Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich. Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Ta-
gesordnungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2014 ({0})
Drucksachen 18/700, 18/702
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017
Drucksachen 17/14301, 18/1026
Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt II.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Drucksachen 18/1023, 18/1024
Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger
Kruse, Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs,
Gesine Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk.
Über den Einzelplan 04 werden wir später namentlich
abstimmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren hat die
Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesem Einzeletat 224 Minuten vorgesehen. Da wir das vermutlich gleich beschließen werden, verbinde ich es mit dem Hinweis, dass es schön
wäre, wenn wir uns an diese getroffene Beschlussfassung hielten, weil dies wiederum Folgen für den weiteren Ablauf der Plenarberatungen am Nachmittag und
Abend hat. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann haben wir das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
({2})
Einen schönen guten Morgen! Lieber Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie
mich zu Beginn etwas zum Haushalt sagen.
({0})
- Sie wissen doch, dass allgemein über Politik geredet
und damit abgerechnet wird; das ist ja auch unser gutes
Recht.
Aber zum Haushalt muss ich Ihnen Folgendes sagen:
Bisher, Herr Bundesfinanzminister, galten Sie als jemand, der immer versucht, die Zahlen einigermaßen seriös herüberzubringen.
({1})
- Nein. - Diesmal sind Sie einen anderen Weg gegangen. Sie hatten vorab verkündet, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr 6,5 Milliarden Euro betragen wird.
Sie hatten vorab auch verkündet, dass es im nächsten
Jahr einen ausgeglichenen Haushalt geben wird. Jetzt
richten Sie Ihre ganze Politik nur danach, der Presse
nicht eingestehen zu müssen, dass Sie sich geirrt haben.
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele:
Erstens haben Sie entgegen der Empfehlung des
Sachverständigenrates die Steuereinnahmen einfach um
1,5 Milliarden Euro erhöht, nur um bei einer Neuverschuldung von 6,5 Milliarden Euro zu bleiben. Entgegen
allen Aussagen haben Sie die Schuldenbelastung einfach
um 1,2 Milliarden Euro gesenkt.
Zweitens machen Sie, um nächstes Jahr zu einem
Ausgleichshaushalt zu kommen, zwei Dinge: Zum einen
verschieben Sie die Kindergelderhöhung und sagen: Das
können wir uns jetzt nicht leisten, da ich sonst keinen
ausgeglichenen Haushalt kriege; das muss verschoben
werden. - Zum anderen verschieben Sie die Abschaffung der kalten Progression. Ich will den Leuten einmal
erklären, was kalte Progression bedeutet: Das heißt, dass
sie bei einer Lohnerhöhung brutto vielleicht 3 Prozent
mehr, aber netto nur 0,5 Prozent mehr haben. Diese sogenannte kalte Progression sollte beseitigt werden. Das
lassen Sie aber ausfallen.
Sie reduzieren außerdem die öffentlichen Investitionen, die in diesem Jahr nur 29,8 Milliarden Euro betragen, im nächsten Jahr auf 24,7 Milliarden Euro. Wissen
Sie, was das bedeutet? Das bedeutet, dass Straßen, Brücken, Schienen, Schulen, Schwimmbäder, Kultureinrichtungen und IT-Netze dort marode bleiben, wo sie jetzt
marode sind, da die Mittel, die wir dringend für Investitionen benötigen, fehlen.
({2})
Bei der Krankenversicherung, Herr Schäuble, kürzen
Sie die Zuschüsse in beiden Jahren um 6 Milliarden
Euro. Was das Ergebnis ist, können wir uns alle ausrechnen. Sie haben - zusammen mit der SPD - nämlich die
neue Regelung geschaffen, dass künftig nur noch die
Beiträge der Versicherten erhöht werden können, nicht
mehr aber die Beiträge der Unternehmen. Sie heben die
paritätische Finanzierung auf. Die Krankenkassen haben
schon jetzt angekündigt, dass sie die Beiträge für die
Versicherten erhöhen werden. Das ist das Ergebnis.
Und das machen Sie alles mit, Herr Gabriel? Das machen Sie mit, Herr Oppermann? Stattdessen sollten Sie
Herrn Schäuble sagen: Dann musst du dich eben korrigieren und erklären, dass du etwas Falsches gesagt
hast. ({3})
Nein, Sie stimmen den Regelungen einfach zu. Ich finde,
Frau Bundeskanzlerin, auch Sie dürften das nicht zulassen.
Ich will es mir heute ersparen, etwas zum Affentheater bei der EEG-Umlage zu sagen. Was Sie uns da geboten haben! 200 Seiten an Änderungsanträgen innerhalb
von zwei Stunden lesen zu müssen, ist abenteuerlich.
Aber darüber werden wir uns ein andermal unterhalten.
({4})
Lassen Sie mich etwas zur Rente sagen. Jetzt haben
wir einen Fortschritt bei der Rente erzielt. Immerhin haben Sie festgelegt, dass jemand mit 45 Beitragsjahren
zwei Jahre früher in Rente gehen kann als andere. Aber
Sie ändern doch an der grundsätzlich falschen Entscheidung nichts, die demografische Entwicklung zur Grundlage zu machen. Ihre Aussage, die Aussage aller Parteien
außer unserer, lautet: Da die Gesellschaft immer älter
wird, muss man immer länger arbeiten und immer später
seine Rente beziehen. - Glauben Sie wirklich, dass das
eine Lösung ist? Könnte es nicht sein, dass wir unseren
Beruf mit dem Beruf anderer verwechseln? Vielleicht
kann man mit 90 Jahren noch im Bundestag herumdödeln, ohne dass das einer merkt.
({5})
Aber man kann mit 90 Jahren kein Dach mehr decken.
Das müssen Sie endlich begreifen.
({6})
Ich sage Ihnen Folgendes: Wir hatten einmal eine andere Bundesrepublik Deutschland. Da war die Produktivitätsentwicklung der entscheidende Faktor. So, wie sich
die Produktivität entwickelte, entwickelten sich auch die
Löhne, und so, wie sich die Löhne entwickelten, entwickelte sich auch die Rente. Das führte zu einer Rente, die
die Funktion hatte, dass man den Lebensstandard, den
man sich im Erwerbsleben erarbeitet hat, aufrechterhalten und fortsetzen konnte. Davon sind wir inzwischen
deutlich entfernt.
({7})
Was müssen wir tun? Wir müssen die alte Rentenformel wieder einführen. Dann werden Sie fragen: Wie sollen wir das bezahlen? - Ganz einfach dadurch, dass wir
erstens der neuen Generation sagen: Alle mit Erwerbseinkommen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, auch Bundestagsabgeordnete, auch Beamtinnen und Beamte, auch Rechtsanwälte. Alle müssen
einzahlen.
({8})
- Ja, ich wusste, dass das Argument kommt, dass diese
Menschen dann auch Ansprüche haben werden.
({9})
- Es geht ja noch weiter. - Zweitens müssen wir die Beitragsbemessungsgrenzen abschaffen, die willkürlich
sind. Wer 14 Millionen Euro verdient, muss dann eben
seinen Beitrag für dieses Einkommen zahlen.
({10})
- Ja, passen Sie auf.
({11})
- Warum warten Sie denn nicht ab? Sie können nicht
einmal zuhören; das ist doch das Mindeste. - Jetzt
kommt mein dritter Vorschlag: Die Rentenerhöhung für
die Spitzenverdiener wird abgeflacht. Das erlaubt das
Bundesverfassungsgericht.
({12})
Dann brauchen wir über Altersarmut überhaupt nicht
mehr zu reden, weil alles bezahlt werden könnte.
({13})
Eine Große Koalition müsste doch zu einer solch großen
Reform fähig sein. Aber all das können wir vergessen;
das findet nicht statt.
({14})
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas. Im 24. Jahr der deutschen Einheit immer noch nicht die gleiche Rente für die
gleiche Lebensleistung in Ost und West zu zahlen, ist ein
Skandal! Ich hatte gehofft, dass Sie wenigstens das überwinden.
({15})
Nun sage ich etwas zur Mütterrente.
({16})
Da habe ich drei Fragen: an Sie, Frau Bundeskanzlerin,
an Ihren Vizekanzler, Herrn Gabriel, und auch an Sie,
Herr Fraktionsvorsitzender Kauder.
({17})
Meine erste Frage. Warum bekommt man für ein
Kind, das vor 1992 geboren wurde, nach wie vor einen
geringeren Rentenzuschlag als für ein Kind, das ab 1992
geboren wurde? War es wirklich so viel leichter, Kinder
vor 1992 aufzuziehen als danach? Erklären Sie das bitte
der Bevölkerung. Ich verstehe das nicht.
({18})
Meine zweite Frage. Warum ist ein Ostkind für Sie im
24. Jahr der deutschen Einheit immer noch weniger wert
als ein Westkind? Erklären Sie mir das.
({19})
Meine dritte Frage. Da die Mütterrente aus den Beiträgen zur Rentenversicherung bezahlt wird, bedeutet
das doch Folgendes: Die Lidl-Kassiererin zahlt Beiträge
zur Rentenversicherung und mithin auch die Mütterrente. Dem Bäckermeister entstehen Lohnnebenkosten,
auch er zahlt Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung und damit auch die Mütterrente. Es gibt aber ein
Problem: Sie, Frau Bundeskanzlerin, Sie, Herr Gabriel,
Sie, Herr Kauder, und ich zahlen die Mütterrente nicht.
Denn wir dürfen gar keine Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung zahlen.
({20})
- Es gibt aber keinen erhöhten Steuerzuschuss. Sie erhöhen die Mütterrente ohne einen erhöhten Steuerzuschuss.
Ich komme gleich darauf zurück.
Kinder, die man zur Welt bringt, ändern an den Beiträgen gar nichts. Diese Kinder sind eine Leistung für
die Familie und die Gesellschaft. Wenn die Mütterrente
steuerfinanziert wäre, dann müssten wir vier - also die
Bundeskanzlerin, Herr Kauder, Herr Gabriel und ich deutlich mehr für die Mütterrente zahlen als die LidlKassiererin. Das wäre gerecht.
({21})
Sie aber sorgen dafür, dass sie nur von der Lidl-Kassiererin und dem Bäckermeister bezahlt wird und nicht
von uns. Deshalb lade ich Sie ein, Herr Gabriel und Herr
Kauder: Wir besuchen zu dritt eine Lidl-Kassiererin, und
dann erklären Sie ihr, warum sie die Mütterrente bezahlen muss und wir drei nicht. Ich kann es ihr nicht erklären. Ich höre Ihnen aber gerne zu, wenn Sie es erklären.
Ich sage Ihnen: Das ist grob ungerecht. Hören Sie damit auf! Diese versicherungsfremden Leistungen dürfen
durch nichts anderes als Steuern finanziert werden. Dafür müssen wir endlich sorgen.
({22})
- Ich freue mich, dass Sie sich aufregen.
({23})
Also scheine ich ins Schwarze zu treffen.
Jetzt komme ich zum Mindestlohn. Er soll flächendeckend und gesetzlich festgelegt sein.
({24})
Ich sage Ihnen ganz klar: Es wird höchste Zeit, dass er
kommt. Ich begrüße das. Unsere Partei hat dafür schon
zu einer Zeit gekämpft, als alle anderen Parteien noch
dagegen waren.
({25})
Ich freue mich, dass wir es jetzt endlich erleben, dass in
Deutschland eine Art flächendeckender gesetzlicher
Mindestlohn eingeführt wird.
({26})
Aber, liebe SPD, liebe Grüne, lieber DGB, 8,50 Euro
habt ihr schon vor Jahren als Mindestlohn gefordert. Ist
euch gar nicht aufgefallen, dass das Leben inzwischen
etwas teurer geworden ist und man die Höhe des Mindestlohns vielleicht anpassen müsste?
({27})
Deshalb fordern wir 10 Euro brutto und eine Anpassung
nicht erst 2018, sondern in einem Jahr. Das wäre eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die dringend nötig ist,
um ein Leben in Würde zu ermöglichen.
({28})
Aber Sie sprechen vom flächendeckenden Mindestlohn. Flächendeckend heißt: Es darf keine Ausnahmen
geben. Sie machen aber zwei wesentliche Ausnahmen.
Ihre erste Ausnahme ist: Jugendliche unter 18 Jahren haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.
Das begründen Sie damit, dass sie, wenn sie zu viel verdienen, nicht mehr an einer Ausbildung interessiert wären und lieber gleich arbeiten gehen, statt zu lernen. Mit
anderen Worten: Sie meinen, Jugendliche sind doof. Wir
meinen das nicht.
({29})
Alle Jugendlichen wissen: Wenn sie gut ausgebildet
sind, haben sie später ganz andere Zukunftschancen und
Verdienstmöglichkeiten. Behandeln Sie doch die Jugendlichen nicht, als wären sie doof, und das auch noch
grundgesetzwidrig! Wie wollen Sie denn begründen,
dass ein 17-Jähriger für die gleiche Arbeit weniger verdient als ein 18-Jähriger? Das ist nicht hinzunehmen.
({30})
Ihre zweite Ausnahme betrifft die Gruppe der Langzeitarbeitslosen. Sie sehen vor, dass die Langzeitarbeitslosen ein halbes Jahr lang keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Wissen Sie, was das
bedeutet? Sie sagen damit einem Langzeitarbeitslosen,
dass er uns, der Gesellschaft, nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn wert ist. Das ist demütigend. Bitte
streichen Sie das!
({31})
Er ist ein Mensch, dessen Würde zu achten ist.
Das Statistische Bundesamt hat gerade veröffentlicht,
dass 20,2 Prozent unserer Beschäftigten weniger als
8,50 Euro verdienen. Es wird also höchste Zeit, dass sich
wenigstens das ändert, wobei ich wiederholen muss:
10 Euro wären angemessen.
Das Statistische Bundesamt hat noch etwas veröffentlicht, Frau Bundeskanzlerin, nämlich dass 8 Millionen
unserer Bürgerinnen und Bürger nicht einmal jeden
zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit genießen können.
Das ist eine Armut, die sich ein so reiches Land wie
Deutschland niemals leisten darf. Das ist auch grundgesetzwidrig.
({32})
Aber ich muss noch auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wenn wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn selbst mit Krücken und Ausnahmen irgendwie
bekommen, dann führt das natürlich zu einer allgemeinen Lohn- und Gehaltssteigerung. Sie müssen von Folgendem ausgehen: Heute verdient der eine 6 Euro, der
zweite 7 Euro, der nächste 8 Euro und ein weiterer
9 Euro. Sie werden sicherlich untereinander sagen: Ich
kann doch nicht plötzlich wie alle 8,50 Euro verdienen
oder nur 50 Cent mehr. Ich mache ja eine qualifiziertere
Tätigkeit. Also muss auch mein Lohn angehoben werden. - Das führt zu einer allgemeinen Lohn- und Gehaltssteigerung, die wir übrigens auch für die Binnenwirtschaft dringend benötigen. Unsere Abhängigkeit
vom Außenhandel kann auch zu einem Verhängnis werden, wenn sich die Situation in anderen Ländern ändert.
Deshalb müssen wir die Binnenwirtschaft stärken. Das
geht nur über Investitionen, Herr Bundesfinanzminister,
und nicht über den Abbau von Investitionen. Es geht nur
über die Stärkung der Kaufkraft, das heißt höhere Renten, höhere Löhne und Gehälter sowie höhere Sozialleistungen.
({33})
Natürlich weiß ich - ich sage das hier auch deutlich,
damit Sie mir hinterher nicht vorwerfen, dass ich es
nicht gesagt habe -, dass die Preise der Handwerksleistungen steigen werden, weil sich die Friseurmeisterin
oder der Bäckermeister den Mindestlohn zum Teil nicht
anders leisten kann. Aber wenn wir eine allgemeine
Lohn- und Gehaltssteigerung haben, können wir das
auch verkraften.
Lassen Sie mich etwas zur Bildung sagen. Das ist für
mich ein Leidenschaftsthema. Ich kenne niemanden im
Bundestag, der sagen würde: Ich bin dagegen, dass wir
Chancengleichheit für Kinder in der Bildung haben. Ich kenne niemanden, der das sagen würde. Aber die
ganze Organisation, die ganze Struktur schließt Chancengleichheit aus. Die soziale Stellung der Eltern setzt
sich in der Bildung der Kinder fort. Dagegen unternimmt
die Regierung gar nichts. Das ist ein wirklich schwerwiegender Vorwurf.
({34})
Was brauchen wir? Wir brauchen ein flächendeckendes Netz aus ganztägigen Kindertagesstätteneinrichtungen und Gemeinschaftsschulen mit einem gesunden und
vollwertigen Mittagessen, und zwar alles gebührenfrei.
Darin müssen wir investieren.
({35})
- Ich habe erwartet, dass Sie mir an dieser Stelle sagen,
dass das zu teuer ist. Für die Commerzbank haben Sie
Hunderte Milliarden Euro, aber nicht für ein gesundes
Essen für die Kinder in den Kindertagestätten und Schulen.
({36})
Das ist nicht hinnehmbar.
({37})
Dann brauchen wir gut ausgebildete und gut bezahlte
Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten
sowie gut ausgebildete und gut bezahlte Lehrerinnen und
Lehrer in den Schulen. Wir brauchen zudem kleinere
Klassenfrequenzen. Begreifen Sie doch endlich: Die
Ressource in Deutschland heißt Bildung. Unsere GoldDr. Gregor Gysi
und Erdölvorkommen können Sie vergessen. Unsere
Ressource heißt Bildung. Darin müssen wir investieren.
({38})
Natürlich brauchen wir auch eine bessere Förderung
der Berufsausbildung und der Hochschulausbildung. Wir
müssen das Kooperationsverbot für die Bundesländer
bei den Schulen überwinden. Ich bitte Sie! Wir haben
16 Bundesländer und deshalb 16 verschiedene Schulsysteme. Ich bestreite nicht, dass das ein großer Fortschritt
im 19. Jahrhundert war. Aber mit dem 21. Jahrhundert
hat das nun überhaupt nichts mehr zu tun. Egal wo Kinder in Deutschland leben, sie müssen eine Chance auf
Topbildung und Topausbildung haben, von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Dafür müssen wir endlich
sorgen.
({39})
Deshalb, Herr Schäuble, ist die von Ihnen ebenso willkürlich vorgenommene Kürzung der Ausgaben für Bildung um 500 Millionen Euro indiskutabel. Ich sage Ihnen: Leisten Sie einen Beitrag zur Chancengleichheit der
Kinder in der Bildung! Das wäre ein ganz wichtiges
Signal in unserer Gesellschaft.
Nun komme ich zu den Steuern.
({40})
Es gibt jetzt einen Steuerbericht der EU-Kommission.
Lesen Sie den einmal, Herr Kauder! Da steht hinsichtlich Deutschland Folgendes drin.
({41})
- Richtig, ich muss es Ihnen sagen, weil Sie es nicht von
alleine lesen. Ich muss das alles hier nachholen, verstehen Sie? Aber die Zeit ist immer so kurz.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die
gesamte Mittelschicht in Deutschland werden - das besagt der EU-Bericht - viel zu hoch besteuert. Des Weiteren besagt der EU-Bericht: Die Bezieherinnen und Bezieher von Kapitaleinkünften, insbesondere von hohen,
werden viel zu niedrig besteuert. Es gibt einen interessanten EU-Vergleich. Die Einnahmen aus Steuern auf
Löhne und Gehälter in Deutschland machen 56,6 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus. Der EUDurchschnitt liegt bei nur 51 Prozent.
({42})
Die Einnahmen aus Steuern auf Kapitaleinkünfte machen beim gesamten Steueraufkommen in Deutschland
16 Prozent aus, im EU-Durchschnitt aber 20,8 Prozent.
Daran merken Sie, was passiert. Die Zahl der Dollarmillionäre ist um 14 Prozent gestiegen. Weltweit besitzen
die Dollarmillionäre ein Vermögen von 40 Billionen
Euro. Das sind zwei Drittel der Weltwirtschaftskraft.
Auch in Deutschland haben wir einen Anstieg zu verzeichnen. Die Zahl der Dollarmillionäre ist von 980 000
auf 1,1 Millionen gestiegen. Weltweit hat Deutschland
die drittmeisten Millionäre. Weltweit die drittmeisten!
Auf Platz eins liegen die USA. Auf Platz zwei liegt - das
wird einige erstaunen - China.
({43})
Auf Platz drei liegt Deutschland. Ich darf nur erwähnen,
dass die USA und China ein paar Einwohner mehr haben
als Deutschland. Trotzdem nehmen wir Platz drei ein.
Und Sie weigern sich, einen halben Euro mehr in der EU
und in Deutschland von den Millionären zu verlangen?
Sie sagen im Ernst der Friseurin in Athen, sie habe das
Ganze zu finanzieren? Es ist absurd, was hier läuft, wirklich absurd.
({44})
Sie verweigern jeden Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit: keine Senkung, keine Erhöhung; Abschaffung der
kalten Progression - das habe ich schon gesagt - verschoben. Dann gibt es aber noch etwas: den Steuerbauch. Man sollte nie vergessen: Unsere Einkommensteuer verläuft nicht linear, sondern es gibt einen Bauch.
Es ist die Mitte der Gesellschaft, die alles bezahlt. Der
untere Teil der Gesellschaft kann die Ausgaben nicht finanzieren, an die Reichen trauen Sie sich nicht heran.
Deshalb muss die Mitte der Gesellschaft alles bezahlen.
Es gibt nur eine Partei im Bundestag, die fordert, den
Steuerbauch zu streichen: Das ist die Linke.
({45})
Die Mitte der Gesellschaft wird nur von der Linken vertreten. Das ist die Wahrheit.
({46})
Meine Bitte: Einen Schritt könnten Sie doch wagen.
Behandeln Sie endlich Kapitaleinkünfte und Arbeitseinkünfte wenigstens gleich. Das wäre schon ein gewaltiger
Fortschritt.
({47})
Nun komme ich zur Außen- und Sicherheitspolitik.
Frau Bundeskanzlerin, alle Kriege der letzten Jahre haben die Menschheitsprobleme nicht gelöst, sondern verschärft, ganz egal, ob ich an Afghanistan denke, ob ich
an den Irak denke oder ob ich an Libyen denke. Was sagt
unser Bundespräsident? Wir sollen an noch mehr Militäreinsätzen teilnehmen.
({48})
Das bedeutet aber nicht, wie er meint, mehr Verantwortung, sondern das bedeutet mehr Verantwortungsversagen. Das sage ich Ihnen ganz klar.
({49})
Der eigentliche Skandal ist, dass Deutschland der
drittgrößte Waffenexporteur weltweit ist. Wir verdienen
an jedem Krieg. Hätte unser Schluss aus dem Zweiten
Weltkrieg nicht lauten müssen, dass wir nie wieder an
Kriegen verdienen wollen? Ich glaube, das wäre das
Mindeste gewesen.
({50})
Jetzt haben wir erfahren, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, im Jahre 2008 Panzer und auch noch eine Panzerfabrik, also die Lizenz zum Herstellen deutscher Panzer,
an Algerien verkauft haben. Ich frage Sie: Welche Zustände haben wir denn in Algerien? Algerien ist kein demokratisches Land. Woher wollen Sie eigentlich wissen,
welche Zustände in Algerien in fünf Jahren herrschen?
Woher wollen wir eigentlich wissen, wer dann dort Panzer für welche Zwecke herstellt? Das ist doch Wahnsinn.
Sie, Herr Gabriel, sagen nur: Verträge sind einzuhalten. - Haben Sie denn wenigstens einmal geprüft, ob
man aus diesem wahnsinnigen Vertrag aussteigen und
diese Verantwortungslosigkeit überwinden kann? Wo
bleibt denn wenigstens Ihr Satz, dass es solche Verträge
nie wieder geben wird? Das wäre doch wohl das Mindeste.
({51})
Ich sage Ihnen auch: Deutschland liefert Waffen an
Saudi-Arabien, an Katar und an den NATO-Partner Türkei. Was erfahren wir jetzt? Die Al-Qaida-Terrorarmee
ISIS erobert immer mehr Territorien im Irak und in Syrien.
({52})
Kerry, der amerikanische Außenminister, reist jetzt
durch den Nahen Osten und versucht, das irgendwie aufzuhalten. Aber wer hat denn diese Armee bezahlt? Die
Bezahlung kam aus Saudi-Arabien und Katar. Was hat
die Türkei gemacht? Sie hat diese kämpfenden Terroristen mit Waffen ohne jede Beanstandung durch die Türkei nach Syrien und Irak durchziehen lassen. Das sind
unsere Partner. Was machen Sie dagegen? Fast nichts.
Heute haben wir gelesen, dass die ISIS-Armee sogar
Kinder tötet. Die Konrad-Adenauer-Stiftung sagt plötzlich, man hätte Assad in Syrien unterstützen müssen. Wo
leben wir hier eigentlich? Die Zeiten werden immer wirrer. Merken Sie denn nicht, dass diese ganze Außenpolitik falsch ist? Weg von Waffenexporten, hin zu einer
friedlichen Konfliktlösung - das muss die Aufgabe der
Bundesregierung sein, nichts anderes.
({53})
Nun komme ich zur Ukraine. Jetzt gibt es gewisse
Fortschritte: eine Feuerpause, angeordnet von Präsident
Poroschenko, und die Rücknahme des Beschlusses der
Föderationsversammlung in Moskau, wonach Russland
in die Ukraine einmarschieren darf. Auch das ist sehr
wichtig. Ich sage Ihnen: Jetzt müssen die Europäische
Union und die NATO endlich wirkliche Deeskalationsschritte gehen. Hören Sie auf mit den Sanktionen und
mit der Androhung von Sanktionen! Wenn die Wirtschaftssanktionen wirklich kämen, dann träfen die Antworten nicht die USA, die die Sanktionen immer vorschlagen, sondern die Antworten träfen uns und die
Wirtschaft. Wir schützen in diesem Falle auch die Wirtschaft. Diese Sanktionen hat sie nicht verdient. Das sage
ich Ihnen klipp und klar.
({54})
Frau Göring-Eckardt, Sie haben hier zur Ukraine gesprochen und sich mit Sahra Wagenknecht auseinandergesetzt. Sie haben gesagt, wer die Regierung bzw. deren
Politik nicht unterstütze, der unterstütze nicht die Demokratisierung der Ukraine. Wie soll ich das verstehen?
Wir sind doch schon gemeinsam gegen Nazis aufgetreten. Warum kritisieren Sie nicht ebenso scharf wie wir
die Mitgliedschaft von faschistischen Politikern in der
ukrainischen Regierung?
({55})
Ich sagen Ihnen auch: Was die belgische Regierung dazu
sagt, ist das eine. Wir haben eine andere Geschichte. Ich
finde, der gesamte Deutsche Bundestag und die gesamte
deutsche Regierung müssten der ukrainischen Regierung
sagen: Bevor wir euch helfen, entlasst die faschistischen
Minister aus euren Reihen. - Das wäre doch wohl das
Mindeste.
({56})
Ich höre immer wieder, bei der Präsidentenwahl hätten
die Faschisten so wenig Stimmen bekommen. Na, umso
besser! Was gibt es dann für einen Grund, deren Minister
nicht aus der Regierung zu entlassen? Dann können wir
den Druck ja sogar noch erhöhen.
({57})
- Haben Sie Zweifel, dass das Faschisten sind? Ich habe
hier ja den Vorsitzenden der faschistischen Partei zitiert;
ich wiederhole das heute nicht. Aber eins sage ich Ihnen:
Die Partei Swoboda hatte ein Institut, das bis zum Jahr
2014 den Namen „Joseph Goebbels“ trug. Jetzt hat die
Partei es wegen des Drucks von außen umbenannt. Dieses Institut trug also den Namen „Joseph Goebbels“. Außer der Partei Swoboda hat das sich noch keine rechtsnationale Partei nach der Nazidiktatur in Europa getraut.
Und da verlangen Sie von uns, dass wir dazu nichts sagen. Das ist doch grotesk!
({58})
Ich kann das nicht dulden. Ich finde, alles andere ist unverantwortlich und ahistorisch.
Im Kalten Krieg war der Gewinner der Westen. Er
zeigte allerdings keine Bereitschaft, aufzuhören, zu siegen. Im Kalten Krieg gab es Einflusssphären der USA
und Einflusssphären der Sowjetunion; aber sie gelten
nicht mehr - glücklicherweise, kann man sagen; sage ich
auch. Das Problem ist nur: Die USA und Russland haben
keine neuen Spielregeln vereinbart. Beide haben Einfluss verloren, versuchen, den vorhandenen Einfluss zu
sichern und auch wieder auszubauen, und kommen sich
dabei in die Quere: in Georgien, in Syrien, in der
Ukraine.
Was gibt es für einen Weg hin zu neuen Spielregeln?
Nur einen: das Völkerrecht.
({59})
Es geht um den vollen Respekt vor dem Völkerrecht.
Der Erste, der das Völkerrecht beim Jugoslawien-Krieg
über Bord geworfen hat, war der Westen, weil er sich dafür nicht mehr interessiert hat, weil er gesagt hat: Wir
waren ja die Gewinner des Kalten Krieges; das brauchen
wir nicht mehr; wir entscheiden, was läuft. - Genau dafür bekommen wir jetzt die Quittung. Deshalb sage ich
Ihnen: Es gibt nur einen Lösungsweg, nämlich das Völkerrecht wieder voll zur Geltung zu bringen. Deshalb
muss der Westen als Erstes das Völkerrecht in vollem
Umfang einhalten.
({60})
Kanzler Schröder hat ja bestätigt, dass er das Völkerrecht verletzt hat; er macht daraus gar kein Hehl.
Ich sage Ihnen noch etwas: Russland wird sich nach
diesem Konflikt ökonomisch stärker nach Asien orientieren. Die USA werden verstärkt in Europa, gerade in
Osteuropa auftreten. Das ist ein Erfolg für die USA, allerdings ein Erfolg, den Obama gar nicht wollte; so
kommt das nun einmal in der Politik. Und die EU? Sie
wirkt völlig hilflos, und sie ist der Verlierer, weil die Abhängigkeit von den USA noch zunehmen wird. Das
kommt bei alledem heraus. Denken Sie einmal darüber
nach.
Jetzt komme ich zu Europa. Es gab ein Warnsignal:
Die Europawahlen haben die rechtsextremen und rechtsnationalen Parteien erheblich gestärkt. Daraus müssten
wir doch alle Schlussfolgerungen ziehen. Frau Bundeskanzlerin, Ihre falsche Spar- statt Aufbaupolitik gegenüber dem Süden Europas, der Abbau der Demokratie,
der Abbau der sozialen Gerechtigkeit, die Tatsache, dass
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - nicht die
Millionäre - die ganze Bankenkrise zu bezahlen haben,
({61})
das alles hat ebenfalls zu diesem Wahlergebnis beigetragen.
Sie und wir alle haben eine Verpflichtung: Europa so
friedlich, so demokratisch, so sozial gerecht und so ökologisch nachhaltig wie möglich zu gestalten, damit dieses Europa die Menschen und vor allem die Jugend nicht
verschreckt, sondern endlich wieder anzieht, und damit
diese rechtsnationalen und rechtsextremen Parteien in
ganz Europa keine Chance haben. Dafür sind wir mitverantwortlich.
({62})
Ich sage Ihnen: Eine Jugendarbeitslosigkeit von
60 Prozent in Griechenland macht Europa kaputt. Ich
habe es schon gesagt: Die Zahl der Millionäre hat zugenommen. Warum führen Sie in der Europäischen Union
keine Millionärsteuer ein? Herr Bundesfinanzminister,
es gab doch einmal die Idee der Finanztransaktionsteuer,
um etwas gegen die Spekulationen und Spielereien an
den Börsen zu tun. Wo bleibt sie eigentlich? Wann tritt
sie eigentlich in Kraft? Das wird man doch wohl noch
einmal fragen dürfen.
({63})
Nun komme ich zu Snowden und den USA. Der
Spiegel hat vor kurzem veröffentlicht, dass die Ausforschungen durch den USA-Geheimdienst NSA noch viel
größer als bisher angenommen waren und dass es eine
enge Zusammenarbeit mit dem BND gab. Professor
Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat dazu wörtlich Folgendes gesagt:
Der Datenaustausch mit ausländischen Diensten,
die ihre personenbezogenen Daten weitgehend unter Methoden und in einer Art und Weise erlangen,
die jenen von mir kurz genannten Mindeststandards
der deutschen und unionsrechtlichen Grundrechte
eindeutig nicht genügen, ist insoweit von Verfassungsrechts wegen ausgeschlossen.
Das heißt mit anderen Worten: Der BND hat sich grundgesetzwidrig verhalten. Ich möchte wissen, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen.
({64})
Snowden hat bisher immer die Wahrheit gesagt. Er
hat gesagt, dass auch die Wirtschaftsdaten weitergereicht
wurden. Das ist Wirtschaftsspionage. Auch das ist eine
Straftat. Die Einzigen, die die Interessen der Wirtschaft
vertreten, sind wieder die Linken und die Grünen in diesem Fall; Sie nicht. Sie lassen sich das einfach bieten.
({65})
Frau Bundeskanzlerin, Sie waren in Washington. Sie
haben mit Obama und anderen gesprochen. Sie sind
ohne ein No-Spy-Abkommen zurückgekommen. Ich
sage Ihnen: Sie verhalten sich diesbezüglich gegenüber
der US-Administration duckmäuserisch. Sie begründen
mir das mit der Freundschaft. Ich sage Ihnen: Duckmäusertum erzielt Verachtung, aber keine Freundschaft.
Wenn man eine Freundschaft will, muss man sich als
Erstes Respekt erarbeiten.
({66})
Ich sage Ihnen auch, wie man das machen kann. Ich
würde dem Präsidenten Obama an Ihrer Stelle sagen:
Wenn Sie kein No-Spy-Abkommen machen, dann werde
ich die Diplomaten in der britischen und in der US-Botschaft, die Spionage betreiben, jeweils zur Persona non
grata erklären. Ich würde ihm sagen: Die NSA baut gerade ein Riesengebäude in Wiesbaden. Das können sie
gern fertigstellen, aber sie können niemals einziehen. Da
schicken wir Attac und andere Organisationen rein, die
im Unterschied zur NSA, die uns hier ausforschen will,
etwas Nützliches machen.
({67})
Ich würde ihm ebenfalls sagen: Wir können auch die
TTIP-Verhandlungen aussetzen. - Was glauben Sie, was
Ihnen das für einen Respekt einbringen würde,
({68})
wie die diskutieren würden, wenn Deutschland sich die
Sache nicht mehr bieten lässt! Das entspricht Ihrem
Amtseid, nämlich Schaden von unserem Volk abzuwenden. Deshalb erwarte ich das auch dringend.
({69})
Zu den TTIP-Verhandlungen noch einen Satz. Es geht
doch dabei nicht nur um das Chlorhuhn, was schon
schlimm genug wäre, sondern es geht darum, dass Investitionshemmnisse verboten werden sollen. Das muss
man einmal übersetzen. Wenn ein amerikanisches Unternehmen hier seine Wirtschaftstätigkeit beginnt und
später eine vernünftigere Regierung kommt, die mehr
Mitbestimmung macht, mehr Wirtschaftsdemokratie,
vielleicht sogar etwas höhere Steuern,
({70})
dann können die Amerikaner sagen: Investitionshemmnis! Als wir anfingen, war das nicht so. - Sie machen
Politik unmöglich. Niemals darf das Verbot von Investitionshemmnissen vereinbart werden!
({71})
Herr Kollege.
Dann muss ich Ihnen zum Schluss noch Folgendes sagen: Ich habe das doch richtig verstanden, Frau Bundeskanzlerin? Präsident Obama hat Ihnen gesagt, dass weder Sie noch Herr Gauck abgehört werden. Das sind die
Ausnahmen. Zu anderen hat er Ihnen das nicht zugesichert. Das heißt, Herr Bundestagspräsident Professor
Lammert, Sie werden nach wie vor abgehört.
Im Unterschied zu Ihnen trage ich das mit Fassung,
Herr Kollege Gysi.
({0})
Ich bin noch nicht fertig! - Das heißt, dass der Bundesratspräsident abgehört wird. Das heißt, dass auch der
Bundesverfassungsgerichtspräsident abgehört wird und
dass auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger abgehört
werden.
({0})
- Passen Sie auf!
Nun muss ich Ihnen Folgendes erklären, Frau Bundeskanzlerin: Wenn Sie mit Ihrem Ehemann Professor
Sauer telefonieren oder mit dem Vizekanzler Gabriel
oder mit Staatsminister Altmaier oder mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden Kauder - die werden alle abgehört -,
dann hört man Sie zufällig mit; wenn Sie gar so dreist
wären, mit mir zu telefonieren, erst recht.
({1})
Es gibt einen Einzigen, Frau Bundeskanzlerin, dem Sie
alle Geheimnisse telefonisch und per E-Mail anvertrauen
dürfen, und das ist der Bundespräsident. Aber aus irgendeinem Grund glaube ich, dass Sie dazu gar keine
Lust haben.
Ich hoffe, Sie verstehen, dass wir zu Ihrem Etat nur
mit Nein stimmen können.
({2})
Herr Kollege Gysi, ich habe eine Bitte mit Blick auf
eine knappe Bemerkung in Ihrer Rede. Wenn wir den
Bundespräsidenten, seine Reden oder Interviews zum
Gegenstand unserer parlamentarischen Auseinandersetzungen machen, was natürlich zulässig sein muss,
({0})
dann sollten wir es im Respekt gegenüber dem Staatsoberhaupt
({1})
jedenfalls korrekt und präzise tun;
Präsident Dr. Norbert Lammert
({2})
denn er hat im Unterschied zu jedem anderen keine Gelegenheit, hier klarzustellen, was er gesagt und gemeint
hat.
Jetzt hat das Wort die Bundeskanzlerin Frau
Dr. Angela Merkel.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe vor zehn
Wochen bei der ersten Lesung des Haushaltes gesagt und
wiederhole es heute: Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2014 und zur mittelfristigen Finanzplanung
löst ein jahrzehntelanges Versprechen ein. Es ist der
erste Haushalt ohne neue Schulden seit 1969. Das heißt
konkret, der Haushalt 2014 ist strukturell ausgeglichen.
Die für dieses Jahr geplante Nettokreditaufnahme in
Höhe von 6,5 Milliarden Euro ist die niedrigste seit
40 Jahren. Laut Finanzplan gibt es im nächsten Jahr zum
ersten Mal die Situation, dass wir keine neuen Schulden
mehr machen. Das gilt dann auch für die kommenden
Jahre. Das ist eine haushaltspolitisch historische Zielmarke.
({0})
Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen, vor allen
Dingen denen, die im Haushaltsausschuss sind, ein ganz
herzliches Dankeschön sagen; denn die Rahmenbedingungen haben sich im Verlauf der parlamentarischen Debatte nicht verbessert.
({1})
Deshalb ist es umso begrüßenswerter, dass es gelungen
ist, die Zielmarken einzuhalten.
Ich halte das für einen großen Erfolg, und zwar auch
deshalb, weil die äußeren Rahmenbedingungen natürlich
nach wie vor schwierig sind. Die europäische Schuldenkrise ist noch nicht ausgestanden. Es gibt eine ganze
Reihe weltwirtschaftlicher Risiken. Deshalb betone ich
ausdrücklich: Der Erfolg besteht nicht allein darin, endlich einen generationengerechten Bundeshaushalt vorzulegen. Er besteht vielmehr darin, dass dieser Haushalt
auch in Zukunft die Grundlagen für Deutschlands Stärken legt.
Deutschlands Stärken bemessen sich nicht nur daran,
dass Einnahmen und Ausgaben in einem vernünftigen
Verhältnis zueinander stehen, sondern sie verlangen viel
mehr. Sie verlangen, dass der soziale Zusammenhalt der
Generationen stimmen muss. Sie verlangen, dass die
Rahmenbedingungen für diejenigen, die unseren Wohlstand erarbeiten, stimmen müssen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen nach wie
vor absolute Priorität bei unseren politischen Vorhaben
hat. Unsere Energieversorgung muss zukunftsfest sein.
Energie muss sicher, bezahlbar und umweltverträglich
sein. Es muss vor allen Dingen in die Zukunft des Landes investiert werden: in Bildung, Forschung, Infrastruktur.
({2})
Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft ist
mit Schwung in das Jahr 2014 gestartet.
({3})
Die Bundesregierung erwartet ein Wirtschaftswachstum
von real etwa 1,8 Prozent. Falls die Rahmenbedingungen so positiv bleiben, kann es 2015 sogar auf 2 Prozent
steigen. Damit können wir ganz nüchtern feststellen:
Deutschland bleibt Stabilitätsanker und Wachstumsmotor der Euro-Zone und der ganzen Europäischen Union.
({4})
Auch am Arbeitsmarkt steuert Deutschland auf einen
Beschäftigungsrekord zu. Die Zahl der Erwerbstätigen
wird in diesem Jahr im Durchschnitt voraussichtlich bei
über 42 Millionen liegen.
So schön diese Erfolge sind, so ist gleichzeitig richtig:
Nachhaltige Politik muss immer nach vorne gerichtet
sein. Wir müssen uns fragen: Womit verdienen wir in 5,
10 oder 20 Jahren unser Geld? Was sind die Technologien von morgen? Welche Rahmenbedingungen müssen
wir heute schaffen, damit wir nicht nur heute, sondern
morgen und übermorgen genauso gut dastehen? Hier
sind natürlich die Menschen in unserem Land nach wie
vor unser wichtigstes Kapital. Auf ihr Wissen, ihr Können und ihre Motivation kommt es an. Deshalb bleiben
Investitionen in Bildung und Forschung ein Schwerpunkt der Bundesregierung. Das drückt sich auch im
Haushalt aus.
({5})
Meine Damen und Herren, allein für Bildung und
Forschung hat der Bund von 2005 bis 2013 seine Ausgaben um knapp 60 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Euro
gesteigert - um 60 Prozent! In Deutschland werden mittlerweile 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung
und Forschung investiert. Das ist das Ergebnis großer
und - ich sage auch - gemeinsamer Anstrengungen sowohl der Wirtschaft als auch der öffentlichen Hand: in
den Ländern und im Bund.
Der Bund macht - wir haben das beschlossen und
sind jetzt in der Umsetzung - einen historischen Schritt:
Wir werden ab 2015 die Finanzierung des BAföG für
Schüler und Studierende zu 100 Prozent übernehmen.
Hierdurch entlasten wir die Länder erheblich und strukturell dauerhaft; pro Jahr sind das knapp 1,2 Milliarden
Euro, die bei den Ländern frei werden. Ich will hier
meine Hoffnung ausdrücken - mit dem notwendigen
Respekt vor den Ländern -, dass der Großteil dieses Geldes dann wirklich Hochschulen und Universitäten zugutekommt; denn genau dafür haben wir das gemacht. Wir
haben ganz deutlich gesagt: Wir müssen den Unterschied zwischen der Finanzierung der außeruniversitären
und der universitären Strukturen kleiner machen. Aus
diesem Grunde hoffe ich, dass wir mit unserem Entlastungsschritt genau dazu beitragen.
({6})
Der Bund übernimmt damit weitere gesamtstaatliche
Verantwortung für bessere Forschungs- und Bildungskooperationen in der Zukunft.
Ich freue mich, dass im Zuge der Übernahme der
Kosten des BAföG eine andere wichtige Sache vereinbart werden konnte, nämlich eine Grundgesetzänderung,
eine Änderung des Artikels 91 b, der sich damit befasst,
wie Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen miteinander kooperieren können. Wenn wir
in den nächsten Jahren international wettbewerbsfähig
sein wollen, dann brauchen wir solche Cluster als Mischung von universitärer und außeruniversitärer Forschung. Es ist gut, dass wir dafür die Weichen stellen
wollen.
({7})
Meine Damen und Herren, insgesamt bedeutet das,
dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode
noch einmal 9 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung
und Forschung zur Verfügung stellen will. Deshalb können wir mit Fug und Recht sagen: Es war noch nie der
Fall, dass der Bund so viel Geld für Bildung und Forschung ausgegeben hat. Aber ich bin zutiefst davon
überzeugt, dass es eine richtige Investition in die Zukunft ist.
({8})
Meine Damen und Herren, zu den großen Herausforderungen der Zukunft gehört auch die Umsetzung der
Energiewende. Mit der EEG-Reform, die wir übermorgen im Bundestag abschließend beraten werden, gehen
wir einen wichtigen Schritt in Richtung der Energieversorgung von morgen. Es wird vor allem die Steuerung
des Umbaus unserer Energieversorgung mit diesem Gesetz verbessert. Das Ganze ist also ein Schritt in Richtung von mehr Marktintegration. Die erneuerbaren Energien haben die Nischenrolle verlassen. Sie sind eine
wesentliche Säule unserer Energieversorgung geworden,
und deshalb müssen sie Schritt für Schritt in den Markt
integriert werden, ohne dass es zu Fadenrissen kommt,
durch die wir den Anschluss verlieren.
Ich glaube, es ist uns ein wichtiger Schritt gelungen.
Aber ich muss sagen: Es ist nicht der letzte Schritt. Wir
werden uns in dieser Legislaturperiode noch einmal mit
diesen Fragen befassen müssen, und wir werden noch
viel Arbeit investieren müssen - der Bundeswirtschaftsminister und auch ich haben das immer wieder getan -,
um die Europäische Union davon zu überzeugen, dass es
uns jetzt gelingen muss, diesen Weg fortzusetzen,
({9})
und dass man nicht einfach anfangen kann, jahrelang bestehende Fördersysteme infrage zu stellen, ohne sich zu
überlegen, wie man die Übergänge schafft. Dafür werden wir in Europa entschieden eintreten, meine Damen
und Herren.
({10})
Auch das ist wichtig: Planungssicherheit für solche Investitionen bekommen wir nur, wenn wir insgesamt
klare Rahmenbedingungen haben. Dazu gehören natürlich auch klare Absprachen mit der Europäischen Kommission.
Meine Damen und Herren, es ist uns gelungen, die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten, indem wir mit der Besonderen Ausgleichsregelung die
notwendigen Ausnahmen geschaffen haben. Auch das
war ein hartes Stück Arbeit. Aber ich muss sagen: Arbeitsplätze zu erhalten, die Möglichkeit der Schaffung
neuer Arbeitsplätze nicht zu verbauen, das ist eine absolute Notwendigkeit. Ansonsten wird die Energiewende
auf keine Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen.
({11})
Deshalb ist das der Großen Koalition ein zentrales Anliegen, meine Damen und Herren.
({12})
Nach der Verabschiedung des EEG hier im Bundestag
und hoffentlich dann auch im Bundesrat wird die Gestaltung der Energiewende auch in den nächsten Jahren eine
Herkulesaufgabe bleiben. Es ist eine nationale Kraftanstrengung notwendig, damit es uns gemeinsam gelingt,
die gesamte Energieerzeugung auf eine neue Basis zu
stellen. Deshalb geht es um Strommarktdesign; deshalb
wird es um Kapazitätsmärkte gehen, um Rahmenbedingungen für Kraftwerke, um die Steigerung der Energieeffizienz und auch um Fortschritte beim Leitungsausbau.
Das heißt, wir sind hier gerade einmal einen wichtigen
Schritt vorangekommen, aber das Ganze bedarf noch
sehr viel weiterer Anstrengungen.
Wenn wir darüber sprechen, wie wichtig es ist, in die
Zukunft unseres Landes zu investieren, dann ist eines
der großen Themen natürlich auch die voranschreitende
Digitalisierung. Hinter diesem Stichwort verbirgt sich ja
nicht mehr und nicht weniger als eine sehr tiefgehende
technologische Revolution, aber auch eine gesellschaftliche Veränderung, auf die in den verschiedenen Bereichen Antworten gegeben werden müssen.
Deshalb arbeitet die Regierungskoalition an einer digitalen Agenda, die wir voraussichtlich im August im
Kabinett beraten werden. Wichtig ist dabei, dass die
Teilhabe aller an den Chancen und Möglichkeiten der digitalen Zukunft gegeben ist. Das heißt, wir müssen die
Versorgung mit Breitband verbessern; daran wird gearbeitet. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher
Unternehmen. Es geht in diesem Zusammenhang darum,
dass wir die Telekommunikations- und Netzunternehmen beim Ausbauprozess durch vernünftige Rahmenbedingungen unterstützen, zum Beispiel auch durch die
Versteigerung von Frequenzen aus der digitalen Dividende 2, woraus wieder neue Mittel zur Verfügung stehen werden, um den Breitbandausbau zu fördern.
({13})
Wir müssen die Sicherheitsaspekte beachten. Beim
Thema Sicherheit im Netz ist jeder Einzelne und jedes
Unternehmen natürlich selbst gefordert, aber wir werden
auch staatliche Rahmenbedingungen brauchen. Ich will
in diesem Zusammenhang auch an die Industrie appellieren: Sicherheit vor Cyberattacken zum Beispiel kann es
nicht geben, wenn es nicht auch eine gewisse Transparenz hinsichtlich solcher Attacken gibt. Ich glaube, es
darf nicht immer nur die Sorge vor Rufschädigung geben, sondern man muss diese Dinge sehr offensiv angehen.
Das, was der Staat zum Schutz der Unternehmen wie
der einzelnen Bürger tun kann, das werden wir so
schnell wie möglich tun. Die Bundesregierung steht der
Wirtschaft zur Seite mit der Taskforce „IT-Sicherheit in
der Wirtschaft“ und den Bürgerinnen und Bürgern mit
dem BSI.
Nationale Gesetzgebung stößt hier natürlich an Grenzen. Deshalb werden wir, wenn wir die tiefgreifende
Diskussion über das, was informationelle Selbstbestimmung im 21. Jahrhundert bedeutet, führen, mit nationaler Gesetzgebung alleine nicht hinkommen. Wir brauchen zumindest europäische Standards - deshalb die
Diskussion über die Datenschutz-Grundverordnung -,
aber wir brauchen auch globale Regelungen. Es ist sehr
mühsam, aber auch hier gilt genauso wie bei den Finanzmärkten: Wir müssen dicke Bretter bohren und immer
weitermachen. Nur wenn sich die globalen Rahmenbedingungen verbessern, wird man das sicherstellen können, was die Bürgerinnen und Bürger mit Recht erwarten.
Wenn wir über die Infrastruktur der Zukunft sprechen, kommen wir natürlich auch zu den Verkehrsnetzen. Die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode im Vergleich zur letzten Legislaturperiode
5 Milliarden Euro mehr für die Verkehrsinfrastruktur zur
Verfügung stellen. Wir werden auch die Nutzerfinanzierung ausweiten, zum Beispiel im Lkw-Bereich. Wir werden aber auch Vorschläge des Bundesverkehrsministers
in nächster Zeit bekommen, wie die Nutzer ausländischer Kfz an den Verkehrskosten beteiligt werden können.
Deutschland ist und bleibt stark, wenn die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt weiter so gut verläuft, wie
das in der letzten Zeit der Fall war. Ich sagte es schon:
Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf einem Rekordniveau, aber nicht nur die: Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt weiter an.
Wir haben einen guten Trend bei der Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit. Der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit erfolgt nach Angaben der Bundesagentur im
Augenblick schneller als der Abbau der Arbeitslosigkeit.
Natürlich muss unser Schwerpunkt sein, die Situation
von Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Hier haben wir
eine viel zu hohe Zahl von Menschen, die über mehr als
ein Jahr in Arbeitslosigkeit sind. Natürlich haben wir
auch das Problem, dass sich dies in den Zukunftschancen der Kinder widerspiegelt. Deshalb müssen wir hier
ganz gezielt herangehen. Die Bundesarbeitsministerin
hat hierzu erste Vorschläge gemacht.
Es geht auch darum, faire Arbeitsbedingungen zu
schaffen. Deshalb werden wir den Mindestlohn einführen; aber wir werden auch genau darauf achten - das
wird in den abschließenden Beratungen jetzt auch getan -,
dass dadurch keine Arbeitsplätze verloren gehen, sondern dass es gelingt, den Trend, mehr Beschäftigte in
Deutschland zu haben, fortzusetzen.
Wir wollen natürlich auch - ich habe vom Zusammenhalt der Generationen und von der Gerechtigkeit gesprochen - an alle Generationen denken. Deshalb war
das Rentenpaket ein wichtiger Schritt in dieser Legislaturperiode. Es bringt Verbesserungen für Mütter, die vor
1992 ihre Kinder bekommen haben. Herr Gysi, an dieser
Stelle will ich nur Folgendes sagen: Rechnen Sie einmal
aus, um wie viel höher die Steuerzuschüsse des Bundes
in den letzten Jahren im Vergleich zu dem sind, was für
Mütterrenten bereits ausgegeben wurde. Dann werden
Sie sehen, dass der Schritt, den wir jetzt unternehmen,
gut verkraftbar ist. Im Übrigen haben wir gesagt, dass
wir ab 2018 Steuerzuschüsse zur Mütterrente dazugeben.
Ich finde, um ein Mindestmaß an Wahrheit zu gewährleisten, sollten Sie das auch einmal erwähnen.
({14})
In der allgemeinen Diskussion wird vielleicht nicht
ausreichend beachtet, dass im Rahmen des Rentenpaketes auch die Erwerbsminderungsrente verbessert wurde.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn wenn wir uns die
faktische, die reale Altersarmut von heute anschauen,
stellen wir fest, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen ihren Arbeitsplatz früher verlassen mussten. Deshalb ist dies ein ganz
wichtiger Schritt. Natürlich ist auch die abschlagsfreie
Rente für Menschen, die 45 Jahre lang Beiträge geleistet
haben, ein wichtiger Schritt - ohne dass wir die Rente
mit 67 damit außer Kraft gesetzt hätten. Auch das muss
einmal gesagt werden: Die Rente mit 67 ist nicht beliebt,
aber sie ist angesichts der demografischen Herausforderungen notwendig.
Für viele Menschen, an die wir vielleicht nicht jeden
Tag denken, sind die Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Pflege ein ganz wichtiger Punkt. Dies ist
eine der großen Aufgaben unserer Gesellschaft. Der
kürzlich vom Kabinett beschlossene Entwurf eines Pflegestärkungsgesetzes, den wir zum 1. Januar 2015 konkret umsetzen wollen, ist ein erster wichtiger Schritt zu
einer Reform der Pflegeversicherung. Wir werden die
Leistungen für die Pflegebedürftigen genauso wie die
Leistungen für die Pflegenden spürbar verbessern. Das
geht einher mit einer angemessenen Beitragserhöhung
- ja -, aber wir stehen aus Überzeugung dazu, weil wir
sagen: Die Pflege und damit ein würdiges Leben im Alter sind für uns als Große Koalition ein Schwerpunkt.
({15})
Dabei werden vor allem Familien, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, mehr Unterstützung bekommen.
Für die Pflegeeinrichtungen soll die Arbeit leichter wer3694
den. Es sollen mehr Betreuungskräfte zur Verfügung stehen, und die Betreuungsleistungen werden weiter ausgebaut und auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt.
Wir werden in einem zweiten Schritt in Richtung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gehen. Diesbezüglich unterstütze ich den Gesundheitsminister absolut:
Bei der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs sollten wir Schritt für Schritt vorgehen; denn hiervon sind viele betroffen. Wenn am Ende auch nur wenige im Vergleich zu heute schlechtergestellt wären,
würde das auf Unverständnis stoßen. Deshalb finde ich
diese schrittweise Einführung absolut sachgerecht und
praxisgerecht.
({16})
Wir haben auch die Belastungen für künftige Generationen im Blick. Deshalb beginnen wir mit Blick auf die
Generationengerechtigkeit mit Maßnahmen zum Aufbau
eines Vorsorgefonds für die Pflege. Ich glaube, das ist
ein erster wichtiger Schritt. Er ist sicherlich noch nicht
ausreichend, aber wichtig.
So wichtig die ganzen Sachfragen bei der Pflege im
Detail sind, will ich doch auch daran erinnern, dass die
stillen Helden bei der Pflege zumeist die Mitglieder der
Familien sind. Sie geben ihren zu pflegenden Angehörigen den notwendigen Halt. Sie stehen ihnen zur Seite,
Tag und Nacht. Vielleicht würdigen wir sie manchmal zu
wenig. Deshalb muss das im Zusammenhang mit dieser
Pflegereform immer wieder erwähnt werden.
({17})
In dem Bereich der Pflege zeigt sich im Grunde, was
das Fundament unserer Gesellschaft ist. In Familien
wird nämlich dauerhaft Verantwortung füreinander übernommen: Eltern für Kinder, aber genauso Kinder später
für ihre Eltern. Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade
bei dem, was Familien heute besonders am Herzen liegt,
weitere Schritte gehen, nämlich bei der Verfügbarkeit
von Zeit. Dies ist wichtig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Deshalb glaube ich, dass die Einführung
des ElterngeldPlus und der Partnerschaftsbonus ein
wichtiger weiterer Schritt sind.
Spannend ist eigentlich, dass sich in den letzten Jahren die Diskussion über Familien richtigerweise immer
weiter dahin entwickelt hat, dass wir heute eben nicht
nur über Mütter, sondern über Eltern, also über Väter
und Mütter, sprechen; denn nur so wird die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie wirklich umfassend gelebt werden können, meine Damen und Herren.
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe wieder und
wieder gesagt, dass es auch unserem Land auf Dauer nur
dann gut geht, wenn es auch Europa gut geht. Dieser
Grundsatz leitet mich und die Bundesregierung auch bei
dem morgen beginnenden Europäischen Rat. Ich bin
überzeugt: Wenn sich Europa auf die Zukunftsfragen
konzentriert, wird es das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger auch wieder zurückgewinnen können. Deshalb
war es richtig, dass wir uns nach den Europawahlen zunächst Zeit für Konsultationen genommen haben, um
auch über Inhalte und Personen zu sprechen. Deshalb
werden wir auf dem jetzt kommenden Rat aus meiner
Sicht ein überzeugendes Paket aus inhaltlichen Prioritäten und ersten Personalentscheidungen beraten können.
Ich hoffe, dass das Ganze eine breite Unterstützung der
Mitgliedstaaten finden wird.
Der Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy wird uns
am Donnerstag über seine Konsultationen mit den Mitgliedstaaten, aber auch mit den Fraktionen des Europäischen Parlaments berichten. Die Bundesregierung tritt
für Jean-Claude Juncker im Amt des nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission ein.
({19})
Hierzu brauchen wir im Rat eine qualifizierte Mehrheit.
Ich will noch einmal darauf verweisen, dass dies in den
Verträgen auch genauso niedergelegt ist. Es ist also kein
Drama, wenn wir nur mit qualifizierter Mehrheit abstimmen würden. Allerdings - das habe ich auch immer wieder betont - erfolgen alle Konsultationen in einem europäischen Geist, was bedeutet, dass die Anliegen aller
Mitgliedstaaten ernstgenommen werden. In diesem
Geist werde ich die Konsultationen in den nächsten beiden Tagen auch führen.
Für eine gute Zukunft der Europäischen Union zu sorgen, ist letztlich die gemeinsame Verantwortung aller,
die in Europa politische Verantwortung tragen. Deshalb
müssen die Institutionen, die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die Kommission gut zusammenarbeiten. Deshalb ist es auch gut, dass wir jetzt zum ersten Mal über inhaltliche Prioritäten nicht nur unter uns
im Rat diskutieren, sondern dabei auch das Europäische
Parlament konsultieren. Es wäre ein riesiger Fortschritt,
wenn in den nächsten fünf Jahren auch klar sein würde,
dass Rat und Parlament die gleichen Prioritäten setzen.
Dies würde die Arbeit der Kommission erheblich erleichtern.
Dazu gehört eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion, die dennoch den Zusammenhalt der EU-28
erhält. Verstärkte Zusammenarbeit bedeutet immer Offenheit - alle für alle - und die Stärkung von Wachstum,
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung unter Berücksichtigung der sozialen Dimension. Die Arbeitslosigkeit
ist natürlich das dringendste Problem in Europa.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist
sich einig: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bietet
hervorragende Voraussetzungen: einerseits klare Leitplanken und Grenzen und andererseits eine Vielzahl von
Flexibilitätsinstrumenten. Beides müssen wir nutzen, genauso wie es in der Vergangenheit auch schon genutzt
wurde und wie wir es in unserem Koalitionsvertrag festgelegt haben. In dem Koalitionsvertrag bekennen wir
uns zu den gestärkten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Der Wachstumspakt erlaubt die notwendige
Flexibilität, um eine wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung zu ermöglichen,
({20})
und er macht deutlich, dass stabiles Wachstum nur durch
nachhaltige Strukturreformen erreicht werden kann,
meine Damen und Herren.
({21})
Am zweiten Tag des Europäischen Rates werden wir
dann ein relativ umfangreiches Programm haben. Es
geht um drei weitere Themenbereiche:
Erstens geht es um die strategischen Leitlinien für die
Fortentwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts. Es geht hier im Wesentlichen natürlich
um die akuten Fragen der Asylpolitik, der Migrationspolitik. Dabei wird es um die Umsetzung des gemeinsamen europäischen Asylsystems in allen Mitgliedstaaten
gehen. Diese muss hohe Priorität haben. Natürlich ist die
Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ein wichtiges
Prinzip, aber das setzt voraus, dass jeder Mitgliedstaat
seiner eigenen Verantwortung in der Asylpolitik gerecht
wird. Wir werden über das integrierte Grenzschutzsystem und dessen Weiterentwicklung sprechen und auch
über die weitere Prüfung des sogenannten Smart-BorderProgramms, also über alle Fragen, die mit der Grenzsicherung - Sie wissen, welch schwere Aufgaben Frontex
zu leisten hat - zusammenhängen.
Wir wollen die Rückgewinnung - auch das gehört
zum Bereich der inneren Sicherheit, der Innenpolitik und
der Justizpolitik - des Vertrauens der Bürgerinnen und
Bürger im Bereich des Datenschutzes sicherstellen. Deshalb haben, wie ich schon sagte, die weiteren Beratungen der Datenschutz-Grundverordnung Priorität.
Zweitens werden wir uns mit den für die weitere wirtschaftliche Entwicklung wichtigen Themen befassen.
Die Lage in der Euro-Zone hat sich in gewisser Weise
beruhigt. Der wirtschaftliche Aufschwung, das Wirtschaftswachstum, kehrt langsam zurück, aber die Krise
ist noch nicht endgültig überwunden. Die Situation ist
fragil. Es ist nach wie vor wichtig, dass in einigen Mitgliedstaaten Strukturreformen durchgeführt werden. Sie
sind das Rückgrat eines dauerhaften Aufschwungs.
Die Kommission gibt uns, jedem einzelnen Mitgliedstaat, mit ihren länderspezifischen Empfehlungen jedes
Jahr Hinweise, wo Verbesserungen notwendig sind. Wir
werden diese länderspezifischen Empfehlungen auf dem
Rat im Juni, also übermorgen, beraten. Zur Wahrheit gehört, dass die Umsetzungsrate dessen, was die Kommission den einzelnen Ländern empfiehlt, nicht so gut ist,
dass man sagen könnte: Hiermit können wir zufrieden
sein.
({22})
Deutschland hat einiges umgesetzt. Die Kommission erkennt im Übrigen in ihren länderspezifischen Empfehlungen von diesem Jahr an, dass wir seit dem letzten Jahr
einiges gemacht haben. Aber ich gebe auch zu: Im Bereich der Dienstleistungen sind noch Hausaufgaben zu
erledigen, mit denen wir uns zu befassen haben. Insgesamt, auf die anderen Mitgliedstaaten geschaut, gibt es
eine große Lücke zwischen den Umsetzungen und der
Zahl der länderspezifischen Empfehlungen. Deshalb treten wir als Bundesregierung dafür ein, dass die wirtschaftspolitische Koordinierung verbessert wird, damit
hier mehr Verlässlichkeit einzieht.
Wir haben dann beim Europäischen Rat darüber zu
befinden, wie es mit dem Klima- und Energierahmen bis
zum Jahre 2030 weitergeht. Hier werden keine endgültigen Entscheidungen gefällt, sondern wir werden eine
Zwischendiskussion führen. Die endgültigen Entscheidungen werden im Oktober zu fällen sein. Wir brauchen
verbindliche Ziele bei der Reduktion der Treibhausgase
und beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Hier
würde sich die Bundesregierung noch etwas mehr vorstellen können, als es die Kommission vorgeschlagen
hat. Hinsichtlich der Energieeffizienz sollte die Kommission noch vor der Sommerpause einen Vorschlag für
ambitionierte Ziele bis 2030 vorlegen.
Ich glaube, das ist auch deshalb so wichtig, weil die
Verbesserung der Energieeffizienz ein zentraler Punkt
ist, wenn wir uns über die Verringerung der Abhängigkeit der Energieversorgung von Importen unterhalten.
Das ist ja ein ganz aktuelles Thema. Deshalb wollen und
müssen wir uns darüber klar werden, dass wir im Oktober endgültige Entscheidungen fällen und natürlich auch
an einer gemeinsamen Energiepolitik in der Europäischen Union weiterarbeiten.
Die Ereignisse in der Ukraine in jüngster Zeit haben
uns noch einmal vor Augen geführt, wie abhängig wir
von Energieimporten sind. Die Energieversorgung in
Europa hängt zu über der Hälfte von Importen ab. Das
heißt, jede gesparte Kilowattstunde ist ein Beitrag, um
von Importen unabhängiger zu werden. Daran müssen
wir arbeiten. Auf der Grundlage der Mitteilung der Europäischen Kommission werden wir uns zuerst einmal
mit kurzfristigen Maßnahmen für den Winter 2014/2015
befassen. Dann müssen wir uns natürlich mittel- und
langfristig mit der Frage der Versorgungssicherheit auseinandersetzen. Hier werden auch die Energieminister
einen wichtigen Beitrag leisten.
Der dritte Schwerpunkt - neben den Bereichen Innen
und Recht sowie Wirtschaft, Klima und Energie - sind
die Außenbeziehungen der Europäischen Union. Wir
werden die Entscheidung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten, dass Albanien den Status eines Beitrittskandidatenlandes bekommt, voraussichtlich bestätigen.
Es wird bis zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
noch viele weitere Reformen und Umsetzungsfortschritte Albaniens brauchen, damit wir dann zu diesem
nächsten Schritt kommen können. Die Bundesregierung
und der Bundestag stehen hierüber ja in engem Kontakt.
Es wird dann am Freitagmorgen am Rande des Rates
zur Unterzeichnung der Assoziierungsabkommen und
eines tiefen und umfassenden Freihandelsabkommens
sowohl mit Moldau und Georgien als auch, was den
Freihandelsteil betrifft, mit der Ukraine kommen. Dabei
haben wir festgelegt, dass die Handelserleichterungen
im Hinblick auf die Ukraine, um Handelsverwerfungen
zwischen der Ukraine und Russland zu vermeiden, nicht
sofort in Kraft gesetzt werden, sondern eine Verhandlungsphase eingebaut wird und darüber dann Gespräche
zwischen der Kommission, Russland und der Ukraine
stattfinden. Aber wir sind der Meinung, wir müssen hier
zu Lösungen kommen. Ich habe immer wieder gesagt:
Einerseits brauchen wir Verhandlungen mit Russland,
auch über die Wirtschaftsfragen. Andererseits kann es
kein Entweder-oder geben - entweder Handel mit Russland oder Handel mit der Europäischen Union -, sondern
beides muss möglich sein.
({23})
Wir werden dann über den Antrag Litauens auf Beitritt zur Euro-Zone zum 1. Januar 2015 diskutieren; auch
der Bundestag hat sich hiermit befasst. Mit Litauen tritt
ein weiterer Mitgliedstaat der Euro-Zone bei. Das zeigt,
dass der Euro attraktiv ist. Litauen ist ein Land, das
durch einen harten Spar-, Konsolidierungs- und Strukturreformkurs gezeigt hat, dass es die Voraussetzungen
erfüllen möchte.
Dann wird uns natürlich die Lage in der Ukraine beschäftigen. Präsident Poroschenko wird nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens wahrscheinlich
auch für kurze Zeit am Rat teilnehmen und uns über die
Lage berichten. Präsident Poroschenko ist einen sehr
mutigen Schritt gegangen, als er am letzten Freitag einen
einseitigen Waffenstillstand verkündet hat. Wir müssen
uns einmal vor Augen führen, was es bedeutet, wenn allein am gestrigen Tag elf Soldaten in der Ukraine ihr Leben verloren haben - neun durch den Abschuss eines
Hubschraubers und zwei weitere - und eine Seite einseitig einen Waffenstillstand verkündet. Dieser Waffenstillstand läuft bis Freitag dieser Woche.
Wir brauchen substanzielle Fortschritte, damit wir in
dauerhafte Gespräche eintreten können. Die Erwartung
der Ukraine ist natürlich, dass die Europäische Union
auch reagiert, wenn nicht alle Seiten - dazu gehört auch
Russland - einen notwendigen Beitrag leisten. Erste
Schritte sind erfolgt. Gerade die gestrige Bitte an den
Föderationsrat, den Verzicht auf die Vollmacht, dass in
der Ukraine interveniert werden kann, zu erklären, ist in
psychologischer Hinsicht ein wichtiger Punkt.
Es war wichtig, dass Präsident Putin gestern den Abschuss des Hubschraubers verurteilt hat. Es ist wichtig,
dass es in der betroffenen Region zu Gesprächen kommt.
Aber ich sage auch: Bis jetzt werden nur langsam Fortschritte gemacht. Von den Separatisten sind drei Grenzübergänge zurückerobert worden, und die ukrainische
Armee steht da und hat sich verpflichtet, nichts zu tun.
An diesen Grenzübergängen gibt es immer wieder Bewegung. Die Bundesregierung, der Bundesaußenminister, viele andere und ich werden alles tun, damit wir in
den nächsten Stunden bzw. wenigen Tagen Fortschritte
erzielen. Aber ich kann Ihnen noch nicht sagen, zu welchem Schluss Präsident Poroschenko am Freitag kommt.
Wir helfen, wo immer wir können, weil wir sagen: Diplomatische Lösungen sind allem anderen vorzuziehen.
Ich wiederhole: Sie sind allem anderen vorzuziehen.
({24})
Aber wenn nichts anderes hilft, können auch wieder
Sanktionen auf die Tagesordnung kommen, und zwar
diesmal solche der dritten Stufe.
Meine Damen und Herren, es gibt in diesen Wochen
des großen Gedenkjahres 2014 eine intensive Auseinandersetzung mit den Gründen, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren geführt haben. Immer
wieder steht die Frage im Raum: Was haben wir denn
nun aus der Geschichte gelernt? Der deutlichste Unterschied zu damals ist: Es gibt heute eine umfassende Gesprächskultur in Europa. Staats- und Regierungschefs
und Minister kennen sich persönlich, sprechen miteinander, tauschen sich aus, und - ja - sie streiten, wenn nötig
von Angesicht zu Angesicht; aber sie reden miteinander.
Der Europäische Rat, der morgen beginnt, macht die
historische Bedeutung der europäischen Einigung noch
einmal deutlich. Denn der Europäische Rat wird ungewöhnlich beginnen: Präsident Herman Van Rompuy hat
die Regierungschefs dazu eingeladen, im belgischen
Ypern gemeinsam des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs
vor 100 Jahren zu gedenken. Gerade die Schlachten in
Flandern sind so etwas wie ein Sinnbild der Grausamkeit
des technisierten Massenkrieges: In Ypern wurde zum
ersten Mal Giftgas eingesetzt. Rund eine halbe Million
junger Männer starb auf den Schlachtfeldern rund um
Ypern - ein halbe Million junger Männer! Orte wie
Ypern oder auch Verdun stehen für die Selbstzerfleischung eines ganzen Kontinents, Europas.
Erfahrungen wie diese bilden auch den Hintergrund
der Berliner Erklärung, die wir im März 2007 verabschiedet haben. Ich darf sie noch einmal zitieren:
Wir haben mit der europäischen Einigung unsere
Lehren aus blutigen Auseinandersetzungen und
leidvoller Geschichte gezogen. Wir leben heute
miteinander, wie es nie zuvor möglich war.
Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen
Union sind zu unserem Glück vereint.
Wie dankbar wir für dieses Glück sein müssen, das
zeigt sich dieser Tage auch an der Tragödie in Syrien
und an der Lage im Irak. Der dramatische Vormarsch
von ISIS hat die Lage in der Region natürlich noch weiter verschlechtert. Hunderttausende sind auf der Flucht.
Der jordanische König war gestern zu einem Besuch in
Berlin und hat mir noch einmal über die Lage in seinem
Land berichtet. 20 Prozent der Bevölkerung Jordaniens
sind inzwischen Flüchtlinge aus Syrien - unvorstellbar
für ein Land, das sonst unter vielen fragilen Situationen
zu leiden hat. Ähnliches gilt für den Libanon, und natürlich ist auch die Türkei betroffen.
Deshalb werden wir in zwei Richtungen nicht nachlassen: Einmal werden wir daran mithelfen, dieses Leid
zu lindern. Ich denke, die Anstrengungen der Bundesregierung sind beachtlich. Danke auch für die Unterstützung aus dem Parlament; aber auch das wird noch nicht
ausreichen. Deshalb müssen wir zum anderen alles tun,
um an politischen Lösungen zu arbeiten. Der Irak
braucht eine Regierung, die alle Bevölkerungsteile mit
einbezieht. Dies ist über Jahre nicht gelungen. Gerade
deshalb muss der Druck hierauf jetzt erhöht werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Versprechen des Glücks des in Frieden und Freiheit vereinten Europas müssen wir für kommende Generationen
schützen; das muss die Leitlinie unserer Arbeit für die
Bürgerinnen und Bürger sein. Nicht das Recht des Stärkeren wird sich dauerhaft durchsetzen, sondern die
Stärke des Rechts; das ist unsere Überzeugung. Sie sichert Frieden, Freiheit und Wohlstand, und das ist heute
Europa. Deshalb ist die Europäische Union trotz aller
Schwierigkeiten attraktiv und ein gutes Zukunftsmodell.
Das Modell des fairen Interessenausgleichs ist nach meiner festen Überzeugung nicht nur für Europa das Zukunftsmodell. Wer nur seine eigenen Belange in den
Vordergrund stellt, schadet sich am Ende selbst am meisten.
Am 28. Mai hatte ich die Gelegenheit, die Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums zum Ersten Weltkrieg mit vier jungen Leuten zu besichtigen und
anschließend mit diesen vier jungen Leuten zu diskutieren. Eine Studentin aus Weißrussland sagte dabei, dass
für sie die Europäische Union immer eine Art - Zitat Schatztruhe gewesen sei, ein Ort von Modernität und Sicherheit, wie sie es aus weißrussischer Perspektive
nannte. Lassen Sie uns Europa bei allem, was uns bewegt, wieder mehr mit den Augen dieser jungen Leute
sehen: als einen Schatz von Frieden, von Freiheit, von
Wohlstand und damit auch als einen Schatz für die Zukunft.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kanzlerin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ein
Land, das sehr viel kann. Es hat engagierte und solidarische Bürgerinnen und Bürger. Deutschland hat innovative Unternehmen, die in der ganzen Welt wirtschaftlich
erfolgreich tätig sind. Wir haben kreative Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bereits heute an den
Lösungen von morgen und übermorgen arbeiten.
({0})
Es ist ein wohlhabendes, ein kreatives Land.
Deutschland könnte erheblich zur Lösung der großen
Probleme unserer Zeit beitragen,
({1})
sei es die Klimakatastrophe, sei es die Ungerechtigkeit
in Europa und auch in Deutschland selbst oder seien es
die humanitären Katastrophen in Syrien und im Irak.
Warum, Frau Merkel, machen Sie und Ihre Regierung so
wenig aus diesen Möglichkeiten?
({2})
Warum nutzen Sie die Potenziale unseres Landes, um die
großen Zukunftsherausforderungen zu bewältigen,
nicht? Das ist schlicht unverständlich. Aus dieser Regierung kommt Deutschland schwächer heraus, als es hineingegangen ist.
({3})
Fangen wir beim Bundeshaushalt an. Sie finden gute
Ausgangsbedingungen vor: Die Steuereinnahmen sind
hoch, und die Zinsen sind auch dank der vielgescholtenen EZB historisch niedrig. Sie haben alle Möglichkeiten, den Haushalt strukturell zu konsolidieren und mit
den nötigen Zukunftsinvestitionen zu beginnen.
Doch wie wenig machen Sie daraus.
({4})
Sie treten auf der Stelle, Sie verwalten, Sie verharren,
Sie schummeln wie Schulbuben. Kein Drive, keine Visionen, kein Mut: Das ist der Sound dieser Koalition.
({5})
Wegen Steuerrückzahlungen und Mindereinnahmen
mussten Sie unerwartet 3 Milliarden Euro finanzieren weniger als 1 Prozent des Bundeshaushaltes. Sie haben
aber nicht einmal den Mut, dieses 1 Prozent durch Sparen oder bessere Einnahmen solide zu finanzieren. Nein,
Sie wetten auf niedrige Zinsen und eine rosige Konjunktur. Das ist das Gegenteil von solider Haushaltspolitik.
Das ist schlicht das Prinzip Hoffnung.
Da das alles noch nicht reicht, ziehen Sie in einer
nächtlichen Sitzung wie ein billiger Zauberer einfach
800 Millionen Euro aus dem Hut. Das ist ein 800-Millionen-Euro-Kaninchen. Sie biegen sich die Steuerschätzung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zurecht. So einen
billigen Trick gab es noch nie.
({6})
Sie haben hier eine Mehrheit von 80 Prozent und schaffen es nicht, 1 Prozent zu sparen. Je größer die Koalition,
desto kleiner sind offensichtlich ihre Entscheidungen.
({7})
Stattdessen verplempern Sie, Herr Kauder, munter
das Geld der Bürgerinnen und Bürger. Können Sie sich
noch erinnern? Gleich zu Beginn haben Sie sich diverse
zusätzliche Staatssekretärsposten gegönnt und das Bundestagspräsidium aufgebläht. Jetzt schauen Sie einfach
zu, Herr Dobrindt, wie Milliarden im märkischen Sand
versickern beim Versuch, einen Flughafen zu bauen.
Subventionen, erwiesenermaßen kontraproduktiv, die
unserer Umwelt schaden, lassen Sie einfach weiterlaufen. Das ist pure Ideologie statt Vernunft. Sie gehen
schlicht unverantwortlich mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um.
({8})
Dank all dieser Verschwendung haben Sie nicht mehr
ausreichend Geld für Sinnvolles. Wo bleibt eine Offensive zur Reparatur unserer maroden Straßen und Brücken? Das schaffen Sie nicht. Es ist auch nicht drin, die
internationalen Zusagen zur Entwicklungszusammenarbeit einzuhalten. Kriegen Sie es hin, mehr Geld für den
Kampf gegen rechts zur Verfügung zu stellen? Laut Verfassungsschutzbericht nimmt die brutale Gewalt stark
zu. Hier geht es um sage und schreibe 20 Millionen
Euro. Nein, nicht einmal das kriegen Sie hin. Sie bleiben
sehr weit unter den Möglichkeiten, die Ihnen dieser
Haushalt bieten würde.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sogar noch
schlimmer: Sie hinterlassen allen nachfolgenden Regierungen riesige Probleme. Denn ungeniert plündern Sie
unter Ihrer rot-schwarzen Fahne die Sozialkassen. Sie
packen mal eben 160 Milliarden Euro an neuen Ausgaben auf die Schultern der Beitragszahler und Rentner.
Für Ihr Rentenpaket zahlen die jungen Menschen am
Ende doppelt: durch höhere Beiträge und niedrigere
Renten.
Die Finanzierung Ihres Rentenpakets ist schlicht unverantwortlich. Mit dem vielen Geld erreichen Sie dann
auch noch so wenig. Denn an denjenigen, die bereits
heute mehr Geld benötigen, also an den heutigen und
künftigen armen Rentnerinnen und Rentnern, fließt Ihr
schöner schwarz-roter Geldstrom komplett vorbei; sie
bleiben leider arm. Das Gleiche gilt für die Menschen,
die sich krankgearbeitet haben. Diese Menschen bräuchten unsere Solidarität. Für sie ist in Ihrem Rentenpaket
aber praktisch nichts enthalten. Ihre Politik ist teuer und
unsozial.
