ihrer Eltern entscheiden,
auch wenn diese Entscheidung in dem einen oder anderen Fall vielleicht eine unbequeme Entscheidung ist unbequem, aber durchaus zumutbar.
({4})
Ich meine das wirklich sehr ernst. Der Herr Kollege
Brandt redet über ein sehr wichtiges Thema. Entweder
Sie hören jetzt zu - dann reden Sie aber bitte nicht mit
den Nachbarn, sondern hören ihm zu -, oder Sie reden
draußen weiter. Das gilt für die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten,
({0})
das gilt aber auch für die Regierungsbank. - Herr Kollege, Sie haben das Wort.
({1})
Besten Dank, Frau Präsidentin. Nach mir redet ja
noch ein Kollege. Insofern ist der Appell mehr als berechtigt.
Einer Hinnahme des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit steht das legitime Interesse des deutschen
Staates an der Vermeidung von Konflikten rechtlicher,
politischer, auch persönlicher Art gegenüber, die vielleicht nicht regelmäßig, aber eben doch mit einer doppelten Staatsangehörigkeit verbunden sind. Auch wenn
einige das nicht gerne hören oder nicht glauben wollen,
ist es nun einmal so, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit zu Loyalitätsproblemen führen kann, insbesondere
wenn im Heimatland der Eltern ganz andere Wertvorstellungen als in Deutschland vorherrschen. Genau deshalb halte ich die Bedingungen, die wir an den Wegfall
der Optionspflicht geknüpft haben, für absolut notwendig und integrationsfördernd.
({0})
An die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen sage ich,
dass der Besuch einer deutschen Schule im Ausland
- das ist ein beliebtes Beispiel von Ihnen, Herr Beck ein Leben in Deutschland nicht ersetzt.
({1})
Integration
({2})
findet doch nicht nur in der Schule statt, sondern auch im
Freundeskreis, in Vereinen und in der Familie, also im
Alltag. All das ist im Ausland doch gerade nicht gewährleistet,
({3})
weshalb wir Ihren Antrag immer wieder aufs Neue ablehnen.
Die von Ihnen, Herr Beck - ich muss Sie in dieser Debatte leider öfters ansprechen, weil Sie immer wieder die
gleichen falschen Behauptungen aufstellen -, behauptete
Unvereinbarkeit mit Europarecht, ist auch von den Sachverständigen nicht bestätigt worden.
({4})
Der mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit
einhergehende Verlust der Unionsbürgerschaft beeinträchtigt zwar das Recht auf Freizügigkeit.
({5})
- Herr Beck, Sie haben nur einer Sachverständigen und
nicht allen Sachverständigen zugehört, weshalb Sie sich
auch nur ein einseitiges Bild von der Rechtslage gebildet
haben. Aber das war ja auch Ihr Ziel von Anfang an. Der Verhältnismäßigkeit des Verlustes, die der Europäische Gerichtshof verlangt, steht jedoch auch hier gegenüber, dass es der Betreffende selbst in der Hand hat, sich
die deutsche Staatsangehörigkeit und damit den Status
der Unionsbürgerschaft zu erhalten. Der Europäische
Gerichtshof hat zudem explizit festgestellt, dass es legitim ist, dass der Mitgliedstaat das zwischen ihm und seinen Staatsbürgern bestehende Verhältnis besonderer Verbundenheit und Loyalität sowie die Gegenseitigkeit der
Rechte und Pflichten schützt.
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit?
Ja. Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. - Ich bin
- ich denke, das gilt für uns alle, jedenfalls für die meisten von uns - letztlich zufrieden mit dem Kompromiss,
den wir jetzt gefunden haben.
Letzte Bemerkung. Der Kollege Veit hat recht, dass
die von der SPD-Fraktion präsentierten sachverständigen Praktiker Anregungen gegeben haben. Wir wollten
das nicht in der Kürze der Zeit übers Knie brechen, zuHelmut Brandt
mal dadurch vielleicht auch die Möglichkeiten der Zustimmung durch den Bundesrat vergeben worden wären.
({0})
Aber wir sind bereit, darüber in den nächsten Monaten
mit den Ländern und auch mit Ihnen zu diskutieren,
Aber jetzt nicht mehr!
- um vielleicht noch die eine oder andere Gelegenheit
für eine Verbesserung zu nutzen.
Danke.
({0})
Danke, Herr Kollege Brandt. - Letzter Redner in dieser Debatte ist Josip Juratovic. Ich bitte Sie, dem Redner,
der für die SPD redet, zuzuhören.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit unserem Gesetzentwurf beenden wir eine
entwürdigende Situation.
({0})
Bisher waren hier geborene Kinder ausländischer Eltern
Deutsche unter Vorbehalt; das hatten wir der Kampagne
von Roland Koch aus dem Jahre 1999 zu verdanken.
Dieser Vorbehalt ist nun weg.
({1})
Ein hier geborenes Kind, das hier aufwächst, ist nun ein
Deutscher.
Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht verhehlen,
dass wir als SPD mehr anstreben. Da denke ich vor allem an die erste Generation der Einwanderer nichtdeutscher Herkunft. Diese Generation, die sogenannten Gastarbeiter, bleiben in der aktuellen Debatte leider
unbeachtet.
Warum wollen wir für sie die generelle Akzeptanz
von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Redlichkeit
gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleistung zum
größten Teil hierzulande erbracht. Diese Menschen haben unser Land unter schweren Bedingungen mit aufgebaut.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung des Kollegen Beck?
Herr Beck, Sie haben schon viel geredet.
({0})
Moment! - Erlauben Sie das?
Ja, bitte.
Gut. - Kollege Beck.
({0})
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, weil mich die
Rede des Kollegen Brandt verwirrt hat, was wir denn
jetzt beschließen.
({0})
Herr Brandt hat gerade erklärt, Abschlüsse an deutschen Auslandsschulen führten zur Optionspflicht. Das
Bundesinnenministerium hat auf eine Kleine Anfrage
unserer Fraktion geantwortet, dies könne ein Fall für die
Härtefallregelung sein. Damit das Hohe Haus weiß, was
es tut, wenn es diesen Gesetzentwurf jetzt verabschiedet
- in ihm steht ja nicht, was in diesem Fall gilt -, würde
ich gerne von Ihnen, sozusagen koalitionsamtlich, eine
Auslegungsentscheidung hören.
Herr Beck, ich gehe davon aus, dass Sie den Gesetzentwurf und die Beschlussempfehlung gelesen haben.
Ich möchte jetzt keine langen Erklärungen vortragen.
({0})
- Ich weiß es sehr wohl.
({1})
Ich wiederhole: Warum wollen wir die generelle Akzeptanz von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Redlichkeit gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleistung zum größten Teil hierzulande erbracht. Diese
Menschen haben unser Land unter schweren Bedingungen mit aufgebaut und es zu dem gemacht, was es heute
ist: eine starke Wirtschaftsmacht. Diese Menschen haben
sich auch im Vereinsleben in unseren Städten und Gemeinden engagiert und damit zu einer Gesellschaft beigetragen, um die wir weltweit beneidet und für die wir
respektiert werden. Wie loyal, Herr Minister, muss ein
Mensch noch sein? Ich meine, es wäre nur redlich, dass
wir den emotional berechtigten Anspruch dieser Menschen auf Respekt und Anerkennung würdigen, indem
wir zu ihnen sagen: Du gehörst dazu, ohne dass du deine
Herkunft verleugnen musst.
({2})
Kolleginnen und Kollegen, als Integrationsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion betrachte ich Integration
als einen Prozess auf dem Weg zur Identifikation mit der
Vielfalt in unserem Land - sowohl aufseiten der Einwanderer als auch aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft.
Vielfalt ist dabei nicht Beliebigkeit, sondern muss in unseren grundgesetzlichen Werten eingerahmt sein. Deshalb ist es für mich nicht wichtig, wie viele Pässe jemand in der Hosentasche hat. Es ist für mich vielmehr
entscheidend, was er im Herzen trägt. Für mich reicht
auch gegenseitige Toleranz nicht aus. Deutschland muss
auf gegenseitiger Empathie, Achtung und Respekt aufgebaut sein.
({3})
Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss, für den ich mich bei unserem Koalitionspartner
trotz einiger Bedenkenträger bedanken möchte. Den Bedenkenträgern möchte ich sagen: Wir sollten die Fenster
in diesem Haus einmal öffnen und nach draußen
schauen. Sie werden sehen, dass uns die Realität in
Deutschland längst überholt hat. Seit Roland Koch ist
viel passiert.
Deutschland ist seit 2005 offiziell ein Einwanderungsland. 50 Prozent der Zuwanderer haben bereits
mehrere Pässe. Die internationale Vielfalt ist aus unserer
Wirtschaft, Kunst und Kultur nicht mehr wegzudenken.
({4})
Ich bitte Sie, dem Kollegen zuzuhören. Er versteht
fast sein eigenes Wort nicht mehr. Wir können die Debatte auch unterbrechen, wenn Sie wichtigere Dinge zu
besprechen haben. Ansonsten hören Sie dem Kollegen
jetzt bitte die letzten 30 Sekunden zu.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Wir feiern und identifizieren uns mit unserer Nationalmannschaft, in der längst
nicht mehr die Herkunft zählt, sondern die Qualitäten
und Fähigkeiten.
Diese Realität müssen wir in Gesetzen abbilden, die
helfen, dass sich alle Menschen in unserem Land als
Bürgerinnen und Bürger mit einem Deutschland der
Vielfalt identifizieren. Die wachsende Vielfalt Deutschlands wird mit diesem Gesetzentwurf einmal mehr als
Wert anerkannt. Es ist ein weiterer Schritt zu mehr Gerechtigkeit und Zusammenhalt in unserem Land.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich schließe die Aussprache.
Ich bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit, weil vonseiten der CDU/CSU und der SPD eine zweite namentliche Abstimmung angemeldet worden ist. Wir werden
unter Zusatzpunkt 7 a also nicht nur über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke namentlich abstimmen,
sondern auch - das tun wir jetzt zuerst - über den von
der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf
Drucksache 18/1312, über den wir debattiert haben.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, diesen Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diese Schlussabstimmung ist
namentlich. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze an den Boxen einzunehmen. - Sind
die Plätze an den Boxen besetzt? - Also, die Plätze an
den Boxen sind besetzt.
({0})
- Die Plätze an den Boxen, die manche „Urnen“ nennen,
sind besetzt. Damit eröffne ich die Abstimmung. - Ha-
ben alle Kolleginnen und Kollegen jetzt abgestimmt? -
Ich gehe davon aus, dass jetzt alle Mitglieder abge-
stimmt haben. Damit schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen, wie
immer, später bekannt gegeben.1)
Jetzt kommen wir zu der Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke über die
Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörig-
keitsrecht. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksa-
chen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1092 abzulehnen.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-
gen der Fraktion Die Linke namentlich ab.2) Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Die Plätze sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf.
Solange noch abgestimmt wird, möchte ich im Namen des Präsidiums Ansgar Heveling ganz herzlich zu
seinem Geburtstag gratulieren.
({1})
1) Ergebnis Seite 4197 D
2) Anlage 14
Vizepräsidentin Claudia Roth
Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme
nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Auch hier wird Ihnen das Ergebnis der Abstim-
mung, wie immer, später bekannt gegeben.1)
({2})
- Ja, so ist es, Herr Kauder.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/185
({3}) abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD bei Zustimmung von Bündnis 90/Die
Grünen und der Linksfraktion abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Zusatzpunkt 7 b. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1955 und
18/2005, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/286 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen mit Stimmen von CDU/CSU und SPD bei
Ablehnung von der Linksfraktion und Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulle
Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung
von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen ({4})
Drucksache 18/1878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch, dann ist es jetzt so beschlos-
sen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ulle
Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.
1) Ergebnis Seite 4200 A
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern wurde der neue Public Women-on-Board-Index
vorgestellt. Angesichts der bekannten Frauen- und Männeranteile in Aufsichtsräten der Wirtschaft ist das Ergebnis jetzt nicht wirklich überraschend. Vielmehr zeigt sich
hier noch einmal eines deutlich: Freiwillige Vereinbarungen und unverbindliche gesetzliche Regelungen führen nicht zu einer signifikanten Steigerung des Frauenanteils, nicht einmal in Unternehmen mit Beteiligung
des Bundes. Nein, ganz im Gegenteil. Denn in den Vorständen und in den Geschäftsführungen von Bundesunternehmen wurde bisher nur jede fünfte Position mit einer Frau besetzt. Das sind 13,9 Prozent, und das ist viel
zu wenig.
({0})
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt vor allem:
Dort, wo die Politik unmittelbar Einfluss auf die Besetzung von Führungsposten hat, nutzt sie diesen Einfluss
nicht. Damit nehmen die öffentlichen Unternehmen
keine Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft ein. Der
faktische Ausschluss von Frauen ist auch nicht gerecht.
Liebe Kolleginnen von der Bundesregierung, auch
das ist ein Grund dafür, dass wir Grünen heute erneut einen eigenen Gesetzentwurf zur geschlechtergerechten
Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen einbringen. Denn - das sage ich Ihnen noch einmal ganz klar - die Geduld der Frauen ist zu Ende.
({1})
Es gibt keinen Grund, den vielen hochqualifizierten
Frauen den Zugang zu Karriere und besser bezahlten
Jobs weiter zu verweigern.
Wir wollen deshalb erstens eine 40-Prozent-Frauenquote für börsennotierte Unternehmen oder Unternehmen, die der Mitbestimmung unterliegen. Diese Quote
soll in zwei Stufen erreicht werden: ab 2016 für alle
Neubesetzungen, dann ab 2018 für alle Aufsichtsratsmitglieder. Das betrifft etwa 3 500 Unternehmen.
({2})
Wir fordern zweitens die dringend notwendige Reformierung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes aus dem
Jahr 1994. Auch hier fordern wir eine Mindestquote für
beide Geschlechter von 40 Prozent ab 2018 und die
Streichung der vielen Ausnahmeregelungen.
Diese beiden Forderungen sollen drittens einhergehen
mit Regelungen für Führungspositionen unterhalb des
Vorstandes, damit Frauen konsequent gefördert werden.
Nur so erreichen wir es, dass Frauen nicht länger an die
gläserne Decke stoßen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gut ist, dass bei dieser Bundesregierung angekommen ist, dass die Frauenförderung angepackt werden muss - anders als bei der
letzten. Ehrlich gesagt glaube ich allerdings, dass diese
Erkenntnis tatsächlich nur bei den Kolleginnen und Kollegen von der SPD so richtig angekommen ist.
({4})
Von der Union hört man ja gar nichts zu dem Referentenentwurf. Ich will es einmal so sagen: Allgemeines
Schweigen im Walde bei der Union offenbar nach dem
Motto „Die Wirtschaft wird schon dagegen Sturm laufen“ - das tut sie bereits auch panisch - „und alles wieder richten“.
({5})
Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Großen Koalition, wenn ich mir den Referentenentwurf
ansehe, besteht eigentlich gar kein Grund zu dieser
Hysterie. Denn die von Maas und Schwesig vollmundig
angekündigte Quote ist jetzt schon ein einziger Knicks
vor der Wirtschaft:
({6})
eine Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von voll
mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen ab 2016 und nur für Neu- und Nachbesetzungen. Das trifft nur 101 Unternehmen. Darunter ging es ja
kaum noch.
Nein, Frau Schwesig und Herr Maas, man muss es
klar benennen: Ihre Quote ist ein Quötchen.
({7})
Wir sind gespannt, was am Ende im Bundesgesetzblatt
stehen wird, wenn die CDU/CSU noch mehr Ausnahmen einbaut.
Die große Mehrheit in der Wirtschaft geht ja beim
Thema Quote immer wieder reflexartig auf Abwehrhaltung, obwohl die Quote natürlich immer an die gleichen
Qualifikationen von Männern und Frauen gebunden ist.
Hierüber wird gern ein falsches Bild gezeichnet, nämlich
das von einer Bevorteilung von Frauen gegenüber Männern. Das ist Quatsch. Denn ohne eine verbindliche gesetzliche Regelung gäbe es weiterhin diese ausgesprochen gut funktionierende Quote für Männer zum Teil
sogar bis 100 Prozent.
({8})
Mal ehrlich, anstatt als eine der Topwirtschaftsnationen
richtig nach vorne zu gehen, wagen Sie von der Regierung auch jetzt nur einen halbherzigen Schritt.
({9})
Worauf es ankommt, ist die Mischung von Frauen
und Männern in Führungsetagen. Einige wenige Unternehmen haben das verstanden. Der Strategiechef von
Roland Berger sagt ganz schlicht: „Wir brauchen die
Vielfalt, weil sie zu besseren Ergebnissen führt.“ Also:
Es gibt genug qualifizierte Frauen für Führungspositionen und für Aufsichtsräte und für Bundesgremien. Man
muss sie aber auch finden wollen.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
wir feiern in diesem Jahr den 20. Jahrestag der Ergänzung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Dieser
Satz fordert die Bundesregierung zu aktivem Handeln
bei der Frauenförderung auf. Nehmen Sie dieses Jubiläum zum Anlass! Nutzen Sie Ihre Mehrheiten! Trauen
Sie sich, den Frauen und Männern in diesem Land sowie
auch der Wirtschaft effiziente Maßnahmen zur Gleichstellung zu! Nehmen Sie unsere Vorschläge auf, damit
wir nicht bei einem Quötchen landen, sondern bei einer
wirklichen Quote, einer Quote, die am Ende nicht nur
wenigen Frauen hilft.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin in
der Debatte ist Gudrun Zollner für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Mit der Einführung einer gesetzlichen
Frauenquote zur geschlechtergerechten Besetzung von
Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen bringen
wir heute ein Vorhaben auf den Weg, das ich als historisch bezeichnen möchte. Ich erinnere genauso wie
meine Vorrednerin an Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt
auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Die bestehenden Nachteile beseitigen wir jetzt, wir
Frauen von der CDU/CSU: 30 Prozent Geschlechterquote für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr
2016 neu besetzt werden, und verbindliche Zielgrößen
für die Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten,
Vorständen und obersten Managerebenen mitbestimmungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen mit
einer transparenten Berichterstattung.
Auch wenn der Aufschrei der Unternehmer noch
immer groß ist: Sie sind selbst schuld, weil sie sich seit
Jahren nicht an ihre eigenen freiwilligen Zusagen gehalten haben.
({0})
Der Regelkatalog der Regierungskommission Deutscher
Corporate Governance Kodex, der Empfehlungen für
gute Unternehmensführung macht, ist für viele Manager
anscheinend nur ein Papiertiger. Wenn ihnen alle ArguGudrun Zollner
mente gegen die Quote ausgehen, dann kommt das
Schlagwort der unqualifizierten Quotenfrau, die keiner
haben will. Topmanager - wohlgemerkt: Männer haben in den letzten Jahren Milliarden in den Sand gesetzt. Wer hat da nach deren Qualifikation gefragt?
({1})
Ich bitte Sie aber: Lassen Sie uns die Debatte über das
Für und Wider einer Frauenquote beenden. Sie heizt nur
die Stimmung gegen die Quote an und schadet so im
Prinzip der richtigen Sache.
({2})
Die gesetzliche Quote kommt, und nur das zählt.
Auch wir Frauen sollten uns nicht auseinanderdividieren lassen. Jede von uns sollte den Weg gehen, den
sie für sich selbst für richtig hält.
({3})
Werden wir gefragt, ob wir eine Führungsposition übernehmen wollen, dann denken wir bitte nicht erst nach:
Kann ich das? Schaffe ich das mit meiner Familie? Bin
ich qualifiziert genug? - Glauben Sie mir: Wir können
das, und wir schaffen das.
({4})
Bei der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung hilft der Bund den Ländern seit Jahren nachhaltig
und tatkräftig. Insgesamt stellt der Bund den Ländern bis
2014 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung, um zusätzliche
Plätze in Kitas und der Kindertagespflege zu schaffen
und ihren Betrieb zu finanzieren. Ab 2015 unterstützt
der Bund den dauerhaften Betrieb der neu geschaffenen
Kitas mit jährlich 845 Millionen Euro.
({5})
- Danke schön, Herr Kauder. - Wir schaffen Rahmenbedingungen, damit Frauen und ihre Familien die Kinder
in guten und qualifizierten Händen wissen. Die ersten
Umfragen zeigen schon, dass die neue Familienpolitik
eine stärkere Berufsorientierung bei Müttern bewirkt.
({6})
Der Gesetzgeber setzt jetzt Impulse für die Gesellschaft, um ein Umdenken aktiv zu provozieren - und
dies insbesondere in der männerdominierten Unternehmenskultur. Wir müssen der gläsernen Decke ein Ende
setzen, den Aufsichtsräten in Männerhänden Adieu sagen. Um nichts anderes geht es.
Lassen Sie uns doch bitte, werte Kolleginnen und
Kollegen, nicht darüber debattieren, ob jetzt 30 Prozent
oder 40 Prozent Frauenquote richtig ist; denn irgendwann sollen doch die Quote und die Debatten darüber
überflüssig sein, und das werden sie.
({7})
30 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten für börsennotierte und voll mitbestimmungspflichtige Unternehmen zu fordern, ist ambitioniert und setzt im aktuellen
Referentenentwurf das richtige Signal. Sicherlich ist das
mehr als nur ein Quötchen. Wir binden die Unternehmen
an die konkrete Umsetzung von Zielvorgaben, wir verpflichten sie zur transparenten Berichterstattung, und bei
Nichteinhaltung der Geschlechterquote droht der leere
Stuhl.
Mit dem Antrag zum Bundesgleichstellungsgesetz
gehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, anscheinend erfreulicherweise
mit uns konform; denn dazu finde ich keine Vorschläge
in Ihrem Antrag. Wenn Sie sagen, unsere Regierung mache zu wenig in den eigenen Reihen, so darf ich Sie daran erinnern, dass zu Beginn der Regierungszeit Ihres
Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg 27 neue
Stellen mit B-Besoldung geschaffen wurden und davon
nur vier an Frauen vergeben wurden. Ich glaube, wir
können überall etwas unternehmen.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit?
Jawohl.
Ich habe das ganz sanft gesagt.
Eine erst in dieser Woche veröffentlichte KetchumUmfrage belegt: Nach Ansicht der Befragten haben
Frauen in Führungspositionen ihre männlichen Kollegen
hinter sich gelassen. Sie seien die besseren Chefs. Das
sehen zumindest 58 Prozent der Deutschen so.
Ich freue mich auf den Moment, wenn es keiner Quotendiskussion mehr bedarf, um Frauen dorthin zu bekommen, wohin sie gehören, nämlich gleichberechtigt
an die Spitze der Unternehmen.
({0})
Bitte lassen Sie uns von einem inszenierten Quotenhorror Abstand nehmen und vielmehr Quotengeschichte
schreiben - für die Frauen, für die Firmen und für den
Fortschritt.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Zollner. - Bevor Frau
Möhring das Wort hat, möchte ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt
geben.
Erste Abstimmung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, Drucksachen 18/1312, 18/1759, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 463, mit
Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Claudia Roth
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon
ja: 461
nein: 110
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({0})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({1})
Mark Helfrich
Uda Heller
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Roy Kühne
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({2})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({3})
Stefan Müller ({4})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({5})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({6})
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({7})
Gabriele Schmidt ({8})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({9})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({10})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({11})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({12})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Vizepräsidentin Claudia Roth
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({17})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({18})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({19})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({20})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({21})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({22})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({23})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({25})
Matthias Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({28})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
({29})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bärbel Höhn
Nein
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Axel E. Fischer ({30})
Sylvia Pantel
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({31})
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({32})
Vizepräsidentin Claudia Roth
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Volker Beck ({33})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({34})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({35})
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({36})
Zweite Abstimmung: Entwurf eines Gesetzes über die
Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksachen 18/1092, 18/1955 und 18/2005.
Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 461,
mit Nein haben gestimmt 108, Enthaltungen keine. Der
Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 569;
davon
ja: 107
nein: 462
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({37})
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
({38})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({39})
Volker Beck ({40})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({41})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({42})
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Vizepräsidentin Claudia Roth
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({43})
Axel E. Fischer ({44})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({45})
Mark Helfrich
Uda Heller
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Roy Kühne
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({46})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({47})
Stefan Müller ({48})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({49})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({50})
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({51})
Gabriele Schmidt ({52})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({53})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({54})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({55})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({56})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({57})
Peter Weiß ({58})
Sabine Weiss ({59})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({60})
Klaus-Peter Willsch
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({61})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({62})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({63})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({64})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({65})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({66})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({67})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({68})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({69})
Matthias Schmidt ({70})
Dagmar Schmidt ({71})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({72})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
({73})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Schnitt. Jetzt kommen wir wieder zur Quote oder wie
auch immer man es zukünftig nennt. Also: Cornelia
Möhring hat das Wort für die Linke.
({74})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Kollegin Zollner, ehrlich gestanden, finde
ich, dass heute genau der richtige Zeitpunkt ist, um wieder über die Frauenquote zu reden. Das zeigen nicht nur
die vorliegenden Leitlinien der Koalition für das Gesetzgebungsverfahren, sondern auch Ihr Diskussionsbeitrag.
Darauf will ich gleich noch genauer eingehen.
Der Anlass unserer heutigen Debatte ist der Gesetzentwurf der Grünen. Ich will trotzdem die Gelegenheit
nutzen, etwas zum geplanten Gesetzentwurf der Großen
Koalition zu sagen.
Zuerst zu den Grünen. Ich finde es natürlich sehr gut,
dass in ihrem Gesetzentwurf der Anwendungsbereich
deutlich weiter gefasst ist als im GroKo-Entwurf. Ulle
Schauws hat gesagt, von ihrem Gesetzentwurf seien immerhin 3 500 Unternehmen betroffen.
({0})
Im Vorschlag der Koalition steht aber nicht „oder“ zwischen „börsennotiert“ und „mitbestimmungspflichtig“,
sondern „und“. Dieses kleine Wörtchen macht den großen Unterschied aus. Was uns da nämlich als gleichstellungspolitischer Meilenstein verkauft werden soll,
gilt gerade einmal für 101 Unternehmen, und sie suchen
- bei einer Quote von 30 Prozent - gerade einmal
174 Frauen.
({1})
Ich finde, da ist der Begriff „Quötchen“ durchaus angebracht.
({2})
Was die angedachten Sanktionen angeht, etwa die
Drohung mit dem leeren Stuhl: Ich sehe wirklich schon,
wie die betroffenen Unternehmen in Angst und Schrecken ausbrechen. Das, was angedacht ist, ist wirklich alles andere als eine harte Sanktion.
Ich finde aber auch, dass der Vorschlag der Grünen,
eine 40-Prozent-Quote einzuführen, ebenfalls nicht weit
genug geht. Es gibt keinen Grund, warum wir uns mit
weniger als der Hälfte zufriedengeben sollten.
({3})
Frauen sind keine Minderheit. Für gleiche und unteilbare
Menschenrechte sind Zwischenschritte unsinnig. Vor
100 Jahren kam niemand auf die Idee, den Frauen erst
einmal ein anteiliges Wahlrecht einzuräumen. Die Linke
bleibt dabei: Wir wollen 50 Prozent.
({4})
Ein weiterer Punkt. Die Grünen fordern so wie die
Bundesregierung die Quote für Aufsichtsräte, aber nicht
für Vorstände. Doch genau dort spielt die Musik.
({5})
In den Vorständen werden die weitreichenden Entscheidungen getroffen. Deswegen brauchen wir eine verbindliche Quote für alle Führungsetagen, erst recht, wenn
man ein Gesetz „Führungskräftegesetz“ nennt.
({6})
- Darüber können wir gerne an anderer Stelle diskutieren.
({7})
Hier geht es um die gleiche und ungleiche Verteilung
von Ressourcen in unserer Gesellschaft, wofür der Bundestag die Zuständigkeit besitzt. Es geht nicht um unsere
Fraktion.
Noch ein paar ganz grundsätzliche Anmerkungen. Sowohl im vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen als
auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung, soweit er
uns bekannt ist, sind alle Regelungen geschlechtsneutral
formuliert. Da mittlerweile sogar von einer Geschlechterquote gesprochen wird, möchte ich hier ganz explizit
noch einmal auf den Sinn einer Frauenquote eingehen.
Frauenquoten wurden hier und in anderen Ländern aus
einem einzigen Grund auf die politische Agenda gesetzt:
Es gibt eine sichtbare Diskriminierung von Frauen in
Führungsetagen - und nicht nur dort. Frauen wird der
gleichberechtigte Zugang zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen verwehrt. Mit der Frauenquote sollte diesen Zuständen so lange auf den Leib gerückt werden, bis die Gleichstellung auch wirklich in der
Praxis ankommt.
({8})
Es geht nämlich nicht, auch wenn das hier teilweise
durchklingt, um den Ausgleich zufällig zusammengesetzter Gremien, wo einmal Frauen und einmal Männer
in der Mehrheit oder Minderheit sind. Frauen sollen
nicht deshalb vertreten werden, weil sie irgendwelche
geheimnisvollen Befähigungen haben oder anders mit
knappen Ressourcen und ungelösten Herausforderungen
umgehen. Auch wenn es manche erstaunen mag: Frauen
sind nicht die besseren Menschen. Sie haben aber das
gleiche Recht auf Beteiligung an wirtschaftlichen und
politischen Entscheidungen.
({9})
Die Frauenquote ist einzig und allein eine Antidiskriminierungsmaßnahme. Erst wenn das Geschlecht bei Einstellungen und Beförderungen keine Rolle mehr spielt,
Frau Zollner, wird die Quote überflüssig.
Eine strukturelle Diskriminierung von Männern gibt
es jedoch nicht. Männer sind in Führungsetagen und in
der Politik nicht unterrepräsentiert. Wofür bräuchten sie
dann eine gezielte Förderung?
Deswegen teile ich auch die Kritik der Gleichstellungsbeauftragten der Bundesministerien, die völlig berechtigt auch das Quotengesetz der Großen Koalition
kritisieren, weil jetzt im öffentlichen Bereich ein echter
Rückschritt wartet. In der Novelle zum Bundesgleichstellungsgesetz wird die Frauenförderung ohne Not in
eine Männer- und Frauenförderung umgewandelt. Männerförderung ist aber - da müssen jetzt einige ganz tapfer sein - tatsächlich in der Gleichstellung noch nicht angesagt. Die gesellschaftliche Realität liefert andere
Ausgangsbedingungen. Der Anteil von Frauen in Vorständen beträgt 5,7 Prozent, in Parlament und Politik
30 Prozent. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen.
87 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 80 Prozent aller unbezahlten Tätigkeiten werden von Frauen
ausgeführt. Ich meine, da muss doch bei Ihnen mal was
klingeln. Wer so tut, als würden wir Gleichstellung
durch die Förderung des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts erreichen, der hat das Klingeln nicht gehört
und verkennt die gesellschaftliche Realität.
({10})
Erinnern wir uns immer an die Worte von Grethe
Nestor, die sagte: Die größte Gefahr für die Gleichberechtigung ist der Mythos, wir hätten sie schon.
Vielen Dank.
({11})
Danke, Frau Kollegin.
Ich muss leider etwas korrigieren; denn bei uns gab es
einen Zahlendreher.
({0})
- Das hat aber nur ein Einziger von Ihnen gemerkt. Eigentlich war es ja ein Test. Sie haben es gemerkt. Wir
Vizepräsidentin Claudia Roth
haben nämlich den Gesetzentwurf der Linksfraktion
nicht mehrheitlich angenommen. Da gab es einen Zahlendreher. Deswegen möchte ich das Ergebnis noch einmal bekannt geben.
Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksachen 18/1092, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stimmen 569.
({1})
Mit Ja haben gestimmt 108, mit Nein haben gestimmt
461. - Es ehrt den Parlamentarischen Geschäftsführer
der Linken, dass er es gesagt hat.
({2})
Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.
({3})
Nächste Rednerin in der Debatte: Birgit Kömpel für
die SPD-Fraktion.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin Roth! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wir begrüßen den Gesetzentwurf der Grünen. Ja, Sie haben
richtig gehört. Wir begrüßen den Gesetzentwurf, weil
wir ihn als Rückendeckung für die Regierungspläne sehen, eine gesetzliche Quote für Aufsichtsräte einzuführen.
({0})
Es macht allerdings überhaupt keinen Sinn, um das
„wie hoch“ und „wie weitreichend“ und „wie umfassend“ zu debattieren. So kommen wir nicht weiter. Wir
müssen konkret etwas tun, meine Damen und Herren.
Der Fuß in der Tür ist allemal besser als eine verschlossene Tür. Unsere Idee „Für eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen in
der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ macht
unser gemeinsames und, ich hoffe, unser aller Anliegen
nicht nur konkret. Sie macht es erstmals auch real. Und
genau das ist es, was wir brauchen. Wir brauchen Fakten. Wir brauchen konkrete Schritte. Es muss endlich etwas passieren. Die Zeiten der Appelle sind vorbei.
13 Jahre freiwillige Regelungen waren erfolglos. Nein,
schlimmer: Sie waren ein erneuter Freifahrtschein für
unsere Unternehmen, die doch wieder fast ausschließlich
Männer in die Führungsetagen geholt haben. 2013 waren
nur 15,1 Prozent der Führungspositionen der Top-200Unternehmen in Deutschland mit Frauen besetzt. Das ist
sehr schade, und das müssen wir ändern.
Aber worum geht es eigentlich? Worum geht es uns
genau? Es geht darum, dass die Vormachtstellung der
Männer in der Wirtschaft und in der Verwaltung gebrochen werden muss. - Herr Kauder; wenn Sie vielleicht
bitte zuhören würden.
({1})
Es ist ein wichtiges Thema. Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. - Danke.
({2})
Es geht um Macht. Es geht um Geld.
({3})
Und es geht um Einfluss. Davon trennt sich niemand
freiwillig, schon gar nicht, wenn er in der Chefetage angekommen ist. Das wäre etwa so, als würden Sie mit Fischen über die Trockenlegung des Teichs verhandeln.
Deswegen - genau deswegen! - kommt die Quote.
Wenn uns das Beispiel Norwegen, wo die Quote vor
zehn Jahren eingeführt wurde, eines gelehrt hat, dann
das: Kein Erfolg ohne gesetzlich bindende Quote.
({4})
Es wird einfach höchste Zeit. Nur ganz kurz zur Erinnerung: Es studieren in Deutschland heute mehr Frauen
als Männer. Häufig schließen sie ihr Studium auch erfolgreicher ab als ihre männlichen Mitstreiter. Frauen
sind häufig auch besser qualifiziert als ihre männlichen
Kollegen.
Nur, warum spiegelt sich das nicht eins zu eins in unseren Führungsetagen wider?
({5})
Ich habe eine Idee. Ich denke, es gibt noch viel zu viele
konservative Rollenbilder bei uns im Land. Wir trauen
unseren Frauen zu, dass sie unsere Kinder erziehen
- eine sehr stressige und höchst anspruchsvolle Aufgabe,
wie ich aus eigener Erfahrung weiß ({6})
- und wertvoll; vielen Dank -, aber wir unterstellen unseren Frauen, dass sie keine Lust an der Macht, keinen
Gefallen am Führen und keine Freude am Entscheiden
haben.
Gleiches gilt übrigens für Männer im Hinblick auf
familiäres Engagement. Deshalb behaupte ich: Wir brauchen zum Beispiel auch familienfreundliche Arbeitszeiten. Viele junge Männer möchten mehr Zeit mit ihrer
Familie verbringen. Unsere Frauen möchten nicht mehr
die Nachteile in der Karriere hinnehmen, nur weil sie
Teilzeit arbeiten.
Politik und Wirtschaft sollen sich bitte schön nach unseren Menschen im Land richten. Wir von der Politik tun
dies, und zwar mit der Einführung einer Quote.
({7})
Wir fangen endlich an.
Wenn Frauen in den Aufsichtsräten angekommen
sind, dann werden diese Frauen sich auch dafür einsetzen, dass mehr Gleichberechtigung bei der Besetzung
von Vorstandsposten herrscht; davon bin ich überzeugt.
Dann - da bin ich mir auch sicher - wird sich die Tatsache, dass es noch nie so viele so gut ausgebildete Frauen
wie heute gab, auch in unseren Chefetagen widerspiegeln, meine Damen und Herren.
({8})
Dann werden hoffentlich weder Männer noch Frauen
Nachteile für ihre Erwerbsbiografien befürchten müssen,
nur weil sie sich auch in familiärer Hinsicht engagieren.
Also: Her mit verbindlichen gesetzlichen Regeln!
({9})
Wie gehen wir vor? Im Wesentlichen in drei parallelen Schritten: Schritt eins ist eine verbindliche Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte. Schritt zwei ist die Verpflichtung für
börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, verbindliche Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und
oberste Managementebene festzulegen. Schritt drei ist
die Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes übrigens etwas, was in Ihrem Gesetzentwurf völlig fehlt,
liebe Freundinnen und Freunde von den Grünen.
({10})
Ganz wichtig ist mir dabei, zu betonen, dass wir uns
mit unseren Regierungsplänen nicht mehr überwiegend
an Frauen richten - ich komme zum Schluss -, sondern
an Männer und Frauen gleichermaßen. Es geht um echte
Gleichberechtigung, um echte Chancengleichheit. Wir
machen Schluss mit Geschlechterstereotypen. Wie
meine allseits geschätzte Kollegin aus dem hohen Norden immer sagt: Anpacken, nicht schnacken!
Vielen Dank.
({11})
Danke, Frau Kollegin. - Das Wort hat Ursula GrodenKranich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich vom Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen erfuhr, war
ich erstaunt. Zum einen liegt zu diesem Thema bereits
der Entwurf des Familienministeriums vor. Er setzt die
entsprechenden Vereinbarungen der Regierungsparteien
aus dem Koalitionsvertrag um und trägt damit den jahrelangen Forderungen ganz unterschiedlicher politischer
Parteien und Verbände nach einer Frauenquote Rechnung.
({0})
Offensichtlich ist der Tenor dieser Vorlage der Grünen,
die sie in Rheinland-Pfalz in ähnlicher Form vorgelegt
haben: Ja, es ist ein Fortschritt, aber er genügt uns nicht. Frei nach dem Sportlermotto: Schneller, höher, weiter.
Es ist zwar legitim, noch mehr Fortschritt zu fordern,
aber idealerweise doch erst dann, wenn geplante und als
richtig erkannte Schritte überhaupt erst einmal umgesetzt sind.
({1})
Wir sollten erst einmal den vorliegenden Entwurf der
Regierung umsetzen, die 30-Prozent-Quote erfüllen.
Dann können wir gerne die 40 Prozent oder wie viel Prozent auch immer als nächstes Ziel anpeilen.
({2})
Meine Überzeugung ist - das belegen mannigfaltige
Studien aus europäischen Ländern, die in Sachen Quote
schon mehr Erfahrungen haben -, dass eine einmal eingeführte Frauenquote in sehr vielen Fällen dazu führt,
dass sich der Frauenanteil mit der Zeit fast automatisch
noch weiter erhöht, sogar über die anfangs vorgegebene
Zielgröße hinaus.
Der Gesetzentwurf der Grünen und die Forderung
nach einer Frauenquote von 40 Prozent hat mich aber
aus einem anderen Grund noch sehr viel mehr verwundert, den man mit dem Sprichwort zusammenfassen
könnte: Erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Ich komme aus Rheinland-Pfalz, das bekanntlich eine
rot-grüne Landesregierung hat.
({3})
In den Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit Landesbeteiligung ist eine Frauenquote von 40 Prozent, milde
ausgedrückt, ein frommer Wunsch und ein geradezu utopisch weit entferntes Ziel. Oder ist Ihr Gesetzentwurf der
Wunsch an Ihre eigenen Vertreterinnen in den Landesregierungen,
({4})
doch - neben der Ministerinnenebene - an die eigenen
frauenpolitischen Ansprüche zu erinnern? Ich darf Ihnen
ein paar Zahlen nennen und beziehe mich auf die Kleine
Anfrage 1116 von CDU-Landtagsabgeordneten vom
27. September 2012: Von 146 Mitgliedern, die vom
Land Rheinland-Pfalz in Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit Landesbeteiligung entsandt wurden, waren
119 männlich und 27 weiblich. Das entspricht einem
Frauenanteil von 18,49 Prozent.
({5})
- Ja, da müssen Sie jetzt durch. Ich kann Ihnen nicht helfen.
({6})
Insgesamt gab es in den entsprechenden Aufsichtsgremien 258 Mitglieder, davon 221 männliche und 37 weibliche.
({7})
- Rheinland-Pfalz, Frau Künast.
({8})
Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht
weiter mit Zahlenkolonnen langweilen,
({9}):
Ah!)
aber ich denke, die Tendenz ist klar geworden: Die meisten der genannten Frauenanteile lagen weit unter 20 Prozent.
Die rheinland-pfälzische SPD und die rheinlandpfälzischen Grünen haben vor ziemlich genau einem
Jahr in einem Antrag, den wir jetzt hier wortgleich vorliegen haben, dies gefordert. Zwischen Wunsch und
Wirklichkeit bzw. zwischen Antrag und Umsetzung
klafft in dieser Frage eine große Lücke.
Ich komme auf meinen Punkt zurück, den ich vorhin
angesprochen habe. Bevor wir uns damit befassen, wie
wir den Frauenanteil auf 40 Prozent anheben können,
sollten wir uns zuerst einmal an das leider an manchen
Stellen weit entfernte Ziel der 30-Prozent-Quote machen
und überall dort handeln, wo wir selbst dazu in der Lage
sind, auch in Rheinland-Pfalz und auch die Grünen.
({10})
Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin durchaus aus
vielen Gründen auch davon überzeugt, dass wir eine
Quote brauchen,
({11})
und wünschte mir oft an vielen Stellen mehr partnerschaftliches Miteinander von Mann und Frau, nicht nur
in der Politik, sondern auch im Leben und im Beruf.
({12})
- Ja, Frau Künast, ich überrasche immer.
({13})
Das werden wir nachhaltig aber nicht durch Quoten,
sondern durch ein Umdenken in der Gesellschaft insgesamt erreichen. Wir brauchen die Quote, aber wie
schnell und weit der tatsächliche Frauenanteil in Aufsichtsräten, Gremien und anderen Führungsebenen
wachsen wird und ob wir vielleicht sogar in absehbarer
Zeit die 30-Prozent-Quote übertreffen, hängt auch von
uns ab, davon, wie wir dies in der Praxis leben und was
wir als Politikerinnen vormachen.
Einen schönen Tag.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. Nächste Rednerin in der Debatte: Christina Jantz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen sind zwei
Eigenschaften, die Frauen in der Geschichte ihres parlamentarischen Wirkens immer wieder beweisen mussten.
Der Passus „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“
in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes kam 1949
beispielweise nur zustande, nachdem die Sozialdemokratin Dr. Elisabeth Selbert über mehrere Jahre dafür
kämpfte.
({0})
Nachdem die Gleichberechtigung in das Grundgesetz
aufgenommen wurde, passierte allerdings erst einmal
nichts. Wieder waren es die Frauen, die innerhalb der
Verfassungskommission 1994 - das Datum ist schon
angesprochen worden - eine Ergänzung des besagten
Artikels bewirkten. Seitdem heißt es dort weiter:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Seit diesem imperativen Auftrag an den Gesetzgeber
sind nun weitere 20 Jahre vergangen. Was ist seither passiert? Wieder nichts. Die ehemalige Familienministerin
Kristina Schröder hatte in der letzten Legislaturperiode
versucht, über die sogenannte Flexi-Quote mehr Frauen
in Führungspositionen zu bringen. Es sollte eine freiwillige Selbstverpflichtung geben. Die Resonanz bei den
DAX-Unternehmen - meine Damen und Herren, Sie
wissen es - war gering. Manche würden sogar sagen: Sie
war so gut wie nicht messbar.
Meine Damen und Herren, ein nüchterner Blick auf
die Zahlen verdeutlicht: Der Anteil weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft und der Bundesverwaltung hat sich in den letzten
Jahren kaum verändert. 2013 lag die Frauenquote in
Aufsichtsratspositionen bei 15,3 Prozent. Das entspricht
einer Erhöhung von 0,2 Prozentpunkten im Vergleich
zum Vorjahr. Hier von einer echten Steigerung zu reden,
wäre blanke Ironie.
({1})
Die zahlenmäßige Gleichstellung in Aufsichtsräten
würde damit noch über 150 Jahre auf sich warten lassen.
Für mich ist eindeutig: Die Gleichstellung von Frauen
und Männern in Führungsebenen bedarf einer klaren gesetzlichen Regelung.
({2})
Seien wir ehrlich: Der Appell an die Unternehmen,
freiwillig zu handeln, ist doch kläglich gescheitert.
({3})
Die krasse Unterrepräsentanz von Frauen kann heute
auch nicht mehr mit einem mangelnden Qualifikationsniveau gerechtfertigt werden. Die Zahl qualifizierter
Frauen in Deutschland hat in den vergangenen Jahren
stetig zugenommen. Knapp 33 Prozent aller Frauen
haben heutzutage einen Hochschulabschluss, bei den
Männern liegt diese Quote mit 31 Prozent darunter. Es
ist gesellschaftspolitisch nicht zu erklären, dass Frauen,
die über 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland
ausmachen, immer noch an die sogenannte gläserne Decke stoßen. Vor diesem Hintergrund besteht zwingender
politischer Handlungsbedarf, wenn der verfassungsrechtliche Auftrag zur gleichberechtigten Teilhabe von
Frauen und Männern an Führungspositionen tatsächlich
erfüllt werden soll. Daher begrüße ich es ausdrücklich,
dass die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig
gemeinsam mit Bundesjustizminister Heiko Maas
bereits im März Leitlinien eines Gesetzesvorhabens für
eine gerechte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen vorgelegt hat.
({4})
Der Gesetzentwurf wird in den kommenden Monaten
im Bundeskabinett beratschlagt werden. Für uns als SPD
ist dabei klar, dass wir im darauf folgenden Gesetzgebungsverfahren nicht von den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielen abrücken werden.
({5})
Werte Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin,
Frau Kömpel, hat es vorhin schon kurz umrissen. Wir
wollen erstens die bereits im Koalitionsvertrag zugesagte Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für
Aufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert und
voll mitbestimmungspflichtig sind - mit klaren Sanktionen.
({6})
Denn wird die Quote nicht erreicht, bleibt der Aufsichtsratsstuhl leer. Die sogenannten Europa-AGs sollten hier
nach Möglichkeit nicht ausgespart werden.
({7})
Wir wollen zweitens eine Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und
oberste Managementebenen. Das beträfe immerhin über
3 500 Unternehmen. Zudem müssen Konzepte und Berichte veröffentlicht werden, denn so wird der benötigte
öffentliche Druck aufgebaut.
Wir wollen drittens die dringend notwendige Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes und die Stärkung der Rechte der Gleichstellungsbeauftragten.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie sehen: Wir ähneln uns in unseren
Vorstellungen,
({9})
insbesondere in unseren Zielen. Gleichwohl bin ich der
Meinung, dass wir die Quote fest vorgeben und diese
nicht in Relation zur Geschlechterverteilung in der Arbeitnehmerschaft eines Unternehmens setzen sollten.
Mit den von unseren Ministerien entwickelten Eckpunkten sind wir hier auf dem richtigen Weg. Das Gesetzesvorhaben wird noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht, damit das Gesetz 2015 in Kraft treten kann.
({10})
Frau Kollegin Jantz, Sie denken an die Redezeit, die
vereinbart wurde?
Gerne. - Wir als SPD werden zeigen, dass dank der
eingangs beschriebenen Hartnäckigkeit und unseres
Durchsetzungsvermögens am Ende ein Gesetz stehen
wird, das die Gleichstellung in Deutschland tatsächlich
voranbringt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Gestatten Sie mir als Hahn im Korb
({0})
- so kann man es auch sagen, Frau Künast -, am Ende
der Debatte einen ausschließlich juristischen Blick auf
die Sachlage zu werfen.
Im Kern geht es um die Frage der Vereinbarkeit entsprechender Quotenregelungen mit dem Verfassungsrecht, den Grundrechten und den EU-Grundfreiheiten.
Bei der Beurteilung der Frage ist entscheidend, welche
Art der Quote vorliegt. Man unterscheidet drei Arten:
Erstens: eine absolute Frauenquote, also das Erreichen eines bestimmten Prozentsatzes unabhängig von
der Frage, ob die Frauen gleichermaßen qualifiziert und
geeignet sind wie männliche Mitbewerber.
({1})
Eine solche absolute Frauenquote sehen Sie in Ihrem
Gesetzentwurf vor, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen.
Zweitens gibt es die relative Quote. Hier wird das Erreichen von vornherein unter den Vorbehalt gestellt, dass
für die Besetzung der Stelle Frauen zur Verfügung stehen, die ebenso geeignet sind.
Das dritte diskutierte Modell ist eine starre Geschlechterquote, die aber eine Öffnungsklausel für den
Fall enthält, dass nicht genügend qualifizierte Frauen zur
Verfügung stehen.
Um es vorwegzunehmen: Während viel dafür spricht,
dass eine relative Quote bzw. eine starre Quote mit Öffnungsklausel und wohl auch die Variante des Referentenentwurfes verfassungskonform ausgestaltet werden
können, ist die absolute Quote, die Sie hier in Ihrem Gesetzentwurf fordern, nach Ansicht vieler Staatsrechtler
und Verwaltungsrechtler und auch nach der Rechtsprechung wohl verfassungswidrig. Denn er verstößt gegen
das Grundgesetz und auch gegen europäische Grundfreiheiten.
({2})
- Hören Sie zu! Es kommt gleich.
Eine absolute Frauenquote greift zunächst einmal in
den Schutzbereich des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz
ein, denn Sie benachteiligen dadurch einen Mann aufgrund seines Geschlechts. Das ist grundsätzlich natürlich
jeder Quote zueigen. Es liegt weiterhin ein Eingriff in
Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz vor, denn Sie beschränken die Freiheit der Berufswahl beim unterlegenen
männlichen Mitbewerber. Sie beschränken außerdem die
grundrechtlich geschützte Freiheit der betroffenen
Unternehmer bzw. Anteilseigner in ihren Grundrechten auf Berufsausübungsfreiheit nach Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz und auf Eigentumsfreiheit nach Artikel 14 Grundgesetz. Letztendlich tangieren Sie auch das
Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz, welches auch - ({3})
- Hören Sie doch zu! Es ist eine einmalige Chance. Ich
habe mir wirklich Mühe gemacht.
({4})
Wenn Sie das Thema Frauenquote ernstlich verfolgen,
dann haben Sie jetzt die Chance, zuzuhören, mitzuschreiben und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der verfassungskonform ist.
({5})
Sie tangieren also das Recht auf Vereinigungsfreiheit,
welches auch das Recht auf Selbstbestimmung über
Gründung, Organisation und Verfahren der Mitbestimmung erfasst. Da Ihr Entwurf auch § 7 des Mitbestimmungsgesetzes ändern möchte, um für Gewerkschaftsvertreter eine feste Quote einzuführen, greifen Sie
zudem in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz ein.
All diese Eingriffe - und das ist jetzt wichtig - könnten selbstverständlich zu rechtfertigen sein mit der den
Staat treffenden Gleichstellungspflicht - sie ist geregelt
in Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz -, aber immer
nur dann, wenn eine ebenso geeignete Mitbewerberin
vorhanden ist.
({6})
Verfassungskonform ist eine Quote dann nicht, wenn
als einzige Mitbewerberin eine Frau in Betracht kommt,
die deutlich geringer qualifiziert ist und dennoch den
Vorzug erhält. Gerade für diese Variante, meine Damen,
meine Herren von den Grünen, sieht Ihr Entwurf jedoch
weder eine Relativierung noch eine Öffnungsklausel vor,
weshalb er gegen das Grundgesetz verstößt.
({7})
All das von mir Gesagte ist keine freie Erfindung,
sondern geht zurück auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.
({8})
Gemäß EuGH sind Frauenquoten nur dann verfassungsund europarechtskonform, wenn sie erstens einen Bereich betreffen, in dem Frauen unterrepräsentiert sind,
wenn zweitens die Regelung den Frauen nur dann den
Vorrang einräumt, wenn sie gleichermaßen qualifiziert
und geeignet sind, und wenn drittens eine Härtefallregelung für den Fall formuliert ist, dass in der Person des
männlichen Bewerbers besondere persönliche Gründe
vorliegen, eine Behinderung zum Beispiel, die unter
Umständen überwiegen. All das regelt Ihr Entwurf nicht.
Die genannten Voraussetzungen hat der EuGH im Bereich des öffentlichen Dienstes entwickelt. Sie müssen
also umso mehr für den Bereich der Privatwirtschaft gelten, der mit weitaus mehr Grundrechten durchdrungen
ist.
Ihre Idee der Nichtigkeit von Beschlüssen nicht quotengerecht besetzter Aufsichtsräte - das ist Ihr neuer
§ 255 a des Aktiengesetzes - geht viel zu weit. Ihr Gesetz zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungsebenen ist zu unbestimmt, wenn Sie Zuwiderhandlungen
im dortigen § 5 noch mit Ordnungswidrigkeiten belegen.
Zu guter Letzt: Das Gleichstellungskonzept zielt auch
auf eine Quote für Vorstände ab. Da aber ein Vorstand
von den Aufsichtsräten besetzt wird, müssten Sie zunächst einmal abwarten, ob eine Quotenregelung in den
Aufsichtsräten nicht mittelfristig dazu führt
Herr Kollege Hoffmann, darf ich auch Sie an die vereinbarte Redezeit erinnern?
- danke; das ist schon das Ende, Herr Präsident -,
dass die Vorstände im Laufe der Zeit zunehmend von
Frauen besetzt sind. Ein Grundrechtseingriff muss immer das letzte Mittel sein.
Aufgrund meiner Ausführungen werden Sie Verständnis dafür haben, dass wir Ihren Gesetzentwurf nicht
mittragen können.
({0})
Wenn die Wirtschaft nicht liefert, müssen wir eine Regelung finden; dann aber bitte verfassungskonform.
Vielen Dank.
({1})
Damit ist die vereinbarte Rednerliste abgearbeitet.
({0})
- Ja, die Rednerinnen waren deutlich in der Mehrheit.
Jetzt kommen wir zur interfraktionellen Überweisung
des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1878 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Federführung ist allerdings strittig. Die Fraktionen von CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen
die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.
({1})
Deshalb werden wir darüber abstimmen.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen, also über die Federführung beim Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz. Wer dies möchte, den
bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Großen Koalition gegen die
Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist
dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der
Großen Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
({2})
- Bei Enthaltung des Kollegen Wunderlich.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur
der Rentenüberleitung beheben
Drucksache 18/1644
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
({5}), Caren Lay, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Angleichung der Renten in Ostdeutschland an
das Westniveau sofort auf den Weg bringen
Drucksachen 18/982, 18/1994
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass das
so beschlossen ist.
Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile das
Wort dem Kollegen Roland Claus, Die Linke.
({6})
Herr Präsident! Vielen Dank für das präzise Vorlesen
unserer guten Antragsüberschriften.
({0})
Meine Damen und Herren! Wir beraten in der Tat
über zwei verschiedene Anträge der Linken zur Rente im
Osten oder - besser - zur Rente von Ostdeutschen. Abschließend werden wir über einen Antrag zur Rentenangleichung in Ost und West entscheiden. Wir sagen Ihnen
ganz deutlich: Es geht uns um nicht mehr und nicht weniger als um die Anerkennung gleicher Lebensleistungen
in Form von gleichen Renten, meine Damen und Herren.
({1})
Wir verlangen dazu die namentliche Abstimmung, um in
allen Wahlkreisen der Bundesrepublik kenntlich zu machen, wie sich einzelne Abgeordnete dazu verhalten haben.
Einführend werden wir über einen Antrag beraten, der
Lücken und Rückstände bei der Rentenüberleitung zwischen dem Rentenrecht der Deutschen Demokratischen
Republik und dem Rentenrecht der Bundesrepublik thematisiert. Ja, meine Damen und Herren auf den Tribünen, Sie haben richtig verstanden: Es gibt solche Lücken
noch immer ({2})
24 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit und immer zum Nachteil der Betroffenen. Genau das will die
Linke ändern.
({3})
Fangen wir mit der Rentenangleichung an. Das war
bekanntlich ein Versprechen der Vorgängerkoalition und
ein ganz persönliches Versprechen von Bundeskanzlerin
Merkel. Es folgte ein glatter und vollständiger Vertrauensbruch. Heute schreiben Sie in Ihre Koalitionsvereinbarung, Sie wollten im Jahre 2016 einmal prüfen, was
sich denn da so getan hat. Meine Damen und Herren, das
ist blanker Zynismus. Das kann man so nicht hinnehmen.
({4})
Unser Antrag spricht für sich und für die Betroffenen dieses Rentenunrechts. Ich will nur einen einzigen
Fakt hervorheben. Es sind im Monat durchschnittlich
100 Euro weniger, die eine Ostrentnerin gegenüber einem Westrentner erhält. Das sind 100 Euro im persönlichen Budget. Aber es sind auch 100 Euro, die für eine
Gerechtigkeitslücke sprechen, die wir so nicht mehr hinnehmen wollen, meine Damen und Herren.
({5})
Ich will mich mit ein paar Gegenargumenten auseinandersetzen, die ich gelegentlich zu hören kriege. Da
wird mir gesagt: Wenn man die Rentenformel pur wirken ließe, also wenn man die Hochwertung aussetzte,
könnte das Gegenteil des Beabsichtigten eintreten: Die
Ossis könnten weniger bekommen.
({6})
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Das ist
eine völlig falsche Logik. Nach dieser Logik hätte die
Politik einer Rentenformel, also einer Berechnungsgrundlage zu folgen. Nach unserem Verständnis von
Politik folgen Berechnungsverfahren aber der Politik. So
herum muss es sein.
({7})
Herr Kauder, der Volksmund hat für Ihre Deutungshoheit einen wirklich schönen Spruch gefunden: Hier wackelt der Schwanz mit dem Hund. - Genau so ist das.
({8})
Zuweilen höre ich, die Linke wolle schon wieder einen Schnellschuss. Als Schnellschuss bezeichnet man
bekanntlich eine voreilige Handlung mit bösen Folgen.
Ich bitte Sie! Im 24. Jahr der deutschen Einheit von einer
voreiligen Handlung zu sprechen, wenn wir Rentengerechtigkeit verlangen, das ist doch nicht zu fassen.
({9})
Gelegentlich höre ich auch den Einwand, die Linke
stelle diesen Antrag alle Jahre wieder. Was denken Sie
denn? Jahr für Jahr werden Hoffnungen enttäuscht und
Versprechen gebrochen. Und dazu sollen wir schweigen? Wovon träumen Sie eigentlich nachts?
({10})
Wir werden Ihnen diesen Antrag immer und immer wieder vorlegen.
Mit dem Antrag zu Lücken und Versäumnissen bei
der Rentenüberleitung weisen wir auf circa 15 Betroffenengruppen hin, die bisher vergeblich auf Rentengerechtigkeit warten. Ich will nur wenige Beispiele nennen:
Am 26. Juni dieses Jahres trafen sich in Magdeburg
Frauen des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen
zum 15. Jahrestag ihres gemeinsamen Engagements.
Feierlaune ist dabei nicht aufgekommen; denn es waren
für sie 15 Jahre ohne Ergebnis, und gedacht haben sie
vieler inzwischen Verstorbener.
Beschäftigte im Gesundheitswesen der DDR, Lehrerinnen und in der Braunkohleveredlung tätige Bergleute
warten vergeblich auf Renten, mit denen ihre Lebensleistung anerkannt wird. Wir wollen nicht vergessen:
Gelebtes Leben lässt sich nicht wiederholen. Man kann
nicht noch einmal von vorne anfangen.
Schließlich sind da noch die aus der DDR Geflüchteten, Ausgereisten und Abgeschobenen. Diese Menschen
hatten ihre Gründe, die DDR zu verlassen. Aber Anfang
der 90er-Jahre wurden sie via Rentenrecht wieder zu
DDR-Bürgern gemacht.
({11})
Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Flüchtlinge
waren nur so lange willkommen, wie sie als Kronzeugen
gegen die DDR gut zu gebrauchen waren. Dazu sagen
wir Ihnen: Machen Sie in dieser Frage vor dem 9. November dieses Jahres reinen Tisch.
({12})
Sie dürfen dabei Folgendes nicht vergessen: Im Osten
ist die gesetzliche Rente meistens das einzige Einkommen. Das wird bei Ost-West-Rentenvergleichen häufig
vergessen. Dabei geht es nicht nur um die heutigen, sondern auch um viele künftige Rentnerinnen und Rentner.
24 Jahre deutsche Einheit und 25 Jahre Mauerfall diese Gedenktage stehen demnächst ins Haus. Wir sagen
Ihnen: Nicht nur Sonntagsreden halten, sondern endlich
Rentengerechtigkeit schaffen! Das ist das Gebot der
Stunde, und heute haben Sie die Chance dazu.
({13})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich
teile ja Ihre Auffassung, dass nicht nur die politische,
sondern auch die soziale Einheit Deutschlands zu den
großen Aufgaben vergangener, derzeitiger und künftiger
Tage zählt. Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass Ihnen
von Mecklenburg bis Thüringen noch irgendjemand abnimmt, dass es in Deutschland keine soziale Einheit gibt
und Altersarmut vorherrscht?
({0})
Das ist nicht so. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Mit
dem Rentenüberleitungsgesetz - wohlgemerkt einer der
wichtigsten sozialpolitischen Regelungen der deutschen
Einheit überhaupt - wurden nach der Wiedervereinigung
die Bestimmungen zur gesetzlichen Rentenversicherung
auf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Im Grundsatz
wurde damit ein einheitliches Rentenrecht hergestellt,
das aber auch folgende Regelung beinhaltete: Bis zur
Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse sind
unterschiedliche Rechengrößen und Verfahrensweisen
für die neuen und alten Bundesländer vorgesehen.
Diese heute noch geltenden Unterschiede bei der Berechnung der Renten hatten und haben gute Gründe.
Denn bei der Ermittlung der Lebensverhältnisse in Ost
und West stellt man fest: Es ist eben noch nicht alles
gleich. Wir sind deshalb gut beraten, nicht vorschnell in
die Rentenformel einzugreifen. Doch ich erinnere daran,
dass es in Deutschland nicht nur Unterschiede zwischen
Ost und West, sondern auch Unterschiede zwischen
Nord und Süd gibt. Deshalb sollte man nicht herumtönen, sondern es kommt darauf an, konkret an den Stärken der Regionen zu arbeiten und sie zu fördern. Genau
daran arbeiten wir.
({1})
Um der Legendenbildung vorzubeugen, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen gerne ein paar klarstellende Zahlen nennen. Zwischen 1991 und 2008 stiegen die Renten im Osten um sage und schreibe
116 Prozent und in den alten Bundesländern um 25 Prozent. Die Renten in Ostdeutschland werden heute immer
noch um 18 Prozent hochgewertet, und bei gleichem
Bruttogehalt gibt es im Osten einen höheren Rentenwert
als im Westen. Deshalb sollten wir auch auf die Erfolge
schauen, die wir bereits erzielt haben.
In der Politik kommt es ja oft darauf an, ob das Glas,
wie bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei, halb leer ist oder ob es, wie es bei uns der
Fall ist, halb voll ist. Bei Ihnen ist es ein Skandal, dass es
zwischen dem Rentenniveau Ost und dem Rentenniveau
West einen Unterschied von gerade einmal noch 7,8 Prozent gibt. Wir hingegen sind stolz darauf, dass wir das
Rentenniveau in den neuen Ländern im Vergleich zu
dem in den alten Ländern zum 1. Juli dieses Jahres auf
92,2 Prozent angehoben haben.
({2})
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Der Prozess der Wiedervereinigung ist ein gesamtgesellschaftliches Jahrzehnteprojekt. Es wird nicht von
heute auf morgen umgesetzt, sondern das erfordert
Jahre und Jahrzehnte. Diese Aufgabe ruft auch Probleme
hervor und läuft sicherlich nicht spannungsfrei ab. Aber
wir sind auf dem richtigen Weg und fast am Ziel. Auch
deshalb haben wir im Koalitionsvertrag die vollständige
Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland
vereinbart und einen Fahrplan mit einem angemessenen
Zeitraum festgelegt. Wir werden die Renten bis 2020 angleichen. Dies bleibt eines unserer wichtigsten Ziele,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Daran erkennt man aber auch - jetzt wird es interessant - die rückwärtsgewandte Politik und Sicht der Linken auf die Ostdeutschen.
({3})
Es werden scheinbare Ungerechtigkeiten identifiziert
und bereits erzielte Fortschritte verklärt. Und: Sie verkennen die großen Fragen der Zukunft in den neuen
Bundesländern. Ich denke, das kann ich als junge Abgeordnete aus den neuen Bundesländern mit gutem Gewissen sagen. Da spreche ich nicht nur für meine Generation, sondern vor allen Dingen auch für die Generationen
meiner Eltern und meiner Großeltern.
({4})
Künftig wird es um folgende Fragen gehen: Wie können wir die ostdeutsche Wirtschaft und den jungen Mittelstand weiter stärken, gerade vor dem Hintergrund des
Auslaufens des Solidarpaktes? Wie sichern wir den Lebensstandard in den ländlichen Regionen gerade mit
Blick auf den demografischen Wandel? Wie gelingt es
uns, die jungen Menschen - wohlgemerkt eine Generation, die die DDR nur aus Geschichtsbüchern kennt - in
ihrer Heimat zu halten und vielleicht sogar dazu zu be4212
wegen, selbst Unternehmen zu gründen und Werte und
Wohlstand zu schaffen?
({5})
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen - daran würde im
Übrigen auch eine Angleichung der Renten nichts ändern -: Wie schaffen wir es, sowohl das private Vermögen aufzubauen als auch die private Vorsorge zu stärken? Das Programm der Linkspartei gibt auf diese
Fragen keine Antworten.
Letzteres ist eine zentrale Frage, gerade mit Blick auf
die Altersvorsorge. Von 1998 bis 2008 ist das durchschnittliche Geld- und Immobilienvermögen der Ostdeutschen von nur 35 Prozent auf nur 42 Prozent angestiegen. Eine Rentenangleichung zwischen Ost und West
ändert auch daran nichts. Was sich hier abbildet - Sie bezeichnen das ja immer sehr gerne als Missachtung der
Lebensleistung -, ist - das sage ich, wie schon bei der
ersten Lesung, erneut an Sie gerichtet - immer noch das
Erbe von 40 Jahren DDR.