({10})
In unserem reichen Land lebt jedes fünfte Kind in Armut. Der Kinderschutzbund nennt das: „Arm dran in einem reichen Land.“ Diese Kinder haben schlechtere
Chancen auf einen guten Bildungsabschluss. Ja, unser
Bildungssystem verstetigt und verfestigt diese Ungerechtigkeit sogar noch. Das ist richtig skandalös. Was
aber noch schlimmer ist, ist, wie wenig Chancen diesen
Kindern geboten werden. Dreimal mehr Kinder aus Akademikerhaushalten machen Abitur als Kinder aus Nichtakademikerfamilien. Statt einer Bildungsrepublik, Frau
Merkel, erleben die Kinder aus armen Schichten einen
Ständestaat.
({11})
Deutschland als eines der reichsten Länder dieses Planeten sollte doch wohl in der Lage sein, Kinderarmut
und Chancenungleichheit zu beseitigen. Ihre Regierung
aber verschenkt die Zukunft dieser Kinder mit erschreckender Gleichgültigkeit. Jedes Kind hat eine Chance
verdient. Wir wollen gute Schulen und gute Kitas für alle
Kinder. Es gibt zwar einen großen Konsens in dieser Gesellschaft und in diesem Haus, dass wir mehr Geld für
Bildung ausgeben müssen, aber wir erreichen noch nicht
einmal den Durchschnitt aller OECD-Länder. Ihre Antwort darauf ist ein Bildungspäckchen; mehr ist es nicht.
({12})
Sie speisen die Länder am Ende mit Brosamen ab.
Rechnen wir einmal aus, was Ihr Bildungspäckchen für
ein Bundesland wie Bremen konkret bedeutet: Für Bremen kommen 2 Millionen Euro mehr für Kitaplätze heraus. Damit kann Bremen sein Personal um 1 Prozent
aufstocken. Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Das ist
doch kein Bildungspaket. Das ist absolut lächerlich.
({13})
Nirgendwo ist die Diskrepanz zwischen warmen Worten von Ihnen, Frau Merkel, und bescheidenen Taten
größer. Sie knausern bei der Bildung und setzen so
Deutschlands Zukunft aufs Spiel. Frau Merkel, Sie reden
immer davon, dass Deutschland seine Innovationskraft
erhalten müsse. Dafür müsste die Große Koalition aber
endlich einmal ihre Möglichkeiten nutzen und einen großen Schritt in Richtung Bildungsrepublik gehen. Stattdessen machen Sie ein paar Trippelschritte - mehr nicht.
Sie verramschen de facto die Potenziale unseres Landes.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energiewende,
der ökologische Umbau unserer Wirtschaft, ist eine historische Aufgabe. Hier wird die Zukunftsvision einer
nachhaltigen Lebensweise konkret: kein Raubbau mehr
an den Schätzen unseres Planeten, keine Verschwendung
mehr von Energie und endlichen Ressourcen, stattdessen
Riesenchancen für die Wirtschaft, für die Menschen, für
unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen. Wir wollen
100 Prozent erneuerbare Energien, statt Öl, Gas und
Kohle von Putin und Saudi-Arabien zu kaufen. Wir wollen Wertschöpfung hier vor Ort statt Milliarden für Diktatoren.
Deutschland könnte Standort Nummer eins für nachhaltige Technologien sein. Das können unsere Bürgerinnen und Bürger, das können auch unsere innovativen
Unternehmen schaffen. Heute gibt es dank des technischen Fortschritts erneuerbare Energien, mit denen
Strom billiger produziert werden kann als mit jedem
Kohlekraftwerk. Wir haben die technischen Mittel, um
von endlichen Ressourcen wegzukommen und so die
Grenzen des Wachstums ein Stück weit zu verschieben.
Aber Sie, Frau Merkel, Sie, Herr Gabriel, machen aus
diesen Möglichkeiten nichts. Im Gegenteil: Sie ignorieren den ökologischen Umbau und sabotieren de facto
auch noch die Energiewende.
({15})
Herr Gabriel, die EEG-Reform sollte doch Ihr Meisterstück als Superminister werden. Und nun? Nun entpuppt sie sich als handwerklich schlecht gemachtes
Stückwerk. Es ist mir wirklich völlig unverständlich,
warum Sie es in den letzten vier Monaten nicht geschafft
haben, eine vernünftige Beratungsgrundlage zu erarbeiten.
({16})
Es geht doch hier nicht um ein paar Details. Die Regelungen zur Eigenstromumlage haben dramatische
Auswirkungen auf eine ganze Branche, auf Tausende
von Arbeitsplätzen. Niemals würden Sie es wagen, mit
traditionellen Industriebranchen, wie zum Beispiel der
Autoindustrie, so umzugehen.
({17})
Aber bei der Photovoltaik sind Sie wenig zimperlich.
Mit der spielen Sie einfach russisches Roulette.
Eine Verabschiedung der EEG-Novelle in dieser Woche ist weder parlamentarisch noch fachlich zu verantworten. Ihr Umgang mit dem Parlament, einfach über
Nacht 200 Seiten an Änderungsanträgen, die noch nicht
einmal vernünftig abgestimmt worden sind, in die Beratung zu geben, ist schlichtweg eine Unverschämtheit.
Das sollten auch Sie sich aus den großen Fraktionen
nicht gefallen lassen.
({18})
Das Schlimme ist, dass dieser handwerkliche Murks
nur die Spitze des Eisberges ist. Herr Gabriel, Sie stecken einfach extrem tief im Kohlezeitalter fest. Sie stecken unter Tage fest wie in der Riesending-Höhle. Es
wird uns verdammt viel kosten, Sie dort am Ende herauszuholen.
({19})
Deutschland kann kein Kohleland bleiben und erfolgreich eine weltweit glaubwürdige Energiewende stemmen. Während der Kohlestrom unsere Netze überschwemmt, fließen Milliardengewinne an die großen
Energiekonzerne. Aber diese Milliardengewinne sind
schlicht schmutziges Geld; denn RWE, Eon und Vattenfall kassieren diese Gewinne auf Kosten des Klimas und
damit auf Kosten unser aller Zukunft - und das mit Ihrer
Zustimmung.
({20})
Sie, Herr Gabriel, haben einfach dem Lobbydruck aus
Gewerkschaften und Industrie nachgegeben. Sie befreien die schmutzige Braunkohle von der EEG-Umlage.
Sie waren doch schon einmal weiter. Kommen Sie doch
endlich einmal raus aus Ihrem Kohleflöz.
({21})
Wissen Sie, der Mai 2014 war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Es wird bloß leider
nicht bei wärmerem Wetter bleiben.
({22})
- Es würde Ihnen von der Union nicht schaden, einmal
zuzuhören. Gerade bei dem Thema Klimakatastrophe
könnten Sie verdammt viel lernen.
({23})
Es würde Ihnen verdammt noch mal wirklich nicht schaden, wenn Sie einmal etwas Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder übernehmen
würden.
({24})
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das
auch Ihre Bundesregierung berät - es sollte auch einmal
die Regierungsfraktionen beraten -, stellte kürzlich fest:
Im weltweiten Klimasystem sind bereits erste Kipppunkte überschritten worden: Das Eis der Westantarktis
schmilzt unwiederbringlich ab. Das hat zur Folge, dass
der Meeresspiegel weiter steigen wird und wir für Millionen von Menschen eine neue Heimat finden müssen.
({25})
Die Stürme werden heftiger werden und die Landwirtschaft auch in Europa durch Extremwetter massiv
erschwert. Wir gefährden durch die Klimakatastrophe
unsere eigenen Lebensgrundlagen und die Lebensgrundlagen unserer Kinder und Kindeskinder.
({26})
Aber Sie, Frau Merkel, schenken dem Klimaschutz
kaum noch Aufmerksamkeit. Wie sieht denn Ihre
Schwerpunktsetzung aus? Für das hochproblematische
TTIP-Abkommen setzen Sie sich mit voller Kraft ein.
Dafür haben Sie Zeit. Dafür sind Sie sogar bereit, beim
Datenschutz gegenüber den USA nachsichtig zu sein.
Für den Klimaschutz dagegen finden Sie keine Energie. Dafür haben Sie keine Kraft. Ja, Sie schlagen sogar
die Einladung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon
zum Klimagipfel einfach aus. Das ist bezeichnend für
Ihre Prioritäten, die in einer Welt von gestern und vorgestern verharren.
({27})
Ähnlich bezeichnend ist, wen Sie für Deutschland
nach Brüssel schicken wollen: ausgerechnet Günther
Oettinger, den Mann, der für Atom und Kohle steht, der
Fracking einführen will und den Ausbau erneuerbarer
Energien und die Energieeffizienz bekämpft. Das ist eine
verräterische und gleichzeitig grausam falsche Personalentscheidung.
({28})
Das ist keine Entscheidung für die Politik von gestern,
sondern für die Politik von vorgestern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir die
Vorhaben Ihres ersten Halbjahres: vom Rentenpaket
über die EEG-Reform bis zum Bildungspäckchen. Hinter plakativen Überschriften verbergen sich mikroskopisch kleine Schritte, wo große Sprünge nötig wären. Sie
regieren unser Land weit unter seinen Möglichkeiten,
Frau Merkel. „Deutschland kann mehr.“ - Können Sie
sich noch daran erinnern, Frau Merkel?
Sie lassen die Potenziale unseres Landes brachliegen.
Um sie auszuschöpfen, müsste diese Regierung sich anstrengen. Sie bräuchte den Mut zur Gestaltung, den Mut
zur Veränderung und auch den Mut, Widerstände zu
überwinden. Aber genau der Mut fehlt Ihnen. Trauen Sie
sich doch endlich einmal etwas! Das gilt ganz besonders
für die Damen und Herren der Union.
Konsequente Energiewende? Sie sind dagegen. Gerechte Finanzierung unseres Gemeinwesens? Sie sind
dagegen. Subventionsabbau? Sie sind dagegen. Hauptsache, keine Veränderungen. Das ist im schlechtesten
Sinne konservativ.
Wissen Sie, was Sie sind, meine Damen und Herren
von der Union? Sie sind eine 40-Prozent-Dagegenpartei.
({29})
- Es ist schon ärgerlich, Herr Kauder, wenn man die
Kanzlerin stellt und sich trotzdem mit nichts anderem
brüsten kann als damit, dass man einige Dinge verhindert hat. Aber, wie gesagt, das ist Ihr Problem und leider
auch das des Landes.
({30})
Das Problem ist nur: Die Zeche für diese vermurkste
Politik zahlen am Ende unsere Kinder. Ihre Politik ist ein
Schlag ins Gesicht der nachfolgenden Generationen.
Sie machen wirklich wenig aus den Möglichkeiten
unseres Landes. Ebenso sehr vernachlässigen Sie die
Verantwortung, die das Potenzial und die Stärke unseres
Landes mit sich bringen. Unsere gemeinsame Heimat
Europa steckt nach wie vor in der Krise. Mit den Europawahlen ist deutlich geworden: Es ist nicht nur eine
ökonomische Krise, sondern auch eine Krise der Legitimation.
So viele wie nie haben Europagegner gewählt: AfD,
Front National, FPÖ. Diese Leute haben nichts Gutes
vor mit unserer gemeinsamen Heimat Europa. Es gilt
mehr denn je, den Kampf gegen sie aufzunehmen, statt
das Problem einfach auszusitzen, wie Sie, Herr Kauder,
es vorgeschlagen haben. Doch statt Demokratie und
Transparenz nach vorne zu stellen, mauscheln Sie einfach weiter im Hinterzimmer.
Es ist beinahe absurd, dass ich als Grüner Sie dazu
drängen muss, Ihren konservativen Spitzenkandidaten
zum EU-Kommissionspräsidenten zu machen. Hören
Sie endlich auf, das Wahlergebnis zu missachten! Hören
Sie endlich auf mit dieser Mauschelei und Hinterzimmerpolitik!
({31})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ausgang der
Europawahlen war ein Ausdruck eines tiefen Zweifels
daran, dass es in Europa gerecht und solidarisch zugeht.
Sie zeigen ein zunehmendes Misstrauen gegenüber
Deutschland. Frau Merkel, Sie haben die Gräben in Europa größer werden lassen. Wir brauchen endlich einen
Kurswechsel für Europa. Wir müssen endlich beginnen,
neue Brücken in Europa zu bauen. Aber von einem
Kurswechsel - nicht einmal von einem ernsthaften
Nachdenken über den bisherigen Kurs - ist von Ihnen
nichts zu hören.
({32})
„Die EU ist keine Sozialunion“: Das haben Sie selbst,
Frau Merkel, den Menschen zugerufen, die sich nach einem gerechteren Europa sehnen. Das war Ihre Ansage
an die Verlierer des Wettbewerbs in Europa, ein Satz,
wie ihn die AfD nicht kälter hätte formulieren können.
Europa baut aber auf ökonomische Stärke sowie auf Solidarität und Ausgleich.
({33})
Das ist die historische Lehre aus den barbarischen Kriegen im 20. Jahrhundert. Die Idee der Europäischen
Union ist, den Wettstreit, den Wettbewerb durch eine gemeinsame Politik der Solidarität und des Ausgleichs in
eine menschlichere Richtung zu lenken. Die Menschen
wollen ein anderes Europa, ein sozialeres Europa.
({34})
Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit und des
Absturzes der Mittelschicht in vielen Ländern Europas
kann man nur sagen: Man kann sich nicht aus der Krise
heraussparen. Man kann allerdings auch nicht einfach
ziellos Schulden machen und weiterhin Geld für irgendwelche Strohfeuer zum Fenster hinauswerfen, wie es leider alte sozialdemokratische Tradition war. Was wir
stattdessen brauchen, ist ein Green New Deal, also Investitionen in Branchen und Technologien der Zukunft.
Das würde den Krisenländern auf Dauer helfen und die
Wirtschaft unseres Kontinents auf einen nachhaltigen
Kurs bringen. Dafür brauchen wir keine neuen Schulden.
Wir müssen den Stabilitätspakt noch nicht einmal aufweichen. Aber wir brauchen das Geld, das den Staaten
Europas sowieso zustehen würde. Wir brauchen einen
europäischen Steuerpakt gegen Steuertricks, damit sich
Starbucks, Amazon, Ikea oder BASF nicht länger vor ihrem Beitrag zum Gemeinwesen drücken können.
({35})
Es kann ja wohl nicht sein, dass das Café hier bei uns um
die Ecke bald mehr Steuern zahlt als der gesamte Starbucks-Konzern.
({36})
Frau Merkel, der europäische Steuerpakt wäre ein solidarisches Projekt. Setzen Sie sich doch endlich einmal
dafür ein, die Kosten der Krise gerecht zu verteilen! Nutzen Sie doch endlich einmal Ihre große Macht in Europa
für mehr Solidarität und Fairness!
({37})
Unser Bundespräsident Joachim Gauck hat immer
wieder die internationale Verantwortung betont, die sich
aus unserem Wohlstand ergibt. Wer auf das Leid und die
Konflikte der Welt schaut, kann ihm nur zustimmen. BeDr. Anton Hofreiter
vor Sie, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, wieder laut „Imperialismus!“ schreien, hören Sie
noch zwei Minuten zu. Es ist von Herrn Gysi oder Frau
Wagenknecht genauso unsinnig wie von Frau von der
Leyen, daraus zuallererst wieder einmal eine Debatte
über Militäreinsätze abzuleiten.
({38})
Solche Einsätze können und dürfen nur das allerletzte
Mittel sein, genauso wie wir das hier im Bundestag in
den letzten zehn Jahren gemeinsam und verantwortungsvoll diskutiert haben. Aber wie ist es sonst um Deutschlands internationale Verantwortung bestellt? Richter,
Polizisten und Justizberater sind Fachkräfte, die die UN
zur Prävention und zur Lösung von Krisen braucht. Nehmen wir als Beispiel nur die Zahl der deutschen Polizisten im UN-Einsatz: 19! Ich danke jedem einzelnen von
ihnen für seinen schwierigen Einsatz.
({39})
Aber gemessen an Deutschlands Möglichkeiten sind es
viel zu wenige.
Bei der Entwicklungshilfe liegt Deutschland weit unter dem Schnitt der reichen Industrieländer. Deutschland
liegt an zwölfter Stelle. Es ist ein reiches Land. Aber
diese Regierung unternimmt so wenig für eine gerechtere Welt. Das ist einfach beschämend für uns alle.
({40})
Ja, Deutschland engagiert sich bei der Flüchtlingshilfe in
Syrien. Aber wir könnten viel mehr tun. Aktuell sind
mehr als 9 Millionen Syrer auf der Flucht. Allein der Libanon mit 4 Millionen Einwohnern nimmt 1 Million
Flüchtlinge auf. Die Nachbarstaaten Syriens drohen unter dieser Last zusammenzubrechen. Wenn nun auf Initiative der Bundesländer - wohlgemerkt: nicht auf Initiative des Bundes - weitere 10 000 Menschen aus Syrien
legal nach Deutschland einreisen dürfen,
({41})
dann ist das für jeden einzelnen Betroffenen eine gute
Nachricht. Aber mehr als 60 000 Frauen, Männer und
Kinder haben einen Antrag gestellt. Diese lassen Sie einfach in den Flüchtlingslagern zurück. Nehmen Sie sich
doch ein Beispiel an Schweden. Dieses Land nimmt - in
Relation zur Bevölkerung - zehnmal mehr Flüchtlinge
auf. Die Aufnahme weiterer 10 000 Flüchtlinge ist angesichts der Möglichkeiten Deutschlands kein Zeichen
großer Verantwortungsbereitschaft. Deutschland kann
auch auf diesem Feld deutlich mehr.
({42})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus großer Kraft
folgt große Verantwortung - für unseren Planeten, für
ein nachhaltiges Wirtschaften, für Menschen, denen das
Schicksal nicht so hold war wie uns hier, für eine gute
Zukunft für unsere Kinder. Dieser Verantwortung stellen
sich viele Bürgerinnen und Bürger. Sie tun das nicht.
Unser Land kann mehr. Ob Ihre Regierung mehr kann,
bezweifle ich.
Vielen Dank.
({43})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Thomas Oppermann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
dem Bundestagspräsidenten dankbar, dass er Gregor
Gysi daran erinnert hat, dass wir bei Debatten über den
Bundespräsidenten in diesem Parlament korrekt zitieren
müssen. Das erscheint wie ein leichtes Vergehen, ein Kavaliersdelikt, hat aber enorme Konsequenzen; denn
wenn die erste Reihe falsch zitiert, dann fühlen sich die
zweite und die dritte Reihe ermuntert, so richtig zuzuschlagen.
({0})
Das, Herr Gysi, hat ein Kollege von Ihnen aus dem
brandenburgischen Landtag getan. Wir konnten heute in
der Zeitung lesen, was er bei Facebook gepostet hat. Er
schreibt zu Joachim Gauck:
Mancher bleibt sich treu. Andere werden Bundespräsident und widerliche Kriegshetzer.
Eine so unglaubliche Schmähkritik am Bundespräsidenten habe ich noch nie gelesen.
({1})
Nun will ich Ihnen sagen, Kollegen von der Linkspartei, warum wir Sozialdemokraten sensibel reagieren,
wenn demokratisch gewählte Staatsoberhäupter oder
Staatspräsidenten mit einer solchen Schmähkritik überzogen werden; denn das war die Strategie der Nazis in
der Weimarer Republik gegen Reichspräsident Ebert.
({2})
Nun ist ganz klar, dass ich Sie damit nicht in Verbindung
bringen will.
({3})
So etwas würde Gregor Gysi selber auch niemals tun,
aber durch Ihre demagogische Verdrehung der Äußerungen des Bundespräsidenten legen Sie die Grundlage für
solche unglaublichen Entgleisungen.
({4})
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung ist
jetzt seit sechs Monaten im Amt. Ich finde, was die Koalition in dieser Zeit umgesetzt hat, kann sich sehen lassen. In der letzten Sitzungswoche war es das Rentenpaket, in dieser Woche ist es die Reform des Gesetzes über
die erneuerbaren Energien, und in der nächsten Woche
kommt der gesetzliche Mindestlohn. Wir haben in den
ersten sechs Monaten viel geleistet, was uns voranbringt.
Bei dieser Politik geht es immer um eine klare Leitlinie.
Es geht darum, alles dafür zu tun, dass wir unsere Wirtschaftskraft erhalten, unseren Wohlstand sichern und
gleichzeitig dafür sorgen, dass alle Menschen an diesem
Wohlstand teilhaben können.
({5})
Ich denke, wir haben auch bei schwierigen und kontroversen Themen deutlich gemacht, dass wir vernünftig
zusammenarbeiten können. CDU, CSU und SPD sind
nicht auf die Welt gekommen, um eine Große Koalition
zu bilden.
({6})
Wir sind auch keine Wunschpartner, aber wir sind trotzdem in der Lage, den Willen und die Fähigkeit zum
Kompromiss zu zeigen. Für diese Zusammenarbeit, mit
der wir schon eine ganze Menge erreicht haben, möchte
ich mich bei Volker Kauder, bei Gerda Hasselfeldt und
bei den Kollegen der Unionsfraktion ganz herzlich bedanken.
({7})
Eine ganze Menge erreicht haben wir auch beim Bundeshaushalt 2014. Wir haben gezeigt, dass wir einen
strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen können,
und wir haben es geschafft, eine Deckungslücke von
3 Milliarden Euro ohne weitere Schulden zu schließen.
Das ist auch ein starkes Signal dafür, dass wir es 2015
schaffen werden, einen voll ausgeglichenen Haushalt
vorzulegen. Denn eine Haushaltspolitik zulasten der jungen Generation darf es in Zukunft nicht mehr geben.
({8})
Morgen wird der Europäische Rat eine Entscheidung
über die Spitze der Europäischen Kommission vorbereiten. Es ist gut, dass sich jetzt eine Lösung abzeichnet, die
das Ergebnis der Europawahl widerspiegelt. Weil die
extremen Ränder des Europäischen Parlamentes stärker
geworden sind, brauchen wir jetzt eine starke
proeuropäische Koalition im Zentrum. Niemand will
und niemand kann wollen, dass Großbritannien die EU
verlässt. Aber es kann auch kein Recht auf ein Veto gegen erfolgreiche Spitzenkandidaten geben.
Dass sich das Europäische Parlament ungefragt zu
Wort gemeldet hat, als der EVP-Spitzenkandidat demontiert zu werden drohte, das war nicht anmaßend, sondern
völlig in Ordnung. Denn wenn es am Ende ohne das Parlament nicht geht, dann muss das Parlament auch schon
am Anfang mitreden können.
({9})
Das Parlament hat die Gunst der Stunde genutzt, und
deshalb ist es gestärkt aus diesem Konflikt hervorgegangen.
({10})
Egal ob Gesetzgebung oder Haushaltsaufstellung:
Dieses Parlament hat sich seine Zuständigkeiten in den
vergangenen Jahrzehnten Schritt für Schritt hart erkämpft. Was jetzt noch fehlt, ist ein Recht zur Gesetzesinitiative und ein Recht, den Kommissionspräsidenten
vorzuschlagen. Das muss in Zukunft kommen. Ich bin
ganz fest davon überzeugt: Fortschritte bei der Vertiefung der Europäischen Union werden nur gelingen,
wenn das direkt durch die Unionsbürger legitimierte Parlament in Zukunft weiter gestärkt wird.
({11})
Meine Damen und Herren, 10 Millionen Wähler haben in Europa rechtspopulistische oder rechtsextreme
Parteien gewählt. Das darf uns nicht kaltlassen. Deshalb
darf es bei dem bevorstehenden EU-Gipfel nicht nur um
die Person des Präsidenten der EU-Kommission gehen;
vielmehr brauchen wir auch eine Reformagenda mit klaren Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre, ein Programm, durch das die Wirtschaftskrise überwunden wird
und durch das endlich die horrende Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union beseitigt wird. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass einer ganzen Generation in
Europa die Zukunft verstellt wird.
({12})
Europa kann nur funktionieren, wenn es wirtschaftlich erfolgreich ist; darauf hat die Bundeskanzlerin hingewiesen. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung,
dass Italien, Spanien und Frankreich auf einen Wachstumskurs zurückkehren. Das ist diesen Ländern bisher
nicht gelungen. In diesen Ländern ist das Haushaltsdefizit nach wie vor hoch, und es fehlt nach wie vor an
durchgreifenden Reformen, wie sie zum Beispiel in
Deutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder auf
den Weg gebracht worden sind. Die schlechte wirtschaftliche Lage führt zu politischer Instabilität.
Dass nach dem Europawahlergebnis nicht mehr ausgeschlossen werden kann, dass die nächste französische
Präsidentin Marine Le Pen heißt - in zwei Jahren könnte
es so weit sein -, halte ich für eine politische Katastrophe.
({13})
Wie soll die deutsch-französische Achse im Zentrum der
Europäischen Union mit einer rechtsextremen Präsidentin funktionieren? Das kann sich kaum einer vorstellen.
Deshalb muss uns sehr daran gelegen sein, dass sich
Frankreich und Italien wirtschaftlich wieder erholen.
Wir sind uns darüber einig, dass das auf der Grundlage des Stabilitätspaktes geschehen muss. Dieser Stabilitätspakt ist nämlich nicht nur ein Stabilitätspakt, sondern auch ein Wachstumspakt. Er wurde 2005 so
angepasst, dass den reformwilligen Ländern geholfen
werden kann. Schon deshalb wollen und brauchen wir
keine Änderungen an diesem Stabilitätspakt.
({14})
Der Pakt enthält alle notwendige Flexibilität, um mit einer wachstumsfreundlichen Konsolidierung zugleich
den Haushalt sanieren und Wachstum fördern zu können.
Genau diese Möglichkeiten sollen jetzt besser ausgeschöpft werden. Die Grundidee dahinter ist so einfach
wie richtig: Wir gewähren mehr Zeit zum Abbau der Defizite, aber Zug um Zug gegen verbindliche Strukturreformen. Diese Reformen müssen dann auch wirklich
kommen.
({15})
Die Zeit kommt von selbst, aber die Reformen kommen
nicht von selbst. Solche Strukturreformen erfordern
enorme politische Anstrengungen. Wir Sozialdemokraten wissen, wovon wir reden.
({16})
Frankreich ist unser wichtigster Wirtschafts- und
Handelspartner. Italien ist ähnlich wichtig für uns. Wenn
es diesen beiden Ländern auf Dauer schlecht ginge, dann
würde das auch an uns nicht spurlos vorübergehen. Deshalb liegt es in unserem eigenen Interesse, alles dafür zu
tun, dass diese beiden Länder wieder auf die Beine kommen. Europa muss wieder gemeinsam wachsen. Das ist
die Linie dieser Bundesregierung.
({17})
Auch nach der erfolgreichen Wahl ist eine friedliche,
stabile Entwicklung in der Ukraine immer noch nicht gewährleistet. Ich danke dem Außenminister und der Bundeskanzlerin, dass sie unermüdlich aktiv sind, um den
Waffenstillstand, die Waffenruhe in der Ukraine aufrechtzuerhalten und um eine friedliche Entwicklung in
diesem Land zu gewährleisten. Das ist eine Außenpolitik, in der sich die ganzen Koalitionsfraktionen uneingeschränkt wiederfinden.
({18})
Im Nahen Osten ist jetzt eine Terrorgruppe entstanden, vor der sich die ganze Welt fürchtet. Die Region
zwischen Syrien und Irak droht zu einem Schlachtfeld
von Gotteskriegern und religiösen Fanatikern zu werden,
wie es Frank-Walter Steinmeier formuliert hat. Der
große Zulauf zur islamistischen Bewegung ISIS ist die
Folge einer verfehlten Innenpolitik der Regierung
Maliki. Sie hat sunnitische Minderheiten ausgegrenzt
und diskriminiert. Dann kam der Syrien-Krieg noch
hinzu als ein weiterer Katalysator. Aber der Zulauf ist
auch eine fatale langfristige Folge des völlig verfehlten
Irakkriegs von 2003 und der anschließenden Politik der
Bush-Administration.
({19})
Der US-Einmarsch in 2003 hat den Menschen im Irak
keinen Frieden gebracht, sondern er hat eine Region
langfristig destabilisiert. Das sind die Konsequenzen.
({20})
Wir haben uns damals zu Recht gegen die Teilnahme
am Irakkrieg entschieden, und auch heute gibt es für
Deutschland im Irak keine militärische Option.
({21})
Ich danke der Bundeskanzlerin, dass sie das klargestellt
hat; unsere Aufgabe ist es, stabile politische Lösungen
zu fördern.
Verantwortung sollten wir dort übernehmen, wo wir
sehr konkret gefragt sind, und das betrifft das Engagement für die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen.
Immer mehr Menschen kommen nach Deutschland. Sie
wollen hier arbeiten und suchen Schutz vor Krieg und
politischer Verfolgung. Im letzten Jahr gab es in
Deutschland 120 000 Asylbewerber. In diesem Jahr werden es vielleicht bis zu 200 000. Hinzu kommen wie im
letzten Jahr wahrscheinlich 400 000 Einwanderer. Weltweit haben wir im Augenblick die höchsten Flüchtlingszahlen. Der UNHCR hat auch festgestellt, dass in
Deutschland die meisten Asylanträge gestellt werden.
({22})
In Europa nimmt Deutschland auch die meisten Flüchtlinge aus Syrien auf.
Das ist überhaupt kein Grund, uns stolz auf die Schulter zu klopfen. Aber was wir jetzt auf gar keinen Fall gebrauchen können, ist eine parteipolitische Polarisierung
in der Flüchtlingsfrage, meine Damen und Herren.
({23})
Gerade mit Blick auf die wieder ansteigende Zahl von
Gewalttaten, von rechtsextremistischen Straftaten gegen
Flüchtlinge haben wir alle miteinander eine große Verantwortung dafür, dass die Flüchtlinge in Deutschland
auf- und angenommen werden. Wir müssen die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Akzeptanz von
Asylbewerbern und Flüchtlingen schaffen, zum Beispiel
indem wir ihnen angemessene Unterkünfte verschaffen
oder für die rasche Erteilung einer Arbeitserlaubnis sorgen. Aber vor allem gehört zu einer verantwortlichen
Flüchtlingspolitik, dass wir uns nicht überall gleichmäßig anstrengen, sondern dass wir dort am stärksten helfen, wo die Not am größten ist.
({24})
Deshalb danke ich der Innenministerkonferenz, dass
Bund und Länder ihr Aufnahmeprogramm für Syrer, vor
allem im Bereich des Familiennachzuges, noch einmal
deutlich ausgeweitet haben; denn in Syrien herrscht die
größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit.
Das allerdings ist auf dem Westbalkan anders, trotz
der teilweisen Diskriminierung mancher Bevölkerungsgruppen, die es dort zweifellos gibt. Mit Serbien laufen
EU-Beitrittsverhandlungen. Mazedonien ist ein Land
mit Kandidatenstatus. Mit Bosnien-Herzegowina gibt es
ein Assoziierungsabkommen. In diesen Ländern haben
wir andere Möglichkeiten, die Menschenrechte durchzusetzen, als den Betroffenen ein aussichtsloses Asylverfahren in Deutschland anzubieten, meine Damen und
Herren.
({25})
Es kann doch nicht sein, dass wir die Menschenrechtsprobleme bei EU-Anwärtern mithilfe des deutschen Asylrechtes lösen. Da müssen wir anders eingreifen. Deshalb ist es sinnvoll, wenn wir Asylbewerbern,
die mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihren Heimatländern
keiner politischen Verfolgung ausgesetzt sind, schneller
eine Antwort auf ihren Asylantrag geben können. Deshalb appelliere ich auch an die Grünen: Lassen Sie uns
gemeinsam für Akzeptanz für Flüchtlinge werben, um
ihnen schneller die Möglichkeit zu geben, in Deutschland zu arbeiten.
({26})
Aber lassen Sie uns auch gemeinsam Prioritäten setzen,
({27})
um bei denjenigen, deren Asylanträge aussichtslos sind,
keine falschen Hoffnungen zu wecken.
Meine Damen und Herren, zu einer erfolgreichen
Integrationspolitik gehört auch ein klares Signal an die
Menschen, die mit zwei Staatsbürgerschaften in
Deutschland leben. Wir wollen junge Menschen, die in
Deutschland geboren und aufgewachsen sind, nicht
mehr zwingen, sich als Deutsche gegen die Heimat und
die Herkunft ihrer Eltern und Großeltern zu wenden.
({28})
Deshalb ist die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ein großer Schritt in der Integrationspolitik. Er
ist längst überfällig; denn Deutschland braucht ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht. Für die doppelte Staatsbürgerschaft gibt es inzwischen eine breite gesellschaftliche Zustimmung. Deshalb appelliere ich auch hier an
die Grünen: Lassen Sie uns diesen bedeutenden Schritt
in der Einwanderungs- und Integrationspolitik gemeinsam gehen.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat vereinbart, dass der Bund 2015 die Finanzierung des BAföG
vollständig übernehmen wird und die Länder so mehr
Geld für Investitionen in Bildung haben. Das ist eine
wichtige Entscheidung; denn wir alle teilen die Grundüberzeugung: Bildungschancen dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
({29})
Das war die Überzeugung von Willy Brandt, als er 1971
das Bundesausbildungsförderungsgesetz einführte. Dieser Satz ist auch heute noch das Fundament unserer Bildungspolitik. Willy Brandt reagierte damals auf die deutsche Bildungskatastrophe, vor der der Pädagoge Georg
Picht Ende der 60er-Jahre warnte. Pichts Analyse war:
zu wenig Abiturienten, zu wenig Studenten und kaum
Aufstiegschancen im dreigliedrigen Schulsystem. Er
prophezeite damals:
Der bisherige wirtschaftliche Aufschwung wird ein
rasches Ende nehmen, wenn uns die qualifizierten
Nachwuchskräfte fehlen, … Wenn das Bildungswesen versagt, ist die ganze Gesellschaft in ihrem Bestand bedroht.
Meine Damen und Herren, das BAföG war eine wegweisende sozialpolitische Antwort auf Pichts alarmierenden Befund. Heute haben wir weitaus mehr Studienanfänger als zur damaligen Zeit. Insofern hat das BAföG
etwas bewegt. Aber immer noch gilt: Der Bildungserfolg
ist in Deutschland wie in keinem anderen industrialisierten Land dieser Welt abhängig von der sozialen Herkunft
der jungen Menschen. Die Chance, dass Akademikerkinder ein Abiturzeugnis erhalten, ist in vielen Ländern
sechsmal höher als bei Arbeiterkindern. Ich finde, hier
können wir nicht gleichgültig sein.
({30})
Wir dürfen nicht hinnehmen, dass in Deutschland Bildung gleichsam schichtenspezifisch vererbt wird.
Vor diesem Hintergrund ist es ein großer Fortschritt,
dass sozialer Aufstieg mithilfe von BAföG künftig nicht
mehr von der Kassenlage der Bundesländer abhängig ist,
dass wir als Bund allein darüber entscheiden können,
was da passiert.
({31})
Der Bund kann und wird das BAföG selbstständig erhöhen, und die Länder können das Bildungssystem an den
Stellen verbessern, an denen am stärksten über die Chancen unserer Kinder entschieden wird, nämlich in der
frühkindlichen Bildung, in den Kitas, in den Grundschulen, in den Ganztagsschulen; da müssen wir ansetzen.
Lieber Toni Hofreiter, für Bremen fallen nicht nur
2 Millionen Euro für Kitas ab; durch den BAföG-Kompromiss wird das Land Bremen um 20 Millionen Euro
entlastet, und das jedes Jahr. Dieses Geld kann nun gezielt für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem
eingesetzt werden.
({32})
Sagen Sie das bitte Ihrer Finanzsenatorin.
Wir haben in der Koalition außerdem vereinbart, dass
der Bund und die Länder im Bereich der Hochschulen
wieder miteinander kooperieren können. Auch das ist
ein wichtiger Fortschritt. Dadurch wird das Glas halb
voll; ganz voll wird es erst, wenn der Bund auch die
Schulbildung mittragen kann. Auf Dauer muss deshalb
das Kooperationsverbot für den Schulbereich fallen; das
ist unsere tiefe Überzeugung.
({33})
Millionen Menschen in Deutschland freuen sich auf
den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Für viele
bedeutet er die größte Lohnerhöhung ihres Lebens. Der
Mindestlohn stärkt die Kaufkraft und sorgt für fairen
Wettbewerb. Damit haben wir erstmals eine Schranke
nach unten eingezogen. Von dieser Schranke aus geht
der Blick nicht mehr nach unten, sondern nur noch nach
oben. Das ist für viele Menschen eine spürbare Veränderung in ihrem Alltags- und Erwerbsleben. Genau das
wollen wir. Es ist auch eine Grundidee der sozialen
Marktwirtschaft: Alle müssen die Möglichkeit haben,
durch eigene Arbeit und Anstrengung ihren Lebensunterhalt zu verdienen, statt sich am Ende des Monats beim
Sozialamt anstellen zu müssen.
({34})
Meine Damen und Herren, diese Koalition tritt für ein
Land mit freien und gleichberechtigten Bürgern ein, für
ein weltoffenes Land, dem es wirtschaftlich gut geht.
Alle sollen die Chance haben, aus eigener Kraft etwas
aus ihrem Leben zu machen, die Zugewanderten genauso wie diejenigen, die hier schon immer leben. Wir
wollen keine segmentierte Gesellschaft, in der die Besitzstandswahrer nur auf die Sicherung ihrer Pfründe bedacht sind. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Integration und Aufstiegsmöglichkeiten selbstverständlich sind,
eine Gesellschaft, in der jeder und jede zum Wohlstand
beitragen und an ihm teilhaben kann, eine Gesellschaft,
in der jeder von Stabilität und Sicherheit profitieren
kann. Wir wollen eine offene Gesellschaft und ein modernes Deutschland.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({35})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Volker Kauder.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich zunächst einmal ausdrücklich bei unserem Bundestagspräsidenten dafür bedanken,
dass er klargestellt hat, was unser Bundespräsident gesagt hat und was nicht. Ich möchte Thomas Oppermann
zustimmen, der sagte, dass die Art und Weise, wie die
Linke mit solchen Themen umgeht, nicht akzeptabel ist.
({0})
Herr Kollege Gysi, da muss ich Sie auch persönlich
ansprechen. Es geht nämlich nicht, dass man hier im
Deutschen Bundestag - oder, wie heute Morgen bekannt
geworden ist, einer Ihrer Parteikollegen in Brandenburg
- Attacken loslässt und sich dann entschuldigt.
Frau Dağdelen beispielsweise hat sich hier im Deutschen Bundestag durch Verleumdungen und Angriffe in
einer Art und Weise aufgeführt,
({1})
die diesem Haus nicht angemessen war. Danach entschuldigen Sie sich zwar öffentlich, aber nachher geht es
wieder so weiter.
({2})
Das ist kein Umgang, Herr Gysi, das muss ich Ihnen
klipp und klar sagen.
({3})
Deswegen akzeptiere ich ein solches Verhalten auch
nicht. Ich erwarte schon: Bevor Sie andere Fraktionen
und Parteien kritisieren, räumen Sie in Ihrem eigenen
Laden auf und nicht woanders. Dazu haben Sie allen
Grund, Herr Gysi.
({4})
Wir legen heute den Haushalt 2014 vor und diskutieren in der Regierung bereits den Haushalt 2015. Beide
Haushalte müssen zusammen gesehen werden, weil es in
dieser Großen Koalition zu einem Paradigmenwechsel in
der Haushaltspolitik kommt.
Schon der Haushalt 2014 ist strukturell ausgeglichen,
und ab dem Haushalt 2015 werden keine neuen Schulden mehr gemacht. Das ist tatsächlich der entscheidende
Hinweis darauf, dass wir Generationengerechtigkeit und
Nachhaltigkeit ernst nehmen. Denn nichts ist für eine
junge Generation wichtiger, als dass sie Handlungsspielraum hat.
Man kann viel über Nachhaltigkeit in anderen Bereichen reden, aber hinter dem Projekt „Keine neuen Schulden mehr“ steht die Aussage: Wir wissen um die Verantwortung für unsere junge Generation.
({5})
Dafür sage ich Wolfgang Schäuble und unseren Haushältern herzlichen Dank, die diese schwere Aufgabe vorangebracht haben.
Der von uns eingeschlagene Weg ist der richtige,
wenn es darum geht, dass wir in unserem Land Wohlstand und Sicherheit erhalten können. Wenn wir uns die
Situation in Europa anschauen - die Bundeskanzlerin hat
ja heute darüber berichtet, wie die Situation in einzelnen
Ländern ist -, dann stellen wir fest: Diese Situation ist
nicht irgendwie vom Himmel gefallen, sondern sie ist
das Ergebnis falscher politischer Ansätze.
Lieber Thomas Oppermann, ich sehe das genauso,
dass wir mit Sorge nach Frankreich blicken und uns fragen: Wer könnte der nächste Gesprächspartner sein?
Aber natürlich hat jedes Land seine Hausaufgaben zu
machen.
({6})
Deswegen finde ich es völlig richtig, dass auf dem Gipfel in Paris als Ergebnis nicht herauskam: „Wir werden
den Stabilitätspakt aufweichen“, sondern dass herauskam - Herr Gabriel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das
so klar gesagt haben -: Es bleibt dabei, der Kurs dieser
Bundesregierung, der Kurs von Angela Merkel, ist der
einzige, der dazu führen wird, dass Europa wieder ganz
gesund werden kann.
({7})
Dass Thomas Oppermann heute bestätigt hat, dass der
Stabilitätspakt nicht angegriffen wird und die notwendigen Reformen in den Ländern durchgeführt werden, das
ist eine gute Botschaft.
Europa ist für uns aber nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Sicherheit, sondern Europa ist für uns auch
eine Frage von Frieden und Sicherheit. Wenn man sich
die Situation in der Welt anschaut, kann man nur sagen:
Wir können wirklich dankbar dafür sein, dass wir in diesem Europa leben dürfen. Wenn dieses Europa nicht
mehr erreicht hätte, als dass in diesem Europa Frieden
herrscht, dann wäre das schon Grund genug, um jeden
Tag diesem Europa von Herzen dankbar zu sein, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Dieses Europa muss natürlich offen sein für Menschen, die in ihren eigenen Herkunftsländern verfolgt
werden und deswegen dort, zumindest für eine bestimmte Zeit, keine Perspektive haben. Deswegen ist es
richtig, dass es in Europa eine gemeinsame Asylpolitik
gibt, dass die Belastungen in Europa auf die Länder angemessen verteilt werden. Dass wir in Deutschland einen entsprechenden Beitrag leisten, habe ich an diesem
Rednerpult erst vor kurzem festgestellt: Wir nehmen die
meisten Asylbewerber auf. Aber wir haben ein Problem
- Thomas Oppermann hat zu Recht darauf hingewiesen -: Wir nehmen Asylbewerber aus Ländern auf, die in
der nächsten Zeit ganz zu Europa gehören wollen. Wir
nehmen zurzeit Asylanträge von Menschen entgegen,
die in ihren Herkunftsländern sehr wohl leben können,
weil sie dort nicht verfolgt werden. Diese Herkunftsländer haben ein massives Interesse daran, in Europa nicht
als Verfolgerländer verunglimpft zu werden. Sie sagen:
Wir sind sichere Herkunftsländer.
({9})
Deswegen wollen wir in dieser Koalition ein Gesetz
verabschieden, in dem wir definieren, welche Länder in
Europa sichere Herkunftsländer sind. Dann wird gesagt:
Das können Sie doch machen. Ja, in der Großen Koalition haben wir überhaupt kein Problem damit, dieses
Thema zu erledigen. Aber - und jetzt kommt der Punkt wir brauchen dafür auch im Bundesrat eine Mehrheit.
Ich appelliere an die Grünen, dass sie sich dieser Verantwortung bewusst werden. Wir werden in den nächsten
Tagen mit Vertretern der Grünen in den Landesregierungen reden. Wir meinen, dass wir noch mehr Flüchtlinge
aus Ländern, in denen es wirkliche Probleme gibt, beispielsweise aus Syrien, aufnehmen sollten.
({10})
Aber wir können doch nicht die Augen vor der Wirklichkeit verschließen: Eine ganze Reihe von Städten und
Kommunen hat im Augenblick erhebliche Probleme damit, Asylbewerber aufzunehmen und unterzubringen,
die zu 99 Prozent nachher nicht anerkannt werden und
eigentlich wieder in ihre Heimatländer müssten. Wir
sollten doch für diejenigen Platz schaffen, die wirklich
in tiefster Not aus Syrien zu uns kommen.
({11})
Deswegen habe ich die herzliche Bitte - Frau Kollegin
Roth, ich spreche insbesondere Sie an, da Sie mich vorhin so angeschaut haben -, dass wir uns diesem Thema
gemeinsam stellen und dafür sorgen, dass wir dafür im
Bundesrat eine Mehrheit bekommen können.
Ich sage dies auch voller Sorge aus einer Erfahrung
heraus, die wir in den 90er-Jahren gemacht haben. Damals, noch im Parlament in Bonn, haben wir uns mit der
Frage schwergetan, wie wir das Asylrecht neu ordnen.
Das Thema Asyl wurde zu einem parteipolitischen
Kampfthema, an dem sich alle, wir eingeschlossen, beteiligt haben. Das Ergebnis davon war nicht, dass wir der
Problemlösung nähergekommen sind, sondern das Ergebnis war, dass Rechtsradikale in diesem Land in Landtage eingezogen sind.
({12})
Deswegen ist der Appell völlig richtig: Lassen Sie uns
das Asylthema, das Flüchtlingsthema noch in den nächsten Tagen sachgerecht lösen, damit es nicht ein Nährboden für rechtsradikale Entwicklungen in unserem Land
wird.
({13})
Wir sind dazu bereit. Wir sind auch bereit, mit Ihnen
über den einen oder anderen Wunsch in der Diskussion
zu sprechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Große
Koalition hat, wie ich finde, eine bemerkenswerte Arbeit
geleistet - und dies, obwohl nach dem Wahlergebnis die
Freude auf beiden Seiten - sowohl bei der SPD als auch
bei uns - nicht besonders ausgeprägt war, schon wieder
in eine Große Koalition zu gehen. Die SPD musste sich
sogar zunächst einmal mit einem Mitgliederentscheid
vergewissern, dass das alles auch klappen kann.
({14})
- Wollten Sie! Okay! Dann formuliere ich neutral: Sie
haben sich in einem Mitgliederentscheid vergewissert. Dafür, dass der Start gar nicht so ganz einfach war, haben wir, finde ich, Bemerkenswertes geleistet - nicht für
uns, nicht für diese Koalition, sondern für unser Vaterland und für die Menschen, die in diesem Vaterland leben. Ich sage dir, lieber Thomas Oppermann, und der
SPD-Bundestagsfraktion dafür einen herzlichen Dank,
dass dies möglich war.
({15})
Ich kann sagen - das ist auch so -, dass wir uns nicht
immer leichttun, zu Entscheidungen zu kommen. Gerade
für die nächste Zeit haben wir wichtige Aufgaben vor
uns, bei deren Bewältigung wir noch miteinander ringen
müssen. Diese müssen wir jetzt aber schnell angehen.
Wir müssen jetzt ganz schnell eine Antwort in Bezug auf
ein Thema finden, das uns alle schwer belastet. Das ist
das Thema Kinderpornografie: Wir in dieser Koalition
haben versprochen, dass wir schnell zu Ergebnissen
kommen werden. Das Versprechen sollten wir jetzt auch
einhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen von beiden
Fraktionen.
({16})
Nach der Sommerpause muss hier ein Ergebnis auf den
Tisch.
Es gibt ein weiteres Thema, das uns großen Kummer
macht. In unserem Land ist vieles wirklich sehr gut. Ich
würde sogar sagen: Das meiste ist sehr gut. Es ist aber
für uns eine unerträgliche Belastung, dass man in ganz
Europa darüber spricht, dass wir das Land sind, in dem
am meisten Zwangsprostitution und Frauenhandel stattfinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf uns
nicht ruhen lassen. Deswegen gilt auch hier: Wir können
da nicht noch ewig zuwarten. Wir wollen und müssen
zwar die Menschenhandelsrichtlinie der EU umsetzen.
Das reicht aber nicht, um dieses Problem zu lösen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass Deutschland
nicht das Land ist, in dem in erster Linie in Europa Frauenhandel und Zwangsprostitution stattfinden.
({17})
Auch da können wir nicht mehr lange warten. Ich erwarte auch bei diesem Thema, dass wir im September zu
entsprechenden Ergebnissen kommen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn ich sage,
dass wir viel voranbringen, dann kann ich, glaube ich,
auch die Entscheidung zur Energiepolitik nennen, die
wir gestern in den Koalitionsfraktionen und dann auch
im Wirtschaftsausschuss getroffen haben. Das war keine
leichte Aufgabe. Ich weiß sehr genau, wovon ich rede;
denn in meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender war es der
vierte Anlauf zur Änderung des EEG. Jeder Anlauf war
noch schwerer als der vorhergehende, weil unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen. Da haben wir schon
einen entscheidenden Schritt getan. Wir versuchen, zu
verhindern, dass die Kosten für die Stromverbraucher
weiter anwachsen, und sorgen dafür, dass die deutsche
Wirtschaft trotzdem wettbewerbsfähig bleiben kann.
Diese beiden entscheidenden Punkte sind es, die dieses
EEG in besonderer Weise auszeichnen. Ich sage Ihnen,
Frau Bundeskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, einen herzlichen Dank für Ihren
Einsatz in Brüssel. Ohne diesen Einsatz wäre es nicht
gelungen, im Rahmen der Reform des EEG Arbeitsplätze in Deutschland im Wettbewerb zu halten. Danke
schön dafür!
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, an diesem
Beispiel wird deutlich, dass diese Große Koalition auch
schwierige Aufgaben anpackt und schultert.
Der letzte Hinweis: Es dürfte für die Zukunft dieses
Landes von größter Bedeutung sein, was wir in der Bildungspolitik machen. Darauf ist hingewiesen worden.
Dazu gehört aber auch, dass wir junge Menschen ausbilden, die unseren Ruf als die Nation der Erfinder neuer
Produkte vorantreiben. Das heißt, wir brauchen an unseren dualen Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten Spitzenausbildungen. Dafür stellen wir jetzt Geld
zur Verfügung. Ich möchte die Länder bitten, dass das
Geld, das wir für die Hochschulen und Universitäten zur
Verfügung stellen, auch dort landet und nicht im allgemeinen Länderhaushalt verschwindet.
({19})
Man kann auch nicht sagen, dass wir Geld für die Allgemeinbildung brauchen. Denn auch dafür wird Geld zur
Verfügung gestellt. Noch keine Bundesregierung hat so
viel für Bildung getan. Jetzt kommt es darauf an, dass
die Länder ihre Aufgabe in dieser Hinsicht ernst nehmen.
Ich bin also mit dem, was wir bisher in der Großen
Koalition erreicht haben, durchaus zufrieden. Aber wir
wissen auch, dass noch große Anstrengungen von uns
gefordert sind, um unser Ziel zu erreichen, dass es den
Menschen nach dieser Großen Koalition besser geht als
zu ihrem Start. Dafür werden wir arbeiten. Dafür müssen
wir in dieser Koalition auch zusammenhalten und die
Projekte, die wir uns vorgenommen haben, jetzt schnell
umsetzen.
Herzlichen Dank.
({20})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin, ich möchte etwas sagen, weil ich
glaube, dass die Rügen in Bezug auf die Kritik an Äußerungen des Bundespräsidenten völlig fehl am Platze
sind. Der Bundespräsident hat sich auf der Sicherheitskonferenz vor Verteidigungsministern und Generälen ge3708
äußert. Er hat gesagt, dass wir uns den Gefahren nicht
genügend stellen:
Die Kernfrage lautet doch:
- jetzt zitiere ich ihn wörtlich Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Veränderung im Gefüge der internationalen Ordnung
schon angemessen wahrgenommen?
Er meint, dass wir mehr Verantwortung übernehmen
müssen. Damit meint er - das sagte er schließlich vor
lauter Generälen und Verteidigungsministern - selbstverständlich auch militärische Verantwortung. Denn er
geht die ganze Zeit auf Kriege und auf Sicherheitsfragen
ein. Das ist eine zulässige Interpretation, die auch von
fast allen Medien vorgenommen wurde.
({0})
Der Zusammenhang, den Sie zwischen Politikern und
Nazis herstellen, ist völlig indiskutabel, Herr
Oppermann. Ich muss Ihnen sagen: Das ist völlig indiskutabel.
({1})
Das Zweite ist: Dass sich dieses Mitglied falsch ausgedrückt hat, hat die eigene Fraktion in Brandenburg
schon klar erklärt.
({2})
- Ja, das ist nicht unsere Ausdrucksweise, und das ist
Herr Gauck auch nicht. Das weise ich genauso zurück. Aber mir dafür die Verantwortung zu geben, Herr
Kauder, ist auch völlig albern. Das hatte er schon gesagt,
bevor ich hier gesprochen habe. Nein, die Auseinandersetzung mit Äußerungen, die in die Richtung gehen, dass
wir militärisch die Probleme der Menschheit lösen können, muss stattfinden. Ich bin froh, dass die Linke diese
Auseinandersetzung führt. Es kann schon sein, dass der
eine oder andere bei uns einmal über das Ziel hinausschießt,
({3})
aber das ist in der SPD und auch bei der Union nicht anders. Soll ich Ihnen einmal Äußerungen von Mitgliedern
Ihrer Partei zu Fragen von Rassismus etc. vorhalten?
Niemals habe ich Sie persönlich dafür verantwortlich gemacht. Das muss hier aufhören.
({4})
Keine Partei kann für die Äußerungen jedes einzelnen
Mitglieds die Haftung übernehmen. Das ist absurd. Dazu
haben wir zu viele Mitglieder; das will ich klar sagen.
Das ergeht Ihnen nicht anders.
({5})
Deshalb bitte ich, sachlich zu bleiben. Ich werde niemals den Bundespräsidenten beleidigen, aber rügen darf
ich schon, dass auch er verteidigungspolitisch argumentiert, obwohl wir diese Menschheitsfragen unbedingt zivilrechtlich lösen müssen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich sage es noch einmal: Keiner der Kriege der
letzten Jahre hat irgendeinen Fortschritt gebracht, ganz
im Gegenteil. Lassen Sie uns doch endlich einmal anders
denken, nicht rüstungspolitisch, sondern friedenspolitisch. Es wird höchste Zeit.
({6})
Vielen Dank. - Herr Kollege Kauder, möchten Sie erwidern? - Nein. - Dann hat jetzt das Wort der Kollege
Schneider für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kauder hat gerade gesagt, er sei mit dieser
Koalition ganz zufrieden. Ich sage: Wir Sozialdemokraten sind mit den ersten sechs Monaten in dieser Koalition sehr zufrieden, nicht nur bezogen auf den Bundeshaushalt, über den wir heute diskutieren, sondern auch
im Hinblick auf die anderen Maßnahmen.
Das Rentenpaket zum Beispiel, das wir in den letzten
Wochen beschlossen haben, wurde vielfach unter dem
Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit kritisiert.
Der heutige Haushalt ist das Gegenstück dazu. Denn unter die Schuldenaufnahme, die in den letzten 40 Jahren
in Deutschland stattgefunden hat, werden wir einen
Schlusspunkt setzen; das wird es nicht mehr geben. Bereits dieser Haushalt 2014 ist strukturell ausgeglichen.
2009 hat ein sozialdemokratischer Finanzminister mit
Zustimmung von SPD und CDU/CSU die Schuldenbremse im Grundgesetz installiert. Ab 2015 werden wir,
dann unter einem christdemokratischen Finanzminister,
keine neuen Schulden mehr machen. Ich finde, das ist
ein guter Erfolg. Darauf kann man stolz sein.
({0})
Die Kollegen von den Grünen, auch Herr Hofreiter,
haben ausgeführt, dieser Haushalt sei angeblich von
Subventionen durchsiebt. Klar, es gibt immer Subventionen. Klar ist aber auch: Wir wollen sie abbauen. Dabei
machen wir einen sehr großen Schritt.
({1})
Denn mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns,
die wir nächste Woche hier beschließen werden, wird die
größte Einzelsubvention, die es im Bundeshaushalt jemals gab, abgeschafft.
({2})
Über 7 Milliarden Euro wird der Staat sparen, weil er
keine Lohnkostenzuschüsse, also keine Subventionen
für Niedriglöhne bzw. für Lohndumping mehr ausgeben
wird. Das ist ein großer Erfolg. Das ist der erste Schritt
hin zum Subventionsabbau, auf den wir Sozialdemokraten lange hingearbeitet haben.
({3})
Carsten Schneider ({4})
Der Mindestlohn führt nicht nur zu einer angemessenen Bezahlung - zumindest zu einer Untergrenze; ob sie
für alle gerecht ist, ist eine andere Frage -, sondern er
entlastet auch den Staatshaushalt. Diese Entlastung haben wir in der Finanzplanung noch nicht berücksichtigt,
auch nicht für 2015. Ich gehe davon aus, dass uns dies
Spielräume eröffnen wird, um im Jahr 2015 und in den
fortfolgenden Jahren mehr Zukunftsinvestitionen zu tätigen.
Die positive Ausgangslage in Deutschland, die Herr
Oppermann und Herr Kauder geschildert haben - gute
Steuereinnahmen, niedrige Arbeitslosigkeit, Überschüsse in der Sozialversicherung -, hat ihre Ursachen in
einer gut ausgebildeten Arbeitnehmerschaft, in einem
Unternehmertum, das auf Innovationen setzt, und in erfolgreichen Wissenschaftlern. Aber sie haben ihre Ursache auch in den politischen Rahmenbedingungen. Diese
politischen Rahmenbedingungen wurden in den vergangenen zehn Jahren unterschiedlich stark gewichtet und
verändert. Ich glaube, es ist unstrittig, dass die Hauptursache für unser heutiges Standing die Reform der
Agenda 2010 ist. Ohne sie stünden wir heute wirtschaftlich nicht so gut da, wie wir es tun.
({5})
Auch die Investitionen, die wir als Antwort auf die Finanzkrise getätigt haben - insbesondere die Konjunkturprogramme, die damals vor allen Dingen von Peer
Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz
mit Zustimmung der Unionsfraktion durchgesetzt wurden -, haben uns gut durch diese Krise gebracht. Wenn
Sie, Herr Hofreiter, sagen, das sei sozialdemokratischer
Beton und habe nicht funktioniert - ich komme gerade
nicht auf das Zitat, werde es aber nachlesen -, kann ich
nur sagen: Hätten wir dies nicht gemacht, stünden wir
heute viel schlechter da.
({6})
Das kommunale Investitionsprogramm und die Abwrackprämie waren richtig. All die Dinge, die wir gemacht haben, haben sich ausgezahlt, auch die Bildungsinvestitionen. Es hat sich auch ausgezahlt, dass der
Stabilitäts- und Wachstumspakt, über den heute und in
den vergangenen Wochen schon gesprochen wurde, die
notwendige Flexibilität ermöglicht hat. Er wurde 2005
und dann noch einmal 2010/2011 reformiert; die Stichworte lauten Six-Pack und Two-Pack. Im Rahmen des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes kann man in Krisenzeiten investieren, muss dann aber in guten Zeiten Geld
zurückführen.
In den vergangenen Jahren haben wir hier sehr oft
über Maßnahmen zur Euro-Rettung abgestimmt; dabei
gab es harte Kontroversen. Wir haben den Maßnahmen
mit breiter Mehrheiten zugestimmt. Das wurde nicht von
jedem in der Wissenschaft goutiert. Einige sollten sich
im Nachklapp einmal fragen, ob sie immer richtig lagen.
Heute zeigt sich, dass wir aufgrund der Intervention
der Europäischen Zentralbank mehr oder weniger eine
Vergemeinschaftung von Staatsschulden haben. Das gilt
aber nicht für die Einnahmeseite, also für die Steuerpolitik und im Hinblick auf die Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Die Frau Bundeskanzlerin hat vorhin gesagt, dass die wirtschaftspolitische Koordinierung
- unabhängig von den Fragen, wer Kommissionspräsident wird und was die Europäische Union und die Kommission in den nächsten fünf Jahren tun werden - ganz
gezielt in den Mittelpunkt gerückt werden muss, und das
nicht nur auf dem Papier. Was Herr Van Rompuy bisher
vorgelegt hat - zumindest das, was ich gelesen habe -,
ist noch zu wenig. Wir brauchen eine noch stärkere Koordinierung, was die Wirtschaftspolitik betrifft. Wir
brauchen eine noch stärkere Koordinierung und auch gemeinsames Handeln, insbesondere was die Steuerpolitik
betrifft. Das ist eine grotesk offene Flanke: Bei den Ausgaben, bei den Staatsschulden sitzen wir, weil wir eine
gemeinsame Währung haben, mehr oder weniger in einem Boot; bei der Steuerpolitik kann aber jeder mehr
oder weniger machen, was er will. Das ist ein Konstruktionsfehler. Die Vervollständigung hin zu einer Fiskalunion wird für die nächsten fünf Jahre eine der Hauptaufgaben sein, wenn wir den Euro dauerhaft stabilisieren
wollen.
({7})
Da haben wir innerhalb der Koalition gute Ansätze,
auch aus der alten Regierung noch. Ich denke an die Initiative gegen Steuerdumping bzw. legale Steuergestaltung - das Ganze steht unter der Chiffre BEPS -, die von
der OECD aufgearbeitet wird. Es geht darum, dass sich
große Konzerne wie zum Beispiel Amazon, Google etc.
die günstigsten Steuersätze aussuchen und ihre Gewinne und Verluste dann in die entsprechenden Länder verschieben. Dem muss ein Riegel vorgeschoben
werden.
Dazu gehört, dass es auf diesem Gebiet nicht wieder
zu großer nationaler Autonomie kommt. Ich sehe mit
Sorge, dass in Spanien - im Übrigen unter einem Programm des Rettungsschirms für den Bankensektor - für
den Bereich der Unternehmensteuern jetzt Senkungen
angepeilt werden, obwohl das Land noch hohe Defizite
hat. Ich persönlich kann das nicht akzeptieren, und ich
erwarte, dass die Bundesregierung, der Bundesfinanzminister, das einmal artikuliert. Jedes Land muss erst
einmal selber sehen, dass es ausreichende eigene Steuereinnahmen generiert.
Unseren Freunden in Frankreich - Thomas Oppermann
hat darauf hingewiesen - soll Zeit zum Abbau des Defizits gegeben werden - wenn denn tatsächlich auch
strukturelle Reformen stattfinden. Wenn wir über die
Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sprechen - das werden wir am Ende des Jahres müssen; denn da ist eine Revisionsklausel eingebaut -, gehören zwei Dinge dazu:
Erstens. Wenn sich ein Mitgliedstaat in einem Defizitverfahren befindet, muss die Kontrolle über die wirtschaftspolitischen Maßnahmen seitens der Kommission
oder des Rates ausgebaut und definitiv gestärkt werden.
Das steht bisher nur auf dem Papier und wird nicht angewandt. Nicht einmal Deutschland hält sich an die Empfehlungen des Europäischen Semesters für die Wirtschaftspolitik. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand;
Carsten Schneider ({8})
denn dann braucht man sich solche Regeln nicht zu geben.
Das Europäische Parlament hat ausgewertet, was von
den empfohlenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wurde. Es waren nicht einmal
12 Prozent. Ich habe mir das für Deutschland noch einmal angesehen. Im Rahmen des Europäischen Semesters
gibt die Kommission Empfehlungen, und die sind gar
nicht einmal so verkehrt. So heißt es etwa, dass Deutschland die Frauenerwerbsquote erhöhen und die Kinderbetreuung ausbauen muss. Das ist richtig, das wollen wir
auch. Ich glaube, wir müssen dort auch noch mehr tun.
Es stellt sich die Frage, wie der Fonds für den Kitaausbau, den Ministerin Schwesig zu verwalten hat, im Jahre
2015 befüllt wird. Ich erwarte von der Bundesregierung,
dass sie dafür die über 500 Millionen Euro, die wir verabredet haben, zur Verfügung stellt. Dieses Geld muss
tatsächlich investiert werden; denn wir brauchen gute
Kinderbetreuungsplätze in Deutschland, qualitativ und
quantitativ.
({9})
Die Kommission empfiehlt uns aber auch, dass wir im
Bereich der Steuerpolitik Änderungen vornehmen. Die
Steuer- und Abgabenlast für Geringverdiener sei in
Deutschland zu groß. Das ist interessant. Interessant ist
auch, dass sich der Deutsche Gewerkschaftsbund dafür
einsetzt, dass wir nicht nur die kalte Progression, sondern auch den steilen Anstieg im unteren Bereich der
Einkommensteuersätze korrigieren sollen. Ich wäre sehr
dafür zu haben, wenn wir diese Maßnahmen vollständig
gegenfinanzieren. Wir Sozialdemokraten glauben, dass wir
uns hier nicht vier Jahre lang Stillstand leisten können.
Wenn jemand Arbeit aufnimmt, wenn jetzt - Thomas
Oppermann hat darauf hingewiesen - viele Leute Lohnerhöhungen bekommen und zum Beispiel nicht mehr,
wie bei mir in Erfurt, 5,50 Euro, sondern 8,50 Euro verdienen und damit erstmals wieder nicht mehr nur Sozialabgaben, sondern auch Steuern zahlen, dann soll das
nicht dazu führen, dass sie im Endeffekt weniger haben,
als wenn sie Transferleistungen bezögen. Arbeit muss
sich lohnen; deswegen können wir uns eine Entlastung
in diesem Bereich durchaus vorstellen, mit einer Gegenfinanzierung zum Beispiel - der Deutsche Gewerkschaftsbund hat darauf hingewiesen - im Bereich der
Abgeltungsteuer das heißt, der Steuern auf Zinsen und
andere Kapitalerträge.
Zweitens. Bei der europäischen Koordinierung stellt
sich neben der Frage der Verbindlichkeit auch die Frage
der politischen Unterstützung. Wenn wir vergleichen,
was verschiedene Länder in den letzten Jahren gemacht
haben, so ist doch festzustellen, dass insbesondere Länder, die unter Programmen des ESM oder der EFSF
- das sind Abkürzungen, die keiner versteht - stehen,
also finanzielle Hilfen aus anderen Euro-Ländern, auch
von uns, bekommen, im Gegenzug Auflagen zu erfüllen
haben, an die sich breite parlamentarische Mehrheiten in
den Empfängerstaaten binden mussten. Das gilt zum
Beispiel für Portugal und auch für Irland. Dort sind tatsächlich Reformen angegangen worden, die für eine
langfristige Steigerung des Wirtschaftspotenzials sorgen.
Von daher finde ich, dass eine weitere Verschärfung
dieses Paktes auch darin liegen kann, dass für solche
Hilfsmaßnahmen eine breite parlamentarische Mehrheit
erforderlich ist. Es kann nämlich nicht sein wie 2010
in Griechenland, als der damalige Oppositionsführer
Samaras dem damaligen Präsidenten der Sozialistischen
Partei, dessen Name mir gerade nicht einfällt
({10})
- Papandreou -, quasi nicht geholfen hat. Er hat dort
nicht für eine breite Unterstützung geworben. Wir haben
zwei Jahre verloren, bis endlich eine Regierungsmehrheit stand. Wenn ein Land Finanzhilfen braucht, dann ist
dort eine breite politische Unterstützung - auch im Parlament - für die entsprechenden Maßnahmen notwendig.
Ich finde, das könnte eine Erweiterung des Stabilitätsund Wachstumspaktes sein.
({11})
Wenn wir über die Ausgaben des Bundeshaushaltes
sprechen, den wir in dieser Woche beschließen werden,
dann nehme ich natürlich auch die Einnahmen mit in den
Blick.
Zunächst zu den Ausgaben. Mit Blick auf unser
Wachstumspotenzial sind die Investitionsausgaben zu
niedrig. Für den Infrastrukturbereich packen wir in den
nächsten fünf Jahren zwar 5 Milliarden Euro drauf, das
heißt aber, dass wir der Empfehlung der Kommission
„Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ unter
dem Vorsitz von Herrn Bodewig nicht nachkommen, pro
Jahr etwa 6 bis 7 Milliarden Euro zu investieren, um den
Bestand und die wirtschaftliche Substanz - es geht also
nicht um Neubaumaßnahmen wie Ortsumfahrungen und
anderes - zu erhalten. Hier müssten wir deutlich mehr
investieren.
Ich sehe es für die nächsten drei Jahre als unsere Aufgabe in dieser Koalition an, uns nicht auf den Lorbeeren
vergangener Zeiten auszuruhen, sondern auch in die Zukunft zu investieren. Es geht um Investitionen in die Infrastruktur, aber auch in die Bildung, und ich schließe
mich hier den Ausführungen von Herrn Kauder an: Die
Länder müssen das Geld, das wir als Bund zur Verfügung stellen, auch tatsächlich in den Bildungs- und Forschungsbereich investieren.
Daneben müssen wir es denjenigen ermöglichen zu
studieren, die dazu aufgrund des Geldbeutels ihrer Eltern
nicht in der Lage sind. Deswegen ist es gut, dass wir als
Bund das BAföG jetzt komplett übernehmen und wir uns
als Sozialdemokraten - das haben wir von Anfang an gesagt - für eine deutliche Erhöhung des BAföG einsetzen.
({12})
Zu den Einnahmen. Wir haben darauf hingewiesen,
dass es hier in der Union und in der SPD unterschiedliche Vorstellungen gibt. In den grundsätzlichen Fragen,
aber auch in kleinen Bereichen machen wir Fortschritte.
Wir beraten gerade das Kroatien-Gesetz. Das klingt
technisch, aber die Kollegen im Finanzausschuss haben
hier schwergewichtige Fragen geklärt.
Carsten Schneider ({13})
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, ob in Deutschland
jeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert wird. Wir
haben in Deutschland zwar auch eine große Schere zwischen den Einkommen, aber vor allen Dingen zwischen
den Vermögen.
Der Fall des Erben eines großen Automobilherstellers, dessen Autos sich die meisten hier nicht leisten
können, ist öffentlich geworden. Er verfügt über ein
Milliardenvermögen. Es liegt zum großen Teil in stillen
Reserven einer Kapitalgesellschaft und wird nicht versteuert, und über eine noch legale Steuergestaltung will
er dieses Vermögen nun ins Ausland, in die Alpen, transferieren. Jeder kann sich innerhalb der Europäischen
Union seinen Wohnsitz suchen, aber klar ist auch: In
Deutschland erarbeitetes Vermögen muss auch in Deutschland versteuert werden.
({14})
Deswegen hoffe ich sehr, dass es uns in der nächsten
Woche gelingt, diese Lücke zu schließen und dafür zu
sorgen, dass nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Manager, die hier Einkommensteuer zahlen, sondern auch diejenigen ihren Beitrag
leisten, die über hohe Vermögen verfügen, die sie nur
aufgrund der Stabilität der Wirtschaft und der Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer, auch des Unternehmertums,
erzielen konnten.
Das ist eine Frage der Fairness und wird uns als Sozialdemokraten in den nächsten drei Jahren in dieser
Großen Koalition hier im Deutschen Bundestag auch
weiterhin umtreiben. Ich hoffe, wir haben Sie dabei an
unserer Seite.
({15})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Haushalt ist für uns alle Anlass zu großer Freude. Erstmals seit über 40 Jahren verabschieden
wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt, und erstmals seit über 40 Jahren erwarten wir für das kommende
Jahr einen ausgeglichenen Haushalt. Das ist eine historische Zäsur in der Haushaltspolitik dieses Landes, die
nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
({0})
Ich danke dem Bundesfinanzminister für die Vorlage
dieses Entwurfs und den Haushaltspolitikern für die intensive Arbeit bei der Beratung, die trotz der in den letzten Wochen und Monaten aufgetauchten Schwierigkeiten dazu geführt hat, dass der Entwurf im Kern, nämlich
mit dem Endergebnis „strukturell ausgeglichener Haushalt“, erhalten werden konnte. Das ist ein ganz wichtiges
Signal. Das ist ein großer Erfolg, ein Erfolg, der den
Menschen in unserem Land zugutekommt. Das, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist auch unsere Aufgabe.
({1})
Warum machen wir das? Warum ist das so wichtig?
Gerade die Erfahrungen der letzten Jahre in einigen europäischen Ländern haben uns gezeigt, dass eine gute
wirtschaftliche Entwicklung und eine gute Beschäftigungslage ganz wesentlich mit stabilen öffentlichen Finanzen zusammenhängen. Stabile öffentliche Finanzen
auf der einen Seite und Wachstum und Beschäftigung
auf der anderen Seite - das sind nicht zwei Gegensätze,
sondern das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ohne solide Haushaltspolitik kann es kein Vertrauen der Menschen und der Wirtschaft in die Politik eines Landes geben, ohne dieses Vertrauen wird es keine
Investitionen geben, und ohne Investitionen gibt es kein
Wachstum und keine Beschäftigung. Das ist eine ganz
einfache volkswirtschaftliche Rechnung.
({2})
Zu soliden Finanzen und Stabilität gehört aber auch,
dass mit dem, was der Staat an Steuergeldern einnimmt,
sauber und verantwortungsvoll gewirtschaftet wird und
dass nicht bei der ersten Schwierigkeit, die sich dabei ergibt, nach Steuererhöhungen gerufen wird. Mir kommt
in der heutigen Debatte fast ein bisschen zu kurz, dass
auch dies zu solider Haushaltspolitik gehört: mit dem
auszukommen, was man einnimmt. Deshalb war es für
uns auch so wichtig, zu Beginn der Legislaturperiode
klarzustellen: Es wird keine Steuererhöhungen geben.
({3})
Das Ganze gilt natürlich nicht nur für uns, sondern
das gilt auch für Europa. Wir haben in diesem Haus in
den vergangenen Jahren, als es darum ging, die Staatsschuldenkrise in Europa zu bewältigen, intensiv über
den richtigen Weg diskutiert, gerungen und sogar gestritten. Heute können wir sagen: Der eingeschlagene Kurs
war richtig. Die Hartnäckigkeit unserer Bundeskanzlerin
in Europa hat sich bewährt. Das Prinzip „Solidarität ja,
aber nur in Verbindung mit Solidität“ hat sich bewährt.
Das heißt: Hilfe ja, aber nur in Verbindung mit der
Einhaltung von Auflagen, nur in Verbindung mit Sparen
und solidem Haushalten und in Verbindung mit den notwendigen Strukturreformen. Heute können wir sagen:
Die Programmländer, die schwierigen Länder in dieser
Staatsschuldenkrise haben ihre Hausaufgaben zum überwiegenden Teil gemacht. Die Ergebnisse sind sichtbar.
Der Kurs war richtig. Dabei müssen wir auch bleiben.
({4})
Wir haben den Stabilitätspakt unter großen Anstrengungen ein Stück weit verschärft, konkretisiert. Wir haben den Fiskalpakt auf europäischer Ebene eingeführt,
etwas, was viele uns Jahre vorher nicht zugetraut hätten.
Weil dieser Kurs erfolgreich war, müssen wir daran festhalten. Es kann kein Aufweichen des Stabilitätspakts in
Europa geben. Es kann auch kein Abweichen von dem
geben, was dann in der Folge dieses Stabilitätspakts auf
europäischer Ebene vereinbart und beschlossen wurde.
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darum
geht, in Sachen Stabilität in Europa auf Kurs zu bleiben
und für solide Verhältnisse in Europa zu sorgen. Jedes
Land, auch Frankreich, auch Italien, muss seine Hausaufgaben im nationalen Bereich machen. Wenn diese
Hausaufgaben national gemacht werden, dann wird auch
die Gefahr von rechtsextremen Gruppen in diesen Ländern geringer werden. Auch das gehört dazu.
({5})
Solide Haushaltspolitik machen wir aber nicht nur aus
den genannten Gründen, sondern der wesentliche Grund
dafür ist unsere Verantwortung für diejenigen, für die
wir unsere politische Arbeit eigentlich machen, nämlich
die, die nach uns kommen: unsere Kinder, unsere Enkelkinder, die Zukunft unseres Landes.
Das Beste, was wir unseren Kindern und Enkelkindern geben können, ist ein Land ohne Schulden, ohne
zusätzliche Verpflichtungen, ein Land, in dem sie dann
Spielräume für die Herausforderungen haben werden,
denen sie sich in ihrer Zeit gegenübersehen. Deshalb ist
solide Haushaltspolitik für uns so wichtig, deshalb ist
nachhaltige Politik wichtig. Wir sind nicht nur in der
Verantwortung für uns und für unsere heutige Generation und für unsere Zeit, sondern wir sind in der Verantwortung für die Zukunft unseres Landes. Das haben wir
von denen, die vor uns Verantwortung getragen haben,
gelernt.
({6})
Deshalb ist auch der Aspekt, der vorhin schon mehrfach angesprochen wurde, Bildung, Forschung und Qualifizierung der Menschen, von so großer Bedeutung. Eines will ich aber schon klarstellen, da von einigen
Rednern der Opposition immer wieder die Situation im
Bildungswesen schlechtgeredet wurde: Als ich zu meiner Schulzeit das Gymnasium besuchen wollte, musste
ich ins Internat gehen, weil es keine weiterführende
Schule in der Region gab. Heute sind die Verhältnisse
völlig anders - ich rede jetzt von meinem Heimatland
Bayern, in vielen anderen Ländern gilt das auch -: In
meiner Heimat ist es so, dass jedes Kind, egal in welcher
Region es wohnt, ohne Probleme und mit öffentlicher
Förderung eine weiterführende Schule besuchen kann.
({7})
Dass die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems,
von der Grundschule bis zur Universität, heute gewährleistet ist, war auch nicht immer so. Das ist auch nicht
überall so. Das ist in unserem Land so, und da sollten
wir die Situation nicht schlechter reden, als sie ist.
({8})
Ich will dazu noch ein Weiteres sagen. Bei allen Vergleichen, gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit, mit anderen Ländern spüren wir doch, dass unsere jungen
Menschen gut ausgebildet sind, hochqualifiziert sind.
Das hängt nicht nur mit dem System und den politischen
Entscheidungen zusammen, sondern das hängt auch von
dem Engagement und der Qualifikation der Lehrkräfte,
der Professoren ab. Diesen Menschen gebührt herzlicher
Dank dafür.
({9})
Ich will hinzufügen: Der Mensch beginnt nicht erst
mit dem Abitur und dem Studium.
({10})
Deshalb legen wir großen Wert auf die duale Ausbildung, auf das duale Studium, das mittlerweile in vielen
Bereichen Realität ist. Ich danke all denen in den Unternehmen und Betrieben, die diese duale Ausbildung
durchführen, Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen
und den Jugendlichen damit eine Chance geben, sich gut
zu qualifizieren.
({11})
Dass wir diesem Aspekt, der Bildung, Forschung,
Innovation und Qualifizierung der Menschen, einen hohen Stellenwert beimessen, zeigen wir mit diesem Haushalt. Mit dem Haushalt in diesem Jahr und in den kommenden Jahren werden wir in dieser Legislaturperiode
9 Milliarden Euro zusätzlich und damit noch mehr, als
wir schon vorher dafür ausgegeben haben, für Bildung
und Forschung ausgeben. Auch dass wir das BAföG
vonseiten des Bundes voll übernehmen und für diese Legislaturperiode eine Erhöhung des BAföG angekündigt
haben und auch vornehmen werden, macht deutlich: Das
hat hohen Stellenwert in unserer Politik, und das ist auch
gut so.
({12})
Zur Entwicklung unseres Landes gehört aber auch
eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Ich will nur auf einen Aspekt eingehen, der in diesen Tagen von besonderer Bedeutung ist, und zwar die Energiepolitik. Ich
schließe mich dem an, was Volker Kauder gesagt hat: Es
war eine Riesenleistung, das Erneuerbare-Energien-Gesetz so zu novellieren, dass wir auf der einen Seite die
Entwicklung in Richtung noch mehr erneuerbare Energien durchaus vorantreiben, dass wir aber auf der anderen Seite die damit verbundene Kostendynamik bremsen
und dass wir zum Dritten unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig erhalten.
Da geht es nicht um einige wenige Arbeitsplätze.
Vielmehr ging es bei der energieintensiven Industrie und
der Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie
auf internationaler Ebene um Zigtausende von ArbeitsGerda Hasselfeldt
plätzen. Dass diese gesichert werden konnten, ist das
Verdienst unserer Bundeskanzlerin und des Bundeswirtschaftsministers. Deshalb möchte auch ich ganz herzlich
für dieses großartige Engagement auf der europäischen
Ebene danken.