({6})
Dass die Menschen mitunter der Chancen, die sie anderswo möglicherweise gehabt hätten, beraubt wurden,
zeigt sich heute auch an den Vermögen und ganz konkret
an diesen Zahlen. Sicher wäre auch der eine oder andere
Lebensweg anderswo anders verlaufen. Fest steht jedenfalls, dass die wirtschaftliche Situation der Ostdeutschen
nichts mit der Rentenangleichung in Ost und West zu tun
hat.
({7})
Heute, meine Damen und Herren, leben nur 31 Prozent der Ostdeutschen in selbst genutztem Wohneigentum. In Gesamtdeutschland sind es 43 Prozent. Es gilt,
diesen Trend weiter zu stärken und zu fördern; denn die
Schaffung von Eigentum und von Vermögen ist Bestandteil der Altersvorsorge in Ost und West.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir gerade, wenn es um die Altersvorsorge und die Generationengerechtigkeit geht, künftig mehrere Dinge in den
Blick nehmen müssen. Ich unterstütze hier zum Beispiel
gerne die Initiative der Deutschen Rentenversicherung,
die mit dem „Rentenblicker“ bereits Schülerinnen und
Schülern die Bedeutung der Altersvorsorge nahebringt.
Gleichzeitig freue ich mich, dass es die Initiative SchuleWirtschaft gibt, die Schülern wirtschaftliche Zusammenhänge näherbringt und damit auch aufzeigt, dass Wohlstand eben nicht durch Umverteilung vom Himmel fällt,
sondern erarbeitet werden muss.
({8})
Beim Blick auf die ältere Rentnergeneration in Ostdeutschland sieht man, worin sich Lebensleistung ganz
konkret ausdrückt; denn auch hier gilt: Wer viel gearbeitet hat, erhält auch mehr Rente. Die durchschnittliche
Rente im Osten liegt heute bei wohlgemerkt 44 Prozent
des Arbeitsentgelts und damit wesentlich höher als in
den alten Bundesländern. Durch ihre Lebensleistung und
die gelungene Überleitung des Rentenrechts sind die
Rentnerinnen und Rentner heute insgesamt sehr gut abgesichert. Das darf an dieser Stelle auch einmal gesagt
sein.
({9})
Lassen Sie mich abschließend noch auf eines hinweisen: In meinem Wahlkreis fand kürzlich eine Vielzahl
von Veranstaltungen anlässlich der Brandenburger Seniorenwoche statt. Dabei habe ich mich nicht nur gewundert, ab wann man in Deutschland schon zu den Senioren zählt, nämlich ab ungefähr 50 Jahren
({10})
- da waren 50- bis ungefähr 90-Jährige -, sondern ich
bin insgesamt auf eine Generation getroffen, die natürlich fit und aktiv ist, die bei der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie hilft, die sich sozial engagiert und die vor
allen Dingen den Anspruch hat, sich aktiv in das gesellschaftliche und politische Leben einzubringen.
Deshalb ist es gut, dass wir diese Entwicklung auch
vonseiten der Politik erkannt haben. Sie erinnern sich
vielleicht: Im Rahmen des kürzlich beschlossenen Rentenpakets haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, auch den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente
zu flexibilisieren und damit einen unmittelbaren Beitrag
zur Altersvorsorge zu leisten.
Ich glaube, das sind die richtigen Antworten, die unser Land braucht und die vor allen Dingen auch die
Rentnerinnen und Rentner und die Erwerbstätigen in den
neuen Bundesländern brauchen.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Ich darf eine verfahrensleitende Anmerkung machen: Bei den Redezeiten handelt es sich
nicht um ungefähre Richtwerte, sondern um präzise vereinbarte Vorgaben.
({0})
Meine Bitte ist, diese auch einzuhalten.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Markus Kurth.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Roland Claus, kann es
sein, dass das Einbringen dieser beiden Anträge zum jetzigen Zeitpunkt irgendetwas damit zu tun hat, dass demnächst in drei ostdeutschen Bundesländern Landtagswahlen anstehen?
({0})
Sie wollen hier doch gerne wieder den üblichen Zinnober veranstalten, sich vor diesen Landtagswahlen hier
hinstellen und sagen: Wir sind die Einzigen, die sich um
die Rentnerinnen und Rentner im Osten kümmern.
({1})
Das stimmt aber nicht. Ich sage Ihnen einmal die Botschaft, die Sie mitnehmen sollten: Sie sollten ganz klar
sagen: Bündnis 90/Die Grünen sind diejenigen, die sich
für die echte Gleichsetzung des Rentenwertes in Ost und
West einsetzen. Das ist eine Tatsache!
({2})
Wenn die Bürgerinnen und Bürger Sie fragen: „Warum haben die denn dem Antrag der Linken nicht zugestimmt?“, dann sagen Sie, die Linke: Wir sind mal wieder über das Ziel hinausgeschossen. - Sagen Sie ihnen
das! Sie wollen nämlich nicht nur die Gleichsetzung des
Rentenwertes Ost und West, sondern Sie wollen auch
noch die Höherwertung beibehalten und damit faktisch
eine Ungleichbehandlung schaffen. Das ist es doch!
({3})
Diese Ungleichbehandlung rechtfertigen Sie mit den
regionalen Lohnunterschieden. Ja, die gibt es. Die gibt
es aber nicht nur zwischen Ost und West. Während das
Lohnniveau in Brandenburg und Schleswig-Holstein ungefähr gleich ist - da gibt es nur einen minimalen Unterschied -, gibt es zum Beispiel ein großes Lohngefälle
zwischen Schleswig-Holstein und Bayern. Niemand
käme auf die Idee, jetzt einen Höherwertungsfaktor für
Schleswig-Holstein einzuführen. Das müsste man ja
nach Ihrer Logik.
({4})
- Ich habe die schleswig-holsteinische Kollegin HillerOhm jetzt auf einen Gedanken gebracht. Das war eigentlich nicht meine Absicht.
Sie haben dann einen zweiten Antrag, der sich mit der
Überleitung der DDR-Renten beschäftigt, eingebracht.
Auch das ist ein Antrag, den Sie regelmäßig einbringen,
bei dem Sie verschiedene rentenrechtliche Begünstigungen, die es im DDR-Recht gab, in einen Topf werfen. Ich
sage Ihnen: Sie müssen sich die Gruppen schon einmal
differenziert ansehen.
Bei bestimmten Zuwendungen wären wir als Grüne
bereit, etwas zu machen. Ich nenne beispielhaft die Balletttänzerinnen und Balletttänzer. Für sie gab es rentenrechtliche Begünstigungen, die gewährt wurden, weil
klar war, dass man den Beruf der Balletttänzerin oder
des Balletttänzers nicht bis zur Rente ausüben kann, weil
nach 15, 20 oder 25 Jahren Verschleißerscheinungen
auftreten, die dazu führen, dass man diesen Beruf nicht
mehr ausüben kann.
Es gibt aber andere Begünstigungen, die man überhaupt nicht nachvollziehen kann, zum Beispiel Begünstigungen für Spitzensportler oder Begünstigungen für
Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen der
DDR, die man wohl aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gefördert hat. Da muss man sehr differenziert hinsehen. Westdeutsche Pfleger und Sozialarbeiter bekommen
auch keinen berufsbezogenen Zuschlag auf die Rente.
Wenn man die Angleichung und Überführung des Rentensystems der DDR in das westliche Rentensystem vorgenommen hat, muss man dieser Logik bis zum Schluss
folgen und überlegen: Was ist entschädigungsbedingt
notwendig?
Für bestimmte Gruppen kann man Sonderregelungen
einführen, aber man kann das nicht pauschal tun, wie Sie
es in Ihrem Antrag fordern.
({5})
Ich sage noch einmal, an die Adresse der Koalition
gerichtet: Wir müssen etwas für die in der DDR geschiedenen Frauen tun. Sie sitzen weiterhin auf dem Trockenen. Während westdeutschen Geschiedenen ein Versorgungsausgleich zusteht, fehlt eine entsprechende
Regelung für in der DDR geschiedene Frauen. Meine
Kollegin Monika Lazar aus Sachsen hat an die Bundesarbeitsministerin geschrieben und gefragt, wann es denn
in ihrem Haus zu einer Regelung oder zumindest zu einer Prüfung komme. Die Bundesarbeitsministerin hat
geantwortet, sie sehe derzeit noch nicht einmal die Möglichkeit, die Angelegenheit zu prüfen. Mit Verlaub: Das
finde ich ein bisschen armselig.
({6})
Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Rosemann?
Aber gerne. Bitte.
Herr Kollege Kurth, nachdem Sie in den ersten drei
Minuten Ihrer Rede den einen Antrag der Fraktion Die
Linke erfolgreich und brillant zerlegt haben - das war
wirklich brillant -, frage ich Sie, ob Sie denn auch so
konsequent sind, diesen Antrag abzulehnen. Das wäre
die Konsequenz dessen, was Sie hier ausgeführt haben.
({0})
Herr Kollege Rosemann, wir haben diese Sache natürlich innerhalb der Fraktion beraten.
({0})
Dieser Antrag der Linken schrammt in der Tat aus meiner Sicht sehr hart an der Ablehnungswürdigkeit vorbei.
({1})
Wir finden es richtig, dass die Diskussion über die Angleichung des Rentenwertes Ost und West auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Wir sind auch für die Angleichung des Rentenwertes Ost und West, lehnen aber die
von den Linken vorgeschlagene Höherwertung entschieden ab.
({2})
In diesem Sinne haben wir uns für Enthaltung entschieden.
({3})
- Trotz der vielen Ahs und Ohs gibt es in der Politik häufig nicht nur die Entscheidung zwischen Schwarz und
Weiß, sondern eben auch eine ganze Menge Grautöne.
Lassen Sie mich mit dem Thema schließen, das ich
vor der Frage des Kollegen Rosemann angesprochen
hatte. Für die in der DDR geschiedenen Frauen brauchen
wir dringend eine Lösung; sie werden immer älter. An
dieser Stelle sollten wir etwas tun und nicht nur wie bei
der Angleichung des Rentenwertes Ost und West mit einem Prüfauftrag daherkommen. Da ist die Große Koalition wirklich gefragt.
Danke schön.
({4})
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin
Daniela Kolbe.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für mich ist heute ein wirklich großartiger
Tag. Wir haben heute das Tarifpaket inklusive Mindestlohn beschlossen: 8,50 Euro in Ost und West.
({0})
Für Millionen Menschen bedeutet das mehr Lohn und
Gehalt. Allein die Debatte über den Mindestlohn in den
letzten Monaten hat zu Tarifverträgen geführt, wo die
Tarifparteien früher nicht einmal voneinander wussten.
Bei den Friseuren zum Beispiel, bei denen das Lohnniveau früher bei 4 Euro lag, gibt es bald einen Mindestlohn von 7,50 Euro im Westen und 6,50 Euro im Osten.
Ab 1. August 2015 sind es 8,50 Euro für alle Friseurinnen und Friseure in diesem Land. Auch in der Fleischbranche gibt es jetzt einen solchen Mindestlohn. Das finden wir als SPD gut, und das finde auch ich als
Vegetarierin gut.
({1})
Wir reden am selben Tag - die Linke hat es heute auf
die Tagesordnung gesetzt - über die Angleichung der
Rentensysteme. Das trifft sich sehr gut. Denn das eine
hat mit dem anderen zu tun. Ich finde, das ist eine gute
Gelegenheit, über Mindestlohn, Tarifabdeckung und
Lohnpolitik zu reden; denn der Rentenwert, der immer
noch in Ost und West getrennt berechnet wird - das ist
die Krux an der Sache -, richtet sich nach den Durchschnittslöhnen im jeweils gültigen Rechtsgebiet. Wären
die Löhne gleich, wäre der Rentenwert in Ost und West
gleich, und die Höherwertung könnte wegfallen. Dann
hätten wir automatisch ein Rentenrecht. Das wäre elegant, großartig und wunderbar. Das ist aber nun einmal
sehr schwierig und womöglich nicht oder erst in einigen
Jahrzehnten erreichbar; denn auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt ist einiges in Unordnung. 53 Prozent der Beschäftigten in den neuen Bundesländern sind nicht tarifgebunden. In den alten Bundesländern sind es „nur“
40 Prozent. Fast 30 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten bekommen Löhne unter 8,50 Euro - ich kann
glücklicherweise hinzufügen: noch; ab 1. Januar 2015
wird sich das glücklicherweise für die meisten ändern -,
und wir haben in Ostdeutschland sehr viele prekär Beschäftigte. Diese Unordnung auf dem Arbeitsmarkt ist
neben der Kleinteiligkeit der Unternehmensstruktur einer der Gründe, warum die Angleichung der Entgeltpunkte und damit der Rentenwerte nur so quälend langsam vorankommt. Aber mit dem Tarifpaket gehen wir
diese Themen an. Danach ist nicht alles großartig und
toll, aber es ist der richtige Weg.
Man kann es auch so machen wie die Linken. Der Antrag liest sich vielleicht für manche verlockend. Aber es
werden grundsätzlich zwei Rentensysteme fortgeschrieben; denn der Hochwertungsfaktor ist in Ihrem Antrag
enthalten. Er ändert auch nichts an den Gründen für die
beiden unterschiedlichen Rentensysteme. Zudem werden gravierende neue Ungerechtigkeiten verursacht. Das
sind die Gründe, warum wir diesen Antrag heute mit gutem Gewissen - erzählen Sie das ruhig in unseren Wahlkreisen! - ablehnen werden.
({2})
Auch aus diesem Grund ist das, was die Koalition tun
will, gut. Wir haben vier Maßnahmen vor:
Erstens. Wir tragen dazu bei, dass die Löhne steigen.
Der Mindestlohn für 4 Millionen Menschen wird für
einen Teil von ihnen die größte Lohnsteigerung ihres
Lebens sein. Der Osten profitiert überdurchschnittlich.
Das wird zu einer Erhöhung des Rentenwertes und zu einer Schließung der Lücke führen.
Zweitens. Wir helfen nach, dass die Tarifbindung
steigt. Ich habe es erwähnt: Schon heute kommt es durch
den Mindestlohn und das Tarifpaket zunehmend dazu,
dass Tarifverträge abgeschlossen werden.
Drittens. Eines der nächsten Projekte von Bundesministerin Andrea Nahles wird eine neue Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf Leiharbeit und Werkverträge sein. Auch hier wollen wir auf dem Arbeitsmarkt Ordnung schaffen.
Viertens werden wir uns 2016 noch einmal mit der
Angleichung der Rentensysteme befassen.
Unser Fahrplan ist im Koalitionsvertrag glasklar festgeschrieben: Wir wollen die vollständige Angleichung.
2016 prüfen wir, wie weit der Angleichungsprozess vollzogen ist. Wenn die Löhne nicht ordentlich gestiegen
sind, wollen wir nachsteuern, und dann werden wir auch
nachsteuern. Das heißt auch, dass wir, wenn nötig, Geld
ins System leiten, um den Rentenwert entsprechend anzuheben.
({3})
- Sie fragen nach dem Geld, Herr Kauder. Das steht im
Koalitionsvertrag. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir
das gemeinsam hinbekommen, weil wir alle miteinander
wissen, dass sich die Menschen auf uns verlassen. Ich
denke, auf diese Koalition können sich die Menschen
auch verlassen.
Ich will mit der Bemerkung schließen, dass die Rentenüberleitung in den letzten fast 25 Jahren ein Erfolg
war und ist. Aber fast 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es auch langsam Zeit, sie abzuschließen. Spätestens 2019 soll sie nach unserem Koalitionsvertrag abgeschlossen sein. Wir stehen dazu: Das Ende des
Solidarpakts muss auch das Ende dieser zwei parallelen
Rentensysteme sein.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({4})
Vielen Dank, auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. - Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, die Rentenüberleitung Ost/West ist kein Grund
zum Klagen. Hätten wir dies nicht gemacht, würden die
Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands am
Hungertuch nagen.
({0})
Es war eine großartige Solidarleistung, die die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West mitfinanziert haben und bis zum heutigen Tag finanzieren,
dass wir die Rentnerinnen und Rentner im Osten nicht
auf dem niedrigen Niveau der DDR-Renten gelassen haben, sondern in ein anständiges und funktionierendes
Rentensystem in Deutschland übergeleitet haben und sie
ihren Lebensabend davon auch finanzieren können.
({1})
Der Mechanismus ist allerdings in der Tat kompliziert. Eine Komponente ist der Rentenwert. Vorgestern,
am 1. Juli, erfolgte die Rentenanpassung dieses Jahres.
Im Westen steigen die Renten um 1,67 Prozent, im Osten um 2,53 Prozent, also schneller. Letztes Jahr, am
1. Juli, war der Unterschied noch größer: Im Osten gab
es 3,29 Prozent mehr, im Westen nur klägliche 0,25 Prozent. - Das zeigt, dass die Anpassung des Rentenwerts
Ost an den Rentenwert West vorankommt. Mit dem
Mindestlohngesetz wollen wir dafür sorgen - das ist
auch völlig richtig -, dass diese Rentenanpassung noch
schneller vonstattengeht, um den Rentenwert in Ost und
West anzugleichen.
({2})
Nun verschweigt die Linke eine wichtige Tatsache,
die als Wort schon vorkommt, nämlich die sogenannte
Höherwertung. Weil wir nach wie vor einen deutlichen
Unterschied im Lohnniveau von Ost zu West haben,
wird all das, was ein Arbeitnehmer auf seinem Rentenkonto an Ansprüchen angesammelt hat - das sind die sogenannten Entgeltpunkte -, am Tag des Renteneintritts
in diesem Jahr um über 18 Prozent aufgewertet. Das
heißt, er bekommt einen Zuschlag von über 18 Prozent.
Der Unterschied zwischen dem Rentenwert Ost und
dem Rentenwert West, also dem Zahlbetrag, beträgt zurzeit 8,4 Prozent; die Höherbewertung liegt bei über
18 Prozent. Zu gut Deutsch: Wer sagt: „Ich führe heute
exakt das gleiche Rentenrecht in Ost und West ein“, der
verzichtet auf eine Höherwertung der Rentenansprüche
um 18 Prozent,
({3})
hat dafür aber einen um 8,4 Prozent höheren Rentenwert. Wer rechnen kann, weiß: Das ist ein Verlust, das ist
weniger. Deswegen - das sage ich ganz klipp und klar werden wir als Große Koalition nicht hingehen und von
einem auf den anderen Tag den Schalter umlegen. Die
Rentnerinnen und Rentner im Osten wären nämlich die
Verlierer einer solchen Operation.
({4})
Das ist übrigens auch der Grund, warum die Fraktion
Die Linke gar nicht gleiches Rentenrecht in Ost und
West beantragt. Wer den Antrag liest, weiß: Sie beantragt, dass für alle Zukunft Deutschland in zwei unterschiedliche Rentengebiete gespalten bleibt. Sie möchte
nämlich, dass der Rentenwert, also der Zahlbetrag, der
jedes Jahr verändert wird, in Ost und West der gleiche ist
- schön! -, aber dass die Höherwertung der Rentenansprüche über 18 Prozent im Osten für alle Zukunft gelten
soll.
({5})
Das würde bedeuten, dass für den gleichen Lohn der
Rentner im Osten eine höhere Rente bekommt als der
Rentner im Westen. Das ist keine Rentengerechtigkeit,
sondern die Spaltung Deutschlands im Rentenrecht auf
Dauer, was die Linken beantragen.
Peter Weiß ({6})
({7})
Ich will das nicht in Abrede stellen: In der Tat ist es
für Menschen, die wenig verdienen, ein Problem, dass
sie auch wenig Rente bekommen. Aber Menschen, die
relativ wenig verdienen und geringe Rentenansprüche
haben, gibt es im Osten, aber leider auch im Westen. Es
gibt Gott sei Dank auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die relativ gut verdienen, und zwar sowohl im
Westen als auch im Osten. Daher kann man das Problem
nicht mit einer generellen Teilung Deutschlands in zwei
Zonen im Rentenrecht bewältigen. Vielmehr müssen im
Rentenrecht Regelungen geschaffen werden, die dafür
sorgen, dass Menschen mit einem niedrigen Verdienst
eine Höherwertung ihrer Renten erhalten, damit sie im
Alter von ihrer Rente leben können. Aber ansonsten
werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ost
und West gleichbehandelt.
Unser Ziel ist, eine schrittweise Rentenanpassung
vorzunehmen, die dazu führt, dass die Rentnerinnen und
Rentner im Osten nichts verlieren, dass Deutschland im
Rentenrecht nicht mehr zweigeteilt ist, sondern dass
gleiches Rentenrecht in Ost und West geschaffen wird
- Gerechtigkeit für alle - und dass Niedrigverdiener im
Rentenrecht eine Hilfestellung bekommen, sodass sie
von ihren Renten leben können.
Der Antrag der Linken ist in Wahrheit ein Antrag auf
Spaltung Deutschlands auf Dauer. Das passt zur Linken.
Aber wir, die Große Koalition, wollen ein einheitliches
Rentenrecht in Ost und West, Gerechtigkeit für Rentnerinnen und Rentner, ob im Osten oder im Westen.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff,
SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor zwei
Wochen eine außergewöhnliche Begegnung.
({0})
In meiner Heimatstadt Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt
kam ein glücklicher Mann mit leuchtenden Augen auf
mich zu.
({1})
Herr Präsident, ich brauche eine Verlängerung meiner
Redezeit.
Ich bitte, der Rednerin aufmerksam zuzuhören.
({0})
Dieser Mann drückte mir eine Rose in die Hand.
({0})
- Weit gefehlt! Es war kein neuer Verehrer.
({1})
Als dieser Mann mir die Rose in die Hand drückte,
sagte er - das ist mein voller Ernst -: Frau Wolff, ich will
mich bei Ihnen bedanken. Ich bin im Mai 63 geworden.
Ich darf nach 45 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.
Herzlichen Dank, dass Sie das beschlossen haben!
({2})
Glauben Sie mir meine Damen und Herren: Ich war
überwältigt. Ich bin seit 16 Jahren Bundestagsabgeordnete, aber so etwas war mir zuvor noch nie passiert. Aber
was zeigt diese Begegnung? Sie zeigt, dass die Rentenpolitik, die wir machen, bei den Menschen ankommt,
und zwar auch in Ostdeutschland.
({3})
In dieser Woche ist das Rentenpaket in Kraft getreten.
Heute Vormittag haben wir die Einführung eines Mindestlohns beschlossen. Ich kann nur sagen: Eine gute
Woche für die Menschen in Deutschland!
({4})
Der Mindestlohn sorgt dafür, dass viele Menschen in den
neuen Bundesländern höhere Löhne und demzufolge
später höhere Renten bekommen. Wir haben eine gesamtdeutsche Entscheidung getroffen: flächendeckend
8,50 Euro im Westen wie im Osten. Das war richtig und
notwendig.
({5})
Bei der Rente muss es in Zukunft heißen: Rentenwert
West ist gleich Rentenwert Ost. - Das ist uns allen klar.
Die Menschen in den neuen Bundesländern fühlen sich
selbstredend weniger wert, wenn es für Kindererziehungszeiten, Zivildienst, Wehrdienst oder Pflegezeiten
weniger Rentenpunkte gibt. Aber nach 25 Jahren Wiedervereinigung ist auch klar, dass die Unterschiede zwischen West und Ost bei der Wirtschaftskraft nicht mehr
allein zählen können. Das heißt, ein einheitliches Rentensystem ist eine berechtigte Forderung. Deshalb haben
wir einen Fahrplan dafür beschlossen. Meine Damen
und Herren von den Linken, das ist nicht Ihr Fahrplan,
das stimmt; aber es ist der Fahrplan, der die Rentenangleichung endlich 2020 bringt. Das ist es, was zählt.
({6})
Waltraud Wolff ({7})
2016 werden wir diesen Angleichungsprozess überprüfen. Das macht auch Sinn, weil wir durch den Mindestlohn, den wir beschlossen haben, ganz deutliche
Lohnsteigerungen in Ostdeutschland zu verzeichnen haben. Auf dieser Grundlage legen wir anschließend das
Gesetz vor, mit dem wir dann den Abschluss in der Rentenüberleitung festschreiben werden.
Wir werden auch die offenen Fragen der Rentenüberleitung, die hier mehrfach von den Grünen und auch den
Linken angesprochen wurden, beantworten. Aber eines
ist Fakt: Die Probleme kann man nicht im Rentenrecht
lösen. Das hat die Vergangenheit gezeigt, und ich habe
keine Hoffnung, dass das in der Zukunft so sein wird.
Ich könnte mir vorstellen, dass es zu einer Fondslösung
kommt. Damit wäre es auch möglich, die soziale Lage
der Betroffenen zu berücksichtigen.
({8})
Erste wichtige Botschaft: Ende dieser Wahlperiode
haben wir die vollständige Rentenangleichung im Gesetz
stehen. Zweite wichtige Botschaft: Wir sorgen nicht nur
für den gleichen Rentenwert wie in den alten Bundesländern, sondern auch dafür, dass die Renten höher sind als
jetzt.
Ich fasse das zu gern heute Abend zusammen, weil
ich auf so viel sozialdemokratische Politik stolz bin:
Rentenpaket, Mindestlohn, Rentenangleichung und die
noch ausstehende solidarische Lebensleistungsrente.
Wenn wir das zusammenzählen, gibt es nur einen
Schluss: Unsere Politik in der Großen Koalition ist gut
für die Menschen in Deutschland. Sie ist gut für gerechtere Löhne und auch für höhere Renten. Meine Damen
und Herren von den Linken, Sie reden, und Sie schreiben
jährlich neue Anträge; wir tun einfach das, was wir beschlossen haben.
Herzlichen Dank.
({9})
Frau Kollegin Wolff, Sie haben gespürt, dass Ihre
Rede mit besonderer Anteilnahme des Hohen Hauses begleitet worden ist.
Wir kommen zum Abschluss dieses Tagesordnungspunkts zum Kollegen Matthäus Strebl, der für die CDU/
CSU spricht.
({0})
Ich darf an dieser Stelle darum bitten, weil es der
letzte Redebeitrag vor der namentlichen Abstimmung
ist, dass wir gemeinsam die nötige Aufmerksamkeit für
diesen Redebeitrag finden.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir beraten den Antrag der Linken
zur Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das
Westniveau. Sie haben in Ihrem Antrag ganz einfach
verdrängt, dass wir die geforderte Angleichung schon
vor vielen Jahren in Angriff genommen haben. Eine solche Forderung mag zwar populär sein, eher sogar populistisch, ist aber derzeit nicht zu realisieren.
Die jeweiligen Oppositionsparteien, wie jetzt die Linken, bringen mit schöner Regelmäßigkeit Anträge zur
Rentenangleichung ein. Dies tun sie, obwohl sie wissen,
dass eine solche absolute Angleichung aus einer Vielzahl
von Gründen derzeit überhaupt nicht machbar ist. Selbst
die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion räumen
in ihrem jüngsten Antrag ein, dass sich die Differenz
zwischen den Rentenwerten von 2012 auf 2013 um
2,7 Prozentpunkte verringert hat. Erst vor wenigen Tagen, zum 1. Juli, ist die Differenz um weitere 0,7 Prozentpunkte verringert worden. Heute hat sich das Rentenniveau schon auf über 92 Prozent angeglichen.
({0})
Das wurde heute schon gesagt; aber das kann man der
Fraktion Die Linke wahrscheinlich nicht oft genug sagen. 1990 war der Wert bei 60 Prozent.
In diesem Bereich sind die Rentner in den neuen Ländern übrigens schon heute deutlich weiter als die Beschäftigten im Osten, die derzeit nur 80 Prozent des
Westbruttolohnniveaus erreichen. Das zeigt doch, dass
es bereits heute eine deutliche Annährung gegeben hat
und dass es mit der Angleichung vorangeht. Erwähnen
möchte ich in diesem Zusammenhang auch, dass ebenfalls zum 1. Juli 2014 die Renten in den neuen Ländern
um 2,53 Prozent gestiegen sind, in den alten Bundesländern nur um 1,67 Prozent.
Herr Kollege Strebl, ich darf Sie kurz unterbrechen,
um die Kolleginnen und Kollegen hier um Aufmerksamkeit zu bitten. Wir wissen, dass es viel besser ist, Gespräche außerhalb dieses Plenarsaals zu führen. Ich bitte
darum, dem Kollege Strebl die entsprechende Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Richtig ist auch,
meine sehr verehrten Damen und Herren: Viele Menschen in den neuen Bundesländern haben durch längere
Versicherungsbiografien höhere Rentenansprüche erworben; das ist hier schon dargestellt worden. Das
betrifft vor allem die Frauen im Osten, die viel stärker
erwerbstätig waren als die im Westen. Das gehört zur
Geschichte und zur Wahrheit dazu.
Zur Frage, ob die sofortige Angleichung der Renten,
wie im Antrag der Linken gefordert, wirklich ein Gewinn für die Ostrentner wäre, möchte ich einen ausgewiesenen Experten zu Wort kommen lassen, nämlich den
Chef der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland, Wolfgang Kohl. Ich zitiere:
Die volle Angleichung wird nach meiner Einschätzung kein Gewinn für die Ost-Rentner. Denn im
Moment werden die ostdeutschen Gehälter höher
gewertet. Ohne diese Höherbewertung würden sich
die Bezüge deutlich vermindern. Der Ostdeutsche
bekommt also für 1 000 Euro Lohn eine höhere
Rentenanwartschaft als derjenige, der im Westen
1 000 Euro verdient.
Ich zitiere weiter:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das beibehält, wenn die Rentenwerte angeglichen werden.
Dann könnten sich die Schleswig-Holsteiner auch
hinstellen
- dieses Beispiel hat auch der Kollege Kurth genannt und eine Höherbewertung ihrer Gehälter fordern,
weil diese nicht viel höher sind als die in Sachsen.
Bekanntermaßen werden Ostlöhne und -gehälter für
die Rente so lange aufgewertet, wie die Differenz bei
den Durchschnittseinkommen noch besteht. Derzeit wird
um 18,73 Prozent aufgewertet. Das Problem dabei ist:
Die Aufwertung gilt generell und führt dazu, dass bei
gleichem Einkommen Ostbeschäftigte besser dastehen
als ihre Westkollegen.
Kollege Claus, hören Sie zu: 2 000 Euro Monatslohn
werden beispielsweise im Osten so bewertet, als wären
es 2 374,60 Euro. Um es mit anderen Worten zu sagen:
Trotz des niedrigeren Rentenwertes Ost erhalten dadurch
die Beschäftigten im Osten einen höheren Rentenanspruch als die Westkollegen mit gleichem Gehalt.
Es ist bezeichnend, dass die Linken verlangen, den
Rentenwert Ost umgehend an den Rentenwert West
anzugleichen, die Lohnaufwertung aber beizubehalten.
Damit würden bestehende Verwerfungen noch einmal
verstärkt und neue Ungerechtigkeiten geschaffen.
In der Koalitionsvereinbarung heißt es - das möchte
ich hier noch einmal erwähnen -, dass zum Auslaufen
des Solidarpakts, wenn die Lohn- und Gehaltsangleichung weiter vorangeschritten ist, in einem letzten
Schritt die vollständige Angleichung der Rentenwerte
erfolgen soll. Ich möchte keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, dass die CDU/CSU die Angleichung
der Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland
weiter voranbringen wird, und hierzu gehört auch die
Angleichung des Rentenniveaus. Die Renten bis 2020
anzugleichen, ist politisch vernünftig und liegt in einem
zeitlich und vor allen Dingen auch finanziell vertretbaren Rahmen. An dieser Aussage und an dieser Beschlussfassung wollen wir festhalten.
({0})
Dem vorliegenden Antrag können wir daher nicht zustimmen; wir lehnen ihn ab.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1644 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Also sind Sie damit einverstanden. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das
Westniveau sofort auf den Weg bringen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/1994, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/982 abzulehnen.
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den
Abstimmungsurnen vollständig besetzt? - Das ist der
Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung über die
Beschlussempfehlung.
Ist noch eine Kollegin oder ein Kollege im Plenarsaal
anwesend, die oder der noch gerne abstimmen möchte,
dies aber noch nicht getan hat? - Ich sehe, das ist der
Fall. Dann warten wir noch. - Ich frage noch einmal
nach: Haben alle, die es beabsichtigen, ihre Stimme
abgegeben? - Ich sehe jetzt niemanden mehr im Saal,
der seine Stimme noch nicht abgegeben hat, dies aber
tun wollte, und schließe die Abstimmung über diese
Beschlussempfehlung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen wie üblich später
bekannt gegeben.1)
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Jahre Nein
zum Krieg - Gedenktafel für Karl Liebknecht
Drucksache 18/1950
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne damit die Aussprache. Erste Rednerin ist
die Kollegin Sevim Dağdelen, Die Linke, der ich hiermit
das Wort erteile.
({1})
1) Ergebnis Seite 4221 C
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
100 Jahre Erster Weltkrieg. Erinnern wir uns! Wie groß
war der Druck auch in diesem Haus, hier mitzutun? Am
4. August 1914 hatte Kaiser Wilhelm II. die Vertreter
aller im Reichstag vertretenen Parteien um sich versammelt und erklärte - ich zitiere -: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“
Auch die oppositionelle SPD gelobte die Unterstützung des deutschen Angriffskrieges. Es war bei weitem
nicht nur der rechte Noske-Flügel der SPD, der den
Krieg unterstützte;
({0})
nein, auch Linke in der SPD wollten den Krieg und fielen auf die Argumente - heute würde man das nennen:
die Argumente der humanitären Intervention - herein
und rechtfertigten diesen Krieg mit einem notwendigen
Feldzug gegen den russischen Zarismus.
Umso schwerwiegender war die Entscheidung Karl
Liebknechts.
({1})
Als es keine Fraktion mehr hier im Hause gab, die sich
dem mörderischen Krieg verweigerte, tat er es als Einzelner. Wir wollen ihn deshalb stellvertretend für viele
andere, die gegen den Krieg kämpften, ehren. Ja, Karl
Liebknecht ist ein Vorbild für Widerstandsgeist.
({2})
Und wir wollen die Botschaft aussenden: Von deutschem
Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen!
({3})
Als am 2. Dezember 1914 erneut die Kriegskredite
durch Aufstehen im Reichstag befürwortet werden
sollten, blieb Karl Liebknecht als einziger Abgeordneter
sitzen. Sein Abstimmungsverhalten begründete er in einer schriftlichen Erklärung wie folgt - ich zitiere -:
Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker
selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des
deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es
handelt sich um einen imperialistischen Krieg,
einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung
des Weltmarktes, um die politische Beherrschung
wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und
Bankenkapital.
Fast 100 Jahre sind seitdem vergangen. Liebknechts
Vermächtnis ist damals wie heute sein klares Nein zum
Krieg. Dieses Vermächtnis sollten wir endlich auch in
diesem Hause ehren, meine Damen und Herren.
({4})
Ernst Bloch hat einmal gesagt - ich zitiere -:
Auf tausend Kriege kommen keine zehn Revolutionen; so schwer ist der aufrechte Gang.
Liebknecht war einer, der aufrecht ging. Seit seiner
Ermordung durch rechtsradikale Freikorpssoldaten unter
Billigung des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske erinnert nichts an ihn hier im Reichstag. Wir, die Linke, wollen das ändern. Karl Liebknecht
ist ein Vorbild für Zivilcourage.
Ich bitte Sie deshalb im Namen meiner Fraktion um
Unterstützung unseres Antrags zur Anbringung einer
Gedenktafel für Karl Liebknecht, um zu erinnern: damals wie heute: Nein zum Krieg!
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Philipp
Lengsfeld, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, wir haben heute Morgen gemeinsam bereits an
den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnert.
({0})
Die Gedenkstunde gab uns die Gelegenheit, das Leid
und den Schrecken, die der Krieg über die Menschen
brachte, noch einmal zu reflektieren. Dies führt uns noch
einmal drastisch vor Augen, wie groß die Verantwortung
politischer Entscheidungsträger sein kann.
Vor diesem Hintergrund halte ich das Grundanliegen
Ihres Antrags - übrigens trotz Ihrer Rede, muss ich jetzt
einmal sagen, Frau Kollegin - für diskussionswürdig.
Ich sage dies auch, obwohl ich die ersten Sätze Ihres Antrags natürlich für absolut nicht richtig halte. Inhaltlich
fordert die Linke eine Gedenktafel für den damaligen
SPD-Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht, und
zwar als Würdigung seines Abstimmungsverhaltens im
Dezember 1914.
Schauen wir uns die Sachlage einmal genauer an. Wir
haben schon einiges gehört, aber ich möchte es etwas
ausführen. Als der Krieg im Sommer 1914 ausbrach,
stimmten die Parlamentarier aller Fraktionen im Reichstag im August zunächst geschlossen den von der Regierung beantragten Kriegskrediten zu. Karl Liebknecht
und einige Unterstützer votierten zwar intern in der SPD
gegen die Kredite, folgten aber in der Abstimmung im
Plenum der Fraktionsdisziplin. Am 2. Dezember 1914
- das ist hier schon gesagt worden - stellte sich Karl
Liebknecht als erster und einziger Reichstagsabgeordneter gegen weitere Kredite für den Krieg. In einer dritten
Abstimmung votierten zwei Abgeordnete gegen erneute
Kriegskredite. Bei weiteren Abstimmungen wuchs die
Zahl der Neinstimmen. Sie blieben aber eine kleine Minderheit. Die Haltung von Liebknecht und seinen Unterstützern radikalisierte sich zunehmend und führte
schließlich zum Bruch mit der SPD. 1916 wurde
Liebknecht verhaftet, verurteilt und eingesperrt. Zum
Kriegsende amnestiert, radikalisierte sich Liebknecht
weiter und beteiligte sich Anfang 1919 in Berlin aktiv
am Januaraufstand zur Bekämpfung der neu entstehenden Republik. Am 15. Januar 1919 wurden Karl
Liebknecht und Rosa Luxemburg durch Freikorpsoffiziere ermordet. So weit die Fakten.
Die Gewissensfreiheit eines Abgeordneten ist ein verfassungsrechtlich verankertes hohes Gut der Demokratie. Karl Liebknechts eindeutige Haltung zum aufziehenden und im Gang befindlichen Krieg verdient unseren
Respekt und eine angemessene Würdigung.
({1})
Immerhin stand er gegen die Kriegsbegeisterung in der
Bevölkerung, bei den anderen Parteien, aber auch bei
Teilen seiner eigenen Partei. Eine Information über dieses bedeutende Ereignis für die deutsche Parlamentshistorie sollte sicherlich in einem der vielfältigen Informationsmedien unseres Hauses herausgearbeitet werden.
Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben, uns über
den Stand der Dinge zu informieren und hier gegebenenfalls Anregungen geben. Aber eine Gedenktafel, liebe
Kolleginnen und Kollegen, des Deutschen Bundestages
am Reichstagsgebäude wäre ein doch sehr viel weiter
gehender Schritt. Hier sollten wir auch die weiteren
politischen Handlungen von Karl Liebknecht berücksichtigen.
Zunächst möchte ich daran erinnern, dass es in diesem Land wirklich keinen Mangel an Erinnerungen an
Karl Liebknecht gibt, weder an Orten noch Institutionen
noch Mahnmalen. Es ist nicht nur die Bundeszentrale
der Linkspartei nach Karl Liebknecht benannt. Wir haben Karl-Liebknecht-Straßen und -Plätze in Berlin, in
seiner Geburtsstadt Leipzig, in Chemnitz, in Halle - um
einige zu nennen -, aber auch in Dortmund unweit des
Westfalenstadions inklusive eigener U-Bahn-Station. In
Potsdam spielt die erfolgreiche Frauenfußballmannschaft Turbine Potsdam im Karl-Liebknecht-Stadion. Es
gibt Grundschulen und Gymnasien, die nach Karl
Liebknecht benannt sind. In meinem Wahlkreis BerlinMitte im Ortsteil Tiergarten erinnert am Neuen See eine
Stele an den Ort, an dem Karl Liebknecht ermordet
wurde. Der Friedhof der Sozialisten inklusive Mahnmal
ist ein weiterer prominenter Ort, der auch jedes Jahr von
der Linkspartei und neuerdings auch von anderen linken
Gruppen Ziel eines Gedenkmarsches ist. Der Name Karl
Liebknecht hat in der deutschen Öffentlichkeit also eine
starke Präsenz.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihren Blick auf
ein besonders interessantes, in der Öffentlichkeit fast
völlig unbekanntes Liebknecht-Denkmal richten. Es
steht nicht weit von hier, am Potsdamer Platz.
({2})
- Genau. - Sein Sockel wurde im Jahr 1951 durch die
SED errichtet. Zehn Jahre später fiel es, noch unvollendet, dem wesentlich größeren kommunistischen Projekt,
nämlich dem Mauerbau, zum Opfer. Nach dem Fall der
Mauer und dem Umbau des Potsdamer Platzes wurde es
im Jahr 2003 neu aufgestellt, unfertig als ein leerer Sockel. Die Deutung des Denkmals bleibt offen. Es wird
für den Betrachter jedoch klar, dass es eben nicht nur den
einen, unkritischen Blick auf Karl Liebknecht geben
kann.
Damit komme ich zum dritten und aus meiner Sicht
wichtigsten Aspekt. Karl Liebknecht ist einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das Wirken der KPD in der Weimarer Republik kann und wird
jeder Demokrat negativ bewerten. Dies fing schon in der
Gründungsphase 1918/19 an. Die KPD und Karl
Liebknecht setzten von Anfang an auf bewaffneten Umsturz, in den Worten der Kommunisten verbrämt als revolutionärer Kampf. Die Demokratie im Allgemeinen
und die SPD im Besonderen wurden von den Kommunisten unerbittlich bekämpft. Die Entstehung der KPD
ist auch untrennbar mit dem Abstimmungsverhalten von
Karl Liebknecht und seinen Unterstützern beim Thema
Kriegskredite verbunden.
({3})
Die Linie führte von der Gruppe International, dem Zusammenschluss der Kriegskreditgegner und ihrer Unterstützer, später dann benannt als Spartakusbund, über die
USPD zur KPD. Der Name Liebknecht steht damit auch
am Anfang einer antidemokratischen und antiparlamentarischen Tradition; denn die KPD hat einen Anteil am
Scheitern der Weimarer Demokratie.
Schauen wir noch einmal auf die beiden positiven
Traditionslinien des Abstimmungsverhaltens von Karl
Liebknecht am 2. Dezember 1914, die Gewissensfreiheit
und den Antimilitarismus.
({4})
Fühlte sich die KPD diesen beiden Traditionslinien ihres
Gründers wirklich verpflichtet? Nein, im Gegenteil: Die
KPD war eine straff geführte Kaderpartei, durch und
durch undemokratisch. Innerparteiliche Demokratie und
Gewissensfreiheit wurden offen denunziert und brutal
bekämpft. Und der Kampf gegen Militarismus und
Krieg? Sie wollen es vielleicht nicht hören, aber auch da
haben Kommunisten eine klare Haltung. Sie sind eben
keine Pazifisten, sondern bekämpfen Krieg und Militär
immer dann, wenn es sich um Kriege und Militär ihrer
politischen Feinde handelt, dies dann aber mit großer
Konsequenz und riesigem propagandistischen Aufwand. Ihre eigenen Armeen und ihre eigenen Kriege
sind für Kommunisten dagegen völlig legitim.
Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder Anmerkung des Kollegen Dr. Dehm?
({0})
Dr. Dehm, ich respektiere Ihre Lieder. Ich höre mir
gern Ihre Frage an.
({0})
Sie haben ja am Anfang Verständnis für das Grundanliegen gezeigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich
der Meinung sind, dass das, wofür Sie Verständnis zeigten, nämlich Karl Liebknecht in einer, wenn auch von
uns abweichenden Dimension zu ehren, tatsächlich dadurch eingeschränkt würde, dass Sie die, wie ich finde,
jetzt von Ihnen nicht belegte These aufstellen, dass der
arme Mensch, der an diesem Januartag 1918 ermordet
wurde, schon da um die Bolschewisierung der KPD gewusst hatte und dafür mitverantwortlich ist? In diesem
Zusammenhang möchte ich Sie auch gerne fragen: Wenn
Europa dieser grausame Krieg erspart geblieben wäre,
wäre nicht vielleicht auch die Entwicklung zu Stalin verhindert worden? Tragen nicht alle, die an diesem Krieg
mitgewirkt haben nicht nur bezogen auf seinen
Ausbruch, sondern auch bezogen auf die ökonomischen
Interessen, die dahintergestanden haben, eine Mitverantwortung daran, dass dieses grausame Jahrhundert der
Extreme, wie es heute Morgen von Alfred Grosser genannt wurde, so zustande kam?
Lieber Herr Dehm, vielen Dank für diese Frage. - Dafür haben wir ja Ausschusssitzungen. Da können wir
dann im Detail darüber reden. Ich habe ausgeführt, dass
ich der Meinung bin, dass eine Information über das
Abstimmungsverhalten des Reichstagsabgeordneten
Liebknecht angemessen sein kann. Darüber werden wir
im Ausschuss reden. Sie sind stellvertretendes Mitglied.
Ich lade Sie herzlich dazu ein, dass wir dort gemeinsam
diese Diskussion fortführen.
({0})
Ich bin auch schon fast am Ende. Ich sage es hier
noch einmal ganz deutlich: Diesen Teil der Geschichte
kann und wird der Deutsche Bundestag ganz sicherlich
nicht veredeln.
({1})
Auch das sage ich ganz deutlich: Antikommunismus ist
für mich ein selbstverständlicher Teil der Grundüberzeugung eines Demokraten. Diesen Punkt werden wir bei
der parlamentarischen Beratung Ihres Antrages nicht aus
dem Auge verlieren.
Vielen Dank.
({2})
Bevor gleich die Kollegin Schauws zu Wort kommt,
darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Tagesordnungspunkt „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den
Weg bringen“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 570.
Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt
50, Enthaltungen 54. Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon
ja: 466
nein: 50
enthalten: 54
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({0})
Axel E. Fischer ({1})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Vizepräsident Johannes Singhammer
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Roy Kühne
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({5})
Stefan Müller ({6})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Florian Oßner
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({7})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({13})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({21})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Vizepräsident Johannes Singhammer
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({27})
Matthias Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Carsten Schneider ({30})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({31})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
({32})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({33})
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
({34})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Volker Beck ({35})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({36})
Renate Künast
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({37})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Dağdelen, lieber Herr Lengsfeld, eines
vorweg: Diese Debatte hätte Karl Liebknecht so sicher
nicht gewollt.
({0})
Wir haben bereits heute Vormittag hier im Deutschen
Bundestag gemeinsam des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedacht. Dieser Jahrestag ist eine
Chance, uns mit den verschiedensten Facetten einer der
größten kriegerischen Katastrophen in Europa und der
Welt zu beschäftigen. Als Generation, die diesen Krieg
nicht selbst erlebt hat und keine Gelegenheit mehr hat,
sich mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auszutauschen, müssen wir uns der Erinnerung anders stellen, als
es unsere Eltern und Großeltern taten. Wir Grünen begrüßen daher ausdrücklich die verschiedenen Initiativen
zum Gedenken an diesen Krieg und an die vielen Millionen Opfer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Verantwortung für unsere Vergangenheit. Diese Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, die Menschen in ihrem friedlichen Streben nach Freiheit, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Es bedeutet auch,
Repressionen entgegenzutreten und sich für den Schutz
von Menschenrechten einzusetzen.
({1})
Die Lehren aus der Vergangenheit geben uns aber
auch einen ganz klaren kulturpolitischen Auftrag mit auf
den Weg, und den nehmen wir sehr ernst. Die Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen der beiden
Weltkriege und der DDR als Unrechtsstaat muss ihren
Niederschlag in einer vielfältigen Erinnerungskultur finden. Wenn diese Verantwortung keine Worthülse sein
soll, dürfen sich unsere Initiativen nicht nur in Feierlichkeiten zu Gedenktagen niederschlagen.
Die Fraktion Die Linke hat den vorgelegten Antrag
zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs
zum Anlass genommen, um an Karl Liebknecht und
seine Ablehnung der Kriegskredite zu erinnern. Liebe
Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich verstehe Ihre
Motivation; aber mir greift diese Initiative zu kurz. Wir
wissen, dass bei späteren Abstimmungen zu den Kriegskrediten auch 30 weitere Abgeordnete den Saal verließen; auch diese hätten eine Würdigung verdient.
({2})
Um dem Anspruch eines verantwortungsvollen Umgangs mit unserer Vergangenheit gerecht zu werden, genügt es meines Erachtens nicht, Gedenktafeln für eine
einzelne Persönlichkeit zu fordern. Jenseits aller Gedenkveranstaltungen brauchen wir eine eigenständige,
starke, lebendige Erinnerungskultur. Denn wie sonst
sollten wir ein kollektives Gedächtnis jenseits der Zeitzeuginnengeneration wachhalten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Aspekt,
der mir wichtig ist: Auch heute finden wir Formen der
Kriegsverherrlichung, des Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserer Gesellschaft, und zwar bis weit in
ihre Mitte. Eine lebendige und vielfältige Erinnerungskultur ist daher eine entscheidende Voraussetzung dafür,
diesen Tendenzen offensiv entgegenzutreten. Dem Bereich der politischen Bildungsarbeit kommt dabei eine
entscheidende Aufgabe zu. Gerade hier müssen wir neue
und innovative Formen der Erinnerungskultur systematisch verankern.
Die Aufarbeitung unserer Vergangenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist in vielerlei Hinsicht ein offenes
Kapitel, beispielsweise der deutschen Kolonialgeschichte; ihre Verbrechen und ihre Kontinuität verdienen
in der Forschung und der Erinnerung mehr Aufmerksamkeit, als es bislang der Fall ist.
({3})
Auch die Auseinandersetzung mit dem Leben oder Werk
verfolgter Künstlerinnen und Künstler muss gestärkt
werden.
Aber nicht nur vergangene Verbrechen sind zentral.
Wir müssen unseren Blick auch auf überlebende Opfer,
beispielsweise des NS-Terrors, richten, die bislang nur
wenig Anerkennung erfahren haben. Das gilt zum Beispiel für die überlebenden Kriegsgefangenen aus der
Sowjetunion.
Erinnerung und Aufarbeitung dürfen aber nicht nur
eine staatliche Angelegenheit sein. Es ist gerade ein Verdienst der Zivilgesellschaft, den kritischen Umgang mit
der Geschichte einzufordern und Versäumnisse aufzuholen. Wenn sich unsere Aufarbeitung nicht auf offizielle
Gedenkfeiern und das Anbringen von Gedenktafeln beschränken soll, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann
müssen wir einmal mehr die Initiativen aus der Mitte der
Gesellschaft fördern.
Die Lehren aus der Geschichte dürfen wir nie vergessen; sie helfen uns, unsere Demokratie und Menschenrechte täglich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin
Hiltrud Lotze.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Wir haben
heute bei der Gedenkstunde aus Anlass des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs Alfred
Grosser gehört. Er hat den Ersten Weltkrieg und seine
Folgen sehr differenziert beleuchtet, und das war dem
Anlass angemessen.
Der Antrag der Linken wird dem Anlass nicht gerecht.
({0})
- Dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg. - Er missbraucht das Gedenken an den Ersten Weltkrieg für parteipolitische Motive, indem er uns, den Bundestag, auffordert, alleine Karl Liebknecht mit einer Gedenktafel zu
ehren.
Die Kolleginnen und Kollegen der Linken nehmen in
ihrem Antrag eine Wahrheitsgewissheit für sich in Anspruch, die nicht zur Realität passt.
({1})
Ihr so leicht dahingeworfenes Urteil über die Schuld der
wirtschaftlichen Eliten des deutschen Kaiserreiches und
seiner politischen und militärischen Führung, wie es im
Antrag heißt, blendet die Wirklichkeit des Jahres 1914
aus.
({2})
Sie ignorieren die Ergebnisse neuerer historischer Forschungen zu Ursache und Verlauf des Krieges, und Sie
ignorieren vor allen Dingen auch die öffentliche Debatte, die gerade in diesem Jahr sehr differenziert geführt
wird. Sie ignorieren letztendlich auch die vielen Begegnungen auf verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen zwischen Menschen, die sich vergeben
wollen und die der Opfer des Krieges gedenken.
({3})
Wir wissen heute, dass die Katastrophe Erster Weltkrieg nicht nach einem einfachen Muster erklärt werden
kann.
({4})
Tiefes Misstrauen unter den europäischen Großmächten
und verhängnisvolle politische Fehleinschätzungen, das
Versagen der Eliten und das Versagen der Demokratie
führten letztendlich zum Krieg.
({5})
Fakt ist: Es gibt unter den Historikern im Jahr 2014
keinen Konsens über die Schuldfrage. Ich will diese
Debatte hier auch gar nicht führen; der sogenannte Historikerstreit zeigt, wie komplex diese Frage ist.
({6})
Aber trotz der neueren Forschungen: Die Verantwortung, die Deutschland für diese Katastrophe trägt, ist
auch für die SPD unbestritten. Es ist für uns eine historische Verantwortung und auch ein politisches Vermächtnis. Das macht letztendlich die Idee eines Friedensraumes Europa so faszinierend und so wichtig für uns.
Wenn es so ist, dass wir uns alle der deutschen
Verantwortung für den Ersten Weltkrieg, dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, bewusst sind, und wenn wir
uns vor allen Dingen der Lehren bewusst sind, die wir
aus dieser Katastrophe ziehen müssen, kann der Beitrag
des Bundestages dann darin bestehen, eine Gedenkplakette für eine Person an die Wand zu nageln?
({7})
Ich meine das nicht despektierlich, Gedenktafeln sind
absolut notwendig für unsere Erinnerung.
({8})
Ich meine nur, dass wir damit der Komplexität und der
Bedeutung dieses Themas nicht gerecht werden. Das
weiß auch die Linke, und dennoch hat sie diesen Showantrag hier eingebracht, dessen Absicht doch sehr durchsichtig ist.
({9})
Jeder hier weiß doch, dass Sie mit Ihrem Antrag - Sie
haben es auch in Ihrer Einführung gesagt -, den damaligen SPD-Politiker und späteren Gründer der KPD, Karl
Liebknecht, zu ehren, gleichzeitig auf die schwierige
Rolle der SPD in den Jahren 1914 ff. verweisen wollen,
weil die SPD 1914 im sogenannten Burgfrieden den
Kriegskrediten zugestimmt hat.
Ich sage: Ihr Antrag ist ein vergifteter Antrag.
({10})
Es ist unwürdig, an so einem Tag - wir haben heute
Morgen in einer sehr ehrenvollen Gedenkstunde an den
Ersten Weltkrieg erinnert und seiner Opfern gedacht solch eine Nummer abzuziehen, wie Sie das mit Ihrem
Antrag tun.
({11})
Nein, wir sind überzeugt davon, dass Europa im Mittelpunkt des Gedenkens stehen muss; denn Europa ist
die Antwort auf die Frage nach Frieden. Deutschland
kann sich keine autistische Erinnerung und auch keine
autistische Weltsicht leisten, und schon gar nicht eine
rein parteipolitisch ausgerichtete, wie die Linke es mit
ihrem Antrag macht.
Ich bin sehr froh, dass wir mit Frank-Walter
Steinmeier einen Außenminister haben, der sich mit
diplomatischen Mitteln unermüdlich für eine friedliche
Lösung des Ukraine-Konflikts einsetzt.
({12})
Er leistet damit einen wesentlichen Beitrag dazu, dass es
in Europa nie wieder Krieg gibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Karl Liebknecht
war ohne Zweifel ein Politiker, der eine einmalige Weitsicht auf die Ereignisse seiner Zeit hatte. Er war mutig,
und er war unbeirrbar, und er musste für seine Überzeugungen mit seinem Leben zahlen. Das ist zu würdigen.
Nicht ohne Grund haben Sie Ihre Parteizentrale nach
ihm benannt. Dort ist dann auch der richtige Ort für eine
Gedenktafel, die an diese mutigen Leistungen von Karl
Liebknecht erinnert.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({13})
Als Nächste spricht die Kollegin Julia Bartz, CDU/
CSU.
Vizepräsident Johannes Singhammer
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor 100 Jahren herrschte in Europa eine Situation, die zwar zu den besten wissenschaftlich aufgearbeiteten Epochen der Menschheitsgeschichte gehört,
aber trotzdem mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt.
Wie konnten Staaten und Imperien mit verwandtschaftlich eng verbundenen Königshäusern und aufgeklärten
Bevölkerungen innerhalb kürzester Zeit in einen Vernichtungskrieg industriellen Ausmaßes ziehen, einen
Krieg, der unsere Landkarte bis in unsere Zeit so verändert hat, dass selbst wir hier in diesem Haus uns in den
letzten Wochen noch mit den Auswirkungen beschäftigt
haben? So haben wir Mandate für unsere Soldatinnen
und Soldaten erteilt, um auf dem Balkan, im Nahen
Osten und in Afrika für Stabilität zu sorgen.
In den Jahrzehnten vor dem Kriegsausbruch war viel
erreicht worden, politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich. Aber anstatt daraus Sicherheit und Zuversicht zu
ziehen, herrschte gerade bei den Regierungen Zukunftsund Überlebensangst. In einer Situation, in der die Nationalstaaten in unsicheren Bündnissen lebten, entstand
ein fataler Nährboden. Die Marokko-Krise, der Panthersprung nach Agadir und das Attentat von Sarajewo waren dann nur noch relativ beliebig austauschbare Katalysatoren.
100 Jahre später sieht Europa anders aus. Ein Jahrhundert voller Höhen und Tiefen hat seine Spuren hinterlassen und wichtige Lektionen erteilt. Wir haben gelernt, dass wir im friedlichen Miteinander weit mehr
erreichen können. Wir haben gelernt, dass sich umsichtige und weitsichtige Menschen über tiefe Gräben hinweg Hände reichen können. Wir haben auch gelernt,
dass Imperien innerhalb kürzester Zeit verschwinden
und Revolutionen nahezu friedlich verlaufen können und
dass international aufwachsende, global denkende und
vernetzte Generationen Nationalismen weit weniger betonen und optimistisch in die Zukunft schauen können.
Vor bald 25 Jahren dachten vielleicht einige von Ihnen - ich selbst war damals noch sehr jung -, ein wenig
vom Glück der Situation berauscht, über ein aufziehendes Jahrhundert des Friedens nach. Bis vor wenigen Wochen gingen wir ja auch im Großen und Ganzen davon
aus, dass eine enge Verflechtung der Gesellschaften und
Wirtschaften imperiales Denken und Großmachtsehnsüchte verhindern können. Dass dies trügerisch war, haben wir in unserer unmittelbaren östlichen Nachbarschaft erlebt.
Wir sind heute glücklicherweise in intakte und starke
Bündnisse integriert, und die gewachsene tiefe Freundschaft zu unseren Nachbarn, die noch vor 100 Jahren unsere Gegner waren, ist belastbar. Unser Weg zu einem
vollkommen geeinten und friedlichen Europa wird zwar
noch Generationen dauern, ist aber wohl die einzige
sinnvolle Möglichkeit für uns alle, Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten. Das wissen auch die europäischen Bürgerinnen und Bürger sehr genau.
Intakte Bündnisse müssen aber auch wehrhaft sein.
Vielleicht ist gerade das eine zentrale Lehre aus dem
Ersten Weltkrieg und den aktuellen Geschehnissen an
den Ostgrenzen der Europäischen Union. Zwar haben
Zukunfts- und Überlebensängste den Ersten Weltkrieg
begünstigt, doch insbesondere der Irrglaube, dass Krieg
als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zwischen
Großmächten irgendwie kalkulierbar sei, hat die Katastrophe möglich gemacht. Deshalb müssen wir als Parlament zukünftig unsere inzwischen recht kleinen Streitkräfte noch stärker in die Lage versetzen, sich so tief in
unsere Bündnisse zu integrieren wie nur irgend möglich,
sich so gut auszurüsten wie technologisch machbar und
für potenzielle Herausforderer unserer Bündnisse so
glaubhaft abschreckend wie nur irgendwie möglich zu
sein. Intakte, wehrhafte Bündnisse schützen unsere Sicherheit und unseren Wohlstand.
Aber ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten
lebt ganz anders als wir, weit entfernt von dem Wohlstand, den wir als Existenzminimum definieren. Auf
meinen Reisen nach Mali und Afghanistan habe ich das
mit eigenen Augen gesehen, und obwohl ich genau
wusste, was mich dort erwarten würde, hat es mich sehr
berührt. In vielen Teilen der Erde gibt es mehr Smartphones als Toilettenspülungen. 2,6 Millionen Menschen
leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Diese Menschen
wissen aber über das Internet ganz genau, in welchem
Wohlstand wir hier in Europa leben. Allein in den vergangenen Monaten sind Zigtausende Flüchtlinge nach
Europa aufgebrochen, und es werden immer mehr.
Wir werden also nicht umhinkommen, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. In einer immer vernetzteren Welt werden wir vernetzte Antworten auf
komplexe Probleme finden müssen. Diese Antworten
liegen in einem vernetzten Politikansatz. Das heißt, es
bedarf wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Diplomatie, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus einem Guss. Nur
so können wir langfristig unseren Wohlstand erhalten,
für Sicherheit in Europa sorgen und Frieden in der Welt
erreichen.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Wolfgang Gehrcke, Die Linke, spricht
jetzt als nächster Redner.
({0})
Schönen Dank, Herr Präsident. - Wir wollten hier
eine Debatte über die geschichtlichen Hintergründe und
über Widersprüche - Karl Liebknecht kann man nur differenziert betrachten, genauso wie Rosa Luxemburg; das
ist doch selbstverständlich - anstoßen, und wir wollten
eine Debatte über die Erinnerungskultur hier im Hause
anstoßen. Dass es viele andere Plätze gibt, die an Karl
Liebknecht erinnern, ist kein Argument, warum nicht
auch in diesem Parlament, in dem die AuseinandersetWolfgang Gehrcke
zungen stattfanden, in besonderer Art und Weise an Karl
Liebknecht erinnert werden sollte.
({0})
Mit einer künstlerisch gestalteten Plakette oder Tafel
- wie auch immer - möchte ich eine Debatte vom Zaune
brechen und die Erinnerung an Karl Liebknecht wachhalten, an einen beeindruckenden, mutigen Abgeordneten, der als Einzelner gegen eine große Fraktionsmehrheit in dieser Frage gestimmt hat und konsequent
geblieben ist. Diesen Mut muss man in diesem Parlament doch würdigen können, Frau Lotze. Da ich nicht so
viel Zeit habe, will ich Ihnen jetzt nicht vorlesen, was
unser Parlamentspräsident, Herr Lammert, dazu geschrieben hat. Er ist darauf eingegangen und hat den Mut
von Karl Liebknecht gewürdigt.
({1})
Es geht darum, diesen Mut hier im Parlament zu würdigen und nicht nur an anderen Plätzen.
Ich möchte, dass die aus meiner Sicht entscheidende
Frage der damaligen Zeit - ja oder nein zu Kriegskrediten und damit ja oder nein zum Krieg - hier wieder aufgerufen wird. Damit werden wir uns immer auseinandersetzen müssen. In einer Zeit der Trommeln und
Hurrarufe hat Karl Liebknecht eine andere Richtung eingeschlagen. Ich glaube, diese Richtung ist für die Geschichte Deutschlands von außerordentlich großer Bedeutung und darf daher nicht verdrängt werden.
({2})
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg haben ihre mutigen Enthaltungen später mit dem eigenen Leben bezahlt. Hunderttausenden Menschen war ihr Leben bereits auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges
geraubt worden. Ich sage Ihnen: Wer über 1945 nachdenkt, über die Befreiung vom Faschismus, darf über
1933, über die Machtübernahme der Nazis, nicht hinweggehen, und die Machtübernahme begann mit der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg,
mit dem Bündnis der Eliten des Kaiserreichs, den Militärs, dem deutschen Kastenwesen und der Rüstungsindustrie. Dagegen hat Liebknecht Widerstand geleistet.
Bei aller Differenziertheit der Untersuchungen zum Ersten Weltkrieg: Dieses furchtbare Bündnis - Kastenwesen, Militärs, Rüstungsindustrie - ist immer noch lebendig bzw. lebendig geblieben. Mit ihm muss man sich
immer noch auseinandersetzen.
({3})
Hier im Bundestag haben wir in einer Gedenkstunde
gemeinsam die Rede des französischen Publizisten
Alfred Grosser als geistige Herausforderung wahrgenommen.
({4})
Vor dem Hintergrund der großen Rede, die Alfred
Grosser gehalten hat, schäme ich mich schon ein bisschen dafür, wie diese Debatte verläuft.
({5})
Man muss nicht alles teilen; aber man sollte sich erst
einmal auf dieses Niveau einlassen.
({6})
- Ja, „Setzen, sechs!“ für Sie.
Ich möchte gern, dass man auch über die Haltung von
Karl Liebknecht, die damaligen Auseinandersetzungen
und die Spaltung der Arbeiterbewegung nachdenkt; das
ist für mich ein wichtiges Thema. Die Spaltung der Arbeiterbewegung in diesem Lande hat mit dazu beigetragen, dass die Nazis die Macht erobern konnten. Die
Spaltung der Arbeiterbewegung aufzuheben, das bleibt
für mich die große Herausforderung, der wir alle gerecht
werden müssen.
({7})
Das wird nicht immer ganz einfach werden.
({8})
- Ich will die SPD ja gar nicht vorführen.
({9})
Ich will sie ja gewinnen; das ist doch bekannt.
({10})
Ich würde Ihnen zum Schluss gern noch einen Gedanken von Karl Liebknecht vorlesen,
({11})
den er 1912 aufgeschrieben hat. Damals hat er geschrieben:
Es kann kein Krieg mehr geführt werden, der nicht
begeisterten Widerhall in der Masse der Bevölkerung findet.
Das war, wie gesagt, 1912.
Und wie will man einen Krieg führen heutzutage,
wenn die Masse des Volkes nicht nur keine Begeisterung für den Krieg empfindet, wenn sie mit Abscheu, Hass und Empörung den Kriegshetzereien
gegenübersteht, wenn sie entschlossenen Willen besitzt, den Weltfrieden aufrechtzuerhalten, koste es,
was es wolle.
In dieser Frage war Karl Liebknecht, wie auch in anderen Fragen, seiner Zeit voraus.
Herr Kollege Gehrcke, auch bei großzügiger Auslegung der Redezeit müssen Sie zum Schluss kommen.
Ja, okay, ich komme zum Schluss. - In dieser Frage
war Liebknecht seiner Zeit, wie gesagt, voraus. Heute
erleben wir, dass Kriege nicht mehr gegen den Willen
der Bevölkerung einfach vom Zaun gebrochen werden
können. Ist das nicht eine gewaltige Errungenschaft? In
diesem Punkt bin ich mit Deutschland mehr versöhnt, als
ich es je gewesen bin. Auch darüber kann man doch gemeinsam nachdenken.