({13})
Zur wettbewerbsfähigen Wirtschaft gehört aber auch
ein gutes Einvernehmen zwischen Sozialpolitik auf der
einen Seite und Wirtschaftspolitik auf der anderen Seite.
Diese Balance zu halten, für die Schwächsten, die
Schwachen und Hilfsbedürftigen da zu sein und die
Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten, ist
eine Aufgabe, die wir in einer sozialen Marktwirtschaft
permanent haben. Ich denke, wir haben sie in unserem
Land insgesamt ganz gut bewältigt.
Wir haben eine Reihe von neuen Herausforderungen,
beispielsweise im Bereich der Familienpolitik mit der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in der Pflege und
in der Behindertenarbeit. Ich denke, wir haben sie gut
bewältigt und werden sie auch weiter bewältigen. Auch
in den Bereichen Pflege und Behindertenarbeit ist die
Vorarbeit geleistet. Der Gesetzentwurf für die Pflegeversicherung liegt bereits vor. Daraus wird ersichtlich: Wir
nehmen diese Themen ernst.
Genau das haben wir auch bei der Rente beachtet. Wir
haben, als wir die Mütterrente beschlossen haben, sehr
wohl im Blick gehabt, dass sie finanzierbar sein muss.
Aber weil vorhin vonseiten der Linken und der Grünen
die Finanzierung angesprochen wurde, will ich auch darauf hinweisen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
dass wir für die Anerkennung von Erziehungszeiten in
der Rentenversicherung - nur für diese Leistung - seit
1998 100 Milliarden Euro Steuergelder ausgegeben haben. Wir haben mehr ausgegeben, als für diese Leistung
erforderlich war.
({14})
Das sollte man nicht vergessen, wenn wir über diese
Frage diskutieren, die eine Gerechtigkeitsfrage ist. Denn
es ist niemandem klarzumachen, dass eine Mutter, die
vor 1992 Kinder geboren hat, schlechter behandelt wird
als diejenige, die nach 1992 Kinder geboren hat.
({15})
Wir haben vor wenigen Wochen in diesem Haus an
die Verabschiedung und das Inkrafttreten des Grundgesetzes gedacht. Wir haben in diesem Jahr eine Reihe von
Gedenkveranstaltungen und Gedenktagen, die uns an die
wechselvolle Geschichte unseres Landes erinnern. Das
alles bietet immer wieder Anlass, dankbar zu sein: dankbar zu sein für das, was die Menschen - nicht nur die
Politiker - in unserem Land geleistet haben, dankbar zu
sein auch für die Geschenke, die wir mit der europäischen Einigung bekommen haben, eine gute, friedvolle
Entwicklung - immer wieder mit neuen Herausforderungen. Bei aller Dankbarkeit sollten wir uns nicht zurücklehnen. Vielmehr sollte das für uns Auftrag sein, die erfolgreiche Entwicklung unseres Landes fortzusetzen.
Dieser Haushalt ist ein gute Grundlage dafür.
({16})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort die Kollegin Bettina Hagedorn.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:
Wesentliches Markenzeichen der Großen Koalition
ist die solide Haushalts- und Finanzpolitik, die mit
weniger Schulden auskommt und gleichzeitig mehr
Investitionen in entscheidende Zukunftsfelder unserer Gesellschaft und Wirtschaft vornimmt.
Ich finde, das ist eine prima Überschrift für diese
Haushaltswoche. Die Tatsache, dass dieses Zitat aus einer Rede des Finanzministers der letzten Großen Koalition, Peer Steinbrück, vom 16. September 2008 stammt,
macht deutlich, dass wir sowohl in der letzten als auch in
der jetzigen Großen Koalition einen langen roten Faden
und damit eine gemeinsame Tradition insbesondere in
der Finanz- und Haushaltspolitik haben, die gut für
Deutschland ist.
({0})
Liebe Kollegin Hasselfeldt, ich will ganz gewiss nicht
den Anschein eines künstlichen Konflikts erzeugen.
Aber Sie haben gerade in Ihrer Rede mit Blick auf die
Einhaltung der Stabilitätskriterien in Europa ständig
vom Stabilitätspakt gesprochen. Es ist wichtig, darauf
hinzuweisen, dass er sich Stabilitäts- und Wachstumspakt nennt. Das haben wir - das ist keine Kleinigkeit auch schon in der letzten Großen Koalition gemeinsam
so verstanden. Sie haben eben auch darauf hingewiesen,
es sei wichtig, mit dem Geld auszukommen, das man
hat. Ich glaube, dem stimmen alle im Haus zunächst einmal zu. Aber die letzte Große Koalition hat bewiesen,
dass es davon Ausnahmen geben kann. Diese hängen mit
dem zusammen, was sich unter dem Begriff „Stabilitätsund Wachstumspakt“ subsumieren lässt. Als die durch
den Zusammenbruch von Lehman Brothers hervorgerufene Krise begann, standen wir unmittelbar vor einem
strukturell ausgeglichenen Haushalt; das war schon damals unser gemeinsames Ziel. Aber wir haben damals
sehr bewusst und richtigerweise das Erreichen dieses
Ziels hintangestellt, um Konjunkturpakete auf den Weg
zu bringen und Wachstumsimpulse, die Deutschland damals gebraucht hat, überhaupt erst zu ermöglichen. Wir
haben beispielsweise mit dem Kurzarbeitergeld Menschen in Lohn und Brot gehalten. Nur dadurch war es
möglich, dass die Wirtschaft später schnell wieder anspringen konnte - und zwar als erste in ganz Europa und dass Deutschland, wie es die Kanzlerin heute Morgen ausgedrückt hat, zur Wachstumslokomotive wurde.
Und darum: Sparen ist kein Selbstzweck. Stabilität ist
gut und richtig. Aber Wachstum gehört dazu. Es ist
schön, dass wir uns an dieser Stelle einig sind.
({1})
Wir sind uns auch über die Schwerpunkte des Haushalts einig; das haben die Haushaltsberatungen erneut
bewiesen. Wir haben schon in der letzten Großen Koalition enorme gemeinsame Anstrengungen im Bildungsbereich unternommen und nicht nur wegen der
Lissabon-Strategie in Europa erkannt, dass die Bildungsinvestitionen erhöht werden müssen; denn nur wenn wir
in die Köpfe der jungen Menschen mehr investieren, als
es traditionell in den letzten Jahrzehnten der Fall war,
geht uns die wichtigste Ressource, die Jugend, nicht verloren. Wir brauchen sie, um die wirtschaftliche Stabilität
in unserem Land auch in Zukunft zu erhalten. Das setzen
wir in dieser Großen Koalition fort.
Es ist schon ein bisschen befremdlich, dass Sie, Herr
Gysi, als Oppositionsredner sich ausgerechnet die Bildung vorgenommen haben, um die Große Koalition zu
kritisieren. Es ist auch nicht wahr, was Sie gesagt haben,
nämlich dass 500 Millionen Euro gekürzt worden seien.
({2})
Machen Sie sich einmal bei der Haushaltsausschussvorsitzenden Frau Lötzsch schlau. Die Wahrheit ist: Das
Geld, das 2014 nicht mehr ausgegeben werden kann,
weil die Vereinbarungen so sind, wie sie sind,
({3})
werden wir in den Folgejahren zur Verfügung stellen.
Fakt ist aber, dass wir mit diesem Haushalt Investitionen in Höhe von 9 Milliarden Euro - darauf ist vielfach
hingewiesen worden - in Bildung tätigen. Das tun wir in
erster Linie und maßgeblich über die Länder, aber auch
über die Kommunen; denn wir sind gemeinsam von dem
Gedanken getragen, dass Bildung nicht nur Hochschulbildung ist, sondern dass Bildung gerade und in erster
Linie in den Schulen, in den Kitas und in den Krippen
durch mehr Lehrer und Erzieher qualitativ verbessert
werden muss. Dazu gehört eine verbesserte Ausbildung,
damit die hohen Schulabbrecherquoten, die wir in
Deutschland immer noch haben - die PISA-Ergebnisse
will ich nur am Rande erwähnen -, gesenkt werden.
Diese sind nicht nur eine Schande für unser Land und
ganz furchtbar für junge Menschen, über die wir reden,
sondern es ist auch volkswirtschaftlich ein Wahnsinn,
wenn wir nicht gegensteuern. Aber wir steuern dagegen.
Dafür ist dieser Haushalt ein wichtiges Beispiel.
({4})
Ich möchte gerne ein paar Dinge aufgreifen, die in
den Haushaltsberatungen der letzten zwei Monate geglückt sind. Auch ich möchte mich, wie es schon andere
vor mir getan haben, bei meinen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU im Haushaltsausschuss dafür bedanken, dass wir unsere Feuerprobe in dieser Legislatur bestanden haben. Für viele war es gar keine Feuerprobe,
weil wir schon eine andere Große Koalition erfolgreich
hinter uns gebracht haben. Ich will darauf hinweisen,
was der Haushaltsausschuss eigentlich gegenüber der
ersten Lesung, die hier im April stattgefunden hat, verändert hat.
Mir ist besonders wichtig - das Thema hatten wir
eben schon -, dass wir unter anderem 10 Millionen Euro
mehr für die syrischen Flüchtlinge und 40 Millionen
Euro mehr für Integrationskurse in diesem Land zur Verfügung gestellt haben. Ich möchte diesen Hinweis aber
damit verbinden - Herr de Maizière ist jetzt nicht da -,
dass wir als Haushaltsausschuss auch die Erwartung hegen, dass wir diese Nachbesserung im zweistelligen Millionenumfang bei den Integrationskursen nicht in jedem
Haushaltsjahr wieder machen müssen; wir erwarten vielmehr von unserer Bundesregierung, dass sie die Integrationskurse von Anfang an in dem Umfang ausfinanziert,
wie es erforderlich ist. Wir sind jetzt bei 245 Millionen
Euro, und das ist das Mindeste, was wir an dieser Stelle
tun müssen.
({5})
Ich möchte das Technische Hilfswerk erwähnen. Wir
unterstützen das Technische Hilfswerk mit 10 Millionen
Euro mehr. Ich bin sehr froh, dass das gelungen ist. Auch
mit Blick auf die Debatte heute will ich nicht unerwähnt
lassen, dass das Technische Hilfswerk unter anderem in
Jordanien in den Flüchtlingslagern für die Bereitstellung
von Wasser sorgt. Wir alle wissen, was das für die Gesunderhaltung der Flüchtlinge dort bedeutet und vor welchen dramatischen Herausforderungen ein Land wie Jordanien - die Kanzlerin hat darauf hingewiesen - steht.
Das deutsche Technische Hilfswerk trägt zuverlässig zur
Gesunderhaltung der Menschen bei. Dafür unser herzlicher Dank.
({6})
Das Technische Hilfswerk hat eine besondere Struktur mit über 80 000 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die
dort tätig sind. Nur ungefähr 800 hauptamtliche Mitarbeiter halten diese Organisation aufrecht. Wenn wir an
die Flut vor einem Jahr in Deutschland denken, so stellen wir fest, dass es das Technische Hilfswerk war, das
gemeinsam mit anderen herausragende Arbeit geleistet
hat.
Wir wollen das Technische Hilfswerk auf der Ebene
der Ortsvereine maßgeblich stärken. Auf dieser Ebene
wird nämlich hervorragende Jugendarbeit geleistet und
wird immer wieder Nachwuchs für das THW rekrutiert.
Wir investieren in die dortige Aus- und Fortbildung und
mit 7 Millionen Euro in die Verbesserung seines Fuhrparks. Das ist eine gute Sache. Vielen Dank allen, die dafür gesorgt haben, dass uns das gemeinsam geglückt ist.
({7})
Wir erhöhen die Mittel für die Bundeszentrale für
politische Bildung um 10 Millionen Euro. 3,5 Millionen
Euro davon fließen an eine sehr bunte Trägerschaft von
Angeboten in ganz Deutschland, die mit der Bundeszentrale für politische Bildung kooperiert. Politische Bildung in unseren Bundesländern ist nach unserer festen
Überzeugung ein wichtiger Baustein dafür, dass Menschen Angebote in ihrer Region wahrnehmen können,
die letztendlich zu mehr Verständnis und mehr Wertschätzung gegenüber unserer Demokratie beitragen. Es
handelt sich also um ein wertvolles Instrument im
Kampf gegen rechts und dessen Nährboden. Die entsprechenden Angebote werden von jungen Menschen in einem ganz großen Umfang wahrgenommen - Gott sei
Dank.
Neben dem Bundesfreiwilligendienst stärken wir den
Heimkinderfonds Ost mit insgesamt 35 Millionen Euro.
Für die Finanzierung der HIV-Stiftung stellen wir
10 Millionen Euro bereit. Die Zuschüsse für den AsseFonds sind verdoppelt worden. In den nächsten Jahren
werden sie sogar verdreifacht; später werden sie dann
verstetigt. Mit der Bereitstellung von 85 Millionen Euro
stärken wir den Rückbau von Forschungsreaktoren in
Deutschland. Das alles sind wichtige Aufgaben. Ich
denke, es ist besonders wichtig, zu erwähnen, dass wir
das alles machen und am Ende eine Neuverschuldung
von trotzdem nur 6,5 Milliarden Euro vornehmen. Das
ist schon eine Leistung.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass
mein Kollege André Berghegger von der Union seine
Rede gestern mit einer Fußballerweisheit beendet hat,
als er sagte, dass das nächste Spiel immer das schwerste
ist.
({8})
Das nächste Spiel für uns Deutsche findet ja morgen gegen die USA statt. Aber für uns Haushälter ist das
nächste Spiel - um im Bild zu bleiben - die Aufstellung
des Haushalts für das Jahr 2015. Dafür haben wir uns
eine Menge vorgenommen, vor allen Dingen natürlich,
die Nettoneuverschuldung auf null zu senken.
Wir wissen natürlich auch, dass die Herausforderungen 2015 enorm sein werden. Wenn der Bund die Einnahmen aus der Brennelementesteuer zurückzahlen muss,
sind womöglich Steuerausfälle im Umfang von mindestens 3 Milliarden Euro gegenzufinanzieren. Deutschland
profitiert seit Jahren von historisch unglaublich niedrigen Zinsen. Das niedrige Zinsniveau hat unseren Bundeshaushalt in den letzten Jahren um zweistellige Milliardenbeträge entlastet. Das heißt, wir haben gespart,
ohne uns dafür wirklich anstrengen zu müssen. Das wird
möglicherweise nicht so bleiben. Wir können also durchaus irgendwann in Schwierigkeiten kommen. Risiken
dieser Art schweben über uns. Aber nachdem wir diesen
Haushalt so gut und kollegial miteinander aufgestellt haben, bin ich von Zuversicht getragen, dass wir das auch
in den nächsten drei Jahren schaffen werden.
({9})
Dabei wollen wir den Pfad der verstärkten Investitionen
in die Bereiche Bildung und Infrastruktur weitergehen.
Für diese Bereiche soll also mehr Geld zur Verfügung
gestellt werden, und zwar seriös finanziert.
Ich freue mich, dass wir die Beratungen über den
Haushalt 2014 erfolgreich abgeschlossen haben. Aber
schon mit dem Kabinettsbeschluss nächste Woche starten wir in die Beratungen über den Haushalt 2015.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank. - Für den Bundesrat spricht jetzt Sven
Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Sachsen.
Sven Morlok, Staatsminister ({0}):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute
Morgen in Ihrer Rede die Frage nach den Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung in den nächsten Jahren gestellt. In der Tat, die Lage ist gut. Die Rahmenbedingungen stimmen aber nicht, zumindest nicht in
jedem Fall. Es fehlen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, aber es fehlen insbesondere auch Investitionen im Bereich der privaten Wirtschaft.
Sie haben, Frau Bundeskanzlerin, auf der CeBIT die
Eröffnungsrede gehalten und sind auch heute auf das
Thema „Industrie 4.0“ eingegangen. Insofern ist schon
deutlich geworden: Sie haben die Herausforderungen erkannt, vor denen wir angesichts dieser technologischen
Veränderungen stehen. Die Zielstellung „ein schnelles
Internet, flächendeckend in ganz Deutschland, Übertragungsraten von 50 Megabit - und das bis 2018“ ist eine
Zielstellung, die wir nachdrücklich unterstützen. Wenn
wir uns aber einmal fragen, was bisher erreicht wurde,
erkennen wir: Das sieht schon etwas anders aus. Wir haben ein Ministerium für digitale Infrastruktur. Wir haben
einen Minister für digitale Infrastruktur.
({1})
Was fehlt, ist das Geld. Wir haben kein Geld für digitale
Infrastruktur. Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie da auf die
digitale Dividende verweisen, dann greifen Sie zu kurz.
Die digitale Dividende wird erst im Jahr 2016 zur Verfügung stehen. Wenn man 2018 am Ziel sein möchte, kann
man nicht erst 2016 anfangen.
Nächstes Thema: Verkehrsinfrastruktur. Herr Schneider
hat bereits auf die Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz hingewiesen. In der Tat: Es fehlen 40 Milliarden
Euro. 2,7 Milliarden Euro - so war der Vorschlag braucht man jedes Jahr, um allein den Instandhaltungsrückstau zu beseitigen. Das, was Sie zusätzlich
bereitstellen, ist nicht einmal die Hälfte dessen, was
die Verkehrsminister länderübergreifend und damit auch
parteiübergreifend gefordert und als sachgerecht angesehen haben.
Sie wollen die Rente mit 63 mit 160 Milliarden Euro
finanzieren, nehmen aber die Sperrung von Straßen und
Brücken billigend in Kauf. Deutschland, sehr geehrte
Staatsminister Sven Morlok ({2})
Damen und Herren, hätte kein Rentenpaket gebraucht;
ein Infrastrukturpaket wäre dringend nötig gewesen.
({3})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das falsche Paket geschnürt.
Ich möchte das einmal an zwei Ministerien der Regierung deutlich machen. Da haben wir das Ministerium für
Arbeit und Soziales. Das ist - ich sage es einmal salopp das Ministerium, in dem das Geld eher verteilt wird.
Dann haben wir das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Das ist das Ministerium, in dem man
eher in die Zukunft investiert.
({4})
Das sind das Gegenwartsministerium und das Zukunftsministerium. Wir haben nicht zu wenig Geld im Bundeshaushalt; das Geld steckt im falschen Ministerium.
Schauen wir uns die Situation in der Wirtschaft an!
„Abschied auf Raten“, das titelte die Welt am Sonntag
und schrieb: Deutsche Konzerne flüchten aus der Heimat. - In der Tat, es gibt Sorgen um den Investitionsstandort Deutschland. Bei den Investitionen hält man
sich zurück. Wir haben einen Investitionsstau. Ursachen
dafür sind die fehlenden Mittel für die öffentliche Infrastruktur und die Rente mit 63; es fehlen Fachkräfte, und
jetzt werden zusätzlich welche weggenommen. Auch der
Mindestlohn ist ein entscheidendes Problem. Sehr geehrte Damen und Herren, es sind eben die Bäcker und
die Fleischer und der kleine Laden um die Ecke in der
Nahversorgung im ländlichen Raum, bei denen die Arbeitsplätze verloren gehen werden. Auch im Taxigewerbe können wir eine flächendeckende Versorgung
24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche nicht gewährleisten.
Herr Staatsminister, denken Sie bitte an die Redezeit.
({0})
Sven Morlok, Staatsminister ({1}):
Gerne.
Die ist abgelaufen.
({0})
Kommen Sie bitte zum Schluss. Einen letzten Satz gewähre ich Ihnen noch.
Sven Morlok, Staatsminister ({1}):
Die Politik, die Sie betreiben - Sie verlagern Kosten
in den nächsten Haushalt; Beispiel Rente: Die Rentenkassen sind leer -, ist keine nachhaltige Politik. Das, was
Sie machen, erfolgt eher nach dem Motto „Nach mir die
Sintflut“. Das ist nicht generationengerecht und auch
nicht verantwortungsvoll.
Vielen Dank.
({2})
Der Kollege Dr. Peter Tauber ist der nächste Redner
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser
Haushalt enthält mehrere Meilensteine. Auf zwei dieser
Meilensteine, vor allem aus Sicht der jüngeren Generation, will ich eingehen.
Zunächst aber, lieber Herr Gysi - hier muss ich Sie in
die Pflicht nehmen -, ein Wort zu Ihnen. Sie haben eine
Chance verpasst. Sie hätten in Ihrer Replik auf die Rede
unseres Fraktionsvorsitzenden die Chance gehabt, geradezurücken, was Mitglieder Ihrer Partei an unerträglichen Aussagen rund um den Konflikt in der Ukraine
vom Stapel lassen. Sie hätten die Chance gehabt, geradezurücken, wie es die Linke mit den Institutionen und Repräsentanten unseres Staates, ganz besonders mit Blick
auf den Bundespräsidenten, hält. Das haben Sie nicht getan. Sie haben etwas anderes getan, und das ist noch viel
schlimmer. Sie haben den Eindruck erweckt, dass es in
einer großen Partei normal sei, dass einem nicht jede
Aussage eines Parteifreundes jeden Tag Freude bereitet.
An diesem Punkt gehe ich sogar mit; das kann ich persönlich nachvollziehen. Aber der große Unterschied
zwischen den Linken und allen anderen demokratischen
Parteien in diesem Hohen Hause ist: Wenn es zu einer
solchen Entgleisung kommt, dann ist für Christdemokraten, Sozialdemokraten und auch für Grüne unmissverständlich klar, dass dieser Mann, diese Frau, dieses Mitglied oder dieser Funktionsträger - in Ihrem Fall reden
wir von einem Landtagsabgeordneten; das ist kein beliebiges Parteimitglied - sich entschuldigt und im Zweifel
auch die Konsequenzen zieht, zurücktritt und das Amt
zur Verfügung stellt. Das geschieht in allen Parteien bei
einer entsprechenden Entgleisung, in Ihrer Partei nicht.
Deswegen ist die Nivellierung, die Sie betreiben, Hohn
und Spott gegenüber den Werten, für die diese Demokratie steht. Sie haben wieder bewiesen, wohin Sie eigentlich gehören und woher Sie kommen.
({0})
Zu den zwei wesentlichen Meilensteinen in diesem
Haushalt, an denen unsere Fraktion Anteil hat, hier ganz
besonders die jüngeren Kolleginnen und Kollegen in der
Jungen Gruppe, die bei uns mit 25 Männern und Frauen
stark vertreten ist.
({1})
- Ich bin leider ein bisschen zu alt dafür, auch wenn ich
im Gegensatz zu Ihnen noch jung genug aussehe, lieber
Herr Kollege Kindler.
({2})
- Wenn er eine so billige Vorlage macht, muss ich den
Elfer verwandeln. Das ist wie morgen Abend. Da zählt
das Tor; entscheidend ist auf dem Platz.
Der ausgeglichene Haushalt, den wir vor Augen haben, und die strukturelle Neuverschuldung, die so niedrig ist wie seit Ende der 60er-Jahre nicht mehr, sind ein
ganz klares Signal an die junge Generation, dass wir es
mit einem Ausgleich der Interessen von Jung und Alt in
diesem Land ernst meinen. Deswegen passen das Rentenpaket und der ausgeglichene Haushalt zusammen.
Wir haben uns nämlich vorgenommen, dass wir eine
Politik für alle Generationen machen, dass wir niemanden gegeneinander ausspielen. Nach dem Rentenpaket
ist dies das Signal an die junge Generation.
({3})
Der erste Meilenstein ist der ausgeglichene Haushalt,
den wir vor Augen haben und den wir realisieren wollen.
Es gibt einen zweiten Meilenstein, der für die junge
Generation mindestens genauso wichtig ist. Das ist der
Einzelplan, in dem es um Bildung und Forschung geht.
Wir haben seit 2005 die Ausgaben in diesem Bereich um
84 Prozent erhöht; das ist fast eine Verdoppelung. Damit
hängen viele Dinge zusammen: die Finanzierung der
Exzellenzinitiative bis zum Jahr 2017. Über das BAföG,
das der Bund künftig komplett übernimmt, ist schon gesprochen worden. Aber neben den Zahlen, die sich ganz
konkret im universitären Alltag und in der Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen abbilden, steht ein ganz anderer Gedanke, um den es mir
hier geht. Wir müssen deutlich machen, dass diese Republik ihre klügsten Köpfe nicht nur ehrt, wenn sie etwas
Besonderes geleistet haben, sondern dass wir sie auf
dem Weg dahin begleiten und ihnen eine Grundlage dafür geben, dass Innovation, Forschung und Fortschritt in
diesem Land willkommen sind und wir nicht verzagt
sind, wenn sich neue Chancen und Technologien ergeben. Wir wollen, dass Deutschland Vorreiter ist. Wir
brauchen eine neue Gründerzeit in diesem Land. Das
bringen wir mit diesem Etat zum Ausdruck. Deswegen
ist der Haushalt, den wir auf den Weg bringen, ein ganz
wichtiger Meilenstein.
({4})
Gestern wurde Karlheinz Brandenburg zum dritten
Mal die Ehrendoktorwürde verliehen, von der Polytechnischen Universität Valencia. Jetzt weiß nicht jeder, wer
Karlheinz Brandenburg ist.
({5})
Das ist der Erfinder des MP3-Formats. Wichtig ist, dass
wir immer wieder über solche Persönlichkeiten reden.
Das sind die Vorbilder, die wir brauchen. Es lohnt sich,
diesen Männern und Frauen nachzueifern. Genau das
müssen wir der jungen Generation vermitteln - deswegen mehr Geld für Bildung und Forschung -: Es lohnt
sich, sich anzustrengen; es lohnt sich, in diesem Land etwas zu leisten. Das ist der Geist, den auch dieser Bundeshaushalt atmet. Deswegen würde ich Ihnen empfehlen, zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Martin Dörmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute auch über den Haushalt für den Bereich „Kultur und Medien“. Da ist uns in der Schlusskurve wirklich ein Coup gelungen. Während der noch
von der Vorgängerregierung erstellte Entwurf eine Absenkung des BKM-Haushaltsansatzes um fast 6 Prozent
vorsah, konnten wir den Etat nun, da die SPD an den Beratungen beteiligt war, im parlamentarischen Verfahren
um 7,5 Prozent, das heißt um 90 Millionen Euro, steigern. Insgesamt beträgt er jetzt 1,3 Milliarden Euro. Wir,
das sind die Kultur- und Medienpolitiker sowie die zuständigen Haushälter beider Koalitionsfraktionen. Bei
ihnen allen möchte ich mich ebenso herzlich bedanken
wie bei unserer Staatsministerin.
({0})
Das war eine sehr gute Zusammenarbeit, geprägt von
dem Willen, die ehrgeizigen Vorhaben des Koalitionsvertrags umzusetzen und gemeinsam ein deutliches Zeichen für Kultur und Medien zu setzen. Das ist uns gelungen, und daran knüpfen wir im Herbst an, wenn wir den
Haushalt für 2015 verhandeln. Ich will daran erinnern,
dass es noch nie einen Koalitionsvertrag gab, der sich so
konkret und ausführlich mit dem Bereich „Kultur und
Medien“ beschäftigte. Dieses Programm gilt es nun
Schritt für Schritt umzusetzen.
Lassen Sie mich einige der wichtigsten Verbesserungen im Haushalt für 2014 darstellen; meine Fraktionskollegin Hiltrud Lotze wird weitere benennen. Insgesamt ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass kulturelle
Substanz gesichert, gleichzeitig aber auch neue Impulse
gesetzt werden können. Das sehr erfolgreiche und segensreiche Denkmalschutzprogramm beispielsweise
wird mit Mitteln in Höhe von 29 Millionen Euro wieder
aufgelegt. Dadurch können nicht nur unser national bedeutsames kulturelles Erbe gefördert und Kulturdenkmäler gepflegt werden; davon profitieren auch kleine und
mittlere Betriebe, die zum Teil noch alte Handwerkstechniken einsetzen. Das ist Kulturförderung im besten
Sinne - keine Subvention, sondern eine Investition in die
Zukunft.
({1})
Nationale Kultureinrichtungen in Ostdeutschland, bei
denen es immer noch erheblichen Investitionsbedarf
gibt, werden weiterhin mit 4 Millionen Euro jährlich gefördert. Das ist ein gutes Signal, gerade 25 Jahre nach
der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung.
Es deutet an, welcher kulturelle Wert in den neuen Ländern vorhanden ist und zum Teil noch wiederentdeckt
werden muss. Das wollen wir fördern.
Wir setzen zusätzliche Mittel ein, um unser nationales
Filmerbe zu digitalisieren und zukünftig auch auf neuen
Wegen zugänglich zu machen. Wir wollen auch den Kinos in der Fläche helfen, die als kulturelle Orte unheimlich wichtig sind, aber die Kosten der Digitalisierung
nicht alleine tragen können.
Als eines der zentralen medienpolitischen Anliegen
möchte ich die Stärkung der Deutschen Welle hervorheben. Ich freue mich, dass es mit diesem Haushalt gelingt,
dort eine echte Trendwende hinzubekommen. Nachdem
in den vergangenen Jahren die Mittel zwar stabil geblieben sind, aber aufgrund der Kostensteigerungen faktisch
eine Kürzung stattfand, machen wir nun mit einem Aufwuchs von 10 Millionen Euro deutlich, dass wir die
Deutsche Welle als unseren Auslandssender stärken wollen. Das gilt umso mehr, als die Welt in vielen Ländern
im Umbruch ist, sei es in der Ukraine, im arabischen
Raum oder auf dem afrikanischen Kontinent. Mit den
verbesserten finanziellen Möglichkeiten wird die Deutsche Welle in die Lage versetzt, diesen Herausforderungen besser zu begegnen. Zudem unterstützen wir den
Sender ganz wesentlich in seinem derzeitigen Reformprozess, der neue Schwerpunkte setzt und die Reichweite der Deutschen Welle weiter erhöhen wird. Lassen
Sie mich als Sozialdemokrat sagen: Ich bin sehr froh,
dass dieser Umstrukturierungsprozess laut den Ankündigungen des Intendanten ohne betriebsbedingte Kündigungen vonstatten gehen wird.
Ich möchte auch noch etwas zu einem Projekt sagen,
das sich zwar nicht in einem ausgewiesenen Haushaltstitel findet, aber von uns umgesetzt wird: der Mediendatenbank. Nachdem diese 2012 erstmalig realisiert werden konnte, geht es nun darum, sie weiterzuentwickeln.
Seitens der Länder gibt es bereits Signale, dass sie bereit
sind, über die Landesmedienanstalten ihren Anteil zu
leisten. Noch bestehende Finanzierungslücken werden
wir - darauf haben wir uns in der Koalition bereits verständigt - im BKM-Haushalt entsprechend abbilden. Die
in der Mediendatenbank erfassten Daten ermöglichen
eine bessere Beurteilung von Meinungsmacht und deren
crossmedialen Auswirkungen. Das ist angesichts des zunehmenden Drucks auf die Pressevielfalt ein gutes und
notwendiges Projekt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss
möchte ich noch kurz einen Blick auf den nächsten
Haushalt werfen; denn bereits nächste Woche legt die
Bundesregierung den Entwurf für 2015 vor, der uns
gleich nach der Sommerpause im Parlament beschäftigen wird. Innerhalb der Koalition sind wir uns einig,
dass wir uns in den nächsten Monaten unter anderem mit
der Frage auseinandersetzen müssen, wie die vielfältigen
Vorhaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausfinanziert werden. Zudem werden wir selbstverständlich
den Anspruch des nächste Woche zu verabschiedenden
gesetzlichen Mindestlohnes auch für den Kultur- und
Medienbereich einlösen. Es ist übrigens darüber hinaus
auch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema, in
dem zum Teil von hoher Selbstausbeutung geprägten
Kultur- und Medienbereich darauf zu drängen, dass über
den Mindestlohn hinaus Tarifverträge und soziale Standards nicht nur vereinbart, sondern auch eingehalten
werden.
Lassen Sie mich ein Fazit zum Haushalt für den Bereich „Kultur und Medien“ ziehen. Die Koalition ist auf
einem guten Weg. Wir halten, was wir versprechen, und
wir haben uns für die Zukunft noch einiges vorgenommen. Gerade in diesen Tagen der Fußballweltmeisterschaft gilt der viel zitierte Satz von Sepp Herberger:
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Übrigens hat er 1954
die deutsche Mannschaft zur Fußballweltmeisterschaft
geführt. Ich deute das als gutes Omen. Das ist keine
sportliche Prognose, aber dennoch eine Hoffnung. Ich
hoffe, sie wird eingelöst.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Marco Wanderwitz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Dörmann hat in vielem, was er heute gesagt
hat, recht, zum Beispiel darin, dass wir im Kultur- und
Medienausschuss traditionell seit vielen Jahren fraktionsübergreifend gut zusammenarbeiten. Lieber
Siegmund Ehrmann, ich glaube, das hat auch etwas damit zu tun, dass du als neuer Ausschussvorsitzender weiter in diese Kerbe schlägst. Du bist ein guter Ausschussvorsitzender; das würden alle deine Ausschussmitglieder
unterschreiben. Hab herzlichen Dank dafür.
({0})
Die enge Zusammenarbeit der Kultur- und Medienpolitiker in der Großen Koalition begann bereits während der Koalitionsverhandlungen. Zehn Seiten des Koalitionsvertrages gehören dem Bereich „Kultur und
Medien“, so viel wie noch nie zuvor. Das zeigt, welchen
Stellenwert dieses Politikfeld für unsere Koalition hat.
Wir sind froh, dass uns das gelungen ist.
Wir haben uns natürlich auch Hausaufgaben gegeben,
die wir abarbeiten wollen. Wir haben in den Koalitionsvertrag geschrieben: Wir wollen den Kulturhaushalt „auf
hohem Niveau weiterentwickeln“. Ich glaube, mit den
für 2014 vorgesehenen 1,29 Milliarden Euro ist uns das
recht gut gelungen. Ich möchte mich bei unseren Haushältern ganz herzlich bedanken - ich sehe Rüdiger Kruse
für unsere Fraktion hier sitzen -: Ihr seid einerseits natürlich Haushälter, so wie Haushälter eben sind - ihr
müsst das Geld zusammenhalten -;
({1})
andererseits - und das habe ich bei allen Haushältern im
Kultur- und Medienbereich wahrgenommen - seid ihr
auch Kämpfer für Kultur und Medien. Es ist gut, wenn
man als Fachpolitiker solche Haushälter an seiner Seite
hat.
Unsere neue Kulturstaatsministerin hat ihre Feuertaufe bestanden, sowohl in den letzten Wochen und Monaten in Bezug auf viele inhaltliche Themen als auch
jetzt bei diesem Haushalt. Dass die Schuhe, die Bernd
Neumann nach acht Jahren hinterlassen hat, ziemlich
groß waren, konnte man nicht nur in den Zeitungen lesen. Das ist uns allen bewusst, die wir acht schöne Jahre
mit ihm als Kulturstaatsminister - es waren acht gute
Jahre für die Kultur in Deutschland - erlebt haben. Ich
denke, liebe Monika Grütters, die Schuhe passen ganz
gut. Ich habe gestern Abend Bernd Neumann getroffen
und ihm das so gesagt. Ich glaube, auch er ist sehr zufrieden damit, wie der Übergang funktioniert hat. Er ist
sehr froh und glücklich, dass Kultur und Medien in unserem Land weiterhin in guten Händen sind.
({2})
Ich will aufgrund der Kürze der Zeit nur einige wenige Inhalte ansprechen:
Wir haben uns vorgenommen, die Künstlersozialversicherung zu reformieren. Das ist ein ganz wichtiges
kulturpolitisches Projekt dieser Bundesregierung. Das
Schöne ist, dass wir so schnell liefern konnten. Die
Künstlersozialversicherung ist eines der wichtigsten Instrumente zur sozialen Absicherung der Künstlerinnen
und Künstler. Wir erweitern jetzt die Überprüfungsmöglichkeiten, stärken die Abgabegerechtigkeit und stabilisieren den Beitragssatz. Ich glaube, damit hat die Künstlersozialversicherung in Deutschland Zukunft, und das
ist gut so; denn sie sucht in Europa ihresgleichen.
({3})
Wenn wir sagen, dass Künstlerinnen und Künstler oft in
einer schwierigen sozialen Lage sind - das wissen wir -,
dann müssen wir fast zwangsläufig darüber reden, dass
Künstlerinnen und Künstler von ihrer kreativen Arbeit
besser leben können sollen. Damit sind wir bei dem
Thema Urheberrecht in der digitalen Zeit. Dieser Aspekt
kommt mir in der Debatte immer viel zu kurz. Deswegen
will ich dieses Thema heute ansprechen. Es geht um
Menschen, die hinter diesem geistigen Eigentum stehen.
Darüber müssen wir reden. Wir als Koalition müssen natürlich auch an dieser Stelle liefern. Wir haben uns fest
vorgenommen, hierbei zu Verbesserungen zu kommen.
Ich bin sehr optimistisch, dass der zuständige Bundesjustizminister uns in Bälde einen ersten Aufschlag in
diese Richtung geben wird.
({4})
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Nachdem
Martin Dörmann zum Thema Deutsche Welle im Grunde
alles gesagt hat, will ich nur noch Folgendes sagen:
Auch wir unterstützen die wichtigen Reformen, die Peter
Limbourg als neuer Intendant auf den Weg gebracht hat.
Wir werden seine Arbeit in den Gremien der Deutschen
Welle begleiten und im Bundestag darüber diskutieren.
Ich will noch ganz kurz den deutschen Film ansprechen. Wir haben es geschafft, die Mittel für den Deutschen Filmförderfonds auf dem hohen Niveau von
60 Millionen Euro zu verstetigen. Unser Ziel ist - so
steht es auch im Koalitionsvertrag -, ihn zu entfristen,
um noch mehr Planungssicherheit zu erreichen. Ich
denke, das ist ein gutes Zeichen für den deutschen Film,
aber auch für den internationalen Filmstandort Deutschland. Deswegen freue ich mich sehr, dass uns auch das
gelungen ist.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Harald Petzold,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Alle freuen sich über die zusätzlichen 90 Millionen Euro im Haushalt 2014 für Kultur und Medien. Ich
freue mich mit.
({0})
Das ist gut so. Ich sage Ihnen aber auch: Ob dieses Mehr
tatsächlich auch ein Besser sein wird, da habe ich meine
Zweifel. Das will ich Ihnen an drei Beispielen ganz kurz
begründen und nachweisen:
({1})
Das erste Beispiel - Herr Kauder, Sie können gleich
gut zuhören - ist das Sonderprogramm Denkmalschutz.
Wir freuen uns natürlich, dass dafür 29 Millionen Euro
zusätzlich zur Verfügung stehen sollen. Ich sage aber
auch: Es bleibt ein Sonderprogramm. Damit haben die
Länder und die Kultur keine Planungssicherheit. Ich
sage auch: Sie wissen um die finanziell klamme Situation der Länder und Kommunen. Also werden nur die
reichen Bundesländer tatsächlich von diesem Programm
Gebrauch machen können.
({2})
Das bleibt unsere Kritik. Da fordern wir Nachbesserungen.
Zweitens. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür,
dass das Sonderprogramm zur Sanierung der Konzentrationslager-Gedenkstätten eingestellt werden soll. Wir haben von der Kanzlerin groß und breit etwas über das notwendige Gedenken aus Anlass des 100. Jahrestages des
Ersten Weltkrieges gehört. Ich frage mich: Wie soll
künftig das Gedenken an die vielen Tausenden Toten in
den Konzentrationslagern finanziert werden, wenn das
Sonderprogramm eingestellt wird? Auch hier fordern
wir Nachbesserungen. Das halten wir nicht für zulässig.
({3})
Harald Petzold ({4})
Drittens: Medienpolitik. Der Kollege Dörmann hat
richtigerweise gesagt, wir freuen uns über die zusätzlichen 10 Millionen Euro für die Deutsche Welle. Wenn
ich mir das genau anschaue, stelle ich fest, dass das Reformprojekt genau das Problem ist.
({5})
So wie es aussieht, soll der Sender nämlich in einen Verkündigungssender für die deutsche Außenpolitik umgewandelt werden.
({6})
Anstatt die 10 Millionen Euro zu benutzen, um endlich
mit den prekären Beschäftigungsverhältnissen, mit den
unsicheren Beschäftigungsverhältnissen in diesem Sender Schluss zu machen, freuen Sie sich darüber, dass das
ohne betriebsbedingte Kündigungen über die Bühne gehen soll.
({7})
Wer soll denn noch gekündigt werden? Es ist eine große
Unsitte im journalistischen Bereich, mit vielen freien
Mitarbeitern und prekären Beschäftigungsverhältnissen
zu arbeiten. Die Linke wird an diesem Problem dranbleiben.
({8})
Außerdem fordern wir in der Medienpolitik eine größere Anstrengung sowohl des Bundes als auch der Länder beim Thema „Medienbildung“. Mein Fraktionsvorsitzender hat in seinem Redebeitrag heute sehr engagiert
über die Macht der Medien gesprochen.
({9})
Wenn wir daraus tatsächlich Konsequenzen ziehen wollen, dann die, dass wir dem Thema „Medienbildung“ einen viel größeren Stellenwert beimessen, als das gegenwärtig der Fall ist. Dazu finde ich in unserem
Bundeshaushalt nichts. Deswegen fordern wir als Linke
hier eine vereinigte Initiative von Bund und Ländern ein.
({10})
Die Bundeskanzlerin sagt, Deutschland soll künftig
sowohl Anker als auch Motor sein. Das mit dem Anker
bekommen wir vielleicht mit dem Bundeshaushalt hin
und verharren auf der Stelle. Motor sind wir noch nicht.
Da müssen wir noch viel nachbessern.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Hiltrud Lotze.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Besuchertribünen! Auch für den Bundeshaushalt 2014 haben die Haushälter der Fraktionen wieder eine Allianz für die Kultur
gebildet. Die Kulturpolitik bekommt 90 Millionen Euro
mehr, als im Etat vorgesehen war. Insgesamt beläuft sich
der Etat jetzt auf 1,3 Milliarden Euro. Ich sage noch einmal herzlichen Dank an alle, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Dies zeigt, dass die Parlamentarier in
diesem Hohen Hause die Kulturpolitik wertschätzen,
und das aus gutem Grund; denn in keinem anderen Politikfeld werden die Fäden so sehr von der Vergangenheit
über die Gegenwart in die Zukunft gesponnen wie in der
Kulturpolitik.
Kultur ist für uns alle identitätsstiftend. Sie ist der
Nährboden für Vielfalt. Kultur - so hat es Dietrich
Bonhoeffer einmal gesagt - ist der Spielraum der Freiheit. Sie zu erhalten und zu fördern, ist deswegen eine
unserer vornehmsten Aufgaben.
Das Gedenken und Erinnern ist ein wichtiger Teil von
Kultur. Es bewahrt uns davor, geschichtsvergessen zu
sein, und es befähigt uns auch, aus der Geschichte zu lernen. Erinnern ist Arbeit, kann sehr harte Arbeit sein.
Manchmal ist es auch sehr schmerzhaft, nämlich dann,
wenn wir die Opfer betrauern oder weil wir über die
Auseinandersetzung mit unserer Geschichte Fehler und
Versäumnisse der Vergangenheit erkennen. Zugleich
würdigen wir aber mit Gedenken und Erinnern das Lebensschicksal von Menschen, von Verfolgten, Flüchtlingen und Vertriebenen, um nur drei Gruppen stellvertretend zu nennen.
Gedenken und Erinnern ist auch Mahnung zu Frieden
und Versöhnung. Es kann auch beglückend sein, nämlich
dann, wenn wir uns an gelungene Ereignisse unserer Geschichte erinnern. In jedem Fall hilft uns Gedenken und
Erinnern bei der Bewusstseins- und Meinungsbildung.
Es hilft uns auch, eine Haltung zur Vergangenheit, zur
Gegenwart und zur Zukunft zu entwickeln.
Diese Auffassung spiegelt sich auch in den Projekten
wider, die jetzt finanziell gefördert werden. Als die zuständige Berichterstatterin für das Thema „Gedenken
und Erinnern“ will ich vier Projekte benennen. Da gibt
es zum Ersten das Denkmalschutz-Sonderprogramm,
das mein Kollege Martin Dörmann schon erwähnt hat.
Ich will noch einmal auf die Bedeutung von Denkmälern als Zeugnisse unserer Geschichte eingehen. Ich bin
überzeugt davon, dass sich die Bürgerinnen und Bürger
in unseren Städten und Gemeinden leichter mit ihrer
Heimat identifizieren und leichter mit Geschichte auseinandersetzen, wenn sie sehen, dass vor Ort ein Denkmal, ein Wahrzeichen oder ein Gebäude saniert und so
für die Nachwelt gesichert wird.
In meiner Stadt, der Hansestadt Lüneburg, ist es zum
Beispiel das mittelalterliche Rathaus aus dem Jahre 1230.
In Lüchow-Dannenberg, das auch zu meinem Wahlkreis
gehört, sind es die weltweit einzigartigen Rundlingsdörfer. Ich glaube, jeder von Ihnen hat vor seinem geistigen
Auge Denkmäler aus seiner Stadt, aus seiner Region.
Wenn das nicht so ist, dann lohnt es sich vielleicht, ein
bisschen genauer hinzuschauen, zum Beispiel am Tag
des offenen Denkmals am 14. September. Dass dieses
Sonderprogramm im Übrigen auch für das Handwerk
vor Ort sehr gut ist, hat mein Kollege schon gesagt.
Zweitens möchte ich das mehrjährige Projekt „100 Jahre
Gegenwart“ des Hauses der Kulturen der Welt zum Ersten Weltkrieg und seinen Folgen nennen. Es wird mit
15 Millionen Euro gefördert. Hier geht es um die Auseinandersetzung mit der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Wir sehen und hören davon in diesen Tagen sehr
viel. Es geht darum, aus dieser Erfahrung Schlüsse zu
ziehen für unser heutiges Zusammenleben, für unsere
heutige Gesellschaft und für unsere Art und Weise, Politik zu machen.
Drittens möchte ich die Projekte zum Reformationsjubiläum nennen, die jetzt ebenfalls mit zusätzlichem
Geld ausgestattet werden. Die Bedeutung der Reformation für Freiheit, Bildung, Politik, Toleranz und Musik
geht weit über den kirchlichen Wirkungskreis hinaus.
Die Reformation war ein Wendepunkt der Geschichte,
der nicht nur Deutschland, sondern auch Europa für immer verändert hat. Deswegen ist es gut, richtig und wichtig, auch hier Geld einzusetzen.
Viertens und abschließend möchte ich das Bauhausjubiläum im Jahr 2019 nennen. Die Künstler und Architekten der damaligen Zeit, Walter Gropius, Oskar
Schlemmer und andere, haben vor fast 100 Jahren mit
ihrer Utopie den Sprung in die Moderne möglich gemacht und haben mit ihrem Design Standards gesetzt.
Im Jahr 2019 feiern wir 100 Jahre Bauhaus. Das ist ein
Ereignis, das auch international viel Aufmerksamkeit erregen wird und das der Bund finanziell unterstützt. Für
2014 stehen der Stiftung Bauhaus Dessau und dem Bauhaus-Archiv in Berlin zusätzlich jeweils 500 000 Euro
für Planungen zum Jubiläum zur Verfügung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, August Strindberg
hat einmal gesagt: „Die ganze Kultur ist eine große, endlose Zusammenarbeit.“ Beim Kulturetat 2014, besonders
im parlamentarischen Verfahren, hat die Zusammenarbeit gut funktioniert und zu einem guten Ergebnis
geführt. Ich denke, das ist auch Anerkennung für Kulturschaffende und Institutionen. Für uns, für meine Kolleginnen und Kollegen und mich, ist es zugleich Motivation und Auftrag, im nächsten Haushalt wieder für die
Kultur zu streiten. Das werden wir tun.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Ulle Schauws,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wer Kultur fördert, der fördert auch die Freiheit, die Demokratie und
eine vielfältige Gesellschaft. Aber eine starke Kultur
braucht auch ein starkes Fundament und verlässliche
Rahmenbedingungen. Dafür Sorge zu tragen, das muss
unser prioritäres Ziel in der Kulturpolitik sein. Sie,
meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
stellen diese verlässlichen Rahmenbedingungen aber gerade auf die Probe. Denn bei den laufenden TTIP-Verhandlungen wäre ein klares Signal für den Schutz der
Kultur absolut notwendig.
({0})
Sie müssen daher sicherstellen, dass dieser Schutz der
Kultur beim Freihandelsabkommen auch garantiert wird.
Beschwichtigende Lippenbekenntnisse reichen da nicht
aus, Frau Staatsministerin. Die Kulturschaffenden in diesem Land und auch wir Grünen werden Ihnen erst vollständig glauben, wenn wir einen garantierten und umfassenden Schutz der Kultur und Medien bei TTIP schwarz
auf weiß vor uns haben, ohne Wenn und Aber. So lange
- das müssen Sie so hinnehmen - bleiben begründete
und auch berechtigte Zweifel bestehen.
Kultur als Handelsware ist ein Worst-Case-Szenario,
nicht nur für Kulturschaffende. Gerade der Streit zwischen YouTube und den Independent-Labels der Musikbranche muss Sie doch aufhorchen lassen. Er zeigt doch
deutlich, wie schnell eine Schieflage durch ungleiche
Wettbewerbsbedingungen entsteht. Hier werden letztlich
Existenzgrundlagen der Kleinen wirklich gefährdet. Das
finde ich völlig inakzeptabel.
({1})
Ein starkes Fundament für die Kultur braucht aber
auch eine solide finanzielle Grundlage. 1,29 Milliarden
Euro, das ist ein schöner Ansatz, aber Geld allein macht
noch keine gute Kulturpolitik. Durch die Haushaltspolitik der Regierung sind auch in diesem Jahr viele gute
und sinnvolle Projekte auf der Strecke geblieben. Ich
nenne nur ein paar. Was ist denn mit der Einführung eines Fonds für neue Musik? Fehlanzeige. Den Haushaltsantrag der Grünen-Bundestagsfraktion haben Sie, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
abgelehnt, und dies, obwohl der Koalitionsvertrag vollmundig die Einführung eines ebensolchen Fonds verspricht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
auch an anderer Stelle haben wir Ihren Einsatz vermisst.
Die Stärkung des Deutschen Filmförderfonds haben Sie
vielerorts angekündigt und versprochen. Am Ende haben
nur wir Grüne für eine Aufstockung des Fonds plädiert.
Das ist bedauerlich, und das können Sie auch nicht mehr
kleinreden.
({2})
Ich will noch eines sagen: Nur auf unsere Initiative
hat der Haushaltsausschuss die finanzielle Stärkung des
Bundesverbandes Soziokultur und der Kulturstiftung des
Bundes aufgegriffen. Das wiederum ist wirklich sehr zu
begrüßen.
Jetzt zu Ihnen, liebe Frau Staatsministerin Grütters.
Auch Sie sprechen ja gerne über unser Verständnis als
Kulturnation. Allerdings zeigt Ihr Ansatz im Kulturhaushalt einen eindeutigen Förderschwerpunkt in Berlin. Für
mein Empfinden ist das ein sehr einseitiges Verständnis
von Kulturnation. In Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt:
… was in dieser Hauptstadt kulturell gelingt, wird
in den Augen der Welt dem ganzen Land gutgeschrieben.
Wenn ich das so höre, dann frage ich mich: Für wen machen Sie Ihre Kulturpolitik? Um was geht es Ihnen? Um
Berlin und das kulturpolitische Ansehen Deutschlands
im Ausland oder um die Menschen in diesem Land?
({3})
Für mich ist Berlin nicht, wie Sie, Frau Grütters, sagen, „unser aller Mittelpunkt“. Berlin ist die Hauptstadt,
ja, das ist richtig, und das ist wichtig. Aber die Kultur in
Berlin ist nicht mehr wert als die Kultur in jeder anderen
Stadt in diesem Land oder in den ländlichen Bereichen.
Hinzu kommt, dass Berlin jetzt schon mehr als genug
kulturpolitische Großbaustellen hat. Die Freiheits- und
Einheitsdenkmäler in Berlin, aber zum Beispiel auch in
Leipzig, sind 15 Millionen Euro teure Nationalsymbole,
die die Nation und die Bürgerinnen und Bürger so jedenfalls nicht wollen. Das ist also keine wirklich gute Idee.
Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir
Grüne eine qualifizierte Sperrung der Mittel und ein Moratorium für beide Bauvorhaben, und zwar so lange, bis
die Voraussetzungen für würdige Gedenkorte geschaffen
sind.
({4})
Nun zu der von Ihnen angestoßenen erneuten Debatte
über einen Museumsbau auf der Museumsinsel in Berlin. Frau Grütters, Sie machen ja keinen Hehl aus Ihrer
Vision, dass die Alten Meister auf der Museumsinsel zu
sehen sein sollen. Aber diese Debatte in Zeiten zu führen, in denen sich die Kosten vieler kulturpolitischer
Bauvorhaben überschlagen, ist eindeutig das falsche Signal.
({5})
Nicht zuletzt ist da die größte aller Baustellen: das
Berliner Stadtschloss. Die bauliche Hülle ist nicht das
einzige Problem. Nein, große Fragezeichen gibt es im
Bereich der inhaltlichen Konzeption des Humboldt-Forums. Bis heute ist nicht klar, wo die Reise überhaupt
hingehen soll. Stattdessen verschieben Sie diese entscheidende Debatte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag und
reden laut über Personalfragen. Aber das ist doch der
zweite vor dem eigentlich ersten Schritt. Davon abgesehen müssen diese Personalentscheidungen auf jeden Fall
öffentlich und durch eine Findungskommission begleitet
werden. Da sage ich Ihnen ganz klar: Eine Entscheidung
über eine Intendanz in Hinterzimmern werden wir nicht
akzeptieren.
({6})
Noch ein Punkt. Auch über das Thema „Raub- und
Beutekunst“ müssen wir reden, wenn wir über das
Humboldt-Forum sprechen. Frau Grütters, gerade in der
Debatte um Raub- und Beutekunst dürfen Sie das Thema
„Koloniale Kunst“ nicht länger von der Hand weisen.
Aus dieser Verantwortung, der wir uns stellen müssen,
werden wir Grüne Sie nicht entlassen.
({7})
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, will
ich noch ein Wort darüber verlieren, worauf es bei der
Kulturpolitik neben den verlässlichen Rahmenbedingungen ganz wesentlich ankommt. Wir brauchen den Willen, Kultur für alle erlebbar zu machen. Dazu gehört der
Mut, finanzielle Mittel auch kleinen Initiativen in der
ganzen Bandbreite zur Verfügung zu stellen. Auch in der
Kulturpolitik ist es unsere Pflicht, nachhaltig zu wirtschaften und die eingesetzten Mittel gerecht zu verteilen.
Das gilt für eine Verteilung im ganzen Land, und das gilt
auch im Hinblick auf eine Verbesserung der sozialen und
wirtschaftlichen Lage der Kulturschaffenden. Denn nur
so erhalten wir eine Kultur der echten Vielfalt und Freiheit, und zwar in der gesamten Republik.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Rüdiger Kruse,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Von einigen Vorrednern wurden die Haushälter
ja gelobt; da haben Sie natürlich recht. Es ist aber so,
dass wir im Rahmen zwischen dem Wünschbaren und
dem Vertretbaren geblieben sind. Das ist auch die Aufgabe von Haushältern.
Bei Kultur fällt es leicht, mit relativ wenig Geld gute
Akzente zu setzen. Für mich ist das vielzitierte Denkmalschutzprogramm die Einstiegsdroge in die Kulturförderung. Man muss ja mit irgendetwas anfangen, und es
ist am leichtesten, mit diesem Thema Zustimmung zu
gewinnen; denn es gibt eine breite Zustimmung - nicht
nur hier im Hause, sondern in der ganzen Republik -,
dass wir das Vergangene vor dem Vergehen bewahren
wollen.
Darin darf sich Kulturpolitik aber nicht erschöpfen.
So haben wir auch andere Akzente gesetzt, zum Beispiel
beim Reformationsjubiläum, mit dem wir über ein die
deutsche Geschichte prägendes Thema reflektieren.
Neu ist der Akzent, den wir mit „100 Jahre Gegenwart“ setzen. Wenn 100 Jahre zur Gegenwart erklärt
werden, kommt man ins Nachdenken, wie das denn gehen soll. Damit ist nicht gemeint, dass wir uns nach langen Sitzungen so fühlen, als wären wir 100 Jahre alt.
100 Jahre können jedem Menschen tatsächlich gegenwärtig sein; denn das ist der Zeitraum, aus dem er direkte Informationen bezieht. Meine Großmutter zum
Beispiel ist 1903 geboren; somit war sie am Ende des
Ersten Weltkriegs 15 Jahre alt. Das heißt, ich hatte einen
Zugang zu einer direkten Zeitzeugin aus dieser Zeit. Was
sie mir erzählt hat, ist ganz anders in meinem BewusstRüdiger Kruse
sein verankert als der mir natürlich auch bekannte Krieg
von 1870/71; das ist für mich ein geschichtliches Datum,
bei dem ich nur auf geschichtliche Quellen zurückgreifen kann, weil niemand mir davon direkt berichten
konnte. So geht es jeder Generation: Die Dinge in einem
Erlebnisraum von etwa 100 Jahren sind uns tatsächlich
gegenwärtig und prägen damit unser aller Entscheidungen.
Das Narrativ der Europäischen Union setzt bei der
Jahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkriegs und den
Veränderungen in der Gesellschaft auf. Es war übrigens
auch der Erste Weltkrieg, der als Erster mit der Armbanduhr geführt worden ist; erst dadurch konnte er überhaupt so werden, wie er war, das heißt, die Industrialisierung war dort angekommen. Dies zu reflektieren und die
Entscheidungen zu sehen, die wir vor diesem Hintergrund treffen, ist eine spannende Aufgabe.
Ein wichtiger Akzent ist auch, dass wir zum zweiten
Mal - nachdem wir das Anthropozän-Projekt gemacht
haben, also die Frage, inwieweit der Mensch die Erde inzwischen so dominiert, dass es rein geologisch schon ein
Zeitalter des Menschen geben müsste - einen offenen
Diskurs anregen. Es ist ja nicht üblich, dass Politiker Sachen in Auftrag geben, bei denen sie vorher noch keine
Meinung haben, was hinterher dabei herauskommt. Aber
bei beiden Prozessen machen wir das so. Wir haben einen offenen Prozess für vier Jahre gestaltet, und wir haben ihn jetzt sehr auskömmlich ausgestattet: mit 15 Millionen Euro. Das Ganze findet statt im Haus der
Kulturen der Welt, das nicht zufällig in absoluter räumlicher Nähe zu diesem Haus liegt und zum Bundeskanzleramt. Das heißt, wir haben hier eine Möglichkeit, einen
Denkraum zu fördern, zu entwickeln, der uns Impulse
liefert und dem wir Impulse geben können, in dem wir
einen gesellschaftlichen Diskurs führen können. Ich
glaube, es steht dieser Republik sehr, sehr gut an, dass
wir in dieser Art und Weise mit Themen umgehen, die
auch internationales Interesse berühren.
({0})
Ich glaube, dass dieser Prozess auch etwas verändert,
so wie in dieser langen Linie seit der Wiedervereinigung
das Verhalten dieser Nation sich verändert hat: dass wir
jetzt - das muss man sich ja einmal vorstellen! -, nach
100 Jahren, eine neue Debatte über den Ersten Weltkrieg
führen. Wenn wir es schaffen, dass wir eine Institution
haben, der wir als Parlament uns, der sich aber auch die
Bundesregierung und alle Bürger dieses Landes und
auch die Bürger anderer Länder bedienen können, um
sich intellektuell den Themen der Zeit zu nähern, dann
haben wir etwas geleistet, was über unsere sonstige Vierjahresplanung weit hinausgeht. Das ist die eigentliche
Leistung: dass aus diesem Haus, dass vom Parlament
dieser Impuls ausgegangen ist, dass wir uns diese Möglichkeit schaffen, wir gleichzeitig aber gute Haushälter
und gute Abgeordnete sind, die die Nachhaltigkeit des
Haushaltes nicht infrage stellen.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der letzte Redner
oder die letzte Rednerin vor einer namentlichen Abstimmung steht immer vor besonderen Herausforderungen,
weil sehr viel Bewegung entsteht.
Das Wort hat jetzt Annette Schavan, die sich mit ihrer
Rede von uns verabschieden möchte. Ich muss sagen,
nicht nur mich erfüllt das mit Wehmut; denn wir alle
kennen sie als eine engagierte, streitbare, geradlinige,
aufrichtige und immer faire Kollegin. Wir bedauern das
und wünschen alles Gute für die Zukunft. Wir werden
uns sicher wiedersehen.
Danke schön.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Regierung und Opposition
haben in einer Debatte wie der heutigen - das liegt in der
Natur der Sache - unterschiedliche Bilder von dem
Land, in dem sie leben. Irgendwie fand ich auch heute
morgen, wie an vielen Tagen der letzten Jahre, dass diese
Unterschiedlichkeit nicht nur in dem manchmal so kritisierten Sinn Streit ist, sondern auch den Esprit der Politik und der Parlamentsarbeit ausmacht.
Wir haben hier in diesem Hause in solchen Debatten
ganz unterschiedliche Bilder von Deutschland, aber das
eine oder andere Thema zog sich durch den ganzen Vormittag, zum Beispiel der Paradigmenwechsel, den wir
nach vielen Jahren bei der Konsolidierung des Haushalts
erreicht haben. Er ist ein starkes Signal an die junge Generation
({0})
und macht dieses Land noch zukunftsfähiger und attraktiver für junge Leute. Es gilt nicht nur für Berlin, aber
hier erleben wir es besonders: Deutschland ist für junge
Leute aus aller Herren Länder immer attraktiver geworden.
Wenn es so etwas wie politische Ziele eines ganzen
Parlamentes gibt, dann ist es doch ein solches Ziel, dass
Deutschland mit seinen 16 Ländern und vielen attraktiven Standorten besonders attraktiv für junge Leute und
Talente aus aller Welt ist. Deutschland muss auch in den
nächsten Jahren Talentschmiede sein. Dafür legt dieser
Haushalt das Fundament.
({1})
In mancher Rede ist gefragt worden - zuletzt auch in
der Rede über die Kulturpolitik -, ob wir uns nicht besser mehr in Deutschland als international engagieren
sollten. Durch unser nationales und internationales Engagement in vielen Politikbereichen wissen wir - auch
das zeigt dieser Haushalt in vielen Ressorts -: Das, was
wir in Deutschland und international tun - ich persönlich
habe es in der Bildungs- und Forschungspolitik erlebt -,
sind nur zwei Seiten einer Medaille. Das sind keine Alternativen. Deutschland ist ein Motor nicht nur in Europa, Deutschland ist Motor für Innovationen in vielen
Bereichen auch international, im globalen Dialog und in
den globalen Verhandlungen.
({2})
Wie in den letzten Jahren auch ist dieser Haushalt
wieder einmal ein Haushalt, der die Zukunftschancen
der jungen Generation verbessert. Wenn man mich fragt,
was ich in all den Jahren in der Politik getan habe, dann
antworte ich, dass ich in Wirklichkeit nur ein Thema
hatte: die Zukunftschancen der jungen Generation. Ich
bin zutiefst davon überzeugt: Es ist eine der vornehmsten Aufgaben jeder guten und überzeugenden politischen
Kultur, nicht gegenwartsverliebt zu agieren und sich
nicht in dem zu erschöpfen, was hier und heute wichtig
ist, sondern bei allen Entscheidungen und allen Projekten den Blick auch auf die nächste Generation zu richten,
auf deren Kreativität, auf deren Gestaltungswillen, auf
deren Leistungsbereitschaft und auf deren Talente.
({3})
Ich finde, dass dieser Haushalt über Deutschland hinaus - ich denke an unsere europäischen Nachbarn, an
die Partner, mit denen wir regelmäßig zu tun haben auch ein starkes Signal dafür ist, dass uns die Zukunftschancen der jungen Generation so sehr am Herzen liegen
und dass wir es in diesem Parlament nicht akzeptieren
werden und nie akzeptieren dürfen, dass 25 Prozent der
jungen Erwachsenen im Alter bis 25 Jahre in Europa
ohne Berufsperspektive sind.
({4})
Das ist ein europäischer Skandal. Wir in Deutschland haben viele Möglichkeiten, aufgrund unserer Erfahrungen
deutlich zu machen, wie europäische Weichenstellungen
aussehen können.
In diesem Zusammenhang möchte ich aber vor einem
warnen. Der eine oder andere Redner hat heute Morgen
gesagt, das Bildungssystem in Deutschland sei völlig undurchlässig und produziere nicht das, was junge Leute
brauchen. Das Bildungssystem in Deutschland spiegelt
unsere Überzeugung wider - diese ist fraktionsübergreifend präsent -, dass eben nicht nur das akademische Studium der Königsweg ist, sondern dass anspruchsvolle
berufliche Bildung, die damit verbundenen Berufsbilder
und die damit verbundene berufliche Selbstständigkeit
für uns gleichbedeutend und gleichwertig sind. Deshalb
dürfen wir uns in diesem Parlament nicht verrückt machen lassen. Die große Bandbreite unseres Bildungssystems ist seine Stärke; sie sollte zu einer europäischen
Stärke werden.
({5})
Den Abschluss jeder Haushaltsdebatte über den
Kanzleretat am Mittwoch bildet die Kulturpolitik. Wenn
Bildung und Forschung für uns die Quellen künftigen
Wohlstands sind und wenn wir davon überzeugt sind,
dass die Zukunftschancen der jungen Generation nur gewahrt, gestärkt und verbessert werden können, wenn wir
die Quellen des künftigen Wohlstands pflegen, dann ist
das, was in der Kulturpolitik geschieht, die Quelle des
kulturellen Wohlstands. Auch das gehört zur Attraktivität unseres Landes. Auch das gehört zu dem, was junge
Leute in Deutschland und in Europa suchen: kulturelle
Substanz; Orte, an denen deutlich wird, von welchen
Überzeugungen die Gesellschaft in Deutschland und die
europäischen Gesellschaften geprägt sind, was die geistige und spirituelle Substanz dieses Kontinentes ausmacht oder, wie Jacques Delors einmal gesagt hat, was
die Seele Europas ausmacht. Damit hat die Kulturpolitik
viel zu tun. Deshalb ist es ein starkes Signal, dass die
Kulturpolitik in diesem Jahr erneut einen Zuwachs erfährt.
({6})
Meine Damen und Herren, wir alle haben in den letzten Jahren erlebt, was es heißt, dass die Kunst der Politik
nicht in erster Linie der Umgang mit dem Bekannten und
dem Erwartbaren ist. Vielmehr ist die Kunst der Politik
da besonders gefragt, wo es um das Unerwartete geht. Es
geht darum, ob in einer Situation, in der alles anders
wird, als es bislang war, die eigenen Ziele, die Prioritäten und die Bilder, die wir mit dem jeweiligen Haushalt
verbinden, beibehalten werden.
Ich finde, gerade angesichts der Veränderungen und
der noch nicht überwundenen Finanzkrise gehört zu den
großen Leistungen der Bundesregierung, der Großen
Koalition, dass sie in diesem Haushalt an ihren Prioritäten festhält: Bildung und Forschung, die Kräfte des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft, die kulturelle Substanz und der große internationale Einsatz. Das ist ein
zukunftsträchtiger Haushalt, um den uns viele beneiden.
Diese Haushaltsdebatte ist ganz anders als viele Haushaltsdebatten, die in anderen europäischen Parlamenten
geführt werden und geführt werden müssen.
Meine Damen und Herren, die Präsidentin - jetzt ist
ein Präsident da - hat vorhin gesagt: Meine Fraktion hat
mir die Gelegenheit gegeben, heute diese wenigen Worte
zu einem Thema zu sagen, das mich zeit meines politischen Lebens innerlich bewegt hat. Dafür danke ich sehr.
Ich danke für gutes Miteinander und faires Ringen im
Hohen Hause. Ich danke auch für die Situationen, in denen nach einem Streit neue Gemeinsamkeit gewonnen
werden konnte. Zur Gemeinsamkeit kommt man ja nicht
ohne Streit; man muss zwischendurch auch streiten dürfen.
Ich war gerne Mitglied des Parlamentes. Ich war
gerne in der Politik. Ich sage herzlichen Dank für gutes
Miteinander und wünsche Ihnen allen, den Mitgliedern
des Hohen Hauses, dem Parlament und den Mitgliedern
der Bundesregierung, von Herzen persönliches Wohlergehen und Gottes Segen.
({7})
Liebe Kollegin Schavan, gestatten Sie auch mir, Ihnen ein dreifaches Dankeschön auszusprechen. Die Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses haben sich erhoben, und daran können Sie die Wertschätzung
erkennen, die Sie hier im Deutschen Bundestag bei den
Kolleginnen und Kollegen genießen.
Ich möchte Ihnen für Ihre Rede danken, ich möchte
Ihnen für viele Jahre erfolgreiche, sympathische und vor
allem auch sehr kollegiale Zusammenarbeit in diesem
Hohen Hause danken, und ich möchte Ihnen für viele
Jahre verantwortliche Führung des Ministeriums für Bildung und Forschung danken. Für Ihre neue Aufgabe in
der Ewigen Stadt, 1 500 Kilometer weiter südlich, wünschen wir Ihnen Glück und selbstverständlich Gottes Segen.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte
ich Ihnen mitteilen, dass interfraktionell vereinbart wor-
den ist, die Beratung der Einzelpläne 14, Verteidigung,
und 23, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, zu tauschen. - Nachdem sich kein Widerspruch er-
hebt, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstan-
den sind.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in
der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/1824 vor. Über diesen werden wir zuerst abstim-
men. Wir stimmen also jetzt über den Änderungsantrag
der Grünen ab. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt,
den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Änderungsan-
trag mit den Stimmen der Großen Koalition von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlich
ab. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen an dieser
Stelle auf drei weitere namentliche Abstimmungen am
heutigen Tag hinweisen. Die namentlichen Abstimmun-
gen über Bundeswehreinsätze werden in etwa einer hal-
ben Stunde bzw. in einer guten Stunde erfolgen. Die
vierte namentliche Abstimmung erfolgt dann zum Ein-
zelplan 23. Durch den soeben beschlossenen Tausch in
der zeitlichen Abfolge wird diese nach jetzigem Stand
bereits gegen 18 Uhr stattfinden.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich
fragen, ob die Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt
sind? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Ab-
stimmung über den Einzelplan 04.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich sehe jetzt niemanden
mehr, der seine Stimme abgeben möchte. Dann schließe
ich hiermit die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen wie üblich später bekannt gegeben.1)
Ich bitte, jetzt wieder zu einem etwas geringeren Pegel der Besprechungsintensität zurückzukehren, damit
wir in der Tagesordnung fortfahren können.
Ich rufe Tagesordnungspunkt III auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1})
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen
Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali ({2}) auf
Grundlage der Resolution 2100 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2013
Drucksachen 18/1416, 18/1811
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/1812
Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser
Debatte ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/
CSU, dem ich hiermit das Wort erteile.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute abschließend über die Fortsetzung des
MINUSMA-Mandats, der Multidimensionalen Integrier-
ten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in
Mali. Blicken wir zurück. Diese Mission ist seit etwa ei-
nem Jahr in Kraft und ist zu einem tatsächlichen Stabili-
täts- und Erfolgsfaktor in Mali geworden. Die malische
Regierung kann in Teilbereichen des Landes ihre Verant-
wortung wahrnehmen, in einigen Teilbereichen aber
noch nicht. Trotzdem ist es im November bzw. Dezem-
ber letzten Jahres gelungen, eine Präsidentschafts- und
eine Parlamentswahl durchzuführen. Einzelne Bereiche
des Landes sind aber für humanitäre Hilfe und zivile
Krisenprävention nicht erreichbar. Deshalb brauchen wir
MINUSMA. Diese Mission besteht aus rund 9 000 Sol-
1) Ergebnis Seite 3727 D
daten, Polizisten sowie zivilen Helferinnen und Helfern,
insbesondere Fachexperten. Die Bundeswehr beteiligt
sich mit 150 Soldatinnen und Soldaten.
Was ist unsere Aufgabe dabei? Sie besteht zunächst in
der Gewährleistung sowohl des Lufttransports von MINUSMA-Truppen in das Land als auch des taktischen
Lufttransports innerhalb des Landes. Des Weiteren leisten wir Luftbetankung. Das alles sind sehr sinnvolle und
wichtige Aufgaben. Wir sollten daran denken, dass dort
insgesamt 40 Staaten engagiert sind und dass wir einen
wesentlichen Beitrag im Bereich der Versorgung leisten.
Wenn wir allerdings die Berichterstattung der Medien in
dieser Woche betrachten, dann stellen wir fest, dass die
Vereinten Nationen infolge einer Überarbeitung ihrer
Truppenbereitstellung künftig auf deutsche Flugzeuge
bis auf Weiteres verzichten möchten. Folglich wird die
Bundeswehr die beiden Transall-Maschinen zunächst
abziehen, aber in Bereitschaft halten. Ich möchte die
Haushaltswoche dazu nutzen, uns ins Bewusstsein zu rufen, dass wir für unsere Streitkräfte eine ausreichende
Ausstattung brauchen, die dazu geeignet ist, auch in
heiklen Klimazonen zu bestehen.
({0})
Es ist für uns sicherlich ein gutes Zeichen, dass wir
nach einer gewissen Zeit Teile unserer Besatzungen wieder herauslösen können. Trotzdem möchte ich auf ein
Wort unseres Bundespräsidenten verweisen, der vor kurzem sehr klar hervorgehoben hat, dass wir in Krisenregionen nicht von vornherein die Befähigung zum Einsatz
in hochintensiven Gefechten aufgeben dürfen. Das bedeutet aber auch, dass wir in Europa, insbesondere in
Deutschland und Frankreich, über unsere Sicherheitskultur nachdenken müssen. Unsere rationalen Überlegungen in den letzten 20 Jahren haben sich bewährt. Wir haben immer gesagt: Deutschland ist von Freunden und
Partnern umgeben. - Aber es geht nicht mehr um unsere
Freunde und Partner, weder in der Östlichen Partnerschaft noch im fragilen Süden. Ich nenne als Beispiele
die Ukraine und Libyen. Deshalb kommt es mir am
Rande dieser Haushaltswoche sehr darauf an, auf die
nachhaltige Finanzierung unserer Bundeswehr zu drängen.
In Mali leisten wir nicht nur militärische Einsätze.
Die Bundesrepublik Deutschland ist im Rahmen des vernetzten Ansatzes sehr stark in den Bereichen der zivilen
Krisenprävention und der humanitären Hilfe engagiert.
Insgesamt sind es rund 20 Millionen Euro seit dem letzten Jahr. Das beweist aber auch, dass wir im Rahmen des
vernetzten Ansatzes in der Lage sind, wertvolle Hilfe
und Beiträge zu leisten. Das ist nicht eine Frage der Zahl
der Soldaten oder der unterstützenden und beratenden
Kräfte. Vielmehr ist es eine Frage der Fähigkeiten, die
wir einbringen, sowie der Verlässlichkeit und des Vertrauens.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich deshalb abschließend als Außenpolitiker noch auf
einen anderen Aspekt verweisen. Wenn wir in Deutschland im Kerngehäuse Europas für unsere Nachbarstaaten
und für unsere Freunde verlässlich Sicherheit bereitstellen, dann müssen wir auch genauso verlässlich und sicher mit Blick auf Afrika die Lage um Mali bewerten. Es
nützt uns nichts, uns ausschließlich auf die Mission in
Mali zu konzentrieren, wo wir mit einer EU-Mission zur
Ausbildung malischer Soldaten präsent sind.
Wir dürfen eines nicht außer Acht lassen: Eine der
Hauptursachen für die Krisen und Konflikte im nördlichen Afrika ist der Staatszerfall in Libyen. Wir haben
seinerzeit gut daran getan, uns nicht an der Mission gegen Libyen zu beteiligen. Allerdings haben wir auch
nicht viel beitragen können, um eine Folgemission zu
verantworten. Wir müssen uns in den nächsten Jahren intensiv mit Libyen befassen,
({1})
um diesen Ort der Proliferation von konventionellen
Waffen, diesen Ort des Rückzugsgebiets des internationalen Terrorismus wieder auf ein Niveau zu heben, das
Libyen die Rückkehr in eine gleichberechtigte Partnerschaft mit anderen Staaten in der Region ermöglicht.
Ich bitte Sie deshalb abschließend, dem MINUSMAMandat zuzustimmen. Wir haben bereits erhebliche
Fortschritte zu verzeichnen. Ich glaube, das Engagement
der Bundeswehr ist aller Ehren wert. Ich danke allen, die
für diesen Einsatz geworben haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine
Buchholz, Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin von der Leyen, Sie lassen keine Gelegenheit
aus, um die Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr zu bewerben. Letzte Woche haben Sie in New
York nach dem Gespräch mit UN-Vize Eliasson auch die
Leitung sogenannter UN-Friedensmissionen in Aussicht
gestellt. Es soll der Eindruck entstehen: Nicht die Bundesregierung drängt überall mit Soldaten hin, sondern
die UNO ruft die Bundeswehr.
({0})
Dann die große Überraschung: MINUSMA, die UN-geführte Militärmission in Mali, erklärt, auf den deutschen
Beitrag zum Lufttransport von Soldaten verzichten zu
wollen.
Ich sage: Wir brauchen weder die alten Transall noch
moderne Transportmaschinen wie den A400M. Wir
brauchen überhaupt keine Bundeswehrmaschinen, die
Soldaten in den Krieg fliegen.
({1})
Das Problem, Herr Kiesewetter, ist auch nicht die veraltete Ausstattung, die nicht auf heikle Klimaregionen
ausgerichtet ist, das Problem ist, dass die sogenannten
Friedensmissionen der UNO völlig ungeeignet sind, um
Frieden zu schaffen. Das zeigt auch MINUSMA, der
UN-geführte Einsatz in Mali.
Der Einsatz der Bundeswehr in diesem Rahmen soll
die europäische Militärmission EUTM Mali ergänzen.
Die dabei ausgebildeten malischen Gefechtsverbände
- ich zitiere den Antrag der Bundesregierung - „sollen
… im Norden Malis zur … Wiederherstellung der staatlichen Integrität … eingesetzt werden“. Dieser Auftrag
hat direkte kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge
gehabt. Laut Nachrichtenagentur Reuters hat die malische Armee am 21. Mai einen Überraschungsangriff auf
die von Tuareg gehaltene Stadt Kidal gestartet. Mit dabei: Soldaten aus den mithilfe Deutschlands ausgebildeten Gefechtsverbänden. Das ist keine Friedensmission.
Das Ergebnis ist ein Desaster. Die Armeeoffensive
scheiterte und hinterließ 50 tote malische Soldaten. Der
malische Verteidigungsminister musste zurücktreten.
Doch die Bundeswehr meldet: Der nächste Ausbildungsgang hat schon begonnen. - Es zeigt sich einmal mehr:
Es geht nicht um Frieden in Mali. Es geht um die Stabilisierung einer Regierung, die dem Westen genehm ist.
Wie genehm, das können wir nur ahnen.
So kündigte die neue Regierung in Bamako im letzten
Herbst zunächst die Überprüfung der überaus unvorteilhaften Verträge mit den internationalen Bergbaukonzernen an. Dagegen machte die EU Druck. Seitdem haben
wir nichts mehr von einer Neuausschreibung gehört.
Fakt ist: Die Goldförderung boomt in Mali, doch von
dem Reichtum bleibt kaum etwas bei den Menschen im
Lande. Deswegen sagt die Linke: Nur wenn die sozialen
und wirtschaftlichen Probleme angepackt und gelöst
werden, kann es in Mali und der ganzen Sahelregion
dauerhaft Frieden geben.
({2})
Die internationale Militärintervention, die von Frankreich geführt und von Deutschland unterstützt wird, hat
kein Problem gelöst, aber sie hat humanitäre Notlagen
an anderer Stelle massiv verschärft. So sitzen immer
noch 140 000 Flüchtlinge in Zeltlagern fest, darunter
viele Tuareg. Der österreichische Standard hat in einer
eindrucksvollen Reportage darüber berichtet. Wallet
Fadimata, die Vorsitzende der Frauen des Flüchtlingscamps Goudebou an der Grenze zu Burkina Faso sagte
- ich zitiere -:
Wir hatten gehofft, dass Frankreich den Krieg beenden und für Recht und Ordnung sorgen würde.