Herzlichen Dank.
({0})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Axel Schäfer, SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Unterschied zwischen 1914 und 2014 ist in einem Punkt
völlig klar: Der Beginn des Krieges 1914 war, besonders
in Deutschland, das Ergebnis der Erziehung für Verdun,
also der Vorbereitung auf den Krieg. Ich glaube, die historische Beurteilung in Deutschland hat vor 50 Jahren einen entscheidenden Durchbruch erzielt, nämlich den,
dass die Hauptverantwortung dafür beim Deutschen Kaiserreich lag; das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Wir müssen in dieser Debatte aber schon ein bisschen
differenzieren. Was die Kollegin Dağdelen hier dargelegt hat, zeigt eine andere Traditionslinie, und zwar die
Traditionslinie der KPD, für die der Hauptfeind immer
die SPD war. Wo das hingeführt hat - Stichwort „Sozialfaschismus“ etc. -, ist allgemein bekannt; das ist die andere Seite.
({1})
Die Ausführungen, die der Kollege Lengsfeld zu Anfang gemacht hat, kann ich alle unterstreichen. Aber eines unterscheidet uns: Nein, man konnte am 15. Januar
1919 nicht die Stalinisierung der KPD und alles andere,
was dann geschah, sozusagen vorwegnehmen und sagen:
In den Worten und Taten von Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht war das alles angelegt. - Das ist wirklich
Unsinn.
({2})
Darüber sollten Sie sich ein bisschen besser informieren
und sich auch mit Rosa Luxemburgs Aussage „Freiheit
ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ auseinandersetzen. Gemeint waren diese Worte übrigens als Kritik
an der Russischen Revolution und nicht als Kotau davor.
Ja, Kollege Gehrcke, in einem Punkt haben Sie unbestreitbar recht - das muss ein Sozialdemokrat auch vor
diesem Auditorium sagen -: Die SPD hat seit genau 100
Jahren das Problem, dass die Auseinandersetzung um
den Krieg zu einer Spaltung geführt hat, die uns an vielen Stellen schwerstens zu schaffen gemacht hat und die
uns in Form weiterer Spaltungen - siehe Existenz der
Linkspartei und WASG-Gründung - bis in die heutige
Zeit zu schaffen macht; überhaupt keine Frage.
Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. 1914
hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, der
wie 13 andere in der Fraktion auch gegen die Kriegskredite war, gesagt: „In der Stunde der Gefahr lassen wir
das Vaterland nicht im Stich“. - Es gab die Vorstellung,
dass man angegriffen werden könnte. Der russische Zarismus, der britische Imperialismus und die Revisionsbestrebungen auf territorialer Ebene - auch in Frankreich haben dazu geführt, dass im Unterschied zu 1933/39
eben nicht diese Klarheit da war, sondern dass auch die
Mitglieder des Parlaments - auch die, die gegen den
Krieg waren - von der OHL und allen Verantwortlichen,
die damals an der Regierung waren, ein Stück desinformiert und hinter das Licht geführt wurden. Das ist der
grundlegende Unterschied.
Das Verdienst von Karl Liebknecht, damals als Erster
widersprochen zu haben, ist völlig unbestritten. Sehr
viele, die hinterher in der Sozialdemokratie geblieben
oder zur Sozialdemokratie zurückgekommen sind, haben
diesen Weg auch eingeschlagen. Viele von ihnen - ich
denke an Kurt Eisner - haben damals für ihre demokratische und antimilitaristische Überzeugung mit dem Leben bezahlt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit.
Warum können wir heute nicht einfach solch einen
Antrag beschließen?
Ein Grund ist: Bei einem solchen Antrag ist es nicht
möglich, apodiktisch einfach zu sagen: Das war es; das
war die Geschichte. Wir müssen uns darüber schon differenziert auseinandersetzen, und wir müssen auch die
Konsequenzen, die in der Demokratie gezogen worden
sind, aus meiner Sicht anders würdigen und wertschätzen.
Das allerwichtigste demokratische Ergebnis dieses
schrecklichen Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des
20. Jahrhunderts, war, dass sich der Parlamentarismus,
die Demokratie, die Frauengleichstellung und die Betriebsräte durchgesetzt haben. Das ist auch erkämpft
worden und war der fundamentale Unterschied zu 1945,
als es zur Niederlage und Befreiung kam.
Etwas anderes unterscheidet uns hier aber auch noch:
Ganz viele, die 1914/1918 widerstanden und hinterher
die Republik aufgebaut haben, wie insbesondere die
Sozialdemokraten, aber auch die Liberalen und das Zentrum, haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, weil sie gegen diejenigen für Demokratie standen, die den Krieg
herbeigeführt und hinterher mit der Durchstoßlegende
die Demokratie kaputtgemacht haben. Das ist der eindeutige Unterschied zu 1945.
Es ist jetzt nicht die richtige Reaktion, dass wir über
das Anbringen einer Gedenktafel nachdenken. Ich
glaube, es ist wichtig für uns, dass wir eine Diskussion
darüber führen; denn spätestens seit der Rede von
Richard von Weizsäcker hat im Bundestag quer durch
alle Parteien eine Entwicklung stattgefunden. Wir haben
Axel Schäfer ({3})
uns mit unserer Geschichte nach vorne gewandt auseinandergesetzt. Alle alten Ideologien, durch die viele
Dinge beschönigt wurden - Deutschlands Rolle wurde
so heruntergeredet, dass möglichst die anderen Schuld
hatten und unsere Verantwortung relativiert wurde -,
wurden beseitigt. Damit ist zum Beispiel der 30. Januar
1933 nicht mehr vom 8. Mai 1945 zu trennen.
Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen im
Ausschuss wirklich, in diesem Parlament mit dazu beizutragen, dass wir zu einer differenzierten, kritischen
und selbstkritischen Debatte kommen. Gedenktafeln
sind richtig und wichtig; für die 94 Reichstagsabgeordneten, die 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, ist das auch völlig unumstritten. Für alle
weiteren Diskussionen steht die SPD zur Verfügung.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1950 ({0}) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden, weil ich keinen Widerspruch höre.
Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens
Drucksache 18/1284
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
Drucksache 18/2009
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. André Berghegger, CDU/CSU,
das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten abschließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens; der Titel ist so kompliziert, dass man ihn
aufschreiben muss, um ihn fehlerfrei vorzutragen.
Wir werden mit diesem Änderungsgesetz verschiedene Veränderungen vornehmen und dafür sorgen, dass
sie reibungslos in das Melderecht eingefügt werden. Dabei geht es insbesondere um die steuerliche Gleichstellung von Ehen und Lebenspartnerschaften, die mit diesem Änderungsgesetz nachvollzogen werden soll. Trotz
dieser fortgeschrittenen Stunde werden wir eine ausführliche Debatte führen. Ich glaube, das ist angesichts der
Vorgeschichte gut und richtig so.
Der Bundesrat hat uns gebeten, zu prüfen, wie bei
Kirchen beschäftigte Personen, die eine Lebenspartnerschaft führen, und wiederverheiratete Geschiedene in ihren Interessen geschützt werden können; denn diese
Lebenssituationen können Loyalitätsverstöße gegen
kirchliche Vorschriften darstellen. Das heißt, sie können
arbeitsrechtliche Relevanz haben. Das war - so habe ich
die Debatte wahrgenommen - der einzig wesentliche
Diskussionspunkt zwischen den Parteien.
Einige Stichworte zum Verfahren, wie es bisher gelaufen ist. Der Leiter des Kommissariats der deutschen
Bischöfe, Prälat Dr. Jüsten, hat uns schriftlich mitgeteilt,
dass die katholische Kirche die von den Meldebehörden
übermittelten Daten, also auch den Personenstand, nicht
für arbeitsrechtliche Zwecke nutzt. Im Dialog mit der
katholischen Kirche haben wir mehrere Gespräche geführt, auch unter Einbeziehung der Oppositionsparteien.
Wir haben auf Wunsch der Oppositionsparteien eine
Sachverständigenanhörung im Innenausschuss durchgeführt. Das heißt, wir wollen alle einbeziehen. Wir wollen
uns umfassend über dieses Thema informieren und eine
ausgewogene Lösung finden. Ich denke, inhaltlich haben
wir eine gute Lösung gefunden, wie auch die Debatte im
Innenausschuss gezeigt hat.
Aber dennoch ein Hinweis auf das geltende Recht.
Nach dem Zweckbindungsgrundsatz sind im Datenschutzrecht die Betroffenen schon jetzt geschützt; denn
Daten dürfen nach diesem Grundsatz nur zu dem Zweck
verwendet werden, zu dem sie auch erhoben bzw. übermittelt worden sind. Das ist in diesem Fall das Steuerrecht, aber nicht das Arbeitsrecht.
Die schriftliche Zusage von Prälat Jüsten hat sich in
den Gesprächen und in der Sachverständigenanhörung
bestätigt, aber dennoch wollen wir natürlich die Sorgen
und Nöte ernst nehmen. Deswegen wird es eine Ergänzung geben. Es wird eine rechtsverbindliche Klarstellung in den kirchlichen Amtsblättern der Bistümer geben, also einen Hinweis, dass die Meldedaten nicht für
arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden dürfen.
Mit dieser Regelung hätte ich mich gut einverstanden
erklären können. Sie wäre aus unserer Sicht ausreichend
gewesen. Dennoch werden wir einen Änderungsantrag
vorlegen, mit dem in § 42 des Bundesmeldegesetzes eine
Klarstellung aufgenommen wird. Darin wird aufgenommen, dass die übermittelten Daten nicht für arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden dürfen. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass hierdurch keine neuen Pflichten
begründet werden. Das ist eine rein deklaratorische Änderung. Das ist eine angemessene Regelung.
Wir greifen diese Regelung nicht auf - Herr Beck, ich
greife Ihnen wahrscheinlich vor, das haben Sie auch im
Innenausschuss gesagt -, weil Sie die Sachverständigen4230
anhörung beantragt haben, sondern weil wir von Anfang
an Fragen und Unklarheiten vermeiden wollen. Deswegen erfolgt diese Klarstellung im Bundesmelderecht.
({0})
- Gemach, gemach. - Noch ein Hinweis an dieser Stelle.
Die Kirchen haben aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht gewissermaßen einen
Anspruch darauf, vom Staat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Daten und damit auch die Personenstandsdaten zu erfahren; denn die Familienstandsdaten brauchen sie zur Steuererhebung. Wir werden den
Änderungsantrag der Grünen ablehnen. Er ist aus unserer Sicht viel zu weitgehend. Er ist nicht erforderlich und
verfassungsrechtlich, höflich formuliert, sehr bedenklich.
({1})
Bei mir - ich darf Sie noch einmal ansprechen, Herr
Beck - verfestigt sich der Eindruck, dass es Ihnen in dieser Debatte eigentlich gar nicht um das Melderecht geht,
sondern Sie stellen - so haben Sie es in den Gesprächen
immer wieder betont - auf das Staatskirchenrecht ab. Ich
vermute - das ist mein Eindruck -, dass Sie wesentliche
Elemente des Staatskirchenrechts infrage stellen. Das hat
aber nichts mit diesem Melderecht zu tun, sondern das
muss an geeigneter Stelle thematisiert werden.
({2})
Lassen Sie uns hier über das Melderecht reden und
das Staatskirchenrecht an der geeigneten Stelle diskutieren. Deswegen werbe ich um den aus meiner Sicht angemessenen Vorschlag der Änderung des Melderechtes.
Wir werden auf Wunsch der Länder das Inkrafttreten
des Gesetzes vom 1. Mai auf den 1. November 2015 hinausschieben. Das ist eine angemessene Lösung.
Herzlichen Dank für das freundliche Zuhören.
({3})
Für die Linken spricht jetzt der Kollege Frank
Tempel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ja, wir debattieren heute noch einmal gesetzliche Änderungen zur Fortentwicklung des Meldewesens. Das habe ich mir auch aufgeschrieben.
Das heißt, auf der einen Seite geht es um notwendige
Datenerhebungen vom Bürger für den Staat, um grundsätzlich eine Vielzahl von staatlichen Verwaltungsvorgängen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite geht es in
einem solchen Gesetz auch um den Datenschutz, also
Schutz vor missbräuchlicher Datenverarbeitung. Bei diesem Teil geht es um das verfassungsmäßige Recht auf
informationelle Selbstbestimmung, den Schutz der Persönlichkeitsrechte bei der Datenverarbeitung und auch
den Schutz der Privatsphäre.
Selbstverständlich sind das alles Kriterien, bei denen
sehr unterschiedliche Abwägungen und Bewertungen
zum Tragen kommen. In der jetzigen Regierung haben
sich zwei Fraktionen gefunden, die oftmals gar nicht
genug Daten erheben können, wenn sie nur irgendwie
verwendbar sind. Die Fraktionen, die eindeutig einen
größeren Schwerpunkt auf die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Datenerhebung Wert legen, also die
Datensparsamkeit vertreten, finden sich in der Opposition zusammen.
Auch bei den aktuellen Melderechtsänderungen geht
es neben den notwendigen Anpassungen, die sich auf andere Rechtsänderungen beziehen, erneut um Fragen wie:
Sammelwut oder Sammelsparsamkeit? Datenschutz oder
eher großzügige Weitergabe im Vertrauen auf die korrekte Verwendung der Daten?
Auch bei einer zugegeben sehr sachlichen Debatte im
Ausschuss, im Parlament, in Berichterstattergesprächen
und Sachverständigenanhörungen ist mit dem vorliegenden Entwurf mit nicht akzeptablen Lösungsansätzen aus
Sicht der Linken kein Fortschritt erzielt worden. Ich
möchte auf einige Beispiele eingehen.
Sie haben es schon angesprochen: Die Weitergabe
von Personenstandsdaten an Religionsgemeinschaften
als Arbeitgeber ist aus unserer Sicht nach wie vor ein Risiko für die betroffenen Beschäftigten.
({0})
Eine Lebenspartnerschaft oder auch eine zweite Eheschließung nach einer Scheidung können zum Beispiel
in der katholischen Scheidung zur Kirche führen.
({1})
- Okay: in der katholischen Kirche zur Scheidung führen. Das sei mir um diese Zeit verziehen.
({2})
Der Änderungsantrag der Regierungskoalition stellt
zumindest die Absicht klar, diese Datenermittlung nicht
arbeitsrechtlich zu verwenden. Wir respektieren auch,
dass es nach dieser gründlichen Debatte zu diesem Änderungsantrag kommt, aber er ist aus unserer Sicht nicht
ausreichend und nicht bestimmt genug.
({3})
Denn machen wir uns nichts vor: Wenn diese Erkenntnis
zum Beispiel über die erneute Eheschließung eines Kirchenbeschäftigten erst einmal bei seinem Arbeitgeber
angekommen ist, dann lässt sich auch sehr schnell eine
Ersatzbegründung finden, und dann kommt es eben doch
zur Kündigung. Das kann nicht im Sinne eines Meldegesetzes sein.
({4})
Dr. André BergheggerDr. André Berghegger
Merkwürdig ist auch ein weiterer Teil - wir bleiben
immer schön beim Meldegesetz, wie Sie es gefordert haben -: Gegen die allgemeine Übermittlung der Daten an
Religionsgemeinschaften können bestimmte Familienmitglieder Widerspruch einlegen. Nach dem Gesetzentwurf können auch diese Widersprüche an die Religionsgemeinschaften übermittelt werden. Machen wir uns
nichts vor: Das hebelt den Schutzzweck des Widerspruchs völlig aus.
({5})
Noch ein Beispiel zum Thema Religionsgemeinschaften: Wozu sollen die frühere Anschrift eines Mitglieds
der Religionsgemeinschaft sowie die aktuellen und früheren Adressdaten von Familienangehörigen übermittelt
werden? Mit der Erfüllung einer Aufgabe einer Religionsgemeinschaft hat das gar nichts zu tun. Auch mit
Datensparsamkeit hat das nichts mehr zu tun.
({6})
Letztendlich wurde die Chance einer Änderung des
Meldegesetzes nicht genutzt, um die von Datenschützern
mehrfach geforderte Änderung vorzunehmen. Das hätten wir bei dieser Gelegenheit machen können. Die Grünen versuchen, das mit Änderungsanträgen zu erreichen,
was wir natürlich mit unserer Zustimmung unterstützen
werden. Ich spreche von der Hotelmeldepflicht und auch
der Pflicht des Wohnungsgebers zur Mitwirkung bei Anund Abmeldung, weil Aufwand und Nutzen nicht im
Verhältnis stehen. Das hätte man schon längst kürzen
können.
Es ist auch bei der Regelung geblieben, dass Unternehmen, die bei den Meldeämtern personengebundene
Daten erwerben, die Einwilligung des jeweiligen Bürgers zur Weitergabe vorlegen. Sicherer wäre gewesen,
die Meldebehörden holen sich diese Einwilligung selber.
Dann hätten sie die Gewährleistung, dass diese echt ist,
bevor sie die Daten an Unternehmen weitergeben.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solchen Schwachstellen im Datenschutz gespickt, ist es leider ein Gesetz
geworden, dem die Linke auch nach der sachlichsten
Debatte nicht zustimmen kann.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Einen schönen Abend
von mir, auch einen schönen Abend unseren späten Gästen hier im Parlament. Die nächste Rednerin ist Gabriele
Fograscher für die SPD.
({0})
Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf regelt
zum einen technische Einzelfragen, die zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens
notwendig sind, zum anderen wird die steuerliche
Gleichstellung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften, die das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat, jetzt im Melderecht vollzogen.
Diese Änderungen müssen wir jetzt vornehmen; denn
die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im November
2015 brauchen wir für die technisch-organisatorischen
Umsetzungsmaßnahmen. Außerdem wollen wir mit dem
Gesetz auch noch den Bundesrat zu seiner Sitzung am
11. Juli erreichen.
Die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts hat uns vor ein Problem gestellt, das auch der Bundesrat thematisiert hat. Die Meldebehörden übermitteln
bisher die Daten über Begründung oder Auflösung einer
Ehe an die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften. Aufgrund der steuerlichen Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften müssen die Daten über
Begründung oder Auflösung einer solchen nun auch an
Religionsgemeinschaften übermittelt werden.
Die Religionsgemeinschaften benötigen diese Daten
zum Beispiel für die Erhebung der Kirchensteuer oder
für pastorale oder soziale Seelsorge. Das kann zu Problemen führen. Prälat Dr. Jüsten erklärte in der Anhörung
zu diesem Gesetzentwurf - ich zitiere -:
Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten Kirchen haben nach alledem einen Anspruch auf Übermittlung des Familienstandes. Ich
möchte bereits an dieser Stelle zugleich deutlich
machen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften auch umfasst, dass die Religionsgemeinschaften ihren Beschäftigten Loyalitätsobliegenheiten auferlegen können, die sich auch
auf das Privatleben erstrecken.
Das bedeutet, dass sich Beschäftigte der katholischen
Kirche auch in ihrer privaten Lebensführung an die moralischen Vorgaben der Kirche halten müssen. Eingetragene Lebenspartnerschaften und die Wiederverheiratung
nach einer Scheidung entsprechen nicht diesen Vorstellungen.
Prälat Dr. Jüsten, als Vertreter der katholischen Kirche, versicherte in der Anhörung, dass die Meldedaten,
vor allem der Familienstand, noch nie für arbeitsrechtliche Zwecke verwendet wurden. Das mag durchaus sein.
Ein Pfarrer in einer Gemeinde hat sicherlich andere
Möglichkeiten als die Meldedaten, um etwas über die
Lebenssituation seiner Beschäftigten zu erfahren. Manches erfährt er von den Betroffenen selbst, manches sicherlich auch über die Kollegen und Kolleginnen der
Betroffenen.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen es ausdrücklich, dass die katholische Kirche eine Klarstellung
zum Melderecht in den Amtsblättern ihrer Bistümer veröffentlicht hat. Darin heißt es:
Zur Klarstellung wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die seitens der kommunalen Meldebehörden übermittelten Daten nicht für arbeitsrechtliche Zwecke, insbesondere die Anbahnung,
Durchführung oder Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen, genutzt werden dürfen.
Doch bei dem Problem, das wir als Bundesgesetzgeber zu lösen haben, geht es nicht nur um die katholische
Kirche, sondern um alle Religionsgemeinschaften, die
Meldedaten erhalten oder in Zukunft erhalten könnten.
({0})
Wir als Bundesgesetzgeber müssen deshalb zwischen
den berechtigten Interessen der Religionsgemeinschaften und den schutzwürdigen Interessen der betroffenen
Beschäftigten einen Ausgleich finden. Deshalb halten
wir es für richtig, im Gesetz eine Klarstellung vorzunehmen. Wir werden § 42 um die Worte „nicht jedoch zu arbeitsrechtlichen Zwecken“ ergänzen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass diese Ergänzung
kein Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche zum
Ausdruck bringen soll. Es geht um alle öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften, nicht nur um
die katholische Kirche.
Bündnis 90/Die Grünen haben Änderungsanträge gestellt. So soll zum Beispiel die Mitwirkungspflicht des
Wohnungsgebers bei An- und Abmeldung wieder abgeschafft werden und die Hotelmeldepflicht entfallen.
Beide Anliegen haben wir in der Debatte über das Bundesmeldegesetz ausführlich diskutiert und begründet.
Wir werden deshalb diese Diskussion hier nicht mehr
fortsetzen und lehnen die Anträge ab.
Das Bundesmeldegesetz in der jetzt geänderten Fassung, das 2015 in Kraft treten wird, ist ein wichtiger
Baustein hin zu einer modernen Verwaltung. Ich danke
an dieser Stelle den Mitberichterstattern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die
Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher. - Nächster
Redner in der Debatte ist Volker Beck für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
mir zu dieser späten Stunde eine besondere Freude, zum
ersten Meldewesenfortentwicklungsänderungsgesetz reden zu dürfen. Es ist das erste seiner Art und ist deshalb
von ganz besonders epochaler Wirkung.
Wir führen in diesem Hohen Haus schon länger eine
Diskussion über die Frage, was wir im Melderecht im
Sinne der Datensparsamkeit brauchen; denn Datensparsamkeit ist einfach der beste Datenschutz. Daten, die es
nicht gibt, können nicht zu anderen Zwecken missbraucht werden.
Im Melderechtsrahmengesetz wurden einst die Mitwirkungspflichten der Vermieter gestrichen, weil sie
nichts brachten. Dann wurden sie im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens wieder eingeführt, ohne dass man neue Erkenntnisse gehabt hätte.
Wir meinen, dass die entsprechende Vorschrift wieder in
den Papierkorb gehört. Deshalb haben wir Ihnen einen
Änderungsantrag auf Streichung dieser Vorschrift vorgelegt.
Ähnliches gilt für die leidige Hotelmeldepflicht. Hier
fragt man sich: Wozu müssen wir das alles wissen?
Misstrauen wir allen Menschen, die in ein Hotel gehen?
Zumindest zur Durchführung eines Verwaltungsakts
braucht kein Mensch zu wissen, wer wann wo in welchem Hotel welche Nacht verbracht hat und welche Personen die Nacht miteinander verbracht haben. Das geht
den Staat nichts an. Deshalb sollte er diese Daten nicht
erheben. Wir schlagen Ihnen die Streichung der entsprechenden Vorschrift vor.
({0})
Richtig gestritten haben wir uns aber nicht über diese
Fragen. Denn es war klar: Hier liegen wir so weit auseinander, dass wir nicht zusammenkommen. Richtig auseinandergesetzt haben wir uns über die Weitergabe von
Familienstandsdaten an Religionsgemeinschaften, die
Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Hier zeigt
sich, dass die Opposition dazu beigetragen hat, dass die
Große Koalition zur Besinnung gekommen ist. Sie wollten ursprünglich in der letzten Sitzungswoche vor der
Haushaltswoche das Gesetz unverändert verabschieden.
Heute legen Sie es mit einer Änderung vor.
Nun wird immerhin festgelegt - das ist nur die zweitbeste Lösung; wir haben die beste -, dass Melderechtsdaten betreffend den Familienstand nicht für arbeitsrechtliche Zwecke missbraucht werden dürfen. Das ist
meines Erachtens - hier habe ich eine andere Meinung
als Sie, Herr Tempel - eine rechtlich relevante Änderung. Es ist mir egal, um welche Religionsgemeinschaften es dabei geht: um die katholische Kirche, die
Mormonen, die Zeugen Jehovas oder die künftigen islamischen Wohlfahrtsverbände.
In Zukunft muss ein Arbeitgeber, der jemanden wegen Wiederverheiratung oder einer geschlossenen Lebenspartnerschaft kündigen will, darlegen, dass die entsprechenden Informationen nicht aus den Meldedaten
stammen. Unter Umständen muss er auch darlegen, dass
er, wenn er eine andere Quelle angibt, diese Quelle nicht
erst angezapft hat, als er schon Ermittlungswissen aus
den Melderechtsdaten hatte, aufgrund dessen er wusste,
dass es sich um einen lotterhaft lebenden Menschen handelt, und dass er nicht über diesen Weg einen zweiten
Beleg gesucht hat, den er arbeitsrechtlich verwenden
darf. Das werden die Arbeitsgerichte zukünftig den Religionsgemeinschaften, die so etwas praktizieren, nicht
durchgehen lassen. Insofern ist das ein Schritt voran.
Sie haben völlig recht: Das hier ist nicht das Arbeitsrecht. Es geht auch nicht um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, bei dem solche Fragen in der Sache zu
regeln wären. Aber wir als Staat, als Melderechtgesetzgeber, haben die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Daten, die wir in einem staatlichen Zwangsverhältnis von
Volker Beck ({1})
den Bürgerinnen und Bürgern erheben, nicht zu ihrem
Nachteil an Dritte weitergegeben werden.
Da haben wir einen Fortschritt erreicht. Ohne die Anhörung, die wir zusammen mit den Linken erzwungen
haben, hätten Sie, Frau Fograscher, das nicht durchbekommen. Insofern zeigt sich: Wo wir helfen können, helfen wir gerne weiter. Dies ist ein schöner Tag, ein kleiner
Erfolg für die grüne Opposition gemeinsam mit der Linken.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Volker Beck.
Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Tim
Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir widmen uns heute zum zweiten Mal und damit abschließend der Fortentwicklung des Meldewesens. Ich
habe es jetzt etwas abgekürzt. In meiner letzten Rede
hatte ich noch voller Hoffnung angekündigt, dass wir die
Beratungen zu diesem Gesetz effektiv und zügig abschließen werden. Das ist bedauerlicherweise nicht eingetreten.
Unstrittig ist die Umsetzung einiger Vorschläge, die
der Bundesrat eingebracht hat. Dazu zählt einerseits die
Ergänzung der Datenübermittlung an öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften um die letzte frühere
Anschrift der Mitglieder und Familienangehörigen
und andererseits die einmalige Übermittlung des Datenbestandes zur Inbetriebnahme der regelmäßigen Datenübermittlung.
Ein Punkt war und ist jedoch strittig: das Ansinnen
des Bundesrates, für Kirchenbeschäftigte, die eine Lebenspartnerschaft führen oder als Geschiedene eine
zweite Ehe eingegangen sind, ein Sonderrecht zu schaffen, das die Übermittlung von diesbezüglichen Daten an
die Kirchen verhindert. Damit sollen mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen vermieden werden.
Dies hat zu reichlich Diskussionen und sogar einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses geführt. Ich
habe schon meine Zweifel, ob dies wirklich alles notwendig war; denn schon jetzt dürfen die Kirchen die
übermittelten Meldedaten nicht für arbeitsrechtliche
Zwecke einsetzen, und sie tun es auch nicht. Dies wurde
uns von Prälat Jüsten, dem Leiter des Kommissariats der
deutschen Bischöfe, versichert, und zwar glaubhaft und
mehrfach. Schließlich bewegen sich die Kirchen nicht
im rechtsfreien Raum. Sie unterliegen ebenfalls Datenschutzbestimmungen und weiteren Vorschriften.
Man konnte bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfs den Eindruck gewinnen, dass die Grünen die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, unter den Generalverdacht der datenschutzrechtlichen Untreue stellen
wollen. Aus der Thematik wurde ein Politikum sondergleichen gemacht. Der Tiefpunkt war die Anhörung, in
der der von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Grünen-Fraktion, benannte Sachverständige das
Melderecht zum Vehikel für eine Generalabrechnung mit
der katholischen Kirche machte.
({0})
Diese Äußerungen gehörten dort nicht hin. Schließlich
saß man nicht in einem kirchenpolitischen Seminar der
Heinrich-Böll-Stiftung, sondern in einer Anhörung des
Deutschen Bundestages zum Meldewesen.
({1})
Sie haben dann - auch das haben wir schon gehört einen Änderungsantrag vorgelegt, nach dem die Meldedaten nur dann übermittelt werden dürfen, wenn die Kirchen zuvor ausdrücklich erklärt haben, keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen aufgrund eines bestimmten
Familienstandes zu ziehen. Es hat sich schnell herausgestellt, nicht zuletzt in der Anhörung, dass eine solche
Regelung verfassungswidrig wäre. Sie wäre verfassungswidrig, weil es ein im Grundgesetz garantiertes
Selbstbestimmungsrecht der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften gibt. In dieses Recht würde mit Ihrer
Regelung in unzulässiger Weise eingegriffen.
({2})
Hinzu kommt, dass Ihr Vorschlag auch rechtssystematisch daneben ist, Herr Beck. Sie wollen eine arbeitsrechtliche Frage im Melderecht regeln.
({3})
Das müssen Sie einmal denjenigen erklären, die dieses
Recht anwenden müssten. Aber dies alles ficht Sie in
keiner Weise an.
Als Ergebnis der langen Diskussionen steht nun zu
Buche - das soll hier nicht unerwähnt bleiben -, dass die
Einführung des Bundesmeldegesetzes um ein halbes
Jahr verschoben werden muss. Aus meiner Sicht kann
man hier schon von einem schuldhaften Zögern sprechen; denn man konnte nicht den Eindruck gewinnen,
dass es den Grünen in erster Linie um das Melderecht
ging. Stattdessen haben sie den parlamentarischen Beratungsprozess zu diesem konkreten Gesetzgebungsvorhaben dazu benutzt, eine Fehde mit der katholischen Kirche auszutragen. Die vielen Vorteile, die das
neue Melderecht bringen wird, nämlich die Senkung der
Bürokratiekosten, wodurch die Wirtschaft laut Bundesinnenministerium jährliche Kosten im dreistelligen Millionenbereich einspart, aber auch die Bekämpfung von
Scheinanmeldungen - dies alles kann nun erst verspätet
starten.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Freude uns
allen die Beschäftigung mit dem Meldewesen bereitet,
lieber Herr Beck, ist es dennoch auch ein Grund zur
Freude, dass wir die Debatte mit unserem heutigen Beschluss zum Änderungsgesetz endlich abschließen können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Danke, Herr Kollege. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2009, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1284 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 18/2022. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist bei
Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 18/2023. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung
von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 18/2024. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung
von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten
hat sich die Linke.
({0})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenige, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus den Erkenntnissen des
NSU-Untersuchungsausschusses
Drucksache 18/776
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Es gibt keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor circa einem Jahr haben alle Fraktionen des Bundestages einmütig in einem gemeinsamen Votum im Abschlussbericht zum NSU-Untersuchungsausschuss hier
in diesem Hause bekräftigt - Zitat -:
Wir müssen mehr gegen Rassismus und rechte Gewalt tun, auf allen Ebenen! Initiativen brauchen
eine bessere und verstetigte Förderung.
Dieser Konsens wurde im Frühjahr dieses Jahres wiederum vom ganzen Haus in einem Antrag für diese Wahlperiode bekräftigt. Somit haben die Fraktionen und die
Ministerien Arbeitsaufträge für die nächsten drei Jahre.
Die grüne Bundestagsfraktion gab zum Abschluss des
NSU-Untersuchungsausschusses ein Sondervotum ab.
Die wichtigsten Forderungen sind in den Antrag, über
den wir heute diskutieren, eingeflossen. Wir fordern einen Neustart beim Bundesamt für Verfassungsschutz,
Konzepte für eine neue Polizeikultur und eine langfristige und verlässliche Förderung von Initiativen gegen
Rechtsextremismus.
Kanzlerin Merkel versprach den Angehörigen der
Opfer eine lückenlose Aufklärung. Doch bis heute sind
immer noch viele Fragen unbeantwortet. So bitter es
klingt: Ohne die Blindheit auf dem rechten Auge hätte
man den NSU früher enttarnen und Morde verhindern
können.
({0})
Die einzig logische Schlussfolgerung daraus muss
lauten: Kein „Weiter so!“, sondern eine Zäsur und ein
Neustart bei der Sicherheitsarchitektur. Aber im gerade
beschlossenen Haushalt für dieses Jahr erfolgt das Gegenteil: Der Verfassungsschutz wird für sein Versagen
mit mehr Kompetenzen und zusätzlichen Millionen ausgestattet. Das ist ein Skandal,
({1})
einerseits, weil sich die Angehörigen der Opfer einmal
mehr vor den Kopf gestoßen fühlen müssen; andererseits, weil das Geld dann dort fehlt, wo tatsächlich wirksam gegen Demokratiefeindlichkeit gearbeitet werden
kann: bei den zivilgesellschaftlichen Initiativen.
Gerade verkündete Ministerin Schwesig die Eckpunkte für das neue Bundesprogramm ab dem nächsten
Jahr. Wer mehr Geld erhofft hatte, wurde enttäuscht. Es
wird nicht mehr geben als - wie bisher - die 30,5 Millionen Euro pro Jahr. Dabei wären 50 Millionen Euro jährlich das Mindeste, um gute Strukturen nicht nur zu sichern, sondern bundesweit auf ein gutes Niveau
auszubauen.
Auch die vom NSU-Untersuchungsausschuss angemahnte Verstetigung erfolgt nicht. Immerhin soll die
Förderperiode auf fünf Jahre ausgedehnt werden. Das ist
ein Schritt nach vorn; denn damit entfällt die Zitterpartie, die es jedes Mal zum Ende der Wahlperiode gab. Für
diese Verbesserungen möchte ich auch Ministerin
Schwesig und ihrem Team ganz ausdrücklich danken.
Da könnte zumindest die SPD einmal klatschen.
({2})
- Auch der Koalitionspartner, sehr gut!
Gleichzeitig sage ich - jetzt kommt wieder die bittere
Pille -: Das genügt uns nicht. Notwendig ist eine dauerhafte Absicherung auf gesetzlicher Grundlage.
({3})
Wir von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Ministerin gerne, wenn sie diesen Weg weitergeht. Wir brauchen einen fraktionsübergreifenden Konsens gegen
Rechtsextremismus; denn das heißt „Demokratie leben!“, wie ja der Name des neuen Bundesprogramms zu
Recht lautet.
Wir müssen aber auch staatliche Behörden wie Polizei und Justiz sensibilisieren und uns auch mit dem institutionellen Rassismus befassen. Wir brauchen gezielte
Bildung, unabhängige Forschung und kompetente Beratung, die schon bei der Ausbildung beginnt.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Aufarbeitung des Versagens ist eine Aufgabe von Behörden, von
Bundesregierung und Bundestag. Jetzt müssen klare
Konsequenzen gezogen werden. Für die Behebung
struktureller Mängel brauchen wir Reformen bei den Sicherheitsbehörden, eine bessere Qualifizierung ihres
Personals sowie eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus auf allen Ebenen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Kollegin Monika Lazar. - Nächster
Redner in der Debatte ist Clemens Binninger für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 14 Banküberfälle und Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland,
die die Täter nicht erkannt haben: Das waren die erschütternden Befunde des Versagens.
Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode in einem Untersuchungsausschuss damit beschäftigt, dieses
Versagen aufzuklären. Ich sage in jedem Debattenbeitrag
immer wieder: Es war nicht nur der Verfassungsschutz,
der Fehler gemacht hat, sondern es gab Fehler bei der
Polizei, aber auch bei der Justiz. Auch unsere föderale
Sicherheitsarchitektur war beim Zusammenwirken der
verschiedenen Sicherheitsbehörden nicht gerade hilfreich. Der Ausschuss hat aber durchaus - ich glaube, dafür sind wir alle, die wir mitgearbeitet haben, und dafür
sind alle Fraktionen, die ihn getragen haben, verantwortlich - etwas geleistet, das wir so bisher noch nie hatten.
Parteiübergreifend 15 Monate etwas zu untersuchen und
einstimmig zu einem Abschlussbericht mit 47 Empfehlungen zu kommen, das ist so bisher noch nie dagewesen. Wir waren uns immer einig, Frau Kollegin Lazar,
dass wir natürlich parteipolitische Unterschiede haben,
die auch nicht weggewischt werden. Das gilt für uns, die
CDU/CSU, natürlich genauso wie für die Linken.
Ich glaube, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn
wir nach den 47 Maßnahmen, die wir einstimmig beschlossen haben - Sie haben darauf hingewiesen: der
Bundestag hat dieses Ergebnis übernommen -, schon
sehr früh wieder sagen: Aber die eine Fraktion hätte
noch diese Vorschläge, und die andere Fraktion hätte
noch jene Vorschläge. - Ich glaube, es wäre besser, wenn
wir uns nach wie vor gemeinsam daranmachen würden,
dafür zu sorgen, dass in dieser Legislaturperiode die
47 Maßnahmen umgesetzt werden, die wir gemeinsam
identifiziert haben; dann leisten wir, glaube ich, der Sache den größten Dienst, und dann erreichen wir auch die
Verbesserungen, die wir dringend brauchen.
({0})
Ich will nur drei Maßnahmen nennen: bessere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz, was Informationsaustausch angeht; Reformen im Verfassungsschutz - die sind teilweise schon begonnen worden und eine grundlegende Reform des V-Leute-Wesens.
Hier sage ich wieder: So wie im Bereich Rechtsextremismus in den Jahren, als der NSU seine Straftaten verübt hat, V-Leute eingesetzt waren, standen Aufwand und
Risiko in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Das
muss sich dringend ändern. Das sollten wir gemeinsam
anpacken, obwohl ich weiß, dass Sie in der letzten Konsequenz etwas anderes wollen als wir.
Aber jetzt ganz ehrlich: Ich glaube, wenn wir sehr
früh schon wieder die parteipolitischen Debatten führen,
laufen wir eher Gefahr, dass von den 47 gemeinsamen
Vorschlägen der eine oder andere auf der Strecke bleibt.
Deshalb wäre mein Appell, diese Dinge, so wie wir es
im Ausschuss auch gehandhabt haben, noch einmal zurückzustellen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass
diese 47 Maßnahmen umgesetzt werden: im Bereich
Verfassungsschutz, im Bereich Polizei, im Bereich Justiz, im Bereich zivilgesellschaftliches Engagement, wo
wir auch mehr tun müssen; da sind wir uns einig. Wir
sind nicht weit auseinander.
Aber andere Punkte, die Sie in Ihrem Antrag haben,
finde ich, haben mit dem NSU-Ausschuss direkt wenig
bis gar nichts zu tun. Bei der Kennzeichnung von Polizeibeamten oder anderen Dingen mehr sind wir einfach
anderer Auffassung.
Trotz dieser inhaltlichen Unterschiede, die, glaube
ich, bestehen bleiben - wir sollten sie aber nicht in den
Mittelpunkt der Debatte stellen -, bin ich dankbar für
den Antrag, weil er das Thema NSU, wenn auch zu später Stunde, noch einmal auf die Tagesordnung setzt. Wir
alle, die wir im Ausschuss gearbeitet haben - Petra Pau,
Eva Högl, Hans-Christian Ströbele, ich selber -, nehmen
in diesen Tagen wahr - Sie haben es kurz angesprochen -:
Viele Fragen sind trotz unserer Arbeit ungeklärt. Wir
hatten nur 15 Monate Zeit, was wahnsinnig wenig war.
Wir hatten viele Dinge zu untersuchen. Ich bin deshalb
froh, dass es auch in Länderparlamenten, wo es bisher
noch keine solchen Ausschüsse gab, jetzt Untersuchungsausschüsse gibt, nämlich in Hessen und Nordrhein-Westfalen.
Aber ein Bundesland - es fällt mir schwer, das zu sagen, weil ich aus dem Bundesland komme; man muss es
aber sagen - ziert sich und will irgendwie nicht. Ich
frage mich, warum. Das ist Baden-Württemberg. BadenWürttemberg ist das Bundesland, von dem wir wissen,
dass die meisten personellen Bezüge des NSU dorthin
geführt haben. 52 Personen aus dem NSU-Umfeld - das
hat der Innenminister selber eingeräumt - hatten Kontakte von oder nach Baden-Württemberg.
Ihrem Antrag werden wir nicht zustimmen. Aber
wenn wir uns heute Abend vielleicht auf zwei Dinge verständigen könnten, Frau Kollegin Lazar - das sage ich
auch in Richtung der anderen Fraktionen im Hause -,
wäre das schon etwas:
Lassen Sie uns in den Vordergrund stellen, die
47 Maßnahmen umzusetzen, dafür zu kämpfen, dass es
dort keine Abstriche gibt! Dann wäre es schön, wenn wir
in Baden-Württemberg - ich glaube, das müssen wir gemeinsam tun - vielleicht doch für eine kleine Veränderung sorgen und erreichen könnten, dass man auch dort
keine Scheu vor einem Untersuchungsausschuss hat.
({1})
- Ja, aber, ich glaube, wenn wir zwei es machen, hat es
auch schon einen Wert.
({2})
Das wäre in der Sache, glaube ich, ein guter Schritt.
Dann war die Debatte heute zu später Stunde durchaus
ein Erfolg.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Binninger. Danke für sehr
konstruktive Vorschläge in die Länder hinein! - Petra
Pau ist die nächste Rednerin für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin!
({0})
- Zumindest sind wir jetzt alle wieder wach.
({1})
- Nein, ganz im Gegenteil, Clemens Binninger. Ich
wollte gerade dem letzten Abschnitt der Rede ganz ausdrücklich zustimmen und noch erweitern - ich habe das
schon in mehreren Reden gesagt -: Wir haben in allen
Bundesländern, ob sie Tatorte waren oder ob das Unterstützernetzwerk dort unterwegs war, weiteren Aufklärungsbedarf. Das vorneweg.
Entschuldigung, Frau Präsidentin. Natürlich freue ich
mich, dass Sie da sind. Ich habe Sie noch nicht angesprochen, weil ich gleich auf den Zuruf eingegangen bin.
Im Tagesspiegel war jüngst zu lesen:
Die Zeichen mehren sich: Der NSU-Schock ist vorbei, die alten Routinen sind anscheinend stärker als
die öffentliche Scham nach dem NSU-Skandal.
In dem Artikel ging es um eine aktuelle Statistik der
Bundesregierung zu rechtsextremer Gewalt, die noch
immer oder schon wieder kleingerechnet wird; so als
hätte es das NSU-Desaster nie gegeben.
Es geht nicht nur um Zahlen. Noch immer kann keine
Rede von der bedingungslosen Aufklärung sein, die
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2012 versprochen hat. Ganz ausdrücklich: Das bezieht sich nicht
nur auf den Bund. Clemens Binninger hat es gerade
deutlich gemacht.
Der Schutz von V-Leuten der Sicherheitsbehörden
aus dem Nazimilieu gilt noch immer mehr als die Aufklärung rechtsextremer Verbrechen. Das jüngste Beispiel
hierfür lieferte Hamburg. Andererseits sterben V-Leute
plötzlich auf mysteriöse Weise, just in dem Moment, wo
sie Aussagen machen sollen. Die aktuellen Erklärungen
des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes
dazu im Innenausschuss waren nicht ausreichend. Ich erspare mir andere Vokabeln.
Also dreimal „noch immer“. Bündnis 90/Die Grünen
haben das anhaltende NSU-Desaster erneut auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt. Ich gestehe: Anderenfalls, vielleicht mit einem etwas anderen Einschlag,
hätte es die Linke in nächster Zeit getan;
({2})
denn noch immer wurde so gut wie keine der
47 Schlussfolgerungen aus dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt: nicht im Bund und
nicht in den Ländern. Das ist aus meiner Sicht nicht nur
schäbig, sondern auch gefährlich.
Bevor das NSU-Nazitrio aufflog, wollten die Behörden nichts von Rechtsterrorismus wissen. Zugleich lässt
sich aber Rechtsterrorismus nicht auf NSU reduzieren.
Es ist also höchste Zeit, aktiv zu werden, sowohl - da
bin ich ganz bei Ihnen - bei den 47 Forderungen, aber
auch im gemeinsamen Nachdenken darüber hinaus.
Damit zu einem letzten Punkt. Bündnis 90/Die Grünen schlagen in ihrem Antrag drei Aktionsfelder vor. Ich
nehme positiv auf, dass sich die Positionen der Grünen
und der Linken dabei weiter annähern.
Für die Fraktion Die Linke unterstreiche ich dabei
noch einmal drei Punkte:
Erstens. Die Ämter für Verfassungsschutz standen im
Zentrum des Versagens bei der NSU-Nazimordserie. Sie
sind Fremdkörper in einer lebendigen Demokratie, aus
meiner Sicht nicht reformierbar und kontrollierbar.
({3})
Deshalb sind die Ämter aufzulösen und die V-Leute-Praxis zu beenden.
Zweitens. Zu den gesellschaftlichen Initiativen und
zur dauerhaften Förderung wurde etwas gesagt. Die
Linke plädiert für ein Stiftungsmodell, fernab von parteipolitischen Konjunkturen.
Drittens. Wir müssen uns endlich dem Thema Rassismus zuwenden.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Pau. - Nächste
Rednerin in der Debatte: Gabriele Fograscher für die
SPD.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im November 2011 sind die schrecklichen Morde
des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt geworden. Wir alle waren schockiert. Keiner von uns hätte es
für möglich gehalten, dass eine rechtsextreme terroristische Vereinigung über Jahre hinweg in Deutschland
morden kann, Sprengstoffanschläge verüben kann, Straftaten begehen kann. Wir haben uns alle die Frage gestellt, wie das möglich war. Warum hat die Polizei bis
heute die Taten nicht vollständig aufklären können? Warum hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse?
Warum wurde ein rechtsextremistischer Hintergrund
nicht in Erwägung gezogen?
Der Untersuchungsausschuss, den ja alle Fraktionen
gemeinsam eingesetzt haben, hat eklatante Fehler der Sicherheitsbehörden offenbart. Die gewonnenen Erkenntnisse haben im Abschlussbericht zu gemeinsamen Empfehlungen geführt - 47 an der Zahl; wir haben es schon
gehört -, sich unter anderem mit der künftigen Struktur
der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, ihren Befugnissen und ihrer Qualifizierung, der effektiven Bekämpfung des Rechtsextremismus und der gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit, der kontinuierlichen Demokratieförderung, der Erweiterung der Bundesförderung und
der Verstetigung der Bundesprogramme zu befassen.
Trotz des Bundestagswahlkampfes 2013 ist es uns gelungen, uns auf diese gemeinsamen Empfehlungen und
Maßnahmen zu verständigen. Dies war und ist ein Signal
an die Opfer, die Angehörigen, die Öffentlichkeit, die
Behörden und die Institutionen. Wir waren uns auch alle
einig, dass sich dieses Thema nicht zur parteipolitischen
Profilierung oder zu parteipolitischen Alleingängen eignet.
Es ist das gute Recht und die Aufgabe der Opposition,
die Regierung zu kontrollieren, zu treiben oder auf Versäumnisse hinzuweisen. Aber - den Vorwurf kann ich
Ihnen nicht ersparen - mit dem Antrag, den Sie uns
heute hier vorlegen, kündigen Sie auch ein Stück weit
diesen gemeinsamen Konsens auf. Mit Ihrem Antrag unterstellen Sie uns Untätigkeit. Das weise ich entschieden
zurück. Sie behaupten in Ihrem Antrag, es hätte kein
Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns an die Opfer und die Angehörigen gegeben. Auch das ist nicht
richtig. Es gäbe viele Beispiele dafür. Ich verweise auf
den Besuch des Bundespräsidenten vor wenigen Wochen
in der Kölner Keupstraße. Er hat dabei den Opfern und
Angehörigen versichert, dass wir alle zusammengehören. Er sagte:
Und wir stehen zusammen, um allen, die von fremdenfeindlicher Gewalt bedroht sind, zu sagen: Ihr
seid nicht allein.
Auch wir hier im Deutschen Bundestag sind nicht
untätig gewesen. Wir haben diesen Beschluss aus der
letzten Legislaturperiode im Februar 2014 nochmals
bekräftigt. Wir werden die Arbeit des Parlamentarischen
Kontrollgremiums verändern. Wir geben uns nicht mehr
mit dem zufrieden, was die Dienste uns erzählen wollen.
Wir haben uns ein Arbeitsprogramm gegeben, für das
auch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Wir werden uns in nächster Zeit unter anderem mit folgenden Fragen befassen: Wie ist der Stand
bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses? Wie verhält es sich mit dem Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene? Welche
Maßnahmen ergreift der Militärische Abschirmdienst,
um extremistische Einstellungen und Bestrebungen von
Bundeswehrangehörigen aufzudecken? Wir wollen die
Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit den ausländischen Nachrichtendiensten näher
untersuchen.
Auch was die Stärkung der Zivilgesellschaft angeht,
haben wir gehandelt. Als nahezu erste Amtshandlung
haben Bundesfamilienministerin Schwesig und Bundesinnenminister de Maizière die sogenannte Extremismusklausel abgeschafft, ein wichtiges Signal für Initiativen
und an die Zivilgesellschaft. Für das neue, ab dem 1. Januar 2015 geltende Bundesprogramm „Demokratie
leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und
Menschenfeindlichkeit“ stehen 30,5 Millionen Euro zur
Verfügung. Dabei möchte ich betonen - das war uns
immer ganz wichtig -, dass Strukturprojekte ab dem
nächsten Jahr mit einer Laufzeit von fünf Jahren planen
können. Die mobilen Beratungsteams und die Opferberatung werden gestärkt.
Aber das ist nicht das einzige Programm, das wir haben: Vom Bundesinnenministerium gibt es das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“; es ist mit
6 Millionen Euro ausgestattet. Die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung haben wir in der vergangenen Woche für das Haushaltsjahr 2014 erheblich
aufgestockt. Das Bundesprogramm Xenos des Bundesarbeitsministeriums hilft jungen Menschen beim Ausstieg aus der rechten Szene. Auch wenn wir die Marke
von 50 Millionen Euro, die wir von der SPD angepeilt
haben, noch nicht erreicht haben, stehen dennoch mehr
Mittel zur Verfügung als bei der Vorgängerregierung.
Wir werden den Verfassungsschutz reformieren. Da
sind wir unterschiedlicher Meinung; denn unsere Auffassung ist: Wir brauchen den Verfassungsschutz. Wir
werden mit den Verfassungsschutzämtern der Länder
Gespräche über eine bessere und effektivere Zusammenarbeit führen.
Mir und uns allen ist klar, dass es noch viel zu tun
gibt; aber Untätigkeit kann man uns auch nicht vorwerfen. Was allerdings Zeit und Ideen braucht, ist das notwendige Umdenken in den Köpfen; damit beziehe ich
mich sowohl auf die Sicherheitsbehörden als auch auf
die Gesellschaft. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit
leisten und Sensibilität schaffen; dabei sind wir alle gefordert. Lassen Sie uns auf diesem gemeinsamen Weg
weitergehen. Parteipolitische Alleingänge sind dabei der
falsche Ansatz.
Vielen Dank.
({0})
Danke, Frau Kollegin Fograscher. - Zum Abschluss
spricht als letzter Redner in der Debatte Dr. Volker
Ullrich, Augsburg.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Mordserie der NSU-Terrorzelle hat dieses Land erschüttert. Auch heute Abend gedenken wir der Opfer,
und unsere Gedanken sind bei den Angehörigen.
Die Konsequenzen, die dieser Staat, der an eine wehrhafte, freiheitlich-demokratische Grundordnung glaubt
und sie verteidigt, gezogen hat, sind umfassend. Wir haben uns nicht mit reinem Bedauern zufriedengegeben;
der Untersuchungsausschuss hat 47 Maßnahmen aufgezeigt, die kenntlich machen, dass wir lernen und dass
dieser Staat weiterhin die Menschenwürde, die Freiheit
und den Rechtsstaat verteidigen möchte. Das ist ein
positives Signal.
({0})
Es ist auch zu begrüßen, wenn sich eine Fraktion weitere Gedanken macht. Jeder Gedanke, der diesen Staat
stärkt, mit seinen Rechten, mit seinen Grundwerten, mit
seiner Idee der Freiheit, ist in diesem Hause gerne gesehen. Das Problem ist nur, dass die Grünen mit ihrem Antrag diesen Staat zwar stärken möchten, ihn im Ergebnis
aber schwächen würden, weil die Instrumente, die sie
vorschlagen, nicht dazu führen würden, dass unsere Demokratie und unser Rechtsstaat stark bleiben. Vielmehr
würden sie Angriffspunkte für die Feinde unserer Freiheit schaffen. Das wollen wir in dem Maße nicht tolerieren.
Der Verfassungsschutz, meine Damen und Herren,
hat im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie schwere
Fehler begangen; das ist Konsens in diesem Hohen
Hause. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen,
dass der Verfassungsschutz weitreichende Aufgaben hat.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist
keine wertneutrale Verfassung, sondern eine, die sich an
der Menschenwürde, an der Gewaltenteilung und an der
Rechtsstaatlichkeit orientiert. Diese Werte hat der Verfassungsschutz zu verteidigen, auch mit Mitteln, die
möglicherweise im Bereich der geheimdienstlichen Aufklärung angesiedelt sind, weil auch die Feinde unserer
Freiheit nicht darauf warten, nur mit legalen Mitteln unsere Grundordnung anzugreifen.
({1})
Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es unsere gemeinsame Pflicht, den Verfassungsschutz dort, wo es
notwendig ist, zu reformieren und mehr Kontrolle und
mehr Transparenz einzuführen. Es ist unsere Pflicht, die
47 Punkte des Berichts gemeinsam umzusetzen, weil
durch diesen Ergebnisbericht des NSU-Untersuchungsausschusses letzten Endes unsere Verfassung und die
Menschenwürde in unserem Land gestärkt werden. Aber
lassen Sie uns nicht auf den Weg begeben, aus rein parteitaktischem Kalkül heraus Organe zu schwächen; denn
das bedeutet letztendlich eine Schwächung unseres Gemeinwesens. Das können wir alle nicht wollen.
({2})
Dieses Hohe Haus wird genügend Arbeit damit haben, die 47 Punkte des Berichts des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen.
({3})
Das wird uns in den nächsten Jahren sehr viel Kraft
kosten. Aber die Opfer dieser Mordserie, der hohe Wert
unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die
Würde des Menschen, die Rechtsstaatlichkeit und auch
unser Ansehen, das wir durch diese Arbeit gewinnen
wollen, sind es wert, dass wir uns gemeinsam und ohne
parteipolitische Spielchen auf diesen Weg machen. In
diesem Sinne sind alle eingeladen, mitzuwirken.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/776 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungsund -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015
({0})
Drucksache 18/1797
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden.1) - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/1797 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen - Volle
Teilhabe ohne Armut garantieren
Drucksache 18/1949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
1) Anlage 16
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Liebe Kollegen der Linkspartei, ich habe Ihren Antrag gelesen. Ich unterstütze viele Dinge, die Sie darin
schreiben. Ja, es besteht Handlungsbedarf. Ja, es müssen mehr Wahlmöglichkeiten für die Menschen mit
Behinderung geschaffen werden. Ja, wir haben ein
gemeinsames Ziel: ein gutes Bundesteilhabegesetz.
Neben diversen Meinungsverschiedenheiten, die dann
doch bestehen, zum Beispiel bei der Finanzierung,
muss ich Ihnen aber vor allem sagen: Auch Rom ist
nicht an einem Tage erbaut worden.
Vielleicht haben Sie die Komplexität dieses Themas
noch nicht ganz erkannt. Aber Sie selbst sprechen von
„einer große[n] Lösung“, von „einer grundlegenden
und umfassenden Reform“, die im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes nötig ist.
Fest steht: Das Bundesteilhabegesetz lässt sich
nicht so schnell erarbeiten, wie Sie Anträge schreiben
können. Denn es geht hier nicht um eine Kleinigkeit, es
geht hier um einen großen Reformprozess, der das
Denken, die Strukturen und die Institutionen umfasst.
Wir sprechen hier über einige Millionen betroffene
Menschen, die direkt auf Teilhabeleistungen angewiesen sind. Eigentlich sprechen wir sogar von 80 Millionen Menschen, die alle gemeinsam das Projekt der inklusiven Gesellschaft vorantreiben müssen.
Wir sprechen über Milliarden von Euro, die nicht
nach dem Gießkannenprinzip, sondern effektiv und
effizient verteilt werden müssen. Das Geld muss da
ankommen, wo es gebraucht wird und darf nicht in
irgendwelchen Kanälen versickern.
Wir sprechen hier über teils mehrere Hundert Jahre
alte Strukturen und Institutionen, die nicht alle
schlecht sind. Wenn man sich hier so manche Rede anhört, muss man sich schon wundern, wie die tolle und
wertvolle Arbeit, die die Menschen für andere Menschen in den bestehenden Institutionen leisten, verunglimpft wird. Ich warne deshalb davor, funktionierende
und gewachsene Strukturen aus Prinzip zu zerstören.
Wir sollten eher auf ihnen aufbauen, sie flankieren.
Wir fangen also nicht bei null an. Das ist im Prinzip
gut, vor allem für die Menschen mit Behinderung.
Auch konzeptionelle Vorarbeiten wurden schon getan,
wie Sie in dem Antrag selbst schreiben. Aber das ist
auch einer der Gründe dafür, dass die Reform der Eingliederungshilfe so kompliziert ist. Unterschiedliche
Interessen, vor allem die der Betroffenen, müssen
gehört und in ein Bundesteilhabegesetz integriert werden. Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir Ihnen,
liebe Linke, heute noch kein Bundesteilhabegesetz vorlegen können. Sie selbst geben uns ja sogar bis zum
Ende der Legislaturperiode Zeit, das Gesetz vorzulegen. Wie sollten wir dann jetzt, „unverzüglich“, wie
Sie fordern, die Eckpunkte dazu schon vorlegen können?
Planung und Orientierung sind bei einem Großprojekt wie dem Bundesteilhabegesetz das A und O. Das
ist wie beim Wandern: Wenn man da ohne Karte und
Kompass einfach drauflos geht, dann geht man die
doppelte Strecke und braucht doppelt so lange - wenn
es gut läuft.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen,
erst einmal die Karte mit dem Höhenprofil zu nehmen
und den Weg zu planen. Damit haben wir nun begonnen. Und damit auch die ganze Wandergruppe über die
Berge kommt, beteiligen wir sie an den Planungen. So
finden wir einen gemeinsamen Weg, der uns - da bin
ich mir sicher - über keine bis wenige Umwege an das
richtige Ziel führt. Dann legen wir Ihnen ein gutes und
durchdachtes Bundesteilhabegesetz vor, ohne dass Sie
noch einen Antrag dafür schreiben müssen.
Die Große Koalition hat sich vorgenommen, die
überfällige Eingliederungshilfereform anzupacken.
Ein wesentlicher Reformschritt wird sein, die Hilfen
für Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfe
herauszuführen. Damit wird dann auch ein wesentliches Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt: Fürsorgeleistungen für Menschen mit Behinderungen werden in Teilhabeleistungen umgewandelt.
Dabei geht es nicht nur um eine Reform im Sozialrecht,
es geht um einen fundamentalen Paradigmenwechsel.
Wir sind dabei, diese Reform zügig und vor allem
gründlich voranzutreiben. Die Erwartungen bei den
betroffenen Menschen sind verständlicherweise hoch.
Aber auch die Kommunen fordern Veränderungen, um
die seit Jahren steigenden Ausgaben für Eingliederungshilfen in den Griff zu bekommen.
In diesem Spannungsverhältnis befinden wir uns.
Dabei wollen wir als Unionsfraktion unseren Fokus
auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen legen, was sie in ihrem Alltag brauchen, um schneller an
Hilfen zu gelangen. Wir wollen für sie die Chance auf
gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen
Bereichen erreichen. In der Kindertagesstätte, Schule,
Ausbildung, im Beruf, beim Wohnen oder in der Freizeit muss künftig der Grundsatz gelten „so viel Teilhabe wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig“.
Ein zentrales Anliegen ist für uns auch, dass Hilfen
zur Teilhabe keine Armutsfalle sein dürfen. Menschen
mit Behinderungen, die ein eigenes Einkommen erwirtschaften und daraus Vermögen aufbauen wollen,
sollen dies auch tun können. Beruflicher Aufstieg und
Altersvorsorge müssen für alle unabhängig von einer
Beeinträchtigung möglich sein.
Weitere Ziele für ein Bundesteilhabegesetz sind Teilhabeleistungen, die den Bedarf des Einzelnen decken
und nicht an einen bestimmten Ort gekoppelt sind. Die
Hilfen sollen sich an den Bedürfnissen der Menschen
orientieren und nicht umgekehrt. Dazu ist aus Sicht
der Union vor allem ein bundeseinheitliches Bedarfsermittlungsverfahren unerlässlich.
Für alle Lebensbereiche muss ein generelles Wunschund Wahlrecht gelten, sei es die eigene Wohnung oder
ein Platz im Wohnheim, die Förder- oder eine Regelschule, die Werkstatt oder der ortsansässige Handwerksbetrieb. Teilhabe hat viele Facetten, und diese
müssen für jeden zugänglich sein.
Wer Arbeit hat und die Chance bekommt, seine Fähigkeiten und Talente zu entfalten, fühlt sich anerkannt
und ist zufrieden. Das gilt für alle Menschen. Mithilfe
von Assistenz sind Menschen mit Behinderungen vielfältig in der Arbeitswelt einsetzbar. Das erkennen auch
immer mehr Betriebe. Viele schätzen die Fähigkeiten
und die Loyalität von Mitarbeitern mit Behinderungen.
Sie haben erkannt, dass eine Behinderung nicht automatisch mit einer verminderten Leistung einhergeht.
Diese guten Beispiele wollen wir unterstreichen und
damit Arbeitgeber, die keine oder nur wenige Mitarbeiter mit Handicap in ihrer Belegschaft haben, zum
Umdenken bewegen. Dazu sind Informationen, passgenaue Beratung und neue, flexible Förderinstrumente
nötig. Das „Budget für Arbeit“ ist aus meiner Sicht
hervorragend geeignet, alternative Wege der Beschäftigung zu gehen. Die bisherigen Modellprojekte auf
Landesebene waren erfolgreich. Nun ist es an der Zeit,
dieses Instrument bundesweit einzusetzen.
In Deutschland arbeiten derzeit fast 300 000 Menschen in einer Werkstatt. Die Zugangszahlen steigen
seit Jahren. Damit hat sich ein zweiter Arbeitsmarkt
etabliert, der mit der UN-Konvention in diesem Umfang nicht vereinbar ist. Darauf muss das Bundesteilhabegesetz reagieren. Die meisten Eingliederungsleistungen im Arbeitsbereich sind heute an die Werkstatt
gekoppelt. Vor allem der Eingangs- und der Berufsbildungsbereich müssen künftig auch für andere qualifizierte, verlässliche und geeignete Anbieter aus der
freien Wirtschaft geöffnet werden.
Die Quote der Vermittlung der Werkstätten in reguläre Betriebe liegt bundesweit unter 1 Prozent. Ich bin
mir sehr sicher, dass diese Quote nicht die tatsächliche
Befähigung der Mitarbeiter widerspiegelt. In den
Werkstätten sind mittlerweile viele Menschen, die dort
schlicht und ergreifend nicht hingehören. Für sie wollen wir Anreize setzen, ihren Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Dazu wollen wir vor allem eine Option zur Rückkehr in die Werkstatt garantieren und
dafür sorgen, dass ihre sozialrechtlichen Ansprüche
bestehen bleiben.
Was die Ausbildung angeht, wollen wir weg vom Alles-oder-nichts-Prinzip hin zu einer beweglichen und
anpassungsfähigen beruflichen Qualifizierung. Verkürzte Ausbildungszeiten oder Ausbildungsmodule
sind Optionen, mit denen sich auch die Kammern und
Gewerkschaften in Zukunft auseinandersetzen müssen.
Dies sind nur einige Bereiche, die ein Bundesteilhabegesetz neu regeln soll. Viele weitere Schnittstellen
gehören noch dazu, etwa die Kinder- und Jugendhilfe
oder die Pflege. Wir stehen vor einer komplexen Strukturreform, die intensiv vorbereitet werden muss.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deswegen wird bereits ab der kommenden Woche
eine hochkarätig besetzte Arbeitsgruppe im zuständigen Ministerium mit den Vorarbeiten für einen
Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz beginnen.
15 Vertreterinnen und Vertreter von Menschen mit Behinderungen werden dieser Arbeitsgruppe angehören.
Sie repräsentieren alle wesentlichen Gruppen von
Menschen mit Behinderungen. Diese unmittelbare Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren ist nicht selbstverständlich und zeigt, wie ernst diese Bundesregierung die Forderung der Menschen mit Behinderungen
„Nichts über uns ohne uns“ nimmt.
Diese Koalition macht sich auf, die Verantwortung
für ein Bundesteilhabegesetz zu übernehmen. Damit
gehen wir eine große Verpflichtung gegenüber den
rund 10 Millionen schwerbehinderten Menschen in
Deutschland ein. Daher gilt für uns der Grundsatz
„Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Und dieser Grundsatz ist mit einem Inkrafttreten vor 2017 vereinbar.
Spätestens mit dem im Jahre 2006 vereinbarten
Übereinkommen der Vereinten Nationen über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen vollzog sich
ein Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen
mit Behinderungen.
Menschen mit Behinderungen werden nicht länger
als Objekte der Fürsorge betrachtet, sondern als eigenständige Individuen mit individuellen Stärken und
Schwächen. Es ist das Bewusstsein gewachsen, dass
auch Menschen mit Behinderungen ein Recht auf
Selbstbestimmung und umfassende Teilhabe am Leben
in der Gesellschaft haben und geltend machen können.
Bereits 147 Staaten haben die im Jahre 2008 in
Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und ratifiziert. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete
die Konvention als einer der ersten Staaten im Jahr
2007 und ratifizierte diese zwei Jahre später.
Dies führte dazu, dass die Bundesregierung zum
ersten Mal einen nationalen Aktionsplan sowie einen
Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegte. Die einzelnen Bundesländer zogen nach und veröffentlichten ihrerseits umfangreiche Maßnahmenpakete zur Verbesserung der
Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen.
Mit den verschiedensten Projekten wird in den Städten
und Gemeinden mittlerweile auch ganz unkonventionell versucht, dafür zu sorgen, dass Menschen mit und
ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam aufwachsen, zusammen lernen, in einem Betrieb arbeiten
und ihre Freizeit miteinander verbringen. Denn nur so
lassen sich die grundlegendsten Hindernisse überwinden: die Barrieren in den Köpfen.
Die vielzähligen Anträge der SPD-Bundestagsfraktion zur Verbesserung der Lebenslagen von Menschen
mit Behinderungen sowie die vielzähligen Handlungsaufträge hierzu im Koalitionsvertrag zeigen, dass wir
seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention
alles daransetzen, diese Konvention zu erfüllen und ihrer Forderung nach umfassender gesellschaftlicher
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gerecht zu
werden.
Eines der wohl bedeutendsten Vorhaben in dieser
Legislaturperiode wird die Erarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes sein. Auch dies haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen ein modernes Teilhabegesetz, das den Bedürfnissen und besonderen
Belangen von Menschen mit Behinderungen Rechnung
trägt. Vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen,
dass das neue Bundesteilhabegesetz im Jahr 2016 verabschiedet werden soll.
Wir wollen, dass das Bundesteilhabegesetz noch in
dieser Legislaturperiode in Kraft tritt. Dafür setzen
wir uns ein. Wir wollen aber auch ein Bundesteilhabegesetz, dessen Inhalt hält, was der Name verspricht.
Wir wollen eine wirkliche Verbesserung im Bereich der
Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen
erreichen. Und wir wollen, dass die Betroffenen und
ihre Interessenverbände an der inhaltlichen Entwicklung und Ausgestaltung des Gesetzes aktiv beteiligt
sind. Das sind unsere Ansprüche. Die werden wir erfüllen.
Von diesem Anspruch wollen und werden wir nicht
abweichen. Denn gemäß dem Motto „Nichts über uns
ohne uns!“ sind Menschen mit Behinderungen Expertinnen und Experten in eigener Sache. Ihre Beteiligung
am Entstehungsprozess des Gesetzes ist insofern auch
ein Ausdruck ihrer Selbstbestimmung, und die werden
wir ihnen nicht nehmen.
Wir freuen uns daher, dass das für das Gesetz federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales
einen breit angelegten Beteiligungsprozess noch vor
der Vorlage eines ersten Gesetzentwurfes anstrebt. Bis
dahin werden wir uns weiterhin mit den notwendigen
Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz auseinandersetzen, noch offene Fragen klären und mögliche
Lösungswege erarbeiten.
Zudem hat das BMAS seinen Zeitplan zur Entwicklung des Gesetzes bereits vorgelegt. Dieser ist allen
Fraktionen bekannt. Der Zeitplan zeigt, dass das
BMAS den Entwurf des Bundesteilhabegesetzes zügig
und ohne Umschweife erarbeiten wird. Insofern entspricht dieser den Forderungen des vorliegenden Antrages.
Inklusion ist ein Lebensentwurf - ein Weg für Gesellschaftsgestaltung und Veränderung. Es geht also
bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um abstrakte Paragrafen. Es geht darum, allen Menschen gleichberechtigt Chancen zu eröffnen.
Es geht darum, nach seinen Fähigkeiten in regulären
Schulen lernen und in Unternehmen arbeiten zu können, wohnortnah Kultur zu genießen und medizinisch
gut versorgt zu sein, jede Behörde barrierefrei nutzen
und alle politischen Rechte ausüben zu können. Die
dafür erforderlichen behinderungsbedingten Nachteilsausgleiche und inklusiven Rahmenbedingungen
muss die Politik schaffen.
Dieser Prozess verläuft in Deutschland zu langsam,
obwohl die Bundesrepublik doch so gern ihre Vorreiterrolle betont. Noch immer leben wir mit der politischen Fehleinschätzung, in Deutschland seien viele
Anforderungen der UN-Konvention bereits umgesetzt
und deshalb bestehe kaum Handlungsbedarf. Doch
diese Selbstzufriedenheit ist völlig fehl am Platz. In allen gesellschaftlichen Bereichen bestehen erhebliche
Defizite.
Auch wenn die Zahl von beschäftigten Menschen
mit Behinderung absolut gewachsen ist: Die Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderung ist doppelt
so hoch wie unter Menschen ohne Beeinträchtigungen.
Überproportional viele sind langzeiterwerbslos. Zugleich sondert die Parallelgesellschaft Werkstätten für
behinderte Menschen weiterhin aus. Die Zahl der dort
Beschäftigten wächst, die Vergütungen für ihre Arbeit
jedoch kaum. Die als wichtiges Ziel gestellte Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt geschieht in so geringem Maße, dass man auch hier den Tatsachen ins
Auge schauen muss: Diese Werkstätten erfüllen ihren
gesetzlichen Auftrag nicht, der nun einmal genau in
dieser Vermittlung besteht.
Auch die - zugegeben wachsenden - Anstrengungen
hin zu einer inklusiven Bildungslandschaft reichen
nicht aus. Die Inklusionsrate in den Schulen stagniert
seit Jahren auf niedrigem Niveau. Realität ist, dass
Förderschulen zwar geschlossen werden, der notwendige Ausgleich barrierefreier Bedingungen in den
Regelschulen aber nicht entsprechend vorgenommen
wird. Es fehlt an inklusiven Lehrplänen im Lehrerstudium ebenso wie an der ausreichenden Personalausstattung vor Ort. So erleben Familien mit behinderten Kindern, dass sie im Namen der Inklusion
weitere Schulwege und zusätzliche Belastungen in
Kauf nehmen müssen, ohne die entsprechenden Bedingungen vorzufinden. So wird eine tragende Idee der
UN-Konvention konterkariert und gerät in den Verruf,
ein Sparmodell zu sein.
Wie so oft wird für die Lösung all dieser Probleme
auf die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Dabei
wird außer Acht gelassen, dass es bei der Umsetzung
der UN-Behindertenrechtskonvention um eine klare
und stärkere Bundesverantwortung geht. Es kann nicht
sein, dass die Bundesregierung internationale Abkommen zeichnet und die Länder und Kommunen auf der
Umsetzung sitzen bleiben. Alle sozialen Aufgaben, die
der Bund dorthin delegiert, müssen auch entsprechend
finanziell unterlegt werden. Entlastungspakete, die
sich nicht selten als Nullsummenspiel wenn nicht gar
als Minusgeschäft für die Städte und Gemeinden
entpuppten, können und dürfen nicht die Lösung sein.
Aus politischen Verpflichtungen, die der Bund eingegangen ist, darf er sich nicht mit taschenspielartiger
Zahlenakrobatik verabschieden. Denn die Umsetzung
der in den Artikeln der UN-Konvention formulierten
Menschenrechte ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Menschen mit Behinderung haben das gleiche
Recht auf eine aktive Beteiligung. Sie muss in gleichem
Maße gesichert sein wie Teilhabe von Menschen ohne
Behinderung und darf nicht von privaten finanziellen
Möglichkeiten und erst recht nicht vom Zufall des
Wohnortes abhängen. Dazu gehört auch die Ermöglichung der Teilhabe an einem der Lieblingsprojekte der
Bundespolitik der vergangenen Jahre.
Bürgerschaftliches Engagement und eine Kultur
der Mitverantwortung gewinnen als Wege zur Gestaltung der Gesellschaft in einer freiheitlichen, demokratischen Wirtschaftsordnung im Zuge dessen
an Bedeutung. Engagement trägt zur Sicherung und
Stärkung des Zusammenhaltes der Gesellschaft bei.
So heißt es im ersten Engagementbericht der Bundesregierung. Dass Menschen mit Behinderung hierin
keine Rolle spielen, spricht eine deutliche Sprache. Es
kann zum Beispiel nicht sein, dass eine aktive Arbeit in
einem Vereinsvorstand oder in einem Verband daran
scheitert, dass es an einer persönlichen Assistenz für
Menschen mit Behinderung fehlt.
Es besteht also hoher Handlungsbedarf und ich
hoffe, dass unser Antrag endlich eine Debatte anstößt,
um die sich die Bundesregierung nicht länger drücken
kann.
Die Probleme sind bekannt, seit Jahren: Menschen
mit Behinderungen erleben Diskriminierungen in fast
allen Lebensbereichen. So ist teilweise der Wohnort
entscheidender für Qualität und Umfang der Unterstützungsleistungen und nicht die Frage, wie viel
Unterstützung gebraucht wird. Und Deutschland ist
noch weit davon entfernt, barrierefrei zu sein: Versuchen Sie mal kurzfristig eine Unterkunft zu finden für
eine Reisegruppe von zehn Personen, in der vier Leute
Rollstuhl fahren, zwei ihre Assistenten im Zimmer haben müssen und niemand ein Auto hat. Versuchen Sie
mal, in ermüdenden Auseinandersetzungen darüber,
wer Ihre Teilhabeleistungen finanzieren muss, nicht
den Mut zu verlieren.
Mit Blick auf die Probleme, denen Menschen mit
Behinderungen im Alltag begegnen, ist die Frustration
über das Schneckentempo des politischen Prozesses
durchaus verständlich. Schließlich ist es diese Woche
20 Jahre her, dass Artikel 3 unseres Grundgesetzes um
einen entscheidenden Satz ergänzt wurde: „Niemand
darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Die Linksfraktion formuliert in ihrem Antrag eine
Reihe von Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz, das Antwort auf die genannten Probleme sein
soll. Sie nimmt viele Forderungen auf, die seit Jahren
von unterschiedlichen Seiten genannt werden. Ich
Zu Protokoll gegebene Reden
freue mich, dass wir mit diesem Antrag im Zuge des
parlamentarischen Beratungsprozesses die Gelegenheit haben, ein wenig konkreter zu werden. Denn was
von den Koalitionsfraktionen bisher kommt, ich habe
das schon mehrfach angemerkt, sind große Töne - und
wenig mehr. Da wird viel Richtiges gesagt: Zumindest
hier im Bundestag scheint sich niemand mehr wirklich
zu trauen, für die Anrechnung von Einkommen und
Vermögen auf Teilhabeleistungen zu argumentieren.
Das hilft aber nichts, solange wir weiter vertröstet
werden.
Es ist richtig, komplexe Gesetze mit der dafür nötigen Ruhe und Zeit zu erarbeiten. Es ist richtig, die
Möglichkeit zur Beteiligung zu eröffnen und auf die
Kompetenz von Menschen mit Behinderungen als
Expertinnen und Experten in eigener Sache zurückzugreifen. Aber es ist falsch, in der parlamentarischen
Auseinandersetzung immer nur das zu sagen, was alle
hören möchten, ohne sich mit den Niederungen der
Arbeit am Detail zu befassen. Kommen Sie aus Ihrer
Deckung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union
und SPD. Ich möchte hier endlich über verschiedene
Vorschläge diskutieren und die politischen Differenzen
sichtbar machen. Denn auch wenn in allen Fraktionen
Abgeordnete sich im Sinne von Menschen mit Behinderungen stark machen: Es stimmt auch, dass wir nicht
alle einer Meinung sind, nur weil es um Menschen mit
Behinderungen geht.
Die Qualität des Bundesteilhabegesetzes wird sich
daran messen lassen, wem es zugutekommt. Ich bin
bisher nicht überzeugt, dass das alle Menschen mit
Behinderungen sein werden. Wenn ich mir die Vorschläge angucke, die bisher kursieren, dann stehen
nicht diejenigen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf im Vordergrund. Lassen Sie uns gemeinsam
darauf hinwirken, dass sich das ändert. Und, liebe
Bundesregierung: Legen Sie endlich überhaupt irgendetwas vor.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
Drucksachen 18/1780, 18/1966
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
({0})
Drucksache 18/1983
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Kordula Kovac für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute
über den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung
des Weingesetzes abstimmen. Erlauben Sie mir dazu einen kurzen persönlichen Einstieg.
Vatertag in Südbaden: Mann und Frau, ja, die ganze
Familie sitzt bei Musik an der Wanderhütte Baßgeige
und lässt den Blick über die herrliche Kaiserstuhl-Landschaft, vor allem über die Weinberge schweifen. - Ortswechsel. Rheinland-Pfalz: Ein herrlicher Sommertag in
St. Martin bei Edenkoben mit Blick auf das Hambacher
Schloss. Der ganze Ort ist dabei, wenn die traditionelle
Wanderung in den Weinbergen stattfindet, und bewirtet
die Gäste mit Köstlichkeiten.
Ich könnte jetzt noch die anderen traditionsreichen
Weinbaugebiete in Deutschland nennen: Franken, Rheinhessen, Pfalz, Saale-Unstrut, die Steillagen der Mosel
und den Rheingau. Bei allen ist eines gleich: die Liebe
der Menschen in den Regionen zu ihren Weinbaugebieten und der Stolz auf die damit verbundenen Kulturlandschaften, die ihre Vorfahren über viele Jahrhunderte hinweg gehegt und gepflegt haben. Diese
Kulturlandschaften gilt es zu erhalten; denn wir dürfen
nicht vergessen: Der Weinbau ist eines der ältesten Kulturgüter Deutschlands. Seit mehr als 2 000 Jahren wird
bei uns Wein hergestellt. Heute nimmt Deutschland einen Spitzenplatz unter den weinanbauenden Ländern
ein.
Die deutsche Weinwirtschaft erzeugt ausgezeichnete
Produkte, die für Lebensqualität und Tradition stehen.
Die Winzer leisten einen wertvollen Beitrag zum Erhalt
dieser Kulturlandschaft,
({0})
für den Tourismus in den Anbaugebieten und schaffen
zudem noch Arbeitsplätze. Dafür, dass uns dies erhalten
bleibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir als
CDU/CSU uns ein.
({1})
- Gut. Danke.
Mit aktuell knapp 100 000 Hektar Ertragsrebfläche
gehört Deutschland im internationalen Vergleich zwar zu
den kleineren Erzeugerländern, die Qualität unserer
Spitzenweine braucht den Vergleich mit Produkten aus
Frankreich oder Italien aber nicht zu scheuen. Im Gegenteil. In Deutschland haben wir die besten Voraussetzungen, qualitativ hochwertigen und regionaltypischen
Wein zu erzeugen und uns im weltweiten Wettbewerb zu
behaupten. Unsere Weine sind weltweit begehrt.
({2})
Neben dem Absatz in Übersee - zu nennen sind vor
allem Kanada und Japan, aber auch China - entwickelten sich auch die Exporte ins europäische Ausland besonders positiv: nach Norwegen, nach Schweden und in
die Niederlande, welches mittlerweile den zweiten Rang
in der deutschen Exportstatistik einnimmt. Gründe für
diese erfreuliche Entwicklung sind unter anderem eine
positive Medienberichterstattung und eine wachsende
Wertschätzung in der internationalen Fachwelt. Damit
unsere Weine in Zukunft von dieser Entwicklung vielleicht sogar noch stärker profitieren können, wollen wir
heute das von der Bundesregierung Ende April beschlossene Achte Gesetz zur Änderung des Weingesetzes verabschieden.
({3})
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir
die entsprechende EU-Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse - kurz GMO - in nationales Recht um. Durch die
neuen Fördertatbestände im Rahmen der Stützungsprogramme werden die deutschen Winzer von der neuen
EU-Maßnahme zur Absatzförderung auf dem Binnenmarkt erheblich profitieren. Gleichzeitig wird der Bundeshaushalt jedoch nicht belastet. Die besondere Bedeutung
der herkunfts- und gebietsbezogenen Absatzförderung
wurde auch vom Bundesverfassungsgericht kürzlich
noch einmal besonders betont. Auch werden mit dem
neuen Gesetz schnell und unkompliziert die Voraussetzungen geschaffen, geografische Angaben auch für aromatisierte Weinerzeugnisse zu schützen.
Lassen Sie uns das Gesetz heute verabschieden, liebe
Kolleginnen und Kollegen, damit unsere Erzeuger frühzeitig vor Inkrafttreten der neuen EU-Regelung entscheiden können, ob und inwieweit sie heimische Produkte
mit einer geschützten Angabe versehen möchten. Wir
wollen vor allem die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe unterstützen, indem wir dem deutschen
Wein eine bessere Profilierung auf dem Weinmarkt ermöglichen. Gleichzeitig haben wir die Verbraucher im
Blick, die von der verbesserten Information profitieren.
Das neue Gesetz erlaubt künftig die Nennung einer kleineren, gekoppelten Einheit wie einer Katasterlage zusätzlich zur Einzellage. Das ist für die Herausstellung
von Spitzenlagen sinnvoll, zumal der Trend im Weinexport verstärkt zum Absatz höherwertiger Weine geht.
Klasse durch Qualität ist gefragt. Darin liegt die Chance
des deutschen Weins.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, viele Regionen in Deutschland sind mit
dem Weinbau sehr eng verbunden. Gestatten Sie mir,
dass ich bei meiner ersten Rede in diesem Hohen Hause
zum Schluss etwas persönlich werde. Seit 27 Jahren haben mein Mann und ich in Südbaden eine wunderbare
Heimat gefunden. Da ich nun auch mit dem Bergbau
- im wahrsten Sinne des Wortes - verheiratet bin,
möchte ich an dieser Stelle mit zwei Zeilen aus dem
Badnerlied enden:
Zu Haslach gräbt man Silbererz,
Bei Freiburg wächst der Wein.
Ich denke, sowohl im Parlamentarischen Weinforum
als auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft haben wir über diesen Gesetzentwurf gut und
einmütig diskutiert. Deshalb meine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns mit dieser Gesetzesänderung die Weichen dafür stellen, dass auch
in Zukunft der Weinbau in Deutschland im Sinne der
Bürgerinnen und Bürger sowie der Winzerinnen und
Winzer weitergeht. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Kollegin Kovac, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich denke, ich spreche im Namen des
gesamten Hauses, wenn ich Ihnen für Ihre Arbeit viel
Erfolg wünsche.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der lebhaften Glückwünsche herrscht offensichtlich ein gewisses Missverständnis. Wir sind noch in der Debatte zum
Thema Weingesetz.
({1})
- Die Verkostung und andere Dinge sollten wir auf die
Zeit nach dem Abschluss der heutigen Tagesordnung
verschieben.
({2})
Der Beitrag der Fraktion Die Linke durch den Kolle-
gen Roland Claus wurde zu Protokoll gegeben.1)
({3})
Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass es, wie die Kollegin Kovac eben schon dargestellt hat, im Vorfeld der
heutigen Debatte zwischen den Fraktionen sehr viel
Übereinstimmung gab, und durch seinen Vortrag keine
Widersprüche aufgetaucht wären.
Das Wort hat nun der Kollege Gustav Herzog für die
SPD-Fraktion.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will eine Äußerung des Kollegen Claus zitieren. Am
Montag hat er gesagt: Am Donnerstagabend, in der Debatte zum Weingesetz, wird der Bundestag seinen ganzen Charme entfalten.
({0})
1) Anlage 17
- Da klatscht sogar die Union, wenn ein Linker zitiert
wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Woche
gab es hier im Hohen Hause eine ganze Reihe von strittigen Auseinandersetzungen. Das ist auch gut so, weil wir
darum ringen, den besten Weg zum richtigen Ziel zu finden. Aber es gibt auch Themen, bei denen wir uns sehr
einig sind. Dass das bei diesem Thema der Fall ist, war
schon am vergangenen Montag, beim Parlamentarischen
Weinforum, festzustellen. Frau Kollegin Kovac, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich Saale-Unstrut hervorragend präsentiert hat. Wir konnten uns sozusagen auf
die Woche einstimmen.
Jetzt ist die Materie etwas trockener. Es geht um die
achte Änderung des deutschen Weingesetzes. Es liegt
auch ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vor,
mit dem wir eine Anregung des Bundesrates aufgenommen haben. Es geht darum, die Gelder, die uns die Europäische Union zur Weinförderung zur Verfügung stellt,
einem größeren Kreis zuzuführen. Insbesondere für die
Kolleginnen und Kollegen, die nicht so sehr in der Materie stecken, muss man sagen: Als wir 2007 die große
Weinreform durchgeführt haben, haben wir uns entschieden, nicht länger zu reparieren, indem wir Übermengen
destillieren oder den Einsatz von RTK subventionieren,
sondern das Geld zu nehmen, um die europäische, um die
deutsche Weinwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen,
um die Qualität zu steigern. Das sind fast 40 Millionen Euro, die jedes Jahr der Weinwirtschaft in Deutschland zur Verfügung stehen.
Wir haben damals gesagt - ich glaube, das war eine
kluge Entscheidung -, dass wir 1 Million Euro nicht den
Ländern und den Weinbaugebieten zur Verfügung stellen
wollen, sondern über das Deutsche Weininstitut ausgeben, um insbesondere Exportförderung zu betreiben. Diese
Summe werden wir auf 1,5 Millionen Euro erhöhen. Das
ist gut für den deutschen Wein, weil die so geförderten
Maßnahmen dafür sorgen werden, dass die Qualität
steigt, dass wir wettbewerbsfähiger werden und der Absatz steigt. Konkret geht es um Umstrukturierungen im
Weinberg, Investitionen in die Kellerwirtschaft und um
Verbraucheraufklärung. Im Parlamentarischen Weinforum haben wir uns vorgenommen, dies gemeinsam mit
den Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss und mit
der Drogenbeauftragten, Kollegin Marlene Mortler, umzusetzen.
Zu der Frage der Absatzförderung gab es in der letzten Woche eine wichtige Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu geäußert. Es lohnt sich, die
Pressemitteilung zu dieser Entscheidung zu lesen.
Daraus könnte man vieles zitieren, nicht nur die gute
Nachricht, dass der Weinfonds grundgesetzkonform ist,
sondern auch, dass das höchste deutsche Gericht festgestellt hat: Ein Aufgabenschwerpunkt des Weinfonds ist
die Qualitäts- und Absatzförderung. - Ich sage bewusst:
Es geht auch um die Qualitätsförderung, nicht nur darum, die Menge an den Kunden zu bringen.
Als überzeugter Sozialdemokrat und Republikaner
muss ich aber auch sagen: Es gibt da etwas, bei dem ich
im Hinblick auf die Monarchie schwach werde. Auch
die Deutsche Weinkönigin ist durch dieses Urteil gerettet
worden,
({1})
weil es nämlich das Deutsche Weininstitut ist, das hochqualifizierte Frauen aus der deutschen Weinwirtschaft
gewinnt, die ein Jahr lang unsere hervorragenden Produkte in der ganzen Welt vertreten.
Was die Exportförderung betrifft, kann ich jedem, der
die Gelegenheit hat, empfehlen, die entsprechenden Berichte zu lesen. Wenn man beispielsweise an Messeauftritte in China denkt, kann man nur sagen: Da ist jeder
Euro gut angelegt.
Gut gefallen an der Entscheidung hat mir die Aussage, dass eine privatwirtschaftliche Organisation nicht
so erfolgreich wäre wie diese Anstalt des öffentlichen
Rechts. Ich glaube, es ist auch ein Signal an uns Parlamentarier, die wir den Weinfonds ja per Gesetz eingerichtet haben, dass dies eine kluge Entscheidung war. Da
ich auch Mitglied im Absatzförderungsfonds der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft bin, kann ich Ihnen sagen: Hier wurde die Verfassungsmäßigkeit ja nicht
festgestellt, und wir sehen, dass es keine private Organisation gibt, die so etwas leisten kann. Es geht also nicht
darum, die Menge zu erhöhen, sondern darum, die
Qualität und den Preis und damit das Einkommen der
Winzerinnen und Winzer, der Genossenschaften und der
Kellereien zu erhöhen.
Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
betrifft, muss man aber auch einen kleinen Tropfen
Wasser in den Wein gießen. Sie wurde nämlich auch mit
Bezug auf Weinskandale, die Jahrzehnte zurückliegen,
begründet. Ich glaube, damit hat der deutsche Weinbau
überhaupt nichts mehr zu tun. Da sind wir einige Schritte
weiter.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zum Abschluss ein Thema ansprechen, das uns in der zweiten
Jahreshälfte beschäftigen wird. Es geht um das Pflanzrechteregime. Die Europäische Kommission ist der Auffassung, nicht wir als Nationalstaat sollten darüber
entscheiden, wo in unseren Weinbaugebieten Wein angepflanzt wird, sondern sie würde das gerne freigeben.
Aber in diesem Haus herrscht Übereinstimmung: Wein
ist ein Kulturgut, und wir wollen keine industrielle Massenproduktion. Deswegen sage ich von dieser Stelle aus
schon heute: Wir werden gemeinsam dafür kämpfen,
dass wir weiterhin darüber entscheiden können, wo Wein
angebaut wird, damit die Steilhänge an der Mosel und
andere Flächen in Deutschland weiterhin ihren Beitrag
als Kulturlandschaft leisten können. Damit schaffen wir
den Rahmen für unsere Winzerinnen und Winzer, für die
Kellereien und für die Genossenschaften. Das Ergebnis
ist ein hervorragendes Produkt, das uns hoffentlich auch
heute Abend, wenn die Sitzung beendet ist, Frau Präsidentin, schmecken wird. Wir stimmen dem Gesetzentwurf aus Überzeugung gerne zu.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Markus Tressel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Abschluss des Tages geht es um ein schönes Thema
mit großem Konsensfaktor. Liebe Kollegin Kovac, eines
muss ich Ihnen allerdings übel nehmen: Sie haben bei
der Aufzählung der schönen Weinregionen das Saarland
vergessen. Die Kollegin Ferner und ich haben auch ganz
betroffen geguckt, weil wir die ganze Zeit darauf gewartet haben, dass Sie auch das Saarland nennen. Aber wir
sehen es Ihnen nach. Das war heute ja Ihre erste Rede.
Vielleicht nennen Sie das Saarland beim nächsten Mal
ganz zu Anfang.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weinbau in
Deutschland stärkt die regionale Wertschöpfung, er
schafft - die Kollegin und der Kollege, die vor mir gesprochen haben, haben das ja bereits gesagt - Arbeitsplätze auf dem Land, und er fördert den Tourismus in
einzigartigen Kulturlandschaften, die von Weinbergen,
Steilterrassen und Trockenmauern geprägt sind. Diese
landwirtschaftliche Attraktivität gilt es zu bewahren. Für
die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus für
den ländlichen Raum setzen wir hier und heute mit dieser Novelle des Weingesetzes die Rahmenbedingungen.
({1})
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung passt das
deutsche Weingesetz an Änderungen im EU-Recht an.
Mit den Neuerungen beschreiten wir den richtigen Pfad,
den wir in der Weingesetzgebung ja schon länger im
Konsens gehen. Auch das haben die Kollegin und der
Kollege vor mir ja bereits gesagt. Wir fördern die Qualität des Weins aus Deutschland. Das ist gut für die Wirtschaft, für die Regionen und nicht zuletzt für das Image
unseres Landes.
({2})
Bei den neuen Stützungsprogrammen für den Weinsektor begrüßen wir besonders, dass die Gelder auch für
die Aufklärung über gesundheitliche Auswirkungen des
Weinkonsums genutzt werden können. So wird die
Absatzförderung aus Perspektive der Gesundheit auch
kritisch begleitet.
Auch die neuen Verfahren, die Herkunft des Weins
oder des Weinerzeugnisses anzugeben, schaffen
Transparenz und ermöglichen eine bewusste Kaufentscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Davon profitiert auch die Weinwirtschaft. Die Regelungen
zu den Herkunftsangaben sorgen nämlich dafür, dass nur
der Wein einen guten Namen trägt, der den guten Namen
auch verdient. Ein hochqualitativer Wein kann mit dem
guten Image seines Namens für sich werben. Der Grundsatz „Klasse statt Masse“ ist die Stärke der deutschen
Weinwirtschaft. Das soll auch so bleiben, und das erreichen wir auch mit diesem Gesetzentwurf.
({3})
Der Kollege Herzog hat es bereits gesagt: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung über den
Deutschen Weinfonds getroffen. Wir freuen uns, dass
das Bundesverfassungsgericht den Deutschen Weinfonds und seine Finanzierung vollumfänglich bestätigt
hat, und auch ich kann von dieser Stelle aus nur noch
einmal begrüßen: Das sorgt nicht nur dafür, dass wir den
Absatz weiter vorantreiben können, sondern das sichert
auch die Existenz der Deutschen Weinkönigin. Diese
Pointe hat der Gustav Herzog eben vorweggenommen,
({4})
aber ich möchte das an dieser Stelle auch nicht unerwähnt lassen.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung gibt es in der
Weingesetzgebung natürlich auch Gefahren für eine
qualitätsorientierte Zukunft des Weinbaus. Der Kollege
Herzog hat das Pflanzrechteregime angesprochen. Hier
brauchen wir eine Lösung, die den Qualitätsweinbau in
diesem Land garantiert. Wir wollen keine Produktionsausweitung in die Flachlagen. Das würde den Preisdruck
verschärfen und hätte einen Qualitätsverlust zur Folge.
Das kann nicht unser Ziel sein. Deswegen müssen wir
gemeinsam dafür sorgen, dass das in dieser Form nicht
kommt.
Ich muss an dieser Stelle auch das Freihandelsabkommen TTIP nennen, ohne dass ich hier jetzt eine grundlegende Debatte zum Thema TTIP führen möchte. Auch
das kann Auswirkungen haben, etwa dann, wenn es um
die geschützten regionalen Herkunftsbezeichnungen für
Wein in der EU geht, die es in den USA nicht gibt. Das
sollten wir auf dem Schirm haben, wenn wir über dieses
Thema sprechen.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: Die globale
Erwärmung ist natürlich auch eine große Gefahr für die
Weinwirtschaft. Diese müssen wir in Zukunft auch in
unsere Beratungen mit einbeziehen. Deutliche Veränderungen bei Vegetationsphasen, Reifedauern und dem
Lesebeginn: Hier gibt es viel zu tun. Deswegen muss die
Bundesregierung an dieser Stelle auch etwas für den
Klimaschutz tun. Das wird klar, wenn wir über die
Weinwirtschaft sprechen.
Heute liegt ein Gesetzentwurf vor, den wir voll unterstützen und dem wir zustimmen werden, da er die Qualität des Weins fördert, die gesundheitliche Aufklärung
über den Weinkonsum unterstützt und - das ist ganz
wichtig - die regionale Wertschöpfung im ländlichen
Raum stärkt.
Vielen Dank.
({5})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Norbert Schindler für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Einen schönen guten Abend zu diesem Dämmerschoppengespräch! Den Entwurf eines Achten Gesetzes
zur Änderung des Weingesetzes werden wir einstimmig
verabschieden.
Seit über 2 000 Jahren haben wir in Deutschland eine
Weintradition, vor allem in den Flussniederungen an
Mosel und Rhein. Auch die Saale-Unstrut-Region muss
man nennen, aber im Osten gab es den Weinbau erst
circa 1 000 Jahre später, wobei es nicht die Römer waren, die den Wein dorthin brachten. Trotzdem ist es ein
sehr gutes Kulturgut.
Die Auseinandersetzung ist aktuell - darauf komme
ich zum Schluss noch einmal - wir müssen mit der Europäischen Union noch einmal das Rebpflanzrechteregime
für die Zukunft abgleichen. Ich war bis zur Weitergabe
der Verantwortung an meinen eigenen Sohn aktiver
Winzer: Ich kann aus Trauben Wein machen. Das ist eine
Grundvoraussetzung dafür, um ein erfolgreicher Winzer
zu sein. - Was Gustav Herzog schon sagte: Vor acht
Tagen haben wir angesichts des zu erwartenden Urteils
in Karlsruhe die Luft angehalten und uns gefragt: Wie
urteilt das Bundesverfassungsgericht beim Weinfonds
- wir haben darüber debattiert - im Vergleich zur CMA?
Leider hat das Gericht in Karlsruhe da verkehrt entschieden.
({0})
Da wurde uns ein wichtiges Mittel aus der Hand genommen. Gott sei Dank hat diese Einsicht beim deutschen
Weinbau getragen. Ein Grund dafür war vielleicht der
Sturm der Entrüstung und die Tatsache, dass wir schon
viele Strukturen in Deutschland auflösen mussten. Das
haben wir alles schon erlebt.
Ich bin nicht nur wegen des Überlebens der Weinköniginnen froh, sie hätten auch dieses Urteil überlebt.
Aber dass die Weinwirtschaft dieses Mittel zur Strukturförderung in den Händen behält, war so selbstverständlich nicht. Wir haben uns wirklich große Sorgen gemacht.
Mit diesem Änderungsgesetz geben wir in der Frage
der Zuordnung von Werbemitteln den Bundesländern,
aber vor allem der Weinwirtschaft, noch einmal erweiterte Möglichkeiten. In der leidigen Frage, wie wir mit
Weinen mit hohem Säureanteil umgehen, erhalten die
Länder die Verfügungsgewalt. Wir führen keine großen
Debatten, bis die Europäische Union ein Genehmigungsverfahren durchführt; denn solche Verfahren sind in der
Regel abgeschlossen, wenn der Wein schon vergoren ist.
Dass wir dieses Ärgernis jetzt ausräumen, ist gut, so
können wir vernünftige Ziele erreichen.
Meine Damen und Herren, angesichts der erfolgreichen Entwicklung, die wir politisch vorgegeben haben,
erinnere ich - so lange begleiten wir schon die Änderungen des Weingesetzes - an die Dubliner Beschlüsse von
1984. Damals übernahm ich immer mehr die Verantwortung. Es ging darum, den Winzern beizubringen: Weniger ist mehr! Keine Massenproduktion wie bei Henry
Ford mehr, sondern Qualitätsstreben. Das hat einige führende Personen das Amt und uns, die CDU, damals in
Rheinland-Pfalz die Mehrheit gekostet.
({1})
Das war eine bittere Erkenntnis.
Heute sind alle wie nach einer Flurbereinigung dabei
und sagen: Das haben wir schon immer so gemacht.
Aber ich habe das in meiner Jugendzeit als Verantwortlicher im Weinbau erlebt. Wie erfolgreich wir heute mit
unserem Qualitätsstreben sind, zeigen die guten Ergebnisse bei internationalen Messen von Paris bis Bordeaux
und natürlich beim Wettbewerb unserer Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz.
Was uns drückt, ist folgendes Problem: Wie gehen wir
mit der Rebflächenausweitung um? Wir wollen keine
Massenstückgutproduktion, bei der es nach altem europäischen Denken heißt: Wein kann man überall erzeugen. - Wir wollen auch keine Fraktionierungsmaßnahmen, wie sie in Neuseeland oder in den USA
selbstverständlich sind. Der freie Geist der Europäischen
Union in den Vorlagen hat schon viel Verärgerung ausgelöst.
Dass wir uns übereinstimmend über alle Landesregierungen, über alle Parteien hinweg gegen diese multiliberalen Vorstellungen seitens der Europäischen Kommission gewehrt haben und wir auch jetzt bei der
Ausweisung von Rebflächen eine restriktive Haltung
eingenommen haben, ist ein guter Start in der Auseinandersetzung mit den privilegierten Rechtsakten seitens
der Europäischen Union, die in den nächsten Wochen erwartet werden. Wir werden in diesem Haus im Oktober
oder im November dieses Jahres in dieser sehr strittigen
Frage mit der Kommission mit Sicherheit noch einmal
heftig debattieren müssen.
Es geht um unsere Qualitätsphilosophie. Wir wollen
keine fraktionierten Weine, die - wie man das in Kalifornien erleben kann - am Computer wieder zusammengesetzt und dann wie die Light-Version von Cola auf den
Weltmarkt gebracht werden. Vielmehr geht es um die
Individualität der geografischen Herkunft. Darauf zielt
auch eine der Änderungen im Zusammenhang mit dem
Katasternamen. Dafür haben wir hier vor zwei Jahren
geworben und beschlossen, dies mit der kleinsten zu bestimmenden geografischen Einheit Terroir umzusetzen.
Damit tun sich manche Länder noch ein bisschen
schwer, auch meine Freunde in Rheinland-Pfalz. Dass
diese Möglichkeit vom Bundesgesetzgeber vorgegeben
wird, dient der Profilierung der Einheit Terroir. Damit
weiß auch der preiswillige Konsument, worum es bei
diesem Begriff geht. Jetzt will ich nicht alle bekannten
Weinlagen nennen. Das ist das Gute an diesem Gesetz.
Aber ich wünsche mir, dass wir im Oktober oder November die deutsche Vorstellung einer geringeren Flächenausweitung gegenüber der Europäischen Union vertreten. Ich werbe schon heute dafür, dass man den
erzielten Kompromiss von 1 Prozent jährlicher Ausweitung der Rebfläche debattiert. Wir müssen von dem
1 Prozent wegkommen. Es geht um weniger Flächenausweitung und die Angleichung an die geografische Nachbarschaft, damit nicht irgendwo ein Acker in Mutterstadt
in der Vorderpfalz auf einmal Rebflächengelände wird
und die übrigen Landwirte auf diese Erzeugung Rücksicht nehmen müssen. Das sind Problempunkte bis hin
zur Abgrenzung von Einzellagen. Jetzt gehe ich sehr ins
Detail. Sie merken, wir haben noch ein bisschen Arbeit
vor uns.
Kollege Schindler, es ist hochinteressant. Das Präsidium hört gebannt zu.
({0})
Aber Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen.
Das mache ich gern. Wenn Sie uns zu einer gescheiten Runde mit trockenem Riesling einladen, mache ich
das noch viel schneller.
({0})
Wir haben heute noch zehn Tagesordnungspunkte zu
behandeln. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam.
Jawohl, Frau Präsidentin. - Wir haben noch ein paar
Hausaufgaben zu machen. Aber ich bin stolz auf den internationalen guten Ruf unserer deutschen Weine. Dazu
hat der Gesetzgeber seit 1985 entscheidend mit beigetragen. So schlecht kann unsere Politik also nicht gewesen
sein. Die Winzer haben diese Herausforderung umgesetzt.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung
und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1983, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 18/1780 und 18/1966
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
({0})
Richtig schade, dass uns die Besucher schon vor geraumer Zeit verlassen haben.
({1})
- Einige sind noch da, gut.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
({2})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das können Sie
gleich feiern. Aber davor hat uns der Ältestenrat in der
Verabredung noch zehn Tagesordnungspunkte zur Beratung aufgegeben. Ich bitte Sie jetzt um gemeinsames
konzentriertes Bearbeiten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Innenausschusses ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland
und in der EU
- zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg,
Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Verantwortung übernehmen - Zügig mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen
Drucksachen 18/840, 18/846, 18/1760
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Am vergangenen Montag erhielten wir die Nachricht, dass 30 Flüchtlinge in einem mit 600 Menschen
völlig überfüllten Boot im Mittelmeer erstickt sind.
Solche schrecklichen Tragödien schockieren im Deutschen Bundestag jeden. Denn eines steht völlig außer
Frage: Zur Rettung von Menschenleben gibt es keine
Alternative.
Darum begrüße ich es, dass unsere Kollegen im Europaparlament im Frühjahr dieses Jahres die europäische Grenzschutzagentur Frontex rechtlich dazu verpflichtet haben, Flüchtlinge in Seenot zu retten. In
diesem Zusammenhang muss aber auch gesagt werden, dass Frontex bereits in den Jahren vor der rechtlichen Verpflichtung über 40 000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet hat.
Eine wesentliche Ursache für die Katastrophen auf
dem Mittelmeer und den anschwellenden Flüchtlingsstrom ist der Bürgerkrieg in Syrien. Täglich fordert der
anhaltende Zerfall des syrischen Staates neue Todesopfer. Inzwischen sind über 9,3 Millionen Syrer innerhalb und außerhalb ihrer Heimat auf der Flucht. Alle
diese Menschen brauchen dringend humanitäre Hilfe.
Dem oft erhobenen Vorwurf, Europa sei eine Festung, muss ich an dieser Stelle widersprechen. Seit
2008 ist die Zahl der Menschen, denen im europäischen Asylsystem Schutz gewährt wurde, um rund
55 Prozent gestiegen. Das belegen die Zahlen von Eurostat, die zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2014
vorgelegt wurden.
Es ist aber eine traurige Tatsache, dass sich die
gestiegene Aufnahmebereitschaft in Europa auf wenige Länder, vor allem Deutschland und Schweden,
beschränkt. Das zeigt sich am Beispiel der SyrienHilfe ganz deutlich.
In Deutschland gilt seit 2011 ein absoluter Abschiebestopp nach Syrien. In den letzten Jahren sind über
35 000 Syrer nach Deutschland gekommen und erhalten über das gewöhnliche Asylverfahren Schutz. Allein
zwischen Januar 2013 und Mai 2014 wurden in
Deutschland nahezu 21 000 Erstanträge aus Syrien
verzeichnet. Die Anerkennungsquote bei diesen Anträgen liegt bei fast 100 Prozent. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges hat sich die syrische Gemeinschaft in
Deutschland auf rund 66 000 mehr als verdoppelt.
Zusätzlich hat die Bundesregierung im letzten Jahr
zwei Sonderprogramme aufgelegt, um 10 000 besonders schutzbedürftigen Syrern Schutz in Deutschland
zu gewähren. Diese Programme werden voraussichtlich erst im August abgeschlossen sein. Trotzdem haben die 16 Innenminister der Länder zusammen mit
dem Bundesinnenminister im Juni beschlossen, weiteren 10 000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland im
Rahmen eines dritten Senderprogramms Schutz zu bieten. Damit wird das bestehende Bundesprogramm verdoppelt. Diesen zusätzlichen Einsatz begrüße ich ausdrücklich und bin den Innenministern für dieses
wichtige Signal sehr dankbar.
Deutschland hilft mit den Sonderprogrammen nicht
nur den insgesamt 20 000 Flüchtlingen. Die Bundesregierung sendet damit und mit seinem insgesamt offenen Asylsystem ein wichtiges Signal an den Rest der
Europäischen Union. Auch unsere europäischen Partner haben eine humanitäre Verantwortung und müssen
mehr für die Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe
in Syrien unternehmen.
Bisher haben die Staaten der EU 33 000 syrischen
Flüchtlingen Schutz zugesagt. 20 000 davon entfallen
allein auf Deutschland. Auch große Länder wie Frankreich oder Großbritannien stellen nur 500 Sonderplätze zur Verfügung. Diese massive Schieflage im europäischen Asylsystem muss behoben werden. Aktuell
werden rund 60 Prozent aller Asylanträge innerhalb
der EU in Deutschland gestellt. Dieser Zustand ist auf
Dauer nicht tragbar.
Auf nationaler Ebene haben wir heute etwas getan,
um den Migrationsdruck an anderer Stelle zu reduzieren. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina
haben wir heute zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.
Damit kann rund ein Viertel aller Asylanträge in
Deutschland schneller bearbeitet werden.
Auf europäischer Ebene setzt sich die Bundesregierung seit Jahren mit Nachdruck für ein größeres Engagement unserer europäischen Partner ein. Zuletzt hat
sie das auf dem High Level Meeting in Genf am
27. Juni getan. Ich hoffe, dass den Worten nun auch
Taten folgen. Ganz Europa muss sich seiner humanitären Verantwortung angesichts der katastrophalen Lage
in Syrien bewusst werden.
Letztendlich müssen wir aber einsehen, dass wir mit
Sonderprogrammen und dem europäischen Asylsystem
immer nur punktuell helfen können.
Wir haben aber eine humanitäre Verpflichtung gegenüber allen Flüchtlingen. Deswegen ist es absolut
richtig, dass die Bundesregierung ihre Mittel trotz der
Verdoppelung der Sonderprogramme nach wie vor auf
die Hilfe vor Ort fokussiert. Seit 2012 hat die Bundesregierung über eine halbe Milliarde Euro für syrische
Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Damit gehört Deutschland zu den größten bilateralen Geldgebern.
Vor Ort leistet unser Technisches Hilfswerk praktische Hilfe in den Flüchtlingslagern. Die Mitarbeiter
des THW und der anderen Hilfsorganisationen vor Ort
verrichten einen unschätzbaren Dienst für Millionen
von Flüchtlingen. Ihnen gebührt unser größter Dank.
Vor diesem Hintergrund können die Anträge von
Linken und Grünen getrost abgelehnt werden. Die
Bundesregierung hat mit ihrem großen und stetig
wachsenden Engagement in Syrien die Anträge längst
obsolet werden lassen.
Es ist leicht, die Aufnahme von mehr Flüchtlingen
aus Syrien zu fordern, wenn man sich als Bundespolitiker nicht um deren Unterbringung und Versorgung
kümmern muss. Solche Forderungen greifen aber zu
kurz.
Die Meldungen aus Städten wie Hamburg, aber
auch aus meiner Heimat bringen es auf den Punkt:
„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand!“, heißt es dort,
wenn es um die Unterbringung und Versorgung von
Asylbewerbern geht! Ich denke, deutlicher kann man
es kaum ausdrücken.
Mehr als 60 Prozent aller syrischen Flüchtlinge in
Europa hat Deutschland mittlerweile aufgenommen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir erwarten dieses Jahr einen Rekordwert von
200 000 Asylanträgen in der Bundesrepublik. Davon
stammen jeden Monat 1 700 von syrischen Flüchtlingen.
Das sind Zahlen, die unsere Kommunen erst einmal
bewältigen müssen. All dies wird von den beiden Anträgen, gelinde gesagt, heruntergespielt. Das Gleiche
gilt für das beträchtliche deutsche Engagement in den
syrischen Nachbarstaaten.
Es liegt doch ganz klar auf der Hand, dass zuerst
die notwendigen Aufnahmekapazitäten vorhanden sein
müssen, bevor wir die Menschen aufnehmen können.
Deshalb müssen wir, was Aufnahmekontingente angeht, auch auf unsere Kommunen hören, denn sonst
sitzen die Flüchtlinge bei uns in naher Zukunft auch
auf der Straße, wie in einigen anderen Ländern in Europa. Das kann doch nicht das Ziel sein, wenn wir den
Menschen wirklich helfen wollen.
Hinzu kommt, dass Kapazitäten in den Aufnahmeeinrichtungen und beim zuständigen Bundesamt durch
Asylbewerber aus den Balkanstaaten gebunden werden.
Ich appelliere deshalb dringend nochmals an die
Länder, dem Gesetzentwurf zur Einstufung von
Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina
als sichere Herkunftsländer zuzustimmen, damit die
Kapazitäten unseres Asylsystems den tatsächlich
Schutzbedürftigen, wie den Menschen aus Syrien, auch
zur Verfügung stehen.
Bund und Länder haben nun beschlossen, die bundesweite Aufnahme auf 20 000 syrische Flüchtlinge
aufzustocken. Hinzu kommen noch die separaten
Aufnahmeprogramme der Länder, wodurch Tausende
weitere Syrer bei ihren Verwandten in Deutschland unterkommen können. Vor dem Hintergrund des andauernden Bürgerkriegs in Syrien und der angespannten
Lage in den Nachbarstaaten ist dies in jeder Hinsicht
gerechtfertigt.
Doch man muss sich darüber im Klaren sein, dass
jede deutsche Aufnahmeaktion stets nur eine begrenzte
Zahl syrischer Flüchtlinge aufnehmen können wird.
Deshalb ist es richtig, den Schwerpunkt der Flüchtlingshilfe auf die Nachbarstaaten zu konzentrieren,
wohin mittlerweile drei Millionen Syrer nach Schätzungen geflohen sind.
Deutschland hat seit 2012 rund 520 Millionen Euro
für humanitäre Hilfe und zur Verbesserung der Infrastruktur in den Nachbarstaaten Syriens bereitgestellt.
Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgt
für sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern.
Die Erfahrungen aus diesem breit angelegten Engagement haben eines unmissverständlich gezeigt: Jeder
Euro hilft vor Ort viel mehr Menschen als bei einer
Aufnahme in Deutschland. Und das ist es schließlich,
was wir wollen, dass unsere Hilfe so viele Menschen
wie möglich erreicht und damit auch so effektiv wie
möglich ist. Wir können daher nur an alle Mitgliedstaaten in der Europäischen Union appellieren, diesem Beispiel zu folgen.
Meine inständige Bitte lautet daher, dass die neue
EU-Kommission, sobald sie im Amt ist, endlich zu einer Syrien-Konferenz einlädt, was die Bundesregierung schon seit über einem Jahr fordert. Denn nur
Europa als Ganzes kann dafür sorgen, dass die dringend benötigten Hilfsmittel für die Flüchtlinge in den
syrischen Nachbarstaaten zusammenkommen und eine
europäische Aufnahmeaktion anlaufen kann.
Lassen Sie mich abschließend noch eines betonen:
Wir dürfen bei allen notwendigen Hilfsmaßnahmen
nicht vergessen, das Problem bei der Wurzel zu packen.
Die Menschen aus Syrien verlassen ihre Heimat
nicht freiwillig, sondern weil sie dort um ihr Leben
bangen müssen. Der Zustand, dass die Friedensverhandlungen bis auf Weiteres abgebrochen wurden, bis
ein „konstruktiver Dialog“ möglich ist, darf nicht einfach hingenommen werden.
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam alles dafür tun,
dass der Krieg in Syrien beendet wird und die Menschen wieder sicher in ihrer Heimat leben können.
Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir es noch
geschafft, hier mit den Stimmen aller Fraktionen des
Hauses eine einheitliche Position mit dem Titel „Syrische Flüchtlinge schützen“ zu verabschieden. Das war
ein Zeichen der humanitären Anteilnahme mit den Opfern des Konflikts, und wir haben auch - wie gesagt,
gemeinsam - die damalige Bundesregierung auf diesem Gebiet unterstützt.
In diesem Jahr war das leider nicht möglich: Wir
entscheiden hier heute nur über Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke.
Warum es also dieses Jahr nicht wieder gemeinsam
möglich ist, kann ich Ihnen zwar berichten, nachvollziehen und verstehen kann ich es aber nicht. Nur so
viel sei gesagt: An der Bereitschaft zur konstruktiven
Mitarbeit aus der sozialdemokratischen Fraktion heraus hat es nicht gefehlt.
Es hat sich auch an der Sachlage eigentlich nichts
geändert, sondern im Gegenteil: Die humanitäre Katastrophe innerhalb Syriens und in den an Syrien angrenzenden Staaten hat sich dramatisch vergrößert.
2,8 Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen, und
weitere 9,3 Millionen sind in Syrien selbst auf der
Flucht und jedenfalls dringend auf humanitäre Hilfe
angewiesen. Im Libanon halten sich mittlerweile mehr
als 1 Million Flüchtlinge auf. Bei einer Einwohnerzahl
dieses Staates, die nur knapp fünfmal so hoch liegt,
kann sich jeder auch ohne Aufbietung von besonderer
Fantasie vorstellen, dass der Libanon kurz vor einem
Kollaps seiner Infrastruktur und vielleicht des ganzen
Staatswesens steht.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deutschland leistet mit mittlerweile schon über
400 Millionen Euro Unterstützung für die Lage vor
Ort. Beispielhaft nicht nur in Europa, sondern in der
ganzen Welt - natürlich ausgenommen die unmittelbaren Anrainerstaaten - ist auch unsere Bereitschaft,
Flüchtlinge aus Syrien bei uns aufzunehmen. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges haben 34 000 Asylsuchende
bei uns Schutz gefunden. Mit Aufnahmeprogrammen
des Bundes - zunächst 5 000, dann 10 000, jetzt nach
der letzten Innenministerkonferenz 20 000 Personen und verschiedenen Länderaufnahmeprogrammen
- nur Bayern macht hier leider eine Ausnahme - sind
mittlerweile weitere 10 000 syrische Flüchtlinge in
Deutschland eingetroffen.
Im Februar dieses Jahres hat der UNHCR die gesamte internationale Staatengemeinschaft aufgerufen,
30 000 Plätze für die dauerhafte Neuansiedlung oder
humanitäre Aufnahme von besonders schutzbedürftigen syrischen Flüchtlingen bereitzustellen. Für 2015
und 2016 rechnet er mit einem Bedarf für weitere
100 000 Plätze.
Innerhalb Europas hat sich Deutschland - diesmal
und erfreulicherweise - nicht auf den Standpunkt zurückgezogen, man wolle zunächst abwarten, was andere tun, um sich dann erst selbst der Verantwortung
zu stellen. Wir haben im Gegenteil versucht, mit der
Aufnahme syrischer Flüchtlinge bei uns auch für die
anderen Mitgliedstaaten ein ermunterndes Beilspiel zu
geben. Diese Hoffnung war leider bisher vergeblich,
und es wird nunmehr allerhöchste Zeit, dass die neu zu
wählende Europäische Kommission sich dieser Frage
engagiert annimmt. Um es klar und deutlich zu sagen:
Die bisherige Untätigkeit der anderen europäischen
Mitgliedstaaten halte ich, gelinde gesagt, für einen
Skandal und mit unseren ansonsten immer viel beschworenen europäischen Grundwerten für nicht vereinbar.
Selbst die frühere Opposition von Bündnis 90/Die
Grünen, Linkspartei und Sozialdemokraten hat die damalige Bundesregierung nachdrücklich unterstützt,
und zwar sowohl bezüglich der finanziellen Hilfen in
der Krisenregion als auch im Bezug auf die Flüchtlingspolitik, und wir sollten auch heute mit allem
Nachdruck die Verhandlungsposition der jetzigen Regierung und hier namentlich unserer Minister FrankWalter Steinmeier und Thomas de Maizière unterstützen, um auf europäischer Ebene weiterzukommen.
In diesem Zusammenhang muss ich wiederholen,
was ich vor zwei Tagen in einer anderen Debatte erwähnt und beklagt hatte. Für den 27. Juni 2014 hatte
der UNHCR zu einem High-Level-Meeting nach
Genf eingeladen. Dort vertreten waren 42 Staaten.
Herausgekommen ist: Aufnahmebereitschaft für weitere 565 Personen - wohlgemerkt nicht am Tag, in der
Woche oder im Monat, sondern insgesamt! Ich betrachte das als eine Schande. Mutmaßlich werden die
Kosten dieser angeblichen High-Level-Veranstaltung
höher gewesen sein als der mehrmonatige Aufwand für
die Aufnahme von diesen 565 Personen.
Ich finde, unser Bundespräsident Joachim Gauck
hat in seiner bemerkenswerten Rede von Anfang dieser
Woche zu Recht darauf hingewiesen, man werde nie
genug tun können, um dem Flüchtlingselend in der
Welt überall entgegenwirken zu können, man kann
aber wesentlich mehr tun, als man gemeinhin glaubt.
Das betrifft Deutschland genauso wie die europäische
und die internationale Staatengemeinschaft. Um den
notwendigen politischen und moralischen Druck aufzubauen und von einer glaubwürdigen Position aus
verhandeln zu können, sollten wir weiterhin mit gutem
Beispiel vorangehen.
Wir haben dabei im Übrigen - was bei diesen Themen nicht immer der Fall ist - in der großen Mehrheit
unserer Bevölkerung mit mitfühlendem Verständnis
und Hilfsbereitschaft zu rechnen.
Lassen Sie uns hier in diesen Fragen beieinander
bleiben - auch wenn es heute zu einem gemeinsamen
Antrag noch nicht wieder gereicht hat.
Wir beraten heute abschließend einen Antrag der
Fraktion Die Linke zur Aufnahme von Flüchtlingen
aus Syrien. Darin fordern wir eine deutliche Aufstockung der Aufnahmekontingente für syrische
Flüchtlinge, Erleichterungen bei der Aufnahme bei
Verwandten in Deutschland und den Verzicht auf Abschiebungen von syrischen Asylsuchenden in andere
EU-Staaten. Wir meinen: Alle EU-Staaten müssen sich
an der Aufnahme syrischer Flüchtlinge beteiligen und
dabei von der EU unterstützt werden.
Die Konferenz der Landesinnenminister im Juni hat
tatsächlich das Kontingent für die Aufnahme von
Flüchtlingen, die sich bereits in den Anrainerstaaten
Syriens befinden, von 10 000 auf 20 000 aufgestockt.
Wir freuen uns selbstverständlich für jeden einzelnen
Flüchtling, der den überfüllten Flüchtlingslagern oder
den schwierigen Lebensbedingungen außerhalb der
Lager entkommen kann. Wir sagen aber auch: Die
Bundesrepublik könnte mehr tun.
Das gilt zum einen für die Aufnahmeverfahren selber. Die im Mai und Dezember letzten Jahres beschlossenen Aufnahmekontingente von jeweils 5 000 Flüchtlingen sind nämlich noch gar nicht ausgeschöpft. Das
liegt unter anderem an den Auswahlverfahren beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den bürokratischen Visaverfahren an den Botschaften. Hier
müssen weiterhin Verfahrensbeschleunigungen vorgenommen werden, besonders für die humanitär dringlichen Fälle.
Zum anderen gilt das auch hinsichtlich der Zahl der
Flüchtlinge, die aufgenommen werden sollen. Fast
drei Millionen Menschen sind in die Anrainerstaaten
Syriens geflohen. Das bedeutet für diese Staaten eine
unglaubliche Belastung. Es wäre auch ein Zeichen der
Solidarität gegenüber diesen Staaten, deutlich mehr
Flüchtlingen die Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen. Eine sofort wirksame Maßnahme ist die ErZu Protokoll gegebene Reden
leichterung des Verwandtennachzugs. Es ist erfreulich,
dass über die entsprechenden Aufnahmeprogramme
der Länder inzwischen immerhin 5 500 Visa erteilt
wurden. Doch es liegen noch weitere 75 000 Anträge
auf Nachzug von Verwandten vor, die noch nicht kommen konnten. Denn weiterhin sind die hier lebenden
Syrer, die sich um ihre Verwandten sorgen, mit hohen
finanziellen Anforderungen konfrontiert. Sie müssen
sich verpflichten, für den Unterhalt ihrer Verwandten
aufzukommen, und sie müssen das entsprechende Einkommen und Vermögen dafür nachweisen können. Unter Umständen müssen sie so die belastende Wahl treffen, wen sie holen und wer dort bleiben muss.
Bund und Länder haben damit eine Entscheidung
über die Zukunft dieser Menschen und ihre Überlebenschancen an ihre hier lebenden Verwandten delegiert. Keiner von uns hier will sich wohl in einer Situation wiederfinden, in der er über das Leben seiner
Geschwister, Eltern und Kinder entscheiden muss.
Eine solche Entscheidung ist moralisch unzumutbar.
Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: Der
Nachzug von Verwandten ersten und zweiten Grades
darf keine Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit
sein. Er muss jetzt und ohne weitere Anforderungen
möglich sein. Bund und Länder sind dringend gefordert, noch einmal deutlich nachzubessern. Die nun von
den Innenministern beschlossene Kostenübernahme
im Krankheitsfall kann da nur der erste Schritt sein.
Von der Koalition wird gern auf die Verantwortung
aller EU-Staaten und die hohe Zahl syrischer Asylsuchender in Deutschland verwiesen. Deshalb sollten
sich die anderen EU-Staaten selbst um die Asylsuchenden kümmern, die bei ihnen ankommen. Zugleich
macht die Bundesregierung Druck auf die Länder an
den Außengrenzen der EU, dass diese ihre Grenzen effektiver abschotten sollen. Die Bundesregierung ist
mitverantwortlich für eine Politik, die schutzsuchende
Menschen nur als sogenannte irreguläre Migranten
behandelt und sie gar nicht erst einreisen lässt. Die
Landgrenzen Griechenlands und Bulgariens zur Türkei sind mittlerweile zu einer unüberwindbaren Hürde
geworden. Es ist diese Abschottung, die zu den täglichen Dramen im Mittelmeer führt. Erst gestern hat der
UNHCR 75 Flüchtlinge im Mittelmeer als vermisst gemeldet. Am Tag zuvor meldete die italienische Marine
den Tod von 45 Flüchtlingen, die auf der Überfahrt
von Libyen erstickt waren. Deshalb fordern wir, endlich sichere Fluchtwege in die EU zu schaffen, um die
Menschen nicht in Lebensgefahr zu treiben. Davon
würden nicht zuletzt die syrischen Flüchtlinge profitieren, die weiterhin zu Tausenden Tag für Tag ihre Heimat verlassen müssen.
Es geht in beiden Anträgen im Schwerpunkt um die
Forderung eines weiteren Aufnahmekontingents des
Bundes für syrische Flüchtlinge, das sich in der Größenordnung an den Interessensbekundungen syrischer
Verwandter hier in Deutschland orientiert. Es gibt
circa 76 000 Meldungen. Denn trotz des engagierten
Einsatzes von Bund, Ländern und Kommunen reicht
meines Erachtens der deutsche Beitrag für syrische
Flüchtlinge noch nicht aus. Es ist dieses wichtigen humanitären Themas unwürdig, dass es nicht gelungen
ist, hierzu einen gemeinsamen Antrag vom Deutschen
Bundestag beschließen zu lassen, und dies bei einem
Thema, das angelblich allen Fraktionen am Herzen
liegt. Dies ist sehr bedauerlich. Es wäre auch mit Blick
auf die Innenministerkonferenz ein gutes Signal gewesen, wenn der Bundestag hierzu ein geschlossenes Bild
abgegeben hätte.
Es ist begrüßenswert, dass die Innenministerkonferenz dennoch im Juni 2014 beschlossen hat, dass
Deutschland ein weiteres Kontingent von 10 000 syrischen Flüchtlingen aufnimmt. Fakt ist nur, dass auch
ein neues Kontingent von weiteren 10 000 syrischen
Flüchtlingen nicht ausreichen wird, um alle Anfragen
aus Deutschland zu befriedigen, zumal es bis heute
auch noch keine Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums für das neue Kontingent mit den Details gibt. Es ist mir unverständlich, warum nicht direkt
ein Kontingent gebildet wird, das sich an der Zahl der
Interessenbekundungen orientiert, zumal die Bereitschaft in der Bevölkerung zur Aufnahme und Hilfe für
weitere syrische Flüchtlinge groß ist. Ehrenamtliche
setzen sich bereits jetzt zahlreich für die ankommenden
Flüchtlinge ein. Engagierte Bürger und Bürgerinnen
helfen bei der Wohnungssuche, beim Ämtergang, bringen den Ankommenden das Fahrradfahren bei oder
bieten Deutschkurse an.
Neben der Forderung eines weiteren Kontingents
bleibt für meine Fraktion nach wie vor das Problem
von Dublin-Überstellungen syrischer Flüchtlinge ungelöst, die in Deutschland Verwandte haben. Hierzu ist
mir nicht bekannt, dass das BAMF seine Praxis geändert hätte, außer wenn man in Einzelfällen darauf aufmerksam macht. Für hoch problematisch halten wir
auch die weiter fortbestehende Praxis der Inhaftierung
von syrischen Flüchtlingen in Zurückschiebungshaft.
Erst am 17. Juni 2014 ist ein schwer traumatisierter
syrischer Flüchtling nach 35 Tagen Haft, veranlasst
durch die Bundespolizei, trotz Vorliegens ärztlicher Atteste über seine Traumatisierung und Folterungen
nach Polen rücküberstellt worden. Der Flüchtling
wollte hier in Deutschland zu seinem Bruder. Es ist
skandalös, dass man Opfer des Krieges als Erstes in
eine Arrestzelle steckt, anstatt ihnen Unterstützung
und medizinische Versorgung zukommen zu lassen.
Ebenso ungelöst ist der Ausbau der personellen Kapazitäten für die Bearbeitung von Einreiseanträgen
von Flüchtlingen an den deutschen Botschaften in
den Nachbarstaaten Syriens. Mir sind keine entsprechenden Anträge im Haushaltsverfahren bekannt geworden. Auch hier gab es ein großes Versäumnis,
Vorkehrungen für eine schnellere Bearbeitung der Visaanträge zu schaffen.
Klar ist, dass es eine gesamteuropäische Verantwortung für die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen
Zu Protokoll gegebene Reden
gibt. Dies haben wir mit einem überfraktionellen Antrag am 7. Mai im Bundestag auch festgehalten. Deshalb hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass die
Bundeskanzlerin beim Europäischen Rat letzte Woche
das Thema auf den Tisch gebracht hätte. Denn es ist
doch angesichts der sich stets verschlimmernden Situation in Syrien und den Anrainerstaaten viel zu zögerlich, auf die Möglichkeit einer EU-Flüchtlingskonferenz auf Ministerebene Ende dieses Jahres zu
verweisen.
Wie die Koalitionsfraktionen die Ablehnung der beiden Oppositionsanträge rechtfertigen wollen, bleibt
ihr Geheimnis. Menschenrechtliche Glaubwürdigkeit
sieht anders aus.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache
18/1760. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/840. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/846. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
beider Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts
an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften
Drucksachen 18/1529, 18/1776
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/1995
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/2006
Die Reden gehen auch hier zu Protokoll, und Sie haben Ihr Einverständnis erklärt.
Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute in
zweiter und dritter Lesung abschließend beraten, enthält verschiedene redaktionelle Anpassungen und Änderungen in verschiedenen Steuergesetzen. Namensgeber des Gesetzes sind die durch den Beitritt Kroatiens
zur EU notwendigen Anpassungen des nationalen Einkommensteuerrechts und des Tabaksteuergesetzes.
Daneben werden wir unter anderem eine Vielzahl von
redaktionellen Änderungen und auch Vereinfachungen
im Steuerrecht vornehmen. Im Koalitionsvertrag
haben wir gemeinsam mit der SPD verabredet, die Bürokratie - auch im Steuerrecht - weiter abzubauen.
Versprochen und geliefert!
Im Einkommensteuer-, Körperschaft- und Gewerbesteuergesetz erfolgt durch Streichung von über 100 Absätzen eine Straffung der Anwendungsregelungen. Wir
werden auch den Grenzbetrag für die jährliche Abgabe einer Lohnsteueranmeldung von 1 000 Euro auf
1 200 Euro anheben.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, für
Hörbücher den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzuwenden. Auch dies setzen wir mit diesem Gesetz um,
wobei wir uns darin einig waren, dass die Anwendung
des ermäßigten Umsatzsteuersatzes die Lieferung eines körperlichen Speichermediums - also zum Beispiel
eine CD-ROM oder einen USB-Stick, aber auch eine
analoge Kassette - voraussetzt. Downloads aus dem
Internet hingegen fallen nicht unter diese Begünstigung.
Wir waren uns auch darüber einig, dass zukünftig
Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in die
Gewerbesteuerbefreiung einbezogen und somit stationären Einrichtungen gleichgestellt werden, soweit
diese im Rahmen der verordneten Rehabilitation Leistungen erbringen. Bei dieser Ergänzung haben wir uns
davon leiten lassen, dass es keinen Unterschied machen kann, ob eine verordnete Rehabilitation stationär
oder ambulant ausgeführt wird. Gleichzeitig wollen
wir damit zur Verbesserung der Versorgungsstruktur
insgesamt beitragen.