Stattdessen kam es zu zahlreichen Verbrechen an
der Zivilbevölkerung. Es ist schlimmer als zuvor.
Während im Flüchtlingslager Goudebou verschiedene
Ethnien friedlich zusammenleben, hat die malische Armee, ermutigt durch den internationalen Militäreinsatz,
einen Rachefeldzug gegen Tuareg durchgeführt. Doch
die Bundesregierung ignoriert diese Realität. Denn eine
ehrliche Bilanz des Mali-Einsatzes kann nur zu einer
Schlussfolgerung führen: die Bundeswehrsoldaten aus
Mali zurückzuholen, die alten Transall-Maschinen zu
verschrotten. Sie brauchen auch keine neuen Transportmaschinen wie den A400M anzuschaffen.
Frau Buchholz, bevor Ihre Redezeit abgelaufen ist,
darf ich Sie noch fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder
eine Anmerkung des Kollegen Otte gestatten?
Eine Zwischenfrage stellen oder eine Anmerkung machen kann der Kollege Otte gerne, wenn ich den nächsten Satz beendet habe. - Dieses Geld wird an vielen anderen Stellen gebraucht, beispielsweise für viele
sinnvolle humanitäre und zivile Projekte in Mali, in der
Sahelregion und an vielen anderen Orten der Welt.
Vielen Dank.
({0})
Herr Kollege Otte, ich gebe Ihnen nun im Anschluss
an diese Rede die Möglichkeit zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident, herzlichen Dank. - Ich wollte Frau
Kollegin Buchholz fragen, ob sie bestätigen kann, dass
sie dabei war, als unser Ausschuss mit unserer Verteidigungsministerin Mali besucht hat, und dass die dortigen
Gesprächsteilnehmer uns gesagt haben, dass für sie am
wichtigsten ist, dass sie Stabilität bekommen, dass der
Staat über das Gewaltmonopol verfügt, um so eine
Grundlage für eine wirtschaftlich erfolgreiche und friedliche Entwicklung zu schaffen. Oder haben Sie damals
weggehört, als diese Gesprächsteilnehmer das unserer
Delegation gesagt haben?
Frau Kollegin Buchholz, möchten Sie darauf erwidern?
Aber gerne erwidere ich darauf. - Mich wundert es
nicht, dass die Vertreter der malischen Regierung und
des Militärs diese Einschätzung teilen. Aber die vielen
Vertreterinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen
Organisationen und beispielsweise auch die Menschen
in den Flüchtlingslagern haben einen anderen Eindruck.
Ich bitte Sie, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und
nicht nur auf diejenigen zu hören, auf die Sie hören wollen.
({0})
Bevor gleich der Kollege Wolfgang Hellmich reden
wird, darf ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
abgegebene
Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 471, mit Nein
haben gestimmt 116, Enthaltungen keine. Der Einzelplan 04 ist damit angenommen.
Vizepräsident Johannes Singhammer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon
ja: 471
nein: 116
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({8})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({14})
Lena Strothmann
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Vizepräsident Johannes Singhammer
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({15})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({16})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({17})
Sabine Weiss ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({19})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({20})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({21})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({23})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({24})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({25})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({27})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({28})
Matthias Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Carsten Schneider ({31})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({32})
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({33})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({34})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Vizepräsident Johannes Singhammer
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({35})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({36})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({37})
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang
Hellmich, SPD.
({38})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Anders als die Fraktion
der Linken - es ist immer wieder schön, zu sehen, welche Vorlagen gegeben werden - bin ich froh darüber,
dass die Franzosen den Vormarsch auf Bamako im Süden von Mali energisch aufgehalten haben. Sonst stünden wir hier nämlich und würden darüber reden, wie wir
mit einem dschihadistischen Regime in Mali umzugehen
haben, und wir würden nicht über die Frage sprechen,
wie wir sozialen und demokratischen Fortschritt sowie
Sicherheit in diesem Lande mit garantieren können.
({0})
Ich glaube, genau darin zeigt sich der Unterschied
zwischen Ihnen und uns: Sie würden einen solchen Vormarsch einfach in Kauf nehmen, weil Sie nämlich nicht
bereit wären, die malinesische Bevölkerung vor solchen
Angriffen aus dem Norden zu schützen. An diesem
Punkt unterscheiden wir uns grundsätzlich.
Wir Sozialdemokraten stimmen der Verlängerung dieses Mandates auf jeden Fall zu. Die Verlängerung dieses
Mandates ist nötig, um Fortschritte, die in Mali erzielt
worden sind, zu sichern und um darüber hinaus dazu beizutragen, dass der begonnene Prozess in Mali vorangehen kann. Dazu gehört vor allem eine demokratisch gewählte und legitimierte Regierung, die in diesem Lande
Verantwortung übernehmen will und übernehmen wird.
Dass dort überhaupt Wahlen durchgeführt werden konnten, ist der Unterstützung durch MINUSMA mit zuzuschreiben; denn logistische Bemühungen wurden vor allem im Rahmen dieses Mandates unterstützt. Es ist
Bestandteil des Mandats, auch an der Stelle für einen demokratischen Aufbau in Mali zu sorgen. Das ist gut so.
Deshalb brauchen wir diese Mission weiterhin.
Wir werden die Mission unterstützen, damit der Dialog, der mit den Tuareg begonnen worden ist zu der
Frage, wie denn ein dezentral organisierter Staat aufgebaut werden kann, so abgesichert stattfinden kann, dass
es dort zu einem Fortschritt und nicht zu Rückschritten
kommt. Ansonsten würden wir angesichts der terroristischen Bedrohung, die es nach wie vor aus dem Norden
Malis gibt und die auch ausgeübt wird, zu keiner Vereinbarung mit den Tuareg kommen können.
Ich denke, es gibt durchaus eine Verbesserung der humanitären Lage in Mali, wenn es um die Wasserversorgung und auch um die ärztliche Versorgung geht. Ärzte
ohne Grenzen werden über staatliche Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Ohne alle diese
Initiativen, die auch von NGOs breit mitgetragen werden, würde Mali letztendlich in einer Situation versinken, die die gesamte Region destabilisieren würde. Alle
benachbarten Länder sehen das auch so und unterstützen
den Prozess.
Es gibt keine Alternative dazu, diesen Weg mit
MINUSMA und anderen Elementen konsequent weiterzugehen. MINUSMA ist nur ein Baustein im Zusammenhang mit EUTM Mali, wo es um den Aufbau und
die Ausbildung der malischen Armee geht. Es ist ein
Element im Zusammenhang mit EUCAP, der europäischen Mission, in der im Sahel-Bereich und in Mali Polizeikräfte, Sicherheitskräfte und andere Kräfte im Bereich Staatsbildung ausgebildet werden.
In diesem gesamten Kontext ist MINUSMA zu sehen.
Es ist ein Kernelement, um dieses Land weiter nach vorn
zu bringen und den Menschen zu helfen. Es geht darum,
dafür zu sorgen, dass die 120 Millionen Euro, die im
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit nach Mali
gehen, nicht in einer kriegerischen Situation sozusagen verfrühstückt werden und letztendlich verloren
gehen. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Es gilt,
deutlich zu machen, worum es uns bei diesem Element
MINUSMA geht.
Richtig ist: Der Verzicht auf die Transall - das ist gerade genannt worden - ist letztlich eine technische
Frage. Auch auf der Grundlage der Anforderungen und
Bitten der malischen Regierung haben die UN nun eine
Veränderung ihres Kräftedispositivs und ihrer Strategie
vorgenommen und entschieden, sich stärker auf den
Norden Malis, aber auch auf den weiteren Ausbau von
humanitären Hilfen für Mali zu konzentrieren.
Das beinhaltet, auch Drohnen in Mali einzusetzen;
das will ich an der Stelle dazusagen. Die malische Regierung drängt auf diese Fähigkeit und bittet, sie einzusetzen, weil sie nämlich mit ihren eigenen Streitkräften
nicht in der Lage ist, die Region im Norden Malis komplett unter Kontrolle zu halten. Es braucht einen breiteren Ansatz an der Stelle, um die Situation im Norden
Malis in den Griff zu bekommen. Das ist der Kern, um
den es geht: im Norden Malis zu einer Situation zu kommen, die es ermöglicht, dass der malische Staat sich weiter aufbauen kann. Das ist ein Kernbestandteil dessen,
was MINUSMA zu leisten hat.
({1})
Unser eigener Beitrag in Mali ist vorhin genannt worden: 150 Soldatinnen und Soldaten werden eingesetzt;
das ist die Obergrenze. Im Moment ist es vor allem
Stabsarbeit, und es ist die Ausbildung von Soldatinnen
und Soldaten. Es geht aber auch um die Entwicklung der
malischen Armee und den Aufbau der zivilen Verwaltung.
Beispiel Kidal: Es wurde gerade genannt, was in Kidal falsch gelaufen ist. Zu entscheiden, mit einer dafür
nicht ausgebildeten Truppe in eine kriegerische Auseinandersetzung zu gehen, war ein Fehler. Dieser Fehler
hat zuerst einmal den malischen Verteidigungsminister
das Amt gekostet. Er hat die Verantwortung übernommen und ist zurückgetreten. Aber man hat es letztendlich
hinbekommen, auch in Gesprächen mit den Tuareg, die
Situation in Kidal wieder in den Griff zu bekommen und
zu erreichen, dass die Stadt nicht mehr kriegerisch belagert wird und sich nicht mehr in kriegerischen Auseinandersetzungen befindet. Auch administrativ hat man die
Lage wieder in den Griff bekommen. Das ist ebenfalls
ein Ergebnis dessen, dass MINUSMA mit den Kräften,
die dort sind, in diese Situation hineingegangen ist.
Wir sehen zu MINUSMA in Mali keine Alternative.
Deshalb stimmen wir der Verlängerung dieses Mandats
zu. Wir brauchen dieses Mandat. Wir brauchen die anderen Elemente, die anderen Initiativen, die dort tätig sind.
NGOs müssen arbeiten können, damit es humanitär weitergehen kann und diese Region in Afrika stabilisiert und
nicht destabilisiert wird mit der Folge, dass auch alle
Nachbarregionen destabilisiert werden. Damit sind wir
im Einklang mit all denjenigen, die in Afrika, in diesem
Land Mali selbst und in den benachbarten Ländern Verantwortung tragen. Deshalb stimmen wir der Verlängerung dieses Mandats zu.
Danke.
({2})
Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt der Kollegin Agnieszka Brugger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzte
Woche war Ministerin von der Leyen in den USA und
hat dort auch die Vereinten Nationen besucht. Wie für
Sie üblich, Frau Ministerin, gab es viele Schlagzeilen zu
dieser Reise. Eine davon war: Deutschland soll sich stärker innerhalb von VN-Friedensmissionen einbringen.
Diese Forderung ist richtig; denn Deutschland ist zwar
erfreulicherweise viertgrößter Geldgeber solcher Friedensmissionen, aber bei der Personalbereitstellung belegen wir nur Rang 48. Wir Grüne fordern schon lange
mehr Verantwortung und ein stärkeres Engagement bei
der Unterstützung der Vereinten Nationen für mehr Frieden und Sicherheit auf der Welt.
({0})
Aber noch während Sie Ihre schönen Pressestatements in New York gaben - zur gleichen Zeit fanden die
Beratungen des deutschen Beitrages zur VN-Mission
MINUSMA in Mali statt -, wurden wir von der Bundesregierung informiert, dass die Transallflugzeuge und ihre
Besatzung, die ein Großteil dieses Mandates bilden, in
Zukunft angeblich nicht mehr gebraucht werden und
demnächst abgezogen werden sollen, obwohl wir sie
heute hier mandatieren. Gleichzeitig erfahren wir aber,
dass Portugal an dieser Stelle einspringt. Ich finde, das
zeigt, wie viel Substanz sich hinter Ihren Versprechen
verbirgt. Einerseits versprechen Sie mehr Unterstützung
der Vereinten Nationen, und auf der anderen Seite stutzen Sie das deutsche Engagement bei einer Friedensmission. Das finde ich entlarvend, blamabel und unglaubwürdig.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, noch wichtiger als
die Bereitstellung von Transallflugzeugen ist es, eine
schlüssige, zivile Gesamtstrategie zur Lösung der Konflikte in Mali zu entwickeln. In den letzten Wochen und
Monaten gab es sehr besorgniserregende Vorfälle. Sie
sind hier schon angesprochen worden. In Kidal ist es zu
Protesten, Gewaltausbrüchen, Geiselnahmen und Todesopfern gekommen. Daraufhin haben die malischen Streitkräfte eine Offensive gestartet. Sie sind von den Rebellen der Tuareg besiegt worden und mussten fliehen. Die
Rebellen der Tuareg haben auch wieder Teile des Nordens unter ihre Kontrolle gebracht. Ich finde es immer
interessant, wie Sie von der Linkspartei, liebe Frau Kollegin Buchholz, es schaffen, auszublenden - das gehört
auch zur Wahrheit -, dass es ein Ende der Gewalthandlungen und einen Waffenstillstand gab und dass
MINUSMA dabei eine sehr zentrale und wichtige Rolle
gespielt hat.
({2})
Aber man sollte die Lage in Mali nicht schönreden.
Sie ist ernst, und sie bleibt fragil. Das sieht man an den
zahlreichen Regierungsumbildungen und vielen Rücktritten von Ministern, insbesondere aber daran, dass der
Versöhnungsprozess immer wieder ins Stocken gerät
und beide Seiten - sowohl die malische Regierung als
auch die Gruppen im Norden - diesen Prozess immer
wieder verzögern, verschleppen, teilweise sogar torpedieren und blockieren.
Meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun. Statt
Schaufensterreden und wolkigen Debatten über Afrika
geht es darum, konkret aufzuzeigen, wie wir mehr Personal für VN-Missionen zur Verfügung stellen können.
Hier geht es nicht nur um Militär, sondern vor allem um
zivile Expertinnen und Experten sowie um Polizeikräfte.
Frau Ministerin von der Leyen, ich erwarte, dass Sie
dann konkret sagen, wie Sie sich innerhalb der VN-Friedensmission einbringen wollen und wie Sie die Evaluation der Bundeswehrreform daraufhin ausrichten wollen.
Das betrifft auch bestimmte Fähigkeiten.
({3})
Ganz speziell für Mali gibt es viel zu tun. Aus den
Vorfällen in Kidal müssen Lehren für die VN-Mission
MINUSMA gezogen werden, aber auch für die EU-Ausbildungsmission, die vor Ort ist. Es ist noch einmal klargeworden, dass es ganz zentral ist, die politische Kontrolle über die malischen Streitkräfte zu verstärken. Für
die Lösung der Konflikte in Mali sind der politische Prozess und vor allem die Versöhnungsverhandlungen ganz
wichtig. Die internationale Gemeinschaft und auch
MINUSMA müssen diese weiter unterstützen und vorantreiben und beide Seiten in die Pflicht nehmen.
({4})
Den militärischen, zivilen und polizeilichen Einsatzkräften - auch den Transallbesatzungen der letzen
Jahre - gehört nicht nur unser Dank, sondern wir sollten
alles dafür tun, dass ihr Engagement nicht umsonst war
und wir am Ende des Tages einen engagierten und nachhaltigen Beitrag für mehr Frieden, Stabilität und Sicherheit für die Menschen in Mali leisten.
Vielen Dank.
({5})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Um die Entwicklungen in Mali richtig beurteilen und bewerten zu können, muss man sowohl kurzfristige Entwicklungen betrachten als auch langfristige Entwicklungen berücksichtigen. Kurzfristig betrachtet - da sind wir
uns alle einig -, gab es natürlich einen Rückschlag. Der
Besuch des Premierministers Moussa Mara in Kidal war
eine unnötige Provokation. Der Versuch der malischen
Streitkräfte, Kidal dann zu erobern, war von vornherein
zum Scheitern verurteilt. Die internationale Gemeinschaft hat Moussa Mara davon abgeraten, diesen Versuch zu unternehmen; er hat es trotzdem gemacht und ist
gescheitert. Man hat fast das Gefühl, die malische Regierung wollte zu schnell zu viel und hat dadurch genau das
Gegenteil erreicht. Die malische Armee ist empfindlich
geschwächt und demoralisiert. Plötzlich steht die Frage
im Raum: Wer hat den Angriffsbefehl gegeben? Die Autorität ist beschädigt, und das Vertrauen in verantwortungsvolles Handeln der Regierung ist auf allen Seiten
gestört.
Interessant ist aber, wie man in Mali selbst innenpolitisch mit diesem Rückschlag umgegangen ist. Es gab zu
dem Thema einen Misstrauensantrag im Parlament; es
gab eine lange, kontroverse Debatte, die in weiten Teilen
live im Fernsehen übertragen worden ist. Die Regierung
kam unter Druck; sie musste sich rechtfertigen und hat
umfassende Aufklärung versprochen. Die Art und
Weise, wie man damit umgegangen ist, ist für mich ein
Hoffnungsschimmer; denn es zeigt, dass dort zumindest
in Teilen wieder demokratische Verhältnisse herrschen,
auch wenn der staatliche Einfluss der malischen Regierung nicht weit in den Norden reicht.
Ein zweiter Lichtblick war, dass bereits zwei Tage
nachdem die malische Armee gescheitert ist, ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet worden ist und in der
Zwischenzeit auch die Separatistengruppen und die Regierung mit ihren ersten formellen Gesprächen begonnen
haben. Das könnte der Beginn des lange angekündigten,
aber bisher noch nicht stattgefundenen Verhandlungsprozesses sein.
Man darf aber auch nicht - das habe ich vorhin schon
gesagt - die längerfristige Perspektive aus den Augen
verlieren. Die Versöhnung zwischen den ethnischen
Gruppen wird keine Frage von wenigen Monaten oder
einigen Jahren sein, sondern eine Frage von Generationen. Der Status Nordmalis ist seit der Gründung des
Staates, seit Jahrzehnten umstritten. Konflikte mit den
Tuareg bestehen seit Jahrhunderten.
Es hat sich aber seit dem Putsch im Jahr 2012 einiges
verändert. Vielleicht das Wichtigste im Hinblick auf Versöhnung und Verhandlungen ist, dass Mali heute relativ
fest in ein Korsett internationaler Unterstützungs- und
Stabilisierungsmaßnahmen eingebunden ist. Sie haben
es vielleicht mitbekommen: Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben im April ihre Zahlungen gestoppt und gute Regierungsführung eingefordert; sie haben die Regierung unter Druck gesetzt und
darauf gedrängt, da zu liefern. Die Nachbarstaaten, zum
Beispiel Algerien, übernehmen eine große Verantwortung, laden die Rebellengruppen ein, um eine gemeinsame Verhandlungsposition zu erarbeiten, und setzen die
Regierung unter Druck.
Die Afrikanische Union hat zum Beispiel bei den
Verhandlungen über das Waffenstillstandsabkommen
massiv vermittelt, was dazu führte, dass es zustande
kommen konnte. Die Vereinten Nationen haben mit
MINUSMA eine umfassende Stabilisierungsmission auf
den Weg gebracht, die heute Teil der Debatte ist. Die Europäische Union, insbesondere auch Deutschland, hilft
nicht nur mit ihrem Beitrag zu MINUSMA, sondern leisDr. Reinhard Brandl
tet auch massive humanitäre Unterstützung und ergreift
Entwicklungshilfemaßnahmen.
Ich möchte noch auf das BMZ eingehen. Minister
Müller war vor einigen Wochen in Mali und hat die dortigen Projekte besucht. Es geht um die Stabilisierung
von Gemeindestrukturen, um Ernährungssicherung und
um die Wiederherstellung der Wasserversorgung. Allein
aufgrund der laufenden Projekte kann dort eine halbe
Million Menschen mit frischem Wasser versorgt werden.
Der Beitrag, den wir heute diskutieren, ist ein kleiner
Beitrag zu MINUSMA. MINUSMA ist keine Mission
unter unserer Führung. Das Angebot, das wir unterbreiten, nämlich die Logistik mit Transall-Maschinen zu unterstützen, darüber hinaus Luftbetankungen durchzuführen und als Berater in den Stäben von MINUSMA zu
operieren, ist ein Mosaikstein und eher ein kleiner Beitrag. Wie gesagt: Wir sind nicht in der Führung. Wir
müssen deshalb natürlich akzeptieren, wenn die VN aus
einsatztaktischen oder vielleicht aus finanziellen Gründen entscheidet, vorübergehend nicht auf unser Angebot
zurückzugreifen.
Meine Damen und Herren, wir können nur das anbieten, was wir haben. Ich appelliere an Sie, Mali und
MINUSMA weiter bei diesem langen Prozess in Richtung Frieden und Versöhnung zu unterstützen. Ich bitte
Sie deswegen um Zustimmung zu diesem Mandat.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission
der Vereinten Nationen in Mali ({0}). Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/1811, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/1416 anzunehmen.
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Plätze an den Abstimmungsurnen alle besetzt? -
Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.1)
1) Ergebnis Seite 3734 D
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der „United Nations
Interim Force in Lebanon“ ({2}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({3}) vom
11. August 2006 und folgender Resolutionen,
zuletzt 2115 ({4}) vom 29. August 2013 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksachen 18/1417, 18/1813
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/1814
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die hier vorne
stehen, bitten, sich hinzusetzen, damit wir mit der Debatte beginnen können?
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU.
({6})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über die Fortsetzung des UNIFILMandats im Libanon, an dem die deutsche Marine beteiligt ist. Ich möchte Ihnen die Fortsetzung dieses Mandats
für ein weiteres Jahr, bis zum 30. Juni 2015, empfehlen.
Das UNIFIL-Mandat besteht seit vielen Jahren. Ursprünglich 1978 zur Stabilisierung des Nahen Ostens,
nämlich zum kontrollierten Abzug der israelischen Truppen und zur Stabilisierung des Südlibanon, geplant, bekam es 2006 eine neue Dimension, indem das UNIFILMandat auf eine Maritime Task Force ausgeweitet
wurde, an der sich auch deutsche Marineeinheiten mit
Erfolg beteiligen. Es geht um die Wiedergewinnung der
libanesischen Staatshoheit über den Südlibanon sowie
die Sicherung der Seegrenzen. Es geht um die Ermöglichung der Entwaffnung der Hisbollah durch libanesisches Militär, nicht durch deutsches Militär, sowie die
Verhinderung des seeseitigen Waffenschmuggels. Außerdem geht es - das ist wichtig; das macht unsere Marine mit großem Erfolg - um die Ausbildung der libanesischen Marine.
Dieser Einsatz ist Teil unseres Engagements für den
Libanon, das natürlich sehr viel breiter angelegt ist. Wir
unterstützen den Libanon, wo sich derzeit sehr viele syrische Flüchtlinge aufhalten - das ist heute Morgen
schon Gegenstand der Debatte gewesen -, mit etwa
100 Millionen Euro für die Flüchtlinge in der Region.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier war im
Mai noch einmal im Libanon und hat weitere 5 Millionen Euro zugesagt. Er bot an, eine internationale Hilfskonferenz für die syrischen Flüchtlinge im Libanon in
Deutschland auszurichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wichtig es ist,
dass unser außenpolitischer Fokus in diesen Tagen auf
der Ukraine liegt - wir dürfen diesen Konflikt im Nahen
Osten nicht vergessen. Wir müssen uns um diesen Konflikt kümmern.
({0})
In Syrien und mittlerweile auch im Irak ereignet sich
eine ungeheure humanitäre Katastrophe. Jeder Euro, den
wir dort zur Verfügung stellen, ist im Sinne der Menschlichkeit gut angelegt. Es ist in dieser Situation richtig,
dass Flüchtlinge aus dieser Region zu uns kommen und
hier Obhut finden können.
({1})
Darin weiß ich mich mit großen Teilen dieses Hauses einig. Wir sollten das fortsetzen.
Der Bundeswehreinsatz der Marine hat ganz offensichtlich dazu beigetragen, die Waffenschmuggler abzuschrecken. Wir haben vor allen Dingen eine erfolgreiche
Zusammenarbeit mit der libanesischen Marine. Dafür
möchte ich an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten der deutschen Marine, die dort eingesetzt werden,
ganz herzlich danken. Es ist wie jeder Auslandseinsatz
ein fordernder, ein schwieriger Einsatz. Man ist von den
lieben Menschen zu Hause entfernt und setzt sich natürlich Gefahren aus. Ein herzliches Dankeschön und alles
Gute an die Soldaten, die da für uns Dienst tun!
({2})
Da wir in dieser Situation darüber debattieren, ob wir
das Mandat fortsetzen sollen - die Linksfraktion hat das
bisher kritisch kommentiert, und man muss befürchten,
dass Sie auch heute nicht über Ihren Schatten springen -,
möchte ich Ihnen sagen:
({3})
Gerade jetzt ist es erforderlich, dass wir aktiv bleiben
und uns nicht zurückziehen. Wir erleben, dass sich dort
staatliche Strukturen auflösen und infrage gestellt werden. Keiner weiß, wie Syrien aussehen wird, wenn dieses Schlachten und Morden hoffentlich bald ein Ende
gefunden haben wird. Keiner kennt die Zukunft des Irak.
Die Kurden im Norden des Irak spekulieren schon jetzt
und sagen: Es wird in Zukunft gar keinen Irak mehr geben.
In dieser Situation haben Staaten wie Jordanien und
wie der Libanon eine wichtige, stabilisierende Funktion.
Sie haben in dieser Weise bisher auch funktioniert. Insbesondere der Libanon hat als ein Staat funktioniert, in
dem es einen Ausgleich der Interessen von Religionsgruppen und Volksgruppen gegeben hat. Gerade in dieser Situation dürfen wir uns von dort nicht zurückziehen,
sondern müssen im Libanon bleiben. Das ist unser Beitrag, den wir beisteuern können.
Ich habe schon etwas zur humanitären Hilfe und zur
außenpolitischen Hilfe, die der Bundesaußenminister angeboten hat, gesagt. Dieses Mandat ist essenziell, damit
wir in der Region glaubwürdig bleiben, und es ist ein
Beitrag dazu, dass nicht noch mehr Konflikte entstehen,
sondern eingedämmt werden. In diesem Sinne bitte ich
Sie herzlich um Zustimmung zur Verlängerung des Mandats.
({4})
Bevor ich der Kollegin Kunert das Wort erteile, gebe
ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten
Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali
({0}) auf Grundlage der Resolution 2100 ({1})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April
2013 bekannt: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben
gestimmt 518, mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon
ja: 518
nein: 64
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({2})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Vizepräsident Johannes Singhammer
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({6})
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({7})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({8})
Stefan Müller ({9})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({10})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({11})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({12})
Gabriele Schmidt ({13})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({14})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({15})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({16})
Lena Strothmann
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({17})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({18})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({21})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({22})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Vizepräsident Johannes Singhammer
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({23})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({24})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({25})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({26})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Michael Roth ({27})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({28})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({29})
Matthias Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({33})
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({34})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({36})
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Cansel Kiziltepe
Christian Petry
Waltraud Wolff
({37})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({38})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Vizepräsident Johannes Singhammer
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Peter Meiwald
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Petra Hinz ({39})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Beate Müller-Gemmeke
Jetzt hat das Wort die Kollegin Katrin Kunert, Die
Linke.
({40})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Wadephul, die deutsche Beteiligung an
diesem Militäreinsatz scheint für Sie wirklich eine Erfolgsgeschichte zu sein. Ich finde, das kann man aber nur
dann so sehen, wenn man sich allein auf die Feststellung
beschränkt, dass es von der Seeseite her keinen Waffenschmuggel gegeben hat.
Wir merken kritisch an: Erstens. Der Einsatz ist sehr
gefährlich und die Sicherheitslage im Libanon weiterhin
instabil. Zweitens. Inzwischen sind über 1 Million syrische Flüchtlinge ins Land gekommen. Drittens. Trotz
des deutschen Marineaufgebotes ist die Hisbollah bestens, sogar besser als vor dem Libanonkrieg 2006 bewaffnet. Das ist die bisherige Bilanz. Es ist keine Erfolgsgeschichte.
({0})
Nach einem blutigen Bürgerkrieg im Libanon wurde
1978 die UNIFIL-Vereinbarung unter dem Dach der Vereinten Nationen abgeschlossen, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Lange Zeit war diese Vereinbarung
eine reine Beobachtermission. Trotzdem wurden seit
1978 mehr als 250 UN-Blauhelmsoldaten und zivile
Helfer getötet, weil sie sich in umkämpften Gebieten
aufhielten.
Seit 2006 schippern deutsche Schiffe vor der libanesischen Küste. Sie sollen den Waffenschmuggel unterbinden. Zudem sollen mit dem Einsatz die Ausbildung und
der Ausbau der libanesischen Marine unterstützt werden.
Hier beginnen die Ungereimtheiten im Antrag der Bundesregierung. Wenn Ausbildung und Ausbau der Marine
Bestandteil des UN-Mandats sind: Warum wurde im
März 2014 noch ein zusätzlicher Vertrag über Ausstattungs- und Ausbildungshilfe Deutschlands für die libanesischen Streitkräfte abgeschlossen? Warum handelt
also die Bundesregierung ausgerechnet in dieser Frage
auf eigene Faust und am UN-Mandat vorbei? Kann es
sein, dass Sie neue Märkte für deutsche Rüstungsgüter
stärker im Blick haben als Frieden und Stabilität im Libanon?
({1})
Die Linke sagt deutlich und einmal mehr: Keine Rüstungs- und Waffenexporte und schon gar nicht in Krisenregionen wie den Nahen Osten!
({2})
Wir haben das Mandat bisher abgelehnt, und ich
werde Ihnen auch sagen, warum:
Erstens. Wir bemängeln seit Jahren die fehlende Neutralität des Mandates. Waffenlieferungen in den Libanon
sollen unterbunden werden.
({3})
Aber zugleich werden aus Deutschland hochmoderne
Waffensysteme nach Israel exportiert. Aus historischen
Gründen haben wir zweifelsfrei eine große Verantwortung gegenüber Israel.
({4})
Israel ist bereits die größte Militärmacht im Nahen Osten
und hat die Gründung eines eigenen Staates Palästina
bisher verhindert. Hier wird klar, dass Deutschland in
dieser Region nicht militärisch auftreten und dort nicht
einwirken darf.
({5})
Zweitens. Das erweiterte UNIFIL-Mandat ist seit
2006 nach Artikel 7 der UN-Charta ein Kampfeinsatz.
Diese Einsätze lehnen wir ab, selbst wenn die Konfliktparteien diese Einsätze begrüßen sollten. Die UNO kann
ihre Friedensaufgaben nur erfüllen, wenn sie dabei nicht
selbst Teil eines Konfliktes wird.
Drittens. Dieser Marineeinsatz ist völlig überflüssig,
weil er praktisch nutzlos ist. Selbst die Stiftung Wissenschaft und Politik hat bereits vor Jahren das Urteil gefällt, dass es sich beim UNIFIL-Mandat um reine Symbolpolitik handelt. Bisher wurden bei diesem Einsatz
keinerlei Waffen gefunden. Die Waffenlieferungen, um
die es hier geht - das räumen Sie selber immer wieder
ein -, erfolgen über den Landweg in den Libanon und
nicht über den Seeweg. Deshalb ist es falsch, von einem
erfolgreichen Mandat zu sprechen und dieses auch noch
verlängern zu wollen.
({6})
Was wäre zum Beispiel, wenn es zu Konfrontationen
mit israelischen Soldatinnen und Soldaten käme? Es gab
in der Vergangenheit bereits Zwischenfälle wie den irrtümlichen Beschuss des deutschen Bootes „Alster“
durch israelische Kampfflugzeuge oder Drohangriffe mit
Schnellbooten und Drohnen. Wir haben nicht das Recht,
unsere Soldatinnen und Soldaten in solche Situationen
zu bringen,
({7})
in denen sie unter Umständen gezwungen sein könnten,
auf israelische Soldatinnen und Soldaten schießen zu
müssen. Wir haben allerdings das Recht, das Mandat
heute zu beenden und die geplanten Mittel für zivile
Zwecke und humanitäre Hilfe einzusetzen.
Frieden und Stabilität im Nahen Osten kann es nur
durch politische Verhandlungen geben. Deshalb schlägt
die Linke vor, eine Friedenskonferenz für den Nahen Osten nach dem Vorbild der KSZE durchzuführen. Vollständiger Gewaltverzicht und umfassende Abrüstungsschritte von allen Seiten müssen das Ziel sein. Darüber
sollten wir hier diskutieren.
Schönen Dank.
({8})
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Dr. Rolf Mützenich.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
UNIFIL war von Beginn an keineswegs nur ein Mandat
für den Einsatz internationaler Streitkräfte im Auftrag
der Vereinten Nationen. Das Mandat war immer auch ein
Beitrag, um ein Mindestmaß an Sicherheit, Souveränität
und Staatlichkeit im Libanon durchzusetzen. Ich möchte
daran erinnern: 36 Nationen sind im Auftrag der Vereinten Nationen heute im Libanon aktiv, entweder seeseitig
oder an Land. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur
Bewältigung der Herausforderungen, also Sicherheit,
Souveränität und Staatlichkeit im Libanon durchzusetzen.
Wir müssen auch daran erinnern: Einige der dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten sind während dieses
Einsatzes ums Leben gekommen. Es ist in der Tat ein gefährlicher Einsatz. Aber nicht nur von Deutschland, sondern auch von vielen anderen Nationen wird dieses Mandat befürwortet. Ich finde, wir müssen, wenn wir im
Deutschen Bundestag darüber diskutieren, gerade auch
an die internationale Solidarität erinnern und daran, dass
dies ein hervorragender internationaler Einsatz ist.
({0})
Deutschland hat von Beginn an mit Marinekräften im
Bereich Ausbildung, aber auch mit der Bereitstellung
von Ausrüstung mitgewirkt. Die Bundespolizei, der Zoll
und zivile Aufbauhelfer sind vor Ort. Genau das verstehen wir unter einem internationalen Mandat.
Wem diese Argumente nicht reichen, der sei an Folgendes erinnert: In der jüngsten historischen Entwicklung ist gerade durch das UNIFIL-Mandat - das sage ich
auch in Richtung der Linken - die Quarantäne libanesischer Häfen durch israelische Streitkräfte aufgehoben
worden. Dies ist unmöglich gemacht worden. Auch das
hat zur Herstellung von Souveränität beigetragen. Wenn
man darüber diskutiert, ob man bei dieser Entscheidung
nicht über seinen Schatten springen sollte, dann muss
man auch diesen Aspekt berücksichtigen.
Wem das nicht reicht, dem sage ich zum Zweiten: Die
Armee ist in der Tat einer der wenigen Stabilitätsanker
im Land. Deswegen stellt sich auch die Frage der Ausstattung. Wenn die Armee wirklich eine neutrale Position im Libanon einnimmt, wie wir es wollen, dann muss
sie die Mittel, die Ausbildung und letztlich auch die
Ausstattung dafür haben.
Das dritte Argument für UNIFIL ist: Nur weil wir uns
beteiligen, haben wir auch Einfluss auf die Akteure;
denn wir sind dort gewünscht. Es ist gewünscht, dass
Deutschland diesen Beitrag leistet. Diese Einladung aller
libanesischen Akteure ist wichtig.
({1})
Der Außenminister ist in den Libanon gereist. Er hat
gesagt - ich finde, das war ein sehr ehrlicher Standpunkt -, er sei mit weniger Zuversicht aus diesem Land
abgereist. Das deutet insbesondere darauf hin, wie fragil
die Situation ist. Da er von Mitgliedern des Deutschen
Bundestages begleitet wurde, war es richtig, dass er an
dieser Stelle auch deutlich gemacht hat, dass wir in
Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das
war ein wichtiges Signal, für die Gespräche innerhalb
der Bundesregierung, aber auch für die Gespräche mit
den Ländern. Auch ich glaube, das ist nur ein Tropfen
auf den heißen Stein. Aber Deutschland leistet einen
wichtigen Beitrag, auch im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Kommunen.
Frau Kollegin Kunert, Sie sagen: Wir lehnen das
Mandat ab, weil es gefährlich ist. - Ich habe darauf hingewiesen, dass internationale Krisen gefährlich sind. Sie
lehnen das Mandat außerdem ab, weil Flüchtlinge in den
Libanon gekommen sind. Ja, das ist in der Tat so. Ich
glaube, die Libanesen wünschen sich am wenigsten, dass
noch mehr Flüchtlinge ins Land kommen. Aber das kann
doch kein Grund sein, dass wir uns nicht daran beteiligen.
({2})
Wenn Sie die Neutralität des Mandates infrage stellen
- es handelt sich um ein Mandat im Auftrag der Vereinten Nationen -, sollten Sie sich fragen: Welcher internationalen Organisation sprechen Sie hier die Neutralität
ab? Das ist doch gerade die Idee der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich finde, Sie sollten
sich einmal überlegen, welche Vorwürfe Sie im Hinblick
auf dieses Mandat erheben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat: Der Libanon ist in einer sehr schwierigen Situation, im Sog des
syrischen Bürgerkrieges. Der syrische Bürgerkrieg ist
ein Brandbeschleuniger für die inneren Verhältnisse im
Libanon, und zwar weiterhin entlang konfessioneller
Bruchlinien. Die Hisbollah ist dort aktiv, Sunniten, Salafisten und viele andere sind es auch. Es gibt keinen neu
gewählten Präsidenten. Insbesondere die christliche
Minderheit fühlt sich innerhalb des politischen Systems
nicht repräsentiert. Flüchtlinge verändern das labile
Gleichgewicht im Libanon, auch das labile Gleichgewicht zwischen den Konfessionen.
Dennoch - ich finde, auch das gehört zu dieser Debatte -: Es gibt auch Beharrungskräfte im Libanon. Was
haben wir seit 2011 nicht alles befürchtet! Ich glaube,
das zeigt, dass diese Gesellschaft bereit ist, sich im Inneren zu versöhnen. Es besteht die Möglichkeit, den Versöhnungsprozess mit internationaler Begleitung aus dem
Inneren heraus zu schaffen. Ich glaube, UNIFIL bietet
dafür zumindest einen Rahmen, wenn die Akteure bereit
sind, diese Vereinbarung zu treffen. Es gibt dort eine Regierung, und es gibt die Verabredung von Baabda; das
wissen Sie aus den Diskussionen im Auswärtigen Ausschuss. Ich finde, das gehört zu einer ehrlichen Diskussion dazu.
Nun möchte ich noch eine grundsätzliche Bemerkung
zu den Diskussionen machen, die wir über die Herausforderungen im Irak, aber auch im Zusammenhang mit
dem Libanon führen. Ich bestreite nicht, dass es aufgrund der historischen Entwicklung konfessionelle Gegensätze und auch Bruchlinien in den arabischen Ländern gibt. Aber ich finde schon, wir sollten eine ehrliche
Diskussion führen und an uns selbst appellieren, nicht
darauf hereinzufallen und einfach zu sagen: Nur darin
liegt der Kern des Gegensatzes.
Es gibt auch viele gedachte Gegensätze, mit denen
versucht wird, zu verschleiern, was die Regierungen bisher nicht geleistet haben; das hat ja zu den Umbrüchen
geführt. Dabei geht es um gute Regierungsführung, soziale Gerechtigkeit und viele andere Dinge. Deswegen
sage ich: Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Aber
wir dürfen nicht nur auf das erste Argument, das für die
Gegensätze angeführt wird, hören.
Wir werden die konfessionellen Gegensätze nicht
überwinden. Aber wir müssen dazu beitragen, für soziale
Gerechtigkeit in diesen Ländern zu sorgen, damit zwischen den Akteuren Vertrauen geschaffen wird, damit es
im politischen System mehr Kompromisse gibt, damit
die schlechte Regierungsführung ein Ende findet und damit die Einmischung von außen aufhört, insbesondere in
Bereichen, in denen es immer wieder zur Anwendung
von Gewalt kommt.
Die Umbrüche in der arabischen Welt werden bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Grenzen Sie das
nicht aus! Blenden Sie das in der Diskussion nicht aus!
Es wird lange Konflikte an den europäischen Außengrenzen geben. Nur eine kluge Diplomatie, die auf die
Akteure zugeht, kann helfen, auch die Ausgegrenzten in
diesen Ländern anzusprechen. Deswegen plädiere ich
für eine kluge Diplomatie, die weiterhin mit allen Gruppen in diesen Ländern zumindest in der Diskussion steht.
Dazu zählen für mich durchaus auch - wenn sie von Gewalt absehen - Vertreter des politischen Islams. Ich
glaube, für einen Versöhnungsprozess braucht man letztlich alle Gruppen. Das ist es wert, den Libanon weiterhin
zu unterstützen.
Vielen Dank.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka
Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Grüne
werden dem heutigen UNIFIL-Mandat für eine UN-Friedensmission mit übergroßer Mehrheit zustimmen.
Diese Mission wird vom Libanon, aber auch von Israel als sehr wichtiger Beitrag angesehen, und die deutsche Beteiligung wurde von beiden Seiten explizit begrüßt. Ihre Aufgabe ist die Kontrolle des Seegebiets, die
Erschwerung von Waffenschmuggel, aber auch die Ausbildung der libanesischen Streitkräfte, damit sie diese
Aufgaben selbst übernehmen können.
Über das rein Praktische hinaus leistet diese UN-Friedensmission einen sehr wertvollen Beitrag zur Deeskalation und vor allem auch zur Vertrauensbildung zwischen
zwei ehemaligen Kriegsparteien.
UNIFIL ist in dieser Region etwas Positives, ein
Hoffnungsschimmer angesichts der vielen besorgniserregenden Nachrichten, die uns in den letzten Monaten
und Jahren erreicht haben. Damit meine ich nicht nur die
blutigen Verbrechen des Assad-Regimes, sondern natürlich auch die Gräueltaten der ISIS-Milizen, die mittlerweile nicht nur aus Syrien, sondern auch aus dem Irak
kommen und zur Destabilisierung, zur Eskalation der
Gewalt und zum Entstehen von großen Flüchtlingswellen beitragen.
Das alles hat Auswirkungen auf die innenpolitische
Lage im Libanon. Die Hisbollah unterstützt das AssadRegime; darüber hinaus gibt es im Libanon eine Spaltung entlang konfessioneller Linien. Die Parlamentswahlen im Libanon wurden schon mehrfach verschoben.
Egal wer aus diesen Wahlen als Sieger hervorgeht: Er
wird vor der Riesenherausforderung stehen, politische
und religiöse Gräben zuzuschütten und zu verhindern,
dass der Libanon in den Strudel der Gewalt hineingezogen wird.
Meine Damen und Herren, die Eskalation der Gewalt,
Menschenrechtsverletzungen, Gräueltaten, der weiter
andauernde blutige und schreckliche Krieg in Syrien,
das alles darf nicht dazu führen, dass wir uns achselzuckend abwenden, nur weil wir keinen Masterplan dafür
haben, wie man diesen Konflikt schnellstmöglich lösen
könnte. Wir müssen uns weiter engagieren, wir müssen
uns stärker engagieren, Deutschland ebenso wie die internationale Gemeinschaft.
({0})
Auch wenn es gerade aussichtslos erscheint: Man muss
immer wieder den Verhandlungsweg gehen und dabei
alle Akteure in der Region mit in die Verantwortung nehmen.
Dazu gehört aber auch, dass man eine völlig irrsinnige deutsche Rüstungsexportpolitik beendet: SaudiArabien und Katar werden mit deutschen Waffen beliefert, obwohl dies zwei Staaten sind, aus denen heraus islamistische Kräfte, dschihadistische Kräfte, die den Irak
und Syrien mit Terror überziehen, massiv unterstützt
werden. Ich fordere Sie auf: Stoppen Sie die Rüstungsexporte nach Katar und nach Saudi-Arabien!
({1})
Auch im Hinblick auf die Flüchtlinge kann man noch
einiges tun. Die UN gehen davon aus, dass es in diesem
Jahr 4 Millionen Flüchtlinge außerhalb von Syrien geben wird. Das ist eine erschreckende Zahl. Der Libanon
ist das einzige Land, das seine Grenzen für Flüchtlinge
aus Syrien noch offenhält. Im Libanon sind 1 Million
Flüchtlinge registriert; wahrscheinlich halten sich dort
aber viel mehr auf. Jeder Vierte im Libanon ist vor dem
Krieg in Syrien geflüchtet. Die humanitäre Situation dieser Menschen ist verheerend.
Wir diskutieren und streiten hier immer lange um die
Erhöhung der Kontingente. Deutschland möchte jetzt
20 000 Flüchtlinge aufnehmen. Ich glaube, wenn man
sich anschaut, was der Libanon für die Menschen dort
leistet, dann wird man feststellen, dass sowohl Deutschland als auch die anderen EU-Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung an dieser Stelle nicht gerecht werden.
({2})
Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass mehr Mittel für
humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt werden, die
Kontingente aufgestockt werden und eine unbürokratische Aufnahme ermöglicht wird. Das ist nicht nur ein
Gebot von Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, sondern das hat auch sicherheitspolitische Gründe; denn die
katastrophale Situation in den Flüchtlingslagern ist natürlich auch ein Nährboden für Radikalisierung, welche
Anlass zu neuen Spannungen bieten kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, angesichts der vielen Hiobsbotschaften aus dieser
Region wäre es verantwortungslos, jetzt eine durchaus
erfolgreiche Friedensmission dort zu beenden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
mit seiner kleinherzigen und zögerlichen Flüchtlingspolitik, aber vor allem auch mit seiner verantwortungslosen Rüstungsexportpolitik - ich denke nur an SaudiArabien und Katar - droht Schwarz-Rot wiederum, die
Fortschritte der positiven Geschichte von UNIFIL zunichtezumachen. Kehren Sie hier um; denn wir sollten
alles dafür tun, um in der Region - nicht nur im Libanon,
sondern auch für die syrischen Flüchtlinge - Leid und
Gewalt zu mindern.
Vielen Dank.
({4})
Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit inzwischen 36 Jahren unterstützt die internationale Gemeinschaft Israel und den Libanon bei den
gemeinsamen Anstrengungen, friedlich miteinander zu
leben. Seit nunmehr acht Jahren unterstützen wir mit
unseren Streitkräften die maritime Komponente von
UNIFIL und beteiligen uns dabei besonders an der Ausbildung von Marineeinheiten des Libanon. Hierbei haben wir uns nicht nur den Zuspruch der Vereinten Nationen, sondern gleichermaßen auch den Zuspruch Israels
und des Libanon erworben.
Bei der Etablierung von UNIFIL und insbesondere
bei der Einführung der maritimen Komponente lag das
Hauptaugenmerk auf dem israelisch-libanesischen Konflikt. Mittlerweile verschärft der anhaltende Bürgerkrieg
in Syrien die Lage in der Region. Derzeit halten sich
circa 1 Million Flüchtlinge aus Syrien im Libanon auf.
Das ist eine beachtliche Zahl, insbesondere wenn man
bedenkt, dass der Libanon selbst nur 4 Millionen Einwohner hat. Dementsprechend steht die medizinische
und die infrastrukturelle Versorgung kurz vor dem Kollaps.
Deshalb unterstützt Deutschland die notleidenden syrischen Flüchtlinge als weltweit viertgrößter Geldgeber.
Seit 2012 haben wir den Menschen dort mit knapp
100 Millionen Euro geholfen. Wir leisten humanitäre
Hilfe bei der medizinischen Basisversorgung, bei der Ernährungs- und Winterhilfe und auch beim Wiederaufbau
von Flüchtlingslagern.
Sehr geehrte Damen und Herren, neben der humanitären Lage stehen wir auch vor einer sicherheitsrelevanten
Brisanz. In diesen Tagen beobachten wir mit größter
Sorge die zerstörerischen Bestrebungen der sunnitischsalafistischen ISIS. Dadurch rückt unser Ziel eines dauerhaften Friedens im Nahen Osten in weite Ferne. Auch
im Hinblick auf unsere nationalen Interessen als Handelsnation birgt dieser Destabilisierungsprozess Gefahren unabsehbaren Ausmaßes.
In solchen Zeiten, in denen ISIS auch im Libanon gegen die ihnen verhasste schiitische Hisbollah agiert und
damit die fragile Lage weiter religiös aufheizt, ist es
wichtig, dass der Dialog zwischen dem Libanon und Israel fortgeführt wird. UNIFIL schafft dafür den Rahmen
und leistet einen wichtigen Beitrag, um die fragile politische Situation im Libanon zu stabilisieren.
({0})
Es liegt in unserem besonderen Interesse, dieser Vermittlerrolle in der Region gerecht zu werden. Zum einen
haben wir als Handelsnation ein Interesse an stabilen
Handelspartnern und freien Handelswegen, zum anderen
- und das ist noch viel bedeutender - haben wir eine besondere Verantwortung gegenüber dem israelischen
Volk, der wir mit unserem Einsatz gerecht werden.
Die internationale Gemeinschaft ist auch besonders
aufgefordert, mit einem weiteren starken Engagement
beim Aufbau der libanesischen Streitkräfte zu helfen.
Hier haben wir gute Erfolge erzielt, und diese Aufgabe
haben wir inzwischen zu einem Schwerpunkt unseres
Engagements gemacht. Dieser Weg ist richtig und sollte
mit der Verlängerung des Mandats fortgesetzt werden.
Erst dann, wenn der Ausbildungsauftrag und die Anstrengungen zu einer zeitgemäßen Ausrüstung abgeschlossen sind und der Libanon als souveräner Staat die
Sicherungsaufgaben selbst übernehmen kann, kann über
eine Beendigung des Mandats nachgedacht werden. Das
ist aktuell eher eine langfristige Perspektive. Aber,
meine Damen und Herren, wie wir schon vergangene
Sitzungswoche im Rahmen der Verlängerung des Kosovo-Mandats deutlich gemacht haben, ist es notwendig,
über die zeitliche Grenze eines Mandats hinauszudenken.
Wir sehen auch am Beispiel Libanon, dass aktuelle
Krisen Jahrzehnte währen und Generationen beschäftigen. Deshalb liegt unser Augenmerk auf der Nachhaltigkeit unseres Engagements. Unsere Hilfe zur Selbsthilfe
wird diesem Anspruch innerhalb unseres ressortübergreifenden und damit vernetzten sicherheitspolitischen
Ansatzes in besonderem Maße gerecht. Deshalb bitte ich
Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Danke.
({1})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/1813 zu dem Antrag der Bundesregie-
rung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der Interimsstreitkraft der Vereinten
Nationen im Libanon, UNIFIL.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 18/1417 anzunehmen.
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die
Plätze an den Abstimmungsurnen schon besetzt? - Das
ist nicht der Fall. Vorne brauchen wir noch jemanden. -
Jetzt sind alle Abstimmungsurnen vorschriftsmäßig be-
setzt. Damit eröffne ich die Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Jetzt sehe ich nie-
manden mehr, der seine Stimme abgeben möchte. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird,
wie üblich, später bekannt gegeben.1)
Wir setzen jetzt die Beratungen der Einzelpläne fort.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt II.10 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Drucksachen 18/1011, 18/1023
Berichterstatter sind die Kolleginnen und Kollegen
Ekin Deligöz, Axel E. Fischer, Ewald Schurer und
Dr. Gesine Lötzsch.
Zum Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinen Widerspruch höre, ist das damit so beschlossen.
Die Aussprache wird hiermit eröffnet. Das Wort erteile ich als erstem Redner dem Kollegen Klaus Ernst,
Die Linke.
({0})
- Wie immer! - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Frau Ministerin! Natürlich freut es
uns, dass die Zahl der Arbeitslosen bei uns in der Bundesrepublik zurückgeht. Es freut uns auch, dass die Zahl
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt.
Und: Die Zahl junger Menschen ohne Arbeit ist im Vergleich zu der anderer Länder geringer. Wer würde sich
darüber nicht freuen?
({0})
Aber, Frau Ministerin, das alles darf nicht den Blick
auf die Kehrseite der Medaille verstellen: Seit dem Jahr
2000 stagnieren in unserem Land die Löhne. Fast
25 Prozent der abhängig Beschäftigten sind im Niedriglohnbereich tätig und werden, wie Sie wissen, teilweise
zu Hungerlöhnen beschäftigt. Wir haben einen der am
wenigsten regulierten Arbeitsmärkte in Europa. Die Zahl
der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer liegt bei
fast 1 Million. Immer mehr Menschen sind nur befristet
beschäftigt oder über Werkverträge in Arbeit. Das ist
wahrlich keine Erfolgsgeschichte.
({1})
Auf den Hauptpunkt will ich noch einmal hinweisen.
Mit den Arbeitsmarktreformen wurde uns versprochen:
Es kommt zu mehr Arbeit. - Der eigentliche Indikator
für mehr Arbeit ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden.
({2})
1) Ergebnis Seite 3745 D
Will man also die Frage nach dem Erfolg der Arbeitsmarktpolitik der letzten Bundesregierungen stellen
- Herr Straubinger, das gilt auch für Sie -, dann muss
man vergleichen, wie viele Arbeitsstunden es im Jahr
2000 und wie viele es im Jahr 2013 waren. Wenn man
dies tut, stellt man fest, dass diese Zahl annähernd gleich
geblieben ist. Es sind circa 58 Milliarden Arbeitsstunden.
Was zeigt das? Wir können die Arbeit noch so billig
machen, wir können den Arbeitsmarkt noch so stark deregulieren, wie Sie das gemacht haben: Es führt im Ergebnis nicht dazu, dass tatsächlich ein Mehr an Arbeitsstunden entsteht. Das Ergebnis der Arbeitsmarktpolitik
der letzten Regierungen ist: Arbeit wurde schlechter bezahlt, und Arbeit wurde auf mehr Menschen verteilt; das
ist alles. Das ist keine Erfolgsgeschichte.
({3})
Ich erlebe in dieser Frage so viel Eigenlob vonseiten
der Regierung, dass mir manchmal ganz schwindlig
wird. Das erinnert mich an den Satz: Das Unterbewusstsein unterscheidet nicht, wer auf die Schulter klopft. So haben wir die Regierung in den letzten Tagen erlebt.
Es gibt keinen Grund, um sich auf die Schulter zu
klopfen. Stichwort „Entwicklung der Langzeitarbeitslosen“: Seit 2009 stagniert die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf hohem Niveau. Gleichzeitig hatte die letzte
Bundesregierung die Ausgaben zur Eingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt drastisch gekürzt.
Der Etat für Eingliederungsleistungen sank von 6,6 Milliarden Euro 2010 auf 3,9 Milliarden Euro 2013. Im aktuellen Haushalt wird an dieser Zahl festgehalten. Das ist
fast eine Halbierung im Vergleich zu dem, was wir vor
2010 hatten.
Legt man die durchschnittliche Pro-Kopf-Förderung
aus dem Jahre 2010, also vor den Kürzungen, zugrunde,
Frau Nahles, dann müsste der Etat bei 5,5 Milliarden
Euro liegen, also 1,6 Milliarden Euro höher als der, den
Sie uns vorlegen. Deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag gefordert, den Etat entsprechend aufzustocken, um für die Betroffenen zumindest wieder den
Stand pro Kopf zu erreichen, den wir vor 2010 hatten.
({4})
Meine Damen und Herren insbesondere von der
CDU/CSU, Sie versuchen, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit durch Ausnahmen beim Mindestlohn zu
lösen. Aber wenn in der Frage der Beschäftigung von
Langzeitarbeitslosen tatsächlich der Lohn ausschlaggebend wäre, dürfte es das Problem gar nicht geben. Zurzeit gibt es schließlich noch keinen Mindestlohn. Aber
das Problem gibt es trotzdem. Deshalb sagen wir: Diese
Frage mit Ausnahmen zu regeln, ist ein Riesenunfug und
eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
({5})
Die beste Lösung, Langzeitarbeitslosigkeit anzugehen, sind die Qualifizierung und entsprechende Hilfen
bei der Eingliederung. Genau da setzen Sie leider die
Politik fort, die die alte Bundesregierung gemacht hat.
Damals wurde eine Kürzung von 32 Milliarden Euro beschlossen, allein 16 Milliarden Euro bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Der Paritätische Gesamtverband sagte
dazu 2014: Was Frau von der Leyen mit ihrer arbeitsmarktpolitischen Abrissbirne noch stehen gelassen hat,
ist ein Feld arbeitsmarktpolitischer Verwüstung.
Wir bräuchten in diesem Bereich einen Ausbau, Frau
Nahles. Einen solchen Ausbau können wir aber nicht erkennen.
({6})
Wenn wir schon über Kürzungsprogramme reden,
will ich übrigens noch eines anführen: Frau von der
Leyen hätte eigentlich im Verteidigungshaushalt kürzen
müssen. Die Ausgaben sind aber höher als 2010. Wenn
sich also noch jemand an diese Vorgaben hält, dann Sie.
Andere haben sich schon lange davon verabschiedet. Sie
brauchen nicht aus Gehorsam gegenüber der alten Regierung Ihre Grundsätze von früher zu vergessen.
({7})
Ich möchte noch eine zweite himmelschreiende Ungerechtigkeit ansprechen. Frau Schwesig hat als Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern Folgendes gesagt - Zitat -:
Noch nie hat es eine derart tatenlose Bundesfamilienministerin gegeben, die dem Sparhammer der
Bundesregierung gegen Familien nicht nur zustimmt, sondern dann auch noch öffentlich applaudiert … Schwarz-Gelb streicht der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin das Elterngeld, der
Hausfrau mit gut verdienendem Ehemann aber
nicht … Das ist nicht nur sozial unverantwortlich,
sondern auch fachlich purer Unsinn.
({8})
Damit hat Frau Schwesig vollkommen recht. Ich frage
mich: Reden Sie eigentlich nicht mit ihr, dass Sie nach
wie vor an dieser Ungerechtigkeit festhalten, die Bezieher von Arbeitslosengeld II anders zu behandeln als den
Rest der Welt?
Ich fordere Sie auf: Reden Sie mit ihr! Vielleicht
kommen Sie dann zu einem anderen Ergebnis.
Die letzte Ungerechtigkeit in diesem Haushalt, die ich
ansprechen möchte, ist die willkürliche Berechnung der
Höhe des Existenzminiums im Arbeitslosengeld-II-Bezug. Es gibt ein Gerichtsurteil aus Berlin, in dem deutlich gemacht wird, dass die 391 Euro nicht ordentlich
berechnet worden sind. Das geht jetzt zum Bundesverfassungsgericht. Es wäre sinnvoll gewesen, in diesem
Haushalt nicht nur den Istzustand fortzuschreiben, sondern im Zuge dessen, was Sie bei der Wahl gesagt haben,
Initiative zu entwickeln, nämlich eine deutliche Aufstockung des Regelsatzes beim ALG II vorzunehmen. Erinnern Sie sich an das, was Sie vor der Wahl gesagt haben!
Dann bekommen Sie auch mehr Zustimmung und müssen es nicht immer alleine machen.
({9})
Bevor jetzt gleich die Bundesregierung das Wort erhält, darf ich das Ergebnis der letzten namentlichen Abstimmung bekannt geben. Es ging um den Entwurf des
Einzelplanes 23 - Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
({0})
- Darüber haben wir noch nicht abgestimmt. Ich bitte
darum, mir das richtige Abstimmungsergebnis vorzulegen, damit ich es bekannt geben kann. Dann machen wir
das später.
Jetzt erteile ich der Bundesregierung, vertreten durch
die Bundesministerin Andrea Nahles, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 11 ist das Herzstück des Bundeshaushalts.
Zum einen hat das etwas mit dem Umfang zu tun, zum
anderen vor allem damit, dass sich in diesem Haushalt
das am meisten abbildet, was Zusammenhalt in unserem
Land organisiert: die soziale Marktwirtschaft. Es ist gut,
dass wir uns in der heutigen Debatte mit Ihnen und Ihrer
Kritik strittig auseinandersetzen, meine Damen und Herren von der Linken, weil es selbstverständlich immer
wieder unterschiedliche Ansätze geben kann. Aber allein
Ihre Änderungsanträge zur Anhebung des Regelbedarfs,
zur Vorabentlastung der Kommunen, zur Anhebung der
Eingliederungsleistungen, der Wiedereinführung der
Bundesbeteiligung, der Rentenangleichung Ost/West,
6,6 Milliarden Euro mehr für die Mütterrente und
500 Millionen Euro mehr für Behindertenpolitik würden
allein insgesamt Mehrkosten bzw. Mehrausgaben in
Höhe von 34,2 Milliarden Euro zur Folge haben. Das
müsste selbst Ihnen zu viel sein.
({0})
Selbst Ihnen müsste klar sein, dass das nicht geht. Sie
versprechen viel, übernehmen aber keine Verantwortung
für dieses Land und die Finanzen des Bundeshaushalts.
({1})
Mit Verlaub, so geht es nicht.
Die großen Lebensrisiken müssen in unserem Land
nicht von jedem Einzelnen getragen werden, sondern
werden solidarisch bewältigt.
({2})
Gerade bei der Alterssicherung haben wir in den letzten
Jahren Reformen durchgeführt, die den Ausgleich zwischen den Generationen herstellen. Mit diesen Reformen
waren harte Einschnitte verbunden, und sie haben den
Menschen viel abverlangt. Die gemeinsame Überzeugung der diese Regierung tragenden Koalition ist, dass
es gerecht und angemessen ist, dass wir dort, wo die
Leistungen eines langen Lebens nicht ausreichend gewürdigt werden, mehr Anerkennung und Respekt zeigen.
({3})
Das drückt sich in der Mütterrente, die wir beschlossen
haben, der Erwerbsminderungsrente für diejenigen, die
gesundheitlich eingeschränkt sind, und der Abschlagsfreiheit zugunsten derjenigen aus, die 45 Jahre gearbeitet
haben und mit 63 Jahren in Rente gehen. Ja, davon profitieren 10 Millionen Menschen. Ja, das kostet auch etwas.
Aber das können wir uns leisten. Das ist solide finanziert. Dafür stehen diese Große Koalition und diese Bundesregierung. Wir können das, was wir tun, rechtfertigen
und finanzieren es solide.
({4})
Ich will Ihnen aber ehrlich sagen, wir müssen auch
dafür sorgen, dass dort, wo Arbeitsleistung gebracht
wird, auch anständige Löhne gezahlt werden; denn davon hängt nun einmal unser gesamtes Sozialversicherungssystem ab. Wir sollten nicht nur darauf schauen,
was sich wie verteilen lässt, sondern auch darauf achten,
dass wir durch Wertschöpfung dafür sorgen, dass entsprechende Steuern und Beiträge gezahlt werden können. Nur so kann unser Gesellschaftsvertrag in diesem
Land funktionieren. Deswegen werden wir als nächstes
großes Projekt einen gesetzlichen Mindestlohn für
5 Millionen Menschen, die heute weniger als 8,50 Euro
verdienen, in Ost und West sowie in allen Branchen gleichermaßen einführen. Das ist der nächste Schritt zur Stabilisierung unseres Sozialstaats und des Bundeshaushalts.
({5})
Denn es bringt selbstverständlich zusätzliche Einnahmen, wenn wir die Arbeit der Menschen besser vergüten.
Wie bereits angesprochen, haben wir über einen relativ langen Zeitraum hinweg sinkende Arbeitslosigkeit
und Rekordbeschäftigung zu verzeichnen. Das ist wirklich einmal ein Grund, sich zu freuen.
({6})
Vielleicht sind Sie schon so sehr in Ihren apokalyptischen Grundton verfallen, dass Sie es nicht mehr schaffen, sich über diesen unbestreitbar positiven Fakt zu
freuen. Ich glaube, das können wir alle gemeinsam tun.
({7})
Deswegen lasse ich es mir nicht gefallen, dass hier der
Eindruck vermittelt wird, als würden wir für die Integration von Arbeitslosen weniger tun. Sie haben die ProKopf-Ausgaben, also das, was die Jobcenter pro Kopf
für Betreuung und Integration aufwenden, thematisiert.
Das ist mir recht; denn im Vorkrisenjahr 2008 haben wir
pro erwerbsfähigem Hilfebedürftigen für Eingliederung
und Verwaltung 1 850 Euro zur Verfügung gestellt, während es in diesem Jahr 1 892 Euro sind. Es sind nicht weniger, sondern mehr Mittel, die pro Kopf aufgewendet
werden können, um eine erfolgreiche Integration der Arbeitslosen in diesem Land zu organisieren. Dass es in
den Krisenjahren 2009, 2010 und 2011 mehr Mittel waren, ist doch klar; aber das ist doch dem Umstand geschuldet, dass wir ein Riesenproblem hatten. Wenn Sie
aber das letzte Jahr, über das wir sagen konnten, dass es
ein normales Arbeitsjahr mit einer normalen wirtschaftlichen Situation war, mit der heutigen guten Situation
vergleichen, dann stellen Sie fest, dass wir mindestens
dieselben Mittel zur Verfügung haben. Also, versuchen
Sie nicht, mit dem, was Sie hier vortragen, die Leute hinter die Fichte zu führen.
({8})
- Sie haben die Pro-Kopf-Vergleiche angestellt.
({9})
Dann müssen Sie sich auch gefallen lassen, dass ich
mich darauf vorbereite und Ihre Frage sehr wohl beantworten kann.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pothmer?
Nein, im Moment nicht. Danke.
({0})
Wir sind nämlich an einem entscheidenden Punkt. Bei
aller Freude darüber, dass wir weniger Arbeitslosigkeit
haben und dass wir pro Kopf immer noch genügend Mittel haben, um die Integration sicherzustellen, will ich um
eines nicht herumreden: Es gibt eine Gruppe, die nicht
im selben Umfang von dieser Entwicklung profitiert.
Das sind die Langzeitarbeitslosen. Deren Situation treibt
mich um, und darauf will ich mein Augenmerk legen.
Wir haben sehr viel probiert, auch meine Vorgängerin
Frau von der Leyen, zum Beispiel Integrationsprogramme, Förderungen, ESF-Programm, Bürgerarbeit
usw. Ich nenne nur einmal Stichworte, um zu zeigen,
was in diesem Bereich investiert wurde. Wir haben mit
der Bürgerarbeit viele Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt - das finde ich nicht schlecht -, aber die
Mehrheit leider nicht. Wir müssen feststellen, dass
46 Prozent der Langzeitleistungsbezieher im SGB II länger als vier Jahre arbeitslos sind und viele Vermittlungshemmnisse aufweisen. Ich behaupte, dass wir noch nicht
den Stein der Weisen gefunden haben. Aber das darf uns
nicht resignieren lassen. Das darf uns auch nicht egal
sein, im Gegenteil.
Wir haben gestern hier in Berlin eine Aktion gemacht:
Deine Geschichte ist Gold! - Sie können überall in der
Stadt Gesichter von Langzeitarbeitslosen finden, die bereit waren, ihre Geschichte, die oft mit Umwegen verbunden war, zu erzählen. Nadine zum Beispiel hat es
nach vielen Umwegen mithilfe des Projekts geschafft,
doch noch Pflegekraft zu werden. Es gibt sehr positive
Beispiele, die auch helfen, gerade bei Arbeitgebern mehr
Offenheit gegenüber Menschen zu schaffen, die kurvige
Wege zurückgelegt haben und die Schwierigkeiten hatten, Tritt zu fassen.
Das ist die Gruppe von Langzeitarbeitslosen, von der
ich glaube, dass ihr unser ESF-Programm, das wir im
nächsten Jahr auflegen können, wirklich helfen kann.
Damit können wir Mittel in die Hand nehmen, und das
ist das richtige Programm, das wir auf den Weg bringen.
Aber ich glaube, dass darüber hinaus neue Ansätze
notwendig sind. Wir müssen uns auch um die kümmern,
die sehr weit von der Integration in den ersten Arbeitsmarkt entfernt sind. Ich habe den Ausschuss Arbeit und
Soziales eingeladen, mit mir dazu eine eigene Sitzung zu
machen. Ich will in den Dialog einsteigen. Ich möchte
gar nicht so tun, als ob das, was wir tun, der Weisheit
letzter Schluss sei. Aber ich verspreche Ihnen, dass die
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit gerade im
nächsten Halbjahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit werden wird. Wann, wenn nicht jetzt? Es ist auch nicht
schlimm, wenn Leute Umwege gehen, nur aufgeben dürfen wir nicht. Wir dürfen die Leute nicht aufgeben, und
die Leute selber dürfen nicht aufgeben. Das muss das
entscheidende Ziel sein.
({1})
Es ist mir auch wichtig, dass wir uns neben der
Gruppe der Langzeitarbeitslosen den jungen Menschen
widmen. Wir werden die Fachkräfteinitiative, die wir im
Koalitionsvertrag verabredet haben, nutzen, um gerade
jungen Leuten die Chance zu geben, eine Ausbildung zu
machen. Das betrifft auch diejenigen, die vielleicht die
erste Möglichkeit auf eine Ausbildung verpasst haben.
Wir brauchen in Zukunft ausgebildete Fachkräfte. Jeder
Jugendliche muss eine Ausbildung machen, und sei es
mit 25 Jahren. Das muss das Ziel sein. Wir müssen über
die Jugendberufsagenturen und andere Ansätze verhindern, dass uns zu viele junge Leute von der Fahne gehen,
vielleicht weil sie in der Schule schlechte Erfahrungen
gemacht haben.
({2})
Es muss unser Ehrgeiz sein, alle jungen Leute in Ausbildung zu bringen. Dafür werden wir uns auch einsetzen.
({3})
Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen: Das hat auch für
mein Haus ganz klar Priorität. Im Vergleich zur Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit in Europa dramatisch. Wir haben mit MobiPro
ein Angebot gemacht, das vielen jungen Menschen aus
den Krisenländern Chancen auf Ausbildung, aber auch
auf Beschäftigung eröffnet hat. Die Nachfrage nach Teilnahme an diesem Programm hat uns überwältigt. Das ist
aus meiner Sicht ein Indiz dafür, wie stark der Druck in
diesen Ländern ist. Natürlich müssen dort auch selber
Möglichkeiten geschaffen werden, die Mittel, die auf der
europäischen Ebene über die Jugendgarantie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung
gestellt wurden, den jungen Leuten auch zukommen zu
lassen - eine nicht ganz leichte Aufgabe.
Ich möchte mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, bei den Berichterstattern und allen anderen,
dafür bedanken, dass es uns gelungen ist, die Mittel für
MobiPro mehrfach aufzustocken
({4})
und dass ein weiterer Nachschlag in Höhe von 27 Millionen Euro möglich war. Das ist ein Verdienst dieses
Parlamentes. Das hätte ich aus eigener Kraft, glaube ich,
nicht geschafft. Dafür herzlichen Dank, auch im Namen
der jungen Menschen, die davon profitieren!
Genauso wichtig ist es mir, darauf hinzuweisen, dass
wir die Finanzierung guter Deutschkurse gesichert haben. Über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
werden diese Kurse - abgekürzt heißen sie „BAMFKurse“ - angeboten, und sie werden auch wahnsinnig
gut angenommen, was ja ein tolles Zeichen ist und den
Integrationswillen zum Ausdruck bringt. Wir haben
45 Millionen Euro aufgebracht, um dieses Programm
fortzuführen. Durch eine Nachbewilligung konnte der
Löwenanteil daran, 34 Millionen Euro - sie stammen
aus ESF-Restmitteln -, zur Verfügung gestellt werden.
Diese Kurse sollen auch Bestandteil des künftigen ESFProgramms sein, das wir, wie ich hoffe, wieder genehmigt bekommen.
Auch für die Zukunft planen wir, die damit verbundenen Anstrengungen fortzusetzen. 17 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern profitieren in diesem Jahr von diesem Angebot, und davon profitieren wir alle, weil es die
Integration der Teilnehmer ungleich mehr fördert als
vieles andere, was wir tun. Deutschkenntnisse sind nun
einmal die Eintrittskarte ins gesellschaftliche Leben und
bedeuten eine sehr gute Integrationschance. Ich bin froh,
dass die BAMF-Kurse fortgeführt werden, bis im nächsten Jahr das neue Programm kommt.
({5})
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass wir eine gute,
konstruktive Zusammenarbeit hatten. Ich danke allen im
Fachausschuss und im Haushaltsausschuss, insbesondere den Berichterstattern für die gute, konstruktive
Zusammenarbeit. Das darf gerne bei den nächsten
Haushaltsberatungen so weitergehen. In diesem Sinne
bitte ich Sie um Zustimmung zum Einzelplan.
Danke.
({6})
Frau Kollegin Pothmer, Sie haben jetzt das Wort zu
einer Kurzintervention.
Frau Ministerin Nahles, ich wollte Sie eigentlich nur
fragen, ob es Ihnen genauso geht wie mir. Denn die Argumentation, die Sie in Sachen Pro-Kopf-Förderung von
Langzeitarbeitslosen vorgetragen haben, war identisch
mit der Argumentation, die Ihre Vorgängerin in dieser
Frage vorgetragen hat.
({0})
Ich jedenfalls kann mich gut daran erinnern, dass Sie
in Ihrer Rolle als Oppositionsabgeordnete diese Argumentation heftigst kritisiert haben.
({1})
Wenn ich richtig informiert bin, dann haben Sie in der
letzten Legislaturperiode die Aufstockung der Mittel zur
Förderung von Langzeitarbeitslosen und von Arbeitslosen insgesamt um weit über 1 Milliarde Euro gefordert.
({2})
Inzwischen fließen dafür nur noch ein paar Millionen
Euro.
Können Sie mir erklären, welches arbeitsmarktpolitische Wunder sich inzwischen ereignet haben soll, weswegen die von Ihnen verlangte - wie ich fand, richtige Förderung jetzt nicht mehr auf der Tagesordnung steht?
({3})
Frau Bundesministerin Nahles, möchten Sie darauf
erwidern? ({0})
Nein.
Ich darf jetzt das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt geben über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim
Force in Lebanon“ ({1}) auf der Grundlage der Resolution 1701 ({2}) vom 11. August 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt 2115 ({3}) vom 29. August
2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen,
Drucksachen 18/1417 und 18/1813: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 513, mit Nein haben
gestimmt 66, Enthaltungen 8. Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen.
Vizepräsident Johannes Singhammer
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 588;
davon
ja: 514
nein: 66
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({4})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({8})
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({14})
Gabriele Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({16})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Vizepräsident Johannes Singhammer
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({19})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({20})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({23})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({24})
Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({25})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({26})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({27})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({28})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({29})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({30})
Dr. Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({31})
Matthias Schmidt ({32})
Dagmar Schmidt ({33})
Carsten Schneider ({34})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({35})
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({36})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({37})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Tabea Rößner
Claudia Roth ({38})
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Willi Brase
Vizepräsident Johannes Singhammer
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({39})
Hilde Mattheis
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({40})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({41})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
SPD
Cansel Kiziltepe
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Dr. Harald Terpe
Nächster Redner in unserer Aussprache ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin, wenn man Ihre Rede so hört,
stellt man fest, dass Sie eigentlich weitgehend blind gegenüber den wichtigsten sozialpolitischen Problemen in
Deutschland sind - wie es die Sozialpolitik der Großen
Koalition insgesamt ist.
({0})
Wir beobachten in den letzten 15 bis 20 Jahren einen
massiven, dramatischen Anstieg der Armut in Deutschland - das ist ein Begriff, der weder im Koalitionsvertrag
noch in Ihrer Rede auftaucht -, und das hat sich durch
die gute wirtschaftliche Lage in den letzten Jahren kein
bisschen gebessert. Wir haben in Deutschland über
7 Millionen Menschen - über 7 Millionen! -, die Grundsicherungsleistungen beziehen; das sind 9 Prozent der
Bevölkerung. Wenn man dazu noch diejenigen zählt, die
verdeckt arm sind, also einen Anspruch hätten, den aber
nicht geltend machen, ist man bei einer Zahl von mindestens 10 Millionen Menschen - vielleicht sind es sogar
noch mehr -, die auf Grundsicherungsniveau leben
- „Hartz-IV-Niveau“, vereinfacht gesagt - oder sogar
darunter. Über 10 Millionen Menschen! Zu diesen Menschen haben Sie kein Wort gesagt, und dazu hat diese
Bundesregierung kein Konzept.
({1})
Am deutlichsten wird diese Politik der Bundesregierung, die meines Erachtens weniger zusammenführt als
vielmehr spaltet, bei der Rente. Wenn man sich anguckt,
wer alles nicht davon profitiert, dann wird deutlich, wie
diese Politik der Großen Koalition funktioniert.
Von der Rente mit 63 profitieren alle diejenigen nicht,
die weniger als 45 Versicherungsjahre haben. Das sind
nicht die Stärksten im Land, sondern das sind eher die
Schwächsten. Diejenigen, die erwerbsgemindert sind
und wegen Erwerbsminderung in Rente müssen, müssen
Abschläge in Kauf nehmen - im Gegensatz zu denen,
die 45 Versicherungsjahre haben.
Wer Witwenrente bezieht, bekommt die Mütterrente
teilweise angerechnet, profitiert also nur teilweise davon.
Von keiner Ihrer schönen Maßnahmen profitieren alle
diejenigen, die in der Grundsicherung im Alter sind oder
in der Zukunft in die Grundsicherung im Alter kommen
werden.
({2})
Wir haben jetzt schon einen massiven Anstieg der Altersarmut in Deutschland. Die Grundsicherungszahlen
steigen. Die Armutsziffern steigen auch. Das ist eines
der größten Zukunftsprobleme, und da machen Sie
nichts. Das ist völlig fatal.
({3})
Ich nenne so etwas eine exklusive Sozialpolitik,
„exklusiv“ im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nämlich
eine ausgrenzende Sozialpolitik für einige wenige, die
im System drin sind, denen es halbwegs gutgeht - auch
nicht richtig gut, aber halbwegs gut -, während diejenigen, denen es am schlechtesten geht, nicht profitieren.
Noch viel schlimmer: Die müssen das Ganze auch noch
bezahlen: durch höhere Beiträge, durch geringere
Renten.
Das muss erst einmal jemand hinkriegen: ein Rentenpaket mit einem Umfang von 10 Milliarden Euro jährlich zu machen, wobei am Ende die Beiträge steigen, die
Renten sinken und nichts gegen Armut passiert. Diese
gesamte Rentenreform ist ein absolutes Fehlergebnis.
({4})
Statt so einer exklusiven Sozialpolitik brauchen wir
eine andere Politik, nämlich eine, die darauf aus ist,
nicht auszugrenzen, Ausgrenzung in der Gesellschaft
möglichst zu verhindern und selbstbestimmte Teilhabe
für alle tatsächlich zu ermöglichen.
({5})
Dafür muss man ganz andere Prioritäten setzen, als Sie
das tun:
Erstens. Bei der Rente muss man mit einer Garantierente anfangen. Dazu haben wir einen Änderungsantrag
zum Haushalt gestellt. Er zeigt, wie wir den Einstieg in
die Garantierente hinbekommen.
Zweitens. Beim Arbeitsmarkt muss man bei denjenigen anfangen, die am schwierigsten in den Arbeitsmarkt
zu vermitteln sind. Der Kollege Ernst hat es schon
gesagt: Die Arbeitsmarktentwicklung ist insgesamt betrachtet durchaus positiv, sie geht aber an den Langzeitarbeitslosen vorbei; die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt
nur ganz schwach. Der Teil derjenigen, die tatsächlich
dauerhaft in der Langzeitarbeitslosigkeit sind, stellt ein
besonderes Problem dar. Ich freue mich, dass Sie das
auch so sehen, Frau Nahles.
Dazu haben wir einen Vorschlag gemacht, nämlich
den Vorschlag zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes. Ich finde, das muss ein Schwerpunkt sein und
Priorität haben. Wenn wir das in der nächsten Zeit zusammen hinkriegen, ist das sehr positiv. Es ist ein grüner
Erfolg, wenn wir Sie dazu bekommen, dass Sie beim
Sozialen Arbeitsmarkt - ich gucke insbesondere die
CDU/CSU-Kolleginnen und -Kollegen an - mitmachen.
({6})
Der dritte Punkt betrifft die Grundsicherung. Auch
dieser Themenbereich ist von Ihnen überhaupt nicht angesprochen worden, obwohl 7 Millionen Menschen
Grundsicherungsleistungen beziehen. Wir sagen, dass
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Berechnung der Regelsätze nach wie vor nicht vollständig umgesetzt ist. Wir müssten den Regelsatz auf mindestens
420 Euro erhöhen. Im nächsten Jahr werden wir eine
Debatte zur Neuberechnung haben, aber die Erhöhung
auf 420 Euro muss sofort erfolgen. Auch dazu haben wir
einen Antrag gestellt.