Wir haben mit dem vorliegenden Gesetz auch eine
Vielzahl von Anregungen aus den Bundesländern aufgegriffen.
Ein sehr gutes Beispiel, wie wir gemeinsam mit den
Ländern auf mögliche neue Fehlentwicklungen schnell
und konsequent reagieren und damit missbräuchliche
Steuergestaltungen verhindern, ist unsere Klarstellung
zur Wegzugsbesteuerung in § 50 i Einkommensteuergesetz. Ziel dieser schnellen Reaktion ist die Gewährleistung der Besteuerung von in Deutschland entstandenen stillen Reserven. Wir wollen nicht, dass durch
Wegzug ins Ausland und weitere steuerliche Gestaltungen eine steuerfreie Verbringung ins Ausland möglich
ist.
Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich für die Bekämpfung von missbräuchlichen steuerlichen Gestaltungen
ein. Obwohl dieses Ansinnen oftmals dem Hase-IgelRennen gleichkommt, zeigt die schnelle Reaktion mit
dem vorliegenden Gesetz, wie flexibel auch der Gesetzgeber gemeinsam mit dem Bundesrat reagieren
kann, um solchen Gestaltungen einen Riegel vorzuschieben.
Durch die nun geregelte systematisch zutreffende
Umsatzbesteuerung am Verbrauchsort von Telekom4254
munikationsleistungen sowie auf elektronischem Weg
erbrachten Dienstleistungen an Verbraucher und dem
gleichzeitig eingeführten Registrierungsprozess für
das Mini-One-Stop-Shop-Verfahren als einzige MiniAnlaufstelle erwarten wir jährliche Umsatzsteuermehreinnahmen von circa 400 Millionen Euro. Hintergrund der etwas sperrigen Regelung ist die Sicherstellung der Umsatzbesteuerung von Leistungen, die hier
in Deutschland in Onlinestores von beispielsweise
Apple oder Google an Endverbraucher erbracht werden. Es handelt sich hierbei im Übrigen nicht um eine
Steuererhöhung. Es geht vielmehr darum, dass das
Steuersubstrat, das nach Deutschland gehört, auch
hier ankommt.
Ein Punkt, den wir bei den Beratungen und auch bei
der Anhörung intensiv besprochen haben, war die
Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei
Bauleistungen und bei Gebäudereinigungsleistungen
nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH. Auch
hier wurde eine praktikable Lösung im Interesse der
Betroffenen gefunden und die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für Bau- und Gebäudereinigerleistungen so wiederhergestellt, wie diese bereits vor einer
Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. August
2013 bestanden hat. Das sorgt für Rechtssicherheit.
Abschließend bedanke ich mich bei den Berichterstattern in der Koalition für die sehr gute und
zielorientierte Zusammenarbeit. Mein Dank gilt auch
allen beteiligten Mitarbeitern des BMF für die
schnelle und teilweise weit über die normalen Dienstzeiten hinausgehende Zuarbeit.
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden,
enthält Änderungen des Einkommensteuergesetzes und
des Tabaksteuergesetzes, die wegen des Beitritts Kroatiens zur EU notwendig geworden sind. Die Änderungen sind zwingend, um die europäische Richtlinie
2013/13/EU in nationales Steuerrecht umzusetzen.
Gleichzeitig werden mit diesem Gesetz weitere Änderungen des Steuerrechts vorgenommen, die teils aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, teils aufgrund besonderer Anliegen der Bundesländer und teils
zur Sicherung der Steuerquellen in Deutschland erforderlich sind. Mit diesem Gesetz werden über 100 Absätze im Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und
Gewerbesteuergesetz gestrichen. Damit wird eine
Straffung der Anwendungsregelungen erreicht.
Hier könnte ein wenig Hoffnung aufkeimen, dass
dies ein erster Schritt zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des deutschen Steuerrechts sein könnte.
Ich würde mich sehr freuen, wenn dies tatsächlich
auch der Fall wäre; denn wir wären gut beraten, die
dringend notwendigen Schritte zur Vereinfachung des
Steuerrechts energisch weiter fortzusetzen. Allerdings
fürchte ich, dass der Schwung zur Steuervereinfachung
wieder einmal schnell erlahmen wird.
Von den zahlreichen Änderungen, die mit diesem
Gesetzentwurf verbunden sind, möchte ich nur einige
herausgreifen und im Folgenden darstellen.
Durch eine neue Bestimmung in § 50 i EStG wird es
in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass in Deutschland entstandene stille Reserven durch steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten bei einem Wegzug des Steuerpflichtigen ins Ausland der deutschen Steuer entzogen
werden. Mit dieser Vorschrift soll unter anderem auf
das BFH-Urteil aus dem Jahr 2009 reagiert werden, in
dem entschieden wurde, dass eine Veräußerung oder
Entnahme von Wirtschaftsgütern durch einen im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen nur vom Ansässigkeitsstaat besteuert werden kann. Mit der Klarstellung
in § 50 i EStG wird nun dem deutschen Fiskus wieder
die Möglichkeit gegeben, diese Sachverhalte unabhängig von Doppelbesteuerungsabkommen nach deutschem Steuerrecht zu behandeln und das entsprechende Steueraufkommen für Deutschland zu sichern.
Mit der Änderung des Umsatzsteuergesetzes bezüglich des Leistungsorts bei Telekommunikationsleistungen und ähnlichen Leistungen wird eine weitere Regelung getroffen, damit der deutsche Fiskus
ihm zustehende Steuereinnahmen erhält. Zukünftig gilt
in diesen Fällen als Leistungsort bei Leistungen an
Nichtunternehmer der Ort, an dem der Leistungsempfänger seinen Sitz hat. Damit wird eine zutreffende Besteuerung am tatsächlichen Verbrauchsort erreicht.
Diese Regelung wird zu einem zusätzlichen Steueraufkommen von schätzungsweise 400 Millionen Euro führen.
Im Ausschuss wurde von der Opposition behauptet,
dass diese Regelungen tatsächlich Steuererhöhungen
seien und wir damit unser Wahlversprechen brechen
würden. Liebe Kollegen der Opposition, sehen Sie
doch bitte von so billiger Polemik ab, denn hierdurch
werden nur Steuern in Deutschland erhoben, die bisher im Ausland anfielen und nun zu Recht dem deutschen Staat zugutekommen.
Eine weitere Änderung betrifft die Umkehrung der
Steuerschuldnerschaft für Bauleistungen und Gebäudereinigerleistungen sowie für Fälle des Metallhandels und des Handels von Tablets und Spielekonsolen.
Damit wird wieder der Zustand hergestellt, wie er vor
der Entscheidung des BFH vom 22. August 2013
herrschte. Hier entsprechen wir einem Anliegen der
Bundesländer und auch den Forderungen der Betroffenen. Neben diesen Änderungen enthält das Gesetz eine
weitere Reihe von Änderungsregelungen für eine Vielzahl von Vorschriften von der Steuerfreiheit von Unfallentschädigungen für Beamte über den Zweiterwerb
von Lebensversicherungen bis hin zur Reduzierung des
Mehrwertsteuersatzes für Hörbücher.
Wie eingangs gesagt, entsprechen wir mit diesem
Gesetz auch bestimmten Anliegen der Bundesländer
und stellen Sachverhalte wieder klar her, die durch Urteile des BFH geändert wurden. Wir sichern dem deutschen Fiskus das ihm zustehende Steueraufkommen
Zu Protokoll gegebene Reden
und straffen das Steuerrecht in einigen Vorschriften.
Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetz heute Ihre Zustimmung zu geben.
Das Kroatien-Gesetz hat mich zweimal überrascht:
erst mit seinem trügerischen Namen und danach mit
seinem Umfang. Der Name intendiert gesetzliche Anpassungen im Steuerrecht, die ganz überwiegend im
Zusammenhang mit dem kroatischen Beitritt zur Europäischen Union stehen - über den wir uns seit einem
Jahr bereits freuen. Zu einem nicht unwesentlichen
Teil handelt es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf
der Bundesregierung um die Anpassung geltenden
Steuerrechts. Das sind weitestgehend unstrittige
redaktionelle oder rechtsförmliche Anpassungen, die
geschehen müssen, um bestehende Gesetze an den
Beitritt Kroatiens anzupassen. Ich denke da etwa an
die Anpassung der Mutter-Tochter-Richtlinie oder die
Anpassung der Richtlinie über die Zins- und Lizenzgebühren.
Nun hat man aber sinnvoller Weise die Chance
erkannt, notwendige redaktionelle Anpassungen im
gesamten Steuerrecht vorzunehmen, um ein abgerundetes technisches Gesetz vorzulegen. Aber wie das
dann so ist in der Politik - je mehr Akteure, desto
mehr Begehrlichkeiten, ob nun aus dem Bundesfinanzministerium, dem Bundestag oder am Ende dem Bundesrat -: Aus einem rein technischen Gesetz entstehen
nun, auch dank der Fachleute aus der Anhörung, Maßnahmen, die das Steuerrecht häufig entschlacken, präzisieren oder sinnvoll verändern. Da gilt es, auch zwischen allen Ebenen Kompromisse zu schließen. Auf
vier davon möchte ich in meiner Rede kurz eingehen.
In der Umsatzsteuer, genauer gesagt in § 13 b, kehren wir zu einer bewährten Methode zurück, die zugegebenermaßen auch ich erst mal verstehen musste.
Beim Reverse-Charge-Verfahren ist nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Empfänger von Bauleistungen Steuerschuldner, wenn er als Unternehmer selbst
nachhaltig Bauleistungen erbringt. Dieses Modell hat
bisher vieles vereinfacht und letztlich auch vermieden,
dass es zu größeren Steuerausfällen in diesem Bereich
kommt. Der BFH hat in seinem Urteil vom 22. August
2013 entschieden, dass die Steuerschuldnerschaft des
Leistungsempfängers bei Bauleistungen nur in Betracht komme, wenn der Leistungsempfänger die an
ihn erbrachte Leistung selbst für eine steuerpflichtige
Bauleistung verwende, also die sogenannte bauwerksbezogene Betrachtung. Auf die Eigenschaft des Leistungsempfängers als Bauleister und dementsprechend
die Höhe der von ihm ausgeführten Bauleistungen
komme es danach nicht an. Dies führt in der Verwaltungspraxis zu zahlreichen Problemen, drohenden
Einnahmeausfällen und zu Unklarheiten zwischen Unternehmern und Subunternehmern. Deshalb reagieren
wir hier auch zum Wohle des Mittelstandes und der
vielen ehrlichen und fleißigen Bauunternehmer in unserem Land auf das Urteil des BFH und gießen ein
rechtssicheres Fundament für die Bauwirtschaft.
Durch den neuen Satz 2 wird bereits eindeutig im Gesetz definiert, dass der Leistungsempfänger nur dann
Steuerschuldner für eine an ihn erbrachte Bauleistung
ist, wenn er selbst nachhaltig Bauleistungen ausführt.
Entsprechend wird gesetzlich klargestellt, dass der
Leistungsempfänger auch dann Steuerschuldner ist,
wenn er die an ihn im Einzelfall erbrachte Dienstleistung nicht zur Ausführung einer Bauleistung verwendet. Damit kommt künftig die vom BFH formulierte
bauwerksbezogene Betrachtung nicht mehr zur
Anwendung, sondern es kommt darauf an, dass der
Leistungsempfänger nachhaltig Bauleistungen erbringt. Diese Regelung wird auch von Verbänden,
Unternehmen, Steuerberatern und Finanzverwaltung
begrüßt und bringt für alle Beteiligten ein großes Stück
an Sicherheit zurück.
Der Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam beschließen wollen, bietet eine weitere Verbesserung im
Bereich des Einkommensteuergesetzes. Wenn beispielsweise Lebensversicherungen den Charakter der
Risikovorsorge verlieren und zu einem reinen Renditemodell werden, dann wird dieser Umstand künftig
steuerpflichtig. Wir reagieren damit auf Modelle, bei
denen Fonds im großen Umfang „gebrauchte“ Versicherungen - insbesondere Todesfallversicherungen von den Versicherten erworben haben. Mit diesen
Produkten wird der Zweck verfolgt, vorab kalkulierte
Erträge in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen
der ausgezahlten Versicherungssumme beim Eintritt
des Versicherungsfalls, also den Tod der versicherten
Person, und den Anschaffungskosten der Versicherung
für den Zweiterwerber steuerfrei zu erzielen.
Ich möchte Ihnen das gern an einem Beispiel erläutern. Es kam vor einigen Jahren dazu, dass sogenannte
Investoren massenhaft Lebensversicherungen von
Schwerstkranken, häufig Aidskranken, aufkauften und
mit dem Sterbedatum spekulierten, um somit Geld zu
verdienen. Ich muss Ihnen nicht sagen, was ich von
solchen Wetten auf den Tod ethisch und moralisch
halte. Aber dass solche Modelle auch noch steuerfrei
bleiben sollen, das führt unser System ad absurdum.
Diese Steuerlücke wird geschlossen, und das ist auch
gut!
Einen großen Schritt vorangekommen sind wir bei
den sogenannten Mini-One-Stop-Shops - oder zentralen Anlaufstellen. Hier geht es um die Bestimmung
des Leistungsortes bei Telekommunikationsleistungen, Rundfunk- und Fernsehleistungen und bei auf
elektronischem Weg erbrachten Leistungen an Nichtunternehmer. Kurzum: Welcher Steuersatz gilt, wenn
ich hier in Berlin ein Musikstück kostenpflichtig, etwa
bei Amazon, herunterlade, aber das Unternehmen
seine Steuern beispielweise in Luxemburg bezahlt und
somit ein Steuersatz gilt, der hierzulande unter ferner
liefen eingestuft werden würde? Die neue Regelung
verhindert zum einen totalen Steuerausfall, aber auch
eine Niedrigbesteuerung im Ausland. Künftig gilt:
Lade ich in Deutschland etwas Kostenpflichtiges he4256
runter, wird auch in Deutschland zu dem hier gültigen
Satz versteuert. Dies vereinfacht die aktuellen Regelungen massiv, sorgt für Klarheit bei allen Beteiligten,
vereinfacht die aktuellen Regelungen und sorgt auch
für ein kräftiges Plus an Steuereinnahmen. Glaubt man
den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums
- und mein Vertrauen ist da fast uneingeschränkt -,
dann können wir jährlich mit Mehreinnahmen von
400 Millionen Euro rechnen, von denen Länder und
Kommunen um gut die Hälfte profitieren.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, liegt
mir besonders am Herzen, und ich freue mich, dass die
Union hierbei unseren Vorschlägen gefolgt ist. Ich
möchte zur Entstrickungsbesteuerung kommen, wie sie
in § 50 i Einkommensteuergesetz geregelt ist, weil wir
hier gemeinsam eine ganz wesentliche Steuerlücke
schließen. Hier konnte relativ unbemerkt zuletzt eine
Lücke genutzt werden, um in Deutschland erzielte
Gewinne, die als stille Reserven noch in deutschen
Depots liegen, am Fiskus vorbei ins Ausland zu schleusen. Dabei handelt es sich um Veräußerungsgewinne,
die durch einen Wegzug nachfolgend in eine Personengesellschaft umgewandelt werden und so steuerneutral
ins Privatvermögen überführt werden sollen. Anschließend kann man diese Personengesellschaft dann
beispielsweise in eine Kapitalgesellschaft umwandeln
und einige Jahre später das Vermögen steuerfrei entnehmen. Ich will eines ganz deutlich sagen: Das mag
zwar bis dato legale Steuerumgehung sein, aber moralisch handelt es sich hierbei um Steuerhinterziehung.
Damit machen wir jetzt endlich Schluss.
Und es handelt sich hierbei eben nicht um einen
konstruierten Fall, der irgendwann mal auftreten
könnte. Im März dieses Jahres konnten wir es in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ doch nachlesen.
Da geht es um einen Erben der Porsche-Familie, der
versucht, genau dieses Modell anzuwenden. Es geht
hier um Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern,
die man versucht zu vermeiden, um ein milliardenschweres Vermögen, das hier in Deutschland erarbeitet wurde. Ich zitiere mal aus dem Artikel: „Er verpackt seine Beteiligungen in ein inländisches
Betriebsvermögen und zieht erst dann weg. Anschließend entpackt er die Beteiligungen wieder in eine
GmbH. Der Charme dieser Konstruktion: Dividenden
könnten steuerfrei ausgeschüttet werden. Außerdem
fällt in Österreich keine Erbschaft- oder Schenkungsteuer an.“ Dafür soll er sogar bei Finanzministern
anrufen, in - und ich zitiere erneut - „Verantwortung
für seine Familie und das Erbe zwischen seinen vier
Kindern“.
Für mich steht der Name Porsche für Innovation,
Erfolg und unternehmerische Verantwortung, Gerade
deshalb frage ich mich manchmal, wo der ehrenvolle
deutsche Unternehmer hin ist, der seine Verantwortung für das Gemeinwohl erkennt und auch verstanden
hat, dass es zu großem Teil ebendieser Staat ist, der die
Rahmenbedingungen dafür schafft, dass solche Unternehmen in diesem Land Erfolg haben. Wer schafft denn
die Strukturen in Infrastruktur und Bildung, von denen
besonders auch unsere Automobilindustrie derart profitieren kann, wie sie es nur hierzulande tut?
Als ich den Artikel in der „FAZ“ seinerzeit las, fiel
mir der Satz von Charles Baudelaire ein: „Für einen
Kaufmann ist sogar Ehrlichkeit eine finanzielle Spekulation.“ Wir antworten in unserem Gesetzentwurf mit
dem Talmud: „Fehlt die Gelegenheit zum Stehlen,
glaubt der Dieb, er sei ehrlich.“
In diesem Sinne reagiert die Große Koalition und
schließt eine weitere Steuerlücke. Die Änderung im
§ 50 i des Einkommensteuergesetzes nenne ich präventive Steuerehrlichkeit!
Abschließend möchte ich mich noch - weil es mein
erstes etwas größeres Gesetz war, das ich für meine
Fraktion als Berichterstatter begleiten durfte - beim
Bundesministerium der Finanzen, dessen Fachbeamtinnen und Fachbeamte immer unterstützend und fachkundig zur Seite standen, und natürlich beim Kollegen
Olav Gutting von der CDU, mit dem ich sehr gute und
offene Gespräche geführt habe, bedanken. Wenn alle
Gesetzesverfahren zwischen uns Koalitionspartnern so
ablaufen wie das Kroatien-Gesetz, ich denke, dann
können wir uns auf produktive und gewinnbringende
weitere drei Jahre freuen.
Der uns vorliegende Gesetzentwurf trägt nach wie
vor einen etwas irreführenden Namen - um den EUBeitritt Kroatiens geht es nämlich nur am Rande. Steuerjahresgesetz 2014 wäre wohl passender gewesen.
Aber vielleicht kommt ein solches ja auch noch in der
zweiten Hälfte dieses Jahres, angesichts der vielen
Baustellen in der Steuerpolitik.
Aber zurück zum Entwurf. In großen Teilen handelt
es sich bei dem hier von der Bundesregierung vorgelegten Wirrwarr um eine, salopp formuliert, Entrümpelung des Steuerrechts. Die Fraktion Die Linke
begrüßt ein solches Vorhaben ausdrücklich. Insbesondere im nahezu undurchdringlichen Labyrinth des Einkommensteuergesetzes ist ein Großreinemachen nämlich dringend notwendig.
Jedoch hätten Sie, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition, bedenken sollen, dass sich
bei einem solchen Großvorhaben schnell der eine oder
andere Fehler einschleichen kann. Sowohl durch den
Bundesrat als auch durch die Sachverständigen in der
Anhörung zu vorliegendem Entwurf im Finanzausschuss wurde angeregt, für eine sorgfältige Überprüfung noch etwas mehr Zeit einzuräumen. Darauf sind
Sie bedauerlicherweise nicht eingegangen, und ich befürchte, dass sich noch einige Schwachstellen in Ihrem
Mammutentwurf auftun werden.
Aber auch bereits jetzt gibt es schon einiges zu kritisieren. So wollen Sie zum Beispiel, meine Damen und
Herren von der Bundesregierung, ambulante Rehaleistungen zulasten der Kommunen von der GewerbeZu Protokoll gegebene Reden
steuer befreien. Falls Sie es immer noch nicht mitbekommen haben sollten - viele Kommunen sind quasi
pleite. Was Sie hier machen, ist eine weitere Steuersubventionierung der Privatisierung des Gesundheitssektors, das hat mit verantwortungsvoller öffentlicher Daseinsvorsorge leider nichts zu tun.
An anderer Stelle in Ihrem Entwurf führen Sie eine
Steuerpflicht für Gewinne aus gebrauchten Lebensversicherungen ein. Dabei scheint es Ihnen offenbar
nichts auszumachen, dass Geschäfte mit gebrauchten
Lebensversicherungen häufig eine Spekulation auf den
Tod des Versicherungsnehmers darstellen. Solche Spekulationen sind aber ethisch schlichtweg nicht tragbar
und gehören daher nach Ansicht der Fraktion Die
Linke grundsätzlich verboten.
Versteckt in Ihrem Wust verschiedenster Gesetzesänderungen sind auch Regelungen, die auf den ersten
Blick ganz harmlos wirken, aber für die Betroffenen
tatsächlich verheerende Auswirkungen haben könnten.
Nehmen wir zum Beispiel die geplanten Änderungen
im Steuerberatungsgesetz. Da führen Sie zum einen für
die Finanzbehörden die Pflicht ein, in bestimmten Fällen unbefugte Hilfeleistungen in Steuersachen an die
Steuerberaterkammern zu melden. Obendrein werden
die Steuerberaterkammern dann noch verpflichtet, in
diesen Fällen wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Im Ergebnis sollen also die Finanzbehörden bei den Steuerberaterkammern petzen und die
Steuerberaterkammern dann die Verpetzten mit Klagen
überziehen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, erstens ist das hier rechtsdogmatisch
fragwürdig, vermischen Sie doch staatliche Sanktionen und zivilrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Zweitens erschweren Sie hier den
ohnehin gegenüber Steuerberaterinnen und Steuerberatern benachteiligten Buchhalterinnen und Buchhaltern ihre Berufsausübung ganz erheblich, da diese
ständig fürchten müssen, in rechtlichen Grauzonen zu
agieren und in der Folge mit Bußgeldern und Schadensersatzansprüchen überzogen zu werden. Das ist,
mit Verlaub, ständisch orientierte Interessenpolitik zugunsten der Steuerberaterlobby.
Ich habe es eingangs schon erwähnt, die Fraktion
Die Linke begrüßt eine übersichtlichere Gestaltung
des Steuerrechts ausdrücklich. Nur leider ist der von
Ihnen vorgelegte Entwurf eben etwas vorschnell und
schwächelt in den besagten Teilen. Daher können wir
hier leider keine Zustimmung geben, sondern werden
uns der Stimme enthalten.
Das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften regelt die Begrenzung der zollfreien Menge von Zigaretten, die aus
Kroatien mitgebracht werden darf. Darüber hinaus
haben die von Regierung und Koalition vorgesehenen
Änderungen in 15 Gesetzen, 3 Durchführungsverordnungen und 19 eingebrachten Änderungsanträgen nur
wenig bis gar nichts mit dem EU-Beitritt Kroatiens zu
tun. Die Koalition schiebt uns hier ein kleines Jahressteuergesetz unter, ohne es so zu nennen. Im Herbst
kommt dann der nächste Schwung in einem Jahressteuergesetz, das auch so heißen darf. Die Befürchtung
bleibt, dass die Koalition auch dann die großen steuerlichen Baustellen unbearbeitet lässt.
Mit der Änderung bei der sogenannten Entstrickungsbesteuerung mit dem § 50 i des Einkommensteuergesetzes schließen Sie ein Einfallstor für Gestaltungsmissbrauch, das noch vor einem Jahr die
Regierung Merkel selbst mit dem AmtshilferichtlinienUmsetzungsgesetz in die Welt gesetzt hat. So war das
aber nicht gemeint, wenn im Koalitionsvertrag eine
Initiative gegen Steuergestaltung angekündigt wird.
Erst die Löcher selbst zu schaffen, um sie dann wieder
zuzuschütten wird hoffentlich nicht zur Methode dieser
Großen Koalition.
Mit der Einführung des sogenannten Mini-OneStop-Shop wird eine Vorgabe der Mehrwertsteuersystemrichtlinie umgesetzt. Der Leistungsort von elektronischen Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehleistungen wird an den Verbraucher gekoppelt.
Diese Änderung führt zu deutlichen Umsatzsteuermehreinnahmen, sodass aus einem Gesetzespaket, das
eine volle Jahreswirkung von lediglich 20 Millionen
Euro umfassen sollte, nunmehr jährlich etwa 350 Millionen Euro zusätzlich erwartet werden.
Doch die großen Themen, die Ihnen die EU-Kommission und die Sie sich selbst in ihrem Koalitionsvertrag ins Stammbuch geschrieben haben, geht diese
Koalition nicht an. Die EU-Kommission fordert
Deutschland auf, die Abgabenlast für Geringverdiener
zu senken, Kapitaleinkommen höher zu besteuern und
Fehlanreize für Zweitverdiener endlich abzuschaffen.
Und obwohl selbst der Bundesfinanzminister von sich
behauptet, nie ein großer Freund der Abgeltungsteuer
gewesen zu sein, schaffen Sie es nicht, die ungerechtfertigte steuerliche Subventionierung von Kapital- gegenüber Arbeitseinkommen abzuschaffen.
Hinzu kommt der Koalitionsvertrag, der diese Koalition zur Bekämpfung unerwünschter Steuergestaltung verpflichtet. Die EU-Kommission wird aktiv und
unterzieht Irland und Luxemburg einem Prüfverfahren
wegen Wettbewerbsverzerrung bei der Besteuerung
von Großkonzernen. Was kommt von Ihnen? Nichts.
Stattdessen gelingt es Ihnen, bei der Umsatzsteuer
auch noch neue Ausnahmen zu schaffen, die an Realitätsferne kaum überboten werden können. Die Reform
der Umsatzsteuer ist überfällig, doch statt sich von der
Klientelpolitik der schwarz-gelben Koalition zu lösen
und beispielsweise die Hotelsteuer endlich abzuschaffen, setzt diese Koalition den Weg der Aushöhlung des
Umsatzsteuergesetzes weiter fort. Die Erhebungslücke
der Umsatzsteuer gefährdet die öffentlichen Haushalte. Jetzt soll auf den Verkauf von Hörbüchern der
ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gelten.
Zu Protokoll gegebene Reden
In der Begründung Ihres Änderungsantrages
schreiben Sie: „Von den begünstigten Hörbüchern
sind Hörspiele abzugrenzen, die von der Umsatzsteuerermäßigung ausgeschlossen sind. Hörspiele
unterscheiden sich von den begünstigten Hörbüchern
durch die Verwendung dramaturgischer Effekte, verteilte Sprecherrollen, Geräusche sowie von Musik und
gehen damit über die Wiedergabe einer bloßen Buchlesung hinaus.“ Außerdem sind sie abzugrenzen gegen
Hörzeitschriften, für die weiter der volle Mehrwertsteuersatz gilt, und natürlich auch gegenüber allen
Downloads, die ebenfalls vom verminderten Steuersatz
nicht profitieren. Irrsinn!
Alle Experten, von den Finanzbeamten bis zum
DIHK, lehnten diesen neuen Ermäßigungstatbestand
in der öffentlichen Anhörung ab und stellten die
Frage: Wie sollen diese Abgrenzungskriterien in der
Praxis überhaupt greifen? Wie sollen Umsatzsteuersonderprüfer nach Kriterien wie „keine dramaturgischen Effekte oder Geräusche“ eine sinnvolle Prüfung
durchführen? Das ist doch offensichtlich gar nicht umsetzbar.
Betriebsprüfungen und Umsatzsteuersonderprüfungen kommen regelmäßig zu Mehrergebnissen in Höhe
von vier Milliarden Euro pro Jahr, die ohne diese
Prüfungen im Erhebungsverfahren unter den Tisch
gefallen wären. Allein die Steuerfahndung sorgt für
weitere Umsatzsteuermehreinnahmen im Umfang von
etwa zwei Milliarden Euro. Diese prüfungsbedingten
Mehreinnahmen sind ein Indiz für den unentdeckt gebliebenen Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten, die der
Umsatzbesteuerung entgehen. Zählt man die Niederschlagungen und Insolvenzen dazu, zeigt sich, wie
groß das Ausfallrisiko im Umsatzsteuersystem ist. All
das hindert diese Koalition nicht, eine neue Ausnahme
für Hörbücher zu beschließen.
Fazit: Dieses Omnibusgesetz ist ein kleines Gesetz,
mit dem der Gesetzgeber seiner Pflicht nachkommt,
seine Hausaufgaben erledigt, nämlich missbräuchliche Steuergestaltungs- und Hinterziehungsmöglichkeiten einzudämmen. Das begrüßen wir. Aber die GroKo
patzt vollständig bei der Kür. Mit dem verminderten
Mehrwertsteuersatz auf Hörbücher läuten Sie wider
besseres Wissen und grob fahrlässig die nächste Runde
im steuerpolitischen Irrsinn Deutschlands ein. Wir
werden uns deshalb enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1995, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/1529 und 18/1776 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen
Drucksache 18/1872
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, und ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen zu fordern,
weckt in mir als allererstes ostalgische Gefühle. Vor
etwa 23 Jahren besuchte ich eine brandenburgische
„Milchproduktionsstätte“ mit 2 500 Milchkühen, die
- fernab von bäuerlicher Idylle - separate Sonderstal-
lungen für bis zu 100 trächtige Färsen und Kühe vor-
hielt. In Akkordarbeit widmete man sich dort gemein-
sam mit dem Tierarzt den in Reih und Glied stehenden
kalbenden Rindern. Kalbungen im Fließbandtakt, ein
ganz neues Erlebnis. So auch die Bezeichnung dieses
Verschlags: Abkalbestall. Dieses Bild drängt sich mir
immer wieder auf, wenn ich Ihren Antrag lese, meine
Damen und Herren Kollegen von der Linken. Immer
wenn ich von diesem Erlebnis berichte, verdrängt ein
Bild von scheinbar „böser Massentierhaltung“ die
Idylle der „lächelnd grasenden lila Kuh“.
Doch es ist falsch. Konventionelle Tierhaltung, In-
tensivtierhaltung und kleinteilige, vielfältige Land-
wirtschaft sind jeweils eine Seite derselben Medaille.
Das obige Bild des brandenburgischen Großbetriebes
- so weit er von der gefühlten ländlichen Idylle eines
Familienbauernhofes entfernt scheint - sagt nichts aus
über die fachliche Betriebsführung - diese war gut -,
sagt nichts aus über die veterinärmedizinische Versor-
gung der Rinder im Speziellen und sagt nichts aus über
die Tiergesundheit der Hausrinder im Allgemeinen.
Nichts von alledem, was Tierwohl ausmacht, ist durch
mein eingangs geschildertes Erlebnis per se gefährdet
gewesen. Es zeigt vielmehr eines: Gute landwirtschaft-
liche Praxis ist keine Frage der Stallgröße; vielmehr
sind Wissen und der richtige Umgang mit dem Tier ent-
scheidend. Fachkenntnis ist nach wie vor Garant der
deutschen Agrarwirtschaft. Meine Damen und Herren
Kollegen von der Linken, manchmal scheint es, dass
Sie den Großbetrieben diese Fachkenntnis grundsätz-
lich absprechen wollen.
Nach diesen ersten, ostalgischen Gefühlen, will ich
gern zu Ihrem Antrag inhaltlich Bezug nehmen.
a) Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher konventionelle Tierhal-
tung gering schätzen. Zwar ist es zutreffend, dass ein
Teil der Bevölkerung Biofleischprodukte im besonde-
ren Maße honoriert und auch bereit ist, diese trotz hö-
herer Einkaufspreise zu konsumieren. Die Mehrzahl
der Bürgerinnen und Bürger orientiert ihre Kaufent-
scheidung jedoch allein am Fleischpreis je Kilo-
gramm, und diese Einstellung ist nachvollziehbar und
auch in der Debatte um Tiergesundheit zu beachten.
Der Kostenfaktor ist erfahrungsgemäß nur so lange
ausreizbar und die Akzeptanz für weitere und höhere
Standards gegeben, bis Stallumrüstungen oder Ähnli-
ches zu Betriebsschließungen führen und Produktions-
verlagerungen ins Ausland die deutsche Tierhaltung
enorm reduzieren.
b) Dabei ist unser Export gerade deshalb so gut,
weil die Qualität stimmt. Die deutschen Standards sind
auf einem guten und dem internationalen Vergleich
standhaltenden hohen Niveau.
Sie fragen zudem in Ihrem Antrag:
Wie und wie viele Tiere an einem Standort und in
einer Region gehalten werden, muss bei einer sol-
chen Diskussion im Fokus stehen.
Doch verkennen Sie, dass das Tierwohl durch die
Qualität der Pflege und Betreuung geprägt wird, durch
Ernährung und artgerechte Haltebedingungen und
nicht von der Anzahl der Tiere je Region abhängt. Da
sind mir auch gesetzliche Regelungen bekannt, deren
Einhaltung und Umsetzung dem Tier und dessen Für-
sorge dient. Von Ihnen geforderte Regularien gibt es
bereits in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.
In dieser steht auch das Rind und dessen Wohl im Fo-
kus; erstens.
Zweitens. Ich schätze, dass Standards auch hinter-
fragt werden und ihre Überprüfung gefordert wird. Wir
können aber nicht allein einen nationalen Weg suchen,
wenn der Markt der Produkte längst schon ein interna-
tionaler ist. Ich fordere deshalb eine Harmonisierung
der EU-Staatenstandards im Sinne einer Vereinheitli-
chung, die hohe Güte europaweit garantiert. Das heißt
eben nicht, die deutschen Standards zu nivellieren.
Hier jedoch einseitig die guten Tiergesetze unseres
Landes unter dem Deckmantel der Vorreiterrolle wei-
terentwickeln zu wollen, ohne die Auswirkungen auf
die deutsche Agrarwirtschaft zu bedenken, ist der fal-
sche Weg. Dies lehnen wir entschieden ab.
c) Ihr Antrag enthält aber auch Punkte, die wir
nachvollziehen können, deren Ansicht wir teilen, das
gebe ich offen zu.
In der Summme sind die Gründe, die für eine Ab-
lehnung sprechen, jedoch gewichtiger. Ich will Ihnen
dies abschließend an weiteren Beispielen aufzeigen.
So spricht der Antrag von einem Primat der Steige-
rung der Tierhaltungsqualität. Doch der Zusammen-
hang eines Verbandsklagerechtes mit dem Tierwohl
drängt sich mir nicht auf. Vielleicht können Sie dies
noch einmal aufzeigen.
d) Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass wir
die Tiergesundheit nicht steigern, wenn eine Region einen zugewiesenen Tierschlüssel erhält und ein Bundesgesetz eine Obergrenze an Paarhufern je Landkreis
festschreibt. Doch Sie fordern von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der „Bestandsdichten für
Regionen“ definiert, soll also heißen: Wenn ich ein
Rind kaufe und zur Milchproduktion halte, muss mein
Nachbar zwei Schweine schlachten, damit die regionale Tierdichte stimmt?- Und das im Namen des Tierwohls?
Das ist nicht im Interesse des Tieres, nicht im Interesse der deutschen Landwirtschaft und nicht im Interesse des Verbrauchers. Und mutmaßlich auch nicht in
Ihrem Sinne, oder?
Meine Damen und Herren, die Antragsfraktion will
die „Tiergesundheitsvorsorge und die konkrete Situation vor Ort“ durch ein Bundesgesetz aus Berlin „in
den Mittelpunkt … rücken“. Ich halte dagegen und
sage: Vergessen wir alle nicht, dass Landwirtschaft die
Wirtschaft des ländlichen Raumes ist. Sie dient - trotz
aller Greeningmaßnahmen - primär der Lebensmittelproduktion. Die Landwirtschaft ist ökologisch, sie ist
sozial und auch tiergerecht; aber sie muss auch ökonomisch sein und bleiben. Ein nationaler Agrarsektor
und eine deutsche Agrarpolitik, die die Marktlage verkennt, handelt fahrlässig und riskiert zudem enormes
Potenzial - auch für den Lebensmittelexport.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin
der Meinung, 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger
wollen wir auch weiterhin ernähren. Die Linke hält dagegen, der Versorgungsgrad an Rindfleisch liegt mit
109 Prozent deutlich über dem Bedarf. Ist das wirklich
Ihre Einstellung, die deutsche Lebensmittelproduktion
so zu gestalten, dass wir nur für uns produzieren und
nichts in den Export geben? Gilt dies dann auch für die
Automobilindustrie? Ich frage mich: Was machen wir,
wenn andere Länder dann auch nichts in den Export
geben? Kurt Tucholsky wüsste auf jeden Fall eine Antwort. Er würde rufen: Deutsche, kauft deutsche Bananen!
Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion
Die Linke, welche die Einführung von Obergrenzen für
Tierhaltungen fordert. Zunächst einmal bin ich der
Fraktion Die Linke dankbar, dass sie mir kurz vor der
Sommerpause des Parlamentes mit ihrem Antrag Gelegenheit gibt, ein landwirtschaftliches Thema hier im
Hohen Hause zu diskutieren. Denn die Bäuerinnen und
Bauern und die Mitarbeiter der landwirtschaftlichen
Betriebe, auch der Veredlungsbetriebe mit Tierhaltungen, sind es, die wesentlich zum Wohlstand in unserer
Zu Protokoll gegebene Reden
Gesellschaft beitragen. Dafür sage ich zu Beginn meiner Rede den Beschäftigten in dieser Branche, die sich
365 Tage im Jahr, an Wochentagen, an Samstagen und
Sonntagen, aber auch an Feiertagen, mit viel Hinwendung um ihre Tiere kümmern, herzlichen Dank. Und
ich sage zu Beginn meiner Rede ebenfalls unserem
Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Christian
Schmidt, herzlichen Dank, dass er sich klar zur Tierhaltung in Deutschland bekennt, und dieses klare Bekenntnis zur Tierhaltung gebe auch ich heute für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenum des
Deutschen Bundestages ab.
Mit Ihrer Forderung, Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einzuführen, werfen Sie die Frage auf, wie
groß Anlagen für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung sein dürfen. Wir sind bei Ihnen, wenn es darum
geht, einen gesellschaftlichen Diskurs über Größen
von Tierhaltungsanlagen zu führen; dabei sind wir in
der Großen Koalition jedoch bereits auf einem guten
Weg.
Nun komme ich zu einzelnen Forderungen aus Ihrem Antrag: Sie fordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in welchem Obergrenzen pro Standort und Bestandsdichten für Regionen zu definieren sind. Wir
unterstützen die weitere Diskussion zu diesen Themen,
halten aber die Festlegung von absoluten Tierzahlen,
wie von Ihnen gefordert, aus heutiger Sicht für den falschen Weg.
Mir stellt sich dabei zuerst die Frage: Wie wollen
wir den Begriff „Standort“ definieren? Wie wollen wir
den Begriff „Region“ beschreiben? Wollen wir auch
zum Beispiel verschiedene Nutztierarten pro Quadratkilometer oder Ortschaft zusammenrechnen oder sie
einzeln betrachten? Mit welcher Begründung wollen
Sie einem Landwirt in einem Ort die Tierhaltung genehmigen und einem weiteren, weil er sich vielleicht
erst später zur Tierhaltung entscheidet, aber die festgesetzte Obergrenze bereits erreicht ist, das Wirtschaften oder den Stallneubau verbieten? Für mich viele
Fragen, die wohl sicher nicht mit der schnellen Festlegung von Zahlen zu beantworten sind.
Und ich sage es Ihnen deutlich: Ich bin nicht dafür,
landwirtschaftlichen Betrieben, die in entsprechender
Größe nicht nur produzieren wollen, sondern es durch
die fachliche Qualifikation ihrer Mitarbeiter oder die
Einhaltung anderer vertretbarer Parameter auch können, einen Deckel aufzusetzen und mit einer Bestandsobergrenze die ohnehin stark reglementierte Tierhaltung auszubremsen. Gerade mein Heimatbundesland
Sachsen-Anhalt ist schon heute eines der viehärmsten
Flächenländer Deutschlands; ich weiß jedoch, dass es
in anderen Regionen unseres Landes auch anders ist.
Ich darf auch daran erinnern, dass die Städte, Gemeinden und Landkreise bereits heute vielfältige Instrumente des Planungsrechts in der Hand halten, um
sachgerecht über Tierhaltungsanlagen zu entscheiden.
Dabei „Groß“ gegen „Klein“ auszuspielen, halten wir
für falsch. Jede Betriebsgröße sollte in unserem Land
eine Daseinsberechtigung haben, jede hat auch Vorteile, und jede hat auch Nachteile.
Ich glaube auch, dass die Frage der Größe von
Tierhaltungen vor Ort viel besser entschieden werden
kann, weil auch die regionalen Unterschiede in unseren ländlichen Regionen dieses so zulassen, aber auch
unterschiedliche Siedlungsstrukturen dieses erfordern.
Diese mit Sach- und Fachverstand abzuwägen, sie
aber auch unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit zu
betrachten, sollten wir vorrangig den Betriebsinhabern mit ihrer Berufserfahrung überlassen und sie dabei mit möglichst wenig Bürokratie begleiten.
Wir sind bei Ihnen, wenn es um die Minimierung des
Risikos der Einschleppung und Verbreitung von Tierseuchen, insbesondere Zoonosen, und volkswirtschaftlicher Schäden geht. Auch dazu bedarf es allerdings
Ihres Antrages nicht. Bereits in der vorhergehenden
Legislaturperiode des Deutschen Bundestages haben
wir das alte Tierseuchengesetz durch ein modernes
Tiergesundheitsgesetz abgelöst, welches Ihre Forderung bereits aufgreift.
Viel Geld haben wir auch in die Forschung gesteckt.
Damit sind wir auch bereits auf einem guten Weg, die
Sicherung der Umsetzung von wissenschaftlich begründeten Bekämpfungskonzepten im Fall des Ausbruchs von Tierseuchen abzuarbeiten. Ich erinnere
hierbei zum Beispiel an das erst im vergangenen Jahr
eingeweihte hochmoderne Forschungslabor beim
Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems.
Ihren Vorschlag, bei Stallneubauten eine Förderung
auch von Verbesserungen für den Tierschutz abhängig
zu machen, finden wir gut. Aber auch dazu sage ich Ihnen: Jeder Stallneubau ist heute schon ein Fortschritt
für mehr Tierwohl.
Es gibt aber auch Forderungen in Ihrem Antrag,
welchen wir nicht folgen können. So lehnen wir zum
Beispiel ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen auf Bundesebene weiterhin klar ab. Bereits
heute muten wir unseren Landwirten viel Bürokratie
zu, es kann keineswegs richtig sein, hier weitere planungsrechtliche Hürden aufzubauen, Fachkundige Behörden in unserem Land sind durchaus in der Lage, die
gesetzlich vorgegebenen hohen Tierschutzstandards zu
beurteilen. Es braucht hier nicht die Einschaltung weiterer Organisationen, welche nur die Bearbeitungszeiten verlängern würden.
Sie sehen also, dass wir bei vielen von Ihnen angesprochenen Themen auf einem guten Weg sind. Im
Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, weitere Verbesserungen auch in dieser Legislaturperiode zu erreichen. So ist es zum Beispiel Ziel, das Tiergesundheitsgesetz und das Tierarzneimittelrecht sinnvoll in einem
einheitlichen Rechtsrahmen zusammenzuführen. Ein
weiteres Ziel ist die Förderung der Sachkunde der
Tierhalter. Dabei dürfen wir nach meiner Meinung jedoch auch den Heimtierbereich nicht auslassen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir laden auch die Kolleginnen und Kollegen der
Opposition ein, die Diskussion zur weiteren Entwicklung der ländlichen Räume und der Tierhaltungsanlagen mit uns sachlich zu führen. Im Rahmen einer nationalen Tierwohl-Offensive wird auch diese Große
Koalition in den nächsten Jahren weitere Verbesserungen erreichen. Dabei geht jedoch Gründlichkeit vor
Schnelligkeit; die Wissenschaft und den Berufsstand
beziehen wir bei unseren Vorhaben in die Entscheidungsfindung ein.
Ihren Antrag lehnen wir heute ab, da er aus unserer
Sicht nicht zielführend ist.
Zu später Stunde beraten wir den Antrag der Linken, der überschrieben ist mit „Bestandsobergrenzen
für Tierhaltungen einführen“ - so klar der Titel
scheint, so wenig zielführend ist das, was dahintersteckt. Der Antrag der Linken geht inhaltlich an vielen
Stellen in die richtige Richtung - keine Frage - und ist
doch zu kurz gedacht und weist handwerkliche Fehler
auf.
Es ist schon irritierend, wenn in einem Antrag zur
landwirtschaftlichen Nutztierhaltung an keiner Stelle
die Worte „Bäuerin“ bzw. „Bauer“ auftauchen oder
nur an einer einzigen Stelle von Landwirtinnen und
Landwirten die Rede ist. Es wird uns nicht gelingen,
echte und nachhaltige Verbesserungen beim Tierwohl
in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu erlangen, wenn wir diejenigen ausschließen, die tagtäglich
mit den Tieren umgehen. Nachhaltige Nutztierhaltung
fängt im Stall an. Die große Mehrheit der deutschen
Bauernschaft ist engagiert und kümmert sich um die
Tiere in ihrer Verantwortung - das ignorieren Sie mit
diesem Antrag!
Darüber hinaus ignorieren Sie, dass uns die Landwirte neben beispielsweise den Tierschutzorganisationen viel zu guter Tierhaltung sagen können. Und gute
Tierhaltung lässt sich nicht auf die Anzahl der in einem
Stall gehaltenen Tiere reduzieren. Vielmehr ist die
Frage des „Wie“ entscheidend.
Nur im Dialog können wir zu besseren Haltungsbedingungen gelangen. Wir wollen keine Schnellschüsse.
Wir wollen tragfähige Entscheidungen für die Landwirte, damit wir eben nicht, wie Sie es so schwammig
formulieren, zu einer „Verdrängung von kleinen Tierhaltungen“ kommen. Vielmehr wollen wir spürbare
Verbesserungen für die Tiere - keine bloße Deckelung
des Bestandes.
Ebenso wie Sie die Bauern ignorieren, degradieren
Sie in Ihrer Begründung die Konsumenten. Sie unterstellen ihnen, schon gewählt zu haben. Ihre Rede von
der „Abstimmung mit dem Einkaufswagen“ suggeriert, dass sich der Konsument bereits dauerhaft entschieden hat und wir deshalb verstärkt regulierend in
den Markt eingreifen müssten. Wir hingegen halten
den Bürger für mündig und wollen, bevor wir den
Markt überregulieren, dem Konsumenten eine echte
Chance geben und eine umfassende Kennzeichnung
von Lebensmitteln befördern.
Wir sehen bereits, dass Qualität auf dem Markt Bestand hat. Eine tiergerechte Nahrungsmittelproduktion
wird zunehmend vom Verbraucher honoriert. Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass wir diese hohen
Standards sichtbar machen. Dafür brauchen wir eine
entsprechende Zertifizierung. Nur durch eine klare und
transparente Kennzeichnung mit einem Tierschutzsiegel hat der Verbraucher eine echte Wahl und kann bewusste Entscheidungen treffen.
Natürlich geht das Wohl der Tiere vor - es muss zudem sichergestellt werden, dass wir mit unseren Betrieben und unseren Produkten am Markt bestehen
können und zugleich einen der höchsten Standards in
der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben. Das
werden Sie mit Ihrem Einheitskonzept, bei dem grundsätzliche Bestandsobergrenzen festgelegt werden,
nicht erreichen. Sie ignorieren damit nicht nur weitestgehend die regionalen Besonderheiten und Gegebenheiten vor Ort, sondern auch, dass die Haltungsbedingungen maßgeblich sind.
Zu einer guten Gesetzgebung gehört es, dass man
nicht systematisch bestimmte Beteiligte aus diesem
Dialog ausklammert.
Wir haben uns in der Großen Koalition klar auf eine
Marschroute geeinigt. Deshalb werden wir in den
kommenden Monaten intensiv mit allen Beteiligten diskutieren und handwerklich saubere Entscheidungen
treffen. Der Koalitionsvertrag gibt dabei die Richtung
vor. Wir haben unter anderem eine nationale Tierwohloffensive vereinbart. Denn wir wollen sichtbare Verbesserungen beim Tierwohl. Die Nutztierhaltung muss
tiergerechter werden. Sie passt sich damit auch den genannten veränderten Wünschen in der Gesellschaft an.
Gemeint sind unter anderem: erstens die allgemeine
Tiergesundheit - hier spreche ich insbesondere das
Tiermittelarzneimittelrecht an -, zweitens den Tieren
zu ermöglichen, sich natürlich zu verhalten, drittens
eine stärkere Berücksichtigung des Wohlbefindens der
Tiere. Das heißt, dass die Verletzungs-, Schmerz- und
Stressrisiken möglichst verhindert werden. Dies alles
auch vor dem Hintergrund, dass gute Haltungsbedingungen weniger kranke Tiere bedeuten und damit der
Medikamenteneinsatz zurückgefahren wird. Die gesetzlichen Regeln zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes werden wir unbürokratisch und praxisnah umsetzen.
Daran schließt sich an, dass wir ein bundeseinheitliches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhaltungssysteme einführen werden. Die SPD hat schon
früh einen Tierschutz-TÜV gefordert. Das bedeutet,
dass es zukünftig für serienmäßig hergestellte Stallsysteme einheitliche Prüfrichtlinien geben wird. In diesem
Bereich werden wir in den kommenden Wochen und
Monaten intensiv diskutieren und praktikable Lösungen entwickeln.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ziel ist es außerdem, EU-weit einheitliche und höhere Tierschutzstandards durchzusetzen. Wir streben
eine flächengebundene Nutztierhaltung an. Ziel ist es,
eine tiergerechte Haltung in Deutschland zu fördern.
In den kommenden Monaten werden wir mit allen
Beteiligten - den Tierschutzorganisationen, den Landwirten, Wissenschaftlern und auch Konsumenten sprechen. Nur auf diesem Wege kommen wir zu vernünftig ausgearbeiteten Lösungen im Bereich der
Nutztierhaltung.
Wir werden diesen Prozess nutzen, um die von uns
bereits im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Leitlinien einer zukünftigen landwirtschaftlichen Nutztierhaltung vernünftig auszuarbeiten und in eine gute Gesetzgebung umzumünzen. Schnellschüsse, die einzelne
Gruppen ignorieren, notwendige regionale Fragestellungen übergehen, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gefährden können und die Haltungsbedingungen als entscheidendes Element weitestgehend
außer Acht lassen, werden wir nicht mittragen.
Die landwirtschaftliche Tierhaltung steckt in einem
Dilemma. Klar ist: Wir brauchen sie, für Milch und
Fleisch, aber auch Leder, Wolle und andere Produkte,
zur Pflege der Kulturlandschaft, für den Naturschutz
und den Landtourismus. Nutztiere sind die besten
Deichschützer, und sie sichern die Bodenfruchtbarkeit
im Ackerbau. Darüber hinaus bindet eine Landwirtschaft mit Tierhaltung mehr Arbeitsplätze in den Dörfern als der reine Ackerbau.
Aber die Tierhaltungsbetriebe stehen am Pranger,
zumindest viele von denen, die noch übrig geblieben
sind. Denn gerade landwirtschaftliche Tierhaltungen
sind Opfer des Strukturwandels und geben auf.
Fakt ist, dass wir dramatische Fehlentwicklungen
in der Tierhaltung haben.
Im Zentrum der Kritik stehen die Betriebe. Aber aus
Sicht der Linken gehören die eigentlichen Ursachen
und die wirklichen Profiteure dieser Entwicklung an
den Pranger gestellt, allerdings ohne die aus ihrer
Verantwortung zu entlassen, die das mitmachen oder
rechtfertigen und gar so tun, als ob es gar keine Probleme gäbe - wie gerade aus der Union oft zu hören
ist.
Das marktwirtschaftliche Regelwerk des Kapitalismus zwingt auch landwirtschaftliche Betriebe, immer
billiger zu produzieren. Die Diktatur des Geldes macht
ausgerechnet die zu Verlierern, die mit sozialer und
ökologischer Verantwortung arbeiten. Sieger sind die,
die skrupellos und gierig genug sind, Bedenken - auch
ethische - beiseite zu schieben. Deshalb ist dieser sogenannte Wettbewerb absurd und seine Folgen sind inakzeptabel.
Eigentlich müsste die Dominanz des Geldes gebrochen werden, um Nutztiere wirksam vor Profitgier zu
schützen. Aber für so tiefgreifende Systemkorrekturen
gibt es zurzeit keine politischen Mehrheiten. Leider.
Aber das entlässt uns als Gesetzgeber erst recht nicht
aus der Pflicht, wenigstens die gröbsten Fehler im System zu verhindern oder zu beseitigen.
Dazu brauchen wir Mut im Parlament; denn wir
müssen uns mit den Profiteuren des Systems anlegen.
Das heißt zum Beispiel, die Preisdiktatur der Verarbeiter und des Lebensmitteleinzelhandels zu verhindern.
Was dabei herauskommt, wenn man dem Markt das
Regieren überlässt, sieht man an der dramatischen
Fehlentwicklung in der Tierhaltung. Dabei geht es
nicht nur um Schnäbelkürzen, betäubungslose Ferkelkastration oder Schreddern männlicher Küken. Dazu
gehört auch, dass immer mehr Tierhaltungsanlagen
weder in die Landwirtschaft noch in die Region integriert sind. Diese Entkoppelung trägt dazu bei, dass
Tierhaltungsanlagen immer größer werden. Megaställe mit über 400 000 Hähnchen oder 40 000
Schweinen sind längst keine Ausnahmen mehr. Allein
in Brandenburg sind aktuell 35 solcher Vorhaben beantragt. Und in einigen Regionen werden so viele Tiere
gehalten, dass für die Gülleentsorgung ein Vielfaches
der Landkreisfläche gebraucht würde, zum Beispiel im
niedersächsischen Schweine- und Geflügelgürtel.
Es stimmt, dass in Ostdeutschland zu wenige
Nutztiere für funktionierende landwirtschaftliche
Stoffkreisläufe gehalten werden. In Brandenburg sind
es 0,4 Großvieheinheiten je Hektar. In NRW gigantische 121! Aber diesen regionalen Mangel mit Megaställen auszugleichen, ist inakzeptabel! Außerdem
zeigt ein Blick auf den Selbstversorgungsgrad, dass
wir nicht mehr Nutztiere brauchen: 116 Prozent beim
Schweine- und 111 Prozent beim Geflügelfleisch. Wir
brauchen eine sozial-ökologisch verträglichere regionale Verteilung der Nutztierbestände, statt ostdeutsche
Böden als Gülle- und Mistentsorgungsflächen zu missbrauchen und Gülletourismus aus dem Westen zu organisieren.
Deshalb legt die Linke heute diesen Antrag zur Deckelung der Tierbestände vor, die pro Standort und pro
Region definiert werden soll. Und das ist dringend;
denn es geht nicht um eine hypothetische Gefahr, sondern um einen real existierenden Prozess, den wir aufhalten müssen.
Wenn alle bisherigen Argumente nicht überzeugen
konnten, zum Schluss ein dramatisches Szenario: Bei
Verdacht auf Afrikanische Schweinepest, die ja gerade
vor der Tür steht, muss ein Bestand getötet werden,
auch wenn er aus 40 000 gesunden Schweinen besteht.
Das will sich wohl niemand vorstellen müssen,
geschweige denn erleben. Auch deshalb sind solche
Megaställe nicht zu verantworten. Wir sind als Gesetzgeber gefordert. Lassen sie uns gemeinsam diesen Unsinn stoppen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich
glaube, Sie haben ein Problem. Einerseits ist es richtig, dass die Bürgerbewegung gegen die Massentierhaltung längst auch den Osten erreicht hat und zu einer entscheidenden politischen Kraft geworden ist.
Zum Zweiten ist es richtig, dass im August und September Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und
Sachsen sind und dort die Großtierhaltungen ein wichtiges Thema sind. Zum Dritten ist es richtig, dass die
Bewegung gegen Massentierhaltung ein erhebliches
Wählerpotenzial darstellt. Diese Bewegung und die sie
tragenden Menschen wollen keine flächendeckende
Massentierhaltung im Westen, aber sie wollen auch
keine agroindustriellen Großmastfabriken im Osten
mit 36 000 Schweinen oder 400 000 Hühnchen. Der
vorliegende Antrag ist der Versuch, diese Tatsache etwas zu kaschieren. Machen Sie sich nicht zu Handlangern von Straathof und Co. Das muss ich Ihnen ja wohl
nicht sagen.
So wie Sie leider immer gegen eine Deckelung der
EU-Direktzahlungen waren, so scheuen Sie auch bei
der Tierhaltung die deutliche Kritik an der ganz großen Agrarindustrie. Verbünden Sie sich im Osten nicht
mit den Falschen, so wie es die CDU im Westen tut. Sie
versuchen einen Spagat, der nicht gelingen kann. Einerseits schreiben Sie Forderungen aus unseren Anträgen ab, wenngleich sie dabei ungenau bleiben und sich
um Zahlen drücken. Vielleicht lesen Sie da noch einmal bei uns nach. Das steht alles sehr genau drin.
Andererseits drücken Sie sich um das grundsätzliche
Problem herum.
Warum setzen Sie das Wort Massentierhaltung eigentlich durchgängig in Anführungszeichen, sprechen
von „sogenannter Massentierhaltung“ und bezeichnen
diesen Begriff als Produkt der Medien? Massentierhaltung ist eine Tatsache. 40 000 Schweine, 400 000 Hühner in einer Anlage sind Massentierhaltung. Das kann
man nicht wegdiskutieren, indem man behauptet, es
ginge nicht um „Groß gegen Klein“. Ihr Antrag führt
am Ende zu einer Ost-West-Spaltung: In den Intensivregionen im Westen soll es Begrenzungen geben, aber
die ein oder andere Tierfabrik im Osten darf schon
sein, wenn es insgesamt nicht zu viele werden.
Sie versuchen, sich mit technokratischen Begriffen
wie der epidemiologischen Einheit aus der Affäre zu
ziehen, nur um nicht bekennen zu müssen, dass Sie die
Hauptforderung der Bürgerinitiativen, der Volksinitiative gegen Massentierhaltung, des Bündnisses „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ und der „Wir haben es
satt“-Demo eben nicht teilen: die Abkehr von der Massentierhaltung und die Förderung einer bäuerlichen
Landwirtschaft.
Hier liegt der Unterschied zwischen der Linken und
uns Grünen: Die Linke glaubt immer noch daran, dass
mit technologischen Lösungen innerhalb des agroindustriellen Komplexes die Probleme zu lösen seien.
Wir sagen: Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft ist imstande, Tiere artgerecht und wesensgemäß
zu halten. Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft ist in der Lage, lebendige ländliche Räume zu
schaffen. Es geht um das rechte Maß in der Tierhaltung. Massentierhaltung kann nie das richtige Maß
sein, weder im Westen noch im Osten.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1872 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0}) zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zum
Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der
Länderkommission
Drucksachen 18/1178, 18/2003
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.
Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat
uns den Jahresbericht 2013 vorgelegt, den wir heute
zur Kenntnis nehmen und debattieren. Der Ausschuss
für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat diese
Debatte bereits geführt, die Beschlussempfehlung dazu
wird die CDU/CSU heute annehmen.
Bevor ich inhaltlich auf den Jahresbericht eingehe,
möchte ich heute einmal mit einem namentlichen Dankeschön beginnen.
Sehr geehrter Herr Lange-Lehngut, sehr geehrter
Herr Adam, die ehrenamtliche Arbeit, die Sie bei der
Bundesstelle gemeinsam mit Ihren Kollegen Rainer
Dopp, Petra Heß, Michael Thewalt und Dr. Helmut
Roos von der Länderkommission leisten, ist kaum zu
ermessen. Mit hohem Zeitaufwand und viel persönlichem Engagement sind Sie im Einsatz, um die Sicherung der Menschenrechte in den Haftanstalten in
Deutschland zu wahren. Ihre Arbeit ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass in der Bundesrepublik das
Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter
und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sowie das Fakultativprotokoll vom 18. Dezember 2002 umgesetzt werden.
Vor gut fünf Jahren hat die Bundesstelle zur Verhütung von Folter ihre Arbeit aufgenommen, eineinhalb
Jahre später die Länderkommission. Die Bundesregierung erfüllt damit ihre Verpflichtung zur Errichtung eines nationalen Präventionsmechanismus.
Frank Heinrich ({0})
Dass von einer nur formellen Erfüllung dieser Verpflichtung in Deutschland keine Rede sein kann, verdanken wir Ihnen, Herr Lange-Lehngut und Herr
Adam. Regelmäßig legen Sie nicht nur Ihre Berichte
vor, sondern suchen den persönlichen Kontakt zu Abgeordneten und dem Menschenrechtsausschuss. Dabei
habe ich Sie als kompetente und ausgesprochen engagierte Vertreter Ihres Anliegens kennengelernt.
Dass es sich hier nicht nur um meine persönliche,
subjektive Einschätzung handelt, zeigt die Feststellung
des VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter,
der Deutschland 2013 besuchte, um die Nationale
Stelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht bescheinigte dieser Ausschuss, dass große Anstrengungen unternommen werden, um die Orte der Freiheitsentziehung zu überwachen. Das ist nicht weniger als ein
Qualitätssiegel unter Ihre Tätigkeit.
Mein herzlichen Dankeschön Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Bei aller Dankbarkeit gilt aber auch: Die Arbeit der
Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter kann
- trotz der hohen Einsatzbereitschaft der Ehrenamtlichen - nicht dauerhaft mit den knappen personellen
und finanziellen Ressourcen auskommen.
Auch das stellte der VN-Unterausschuss in seinem
Bericht fest.
Ich begrüße daher ausdrücklich, dass am 25./
26. Juni die Justizministerkonferenz beschlossen hat,
den finanziellen Anteil der Länder an der Finanzierung der Stelle von 200 000 auf 360 000 Euro aufzustocken. Da auch der Bund bereit ist, seinen Anteil in
gleichem Umfang, also von 100 000 auf 180 000 Euro
zu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015
540 000 Euro zur Verfügung stehen.
Zurückweisen muss ich an dieser Stelle, die Forderung der Fraktion Die Linke, die eine unverhältnismäßige Erhöhung fordert. Ich zitiere aus der alternativen
Beschlussempfehlung: „Hierfür muss das Budget verzehnfacht werden.“
Mit der tatsächlichen Aufstockung der Mittel, die
fast eine Verdoppelung darstellt, wird die Arbeit erleichtert. Mit diesen Mitteln kann eine Aufstockung der
Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder der Länderkommission einhergehen. Sie soll von bisher vier auf acht
Personen verdoppelt werden. Neben den praktischen
Erwägungen für eine Erweiterung der Kommission nach der einfachen Gleichung: mehr Personen gleich
mehr Zeit und mehr Möglichkeiten - spielen auch
fachliche Erwägungen eine Rolle: Das Expertenteam
kann künftig breiter und stärker interdisziplinär zusammengesetzt sein. Das ist eine gute Nachricht und
eine Anerkennung für die hochwertige Arbeit der Nationalen Stelle sowie des beharrlichen Einsatzes für
die Sache: die Verhütung von Folter.
Und damit komme ich zum inhaltlichen Teil meiner
Rede: zum Thema Folter in Deutschland - und in diesem Zuge zu einer weiteren guten Nachricht: Der erwähnte VN-Unterausschuss stellte nach dem Besuch
2013 in seinem Abschlussbericht fest, dass es in
Deutschland keine Fälle von Folter gab.
Wie gut diese Nachricht tatsächlich ist, verrät ein
Blick auf die Welt um uns her, den ich mir als Mitglied
der Ausschüsse für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erlaube.
Am 26. Juni, also vor einer Woche, wurde der Internationale Tag gegen Folter begangen. 30 Jahre nach
Inkrafttreten der Antifolterkonvention der Vereinten
Nationen lässt sich nur eine ernüchternde Bilanz ziehen:
155 Staaten sind Vertragsstaaten der UN-Konvention. Bereits mit der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte von 1948 erkennen die Staaten das
Grundrecht auf ein Leben ohne Folter für jeden
Menschen weltweit an. Der Internationale Pakt über
bürgerliche und politische Rechte schreibt das ausdrückliche und umfassende Verbot von Folter und andere Formen der Misshandlung fest. Am 26. Juni 1984
trat die Antifolterkonvention in Kraft.
Das weltweite absolute Folterverbot ist aber auch
nach 30 Jahren noch immer nicht umgesetzt. Folter ist
eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, die in
vielen Staaten ungeachtet ihres Verbots noch immer
gezielt und sogar routinemäßig zur Unterdrückung
Oppositioneller, zum Erpressen von Geständnissen
oder zur Ahndung von Straftaten in unerträglichem
Ausmaß angewandt wird.
Jegliche Art von Folter, von grausamer und unmenschlicher Behandlung muss geächtet werden, so
wie es die UN-Antifolterkonvention verlangt.
Der unlängst von Amnesty International veröffentlichte Bericht macht das immense Ausmaß der Anwendung von Folter deutlich. Insbesondere in Ländern des
Nahen Ostens, den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und in asiatischen Ländern kommt Folter dem
Bericht zufolge noch immer zum Einsatz. In 79 Ländern, die zu den Unterzeichnerstaaten der Konvention
zählen, hat die Nichtregierungsorganisation in diesem
Jahr bereits wieder Fälle von Folter dokumentieren
müssen.
Folteropfer leiden - sofern sie überhaupt überleben - oft ein Leben lang an physischen und schwersten
psychischen Folgeerkrankungen. Da Folter meist im
Verborgenen geschieht, muss Licht ins Dunkel, um
Menschen vor diesem grausamen Verbrechen zu schützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Diese
Berichte sind dramatisch.