({7})
Aber es hilft natürlich nicht, einfach nur den Regelsatz zu erhöhen. Das ist eine notwendige Maßnahme.
Wir müssen vielmehr dazu kommen, dass Menschen gar
nicht erst in die Grundsicherung fallen, damit die Zahl
nicht noch weiter steigt. Ich muss zugeben, dass der
Mindestlohn hierauf durchaus eine Wirkung haben wird.
Aber auch vom Mindestlohn wird eine schwache
Gruppe, nämlich die Langzeitarbeitslosen, wieder ausgenommen. Das ist ein Unding. Denjenigen, denen es gut
geht, geben Sie etwas. Denjenigen, denen es schlecht
geht, geben Sie an der Stelle nichts.
({8})
Auf Unternehmensseite profitieren davon Unternehmen, die nicht nach Tarif bezahlen - die anderen können
ja gar nicht weniger an Langzeitarbeitslose zahlen -, die
quasi noch subventioniert sind. Gleichzeitig geht es zulasten der Langzeitarbeitslosen. Das ist eine Politik, die
alles andere als sozial ist.
({9})
Das Problem der Armut trotz Erwerbstätigkeit wird
durch den Mindestlohn nur zum Teil behoben. Wir brauchen auch Maßnahmen zur besseren Absicherung für
Teilzeiterwerbstätige und Selbstständige. Das ist auch
eine große und wichtige Baustelle, an die wir noch herangehen müssen. Wie gesagt: Wir brauchen insgesamt
eine Politik, die nicht exklusiv ist, sondern wir brauchen
eine inklusive Sozialpolitik, mit der wir tatsächlich
selbstbestimmte Teilhabe für alle schaffen, wovon alle
profitieren und nicht nur ausgewählte Gruppen.
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Axel E. Fischer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Präsident, bevor Sie mir entwischen, weil Frau Bulmahn
wartet, um die Sitzungsleitung zu übernehmen, möchte
ich Sie für Ihre Krawatte mit der Deutschlandfahne ausdrücklich loben und ebenso unsere Parlamentarische Geschäftsführerin, Frau Noll, für ihre Tasche in den
Deutschlandfarben. Ich hoffe, dass es gute Signale für
das Fußballspiel morgen Abend sind.
({0})
Lieber Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben
über die Armut in Deutschland gesprochen.
({1})
Ich zitiere aus der heutigen FAZ:
Vom Aufschwung bleibt endlich etwas hängen
Axel E. Fischer ({2})
… Nach Abzug der Teuerung blieb ihnen im ersten
Quartal dieses Jahres ein Lohnzuwachs von durchschnittlich 1,3 Prozent … Dies ist der stärkste Anstieg der Reallöhne seit 2011.
({3})
Ich finde, dass die Arbeitnehmer mehr in der Tasche
haben, als es bisher der Fall war, ist ein schönes Signal,
das wir von den Haushaltsberatungen heute senden können. Das ist mit ein Erfolg dieser Bundesregierung.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundeshaushalt
2014, über den wir heute debattieren, ist nach überwundener inländischer Wirtschafts- und Finanzkrise ein erster gelungener Wurf der Großen Koalition. Bevor jetzt
haufenweise Zwischenfragen kommen, sage ich gleich:
Machen Sie nachher eine Kurzintervention, dann werde
ich darauf reagieren. Ich werde keine Fragen zulassen,
weil ich nicht vorhabe, diese Debatte gewaltig in die
Länge zu ziehen.
({5})
Gemeinsam haben wir in der Großen Koalition Verantwortung übernommen und neue Akzente im Bereich
der Sozialversicherungen, des Arbeitsmarktes und im
Bildungsbereich gesetzt. Das Rentenpaket, die Entlastung von Ländern und Kommunen durch die Übernahme
der Kosten für die Grundsicherung im Alter, MobiProEU, ein Programm, das ausländischen arbeitslosen
Fachkräften und ausbildungswilligen Jugendlichen eine
Perspektive in Deutschland geben soll, sind einige Stichworte für die Herausforderungen, derer sich die Große
Koalition im vergangenen halben Jahr angenommen hat.
Ich bin Ihnen, Frau Ministerin, sehr dankbar, dass Sie
deutlich gemacht haben, dass MobiPro auch deshalb
möglich war, weil wir hier im Deutschen Bundestag
- ich schließe ausdrücklich alle Fraktionen mit ein ganz klar zu diesem Thema standen und noch einmal
eine Schippe drauflegen konnten. Ich danke Ihnen und
auch den Mitarbeitern, die hinten sitzen, herzlich, dass
vom Ministerium der Hinweis kam, dass man das aus
dem Etat heraus finanzieren kann. Ich danke ausdrücklich auch der Bundesagentur für Arbeit mit Herrn Weise
an der Spitze, dass das möglich war. Darüber sollten wir
alle uns gemeinsam freuen; denn wir alle haben gemeinsam daran gearbeitet. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal für unseren Arbeitsmarkt, auch für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, im Bereich des Einzelplans 11 sind in diesem Jahr Ausgaben des Bundes in
Höhe von 121,9 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind
fast 3 Milliarden Euro mehr, als noch im Haushalt des
vergangenen Jahres vorgesehen waren. Gemeinsam setzen wir aber auch den erfolgreichen Konsolidierungspfad der unionsgeführten Koalitionsregierung der Vergangenheit fort.
({6})
Dafür steht Angela Merkel, dafür steht auch Wolfgang
Schäuble, dafür steht die gesamte Große Koalition. Denn
wir wissen, dass es unverantwortlich wäre, die Chancen
der jüngeren Generation leichtfertig zu verspielen.
Dank unseres mutigen Vorgehens in den vergangenen
Jahren, insbesondere aber auch dank des Wachstumspakts und einer zeitgemäßen Modernisierung unseres
Arbeitsmarkts konnten wir die Krise des Jahres 2009
hinter uns lassen. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit liegt unter 3 Millionen; danach würden sich andere Regierungen die Finger lecken. Die Sozialkassen
sind gut gefüllt.
({7})
Die Neuverschuldung erreicht mit 6,5 Milliarden Euro in
diesem Jahr den niedrigsten Wert - hören Sie gut zu! seit 40 Jahren. Meine Damen und Herren, voraussichtlich im kommenden Jahr werden wir erstmals seit 1969
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen können,
ohne Neuverschuldung. Das ist doch wirklich ein Wort.
({8})
In Deutschland sind knapp 30 Millionen Menschen
sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so viele wie
noch nie. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir den
Beitragssatz der Rentenversicherung auf unter 19 Prozent absenken konnten und jetzt zusätzlich das Rentenpaket aus den Rentenversicherungsbeiträgen und den angesparten Rücklagen finanzieren können.
({9})
Das ist Resultat der erfolgreichen Wirtschafts-, Finanzund Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre. Es ist
nur billig, an dieser Stelle die Solidarleistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hervorzuheben, ohne
die Mütterrente, Rente mit 63 sowie Verbesserungen bei
der Erwerbsminderungsrente und beim Rehabudget
nicht finanzierbar gewesen wären.
Unsere vergleichsweise gute Wirtschaftslage und
Haushaltssituation heute dürfen aber nicht den Blick auf
die vor uns liegenden, zukünftigen finanziellen Herausforderungen bei der dauerhaften Finanzierung des Rentenpakets verstellen.
({10})
- Sie werden mir gleich zustimmen; davon bin ich überzeugt. - Denn den absehbar sinkenden Reserven in der
Rentenkasse steht eine aufwachsende Verantwortung des
Bundes für die hier entstehenden zukünftigen Finanzlasten gegenüber. - Ich sehe ein Nicken. Das freut mich.
Sie stimmen da also zu. ({11})
Axel E. Fischer ({12})
Dafür müssen wir finanzielle Vorsorge treffen; denn
dann wird auch die Solidarität der nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigten Bevölkerungsteile gefragt
sein.
({13})
Meine Damen und Herren, die Gesamtausgaben für
die Grundsicherung für Arbeitsuchende, also für Arbeitslosengeld II, Eingliederungshilfe und Ausgaben für
die Kosten der Unterkunft, werden in diesem Jahr einen
historischen Tiefstand von nur gut 31 Milliarden Euro
erreichen. Unsere niedrige Arbeitslosigkeit, ein hoher
Beschäftigungsstand und die weiterhin guten wirtschaftlichen Aussichten zeigen, wie erfolgreich die Politik der
vergangenen Jahre den Menschen berufliche Perspektiven eröffnet hat, sie an den Arbeitsmarkt herangeführt
und in den Arbeitsmarkt integriert hat.
Eine gute Wirtschaftspolitik ist die beste Sozialpolitik, wusste schon Ludwig Erhard, der als Wirtschaftsminister und Bundeskanzler mit dem deutschen Wirtschaftswunder die wirtschaftliche Basis für unseren
heutigen Wohlstand und unsere sozialen Netze mit gelegt hat. So wollen wir in diesem Jahr und in den kommenden Jahren trotz gesunkener Arbeitslosigkeit noch
einmal 350 Millionen Euro mehr für die Eingliederungshilfe ausgeben als im vergangenen Jahr. Denn auch
schwierige Fälle sollen eine berufliche Perspektive haben.
An dieser Stelle möchte ich betonen: Arbeitsmarktpolitik findet nicht im luftleeren Raum statt. Wir hatten
2006 Ausgaben für Eingliederungshilfen in Höhe von
8 Milliarden Euro für 4,5 Millionen Arbeitslose und
nehmen heute noch einmal 350 Millionen Euro mehr in
die Hand bei weniger als 3 Millionen Arbeitslosen. Das
zeigt, welche Perspektiven wir von der Großen Koalition
den Menschen am Arbeitsmarkt geben wollen.
({14})
Wir bringen Menschen wieder in Arbeit. Uns geht es mit
der Aufstockung der Mittel um konkrete Hilfe für Betroffene und nicht um die Konservierung kommunaler
oder regionaler Betreuungsstrukturen für Langzeitarbeitslose.
Dieser Tage haben die Gewerkschaften den Einstieg
in die Rente mit 60 proklamiert.
({15})
Bei allem Verständnis und bei aller Sympathie für die
Zielsetzung, den Übergang aus dem Arbeitsleben in den
letzten Lebensabschnitt flexibler zu gestalten: Die Wirkung dieser plakativen Forderung ist fatal und steht den
Erfordernissen für eine ganzheitliche, gedeihliche und
nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft diametral
entgegen.
Bei einem immer späteren Eintritt ins Arbeitsleben,
einer weiter steigenden Lebenserwartung und einer im
Allgemeinen immer besseren körperlichen und geistigen
Verfassung unserer älteren Mitbürger, bei steigenden
Leistungen aus der Rentenversicherung und angesichts
des heute spürbar zunehmenden Fachkräftemangels
kann eine weitere zusätzliche Verkleinerung der Arbeitskräftebasis nicht die geeignete Antwort sein.
Das Renteneintrittsalter für die gesetzliche Rentenversicherung wurde unlängst auf 67 Jahre angehoben.
Bei einem durchschnittlichen Eintritt ins Berufsleben im
Alter von 22 Jahren und einem Ausscheiden mit 67 Jahren würden 45 Beitragsjahre erreicht, bei einem Ausscheiden mit 60 hingegen nur noch 38 Beitragsjahre.
({16})
Das hieße: Ein Arbeitnehmer bezahlt rund 20 Prozent
weniger Beiträge, gleichzeitig bezieht er länger Rente.
Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren steigt die
Dauer des Rentenbezugs von 13 auf 20 Jahre, das heißt,
um rund 50 Prozent.
({17})
20 Prozent weniger Beiträge und 50 Prozent höhere
Leistungen - da fragen wir uns: Wie sollen zukünftige
Arbeitnehmer das finanzieren? Es liegen also noch wichtige Aufgaben vor uns.
Ich möchte abschließend unserer Hauptberichterstatterin herzlichen Dank sagen. Liebe Ekin Deligöz, du hast
das phantastisch gemacht, ganz klasse.
({18})
Vielen Dank auch den Mitberichterstattern. Auch dem
Kollegen Ewald Schurer möchte ich - in Abwesenheit
der Kollegin Lötzsch - herzlich danken. Es war ein gutes
Miteinander. Ich habe es vorhin angesprochen: Das
Thema MobiPro hat gezeigt, dass man gemeinsam etwas
erreichen kann. Mein Dank geht auch an Sie, Frau
Ministerin, an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Mein Dank gilt auch Herrn Weise und seinem Team.
In der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales haben wir
etwas Gutes geleistet. Es wäre schade, wenn wir diese
Erfolge kaputtreden würden.
Vielen Dank.
({19})
Eine so nette Danksagung wollte ich nicht unterbrechen; sie ist ja auch gerechtfertigt. Trotzdem bitte ich
alle Kolleginnen und Kollegen noch einmal um Zeitdisziplin, weil wir sonst sehr lange in den Abend hinein tagen.
Herr Kollege Schurer, Sie haben das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte macht
deutlich - die Ministerin hat die Zahlen genannt:
121,9 Milliarden Euro und 41 Prozent des gesamten
Haushaltes -, dass der Haushalt für Arbeit und Soziales
das Herzstück des Bundeshaushaltes ist.
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, es wäre schön, wenn
sich die Debattenbeiträge von Regierungsfraktionen und
Opposition inhaltlich so weit decken würden, sodass
man sagen kann: Wir sprechen über das gleiche Thema.
Für uns als Haushälterinnen und Haushälter ist es eine
riesige Aufgabe, einen gesellschaftlichen Diskurs über
die gesellschaftliche Entwicklung und die Bekämpfung
von Armut zu führen mit dem Ziel, möglichst viele Menschen durch Beruf und Ausbildung gesellschaftlich zu
integrieren. Das ist des Pudels Kern auch in einer solchen Debatte. Man darf sich hier nicht hinter Zahlen verstecken.
Ich finde, die Opposition läuft quasi unter der Latte
durch, wenn sie hier per se sagt, dass diese Regierung
hinsichtlich der Bekämpfung von Armut nichts leistet.
Das stimmt einfach nicht. Fakt ist, dass die Erwerbsminderungsrente, die wir im Rahmen des Rentenpakets erhöht haben - wir haben das in der ersten Lesung schon
durchdekliniert -, einen manifesten Bestandteil der Bekämpfung von Armut darstellt. Fakt ist - der Kollege
Ernst hat die Daten vielleicht übersehen -, dass wir bei
der Ausstattung der Jobcenter - vier mal 350 Millionen Euro - den Trend, den Schwarz-Gelb eingeleitet hat,
wieder umdrehen, um in die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit mehr Substanz hineinzubekommen, um
besser individuell fördern zu können. Fakt ist auch - wir
reden noch darüber -, dass der Mindestlohn ein großes
Projekt ist, um die in diesem Land seit den 90er-Jahren
auf dem Arbeitsmarkt entstandenen Verwerfungen
- Stärkung des Niedriglohnsektors - zu bekämpfen.
({0})
Es ist mehr als eine Höflichkeitsformel, wenn ich
sage - der Kollege Fischer hat das schon gesagt; auch
der Kollegin Deligöz, der Hauptberichterstatterin,
möchte ich dafür danken -, dass wir eine sehr gute fachliche Diskussion geführt haben. Das ist die Grundlage
für gute Inhalte. Dem Haus und seinen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ist zu danken; denn mit dem Rentenpaket und der Mindestlohngesetzgebung mussten zwei Megajobs erledigt werden. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass das gelungen ist. Deshalb gilt mein Dank und
meine Anerkennung - über die Höflichkeit hinaus - dem
Haus A & S für diese wirklich großartige Arbeit in den
letzten Monaten.
({1})
Der Haushalt wurde skizziert. Er ist in der Tat das
Herzstück des Bundeshaushalts und hat eine wichtige
Funktion. Man spricht in diesem Zusammenhang nicht
nur über die Rente und nicht nur über den Mindestlohn,
sondern man spricht auch über integrale, große Bestandteile einer Volkswirtschaft. Sozialsysteme - das habe ich
in der ersten Lesung schon gesagt - sind keine isolierten
Bestandteile der makroökonomischen, der volkswirtschaftlichen Entwicklung, sondern sie tragen in manifester Form durch ausgeschüttete Beiträge, die zum Teil
selbst erarbeitet wurden und zum Teil aus Steuerzuschüssen resultieren, zur Wertschöpfung einer Volkswirtschaft bei. In Form von Kaufkraft, Ausgaben und
Beschäftigung sind Sozialbeiträge immer integraler Bestandteil wirtschaftlichen Handelns. Das muss man einfach einmal so sehen.
Wir haben zwei große Schwerpunkte. Mit 88,4 Milliarden Euro - inkludiert sind die neuen Ausgaben, die
aus dem Rentenpaket resultieren - sind die Zuschüsse an
die Rentenversicherung natürlich dominierend. Es gibt
einen zweiten großen Block: 31,2 Milliarden Euro für
die Arbeitsmarktförderung. Das sind in diesem Haushalt
natürlich die größten Posten. Es gibt weitere kleinere
Posten wie die Gelder für die Kriegsopferfürsorge und
dergleichen mehr, die auch wichtig sind.
Mir ist es wichtig, dass wir im Zusammenhang mit
der Armut-Reichtum-Debatte auch über die Kommunen
reden, die Träger vieler sozialer Leistungen sind. Wir
wissen aus der aktuellen Presseberichterstattung, dass
die Kommunen in wirtschaftlich schwierigen Gebieten
mit steigenden Sozialkosten kämpfen, weil dort mehr
Menschen desintegriert sind. Es gibt reichere Gegenden
im Land, und es gibt Gegenden, die große ökonomische
Probleme haben, also mit Folgelasten zu kämpfen haben.
Es ist wichtig, dass der Bund 2014 100 Prozent der Kosten für die Grundsicherung im Alter übernimmt. Auch
das ist eine Form der Armutsbekämpfung - über die
Kommunen, die ein wichtiges Gebilde im Staat sind. Wir
haben über 12 000 Kommunen in Deutschland vorzuweisen.
({2})
Im Sinne einer Zwischenlösung erhalten die Kommunen ab 2015, also ab dem nächsten Jahr, bis 2017 jährlich 1 Milliarde Euro, und spätestens 2018 - mir wäre
2017 lieber - werden wir durch ein Bundesteilhabegesetz mit einer manifesten inhaltlichen Bindung - Inklusion - in der Lage sein, mit 5 Milliarden Euro im Interesse der Menschen massiv gegenzusteuern. Ich weiß,
dass das ein sehr anspruchsvolles Vorhaben des Ministeriums ist. Mit dem Bundesteilhabegesetz haben wir ein
anspruchsvolles Gesetz zu gestalten, durch das das Zeitalter der Integration überführt wird in das Zeitalter der
Inklusion.
({3})
Dieser Prozess wird noch andauern. 2015 werden wir,
glaube ich, eine erste Vorlage erhalten. Auf dieser
Grundlage können wir dann über den Inklusionsprozess
diskutieren. Das ist ganz wichtig.
Das Programm MobiPro ist schon genannt worden.
Darauf will ich jetzt nicht mehr ausführlich eingehen, da
der Kollege Axel Fischer dazu bereits Ausführungen gemacht hat. Herzlichen Dank dafür.
Wir als Haushälter haben unter Zuhilfenahme eurer
fachpolitischen Intuitionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mittel auf fast 100 Millionen Euro verdoppelt.
Es gibt jetzt 96,1 Millionen Euro für diesen so wichtigen
Bereich. Ich würde mir bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit von der Europäischen Union manchmal
die gleiche Eloquenz und Durchsetzungsfähigkeit beim
Auf-die-Strecke-Bringen von Programmen wünschen,
die wir an den Tag gelegt haben. Das ist ein kleiner Baustein zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der
Perspektivlosigkeit junger Menschen aus europäischen
Nachbarländern; aber er hat eine hohe Symbolik nicht
nur für die Betroffenen, sondern eben auch für unsere
Wirtschaft, die in manchen Regionen zum Teil an einem
Mangel auszubildender junger Menschen leidet. Egal, ob
die jungen Menschen bei uns bleiben oder vielleicht mit
einer Berufsausbildung nach Spanien, Griechenland
oder in andere Länder zurückgehen und dort neue Arbeitsplätze schaffen: Es ist ein tolles Programm!
({4})
Die Sprachkurse des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge sind schon genannt worden.
Zum Schluss komme ich, Frau Präsidentin, noch in
aller Kürze zum Mindestlohn. Dabei handelt es sich um
ein sehr großes Reformprojekt; denn es werden 5 Millionen Einkommen im Lande erhöht. Die Betroffenen leben
schließlich davon. Man muss sich das einmal vorstellen:
Wir reden nicht nur über eine nackte Zahl, sondern
5 Millionen Existenzen - sehr oft handelt es sich um
Frauen - werden über den Mindestlohn künftig in der
Gesellschaft deutlich besser abgesichert sein. Die Folgewirkungen: Es gibt mehr Steuern, mehr Sozialabgaben,
mehr Kaufkraft und mehr Binnenkonjunktur. Das wird
sich positiv auswirken.
Von daher kann ich sagen: Liebe Freundinnen und
Freunde von den Grünen und von der Linkspartei, es ist
euer größter Fehler - den habt ihr heute wieder einmal
gemacht -, das Mindestlohngesetz zu unterschätzen und
so zu tun, als wenn das nicht ein manifester Beitrag zur
Bekämpfung von Armut in der Gesellschaft sei.
({5})
Lasst euch nicht so sehr vom Kurs der Stiftung neue oder
alte Soziale Marktwirtschaft beeinflussen. Ihr müsst einen neuen Kurs finden, mit dem ihr euch identifizieren
könnt. Das vermisse ich bei euch.
({6})
Ich sage nur: Der Mindestlohn, das ist eine tolle Geschichte.
({7})
Er stellt eine Zeitenwende, eine Kulturwende mit dem
Ziel dar, dass Menschen auskömmlich und würdevoll
von ihrer Arbeit leben können. Sie sollen in der Lage
sein, selbstbewusst an dieser Gesellschaft zu partizipieren.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Als nächster Redner hat Matthias W. Birkwald das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Welt. Davon spüren aber Millionen von Menschen nichts. Sicher, vielen geht es gut. Es gibt 1,1 Millionen Dollar-Millionäre in Deutschland. Mit anderen
Worten: Die soziale Spaltung nimmt zu.
Nach aktuellen Zahlen des Deutschen Institutes für
Wirtschaftsforschung verfügen knapp 28 Prozent der Erwachsenen hierzulande über kein oder nur über ein negatives Vermögen. So heißt das in der kalten Sprache der
Wirtschaftsforscher. Auf Deutsch heißt das: Ein Drittel
der Menschen in unserem Land hat nur Nullen oder
Schulden auf dem Konto, und es gibt 10 Millionen
Arme. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität.
Darum brauchen wir dringend eine Umverteilung von
oben nach unten.
({0})
Schlägt sich das im Haushalt der Arbeits- und - ich
betone - der Sozialministerin irgendwie nieder? Nein,
tut es nicht. Frau Ministerin Nahles, Sie fügen sich dem
Mantra von Finanzminister Schäuble. Der ruft fünfmal
am Tag: Keine Steuererhöhung, keine neuen Schulden! ({1})
Das bedeutet: CDU/CSU und SPD ignorieren die soziale
Spaltung. Das darf nicht so bleiben. Wir brauchen einen
Haushalt des sozialen Ausgleichs, meine Damen und
Herren.
({2})
Deshalb fordert die Linke hier und heute:
Erstens. Der Regelsatz für Hartz-IV-Beziehende muss
endlich auf 500 Euro im Monat angehoben werden.
({3})
Zweitens. Für die Grundsicherung im Alter brauchen
wir für arme Seniorinnen und Senioren ebenfalls menschenwürdige Regelsätze.
({4})
Drittens. Hartz-IV-Betroffene und ihre Kinder sind
auf jeden Cent angewiesen. Darum darf das Elterngeld
nicht mehr auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden.
({5})
Viertens. Lassen Sie die Rentnerinnen und Rentner im
Osten nicht länger im Regen stehen und gleichen Sie
endlich den Rentenwert Ost an das Westniveau an. Ein
Vierteljahrhundert nach der Einheit müssen 45 Jahre
Arbeit als Verkäuferin oder als Kfz-Mechatroniker - völlig egal, ob man in Halle an der Saale oder in Halle in
Westfalen wohnt - auch die gleiche Rente bringen. Fünftens. Menschen mit Behinderungen haben das gleiche
Recht auf Arbeit, auf Mobilität, auf Bildung, auf Theater, auf Reisen und vieles andere wie Menschen ohne
Behinderungen. Darum, meine Damen und Herren von
der Koalition, fordere ich Sie auf: Sagen Sie nicht sofort,
das Bundesteilhabegesetz dürfe aber nicht so viel kosten,
sondern diskutieren Sie mit den Menschen mit Behinderungen darüber, was inhaltlich im Gesetz stehen muss,
({6})
damit allen Menschen mit Behinderungen die volle und
wirksame Teilhabe an der Gesellschaft garantiert werden
kann, bedarfsgerecht und unabhängig von Einkommen
und Vermögen.
({7})
Frau Ministerin Nahles, legen Sie schnell erste Eckpunkte und einen Fahrplan vor, wie die Expertinnen und
Experten in eigener Sache an der Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes aktiv beteiligt werden sollen. Die
Menschen mit Behinderungen werden es Ihnen danken
und wir auch.
({8})
Sechstens. Frau Nahles, angesichts des weltweiten
Flüchtlingselends sage ich: Fassen Sie sich ein Herz, und
sorgen Sie dafür, dass die in Deutschland asylsuchenden
Menschen, die Geduldeten und die Bürgerkriegsflüchtlinge, beispielsweise aus Syrien, endlich dieselben
Grundsicherungsleistungen erhalten wie alle anderen,
die zwischen Rostock und Berchtesgaden auf Hartz IV
oder auf Sozialhilfe angewiesen sind.
({9})
Ich ahnte schon: Für diese Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit rührt sich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU, keine Hand.
Deshalb, Frau Ministerin Nahles, sage ich: Ihr Haushalt
ist kein Haushalt des sozialen Ausgleichs. Ihr Haushalt
ist ein Haushalt der Tricksereien. Das ist durch und
durch schlecht.
({10})
- Warum Tricksereien, Frau Weiss? Ich sage es Ihnen.
Die sogenannte Mütterrente kostet mehr als 6,5 Milliarden Euro jährlich. Aber, Wunder, oh Wunder, davon
taucht nichts in Ihrem Haushalt auf, auch in den nächsten vier Jahren nicht. Danach soll es dann ein paar Euro
mehr aus dem Steuersäckel geben, aber bis dahin werden
die Beiträge der Rentenversicherten für die Mütterrente
verfrühstückt, wie es Gregor Gysi heute Morgen hier erläutert hat. Alles gegen jede Vernunft! Das ist getrickst,
das ist falsch, und das ist ungerecht.
({11})
Das Rentenniveau sinkt immer weiter, durch das Rentenpaket noch mehr als bisher. Das ist sozial ungerecht.
Mit Lebensversicherung und Riester-Rente können die
allermeisten Menschen die Löcher in ihrer gesetzlichen
Rente nicht stopfen. Bei den Lebensversicherungen wollen sie die Auszahlungen jetzt auch noch kürzen und die
Garantiezinsen von mickrigen 1,75 Prozent auf noch
mickrigere 1,25 Prozent absenken. Das heißt, 62 Millionen Lebensversicherte zahlen für die Krise, die sie nicht
verursacht haben. Das ist die Wahrheit.
Das zeigt: Die gesetzliche Rentenversicherung muss
gestärkt werden. Sie ist viel besser als Riester und Co.
Aber Sie pumpen in diese Riester-Verträge in diesem
Jahr noch einmal 3,5 Milliarden Euro Steuermittel. Das
heißt, bis 2018 werden knapp 44 Milliarden Euro geflossen sein. Dazu sage ich: Das ist eine Verschwendung von
Steuermitteln gepaart mit Realitätsverweigerung, sonst
nichts.
({12})
Warum rede ich jetzt von 2018? Schauen Sie einmal
in Ihren Haushaltsplan. Dort stehen nämlich diesen Milliardensummen an Riester-Förderung im Jahr 2018 gerade einmal 49 Millionen für Ihr nächstes Pseudobollwerk gegen Altersarmut, die Lebensleistungsrente,
gegenüber. 49 Millionen Euro, um Minirenten aufzustocken, und 3,5 Milliarden Euro, um gefloppte RiesterVerträge zu retten - 70-mal mehr für Unsinn als gegen
Altersarmut, das ist echt nicht zu fassen.
({13})
Dabei rechnen Sie selbst im Haushalt mit einem jährlichen Anstieg der Zahl der Grundsicherungsbeziehenden im Alter und bei Erwerbsminderung von jährlich
6,6 Prozent. Im Jahr 2018 werden nach Ihren eigenen
Zahlen also knapp 1,3 Millionen ältere und kranke
Menschen am Rande des Existenzminimums leben. Das
muss unbedingt verhindert werden.
({14})
Ich komme zum Schluss. Aus den genannten Gründen
fordert die Linke eine solidarische Mindestrente, die
ihren Namen verdient. Niemand soll von weniger als
1 050 Euro monatlich leben müssen. Deshalb, Frau
Nahles, will die Linke Steuererhöhungen für Menschen
mit hohen Einkommen und Vermögen. Dann hätten wir
52 Milliarden Euro mehr im Steuertopf, also deutlich
mehr als die 34 Milliarden Euro. Dann könnte man
endlich aus dem Haushalt des Ministeriums für Arbeit
und Soziales einen Haushalt des sozialen Ausgleichs
machen.
Danke schön.
({15})
Jetzt hat die Kollegin Sabine Weiss das Wort.
({0})
Schönen Dank. - Verehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Viele Dinge sind schon angesprochen worden. Aber
manche Dinge sind einfach so gut, dass man sie nicht oft
genug wiederholen kann.
({0})
Wir freuen uns, dass in Deutschland rund 42 Millionen
Männer und Frauen erwerbstätig sind. Wir freuen uns,
dass die Arbeitslosenquote deutlich zurückgegangen ist.
Wir freuen uns, dass die sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung aufwächst. Wir freuen uns, dass Deutschland mit 7,9 Prozent die geringste Jugendarbeitslosenquote in Europa hat.
({1})
Anders als in der Vergangenheit steht der Fachkräftemangel heute neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ganz oben auf der Agenda. Leitbild und Erfolgsrezept ist die soziale Marktwirtschaft. Sie bringt
unserem Land Wohlstand und soziale Sicherheit und gibt
uns - dem können Sie nicht widersprechen - eines der
sichersten Sozialsysteme der Welt.
({2})
Unsere ausgewogene Wirtschaftsstruktur mit einem
starken Mittelstand, einer leistungsfähigen Industrie und
der gelebten Sozialpartnerschaft von Gewerkschaften
und Arbeitgeberverbänden bringt uns weltweit Anerkennung ein. Dem Ergebnis einer Umfrage des britischen
Senders BBC zufolge war Deutschland 2013 das beliebteste Land weltweit. Das ist eben nicht selbstverständlich.
Seit 2005 haben wir die Bedingungen für die Wirtschaft entscheidend verbessert. Mittelstand und Industrie
wachsen und schaffen neue Arbeitsplätze. Seit 2005 hat
sich der deutsche Arbeitsmarkt vom Sorgenkind zum internationalen Vorbild entwickelt. 2011 konnte ein Rekordstand seit der Wiedervereinigung erreicht werden,
und das trotz Finanz- und Wirtschaftskrise.
({3})
Mittlerweile gilt Deutschland als Vorbild, und das nicht
nur für die Krisenbewältigung.
Für das Jahr 2014 sieht der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Ausgaben von rund
122,3 Milliarden Euro vor. Er ist der mit Abstand größte
Einzeletat im gesamten Bundeshaushalt, sozusagen
- Frau Nahles hat es erwähnt - das Herzstück. Den größten Posten innerhalb dieses Haushaltes nehmen natürlich
die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherung
ein. Die kürzlich beschlossenen Verbesserungen bei der
Mütterrente und der Erwerbsunfähigkeitsrente sind hier
enthalten. Alles ist solide finanziert.
({4})
Demnächst - damit zeigen wir, dass wir keinen Stillstand wollen - werden wir Regelungen für einen flexiblen Übergang ins Alter erarbeiten. Wer sich fit fühlt und
sich noch nicht aufs Altenteil zurückziehen will, soll
leichter über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten und
seine Rentenansprüche steigern dürfen. Ziel ist hier,
nicht so früh wie möglich in Rente zu gehen, sondern so
lange wie möglich zu arbeiten.
({5})
Mehr als 31 Milliarden Euro wenden wir für Arbeitsförderung und Grundsicherung sowie für das Arbeitslosengeld II auf. 1,34 Milliarden Euro fließen für Zwecke der sozialen Entschädigung. Wenn uns vorgeworfen
wird, wir würden einfach so weitermachen wie bisher,
dann kann ich nur sagen: Gut so! Denn wir haben ja Erfolge. Das ist das tolle Resümee, das wir heute ziehen
können. Es ist also gut, dass wir in vielen Bereichen so
weitermachen wie bisher.
({6})
Der Einzelplan 11, der jetzt debattiert wird, ist ein
wesentlicher Teil des sozialstaatlichen Leistungssystems
in diesem Lande. Aufgrund der sehr guten Konjunkturund Beschäftigungslage kommt die Bundesagentur für
Arbeit auch 2014 wieder ohne Darlehen aus; auch das
muss gesagt werden.
Wir alle in der Großen Koalition wissen aber auch: Es
besteht nicht ausschließlich Anlass zur Selbstzufriedenheit; denn wir wollen noch besser werden. Frau Nahles
hat schon angesprochen, dass wir uns um den relativ statischen Sockel der Langzeitarbeitslosen kümmern wollen. Ich denke, da werden wir gemeinsam gute Ideen entwickeln - wobei man dazusagen muss: Es gibt da nicht
den Königsweg; denn jeder Mensch ist ein Einzelfall, jeder Mensch hat seine eigene Lebensgeschichte. Deshalb
müssen wir auf jeden Menschen anders zugehen. Jeder
Langzeitarbeitslose, der den Sprung in die geregelte Beschäftigung schafft, ist ein Erfolg. Dabei wollen wir den
einzelnen Menschen begleiten.
({7})
Ein Beispiel für gut angelegtes Geld ist für mich das
Programm „Perspektive 50plus“, das ich aus meinem
Wahlkreis kenne. Die Vermittlungsquote ist gut. Das
Programm wird demnächst neu ausgeschrieben.
Wir werden in dieser Wahlperiode - das ist auch
schon angesprochen worden - die Teilhabe von behinderten Menschen vorantreiben. Diese Menschen haben
Potenziale, die deutlich besser erschlossen werden müssen.
({8})
Sabine Weiss ({9})
Die Bundesagentur für Arbeit hat hier neue Schwerpunkte gesetzt - das ist gut -, sie will zum Beispiel vermehrt mit Handwerksbetrieben das Gespräch suchen,
damit Menschen mit Handicaps dort eine Chance bekommen.
({10})
Derzeit kocht die Debatte wieder hoch, dass ein Großteil der Anträge zu Hartz IV falsch bzw. fehlerhaft beschieden werde. Die Gerichte sind mit den vielen - oft
berechtigten - Klagen überlastet. Ich denke, hier müssen
wir bald etwas ändern.
({11})
- Inhaltlich will ich jetzt gar nicht näher darauf eingehen, Herr Birkwald; das muss mit Sorgfalt erarbeitet
werden.
Ich möchte etwas über die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter sagen. Sie werden
oft gescholten und wenig gelobt. Viele haben nur befristete Arbeitsverhältnisse. Sie haben beim Fördern und
Fordern eine hochkomplexe Rechtsmaterie anzuwenden
und sind in den allermeisten Fällen gute und versierte
Fachleute. Das ist ein ausgesprochen harter Job. Die Arbeit dieser Mitarbeiter möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen.
({12})
An ihnen liegt es nicht, wenn irgendwo etwas klemmt.
Wir engagieren uns weiterhin auf dem Weg zu einem
gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt. Auch das ist
angesprochen worden; aber weil es so gut ist, wiederhole
ich es: Mit Programmen wie „MobiPro“, der Sprachausbildung für zugewanderte Arbeitskräfte, leisten wir einen
Beitrag zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in
Europa. Als die damalige Arbeitsministerin Ursula von
der Leyen 5 000 spanische Jugendliche mithilfe eines
Ausbildungspakts in deutsche Betriebe bringen wollte,
erntete sie Kopfschütteln und Skepsis; manche warfen ihr
sogar blinden Aktionismus vor. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass man in Deutschland die Chance auf
Ausbildung hat. Von Beginn des Programms „MobiPro“
bis Ende März 2014 haben nahezu 9 000 junge Menschen
die Teilnahme beantragt. Mehr als 40 000 Anträge zu
den einzelnen Fördermaßnahmen gingen ein. Über die
Hälfte stammt allein aus dem ersten Quartal 2014.
Im Rahmen eines ESF-Programms zur Sprachausbildung haben zudem rund 120 000 Jugendliche und Erwachsene etwa 6 400 Sprachkurse besucht.
Alle diese Programme sind sehr erfolgreich. Wir beherzigen damit, was Wissenschaftler uns immer gesagt
haben - sie sind sich darin einig -: dass der zentrale
Faktor für eine gelungene Integration das Bildungsniveau ist. Entscheidend hierfür ist der Abbau von Sprachbarrieren mithilfe von Deutschkursen; so erreicht man
einen schnellen Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt.
Dass erheblich mehr Anträge auf Teilnahme an den
Programmen gestellt wurden als ursprünglich erwartet,
hat einige Träger von Sprachkursen in Schwierigkeiten
gebracht. So hat in meinem Wahlkreis die Akademie
Klausenhof, ein hochanerkannter Bildungsträger in der
Region, circa 30 mit ESF-Mitteln geförderte Sprachkurse durchgeführt.
Die Akademie hatte, wie auch andere Träger, große
Sorgen, als Anfang April plötzlich ein Programmstopp
verkündet wurde. Ich finde es gut und danke der Ministerin und auch den Haushältern, dass hier Wege gefunden wurden, kurzfristig noch Finanzmittel für das laufende Jahr 2014 zu mobilisieren, um zumindest die bis
Anfang April bewilligten Anträge zu bedienen.
Jetzt werden die Programme neu ausgeschrieben. Die
Akademie Klausenhof wird sich wieder bewerben - und
andere Träger auch. Ich persönlich hoffe dabei, dass die
guten Träger die Zeit bis zum Beginn des Nachfolgeprogramms ab 2015 gut überbrücken können und uns nicht
verloren gehen. Daher bitte ich darum, dass die Ausschreibung für die nächste Förderperiode zügig erfolgt.
Wir haben in den vergangenen Jahren viel erreicht, es
gibt aber auch noch viel zu tun. Diesen Aufgaben werden wir uns stellen.
Herzlichen Dank.
({13})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Corinna Rüffer
das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wäre diese Bundesregierung aus ganzem Herzen
und mit tiefer Überzeugung daran interessiert, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, dann sähe dieser Haushalt anders aus.
({0})
Es wäre nämlich erkennbar, dass wir uns von der Förderung großer Institutionen wegbewegen, und es würde
deutlich werden, dass sich Unterstützungsleistungen
stattdessen an den Bedarfen der Menschen orientieren,
die sie tatsächlich brauchen.
Ich spreche hier nicht von großen Summen, die neu
aufgebracht werden müssten, sondern es geht ganz einfach um eine andere Verteilung der Mittel. Es geht darum, dass wir von den Sonderwelten für behinderte
Menschen wegkommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mir Ihren
Haushalt angucke, dann sehe ich bestenfalls Andeutungen, dass Sie verstanden haben, worum es geht. Das ist
auch deswegen so dramatisch, weil sich die behindertenpolitische Debatte mehr und mehr zuspitzt. Mit dem
Gestus des Märtyrertums wagen sich nach und nach diejenigen hervor, die mit einer inklusiven Gesellschaft
nichts anfangen können. Man werde ja quasi gesteinigt,
wenn man sich traue, etwas gegen Inklusion zu sagen,
behaupten sie. Dann zeichnen sie finstere Bilder: Behinderte Kinder werden auf Regelschulen Tag für Tag ins
Unglück gestürzt, egal wie sehr sich ihre Lehrerinnen
und Lehrer bemühen; ihre Mitschüler begegnen ihnen
mit purem Desinteresse, und so äußern die behinderten
Schülerinnen und Schüler schon in der ersten Grundschulklasse, dass sie nicht mehr leben wollen.
Ich habe das gelesen und - ganz ehrlich - meinen Augen nicht getraut. Inklusion führt also dazu, dass Kinder
nicht mehr leben wollen? Das ist der größte Unsinn, den
ich je gehört habe.
({1})
Es gibt natürlich ebenso die weniger drastische Variante. Berichtet wird auch über spuckende, schimpfende
und störende Schmuddelkinder auf Regelschulen. Da
wird so lange Problem auf Problem geschichtet, bis alle
überzeugt sind, dass das ja wirklich nicht gehen kann mit
der Inklusion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kann Inklusion gelingen. Sie gelingt bereits jeden Tag - Tag für
Tag. Es gibt genügend Menschen, die begeistert sind und
sich starkmachen. Mittlerweile preisen selbst die Arbeitgeberverbände die Qualitäten behinderter Menschen glücklicherweise.
Wir wissen aber auch: Die Zahl der Plätze in den
Werkstätten für behinderte Menschen steigt seit Jahren
an; sie sinkt nicht. Gibt es in Deutschland immer mehr
Menschen, die nur in solchen Institutionen arbeiten können? Ich bezweifle das. Hören Sie endlich auf, nur von
Inklusion zu reden! Das ist wie mit den bellenden Hunden, die nicht beißen: Solange Sie nur von Inklusion
sprechen, ändert sich gar nichts. Machen Sie auch in Ihrem Haushalt deutlich, wohin die Reise gehen muss! Wir
haben jahrzehntelang sehr viel Geld in den Ausbau und
die Finanzierung von Sonderwelten gesteckt. Wer eine
inklusive Gesellschaft möchte, der muss das ändern.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte etwas
konkreter auf zwei Entscheidungen eingehen, die Sie mit
diesem Haushalt treffen. Wir haben hier schon oft über
die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe gesprochen. Sie haben im Koalitionsvertrag
sehr viel versprochen - 5 Milliarden Euro jährlich - und
bisher wenig gehalten. Sie zahlen nur 1 Milliarde Euro,
Sie zahlen erst ab 2015, und Sie haben das handwerklich
schlecht gelöst. Es gibt keinen richtigen Zusammenhang
zwischen der Form Ihrer Milliardenunterstützung und
den steigenden Kosten in der Eingliederungshilfe. Sie
haben sich für einen Weg entschieden, mit dem Sie gar
nicht sicherstellen können, dass das Geld genau da ankommt, wo es gebraucht wird.
Ich möchte auch auf falsche Entscheidungen zu sprechen kommen, die weniger im Fokus stehen. Der Slogan
der Behindertenbewegung „Nichts über uns ohne uns“
erfreut sich immer größerer Beliebtheit; das ist sehr gut
so. Erst kürzlich hat die Kollegin Kerstin Tack hier im
Bundestag darauf hingewiesen, dass Gesetzgebungsverfahren sinnvollerweise nur unter Beteiligung behinderter
Menschen stattfinden können. Ich teile diese Auffassung, solange es ernst gemeint ist.
Wir wissen alle, wie sehr sich behinderte Menschen
darum bemühen, an Gesetzgebungsprozessen beteiligt
zu werden. Gleichzeitig müssen sie sich um die Finanzierung ihrer Projekte bemühen und darum kämpfen Tag für Tag. Es gibt eine große Zahl von Initiativen behinderter Menschen, die nicht an etablierte Verbände angebunden sind und sich daher von Projektantrag zu Projektantrag hangeln müssen.
Wenn ich mir den Haushalt dieser Bundesregierung
ansehe, dann bekomme ich den Eindruck, dass dieses
Problem nicht sonderlich ernst genommen wird. Sie
finanziert lieber teure Kongresse an repräsentativen Orten, auf denen möglichst häufig „Inklusion“ gesagt wird.
Sie finanziert außerdem eine Studie zum Wahlrechtsausschluss, die wir gar nicht brauchen. Wenn Sie wollten,
dann könnten Sie selbstverständlich dafür sorgen, dass
unabhängige Initiativen behinderter Menschen solider
finanziert werden. Von Beteiligung zu sprechen, ohne
sich darum zu kümmern, die Möglichkeiten für Beteiligung zu verbessern, ist doppelzüngig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unsere
Gesellschaft inklusiv gestalten möchten, dann haben wir
noch sehr viel vor uns. Das ist eine Menge Arbeit, bei
der wir jede Unterstützung brauchen, die wir kriegen
können. Es ist aber nicht in erster Linie Arbeit, und es ist
nicht in erster Linie ein Haufen Probleme, ganz im Gegenteil: Es macht Spaß. Es ist eine spannende Herausforderung. Für viele Menschen ist es die Chance auf etwas
Neues.
({3})
Eines ist ganz sicher: Es wäre leichter und ein noch
größerer Spaß, und nicht zuletzt wären wir erfolgreicher,
wenn sich auch die Bundesregierung entscheiden
könnte, ihre Finanzen entsprechend zu ordnen.
Vielen Dank.
({4})
Jetzt hat der Kollege Ralf Kapschack das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Wir reden heute über viel
Geld, über rund 120 Milliarden Euro - eine Summe, die
man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann. Aber es
geht nicht um Zahlen, sondern um Politik und die Frage,
was wir mit diesem Geld konkret machen, um den Alltag
der Menschen in diesem Land zu verbessern; darum geht
es. Darüber streiten wir sehr intensiv, und das ist auch
gut so.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns keine
Schaukämpfe, sondern klare Alternativen. Die sind jetzt
auf den Tisch gekommen. Darüber streiten wir uns; das
ist auch gut so. Aber die Bürgerinnen und Bürger erwarten kein Wünsch-dir-was.
Ich will ein Beispiel nennen: Nach Jahren des Abbaus
der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik stoppen wir
jetzt den Trend und setzen Akzente. Deshalb, mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
ist es schon ziemlicher Unsinn, wenn Sie in Ihrem Antrag behaupten, die Große Koalition führe die Politik der
schwarz-gelben Vorgängerregierung fort.
Die Ministerin hat schon etwas zur Finanzierung gesagt. Das brauche ich jetzt nicht zu wiederholen; Sie haben es ja auch aufgegriffen. Wir können darüber diskutieren, dass es immer gerne noch ein bisschen mehr sein
könnte; kein Problem. Man kann auch immer darüber
streiten, ob das Glas halb voll oder halb leer ist: Meins
ist drei viertel voll.
Wir haben es zum Beispiel hinbekommen, dass für
die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen mehr Geld
zur Verfügung steht. Das kann man doch nicht ernsthaft
bestreiten.
({0})
Bislang war es so, dass nicht verausgabte Mittel am
Ende des Jahres in den allgemeinen Haushalt zurückgeflossen sind, Kollege Kurth. Diese Mittel waren für Projekte gegen Langzeitarbeitslose weg. Das haben wir geändert. Damit stehen zusätzliche Mittel zur Verfügung.
({1})
Das ist im Koalitionsvertrag so verabredet, und das
machen wir jetzt auch - Schritt für Schritt. Zugegeben:
Es könnte mehr sein. Auch ich könnte mir mehr vorstellen, aber mehr ist im Moment nicht drin.
({2})
- Das ist unsere Einschätzung. Da sind wir unterschiedlicher Meinung. Das ist auch in Ordnung so.
({3})
- Gut, ich habe kein Problem mit Steuererhöhungen. Ich
glaube, darüber haben wir ausreichend gesprochen. Wir
haben einen Koalitionsvertrag; da gibt es Verabredungen. Daran halten wir uns; Punkt!
Ich möchte etwas zum Thema Eingliederungsmittel
sagen. Dass diese Mittel eben nicht mehr wie in der Vergangenheit zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden,
macht deutlich - bei aller Bescheidenheit möchte ich das
doch sagen -, dass hier auf Initiative der SPD ein Umdenken stattgefunden hat. Das ist auch dringend notwendig.
Es ist schon angesprochen worden: Die Zahl der Beschäftigten steigt, auch die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Aber nur sehr wenige Langzeitarbeitslose profitieren davon. Das heißt, die, die übrig
bleiben, haben so gut wie keine Chance mehr. Ich sage
ihnen ganz offen: Wir als Sozialdemokraten wollen uns
nicht damit abfinden, dass Hunderttausende in diesem
Land keine Chance haben, einen Job zu bekommen.
({4})
Ob das immer eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt sein muss, darüber kann man streiten. Ich bin
froh, dass die Arbeitsministerin angekündigt hat, ab dem
nächsten Jahr mit ESF-Mitteln ein neues Programm für
30 000 Langzeitarbeitslose ohne abgeschlossene Berufsausbildung aufzulegen. Anders als bei dem Vorgängerprogramm sollen diese Menschen länger, gezielter und
intensiver betreut werden. Ich hoffe, dass dieses Programm gerade auch in den Regionen Früchte trägt, die
von Langzeitarbeitslosigkeit besonders betroffen sind,
wie dem Ruhrgebiet. Ich gehe einmal davon aus, dass
das funktioniert.
Um es klar zu sagen: Ich halte diesen Ansatz für einen
Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht auf Dauer
nicht; das wissen wir alle. Es bleibt dabei - auch das
sage ich Ihnen ganz offen -, dass die SPD weiterhin für
einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt eintritt,
({5})
um auch denen eine Chance zu geben, für die der erste
Arbeitsmarkt praktisch unerreichbar ist. Das ist in dieser
Legislaturperiode schwierig, weil das der Koalitionsvertrag nicht hergibt. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit des Ziels. Deshalb werden wir das weiterhin offensiv vertreten und dazu auch Ideen entwickeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Jetzt hat die Kollegin Astrid Freudenstein das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Ministerin hat ihre
Rede mit dem Verweis auf die Grundpfeiler der sozialen
Marktwirtschaft begonnen, das bietet sich bei Haushaltsdebatten an. Auch ich will das tun.
Unser Tun dient nicht der Stunde, dem Tag oder
diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationen
zu denken und unseren Kindern und Kindeskindern
ein festes Fundament für eine glückliche Zukunft
zu bauen.
Dieses wirklich schöne Zitat stammt von Ludwig
Erhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft. Diese
Worte gelten heute ebenso wie vor 50 Jahren, als sie der
Bundeskanzler damals in seiner Regierungserklärung
vorgetragen hat.
Diese Worte haben selten eine solche Bedeutung wie
bei Debatten um den Bundeshaushalt. Hier bedeutet „in
Generationen zu denken“ nämlich tatsächlich: keine
neuen Schulden zu machen, Schulden, die den nachfolgenden Generationen das Leben schwer machen. In diesem Jahr wäre Ludwig Erhard vermutlich ausgesprochen
stolz auf uns, so stolz wie lange nicht mehr.
({0})
Die Nettoneuverschuldung in diesem Jahr ist die
niedrigste seit 40 Jahren und wird im kommenden Haushaltsjahr auf null reduziert. Das ist ein großes Vorhaben
der Großen Koalition, vermutlich unser wichtigstes Zukunftsprojekt. Dass dies zuletzt ebenfalls einer Großen
Koalition gelungen ist, nämlich der unter Bundeskanzler
Kiesinger 1969, sei in diesem Zusammenhang auch erwähnt.
Den haushaltspolitischen Erfolg haben wir uns seit
der Finanzkrise erarbeitet. Kaum ein anderes Land ist so
gut aus der Krise herausgekommen wie wir in Deutschland. Von einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung
begleitet, haben die unionsgeführten Bundesregierungen den manchmal harten, aber sehr konsequenten Konsolidierungskurs gehalten. Der Erfolg gibt uns recht.
({1})
Doch auch der ausgeglichene Bundeshaushalt ist nur
dann gut, wenn wir Fachpolitiker die vorhandenen Mittel effektiv und effizient einsetzen. Wir müssen das, was
da ist, bestmöglich ausgeben.
Der Einzelplan 11 des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales, um den es gerade geht, hat mit seinen geplanten Ausgaben von mehr als 122 Milliarden Euro einen Anteil von gut 40 Prozent am Gesamtetat.
({2})
Wenn wir in diesem Bereich gut, effektiv und effizient
wirtschaften, dann ist das ein Signal für den gesamten
Haushalt. Der vorliegende Haushaltsplan ist dafür ein
durchaus gutes Beispiel, meine Damen und Herren.
({3})
Begünstigt wird unsere Politik - auch das zu erwähnen, gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte - von günstigen Rahmenbedingungen. Wir haben in unserem Land
eine Rekordbeschäftigung, sinkende Arbeitslosenzahlen
und daraus resultierend Rekordüberschüsse in den Kassen der Sozialversicherung. Aber auch das kommt nicht
von ungefähr. In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung die Weichen mit einer klugen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik entsprechend gestellt.
Auch im vorliegenden Plan greifen wir an den notwendigen Stellen an und setzen die Mittel genau dort
ein, wo sie gebraucht werden. Trotz der niedrigen Arbeitslosenzahlen bleibt zum Beispiel - das wurde schon
erwähnt - die Zahl der langfristig Arbeitslosen hoch, zu
hoch. Deshalb soll an der Höhe der Eingliederungsleistungen im SGB II festgehalten werden. Es werden sogar
weitere 350 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. So
können schwer zu vermittelnde Arbeitslose mit sehr individuellen Biografien besser betreut und vermittelt werden.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung, dass die zuständige Ministerin die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu einem Schwerpunkt machen will. Wir stehen
bei diesem Thema zwar vergleichsweise gut da, doch
Zeiten der Arbeitslosigkeit in jungen Jahren wirken sich
ausgesprochen negativ auf den Rest der Erwerbsbiografie aus. Deshalb dürfen wir bei diesem Problem nicht lockerlassen.
({4})
Ein weiteres positives Beispiel aus dem Einzelplan ist
die Aufstockung bei der Förderung der Inklusion von
Menschen mit Behinderung. Hier sind Ausgaben in
Höhe von mehr als 260 Millionen Euro geplant: so viel
wie nie zuvor. Mit dem Bundesteilhabegesetz wird ein
neues Kapitel der Behindertenpolitik aufgeschlagen. Auf
dessen Konzeption muss nun unser Augenmerk liegen.
Wir werden das mit Gründlichkeit und Verantwortungsbewusstsein tun.
Ich möchte ausdrücklich davor warnen, sich darin zu
übertreffen, nur immer mehr Geld zu fordern. Die Formel „Je mehr Geld, umso mehr Teilhabe“ ist zu einfach
und wird der Aufgabe nicht gerecht.
({5})
Frau Rüffer, ich weiß nicht, was Sie damit bewirken
wollen, die Beschäftigten in Werkstätten Sonderwelten
zuzuordnen. Ich glaube nicht, dass das unserem gemeinsamen Projekt der Inklusion Vorschub leistet.
({6})
In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder
über die Entlastung der Kommunen diskutiert. Ich
möchte deshalb noch einmal hervorheben, dass der Bund
ab diesem Jahr die Ausgaben für die Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung komplett übernimmt.
Dadurch werden die Kommunen um fast 6 Milliarden
Euro entlastet. Auch das ist ein wichtiger Schritt, der den
Kommunen wieder mehr politischen Gestaltungsspielraum eröffnet und den sozialen Zusammenhalt in
Deutschland stärkt.
({7})
Besonders erfreulich ist auch, dass es in den parlamentarischen Beratungen noch gelungen ist, die Mittel
für das Bundesprogramm „MobiPro“ zu erhöhen. Damit
können wir unsere Zusagen einhalten. Das Programm
bietet vielen Jugendlichen aus Europa wieder eine
Perspektive. Wir leisten damit ganz konkrete Hilfe für
arbeitslose Jugendliche etwa aus Spanien und zeigen
auch, wie attraktiv unser Land für junge Fachkräfte ist.
Mit diesen Beispielen aus dem Einzelplan sind natürlich nur einzelne Punkte angesprochen.
Noch einmal erwähnt sei die Mütterrente. Sie war für
uns von der Union ein Herzensanliegen. Sie wird
9,5 Millionen Frauen in unserem Land helfen und ihre
Erziehungsleistungen in besonderer Weise würdigen,
und das ist gut so.
({8})
In der kommenden Woche werden wir über eines unserer großen Projekte, das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, in zweiter und dritter Lesung im Plenum
diskutieren. Mit diesem Gesetz wird es in Zukunft erleichtert, abgeschlossene Tarifverträge, die berechtigten
öffentlichen Interessen dienen, für allgemeinverbindlich
zu erklären. Das wird für mehr Ordnung auf dem deutschen Arbeitsmarkt sorgen.
Auch der Mindestlohn steht auf unserer Agenda. Um
es hier ganz deutlich zu sagen: Als christliche Partei liegt
es in unserem ureigenen Interesse, dass Arbeit so entlohnt wird, dass der Arbeiter sein materielles, soziales
und kulturelles Dasein angemessen gestalten kann, ohne
auf Hilfe vom Staat angewiesen zu sein. Das steht völlig
außer Diskussion.
({9})
Es muss aber auch klar sein, dass politisches Handeln
keine Arbeitsplätze vernichten darf. Nur eine gute Arbeitsmarktpolitik ist auch eine gute Sozialpolitik.
Doch bei der ganzen Freude über die gute wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und haushaltspolitische Situation dürfen die schwierigen Entwicklungen, die unseren Einzelplan beeinflussen, nicht vergessen werden.
Unser Haushalt ist nicht nur der größte Einzeletat des
Bundeshaushalts. Er ist auch der Haushalt, der am meisten vom demografischen Wandel betroffen ist. Wir sprechen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel zumeist von Lösungen für die Mehrheit der vielen
alten Menschen, die wir bald in Deutschland sein werden: von Barrierefreiheit, von Arbeitsplätzen für alte
Menschen und von Pflegekräften. Wir dürfen dabei allerdings die Jungen nicht vergessen, die dann mit uns zusammenleben werden, die weniger werden und die wir
mit unserer Politik nicht über Gebühr belasten dürfen.
Der angepeilte ausgeglichene Bundeshaushalt für
2015 darf keine Ausnahme sein. Er muss für uns zur Regel werden. Dabei sind wirtschaftliche Vernunft und
manchmal auch haushaltspolitische Bescheidenheit gefragt. Das ist genau das, was Ludwig Erhard in dem eingangs erwähnten Zitat meinte. Als Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitiker sind wir dabei besonders gefordert. In
unseren Händen nämlich liegt das Werkzeug, um „unseren Kindern und Kindeskindern ein festes Fundament für
eine glückliche Zukunft zu bauen“.
Herzlichen Dank.
({10})
Jetzt hat die Kollegin Katja Mast das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir setzen mit
diesem Haushalt auf vorsorgende Arbeitsmarktpolitik
und vorsorgende Sozialpolitik. Wir machen das in Europa genauso wie in Deutschland. Das will ich beispielhaft anhand der Jugendlichen deutlich machen. Viele
meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben schon auf
die Erfolge bei „MobiPro“ hingewiesen. Wir haben die
Mittel dafür im Haushalt 2014 verdoppelt und werden
sie bis 2018 verdreifachen. Es gibt valide Berechnungen,
wonach wir noch mehr ausgeben können. Wir eröffnen
so Chancen auf Ausbildung und Arbeitsmarktbeteiligung für die Jugend in Europa hier bei uns in Deutschland.
({0})
Wir setzen ferner in diesem Haushalt, aber auch mit
unserer Politik in dieser Koalition auf vorsorgende Arbeitsmarktpolitik und Chancenpolitik für die Jugendlichen in Deutschland. Wir wollen die Teilzeitausbildung
und die assistierte Ausbildung fördern. Wir wollen eine
Kultur der zweiten Chance auf Ausbildung etablieren.
Auch jemand, der zwischen 25 und 35 Jahre alt ist, soll
eine zweite und manchmal sogar eine dritte Chance auf
Ausbildung bekommen. Wir wissen genau, dass in diesem Bereich die Lebenschancen entschieden werden. Es
ist klar: Wer eine abgeschlossene Ausbildung hat, dessen
Risiko ist geringer, arbeitslos bzw. langzeitarbeitslos zu
werden. Wir wollen, aufbauend auf vielen Vorbildern
aus ganz Deutschland, insbesondere aus Hamburg, Jugendberufsagenturen etablieren. Wir setzen dabei auf die
Zusammenarbeit von Jugendhilfe, Arbeitsvermittlung
und Jobcentern.
All das sind Punkte, bei denen die abstrakten Begriffe
„vorsorgende Politik“ und „vorsorgende Arbeitsmarktpolitik“ für die Jugend in Deutschland, aber auch in Europa konkret werden. Wir sind mächtig stolz darauf, dass
wir das in dieser Koalition mit unserer Ministerin und
mit diesem Hause so umsetzen werden.
({1})
Jetzt habe ich noch zweieinhalb Minuten Redezeit.
Ich habe meine Rede auf zweieinhalb Minuten kondensiert, weil ich auf ein paar Punkte eingehen möchte, die
hier in der Debatte genannt worden sind. Ich habe gehört: Ihr in der Koalition macht gar nichts zur Bekämpfung von Armut. Ich habe gehört: Ihr macht nichts, was
die Kehrseite des Arbeitsmarkts betrifft. Die ArbeitsKatja Mast
marktzahlen sind gut, viele Menschen sind in Arbeit,
viele in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung;
aber Antworten, was die Kehrseite des Arbeitsmarkts
betrifft, gibt es keine. - Das kann ich nicht unwidersprochen stehen lassen.
({2})
Wir kämpfen in dieser Koalition für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in Ost
und West, ohne Branchenausnahmen. Darüber werden
wir in der nächsten Sitzungswoche diskutieren. Damit
holen wir bis zu 5 Millionen Menschen aus der Erwerbsarmutsfalle heraus. Ich finde: Wenn das kein Programm
zur Bekämpfung von Armut ist, dann weiß ich nicht, was
ein Programm zur Bekämpfung von Armut in dieser Republik ist.
({3})
Das gilt insbesondere dann, wenn man weiß, dass Kinderarmut von der Erwerbsarmut der Eltern abhängt.
Auch das ist ein wichtiger Aspekt in dieser Debatte.
({4})
Wir haben in unserem Rentenpaket die Erwerbsminderungsrente verbessert.
({5})
Erwerbsminderungsrentner sind diejenigen, die heute
von Altersarmut betroffen sind. Auch da tun wir etwas
gegen Altersarmut, bzw. wir haben es schon getan, und
zwar ganz konkret durch unsere Gesetzgebung.
({6})
Wir werden die solidarische Lebensleistungsrente einführen. - Diese Regierung hat noch nicht einmal zwölf
Monate hinter sich, und schon wird ihr vorgeworfen, sie
würde nichts tun. Ich finde, das ist eine ganz ordentliche
Bilanz für die ersten Monate dieser Koalition.
({7})
Dann wird hier behauptet - da muss ich meinen Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften schützend zur Seite stehen -, es werde eine Rente ab 60 gefordert. Niemand in den Gewerkschaften hat eine Rente ab
60 gefordert. Das ist einfach Quatsch. In den Gewerkschaften gibt es eine berechtigte Debatte darüber, wie
wir Flexibilität beim Übergang in die Rente organisieren
können. Dazu gibt es ein Modell, das sich Teilrente
nennt. Das wenden heute ungefähr 1 000 Menschen in
der Republik an. Deshalb kennt man dieses Modell in
der Regel nicht. Diese Teilrente ist starr, unflexibel und
unattraktiv. Aber sie ist ein ideales Instrument, um in der
Erwerbsphase weniger, dafür aber über das Rentenalter
hinaus zu arbeiten, um insgesamt eine positive Rentenbilanz zu haben. Das ist das, was der DGB in die Debatte
geworfen hat. Ich finde es unlauter, zu sagen, die Gewerkschaften forderten eine Rente ab 60. Das tut tatsächlich gar niemand.
({8})
Ich ärgere mich aber auch - das soll mein letzter
Punkt sein, Frau Präsidentin - über manche Diskussionen über die Inklusion im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz. Es wird behauptet, dass wir Menschen mit
Behinderung nicht an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligen wollten. In unserem Koalitionsvertrag steht klar
- Frau Ministerin Nahles hat das auch in unserem Ausschuss deutlich gemacht -, dass wir Zeit, Geduld und
Muße für dieses große Vorhaben brauchen, weil wir die
Menschen mit Behinderung beteiligen wollen. Deshalb
wird das auch kein Schnellschuss; denn das ist ein tiefgreifendes Reformprojekt. Nichts ohne uns, sondern mit
uns - das ist unser Grundsatz. Den setzen wir auch zusammen um. Im Übrigen werden wir uns an die Finanzierungszusagen halten, die wir in diesem Zusammenhang im Koalitionsvertrag gemacht haben. Wichtig ist,
dass wir das Bundesteilhabegesetz nur mit den Menschen und den Betroffenen ändern und nicht ohne sie,
schon gar nicht gegen sie; denn wir wollen die Inklusion
in Deutschland für alle Menschen erreichen.
Vielen Dank.
({9})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat jetzt der Kollege Mark Helfrich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die heutige Debatte über den Einzelplan 11
zeigt eines ganz deutlich: Wir reden über sehr viel Geld.
Der Einzelplan 11 stellt auch in diesem Jahr den mit Abstand höchstdotierten Einzelplan im Bundeshaushalt dar,
und das, obwohl wir die 34,2 Milliarden Euro in Summe,
die die Linken in ihren Änderungsanträgen zusätzlich
fordern, ablehnen werden. Die Bewilligung der geforderten Mittel entspräche sportlichen 28 Prozent on top
eines bereits sehr großen Einzeletats.
({0})
Das Mantra - keine Steuererhöhungen, keine neue
Verschuldung -, das Sie, Kollege Birkwald, vorhin hier
vorgetragen haben, stand Ihnen, wie ich finde, sehr gut.
Wir alle wissen, dass Wiederholung auch eine Lernmethode ist. Insofern wünsche ich Ihnen viel Erfolg,
({1})
und es bleibt Hoffnung für die nächsten Haushaltsberatungen.
Mit der Höhe des Etats wächst zugleich unsere Verantwortung dafür, dass die zur Verfügung stehenden Mittel effektiv und effizient eingesetzt werden. Sie sollen
den Menschen zugutekommen, aber auch ihr arbeitspolitisches Ziel nicht verfehlen; denn das macht eine erfolgreiche Arbeits- und Sozialpolitik aus. Damit diese Politik zukunftsfähig ist, braucht sie eine solide finanzielle
Basis und gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die
haben wir in Deutschland in den letzten Jahren dank einer an Wachstumszielen orientierten und auf sparsames
Haushalten ausgerichteten Politik erreicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ziehen wir zunächst
einmal Bilanz, und zwar eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Wir haben in Deutschland so viel Beschäftigung wie seit den Wirtschaftswunderjahren nicht mehr.
Wir haben seit zwei Jahren konstant die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Wir haben die
niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa, und wir haben Rekordüberschüsse in der Sozialversicherung. Das
sind gute und nachhaltige Entwicklungen. Wir haben die
höchste Erwerbstätigenquote, die es in dieser Republik
jemals gab. Im Übrigen haben wir auch - das zeigen die
neusten Analysen des IAB - einen starken Anstieg des
Pro-Kopf-Arbeitsvolumens zu verzeichnen. Was heißt
das? Das heißt, dass der Trend zu immer mehr Teilzeitund Minijobs gebrochen ist. Auch das ist eine gute
Nachricht.
({2})
So viele Menschen wie nie sind in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, und der Anteil der
über 55-Jährigen an der Gesamtzahl der beschäftigten
Erwerbstätigen liegt bei 61,5 Prozent. Selbst bei den
über 60-Jährigen sind es noch über 46 Prozent. Diese
Zahlen zeigen, dass in den Unternehmen unseres Landes
ein Umdenken begonnen hat: Immer mehr Firmen sehen
ältere Mitarbeiter als Gewinn. Angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land, der steigenden
Anzahl von Schul- und Bildungsgescheiterten und des
damit einhergehenden Fachkräftemangels wird qualifizierte Arbeit immer knapper. Das wird ein Riesenthema
für uns. Insofern werden ältere Mitarbeiter immer wichtiger, immer wertvoller. Sie werden einen immer höheren Stellenwert in den Firmen bekommen. Das ist auch
gut so; denn sie verfügen über großes Wissen und zum
Teil über jahrzehntelange Erfahrung. Sie sind ein unschätzbares Kapital für unser gesamtes Land.
({3})
Genau deshalb ist richtig, was wir mit der Anhebung des
Rehadeckels und der Anpassung der Rehaleistungen an
die demografische Entwicklung angestoßen haben. Das
ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Wir sind auch international gut aufgestellt, was die
Quote der älteren Erwerbstätigen angeht. Das EU-2020Ziel, dass 60 Prozent der 55- bis unter 65-Jährigen erwerbstätig sind, haben wir bereits erreicht. Lediglich
Schweden macht es derzeit noch besser. Ich bin mir sicher, dass, wenn wir unsere Bemühungen hier verstärken, am Ende doch noch etwas geht und wir an dieser
Stelle noch besser werden können.
Eine altersgerechte Arbeitswelt zu schaffen, um Fachkräfte für unsere Volkswirtschaft zu sichern, und den
Menschen eine auskömmliche Rente zu ermöglichen,
das sind zwei gleichberechtigte Ziele. Sie müssen zentrale Ziele unserer Arbeits- und Sozialpolitik sein und
bleiben. Nur dann wird es uns gelingen, den Wohlstand
in unserem Land dauerhaft zu sichern.
Ich freue mich sehr, dass wir uns nicht nur mit uns
selbst beschäftigen, sondern auch ins europäische Ausland schauen. Mit dem Programm MobiPro-EU ist eine
Möglichkeit gegeben, zum einen Probleme, die andere
EU-Mitgliedsländer haben, zu lindern und zum anderen
Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen. Es ist uns gelungen, im Laufe des Haushaltsverfahrens annähernd
eine Verdreifachung der Mittel auf jetzt 96,1 Millionen
Euro hinzubekommen. Ich weiß, dass das in den Reihen
der Opposition kritisch gesehen wird in dem Sinne, dass
es zu wenig sei. Ich möchte an der Stelle sagen: Es war
nie als ein Regelinstrument der Arbeitsmarktförderung
gedacht, sondern immer als ein Sonderprogramm. Natürlich ist es so, dass wir das nur in dem Umfang machen
können, wie wir auch Mittel im Bundeshaushalt zur Verfügung stellen können.
({4})
Die Hoffnung ist, dass wir hiermit etwas anschieben, das
dann von alleine laufen lernt. Wenn Unternehmen merken, wie gut das funktioniert, dann werden sie ihre Bemühungen intensivieren. Eine Förderung aller jungen
Menschen, die in Europa auf der Suche nach einer qualifizierten Ausbildung sind, werden wir mit MobiPro-EU
nie erreichen können; das zu sagen, gehört zur Ehrlichkeit der Diskussion dazu.
Ich will nicht nur in die europäische Ferne schweifen,
wenn ich über das Thema Fachkräftemangel rede, sondern natürlich auch an diejenigen Menschen denken, die
bereits hier sind und die durch schwierige Situationen im
Leben nicht im Arbeitsmarkt verankert sind. Es gilt, unser Augenmerk auf diese Menschen zu richten. Wir wollen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den
Fachkräftemangel auch aus den eigenen Reihen zu decken. Das sind Jobchancen für langzeitarbeitslose Menschen in unserem Land.
Wir haben heute 670 000 Langzeitarbeitslose weniger
als 2007. Das ist ein Rückgang um 39 Prozent. Auch das
ist eine Zahl, die ich beeindruckend finde. Es sind aber
immer noch über 1 Million Menschen, über 1 Million
Schicksale. Dies zu ändern, daran arbeiten wir, und daran müssen wir in Zukunft verstärkt arbeiten. Wir müssen denen, die arbeitslos sind, durch Weiterbildung und
Qualifizierung helfen, damit sie den Sprung in eine Beschäftigung schaffen, die dauerhaft und existenzsichernd
ist. Das ist das Ziel. Deshalb senken wir trotz rückläufiger Arbeitslosenzahlen nicht die Mittel für Betreuung
und Vermittlung von Menschen, die Arbeit suchen; nein,
wir stellen in dieser Legislaturperiode den Jobcentern
viermal 350 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.
Wer sich dessen bewusst ist, dass es eine Bund-LänderArbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ gibt,
dem bleibt zumindest die Hoffnung, dass zukünftig mehr
Geld für die eigentliche Aufgabe zur Verfügung steht
und weniger Geld für Verwaltung draufgeht. Das ist
auch noch etwas, von dem ich glaube, dass dadurch die
Vermittlungsarbeit in den Jobcentern gestärkt wird.
({5})
Unser Ziel ist und bleibt es, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen und Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. In diesem Zusammenhang möchte ich
gern noch auf das Sonderprogramm des Bundes „Perspektive 50plus“ mit derzeit 78 regionalen Beschäftigungspakten für ältere Langzeitarbeitslose über 50 verweisen. Mit
diesem Programm soll die Beschäftigungsfähigkeit älterer Menschen verbessert werden, um ihre Chancen auf
Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. Die hier erzielten Erfolge sprechen für sich.
930 000 langzeitarbeitslose Menschen wurden von den
Maßnahmen erreicht, und knapp 330 000 sind in den allgemeinen Arbeitsmarkt zurückgekehrt. Das ist eine ganz
positive Bilanz.
Meine Damen und Herren, das alles zeigt, dass wir es
mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ ernst meinen. Es
zeigt, dass wir den Menschen wirklich eine Chance geben, auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Die
Arbeitsmarktdaten sind Beweis dafür, dass das Prinzip
„Fördern und Fordern“, auf dem gute Arbeitsmarktpolitik aufgebaut ist, richtig und wichtig ist.
In der letzten Sitzungswoche haben wir hier über einen Antrag der Linken debattiert, mit dem sie die Abschaffung der Sanktionsmöglichkeiten bei Hartz IV und
damit quasi ein bedingungsloses Grundeinkommen für
diesen Personenkreis gefordert haben.
({6})
- Für diesen Personenkreis!
Meine Damen und Herren, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das ist hier gesagt worden, und es bleibt dabei. Es gehört zu einer verantwortungsvollen Arbeitsund Sozialpolitik - und im Übrigen auch zur Haushaltspolitik -, wenn der Staat einfordert, dass Menschen, die
arbeiten können und denen Arbeit angeboten wird, diese
dann auch annehmen.
({7})
Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter sehr verantwortungsvoll mit dem Instrumentarium der Sanktionen umgehen und dass wir ihnen sehr dankbar sein können für
diese gute Arbeitsmarktbilanz, die wir in Deutschland
verzeichnen.
({8})
Ihnen bin ich sehr dankbar für die Aufmerksamkeit
und dafür, dass Sie mir eine Minute länger zugehört haben, als eigentlich geplant war. Danke schön.
({9})
Um präzise zu sein: Es waren anderthalb Minuten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor.
Ich komme nächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1826. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? - Das ist die Fraktion Die
Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle anderen
Fraktionen. Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich lasse über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1827 abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer
stimmt dagegen? - Das sind alle anderen Fraktionen.
Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen der Linken mit den
Stimmen des Rests des Hauses abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 11 in der Ausschussfassung? - Das sind die
Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist der Einzelplan 11 in der
Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt II.12 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksachen 18/1019, 18/1023
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten
Volkmar Klein, Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja
Hajduk.
Zu den Beschlussempfehlungen liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Darüber hinaus hat die Fraktion Die Linke zwei Entschließungsanträge eingebracht, über die wir am Freitag nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Niema Movassat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein japanisches Sprichwort besagt: Der Scherz ist das Loch,
aus dem die Wahrheit pfeift. - Herr Minister Müller, aus
dem Loch haben Sie letzte Woche laut gepfiffen. Was
war passiert? Sie sind mit der kompletten Spitze Ihres
Ministeriums zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, nach Eschborn gereist. Danach haben Sie gewitzelt - ich zitiere -: Das ist wie beim
Staatsbesuch eines Staatschefs eines Entwicklungslandes. Er muss alle mitnehmen, damit er wieder zurückkehren kann und nicht geputscht wird.
({0})
Hoppla, was ist Ihnen denn da herausgerutscht? Sie
suggerieren damit, dass alle Entwicklungsländer Bananenrepubliken sind, in denen ständig Staatsstreiche stattfinden. Das ist, was man dem entnehmen kann.
({1})
Auch wenn Sie jetzt sagen, das sei nur ein Scherz - das
hat Herr Brüderle damals auch gesagt -: Manche
Scherze sagen einiges über die Denkweise aus.
({2})
Ihr Scherz zeigt: Sie meinen es nicht ernst mit der Entwicklungspolitik auf Augenhöhe, von der Sie gerne reden. Solche Äußerungen sind eines Entwicklungsministers unwürdig.
({3})
Sie bringen sonst immer wohlformulierte Worte, denen man kaum widersprechen kann; aber diese Kommunikationsstrategie hat nun zu bröckeln angefangen. Taten
folgen den schönen Worten meistens nicht. Sie sagen
zum Beispiel, dass Sie soziale und ökologische Mindeststandards für deutsche Unternehmen im Ausland wollen.
Das klingt super; denn es muss Schluss damit sein, dass
deutsche Unternehmen im Ausland Menschen- und Arbeitsrechte verletzen, zum Beispiel im Textilsektor.
({4})
Nur werden es die Konzerne nicht freiwillig machen; das
haben sie nie getan. Die Profitmaximierung hatte für sie
immer Vorrang vor Menschenrechten.
({5})
Wer will, dass mit Dumpinglöhnen in Bangladesch und
Co. und einstürzenden Fabriken, die Menschen unter
sich begraben, Schluss ist, der muss in Deutschland verbindliche gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen.
({6})
Leere Versprechen erleben wir auch beim Haushalt.
1970 wurde international vereinbart, dass die Industriestaaten mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufwenden
sollen. Herr Müller, Sie haben sich zu diesem Ziel bekannt, und auch die Kanzlerin tut das immer wieder.
({7})
Aber 44 Jahre später legt diese Regierung einen Haushalt mit einer kläglichen Quote von 0,38 Prozent vor.
Der vorliegende Entwicklungshaushalt ist erneut Betrug
an den ärmsten Menschen auf der Welt.
({8})
Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark und
Luxemburg haben die Marke von 0,7 Prozent längst
überschritten. Das müssen wir doch auch schaffen können.
({9})
Für die SPD ist dieser Haushalt ein Offenbarungseid.
In der Opposition haben Sie lautstark nach mehr Entwicklungsgeldern gerufen. Davon ist nichts geblieben.
Sie sind als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
({10})
Entwicklungszusammenarbeit ist übrigens keine noble Geste. Entwicklungszusammenarbeit ist nach jahrhundertelanger kolonialer Ausbeutung eine historische
Verpflichtung.
({11})
Sie ist Kompensation für den Klimawandel, dessen
Hauptverursacher wir sind. Sie ist Wiedergutmachung
für die Zerstörung von lokalen Märkten durch unfaire
und ausbeuterische internationale Handelsbeziehungen.
Deshalb brauchen wir endlich mehr Geld für Entwicklungspolitik.
({12})
Aber nicht nur das; es kommt auch auf die richtige Verwendung an. Auch hier enttäuscht der Budgetentwurf Ihres Ministeriums.
Nehmen wir zum Beispiel die Sonderinitiative „Eine
Welt ohne Hunger“. Ich finde es richtig, wenn Sie sagen:
„Afrika kann sich selbst ernähren“, und: „Wir müssen
die kleinbäuerliche Landwirtschaft stärken“. Allerdings
setzen Sie in der Praxis vor allem auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Bayer, BASF oder Metro. Unter dem Deckmantel der Hungerbekämpfung fördern Sie
so die Expansionsbestrebungen von deutschen Unternehmen auf afrikanischen Märkten. Weder stärken Sie
damit Kleinbauern noch die Unabhängigkeit der afrikanischen Landwirtschaft. Eine Welt ohne Hunger werden
Sie damit schon gar nicht schaffen. Wir als Linke sagen:
Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne!
({13})
Wie widersprüchlich Ihre Hungerbekämpfungspolitik ist, zeigt sich am Beispiel Land Grabbing. Es gibt die
Freiwilligen Leitlinien für Landnutzung. Diese sollen
Landraub verhindern. Auf internationaler Ebene setzt
sich die Regierung für die Umsetzung der Leitlinien ein.
Bei Unternehmen, die zu 100 Prozent in deutscher
Staatshand sind, nimmt es die Bundesregierung aber
nicht so genau, etwa bei der DEG, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, die mit ihren Finanzierungen Land Grabbing gefördert hat. Ich habe
deswegen eine Anfrage an Ihr Ministerium gestellt, ob
die DEG die Leitlinien anwendet. Die lapidare Antwort
ist, dass Ihr Ministerium darüber keine Informationen
besitzt, und das, obwohl Sie den Aufsichtsratsvorsitz
stellen. Ihr Einsatz ist nicht ernst zu nehmen, wenn Sie
nicht einmal bei Ihren eigenen Unternehmen die Leitlinien durchsetzen.
({14})
Kommen wir zur nächsten leeren Ankündigung. Herr
Müller, Sie haben letzte Woche gesagt, dass Friedensarbeit, Versöhnungsarbeit und Krisenprävention gestärkt
werden müssen.
Es ist ja schön, dass Sie das sagen; aber unter Ihrer
Kanzlerin ist Deutschland drittgrößter Waffenexporteur
der Welt geworden. Das ist die Friedenspolitik Ihrer Regierung. Echte Friedenspolitik heißt: Stopp von Waffenexporten!
({15})
Wenn Sie konsequent sein wollen, müssen Sie zudem
den Kooperationsvertrag zwischen der Bundeswehr und
der GIZ kündigen; denn zivile Hilfe und Militär gehören
nicht zusammen. Deshalb sollten Entwicklungsgelder
auch nicht für zivil-militärische Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Diese Verquickung - wie in Afghanistan gefährdet Entwicklungshelfer, und damit muss Schluss
sein.
({16})
Im Koalitionsvertrag haben Sie in Aussicht gestellt,
mehr Geld für multilaterale Projekte auszugeben, also
für internationale Organisationen - das begrüßt die
Linke -; aber im vorliegenden Haushalt spiegelt sich das
nicht wider. Konsequent wäre, den Vereinten Nationen
endlich deutlich mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
({17})
Das wäre besonders im Gesundheitsbereich wichtig;
denn der zweitgrößte Geldgeber der UN-Weltgesundheitsorganisation ist mittlerweile die private Stiftung von
Bill Gates. Gesundheit ist aber eine öffentliche Aufgabe,
über die wir die demokratische Kontrolle auf keinen Fall
weiter verlieren dürfen.
({18})
Ich sage Ihnen: Wir können die globalen Probleme
nur international lösen. Zivile Hilfe und Solidarität, das
wäre eine echte Wahrnehmung internationaler Verantwortung, statt der ständige Ruf nach mehr Militäreinsätzen.
Herr Müller, in den ersten Monaten Ihrer Amtszeit
haben Sie durch schöne Worte viele überzeugt. Ich
hoffe, im Budgetentwurf für 2015 lassen Sie Ihren Worten auch endlich Taten folgen. Wenn Sie hingegen Ihre
Politik der leeren Versprechungen fortführen, müssen
Sie zwar keinen Putsch befürchten, aber Ihre Glaubwürdigkeit werden Sie damit verlieren.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({19})
Volkmar Klein hat als nächster Redner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das war eben, wie erwartet, eine typische Oppositionsrede.
({0})
Mehr für einen guten Zweck ausgeben: Wer würde das
nicht wollen?
({1})
Das als Opposition zu fordern, ist ja auch einfach;
({2})
denn eine Umsetzung ist nicht geplant, da man keine
Verantwortung trägt.
({3})
Bei der allgemeinen Diskussion heute Morgen haben wir
aus ähnlich großer oppositioneller Freiheit heraus bereits
die Forderung gehört, die Verschuldung schneller zu
senken und die Steuersätze vorsichtiger anzusetzen. Im
Grunde ist das wie links und rechts gleichzeitig blinken.
Das ist dann wie eine Warnblinkanlage, die auf einen
Problemfall, meist verbunden mit Fahruntüchtigkeit,
hinweist. Genau das scheint mir hier der Fall zu sein.
({4})
Das kann man von der Großen Koalition nicht sagen.
Wir sind unterwegs, und wir sind gut unterwegs. Wir
sind auf dem richtigen Weg. Das dokumentiert der Haushalt in doppelter Art und Weise.
({5})
Zum einen geben wir sehr viel Geld für Entwicklungszusammenarbeit aus. Der Ansatz steigt gegenüber dem
Vorjahr um 2,3 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro, obwohl
der Gesamthaushalt um 1,8 Prozent auf unter 300 Milliarden Euro sinkt. Das stärkt das komparative Gewicht
der Entwicklungszusammenarbeit und unterstreicht,
welch große Bedeutung wir diesem Bereich beimessen.
({6})
Zum anderen ist es wichtig, für die Nachhaltigkeit unserer Haushalte zu sorgen und Haushaltskonsolidierung zu
betreiben. Das ist nicht nur ethisch, sondern auch im Interesse der Stabilität geboten. Das ist aber auch Voraussetzung dafür, in Zukunft leistungsfähig zu sein, also
stark genug zu sein, um Hilfe leisten zu können. Deswegen ist es auch für den Haushalt für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit so wichtig, dass wir kein
strukturelles Defizit mehr haben und in absehbarer Zeit
überhaupt keine Schulden mehr machen wollen.
({7})
Wir wollen auch in Zukunft leistungsfähig sein, auch
im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Das wollen wir nicht nur sein, sondern das müssen wir sogar
sein; denn wir dokumentieren das ausdrücklich als
Selbstverpflichtung. Insgesamt haben wir inzwischen,
wie aus dem Haushaltsentwurf für alle sichtbar hervorgeht, rund 30 Milliarden Euro an Verpflichtungsermächtigungen für Entwicklungszusammenarbeit, für Technische Zusammenarbeit, für Finanzielle Zusammenarbeit,
für die gesamte bilaterale Zusammenarbeit, auch durch
Kirchen und Private, aber auch Entwicklungsbanken und
multinationale Fonds samt dem Globalen Fonds eingestellt. In diesem Jahr wurden davon 8 Milliarden Euro
zusätzlich ausgebracht. Mit unserem Beschluss werden
sie als Verpflichtungsermächtigungen hinzukommen. In
der Summe sind das dann 30 Milliarden Euro. Damit
verpflichten wir uns als Parlament, entsprechende Mittel
in künftige Haushalte einzustellen. Damit ermöglichen
wir es der Regierung schon heute, verbindliche Zusagen
für mehrjährige Programme zu machen. Genau das ist
wichtig. Kontinuität ist wichtig.
({8})
Geld wird auf jeden Fall gebraucht - keine Frage -;
aber wir bieten mehr als Geld. Darauf zu schauen, ist,
glaube ich, mindestens genauso wichtig. Wir bieten Expertise. Deutsche Expertise in Entwicklungszusammenarbeitsfragen wird geschätzt, auch von anderen Geldgebern, die beispielsweise die GEZ beauftragen. An dieser
Stelle muss man ein bisschen aufpassen, dass die GEZPreise nicht höher als die Qualität werden.
({9})
- Ein berechtigter Beifall.
({10})
Trilaterale Projekte der KfW unterstreichen ebenfalls,
wie sehr unsere Expertise geschätzt wird.
Wir bieten aber nicht nur Expertise, sondern wir bieten auch Vielfalt, und zwar jenseits staatlicher Entwicklungszusammenarbeit. Wir beauftragen mit dem Geld
des Steuerzahlers auch Private, Kirchen und Stiftungen.
Diesen Ansatz haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsentwurf
der Regierung im Übrigen noch einmal gestärkt. In vielen Entwicklungsländern ist ja gerade der Staat das
Problem und nicht Teil der Lösung. Deswegen ist es
wichtig, dass wir den Bereich der internationalen Zusammenarbeit mit Regionen noch einmal stärken. Das
bietet nämlich unseren Entwicklungszusammenarbeitsinstitutionen die Chance, jenseits von völkerrechtlichen
Verträgen mit diesen Regionen zusammenzuarbeiten.
Wir sind aber auch Katalysator. Deswegen haben wir
den Ansatz für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft
erhöht. Beratungsleistungen der DEG, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, von rund
20 Millionen Euro werden aus diesem Titel finanziert.
Das bedeutet Investitionen, das bedeutet Arbeitsplätze,
und das bedeutet am Ende mehr Steuerzahler in den entsprechenden Ländern, die ihrerseits in der Lage sind, die
notwendige Infrastruktur zu bezahlen. Ganz abgesehen
davon sind steuerzahlende Bürgerinnen und Bürger auch
viel selbstbewusster gegenüber ihren oft schlechten Regierungen. Sie haben viel mehr Kraft, gute Politik einzufordern und den Einsatz der oft erheblichen nationalen
Mittel zu kontrollieren. Eine starke Bürgergesellschaft,
das muss unser Beitrag sein.
({11})
Lassen Sie mich noch kurz zwei inhaltliche Punkte
ansprechen:
Der Bereich der politischen Schwerpunkte - „Eine
Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“, „Stabilisierung in Nordafrika und
dem Nahen Osten“ - ist, glaube ich, mit 160 Millionen Euro, die wir für dieses Jahr plus Verpflichtungsermächtigungen eingestellt haben, ein ganz wichtiger
Punkt. Einerseits dienen wir damit den Menschen. Das
hilft uns aber auch mit Blick auf unsere Interessen; denn
Sicherheit und sich langfristig entwickelnde Länder, die
dann auch wirtschaftlich für uns interessanter sind, das
ist auch in unserem Interesse. Das ist nicht nur ein ethisches Gebot, sondern für alle gut.
Das wird im Moment natürlich stark überschattet von
den dramatischen Herausforderungen, die wir gegenwärtig in Syrien und im Irak, in der Nahostregion insgesamt
erleben. Deswegen ist es gut, dass wir durch all diese
Instrumente aktuell Spielraum haben. Der Minister hat
angekündigt, dort 50 Millionen Euro zusätzlich einzusetzen, um etwas zu bewegen. Wenn man aber die Dimension des Problems sieht, ist unsere Leistungsfähigkeit - das betrifft auch die 50 Millionen Euro - sicher
begrenzt. Deswegen stellt sich schon die Frage, ob wir
auf europäischer Ebene nicht viel lauter eine konzertierte
Aktion einfordern müssen.
({12})
Die Europäische Union hat ganz andere Möglichkeiten, einmal im Bereich der eigenen Mittel, aber auch im
Bereich des Europäischen Entwicklungsfonds, in den
wir auch in diesem Jahr wieder 670 Millionen Euro einzahlen und der bekanntermaßen Abflussprobleme hat.
Was hindert die Europäische Union daran, 1 Milliarde
Euro in die Hand zu nehmen, um genau das zu tun, was
unser Minister - dabei geht es um die Richtung, in der
wir uns bewegen sollten - bereits angezeigt hat? Das
sollte honoriert werden, und es sollte in dieser Richtung
etwas bewegt werden. Das wäre eine gute Förderung.
({13})
Ich komme zu einem weiteren inhaltlichen Punkt,
dem Green Climate Fund. Bei der ersten Beratung hier
war das alles noch viel weniger absehbar. In der Zwischenzeit haben sich die Dinge konkretisiert. Deswegen
ist es auch richtig, 750 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen in den Haushalt einzustellen, um sie gegebenenfalls einzubringen. Ich sage „gegebenenfalls“, weil
wir natürlich ein Interesse daran haben, das im Gleichschritt mit anderen zu tun. Deswegen sollten wir diese
Position ziemlich genau beobachten. Wir sind aber in der
Lage, zu handeln, und 750 Millionen Euro sind ein Wort.
Insgesamt geht es darum, genauer hinzuschauen, wo
Geld ausgegeben wird. In den letzten Wochen ist das
Buch Poor Economics der französischen Autorin Esther
Duflo und des indischen Autors Abhijit V. Banerjee erschienen. Das hat mir gezeigt: Es kommt eben nicht darauf an, wie viel Geld insgesamt irgendwo hineingepumpt wird, sondern darauf, dass es an der richtigen
Stelle ausgegeben wird. Deswegen ist es völliger Unfug,
die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit immer
nur an der Menge des hineingepumpten Geldes zu bemessen.
({14})
Wir brauchen sich selbst tragende Strukturen und
Länder, in denen immer mehr Menschen zu Arbeitnehmern bzw. Steuerzahlern werden, damit sie in der Lage
sind, ihre Aufgaben selber in die Hand zu nehmen. Dafür
bietet dieser Haushalt, glaube ich, eine gute Voraussetzung. Vor allen Dingen hat Minister Müller damit eine
hervorragende Grundlage, seine ausgesprochen gute und
anerkannte Arbeit fortzusetzen. Dafür alles Gute und
viel Erfolg in unserem gemeinsamen Sinne.
Herzlichen Dank.
({15})
Jetzt hat die Kollegin Anja Hajduk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine werten Kollegen! Lieber
Herr Klein, ich kann es Ihnen nicht so durchgehen lassen
- das will ich auch nicht im Sinne der Sache, über die
wir hier reden -, dass Sie hier die Behauptung aufstellen,
dieser Haushalt sei im Vergleich zu anderen Haushalten,
auch von seiner Ausstattung her, gut aufgestellt. Das ist
schlicht und ergreifend falsch.
({0})
Ich will das ganz kurz belegen.
Es ist ein Etat, der lediglich durch eine Verschiebung
des Titels „Internationaler Klimaschutz“ aus dem EKF
überhaupt wächst. Sonst würde er um sage und schreibe
gerade einmal 0,1 Prozent wachsen. Im Übrigen ist er einer von fünf Etats, die die Große Koalition während der
Haushaltsberatungen gekürzt hat. Er wurde, insgesamt
gesehen, nur um eine kleine Summe - 203 000 Euro gekürzt.
({1})
- Das haben Sie gar nicht gemerkt, Herr Klein. Wir haben es einmal überprüft.
Als zweiten Punkt möchte ich - das ist mir auch noch
wichtig - feststellen, dass die Dinge, die Sie gerade in
Bezug auf die Stärkung von Titeln beschrieben haben,
letztendlich Anträge aus der Koalition betreffen, die ich
höchstens als Trostpflaster bezeichnen möchte. Das ist
ein Nullsummenspiel. Sie kürzen 40 Millionen Euro bei
der bilateralen Technischen Zusammenarbeit und verteilen sie lediglich neu, um einige Akteure ein bisschen zu
beruhigen. Das nennt man Beruhigungspille oder Ablenkungsmanöver. Es hilft aber nicht in der Summe.
({2})
Der dritte Punkt ist mir von der Dimension der politischen Botschaft her wichtig. Die ersten beiden Punkte
will ich gar nicht so hochhängen; es sind nur kleine Belege. Der dritte Punkt ist, dass dieser Etat der Rolle und
der Verantwortung Deutschlands in der Welt nicht gerecht wird.
({3})
Die dramatische Aussage ist, dass wir einen Etat für das
Jahr 2014 und eine Finanzplanung für das Jahr 2015 vorlegen, bei denen völlig in den Sternen steht, wann
Deutschland die Zusage, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP zu erreichen, einlösen will. Das steht völlig
in den Sternen. Es ist eine Nullaussage. Genau genommen ist es eine Absage der deutschen Regierung an dieses internationale Ziel. Das ist die schlechte Botschaft,
die diesem Etat innewohnt.
({4})
Frau Hajduk, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klein zu?
Ja, das muss ich wohl.
Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen, dass in allen Einzelplänen die Ansätze für Öffentlichkeitsarbeit der
Ministerien gekürzt wurden, also auch in diesem Einzel3768
plan. Der Umstand, dass die Regierung weniger Mittel
für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung hat, wird normalerweise von der Opposition begrüßt.
Zweitens. Der beschriebene Umstand, dass sich Geld
aus dem EKF im Einzelplan 23 findet, stimmt. Umgekehrt darf dann aber nicht vergessen werden - das ist
nachlesbar auf Seite 54 dieses Einzelplans -: 127 Millionen Euro, die zufällig im letzten Jahr aus Goldverkäufen
und Abführungen an den Internationalen Währungsfonds im Haushalt standen, stehen nun zusätzlich für
Entwicklungshilfe zur Verfügung. Das heißt, eigentlich
können beide Positionen - deswegen habe ich sie eben
nicht erwähnt - gestrichen werden, und man kann bei
dieser deutlichen Steigerung von 2,3 Prozent bleiben.
Werter Herr Kollege, zu den Streichungen: Wenn Sie
die Mittel des Ministers für Öffentlichkeitsarbeit kürzen,
dann versperren wir uns dem nicht grundsätzlich. Ich
wollte nur deutlich machen: Bei anderen Etats haben Sie
es dann aber an anderer Stelle kompensiert. Das haben
Sie beim Einzelplan 23 noch nicht einmal in dieser kleinen Größenordnung geschafft. Deswegen bleibe ich dabei: Ihre Ausführungen zum Einzelplan 23 sind mit
großen Worten versehen, aber mit wenigen Zahlen unterlegt. Wir bleiben bei unserer Analyse, dass es eine
Verschiebung ist und dieser Etat nicht ausreichend
wächst.
({0})
- Ich möchte meine Rede jetzt fortsetzen.
Ich habe schon deutlich gemacht - ich möchte nicht,
dass dieser Punkt zu kurz kommt -: Der Minister weiß,
dass es für ihn auf internationalem Parkett schwierig ist.
Es reicht nicht aus, die sogenannte Niebel-Delle auszugleichen. Bei der Niebel-Delle trägt im Übrigen auch die
CDU/CSU Verantwortung. Sie haben diese Delle mit
verursacht.
({1})
Sie dürfen sich jetzt nicht dafür auf die Schulter klopfen,
dass Sie diese gerade einmal ausgleichen. Sie haben die
Öffentlichkeit glauben machen wollen, dass Sie die Mittel im Entwicklungsbereich um 2 Milliarden Euro erhöhen. Der Minister hat es eingeräumt: Ja, es ist ein Fortschritt, aber nur ein Erkenntnisfortschritt. Es sind ja nur
1,5 Milliarden Euro. Ein materieller Fortschritt steht aus.
Ich muss ganz deutlich sagen: Liebe SPD, es geht
nicht, dass Sie sich in der Großen Koalition zurücklehnen. Sie haben bei den letzten Haushaltsberatungen in
diesem Hause namentlich mit 137 Abgeordneten dafür
gestimmt, dass ein Weg aufgezeigt werden muss, wie
Deutschland die ODA-Quote erfüllt. Was jetzt bei diesem Einzelplan herauskommt, ist eine gnadenlos große
Enttäuschung.
({2})
Sie müssen nachlegen. Nächste Woche steht der Kabinettsbeschluss zum Haushalt 2015 an. Dann muss der
Minister liefern. Da müssen Sie liefern. So geht es nicht
weiter.
({3})
Wir reden hier nicht von Theorie. Die Grünen haben
vorgelegt, wie man gegenfinanziert den Weg zur Erreichung der ODA-Quote bestreiten kann. Wir legen Haushaltsverbesserungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro
vor; unsere Vorschläge sind gegenfinanziert. Ich muss
noch einmal in aller Härte an die Kollegen von der SPD
sagen: Ihr haushaltspolitischer Sprecher Johannes Kahrs
hat uns gestern angegriffen, wir würden ein kleines Karo
zeichnen, wenn wir uns darüber aufregten, ob 800 Millionen Euro als Steuermehreinnahmen richtig veranschlagt sind oder nicht. Wenn wir 1,3 Milliarden Euro
mehr für den Einzelplan 23 zur Verfügung stellen könnten mit der festen Aussicht darauf, dass Deutschland die
ODA-Quote erreicht, dann ist das kein kleines Karo,
sondern eine Aussage mit großer Wirkung.
({4})
Wenn Sie selber noch nicht einmal kleine Karos können,
wie wollen Sie sich dann überhaupt an solchen internationalen Zielen messen? Da müssen Sie in sich gehen
und liefern.
({5})
Ich möchte noch ein Wort zum internationalen Klimaschutz sagen. Deutschland hat im Zusammenhang mit
der globalen Klimaerwärmung neben der ODA-Quote
eine zweite messbare, wichtige und große internationale
Verantwortung wahrzunehmen. Wir stehen im Wort, was
die auf dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 selbst gegebene Zusage angeht, dass Deutschland dabei ist, wenn
ab 2020 100 Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung zur Verfügung gestellt werden. Deutschland trägt daran einen Anteil von 10 Prozent.
Wenn man grob kalkuliert, dass sich private und öffentliche Hand die Beiträge teilen, was ich richtig finde,
dann müssen wir unsere Beiträge bis zum Ende dieses
Jahrzehnts verdoppeln. Jetzt liegen sie bei 1,8 Milliarden Euro. Wir müssen aber mindestens an 4 Milliarden,
wenn nicht an 5 Milliarden Euro herankommen. Dafür,
Herr Minister, müssen Sie einen glaubwürdigen Aufwuchspfad beschreiben. Das können Sie auch zusammen
mit der Kollegin Hendricks tun; das ist an beide Häuser
gerichtet. Es kann aber nicht die Antwort sein, dass Frau
Merkel ihre Teilnahme am New Yorker Ban-Ki-moonGipfel absagt und nicht dorthin fährt. Deutschland muss
seine internationalen Versprechen halten. Deswegen ist
es falsch, dass Sie Mittel beim internationalen Umweltschutz gekürzt haben.
({6})
Wir wollen hier 500 Millionen Euro draufpacken. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran. Wenn Sie es diese Woche nicht schaffen, haben Sie nächste Woche im Kabinett die Gelegenheit dazu. Wir werden Sie daran messen.
Schönen Dank.
({7})
Jetzt hat die Kollegin Bärbel Kofler das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie, Frau Kollegin Hajduk, sie als Bagatellen abgetan haben, möchte ich zu Beginn auf einige
Punkte hinweisen, die wir Fachpolitiker uns sehr wohl
überlegt haben, auch wenn sich die Aufwüchse im Millionenbereich bewegen, es manchmal um 5 Millionen Euro und manchmal um 10 Millionen Euro geht.
Außerdem haben wir perspektivisch für die nächsten
Jahre Verpflichtungsermächtigungen eingestellt, also
Planungssicherheit für die Institutionen hergestellt; darauf möchte ich schon hinweisen.
Es geht mir um ein paar Dinge, zum Beispiel um den
Zivilen Friedensdienst. Er ist für uns ein ganz wichtiges
Projekt und nicht zur Beruhigung gedacht. Die Mittelaufwüchse inklusive der Verpflichtungsermächtigungen
sollen - das ist mit den Organisationen so besprochen einen ordentlichen Aufbau an Expertise und Personal ermöglichen.
({0})
Ich finde eines besonders wichtig - ich unterstreiche
das am Beispiel des Zivilen Friedensdienstes -: Hier
geht es um zivile Krisenprävention und um Konfliktbearbeitung. Es muss uns gelingen, für einen Aufwuchs an
Personal zu sorgen. Der Zivile Friedensdienst sagt ja
selbst, dass er bei einem Mittelaufwuchs wie dem, den
wir beschreiben, mehr Personal in fragile Staaten entsenden und dort zur Konfliktbearbeitung beitragen könnte.
Das ist nicht zur Beruhigung gedacht und wird nicht nebenbei gemacht, sondern ist ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt.
Ähnliches gilt für die Stiftungen. Wir haben hier
schon oft darüber diskutiert, welch herausragendes Instrument sie für uns in Deutschland im Hinblick auf die
internationale Politik sind. Ich finde es richtig, dass wir
den Baransatz für die Stiftungen um 5 Millionen Euro,
die Verpflichtungsermächtigungen aber um 40 Millionen Euro erhöhen. Damit eröffnen wir eine Perspektive
für die Zukunft, die ich für richtig halte,
({1})
um Demokratisierungs- und Friedensinitiativen und die
Entwicklungsförderung voranzutreiben.
Ähnliches gilt - das ist von allen Vorrednern schon
erwähnt worden - für den Green Climate Fund. Es war
nicht selbstverständlich, dass wir die 750 Millionen Euro
jetzt in unserem Haushalt haben. Ich finde es richtig,
dass das BMUB und das BMZ gemeinsam die Verantwortung für diese Mittel übernehmen. Auch das ist nicht
etwa Makulatur. Wir wissen ganz genau, dass es dabei
um Anpassungsmaßnahmen geht; Barbara Hendricks,
die Umweltministerin, sagte das ganz deutlich. Es geht
um die Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, aber die geringsten Möglichkeiten haben,
sich zu schützen oder eigene klimapolitische Entwicklungen voranzutreiben. Diese Mittel gehören eingestellt.
Selbstverständlich - zu diesem Punkt stehe ich und zu
diesem Punkt kommen wir in den nächsten Haushaltsberatungen auch noch - kann das nur der erste Schritt sein;
das muss man an dieser Stelle deutlich machen. Wir wissen, welche großen Herausforderungen wir mit der
Langfristfinanzierung in Kopenhagen zugesagt haben
und wie groß der deutsche Anteil in den nächsten Jahren
ungefähr sein wird: 8 Milliarden Euro. Hier haben wir
große Herausforderungen vor uns.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hajduk zu?
Sicher.
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen: Stimmen Sie
mir denn zu, dass dieser Antrag, jetzt eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 750 Millionen Euro in
den Haushalt aufzunehmen, letztlich nichts anderes ist
als die Bereinigung einer Lücke, die wir schon gemeinsam in der ersten Lesung festgestellt haben? Sie ist nötig, damit Deutschland sich - ich würde es mal so beschreiben - auf dem Ban-Ki-moon-Gipfel im Herbst
nicht blamiert, wo wir mit leeren Händen dagestanden
hätten. Das ist im Grunde nichts anderes als die Bereinigung einer Lücke; schließlich war diese Verpflichtungsermächtigung schon im letzten Etat von Schwarz-Gelb
vorgesehen. Das war eine Pflichtaufgabe, würde ich einmal sagen. Ich würde Sie fragen, ob Sie dem zustimmen vielleicht mit einer etwas anderen Rhetorik.
Über die Rhetorik können wir immer streiten. - Aber
ich bin selbstverständlich der Meinung, dass es eine
Pflichtaufgabe Deutschlands ist, ordentlich Mittel für
den internationalen Klimaschutz einzustellen.
Wenn man im ersten Haushaltsentwurf eine Lücke
feststellt, ist es doch prima, wenn man bereit ist, an dieser Lücke zu arbeiten und eine Veränderung vorzunehmen.
({0})
Das gilt im Übrigen auch - zu diesen Punkten möchte
ich dann auch noch kommen - für eine ganze Menge anderer internationaler Verpflichtungen. Wir haben hier
schon über den Globalen Fonds gesprochen. Ich finde es
gut, dass wir den Ansatz für die Barmittel im Vergleich
zum Haushaltsansatz 2013 um 45 Millionen Euro erhöht
haben. Aber ich sage auch - das wissen wir alle, die wir
hier sitzen -: Das reicht nicht. Gerade der Globale Fonds
zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hat
Millionen Menschen das Leben gerettet, Millionen HIVInfizierten, Millionen Tuberkuloseerkrankten. Greifen
wir im Bereich der Malariaprophylaxe Tansania heraus:
Mittlerweile können 65 Prozent der Kinder dort unter einem Moskitonetz schlafen. Die Kindersterblichkeit ist
um 45 Prozent zurückgegangen.
({1})
Ich erwähne das auch deshalb, weil das ein Beispiel
dafür ist, dass wir, was die Verpflichtungsermächtigungen für den Globalen Fonds anbelangen, noch einiges zu
tun haben; das möchte ich in diesem Hause ganz deutlich
unterstreichen. Die Wiederauffüllungskonferenz für diesen Fonds steht im Juni 2016 an. Es ist dringend nötig,
darzustellen, wie wir uns den Pfad für den deutschen
Anteil in Zukunft vorstellen.
({2})
Ich sage ganz deutlich - man kann das auch mit Zahlen
untermauern -: Bei den Verpflichtungsermächtigungen
müssen mindestens 750 Millionen Euro für drei Jahre
eingestellt werden. Ich halte das für essenziell.
Wir haben noch viel zu tun, auch in anderen internationalen Bereichen: Ich erwähne die Impfkampagne
GAVI, für die im Februar des nächsten Jahres eine Wiederauffüllungskampagne ansteht. Auch hierfür werden
wir Verpflichtungsermächtigungen einstellen müssen,
wenn wir beim Schutz von Menschen in Entwicklungsländern durch Gesundheitsprävention ordentlich vorankommen wollen. Das werden Summen sein, die sich in
der Größenordnung von 250 Millionen Euro bewegen;
das muss man an dieser Stelle deutlich aussprechen.
({3})
Das gilt für die nächsten Haushalte.
Ähnliches wird auf uns bei der Globalen Bildungskampagne, der Partnerschaft für Bildung, zukommen.
Wir wissen: Es ist in den letzten Jahren viel in Grundbildung investiert worden, sowohl seitens der internationalen Gemeinschaft als auch seitens der Entwicklungsländer selbst; es ist viel erreicht worden. Aber wir wissen,
dass große Summen nötig sind, um die Bildung qualitativ voranzubringen und den Menschen wirklich dauerhaft Zugang zu guter Bildung zu verschaffen. Wir
wissen, wir werden auch hier Verpflichtungsermächtigungen in dreistelliger Millionenhöhe brauchen; das
muss man an dieser Stelle aussprechen.
({4})
Ich nenne diese Zahlen auch deshalb so deutlich, weil
ich die Hoffnung habe, dass es dem BMZ gelingt, das Finanzministerium - leider ist vom Finanzministerium keiner da, wenn es ums Geld geht; schade! ({5})
zu überzeugen, dass Investitionen in diese Bereiche Investitionen in die Zukunft sind, die mittelfristig auch
Gelder sparen werden, auch für Deutschland. Es ist auch
ökonomisch sinnvoll, in den Klimaschutz, in die Gesundheitsvorsorge und in die Bildung zu investieren, und
ich hoffe, dass das BMZ diese Erkenntnis dem Finanzministerium für den Haushalt 2015 nahebringen kann.
({6})
Einen Schmerz - es ist vielleicht nur ein kleiner
Schmerz - verspüre ich bei diesem Haushalt schon. Ich
finde es sehr schade, dass es nicht gelungen ist, dem Antrag Folge zu leisten, den wir als Fachpolitiker zum
Thema „Deutsches Institut für Entwicklungspolitik“
fraktionsübergreifend eingebracht haben. Ich hoffe, hier
gibt es in der nächsten Zeit noch eine konstruktive Lösung. Worum geht es? Es geht um geringe Summen und
um die Verstetigung der Entwicklungsforschung in
Deutschland. Für die, die es nicht wissen: Mit dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik haben wir eines
der weltweit führenden Institute in diesem Bereich.
Wenn man sich das Global Think Tank Ranking anschaut, dann sieht man, dass es auf dem Gebiet der Entwicklungsforschung zu den fünf führenden Instituten in
Europa und zu den sieben führenden Instituten weltweit
gehört. Ich glaube, das ist ein Bereich, den wir stützend
voranbringen und weiter fördern sollten.
({7})
Weil wir über den Haushalt reden, was immer die Gelegenheit ist, auch noch ein paar andere Akzente zum
Thema Entwicklungspolitik einzubringen, möchte ich
schon auch noch einmal auf eine für mich große Herausforderung der Entwicklungspolitik in der nächsten Zeit
eingehen. Eine der größten Herausforderungen ist es, für
menschenwürdiges Leben und Arbeiten in der gesamten
Welt Beiträge zu leisten.
Worum geht es? Es geht darum - die ILO nennt erschreckende Zahlen; das muss man sich wirklich immer
vor Augen halten -, dass rund 21 Millionen Menschen
- das ist eine Zahl der ILO - unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Ich muss an dieser Stelle auch sagen: Für menschenwürdige Arbeitsbedingungen brauchen wir verbindliche Regeln in der einen Welt.
({8})
Freiwillige Selbstverpflichtungen, so schön sie von
dem einen oder anderen auch sein sollen und so schön
sie von der einen oder anderen Institution auch gemeint
sind, reichen hier nicht aus. Sie verbessern die Arbeitsbedingungen der Menschen nicht. Sie schaffen keine
neuen Fluchtwege und Sanitäranlagen und sorgen nicht
für Lärm- und Gesundheitsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz. Das erreichen wir nicht durch freiwillige Regelungen. Sie tragen auch nicht dazu bei, dass die Menschen ausreichende Einkommen erwirtschaften können,
von denen sie sich selbst ernähren und zum Beispiel einen Beitrag für die Ausbildung ihrer Kinder in der Zukunft leisten können. Hier brauchen wir verpflichtende
Standards und verpflichtende Regeln.
({9})
Die Entwicklungspolitik hat die Aufgabe, international Anstöße zu geben. Man kann sehr wohl mit Partnern
auch einmal über das dortige Arbeitsrecht sprechen.
Aber auch wir müssen über unsere nationalen Regelungen und darüber nachdenken, wie wir sie verändern
müssen.
Ich nenne einmal ein paar Beispiele:
Für die Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte braucht man einen Nationalen Aktionsplan. Wir brauchen eine EU-Richtlinie zu
den Konfliktmineralien, um hier für verbindliche Regeln
zu sorgen. Die sozialen Sicherheitssysteme müssen weltweit vorangebracht werden; denn wer krank ist und
durch seine Krankheit seine Arbeit verliert und mittellos
wird, kann sich nicht nachhaltig selbst aus der Armut befreien. Schließlich geht es auch darum, Ressourcen in
den Entwicklungsländern selbst zu gewinnen und die finanziellen Ressourcen der Entwicklungsländer zu stärken und zu verbessern. Hierbei geht es um das Steuersystem in diesen Ländern. Dazu kann man sehr viel
beitragen - auch im Rahmen der Entwicklungspolitik -:
durch Beratung, Unterstützung und Know-how.
Wir müssen aber auch die Frage stellen, wie zum Beispiel Transparenz bei Rohstoffentnahmen hergestellt
werden kann, damit die Unternehmen - auch deutsche -,
die in Entwicklungsländern tätig sind, ihre Gewinne ordentlich versteuern und die abgeführten Gelder in die
Systeme der dortigen Länder eingespeist werden können.
({10})
Das zeigt: Es gibt eine Reihe von Herausforderungen,
die wir sicher nicht nur alleine im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit bewältigen können. Hier sind
auch die Außenpolitik, die Umweltpolitik, die Energiepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Rechtspolitik und zum
Teil auch die Forschungspolitik gefragt. Ich glaube aber,
die Entwicklungspolitik hat hier die Aufgabe, der Motor
zu sein und dafür zu sorgen, dass sich die internationale
Zusammenarbeit an den Zielen der Armutsbekämpfung
und der nachhaltigen Entwicklung orientiert.
Danke.
({11})
Jetzt hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Wir schauen heute gemeinsam auf
den Einzelplan 23 des vorliegenden Haushalts. Und was
sehen wir? Die Mittel im Haushalt des BMZ wurden
nicht zurückgefahren, der Haushalt bleibt stabil. Ich
finde, auch das kann man einmal so sagen. Es ist auch
ein Bekenntnis Deutschlands, zu seinen Verpflichtungen
gegenüber den Schwellen- und Entwicklungsländern zu
stehen und seine Verantwortung in der Welt wahrzunehmen.
Der Haushaltstitel des BMZ ist im Übrigen der zehntgrößte und insgesamt immerhin der zweitgrößte Investitionshaushalt. Auch darüber können wir ruhig einmal
reden; das ist eine tolle Leistung. Das ist nämlich keine
Selbstverständlichkeit. Ein Blick in die Geschichte zeigt,
dass 2005 dem Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit noch nicht einmal 4 Milliarden Euro zur Verfügung
standen. Heute beläuft er sich auf knapp 6,5 Milliarden
Euro. Das ist eine Steigerung von etwa 50 Prozent. Es
gibt nur einen einzigen Haushalt in der Bundesrepublik
Deutschland, der einen größeren Aufwuchs hat: Das ist
der Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung.
({0})
In beiden Fällen bin ich der Meinung, dass das Geld hervorragend angelegt ist. Die Anlagen sind auf Nachhaltigkeit, auf Entwicklung und in unserem Fall auch auf
internationale Zusammenarbeit ausgerichtet.
({1})
Was sehen wir noch, wenn wir uns diesen Haushalt
anschauen? Wir sehen zum Beispiel drei Sonderinitiativen unseres Ministers, die sich zusammen auf insgesamt
160 Millionen Euro Barmittel belaufen. Die erste Initiative „Eine Welt ohne Hunger“, liebe Freunde, bedeutet,
Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung mehr
denn je in den Mittelpunkt zu rücken. Das brauchen wir
angesichts der großen Anzahl von hungernden Menschen, nämlich über 1 Milliarde. Deshalb ist es richtig,
darauf den Schwerpunkt zu legen, Herr Minister.
Die zweite Initiative „Fluchtursachen bekämpfen“
widmet sich den Maßnahmen für Flüchtlinge einerseits
sowie den Auswirkungen in den Aufnahmeländern oder
-regionen andererseits. Dabei stehen natürlich die Konflikte, wie zurzeit in Syrien, in der Zentralafrikanischen
Republik, in Mali, im Südsudan, im Fokus. Die humanitären Katastrophen in diesem Zusammenhang sind
unzählig. Ich bin froh, dass Volkmar Klein schon etwas
dazu gesagt hat. Wir wollen mit Unterstützung des
Ministers versuchen, hier die Europäische Union einzubeziehen. Ich glaube, das ist dringend notwendig.
({2})
Die dritte Sonderinitiative „Nordafrika und Naher
Osten“ deckt alle Maßnahmen ab, die zur Stabilisierung
dieser Region beitragen. Diese Region betrifft uns, und
zwar direkt und unmittelbar. Deshalb sind Maßnahmen
zur Demokratisierung, zur Krisenprävention, zur Konfliktprävention, zur Stärkung der zivilgesellschaftlichen
Strukturen - Maßnahmen, die in unserem ureigenen Interesse liegen - wichtig. Ich finde es gut, dass wir diese
Maßnahmen ergreifen. Wir helfen vor allen Dingen den
Menschen vor Ort. Das ist das Wichtigste, was wir
machen können.
Das sind die drei Sonderinitiativen des Ministers. Der
Minister hat hervorragende Prioritäten gesetzt. Vielen
Dank und Anerkennung dafür, lieber Gerd Müller, das
ist wirklich eine tolle Leistung. Aber auch wir Abgeordneten waren nicht untätig. Wir haben unsere eigenen
Prioritäten gesetzt. Aber vielleicht darf ich an dieser
Stelle einen weiteren Dank aussprechen, einen Dank an
dich, liebe Bärbel Kofler, für die vertrauensvolle und unkomplizierte Zusammenarbeit.
Ich danke ausnahmsweise auch einmal den Haushältern.
({3})
Das gelingt mir nicht immer. Es ist definitiv das erste
Mal, lieber Norbert Barthle, lieber Volkmar Klein, liebe
Frau Steffen, dass es uns mit eurer Unterstützung gelungen ist, dass vor allem die parlamentarischen Initiativen
fast eins zu eins übernommen wurden. Darauf sind wir
als Entwicklungspolitiker ganz besonders stolz. Wir
haben auch lange darauf hingearbeitet; das gebe ich zu,
das war auch nicht immer ganz einfach. Aber das ist unsere Art, sicherzustellen, dass die Themen auf unserer
Prioritätenliste umgesetzt werden, zum Beispiel das
Thema Klima- und Ressourcenschutz, das Thema Gesundheit in den Entwicklungsländern, das Thema Unterstützung des Green Climate Fund, das Thema gute
Regierungsführung, aber vor allen Dingen auch das
Thema Stärkung der Zivilgesellschaft; das ist für die
Union ein Herzensanliegen. Deshalb sind wir immer
wieder froh über die gute Zusammenarbeit mit den Kirchen und den Stiftungen vor Ort. Das sind Kontakte,
Möglichkeiten, Beziehungen und damit verbundene
Erkenntnisse, die wir nicht missen wollen. Das ist für
unsere Zusammenarbeit richtig und gut, und wir können
uns darauf verlassen. Deshalb sind die Mittel dafür gut
angelegtes Geld.
Das Bekenntnis zu einer verstärkten Zusammenarbeit
mit der deutschen Wirtschaft ist mir persönlich auch ein
Anliegen. Es gibt keinen Grund, mit Scheuklappen und
Schaum vor dem Mund daranzugehen. Es geht um die
Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,
und das ist wichtig. Denn wir müssen die wirtschaftliche
Zusammenarbeit stärken. Wir müssen die kleinen und
mittelständischen Unternehmen in den Entwicklungsländern stärken. Sie müssen anfangen, ihre eigene Wirtschaftsfähigkeit, Überlebensfähigkeit und Lebensfähigkeit für die Zukunft für sich und ihre Kinder zu
entwickeln.
({4})
- Soll ich kurz unterbrechen? Wollt ihr klatschen?
({5})
Ich will so viel sagen. Deshalb muss ich mich schon wieder beeilen. Das ist doch furchtbar.
Auch die Kooperation mit der Wirtschaft trägt dazu
bei, dass wir peu à peu über das 0,7-Prozent-Ziel reden
können. Jawohl, liebe Frau Hajduk - sie hört gerade
nicht zu -,
({6})
auch ich habe die Erklärung unterschrieben. Nicht unterschrieben habe ich erstens, dass es sofort passieren muss.
({7})
Ich habe zweitens nicht unterschrieben, dass ich es unter
Missachtung sämtlicher haushalterischer Notwendigkeiten machen will.
({8})
Ich habe zum Dritten nicht unterschrieben, dass ich es
unter Missachtung jeglicher gesamtpolitischer Verantwortung mache, die ich für mich sehr wohl sehe. Ich bin
zwar Entwicklungspolitikerin, aber ich habe auch eine
Verantwortung für die Gesamtpolitik.
({9})
Jetzt kommen wir nämlich zu den Milliardenbeträgen,
die wir dafür brauchen, liebe Freunde. Das sage ich mit
Blick auf die Anträge. Ich komme zuerst zu der Linksfraktion. Ich habe einmal nachgerechnet. Im Ausschuss
haben Sie uns 5 Milliarden Euro vorgelegt. Na prima,
das ist eine stolze Summe. Das kann man schon machen.
Jetzt ist es nur noch 1 Milliarde Euro an Barmitteln ohne
jegliche Gegenfinanzierung.
({10})
Natürlich habe ich von den lieben Kollegen von den Linken nicht sehr viel mehr erwartet. Meine Erwartungen
waren nicht sehr hoch. Aber bezeichnend ist für mich,
dass der Kollege Movassat bis zum heutigen Tag von
Entwicklungshilfe spricht.
({11})
Lieber Kollege, darüber sind wir zum Glück schon sehr,
sehr lange hinaus.
({12})
Was wir machen, ist Entwicklungszusammenarbeit. Wir
machen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Wir arbeiten mit den Partnerländern zusammen, zielgerichtet
und in Absprache mit ihnen. Das Thema Entwicklungshilfe, lieber Freund, haben wir schon lange, lange hinter
uns.
({13})
Deshalb konnte ich von dem, was Sie uns an Anträgen
vorgelegt haben, auch nicht enttäuscht sein.
Die Enttäuschung über die Grünen war extrem viel
größer, um ehrlich zu sein. Natürlich kann man die
Haushaltsmittel um 800 Millionen Euro anheben.
({14})
- Barmittel, nicht gegenfinanziert und schon gar nicht
mit entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen auf
Nachhaltigkeit angelegt. In dem Zusammenhang ist
nichts vorgesehen.
Aber machen wir uns nichts vor: Es passt nicht zusammen. Wir haben nicht die entwicklungspolitischen
Strukturen, durch die wir in der Lage wären, in einem
halben Jahr, wohlgemerkt, diese Menge an Geld zu
verteilen. Das hat weder mit Nachhaltigkeit noch mit
Verantwortung zu tun. Ich glaube, es ist keine gute Idee,
das so zu machen, wie Sie es vorschlagen.
({15})
Ich finde es wunderbar und prima, dass wir genau darüber namentlich abstimmen. Denn Ihnen fehlt für meine
Begriffe die Ernsthaftigkeit.
({16})
Insofern bin ich auch froh, dass wir diese Änderungsanträge ganz seriös mit Nein bescheiden. Denn ich glaube,
das nehmen Ihnen auch Ihre Kooperationspartner nicht
ab. Das alles kann man definitiv unter dem Stichwort
Schaufensteranträge sehen. Es nimmt Ihnen keiner ab.
Es tut mir nur leid; denn es fehlt Ihnen die entsprechende
Seriosität.
Mir fehlt in dem Zusammenhang schlicht und einfach
Ihre gesamtpolitische Verantwortung, die Sie schließlich
haben. In der Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden Anton
Hofreiter hörte es sich plötzlich ganz anders an, als es
darum ging, wie ein Haushalt aussieht und wie finanzielle Mittel eingesetzt werden. Das ist leider nicht konsistent.
({17})
Ich glaube, dass wir einen hervorragenden Haushalt
vorgelegt haben. Wir wissen, dass wir die 1,5 Milliarden
Euro, die in den nächsten drei Jahren noch zu verteilen
sind, sinnvoll, effektiv und effizient einsetzen. Wir haben mit unserem Herrn Minister einen hervorragenden
Verwalter dieser Mittel. Ich glaube, dass wir uns in der
Entwicklungszusammenarbeit nicht zu verstecken brauchen, weder national noch international. Es ist ein toller
Haushalt. Viel Erfolg bei der künftigen Arbeit, lieber
Gerd Müller! Unsere Unterstützung hast du; das ist ganz
klar. Wir freuen uns auf weitere erfolgreiche Jahre.
Danke schön.
({18})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Pfeiffer, ich finde Ihr Urteil sehr heftig, insbesondere weil ich feststellen muss,
dass Sie sich über die von uns beantragten Haushaltsänderungen nicht sehr kundig gemacht haben.
({0})
Ich möchte das in aller Ruhe noch einmal deutlich sagen: Wir finanzieren selbstverständlich einen Aufwuchs
in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zugunsten der ODAQuote nicht im eigenen Etat gegen. Das würde zugunsten der ODA-Quote auch gar nicht so gut aufgehen, nur
als kleine Nebenbemerkung. Wenn wir aber schon eine
Prioritätenverschiebung zugunsten der globalen Entwicklungszusammenarbeit und des internationalen
Klimaschutzes vornehmen, dann betrifft das den Haushalt des BMZ und den Haushalt des AA, insbesondere
im Hinblick auf die sehr wichtigen Herausforderungen
der dramatischen Flüchtlingsentwicklung und des internationalen Klimaschutzes; das habe ich sogar in meiner
Rede erwähnt.
Alle diese zusätzlichen Ausgaben sind unserem Anspruch gemäß gegenfinanziert. Wir haben die Kürzung
vieler Ausgaben für umweltschädliche Subventionen beantragt. Sie können inhaltlich dagegen sein. Aber bitte
stellen Sie hier nicht die Behauptung auf, dass es uns
dabei an Ernsthaftigkeit mangelt. Wir halten mit 6,5 Milliarden Euro die gleiche Nettokreditaufnahme als Zielsetzung aufrecht. Argumentieren Sie inhaltlich dagegen,
aber sprechen Sie uns nicht die finanzielle Solidität ab.
Das wäre ein bisschen billig. Machen Sie sich die Mühe,
sich unsere Vorschläge zu vergegenwärtigen. Ich lade
Sie dazu ein. Über unsere Anträge wird erst am kommenden Freitag abgestimmt. Vielleicht geben sie Ihnen
einen kleinen Ruck im Hinblick auf den Einfluss, den
Sie in Ihrer Fraktion noch ausüben können.
Danke.
({1})
Frau Kollegin Pfeiffer.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Hajduk,
ich nehme das jetzt schlicht und ergreifend zur Kenntnis.
Ich habe sehr wohl das Gefühl, dass es sich bei Ihren
Vorschlägen um Schaufensteranträge handelt; denn sonst
hätten Sie nicht namentliche Abstimmung zu diesem
Haushalt beantragen dürfen. Denn das heißt: Wir wollen
es in diesem Haushalt, und deshalb stimmen wir über
den Einzelplan 23 in diesem Zusammenhang ab. - Wenn
Sie uns aufgefordert hätten, uns die anderen Haushalte
anzuschauen, dann wäre das in Ordnung gewesen. Aber
dann hätten Sie keine namentliche Abstimmung verlangen dürfen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wollte es heute eigentlich etwas ruhiger angehen lassen.
Aber hier wird ja richtig scharf geschossen. Frau Kollegin Hajduk, was mich bei Ihrem Redebeitrag etwas
geärgert hat, ist Folgendes: Als 2000 die ODA-Ziele verbindlich festgelegt wurden, haben Sie regiert. Wir haben
als PDS schon damals die Forderung und entsprechende
Anträge gestellt, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Aber 2005, also am Ende der Zeit
Ihrer rot-grünen Regierung, lag die ODA-Quote bei nur
0,3 Prozent. Das ist einfach Fakt.
({0})
- Exakt, das ist nicht gut.
Nun möchte ich doch versuchen, es etwas gemütlicher angehen zu lassen. Herr Minister, bestimmt können
Sie es nicht mehr hören, aber bei Ihrem Vor- und Nachnamen drängt sich angesichts der laufenden Fußballweltmeisterschaft - die deutsche Nationalelf spielt morgen
wieder - ein Vergleich auf. Auch Thomas Müller ist
nicht schlecht und hat bislang schon drei Tore bei der
Fußballweltmeisterschaft geschossen. Das haben Sie auf
dem politischen Spielfeld leider noch nicht geschafft.
Trotzdem muss ich sagen: Sie spielen schon souverän
und gut, aber eher als Abwehrspieler. Wenn Sie auch ein
Tor schießen wollen, müssen Sie Stürmer werden, möglichst links außen.
({1})
Was ich damit sagen will, Herr Minister: Es wurde
hier viel kritisiert, aber es gibt natürlich auch Dinge, die
wir als Linke begrüßen, weil sie gut laufen. Vielleicht
bin ich jetzt wegen der Politik Ihres Amtsvorgängers etwas verwöhnt. Richtig ist, dass Sie inhaltliche Schwerpunkte gebildet haben, zum Beispiel mit den Initiativen
„Fluchtursachen bekämpfen“, „Eine Welt ohne Hunger“
oder „Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und
Nahost“. Diese inhaltliche Ausrichtung findet sich folgerichtig auch im Etat wieder. Auch wurde das Ministerium strukturell verändert und an diese Aufgaben angepasst. Strukturelle Fehler des Amtsvorgängers sind
korrigiert worden. Die Instrumente der Entwicklungspolitik - das haben Sie zumindest angekündigt - sollen
evaluiert und verbessert werden. Die öffentlichen Statements, die Sie abgeben, finden auch auf unserer Seite
durchaus Zustimmung. Nur einmal eine Kostprobe: Als
Sie in Nigeria waren, haben Sie gesagt: „Armut und
Perspektivlosigkeit sind der Nährboden für Terror und
Unruhen.“ Genau das ist die richtige Analyse. Jetzt muss
danach gehandelt werden.
({2})
Nun müssen, wie gesagt, die Ergebnisse kommen.
Die Tore müssen jetzt wirklich fallen, und die Ergebnisse müssen die sein, dass in den definierten Zielländern bei den jeweiligen Schwerpunkten wirkliche und
nachhaltige Fortschritte erzielt werden. Die Frage ist
also: Wird es gelingen, in Nigeria Strukturen aufzubauen, die es wirklich ermöglichen, im landwirtschaftlichen Bereich mit Kleinbauern eine nachhaltige Versorgung sicherzustellen? Wird es in den nächsten Jahren
gelingen, in Mali Strukturen aufzubauen, die eine gesicherte Trinkwasserversorgung der Bevölkerung garantieren? Wird es gelingen, in Indien Klimaschutzprojekte
zu installieren, die garantieren, dass die Bevölkerung
eine Energieversorgung hat, die ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist?
Das klingt alles so einfach, aber das sind Mammutaufgaben. Da setzt auch unsere prinzipielle Kritik an.
Die ist jetzt schon mehrfach heftig geäußert worden. Ich
befürchte einfach, dass Sie für diese Aufgaben zu wenig
Geld haben. Das hängt ganz einfach damit zusammen,
dass Deutschland sein internationales Versprechen,
0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, nicht einhalten wird.
Bis nächstes Jahr muss das Ziel erreicht sein, so lautet
die Selbstverpflichtung auf internationaler Bühne. Heute
geben wir lediglich die Hälfte dafür aus.
Ich hatte es schon in meiner letzten Rede gesagt und
möchte es jetzt gerne wiederholen: Die Glaubwürdigkeit
Deutschlands wird genau an der Erfüllung dieses Versprechens gemessen.
({3})
Sie wird nicht daran gemessen, ob wir uns international
im militärischen Bereich mehr engagieren, sondern daran, ob wir diese Aufgabe bewältigen können. Da müssen Sie noch ein bisschen Überzeugungsarbeit bei Ihren
Kollegen im Auswärtigen Amt und im Verteidigungsministerium leisten.
Ich möchte noch ein Thema ansprechen, das auch
schon erwähnt worden ist, nämlich den Waffenexport.
Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, aber der Waffenexport aus Deutschland, insbesondere der von Kleinund Handfeuerwaffen, ist ein Beitrag dazu, dass bewaffnete Konflikte überhaupt ausgetragen werden können.
Somit ist der Waffenexport ein Hauptgrund für die
Flucht. Es ist doch wirklich absurd, dass aus Deutschland Waffen in Konfliktgebiete exportiert werden, insbesondere Klein- und Handfeuerwaffen, und Sie als BMZMinister dann in diesen Konfliktregionen Projekte starten, um wieder Frieden herzustellen und Versöhnungsarbeit zu leisten. Sie als Minister sind Mitglied des Bundessicherheitsrates. Sie können direkten Einfluss darauf
ausüben, dass diese Kleinwaffenexporte nicht stattfinden. Ich möchte Sie hier auffordern, diesen Einfluss geltend zu machen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das
sind gerade Vorschläge gewesen, die eine hohe EffektiMichael Leutert
vität haben werden, aber kein Geld kosten. Also können
Sie sofort mit deren Umsetzung beginnen und handeln.
Danke.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Axel Schäfer, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
einen Sozialdemokraten ist diese Haushaltsdebatte deshalb ein bisschen schwierig, weil dies die erste Regierung mit Beteiligung der SPD in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland ist, in der wir nicht das
Entwicklungsministerium führen. Seit 1961 waren es 27
von 53 Jahren, in denen wir den Minister gestellt haben.
Deshalb ist der Maßstab, den wir an den neuen Minister
anlegen und der von „Ben Wisch“ bis Heidi WieczorekZeul definiert wurde, hoch. Ich wollte deshalb eines
einleitend sagen. Der Kollege Müller ist jemand, der
- unabhängig davon, dass es Themen gibt, bei denen
man immer wieder Diskussionsbedarf hat und nicht automatisch einer Meinung ist - Sachen offen und fair angeht, mit dem man sich ordentlich auseinandersetzen
kann und der auch zu seinem Wort steht. Ich glaube
schon, dass das eine gute Zusammenarbeitsbasis für das
ist, was wir hier gemeinsam in dieser Koalition, in diesem ganzen Haus und speziell im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung machen.
({0})
Natürlich müssen wir bei den Finanzen immer ein
Stück selbstkritisch sein. Wir haben, wie gesagt, einen
Mittelaufwuchs von 2,3 Prozent. Das ist für die SPD akzeptabel, aber auf jeden Fall ausbaufähig und sogar ausbaunotwendig. Wenn wir über diese Mittel reden, ist es
wichtig, dass wir zugleich darauf hinweisen, dass wir als
Teil der Europäischen Union in dieser Gemeinschaft immerhin mehr als 60 Prozent der internationalen Entwicklungszusammenarbeit leisten und damit weltweit der
größte Geber sind.
Als größter Binnenmarkt der Welt ist die EU zudem
ein wichtiger Handelspartner vieler Entwicklungs- und
Schwellenländer und hat damit natürlich auch wichtigen
Einfluss auf die Welthandelsordnung. Die Kombination
aus finanziellem, wirtschaftlichem und politischem
Einfluss macht deshalb die Europäische Union und damit einen ganz wichtigen Teil Deutschlands zu einem
entscheidenden Akteur in der internationalen Entwicklungspolitik. Diesen Einfluss gilt es für strategische Partnerschaften wie die mit den USA, China, Brasilien, Indien, Japan und auch den afrikanischen Staaten zu
nutzen, um nicht nur für die europäischen, sondern auch
für die universellen Werte wie Demokratie, Grundrechte,
Stabilität, Sicherheit, Wohlstand und Chancengleichheit
weltweit einzutreten.
Eins ist für uns klar: Bilaterale Abkommen sind dabei
insgesamt nicht nachhaltig. Es wird darauf ankommen,
dass die Mitgliedsländer der EU mit einer Stimme sprechen, damit man stark genug ist, um international wirklich Einfluss zu nehmen. Nur wenn wir diesen Einfluss
nehmen, können wir auch einen Beitrag zur Bekämpfung von Armut und einen Beitrag zu einer gerechteren
Welt leisten. Das ist ja immer noch unser gemeinsamer
Anspruch.
({1})
Der EU-Afrika-Gipfel im April dieses Jahres hat die
Wichtigkeit einer einheitlichen europäischen Linie abermals verdeutlicht. Die EU setzt sich für eine kontinuierliche Unterstützung der Afrikanischen Union zur Wahrung und Verbesserung der Sicherheitslage in der
Zentralafrikanischen Republik, in der Demokratischen
Republik Kongo, in der Region der Großen Seen, im
Südsudan, in Somalia und in Mali ein.
Wahlbeobachtungen zum Beispiel sind hier ein ganz
wichtiger Ansatz. Von unserem Selbstverständnis her
muss sich die EU und müssen wir uns - mittenmang insbesondere um eine friedliche und dauerhafte Lösung
des internen Konflikts im Südsudan bemühen, der bekanntlich mit schwerwiegenden Folgen auch auf Nachbarregionen übergreifen könnte.
Afrika bildet für die EU und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt. Minister
Müller wird nicht müde, das zu betonen. Wir betonen
unsere Bitte, dass er dabei die Ansätze seiner Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul aufnimmt und ihre Politik fortsetzt. - Er nickt. Das ist schon einmal ein ganz
gutes Zeichen.
({2})
- Nicht alles. Wir sind ja auch nicht eine Partei. Unsere
Fraktionen bilden ja nur eine Koalition auf Zeit; so ist es
nun einmal.
Eins ist klar: Afrika ist vom Alter seiner Einwohner
her nicht nur der jüngste Kontinent - ich persönlich
hoffe, dass die afrikanischen Länder bei der FußballWM ein bisschen erfolgreicher als bisher abschneiden -,
sondern zeichnet sich auch durch ein enormes Wachstumspotenzial aus, da sich die Anzahl seiner Einwohner
im nächsten Jahrzehnt annähernd verdoppeln wird. Das
ist aber nur die eine Seite.
Die andere Seite sind die schrecklichen Bilder von
Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Sie verdeutlichen uns
einerseits, wie nah uns Afrika ist, und andererseits unsere besondere Verpflichtung. Als wichtigstes Instrument der Europäischen Union für die Zusammenarbeit
mit den berühmten AKP-Staaten, also mit Staaten aus
Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum, gibt es
seit 55 Jahren den Europäischen Entwicklungsfonds.
Dieser Fonds finanziert notwendige Projekte und Programme, die zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung der Region beitragen. Er umfasst mehrere Einzelinstrumente, wie nichtrückzahlbare Hilfe,
Axel Schäfer ({3})
Risikokapital und Darlehen auch an den Privatsektor.
Der Anteil der Förderung für überregionale Programme
ist im mehrjährigen Finanzrahmen bis 2020 immerhin
um 15 Prozent erhöht; er umfasst nunmehr fast 27 Milliarden Euro. Damit unterstreichen auch wir innerhalb
der Europäischen Union und als EU insgesamt, dass die
ökonomische Integration als Basis für nationale und lokale Entwicklung zu fördern ist.
Neben den wichtigen Punkten, die meine Vorrednerin
Bärbel Kofler bereits zum Thema „Gute Arbeit weltweit“ angesprochen hat, gibt es noch einen anderen
wichtigen Prozess: Auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit wird der Schwerpunkt weiter auf der Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele sowie auf
der Vorbereitung für den neuen Rahmen für nachhaltige Entwicklung und Armutsbeseitigung in der Zeit
nach 2015 liegen. Wir wissen, dass das für uns noch
ein ordentliches Stück des Weges ist; das muss man
selbstkritisch feststellen. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dabei der Europäischen Union
eine Schlüsselrolle zukommt, insbesondere bei der Ausarbeitung des neuen universellen Rahmens, der auf drei
Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet
ist, nämlich Wirtschaft, Soziales und Umwelt.
Die SPD setzt sich konkret dafür ein, dass wir erstens
den Kampf gegen Hunger und Armut führen, dass wir
zweitens die universellen Menschenrechte vertreten und
auf ihre Einhaltung drängen, dass wir drittens gute Arbeit weltweit sowie ein faires und offenes Handelssystem erreichen, dass wir viertens eine krisensichere globale Finanzstruktur mit Steuergerechtigkeit verbinden
und dass wir fünftens gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels durchführen.
Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle einmal auf einen anderen Punkt eingehen, der
in der Entwicklungszusammenarbeit aus meiner Sicht
eine herausragende Bedeutung hat. Wir werden in Zukunft, auch in unserer Diskussion in diesem Haus,
schauen müssen, wie wir uns in Europa, im europäischen
Zusammenhang besser vernetzen, wie wir nicht nur miteinander arbeiten, sondern auch voneinander lernen können. Das heißt, auch selbstkritisch zu schauen, wie weit
wir bei unseren eigenen Zielen sind und was wir als Beitrag dazu leisten können.
Es gibt einen interessanten Beitrag, finde ich, der bisher unterschätzt wird. Wenn ich auf Claudia Roth gucke
oder auf meinen Freund Frithjof Schmidt, dann komme
ich dazu, zu sagen: Wir müssen es fördern, dass Mitglieder des Europäischen Parlaments auch einmal Mitglieder
des Deutschen Bundestages werden. Das ist in den beiden Fällen so geschehen. Das ist bei der Linkspartei bei
Sahra Wagenknecht der Fall. Das ist auch bei der Union
der Fall.
({4})
- Es ist auch gut, dass das bei Gerd Müller der Fall ist,
({5})
der genau dann in den Bundestag wechselte, als ich ins
Europäische Parlament gewählt wurde. So gesehen gibt
es da ganz wichtige Verbindungslinien.
({6})
Gerade bei einem solchen Thema, bei dem es Gott sei
Dank nicht darum geht, zu ideologisieren, sondern darum, eine gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen,
können wir so, auch durch Diskussionen in den Fraktionen, zu gemeinsamen Ergebnissen kommen.
Willy Brandt hat vor langer Zeit einmal gesagt: „Die
Entwicklungspolitik von heute ist die Friedenspolitik
von morgen.“ Ich bin als stellvertretender Fraktionsvorsitzender neben meiner Zuständigkeit für Europa jetzt
auch im Entwicklungsbereich dabei. Für mich als ehemaligen Referenten von Willy Brandt, wenn ich das einmal persönlich sagen darf, ist das ein bisschen die Rückkehr zur Basis und zu dem, was es vor 30 Jahren an
Dritte-Welt-Projekten gegeben hat. Ich lerne noch ein
bisschen dazu und freue mich auf unsere Diskussionen
und die weitere Zusammenarbeit im Ausschuss.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Müller - ich fange jede meiner Reden mit
Ihrem Namen an; ich weiß nicht, woran das liegt -, Ihr
Start war sehr gut. Sie haben mit einer neuen Rhetorik
viel Hoffnung geweckt. Es war Ihnen von Anfang an
klar, dass Sie natürlich nicht an den Worten bewertet
werden, sondern an den Taten. Damit war Ihnen auch
von Anfang an klar, dass ein angekündigter Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik nicht auf Worthülsen
basieren kann. Ein Paradigmenwechsel verlangt vor allem Ehrlichkeit und Transparenz, und genau das leistet
Ihr Haushaltsentwurf nicht. Um nicht ganz bloß dazustehen, übernehmen Sie konsequent die kreative Buchführung Ihres Vorgängers.
Der Haushalt brilliert durch Rechentricks, und dafür
verdienen Sie - ganz im Zeichen der Fußballweltmeisterschaft - diese Gelbe Karte hier.
({0})
Sie können sich dagegen wehren und sagen: Moment!
Das ist doch viel zu hart. - Man könnte diese Gelbe
Karte auch 80 Prozent des Parlaments geben.
({1})
- Ich habe sie extra für Sie vergrößert, damit Sie sie auch
deutlich sehen. - Im Sinne von Fairplay ist das auf jeden
Fall nicht.
Aber nicht nur Ihre Buchhaltung ist ein Problem. Es
wird immer deutlicher, dass auch Ihre programmatische
Ausrichtung sehr fraglich ist. Nehmen wir den Bereich
der Ernährung und der ländlichen Entwicklung speziell
für Afrika. Wer den Hunger bekämpfen und die Ernährungssituation verbessern will, darf nicht unkritisch gegenüber den Folgen der globalen Agrarentwicklung der
letzten Jahrzehnte sein.
({2})
- Doch, das sind Sie. Sie arbeiten immer noch mit der
German Food Partnership zusammen. Sie übernehmen
immer noch die westlichen Technologien und versuchen,
sie in Afrika zu implementieren.
Wir wissen doch, dass mit veralteten westlichen
Agrarkonzepten die Ernährungssituation nicht verbessert
werden kann. Diese Konzepte ignorieren die negativen
ökologischen, klimatischen und sozialen Auswirkungen
der industriellen Agrarproduktion. Der Verlust der
Artenvielfalt, die Verödung der Böden, die Erhöhung der
Erosion, die Verschlechterung des Grundwassers, negative Klimaauswirkungen, Landflucht und Entwurzelung
sind die Folgen. Ernährungssicherheit geht anders.
Inhaltliche Schwächen zeigen sich auch in jenen
Bereichen, die das Ministerium überhaupt nicht angeht.
Wo sind Ihre Initiativen gegen das Landgrabbing, das
dramatische ökologische und soziale Folgen hat? Wo
sind Ihre Analysen über unsere westliche Energiepolitik
und Ihre Konsequenzen für die ländliche Entwicklung in
Afrika, Asien und Südamerika? Wo sind Ihre Alternativen zum Neoextraktivismus, der inzwischen global
praktiziert wird?
Wir kennen die Folgen des heutigen Bergbaus. In keinem anderen Industriebereich sind mehr Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Nirgendwo wird die
Umwelt so stark und irreversibel geschädigt wie in diesem Bereich.
Wo und wie setzen Sie sich für strukturelle Veränderungen in Deutschland und auf europäischer Ebene ein,
die in den Entwicklungsländern weit mehr bewirken
können als Projekte? Ich spreche hier zum Beispiel von
einem kontrollierten, fairen globalen Finanz- und Steuersystem, das wir in Europa, Deutschland und weltweit
etablieren müssen und das den Entwicklungsländern
Milliardeneinnahmen sichern würde. Ich spreche natürlich auch von der Unternehmensverantwortung, die Sie
immer wieder betonen. Aber Sie erklären den Leuten
eben nicht, dass Sie das auf freiwilliger Basis machen
möchten. Genau in dem Bereich der Unternehmensverantwortung brauchen wir Verbindlichkeit. Alles andere
führt nicht zum Ziel.
({3})
Wo sind Ihre Initiativen gegen die unsäglichen Freihandelsverträge? Im Ausschuss erklären Sie, Herr
Minister, dass Sie sich wenigstens gegen die Deadline
des EPA-Vertrages zum 1. Oktober wehren würden.
Diese, so Ihre Begründung, sei völlig kontraproduktiv
und würde vor allen Dingen die ärmsten Länder schädigen. Allerdings traue ich nicht allen verbalen Äußerungen, und deshalb habe ich schriftlich in Ihrem Haus
nachgefragt. Die Antwort ist verblüffend. Sie lautet:
Über eine Nichtanwendung der Anpassung der
Marktzugangsverordnung liegen der Bundesregierung keine Kenntnisse vor.
Und:
Die Bundesregierung setzt sich gegenüber der Europäischen Kommission nachdrücklich für einen
zügigen … Abschluss der Verhandlungen ein.
Die Bundesregierung treibt also die EU voran. Sie
setzen den ärmsten Ländern der Welt die Pistole auf die
Brust: Entweder unterschreibt ihr den Vertrag, oder euer
privilegierter Marktzugang nach Europa ist Geschichte.
Es ist doch schön, dass ich das schriftlich habe.
Herr Kollege, es gibt einen Wunsch aus der CDU/
CSU-Fraktion. Charles M. Huber möchte Ihnen gern
eine Zwischenfrage stellen.
Herr Huber, gerne.
Herr Kollege Kekeritz, wenn wir über afrikanische
Volkswirtschaften sprechen, sprechen wir in der Regel
von informellen Volkswirtschaften. Ich habe dazu eine
Frage: Wie wollen Sie in einer informellen Volkswirtschaft, wo die meisten Unternehmen nicht erfasst sind
- deswegen heißt es „informelle Volkswirtschaft“ -, ein
Steuersystem überhaupt implementieren?
Die Antwort ist ganz einfach: Wenn Sie meinen, dass
das nicht geht, dann sind Sie in diesem Ausschuss
falsch.
({0})
Das funktioniert einfach nicht. Außerdem ist es völlig
falsch, von „informellen Gesellschaften“ zu reden.
({1})
Sprechen Sie doch mal mit Kenianern oder mit Senegalesen und sagen Sie ihnen: „Ihr habt eine informelle Gesellschaft“!
Meine Antwort ist ganz klar: Ihre Fragestellung ist
einfach falsch; die mit der Fragestellung implizierte
Aussage ist grottenfalsch. Das muss ich Ihnen wirklich
sagen.
({2})
- Ja, selbstverständlich, „Volkswirtschaften“. Was wollen Sie denn? Natürlich gibt es in vielen Ländern Steuer3778
systeme. Es gibt das Problem der Korruption - das streitet keiner ab -, aber wir müssen das überwinden.
({3})
- Wenn Sie es eh wissen, warum fragen Sie dann?
({4})
- Natürlich weiß ich das. Ich beschäftige mich schon
sehr lange mit der Situation, und ich kenne vor allen
Dingen auch die Ausgaben des Bundesministeriums, die
damit verbunden sind, dass die GIZ seit Jahren in vielen
Ländern versucht, entsprechende Strukturen aufzubauen. - Herr Bundesminister, hoffentlich sagen Sie einmal Herrn Huber, dass Sie mit Ihrer Politik nicht völlig
falsch liegen und sie nicht wirkungslos ist. - Danke
schön.
Schade, wirklich schade, Herr Minister! Sie sind gerade dabei, sich Ihren positiven Ruf, den Sie aufgrund
guter Rhetorik gewonnen haben, etwas zu verspielen.
Wie glaubwürdig ist eine solche Rhetorik, wenn Sie
nicht einmal den Schneid haben, einzugestehen, dass Sie
gerade dabei sind, das 0,7-Prozent-Ziel mithilfe einer bereitwilligen SPD zu beerdigen!
({5})
Das geschieht trotz der Unterschrift von Frau Pfeiffer
unter einem Aufruf zur Erreichung des 0,7-ProzentZiels, die offensichtlich nicht mehr weiß, was sie vor
drei Jahren unterschrieben hat. Da stand auch drin: „bis
2015“.
({6})
Daran erinnern Sie sich nicht mehr. Aber Sie meinen
ganz genau zu wissen, dass die Grünen nicht seriös arbeiten und an Entwicklungspolitik überhaupt kein Interesse haben. Das halte ich für eine reife Leistung.
Unsere Partner in den Entwicklungsländern, die international tätigen Organisationen, die Zivilgesellschaft,
aber auch der Deutsche Bundestag haben einen Anspruch, zu erfahren, wie Deutschland zukünftig seinen
Verpflichtungen nachkommen wird. Dieses mehr als berechtigte Interesse, Herr Minister, umspielen Sie, aber
nicht gut und nicht fair. Diese Politik ist letztlich ein böses Foul an den Ärmsten der Armen. Wer in einem Spiel
zweimal die Gelbe Karte bekommt,
({7})
der bekommt auch die Rote Karte. Aber Sie haben
Glück: Jetzt kommen die Sommerferien.
Bei Ihnen droht gleich auch die Rote Karte, weil die
Zeit schon stark überzogen ist.
({0})
Jawohl. Ich bin gleich fertig. - Nutzen Sie die Zeit in
den Ferien! Reflektieren Sie noch mal! Wir müssen anfangen zu liefern, anders als bisher.
Danke schön.
({0})
Frau Pfeiffer möchte eine Kurzintervention machen.
Herr Präsident, vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, es tut mir leid; aber wenn Kollege Kekeritz
beim Zuhören Fehler macht, dann muss ich das leider
korrigieren. Wenn schon beim Zuhören Fehler gemacht
werden, möchte ich gar nicht wissen, welche Fehler
noch passieren können.
Ich habe mich zu dem Aufruf erklärt. Ich habe gesagt:
Jawohl, ich habe es unterschrieben. - Ich habe nicht
unterschrieben, dass das Ziel sofort, unter Missachtung
jeglicher haushalterischer Notwendigkeiten, schon gar
nicht unter Missachtung meiner gesamtpolitischen Verantwortung, erreicht werden muss. Das möchte ich hier
auch für Sie, Herr Kekeritz, noch einmal zu Protokoll
geben; ich gebe es Ihnen gerne auch schriftlich. Es wäre
ganz nett, wenn Sie mir das nächste Mal zuhören würden, wenn ich da vorne etwas sage, bevor Sie hier irgendwelche Dinge behaupten.
({0})
Kollege Kekeritz darf darauf antworten.
Frau Pfeiffer, herzlichen Dank für die Frage.
({0})
Sie können sicher sein, dass ich immer zuhöre, wenn Sie
sprechen - da höre ich besonders aufmerksam zu. Es ist
für mich wichtig, festzustellen, dass Sie heute nicht mehr
wissen, was Sie damals unterschrieben haben. Es wird
auch nicht dadurch besser, dass Sie Ihre Aussage dreioder viermal wiederholen.
Mit dem Aufruf war ein Aufholplan verbunden. Dass
er von heute auf morgen umgesetzt werden soll, stand
nicht darin; es hat auch kein Mensch gesagt, dass das
von heute auf morgen geht. Das war vor etwa dreieinhalb Jahren. Wir wollten einen Aufholpfad beschreiten,
und das haben Sie unterschrieben. Jetzt ist die Zeit natürlich fast abgelaufen; es ist jetzt nicht mehr möglich, das
bis 2015 aufzuholen, obwohl das in dem Aufruf, den Sie
unterschrieben haben, vorgesehen war.
Danke.
({1})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wäre ich Schiedsrichter, würde ich jetzt sagen: Lieber
Herr Kollege Kekeritz - Platzverweis!
({0})
Ich glaube, ich muss nicht kommentieren, was Sie vorhin gesagt haben.
({1})
Liebe Claudia, ich habe dein Gesicht gesehen; das hat
für sich gesprochen. Ich möchte deswegen keinen Kommentar zu dem abgeben, was der Kollege Kekeritz hier
von sich gegeben hat. Wir kennen ihn. Deswegen lassen
wir das einfach so stehen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Entwicklungspolitiker kennen es zur Genüge, ob wir hier in Berlin
sind oder draußen im Wahlkreis: Wir werden immer wieder von den Bürgerinnen und Bürgern gefragt: Wofür
gebt ihr das Geld aus? Was bewirkt ihr eigentlich mit
dem Geld? Es ist ja sehr viel: fast 6,5 Milliarden Euro.
Unser Haushalt ist der zweitgrößte Investitionshaushalt
mit einem Aufwuchs von fast 150 Millionen Euro in diesem Jahr. Wir lassen uns diesen Erfolg auch nicht
schlechtreden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition. Wir sind froh, dass uns diese Mittel zur Verfügung stehen, und wir sind froh, dass wir sie effizient
einsetzen können.
Ich glaube, manchmal haben es diejenigen, die in der
Entwicklungspolitik tätig sind, etwas schwerer als die
anderen Kollegen aus den anderen Ressorts; sehen Sie
mir das bitte nach. Denn die Probleme, mit denen wir es
zu tun haben, sind sehr komplex und manchmal sehr
schwer verständlich für die Öffentlichkeit, für die Bevölkerung vor Ort. Die Wirkzeit unserer Programme ist oft
langfristig angelegt, ihre Wertigkeit ist oft nicht überschaubar. Hinzu kommt, dass der Einzelne bei uns vor
Ort nicht unmittelbar betroffen ist.
Um Sympathie und Verständnis zu erwecken - und
das wollen wir in der Entwicklungszusammenarbeit -,
braucht man ein Gesicht. Das ist immer dann sehr einfach, wenn Katastrophenberichte über den Fernseher in
unsere Wohnzimmer flimmern. Dann ist die Empathie
für die Opfer sofort da, und die Spendenbereitschaft
steigt. So ist es momentan bei den Flüchtlingen: Wir bekommen ihr Schicksal zu Hause hautnah mit.
Wir sehen die Not in den verschiedenen Krisenregionen. Allein im Irak sind seit den letzten Wochen 500 000
Menschen auf der Flucht. In der Zentralafrikanischen
Republik, einem Land, das von der Weltgemeinschaft
überhaupt nicht beachtet worden ist, sind über
900 000 Menschen auf der Flucht, inzwischen sind die
meisten Schulen geschlossen, und 1,5 Millionen Menschen vom Hunger bedroht.
Der schlimmste Exodus seit dem Massaker von Ruanda findet in Syrien statt. 160 000 Menschen wurden
massakriert, und jeden Tag werden es mehr. Allein über
10 Millionen Menschen sind auf der Flucht, davon
6,5 Millionen Binnenflüchtlinge, über 3 Millionen befinden sich außerhalb von Syrien im Exil. Jeden Tag kommen 9 000 Flüchtlinge hinzu - jeden Tag!
Viele Kollegen haben das jordanische Flüchtlingslager Za’atari besucht. Dort, wo es früher nur Wüste gab,
gibt es jetzt ein Flüchtlingslager, in dem inzwischen
85 000 Menschen leben. Die Menschen, die dort leben,
müssen sich darauf einstellen, dass sie wahrscheinlich
ihr ganzes Leben dort bleiben werden. Inzwischen ist
Za’atari die drittgrößte Stadt in Jordanien. Die Hälfte der
Bewohner ist minderjährig.
Ein Blick nach Syrien zeigt, dass Assad nicht bereit
ist, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Auch die
Fahne des Roten Kreuzes hilft dort nicht weiter. Wir
kommen mit unseren humanitären Hilfsaktionen nicht
vor Ort an. Aushungern wird als Kriegswaffe benutzt.
Zig Dörfer, zig Gegenden sind abgeschottet. Dort gibt es
keinen Zugang zu humanitärer Hilfe, Wasserressourcen
werden einfach gekappt.
Jordanien und Libanon erbringen eine riesengroße
Leistung, die uns alle schwer beeindruckt. Dafür gebührt
ihnen unser Respekt. Das sind Länder, die selbst mit
Problemen hinsichtlich ihrer Infrastruktur und ihrer
Wasserressourcen zu kämpfen haben. Allein der Libanon, ein Land mit 4,4 Millionen Einwohnern - das ist
die Hälfte der Einwohnerzahl von Rheinland-Pfalz -,
nimmt 1,1 Millionen Flüchtlinge auf, obwohl das Land
selber mit sehr großen Problemen zu kämpfen hat. Diese
Länder sind damit längst überfordert. Deshalb bin ich
dem Minister sehr dankbar, dass er darauf hingewiesen
hat, dass wir die Hilfe für diesen Bereich noch aufstocken müssen, dass wir weiterhin unterstützend tätig sein
müssen.
({3})
All das zeigt: Wir können uns nicht einfach hinstellen
und wie Empörungsrhetoriker die Weltpolitik kritisieren,
ohne Lösungen anzubieten. Für mich ist unsere Aufgabe
klar. Wir sind gefordert: menschlich, aber auch politisch.