Um es zu wiederholen: Die Lage in Deutschland ist
gut. Gerade im Lichte der weltweiten Situation ist das
mehr als deutlich. Aber das ist eben keine Selbstverständlichkeit. Die Vermeidung von Folter lebt von
verschiedenen Voraussetzungen, die in Deutschland
durchweg gegeben sind - und eben erhalten und verstärkt werden müssen. Ich nenne einige Beispiele:
Zu Protokoll gegebene Reden
Frank Heinrich ({1})
Um Folter zu vermeiden braucht es Beschwerdemechanismen innerhalb der Behörden sowie rechtsstaatliche Mittel, um gegen Verletzungen der eigenen
Rechte auch klagen zu können. Entsprechend braucht
es eine funktionierende Gewaltenteilung, eindeutige
Gesetze und zuständige unabhängige Gerichte. Dazu
gehört der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Ein wesentlicher Faktor zur Vermeidung von Folter
ist das Personal: gut ausgebildete und speziell im Bereich der Menschenrechte geschulte Fachkräfte bei
der Polizei, der Bundespolizei und der Justiz. Die Curricula der Ausbildungsgänge in Deutschland zielen auf
diese Kernkompetenzen ab. Das ist ausdrücklich zu
würdigen.
Und natürlich ist die Umsetzung des VN-Präventionsmechanismus durch die Nationale Verhütungsstelle von Folter zu nennen. Dazu gehört elementar, sie
- wie erwähnt - angemessen finanziell und personell
auszustatten.
Dazu gehört ebenfalls, ihre Vorschläge aufzunehmen und umzusetzen. Konkrete Vorschläge enthält der
Jahresbericht.
In jedem Jahr setzt die Stelle Schwerpunkte in ihrer
Tätigkeit. Im Jahr 2013 lag dieser Schwerpunkt auf
der Abschiebungshaft. Da deren Vollzug in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, war hier eine
enge Zusammenarbeit mit der Länderkommission notwendig. Untersucht wurden ebenfalls die Rückführungen per Flugzeug.
Folgende konkrete Vorschläge wurden unterbreitet:
Für den Vollzug von Rückführungen sind spezielle Abschiebungshafteinrichtungen nötig, die es bislang erst
in drei Ländern gibt. Die anderen Länder sind nun am
Zug, diese Vorschläge umzusetzen.
Aber auch zum Schwerpunktthema zeigt der Berichte vor allem positive Erfahrungen: In den besuchten neun Einrichtungen ist die Länderkommission „auf
zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbeispiele
beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen. Auch
die beobachteten Rückführungen seien zufriedenstellend verlaufen.
So musste die Bundesstelle nur geringe Empfehlungen zur Verbesserung der Situation geben. Das ist
mehr als erfreulich. Durch die verbesserte Ausstattung
der Nationalen Verhütungsstelle wird deren Arbeit ab
2015 weiter intensiviert werde. Das begrüße ich ausdrücklich.
Denn die Bundesregierung muss weiter alles tun,
um sich konsequent für das Verbot von Folter im Inund Ausland einzusetzen, wie es der Menschenrechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung fordert.
Nur durch eine gute Arbeit in Deutschland können
wir Standards setzen und ihnen auch international
Geltung verschaffen.
Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede kurz den
völkerrechtlichen Hintergrund skizzieren: Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe wird durch das Fakultativprotokoll vom 18. Dezember 2002 um einen präventiven Ansatz erweitert. Es sieht vor, den Schutz vor Folter und Misshandlung durch ein Besuchssystem zu
verbessern. Dies ist in Artikel 3 durch die Verpflichtung zur Errichtung nationaler Präventionsmechanismen beschrieben.
Deutschland hat das Fakultativprotokoll am 4. Dezember 2008 ratifiziert. Die Bundesstelle zur Verhütung von Folter hat am 1. Mai 2009 ihre Arbeit aufgenommen, die Länderkommission am 24. September
2010. Beide Einrichtungen zusammen bilden als
Nationale Stelle den deutschen Präventionsmechanismus zur Verhütung von Folter. Gegenwärtig sind für
die Bundesstelle der ehrenamtliche Leiter und seit Mai
2013 ein stellvertretender Leiter sowie für die Länderkommission vier ehrenamtliche Mitglieder tätig. Sie
werden von vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern unterstützt.
Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der
Freiheitsentziehung aufzusuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Behörden Empfehlungen
und Vorschläge zur Verbesserung der Situation der
Untergebrachten, zur Verhütung von Folter und sonstigen Misshandlungen zu unterbreiten. Dies sind 280
Einrichtungen des Bundes sowie fast 2 000 Einrichtungen, für die die Länder zuständig sind.
Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit legte die Nationale
Stelle zur Verhütung von Folter im Jahr 2013 auf die
Abschiebungshaft, deren Vollzug in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, sowie auf Rückführungen
auf dem Luftweg.
Für den Vollzug plädiert die Nationale Stelle für
spezielle Abschiebungshafteinrichtungen, die es bislang in drei Ländern gibt. Andere Länder nutzen für
die Unterbringung Justizvollzugsanstalten. In den besuchten neun Einrichtungen ist die Länderkommission
„auf zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbeispiele beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen.
Auch die beobachteten Rückführungen seien zufriedenstellend verlaufen, und die Bundesstelle musste nur
geringe Empfehlungen zur Verbesserung der Situation
geben.
Der auch für die Bundespolizei insgesamt positive
Jahresbericht 2013 stellte keinerlei Hinweise auf Verletzung der Menschenwürde innerhalb der Bundespolizei fest und lobte das persönliche Engagement der
Beamtinnen und Beamten, die schwierige Situation
von Betroffenen abzumildern. Daneben äußerte sich
die Bundesstelle positiv über besondere Initiativen einzelner Dienststellen, beispielsweise bei der Bereitstellung von Hygieneartikeln für mittellose Personen.
Zu Protokoll gegebene Reden
2013 besuchte der zuständige VN-Unterausschuss
zur Verhütung von Folter Deutschland, um die Nationale Stelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht
stellt der Ausschuss rechtliche, strukturelle und institutionelle Probleme fest und bezieht sich dabei vor allem
auf die finanziellen und personellen Ressourcen der
Stelle und auf das Auswahlverfahren der Experten.
Gleichzeitig hat der Unterausschuss die Anstrengungen der Behörden zur Erfüllung der Verpflichtungen
aus dem Fakultativprotokoll begrüßt und zur Kenntnis
genommen, dass es nicht nur keine Fälle von Folter
gab, sondern auch große Anstrengungen unternommen
werden, um die Orte der Freiheitsentziehung zu überwachen.
So sind die Themen Menschenrechte bzw. Menschenwürde und interkulturelle Kompetenz fester
Bestandteil der Aus- und Fortbildung in allen Laufbahngruppen der Bundespolizei. In den Fächern bzw.
Bereichen Staats- und Verfassungsrecht/Politische
Bildung, Europarecht, Eingriffsrecht, Situations- und
Kommunikationstraining, Fahndung und Vernehmung
und Psychologie werden die Themen Menschenrechte,
Grundrechte, Diskriminierungsverbot, Verbot von
Misshandlungen und Folter, UN-Charta und Europäische Menschenrechtskonvention sowie interkulturelle
Kompetenz behandelt. Verschiedene Fortbildungsveranstaltungen klären über Hintergründe und Ursachen
von Diskriminierung auf und sensibilisieren für fremde
Kulturen, Religionen und das Thema Migration.
Dadurch sollen Verständnis und Toleranz für alle
Menschen geweckt werden.
Führungskräfte werden zusätzlich in komplexen und
interkulturellen Kommunikationsprozessen geschult.
Die Bundespolizeiakademie bietet weitere Fortbildungsmaßnahmen zur Förderung der interkulturellen
Kompetenz und des kulturellen Verständnisses an. Beispielhaft seien genannt die Seminare „Polizei und
Fremde“, „Globalisierung und Polizei“, „Politische
Bildung für Führungskräfte“ und „Training zum Ausbau sozialer Kompetenz“.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in besonderen
Aufgabenbereichen wie der Luftsicherheitskontrolle,
der Rückführung und vor einer Auslandsverwendung
werden im Themenfeld der interkulturellen Kompetenz
gesondert geschult. Spezifische Angebote gibt es darüber hinaus in der dienststelleninternen Fortbildung.
Die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Bundespolizei werden regelmäßig hinsichtlich gegebenenfalls
bestehenden Anpassungsbedarfs überprüft und - soweit erforderlich - optimiert. Zudem sind die vielfältigen Aufgaben der Bundespolizei mit Auslandsbezug,
die regionalen und überregionalen Projekte und
Kooperationen mit interkultureller Ausprägung und
die Kampagnen zur Gewinnung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund zu erwähnen.
Sofern Fehlverhalten oder Misshandlungen durch
Polizeibeamte gerügt werden, bestehen innerbehördliche und außerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten,
um dieses Verhalten in einem unabhängigen Verfahren
rechtlich überprüfen zu lassen. Das im Strafrecht verankerte Legalitätsprinzip gewährleistet, dass bereits
bei einem Anfangsverdacht für das Vorliegen einer
Straftat staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Dabei haben die Ermittlungen umfassend, effektiv und objektiv zu erfolgen.
Neben dem Rechtsweg zu den Gerichten stehen innerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten gegen polizeiliches Fehlverhalten jedem offen. Jedermann kann
eine ihn betreffende polizeiliche Maßnahme mit einer
Dienst- oder Fachaufsichtsbeschwerde beanstanden,
um die eigentliche Tätigkeit oder das persönliche Verhalten der Beamten durch den Dienstvorgesetzten
überprüfen zu lassen. Der dezentrale, den Föderalismus widerspiegelnde Aufbau der Polizei in Deutschland sichert eine fachlich, personell und rechtlich enge
Aufsicht durch vorgesetzte Stellen, die zuletzt durch die
zuständigen Innenministerien wahrgenommen werden.
Vor diesem Hintergrund erkennen wir das große
Engagement der Nationalen Stelle zur Verhütung von
Folter im Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2013 ausdrücklich an. Die intensive Auseinandersetzung der zuständigen Bundes- und Ländereinrichtungen mit den jährlichen Berichten der Nationalen
Stelle und die zeitnahe Umsetzung vieler Empfehlungen zeigen das Bestreben aller Beteiligten, das erreichte hohe Niveau in diesem Bereich weiter zu verbessern.
Wir begrüßen es sehr, dass die Justizministerkonferenz am 25./26. Juni beschlossen hat, den finanziellen
Anteil der Länder von 200 000 auf 360 000 Euro
aufzustocken. Zugleich soll die Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder der Länderkommission auf acht verdoppelt werden. Das Expertenteam soll künftig stärker
interdisziplinär zusammengesetzt sein. Da der Bund
bereit ist, seinen Anteil von 100 000 auf 180 000 Euro
zu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015
540 000 Euro zur Verfügung stehen.
Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe verbindet diese Bewertung in der Beschlussempfehlung mit den Forderungen an die Bundesregierung,
sich weiterhin konsequent für das Verbot von Folter
und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe im In- und Ausland
einzusetzen, die Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter weiterhin zu unterstützen und die Empfehlungen
des VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter in
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe konstruktiv weiterzuverfolgen.
Folter ist niemals gerechtfertigt. Sie ist ein Angriff
auf die Menschenwürde und eine der schlimmsten
Menschenrechtsverletzungen überhaupt. Deshalb ist
Folter weltweit geächtet. Das Folterverbot ist völkergewohnheitsrechtlich und in zahlreichen internationalen Verträgen - allen voran in der Antifolterkonvention
der Vereinten Nationen - fest verankert.
Zu Protokoll gegebene Reden
Folter macht Staaten zu Unrechtsstaaten. Sie traumatisiert die meisten Opfer ein Leben lang. Den Opfern von Folter wurde letzte Woche, am 26. Juni, dem
Internationalen Tag zur Unterstützung der Opfer von
Folter, gedacht. Ich begrüße es sehr, dass wir uns
heute, eine Woche später, damit befassen, wie wir sicherstellen können, dass Deutschland auch in Zukunft
eine Vorreiterrolle bei der Prävention von Folter einnehmen kann.
Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter - unser nationaler Präventionsmechanismus - spielt dabei
eine wichtige Rolle. Der nationale Präventionsmechanismus beruht auf dem Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention vom 18. Dezember 2002. Deutschland setzt sich weltweit dafür ein, dass möglichst viele
Staaten das Fakultativprotokoll ratifizieren; denn
wirksame Prävention und Kontrolle ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Folter nicht nur auf
dem Papier, sondern auch in der Praxis weltweit geächtet wird.
Das Fakultativprotokoll wurde bisher nur von
73 Staaten ratifiziert. Das muss sich ändern. Wir fordern die Länder, die das Fakultativprotokoll noch
nicht ratifiziert haben, auf, dies schnellstmöglich
nachzuholen.
30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention sollten wir nicht mehr darüber sprechen
müssen, dass Folter und Misshandlungen tabu sind
und auf das Schärfste bekämpft werden müssen. Leider
ist die Realität, wie dem aktuellen Bericht von Amnesty
International zu entnehmen ist, eine andere. Obwohl
151 Staaten die UN-Antifolterkonvention ratifiziert haben, werden Menschen in 141 Ländern immer noch gefoltert und grausam misshandelt. Das darf nicht sein.
Umso wichtiger ist es, dass sich Deutschland auch in
Zukunft entschieden für die Ächtung von Folter und für
die Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention und des
Fakultativprotokolls einsetzt.
Deutschland selbst hat das Fakultativprotokoll am
4. Dezember 2008 ratifiziert. Es sieht vor, den Schutz
vor Folter und Misshandlung durch ein Besuchssystem
in Gewahrsamseinrichtungen zu verbessern. Das ist in
Artikel 3 durch die Verpflichtung zur Errichtung nationaler Präventionsmechanismen beschrieben. Zur Umsetzung hat Deutschland die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter eingerichtet. Diese besteht aus der
Bundesstelle zur Verhütung von Folter und der Länderkommission, die am 1. Mai 2009 respektive am
24. September 2010 ihre Arbeit aufgenommen haben.
Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Einrichtungen, in denen Menschen die Freiheit entzogen ist,
durch unangemeldete Besuche zu überprüfen und den
Behörden Vorschläge zur Verbesserung der Situation
der Untergebrachten zu unterbreiten. Zu diesen Einrichtungen zählen 360 Gewahrsamseinrichtungen in
der Zuständigkeit des Bundes, 186 organisatorisch
selbstständige Justizvollzugsanstalten, 1 430 Dienststellen der Landespolizei, 326 psychiatrische Kliniken
und alle Gerichte mit Vorführzellen, 7 Abschiebehafteinrichtungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen.
Für diese Mammutaufgabe hatte die Nationale
Stelle bisher nur eine ehrenamtliche Leitung und drei
angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sowie eine Bürofachkraft zur Verfügung.
Eine bessere Ausstattung konnte mit 300 000 Euro
nicht finanziert werden. Daher möchte ich mich bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalen
Stelle ganz herzlich für ihr großartiges Engagement
bedanken. Ihre jährlichen Berichte und Empfehlungen
tragen dazu bei, das hohe Niveau in Deutschland zu
erhalten und auszubauen und Missstände zu beseitigen. Gott sei Dank gibt es in Deutschland keine Folter,
wie die Berichte der Nationalen Stelle bestätigen; aber
es ist gut, eine Institution zu haben, die ein wachsames
Auge hat.
Umso erfreulicher ist es, dass sich die Länder in der
Justizministerkonferenz vom 25./26. endlich darauf einigen konnten, ihren Kostenanteil von 200 000 auf
360 000 Euro aufzustocken. Da die Nationale Stelle
von Bund und Ländern im Verhältnis 1 : 2 finanziert
wird, stehen ihr ab 2015 540 000 Euro zur Verfügung.
Meine Partei hat sich jahrelang für eine Erhöhung der
Mittel der Nationalen Stelle eingesetzt, die ansonsten
ihrer Aufgabe - das heißt, die eben genannten insgesamt circa 2000 Einrichtungen zu überprüfen - nicht
vollständig gerecht werden kann. Daher freut es mich,
dass diesbezüglich nun ein erster Schritt getan werden
konnte. Die Ausstattung ist im Vergleich zu anderen
Ländern wie Frankreich, Österreich und der Schweiz
verbesserungsfähig. Allerdings ist das aufgrund der
föderalen Struktur in Deutschland und der daraus resultierenden komplexen Verfahren nicht so einfach zu
erreichen. Ich hoffe sehr, dass es möglich sein wird, die
Mittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter in Zukunft weiter aufzustocken. Zumindest ist nun
ein erster Schritt getan.
Abschließend bitte ich die Bundesregierung, sich
weiterhin konsequent für das Verbot von Folter und
anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe im In- und Ausland einzusetzen und die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zu unterstützen. Mit gemeinsamen Kräften müssen
wir alles dafür tun, damit Folter und Misshandlungen
verboten werden. Es ist Zeit für eine Welt ohne Folter.
Mit der Schaffung der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter wurde im Jahr 2009 eine wichtige
Institution geschaffen, die aktiv dazu beitragen soll,
Missstände in Gefängnissen und geschlossenen Einrichtungen aufzuzeigen und zu einer Verbesserung der
Situation in den Gefängnissen beizutragen. Seit ihrer
Gründung hat die Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter wichtige Arbeit geleistet. Im Namen der Fraktion Die Linke möchte ich allen dort Tätigen für ihre
unverzichtbare Arbeit danken.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wer Menschenrechte ernst nimmt, muss gerade
auch Personen, denen die Freiheit durch Gerichte
oder staatliche Anordnungen entzogen wird, eine menschenwürdige Behandlung zukommen lassen. In den
Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen 280 Gewahrsamseinrichtungen der Bundeswehr, der Bundespolizei
und des Zolls. Außerdem beobachtet die Bundesstelle
Abschiebemaßnahmen, die von der Bundespolizei begleitet werden. Für die meisten Einrichtungen ist die
Länderkommission zuständig. Mit 186 Justizvollzugsanstalten, 1 430 Dienststellen der Landespolizei,
326 psychiatrischen Kliniken, allen Gerichten mit
Vorführzellen, aber auch 7 Abschiebungshafteinrichtungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen ist der Aufgabenbereich riesig. Gleichzeitig ist die Länderkommission
auch für die 11 000 Alten- und Pflegeheime zuständig.
Ich finde es sehr erschreckend, dass die Nationale
Stelle in ihrem Jahresbericht darauf hinweisen muss,
dass es bei nahezu allen Besuchen in Einrichtungen
„Anlass zu einer Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung der Unterbringung und Behandlung der untergebrachten Personen gegeben“ habe, „die sich teils
auf nicht akzeptable Missstände beziehen“. Es ist auch
bedenklich, dass der Schutz der Privat- und Intimsphäre der Insassen in vielen Gewahrsamseinrichtungen nicht gewährleistet ist. Dies ist umgehend zu ändern. Wenn im Bericht steht, dass „nur wenige
Bundesländer ausdrückliche gesetzliche Regelungen
zum Schutz der Intimsphäre im Justizvollzug bzw. für
die Unterbringung im Polizeigewahrsam getroffen haben“, besteht dringend Handlungsbedarf.
Pro Jahr werden etwa 2 000 Ermittlungen wegen
Körperverletzung im Amt angezeigt. Der Strafrechtler
Tobias Singelnstein von der Freien Universität Berlin
spricht jedoch von einer viel höheren Dunkelziffer. Die
meisten Betroffenen erstatteten keine Anzeige, da sie
keine Chance auf Erfolg sähen und vielmehr mit einer
Gegenanzeige rechnen müssten, die häufig dazu führe,
dass aus Opfern Täter gemacht werden. Beispielsweise
wurden im Jahr 2008 bei 2 000 Anzeigen lediglich
94 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Körperverletzung im Amt eingeleitet. In Berlin kam es zwischen
2006 und 2008 zu nur 34 Verurteilungen, obwohl in
diesem Zeitraum über 1 000 Anzeigen wegen Körperverletzung durch Polizisten vorlagen. Auch Amnesty
weist in der Studie „Täter unbekannt - mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die
Polizei in Deutschland“ darauf hin, dass bei ihnen innerhalb von fünf Jahren über 850 Beschwerden über
Probleme mit der Polizei eingegangen seien.
Artikel 18 des Fakultativprotokolls verlangt ausdrücklich, dass den Nationalen Stellen eine funktionale
Unabhängigkeit garantiert und ihnen ausreichende
finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten. Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag in den
Deutschen Bundestag eingebracht, in dem sie eine Anhebung des Budgets der Nationale Stelle zur Verhütung
von Folter um jährlich 200 000 Euro fordert, bis eine
jährliche Finanzierung von einer Million gewährleistet ist. Wenn man sieht, dass aufgrund der fehlenden
personellen und finanziellen Ausstattung der Nationalen Stelle im Jahr 2013 von den 280 Einrichtungen des
Bundes lediglich 36 Einrichtungen besucht werden
konnten, zeigt dies einen eklatanten Widerspruch zu
den Notwendigkeiten auf.
Wenn die Nationale Stelle darauf hinweist, dass
aufgrund der personellen Unterbesetzung Besuche in
psychiatrischen Kliniken und Alten- und Pflegeheimen
nicht möglich waren, ist dies nicht akzeptabel.
In Artikel 12 der abschließenden Empfehlungen des
WSK-Ausschusses aus dem Jahr 2011 zu Deutschland
wurde festgestellt:
Der Ausschuss stellt mit tiefer Besorgnis fest, dass
der Vertragsstaat keine hinreichenden Maßnahmen
zur Verbesserung der Lage in Pflegeheimen ergriffen hat, in denen ältere Menschen Berichten zufolge
in menschenunwürdigen Verhältnissen leben und
wegen eines Mangels an Fachkräften und der unzulänglichen Anwendung von Pflegevorschriften nach
wie vor nicht die geeignete Pflege erhalten.
Die Fraktion hält den Beschluss der Justizministerkonferenz, den Anteil der Länder von 200 000 auf
360 000 Euro anzuheben, bei weitem für nicht ausreichend. Auch die Anhebung der Mittel durch den Bund
von 100 000 auf 180 000 Euro ist nur ein Tropfen auf
den heißen Stein. Es ist nicht akzeptabel, dass sich der
Gesetzgeber vor seiner Verantwortung drückt, der Nationalen Stelle ausreichend finanzielle und damit auch
personelle Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Fraktion Die Linke wird deshalb in den Haushaltsberatungen für den Bundeshaushalt 2015 eine deutliche Nachbesserung dieser Beschlüsse einfordern.
Die Bundesstelle konnte ihre Aufgabe nur ansatzweise erfüllen. ({0})
Mit den vorhandenen personellen und finanziellen
Mitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzlichen Auftrag, wie er sich aus dem Fakultativprotokoll ergibt, nicht erfüllen. ({1})
Mit der gegenwärtigen Ausstattung kann die Nationale Stelle ihrem gesetzlichen Auftrag regelmäßiger Besuche nicht gerecht werden. ({2})
Am 1. Mai 2009 hat die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ihre Arbeit aufgenommen. Seit ihrem
Bestehen musste die Nationale Stelle Jahr um Jahr darauf verweisen, dass sie ihren gesetzlichen Auftrag
nicht erfüllen konnte. Aufgabe der Stelle ist vor allem
der Besuch von Haftanstalten, aber auch von Polizeidienststellen und psychiatrischen Einrichtungen. Weit
über 200 solcher Einrichtungen gibt es bundesweit.
Dazu kommen rund 10 000 Altenheime, in denen zum
Zu Protokoll gegebene Reden
Teil Senioren in Sicherheitseinrichtungen untergebracht sind.
Alle Jahre wieder hat die Bundesregierung diesen
Appell ignoriert. Sie hat auch den Rücktritt von
Hansjörg Geiger ignoriert, der im Herbst 2012 frustriert das Handtuch geschmissen hatte, nachdem seine
Appelle, die Nationale Stelle besser auszustatten, kein
Gehör fanden.
Dies hatten zuletzt auch die Vereinten Nationen angemahnt: In seinem Prüfbericht vom April 2014 hatte
der Fachausschuss über das Verschwindenlassen darauf gedrängt, die personellen und finanziellen Mittel
aufzustocken, damit die Nationale Stelle ihr Mandat
erfüllen kann.
Nun endlich soll die Nationale Stelle mehr Geld
erhalten. Der Impuls dazu allerdings ging von den
Ländern aus. Der Bund hat jetzt nachgezogen und seinen Anteil um 80 000 Euro erhöht.
Rund 13 000 Einrichtungen in der gesamten
Bundesrepublik soll die Nationale Stelle regelmäßig
überprüfen. Im vergangenen Jahr standen der Nationalen Stelle dafür sechs ehrenamtliche Mitglieder, drei
wissenschaftliche Mitarbeiter sowie eine Fachkraft für
Bürokommunikation zu Verfügung. Die Aufstockung
der Mittel ist dringend notwendig, um das Team zu
vergrößern und um auch Mediziner und Psychiater
einstellen zu können.
Mein Dank geht an das Team der Nationalen Stelle,
das trotz der mangelnden Ausstattung großartige Arbeit leistet, die bislang nicht in ausreichendem Maße
gewürdigt wurde.
Die Arbeit der Nationalen Stelle ist nach wie vor
notwendig, auch in einem Land wie Deutschland - das
zeigen die Entwicklungen in der Terrorismusbekämpfung oder der Abschiebepraxis. Darauf hat die Nationale Stelle im vergangenen Jahr einen Fokus gesetzt
und grundlegende Änderungen der Abschiebungshaft
empfohlen, die nicht mehr in Justizvollzugsanstalten
vollstreckt werden sollte. Bedenken gab es unter anderem auch, ob die Inhaftierung alleinreisender Minderjähriger mit dem Schutz des Kindeswohls zu vereinbaren ist.
Mit der geplanten Erhöhung der Mittel ist ein erster,
wichtiger Schritt getan. Doch das reicht bei weitem
nicht aus. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung
die Nationale Stelle nicht länger derart stiefmütterlich
behandelt. Das Bekenntnis zum internationalen Folterverbot muss sich auch übersetzen in die Ausstattung
in den zentralen nationalen Präventionsmechanismus;
ansonsten macht sich Deutschland als Verfechter von
Menschenrechten international unglaubwürdig.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland immer noch nicht gut da: Frankreich etwa gibt jährlich
über 3 Millionen Euro für diesen Präventionsmechanismus aus. Wir fordern die Bundesregierung deshalb
auf, ihren Anteil deutlich - auf 300 000 Euro im Jahr zu erhöhen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf
Drucksache 18/2003. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis
der Unterrichtung auf Drucksache 18/1178 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2007. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/2008. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn ({0}),
Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
LKW-Maut nachhaltig und ökologisch ausrichten
Drucksache 18/1620
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1620
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes ({2})
Drucksachen 18/1530, 18/1770
1) Anlage 18
Vizepräsidentin Petra Pau
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3})
Drucksache 18/1985
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Bei der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven gehen Tag für Tag rund 80 Aufnahmeanträge ein. Sie
werden gestellt von Malern und Bildhauern, von Musikern und Sängern, von Journalisten und Publizisten,
von Übersetzern und Filmemachern - aber auch von
Akrobaten und Büttenrednern, von Clowns und DJs,
von Zauberern und Puppenspielern. Die ganze Palette
künstlerischen Schaffens findet sich in der Künstlersozialversicherung wieder.
Die Künstlersozialkasse ist eine begehrte Einrichtung, sie gewährt selbstständigen Künstlern Zugang
zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, und
zwar zu günstigen finanziellen Bedingungen. Jeden
Tag werden von den Sachbearbeitern in Wilhelmshaven aber auch Dutzende Anträge abgelehnt - was dort
ebenfalls Tag für Tag zu Streit führt.
Anders als ein selbstständiger Dachdecker müssen
KSK-Versicherte nur die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge selbst zahlen. Die andere Beitragshälfte
wird zu 20 Prozent aus Bundesmitteln und zu 30 Prozent von den Unternehmen finanziert, die die Künstler
beauftragen. Diese Finanzierung ist wie die ganze Versicherung einmalig und ein eindrucksvolles solidarisches Konstrukt. Sie beruht auf zwei Annahmen:
Erstens. Selbstständige Künstler haben meist nur
ein geringes Einkommen und sind deshalb auf eine solidarische Finanzierung ihrer Sozialversicherung angewiesen.
Zweitens. Wir als Kulturnation sind der Meinung,
dass freischaffende Künstler und Publizisten einen
wichtigen Beitrag zur Kultur in unserem Land leisten
und sie deshalb eine besondere Förderung verdienen.
Ich denke, dass diese Annahmen - heute wie vor
30 Jahren zur Einführung der Künstlersozialversicherung - zutreffen. Denn das kulturelle Leben in
Deutschland, im Großen wie im Kleinen, in der Hochkultur wie in der Alltagskultur, privat und in der Wirtschaft, wird von einer Vielfalt an freischaffenden
Künstlern und Publizisten getragen. Viele dieser
Selbstständigen leben auch heute in prekären und bescheidenen Verhältnissen. Sie sind schlichtweg auf die
Leistungen der Künstlersozialversicherung angewiesen.
Unser Ziel war und ist es deshalb, die Versicherung
zu erhalten. Das vorliegende Gesetz wird dazu beitragen und sie vorerst stabilisieren. Die Prüfungen werden zu mehr Abgabengerechtigkeit führen und die
Kasse finanziell stützen. Die Geringfügigkeitsgrenze
behebt unklare Formulierungen im Gesetz, die bisher
einer der Hauptkritikpunkte vonseiten der Verwerter
waren. Die Entwicklung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses sollte dennoch turnusmäßig evaluiert werden,
um endgültige Aussagen zu Effektivität und Effizienz
des Gesetzes machen zu können. Grundsätzlich muss
es uns als Gesetzgeber auch wichtig sein, dass die Gesetze, die wir hier beschließen, ausgeführt und umgesetzt werden. Das war bisher in diesem Bereich nicht
durchgängig der Fall und soll sich durch die getroffenen Klarstellungen verbessern.
Betrachtet man die Gesamtsituation der Kasse und
die steigenden Mitgliederzahlen und Kosten, wird man
auf Dauer aber auch andere Probleme lösen müssen einmal die innerhalb des Systems der Künstlersozialversicherung. Hier darf auch eine Diskussion über die
an einigen Stellen sehr weite Auslegung des Künstlerbegriffs und damit des Zugangs kein Tabu sein. Schon
heute sind viele Berufsgruppen in der Grauzone des
Begriffs angesiedelt und können nur per Einzelfallentscheidung zur Versicherung berechtigt oder abgelehnt
werden. Das kann nicht nur bei den Mitarbeitern in
Wilhelmshaven hängen bleiben, sondern bedarf auch
einer kulturpolitischen Richtungsentscheidung, wer
förderungswürdig oder förderungsbedürftig ist und
wer nicht. Eine unbegrenzte Ausweitung des Begriffs
könnte die Versicherung hingegen an ihre Grenzen und
darüber hinaus führen. In dem Zusammenhang müssen
wir auch darauf achten, dass wir mit der Künstlersozialversicherung keinen Ansporn zum sogenannten
Outsourcing setzen. Das normale Arbeitnehmerverhältnis sollte in den meisten Berufen das Ziel bleiben.
Eine Ausweitung des Künstlerbegriffs könnte auch hier
kontraproduktiv wirken.
An diesem Punkt - das kann man auch dem Entschließungsantrag der Linkspartei entnehmen - gibt es
hier im Parlament unterschiedliche Ansichten. Die
sollten wir zu gegebener Zeit diskutieren. Eine Einengung der Lösungsoptionen auf eine Erhöhung des
Bundeszuschusses halte ich jedenfalls nicht für produktiv und wird auch nicht der speziellen Logik der
Künstlersozialversicherung gerecht.
Aber auch außerhalb der Künstlersozialversicherung müssen einige Rahmenbedingungen stimmen. So
sollten wir beispielsweise dafür sorgen, dass Kreative
auch weiterhin die grundsätzliche Möglichkeit haben,
von ihren künstlerischen und publizistischen Leistungen leben zu können. Dafür müssen ihre Leistungen
bezahlt werden, auch in Zeiten des Internets und der
fast unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten. Wer
Kunst und publizistische Erzeugnisse nutzt, muss dafür
auch angemessen zahlen. Das gilt für den Privatmann
genauso wie für das Unternehmen. Hier ist ein Umdenken notwendig.
Wir können Kultur nur bewahren und fördern, wenn
wir die schützen und fördern, die diese Kultur aktiv
erhalten, weitergeben und schaffen. Das sollte unser
Ziel sein. Denn - und das fasste Bundestagspräsident
Zu Protokoll gegebene Reden
Norbert Lammert vor einiger Zeit prägnant zusammen -: „… was von dieser Generation übrig bleiben
wird, sind nicht die Bahnhöfe, Flughäfen oder Steuergesetze, sondern das Selbstverständnis, das sich auf
den Schöpfungen von Kunst und Kultur gründet.“
Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitungen, Kinos ohne Filme - vor dieser unschönen Vorstellung bewahren uns Künstler und Publizierende. Trotzdem lautet ein deutsches Sprichwort: Armut ist aller
Künste Stiefmutter. Genau deswegen gibt es seit 1981
die Künstlersozialversicherung, die vielen Menschen
überhaupt erst eine selbstständige künstlerische oder
publizistische Tätigkeit ermöglicht. Die Finanzierung
der Künstlersozialversicherung erfolgt zu 50 Prozent
aus Versichertenbeiträgen, zu 30 Prozent aus Künstlersozialabgaben von Unternehmen und Verwertern
sowie zu 20 Prozent aus Bundesmitteln. 2013 hatten
die Bundesmittel eine Höhe von circa 171 Millionen
Euro.
Die Aufgaben der zuständigen Künstlersozialkasse
decken drei Bereiche ab:
Erstens entscheidet sie, ob ein Antragsteller als
Künstler oder Publizist anzuerkennen ist.
Zweitens meldet sie die versicherten Künstler und
Publizisten bei den Kranken- und Pflegekassen sowie
bei der Rentenversicherung an.
Drittens leitet sie die Beiträge an die zuständigen
Träger weiter. Rente, Kranken- sowie Pflegegeld werden dementsprechend von den Trägern der Rentenversicherung sowie den gesetzlichen Kranken- und
Pflegekassen erbracht.
Künstlersozialabgaben werden erhoben, wenn
selbstständige Künstler oder Publizisten regelmäßig
Aufträge zum Beispiel von Presseagenturen, Fernsehsendern, Rundfunkanstalten, Galerien erhalten oder
Unternehmen Eigenwerbung bzw. Öffentlichkeitsarbeit betreiben und dazu Kunstschaffende oder Publizisten beauftragen.
Nun kommen einige der Auftraggeber dieser vom
Bundesverfassungsgericht 1987 bestätigten Verpflichtung nicht nach, weshalb die Kosten durch die übrigen
aufgefangen werden müssen. In der Folge stiegen die
Beitragssätze von 3,9 Prozent 2012 auf 5,2 Prozent
2013. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen
wir deshalb Abgabengerechtigkeit. Durchgesetzt
werden soll sie mittels alle vier Jahre stattfindender
Prüfungen. Für die Unternehmen sind diese risikobasiert, da nie alle gleichzeitig geprüft werden.
Insgesamt gestaltet sich das neue Prüfungsverfahren
effizienter und effektiver, da die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die Künstlersozialabgabe zeitgleich
in den Blick genommen werden.
Während bei der Künstlersozialkasse ein eigener
Prüfdienst geschaffen wird, erhält die Deutsche Rentenversicherung 233 neue Mitarbeiter. Mit ihnen wird
der ausgeweiteten Prüfung der Künstlersozialabgabe
im Rahmen der Arbeitgeberprüfung ebenso Rechnung
getragen wie entsprechenden regelmäßigen Informations- und Beratungsangeboten für Arbeitgeber.
Zur dritten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes reichte die Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag ein. Ihre Zweifel an einer Wirksamkeit
der Abgabenprüfungen von Deutscher Rentenversicherung und Künstlersozialkasse teile ich nicht. Dazu
ein Zitat aus der Begründung im Gesetzentwurf:
In den Jahren 2007 bis 2011 haben sich die Prüfdienste der Träger der Deutschen Rentenversicherung zunächst erfolgreich auf die Neuerfassung
von abgabepflichtigen Unternehmen und deren
Prüfung konzentriert… Ab dem Jahr 2011 wurde
das Anschreibeverfahren eingeschränkt und damit
die Prüftätigkeit im Hinblick auf Neuerfassungen
erheblich reduziert. Eine Prüfung des Verwerterbestandes fand bis Mitte 2013 nicht statt. Aus der
Prüftätigkeit wurden zwischenzeitlich kaum noch
Einnahmen erzielt.
Eben deshalb kommt es jetzt zur Kooperation der
Prüfdienste von Künstlersozialkasse und Deutscher
Rentenversicherung, wodurch die Künstlersozialabgabe stabilisiert wird.
Akzeptanz für die Künstlersozialabgabe setzt meines Erachtens zwei Punkte voraus:
Erstens müssen sämtliche abgabepflichtigen Verwerter ihre Beiträge an die Künstlersozialkasse entrichten.
Zweitens muss gewährleistet sein, dass die Mittel
der Künstlersozialkasse ausschließlich für ihren tatsächlichen Zweck eingesetzt werden: die Unterstützung selbstständiger Künstler und Publizisten. Für
eine großzügige Öffnung der Künstlersozialkasse, wie
im Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke gewünscht, sehe ich deshalb keinen Grund.
Evaluationen sollen die Zielumsetzungen im Zusammenhang mit ihren Kosten bewerten. Erstmals sind sie
nach Abschluss eines vollen vierjährigen Prüfturnus
im Jahr 2019 geplant.
Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitungen, Kinos ohne Filme - vor dieser unschönen Vorstellung bewahren uns Künstler und Publizierende.
Danken wir ihnen mit einer stabilen Künstlersozialversicherung.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung
des Künstlersozialabgabesatzes wollen wir ein wichtiges Vorhaben unserer Koalitionsvereinbarung umsetzen, und die Zeit drängt. Die Abgabe ist in diesem Jahr
deutlich angestiegen. Diesen Trend wollen wir jetzt
aufhalten; denn ein zu hoher Abgabesatz gefährdet die
Akzeptanz der Künstlersozialversicherung. Ich will an
dieser Stelle daran erinnern, dass wir das bereits in
Zu Protokoll gegebene Reden
der vergangenen Legislaturperiode hätten regeln können. Aber die damaligen Koalitionsfraktionen haben
zum Unverständnis aller Beteiligten eine ähnliche Vorlage aus dem BMAS im Bundestag scheitern lassen.
Wertvolle Zeit ist dadurch verloren gegangen. Aber
nun sind wir entschlossen, zu handeln.
Wir brauchen dieses Gesetz, damit die selbstständigen Kultur- und Medienschaffenden - derzeit sind
180 000 Mitglied in der Künstlersozialkasse - weiterhin Absicherung in der gesetzlichen Kranken-, Pflegeund Rentenversicherung finden können. Die Kreativen
sind darauf angewiesen. Sie arbeiten in der großen
Mehrzahl unter schwierigen Bedingungen. Ihre Auftragslage ist unsicher, und sie müssen sich mit geringen Einkommen durchschlagen. So betrug das jährliche Durchschnittseinkommen der KSK-Versicherten zu
Anfang dieses Jahres gerade einmal 14 992 Euro. Damit kann man nicht für seine soziale Absicherung sorgen. Deshalb haben wir Anfang der 80er-Jahre des
vergangenen Jahrhunderts die Künstlersozialversicherung geschaffen. Dieses System ist international einmalig und findet im Ausland große Anerkennung. Die
Künstler zahlen die Hälfte des Versicherungsbeitrags,
was dem Arbeitnehmeranteil in der gesetzlichen Versicherung entspricht. Die Künstlersozialkasse übernimmt die andere Hälfte der Versicherungsbeiträge,
quasi den Arbeitgeberanteil. Der speist sich aus einem
Bundeszuschuss und den Abgaben der Verwerter von
künstlerischen und publizistischen Leistungen. Die
Künstlersozialabgabe ist also der Beitrag der verwertenden Unternehmen zur sozialen Absicherung selbstständiger Künstler und Publizisten.
Der Abgabesatz hat in diesem Jahr mit 5,2 Prozent
eine Schmerzgrenze erreicht. Der Grund dafür ist,
dass sich bisher zu viele abgabepflichtige Unternehmen ihrer Pflicht entzogen haben. Das ist in höchstem
Maße ungerecht gegenüber den zahlenden Verwertern;
denn die zahlen für die anderen mit. Beides aber
- hohe Abgabe und fehlende Abgabegerechtigkeit stellt die Akzeptanz der Künstlersozialkasse insgesamt
infrage. Das dürfen wir nicht zulassen. Mit dem Gesetz
sorgen wir nun mit geeigneten Maßnahmen dafür, dass
alle ihrer Abgabepflicht nachkommen werden.
An der Notwendigkeit dieser Versicherung für
selbstständige Künstler und Publizisten hat sich bis
heute nichts geändert, eher im Gegenteil. Die florierende Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren breiten
Erwerbsmöglichkeiten stützt sich auf viele dieser Kultur- und Medienschaffenden, die meist unter prekären
Bedingungen und mit viel Selbstausbeutung arbeiten.
Die zahlreichen Aufnahmeanträge bei der Künstlersozialkasse deuten an, dass die Versichertenzahlen weiter zunehmen werden.
Aber nicht nur die Kulturwirtschaft ist auf das kreative und künstlerische Schaffen angewiesen. Vielmehr
profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes von der kreativen Kraft und den innovativen Leistungen der Kunstund Kulturschaffenden. Die vielen Kreativen machen
unser kulturelles und geistiges Leben in seiner Breite
und Vielfalt überhaupt erst möglich. Ohne sie würde
sozusagen das Fundament wegbrechen. Deshalb halten wir es für eine vorrangige kulturpolitische - eben
nicht nur sozialpolitische - Aufgabe, die Künstlersozialversicherung zukunftsfest zu machen. Ich bin froh,
dass wir uns da über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind.
Das kommt auch im Entschließungsantrag der
Fraktion der Linken zum Ausdruck; das begrüße ich.
Zustimmen können wir diesem Antrag allerdings nicht,
da hier Problemfelder aufgemacht werden, die weit
über die Künstlersozialversicherung hinausgehen.
Wir sind uns vollauf bewusst: Die Künstlersozialversicherung ist nur ein - wenn auch zentraler - Pfeiler der Absicherung der Kreativen, und diese Novelle
wird auch nicht die letzte sein. Deshalb haben wir
auch eine Evaluierung bis 2019 vorgesehen. Lassen
Sie uns das doch erst einmal abwarten. Dann werden
wir uns das noch einmal ganz genau anschauen und
gegebenenfalls erneut nachsteuern.
Soziale Absicherung im Kulturbereich geht aber
über die Künstlersozialversicherung hinaus. Ich möchte
zum Abschluss nur zwei Projekte ansprechen, die wir
in nächster Zeit angehen werden: Wir brauchen eine
Reform des Urheberrechts, die das geistige Eigentum
wirksam schützt und den Kreativen damit Einkommen
sichert. Und die Beschäftigten im Kulturbereich brauchen eine vernünftige Anschlussregelung für das Ende
dieses Jahres auslaufende Gesetz zum Arbeitslosengeld für kurzbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Mit
diesen und weiteren Aufgaben werden wir uns gleich
nach der parlamentarischen Sommerpause befassen.
Nach intensiven Debatten haben wir heute den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro verabschiedet.
Auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
der Kulturszene werden davon profitieren. Umso erfreulicher ist es, dass wir heute - an diesem besonderen Tag - mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes auch die soziale Absicherung
selbstständiger Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten stärken.
Ich finde es bemerkenswert und sehr erfreulich,
dass dieser Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und
Soziales einstimmig verabschiedet worden ist. Das ist
ein gutes Zeichen für konstruktive Zusammenarbeit in
diesem Parlament. Es ist aber vor allem ein gutes Zeichen für die Wertschätzung von Kunst, Kultur und Publizistik in diesem Land.
Die Künstlersozialkasse ist europaweit ein einzigartiges Modell. Sie spiegelt die Bedeutung wider, die der
Kulturszene Deutschlands zukommt, von Kunst über
Theater, Musik, Sport, Film bis hin zu Journalismus
und Literatur. Kurz: 180 000 Menschen, die unser
Land bunter, vielfältiger und - schlichtweg - auch unterhaltsamer machen, erfahren dadurch ein Mindestmaß an sozialer Absicherung.
Die Künstlersozialkasse wird solidarisch finanziert:
50 Prozent zahlen die Mitglieder, 30 Prozent die sogenannten Verwerter, also Unternehmen, die künstlerische Leistungen in Anspruch nehmen, weitere 20 Prozent werden vom Bund bezuschusst.
Trotz der großen Bandbreite an kulturellen Angeboten stagnieren die Einnahmen, sie sind sogar rückläufig. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf eine
mangelnde Überprüfung der Verwerter. Bis 2011 hat
sich die Prüfung auf die Neuerfassung von abgabepflichtigen Unternehmen beschränkt. Danach ist auch
das eingestellt worden. „Wenn ich nicht geprüft werde,
dann zahle ich auch nicht“, mag vielleicht der eine
oder andere Unternehmer denken. Andere sind sich ihrer Zahlungspflicht auch nicht bewusst. Kernstück des
neuen Gesetzes ist deshalb die Ausweitung des Prüfverfahrens durch die Deutsche Rentenversicherung.
Ihr gilt es an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich
zu danken. Nach intensiven Gesprächen zwischen dem
Ministerium und der Rentenversicherung ist es hier zu
einer guten Lösung für alle gekommen.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund wird im
Rahmen ihrer turnusmäßigen Arbeitgeberprüfung alle
vier Jahre auch die Unternehmen hinsichtlich der
Künstlersozialabgabe prüfen. Außerdem wird sie beratend und informierend tätig sein. Dies trifft für alle Unternehmen mit mindestens 20 Beschäftigten zu. Kleinere Unternehmen werden in einem Pool
zusammengefasst und alle zehn Jahre geprüft. Aufwand und Ertrag stehen dabei in einem vernünftigen
Verhältnis: Insgesamt können wir dadurch mit Einnahmen in Höhe von 32 Millionen Euro jährlich rechnen.
Der Beitragssatz, der aktuell bei 5,2 Prozent liegt,
kann somit stabil gehalten und die Künstlersozialkasse
zukunftsfest gemacht werden.
Für kleinere Unternehmen wird eine Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro eingeführt. Für Leistungen,
die darunter liegen, wird keine Abgabe fällig. Dies
verhindert unnötige Bürokratie und schafft Rechtssicherheit.
Im Ergebnis schafft dieses Gesetz die Grundlage für
Beitragsgerechtigkeit und Beitragsstabilität.
In den vergangenen Wochen ist sehr oft und sehr
viel darüber diskutiert worden, ob und wie das Ehrenamt zum Beispiel in Musikvereinen durch die Abgabe
zur Künstlersozialversicherung bedroht ist. Es ist ganz
klar: Eine Schwächung des Ehrenamtes soll es nicht
geben. Aber auch selbstständigen Künstlern, wie Musiklehrern, muss der Zugang zur sozialen Sicherung
gewährleistet werden. Wenn sie Leistungen wie jeder
andere Arbeitnehmer bzw. jede andere Arbeitnehmerin
erbringen, müssen sie dafür auch entsprechend entlohnt werden - dazu gehört auch eine Sozialabgabe.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Honorare
für selbstständige Musiklehrer etwa sind nach wie vor
bis zu 2 400 Euro im Jahr abgabefrei. In sogenannten
Ausgleichsvereinigungen können sich auch Musikvereine zusammentun und sich etwa durch eine Pauschale
pro Schüler von der individuellen Melde- und Abgabepflicht befreien. Das entlastet die einzelnen Vereine
von Bürokratie und erleichtert die finanzielle Planung.
Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
hat so etwas ja gerade erst für ihren Bereich beschlossen.
Das neue Gesetz nimmt die Hinweise aus der Praxis
auf und erleichtert und stärkt die Bildung von Ausgleichsvereinigungen.
Das vorliegende Gesetz ist ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt, um die soziale Absicherung
freischaffender Künstler und Publizisten zu stärken.
Dass es sich hierbei nicht um der Weisheit letzten
Schluss handelt, ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bewusst. Es sind weitere Änderungen
notwendig, etwa was die Anerkennungszeiten für das
Arbeitslosengeld, die Rentenhöhe oder auch insgesamt
die prekäre Arbeitsmarktsituation betrifft. Die Hinweise aus den Fraktionen von Grünen und Linken sind
hier völlig berechtigt. Diese Themen werden wir auch
angehen.
Karl Valentin hat einmal gesagt: „Kunst ist schön,
macht aber viel Arbeit.“ Recht hat er. Und unsere gemeinsame Arbeit für die Kunst und Kultur in diesem
Land lohnt sich allemal.
Für die Linke ist die Künstlersozialversicherung
eine sozialpolitische Errungenschaft. Sie hat sich
bewährt. Nun müssen die Bedingungen geschaffen
werden, damit sie auf Dauer stabilisiert werden kann.
Die Bundesregierung setzt in modifizierter Weise um,
wozu sich die Vorgängerregierung nicht durchringen
konnte: Die Prüfintensität bei Unternehmen, ob und in
welcher Höhe sie gegenüber der Künstlersozialkasse
abgabenpflichtig sind, wird gesetzlich festgelegt. Es ist
eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass die Einhaltung gesetzlicher Pflichten auch geprüft wird. Es ist
außerordentlich bedauerlich, dass es so lange gedauert hat. Es gibt leider guten Grund zu der Annahme,
dass die abgabenpflichtigen Arbeitgeber in den letzten
Jahren ihrer Pflicht nicht vollumfänglich nachgekommen sind. Die Zahl der Abgabenpflichtigen hat sich in
den Jahren nach 2006 von etwa 56 000 auf 167 000 im
Jahr 2013 verdreifacht. Trotz des massiven Anstiegs
der Abgabenpflichtigen stiegen die gemeldeten Honorarsummen aber nicht - wie man erwarten müsste -,
sondern stagnierten bei etwa 4 Milliarden Euro. Deutlich mehr Arbeitgeber und Verwerter melden in der
Summe dieselben Honorarsummen. Dies ist doch sehr
verwunderlich.
Es ist daher im Sinne der Beitragsgerechtigkeit
unumgänglich, durch verstärkte Prüfungen dafür zu
sorgen, dass alle Abgabenpflichtigen erfasst werden
und darüber hinaus auch die Abgabenhöhe kontrolliert wird. Es ist nicht hinzunehmen, dass gesetzliche
Zu Protokoll gegebene Reden
Sabine Zimmermann ({0})
Vorschriften wie die Künstlersozialgabe von einigen
Unternehmen nicht ernst genommen werden. 143 Milliarden Euro betrug 2012 der Umsatz der Kultur- und
Kreativwirtschaft. Über die Künstlersozialabgabe gehen gerade einmal 200 Millionen Euro an die KSK.
Das ist keineswegs überzogen.
Zudem möchte ich auf zwei Entwicklungen hinweisen, die die Künstlersozialversicherung auf Dauer belasten werden, wenn die Bundesregierung nicht endlich gegensteuert. Das Ausmaß an selbstständiger und
freiberuflicher Tätigkeit wächst im Bereich Kunst,
Kultur und Publizistik, nicht zuletzt bedingt durch den
Personalabbau in den öffentlichen Einrichtungen.
Damit steigt auch der Andrang in die KSK. Die Anzahl
von Selbstständigen und in kurzzeitig, unständig und
wechselnden Beschäftigungsformen Tätigen, die keinen Zugang zur Künstlersozialkasse haben, nimmt insgesamt zu. Vielfach handelt es sich bei diesen Beschäftigungsverhältnissen auch um Scheinselbstständigkeit.
Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Arbeitgeber sparen
und den sozial- und arbeitsrechtlichen Schutz der
Beschäftigten untergraben. Die Betroffenen wenden
sich in ihrer Not an die Künstlersozialkasse. Hier werden sie teilweise wieder mit Verweis auf ihre Scheinselbstständigkeit abgelehnt.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich sage Ihnen: Das darf nicht sein. Tun Sie
etwas gegen Scheinselbstständigkeit. Helfen Sie wegen
Scheinselbstständigkeit von der KSK abgelehnten Beschäftigten, ihre Rechte gegenüber den Arbeitgebern
durchzusetzen. Werden Sie zudem aktiv in ihrer ureigensten Zuständigkeit: Ändern Sie Ihre Kulturförderung und machen Sie gute und nicht billige Arbeit zur
Voraussetzung von Kulturförderung.
Die zweite Entwicklung ist die unzureichende
soziale Absicherung vieler Selbstständiger. Viele
Selbstständige und Freiberufler haben keinen Zugang
zu einer bezahlbaren und solidarischen Sozialversicherung, insbesondere auch hinsichtlich der Alterssicherung. Sorgen Sie für sozialen Schutz für Selbstständige und Freiberufler, dann reduziert sich auch
der Druck auf die KSK.
Wir begrüßen zwar den vorliegenden Gesetzentwurf, aber damit sind die Hausaufgaben noch nicht gemacht.
Die Künstlersozialkasse ist in ihrer Ausgestaltung
auf die ganz spezielle Arbeits- und Lebenssituation ihrer Mitglieder, die vor allem durch oft wechselnde Beschäftigungsformen und häufig geringe Einkommen
geprägt ist, zugeschnitten. Hinzu kommt, dass der Anteil der geringfügig Beschäftigten im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft in den vergangenen Jahren
kontinuierlich gestiegen ist, ganz im Gegensatz zu dem
Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Vor diesem Hintergrund ist die Künstlersozialversicherung eine Errungenschaft und ein existenzielles Instrument im Rahmen der sozialen Absicherung und Integration von selbstständigen Kulturschaffenden in die
bestehenden Sozialversicherungssysteme.
Unabdingbar für die Existenz dieser Solidargemeinschaft ist jedoch eine solide Finanzierungsgrundlage. Immerhin 30 Prozent der KSK-Kosten werden
durch die Künstlersozialabgabe generiert. Wenn ein
Großteil der abgabepflichtigen Unternehmen vorsätzlich oder unwissentlich ihrer Pflicht aber nicht nachkommt, gerät diese Solidargemeinschaft in eine
Schieflage und bedroht die Stabilität der Künstlersozialversicherung in ihrer Gesamtheit. Bündnis 90/Die
Grünen begrüßt daher die nun vorliegende Gesetzeskonkretisierung zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten wir uns für einen entsprechenden
Gesetzentwurf ausgesprochen, der im letzten Moment
durch die damalige Koalition aus CDU/CSU und FDP
zurückgezogen wurde.
Die Unternehmen sowie Verwerter und Verwerterinnen tragen für die von ihnen beauftragten Kulturschaffenden eine arbeitgeberähnliche Verantwortung, der
sie nachkommen müssen. Die Einbeziehung aller Verwerter und Verwerterinnen ist aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber allen Abgabepflichtigen bzw.
Zahlenden und den Künstlern und Künstlerinnen sowie
Publizisten und Publizistinnen, die über die Künstlersozialkasse versichert sind, dringend geboten.
Umfassende Kontrollen sind zur Herstellung dieser
Gerechtigkeit ein wirkungsvolles, notwendiges und,
mit Verlaub, auch ein ganz gängiges Steuerungsinstrument.
Die Überprüfung der Künstlersozialabgabe an die
ohnehin durch die Rentenversicherung alle vier Jahre
stattfindende Arbeitgeberprüfung zu koppeln, ist ein
sinnvoller Mechanismus. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf geht dies allerdings zulasten der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen in der Rentenversicherung. Denn Mehreinnahmen ergeben sich für die
Rentenversicherung aus der zusätzlichen Überprüfung
nicht und ein Ausgleich der entstehenden Kosten sieht
der Gesetzentwurf nicht vor. Hier besteht aus unserer
Sicht Nachbesserungsbedarf.
Weiteren Diskussionsbedarf sehen wir auch bezüglich der Einführung eines Freibetrags von 450 Euro
pro Jahr. Diese Neuregelung wird zwar auf der einen
Seite besonders kleinere Unternehmen vor einem höheren Bürokratieaufwand schützen, aber auf der anderen Seite auch eine Reduzierung der KSK-Einnahmen
zur Folge haben. Wie erheblich diese Reduzierung
letztlich ist, bedarf einer genauen Überprüfung, ebenso
die bestehende Geringfügigkeitsregelung von drei abgabefreien Veranstaltungen pro Jahr. Auch hier können die Einnahmeausfälle für die KSK, wenn es sich
zum Beispiel um besonders umfangreiche und kostenaufwendige Veranstaltungen handelt, enorm sein. Eine
Kombination beider Voraussetzungen könnte daher
eine sinnvolle Alternative sein.
Zu Protokoll gegebene Reden
Klar ist: Der nun vorliegende Gesetzentwurf kann
nur ein erster Schritt sein, hin zu einer zukunftssicheren Künstlersozialversicherung. Es gibt weitere strukturelle Probleme, die angegangen werden müssen.
Nicht nur die Entwicklung des Beitragssatzes der KSK
und die Höhe des Bundeszuschusses müssen wir hierbei im Blick haben. Es geht vor allem auch um die Akzeptanz der KSK in der Gesellschaft. Dies ist gerade
vor dem Hintergrund, dass vielen Kulturschaffenden
der Zutritt zur KSK verwehrt bleibt, ein großes Thema.
Die Probleme, die wir im Bereich der sozialen und
wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden haben,
sind zu vielschichtig, als dass wir sie allein über eine
Reform der Künstlersozialversicherung lösen könnten.
Hier gibt es verschiedene Hebel, und wir Grüne haben
in der Vergangenheit hierzu bereits einige Vorschläge
gemacht. Aber ohne das soziale Sicherungssystem der
Künstlersozialversicherung lösen wir die Probleme
schon gar nicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1985, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1530 und
18/1770 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/1996. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die europäische Perspektive der Republik
Moldau unterstützen
Drucksache 18/1956
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ich sehe, Sie sind wiederum einverstanden.
Die heutige Debatte zeigt wieder einmal, dass bei
einigen immer noch eine unklare Gemengelage zwischen den Begriffen Europa, EU, Assoziierung und
Beitritt besteht.
Wenn wir heute über die Europäische Perspektive
der Republik Moldau debattieren, reden wir noch
lange nicht über eine Beitrittsperspektive. Europäische Perspektive heißt nicht EU-Perspektive, jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Selbst im Eilverfahren wird es Monate dauern, bis das am letzten Freitag
unterzeichnete Assoziierungsabkommen wenigstens
vorläufig angewendet werden kann, und noch länger,
bis es vollständig in Kraft tritt. Lassen Sie uns doch
erst einmal dieses Vorhaben abschließen und vor allem
mit Leben füllen, statt gleich über Beitritt zu reden.
Denn trotz der guten Fortschritte, die das Land unter
Ministerpräsident Iurie Leanca gemacht hat, müssen
noch große Anstrengungen auf dem Reformkurs unternommen werden.
Die Republik Moldau gilt mit einem Bruttoinlandsprodukt von unter 2 300 Dollar pro Kopf weiterhin als
das ärmste Land Europas. Auch bei den Menschenrechten bestehen noch Defizite.
Bei der Korruptionsbekämpfung muss Moldau seine
Anstrengungen weiter intensivieren. Erste kleine Erfolge in diesem Bereich machen zwar Mut. Dennoch ist
Korruption unter anderem in weiten Teilen der Verwaltung, der Justiz, dem Gesundheitswesen und im Wirtschaftsleben immer noch ein Thema, was nicht zuletzt
die Glaubwürdigkeit der Regierung, vor allem aber
das Investitionsklima schädigt. Bei ausländischen Direktinvestitionen liegt die Republik Moldau in Europa
auf dem letzten Platz. Ja, es ist wichtig, Moldau und
vor allem dessen Bürgern Perspektiven zu zeigen.
Es ist daher unerlässlich, dass die Moldauer möglichst bald spürbare Veränderungen erleben - auch
damit sie das Vertrauen in die europäische Perspektive
im Hinblick auf die Parlamentswahlen im November
nicht verlieren.
Bei ihren entsprechenden Reformbemühungen kann
die seit 2009 im Amt befindliche Regierung Moldaus
durchaus Erfolge vorweisen. Die zügige Umsetzung
des Aktionsplans zur Visaliberalisierung ist ein positives Beispiel, das es den Moldauern seit April dieses
Jahres möglich macht, visumfrei in die Europäische
Union einzureisen. Vor allem die bei der Presse- und
Meinungsfreiheit erzielten Fortschritte sind eine für
den Einzelnen direkt spürbare Veränderung, denn es
macht eben einen Unterschied, ob am Zeitungskiosk
nur eine oder aber fünf Sichtweisen präsentiert werden. Weitere Schritte im Bereich der Grundrechte müssen folgen, sei es bei Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsrechten oder Minderheitenschutz.
In der Ukraine konnten wir in der jüngsten Vergangenheit beobachten, welche Kraft das Streben nach
diesen Grundrechten entwickeln kann, die wir in Westeuropa so oft als selbstverständlich erachten - und
welche Gegenwehr von vormaligen Partnern und Bruderstaaten kommt.
Wie im Fall der Ukraine wird Russland schon bald
wirtschaftlichen Druck ausüben, der in der Bevölkerung schnell spürbar werden wird. Ich denke da zum
Beispiel an die 600 000 moldauischen Wanderarbeiter,
die in Russland arbeiten und denen die russische
Reaktion auf das Assoziierungsabkommen zeitweise
den Job kosten könnte, bevor sie eine neue Perspektive
erhalten. Die Rücküberweisungen dieser Wanderarbeiter, mit denen häufig auch die Familien versorgt
werden, machen 19 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Republik Moldau aus. Ich muss, glaube ich,
nicht weiter ausführen, was 600 000 unzufriedene arbeitslose Wanderarbeiter mit den dazugehörigen Familien in einem Land mit 3,5 Millionen Einwohnern
für dessen Stabilität bedeuten.
Deshalb dürfen wir nicht abwarten, bis die ersten
positiven Folgen des Assoziierungsabkommens irgendwann im Herbst oder gar nächstes Jahr spürbar werden, sondern brauchen jetzt, sofort und heute überbrückende Maßnahmen. Im Falle der Ukraine ist die EU
noch vom russischen Vorgehen überrascht worden. Im
Fall der Republik Moldau sollte sie vorbereitet sein.
Der hier vorliegende Antrag sieht deshalb vor, dass
die Bundesregierung sich gegenüber der EU für eine
Erhöhung der Exportquoten für landwirtschaftliche
Produkte und für die kurzfristige Einrichtung eines
Krisenfonds im Falle von wirtschaftlichen Sanktionen
einsetzt. Dies sind genau die richtigen Maßnahmen,
um dem zu erwartenden Druck zu begegnen. Bei diesen muss es nicht bleiben, geht doch das Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau weit über
den wirtschaftlichen Bereich hinaus. Ich nenne nur
beispielhaft die Kapitel 23 zu Bildung, Mehrsprachigkeit, Jugend und Sport und Kapitel 25 unter anderem
zu Kultur und Medien. Auch hier muss nicht erst Monate auf das Inkrafttreten gewartet werden.
Zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, Fördermittel im Bereich Kunst und Kultur, Sport, Freiwilligenaustausch usw. gibt es schon jetzt. Es bedarf doch
nicht dieses Assoziierungsabkommens, damit in
diesem Bereich etwas ganz neu entsteht, sondern damit
etwas Bestehendes optimal weiterentwickelt wird, und
es bedarf der Menschen, die das Abkommen mit Leben
füllen. Franz Beckenbauer hat einmal gesagt: „Gehts
raus und spielts Fußball.“ Ich sage: „Gehts raus und
assoziierts euch.“
In der „FAZ“ vom 26. Juni hat Heinrich August
Winkler in einem Namensartikel unter der Überschrift
„Was wir aus der deutschen Geschichte lernen können“ mit Bezug auf die Ukraine-Krise unter anderem
Folgendes ausgeführt:
„Vermutlich werden spätere Historiker zu dem
Schluss gelangen, dass im Jahre 2014 eine Zwischenphase zu Ende ging - jene Zeit, die vor einem Vierteljahrhundert mit den friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa begann, im Fall der Berliner Mauer am
9. November 1989 ihr historisches Symbol fand und
die Welt mit der Hoffnung erfüllte, dass sich die Ideen
der atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts wenn nicht global, so doch im gesamten Bereich
der damals noch existierenden Sowjetunion durchsetzen würden.“
So weit das Zitat.
Diese Zwischenphase, diese Zwischenzeit ist zu
Ende. Putin hat Klarheit geschaffen. Er baut mit seiner
Eurasischen Union einen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegenentwurf zur Europäischen Union, zum Westen, auf. Es geht nicht mehr um
gegenseitigen Vorteil, um gemeinsame Interessen und
Projekte, es geht nicht mehr um „win-win“, es geht
darum, rückwärts begründete russische Interessen
durchzusetzen, um den eigenen Einfluss in den Nachbarländern abzusichern.
Die Nachbarländer, insbesondere die Ukraine, Moldau und Georgien, wurden durch uns als EU in einem
europäischen Zwischenraum verortet, zwischen Russland und der EU. Dem diente die Nachbarschaftspolitik
der EU, in gewissem Sinne auch die bisher ausgehandelten Assoziationsabkommen. Diese Staaten sollten an
die EU herangeführt werden, aber in einer Distanz von
der EU, eben in einem Zwischeneuropa, geparkt werden. Russland - und nicht die EU - hat seine Nachbarschaft vor die Wahl gestellt. Die von der EU mit der
Ukraine, Moldau und Georgien ausgehandelten Assoziationsabkommen, einschließlich der darin vorgesehenen Freihandelsabkommen, sind mit allen Verträgen, die diese Länder mit Russland haben, voll
vereinbar, einschließlich des Freihandels und der Freizügigkeit, die im GUS-Raum gelten. Was nicht vereinbar ist, ist die von Russland als Gegenmodell gegründete Eurasische bzw. Zollunion. Zölle und Freihandel
gehen natürlich nicht zusammen.
Vordergründig, aber nur vordergründig handelt es
sich bei der Konkurrenz zwischen europäischer und
eurasischer Integration in Osteuropa um eine geopolitische Auseinandersetzung, in der sich Russland auf
vermeintliche Sicherheitsinteressen beruft. Für die betroffenen Länder, und dabei besonders auch die Republik Moldau, richtet sich die Politik der europäischen
Integration aber tatsächlich nicht gegen Russland. Es
ist absurd, anzunehmen, dass das kleine Moldau, das
an seiner Neutralität festhält, sich in irgendeiner
Weise gegen Russland wendet. Weder in den Worten
noch in den Taten der moldauischen Regierung finden
Sie irgendeine Wendung gegen Russland.