Humanitäre Hilfe, so wie wir Entwicklungspolitiker sie
verstehen, ist nicht nur eine moralische Verpflichtung,
sondern auch politische Vernunft. Wir alle wissen: Wenn
wir es nicht schaffen, diesen Flächenbrand wirklich einzudämmen, wird eine Destabilisierung der ganzen Region die Folge sein.
Es ist wichtig, dass wir mehr internationale Verantwortung übernehmen. Dieser Weg ist richtig. Das heißt
jedoch nicht automatisch, was hier manchmal unterstellt
wird, dass wir uns militärisch mehr engagieren müssen.
In diesem Zusammenhang muss aber eines klar sein: Hu3780
manitäre Hilfeleistungen bleiben wirkungslos, wenn nicht
durch extern bereitgestellte Sicherheitskräfte ein sicheres
Umfeld geschaffen wird. Zu einem sicheren Umfeld können wir beitragen, indem wir diese Länder durch Ausbildung befähigen, selbstständig Sicherungsverantwortung
zu übernehmen. Wir wollen einen ganzheitlichen, einen
vernetzten Ansatz von Sicherheit und Entwicklung. An
allererster Stelle stehen immer die Diplomatie und die
Entwicklungszusammenarbeit.
({4})
Internationale Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, die Sorgen der anderen nicht nur als Problem irgendwo in der Welt zu betrachten. Das sind auch unsere
eigenen Probleme. Es ist nicht so, dass die Mittel der
Entwicklungszusammenarbeit milde Gaben sind, dass
wir einfach irgendetwas geben. Die Entwicklungszusammenarbeit wird viel zu wenig als eine Investition verstanden, die auch in unserem eigenen Interesse liegt.
Ich bin froh, dass wir gerade in Bezug auf Syrien unserer Verantwortung gerecht werden. Ich bin froh, dass
wir das Kontingent aufgestockt haben. Ich bin froh, dass
wir für Syrien und die Nachbarländer Syriens inzwischen über eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt haben.
Eines muss aber auch klar sein: Wir können das nicht
alleine machen. Ganz wenige Mitgliedstaaten der Europäischen Union nehmen in diesem Zusammenhang ihre
Verantwortung wahr.
({5})
Wir brauchen hier aber eine gesamteuropäische Verantwortung. Sie muss eingefordert werden. Wir brauchen
eine europäische Flüchtlingskonferenz, und wir brauchen, wie es der Minister gesagt hat - das finde ich richtig -, einen europäischen Flüchtlingskommissar. In Zukunft wird es nicht weniger Flüchtlinge geben. Am
Weltflüchtlingstag wurde das deutlich gesagt: Es gibt
weltweit 51 Millionen Flüchtlinge. Das sind 6 Millionen
mehr als vor einem Jahr. Das ist aber noch nicht das
Ende der Fahnenstange. Die Zahlen steigen; das haben
wir auch am Beispiel Irak gesehen.
Die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder. Das ist eine
verlorene Generation. Der größte Teil davon sind Mädchen, die teilweise zwangsverheiratet werden oder die
auf der Flucht zu Survivalsex gezwungen werden, das
heißt, die sich prostituieren müssen, um Lebensmittel zu
bekommen. Es gibt Kinder, die mit Waffen aufwachsen,
die nur den Krieg kennen. Man mag sich nicht vorstellen, wie die Zukunft dieser Kinder aussieht. Deswegen
müssen wir Unterstützung leisten.
Wir können Nothilfe leisten - das ist klar -, wir können auch humanitäre Hilfe leisten, aber vor allen Dingen
müssen die Ursachen von Armut, Krieg, Hunger und
klimabedingten Naturkatastrophen bekämpft werden. Da
sind wir gefordert. Die Perspektivlosigkeit dieser jungen
Menschen muss beseitigt werden.
Es ist wichtig, dass wir uns mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigen. Wir haben Anhörungen dazu durchgeführt. Ich bin froh, liebe Claudia Roth, dass auch der
Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
am kommenden Montag dazu eine Anhörung durchführen wird. Das ist ein wichtiges Thema. Um diese Probleme zu bewältigen, brauchen wir aber das Engagement
aller, der Innenpolitiker und der Entwicklungspolitiker
in Deutschland und in der Europäischen Union.
Denken Sie bitte an die Redezeit.
Wir haben in diesem Bereich vieles gemacht. Es gibt
Rückkehrprogramme und es gibt Klimaschutzprogramme. Die GIZ ist in diesem Bereich sehr aktiv. Ich
gehe jetzt nicht auf die einzelnen Programme ein.
Klar ist: Das kostet Geld. Aber ich glaube, es ist gut
angelegtes Geld. Dieser Einsatz ist auch in unserem eigenen Interesse; denn sonst werden die Probleme in diesen Ländern bald die Probleme vor unserer Haustür sein.
Dieses Engagement ist gut für die Menschen in den betroffenen Ländern und gut für uns. Uns kann es nur gut
gehen - davon bin ich überzeugt -, wenn es auch den anderen Menschen auf der Welt gut geht.
Vielen Dank.
({0})
Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Sonja
Steffen, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ich möchte einer schönen
Tradition folgen und zunächst unserem Hauptberichterstatter, Herrn Klein, für die gute Zusammenarbeit danken. Ausdrücklich danken möchte ich auch der Mitberichterstatterin Frau Hajduk und dem Mitberichterstatter
Herrn Leutert. Ich glaube, wir haben ganz gut zusammengearbeitet, aber nicht nur wir. Deshalb möchte ich
mich an der Stelle auch bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern aus den Fraktionen und dem Ausschussdienst, aber auch bei denen von uns Abgeordneten bedanken, die eine sehr gute Arbeit geleistet haben.
({0})
Dann geht mein Dank auch noch an das Ministerium.
Herr Müller, auch mit Ihnen und Ihrem Haus haben wir,
glaube ich, ganz gut zusammengearbeitet.
Es ist vorhin schon einmal erwähnt worden - ich
glaube, Frau Wöhrl, Sie haben das gesagt -, dass es sich
um einen Bereich handelt, wo man sehr viel mit besonderen Begriffen zu tun hat. In dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit spricht man fast eine eigene Sprache. Da müssen viele Erklärungen abgegeben werden.
Gerade für jemanden, der neu in diesem Bereich tätig ist,
gibt es viele Fragen. Die sind, glaube ich, fast alle beantwortet worden.
In meiner Rede zur ersten Lesung habe ich verschiedene Wünsche geäußert. Ich hatte gehofft, dass wir im
Vergleich zu dem Entwurf, der uns damals vorlag, einige
Verbesserungen vornehmen können. Ich muss an dieser
Stelle sagen, dass uns das gelungen ist. Wir hatten eine
sehr gute Zusammenarbeit mit den Fachpolitikern. Gemeinsam mit den Haushältern haben wir einige Dinge
erreicht. Das freut mich sehr.
Eine Sache, die wir erreicht haben, ist bereits genannt
worden. Ich will das aber noch einmal erwähnen, weil
ich es in meiner ersten Rede ganz am Anfang angeführt
hatte. Dabei handelt es sich um die Stärkung des zivilgesellschaftlichen, kommunalen und wirtschaftlichen Engagements. Hier stellen wir 2014 insgesamt 775 Millionen Euro zur Verfügung. Wir haben in diesem Haushalt
die Mittel für die politischen Stiftungen, die kirchlichen
Organisationen und den zivilen Friedensdienst noch einmal um jeweils 5 Millionen Euro Barmittel erhöht. Des
Weiteren haben wir entsprechend deutliche Erhöhungen
bei den Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten
Jahre erreichen können.
Bei den privaten Trägern wie CARE und Oxfam haben wir die Verpflichtungsermächtigung für die nächsten
Jahre um 10 Millionen Euro erhöht. Ich denke, die Stärkung dieser Organisationen ist schon deshalb besonders
sinnvoll, weil sie den großen Vorteil haben, auf bestehende Strukturen aufbauen zu können. Sie arbeiten zum
Teil schon fast seit Jahrzehnten vor Ort und können dort
auf diese Strukturen zurückgreifen. Es besteht eine
große Nähe zur Bevölkerung, sodass hier eine gute Hilfe
gewährleistet ist.
({1})
Gerade im Bereich der Nachbetreuung nach Naturkatastrophen, Hungersnöten und Kriegen leisten sie eine unverzichtbare Arbeit.
Wir blicken gerade mit großer Sorge auf Länder wie
die Ukraine, Syrien und den Irak. Es ist vorhin schon gesagt worden: Im Augenblick befinden sich - Frau
Wöhrl, Sie hatten diese Zahl genannt - allein im Irak
1,2 Millionen Menschen auf der Flucht. Heute Morgen
hat die Kanzlerin erwähnt, dass in Jordanien inzwischen
20 Prozent der Bevölkerung aus Flüchtlingen bestehen.
Diese Probleme stehen vor uns. Sie werden uns in den
kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter - wahrscheinlich noch viel intensiver - beschäftigen.
Auch der Klimawandel, meine Damen und Herren,
wird weitere Flüchtlinge hervorbringen. Überweidung,
Überdüngung, falsche Bewässerungsmethoden und das
Abholzen von Wäldern führen dazu, dass die Qualität
der Böden gerade in den ärmsten Ländern zunehmend
abnimmt und die Verfügbarkeit von Wasser immer
schlechter wird. Man spricht davon, dass bis 2080 möglicherweise 1,8 Milliarden Menschen in einem wasserarmen Umfeld leben werden. Bis 2050 rechnet man mit bis
zu 200 Millionen sogenannten Klimaflüchtlingen. Diese
Zahlen belegen, dass wir uns noch weit intensiver mit
der Flüchtlingsproblematik beschäftigen müssen. Deshalb möchte ich - das habe ich auch in meiner Rede zur
ersten Lesung schon gesagt - noch einmal betonen, dass
ich besonders die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ begrüße.
({2})
Nur so können wir dazu beitragen, dass Fluchtursachen zukünftig erst gar nicht entstehen. Ich habe mich
über das Zitat von Willy Brandt gefreut, das der Kollege
Axel Schäfer vorhin gebracht hat - ich will es noch einmal wiederholen -: „Entwicklungspolitik von heute ist
Friedenspolitik von morgen.“ Ich finde, das passt auch in
diesem Zusammenhang sehr gut.
({3})
Beim Klimaschutz stehen wir als Industriestaat und
Verursacher von Umweltverschmutzung in einer großen
Verantwortung. In unserem Koalitionsvertrag haben wir
uns zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet und anerkannt, dass Entwicklungsländer bei der
Anpassung an den Klimawandel und der Bewältigung
seiner Folgen unterstützt werden müssen. Ich bin daher
sehr froh, dass wir in der Bereinigungssitzung - Herr
Klein hat erklärt, warum das so spät passierte - eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 750 Millionen
Euro in den Etat für die Entwicklungszusammenarbeit
einstellen konnten. Diese Mittel sind für den Green Climate Fund, über den heute schon viel geredet worden ist.
Es ist in der Tat so: Deutschland und die anderen Industrieländer haben zugesagt, dass wir ab 2020 jährlich
100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz zur Verfügung stellen wollen. Das ist sehr viel Geld, aber ich
denke, es ist wichtig, dass wir als Industrieländer das
tun. Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Wir
müssen bis 2020 den Aufwuchs in der Finanzierung des
Klimaschutzes so gestalten, dass wir diese Zusage auch
einhalten können.
({4})
Der dritte Bereich, in dem wir gegenüber dem ersten
Entwurf des Haushalts mehr Mittel erreichen konnten,
betrifft den Gesundheitsbereich. Auch an dieser Stelle
möchte ich kurz aus dem Koalitionsvertrag zitieren. Dort
heißt es:
Gesundheit bildet die Grundlage für nachhaltige
Entwicklung. Der Globale Fonds spielt hierbei eine
wichtige Rolle, die sich in der Politik der Bundesregierung widerspiegeln soll.
Wir haben es vorhin schon gehört: Wir haben den
GFATM, den Globalen Fonds zur Bekämpfung von
Aids, Tuberkulose und Malaria, und wir haben den
Fonds GAVI; das ist die globale Impfallianz. In beiden
Fonds haben wir für dieses Jahr zusätzliche Barmittel
durchsetzen können. Im GFATM sind es insgesamt
45 Millionen Euro, also 5 Millionen mehr, und bei GAVI
sind es 3 Millionen Euro. Ich schließe mich ausdrücklich
dem an, was meine Kollegin Bärbel Kofler vorhin schon
gesagt hat: Wenn wir den Zielen gerecht werden wollen,
dann ist es mit dieser Hilfe nicht getan.
Herr Silberhorn - ich weiß nicht, ob er noch da ist; da
oben sitzt er - hat vor einigen Wochen auf einem Forum
gesagt: Es gilt, „das Ziel von GAVI, bis zum Jahr 2020
weitere 300 Millionen Kinder zu impfen, mit aller Kraft
zu unterstützen“. Wir Sozialdemokraten, Herr Silberhorn,
nehmen Sie an dieser Stelle beim Wort. Insbesondere
weil wir 2015 voraussichtlich Ausrichter der GAVIKonferenz sind, denke ich, sollte Deutschland bei der Finanzierung dieses Fonds mit gutem Beispiel vorangehen.
({5})
Die GFATM-Auffüllungskonferenz steht ebenfalls an,
und zwar ein Jahr später im Juni 2016. Ich denke, dass
wir auch hier weitere deutliche Zeichen brauchen.
({6})
Auch hier hoffen wir Sozialdemokraten auf Ihre Unterstützung, Herr Minister.
({7})
Jetzt will ich noch ganz kurz etwas zum Änderungsantrag der Grünen sagen. Frau Hajduk, wir lehnen uns
bei diesem Etat nicht zurück. Ich und die Koalition insgesamt sehen das ganz anders als Sie. Wir haben jetzt
ganz viele Bereiche genannt, in denen wir einiges bewirken konnten. Über Ihren Antrag ist vorhin schon mehrmals gesprochen worden. Ich zitiere jetzt einmal aus diesem Antrag Ihre Aussage zur Gegenfinanzierung. Sie
schreiben:
Die Verstärkung der Programme wird über den Abbau von umweltschädlichen Subventionen im Gesamthaushalt gegenfinanziert.
({8})
Das ist Ihre Begründung für den Haushalt 2014.
({9})
Sie legen eine Reihe von Anträgen vor, aber eine seriöse
Gegenfinanzierung sieht völlig anders aus.
({10})
Es reicht einfach nicht, zu sagen: Abbau von umweltschädlichen Subventionen. - Das ist irgendwie alles und
nichts.
({11})
Zum Schluss möchte ich noch eines sagen. Wir haben
hier heute viel über die ODA-Quote geredet. Ich habe
dies schon in meiner letzten Rede gesagt: Wir Sozialdemokraten und ich persönlich werden uns weiter dafür
einsetzen, dass die zusätzlichen Mittel in Höhe von insgesamt 2 Milliarden Euro keinen Deckel darstellen. Wir
hoffen aufgrund des guten, optimistischen Ausblicks auf
Steuermehreinnahmen, damit wir auch in diesem Bereich in den nächsten Jahren noch einiges erreichen können.
Vielen Dank.
({12})
Frau Kollegin Hajduk, es folgt jetzt eine erste Rede.
Der Redner ist schon aufgestanden. Wollen wir ihn nicht
reden lassen?
({0})
Oder wollen Sie trotzdem?
({1})
- Kurz, ja.
({2})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es soll auch kurz sein.
Es tut mir leid, dass ich das in meiner Doppelfunktion
nicht so schnell realisiert habe.
Weil ich von der Kollegin, die mit mir im Haushaltsausschuss sitzt, persönlich angesprochen wurde, möchte
ich sagen: Wir haben in der Begründung unseres Antrags, zu dem selbstverständlich ein ausführlicher Entschließungsantrag vorliegt, auf die Gegenfinanzierung
hingewiesen. Sie könnten das wissen, weil Sie im Haushaltsausschuss über große Teile unserer Gegenfinanzierung schon selber abgestimmt haben, auch wenn Sie ihnen nicht zugestimmt haben. Denn auch dort haben wir
diesen Entschließungsantrag zur Gegenfinanzierung eingebracht.
Wir können gerne unterschiedlicher Auffassung darüber sein, ob Sie sich diese Gegenfinanzierung zu eigen
machen, ich könnte auch sagen: zutrauen. Aber Sie müssen in der Öffentlichkeit bitte eingestehen, dass wir all
unsere Forderungen titelscharf mit vollständigem Finanztableau gegenfinanziert haben. Ich werde Ihrem
Büro diesen Antrag zukommen lassen. Das ist ein Service, den ich Ihnen von Haushaltskollegin zu Haushaltskollegin anbieten kann. - Das wollte ich an dieser Stelle
für meine Fraktion ausdrücklich klarstellen.
Schönen Dank.
({0})
Ich setze noch einmal an: Im Leben eines jeden Parlamentariers ist es etwas Besonderes, seine erste Rede im
Parlament zu halten. Das hat jetzt der Kollege Dr. Georg
Kippels vor. Wir begrüßen ihn zu seiner ersten Rede im
Deutschen Bundestag.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben seitens der Opposition schon
einige Ausführungen auf ideologischer und auf philosophischer Basis gehört. Bei meinem Einstieg in das parlamentarische Leben würde ich mich jetzt gerne einigen
systematischen Aspekten widmen und hierzu einige
Ausführungen machen.
Das Spektrum einer nachhaltigen Entwicklungspolitik ist stark vernetzt. Zahlreiche Faktoren spielen deshalb eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Arbeit.
Meinen Fokus möchte ich nun auf die Themen Gesundheit und Frauenrechte richten. Hier besteht eine intensive innere Verbindung. Gesundheit und Frauenrechte
sind Fundamente der nachhaltigen Entwicklung eines
Landes. Gesundheit ist die Basis von gesellschaftlicher
und wirtschaftlicher Entwicklung. Ohne eine gesunde
Bevölkerung von Kindesbeinen an scheidet eine erfolgreiche Entwicklung der Gesellschaft aus, weil ganz einfach die Selbstgestaltungskräfte fehlen. Gesundheit ist
das Fundament von Bildung, Bildung das Fundament einer qualifizierten Arbeit, und qualifizierte Arbeit führt
aus der Armut heraus.
({0})
Diese Rangfolge findet sich auch im neuen Haushalt
des BMZ wieder. Für den Bereich Gesundheit sind bilaterale Zusagen in Höhe von 250 Millionen Euro angesetzt. Allein auf Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit von Müttern und Kindern entfallen davon
190 Millionen Euro. Damit unterstützen wir klar die
Umsetzung der MDGs 4 und 5. Hier wurden schon Fortschritte erzielt, aber es müssen weitere Fortschritte gemacht werden. Es besteht unverändert Handlungsbedarf.
Allerdings sind wir mit dieser Ausrichtung auf dem richtigen Weg in Richtung der SDGs.
Im Rahmen der regionalen Orientierung ist der Fokus
auf Afrika gerichtet. Afrika steht vor vielen Herausforderungen, gerade im Bereich der Gesundheit. Die Dimension der Hilfe leitet sich aus der Bevölkerungsentwicklung und dem demografischen Aufbau der
Gesellschaft ab. Für den Erfolg des Prozesses ist es deshalb erforderlich, dass die Entwicklung im Dialog und
vor allen Dingen auf Augenhöhe stattfindet. Die Selbstverpflichtung der afrikanischen Staaten, 15 Prozent ihrer
Budgets in den Bereich Gesundheit zu investieren, ist
noch lange nicht eingelöst. Diese Eigenleistung ist ein
wichtiger Baustein bei der Implementierung des Entwicklungsprozesses.
({1})
Dieser Prozess muss durch die Entwicklungsländer aktiv
mitgestaltet und auch mit verantwortet werden.
Gleichwohl bedarf Afrika noch großer Unterstützung.
Dies spiegelt sich in der Schwerpunktsetzung des Haushalts wider: 50 Prozent der regionalen Mittel gehen in
die Schwerpunktregion Afrika. Ziel ist eine ganzheitliche Verbesserung der Lebenssituation der Menschen.
Die Gesundheit der Menschen ist der Quell ihrer Schaffenskraft und ihrer persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Wo keine Gesundheit ist, schwindet die Chance auf
ein glückliches, selbstverantwortetes und damit erfolgreiches Leben. Dies beginnt bei den Schwächsten der
Gesellschaft, den Kindern, die auf eine grundlegende
Versorgung angewiesen sind und für die wir alle Verantwortung übernehmen müssen.
Gerade in diesem Bereich stehen uns - wir haben es
gerade schon gehört - leistungsfähige Konzepte zur Verfügung, zum Beispiel die Internationale Impfallianz,
GAVI, die wir in diesem Jahr mit 15 Millionen Euro unterstützen.
({2})
Die Unterstützung von GAVI ist eine Investition in die
Zukunft, weil GAVI erstens kosteneffizient und zweitens
anwendungssicher Krankheitsrisiken bekämpft, zum
Beispiel durch eine Fünffachimpfung für Säuglinge und
durch Impfkampagnen gegen Meningitis A, Tetanus bei
Müttern und Neugeborenen, Masern und Gelbfieber.
GAVI hat in den letzten 14 Jahren enorme Erfolge erzielt
und die Zahl der Krankheits-, vor allen Dingen aber die
Zahl der Sterbefälle massiv reduziert. In über 70 Ländern wird Kindern dank GAVI eine glückliche Zukunft
geschenkt. Hierbei ist die schrittweise Überleitung in die
Eigenverantwortung der Staaten genau das richtige Konzept.
Die Ausrichtung der GAVI-Wiederauffüllungskonferenz in Berlin im Februar 2015 unterstreicht den hohen
Stellenwert, der GAVI national und international beigemessen wird. Nur dann, wenn Kinder und Jugendliche
körperlich in die Lage versetzt werden, Bildung und die
für ihre Zukunft notwendigen Fähigkeiten zu erwerben,
macht die Entwicklungszusammenarbeit Sinn; denn
dann ist sie nachhaltig.
({3})
In die gleiche Richtung zielt die Steigerung des Beitrags
an den Global Fund auf in diesem Jahr 245 Millionen
Euro; denn auch Aids, Tuberkulose und Malaria sind
große Feinde der Entwicklung vieler Staaten.
Internationales Engagement kann allerdings kein Allheilmittel sein. Wir sollten auch Wert darauf legen, dass
die wissenschaftliche Kompetenz Deutschlands in die
EZ eingebracht wird und eine ressortübergreifende Zusammenarbeit von BMG und BMBF mit dem BMZ
stattfindet. Technische Fortschritte können zu einer entsprechenden Mittelkompensation führen. Durch eine
Steigerung der Mittel allein lässt sich nicht zwangsläufig
eine Verbesserung der Qualität der EZ erreichen. Inso3784
fern können wir feststellen, dass die ODA-fähigen Ausgaben des BMG bei immerhin 19 Millionen Euro, die
des BMBF sogar bei 132 Millionen Euro liegen.
Ich komme an dieser Stelle zu den Frauenrechten. Die
Position der Frauen in der Gesellschaft ist für den Grad
der Freiheit der Menschen und für die Gerechtigkeit entscheidend. Die Bedeutung der Frauenrechte wird im
Haushalt daran deutlich, dass wir die Mittel für die Unterstützung des UNFPA verstetigen. Der Prozess der
Gleichstellung der Frauen lässt sich aber nicht allein
durch entsprechende Mittel umsetzen, dazu bedarf es vor
allen Dingen einer zielgerichteten Aufklärungs- und Bildungspolitik. Wir müssen mit geeigneten Steuerungsinstrumenten auf einen gesellschaftspolitischen Wandel
hinwirken, zu dem unsere international tätigen Entwicklungspartner wie etwa die GIZ, aber auch die KfW entscheidende Beiträge leisten können.
({4})
Die Emanzipation verändert auch die demografische
Entwicklung: Je emanzipierter Frauen sind, desto eher
ist eine verantwortliche Familienplanung möglich, und
die ist für eine Demokratisierung ein wesentlicher Baustein. Wenn sich die gesellschaftliche Situation von
Frauen verbessert, stärkt dies den Demokratisierungsprozess.
({5})
Fortschritte in der Mädchen- und Frauenbildung, ein
Anstieg der weiblichen Erwerbstätigkeit und sinkende
Geburtenraten sind ein wichtiger Motor für Demokratisierung. Frauen investieren direkt in die Familie. Erlangen Frauen wirtschaftliche Entscheidungskompetenz,
führt dies zu einer sachgerechten Verwendung des Einkommens für Nahrung, Bildung und vor allen Dingen
Gesundheit und damit letztendlich zu einer Verbesserung
der Lebenssituation.
Nach Schätzungen der FAO können Frauen mit gleichem Zugang zu Produktionsmitteln die landwirtschaftliche Gesamtproduktion um 2,5 bis 4 Prozent steigern.
Dies alleine würde für 100 bis 150 Millionen Menschen
ein Ende des Hungers bedeuten.
({6})
Die Gleichstellung der Frau in Staat und Gesellschaft ist
deshalb ein weiterer Schwerpunkt der EZ und ein Kernauftrag an alle handelnden Institutionen. Hierbei sind
auch die Stiftungen maßgeblich gefordert.
Ich komme zum Schluss. Der Auftrag der Millenniumsziele findet mithin einen nachhaltigen Niederschlag in den Inhalten des Einzelplanes 23. Diese Positionierung ist eine wertvolle Vorlage für die
Weiterentwicklung der SDGs, denen wir uns 2015 widmen müssen. Das BMZ wird durch seine Arbeit neue Signale setzen, die die Menschen aus Armut, Hunger und
Krankheit führen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Wir gratulieren dem Kollegen Dr. Georg Kippels,
CDU/CSU-Fraktion, herzlich zu seiner ersten Rede vor
dem Plenum des Deutschen Bundestages. Wir wünschen
Ihnen eine interessante parlamentarische Arbeit mit vielen lebendigen Debatten.
({0})
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
heute eineinhalb Stunden über den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung gesprochen. Ein paar kleine Schärfungen
möchte ich noch vornehmen.
Wir haben schon einige große Themen erwähnt. Drei
lebensnotwendige Grundvoraussetzungen möchte ich
noch nennen:
Erstens. Über 840 Millionen Menschen fehlt weiterhin genügend Nahrung und damit die Basis zum Überleben.
Zweitens. Wie wir der Presse und den Schlagzeilen
mittlerweile täglich entnehmen können, nehmen die Sicherheit und die Stabilität weltweit eher ab statt zu. Die
steigende Anzahl an gewaltsamen Auseinandersetzungen - ob direkt an unseren Grenzen, ob in der Zentralafrikanischen Republik oder in Syrien und im Irak zeichnet ein äußerst beunruhigendes Bild. Die Konsequenz für unsere deutsche Entwicklungsarbeit ist unübersehbar; denn Sicherheit bedingt Entwicklung, so
wie Entwicklung Sicherheit bedingt. Fehlende wirtschaftliche und soziale Perspektiven sind Brandbeschleuniger in Konflikten. Sie vermehren den sozialen
Sprengstoff und verhindern den Aufbau von Stabilität.
Drittens. Wir blicken auf eine sich verschärfende
Flüchtlingsproblematik.
Am 9. April 2014 haben wir vom Minister gehört:
Meine Botschaft … ist nicht Resignation, sondern
Aufbruch, neues Denken und Mut, Investitionen in
Zukunft, Frieden und das Leben.
Herr Minister, das waren die richtigen Worte. Sie haben
recht mit diesem Appell. Es geht um Aufbruch und nicht
um Resignation. Das ist auch die Message, die wir in der
Großen Koalition im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und mit diesem Haushalt unterstreichen.
({0})
Herr Kekeritz, Sie haben uns vorhin ja passend zur
WM die drei Karten gezeigt. Leider haben Sie dabei eher
an die Schiedsrichterleistung im Spiel Uruguay gegen
Italien angeknüpft. Ohne der FIFA irgendwie zu nahe
treten zu wollen, denke ich nämlich, die Bilanz unserer
Arbeit kann sich sehen lassen. Zur Bewältigung einiger
der großen Herausforderungen der zukünftigen Entwicklungsarbeit wurden bereits die drei Sonderinitiativen
„Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen,
Flüchtlinge reintegrieren“ und „Nordafrika und Naher
Osten“ angestoßen. Sie versetzen uns in die Lage,
schnell zu reagieren, bieten uns aber auch die Möglichkeit, uns nicht nur auf die Bekämpfung von Symptomen
zu beschränken.
Eine weitere Botschaft lässt sich zudem aus den ersten Tagen unserer Regierungsarbeit ablesen: Neues zu
schaffen, hat mehr Wert, als zu protestieren.
Insgesamt unterstreicht der Einzelplan 23 mit der
Neuausrichtung und der Erhöhung um 2,3 Prozent auf
einen Etat von 6,44 Milliarden Euro die Botschaft des
Ministers. Im Gegensatz zum gesunkenen Gesamthaushalt steigt der Anteil für Entwicklungshilfe.
({1})
Ja, die Mittel sind nicht unendlich. Umso genauer
muss auf ihre Verwendung geachtet werden. Entwicklungspolitik muss Ursachenbekämpfung sein. Genau
hier setzen zum Beispiel die politischen Stiftungen an.
Als zuständiger Berichterstatter für die politischen Stiftungen in meiner Fraktion begrüße ich ganz besonders
die Erhöhung der Ausgaben für die Stiftungen um circa
5 Millionen Euro, die für 2014 zur Verfügung stehen.
({2})
Ein Blick in die Welt zeigt: Neben der elementaren
Grundsicherung sind funktionierende Rahmenbedingungen für eine wirklich nachhaltige Entwicklung und für
Wohlstand notwendig.
Als Grenzgänger zwischen Zivilgesellschaft und Staat
sind politische Stiftungen ein für uns entscheidendes
Instrumentarium, um bei der Verbreitung und oft auch
Verteidigung wesentlicher politischer Menschenrechte
anzusetzen. Die Schaffung von Rahmenbedingungen
wie Mitsprache, Erwachsenenbildung, Rechtsstaatlichkeit oder Good Governance steht seit jeher im Fokus
politischer Stiftungen und nun auch im Zielsystem der
Post-2015-Agenda mit den Grundprinzipien Menschenrechte, Chancengerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Hierfür ließen sich bei jeder politischen Stiftung unzählige Beispiele finden. Sie gestatten mir, dass ich
heute nur die Tätigkeit der Hanns-Seidel-Stiftung und
der Konrad-Adenauer-Stiftung sowohl in Indonesien als
auch in Tunesien erwähne. Nichtsdestotrotz machen alle
vertretenen politischen Stiftungen sehr gute Arbeit.
({3})
Aber vor allem in Tunesien und im Nahen Osten werden
über die Stiftungen Werte wie Pluralismus, Grundrechte
und Good Governance vermittelt und gefördert. Das hilft
nicht nur, diese Länder zu stabilisieren, sondern trägt
auch dazu bei, ganze Regionen zu stabilisieren. Das sind
nur zwei Beispiele aus der Arbeit unserer politischen
Stiftungen, die wesentlich von lang andauernden und somit nachhaltigen Kontakten vor Ort geprägt sind und daher einer kontinuierlichen Förderung bedürfen.
Fehlende funktionierende Rahmenbedingungen
schaffen nicht nur politische Unsicherheit. In der Konsequenz bewirken sie einen politischen und wirtschaftlichen Dämmerzustand. Als Dominoeffekt ziehen sich Investoren und Handel zurück. Die Transaktionskosten
steigen und die Korruption verschärft sich.
Ich begrüße daher die vom Minister angekündigten
20 Millionen Euro, die zusätzlich für die Entwicklungszusammenarbeit mit der Ukraine bereitgestellt werden;
denn in der Arbeit mit unseren näheren Nachbarn - der
Flug von Berlin nach Kiew dauert zweieinviertel Stunden - müssen wir den Fokus noch stärker auf die Etablierung von Rechtsstaatlichkeit legen. Herr Minister,
schon einmal vielen Dank für das schnelle Reagieren
und das gute Engagement mit Blick auf die Ukraine!
({4})
Die aktuelle Lage in der Ukraine steht beispielhaft für
die beschriebene Kettenreaktion. Es droht ein Staatsbankrott, wenn nicht schnellstmöglich Mittel aus dem
Ausland zur Verfügung gestellt werden. Zur Abwendung
der Staatsinsolvenz werden 35 Milliarden Euro benötigt.
Ich selbst war im Auftrag des Europarates als Wahlbeobachter in Kiew und konnte mir vor Ort einen Eindruck
verschaffen. In Gesprächen vor und nach der Wahl am
25. Mai dieses Jahres wurde vor allem eines deutlich:
Die mangelnde Rechtssicherheit stellt ein zentrales Problem dar; denn Rechtssicherheit und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung verhalten sich zueinander komplementär: Das eine kann es ohne das andere nicht
geben.
({5})
Zwei Botschaften lassen sich aus dem Fall Ukraine
ablesen:
Erstens. Die Krise in einem Land in unserer direkten
Nachbarschaft zeigt deutlich, dass Entwicklungsarbeit
für Deutschland nicht nur ethische Verpflichtung ist,
sondern damit auch ganz klar deutsche und europäische
Wirtschaftsinteressen vertreten werden.
Zweitens. Bei den Gesprächen in der Ukraine hat sich
auch gezeigt: Deutschland kann mehr als nur Geld transferieren. Es war beeindruckend, welches Interesse mir an
der deutschen Expertise - wir schimpfen immer über unsere Bürokratie - im Bereich der deutschen Verwaltungsstrukturen entgegengebracht worden ist. Es ging
um eine effektive und schlanke Verwaltung und um unser Rechtsstaatssystem. Hier können wir mit unserem
Wissen und mit den Kontakten, die wir haben, noch viel
mehr leisten.
Diese Vorreiterrolle im Ausland spielen oft auch deutsche Privatunternehmen mit ihren sozialen Arbeits- und
Umweltstandards. Ein besonderes Jubiläum unterstreicht
die Funktion der Wirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit: Seit 15 Jahren ist die Bundesregierung
mit Entwicklungspartnerschaften des Programms
„develoPPP.de“ in über 70 Ländern aktiv.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Entwicklungsarbeit ist von zahlreichen Kausalitäten gekennzeichnet, die wir alle im Blick haben müssen. Einige
habe ich genannt. Unsere Arbeit muss Sicherheit genauso wie ökologische und ökonomische Entwicklung
berücksichtigen. Wir müssen die Grundvoraussetzungen
zum Überleben - Nahrung, Sicherheit und Menschenwürde - sicherstellen und auch die politischen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Stabilisierung durchsetzen. Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und der Staat
müssen Partnerschaften eingehen.
Kurz: Unser Ansatz muss umfassend sein. Ich bin der
Meinung, wir sind auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank.
({6})
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung.
Es liegen mehrere Erklärungen gemäß § 31 der Ge-
schäftsordnung vor.1)
Zum Einzelplan 23 liegen zwei Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen werden. Wir begin-
nen mit dem Änderungsantrag der Fraktion Die Linke.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1846 stimmt, den bitte ich um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist
dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion
1) Anlage 2
Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1847. Wir
stimmen über diesen Änderungsantrag auf Verlangen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen ordnungsgemäß besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Änderungsantrag der Abgeordneten Anja Hajduk,
Sven-Christan Kindler, Ekin Deligöz und weiterer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der
zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung
des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014,
hier: Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, liegt nun vor: abgegebene Stimmen 559. Mit
Ja, also für diesen Änderungsantrag, haben gestimmt
108, mit Nein haben gestimmt 447. Enthalten haben sich
4 Kolleginnen und Kollegen. Der Änderungsantrag ist
damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon
ja: 106
nein: 449
enthalten: 4
Ja
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({0})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({1})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Vizepräsident Peter Hintze
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({2})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({3})
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({4})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({8})
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({13})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({14})
Gabriele Schmidt ({15})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({16})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Vizepräsident Peter Hintze
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({18})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({19})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({22})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({23})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({24})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({25})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({26})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({27})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({28})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({29})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({30})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({31})
Matthias Schmidt ({32})
Dagmar Schmidt ({33})
Carsten Schneider ({34})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({35})
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Claudia Tausend
Michael Thews
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({36})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Dr. Karamba Diaby
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Jetzt erst stimmen wir über den Einzelplan 23 in der
Ausschussfassung ab; die Grünen hatten mit ihrem Änderungsantrag ja beantragt, diese Ausschussfassung zu
ändern. Das sage ich allen, die das trotz langjähriger parlamentarischer Erfahrung nicht so ganz auf dem Schirm
hatten. Das ist Demokratie.
Vizepräsident Peter Hintze
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Einzelplan 23 in der Ausschussfassung mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom Deutschen Bundestag angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt II.11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
Drucksachen 18/1023, 18/1024
Berichterstatter sind die Abgeordneten Bartholomäus
Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael Leutert und
Dr. Tobias Lindner.
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke drei
Entschließungsanträge eingebracht, über die wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile als erster Rednerin in dieser Debatte das
Wort Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.
({37})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von
der Leyen, Herr Steinmeier und Herr Gauck haben den
Ton für die außen- und sicherheitspolitische Marschrichtung der Großen Koalition gesetzt, als sie unisono auf
der Münchner Sicherheitskonferenz ihre Entschlossenheit zur Entsendung von mehr deutschen Soldaten ins
Ausland vortrugen. Ziel ist es, wie bereits 2010 zu Beginn der Bundeswehrreform erklärt wurde, die Zahl der
sich im Einsatz befindenden Soldatinnen und Soldaten
durchhaltefähig auf wenigstens 14 000 zu erhöhen. Genau diese Ausrichtung drückt sich in dem vorliegenden
Haushalt aus, und genau deshalb lehnen wir ihn ab.
({0})
Nehmen wir zum Beispiel den Militärtransporter
A400M. Dieses Flugzeug soll dort eingesetzt werden,
wo Truppen und Ausrüstung über weite Strecken in
Kriegsgebiete geflogen werden. Sie sollen die veralteten
Transall-Maschinen ersetzen. Für den A400M werden
allein im laufenden Haushaltsjahr 900 Millionen Euro
versenkt. Dieses Geld könnte eingespart werden.
({1})
Daneben werden einige Milliarden für weitere Rüstungsgroßprojekte verplant, darunter Hubschrauber, Kampfflugzeuge, Schiffe, Spähprogramme usw. usf.
({2})
Schließlich sieht die Vorlage der Bundesregierung auch
noch 815 Millionen Euro für sogenannte „wehrmilitärische“ Forschung vor.
({3})
Rechnen wir das alles zusammen, so ergeben die sogenannten verteidigungsinvestiven Ausgaben, also das
Geld für militärische Beschaffung und Rüstungsforschung, 2014 nach der Regierungsvorlage eine Summe
von insgesamt 5,5 Milliarden Euro - 5,5 Milliarden
Euro, die tatsächlich besser für andere Dinge eingesetzt
werden könnten.
({4})
Diese immensen Ausgaben sind auf die Zukunft einer
Bundeswehr im Dauereinsatz gerichtet.
Daneben schlagen die laufenden internationalen Einsätze in diesem Jahr mit Zusatzkosten von 775 Millionen
Euro zu Buche. Schließlich - das sollten wir nicht vergessen - kostet uns die Beteiligung an der NATO allein
in diesem Jahr zusätzlich 200 Millionen Euro.
({5})
Wir sehen: „Vom Einsatz her denken“ - so die Devise - führt nicht nur zur Beteiligung an immer mehr
Kriegs- und Krisenherden der Welt; dieser Ansatz verschlingt auch Milliarden, und diese Milliarden fehlen in
den Kindergärten, in den Schulen, in den Schwimmbädern, in Krankenhäusern, aber auch für Nothilfe und
Entwicklungszusammenarbeit in vielen Teilen der Welt.
Nun hat Frau von der Leyen
({6})
15 Rüstungsgroßprojekte auf Eis gelegt. Es handelt sich
um das Eingeständnis, dass die Kosten völlig aus dem
Ruder laufen. Dabei geht es nicht nur um das laufende
Haushaltsjahr.
Nehmen wir das Beispiel des Eurofighters. Der Bundesrechnungshof wirft dem Verteidigungsministerium
vor, den - Zitat - „Überblick über die aufgelaufenen und
noch anfallenden Ausgaben beim EUROFIGHTER“
vollständig verloren zu haben. Es ist das mit Abstand
teuerste Rüstungsprojekt der Bundesrepublik Deutschland. Der Eurofighter wird den Steuerzahler bis zu seiner
Ausmusterung schließlich 60 Milliarden Euro gekostet
haben, so der Bundesrechnungshof.
Frau von der Leyen lässt das Projekt jetzt überprüfen.
Aber ich sage: Das reicht nicht. Ziehen Sie auch hier
endlich die Reißleine! Wir brauchen dieses Kampfflugzeug nicht.
({7})
Vor allem: Neue Milliardengräber wie der Eurofighter
dürfen gar nicht erst ausgehoben werden.
({8})
Kommen wir in diesem Zusammenhang auf ein
Thema, Frau von der Leyen, das Sie gar nicht so gern
mögen: Reden wir über Drohnen! Zur Frage der Kampfdrohnen haben Sie ja keinen Mucks in der Öffentlichkeit
gesagt. Jetzt soll erst einmal eine Ethikdebatte im Bundestag geführt werden.
({9})
Doch wer sich die Details anguckt, bemerkt, dass im
Haushaltsentwurf längst zwei Titel für das sogenannte
System zur Abbildenden Aufklärung in der Tiefe des
Einsatzgebietes - kurz: SAATEG - enthalten sind. Dabei
handelt es sich um nichts anderes als die Umschreibung
für die Entwicklung und Beschaffung von Drohnentechnologie. Im laufenden Haushaltsjahr sind dafür bescheidene 22 Millionen Euro veranschlagt; bis 2018 und darüber hinaus sind aber Summen von zusammengerechnet
rund 300 Millionen Euro reserviert.
Was Sie nicht laut sagen: Das schließt auch die Beschaffung von Kampfdrohnen ein. So hat die Bundesregierung auf Anfrage der Linken jüngst erklärt, für die zu
beschaffenden Drohnen sei konzeptionell eine Bewaffnungsfähigkeit gefordert. Der Haushaltsentwurf zeigt
also: Während die Bundesregierung vorgibt, erst eine
Ethikdebatte führen zu wollen, sind die Weichen zur Beschaffung von Kampfdrohnen längst gestellt. Die Linke
sagt: Wir brauchen diese Drohnen nicht. Das wollen wir
nicht. Das will auch die Bevölkerung nicht.
({10})
Noch etwas: Selbst für den Euro-Hawk-Nachfolger
plant die Große Koalition laut Haushaltsentwurf bis
2018 und darüber hinaus fast 700 Millionen Euro ein.
SPD und CDU/CSU sind gemeinsam dabei, Deutschland
in die nächste Rüstungsspirale hineinzudrehen und zur
Drohnennation zu machen. Dem werden wir uns widersetzen.
({11})
Die Bundesregierung hat nun ein Problem. Die Ausrichtung der Bundeswehr auf internationale Einsätze
macht den Dienst immer unattraktiver. Unabhängig von
den Plänen zur Steigerung der Attraktivität, die Sie neulich medienwirksam verkündet haben, stehen im Haushalt für Nachwuchswerbung bereits 30 Millionen Euro
zur Verfügung. Davon werden Messestände, PR-Filmchen und Adventure Camps bezahlt - alles Maßnahmen,
die nur einen Zweck haben, nämlich jungen Leuten vorzugaukeln, die Bundeswehr biete ihnen eine Perspektive.
({12})
Aber wer sich mit Soldatinnen und Soldaten unterhält, die mit Posttraumatischen Belastungsstörungen aus
dem Einsatz gekommen sind, kennt die Realität dieser
Einsätze, eine Realität, die Frau von der Leyen wegwerben will. Für die Nachsorge von Traumatisierten stehen
im Übrigen viel zu wenig Mittel bereit. Hier wäre das
Geld sinnvoll angelegt.
({13})
Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist inakzeptabel. Er verspricht der Rüstungsindustrie ein großes
Geschäft, mit der die Bundesregierung auch in engem
Kontakt steht. Buchstäblich im Wochentakt gehen die
Spitzenvertreter von Rüstungsfirmen in den Ministerien
ein und aus. Das musste die Bundesregierung auf Anfrage der Linken einräumen. Schon werden die Stimmen
aus den Reihen der Industrie - wen wundert es? -, aber
auch der SPD und der CDU lauter, die eine Erhöhung
des Militärhaushaltes verlangen. Wir sagen: Das ist der
falsche Weg. Deutschland muss sich aus den Auslandseinsätzen zurückziehen. Deutschland muss abrüsten,
besser heute als morgen.
Vielen Dank.
({14})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach langen und intensiven Beratungen im
Ausschuss haben wir in dieser Woche den Bundeshaushalt 2014 abschließend zu beraten. Wir sind, wie gestern
und heute schon festgestellt werden konnte, zu einem
sehr, sehr guten Ergebnis gekommen. Unsere Ziele bezüglich des Haushaltsvolumens und der Nettokreditaufnahme, die wir uns vorgenommen haben, konnten erreicht werden. Es ist ganz wichtig, dass wir die
vorgesehene Nettokreditaufnahme in Höhe von 6,5 Milliarden Euro trotz der Überraschungen, die uns erreicht
haben, am Ende der Haushaltsberatungen auch einhalten
konnten. Wichtig ist auch, dass wir alle Voraussetzungen
dafür geschaffen haben, dass wir im Jahre 2015 wie geplant einen Bundeshaushalt vorlegen und hoffentlich
auch verabschieden können, der absolut ausgeglichen
ist. Das hat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun.
Das hat etwas mit Zukunftssicherung zu tun.
Ich habe davon gesprochen - Kollege Kahrs wird es
mir bestätigen -, dass wir kurz vor der Abschlussrunde
von unangenehmen Ereignissen überrascht worden sind:
Urteil des Finanzgerichtes Hamburg, Rückzahlung der
Brennelementesteuer, weniger Einnahmen. Auf all diese
Dinge will ich nicht im Einzelnen eingehen, weil wir
jetzt über den Fachetat sprechen. Diese Ereignisse haben
aber dazu geführt, dass wir sowohl auf der Einnahmewie auf der Ausgabenseite noch große Anstrengungen
unternehmen mussten.
Leider - ich sage: leider - ist auch der Verteidigungsetat nicht ungeschoren davongekommen. Wir mussten
eine globale Minderausgabe in Höhe von 400 Millionen
Euro einstellen. Schon beim Haushaltsentwurf haben wir
im Einzelplan 60, in dem die Kosten für ziviles Überhangpersonal ausgewiesen sind, zunächst Reduzierungen in Höhe von 500 Millionen Euro vorgenommen. Im
nächsten Jahr sind es noch einmal 300 Millionen Euro.
Diese Mittel werden genauso wie die globale Minderausgabe - so wurde es in den Vorgesprächen vom Finanzminister zugesagt - zeitgerecht und bedarfsgerecht
zur Verfügung gestellt. Ich sage: Die jetzt vorgenommenen Einsparmaßnahmen sind vielleicht optisch nicht
schön, aber vertretbar, weil wir im Moment deutliche
Verzögerungen beim Zulauf von entsprechenden Beschaffungsvorhaben haben. Insofern ist es ganz wichtig,
dass dann die jetzt vorgenommenen Einsparungen bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden.
Die Bundeswehr stand und steht auch jetzt ständig
vor immer neuen Herausforderungen. Sie steht immer
wieder vor der Herausforderung, so aufgestellt sein zu
müssen, dass sie ihren Beitrag leisten kann, damit
Deutschland nach innen und nach außen seiner Verantwortung gerecht werden kann. Damit sichert die Bundeswehr unsere internationale Handlungsfähigkeit. Sie
dient den Menschen hier im Land, aber auch den Menschen in der Welt, wo die Angehörigen der Bundeswehr
für Frieden, Freiheit und die Durchsetzung der Menschenrechte eintreten.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich
sage „im Innern“ dann erinnere ich mich, dass ich vor
ziemlich genau einem Jahr mittags hier noch eine Rede
halten sollte, aber wegen der damaligen Flutkatastrophe
in meinen Wahlkreis musste. Die Bundeswehr hat uns
auch hier wieder gezeigt, wie wichtig ihr Einsatz im Zusammenwirken mit den anderen Hilfs-, Katastrophenschutz- und Rettungskräften ist, um den Menschen hier
im Lande zu dienen, wenn Not am Mann ist, weil die
Flut kommt.
({1})
Wir haben heute wieder über zwei Missionen abgestimmt. Ich bin sehr froh, dass unsere Bundeswehr, auch
wenn wir nicht mehr die allgemeine Wehrpflicht haben,
eine Parlamentsarmee bleibt. Ich glaube, wenn es um
Einsätze geht, nehmen wir alle jede Entscheidung sehr
ernst. Keiner macht sich eine solche Entscheidung leicht.
So soll es sein und bleiben: Wir entscheiden uns immer
wieder in großer Verantwortung für oder gegen den einen oder anderen Einsatz. Die Soldaten, die Angehörigen der Bundeswehr müssen immer wissen, dass wir als
Parlament hinter ihrem Einsatz stehen und die Verantwortung dafür übernehmen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte
gedacht, dass heute Morgen alles Notwendige zu der unsäglichen Aussage eines gewissen Landtagsabgeordneten Müller von den Linken gesagt worden ist, der einen
Sitz im Potsdamer Landtag hat.
({3})
Aber Sie sind wieder damit gekommen. Es ist unsäglich,
eine solche Aussage über unser Staatsoberhaupt zu treffen oder die Ministerin und andere, die sich entsprechend äußern, verunglimpfen zu wollen.
({4})
Ich bin schon ziemlich lange im Parlament; ich weiß,
wie wir damals um den ersten Einsatz im Ausland, auf
dem Balkan, gerungen haben, vor einem völlig anderen
Hintergrund, mit einer anderen Sicht auf die Verfassungslage. Es wird aus heutiger Sicht niemand abstreiten
können, dass wir eine große Verantwortung dafür tragen,
wie es beispielsweise am Südrand Europas weitergeht deswegen diese Dinge.
({5})
Sie werden doch nicht abstreiten können, dass wir Bündnisverpflichtungen haben, dass wir gesamteuropäische
Verpflichtungen haben, dass wir NATO-Verpflichtungen
haben, dass wir Verpflichtungen im Hinblick auf den
Frieden in einer Region haben, in der es auch um die Sicherheit Israels geht.
({6})
Gerade wir Deutsche haben hier eine große Verantwortung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verantwortung zu übernehmen, bedeutet, Frieden und Freiheit zu
sichern und bereit zu sein, die entsprechenden Mittel und
Möglichkeiten zu nutzen. Das bedeutet, den Menschenrechten Geltung zu verschaffen und die territoriale Integrität zu wahren.
({7})
Es bedeutet, dem Völkerrecht zu dienen. Deswegen
müssen wir all die Vorwürfe von der Linken zurückweisen. Offensichtlich haben solche Aussagen bei Ihnen
Methode; ich will nicht länger darauf eingehen.
Die Bundeswehr steckt mitten in einem großen Umstrukturierungsprozess; sie ist auf dem Weg von der ehemaligen Wehrpflichtarmee zur neuen Form. Wir werden
nur noch 170 000 Berufs- und Zeitsoldaten haben. Wir
haben keine Wehrpflichtigen mehr. Wir gehen davon
aus, dass es uns gelingt, 12 500 freiwillig Dienstleistende zu gewinnen, und wir beziehen auch die Reservisten - ihre geplante Zahl liegt bei 2 500 - ganz intensiv
mit ein. Auch das zivile Personal wird natürlich entsprechend reduziert. Es gibt also große Reformen, große
Umbrüche, große Herausforderungen für alle, die in der
Bundeswehr zivil oder militärisch Dienst leisten. Deswegen gilt ihnen besonderer Dank und besondere Anerkennung dafür, dass sie trotz dieser Umstrukturierung ihren Auftrag hervorragend erfüllen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
demzufolge vor ganz neuen Herausforderungen, was die
Personalgewinnung betrifft, Stichwort „Attraktivitätsprogramm“. Wir stehen im Wettbewerb mit anderen
Berufsfeldern und Berufsbildern am Arbeitsmarkt.
Deswegen begrüße ich ausdrücklich, Frau Ministerin,
Ihre Anregung, den Angehörigen der Bundeswehr mehr
Möglichkeiten der Weiterbildung und Weiterentwicklung zu bieten und diese stärker herauszustellen. Unter
Umständen können diese Weiterbildungsmaßnahmen
mit entsprechenden Zertifikaten abgeschlossen werden,
damit diejenigen, die die Bundeswehr nach einer gewissen Zeit in die Privatwirtschaft verlassen, ihre Kenntnisse
belegen können und dort auch entsprechend Anklang finden. Auch diese Form der Qualifizierung scheint mir
sehr wichtig zu sein.
({8})
Wir erteilen unseren Soldatinnen und Soldaten nicht
nur Aufträge, sondern wir müssen auch dafür sorgen,
dass sie entsprechend gut ausgerüstet sind. Das ist eine
permanente Aufgabe, die von uns im Haushaltsausschuss und auch von den Fachkollegen im Verteidigungsausschuss wahrgenommen wird.
Auf anderen Feldern, Stichwort „Kommunikationstechnologie“, beklagen wir, dass wir in Deutschland und
auch in Europa überhaupt nicht mehr die entsprechenden
Fähigkeiten haben. Wir müssen schon dafür sorgen, dass
wir auch künftig die technologischen Fähigkeiten haben,
die wir brauchen, um unseren Aufgabenstellungen gerecht werden zu können.
Das Verteidigungsbudget in Deutschland und auch
die Verteidigungsbudgets unserer Verbündeten in Europa
werden immer kleiner. Die Nachfrage sinkt, und es wird
daher immer schwieriger, die Fähigkeiten zu erhalten. Es
nützt uns auch nichts, nur die Fähigkeiten, die wir jetzt
haben, zu erhalten. Die Welt wandelt sich sehr schnell,
und woanders können im Bereich der militärischen Forschung und Entwicklung Mittel in ganz anderem Umfang eingesetzt werden.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir bei der technologischen Entwicklung nicht abgehängt werden. Wir müssen
uns die Frage stellen: Welche Märkte stehen uns überhaupt zur Verfügung, um unsere Fähigkeiten auch in der
Zukunft nutzen zu können? Nicht dass unsere Nachfolger hier im Parlament möglicherweise feststellen müssen: Wir würden ja gerne bestimmte Aufgaben wahrnehmen und die Verantwortung für bestimmte Bereiche
übernehmen, aber wir haben nicht mehr die entsprechenden Fähigkeiten.
Ich möchte hinzufügen: So manche Entwicklung, die
im militärischen Bereich stattgefunden hat, weil gerade
dort der Zwang zur Miniaturisierung und zur Präzisierung sehr groß ist, ist im Bereich der zivilen Technologien sehr nutzbringend eingesetzt worden. Auch diesen
Aspekt sollten wir nicht übersehen.
Ich bedanke mich zum Schluss ganz herzlich bei meiner Kollegin Mitberichterstatterin, Frau Karin EversMeyer, bei Dr. Tobias Lindner und bei Michael Leutert,
aber auch bei Ihnen, Frau Ministerin, und Ihren Mitstreitern, Staatssekretären und Mitarbeitern im Haushaltsreferat - ganz herzlichen Dank! Wir hatten trotz
unterschiedlicher Auffassung im Einzelfall eine gute Beratung.
({9})
Ich bitte die nachfolgenden Redner, nicht einfach
durch Zusammenfalten des Manuskripts beim Präsidium
den Eindruck zu erwecken, der Redner sei fertig, und
dann geht es doch noch ziemlich lange.
({0})
Bitte halten Sie sich an die Zeit. Das ist auch fair den anderen Kollegen gegenüber.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Abgeordneten
Dr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann Sie, Herr Präsident, beruhigen: Mein Manuskript ist auf Pappe gedruckt, und dadurch wird das
Zusammenfalten etwas schwierig.
Wir führen die jährliche Debatte über den Verteidigungshaushalt. Das ist durchaus eine besondere Debatte,
weil wir über die finanziellen Grundlagen des Dienstes
unserer Soldatinnen und Soldaten reden, eines Dienstes,
der nur schwerlich mit anderen Berufen vergleichbar ist.
({0})
Die Debatte in diesem Jahr ist auch besonders, weil
wir über den Etat einer Ministerin sprechen, die sich - so
ist mein Eindruck - auf den selbstgewählten Weg zur
Kanzlerinnenkandidatur begeben hat. Frau von der
Leyen, Sie sind mit großen Schritten - oder besser gesagt: mit großen Ankündigungen - in dieses Amt gestartet. Sie selbst haben die Maßstäbe, an denen Sie gemessen werden, definiert.
Wir sprechen beim Einzelplan 14 über einen Etat, der
mit über 32 Milliarden Euro der zweitgrößte Fachetat,
nach dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales, des Gesamthaushaltes ist. Wenn am Freitag
dieser Haushalt mit den Stimmen der Großen Koalition
beschlossen werden wird, dann vertrauen Ihnen Union
und SPD eine ganze Menge Geld an. Die Opposition
fragt sich zu Recht, ob die richtigen Schwerpunkte gesetzt wurden, ob diese 32 Milliarden Euro in die richtigen Bereiche fließen. Als grüne Fraktion müssen wir vor
allem bezweifeln, dass Sie mit dem Geld, das Ihnen anvertraut wird, Frau von der Leyen, so umgehen, wie es
das Parlament erwarten darf.
({1})
Die Aufregung war groß, vor allem bei den Kolleginnen und Kollegen der Union, als ich hier in der ersten
Lesung ein Rüstungsmoratorium für die 15 größten Projekte gefordert habe.
({2})
Es ist Ihnen natürlich interpretatorisch freigestellt, über
welche unserer Anträge Sie sich aufregen wollen und
über welche nicht. Wir Grünen sind aber schon der Meinung, dass man das, was Sie angekündigt haben, Frau
von der Leyen, ernst nehmen sollte.
({3})
Da Sie im Frühjahr Projektstatusberichte nicht gebilligt
haben, finden wir es recht und billig, dass der Haushaltsausschuss Gelder für diese Projekte erst dann freigibt,
wenn Sie dem Ausschuss einen gebilligten Statusbericht
vorlegen und wir sicher sein können, dass zumindest das
eigene Haus von diesen Projekten noch überzeugt ist.
({4})
Wir wollen nicht - das haben wir in diesen Haushaltsberatungen gezeigt -, dass der Abend, an dem das Rüstungsboard tagte, eine bloße Inszenierung mit den tragischen Opfern Stéphane Beemelmans und Detlef
Selhausen bleibt, sondern, dass daraus echte Konsequenzen erwachsen.
Haushaltsberatungen - das hat Bartholomäus Kalb
gerade demonstriert - sind gewöhnlich auch ein Ort des
Dankes an die Kollegen im Ausschuss, an die Mitarbeiter und an das Ministerium. Ich will heute besonders den
von mir geschätzten Kollegen Karin Evers-Meyer und
Bartholomäus Kalb für einen Änderungsantrag in der
Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt danken. Sie
haben es fertiggebracht, dass wir binnen 30 Minuten Beratung im Ausschuss den Verteidigungshaushalt um
400 Millionen Euro kürzen konnten. Ich zitiere aus der
Begründung des Antrags der Koalitionsfraktionen:
Begründung:
Zu erwartende Minderausgaben aufgrund von Verzögerungen im Bereich der militärischen Beschaffungen.
Vor wenigen Wochen haben Sie sich hier noch über
unsere Forderung nach einem Rüstungsmoratorium aufgeregt und mich vielleicht sogar für irre gehalten. Ich
gratuliere Ihnen zu dieser kognitiven Leistung und zu
dieser Konsequenz, die Sie gezogen haben. Auch wenn
die Kürzung unserer Ansicht nach deutlich stärker hätte
ausfallen können, bin ich froh, dass es an dieser Stelle in
die richtige Richtung gegangen ist.
Dieser Antrag zeigt noch etwas anderes: Die Große
Koalition
({5})
vertraut ihrer eigenen Ministerin nicht.
({6})
Wenn man sich fragt, wer der Verlierer oder die Verliererin dieser Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss
ist, dann wird schnell klar: Es ist die Bundesministerin
der Verteidigung. Sie haben sie selbst dazu auserkoren.
({7})
Dieser Haushalt zeigt vor allem noch einen anderen
Punkt: Frau Ministerin, Sie befinden sich auf einer haushaltspolitischen Geisterfahrt. Wenn Sie in dieses Parlament einen Haushaltsplan einbringen, aus dem die
eigene Koalition noch am Tag der Bereinigung 400 Millionen Euro herauskürzen kann, dann hat dieser Etatentwurf wenig mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit zu tun.
({8})
Sie haben hier in der ersten Lesung ausgeführt, dass
2013 1,5 Milliarden Euro nicht abgeflossen sind. Jetzt
wurde der Etat noch einmal um 400 Millionen Euro gekürzt. Damit sind wir bei einer Kürzung um 1,9 Milliarden Euro. Sie haben ausgeführt, dass Herr Schäuble
Ihnen in den kommenden Jahren zusätzlich 800 Millionen Euro für Beschaffungsprojekte dazugibt. Nach
Adam Riese bleibt eine Differenz von 1,1 Milliarden
Euro. Selbst wenn die Kosten heute nicht anfallen, wird
die Rechnung für diese Rüstungsaltlasten kommen. Im
Moment ist es Ihr Geheimnis, wie Sie sie bezahlen wollen, zumal Sie angekündigt haben - durchaus zu Recht -,
die Attraktivität des Dienstes und die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf verbessern zu wollen. Das kostet aber
Geld. Wir fragen uns, wie Sie das in Zukunft bezahlen
wollen, wenn Sie übermorgen die Rechnungen für Rüstungsprojekte von vorgestern bekommen, die vielleicht
irgendwann einmal zulaufen werden.
Zum Abschluss möchte ich noch auf einen anderen
Punkt eingehen. Über die Attraktivität ist viel geredet
worden, zum Teil wurde auch zu Unrecht Kritik geübt,
beispielsweise hinsichtlich der Flachbildschirme und der
Minikühlschränke. Ich will das gar nicht flapsig konnotieren. Ich glaube, dass das durchaus eine Verbesserung
darstellen kann, wenn das nicht die einzige Maßnahme
bleibt bzw. man die Verbesserung des Dienstes nicht darauf reduziert. Ich bin aber davon überzeugt, dass unsere
Soldatinnen und Soldaten, gerade diejenigen, die momentan im Auslandseinsatz sind, in diesen Tagen ganz
andere Sorgen haben als fehlende Flachbildschirme oder
Minikühlschränke. Ihnen geht es eher um Schutzwesten
und aktiven Gehörschutz. Es ist aber vor allem die Sorge
darum, ob ihre Waffe, die sie hoffentlich nie einsetzen
müssen - ich spreche vom Sturmgewehr G36 -, tatsächlich unter allen Umständen trifft.
Das Ministerium hat seit Jahren diese Probleme kleingeredet. Dann sollte es plötzlich die Munition gewesen
sein. Schließlich schrieb Ihnen der Rechnungshof vor
wenigen Tagen ins Stammbuch, dass es doch erhebliche
Zweifel an der Waffe selbst gibt und umfangreiche
Überprüfungen notwendig sind. Dann erfahren wir als
gewählte Abgeordnete am Sonntag durch die BAMS,
dass nun ein angeblicher Beschaffungsstopp erfolgt sein
soll. Ich glaube, die Menschen in diesem Land stellen
sich unter Beschaffungsstopp vor, dass kein Gewehr
mehr reinkommt und kein Geld mehr dafür rausgeht, bis
man die Ursache des Problems kennt. Stattdessen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, nimmt das Bundesministerium der Verteidigung noch gemäß alten geltenden Verträgen in diesem Jahr mehrere Hundert, wenn nicht gar
Tausend G-36-Gewehre ab und wird dafür Millionen
zahlen. Das ist das Gegenteil eines Beschaffungsstopps.
({9})
Ich will dazu nur sagen: Wenn das Ihre neue Herangehensweise bei der Reformierung des Beschaffungsprozesses ist, Frau Ministerin, habe ich den Glauben verloren, dass sich im Herbst tatsächlich etwas ändern wird.
Ich komme zum Schluss. Wir Grüne haben in diesen
Haushaltsberatungen nicht nur den Finger in die Wunde
gelegt, sondern auch aufgezeigt, was wir unter „mehr
Verantwortung Deutschlands in der Welt“ verstehen. Wir
stellen uns darunter vor, dass Deutschland für eine atomwaffenfreie Welt eintritt und eine nukleare Teilhabe aufgibt. Wir stellen uns darunter vor, dass militärisches Eingreifen immer noch die Ultima Ratio bleibt. Deswegen
beantragen wir einen Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ im AA, im BMZ und auch im Verteidigungsministerium. Das alles haben Sie nicht gewollt. Stattdessen legen Sie einen Haushalt vor, der heute die Kosten für
Probleme von gestern präsentiert und sich den Herausforderungen der Zukunft verweigert. Deswegen werden
wir diesem Haushalt nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Für die SPD-Fraktion hat nun Kollegin Karin EversMeyer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Rüstungsboard, Attraktivitätsoffensive und globale Minderausgaben waren die etwas negativ aufgeladenen
Schlagworte zum Verteidigungsetat in der ersten Jahreshälfte. Ich hätte mir ein bisschen bessere vorstellen können. Das aber nur vorweg.
Lassen Sie mich heute trotzdem ganz unmissverständlich und deutlich sagen, meine Damen und Herren: Wir
verabschieden einen Etat, der im Großen und Ganzen in
Ordnung ist. Ich bin mit dem Verlauf der vergangenen
Verhandlungen zufrieden. Mein Kollege Bartholomäus
Kalb hat das schon ausgeführt. Ich kann mich seinen
Ausführungen dazu nur anschließen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht versäumen,
mich bei den Mitberichterstattern, Herrn Kalb, Herrn
Lindner und Herrn Leutert, herzlich für die gute Zusammenarbeit zu bedanken. Auch bei Ihnen und Ihrem
Hause, Frau Ministerin, möchte ich mich für die gute
Zusammenarbeit und die stete Bereitschaft, mit uns zu
reden, bedanken.
Der Haushalt umfasst in der vorliegenden Form gut
32 Milliarden Euro und bleibt damit weiterhin auf einem
stabilen Niveau. Angesichts des schrumpfenden Personalkörpers, der immerhin noch ein Drittel der Gesamtausgaben bindet, und in Zeiten der Haushaltskonsolidierung ist das für unsere Bundeswehr ein wirklich gutes
Ergebnis. Dass aus diesem umfangreichen Haushalt immerhin 148 Millionen Euro zugunsten der Gegenfinanzierung des Betreuungsgeldes gezogen werden, ist für
mich auch besonders erwähnenswert.
Aus meiner Sicht laufen jedoch bisweilen die nicht abfließenden Mittel der Wahrheit und Klarheit - genau
darum geht es bei uns im Haushaltsausschuss - der Haushaltsführung zuwider. Der Bereich der verteidigungsinvestiven Ausgaben - dort geht es um einen Anteil an
militärischen Beschaffungen von fast 15 Prozent - bleibt
problembehaftet. Der Bundesrechnungshof hat entsprechende Rügen ausgesprochen. Ich kann nur betonen,
dass sich solch eine Situation eigentlich nicht so oft wiederholen sollte. An Vorschlägen und Bereitschaft, diesen
Missstand zu beheben, hat es in den vergangenen Monaten nicht gemangelt, an der Umsetzung manches Mal
schon.
Die Anträge, die aus der Opposition kamen, waren
nicht hilfreich. Das muss man leider so sagen. Besonders
befremdet mich in diesem Fall, dass die Linken wider
besseres Wissen von einer Hinwendung zu einer Interventionsarmee sprechen.
({0})
Das ist allein aufgrund unserer demokratischen Prinzipien so ein Unfug, dass man es kaum wiederholen kann.
({1})
Vor allen Dingen - das muss ich hier auch einmal deutlich sagen - empfinde ich das als Beleidigung gegenüber
all denjenigen Männern und Frauen, die sich für einen
Dienst bei unserer Bundeswehr entscheiden, egal ob in
Uniform oder ohne.
({2})
Die deutsche Gesellschaft, also wir alle, sind unseren
Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst zu Dank verpflichtet.
({3})
- Ich würde jetzt gerne fortfahren.
Der Umgang des Ministeriums mit den Herausforderungen des ersten Halbjahres war nicht immer ganz so,
wie wir uns das gewünscht hätten. Frau Ministerin, was
die Auslieferung von großen Beschaffungsprojekten betrifft, so sind Sie ganz bestimmt nicht für die Verzögerungen verantwortlich zu machen. Sie müssen aber den
Damen und Herren der Industrie endlich einmal sagen,
dass eine Aneinanderreihung von Katastrophen nicht
vertrauensbildend ist. Zu spät, zu teuer und nicht bedarfsgerecht sind weitere Schlagworte, mit denen wir
uns leider ständig herumschlagen müssen. Der sogenannte Global Deal und der Transporter A400M sind
hier nur zwei schlechte Beispiele. Wenn Sie das auch so
sehen, Frau Ministerin, dann beteiligen Sie das Parlament und seinen Haushaltsausschuss ruhig noch frühzeitiger, und legen Sie uns alle Fakten vor, ganz so, wie Sie
es uns versprochen haben.
({4})
Transparenz soll die Basis unserer Zusammenarbeit
sein. Da wünsche ich mir noch ein bisschen mehr Entgegenkommen von Ihnen. Dann können wir Ihnen ganz sicher auch helfend zur Seite stehen.
({5})
Die Herausforderung einer globalen Minderausgabe von
400 Millionen Euro - das ist hier ja schon ausreichend
gewürdigt worden - haben wir ja auch zusammen gestemmt.
Werfen wir aus haushalterischer Sicht noch einen
Blick auf die sogenannte Attraktivitätsoffensive. Ich begrüße Ihren Maßnahmenkatalog, Frau Ministerin. Meine
Fraktion ist natürlich bereit, Sie weitgehend zu unterstützen. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die anfängliche
Skepsis der Zielgruppe - das sind ja unsere Soldatinnen
und Soldaten - endlich in Zustimmung umschlägt. Ich
glaube, das Verteidigungsministerium muss da noch
Kohle drauflegen, noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten und vor allen Dingen eine noch bessere
Kommunikationsstrategie fahren.
Wer eine Attraktivitätsoffensive wirklich will, muss
auch Geld in die Hand nehmen. Ich bin wirklich gespannt, ob die 103 Millionen Euro bis 2018 ausreichen
werden und wo dieses Geld eingespart werden soll.
Denn eines ist bei diesem ganzen Prozedere offensichtlich: Für das Personal ist im Sinne der Attraktivitätssteigerung noch viel nachzuholen. Ein gutes und zeitgerechtes Einkommen für die Menschen in der Bundeswehr ist
die beste Attraktivitätsoffensive. Ein Beispiel sind die
Zulagen in der Bundeswehr. Hier gilt es, seit den 90erJahren bestehende Versäumnisse bei der Anpassung der
Zulagen an die Lebenshaltungskosten nachzuholen. Ein
weiteres Beispiel ist die Überstundenvergütung. Sogar
die Anpassung aus 2012 auf einen Stundensatz von
65 Euro für 24 Stunden zusammenhängenden Dienst
bleibt hinter dem früheren Anspruch zurück. Das Verteidigungsministerium hatte schon während der Zeit von
Verteidigungsminister zu Guttenberg eine Anhebung auf
95 Euro formuliert. Auch das wäre ein anzustrebender
Fortschritt.
Bei Ausrüstung und Infrastruktur der Bundeswehr
muss ich vor einem Investitionsstau warnen. Der Bedarf
für Modernisierungen ist wirklich sehr groß. Keiner
sollte auf weitere Klagen aus der Truppe warten. Mit
modernem Equipment zu arbeiten, ist ein wesentlicher
Faktor für Berufszufriedenheit. Wir warten ganz gespannt auf die Umsetzung der ersten Maßnahmen. Die
Zeit ist hier ein entscheidender Faktor. Ein junger Offizier hat das neulich mir gegenüber ganz toll auf den
Punkt gebracht. Er sagte: Wir haben dann Attraktivität,
wenn ich meiner Familie meinen Arbeitsplatz, meine
Unterkunft und meine Ausrüstung zeigen kann, ohne
mich zu schämen. Ich finde, genau so ist das. Daran
kann man das festmachen. Allen Beteiligten sei gesagt:
Angesichts der vergangenen Haushaltsberatungen und
eines auf Jahre stabilen und größtmöglich deckungsfähigen Etats ist das sicher auch finanzierbar.
Damit komme ich auf den Beginn meiner Ausführungen zurück. Frau Ministerin, ich hoffe, dass die Schlagworte, die die nächsten Monate bestimmen, Fortschritt
und Modernisierung lauten werden, ganz so, wie es unsere Soldatinnen und Soldaten verdient haben. Ich biete
Ihnen erneut gute Zusammenarbeit an.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung,
Dr. Ursula von der Leyen.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich mich
bei den Haushaltsberichterstatterinnen und -erstattern für
die ausgesprochen konstruktive Zusammenarbeit bedanken.
Frau Evers-Meyer, auch ich wünsche mir, dass die
Schlagworte der nächsten sechs Monate oder des nächsten Jahres ausschließlich Fortschritt und Modernisierung
lauten. Aber ich glaube, ich bin Realistin genug, um zu
wissen, dass es angesichts eines so großen Haushalts,
hinter dem eine 250 000 Mann starke Belegschaft und,
wie wir wissen, immer wieder Großprojekte stehen,
blauäugig wäre, zu glauben, es würden sich nicht tagtäglich auch Probleme ergeben.
({0})
Wir sind ja auch dazu da, diese Probleme zu lösen. Das
wollen wir gemeinsam angehen.
Ich habe vorhin sehr aufmerksam gelauscht, als sich
Frau Buchholz darüber ausgelassen hat,
({1})
in welchen Krisen und Konfliktherden die Bundeswehr
im Rahmen der Bündnisse einen Beitrag leistet. Wenn
man sich die ersten sechs Monate dieses Jahres vor Augen führt, stellt man fest: Zu Anfang hatten wir nicht den
Hauch einer Vorstellung davon, was im Osten Europas
los sein wird.
({2})
Es gab zwar Konflikte in Afrika, aber von Zentralafrika
war in dieser Dimension noch überhaupt keine Rede.
Die Situation in Mali hatte noch nicht die Brisanz, die
wir inzwischen erleben. Schwierig ist nach wie vor die
Situation in Somalia. Hinzu kommt der Krisenbogen
vom Norden Afrikas über den Irak, Afghanistan und Pakistan; das ist neu. All das sind Themen, von denen wir
in dieser Kombination vor sechs Monaten nichts geahnt
haben.
Die sicherheitspolitische Lage ist und bleibt angespannt. Sie ist hochkomplex. Gerade in diesem Zusammenhang erwarten unsere Bündnispartner, dass sich
Deutschland tatsächlich gemäß seinem Gewicht und seiner Größe einbringt. Das war der Sinn der Debatte, die
auf der Münchner Sicherheitskonferenz ausgelöst wurde
und jetzt fortgeführt wird.
Ich finde es ganz interessant, dass man an dieser Debatte auch sieht, wie dringend es ist, dass wir sie führen.
Denn von denjenigen, die sie im Grundsatz ablehnen,
wird sie erst einmal nur schwarz-weiß geführt; sie sind
gar nicht bereit, sich auf eine differenzierte Debatte einzulassen. Deshalb habe ich mich gefreut, Frau Brugger,
dass Sie heute Nachmittag in der UNIFIL-Debatte sehr
deutlich gesagt haben: Wir dürfen uns nicht achselzuckend abwenden. - Das kommt mir sehr vertraut vor.
„Indifferenz ist keine Option“, habe ich stattdessen gewählt.
Frau Brugger, so wie ich Sie und die Grünen kenne,
würde ich niemals so platt wie unter anderem die Linke
reagieren - das gilt manchmal aber auch für andere Diskutanten - und sagen: Nur weil Sie Verteidigungspolitikerin sind, gehe ich davon aus, dass der Satz: „Wir dürfen uns nicht achselzuckend abwenden“ automatisch
heißt, dass Sie mehr Militäreinsätze und mehr Kampfeinsätze verlangen. - Nein, so platt würde ich niemals
argumentieren. Gerade weil Sie Verteidigungspolitikerin
sind und deshalb den umfassenden sicherheitspolitischen
Ansatz, den die große Mehrheit in diesem Hause verfolgt, teilen, wissen Sie nämlich ganz genau, dass Militäreinsätze immer in die vernetzte Sicherheit eingebettet
sind, dass Diplomatie und wirtschaftlicher Aufbau immer den Vorrang haben. Aber wir wissen eben auch, dass
Militäreinsätze manchmal als Ultima Ratio, also zum
Schluss, notwendig sein können, um Völkermord, Genozid, zu verhindern, um Parteien, die einander bekämpfen, zu trennen und dann Versöhnungsarbeit zu leisten.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir dieses
Konzept der vernetzten Sicherheit richtig verstehen und
dass wir deshalb auch die Sätze, dass man sich nicht achselzuckend abwenden kann oder dass Indifferenz keine
Option ist, richtig verstehen. Das sollte die Grundlage
unserer differenzierten Debatte sein.
({3})
Unsere Bündnispartner erwarten, dass wir uns einbringen. Wir sind das größte Mitglied der EU, wir sind
der zweitgrößte Beitragszahler in der NATO, wir sind
drittgrößter Beitragszahler bei den Vereinten Nationen,
viertgrößter bei den Peacekeeping-Missionen. Das heißt,
durch unser Engagement können wir frühzeitig mitgestalten und dort Einfluss nehmen, wo unser Beitrag
einen Unterschied macht. Das ist eine Frage der Grundhaltung.
Ich möchte noch einmal auf das Thema von heute
Nachmittag, dass sich die Vereinten Nationen einen stärkeren Beitrag von Deutschland wünschen, eingehen. In
diesem Zusammenhang ist die Debatte über die Transall
aufgekommen. Ich habe ein bisschen gestaunt, Frau
Buchholz, dass Sie jetzt auch noch Friedensmissionen
der Vereinten Nationen ablehnen.
({4})
Das war schon sehr verblüffend. Ich darf vielleicht einmal den Vizegeneralsekretär der Vereinten Nationen, Jan
Eliasson, zitieren - Sie können das bei dpa nachlesen;
das ist gestern gelaufen -:
Wir brauchen Deutschland auch in Afrika …
Wir sind für jeden Beitrag dankbar, gerade auch den
Deutschen. Deutschland hat viele Fähigkeiten, die
für uns sehr wichtig sind. Wir sind dankbar für jede
Unterstützung und rechnen damit, weiter auf
Deutschland zählen zu können …
… die Deutschen sollten auch wissen, dass eine
UN-Mission anders als jeder andere militärische
Einsatz ist …
Wir bitten gerade oft afrikanische Staaten um Soldaten. Aber bei Logistik und Kommunikation gibt
es manchmal Probleme und das ist etwas, was die
Europäer und gerade die Deutschen sehr gut können.
Klarer kann man nicht sagen, dass der deutsche Beitrag
von den Vereinten Nationen aktuell gewünscht wird, und
dem wollen wir auch entsprechen.
({5})
Ich finde, zu einer differenzierten Debatte gehört
auch, dass wir gerade beim Thema Transall hören, was
die VN sagen:
… wir sind jetzt in einer Phase, in der der strategische Lufttransport nicht mehr Priorität hat. Jetzt
geht es darum, innerhalb des Landes entlegene Regionen zu erreichen. Die C-160 ist dafür nicht so
gut geeignet, zumal das Flugzeug Probleme mit der
extremen Hitze bekommen könnte.
Das heißt, kein Wort davon, dass die Vereinten Nationen
im Grundsatz keinen stärkeren Beitrag von Deutschland
wollen - das Gegenteil ist der Fall. Ich finde es völlig legitim, dass die VN auch sagen, sie brauchen das richtige
Material für die klimatischen Bedingungen.
Das ist auch ein Ausdruck dafür, dass es allerhöchste
Zeit wird, dass der A400M auf den Hof kommt, damit
wir dieses Flugzeug endlich nutzen können.