Für Moldau, aber auch für die Ukraine oder Georgien geht es tatsächlich um etwas ganz anderes als
Geopolitik. Es geht um die eigene Modernisierung und
Entwicklung. Seit ihrer Unabhängigkeit haben diese
Länder Jahrzehnte der Stagnation, der Isolation und
des Verfalls erlebt. Die jungen und gut ausgebildeten
Menschen verließen und verlassen diese Länder in
großer Zahl. Die wirtschaftliche, soziale und demoZu Protokoll gegebene Reden
grafische Lage aller dieser Länder ist in keiner Weise
nachhaltig und langfristig unhaltbar.
Schwache Institutionen und Korruption beschränkten die Entwicklungschancen. In einer Art Pufferzone
zwischen West und Ost gewannen diese Länder nie ein
Entwicklungsmodell für ihre Zukunft. Das ist es, was
Zwischeneuropa für Gesellschaften in diesen Ländern
bedeutete: Das Fehlen einer Entwicklungsperspektive.
Darin liegt die eigentliche und tiefere Ursache der
Krise in Osteuropa. Wir werden diese Krise nur dauerhaft überwinden können, wenn diese Länder eine klare
Modernisierungsperspektive erlangen. Diese Modernisierungsperspektive wird es nur mit der europäischen Integration geben.
Ungewissheit führt zu Instabilität. Wir haben stets
den Grundsatz verteidigt, dass jedes Land selbst entscheiden kann, ob und welchem Integrationsmodell es
sich anschließen will. Aber als EU haben wir selbst offengelassen, worin diese Wahl besteht. Heute erleben
wir eine massive Propagandakampagne gegen die EU
und gegen die europäische Integration in Osteuropa.
Das stärkste Argument dieser Kampagne ist, dass die
Länder Osteuropas in Putins Eurasische Union willkommen sind, aber nicht in der Europäischer Union.
Diesem Argument müssen wir eine klare Absage erteilen. Die Europäische Perspektive wird diesen Konflikt
zwischen europäischer und eurasischer Integration
nicht verschärfen, sondern die Lage vielmehr klären.
Ohne Klarheit in dieser Frage wird es keine dauerhafte Überwindung der Krise in Osteuropa geben.
Wenn wir heute die europäische Perspektive der
Republik Moldau bekräftigen, sprechen wir nicht von
einer Erweiterung der EU morgen oder übermorgen.
Die Voraussetzungen dafür müssen durch die notwendigen Reformen zuerst im Lande selbst geschaffen
werden. Die Implementierung des mit der EU geschlossenen Assoziierungsabkommens allein wird
Jahre in Anspruch nehmen. Was wir mit der europäischen Perspektive bekräftigen, ist eigentlich eine
Selbstverständlichkeit. Wir bestätigen lediglich, was
bereits in Artikel 49 des EU-Vertrages enthalten ist:
Das Recht jedes europäischen Landes, der EU beizutreten, wenn es die Voraussetzungen dafür erfüllt.
Die Republik Moldau ist ein europäisches Land. Die
Republik Moldau hat gemeinsam mit den baltischen
Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
seine Unabhängigkeit erlangt. Es teilt mit den baltischen Staaten in ähnlicher Weise die tragischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich zu den baltischen Staaten hat sich Moldaus Weg in die EU
verspätet. Aber es gibt keinen Grund, weshalb Moldau
einen geringeren Anspruch auf eine Zukunft in der EU
hätte. Die Mehrheit seiner Bürger hat aufgrund ihrer
Herkunft und Geschichte einen Anspruch auf eine EUStaatsbürgerschaft. Die Frage ist nicht, ob die Moldauer Mitglied in der EU werden, die Frage ist nur, ob
ihr Land mit ihnen kommt.
Moldau ist nicht nur geografisch der nächste Nachbar der EU. Moldau hat in vieler Hinsicht auch die
größten Fortschritte auf seinem proeuropäischen Kurs
erzielt. Das deutlichste Beispiel dafür ist, dass die Republik Moldau bereits seit April - als erstes unter den
Ländern der östlichen Partnerschaft - Visafreiheit mit
der EU erlangt hat. Das Land wird von einer entschieden proeuropäischen Regierung geführt, die unsere
Unterstützung verdient. Die östliche Partnerschaft beruht auf dem Prinzip „Mehr für mehr“. Das darf auch
die europäische Perspektive nicht mehr ausschließen.
Deshalb bekräftigen wir mit diesem Antrag heute besonders die europäische Perspektive der Republik
Moldau. Aber wir setzen damit auch ein Zeichen für
ganz Osteuropa, das Zeichen einer neuen Offenheit,
ein Zeichen, dass die Alternative von Erweiterungsund Nachbarschaftspolitik der EU überholt ist.
Die Menschen in Moldau haben lange schwierige
Zeiten hinter sich. Sie stehen vor großen Herausforderungen. Wir zwingen niemandem die europäische
Integration auf. Aber wir dürfen auch die Länder nicht
im Stich lassen, die sich für Europa entscheiden. Die
Republik Moldau und ihre europäische Perspektive
verdienen unsere Unterstützung.
Neben der Ukraine und Georgien hat nun auch die
Republik Moldau einen großen Schritt in Richtung Annäherung getätigt und am 27. Juni das Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieben. Das sollten wir
als Bundestag zum Anlass nehmen, unsere Unterstützung für die Republik Moldau mit dem vorliegenden
Antrag zu bekräftigen.
Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens
verdeutlicht zwei Entwicklungen: Zum einen weisen
die seit 20 Jahren gewachsenen gegenseitigen Beziehungen zwischen Moldau und der EU nun eine neue
Qualität auf und haben eine wichtige Etappe erreicht.
Mit der jüngst geleisteten Unterschrift ist aber gleichzeitig auch ein neuer Startpunkt erreicht: ein Startpunkt für weiter wachsende Beziehungen zwischen der
Republik Moldau und der EU, die - das sage ich an
dieser Stelle ausdrücklich - für Moldau ebenso wie für
alle weiteren Assoziierungspartner der EU eines Tages
auch die Vollmitgliedschaft in der EU bedeuten können. Die jüngst unterzeichneten Assoziierungsabkommen bilden damit keinen Endpunkt, sondern läuten
eine neue Phase weiter wachsender Beziehungen
zwischen der EU und ihren neuen Assoziierungspartnern ein. Dabei ist es wichtig, dass wir als Deutscher
Bundestag, wie es der heute zu beschließende Antrag
von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen klar
ausdrückt, die europäische Ausrichtung der Republik
Moldau und die bisherigen Reformbemühungen auf
dem Weg Richtung Europa würdigen und die europäische Perspektive der Republik Moldau bekräftigen.
Das ist an dieser Stelle ganz entscheidend: Denn der
Weg Moldaus und anderer Assoziierungspartner zur
weiteren Annäherung an die EU ist kein Selbstläufer.
Zu Protokoll gegebene Reden
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht hierfür
weiterhin auch unsere, die Unterstützung des Deutschen Bundestages, damit Moldau und weitere Assoziierungspartner ihren Weg Richtung EU selbstbestimmt
fortsetzen können. Das bedeutet zweierlei: Für uns in
Deutschland heißt es, auch zukünftig aktiv auf der
Seite Moldaus zu stehen und das Land in seinem weiteren Reformprozess zu unterstützen. Das gilt sowohl für
die notwendigen innenpolitischen Reformen in Moldau
- um die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen -, aber
auch mit Blick auf die nach wie vor vorhandenen
außen- und regionalpolitischen Herausforderungen,
denen sich Moldau gegenübersieht. Wir als Bundesregierung sind weiterhin gefragt, uns hier aktiv einzubringen. Unsere Bemühungen zur friedlichen
Beilegung des Transnistrien-Konflikts müssen aufrechterhalten werden. Auch müssen wir uns dafür einsetzen, dass der Dialog zwischen der Republik Moldau
und Gagausien zur künftigen Ausgestaltung der Autonomie zu einer Regelung führt. Gegenüber Rumänien
gilt es, dass wir uns für die Ratifizierung des Grenzvertrags einsetzen. Es ist klar, dass ohne eine Lösung dieser bisher ungelösten Konflikte und Streitfragen die
Aufnahme Moldaus in die EU nicht möglich sein wird.
An dieser Stelle kommt auch mit Blick auf Moldau
einmal mehr unserer Russland-Politik besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung und, ich bin mir
ziemlich sicher, auch die Partner innerhalb der EU
sowie der G 7 sind unverändert an konstruktiven
Beziehungen zu Russland interessiert; aber eine imperialistisch anmutende russische Einflusssphärenpolitik
nach dem Motto „Teile und herrsche“ wird von uns
nicht akzeptiert. So war es gestern, so ist es heute und
so wird es morgen sein. Entschieden trete ich deshalb
Äußerungen wie jenen des stellvertretenden Außenministers Grigorij Karassin entgegen, der Presseberichten zufolge gesagt haben soll, dass die Unterschrift der Ukraine und der Republik Moldau unter
das Assoziierungsabkommen zweifellos ernste Folgen
nach sich ziehen werde.
Russland hat absolut keine Handhabe, den Regierungen und den Menschen in den Ländern der Region
Anweisungen zu geben, in welche Richtung der jeweilige außenpolitische Kurs gehen soll. Nach wie vor
kann sich jeder souveräne Staat auf sein Selbstbestimmungsrecht berufen und selbstständig entscheiden, ob,
wann und mit welchem Nachdruck er sich der EU annähern möchte - unabhängig davon, wie Russlands
Präsident Putin und sein außenpolitischer Beraterstab
dazu stehen.
An dieser Stelle ist ebenfalls klar, dass die EU an
der Seite Moldaus stehen muss, sollte das Land seitens
Russlands wirtschaftlich mit weiteren Sanktionen unter Druck gesetzt werden. Hierzu sind wir als Bundesregierung in der Pflicht, uns für einen Notfallfonds auf
EU-Ebene einzusetzen, mit dem Moldau im Krisenfall
wirtschaftlicher Sanktionen unterstützt werden könnte.
Die Unterstützung des Bundestages und der Bundesregierung nimmt auf der anderen Seite genauso die
Republik Moldau in die Pflicht, sofern das aktuelle
Ziel eines Beitritts zu der EU zukünftig aufrechterhalten bleibt. In mehreren Bereichen sind in den kommenden Jahren - und mit Blick auf das langfristige Ziel des
EU-Beitritts sicher auch Jahrzehnten - weitgehende
Reformen in mehreren Politikbereichen nötig. Die
Regierung der Republik Moldau muss unterstützt und
angehalten werden, die Anstrengungen im Bereich der
Korruptionsbekämpfung aufrechtzuerhalten und Korruption auf allen Ebenen entschiedener als bisher zu
bekämpfen. Genauso müssen ein transparentes System
der Parteienfinanzierung geschaffen und das moldauische Justizwesen weiter reformiert werden. Moldau
muss weitere Anstrengungen unternehmen, Menschenrechtsstandards der Europäischen Menschenrechtskonvention uneingeschränkt Geltung zu verschaffen
und besonders auch den Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution entschlossen fortzusetzen.
Dies sind nur einige wichtige Politikbereiche, die
verdeutlichen, dass für Moldau genauso wie für die
weiteren Assoziierungsländer nun eine neue Etappe
beginnt und große Anstrengungen sowie, seitens der
Regierung, großer Veränderungs- und Gestaltungswille unabdingbar sind.
Für uns als Abgeordnete des Bundestages genauso
wie für unsere Partner in der EU gilt es dabei, Moldau
aktiv zu unterstützen und alle Hilfe zukommen zu lassen, die notwendig ist, um den Weg in Richtung Europa
weiterhin zu beschreiten; das ist der Pfad, den Moldau, die Ukraine und Georgien gewählt haben. Lassen
Sie uns alle Unterstützung geben, die nötig ist, damit
die europäische Perspektive für unsere Assoziierungspartner nicht nur auf dem Papier steht, sondern politische Realität wird! Deshalb bitte ich um Ihre Unterstützung für den vorliegenden Antrag.
Die Linke wird den Antrag von CDU/CSU, SPD und
Grünen, der Republik Moldawien eine europäische
- oder genauer gesagt: eine EU-Perspektive - zu geben, ablehnen. Die Vorschläge der anderen Parteien
sind gegenüber Moldawien heuchlerisch und wiederholen alle Fehler, die in der Ukraine zur politischen
Katastrophe geführt haben. Ein Beispiel gefällig?
In dem vorliegenden Antrag heißt es, dass grundlegende Entscheidungen über die Orientierung der
Republik Moldawien nur infolge freier und verfassungsmäßiger Wahlen gefunden und anerkannt werden
können. Die Praxis sieht völlig anders aus: Es ist bekannt, dass Wahlen in Moldawien im Oktober/November stattfinden. Die EU hätte ohne Probleme die
Schlussphase einer Unterzeichnung oder Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens auf einen
Termin nach den Wahlen legen können. Das entspräche dieser Aussage des Antrages. Anders jedoch als
hier geheuchelt wird, hat man das Abkommen jetzt
durchgesetzt und den Kolleginnen und Kollegen im
Parlament Moldawiens keine Chance gegeben, sich
Zu Protokoll gegebene Reden
über dieses grundlegende Abkommen im Wahlkampf
auseinanderzusetzen.
Warum geht man so vor? Alle Meinungsumfragen
sprechen dafür, dass die Kommunisten in Moldawien
die Wahlen gewinnen werden. Da will die EU das, was
sie später vielleicht nicht mehr bekommt, schnell noch
unter Dach und Fach bringen. Sieht so eine demokratische, gleichberechtigte Zusammenarbeit aus? Ich behaupte: Nein.
Moldawien hat bittere Bürgerkriegserfahrungen
entlang des Dnestr. Im Land selbst arbeitet eine OSZEMission. Ihre Erfahrung wäre interessant gewesen für
die Formulierung künftiger Politik. Kein Wort davon
in dem vorliegenden Antrag von CDU/CSU, SPD und
Grünen.
Das Assoziierungsabkommen und seine Inkraftsetzung machen eine Lösung der Transnistrienproblematik fast unmöglich und befördern in raschen Schritten
eine Abtrennung Gagausiens. Hier „wiederholt“ sich
in bitterer Art und Weise die falsche und unverantwortliche Herangehensweise im Ukraine-Konflikt. Erneut
wird ein Land gezwungen, sich zu entscheiden
zwischen enger Kooperation mit der EU oder engerer
Zusammenarbeit mit Russland. Auch gegenüber
Moldawien wird das exekutiert. Zusätzlich zu diesem
Tatbestand enthält das Assoziierungsabkommen Festlegungen über militärische Zusammenarbeit. Mit
diesem Trick wird auch Moldawien zum direkten EUMilitär- und indirektem NATO-Partner. Glauben Sie
im Ernst, das würde im Parlament von Moldawien und
in Russland nicht bemerkt?
Der vorliegende Antrag von CDU/CSU, SPD und
Grünen drückt sich vor einer klaren rechtlichen Aussage, was die Assoziierungsabkommen angeht. Dies
gilt schon für das Abkommen mit der Ukraine, einem
Nachbarland Moldawiens, und jetzt auch für das Abkommen mit Moldawien. Wenn die Abkommen in Kraft
treten sollen, müssen sie im Bundestag ratifiziert werden. Dazu hat die Bundesregierung bislang keine Initiativen ergriffen. Ich stelle Ihnen gern das Gutachten
des Wissenschaftlichen Dienstes zur Verfügung, dann
können Sie das selber noch einmal nachlesen.
Die ganze Vorgehensweise der EU und der USA, die
mit Unterstützung der Bundesregierung agieren, verschärft die ethnischen Spannungen in Moldawien. Es
ist doch bekannt, dass in Moldawien das Nachbarland
Rumänien rumänische Pässe verteilt, womit Schengen
unterlaufen wird. Ähnliches hat der Bundestag im Georgienkonflikt gegenüber Russland zu Recht kritisiert.
Auch hier setzt man sich wieder dem Vorwurf aus, dass
mit zweierlei Maß gemessen wird.
Vorschläge für praktische Hilfe für Moldawien sind
in diesem Antrag eher weniger enthalten. Es wäre zum
Beispiel dringend notwendig, bei der Entsorgung von
militärischen Hinterlassenschaften - seit dem Ersten
Weltkrieg hat jeder seinen Waffendreck in Bessarabien
hinterlassen - zu helfen. Schon die PDS-Fraktion hatte
in der 14. Legislaturperiode finanzielle Unterstützung
für Moldawien bei der Entsorgung von flüssigen Raketentreibstoffen beantragt. Diese sind hochgiftig, und
die Lagerstätten sind nicht sicher genug. Abgelehnt
von der Mehrheit des Bundestages, wie so vieles Vernünftige.
Der Antrag gibt vor, dass Deutschland sich mit seiner Annahme für eine Deeskalation der Spannungen in
Osteuropa einsetzt. Es gehören keine hellseherischen
Fähigkeiten dazu, Ihnen vorauszusagen, dass das
Gegenteil der Fall sein wird. Falsche Politik, heuchlerische Anträge - das ist die Linie der Parlamentsmehrheit mit Beifall und Zustimmung der Grünen.
Mit der Unterzeichnung der Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau, Georgien und der
Ukraine rücken die Länder näher an das geeinte Europa heran. Europa wächst weiter zusammen. Dieser
historische Schritt ist ein mutiger für die drei Länder.
Denn alle drei Staaten stehen unter massivem Druck
Russlands, das die Annäherung an die EU zu verhindern sucht. Alle drei Länder sind von Territorialkonflikten betroffen, die von Russland instrumentalisiert
oder hervorgerufen wurden. Sie alle werden von Russland mit Handelsboykotten für ihren frei gewählten
Weg bestraft.
Bereits im Vorfeld der Assoziierung hatte Russland
Weinimporte aus Moldau verboten. Am Tag der Ratifizierung des Abkommens durch das moldauische Parlament folgte gestern die nächste Strafaktion. Russland
verbietet jetzt auch die Einfuhr von Fleischprodukten
aus Moldau. Die schwach entwickelte Wirtschaft des
Landes wird davon schwer getroffen, denn sie ist auf
den wichtigen russischen Markt angewiesen. Zudem
steht die Androhung im Raum, Hunderttausende moldauische Gastarbeiter aus Russland auszuweisen.
Auch dies würde die Moldauerinnen und Moldauer
hart treffen. Gut ein Viertel der Landsleute arbeitet im
Ausland und trägt mit seinen Rücküberweisungen einen unverzichtbaren Anteil zum Einkommen moldauischer Familien bei.
Der Transnistrien-Konflikt wird vom Kreml neu befeuert. Gestern traf sich der stellvertretende russische
Premier Dmitrij Rogosin mit der Führung aus Tiraspol
und sagte ihr Unterstützung für einen unversöhnlichen
Kurs gegenüber Kischinau zu. Dies lässt schlechtes für
den Meseberg-Prozess erwarten, mit dem nach langjähriger Pause das Fünf-plus-Zwei-Vermittlungsformat der OSZE wiederbelebt werden soll. Wir dürfen
nicht vergessen, dass Russland wie beim Budapester
Memorandum zum Schutz der Ukraine auch im Transnistrien-Konflikt bereits vertragsbrüchig geworden ist.
Im Dokument des OSZE-Gipfels 1999 in Istanbul verpflichtete sich Russland zum Abzug seiner Truppen aus
Transnistrien bis Ende 2002. Bis heute hat der Kreml
diese Verpflichtung nicht erfüllt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Marieluise Beck ({0})
Die Politik des Kremls gegenüber den Nachfolge-
staaten der Sowjetunion erinnert fatal an die Bresch-
new-Doktrin, mit der man die Nachbarstaaten als Vor-
hof reklamierte und ihnen die volle Souveränität nicht
zugestehen wollte. Solch imperiale Politik hat keinen
Platz im Europa des 21. Jahrhunderts und ist zurück-
zuweisen.
Wegen der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen Russ-
lands fürchten vielen Menschen in Moldau Nachteile,
die ihnen durch die Assoziierung mit der EU entstehen
könnten. Umso wichtiger ist das breite Signal der
Unterstützung des Deutschen Bundestags, das wir
heute mit dem interfraktionellen Antrag nach Moldau
senden. Für die Bundesregierung und EU gilt, Moldau
in seinem frei gewählten Weg nach Kräften zu unter-
stützen.
Das Assoziierungsabkommen mit Moldau ist mehr
als ein Freihandelsabkommen. Es sieht vielfältige
Reformen vor und soll die demokratische und wirt-
schaftliche Transformation des Landes unterstützen.
Sorgen der Menschen wegen möglicher sozialer Fol-
gen der dringend notwendigen Modernisierung der
Wirtschaft müssen wir ernst nehmen und dem Land bei
der Abfederung sozialer Härten helfen. Wir benötigen
alle Anstrengungen, damit die Annäherung an die EU
für die Menschen in Moldau so schnell wie möglich zu
spürbaren Verbesserungen führt. Die Gewährung der
Reisefreiheit im April 2014 war ein erster richtiger
Schritt. So wird das Zusammenwachsen Europas auch
für Moldauerinnen und Moldauer konkret erlebbar.
Auch für die anderen Assoziierungsländer Ukraine
und Georgien müssen wir jetzt rasch Reisefreiheit er-
reichen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1956. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz von Elefanten und Nashörnern vor
Wilderei stärken
Drucksache 18/1951
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wildtierhandel mit geschützten Arten verbieten
Drucksache 18/1960
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ich sehe, Sie sind einverstanden.
Ich freue mich, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag zum Elefanten- und Nashornschutz beraten
und beschließen können.
Der Schutz beider Arten drängt, wenn die nächste
Generation sie noch wild lebend sehen soll. 1979 gab
es noch 1,3 Millionen Elefanten in Afrika, jetzt sind es
nur noch etwa 470 000, und die Zahl sinkt dramatisch
weiter. Über 10 Prozent des Elefantenbestandes fallen
jährlich brutalen Wilderern zum Opfer. Damit wäre die
Art in zehn Jahren nahezu ausgestorben.
Bei den Nashörnern ist die Lage ähnlich ernst: Es
leben sogar nur noch etwa 29 000 Tiere in Freiheit,
davon werden jährlich über 1 000 ihrer Hörner wegen
umgebracht - Tendenz steigend.
Beide Tiere sind im Washingtoner Artenschutzabkommen in der höchsten Schutzkategorie aufgeführt.
Doch dazu später mehr.
Nashörner gehören zu den ältesten Säugetieren auf
unserer Erde, es gab sie bereits vor über 50 Millionen
Jahren. Die heute verbliebenen 29 000 Tiere verteilen
sich auf fünf Arten. Bei zwei Arten leben nur noch
wenige Hundert Exemplare; ihnen droht das völlige
Verschwinden. Neben der Wilderei ist die Lebensraumveränderung einer der Gründe für den Artenschwund
- hiergegen wurden bereits erfolgreiche Schutzgebietsprogramme aufgelegt.
Die Wilderei nimmt jedoch weiter zu und ist zur
Hauptbedrohung geworden. Allein in Südafrika wurden im Jahr 2013 fast 800 Nashörner von Wilderern
getötet. Angefacht durch die massive Nachfrage, vor
allem in der Chinesischen Medizin, findet ein wahres
Gemetzel statt. Dem pulverisierten Horn werden allerlei positive Wirkungen nachgesagt - Forschungen belegen nichts dergleichen. Es gilt also vor allem, den
Mythos zu brechen und die Bürger in den Abnehmerländern aufzuklären.
Kommen wir zum Elefanten. Der afrikanische Elefant ist seit 1989 in der höchsten Schutzkategorie im
Washingtoner Artenschutzabkommen gelistet. Zuvor
erlitt dieses majestätische Tier durch Verfolgung und
Zerstörung seines Lebensraums einen starken Rückgang. Die Aufnahme in das Artenschutzabkommen und
das damit verbundene Handelsverbot hat vor allem im
südlichen Afrika zu einer Stabilisierung beigetragen.
In einigen Staaten Afrikas wurde der Schutz Ende der
1990er-Jahre wieder herabgestuft und damit ein
Verkauf von Lagerbeständen ermöglicht. Diese gut
gemeinte Aktion hat letztlich großen Schaden angerichtet. Zum einen erleichterte sie durch falsche Kennzeichnung den Verkauf von gewildertem Elfenbein,
zum anderen erweckte sie in den Abnehmerländern
den Eindruck, die Bedrohung der Art sei vorüber. Zusammen mit der positiven Wirtschaftsentwicklung in
China, Thailand und Vietnam trug diese Fehleinschätzung zu einer gesteigerten Nachfrage bei. Das facht
die Wilderei erneut an.
In einigen Regionen Afrikas haben Wilderei und
illegaler Elfenbeinhandel ein besorgniserregendes
Ausmaß erreicht und zu massiven Bestandseinbrüchen
geführt. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Tötung von etwa 400 Tieren Anfang letzten Jahres im
Bouba-Ndjida-Nationalpark in Kamerun. Hier wie
auch in anderen Bereichen stehen oft große, militärisch ausgerüstete Wildererbanden aus Nachbarstaaten hinter den Taten. Aber auch einige afrikanische
Staaten handeln illegal mit Elfenbein. Der Kauf des
„weißen Goldes“ finanziert also korrupte Regime. Wie
beim Nashorn leben die meisten Kunden in asiatischen
Ländern, in denen Elfenbein als Statussymbol und Luxusobjekt gilt. Vor allem in China und Hongkong, aber
auch in Malaysia, Vietnam, Thailand und anderen
Ländern hat die positive wirtschaftliche Entwicklung
die Nachfrage nach Elfenbein so weit angefacht, dass
2013 erneut ein Rekordjahr bei der Beschlagnahmung
von illegalem Elfenbein war - nach 2011 und 2012.
Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 50 000 Elefanten gewildert, das sind über 10 Prozent des weltweiten Bestands. Die Tendenz ist steigend aufgrund
steigender Absatzpreise. Würde sich dieser Trend fortsetzen, wäre in weiten Regionen Afrikas mit dem vollständigen Verlust dieser Art zu rechnen.
Gesunde und tragfähige Elefantenpopulationen sind
jedoch entscheidend für viele Ökosysteme des afrikanischen Kontinents. Der Elefant leistet einen wichtigen
Beitrag zur Offenhaltung der typischen afrikanischen
Savannen. Er reduziert den Baumbewuchs und erhält
so maßgeblich die Lebensgrundlage für zahlreiche
weitere Arten. Von einem konsequenten Elefantenschutz profitieren also auch andere Geschöpfe. Elefanten, als symbolträchtige Tiere der afrikanischen Steppe,
steigern in besonderem Maße die touristische Attraktivität vieler Regionen für Safaris und Tierbeobachtungsreisen. Gesunde Wildtierbestände stellen also
eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage vieler
afrikanischer Kommunen dar und sind somit von materieller Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Die
zunehmende Wilderei kann demnach nicht nur das
Tourismusgeschäft, sondern zugleich die wirtschaftliche Stabilität der Region massiv gefährden. Auch anerkannten Projekten zur Armutsbekämpfung, die auf
den Einnahmen aus dem Tourismus basieren, kann
durch Wilderei die Grundlage entzogen werden. Ein
erfolgreicher Schutz der Elefanten hat also positive
Effekte, die weit über den Artenschutz hinausgehen.
Der Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste und der
KAZA-Peace-Park im südlichen Afrika, sind nur zwei
Beispiele der erfolgreichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit beim Schutzgebietsmanagement, die
die enge Verknüpfung eines wirksamen Natur- und
Waldschutzes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen
der lokalen Bevölkerung belegen. Diese Projekte gilt
es fortzusetzen und weiter auszudehnen. Die Mittel dafür stehen, auch dank deutscher Unterstützung, bereit.
Ich sagte es eingangs schon: In manchen Gegenden
wirkt sich das Artenschutzabkommen positiv auf die
Tierbestände aus. In den Bereichen Afrikas mit stabilen Elefantenpopulationen, wie Botswana, Namibia,
Simbabwe und Südafrika, gibt es jedoch teilweise Probleme durch das Ausweichen von Elefanten aus den zu
engen verbliebenen Lebensräumen in menschliche
Siedlungen oder auf landwirtschaftliche Flächen. Hier
müssen die Schutzgebiete erweitert oder durch Korridore vernetzt werden, sodass der Lebensraum der Elefanten vergrößert und Konflikte zwischen Menschen
und Wildtieren verringert werden. Auch beim Nashorn
können größere Schutzgebiete den Tier- mit dem Menschenschutz und mit einer positiven wirtschaftlichen
Entwicklung verbinden, in Afrika und Asien.
Auf internationaler Ebene gilt es, die betroffenen
Staaten in ihren direkten Schutzbemühungen und die
Vollzugsorgane bei deren Umsetzung zu unterstützen.
Es müssen aber auch die Transit- und Abnehmerländer
deutlich auf ihre Verantwortung hingewiesen werden.
Und in der Bevölkerung der Zielländer muss das Bewusstsein für den Schutz von Nashörnern und Elefanten gefördert werden, um die Nachfrage nach Elfenbein und Nashorn-Hörnern zu reduzieren. Hierbei ist
die Eindeutigkeit im Schutzstatus von großer Hilfe.
Ausnahmen vom Handelsverbot bewirken das Gegenteil. Nur wenn die Absatzmärkte kleiner werden, wird
sich die Wilderei verringern.
Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregierung klare Vorgaben bei internationalen Verhandlungen auf all diesen Handlungsfeldern.
Als im April 2012 der mittlerweile abgedankte spanische König Juan Carlos wegen seiner Elefantenjagd
weltweit in die Schlagzeilen geriet und, wie ich meine,
zu Recht die Öffentlichkeit ihre große Empörung hierüber zum Ausdruck brachte, konnte man allenfalls
von einer großen Geschmacklosigkeit sprechen. Denn
illegal war der Abschuss des etwa 50 Jahre alten Elefantenbullen nicht, da in Botswana die Jagd in engen
Grenzen erlaubt ist.
Nicht nur geschmacklos, sondern äußerst befremdlich war der Anfang des Jahres 2014 öffentlich gemachte und als eher unfachmännisch beschriebene
Jagderfolg des ehemaligen Zentralabteilungsleiters
des Thüringischen Ministeriums für Landwirtschaft,
Forsten, Umwelt und Naturschutz, welches auch für
den Artenschutz verantwortlich zeichnet. Der HobbyElefantenjäger hatte sich mit - seinen Jagderfolg dokumentierenden - Fotos vor seinen Kollegen gebrüstet
und damit in der Öffentlichkeit eine große Welle des
Unverständnisses ausgelöst. Auch hier war die Jagd
legal, aber - wie ein WWF-Vertreter passend formulierte - nicht wirklich legitim.
Das Thema Elefantenjagd ist also durchaus auch in
Europa und sogar in Deutschland ein aktuell diskutiertes - und das 25 Jahre nachdem der Handel mit Elefantenprodukten weltweit verboten wurde. Aber nicht
die offizielle und nach recht strengen Kriterien zugeZu Protokoll gegebene Reden
lassene Jagd nach den Dickhäutern ist Thema des vorliegenden Antrags von Union, SPD und Grünen. Kernpunkt ist die gewerbsmäßige Wilderei, die weltweit den
Bestand vieler Tierarten gefährdet. Und hier sind es
insbesondere die Bestände von Elefant und Nashorn,
die durch eine organisierte Wildereimafia schwer gefährdet sind.
Allein im Jahr 2012 wurden in Afrika schätzungsweise 22 000 Elefanten gewildert. Auch im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Washingtoner Artenschutzübereinkommens, CITES, mehr als
20 000 Tiere, weshalb die Elefantenbestände in vielen
west- und zentralafrikanischen Ländern als stark gefährdet gelten ({0}). Insbesondere in Zentralafrika wird in den letzten elf Jahren ein Rückgang der Waldelefantenpopulation um 65 Prozent beklagt. Das Monitoringsystem,
MIKE, des CITES hat festgestellt, dass zwei Drittel der
im vergangenen Jahr gestorbenen Elefanten der Wilderei zum Opfer fielen. Mit Blick darauf, dass es in
ganz Afrika nur noch etwa 500 000 Elefanten geben
soll, ist dies eine bedrückende Zahl. Anfang des
20. Jahrhunderts gab es nach Angaben von Pro Wildlife in Afrika noch 10 Millionen Elefanten, 1940 nur
noch 5 Millionen und 1979 waren es gerade einmal
1,3 Millionen Tiere, und für 1989 wird ein Bestand von
etwa 600 000 Elefanten benannt.
Erschreckend ist auch die Zahl der beschlagnahmten illegalen Elfenbeinlieferungen. In den Jahren 2011
bis 2013 wurde die höchste Menge an Elfenbeinbeschlagnahmungen der vergangenen 25 Jahre festgestellt. Wurden 2012 noch 25 Tonnen Stoßzähne konfisziert, waren es 2013 bereits über 40 Tonnen.
Insbesondere die Zahl der Großbeschlagnahmungen
mit mehr als 500 Kilogramm Rohelfenbein hat stark
zugenommen. Geht man davon aus, dass vermutlich
nur jede zehnte Schmuggelei durch den Zoll entdeckt
wird, wird das ganze Ausmaß erst richtig deutlich.
Hauptziele der meist per Containerschiff außer Landes
gebrachten Schmuggelware sind China und Thailand.
Auch bei den Nashörnern ist die Wilderei die
Hauptursache des Rückgangs der Bestände, die durch
CITES seit 1977 unter das internationale Handelsverbot gefallen sind. Da die kommerzielle Jagd und der
Handel mit Nashornprodukten in fast allen Staaten mit
Nashornpopulationen untersagt sind, sind die in freier
Wildbahn getöteten Tiere größtenteils Opfer von Wilderei. Allein in Südafrika sind im Jahr 2013 über
1 000 Nashörner getötet worden, während es 2007 nur
etwa 13 Tiere gewesen sind. Erschreckend ist hier, dass
allein im Krüger-Nationalpark mehr als 600 Tiere getötet wurden. Und sehr beunruhigend ist es für mich,
dass auch in diesem Jahr ein neuer Negativrekord erreicht werden könnte, da bereits 442 Nashörner gewildert wurden ({1}). Bei einer Gesamtpopulation von gerade einmal 25 000 Tieren ist das eine
dramatisch hohe Zahl. Die Hörner werden meist im
Fluggepäck nach Vietnam geschmuggelt, wo sie als
angeblich entgiftende Medizin verwendet werden,
wenngleich eine solche Wirkung tatsächlich nicht festgestellt werden kann. In Asien wird das Horn mittlerweile zu Schwarzmarktpreisen von bis zu 40 000 Euro
gehandelt. Zum Schutz der Nashörner werden mittlerweile neue Wege gegangen. In Kenia startet demnächst
ein Projekt, bei dem den Tieren ein Chip ins Horn eingepflanzt werden soll. In Südafrika hingegen werden
die Tiere neuerdings kurzzeitig betäubt und in das Nashorn ein Giftstoff injiziert, der für Menschen gesundheitsschädlich oder sogar tödlich sein kann. Die Hörner der so behandelten Nashörner werden mit roter
Farbe markiert, und damit sind diese Tiere für potenzielle Wilderer sofort als nicht mehr verwertbar zu erkennen.
Wir als Antragsteller sehen aber nicht allein die erschreckenden ökologischen Folgen der Wilderei von
Elefanten und Nashörnern. Uns beunruhigt es auch,
dass der Handel mit den illegal getöteten Tieren bzw.
deren Produkten zu den fünf einträglichsten Sparten
der international organisierten Kriminalität gehört
und sich große Kartelle, aber auch Terrorgruppen und
Bürgerkriegsparteien aus den Erlösen finanzieren.
Nach Angaben der Vereinten Nationen profitieren
zahlreiche Verbrecher- und Terroristenbanden von der
seit Jahrzehnten schwersten Wildereikrise in Afrika.
Und während einerseits die Armut auf dem Kontinent
die Jagd nach Elefanten und Nashörnern begünstigt,
steigt im immer reicher werdenden Asien die Nachfrage nach Luxusartikeln wie Elfenbein und Nashornpulver dramatisch an ({2}). Die
Wilderer profitieren von den steigenden Preisen und
sind bestens organisiert, sie rüsten immer mehr auf
und verfügen über modernste automatische Waffen
und Nachtsichtgeräte. Die Wildhüter haben es zunehmend schwerer, dieser Entwicklung etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
UNEP, und die Internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol haben jüngst das Gesamtvolumen
der Umweltverbrechen auf bis zu 213 Milliarden USDollar geschätzt. Angesichts einer Förderquote der
Entwicklungszusammenarbeit von etwa 135 Milliarden US-Dollar wird hier noch eine ganz andere Problematik deutlich. Wilderei und Handel mit illegal erzeugten Wildtierprodukten gefährden also auch unsere
gleichzeitigen Anstrengungen im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und unsere Bemühungen im internationalen Umweltschutz, wo sich
Deutschland mit beträchtlichen finanziellen Mitteln
engagiert.
Bereits in der letzten Wahlperiode hat der Deutsche
Bundestag mit seinem Antrag „Neue Impulse für einen
wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen
Elefanten“ ({3}) wichtige Feststellungen und Forderungen zu dieser Problematik beschlossen. Die aktuellen Entwicklungen, die ich einZu Protokoll gegebene Reden
gangs beschrieben habe, lassen uns jedoch dahin
gehend erneut initiativ werden, um die Bemühungen
der Bundesregierung zu untermauern und das wichtige
und international sichtbare Signal zu senden, dass
Deutschland alles tut, um diesen verbrecherischen
Machenschaften Einhalt zu gebieten. Das beginnt
beim Schutz der gefährdeten Tiere vor Wilderei, geht
weiter über die Bekämpfung des Schmuggels durch
stärkere Kontrollen und die Reduzierung der Nachfrage nach Elfenbein- und Nashornprodukten und endet schließlich bei der Problematisierung auf höchster
politischer Ebene bei allen geeigneten internationalen
Zusammenkünften.
Wir begrüßen daher ausdrücklich die Bemühungen
der Bundesregierung, auf diplomatischem Wege weiterhin und unvermindert gegen Wilderei und illegalen
Wildtierhandel vorzugehen und im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit das Thema zu berücksichtigen. Und wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich mit Blick auf die rasant steigenden
Wildereivorfälle gegen weitere Freigaben des internationalen Elfenbeinhandels einsetzt. Deutschland muss
sich zudem verstärkt auf internationaler Ebene - insbesondere bei Gesprächen mit den wichtigen Ursprungs-, Transit- und Abnehmerländern - für eine
Eindämmung der Nachfrage nach Elfenbein- und Nashornprodukten aussprechen. Und nicht zuletzt müssen
wir dafür sorgen, dass der illegale Wildtierhandel
durch eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Interpol, Europol und der Weltzollorganisation eingedämmt
wird.
Denn eines dürfte mittlerweile allen Beteiligten klar
sein: Wilderei und illegaler Elfenbein- und Nashornhandel sind keine alleinigen Probleme des Artenschutzes. Sie spiegeln ein politikfeldübergreifendes
Kriminalitäts- und Sicherheitsproblem internationalen
Ausmaßes wider und müssen daher durch globale und
interdisziplinäre Maßnahmen bekämpft werden. All
das berücksichtigt unser Antrag, weshalb ich Sie um
Zustimmung hierzu bitte.
20 000 getötete Elefanten, mehr als 1 000 tote Nashörner, 1 000 ermordete Wildhüter - hinter dem Titel
zu unserem Antrag „Schutz von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken“ verbirgt sich die Bekämpfung einer neuen Dimension von organisierter Kriminalität.
Wir alle kennen die furchtbaren Bilder von abgeschlachteten Elefanten und Nashörnern, die wegen ihrer Stoßzähne und Hörner einen grausamen Tod sterben mussten. Es ist für uns unvorstellbar, dass diese
Tiere in großer Zahl getötet werden, weil in bestimmten Regionen Asiens Produkte aus Elfenbein Statussymbole sind und weil dem Horn des Nashorns eine
Art medizinische Superkraft zugesprochen wird.
Schlimm genug: das Leiden dieser Tiere, denen bei lebendigem Leib die Stoßzähne und Hörner abgeschlagen werden und die langsam qualvoll sterben.
Aber das Problem ist vielschichtiger. Die Elefanten
und Nashörner werden so massiv gewildert, dass wir
es mit einem Artenschutzproblem zu tun haben. Ihre
Zahl ist dramatisch zurückgegangen. Im letzten Jahr
haben Wilderer in Afrika mehr als 20 000 Elefanten
umgebracht. Ähnlich dramatisch sieht die Lage bei
den Nashörnern aus: Allein in Südafrika wurden im
letzten Jahr über 1 000 Nashörner illegal getötet. Zum
Vergleich: 2007 fielen 13 Nashörner den Wilderern
zum Opfer. Wir haben es hier also mit einem explosiven Anstieg dieser Entwicklung zu tun.
Elefanten und Nashörner spielen auch eine große
Rolle für die lokalen Ökosysteme. Ihr Verschwinden
hätte weitreichende Folgen auch für die anderen dort
lebenden Arten. Unsere Schutzbemühungen zielen auf
den Erhalt der Biodiversität in Afrika.
Neben der ökologischen gibt es weitere gesellschaftspolitische Dimensionen. Die Wilderei gehört inzwischen zu den einträglichsten Sparten der international organisierten Kriminalität. Sie steht auf einer
Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffenhandel.
Schmuggler und Zwischenhändler haben ihre Strukturen professionalisiert und sind technisch hervorragend
ausgerüstet. Als Finanzierungsbasis für terroristische
Gruppen in Afrika spielt die Wilderei eine immer größere traurige Rolle. Es geht um sehr viel Geld. Der
Markt des illegalen Handels mit wild lebenden Arten
wird auf 12 Milliarden Euro geschätzt.
Laut UNEP, dem UN-Umweltprogramm, haben sich
der illegale Elfenbeinhandel und die Wilderei seit
2007 verdoppelt. 2013 wurde die größte Menge illegalen Elfenbeins seit 25 Jahren beschlagnahmt. Das
Horn des Nashorns ist auf Schwarzmärkten mehr wert
als Gold.
Und: Auch Menschen sind Opfer von Wilderei. Immer wieder werden Wildhüter, das letzte Schutzschild
für Elefanten und Nashörner, bei ihrer Arbeit durch die
Wilderer getötet. Mehr als 1 000 Wildhüter wurden in
den letzten zehn Jahren in 35 verschiedenen Ländern
ermordet.
Was kann nun Deutschland tun? Deutschland ist
weder Ursprungs- noch Abnehmerland. Es gibt bei uns
minimale Mengen von Elfenbein, deshalb macht eine
öffentliche Zerstörung, wie sie auch im Antrag der Linken gefordert wird, wenig Sinn. Schaufensterpolitik
hilft nicht weiter, sondern wir können nur auf dem
mühsamen Weg der internationalen Verhandlungen
beharrlich bleiben und mit ressortübergreifenden AntiWilderei-Maßnahmen und konkreter Hilfe für die Menschen in den Ursprungsländern die Lage verbessern.
Bereits heute nimmt die deutsche Regierung bei den
internationalen Bemühungen zum Schutz für Elefanten
und Nashörner eine Vorreiterrolle ein und bezieht klar
Position. Die Parlamentarische Staatssekretärin ist in
ihrer Rede auf die derzeitigen Aktivitäten eingegangen. Fest steht: Das besonders große Engagement der
Umweltministerin Hendricks verdient unsere Anerkennung.
Zu Protokoll gegebene Reden
Eine klare Positionierung gegen weitere Freigaben
des internationalen Elfenbeinhandels ist dabei unabdingbar. Ebenso muss in den internationalen Verhandlungen weiter versucht werden, die Nachfrage nach
Elfenbein und Nashornprodukten zu senken. Die internationale Zusammenarbeit und auch die Kontrollen
müssen weiter gestärkt werden.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen der
geplanten Resolution der UN-Generalversammlung im
September gelänge, sich auf ein noch schärferes und
umfassenderes Vorgehen gegen den illegalen Wildtierhandel zu verständigen. Der Aspekt der organisierten
Kriminalität bei der Wilderei auf Elefanten und Nashörner und damit verbundener Delikte sollten größere
Beachtung finden bei den entsprechenden UN-Konventionen gegen Korruption und gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität.
Ich habe in aller Kürze versucht, deutlich zu machen: Hier handelt es sich nicht nur um eine arten- und
naturschutzpolitische Problemstellung, sondern um
eine massive Fehlentwicklung mit menschlichen Opfern, ausufernder organisierter Kriminalität und weitreichenden Folgen für Ökosysteme wie auch Gesellschaft.
Deshalb freut es mich, dass wir bei diesem Antrag
überfraktionell zusammenarbeiten.
Die Linke will mehr Schutz von bedrohten Wildtieren erreichen. Dazu haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, der in seinen Forderungen über den
der Grünen und der Koalition hinausgeht. Es wird
höchste Zeit, dass auf internationaler Ebene endlich
wirksame Schritte gegen den Wildtierhandel geschützter Tiere unternommen werden. Die Lage könnte kaum
dramatischer sein: Von den einst 100 000 lebenden Tigern existieren heute nur noch rund 3 000 Tiger weltweit. Wenn der Wildtiermafia nicht endlich wirksam
das Handwerk gelegt wird, könnte es schon bald gar
keine Tiger mehr geben. Ähnliches gilt für Elefanten
und Nashörner. Laut der internationalen Tierschutzorganisation WWF wurden im letzten Jahr rund
22 000 Elefanten in Afrika abgeschlachtet, andere Organisationen gehen sogar von einer Zahl von bis zu
50 000 getöteten Elefanten aus. Dies sollte für alle internationalen Akteure ein Alarmsignal sein; denn auch
hier steht längerfristig die Existenz dieser Tierart auf
dem Spiel. Der Handel mit Elfenbein, Nashornhorn
und Tigerfellen blüht. Wir schlagen deshalb in unserem Antrag ein dauerhaftes EU-weites Im- und Exportverbot von Produkten geschützter Tierarten vor. Aber
auch in weiteren Transit- sowie in Ursprungs- und Abnehmerländern müssen die Märkte für Produkte bedrohter Wildtiere geschlossen werden. Zugleich braucht
es Aufklärungsmaßnahmen über den Unsinn dieser
Produkte.
Das internationale Artenschutzübereinkommen
CITES, welches sich die Bekämpfung des Wildtierhandels auf die Fahne geschrieben hat, muss erweitert
werden. Wir wollen das Ländermodell der von CITES
geschützten Wildtiere ändern in ein Populationsmodell. Für den Schutz der Elefantenpopulationen ist es
beispielsweise nicht sinnvoll, nach den Ländergrenzen
zu trennen und sie somit den unterschiedlichen Schutzstandards im CITES-Übereinkommen zu unterstellen.
Denn Elefantenpopulationen machen nicht vor Grenzen halt, und ein Elefant in Simbabwe ist nicht weniger
schützenswert als ein Elefant im benachbarten Sambia.
Leider klammert der vorliegende Antrag der Grünen und der Koalitionsfraktionen Armut und fehlende
Perspektiven in den Ursprungsländern als eine der
wichtigsten Ursachen für den Wildtierhandel komplett
aus: Wir sind der Meinung, dass die wirtschaftlichen
und sozialen Probleme in Afrika wesentlich dazu beitragen, dass Menschen in die Fänge der Wildtiermafia
geraten. Solange viele afrikanische Staaten weiterhin
bewusst in neokolonialer Abhängigkeit vom globalen
Norden gehalten werden, um die Profitinteressen multinationaler Konzerne abzusichern, wird sich der
Trend nicht umkehren lassen. Insofern heißt Schutz der
Wildtiere auch, in der Außen- und Entwicklungspolitik
umzusteuern und den betroffenen Staaten eine faire
Chance für eine eigenständige Entwicklung zu geben,
die den Menschen vor Ort eine Perspektive bietet. Die
gegenüber Afrika gegebenen Entwicklungsfinanzierungsversprechen müssen endlich eingehalten und die
bisher entstandenen Schulden afrikanischer Länder
komplett erlassen werden. Dies machen wir mit unserem Antrag deutlich.
Es mag sich ja schön und vielleicht auch ein wenig
lustig anhören, wenn es hier einen Tagesordnungspunkt mit dem Titel „Elefanten und Nashörner“ gibt,
leider muss ich aber sagen: Diese Angelegenheit ist
sehr ernst, und zwar todernst. 2013 wurde die größte
Menge illegalen Elfenbeins seit 25 Jahren beschlagnahmt. Jährlich werden Zehntausende Elefanten gewildert. Bei Nashörnern steigen die Zahlen in ähnlich
hohem Tempo: Während 2007 in Südafrika noch
13 Nashörner gewildert wurden, waren es im letzten
bereits Jahr über 1 000 Nashörner.
Es geht hier aber nicht nur um Artenschutz und den
Schutz von vom Aussterben bedrohten Tier, sondern
auch um eine viel tiefgreifendere gesellschaftspolitische Dimension. Denn es zeigt sich ein dramatisches
Bild: In den letzten 10 Jahren wurden in 35 verschiedenen Ländern mehr als 1 000 Wildhüter ermordet, die
sich im Schutz von Elefanten und Nashörnern verdient
gemacht haben. Für viele vom Aussterben bedrohte
Arten sind die Wildhüter das letzte schwache Schutzschild. Opfer werden aber nicht nur die Wildhüter vor
Ort, die Wilderei zieht noch viel größere Kreise.
Wilderei ist mittlerweile eine der fünf größten Sparten der international organisierten Kriminalität: Laut
UNEP und Interpol steht der illegale Handel mit geZu Protokoll gegebene Reden
schützten Tieren und Pflanzen mittlerweile auf der
gleichen Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. Die Schmuggler- und Händlerringe haben ihre
Strukturen professionalisiert und verfügen über weitreichende Finanzierung und teilweise hochtechnisierte
Ausrüstung. Sie bereichern sich extrem gut an dem illegal florierenden Geschäft. Oftmals finanzieren sich
kriminelle Kartelle, Terrorgruppen und Bürgerkriegsparteien aus den Profiten des illegalen Wildtierhandels. Auch Gruppen wie Somalias al-Schabab und die
kongolesische Lord’s Resistance Army sollen laut Berichten den Elfenbeinhandel für sich entdeckt haben.
Außerdem werden die Dschandschawid-Kämpfer aus
dem Sudan, eine lokale Miliz im Darfur-Konflikt, für
den Tod von 400 Elefanten im Norden Kameruns verantwortlich gemacht. Mit dem Elfenbein finanzieren
sie ihre Waffenkäufe und schüren damit neue Konflikte.
Allein das Horn des Nashorns ist auf den Schwarzmärkten mittlerweile mehr wert als Gold. Die Wilderei
ist mit ihren geschätzten Milliardengewinnen ein blutiges Geschäft geworden.
Die vorliegenden Berichte von UNEP und Interpol
zeigen, dass Wilderei zur organisierten Kriminalität
avanciert ist und sogar Bürgerkriege bzw. terroristische Gruppen mitfinanziert. Dies muss auch das BMI
zur Kenntnis nehmen. Denn wenn es das nicht tut, ist
das eine gefährliche Lücke, die es sich nicht leisten
kann.
Ich freue mich, dass uns nach einigem Ringen dieser
interfraktionelle Antrag gelungen ist und dass die Bundesregierung zugesagt hat, sich bei internationalen
Verhandlungen deutlich gegen die weitere Freigabe
des Elfenbeinhandels einzusetzen, um der Wilderei und
dem illegalem Handel mit Elfenbein und Nashornhorn
einen wirksamen Riegel vorzuschieben, auch wenn uns
ein generelles und konsequentes Verbot des Handels
mit Elfenbein und Nashornprodukten lieber gewesen
wäre. Denn jeglicher legaler Handelsweg öffnet Tür
und Tor für illegale Machenschaften. Die gegenwärtige Situation zeigt ganz deutlich, wie drastisch sich
die Aufweichungen des generellen Verbots von Elfenbeinhandel ausgewirkt hat: Die Wilderei hat derzeit
wieder ein Ausmaß angenommen wie zuletzt in den
1980er-Jahren, bevor der internationale Elfenbeinhandel 1989 verboten wurde. Der Markt wurde nach
und nach wieder angeheizt. Laut Experten gab es hierfür zwei Ursachen: Erstens wurde im Washingtoner
Artenschutzabkommen von 2007 ausgehandelt - übrigens jeweils mit Beteiligung der damaligen Bundesregierung -, den südafrikanischen Staaten Botswana,
Namibia, Südafrika und Simbabwe einmalig den Verkauf von 108 Tonnen Elfenbein aus Staatsbesitz zu erlauben. Zweitens wurde im Jahr 2008 China als Importland anerkannt. Diese legalen Absätze heizten den
Markt und damit auch die illegalen Machenschaften
und die Kriminalität erst richtig an.
Dabei darf man auch die Ausnahmereglung im
CITES-Abkommen für europäisches Elfenbein nicht
unterschlagen. Diese erlaubt den Export von Elfenbein
aus den Jahren vor 1976. Auch diese Exporte bieten
ein Schlupfloch für frisch gewildertes Elfenbein. Der
Generalsekretär von CITES sagte Berichten zufolge,
Experten gingen davon aus, dass Spekulanten Elfenbein lagern in der Hoffnung auf steigende Preise, sobald Elefanten eines Tages ausgestorben sein werden.
Es ist eben nicht nur ein Hirngespinst von Naturschützern, dass Elefanten und Nashörner eines Tages ausgerottet sein werden. Die heutigen Spekulationen zeigen, wie ernst es um den Bestand dieser edlen Tiere
tatsächlich steht.
Die Wilderei und der Kampf gegen Wilderei ist kein
Randthema mehr, sondern ein Thema mitten in der gesellschaftlichen und auch politischen Debatte. Auf der
Tagesordnung der ersten Sitzung der UNEA, die vergangene Woche zum ersten Mal in Nairobi tagte, stand
der Kampf gegen Wilderei prominent auf der Tagesordnung. Kürzlich kümmerte sich auch Prinz William
von England höchstpersönlich um ein Treffen mit
hochrangigen Regierungschefs, um dieses Thema in
den Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu tragen.
Nächste Woche wird der Ständige Ausschuss des
Washingtoner Artenschutzabkommens über einen
Entscheidungsmechanismus zum zukünftigen Umgang
mit Elfenbeinhandel verhandeln. Es ist wichtig, dass
Deutschland zum Schutz von Elefanten und Nashörnern mit einer starken Stimme gegen jegliche weitere
Freigaben des Elfenbeinhandels spricht. Dieser interfraktionelle Antrag wird der Delegation dabei den
Rücken stärken.
Ich freue mich über den Antrag der Regierungsfraktionen und der Fraktion Bundnis 90/Die Grünen und
bedanke mich im Namen der Bundesregierung über
das darin zum Ausdruck kommende Lob für unsere Arbeit.
Wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr 20 000
Elefanten illegal abgeschossen werden. Und wir können nicht zulassen, dass die Nachfrage nach Nashornpulver in Vietnam zum Aussterben des Nashorns führt.
Die Wilderei auf Elefanten und Nashörner hat dramatische Ausmaße angenommen. Das ist schlimm für
die Tiere, die Natur und die Ökosysteme. Diese Wilderei und der illegale Wildtierhandel bringen international organisierte Kriminalität in Regionen mit schwacher, zum Teil bestechlicher Verwaltung. Sie nimmt den
Menschen, die mit den Tieren leben, die Chance, einen
Nutzen daraus zu ziehen. Sie bringt Destabilisierung
und einen Verlust an Sicherheit mit sich.
Die Bundesregierung hat daraus vier Schlüsse gezogen:
Erstens. Wir müssen dieses wichtige Thema international auf der höchsten Regierungsebene in Ursprungs-, Transit- und Abnehmerländern ansprechen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Das haben wir getan bei den Vereinten Nationen,
wo die Erarbeitung einer UN-Resolution im September
dieses Jahres vorgesehen ist. Wir haben uns für den
„African Elephant Summit“ in Gaborone eingesetzt,
der zehn dringliche Maßnahmen zum Elefantenschutz
formuliert hat. Bundesministerin Hendricks hat an
dem Londoner Gipfel im Februar dieses Jahres gegen
den illegalen Wildtierhandel persönlich teilgenommen.
Gerade ist die deutsche Delegation von der ersten Umweltversammlung der Vereinten Nationen zurückgekehrt, die letzte Woche in Nairobi stattgefunden hat. Zu
den wichtigen, von mehr als 190 Umweltministern behandelten Themen gehört auch der illegale Wildtierhandel. Dieses internationale Momentum muss genutzt
und erhalten werden.
Das Zweite ist: Bei den Beschlüssen auf internationaler Ebene darf es nicht bleiben. Ihnen müssen Taten
folgen. In Afrika und Asien ist in Folge dieser
Beschlüsse einiges geschehen. Das stellen wir im
Rahmen der Diskussionen unter dem Washingtoner
Artenschutzübereinkommen und den dort vorgelegten
Berichten fest. Ferner werden wir im März 2015
Bilanz ziehen; Botswana hat zu einem weiteren Treffen
eingeladen, um zu erörtern, ob die Teilnehmer der früheren Konferenzen ihre Zusagen eingehalten haben.
Drittens: Wir müssen den Menschen in den Ursprungsländern helfen, mit den gewaltigen Problemen
fertigzuwerden.
Im Rahmen der Entwicklungshilfe und mit ressortübergreifenden Antiwilderei-Maßnahmen gehen wir
darauf ein. Deutschland stellt dafür 240 Millionen
Euro zur Verfügung. Wegen der Details verweise ich
auf die Drucksache 18/1243. Auch andere Staaten
sowie die Europäische Union und die UNDP sollen
und wollen Antiwildereimaßnahmen inklusive nationaler Sicherheitsstrategien in Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit integrieren.
Viertes: Wir müssen die internationale Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung in Bezug auf
die Wilderei verbessern. Dazu soll unter anderem das
Mandat der Konventionen erweitert werden, die sich
mit grenzüberschreitender Kriminalität befassen.
Die illegale Wilderei hat ungeahnte Dimensionen
erreicht. Wir brauchen handfeste Antworten und entschlossene Maßnahmen gegen diesen Sumpf.
Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält Übereinstimmungen mit dem der CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen. Allerdings sind darin einige
Punkte enthalten, denen ich mich nicht anschließen
kann. Lassen Sie mich zwei herausgreifen:
Die Vernichtung von beschlagnahmtem Elfenbein
ist sicherlich ein sinnvolles Zeichen für solche Staaten,
die Ziel- oder Transitland illegalen Elfenbeins sind.
Dazu gehört Deutschland aber gerade nicht. Ich
nehme im Übrigen Bezug auf die detaillierten Erläuterungen in der bereits erwähnten Drucksache 18/1243.
Ich glaube, dass die in dem anderen Antrag genannten
Beiträge viel eher zur Bewältigung dieser Krise beitragen.
Zweitens fordert der Antrag der Fraktion Die Linke
ein dauerhaftes EU-weites Ex- und Importverbot von
Produkten geschützter Tierarten sowie ein Verbot des
innergemeinschaftlichen Handels. Wir wollen das
Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Handelsartenschutz sollte auf die Naturverträglichkeit des Handels mit Tieren und Pflanzen hinarbeiten, das heißt sicherstellen bzw. helfen, dass Entnahmen die frei
lebenden Populationen nicht schädigen, im Übrigen
aber Handel zulassen. Es gibt sehr gewichtige Gründe,
dieses Prinzip im Grundsatz beizubehalten. Viele
Nationen leben von der Vermarktung nachhaltig bewirtschafteter Ressourcen. Die Forderung, wie sie von
der Fraktion Die Linke gestellt ist, hätte nach meiner
Erfahrung auf europäischer Ebene nicht den Hauch einer Unterstützung zu erwarten und wäre im Zweifel in
dieser pauschalen Form auch nicht mit der WTO zu
vereinbaren.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1951 mit dem Titel „Schutz
von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 b: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1960 mit
dem Titel „Wildtierhandel mit geschützten Arten verbieten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings
Drucksache 18/1774
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ratingagenturen haben bekanntlich zur Entstehung
der Finanzkrise im Jahre 2008 erheblich beigetragen.
Was ist ihnen vorzuwerfen? Die Ratingagenturen bewerteten Finanzprodukte, Unternehmen und Staaten
über Jahre hinweg oftmals unrealistisch positiv. Dadurch wurde häufig ein viel zu geringes Risiko suggeriert, und Ausfallrisiken wurden unterschätzt. Selbst
als sich die Finanzkrise zuspitzte, erfolgte die Anpassung der Ratings nur sukzessive und viel zu spät.
Die Gefahr eines zu positiven Ratings wurde zudem
durch massive Interessenkonflikte begünstigt. Indem
die Auswahl und die Vergütung der Ratingagentur in
der Regel durch das bewertete Unternehmen erfolgt,
kommen abgegebene Ratings oftmals eher den Wünschen des Emittenten entgegen als den Bedürfnissen
der Anleger. Ratingagenturen berieten Emittenten bei
der Strukturierung ihrer Finanzprodukte zur Erzielung
eines optimalen Ratings und nahmen später selbst
Bewertungen genau dieser Produkte vor - diese Vermischung von Beratungs- und Bewertungsleistungen ließ
an der strikten Neutralität bei der Bewertung von Risiken zweifeln.
Hinzu kommen bis heute teilweise enge Verflechtungen der Beteiligten: Wesentliche Anteilseigner der drei
großen Ratingagenturen bzw. deren Muttergesellschaften sind gleichzeitig große Käufer und Verkäufer von
Finanzprodukten, die von ihren eigenen Agenturen
bewertet werden. Es ist offensichtlich, dass derartige
Konstellationen zu Interessenkonflikten führen können. Zudem bewegen wir uns auf einem Markt, der
nach wie vor von den drei großen Ratingagenturen
beherrscht wird, bei deren Entscheidungen kontinentaleuropäische Belange schon mal außen vor geblieben sind. Auf diese Missstände hat sowohl der nationale als auch der europäische Gesetzgeber reagiert.
Bereits mit der Ratingverordnung aus dem Jahre
2009, CRA I, hat die Europäische Union einen wichtigen Beitrag zur strengeren Beaufsichtigung von
Ratingagenturen geleistet. Seitdem besteht für alle Ersteller von Kreditratings eine Registrierungspflicht mit
umfangreichen Prüfungs- und Genehmigungsverfahren sowie einer laufenden Beaufsichtigung. Damit
wurden erste Schritte unternommen, die Transparenz
des Bewertungsprozesses von Ratingagenturen zu
erhöhen, Interessenkonflikte zu vermeiden und Regelverstöße mit Bußgeldern zu ahnden.
Mit der ersten Novelle der Ratingverordnung im
Jahr 2011, CRA II, konzentrierte der europäische
Gesetzgeber die Aufsichtszuständigkeit bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde,
ESMA, und erhöhte die Transparenz für Ratings strukturierter Finanzprodukte. Mit der aktuellen, zweiten
Novelle, CRA III, wird dieser richtige Weg nun konsequent weitergegangen, unter anderem mit folgenden
Regelungen:
Der ausschließliche oder automatische Rückgriff
auf Ratings zu aufsichtsrechtlichen Zwecken soll verhindert und eigene Kreditrisikobewertungen sollen
vorgenommen werden. Es gilt, Interessenkonflikte zu
vermeiden, indem beispielsweise durch Höchstlaufzeiten der vertraglichen Beziehungen zu einer Ratingagentur ein Rotationsprinzip eingeführt wird.
Außerdem werden zu den Länderratings Regelungen hinsichtlich Zeitpunkt und Anzahl der Veröffentlichungen getroffen. Die Verantwortung von Ratingagenturen wird darüber hinaus dadurch erhöht, dass
diese bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit für fehlerhafte Ratings gegenüber den Anlegern sowie den
bewerteten Unternehmen haften können. Ebenso müssen nunmehr für die Bewertung eines strukturierten
Finanzinstruments zwei Ratings unterschiedlicher
Agenturen eingeholt und dabei auch kleinere Ratingagenturen einbezogen werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/14/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom
21. Mai 2013 in nationales Recht und zur Anpassung
des Aufsichtsrechts an die zweite Novelle der EURatingverordnung.
Sowohl mit der Richtlinie als auch mit der Verordnung soll ein übermäßiger Rückgriff auf externe Ratings zur Bewertung des Ausfallrisikos der gehaltenen
Anlagen vermieden werden. Die Richtlinie schreibt
Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung,
EbAV, Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, OGAW, und Verwaltern alternativer Investmentfonds, AIFM, vor, einen übermäßigen Rückgriff
auf Ratings zur Bewertung des Ausfallrisikos der gehaltenen Anlagen abzubauen. Der Gesetzentwurf setzt
diese Regelungen in nationales Recht um; die BaFin
erhält die Befugnis, die hierzu eingerichteten Verfahren zu überwachen.
Im Koalitionsvertrag haben wir deutlich gemacht,
dass Ratingagenturen eine zentrale Machtstellung auf
den Finanzmärkten haben und sie deshalb einer strengen Regulierung bedürfen. Wir müssen dabei auch
sicherstellen, dass Ratingagenturen bei einem Fehlverhalten effektiv zivilrechtlich haften und dass die
Wettbewerbsfähigkeit europäischer Ratingagenturen
- gegenüber den drei noch immer dominierenden USamerikanischen Agenturen - gefördert wird.
Diverse Anläufe, sowohl politisch als auch privatwirtschaftlich motiviert, eine gemeinsame europäische
Ratingagentur ins Leben zu rufen und am Markt zu
etablieren, sind in den letzten Jahren leider gescheitert. Nun gilt es, den Wettbewerb und die Vielfalt in der
Ratingbranche anzukurbeln und Markteintrittsbarrieren für die schon vorhandenen kleinen Ratingagenturen abzubauen.
Wir wollen das Handeln von Ratingagenturen
weiterhin transparenter machen, die Qualität von in
der EU abgegebenen Ratings verbessern und die
Regulierung in diesem Bereich fortsetzen, um die häufig schematische Übernahme von Ratings von Ratingagenturen zu unterbinden und Ausfallrisiken besser
einschätzen zu können.
Wesentliche Ursache der Finanzkrise in den Jahren
2008 und 2009 war, dass sich viele Unternehmen und
Anleger auf das Rating der großen Ratingagenturen
verlassen haben. In vielen Fällen war das Rating nicht
sachgerecht untersetzt: Triple-AAA-Rating und trotzZu Protokoll gegebene Reden
dem nur wertlose Immobilien im Bestand. Das war das
Ergebnis, weil sich zum Beispiel die Landesbanken
beinahe blind auf den Ausweis der Ratings verlassen
haben.
Ein bestimmtes Rating ist häufig Bestandteil von
Kreditverträgen oder Vereinbarungen über Kapitalanlagen. Rating ist der Ausweis von Bonität. Verändert
sich das Rating eines Kreditnehmers, so wird der
Kreditnehmer laut Kreditvertrag verpflichtet, gegebenenfalls einen höheren Zins zu zahlen oder zusätzliche
Sicherheiten zu stellen. Versicherungen oder Stiftungen dürfen gemäß ihrer Satzung in der Regel nur das
Geld der Kunden in Anlagen tätigen, die ein einwandfreies Rating vorweisen. Verändert sich das Rating
dieser Geldanlagen, so werden zum Beispiel Versicherungen und Stiftungen unter Umständen gezwungen,
ihre Vermögensanlage durch eine bonitätsmäßig bessere Anlage auszutauschen, was weitreichende Konsequenzen haben kann. Rating hat enormen Einfluss auf
Finanzmarktgeschäfte. Im Sinne des Anlegerschutzes
muss auf das Rating Verlass sein. Ein Rating muss objektiv und qualitativ hochwertig untersetzt sein.
Bisher unterlagen Ratingagenturen keinen klaren
Regeln. Zwar wurde auf europäischer Ebene bereits in
den Jahren 2009 und 2011 mit der Novellierung der
Ratingagenturen der richtige Weg eingeschlagen,
gleichwohl bedarf es weitreichender Regelungen, um
das Ziel eines verlässlichen Ratings zu erhalten.
Darüber hinaus gilt es, die Abhängigkeit der Finanzmarktakteure vom Rating zu verringern. Diese
Abhängigkeit hat sich als ein zunehmendes finanzmarkpolitisches Problem herausgestellt. Ein falsches
Rating führte zu einer Unterschätzung von Verlustrisiken und leistete damit einen erheblichen Beitrag zum
Entstehen und zur Verschärfung der Finanzkrise von
2008/2009.
Wie kann man das Problem nun lösen? Gelöst werden kann das Problem nur, indem Ratingagenturen zu
mehr Sorgfalt und Objektivität verpflichtet werden.
Dies kann nur durch eine verschärfte Haftung und eine
bessere Aufsicht über Ratingagenturen erreicht werden und auch durch mehr Wettbewerb. Eine Monopolstellung von einigen wenigen Ratingagenturen ist immer ein hohes Risiko für diejenigen, die sich auf
Ratings verlassen.
CDU, CSU und SPD haben die Problematik der
zentralen Machtstellung der Ratingagenturen auf den
Finanzmärkten erkannt und eine strenge Regulierung
von Ratingagenturen zum politischen Ziel erklärt. Im
Koalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart, sich für
eine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen für Ratingagenturen einzusetzen und
die Wettbewerbsfähigkeit von Ratingagenturen zu fördern.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verringerung von Abhängigkeit von Ratings liegt heute in erster Lesung vor. Die Rechtsnormen, die eine Einschaltung der drei großen Ratingagenturen - also Standard
& Poor’s, Fitch Ratings und Moody’s - vorschreiben,
sollen mit diesem Gesetz reduziert werden. Ratingagenturen müssen einem größeren Wettbewerb ausgesetzt werden. Die Bedeutung externer Ratings soll dabei insgesamt reduziert werden.
Ein wirksames Instrument ist die bereits geltende
Registrierungspflicht von Ratingagenturen mit dem
einhergehenden umfangreichen Prüfungs- und Genehmigungsverfahren durch die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA, European Securities and
Markets Authority. Erst wenn dieses Verfahren erfolgreich durchlaufen wird, können Ratingagenturen mit
ihrer Arbeit beginnen. Die Akteure am Finanzmarkt
dürfen auch nur auf Kreditratings von Ratingagenturen zurückgreifen, die bei der ESMA registriert sind.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung nunmehr die europäische Richtlinie
2013/14 vom Mai 2013 in nationales Recht um. Damit
wird die bereits eingeschlagene Linie fortgesetzt, das
Handeln von Ratingagenturen transparenter zu
machen und die Erstellung der Ratings einer strengen
Regulierung zu unterwerfen. Es soll verhindert werden, dass der Rückgriff auf externe Ratings automatisch erfolgt. Erforderlich sind Anpassungen einiger
Finanzmarktgesetze.
Vorgabe der EU-Richtlinie und gleichzeitig auch
politisches Ziel der Bundesregierung ist es, die Unternehmen der Finanzbranche, nämlich im Speziellen die
Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, EbAV,
die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, OGAW, und die Verwalter alternativer Investmentfonds, AFIM, anzuhalten, künftig mehr und besser
auf ihre eigene Einschätzung bei der Bonitätsbewertung von Kreditnehmern, Wertpapieren und sonstigen
Ausfallrisiken zu achten und Ratings nicht unkritisch
und schematisch und vor allen Dingen nicht als Automatismus zu übernehmen.
Zweite Vorgabe der EU-Richtlinie 2013/14 ist die
strenge Überwachung dieser Vorgabe durch nationale
Aufsichtsbehörden. Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, BaFin, obliegt es dabei hierzulande,
auf die Einhaltung von Regelungen zu achten, Regelverstöße zu sanktionieren und auch dem automatischen Rückgriff auf Ratings entgegenzuwirken. Im
Kapitalanlagegesetzbuch werden deshalb die Bußgeldvorschriften für Verstöße gegen das Regelwerk
verschärft und auch neu geschaffen, um eine wirksame
Sanktionierung zu ermöglichen. Damit wird der BaFin
auch ein entsprechend scharfes Schwert in die Hände
gelegt, um ihrer Aufsichtspflicht effektiv nachkommen
zu können.
Mit der Änderung des Börsengesetzes erfolgt die
von der EU-Richtlinie geforderte Klarstellung, dass
auch die Börsenaufsichtsbehörden der einzelnen europäischen Staaten - in Deutschland ist dies die BaFin Informationen an die europäischen Finanzaufsichtsbehörden weitergeben dürfen. Damit ist einerseits Informationsfluss gewährleistet, und andererseits haben
Zu Protokoll gegebene Reden
die Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene eine solide Basis, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein für ein klares Regelwerk unseres Finanzmarktes
und findet unsere Zustimmung.
Die weltweite Finanzkrise, die sich später zu einer
Weltwirtschaftskrise ausgeweitet hat, ist in ganz
Europa immer noch spürbar. Schuldige gibt es viele.
Ursachen gibt es viele. Und für einen funktionierenden
Staat muss es nach jeder Krise heißen, nicht nur die
richtigen Lehren zu ziehen, sondern daraus auch die
entsprechenden Handlungen und Veränderungen
abzuleiten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen
wir genau diesen Weg und packen ein wichtiges Puzzleteil des gesamten Tableaus an Ursachen für die Finanzkrise an. Auch wenn es nur ein weiterer von vielen
Schritten ist und sein kann.
Die Finanzwelt, aber auch die Staaten selbst, haben
sich in den letzten Jahren in eine Art Abhängigkeit gegenüber den Ratingagenturen begeben, die die Abwärtsspirale der vergangenen Jahre massiv beförderte. Wir müssen uns davon endlich lösen und vor
allem hinterfragen, was und vor allem wer hinter diesen Ratings steckt. Es sind keine Gutmenschen und
keine höheren Instanzen, welcher Art auch immer, die
sich hier als unabhängige und neutrale Marktbeobachter aufspielen wollen. Es sind Akteure am Finanzmarkt, die am selbigen partizipieren und profitieren
wollen. Peer Steinbrück hat zu Recht die Frage aufgeworfen, wer in Europa eigentlich den Taktstock des
Geschehens in der Hand halten soll. Das sind aus
unserer Sicht ganz sicher nicht die Ratingagenturen.
Und deshalb hat die SPD im vergangenen Bundestagswahlkampf richtigerweise gefordert, dass das Primat
der Politik endlich wiederhergestellt werden muss.
Es ist vollkommen absurd und nicht nachvollziehbar, dass hier über Jahrzehnte hinweg im Grunde
keine Regulierung stattgefunden hat. Deshalb haben
wir im Koalitionsvertrag diesen ersten wichtigen
Schritt festgehalten, und ich darf an dieser Stelle zitieren: „Die Bundesregierung wird sich für eine effektive
Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen
für Ratingagenturen einsetzen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Ratingagenturen fördern. Wir
wollen die Rechtsnormen reduzieren, die eine Einschaltung der drei großen Ratingagenturen vorschreiben. Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings
reduzieren.“ Und weiter heißt es: „In Zukunft muss
noch stärker gelten: Gemeinschädliches Handeln von
Unternehmen und Managern muss angemessen sanktioniert werden. Wir unterstützen die Aufnahme strenger Vorschriften in den maßgeblichen europäischen
Rechtsakten, welche insbesondere den Rahmen für
Geldsanktionen auf ein angemessenes Niveau anheben
und die Verhängung spürbarer Sanktionen gegen Unternehmen vorsehen, die gegen regulatorische Vorgaben verstoßen, und werden für deren Umsetzung ins
deutsche Recht Sorge tragen.“
Sie sehen also, dass wir uns durchaus etwas vorgenommen haben, was noch gar nicht alles in diesem
Gesetzentwurf vollzogen werden kann, aber wir gehen
mit diesem Regierungsentwurf einen wichtigen Schritt
in die richtige Richtung: Ziel muss es sein, die Abhängigkeit der Finanzbranche von den Bewertungen der
Ratingagenturen zu reduzieren.
Die unkritische und oftmals schematische Übernahme der Ratings der Ratingagenturen zur Einstufung der Bonitätsgewichtung der Kreditnehmer und
Wertpapiere muss endlich verringert werden. Dies
führte doch häufig zu erheblichen Fehleinschätzungen
von Ausfallrisiken und muss künftig vermieden werden. Das ist eine der klaren Lehren aus der Finanzmarktkrise aus dem Jahre 2008. Dafür ist es unabdingbar, dass sich die Finanzbranche künftig viel stärker
auf eigene Einschätzungen in der Bonitätsprüfung
stützt, um unabhängiger Risiken beurteilen zu können.
Es darf nicht sein, dass der eine einfach das übernimmt, was der andere bereits formuliert hat. Ich bin
überzeugt: Hier kommen wir mit dem Gesetzentwurf
ein gutes Stück voran.
Außerdem werden wir mit dem Gesetz dafür sorgen,
dass neue Ordnungswidrigkeiten ins Kapitalanlagegesetzbuch aufgenommen werden, um klare Grenzen aufzuzeigen und auch, was es bedeutet, diese zu überschreiten.
Im Gesetzentwurf werfen wir auch einen Blick auf
die Abhängigkeiten innerhalb der Finanzbranche und
blicken auf Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
Investitionen in Ratingagenturen und auf die Höchstlaufzeiten der vertraglichen Beziehungen zu Ratingagenturen. Dazu werden wir im Finanzausschuss sicher spannende Debatten führen.
Ich bin dem Bundesminister für Finanzen sehr
dankbar für diesen Gesetzesvorschlag, den wir - gestatten Sie mir diesen Ausblick in die Zukunft - im
weiteren Gesetzgebungsverfahren ganz sicher an der
einen oder anderen Stelle noch präzisieren werden.
Auch in der Stellungnahme des Bundesrates sind Änderungen angemahnt, die das Bundesfinanzministerium nun prüfen möchte. Auf die Ergebnisse bin ich
sehr gespannt.
Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen
dieses Gesetzes. Es handelt sich hierbei um eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft. Lassen Sie uns
gemeinsam das Primat der Politik zurückerobern!
Der vorliegende Gesetzentwurf soll bestimmte Änderungen an der Europäischen Ratingverordnung aus
dem Jahr 2013 in deutsches Recht umsetzen. Anliegen
des Gesetzes bzw. der entsprechenden Verordnung ist
es, dafür zu sorgen, dass sich die Finanzbranche nicht
mehr so scheuklappenhaft von den Bewertungen der
Zu Protokoll gegebene Reden
Ratingagenturen abhängig macht bzw. den Ratings
nicht länger blind vertraut. Ratings - das sollte hier
noch einmal deutlich gesagt werden - sind nach eigener Aussage der Ratingagenturen nichts anderes als
Meinungsäußerungen, Meinungsäußerungen darüber,
für wie wahrscheinlich es eine Ratingagentur hält,
dass ein Schuldner seinen Verpflichtungen nachkommt. Meinungsäußerungen sind bekanntlich von der
Meinungsfreiheit gedeckt. Das Problem liegt aber
darin, dass Ratingagenturen nicht nur Meinungen haben, sondern damit auch wesentlich die Meinung aller
anderen Finanzmarktteilnehmer bestimmen.
Natürlich wissen wir alle, dass die Ratingagenturen
eine zentrale Rolle in der globalen Finanzkrise gespielt haben und spielen. Ihre Bewertungen von komplexen Finanzinstrumenten stellten sich als weitgehend falsch heraus. Ich rate aber dringend davon
ab, den Ratingagenturen die Alleinschuld zuzuweisen.
Für mich stellt sich das Bild eher so dar: Die Ratingagenturen übernahmen mit der Entfesselung der Finanzmärkte seit den 1980er-Jahren zunehmend die
Rolle des Orakels und wurden auch in diese Rolle gedrängt. Die Macht eines Orakels liegt bekanntlich darin, dass sich die Menschen in einer quasireligiösen
Art an den Weissagungen des Orakels bereitwillig
orientieren. Vordergründig war es eine Win-win-Situation. Die Ratingagenturen konnten einerseits mit ihren
Meinungsäußerungen reichlich Geld verdienen. Da
ihnen die Finanzbranche zutraute, zu allen noch so abwegigen Finanzinstrumenten eine Meinung zu haben
und gleichzeitig die Zahl dieser Instrumente immer
größer wurde, war dies ein lohnendes Geschäft für die
Agenturen. Für die Finanzdienstleister andererseits
war die Orakelfunktion der Ratingagenturen ebenfalls
eine komfortable Sache, denn so mussten sie sich kaum
eigenständig Gedanken über die immer komplexeren
Instrumente machen. Außerdem gab es für die Banker
und Fondsmanager dann immer schon einen Schuldigen, auf den man die Verantwortung abwälzen konnte,
wenn im Einzelfall doch mal etwas schiefging.
Im Ergebnis entwickelte sich ein immer stärkeres
Schwarmverhalten ohne klare Verantwortlichkeiten.
Das ganze funktionierte so lange gut, wie die Renditen
an den Finanzmärkten durch Spekulation und Blasenbildung und durch die Umverteilung von den Lohn- zu
den Gewinneinkommen hoch waren. Nachdenkliche
Zeitgenossen haben aber schon vor vielen Jahren die
Frage gestellt, wie lange es wohl dauern werde, bis
dieser Schwarm bzw. eine solche Herde wie die Lemminge auf eine Klippe zusteuern und entschlossen in
den Abgrund springen würde.
Die Politik war an dieser Entwicklung keineswegs
unschuldig. Einerseits ließ die Politik es durch die
Liberalisierung der Finanzmärkte zu, dass sich immer
neuere und kompliziertere Finanzinstrumente in kurzer
Zeit verbreiteten. Noch schwerer aber wog die politische Fehlentscheidung, es vielen Finanzdienstleistern
sogar vorzuschreiben, sich an Ratings zu orientieren.
Die gesamte Bankenregulierung von Basel II fußt im
Wesentlichen auf der These, dass durch ausgeklügelte
und vermeintlich unbestechliche Ratings die Banken
viel besser und effizienter in der Kreditvergabe würden.
Diese Vorgeschichte ist wichtig, um das heutige
Gesetz einzuordnen. Natürlich ist es eine richtige
Lektion aus der Finanzkrise, dass blindes Vertrauen
bzw. die Abschiebung der Verantwortung für Risikobewertungen auf Ratingagenturen falsch sind. Bis
hierhin teilen wir die Stoßrichtung des Gesetzes bzw.
der entsprechenden EU-Verordnung. Wer das aber tatsächlich erreichen will, muss deutlich mehr tun, als in
diesem Gesetz steht.
Für Anleger liegt der Reiz von Ratings - insbesondere von Ratings von komplexen Finanzinstrumenten genau darin, dass damit eine vermeintliche Bewertbarkeit suggeriert wird, die praktisch nicht existiert.
Die Finanzkrise hat eindrucksvoll gezeigt, dass viele
Derivate so komplex sind, dass zuverlässige Vorhersagen über deren Ausfallrisiko und Wertentwicklung
schlicht unmöglich sind.
Aus der Tatsache, dass es vor und während der Finanzkrise viele falsche Ratings gegeben hat, ziehen die
EU-Verordnung und das vorliegende Gesetz die verkürzte und daher falsche Schlussfolgerung, die Ratings
seien aufgrund von Interessenkonflikten oder aufgrund
handwerklicher Fehler schlecht erstellt worden. Das
ist falsch, denn auch ohne Interessenkonflikte und bei
höchster handwerklicher Fertigkeit lässt sich für komplexe Finanzinstrumente keine seriöse Vorhersage darüber machen, wie diese auf Änderungen wichtiger
Rahmenbedingungen reagieren werden. Es ist daher
nur eine Scheinalternative, wenn in Zukunft die Anleger, Banken, Versicherungen etc. die Finanzinstrumente stärker selber bewerten sollen. Wenn Risiken
aufgrund der Komplexität des Produkts schlicht nicht
bewertet werden können, dann hilft es auch nichts,
wenn dies in Zukunft jemand anders als die Ratingagenturen machen soll.
Die Risikobewertung von Finanzinstrumenten muss
dem Ziel dienen, Risiken besser zu kennen, sie besser
bewältigen zu können und letztlich unkalkulierbare
Risiken gar nicht erst einzugehen. Als Gesetzgeber
haben wir dabei die besondere Pflicht, die Öffentlichkeit, das Gemeinwesen und damit die öffentlichen
Haushalte vor falschen Risikobewertungen zu schützen. Wenn die Finanzmarktakteure die Kosten ihrer
falschen Risikobewertungen gar nicht selbst tragen
können und daher der Staat am Ende für die falschen
Risikobewertungen der Banken und Versicherungen
geradestehen muss, dann haben wir als Gesetzgeber
die Pflicht, sie daran zu hindern, mit Risikobewertungen zu arbeiten, die Selbstbetrug sind. Genau das tut
der Gesetzentwurf aber nicht.
Sie alle kennen unseren Vorschlag, diesem Problem
beizukommen. Er lautet Finanz-TÜV. In Zukunft sollen
die Herausgeber von Finanzinstrumenten erst einmal
nachweisen, dass die Risiken ihrer Produkte seriös
Zu Protokoll gegebene Reden
bewertet werden können und dass dabei nicht einfach
Risiken auf die Öffentlichkeit abgeschoben werden.
Nur wer das nachweisen kann, hat den Finanz-TÜV
bestanden und darf sein Finanzprodukt auf den Markt
bringen.
Wenn die unkalkulierbaren Finanzinstrumente endlich vom Markt sind, dann macht es erst richtig Sinn,
sich bei den verbleibenden Instrumenten nicht blind
auf Ratingagenturen zu verlassen und die Käufer und
Händler auf den Finanzmärkten zu nötigen, sich
eigene Gedanken über die Bonität der Papiere zu
machen, die sie kaufen.
Es gibt noch eine Vielzahl von Details, die wir uns
sicher in den Ausschussberatungen noch genau ansehen müssen, und es finden sich durchaus positive
Ansätze in einzelnen Teilen des Gesetzes. Jenseits dieser Details kann ich aber schon jetzt sicher sagen:
Unter den Bedingungen des Hier und Heute greift Ihr
Gesetzentwurf grundsätzlich zu kurz.
Eigentlich sollen nach der Theorie Finanzmärkte
durch eine angemessene Preisbildung dafür sorgen,
dass die wirtschaftliche Situation sich stabilisiert. Wo
hohe Risiken drohen, sollte eigentlich ein hoher Risikoaufschlag genau das signalisieren und dadurch Investoren warnen. Ratingagenturen kommt hier eine
zentrale Rolle zu, indem sie diese Risiken erkennen
und publizieren sollen. Theoretisch.
Doch das Gegenteil war in der Jahrhundertkrise
der Fall. Die Risikoaufschläge an den Finanzmärkten
waren zu keinem Zeitpunkt so gering wie im Moment
des höchsten Risikos, nämlich kurz vor Ausbruch der
Finanzkrise. Die toxischen Papiere des US-amerikanischen Immobilienmarktes bekamen jahrelang Bestnoten, obwohl derlei strukturierte Produkte ganz andere
Ausfallwahrscheinlichkeiten hatten als Unternehmens- oder Staatsanleihen. Kein Wunder, wenn die
Bewerteten die Ratingagenturen für ihre Urteile bezahlen - ein Geschäftsmodell mit eklatanten Fehlanreizen. Doch solange alle vom Dreifach-A hypnotisiert
waren, funktionierte das System. Gute Renditen mit geringem Risiko - es war zu schön, um wahr zu sein.
Und tatsächlich entstanden irgendwann Zweifel an
der Zahlungsfähigkeit der Gläubiger. Die Risikoaufschläge schnellten in kürzester Zeit auf Rekordhöhe,
die Werte der Papiere stürzten ab. Die eilig nach unten
korrigierten Bewertungen der Ratingagenturen heizten
diesen Prozess noch an, da viele Finanzmarktteilnehmer auf die Noten der Agenturen schielten. Es kam zu
synchronen Panikverkäufen, die die Preise weiter nach
unten trieben. So haben die Ratingagenturen gerade
nicht zur Stabilität, sondern zur Instabilität beigetragen.
Geschichte wiederholt sich nicht. Diesen Satz müssen wir auch an den Finanzmärkten berücksichtigen.
Der Glaube, Ausfallrisiken aufgrund von Daten aus
der Vergangenheit berechnen zu können, hat viel zu
lange die Regulierungsagenda geprägt. Es gibt aber
auch Phänomene, die nicht riskant, sondern fundamental unsicher sind, und dazu gehört das menschliche Handeln. Dieses Restrisiko wurde von den Ratingagenturen verdrängt und damit stets und lange
unbemerkt von der Gesellschaft getragen. Trotz ihrer
zweifelhaften Rolle konnten Ratingagenturen ihr Geschäftsmodell über die Krise retten. Sie mussten für
ihre Fehler nicht haften. Deswegen begrüßen wir prinzipiell die Regulierungsbemühungen, die Bedeutung
externer Ratingurteile deutlich zu mindern und die
Haftung der Agenturen zu erhöhen.
Mit der EU-Verordnung CRA III und der begleitenden Richtlinie, die mit dem vorliegenden Gesetz umgesetzt wird, werden Finanzmarktteilnehmer angehalten,
sich nicht alleine auf die Einstufungen der Ratingagenturen zu verlassen, sondern verstärkt auf interne
Ratings zu setzen. Dabei schätzen Banken oder Investmentfonds selbst die Risiken aus ihren Investitionen
ein. Das führt aber aus zwei Gründen nicht zur Lösung
des dargelegten Problems grundsätzlicher Unsicherheit. Zum einen werden die Parameter, die zur internen
Berechnung von Risiken herangezogen werden, sich
nicht fundamental von Institut zu Institut unterscheiden. In einer Krisensituation werden wir also auch
hier Panikverkäufe und Herdenverhalten beobachten
können. Zum anderen besteht ein eklatanter Zielkonflikt zwischen den Renditeinteressen der Investoren
und dem Stabilitätsinteresse des Steuerzahlers. Für
weniger riskante Investitionen muss weniger haftendes
Eigenkapital vorgehalten werden. Damit gibt es seitens der Finanzmarktakteure immer einen Anreiz, die
Investitionen schönzurechnen. Die Unabhängigkeit
von externen Ratings befördert so die Aufweichung
von Stabilitätsstandards. Das Risiko aber verschwindet nicht.
Die Kriterien, nach denen mit dem Gesetz Unabhängigkeit von externen Ratings gewährleistet werden
soll, bleiben vage. Die BaFin soll dem automatischen
Rückgriff auf Ratings „entgegenwirken“ - allein, konkret wird der Gesetzestext an keiner Stelle. Wir Grünen
haben im Europaparlament dafür gestritten, die prozyklische Wirkung automatischer Verkäufe bei Ratingabstufungen zu verhindern. Dafür müsste man etwa
Fonds daran hindern, damit zu werben, dass ein Mindestprozentsatz der von ihnen erworbenen Werte ein
bestimmtes Rating hat. Denn dies hatte in der Vergangenheit zu Marktturbulenzen geführt, wenn viele Investoren nach einer Abstufung durch die Ratingagenturen gleichzeitig verkaufen müssen. Geblieben ist
aber nur eine Erwägung in der Verordnung.
Die Begrenzung eklatanter Interessenkonflikte wie
die Beschränkung gegenseitiger Beteiligungen zwischen Ratingagenturen und bewerteten Institutionen,
wie auch Höchstlaufzeiten vertraglicher Beziehungen
zu einer Ratingagentur und die zivilrechtliche Haftung
sind Schritte in die richtige Richtung. Doch solange
die Ratingagenturen von denjenigen bezahlt werden,
die sie bewerten, kann von Objektivität keine Rede
sein.
Zu Protokoll gegebene Reden
Bis 2020 sollen externe Ratings aus allen europäischen Rechtsvorschriften verschwinden. Wir Grünen
halten allerdings eine Maßnahme noch für viel wichtiger: mehr Eigenkapital im Finanzsystem. Nur durch
eine risikounabhängige Verschuldungsquote kann man
realistisch damit umgehen, dass sich Risiken nicht
wegrechnen lassen und die Haftung dort hingehört, wo
auch die Gewinne auflaufen: bei den Investoren nicht bei den Steuerzahlern. Anstatt eines paternalistischen Aufsichtsregimes, das weit in die Geschäftspolitik der Institute eingreift und jedes interne Modell der
Risikobewertung einer Prüfung unterzieht, sollten wir
uns mit klaren Haftungsregeln wieder auf marktwirtschaftliche Grundprinzipien besinnen. Eine angemessene Eigenkapitalausstattung erreicht das, indem sie
dazu führt, dass die Risiken wieder von den Eigentümern getragen werden.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1774 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
20 Jahre nach Kairo - Bevölkerungspolitik im
Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda
Drucksache 18/1958
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Sie sind damit einverstanden.
Ein Bevölkerungswissenschaftler antwortete vor einigen Jahren auf die Frage: „Ist es eine gute oder eine
schlechte Nachricht, dass wir 7 Milliarden Menschen
auf der Welt sind?“, dass dies keine schlechte Nachricht sein könne, da mit jedem Menschenleben mehr
Werte verbunden seien als Gefahren, Risiken und
Schäden. Diese Einstellung finde ich bemerkenswert,
und sie entspricht nach meiner Wahrnehmung genau
der Stimmung und dieser Art „Aufbruchgefühl“ bei
der Weltbevölkerungskonferenz, International Conference on Population and Development, ICPD, der Vereinten Nationen, VN, in Kairo 1994. Aus bevölkerungspolitischer Sicht weltweit war die Konferenz ein
Meilenstein. 179 Staaten bekannten sich mit der Verabschiedung des Kairoer Aktionsprogramms zur Stärkung der Menschenrechte und der Menschenwürde. Im
Gegensatz zum bisherigen Ansatz, der vor allem das
rasante Bevölkerungswachstum in den Blick nahm,
rückte nun das Individuum in den Fokus bevölkerungspolitischer Debatten und Lösungsvorschläge. Dahinter steht die Überzeugung, dass Mädchen, Jungen,
Frauen und Männer, die sich ihrer gesundheitlichen,
reproduktiven und sexuellen Rechte bewusst sind und
diese uneingeschränkt wahrnehmen können, das Bevölkerungswachstum nachhaltig beeinflussen.
Seither ist viel passiert, 20 Jahre sind vergangen.
International wird um die vollständige Umsetzung des
Kairoer Aktionsprogramms gerungen. Nach der Konferenz in Kairo hat es keine weitere Weltbevölkerungskonferenz der VN gegeben, dafür einen umfassenden
Review-Prozess, um die bisherigen Fortschritte bei der
Umsetzung des Aktionsprogramms zu evaluieren und
Schwerpunkte für die nächsten Jahre zu identifizieren.
Hier hat sich eine Vielzahl von Staaten eingebracht,
nicht zuletzt mittels regionaler Konferenzen. Unser
Antrag beschreibt die Bedeutung dieser weltumspannenden bevölkerungspolitischen Debatte sehr schön:
„Das Ziel des so genannten ICPD-Prozesses ist es,
sich auf gemeinsame bevölkerungspolitische und menschenrechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das jeweilige nationale Entwicklungsniveau heben und jeder
Frau, jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben
ermöglichen.“
Am 22. September 2014 nun wird sich die Generalversammlung der VN in einer Sondersitzung mit der
Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms befassen.
Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des Antrags, die
vollständige Umsetzung des Aktionsprogramms weiterhin zu unterstützen sowie einige Schwerpunkte hervorzuheben, die uns in der Koalition besonders am
Herzen liegen:
Erstens: strukturelle Ungleichstellung. Hier erkennen wir an, dass Gleichberechtigung zwischen den
Geschlechtern eine schnellere Entwicklung bedeutet.
Mädchen und Jungen müssen in die Lage versetzt werden, gleichberechtigt aufzuwachsen und den gleichen
Zugang zu Bildung zu haben. Frauen und Mädchen benötigen nach wie vor Unterstützung, damit sich ihre
rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung verbessert. Chancengleichheit beschäftigt allerdings nicht nur Entwicklungsländer. Es freut mich,
dass der Antrag auch besagt: „… in Industrieländern
gibt es noch keine durchgängig gleichwertige Bezahlung von Frauen und Männern und keinen angemessenen Anteil von Frauen in Führungspositionen.“
Zweitens: Jugend im Fokus. Auch hier möchte ich
aus unserem Antrag zitieren, um die Bedeutung dieses
Schwerpunktes darzustellen: „Die Überprüfung der
Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms hat gezeigt, dass nur wenige Staaten messbare Fortschritte
vorzuweisen haben bei der Bereitstellung von menschenrechtsbasierten und integrierten Dienstleistungen zugunsten sexueller und reproduktiver Gesundheit
und Rechte für alle Jugendlichen.“ Das ist alarmierend, und deshalb treten wir dafür ein, dass Jugendliche ganz spezifisch unterstützt und aufgeklärt werden,
wenn es um den Zugang zu Informationen, Bildung,
umfassender Sexualerziehung und jugendfreundlichen
Gesundheitsdienstleistungen geht sowie um sexuelle
Selbstbestimmung.
Frank Heinrich ({0})
Drittens: sexuelle und reproduktive Gesundheit und
Rechte. Um erst gar keine Diskussion aufkommen zu
lassen: Der Antrag unterstreicht unmissverständlich
die Vereinbarung von Kairo, dass Schwangerschaftsabbrüche als Instrument der Familienplanung ausgeschlossen sind. Das ist uns als Fraktion sehr wichtig.
Mein Traum ist es, dass Abtreibungen eines Tages ausgestorben sind, weil unsere Welt so entwickelt und so
gebildet ist, dass es keine sexuelle Gewalt und keine
ungewollten Schwangerschaften mehr gibt. Dies ist
der eine Aspekt, der mir im Zusammenhang mit diesem
dritten Schwerpunkt wichtig ist. Der andere Aspekt
betrifft den Bereich „sexuelle Rechte“. Gerade als
Entwicklungspolitiker beobachten wir mit großer
Sorge, wie in einigen Ländern mit sexueller Selbstbestimmung, einvernehmlicher Partnerschaft, gegebenenfalls Heirat, oder einvernehmlichen sexuellen Beziehungen umgegangen wird. Dabei geht es nicht nur
um die Rechte Homosexueller, sondern um die sexuelle
Selbstbestimmung aller. Einige afrikanische Länder
positionieren sich hier in extremer Weise, sie missachten individuelle Menschenrechte sogar per Gesetz.
Aber auch viele andere Länder stehen hier vor großen
Herausforderungen. Die Liste der Länder und der Probleme ist lang. Nicht zuletzt möchte ich auch hier die
Forderung des Antrags unterstreichen, „die politischen Aktivitäten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte nicht auf Entwicklungs- und Schwellenländer zu beschränken.“ Ein
trauriges Beispiel: Selbst in Deutschland stehen wir
Ehrenmorden ohnmächtig gegenüber. Das Ziel des Antrages ist es also auch, ein internationales Signal zu
senden, dass wir die Einhaltung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte fordern und die Entwicklungen aufmerksam beobachten.
Es freut mich, dass es uns gelungen ist, mittels dieses Antrags die Fortführung erfolgreicher Initiativen
der G8/G7 und des BMZ zu Kinder- und Müttersterblichkeit bzw. zu selbstbestimmter Familienplanung zu
fordern. Zudem war es mir persönlich wichtig, an
unser selbstgestecktes Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, zu erinnern.
Abschließend möchte ich die Relevanz des Antrages
im Kontext der Post-2015-Agenda herausstellen, die
gerade erarbeitet wird. Uns als Koalition ist es wichtig, dass das Kairoer Aktionsprogramm umfassend
Eingang findet in diese neue Agenda. Des Weiteren
sind wir dafür, dass „eigenständige Ziele für Gesundheit und für Geschlechtergerechtigkeit mit Unterzielen
zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte
… als Vorschlag seitens Deutschlands weiterhin in die
Verhandlungen zur Post-2015-Agenda eingebracht
werden.“ Dafür wird es nötig sein, sich international
auf eine Definition der Begrifflichkeit „sexuelle und
reproduktive Gesundheit und Rechte“ zu einigen. Hier
möchte ich zu einer offenen und ehrlichen Debatte ermutigen und bringe mich selbst gerne ein.
Vor 40 Jahren startete in Bukarest ein weltweites
Umdenken. Menschenrechte, Menschenwürde und die
Stärkung des Individuums wurden zum Kern der internationalen Bevölkerungspolitik. Menschenrechte dürfen nicht nur Männerrechte sein. In Konsequenz daraus rückte der Stand von Frauen in der Gesellschaft
in den Fokus. Heute herrscht genauso Konsens darüber, dass Frauen das Fundament einer demokratischen Gesellschaft sind, wie Konsens darüber
herrscht, dass eine wachsende Weltbevölkerung nur
durch die weltweite Gleichberechtigung von Frauen in
den Griff zu bekommen ist. Simone de Beauvoir
schrieb 1949 und damit 25 Jahre vor der ersten Weltbevölkerungskonferenz in „Das andere Geschlecht“:
„Am Rande der Welt situiert zu sein, ist keine günstige
Ausgangslage für einen, der vor hat, die Welt neu zu
erschaffen.“ Da Gewalt, Rechtlosigkeit und Unterdrückung heute aber immer noch die Lebenssituation von
zig Millionen Frauen vor allem, aber nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern kennzeichnen, ist
unsere aktive Unterstützung der Gleichstellung der
Frauen oberstes Gebot. Dies stellen wir klar mit unserem Antrag dar.
Indien hat in der letzten Zeit immer wieder international Schlagzeilen gemacht durch brutalste Vergewaltigungen, bei denen fast immer der Tod des Opfers in
Kauf genommen wurde oder das Opfer im Anschluss
an die Tat ermordet wurde. In den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt wird Vergewaltigung zunehmend
als Waffe gebraucht. Dies ist keine neue Problematik,
und ich würde mir wünschen, dass es diesbezüglich international ähnliche Aufschreie geben würde wie bei
einem Schiedsrichterfehler in der laufenden Fußballweltmeisterschaft. Jedoch ist die steigende Entwicklung in Zahl und Brutalität ein wachsendes Unrecht,
dem entschieden begegnet werden muss. Systematische
Vergewaltigungen wie in Ruanda, in Bosnien oder im
Kongo müssen international geächtet werden. Ein
wichtiger Schritt auf diesem Weg ist mit der Konferenz
zu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten in London diesen Monat vollzogen worden, an der Vertreter
von 117 Nationen sowie von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen teilgenommen haben. Dort wurde
ein Protokoll verabschiedet, das Richtlinien festlegt,
wie sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als solche erkannt und verfolgt werden kann. Darüber hinaus
müssen wir jedoch auch den Opfern jegliche Unterstützung gewähren, um mit den Folgen der Vergewaltigungen umzugehen.
Neben den Aspekten der Rechte von Frauen und der
Gewalt gegen Frauen ist der Aspekt der Bildung von
zentraler Bedeutung. Auch dies betont unser Antrag.
Nur wenn es gelingt, Mädchen und Frauen denselben
Zugang zu Bildung zu ermöglichen wie Jungen und
Männern, können sie Rechte erlangen und auch wahrnehmen. Nur durch Bildung werden Frauen befähigt,
qualifizierter Arbeit nachzugehen. Nur mit qualifizierter Arbeit können Frauen ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und Unabhängigkeit erlangen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Mit unserem Antrag „20 Jahre nach Kairo - Bevölkerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda“ unterstützen wir die weltweite Ermächtigung von Frauen
und fordern wir auch die Bundesregierung auf, dem
nachzukommen.
Kairo stellt für mich einen Meilenstein dar. Dem
trägt unser Antrag Rechnung. Neben anderen wichtigen bevölkerungspolitischen Themen hoben bereits
vor 20 Jahren die teilnehmenden 179 Staaten die Rolle
von Frauen und Mädchen hervor.
Mit der nächsten Konferenz im September in New
York werden wir weiter daran arbeiten, die Herausforderungen zur Stärkung von Frauen und Mädchen und
des Wohlergehens von Individuen, Familien, Staaten
und unserer Welt zu erreichen. Innerhalb von fünf Minuten werden mindestens zwei Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der
Geburt sterben. Pro Tag sind das rund 800 Frauen. Ihr
Tod wäre vermeidbar, weil es sich um vermeidbare
Komplikationen handelt, vermeidbar, wenn sie auf eine
ausreichende medizinische Versorgung zurückgreifen
könnten, vermeidbar, wenn das Stadt-Land-Gefälle
den Zugang zu Diensten für reproduktive Gesundheit
nicht zusätzlich erschweren würde.
Denn während in Deutschland und Europa Frauen
jederzeit und überall auf die medizinische Betreuung
während der Schwangerschaft und bei der Geburt zurückgreifen können, liegt die Quote in Städten in unseren Partnerländern bei circa 84 Prozent, im ländlichen
Raum sogar nur bei circa 53 Prozent. Das sind gerade
mal halb so viele wie bei uns - halb so viele Frauen,
die darauf hoffen können, dass sie selbst und ihre Kinder die Schwangerschaft und die Geburt überleben.
Seit der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung
im Jahr 1994 in Kairo hat Deutschland insgesamt
mehr als 1 Milliarde Euro für die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit in Entwicklungsländern zur
Verfügung gestellt und auf dem G-8-Gipfel in Muskoka
im Jahr 2010 weitere Mittel für die Gesundheit von
Müttern und Kindern zugesagt. Bei weiteren Konferenzen wird ausdrücklich darum geworben, sich auf gemeinsame bevölkerungspolitische und bevölkerungsrechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das jeweilige
nationale Entwicklungsniveau heben und jeder Frau,
jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben ermöglichen.
Im April war ich als Parlamentsvertreterin bei der
6. Internationalen Parlamentarierkonferenz in Stockholm. Dort versammelten sich Parlamentarier aus allen Ländern, um sich in Stockholm der Umsetzung der
Ziele zu widmen, die wir hier im vorliegenden Antrag
unserer Regierungskoalition formuliert haben. Die
ICPD-Konferenzen finden in geregelten Abständen
statt, um sich mit dem Thema Bevölkerungsentwicklung zu befassen, zu lernen und zu netzwerken und
konkrete Maßnahmen zu planen. Mir hat es einen
wichtigen Anstoß gegeben, hier im Parlament für politische und finanzielle Unterstützung für die Themenbereiche der Entwicklungszusammenarbeit zu werben.
In den Entwicklungsländern selbst geht es noch
mehr darum, auch die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die IPCI widmet sich genau diesen
Fragestellungen. Aus der Konferenz heraus haben wir
eine Erklärung verfasst, welche die Fragen der Bevölkerungsentwicklung umfassend darstellt.
Sicherlich bemerken wir Fortschritte bei der Erreichung der Ziele, die auf der Konferenz des ICPD gesetzt wurden, uns bleiben aber auch viele Herausforderungen für die vollständige Umsetzung.
Zwei Dinge, die mich besonders berührt haben,
möchte ich hier thematisieren: die Zwangsverheiratung und die Geburtenregistrierung von Kindern.
Erschüttert hat mich das Bild eines 11-jährigen
Mädchens, das an einen alten 68-jährigen Mann verkauft und verheiratet wurde. In ihren Augen war nichts
anderes als Angst und Schrecken, tiefste Furcht vor
diesem Mann zu sehen, eine Furcht, die allzu oft begründet ist. Viele Mädchen überleben diese Zwangsehe
nicht, weil sie so schwer misshandelt und sexuell missbraucht werden, dass sie sterben.
Wir müssen dafür eintreten, Gesetzgebungen zu beseitigen, die eine frühe und Zwangsheirat zulassen.
Wir brauchen Erlasse zur Durchsetzung von Rechtsvorschriften über das gesetzliche Mindestheiratsalter
von 18 Jahren; wir müssen uns dafür einsetzen, dass
schädliche Praktiken wie weibliche Genitalverstümmelung verhindert werden. Wir benötigen Rechtsvorschriften zum Umgang mit jugendlichen Schwangerschaften, die unsichere Abtreibungen verhindern. Wir
brauchen die Aufwertung des Status von Frauen und
Mädchen und die Bewältigung der negativen sozialen
Folgen von Geschlechterstereotypen. Wir brauchen
eine umfassende Sexualerziehung für Jungen und
Mädchen. Diese Ausbildung muss genaue Angaben
enthalten über die menschliche Sexualität Schwangerschaft und Geburt, HIV und sexuell übertragbare
Krankheiten, Familienleben und die zwischenmenschlichen Beziehungen, Kultur und Sexualität, und Menschenrechtsschutz.
Mit unserer Politik, mit Programmen und Gesetzen
verpflichten wir uns, die Rechte aller zu schützen und
zu fördern. In dem Zusammenhang möchte ich mich
meinem zweiten schon erwähnten Thema zuwenden der Geburtenregistrierung.
In der Kinderrechtskonvention ist in den Artikeln 7
und 8 das Recht verbrieft, dass jedes Kind ein Recht
auf seine Identität hat, das Recht zu wissen, wer es ist,
zu welchem Staat es gehört und wer seine Eltern sind.
Das Kind hat ein Recht darauf, dass es unverzüglich
nach seiner Geburt in ein Register eingetragen wird.
Es hat das Recht auf einen Namen und von Geburt an
das Recht, eine Staatangehörigkeit zu erwerben.
Zu Protokoll gegebene Reden
Warum ist das so wichtig? Nein, es handelt sich hier
nicht um einen bürokratischen Akt, den man vernachlässigen kann. Weltweit sind rund 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren in keinem Geburtenregister eingetragen. Mit weitreichenden Folgen: Weder können
sie ihre Nationalität nachweisen, noch nachweisen,
wann sie geboren wurden oder wie sie heißen.
In Afrika südlich der Sahara sind es 56 Prozent, und
in Somalia und Liberia werden nur 3 respektive 4 Prozent der Kinder registriert. Kinder ohne Geburtsschein
sind juristisch inexistent und deshalb stärker dem
Risiko für Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt ausgesetzt. Nichtregistrierte Kinder sind im erhöhten
Maße gefährdet für Kinderhandel, Kinderarbeit oder
den verfrühten Einzug in den bewaffneten Dienst.
Für nichtregistrierte Kinder ist zudem der Zugang
zu staatlicher Bildung und medizinischer Versorgung
schwierig bis unmöglich, und das Gesetz legt ihnen
auch später weitere Barrieren in den Weg: Erwachsene ohne Geburtsschein können keinen Pass bekommen, haben keine Bürger- und Wahlrechte, können kein
Konto eröffnen, keinen Besitz erwerben oder erben
und nicht offiziell reisen.
Wie kommt es bei diesen weitreichenden Problemen
dazu, dass Menschen nicht registriert sind? Weil sie
keine Kenntnis über ihre Rechte haben, es beschwerliche Verfahren sind, sich benachteiligte Familien die
Gebühren beim Ausstellen der Geburtsurkunde nicht
leisten können, die Meldestellen für viele Familien,
die in ländlichen Gebieten leben, nur schwer erreichbar sind. Es fehlt aber auch an moderner mobiler
Technik der Datenerfassung, das Behördenpersonal ist
schlecht ausgebildet.
Ein weiterer schwerer Hinderungsgrund ist, dass
ethnische Volksgruppen befürchten, durch die Registrierung noch stärker benachteiligt zu werden. In
Afrika verfügen inzwischen viele Menschen über ein
Handy. Wäre es möglich, an eine offizielle Stelle eine
SMS zur Geburtenregistrierung zu schicken, wäre ein
niedrigschwelliges Angebot geschaffen, das sich
schnell und kostengünstig realisieren ließe.
Sie sehen: Hier können wir helfen. Mit wirksamen
Programmen werden wir uns aktiv an Problemlösungen beteiligen und Hilfe leisten. Und das werden wir
auch tun!
Wenn ein Mann seine Ehefrau straflos vergewaltigen darf, wenn er mit der Eheschließung ihr Vermögen
und ihren Besitz erhält und ihr Arbeitsverhältnis kündigen darf, dann ist das eine Missachtung von Frauen.
Diese Rechtlosigkeit von Frauen hat es auch in
Deutschland gegeben, teilweise vor gar nicht so langer Zeit. Vergewaltigung in der Ehe ist zum Beispiel in
Deutschland erst seit 1997 strafbar. Wenn Frauen in
einer Partnerschaft keine Rechte haben, ist eine selbstbestimmte Familienplanung unmöglich. Gleichberechtigung ist daher die Voraussetzung, wenn wir die sexuelle und reproduktive Gesundheit und entsprechende
Rechte weltweit gewährleisten wollen.
Die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vor
20 Jahren war ein Meilenstein. 179 Staaten erkannten
damals sexuelle und reproduktive Gesundheit als Teil
des fundamentalen Menschenrechts auf Gesundheit
an. Die Konferenz stellte klar, dass reproduktive
Rechte individuelle Menschenrechte sind, die ein Staat
gewährleisten muss. Mit unserem Antrag knüpfen wir
daran an und wollen dieser Bewegung neuen Schwung
geben. Im Kern gehen wir damit noch weiter: Wir fordern Gleichberechtigung für Frauen, und zwar weltweit.
Was bedeuten sexuelle und reproduktive Gesundheit
und Rechte im Einzelnen? Das bedeutet zum einen,
dass die Familienplanung eine selbstbestimmte Entscheidung ist, die frei von Zwängen und Vorgaben sein
muss. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, vorzuschreiben, wer wann wie viele Kinder bekommt. Zum
anderen ist der Staat aber in der Pflicht. Er muss eine
selbstbestimmte Familienplanung ermöglichen, indem
er Aufklärung, Beratung und Verhütungsmittel zur Verfügung stellt. Der Mangel an Information ist in vielen
Ländern weiterhin ein großes Problem. Wie schütze
ich mich vor Geschlechtskrankheiten? Wie kann ich
eine Schwangerschaft, die ich nicht will, vermeiden?
Nur wenn eine Frau und ein Mann überhaupt wissen,
wie sie verhüten können und Zugang zu Verhütungsmitteln haben, können sie selbstbestimmt über ihre Familienplanung entscheiden. Weltweit wollen laut der
Deutschen Stiftung Weltbevölkerung 220 Millionen
Frauen verhüten, haben aber keine Möglichkeit dazu.
Bei dem Zugang zu Information und Verhütungsmitteln
müssen wir Männer naturgemäß einbeziehen. Mangelndes Wissen über Verhütungsmöglichkeiten und der
fehlende Zugang dazu betreffen beide Partner.
Eine weitere Grundlage für selbstbestimmte Familienplanung sind Schutzvorschriften sowie die rechtliche wie gesellschaftliche Stärkung von Frauen - letztlich also die Gleichberechtigung der Geschlechter. In
Ländern, in denen Männer rechtlich und faktisch die
Verfügungsgewalt über Frauen haben, können die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte nicht
erfüllt werden. Deswegen brauchen wir weltweit den
gleichen Zugang zu Bildung, Arbeit und Eigentum sowie Schutzvorschriften, um Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsverheiratung, „Kinderbräute“ und
Genitalverstümmelung zu stoppen. Es ist auch die
Aufgabe Deutschlands, sich international für diese
Themen einzusetzen.
Insbesondere junge Mädchen brauchen in vielen
Ländern Schutzvorschriften und gesellschaftlichen
Wandel. Das zeigt das Beispiel Genitalverstümmelung.
In Ländern wie Somalia sind fast alle Frauen von
Genitalverstümmelung betroffen. Ihnen werden Teile
oder die gesamten äußeren Genitalien entfernt - ohne
Betäubung und mit verunreinigten Werkzeugen wie
Rasierklingen und Glasscherben. Diese Prozedur kostet viele Menschenleben und betrifft auch Deutschland
Zu Protokoll gegebene Reden
und Europa. Terre des Femmes schätzt, dass allein in
Deutschland 25 000 Frauen genitalverstümmelt sind
und weitere 2 500 Frauen und Mädchen gefährdet
sind. Es gibt mittlerweile Fortschritte. So sieht zum
Beispiel die neue Verfassung in Somalia ein Verbot der
Genitalverstümmelung vor. Die besten Gesetze nützen
jedoch nichts, wenn sie nicht eingehalten werden und
niemand ihre Einhaltung sicherstellt. Gesellschaftlicher Wandel kann viel für die Frauen weltweit erreichen, und die Basis dafür sind Information und
Aufklärung. Gerade beim Thema Genitalverstümmelung zeigt sich in der Praxis, dass die meisten
Fortschritte mit Einbeziehung von Geistlichen und
Stammesführern erreicht werden. Denn viele Traditionsverfechter sind sich gar nicht im Klaren darüber,
welche gesundheitlichen Probleme die Genitalverstümmelung verursacht, und hinterfragen diese Praxis
nicht. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch,
Jungen und Männer sowie örtliche religiöse und gesellschaftliche Entscheidungsträger in Aufklärungsmaßnahmen einzubeziehen.
Die Gleichberechtigung von Frauen in einer Gesellschaft ist die Basis für eine freie Entscheidung über die
Familienplanung. Generell gilt, dass sich Länder
schneller und besser entwickeln, in denen Frauen
weitgehend gleichberechtigt sind. Wenn sexuelle und
reproduktive Gesundheit und Rechte gewährleistet
werden, ist das eine gewichtige Entwicklungschance
und der Schlüssel dafür, die Mütter- und Kindersterblichkeit zu senken. Weil sexuelle und reproduktive
Gesundheit und Rechte weltweit nicht ausreichend gewährt werden, gibt es 80 Millionen ungewollte
Schwangerschaften und 20 Millionen unsichere Abtreibungen im Jahr. Jeden Tag sterben junge Frauen
bei unsicheren Abtreibungen. Jeden Tag werden
Kinder geboren, die nicht gewollt sind und nicht ausreichend versorgt werden können.
Zu den Millenniumsentwicklungszielen gehören sowohl die Gleichstellung der Geschlechter als auch die
bessere Gesundheitsversorgung für Mütter mit dem
Zugang zu reproduktiver Gesundheit und mit der Senkung der Müttersterblichkeit. Ebenso ist die Bekämpfung von HIV/Aids immer noch ein wichtiger Punkt auf
der Agenda. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und
Rechte sind der Motor, um diese Millenniumsziele zu
erreichen. Und deswegen fordern wir mit unserem
Antrag, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der
Post-2015-Agenda weiterhin für Geschlechtergerechtigkeit und Gesundheit als eigenständige Ziele mit den
jeweiligen Unterzielen zu sexueller und reproduktiver
Gesundheit und der Wahrung reproduktiver Rechte
einsetzt. Ich halte das für ganz entscheidende Punkte,
denn Frauenrechte sind ein Entwicklungsmotor.
Dabei ist für uns klar, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte eng mit den Menschenrechten verknüpft sind. Wir fordern daher einen diskriminierungsfreien Zugang für die gesamte
Bevölkerung, also unabhängig von Geschlecht, Alter,
Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung,
Geschlechteridentität oder sexueller Orientierung.
Konkret heißt das auch, dass ein Staat zum Beispiel
Schwulen und Lesben nicht den Zugang zu Gesundheit,
zu Verhütungsmitteln zur Prävention von Geschlechtskrankheiten und zu Information versperren darf und
dass wir mit unserer Entwicklungspolitik dafür sorgen
müssen, solche Sperren aufzubrechen, dass wir uns international noch stärker dafür einsetzen müssen, die
menschenrechtswidrige Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung zum Beispiel in Uganda aber auch
in etlichen weiteren Ländern wie zum Beispiel Zentralafrika, Sudan, Südsudan, Kamerun und Tansania zu
stoppen.
Um 20 Jahre nach Kairo neue Impulse für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu schaffen, müssen wir unser nationales und internationales
Engagement fortsetzen. Deswegen fordern wir ein
Nachfolgeprogramm für die im Jahr 2015 auslaufende
Muskoka-Initiative zur Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeit und eine Fortsetzung der Initiative
„Selbstbestimmte Familienplanung und Müttergesundheit“. Ich sage das aber ganz klar: Für Fortschritte werden wir in Zukunft mehr Geld in die Hand
nehmen müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, unser internationales Versprechen zu erfüllen,
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Mittel
der Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Davon sind wir noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es,
dass künftige Spielräume im Haushalt vorrangig dafür
genutzt werden, dass wir international wieder ein Vorbild werden und gegenüber unseren Partnern Verlässlichkeit beweisen.
Ich möchte mich noch ausdrücklich bei meinem
Kollegen Frank Heinrich und der Union für die gute
Zusammenarbeit bei diesem Antrag bedanken. Mit
unserem Antrag stellen wir die Weichen, um insbesondere Frauen und Frauenrechte weltweit zu stärken.
Wir hoffen daher auf Zustimmung des ganzen Hauses
zu unserem Antrag. Das wäre ein gutes und wichtiges
Signal.
In Diskussionen über das Thema Weltbevölkerung
werden fast immer drastische Szenarien ausgepackt.
Von der Gefahr einer Überbevölkerung ist dann die
Rede und davon, dass uns das begrenzte Ökosystem
Erde um die Ohren fliegen würde. Dahinter steckt oft
Panikmache. Schaut man sich die Fakten an, ergibt
sich ein anderes Bild. Die Vereinten Nationen rechnen
heute mit drei verschiedenen Szenarien für die demografische Entwicklung der Weltbevölkerung.
Im hohen Szenario steigt die Weltbevölkerung von
heute 7 Milliarden bis ins Jahr 2300 auf 36 Milliarden
Menschen an. Das wäre eine Katastrophe. Auf dem
Weg dahin würde es tatsächlich zum ökologischen Kollaps kommen. Dieses Szenario ist aber extrem unwahrscheinlich.
Zu Protokoll gegebene Reden
Im mittleren Szenario wächst die Weltbevölkerung
auf 9 Milliarden. Das klingt auch nach viel. Aber
schon heute produzieren wir genügend Lebensmittel
für 12 Milliarden Menschen. 9 Milliarden sind also relativ unproblematisch, wenn die Ressourcen global gerechter verteilt würden und man davon ausgeht, dass
wir uns in puncto Nachhaltigkeit noch wesentlich verbessern können.
Im unteren Szenario schrumpft die Weltbevölkerung
sogar auf 2,3 Milliarden Menschen.
Die Geburtenrate, um eine gleichbleibende Bevölkerungszahl zu gewährleisten, liegt statistisch bei
2,1 Kindern pro Frau. Schon heute lebt aber die Hälfte
der Weltbevölkerung in Ländern, die eine niedrigere
Geburtenrate haben. Das gilt heute für alle europäischen Staaten ebenso wie für die bevölkerungsreichen
Schwellenländer China und Brasilien. Die Geburtenrate aller sogenannten entwickelten Staaten liegt sogar im Schnitt bei nur 1,6 Kindern pro Frau und wäre
somit auf Dauer sogar existenzbedrohend. Wenn also
heute schon in dem einen Teil der Welt zu wenige Menschen auf die Welt kommen, in anderen Teilen aber zu
viele - was ist logischer, als die Unterschiede durch
gezielte und wohlgesteuerte Migrationsbewegungen
auszugleichen?
Auch Deutschland wird ohne Einwanderung definitiv drastisch schrumpfen. Doch statt aus dieser Tatsache eine Win-win-Situation zu machen, die demografischen Defizite auszugleichen und gleichzeitig
Menschen aus dem globalen Süden eine Chance auf
ein menschenwürdiges Leben zu eröffnen, machen
Bundesregierung und EU die Grenzen dicht. Die
europäische Flüchtlingspolitik verweigert sich jeder
Realität. Sie ist dumm, kurzsichtig und menschenverachtend. Sie alle, liebe Mitglieder der Regierungskoalition, sind dafür zu einem erheblichen Maß mitverantwortlich. Jetzt wollen Sie sogar noch das restriktive
deutsche Asylrecht weiter verschärfen.
Hören Sie endlich auf, die Festung Europa weiter
auszubauen. Hören Sie endlich damit auf, die Menschen im Mittelmeer ersaufen zu lassen, hören Sie endlich damit auf, Menschen, sogar Minderjährige, in Lagern einzusperren, nur weil sie sich auf die Suche nach
einem besseren Leben gemacht haben. Machen Sie
endlich die Grenzen auf für eine humane Bevölkerungsbewegung, die zu unser aller Vorteil ist.
Der grundlegenden Stoßrichtung des Koalitionsantrags, 20 Jahre nach der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz deren Grundlagen zu bekräftigen, stimmen
wir zu. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und
Rechte sind zentrale Menschenrechte. Alle Menschen
müssen ihre Sexualität risikofrei leben können. Die
Linke begrüßt, dass sich die Koalitionsfraktionen so
einmütig und deutlich dazu bekennen. Doch schreit die
Diskrepanz zwischen den schönen Worten und der realen Politik von CDU/CSU und SPD geradezu zum
Himmel.
Wie kann man die Diskriminierung von Frauen und
Mädchen so plakativ als quasi absolutes Grundübel
„nachdrücklich verurteilen“, aber gleichzeitig die absolutistische saudische Herrscherfamilie zu seinen engen Verbündeten zählen und ihre Herrschaft gar mit
Waffenlieferungen stützen? In diesem Land und ebenso
bei anderen guten Partnern der deutschen Außenpolitik ist die absolute Rechtlosigkeit der Frau Staatsreligion. Deshalb war es auch schon pure Augenwischerei, als die Bundesregierung erklärte, sie führe am
Hindukusch einen Krieg zur Verteidigung der Frauenund Mädchenrechte. Früher wie heute gilt: Solange
die Bundesregierung nicht ihre verlogene Doppelmoral endlich beendet, bleiben ihre Proklamationen der
Frauenrechte nur hohle Floskeln.
Der vorliegende Antrag thematisiert leider auch mit
keiner Silbe die für mich entscheidende Rolle der Armut für die Bevölkerungsentwicklung. Wer Armut nicht
zulässt, braucht sich auch um eine angebliche Bevölkerungsexplosion keine Gedanken zu machen. Sobald
das Einkommensniveau ein bestimmtes Maß erreicht
hat, sinkt die Geburtenrate automatisch. In Brasilien ist die Zahl der Kinder je Frau in den vergangenen
30 Jahren von 4,3 auf 1,9 gesunken, in der Türkei von
4,2 auf 2,0, in Extremfällen wie dem Iran sogar von
7 auf 1,8. Armutsbekämpfung ist deshalb das sicherste
Verhütungsmittel. Wenn wir endlich aufhören, Ländern
des globalen Südens Freihandelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften nur zu unserem eigenen Nutzen
aufzudrücken, wenn wir endlich die Politik beenden,
die das Wohl der deutschen Privatwirtschaft an erste
Stelle stellt, können sich die Länder des globalen
Südens endlich wirtschaftlich entwickeln. Regional zu
hohes Bevölkerungswachstum würde sich automatisch
regulieren.
Gänzlich absurd wird es, wenn die CDU/CSU- und
SPD-Fraktion die Bundesregierung auffordern, darauf
hinzuwirken, dass die EU-Staaten ihren finanziellen
Beitrag im Sinne des Kairoer Aktionsprogramms
aufrechterhalten sowie weiter an der Umsetzung des
0,7-Prozent-Ziels zu arbeiten. Die Bilanz der Bundesregierung aus CDU/CSU/SPD fällt in allen genannten
Bereichen vernichtend aus.
Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Entwicklungsbudget insgesamt liegt etwa die Hälfte unter dem,
was als internationaler Standard gilt. Auch die Ausgaben für Grundbildung sind trotz großer Ankündigungen viel zu gering. Mit 0,38 Prozent ODA-Quote liegt
Deutschland als stärkste Wirtschaftsnation Europas
sogar insgesamt unter dem Durchschnitt der EU. Die
Bundesrepublik ist international ein denkbar schlechtes Beispiel, wenn es um das tatsächliche internationale Engagement für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte jenseits von wohlklingenden
Anträgen geht.
Weil der Antrag alle diese Probleme nicht anspricht
und auch nicht darauf gerichtet ist, die Widersprüchlichkeit von Wort und Tat zu beenden, können wir als
Zu Protokoll gegebene Reden
Linke dem Antrag nicht zustimmen und werden uns
enthalten.
Zwei minderjährige Mädchen werden in Indien bru-
tal vergewaltigt und am Baum erhängt. Ein Mädchen
wird in Pakistan auf dem Weg zur Schule niederge-
schossen. Gewalt gegen Frauen ist keine traurige Aus-
nahme, sondern weltweiter Alltag. Auch Armut trägt
ein weibliches Gesicht. 70 Prozent der Allerärmsten
sind Frauen. Mädchen erfahren Diskriminierung und
Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechtes - und dies
sogar schon häufig vor der Geburt. 100 Millionen
weibliche Föten wurden laut den Vereinten Nationen
abgetrieben.
Die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und
Frauen ist gleichzeitig Ausdruck verwehrter Rechte.
Gerade deshalb war auch die Weltbevölkerungskonfe-
renz in Kairo 1994 ein Meilenstein für die Rechte von
Frauen und gleichzeitig auch ein entwicklungspoliti-
scher Durchbruch. Das Aktionsprogramm von Kairo
machte den entscheidenden Unterschied, dass es nicht
nur um die sogenannte sexuelle und reproduktive Ge-
sundheit an sich geht, sondern in diesem Zusammen-
hang vor allem auch um das Recht auf Selbstbestim-
mung. Denn Frauen müssen selbst bestimmen können,
wann für sie und ihre Familien der richtige Zeitpunkt
ist, ein Kind zu bekommen. Nur so haben junge Frauen
eine Chance, Schule und Ausbildung abzuschließen,
und die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben. Frauen
sind die zentralen Trägerinnen für Entwicklung. Auch
deshalb gehört Geschlechtergerechtigkeit in den Fo-
kus der Entwicklungspolitik.
Wenn wir von der Weltbevölkerungskonferenz in
Kairo sprechen, dann sprechen wir auch von sieben
Milliarden Menschen auf dieser Welt. Dabei geht es
nicht um die Zahl, sondern vor allem darum, wie wir
mit den Ressourcen der Welt umgehen und wie diese
verteilt sind. Fast eine Milliarde Menschen hungern
weltweit. Das ist ein Skandal. Auch bleibt fast einer
Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Wasser
verwehrt. Jährlich sterben 1,5 Millionen Menschen an
den Folgen von verunreinigtem Wasser. Gerade Was-
ser ist beispielhaft für die Verschwendung und Über-
nutzung knapper Ressourcen. Wir brauchen endlich
ein Umdenken, wir brauchen eine sozial-ökologische
Transformation. Nur so können wir alle gemeinsam in
der „Einen Welt“ leben und eine gerechte und friedli-
che Zukunft formulieren.
Die weltweit alarmierenden Armuts- und Hunger-
zahlen zeigen aber auch eins: Das Credo der letzten
Jahre, Armut allein mit Wirtschaftswachstum bekämp-
fen zu wollen, hat sich selbst ad absurdum geführt.
Trotz enormer Wachstumszahlen wie etwa in Afrika hat
sich die Armut erhöht. Ohne Umverteilung und sozia-
len Ausgleich ist kein menschwürdiges Leben für sie-
ben Milliarden Menschen möglich.
Liebe Kollegen und Kolleginnen von CDU/CSU und
SPD, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie das
Thema hier und heute haben aufsetzen lassen; mehr
als eine Protokollrede hätte ich mir allerdings schon
gewünscht. Die Verwirklichung der Rechte von Mäd-
chen und Frauen darf 20 Jahre nach Kairo nicht aus
dem Fokus geraten. Gerade in Bezug auf die kom-
mende Agenda von Nachhaltigkeitszielen, der SDGs,
dürfen wir die Erfolge der letzten Jahre nicht verges-
sen. Genau deshalb hätte ich mich gefreut, wenn Sie
Ihr Dogma der Farbenlehre über Bord geworfen hät-
ten und uns alle an einen Tisch geholt hätten, nicht nur
die Grünen, sondern auch die Fraktion Die Linke. Las-
sen Sie uns endlich über Inhalte sprechen statt ideolo-
gische Grabenkämpfe bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag
zu führen.
Ihr Antrag enthält viele gute und wichtige Forde-
rungen, die wir natürlich auch unterstützen. Bauch-
schmerzen habe ich trotzdem mit Ihrem Antrag: Er ist
nicht ganz glaubwürdig. Aufklärungsprogramme zur
sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte,
Mütter- und Kindergesundheit, Bildung und all die an-
deren Forderungen gibt es nicht umsonst. Glaubwür-
digkeit fängt aber auch bei der Finanzierung an. Ohne
zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen und insbe-
sondere das 0,7-Prozent-Ziel ein reines Lippenbe-
kenntnis.
Bauchschmerzen habe ich auch noch mit einem an-
deren Punkt: Sie definieren den Begriff der sexuellen
und reproduktiven Gesundheit und Rechte als repro-
duktive Rechte einerseits und sexuelle und reproduk-
tive Gesundheit andererseits. Es geht hier aber auch
um die sexuellen Rechte. Die sexuelle Selbstbestim-
mung ist ein zentrales Recht, welches weltweit immer
wieder missachtet wird. Wir müssen hier und weltweit
dafür kämpfen, dass alle Menschen frei von Zwang und
Diskriminierung ihre Sexualität leben dürfen.
Ihre Definition der sexuellen und reproduktiven Ge-
sundheit und Rechte greift leider viel zu kurz, auch im
Zusammenhang mit der sensiblen Frage zum Thema
Schwangerschaftsabbruch. Wir werden uns auch des-
halb bei dem Antrag enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/1958. Mir liegt eine Erklärung gemäß § 31 der
Geschäftsordnung vor. Diese nehmen wir entsprechend
unseren Regeln zu Protokoll.1) Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.
Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit bei
den letzten zehn Tagesordnungspunkten.
1) Anlage 15
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Juli 2014, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute für den Rest des Tages.
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