({6})
- Da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Evers-Meyer. - Ich erwarte, dass im November dann tatsächlich das erste
Flugzeug ausgeliefert wird, damit wir uns auch mit modernem Material in die Mission einbringen können, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Diese Diskussion zeigt: Jede Krise ist anders. Ich
möchte der Ordnung halber einmal festhalten - es gab in
den letzten Tagen eine Diskussion über den Einsatz
Active Fence in der Türkei -: Nein, es ist nicht so, wie
zum Teil kolportiert wurde, dass der Einsatz infrage
steht, weil Deutschland nicht durchhaltefähig ist. Das ist
nicht der Fall, Deutschland ist durchhaltefähig bei
Active Fence. Der Oberbefehlshaber der NATO hat Ende
Mai bei der regelmäßigen Überprüfung festgestellt, dass
das Bedrohungspotenzial sinkt. Wir wissen, dass der Abtransport der syrischen Chemiewaffen erfolgreich ist. Es
sind schon bis zu 100 Prozent aus dem Land gebracht.
Wir wissen noch nicht, ob alle Lager tatsächlich identifiziert sind. Aber es gibt bei der NATO bisher keine Festlegung zur Zukunft des Einsatzes. Deshalb bleibt es auch
bei der Verantwortung der Bundeswehr für diesen Einsatz. Ich will nur noch einmal festhalten: Wir sind bei
diesem Einsatz durchhaltefähig.
In der Debatte kam in den letzten Tagen - das spiegelt
auch unser Haushalt wider - die Frage auf, ob wir in der
NATO genügend Beitrag leisten angesichts der Tatsache,
dass die Vereinigten Staaten einen hohen Beitrag leisten
und dass die Forderung im Raum steht, jedes Land
müsse 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben dort einbringen. Ich glaube, es lohnt
sich, diese Debatte zu führen - und das fällt auch unter
den Begriff „differenzierte Debatte“ -; denn ich bin der
festen Überzeugung: Wenn ich mir die Entwicklung der
Verteidigungsetats der letzten Jahre anschaue, ist die
Frage nicht so sehr, ob 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgewendet werden; denn dann müsste man
fragen: 2 Prozent wovon? Es gibt Länder, die ihre Verteidigungshaushalte in den letzten Jahren drastisch gekürzt haben. Das Bruttoinlandsprodukt ist dort zum Teil
aber schneller gesunken, als die Verteidigungshaushalte
gekürzt werden konnten, sodass in Relation die 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch eine schrumpfende
Wirtschaft eher erreicht wurden. Bei uns ist das Problem
- in Anführungsstrichen - eher umgekehrt: Unsere Wirtschaft ist robust, unser Bruttoinlandsprodukt wächst.
Wir alle wissen - darum geht es in der Debatte über
diesen Bundeshaushalt hier -, dass wir uns bemühen,
den Anteil des Staates insgesamt zu reduzieren. Deshalb
bin ich der festen Überzeugung, dass wir nicht so viel
darüber diskutieren sollten, ob 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das Maß aller Dinge sind; denn eine
schrumpfende Wirtschaftsleistung führt ja nicht zu einer
stärkeren Verteidigung, sondern im Gegenteil: Wir sollten darüber diskutieren, wie und wofür wir das Geld einsetzen. Das sollte in der Debatte auf dem nächsten
NATO-Gipfel der Weg für uns gemeinsam sein.
({8})
Das heißt, wir brauchen Investitionen in Fähigkeiten,
in Hochtechnologie und in gutes Personal. Hier bin ich
bei Ihnen, Frau Evers-Meyer. Sie haben gefordert, mehr
Faktenklarheit über die Großprojekte und die Rüstungsprojekte zu bekommen. Das ist doch genau der Grund,
warum wir im Frühjahr dieses Jahres gesagt haben: Wir
müssen eine gemeinsame Basis herstellen, sodass wir
wissen, wie die 15 größten Rüstungsprojekte - es laufen
weitaus mehr, weshalb auch die Ausgaben weiter getätigt werden müssen und der Haushalt nicht in einem
Moratorium enden darf - in Bezug auf die Vollkosten
insgesamt zu beurteilen sind. Das ist der Sinn der Expertenkommission, die die Statusberichte im Sommer noch
einmal spiegeln wird.
Ich bin der Meinung: Es ist gut und an der Zeit, dass
wir für diese Transparenz sorgen; denn es ist das oberste
Gebot und die Pflicht eines Ministeriums, gegenüber
dem Souverän und den Haushältern, die die Mittel genehmigen, Transparenz in Bezug auf die tatsächliche
Kostenentwicklung und die Risiken herzustellen. Das ist
mein Ziel, das ich mit dem Einsetzen dieser Expertengruppe verfolge.
Wir haben hier über die globale Minderausgabe von
400 Millionen Euro debattiert. Ja, eine globale Minderausgabe von 400 Millionen Euro im Verteidigungshaushalt schmerzt; das sage ich ganz offen. Ich bin aber lange
genug Ministerin, um zu wissen, dass eine globale Minderausgabe, die auch alle anderen Haushalte betrifft,
Ausdruck des gemeinsamen Verständnisses ist, dass der
Bundeshaushalt konsolidiert werden muss. Ich finde das
richtig.
Herr Kalb hat vorhin sehr deutlich über die globale
Minderausgabe und das Geld gesprochen, das zurückfließt, weil es voraussichtlich nicht ausgegeben wird.
Diese Beträge werden in den nächsten Jahren kompensiert, wenn das Material, das dann geliefert wird, auch zu
bezahlen ist. Ich finde es klüger, das Geld in einem
Haushalt, das voraussichtlich nicht ausgegeben wird, tatsächlich einzusparen, um das Ziel eines konsolidierten
Haushaltes zu erreichen, als darauf zu sitzen und eifersüchtig gegenüber den anderen Ressorts darüber zu wachen, und ich finde es sehr sinnvoll, die Rechnungen zu
begleichen, wenn sie anfallen. Da ich mich auf die Haushälter verlasse und weiß, dass ich ihnen vertrauen kann,
weiß ich auch, dass die Kostenplanung für den Haushalt
in den nächsten Jahren in guten und sicheren Händen ist.
({9})
Damit bin ich beim Thema Attraktivität. Frau EversMeyer, ich kann Sie beruhigen: Die 103 Millionen Euro,
die wir bis 2018 für die Steigerung der Attraktivität zur
Verfügung stellen werden, betreffen die untergesetzlichen Maßnahmen. Ich kann Ihnen versichern, dass ein
Artikelgesetz, das mehr Kosten nach sich ziehen wird,
weil es die ganzen Themen aufgreift, die im Koalitionsvertrag bereits verankert sind, Ende September ins Kabinett eingebracht und dann diesem Hohen Haus auch vorgelegt werden wird. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass
wir die Attraktivität der Bundeswehr in der Tat auch
durch konkrete Maßnahmen - in diesem Gesetz werden
zum Beispiel Zulagen behandelt; das ist ja auch im Koalitionsvertrag verankert - weiter steigern müssen.
Wir werden, wenn man nach vorne schaut, 2 bis
3 Prozent eines jeden Jahrgangs in der Bundeswehr
brauchen - und zwar nicht als Bewerber, sondern als
Einstellungen; 2 bis 3 Prozent sind richtig hohe Zahlen -,
wenn wir die Qualität und die Quantität, die in der Neuausrichtung vereinbart worden sind, auf Dauer erhalten
wollen. Um das zu erreichen, müssen wir als Arbeitgeber, als Dienstherr deutlich bessere Rahmenbedingungen
schaffen.
Ich habe ganz oft den Satz gehört: Soldatin oder Soldat zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. - Ja, es ist
richtig: Das ist kein Beruf wie jeder andere. Wir verlangen von diesen Männern und Frauen viel, mehr als von
vielen anderen, gerade in den Einsätzen. Wir verlangen
das Beste von ihnen. Gelegentlich erwarten wir auch,
dass sie in Einsätzen Leib und Leben gefährden. Das
sollte man deutlich aussprechen.
Ich sehe überhaupt nicht ein, warum das ein Grund
sein sollte, diese Menschen hier zu Hause im Grundbetrieb schlechter und anders als jeden anderen und jede
andere Beschäftigte zu behandeln. Ich finde, es muss
eine Selbstverständlichkeit sein, hier im Land die besten
Rahmenbedingungen zu bieten.
({10})
Ich sehe gerade mit Schrecken, dass ich meine Redezeit schon weit überschritten habe, Frau Präsidentin.
Deshalb werde ich einen direkten Schlenker zu meinen
Schlussworten machen.
Ich bitte Sie darum - Entschuldigung, dass es so lange
gedauert hat -, gemeinsam eine solide Grundlage zu
schaffen, auf der wir den eben skizzierten Herausforderungen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen
werden, begegnen können, und freue mich mit Blick auf
diesen Haushalt, den wir hoffentlich in dieser Woche so
verabschieden werden, auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({11})
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, dass,
wenn ein Minuszeichen vor der Zeitanzeige der Uhr erscheint, die noch verbleibende Redezeit angezeigt wird.
Aber bei einer erfahrenen Parlamentarierin gehe ich davon aus, dass sie das Zeichen versteht. Wir werden darüber sicherlich gleich noch verhandeln.
Erst einmal hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, ich möchte versuchen, nach Ihrer Rede
einiges zurechtzurücken. Ich muss sagen: Sie sind ganz
kühn in Ihr Amt gestartet. Allerdings bewegen Sie sich
mittlerweile doch auf sehr dünnem Eis. Sie wussten,
dass Sie eines der schwierigsten Ministerien überhaupt
übernehmen. Sie wussten auch, dass schon einige gestandene Männer vor Ihnen als Verteidigungsminister
Schiffbruch erlitten haben.
Aus diesem Grund haben Sie versucht, sowohl personell als auch inhaltlich eine klare Trennlinie zur Vergangenheit zu ziehen. Der Kollege Lindner hat die personellen Konsequenzen als „tragische Opfer“ umschrieben
und damit Staatssekretär Beemelmanns und Abteilungsleiter Selhausen gemeint. Ich möchte noch ein tragisches
Opfer hinzufügen: Staatssekretär Wolf.
Inhaltlich haben Sie versucht, eine Trennlinie zu ziehen, indem Sie sich in der Öffentlichkeit mit der Attraktivitätsoffensive, mit dem Thema „Vereinbarkeit von
Dienst und Familie“ und auch mit der Nichtbilligung der
Statusberichte von Großprojekten präsentiert haben.
Aber ich glaube, dass die Zeit inzwischen abgelaufen
ist und die Vergangenheit Sie einholt. Die Faktenlage
sieht bisher so aus: Sie waren gerade in New York und
haben bei der UN wiederholt zum Ausdruck gebracht,
dass sich die Bundeswehr in Zukunft mehr an internationalen Einsätzen beteiligen soll oder will. Zur gleichen
Zeit kommt von der UN-Mission in Mali die Nachricht,
dass sie auf die Unterstützung durch deutsche Transportflugzeuge gerne verzichten würden. Der Grund: Die
Transall-Maschinen sind zu alt und zu schlecht. Hier
sieht man ja schon, wie Realität und Anspruch auseinanderklaffen.
Hinzu kommt: Heute beraten wir abschließend den
Etat des Verteidigungsministeriums, in dem Sie für alle
15 Großprojekte, ob das nun das Transportflugzeug
A400M - das ist schon angesprochen worden -, der
Transporthubschrauber NH90 oder der Kampfhubschrauber Tiger ist, frisches Geld vom Parlament haben
wollen. Aber Sie haben, wie gesagt, nicht einen einzigen
Statusbericht dieser Projekte gebilligt, und zwar - das ist
klar - wegen massiver Lieferverzögerungen, wegen
technischer Mängel, wegen Kostenexplosionen. Keinem
einzigen Projekt haben Sie das Okay gegeben. Trotzdem
wollen Sie heute vom Parlament neues Geld für diese
Projekte haben. Das halte ich für absurd. Dem kann eigentlich niemand hier zustimmen.
({0})
Dann kommt uns witzigerweise Ihre eigene Koalition
zu Hilfe und streicht Ihnen in der nächtlichen Bereinigungssitzung 400 Millionen Euro.
({1})
Nicht dass wir Linke das nicht gut finden würden. Das
ist absolut okay. Sie haben damit schon 10 Prozent unserer Forderungen erfüllt. Aber 400 Millionen Euro sind
mehr, als alle Auslandseinsätze, von Afghanistan abgesehen, pro Jahr kosten. Ich würde als Minister dieses
Verhalten als Misstrauensvotum betrachten, das Ihnen
Ihre eigene Koalition entgegengebracht hat.
Hinzu kommt: Seit zwei Tagen wissen wir aus der
Presse - so viel zur Transparenz und zur frühzeitigen Information des Haushaltsausschusses -, dass es einen
neuen Bericht des Bundesrechnungshofs gibt - wir haben ihn erst heute bekommen -, wonach das Sturmgewehr der Bundeswehr, das G36, nicht weiter beschafft
werden soll, weil die Mängel und die damit verbundenen
Risiken mittlerweile so groß sind, dass es nicht mehr
vertretbar ist. Jetzt existiert das Problem der Beschaffung nicht nur bei den Großprojekten, sondern auch bei
der Standardausrüstung.
Trotzdem wird weiter davon gesprochen, dass deutsche Soldaten in noch mehr Auslandseinsätze geschickt
werden sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von prinzipiellen Differenzen zu Auslandseinsätzen: Bei dieser Ausrüstungssituation halte ich das den
Soldatinnen und Soldaten gegenüber für fahrlässig.
({2})
Die Bundeswehr ist mittlerweile an 18 Auslandseinsätzen beteiligt. Wir haben heute wieder über zwei Einsätze abgestimmt. Das kostet pro Jahr weit über 1 Milliarde Euro. Ich vermute, ein Großteil der Abgeordneten
wäre derzeit nicht mehr in der Lage, alle Einsätze ad hoc
aufzulisten. Aber auch die Soldaten wissen nicht mehr
genau, warum sie überall eingesetzt werden. Der Gesamtauftrag ist für sie nicht mehr klar ersichtlich.
Ich war vor zwei Wochen vom Reservistenverband zu
einem Vortrag in die Führungsakademie der Bundeswehr
in Hamburg eingeladen. Dort ist - im Übrigen von aktiven Soldaten - genau das angesprochen worden. Sie haben da ein Problem, Frau Ministerin. Der Exberichterstatter Koppelin würde jetzt sagen: Es geht um
Menschen. Ich darf ihn zitieren; er ist der einzige FDPAbgeordnete, der immer gegen Auslandseinsätze gestimmt hat. Das fehlt uns jetzt im Parlament.
Die Soldaten wollen wissen, wann sie warum etwas
tun sollen. In dieser Frage sind wir als Linke wesentlich
konkreter, Frau Ministerin. Wir sagen Ja zur Bundeswehr mit dem klaren Auftrag der Landesverteidigung,
aber Nein zu Auslandseinsätzen nach dem Motto „Koste
es, was es wolle“.
({3})
Liebe Frau Ministerin, Sie haben über 32 Milliarden
Euro zur Verfügung. Nutzen Sie dieses Geld für Abrüstung und Konversion! Dazu haben wir als Linke in den
Beratungen ganz konkrete Vorschläge unterbreitet. Und
gehen Sie in Zukunft sorgsam mit den Soldatinnen und
Soldaten um!
Danke schön.
({4})
Der Kollege Rainer Arnold spricht nun für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren den Verteidigungshaushalt vor dem Hintergrund einer Welt, in der an allzu vielen Stellen vieles
in Unordnung geraten ist. Die Risiken - die Ministerin
hat es beschrieben - rücken näher an Europa heran, und
mit der Ukraine haben wir eine Problemzone mitten in
Europa.
Um nicht missverstanden zu werden: Keines dieser
Probleme ist ausschließlich militärisch zu lösen. Sie sind
komplex. Es gibt keine einfachen Analysen, keine einfachen Antworten. Aber sie machen eines sichtbar: Wir
brauchen eine leistungsfähige Bundeswehr. Dies erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger von der Politik.
Wir lernen auch immer mehr. Kein Land, auch nicht
die USA, wird alleine mit diesen großen Herausforderungen der Welt fertig. Deshalb ist es notwendig, dass
wir als Deutsche in den internationalen Bündnissen ein
verlässlicher Partner mit angemessenen Fähigkeiten
sind.
({0})
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig und überfällig,
dass die Rolle und Verantwortung Deutschlands in der
Welt diskutiert wird. Davon leiten wir ab, welche Streitkräfte wir brauchen. Wenn wir merken, dass sich die
Welt verändert hat, brauchen wir auch die Kraft und den
Mut, darüber zu reden, ob das, was vor zwei Jahren noch
alles gegolten hat - auch bei der Reform -, uns heute
noch in die Zukunft führen kann. Dazu gehört auch ein
auskömmlicher Bundeshaushalt - selbstverständlich. Ich
meine, die 32 Milliarden Euro sind auskömmlich. Ich
will ausdrücklich unserer Haushälterin Karin EversMeyer für die nicht nur kollegiale, sondern auch freundschaftliche Zusammenarbeit in den letzten Monaten danken.
Aber: Natürlich tut es Fachpolitikern weh, wenn
400 Millionen Euro gestrichen werden. Die 400 Millionen Euro sind auch überproportional viel im Vergleich
zu anderen Etats.
({1})
Da dürfen wir nicht drumherum reden. Die Rechnungen
werden in den Folgejahren kommen; denn hoffentlich
findet dann auch der Zufluss der großen Projekte statt.
Das Geld muss dann auch da sein. Wenn uns dies nicht
gelingt, werden wir wieder eine Bundeswehr haben, die
plötzlich über neue Geräte verfügt, aber im inneren Gefüge hohle Strukturen aufweist und gar nicht in der Lage
ist, diese Geräte tatsächlich so zu verwenden und einzusetzen, wie es notwendig wäre.
Ich verstehe die Haushälter: Wenn es der Regierung
nicht gelingt, den Mittelabfluss haushaltskonform zu gestalten, darf man nicht unnötig Geld in den Etat einstellen. Auch wir wollen unseren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Schließlich sind wir keine
Fachpolitiker mit Scheuklappen. Aber es ist ganz klar:
Die Intransparenz im Verteidigungsressort führt dazu,
dass viel zu spät erkannt wird, wo die Risiken in den
Projekten liegen, und dass dann nicht mehr rechtzeitig
gegengesteuert werden kann. Insofern ist der Weg, den
die Ministerin geschildert hat, richtig. Man darf nicht
einfach nur annehmen und Ja sagen, sondern man muss
alles noch einmal kontrollieren. Das ist überfällig. Aber,
Frau Ministerin, es ist ebenfalls überfällig, dass die Spitzen, die für diesen Bereich Verantwortung tragen, nun
besetzt werden; das ist notwendig. Wir haben auch keine
hundert Tage Zeit mehr für Diskussionen und Einarbeitung. Wir müssen im Herbst eine ganze Reihe schwieriger Entscheidungen treffen.
Über das Versagen und die Verantwortung der Rüstungswirtschaft wurde hier schon geredet. Wir sollten
uns Regressforderungen, die die öffentliche Hand hat,
nicht leichtfertig abhandeln lassen, sondern auch ein
Zeichen setzen, das deutlich macht: Versprochen ist versprochen, und Verträge gelten nicht einseitig, sondern
für beide Seiten.
({2})
Teil der Debatte über die Verantwortung Deutschlands in der Welt ist die Frage: Wollen wir in Zukunft die
Kernfähigkeiten der Rüstungswirtschaft in Deutschland
erhalten? Es wird bei schrumpfenden Etats sicherlich
nicht gelingen, alle diese Fähigkeiten zu erhalten. Aber
welche sind uns wichtig? Wollen wir abhängig werden
von amerikanischen Produkten, oder wollen wir im
Sinne von eigener Souveränität gemeinsam mit der Rüstungswirtschaft - deshalb, liebe Kollegen von der Linken, müssen wir mit Vertretern dieser Branche reden einen Pfad finden und für eine gewisse Grundauslastung
sorgen, sodass das Ingenieurwissen, das in vielen Bereichen in Deutschland sehr gut ist, tatsächlich erhalten
werden kann? Das hat nichts mit Wirtschaftspolitik zu
tun, sondern mit Sicherheitspolitik und der Wahrung nationaler Interessen. Diesen Pfad müssen wir beschreiten.
({3})
Ich finde es interessant, zu sehen, wie reflexhaft manche in unserer Gesellschaft, aber auch in der Politik - ich
muss nur auf die linke Seite schauen - reagieren, wenn
Politiker über die Rolle Deutschlands in der Welt reden.
Meine Damen und Herren von der Linken, die Äußerungen Ihres Kollegen aus Brandenburg sind wirklich unentschuldbar. Statt Zurufe zu machen, sollten Sie sich
entschuldigen und vielleicht auch ein bisschen schämen,
dass jemand aus Ihren Reihen so etwas sagt.
({4})
Ich habe mir heute vorgenommen, mich nicht mit Ihnen,
meine Damen und Herren von der Linken, auseinanderzusetzen; denn Sie malen sich ein surreales Bild der
Welt. Das heißt, das hat mit der Realität nichts zu tun.
Das ist ein Fantasie- und Traumgebilde. Auf die Welt,
wie Sie sie malen, geben Sie Ihre politischen Antworten.
({5})
Dies ist keine Basis für eine ernsthafte Diskussion. Stellen Sie sich endlich der Wirklichkeit! Dann werden wir
logischerweise über den richtigen Weg zwischen Regierung und Opposition streiten. Aber solange Sie sich
nicht der Realität stellen, ist alle Mühe in dieser Beziehung vergebens.
({6})
Der Bundespräsident hat einen nachdenklichen, reflektierten Beitrag zu dieser Diskussion geleistet; der ist in
Ordnung. Wir sind froh, dass vom Bundespräsidenten
solche Impulse kommen.
({7})
Es ist doch ganz eindeutig: Dort, wo Politik, dort, wo
Diplomatie, dort, wo Prävention versagt, und dort, wo
sich kriminelle Energien mit ethnischen Interessen und
übelsten Verbrechen wie Menschenhandel verbinden
und wo islamistischer Fanatismus hinzukommt, wird es
leider immer nur eine Antwort geben.
({8})
Dort, wo Menschenrechte übelst missachtet werden wie
im Norden Malis oder in Zentralafrika, wird es Situationen geben, in denen man die Kraft haben muss, sich
dazu zu bekennen, dass wir Streitkräfte brauchen, die
sich notfalls mit Waffengewalt schützend vor die Menschen stellen. Etwas anderes ist in solchen Situationen
nicht möglich.
({9})
Man kann mit solchen Menschen nicht verhandeln. Man
muss sie abwehren. Das ist die Wirklichkeit, von der ich
spreche.
({10})
Nun wird auch durch die Krise in der Ukraine in der
NATO der Ruf immer lauter, mehr Geld auszugeben.
Das ist eine Illusion. Wir wissen das. Es gibt nicht mehr
Geld, auch nicht in Deutschland. Das ist ganz klar. Aber
richtig und wichtig ist auch, dass wir die Befindlichkeiten der Balten und der Polen, die aus der Historie begründet sind, zumindest verstehen. Ich bin sehr froh,
dass die deutsche Regierung, insbesondere der Außenminister, dieses Verständnis aufbringt, gleichzeitig aber
auch in den NATO-Gremien mäßigend wirkt.
Es kommt nicht darauf an, mehr Soldaten in Osteuropa zu stationieren, es kommt nicht darauf an, mehr
Geld in die NATO zu pumpen, sondern es kommt in erster Linie darauf an, mehr Intelligenz in die NATO zu geben. Wir müssen mehr darüber nachdenken, wie wir dieses Bündnis leistungsfähig halten, aber wir sollten es
auch nicht schlechtreden. Die NATO gibt insgesamt
zehnmal so viel für die Streitkräfte aus, wie es die Russen tun. Die NATO hat auch insgesamt in fast allen Bereichen zehnmal mehr Fähigkeiten, ganz eindeutig. Das
Problem ist aber klar: Dies alles gilt nur, wenn man die
USA mit einbezieht.
Wir Europäer haben Defizite. Deshalb ist es richtig
und notwendig, die europäischen Fähigkeiten durch eine
bessere Vernetzung und Verzahnung zu stärken, nicht
durch mehr Geld. Es darf nicht sein, dass wir die
260 Milliarden, die Europa ausgibt, so ineffizient einsetzen, wie es in Europa geschieht. Ich bin der Meinung,
dass jetzt ein Zeitfenster offen ist, um innerhalb der
NATO, zum Beispiel auf dem Gipfel, mit einem Framework-Konzept und mit vielen anderen Dingen Impulse
zu setzen. Auch in der Europäischen Union wurden
diese Woche gute Impulse gesetzt, und zwar durch die
Rede von Herrn Juncker und durch das Ansinnen, die
Rüstungswirtschaft enger zu verzahnen. Jetzt brauchen
wir eine Bundesregierung, die das als Motor vorantreibt.
Wir werden Sie dabei unterstützen. Der entscheidende
Weg ist, eine engere Verzahnung und Arbeitsteilung herzustellen.
An unseren Koalitionspartner und die lieben Freunde
gerichtet, sage ich: Es geht uns bei dieser Diskussion
nicht darum, recht zu haben, ob „Breite vor Tiefe“ richtig oder falsch war und ist. Es geht uns darum, eine erfolgreiche Regierung nach dreieinhalb Jahren zu haben
und ein lernendes System zu bleiben. Es sind nur noch
drei Jahre, Herr Kollege Otte, die Zeit vergeht. Wir
möchten die Ministerin ermuntern, diese Veränderungen
aufzunehmen. Wir sind dankbar und froh und unterstützen dies auch, dass Sie die Aufforderung im Koalitionsvertrag aufgenommen haben und bis Ende des Jahres
eine Evaluierung mit den Maßnahmen, die zu Änderungen führen, vorlegen werden.
Das Stichwort Attraktivität haben Sie schon genannt.
Ich sage nur, weil meine Redezeit zu Ende geht: Wir
werden Sie in dem Bereich, den wir immer gefordert haben, auch da, wo Sie neue Impulse setzen und wo Sie
vieles aufnehmen, was im Koalitionsvertrag steht, gegen
alle Störfeuer, egal von welchen Seiten sie kommen mögen, verteidigen.
({11})
Denn man muss erkennen: Attraktivität und gute Ausstattung stehen nicht miteinander in Konkurrenz, sondern das sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn eine Prägung nicht stimmt, haben wir am Ende eine schlechte
Bundeswehr. Deshalb werden wir beides in den nächsten
Jahren voranbringen. Das ist der Schlüssel für den Erfolg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir all die Dinge,
die wir derzeit diskutieren und die wir aufs Gleis setzen
werden, in den nächsten drei Jahren realisieren werden.
Das ist anspruchsvoll; wir werden dabei mithelfen, soweit wir das als Parlamentarier können.
Kollege Arnold, das müssen Sie jetzt mit Ihren Kollegen austragen.
Ich bin gleich fertig. - Dann wird diese Koalition die
Sicherheitsinteressen der Deutschen gut vertreten haben,
diese Koalition wird dann am Ende eine richtig gute Koalition für die Menschen, die in der Bundeswehr sind,
gewesen sein.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Die Kollegin Doris Wagner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Solche Haushaltsverhandlungen sind eine verführerische Angelegenheit;
denn es geht um wirklich viel Geld. Ich sehe die Gefahr,
dass wir bei dem Geschacher um Millionen und Milliarden aus den Augen verlieren, dass es dabei doch um die
Zukunft unseres Landes geht, darum, wie unser Land
künftig aussehen soll und welche Ziele wir ansteuern.
Auch in Ihrem Haushaltsentwurf, Frau Ministerin, ist
leider nirgends zu erkennen, dass Sie tatsächlich eine
Zielvorstellung davon haben, wie die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den kommenden Jahren aussehen soll. Dabei haben Sie doch noch bei der
Münchner Sicherheitskonferenz im Januar so kühne Visionen in den Raum gestellt. Sie haben sehr präzise benannt, welchem Leitmotiv die deutsche Sicherheits- und
Verteidigungspolitik unter Ihrer Federführung folgen
wird.
Damals haben Sie gesagt:
Mir scheint, dass wir schon zu viel Zeit auf die nationale Nabelschau verwendet haben, statt unseren
Fokus auf die gemeinsame europäische Perspektive
zu richten. Wenn wir Europäer ein ernsthafter sicherheitspolitischer Akteur bleiben wollen, müssen
wir gemeinsam planen und handeln.
Jetzt allerdings müssen wir feststellen: Ihre Ankündigungen waren bisher nichts als Lippenbekenntnisse.
Konkrete Vorschläge für eine Intensivierung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
({0})
- Herr Otte, Sie sind gleich dran, glaube ich ({1})
waren aus Ihrem Haus nicht zu hören. Auch Ihr Haushaltsentwurf zeigt nicht, dass Sie vorhaben, den Parolen
von einer Europäisierung der Verteidigungspolitik wirklich Taten folgen zu lassen. Setzen Sie doch bitte Ihre
klugen Erkenntnisse auch wirklich in praktische Politik
um.
({2})
Meine Fraktion hat im Zuge der Haushaltsberatungen
Änderungsanträge eingebracht, um den Weg zu mehr
Gemeinsamkeit in der europäischen Verteidigung zu ebnen. Wir haben das Verteidigungsministerium wieder3802
holt aufgefordert, endlich eine realistische Bestandsanalyse durchzuführen, um eine verlässliche Grundlage für
die deutsche Sicherheitspolitik zu haben. Diese Analyse
muss Fragen beantworten wie: Was soll die Bundeswehr
eigentlich können? Auf welche Fähigkeiten können wir
verzichten, weil andere EU-Staaten sie vielleicht viel
besser einbringen können? Wie können wir die Aufgaben zwischen den EU-Partnern so verteilen, dass kostspielige Doppelungen abgebaut werden? Welche Erfahrungen haben wir in den internationalen Einsätzen
gewonnen, und welche Schlussfolgerungen ziehen wir
daraus für die Bundeswehr?
Der zweite Schritt wäre, endlich Ernst zu machen mit
Pooling and Sharing, einem Konzept, das seit Jahren
auch von Ihrer Regierung propagiert wird, das bisher
aber kaum konkrete politische Konsequenzen nach sich
zieht. Auch hierzu brauchen wir zunächst eine Bestandsaufnahme: Welche Ausrüstung haben wir? Was haben
die anderen, und was braucht Europa, um seiner außenund sicherheitspolitischen Verantwortung gerecht zu
werden? Wie können wir dann die benötigten Geräte
möglichst kostengünstig beschaffen? Auf der Grundlage
dieser Analysen ließe sich ein konkreter Vorschlag für
die gemeinsame Streitkräfte- und Einsatzplanung innerhalb der EU erarbeiten.
Gleichzeitig könnte der Verteidigungsetat um viele
Milliarden Euro entlastet werden: Viele Rüstungsprojekte könnten wir uns sparen. Eine kleinere und spezialisiertere Bundeswehr wäre deutlich kostengünstiger als
die Armee, die wir uns derzeit leisten - und eigentlich
gar nicht leisten können. Leider halten Sie, Frau Ministerin, an dem von Ihrem Vorgänger beschlossenen Konzept „Breite vor Tiefe“ fest und nehmen damit eine
Überstrapazierung nicht nur unseres Haushaltes, sondern
auch unserer Soldatinnen und Soldaten in Kauf. Das ist
doch keine tragfähige Politik.
In der Presse war in den letzten Wochen zu lesen, dass
Sie beabsichtigen, eine Unternehmensberaterin von
McKinsey zur neuen Rüstungsstaatssekretärin zu berufen. In einigen Berichten hieß es sogar, dass diese Berufung das deutsche Engagement für eine EU-Armee erheblich verstärken werde. Offenbar bedarf es erst einer
Person von außerhalb der Politik, damit die Bundesregierung endlich konsequent die Ziele verfolgt, die sie
sich angeblich schon längst auf die Fahnen geschrieben
hat. Das, meine Damen und Herren, ist, wie ich finde,
ein Armutszeugnis.
Vielen Dank.
({3})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Henning Otte.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Beratung des Bundeshaushaltes geht es im Allgemeinen nicht
nur um bloße Zahlen; beim Einzelplan 14 geht es im Besonderen darum, immer wieder über die sicherheitspolitische Ausrichtung zu diskutieren und zu überlegen, ob
wir gut aufgestellt sind. Nun erfolgt das vor dem Hintergrund einer in der Ausdehnung überraschenden Entwicklung in der Sicherheitspolitik.
Die Haushaltsdiskussionen der vergangenen Jahre
über Außen- und Verteidigungspolitik waren geprägt
durch die Auslandseinsätze in Afghanistan zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und somit auch
zum Schutz unseres Landes oder am Horn von Afrika
zur Bekämpfung der Piraterie und somit auch zum
Schutz unserer nationalen Handelsflotten.
Seit nunmehr einigen Monaten sehen wir uns einer
neuen Lage, ja einer sicherheitspolitischen Bedrohung
ausgesetzt, die neues Denken erfordert. Mit der Annexion der Krim durch Russland - der ersten völkerrechtswidrigen Grenzverschiebung seit 1945 - hat sich die
Lage elementar verändert. Russland hat mit dieser Vorgehensweise deutlich gemacht, dass es ihm in einer von
ihm selbst definierten Einflusszone klar um die Durchsetzung von Interessen auch mit militärischen Mitteln
geht. Diese vielleicht nicht überraschende, aber doch
völlig unerwartete Entwicklung kann uns aufgeklärte
Europäer nicht unberührt lassen. Die Vorgehensweise
des russischen Präsidenten ist mehr als ein unfreundlicher Akt gegen die liberale und pluralistische Gesellschaft, wie wir sie in Europa zu leben pflegen.
Diese Vorgehensweise Russlands soll offensichtlich
auch einen Abstand vom westlich-freiheitlichen gesellschaftlichen Leben schaffen - zugunsten einer primär
am Staatswohl orientierten Gesellschaft. Leider nur zu
oft wird diese russische Gesellschaftsdoktrin von der
Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag ideologisch
verteidigt und propagiert.
({0})
Es wäre gut, Sie würden sich um die Soldatinnen und
Soldaten sowie um die Sicherheit unseres Landes so
viele Gedanken machen, wie Sie sich offenbar Gedanken
um diese Doktrin machen; über die Vorgehensweise
Russlands sind Sie ja informiert.
({1})
Mit dieser Haltung bedroht Russland den bisherigen
Weg einer erfolgreichen wirtschaftlichen europäischrussischen Kooperation und auch den Weg einer erfolgreichen sicherheitspolitischen NATO-Russland-Kooperation.
Die NATO hat das Ziel, eine dauerhafte und gerechte
Friedensordnung auf Grundlage unseres Wertesystems
im Bündnisgebiet zu erreichen. Genau diese Ziele sind
durch das Vorgehen gefährdet, nämlich die Ideale von
Freiheit, Frieden und Pluralismus. Offenbar ist Russland
sogar bestrebt, mit seiner aktuellen Politik die beiden in
Europa relevanten Bündnisse, EU und NATO, zu schwächen. Nur so ist zu verstehen, dass Putin radikal europaHenning Otte
feindliche Kräfte lobt wie die französische Europagegnerin Marine Le Pen und - ich füge hinzu; auch Sie
haben es eben gesagt - die Partei Die Linke in Deutschland.
({2})
Meine Damen und Herren, versetzen wir uns dabei in
die Lage unserer östlichen Bündnispartner, zum Beispiel
Polens oder der baltischen Staaten! Sie fühlen sich durch
das aktuelle Vorgehen und das große Militärpotenzial
Russlands konkret bedroht.
Russland - und insbesondere Russlands Präsident bleibt aufgefordert, zukünftig einen stetigen und vertrauensbildenden Beitrag zur Schaffung und zum Erhalt einer gerechten Friedensordnung auf dieser Erde zu leisten.
Die aktuell nicht unberechtigten Sorgen unserer Partner dürfen wir in Deutschland nicht ignorieren oder wegdiskutieren. Wir sind aufgefordert, unseren Bündnispartnern zur Seite zu stehen. Es geht dabei um mehr als nur
bloße Sicherheitspolitik; es geht auch darum, für eine
Art und Weise, zu leben, einzutreten - und das selbstverständlich in erster Linie politisch.
({3})
Das russische Vorgehen muss diplomatisch beantwortet werden. Alle Kräfte müssen aufgebracht werden, um
eine diplomatische Lösung zu bekommen. Genau deswegen brauchen wir eine schlagkräftige und damit
glaubhafte militärische Rückendeckung; denn nur aus einer glaubhaften Position der Stärke heraus können wir
erfolgreich diplomatisch agieren und Einfluss geltend
machen.
Ich rede hier nicht einem Militäreinsatz das Wort niemand in der Bevölkerung Europas und auch niemand
in der Bevölkerung Russlands will eine militärische
Auseinandersetzung -, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir glaubhaft dokumentieren müssen, dass
die NATO als Militärbündnis und dass insbesondere
auch unsere Bundeswehr einsatzbereit und einsatzfähig
sind.
Deswegen ist es richtig, dass der Ansatz „Breite vor
Tiefe“ bei der Neuausrichtung der Bundeswehr zur Anwendung gekommen ist und wir in der Lage sind, eigene, selbst zu wählende Fähigkeiten in die mandatierten Strukturen der EU und der NATO einzubringen.
Diese Fähigkeiten sind Ausdruck nationaler Souveränität.
Das gilt übrigens auch für die Wehrtechnik. Es ist
vom Kollegen Arnold gesagt worden: Nur mit einer
deutschen Wehrtechnik ist Deutschland auch in der
Lage, eine eigene Sicherheitsvorsorge zu gewährleisten
und darüber hinaus mit einer geregelten Exportpolitik
gestaltend, auch politisch gestaltend, tätig zu werden im Sinne einer Stabilisierungspolitik.
({4})
Lassen Sie uns das in der Großen Koalition gemeinsam
konsequent umsetzen!
({5})
Wir werden von unseren Partnern um unser breites
Fähigkeitsprofil beneidet. Durch eine solide Finanzpolitik - ich füge hinzu: eine solide unionsgeführte Finanzpolitik - sind wir auch in der Lage, dieses abzubilden.
({6})
Lieber Herr Kollege Dr. Lindner, es ist doch ein gutes
Zeichen, wenn durch die Abschmelzung des Schuldendienstes der Bundesrepublik der Verteidigungsetat nach
„Arbeit und Soziales“ auf Platz zwei kommt. An erster
Stelle steht Arbeits- und Sozialpolitik. Aber das alles
geht nur mit Sicherheitspolitik. Deswegen ist das eine
gute Reihenfolge.
({7})
Die Sicherheit ist die Grundlage für Freiheit und
Wohlstand. Hier dürfen wir keine Abstriche machen. Die
Strukturen unserer Streitkräfte sind richtig. Die Ausrüstung als Arbeitswerkzeug muss jedoch stets modern, einsatzbereit und in ausreichendem Maße vorhanden sein.
Vor diesem Hintergrund sehe ich durchaus Modernisierungsbedarf.
Deutschland übernimmt Verantwortung in Europa, in
der NATO, in der Welt, weil es als Rechtsstaat mit seiner
sozialen Marktwirtschaft und mit seiner Parlamentsarmee erfolgreich bewiesen hat, verantwortungsvoll für
Frieden und Freiheit einzutreten.
({8})
Aber als Verantwortungs- oder Führungsnation in Europa und als sicherheitspolitischer Anlehnungspartner
müssen wir einen höheren Anspruch haben, als nur über
den Etat der Bundeswehr zu sprechen.
Um konkret zu werden: Es geht nicht nur um die Frage,
ob NATO-Truppen verstärkt an den östlichen Grenzen
Europas, vielleicht in rotierenden Formen, stationiert werden sollen, sondern um eine grundlegende Initiative. Wir
müssen nicht nur durch unsere Anstrengungen dafür sorgen, dass sich unsere östlichen Bündnispartner sicher
fühlen, sondern auch dafür sorgen, dass das Bündnis in
seinen Fähigkeiten und im Zusammenhalt gestärkt wird.
Ich schlage vor, dass wir unseren östlichen Bündnispartnern eine enge Zusammenarbeit anbieten, wie wir es erfolgreich mit den Niederländern bei der Eingliederung
der Luftmechanisierten Brigade demonstriert haben, wie
auch unsere Bundesverteidigungsministerin in Stadtallendorf sehen konnte. So können wir europäische Fähigkeiten sinnvoll zusammenfassen und den Verteidigungsetat sinnvoll einsetzen.
({9})
Rein mathematisch addiert sind die Kräfte der NATO
überlegen. Aber wir müssen unsere östlichen Bündnispartner in die Lage versetzen, auf Augenhöhe zu sein.
Der Anspruch ist, für eine Integration im Sinne der Anlehnungspartnerschaft einen vergleichbaren Grad an
Modernität zu erreichen. Wir müssen die Alliierten gerade an der östlichen Grenze unseres Bündnisses in die
Lage versetzen, leistungsmäßig an unserer Seite zu stehen. Dies ist derzeit nur in Teilbereichen der Fall.
Deutschland muss den Partnern eine tiefgreifende
strukturelle Zusammenarbeit und eine umfassende Ausrüstungsverbesserung anbieten. Das ist Arbeitsteilung
im besten Sinne. Dies alles ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Aber durch eine solide Haushaltsführung,
durch eine Bewältigung der Wirtschaftskrise in Europa
unter Führung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel
sind wir in der Lage, auch über solche Dinge zu diskutieren.
Herr Kollege Otte, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es darf kein Tabu sein, vermehrt Geld für die Sicherheit unseres Landes, die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger in die Hand zu nehmen. Wir müssen uns hier
engagieren. Das sollte uns unsere Sicherheit und Freiheit
wert sein.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Henn.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den Etat des Bundesministeriums der Verteidigung.
Sehr geehrte Ministerin, es ist keine Schmeichelei, wenn
ich sage, dass Sie eine schwierige Aufgabe stemmen
müssen, und es ist kein Geheimnis, wenn ich sage, dass
Sie unsere Unterstützung auch für das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr haben, übrigens auch deshalb,
weil sich hier viele Ideen, Forderungen und Vorschläge
von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus
den letzten Jahren finden.
„Aktiv. Attraktiv. Anders. - Bundeswehr in Führung“,
das klingt gut, das klingt spannend und einladend. Auch
wenn es insgesamt für die Bundeswehr oder für den öffentlichen Dienst schwierig sein dürfte, tatsächlich attraktiver als die Wirtschaft zu sein, so ist es doch gut und
richtig, dass mit dem Programm zur Attraktivitätssteigerung der Bundeswehr ein wichtiger Schritt gemacht worden ist.
Wir Politikerinnen und Politiker kennen das ja gut:
Wo neue Ideen sind, ist die Häme nicht weit. Kritik und
Häme an den guten Ideen zur Verbesserung der Bundeswehr waren nicht nur bei manchen Medien zu finden.
Flachbildschirme, hübschere Stuben, Kitas und Kosmetik - mehr scheint bei einigen Redakteuren und Besserwissern nach der Vorstellung des Attraktivitätsprogrammes der Bundeswehr nicht hängen geblieben zu sein.
Hier möchte ich allen Lästerern mit auf den Weg geben:
Man lebt auch bei der Bundeswehr im 21. Jahrhundert,
sehr geehrten Damen und Herren.
({0})
Man kann sich fragen, ob die Lästerer selber schon im
Jahre 2014 angekommen sind.
({1})
Wer mit Soldatinnen und Soldaten spricht, weiß, wie
bescheiden sie sind. Das hat mich insbesondere bei meinen Besuchen in Afghanistan und in der Türkei sehr beeindruckt. Den Bundeswehrangehörigen geht es nicht
um WLAN, Flat Screens oder Kuschelkissen; die Bundeswehrangehörigen wollen ihre Aufgabe so gut wie
möglich erfüllen. Sie erwarten von einem professionellen Arbeitgeber nur zu Recht, dass ihnen die Ausstattung
die Möglichkeit dazu gibt.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, 103 Millionen Euro kostet das Attraktivitätsprogramm - im Vergleich zum Gesamthaushalt eine
kleine Summe. Und trotzdem: Diese Investition in die
Zukunft ist sehr wichtig. Wir wollen gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und sie gut ausbilden.
Es ist richtig, dass es Versetzungen in Zukunft nur
noch zweimal jährlich zum Halbjahreswechsel an den
Schulen geben soll. So viel Planbarkeit ist notwendig.
Hier ist es wichtig, dass bei notwendigen Umzügen Hilfe
angeboten wird. Natürlich spielt auch die Betreuungskommunikation eine wichtige Rolle. Freie Internetnutzung und das kostenlose Telefonieren aus dem Einsatz
nach Hause müssen selbstverständlich sein.
Wir müssen über die Bundeswehr reden und über den
Auftrag, den sie in den nächsten Jahren erfüllen soll. Das
ist wichtig. Wir müssen auch sagen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten Trainerinnen und Trainer sind, dass
sie im Ausland ausbilden, dass sie helfen, dass sie gern
gesehen werden. Unser Sanitätsdienst beispielsweise
leistet Großartiges. In Leer habe ich bestaunen dürfen,
wie hervorragend die Ausbildung funktioniert und wie
das scheinbar Unmögliche mit sicheren Handgriffen aufgebaut wird. Weltweit genießt dieses Sanitätswesen einen guten Ruf. An den Standorten bei uns zu Hause sind
die Bundeswehrkrankenhäuser sehr beliebt. Das Sanitätswesen braucht aber eine bessere Organisation. Hier
muss schneller reagiert werden können, wenn beispielsweise durch Elternzeit oder Auslandseinsätze Vakanzen
entstehen.
Wir müssen aber auch erklären, dass die Soldatinnen
und Soldaten unseren Bündnisauftrag mit bester AusbilHeidtrud Henn
dung und bester Ausrüstung erfüllen sollen. Es ist wichtig, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen
und dass wir so über Sicherheits- und Verteidigungspolitik sprechen, dass alle verstehen, was wir wollen.
Der Arbeitgeber Bundeswehr sind wir alle. Damit
meine ich nicht nur uns Parlamentarier, sondern alle
Bürgerinnen und Bürger. Unsere Bundeswehr ist für
Frieden und Freiheit unterwegs. Sie ist eine Armee im
Einsatz. Aber sie ist keine Armee von Kriegstreibern.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit ({2})
Frau Kollegin Henn, ich setze mich jetzt für das Rederecht Ihres Kollegen Felgentreu ein. Bitte machen Sie
einen Punkt.
- das habe ich - und wünsche Ihnen Gottes Segen.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ingo
Gädechens das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Freiheit gibt es nicht umsonst“ - dies stand vor kurzem
über einem sehr lesenswerten Kommentar in der FAZ.
Ich denke, dieser richtigen Erkenntnis können wir uns
alle anschließen.
Meine Damen und Herren, die deutsche Gesellschaft
richtet sich aus meiner Sicht viel zu sehr in einer komfortablen Wohlfühlzone ein, als ob innere und äußere Sicherheit eine Selbstverständlichkeit wären. Der lange
Zeitraum, die Jahrzehnte in Frieden und Freiheit haben
die Sicherheit zu einem ständigen, ja für viele zu einem
selbstverständlichen Gut werden lassen. Viele Bürgerinnen und Bürger sind offensichtlich der Meinung, dass
die Krisen in der Welt keinerlei Auswirkungen auf unser
Leben haben könnten. Wir in der CDU/CSU-Fraktion,
aber gerade auch unsere Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr wissen, dass dem nicht so ist. Unsere Bundeswehrsoldaten wissen, dass ihr leider nicht immer ungefährlicher Einsatz dazu beiträgt, ein Mehr an Sicherheit zu gewährleisten. Sie haben deshalb nicht nur
höchste Anerkennung und Respekt für ihren Dienst verdient, sondern auch die bestmögliche Ausbildung, Besoldung, Ausstattung, Ausrüstung und Unterbringung.
({0})
Alle Demokraten sind aufgefordert, das in weiten Teilen der Bevölkerung grassierende Desinteresse in ein
ehrliches Interesse umzuwandeln,
({1})
in Anerkennung für das, was unsere Bundeswehr leistet
und wofür unsere Soldatinnen und Soldaten stehen,
({2})
und in ein Interesse dafür, warum wir Parlamentarier
Einsatzkräfte in weit entfernte Teile der Welt entsenden,
nämlich um Humanität und Menschenrechte in einem sichereren Umfeld entstehen zu lassen und zu wahren.
In direkter Umgebung dieser von mir benannten
deutschtypischen „Wohlfühlzone“ gibt es Krisenherde;
meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es beschrieben. Es gibt kriegerische Auseinandersetzungen und regionale Instabilität. Die NATO und die EU sind mehr
denn je gefordert, Sicherheit zu gewährleisten oder sie
dort, wo sie verloren gegangen ist, wiederherzustellen.
Als starke Wirtschaftsmacht wird Deutschland zu
Recht von den Bündnispartnern in die Pflicht genommen. Wir müssen unseren Beitrag unter den freien Völkern dieser Welt leisten. Ein Wegducken oder Herumlavieren kann sich Deutschland, wenn es verlässliche
Außen- und Sicherheitspolitik oder verlässliche Verteidigungspolitik gestalten will, auf gar keinen Fall leisten.
Ich danke der Ministerin, dass sie dies jüngst auf ihrer
USA-Reise so klar und deutlich angesprochen hat. Ja, es
stimmt: Wir müssen eine vertiefte Debatte darüber führen, wie Deutschland mehr Verantwortung übernehmen
kann und welche Fähigkeiten Deutschland zuverlässig
vorhalten muss; denn unser Land ist wie keine andere
europäische Nation abhängig vom weltweiten Handel.
Die Bundeswehr leistet schon heute Herausragendes.
Unsere Soldatinnen und Soldaten sind nicht nur gut ausgebildet, sondern auch hochmotiviert. Der mit der Neuausrichtung der Bundeswehr eingeschlagene Weg ist und
bleibt richtig. Natürlich verkenne ich nicht die eine oder
andere Verunsicherung bei den Kameradinnen und Kameraden. Die Beschaffungsprozesse dauern auch mir
noch zu lange - das wurde schon kritisch benannt - und
erzeugen bei vielen von uns Verärgerung. Den Kameradinnen und Kameraden muss man angesichts des Umbruchs im Zuge der Neuausrichtung bei der Bundeswehr
sagen, dass der gute alte Spruch „Einem jeden Menschen
recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann“ immer
noch Gültigkeit hat. Aber wir bemühen uns, bei der Bundeswehr weitestmöglich Gerechtigkeit vorzuhalten.
Wir sind auf dem richtigen Weg, nicht nur was den
Bundeshaushalt insgesamt angeht, sondern gerade mit
Blick auf den Einzelplan 14, den wir heute in zweiter
und dritter Lesung beraten. Wie in jedem Jahr, so auch in
diesem: Das Budget ist knapp, aber angemessen. Sosehr
ich die Forderung, man möge doch 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben einplanen,
unterstütze, so sehr habe ich auch die Argumente dafür
verinnerlicht, eine dauerhafte und effektive Haushaltskonsolidierung zu gewährleisten.
Ich komme zum Schluss, bevor hier „Präsidentin“
aufleuchtet. Ich musste ein paar Minuten meiner Rede
der Ministerin opfern. Das habe ich gerne getan.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einzelplan 14 ist solide aufgestellt. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Fritz Felgentreu für die
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und
Herren! Parlament kommt von „parler“. Hier ist also ein
Ort, an dem viel geredet und viel gestritten wird. Aber
einmal im Jahr wird es hier ganz handfest und konkret.
Dann drückt sich Politik in konkreten Zahlen aus, nämlich immer dann, wenn wir unseren Haushalt aufstellen.
Wer den Haushalt eines Staates lesen kann, der versteht
auch seine Politik. Ich finde es spannend, dieses Analyseinstrument zugrunde zu legen und den Haushalt, so
wie er uns heute vorliegt, in Beziehung zu den heutigen
Diskussionsbeiträgen zu setzen.
Gleich im ersten Redebeitrag, im Beitrag der Kollegin
Buchholz, wurde gesagt, dass sich Deutschland international wesentlich offensiver aufstellt, dass wir Debatten
darüber führen, international mehr Verantwortung zu
übernehmen, an mehr Schauplätzen aktiv zu werden.
Wenn wir uns den Haushalt 2014 anschauen, stellen wir
überraschenderweise etwas anderes fest; auch das hat
Frau Buchholz bereits erwähnt. Schauen wir im Einzelplan 14 - jetzt wird es technisch - einfach einmal in das
Kapitel 1403 und da in die Titelgruppe 08: Für Auslandseinsätze werden - Frau Buchholz hat es angesprochen - 775 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das
ist viel Geld; vollkommen richtig. Wenn wir uns aber die
Vergleichsgröße für 2013 anschauen, stellen wir fest,
dass es im letzten Jahr noch 900 Millionen Euro waren.
Wir geben in diesem Jahr also 125 Millionen Euro weniger für Auslandseinsätze aus als im letzten Jahr. Es lässt
sich leicht nachvollziehen, woran das liegt: Wir geben
insgesamt 45 Millionen Euro weniger für das im Ausland eingesetzte Personal aus. Wir geben 45 Millionen Euro weniger für militärische Beschaffungen aus,
also für Waffen und Gerät, und wir geben 15 Millionen Euro weniger für die Beschaffung sogenannter
Quartiermeistermaterialien aus; das ist alles von der Büromaschine bis zur Sanitätseinrichtung. Der Hauptgrund
dafür ist die Rückverlegung aus Afghanistan.
Damit sind wir wieder bei dem Ausgangspunkt meiner Ausführungen: Politik drückt sich in Zahlen aus. Wir
sind zu einer neuen politischen, vielleicht abschließenden Bewertung unseres Einsatzes in Afghanistan gekommen. Wir haben gemeinsam mit unseren Verbündeten
die Überzeugung gewonnen, dass die Afghanen heute
selber in der Lage sind, die Sicherheitsverantwortung für
ihr Land zu tragen. Sie haben das bei der Durchführung
der Präsidentenwahl im April und bei der Stichwahl im
Juni dieses Jahres eindrucksvoll bewiesen. Deswegen
können wir es uns leisten, weniger Geld für die Auslandseinsätze auszugeben, unsere Truppen aus Afghanistan größtenteils zurückzuverlegen und gemeinsam mit
den Verbündeten den Auftrag dort neu zu definieren.
Das ist ein großer Fortschritt. Dieser Befund widerspricht dem, worüber wir im Moment mit einer gewissen
Aufgeregtheit diskutieren.
Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich das klarmacht und dass wir uns mit einer gewissen Gelassenheit
den Aufgaben stellen, die auf uns zukommen. Eines ist
sicherlich klar: Auch in Zukunft wird es Auslandseinsätze der Bundeswehr geben. Es wird Auslandseinsätze
im Rahmen gemeinsamer Anstrengungen geben. Wir
werden uns dieser Verantwortung nicht entziehen. Welche das konkret sein werden, wissen wir aber noch nicht.
Wir müssen sie im konkreten Einzelfall hier im Deutschen Bundestag beraten, mandatieren und finanzieren.
Bei diesen Einzelfallprüfungen werden wir uns von den
Erfordernissen des jeweiligen Auftrags, der jeweiligen
Problemstellung leiten lassen. Wir werden es immer vorziehen - das hat die Ministerin dankenswerterweise noch
einmal gesagt -, Probleme mit diplomatischen Mitteln
und mit den Mitteln der Entwicklungshilfe zu lösen.
Wenn es sein muss, werden wir uns aber auch der Diskussion über eine militärische Verantwortung nicht entziehen. Das kommt auf uns zu; aber es ist immer einzelfallbezogen, und am Ende drückt es sich immer in den
nüchternen Zahlen eines Haushalts aus. Das können wir
aus dem Haushalt 2014, wie ich finde, besonders eindrucksvoll lernen. Mit dieser nüchternen Verfahrensweise sollten wir uns dem stellen, was in der Zukunft auf
uns wartet.
Vielen Dank.
({0})
Abschließend hat für die CDU/CSU-Fraktion die
Kollegin Michaela Noll das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin,
die heutige Debatte war für Sie, glaube ich, nicht ganz so
einfach. Wir hatten eine Debattenzeit von 96 Minuten
angedacht. Mittlerweile dauert die Debatte aber schon
weit über 100 Minuten.
Der Einzelplan 14 ist wichtig. Das, was die Ministerin
und der Kollege Otte angesprochen haben, sind wichtige
Punkte: Die sicherheitspolitische Lage, die Erwartungshaltung der Bündnispartner, die Investitionen in gutes
Personal und die globale Minderausgabe sind angesprochen worden. Das heißt, dass wir einen relativ großen
Bogen gespannt haben. Das, was Ingo Gädechens eben
sagte, kann ich zu 100 Prozent unterstreichen: Freiheit
gibt es nicht umsonst.
({0})
Diese Meinung teilen wir, glaube ich, alle.
Herr Kollege Arnold, ich freue mich, wenn Kollegen
eine ausgewogene Rede halten. In Bezug auf einen
Punkt kann ich Sie hundertprozentig unterstützen; da
sind wir ganz an Ihrer Seite. Zur Attraktivitätsoffensive
haben Sie gesagt, sie sei der Schlüssel zum Erfolg. Da
gebe ich Ihnen recht. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie
entsprechend begleiten werden.
Wir sprechen heute zwar über Zahlen. Ich möchte
aber auf das, was meine sehr geschätzte Kollegin Henn
angesprochen hat, zurückkommen, nämlich auf den Inhalt der Attraktivitätsoffensive. Wir waren gemeinsam,
Sie, ich und unser Kollege Dr. Felgentreu, in Masar-iScharif. Es gab diverse Kommentare, zum Teil in Zeitungen, in denen die Attraktivitätsoffensive etwas kritisch betrachtet wurde. Anscheinend haben die Kommentatoren aber nicht mit den Soldaten gesprochen. Die
Kollegin Henn und ich hatten die Gelegenheit, mit den
Soldaten abends in der Oase zu sitzen und einfach einmal zu fragen: Was haltet ihr davon? Die Soldaten haben
uns gesagt, dass sie an dieser Attraktivitätsoffensive
schätzen, dass sie zum ersten Mal im Mittelpunkt der
Betrachtung stehen. Die sicherheitspolitische Lage ist
das eine. Den Soldaten geht es aber darum, dass man
einmal den Blick auf sie richtet und sich um sie kümmert. Die Kultur des Sichkümmerns kommt meiner Meinung nach durch diese Attraktivitätsoffensive sehr deutlich zum Ausdruck.
({1})
Ich habe auch die Gelegenheit genutzt - so oft kommt
es im Alltag nicht vor, dass wir Soldaten begegnen -, um
einfach einmal zu fragen: Warum sind Sie überhaupt zur
Bundeswehr gegangen? Was hat die Bundeswehr für Sie
so attraktiv gemacht? - Das wurde mit einem Wort beantwortet: Kameradschaft. Dabei geht es um Kameradschaft nicht nur im Sinne des § 12 Soldatengesetz. Es
geht um mehr. Viele von Ihnen können sich vielleicht
noch an den TV-Beitrag von Kerner erinnern. In dessen
Verlauf bekam ein junger Sanitäter, Ralf Rönckendorf,
einen Sonder-Bambi für seinen Einsatz in Kunduz am
2. April. Bei diesem Einsatz setzte er sich für die Rettung eines Kameraden ein und verlor dabei sein Augenlicht. Er antwortete auf die entsprechende Frage, dass er
es immer wieder tun würde.
Leider ist unser Kollege Dr. Jung, ehemaliger Verteidigungsminister, heute nicht hier. Er war mit einer derjenigen, die das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz auf den
Weg gebracht haben. Nach diesem Gesetz muss der Soldat, der im Einsatz verwundet wurde, die Truppe nicht
verlassen. Er wird weiter seine Heimat in der Bundeswehr haben. Auch das war schon ein Signal des Sichkümmerns. Deswegen glaube ich, dass dieser Weg der
richtige ist.
({2})
Ein Satz des Sanitäters ist bei mir besonders hängen
geblieben. Er machte eine kleine Pause und sagte: Als
aktiver Soldat hoffe ich einfach auf ein kleines bisschen
mehr Anerkennung in unserer Gesellschaft für die Soldaten. - Meine Damen und Herren, das ist etwas, was
nichts kostet. Es ist eine Frage der Empathie mit den
Soldaten. Diese Empathie sollten wir haben; denn wenn
sich die Soldaten von der Gesellschaft im Stich gelassen
fühlen - vielleicht auch gelegentlich an der einen oder
anderen Stelle von der Politik; nicht von uns hier, aber
wenn ich nach links schaue, könnte das hin und wieder
passieren -, gibt es dringenden Handlungsbedarf. Wir
müssen ihnen das Gefühl geben, dass sie Teil unserer
Gesellschaft sind.
Durch die Wehrpflicht war die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft vorhanden. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht haben wir jetzt ein anderes Bild.
Oft findet die Bundeswehr bzw. das Leben in der Bundeswehr in den Familien nicht mehr statt, weil die jungen Menschen nicht mehr gezogen werden. Sie gehen
jetzt freiwillig. Ich glaube, da gibt es dringenden Handlungsbedarf; denn mittlerweile gibt es in der öffentlichen
Diskussion manchmal eine ungute Mischung von Missverständnissen und Vorurteilen, meistens gespeist aus
Unwissenheit.
Es ist nicht Aufgabe der Soldaten, zu erklären, warum
sie in einen Auslandseinsatz gehen, sondern es ist unsere
Aufgabe, zu erklären, warum wir sie dahin schicken, damit sie wissen, dass sie mit unserer Rückendeckung gehen. Das erhoffe ich mir.
({3})
Vielleicht noch ein kleiner Hinweis: Wir haben morgen wieder ein Fußballspiel. Das ist schön und gut.
Wenn die jungen Fußballer zurückkommen, ist ganz
Deutschland euphorisch und feiert sie. Wissen Sie, was
ich mir manchmal wünsche? Ich wünsche mir, dass die
Soldaten, wenn sie von einem Einsatz nach Hause kommen, das Gefühl, in der Heimat willkommen zu sein, genauso vermittelt bekommen.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der
Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.13 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
Drucksachen 18/1005, 18/1023
Berichterstatter sind die Abgeordneten Doris Barnett,
Alois Karl, Michael Leutert und Dr. Tobias Lindner.
Vizepräsidentin Petra Pau
Zu dem Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen jetzt zügig vorzunehmen, damit wir die notwendige Aufmerksamkeit für den ersten Redner herstellen können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Diether Dehm.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Erst haben Sie von der CDU/CSU und von der SPD die
Öffentlichkeit getäuscht, indem Sie gesagt haben, der
Spitzenkandidat der stärksten Fraktion würde automatisch Kommissionspräsident werden. Dann wackelt die
Kanzlerin weg von Herrn Juncker und setzt sich dem Erpressungsmanöver des David Cameron aus, der für seine
britische Bankenlobby noch mehr aus der EU herausholen will,
({0})
um dann auf dem Katholikentag wieder ein wenig in
Richtung Juncker zurückzuwackeln. Die Tagesschau
sagte zu diesem Geschacher - ich zitiere -:
Erst einigen sich die großen Parteifamilien auf Spitzenkandidaten … Und jetzt wird ein Betrug in aller
Offenheit geplant.
Seit fünf Jahren schlagen Sie alle Empfehlungen der
Linken in den Wind, aus dem Europäischen Parlament
endlich
({1})
ein echtes Parlament zu machen. Dann würde nämlich
jetzt der Kommissionspräsident einfach nur gewählt
werden. Aber Sie wollten ein kastriertes Parlament wie
die Kastration des europäischen Traums, nämlich diese
EU.
({2})
Ich zitiere den EU-Arbeitskommissar Laszlo Andor:
Angesichts von beinahe 26 Millionen Arbeitslosen
müssen wir für den Moment schlussfolgern, dass
die soziale Krise weitergeht.
Wie anders färbte Herr Gauck gestern in Portugal die
Krise und die Jugendarbeitslosigkeit schön. Der Bundespräsident spricht für die Menschenrechte der Gläubiger.
Für die Gläubigen hingegen und die wirklichen Menschenrechte sprach jüngst Papst Franziskus - ich zitiere -:
Wir schließen eine ganze Generation aus, um ein
Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten, das nicht
mehr zu ertragen ist.
Ja, diese Krise ist nur gegen den Finanzkapitalismus
lösbar.
Irgendwann wollte Sigmar Gabriel die Trennung von
Spekulationsbanking und klassischem Kreditgeschäft
sogar einmal zum Wahlkampfthema machen. Hoppla,
dachte ich mir als früheres SPD-Mitglied, da hat der
Sigmar an sich heruntergeschaut und eine sozialdemokratische Wurzel gesehen. Aber dann fand das im Wahlkampf überhaupt nicht statt, kein Plakat, nichts dergleichen, und im Koalitionsvertrag findet sich erst recht
nicht ein Wort über das Trennbankensystem. In der EU
bleibt es bei der Macht von fünf Großbanken und drei
Ratingagenturen, die sich großspurig wie eine Gottheit
„die Finanzmärkte“ nennen und für die Frau Merkel von
der Demokratie Marktkonformität fordert. Aber es sind
doch gerade die EU-Staaten, denen Sie am meisten das
Soziale kaputtgekürzt haben, deren Staatsverschuldung
danach am allerhöchsten gestiegen ist. Hören Sie zumindest einmal richtig hin, wenn Linke mahnen!
In der letzten Sitzungswoche taten Sie empört, als
meine Kollegin Dağdelen Brecht zitierte.
({3})
Ich wiederhole das mit Genehmigung der Präsidentin.
Aus dem Leben des Galilei - ich zitiere -:
Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein
Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge
nennt, der ist ein Verbrecher.
Kein Kollege - das wissen Sie so gut wie ich - darf
einen anderen hier „Verbrecher“ oder „Dummkopf“ nennen,
({4})
und das hat auch niemand getan.
({5})
- Und das hat auch niemand getan. Selbst das Bürgerliche Gesetzbuch unterscheidet zwischen unwissentlichen
und falschen Aussagen, die bewusst getroffen werden.
({6})
Was können wir als kleine, aber umso konsequentere
Opposition denn anderes tun, als öffentlich aufzurütteln
oder Sie als Regierung gegenüber dem Faschismus
- nicht nur in der Ukraine, sondern auch in weiten Teilen
Europas - etwas bösgläubiger zu machen? Jetzt können
Sie entscheiden, ob Sie das verdrängen, verharmlosen,
({7})
die Wahrheit eine Lüge nennen oder ob es vielleicht die
Wahrheit ist und Sie das nicht widerlegen können. Wenn Sie mir einen Moment Ihre geschätzte Aufmerksamkeit schenken würden. - Falls Sie das widerlegen
können, wir uns also irren und Sie uns diesen Irrtum
nachweisen können, dann tun Sie das.
({8})
Ich wiederhole ein paar Fakten - achten Sie darauf;
denn dann ist immer noch zu sehen, ob Sie bös- oder
gutgläubig damit umgehen -:
Erstens. Es sind immer noch vier Minister in der
ukrainischen Regierung lupenreine Faschisten.
({9})
- Immer noch vier Minister.
Zweitens. Die EU unterstützt das, was der Sozialdemokrat Günter Verheugen jüngst einen „Epochenbruch“
nannte.
Drittens. Die Swoboda-Partei hat bei der Präsidentenwahl zwar nur 2 Prozent erhalten. Aber der nicht minder
rechtsextreme Kandidat Oleg Ljaschko bekam 8 Prozent.
Viertens. Der Generalstaatsanwalt, ein Faschist der
Swoboda-Partei, ist zwar von Präsident Poroschenko abberufen, aber hernach sofort zum Präsidentenberater gemacht worden.
Fünftens. Im April wurde im Kiewer Zentrum für
zeitgenössische Kunst von sogenannten Maidan-Künstlern der - ich zitiere - „Ukrainischen Kulturfront“ eine
Ausstellung mit dem Titel „Vorsicht Russen“ eröffnet.
Dort werden russische Menschen in Tierkäfigen mit einem Schild „Bitte nicht füttern“ gezeigt.
Sechstens. Mehrere Holocaust-Gedenktage mussten
in der Ukraine abgesagt werden. Rabbiner wie der Rabbi
Cohen wurden auf offener Straße verprügelt.
({10})
Siebtens. In Riga, in Lettland, wurde gerade erst ein
funkelnagelneues Denkmal für die Waffen-SS errichtet. Nun schreien Sie nicht „Unglaublich!“, sondern widerlegen Sie die Fakten, die ich Ihnen eben genannt habe!
Das sind Fakten, und darüber muss ein Antifaschist hier
wütend werden dürfen.
({11})
Kollege Dehm, gestatten Sie eine Bemerkung oder
Frage des Kollegen Grund?
Ich gestatte gerne eine Frage.
({0})
Ich finde es schwer erträglich, wie der Begriff des Faschismus hier relativiert und jedes Ereignis, jede Bewegung, die Ihnen nicht passt, mit „faschistisch“ etikettiert
wird.
({0})
Der Faschismusvorwurf ist immer wieder von Moskau
hervorgeholt worden, wenn im Ostblock, vor der Haustür sozusagen, irgendwelche Freiheitsbewegungen entstanden sind. 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, selbst
1961 beim Mauerbau musste immer der Faschismusvorwurf herhalten, den Sie jetzt auf die Freiheitsbewegung
in der Ukraine anwenden.
Instrumentalisieren Sie bitte nicht die jüdische Bevölkerung in der Ukraine für Ihre Argumentation!
({1})
Zuletzt hat sich der Oberrabbiner von Lemberg entschieden dagegen verwahrt, dass die jüdische Bevölkerung in
der Ukraine in dieses Instrumentalisierungsschema hineingepresst wird.
Die von Ihnen so gescholtene Regierung hat mindestens zwei der Gouverneure, die sie eingesetzt hat, aus
dem jüdischen Teil der Bevölkerung genommen, unter
anderem Igor Kolomoiskij in Dnipropetrowsk.
Noch etwas: Die Faschisten, wenn es solche gibt,
oder die Neofaschisten in Westeuropa pilgern nicht nach
Kiew. Ataka, Jobbik oder auch Le Pen gehen nach
Moskau und suchen sich dort ihre Bündnispartner.
({2})
Sie können für die Antwort gerne stehen bleiben. Ich
habe auch nichts gegen eine zweite Frage, weil ich Sie
zurückfragen würde: Wie, glauben Sie, kommt es bei der
jüdischen Bevölkerung in der Ukraine, in der West- oder
der Ostukraine oder im Umfeld, an, dass die SwobodaPartei, auf die ich mich eben bezogen habe, ihre Parteihochschule bis in den Frühsommer dieses Jahres nach
Joseph Goebbels benannt hat? Wie anders ist das zu nennen als Faschismus? Wer das nicht Faschismus nennt,
der verharmlost den Faschismus, meine Damen und Herren.
({0})
Dazu möchte ich noch etwas sagen. Es sind dort
Holocaust-Gedenktage, die man abhalten wollte, abgesagt worden, weil die Menschen Angst um ihre Sicherheit hatten. Wie nennen Sie denn so etwas?
({1})
- Ich habe Ihnen einen Namen und Fakten genannt: Der
Rabbiner Cohen ist auf offener Straße angegriffen und
verprügelt worden. Wenn das so ist, wenn solche Dinge
stattfinden, dann können Sie das nicht einfach wegwischen. Das sind keine Lügen.
Sie sollten Ihre Politik im Hinblick auf die Ukraine
und die Faschisten dort überdenken! Das muss eigentlich
die Moral von dieser Sache sein!
({2})
- Das ist schön.
Kollege Dehm, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Sarrazin?
Aber natürlich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank für die
Möglichkeit der Frage.
Herr Kollege, wir kennen uns ja ganz gut aus dem
Ausschuss. Wir haben, glaube ich, noch nicht darüber
geredet, dass ich beispielsweise schon während meiner
Schulzeit bei einem Projekt aktiv war, das sich antifaschistisch organisiert hat und versucht hat, an Hamburger Schulen gegen Rechtsextremismus, gegen Ausgrenzung, gegen Fremdenfeindlichkeit zu arbeiten.
Deswegen glaube ich, dass wir uns gegenseitig nicht in
irgendeiner Hinsicht vorwerfen müssen, da nicht auf der
richtigen Seite zu stehen.
Bei meiner letzten Reise habe ich in Kiew Hinweise
bekommen - sozusagen aus berufenem Munde: aus dem
Bereich der Partei der Regionen -, dass an der Finanzierung der hier genannten Partei Swoboda bzw. des Rechten Sektors - die politisch in keinster Weise irgendjemandem in diesem Hause, der mir nahesteht, nahestehen auch Kreise von Herrn Janukowitsch oder zumindest
Kreise der Partei der Regionen oder des Kreml beteiligt
gewesen sind. Ich glaube, es gehört zur Wahrheit dazu,
sozusagen in Abgrenzung von diesen beiden Gruppierungen - es gibt noch andere, von denen man sich
abgrenzen müsste, zum Beispiel Samoobrona - zu sagen, dass Herr Janukowitsch bzw. die Partei der Regionen auch ein Teil dieser Geschichte sind. Ich glaube, es
ist dann glaubwürdig, sich auch von diesen abzugrenzen.
Ich würde Sie fragen, ob Sie dazu auch bereit sind.
Herr Sarrazin, ich gehe fast jedem Ihrer Hinweise
gerne nach; aber gehen Sie bitte meinen genauso ernsthaft nach.
({0})
Ich will das gerne prüfen. Was Sie jetzt in den Raum
gestellt haben, ist aber erst einmal eine These. Ich habe
Ihnen hier Fakten genannt. Sagen Sie, wo die nicht
stimmen!
({1})
Zu den Fakten zählt auch, dass der Chefredakteur des
ukrainischen Fernsehens vor laufender Kamera geprügelt wurde, er gezwungen wurde, Erklärungen zu verlesen, die er sonst nicht verlesen hätte. Alle diese Dinge
sind passiert. Wenn ich Ihnen hier diese Beispiele nenne
- auch die Beispiele von den Holocaustgedenktagen, die
nicht stattfinden konnten -, dann sind das doch auch
Hinweise, die Sie nachdenklich machen müssten.
Wenn wir hier in dieser Diskussion erreichen, dass,
statt dass wir uns hier oberlehrerhaft bevormunden,
({2})
in irgendeiner Weise Nachdenklichkeit gestiftet wird,
wir den Hinweisen des Andersdenkenden nachgehen,
dann haben wir in dieser Demokratie schon viel gekonnt.
Und wenn, denke ich, das alles keine Lügen sind,
kann man die Politik ja auch ändern. Wie lange warnen
wir hier als linke Opposition vor Krieg und Waffenlieferungen! Als Sie noch Präsident al-Maliki im Irak unterstützt haben, während er die Sunniten gezielt diskriminierte, warben wir für eine Regierung der Versöhnung
und des runden Tisches. Sie haben die Opposition gegen
Assad hochgejubelt. Jetzt schreibt selbst die KonradAdenauer-Stiftung - CDU, genau hinhören, es ist ganz
aktuell -:
Tatsächlich stellt die Opposition in Syrien für viele
Syrer keine vertrauenswürdige Alternative zu
Assad dar.
Wir haben vor Waffenlieferungen in die Türkei gewarnt.
Dort bekommen die ISIS-Kämpfer Unterschlupf gewährt, und dort wurden sie mit Waffen gestopft. Desgleichen bei den mit Deutschland befreundeten Golfmonarchien Katar, Kuwait, Saudi-Arabien: alles gute Kunden
deutscher Waffenexporteure.
Kollege Dehm, Sie reden jetzt auf Kosten des Kollegen Leutert; ich mache Sie nur darauf aufmerksam.
Dann komme ich jetzt gerne zum Schluss dieser
Rede, weil ich mich auch ganz besonders auf den Kollegen Leutert freue.
Heute Morgen ist Herr Gauck zitiert worden. Jetzt
möchte ich Herrn Gauck ganz präzise zitieren: Es habe
„früher eine gut begründete Zurückhaltung“ gegen Militäreinsätze gegeben, die die Deutschen jetzt - ich zitiere
ihn jetzt wörtlich - „vielleicht ablegen“ könnten. Da
kann ich nur sagen, wie mein Leipziger Kabarettkollege
Meigl Hoffmann Herrn Gauck, über den sich auch viele
Pfarrer aufregen, genannt hat: die „Worthülse im Patronengürtel der NATO“.
Da halte ich es lieber mit Papst Franziskus - ich zitiere -:
Damit das System fortbestehen kann, müssen
Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien
immer getan haben. Einen Dritten Weltkrieg kann
man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu
regionalen Kriegen.
So weit Papst Franziskus. Wenn Sie uns schon nicht
glauben, glauben Sie wenigstens ihm!
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Doris
Barnett das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich mich bei meinen Mitberichterstattern Herrn Alois Karl, Herrn Michael Leutert
und Herrn Tobias Lindner für die gute Zusammenarbeit
bedanken. Mein Dank geht aber auch an meine eigenen
Mitarbeiter und an das Haus, allen voran an den Minister, aber auch an den Staatssekretär Steinlein und an den
Leiter des Haushaltsreferats, Herrn Kindsgrab, und seinen Stab, von denen wir vertrauensvoll unterstützt wurden.
Jetzt komme ich aber zum vorliegenden Haushalt.
Ohne oberlehrerhaft zu sein, möchte ich sagen, dass wir
in dem Haushalt nicht nur eine neue und klare Struktur
erkennen, sondern im Vergleich zum ersten Regierungsentwurf auch deutliche Aufwüchse in wichtigen außenpolitischen Feldern und damit die Handschrift des neuen
Ministers. Dieser Haushalt umfasst mit etwas mehr als
3,7 Milliarden Euro zwar nur 1,2 Prozent des Gesamtvolumens des Bundeshaushalts, aber es ist wie immer im
Leben: Es kommt darauf an, was man daraus macht.
Gegenüber dem alten Soll von 2013 haben wir zusätzliche Mittel von über 150 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt - das ist ein Aufwuchs von 4 Prozent -, die überwiegend in die Bereiche humanitäre Hilfe und zivile
Krisenprävention sowie in den Bildungsbereich fließen.
Damit setzen wir auch Zeichen, und die sind angebracht.
Der Bürgerkrieg in Syrien kann wohl als die größte
humanitäre Katastrophe der letzten Jahrzehnte gelten.
Über 2,8 Millionen Menschen sind ins Ausland geflohen, weitere 9,3 Millionen Menschen brauchen in Syrien
selbst Hilfe.
Ich habe großen Respekt vor dem Libanon, einem
Land, das fast 1 Million registrierte Flüchtlinge aufgenommen hat. Das entspricht etwa einem Viertel der
Bevölkerung dort. Man stelle sich das im Verhältnis nur
einmal in Deutschland vor: Was hier auf den Straßen los
wäre!
Ja, wir helfen vor Ort - und dürfen dabei nicht die
Einheimischen vergessen, die ebenfalls unmittelbar
durch diesen Bürgerkrieg betroffen sind. Wir hören auch
den Ruf des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten
Nationen. Deutschland hat vor wenigen Tagen beschlossen, weitere 10 000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Damit sind es insgesamt schon 25 000. Ich gebe
zu: Andere Länder in Europa könnten auch noch etwas
mehr tun. Rund 34 000 Syrierinnen und Syrer leben seit
Beginn der Krise, also seit 2011, in Deutschland. Viele
fanden und finden immer noch Unterkunft und Hilfe bei
ihren hier lebenden Verwandten. Ich bin mir sicher:
Wenn es die Lage erfordert, dann werden wir uns auch
über die bereits eingestellten 303 Millionen Euro hinaus
engagieren. Das möchte ich all jenen sagen, die meinen,
man könne jetzt gar nicht genug Geld bereitstellen.
Angesichts der Lage in der Ukraine ist es uns gelungen, ein klares Signal zur Unterstützung der dortigen
Zivilgesellschaft und an die Nachbarländer Moldawien,
Georgien und Belarus zu senden. Mit einem Maßnahmenpakt von insgesamt 5 Millionen Euro für 2014 wollen wir gerade den jungen Menschen dort helfen, sich
eine Zukunft aufzubauen. Hier müssen wir vorsichtig
vorgehen. Wir dürfen nicht alle über einen Kamm scheren, und wir dürfen vor allem nicht das berühmte Kind
mit dem Bade ausschütten, sondern wir müssen ihnen
auf dem steinigen Weg in die neue Welt zu helfen versuchen. Das ist mehr als nur ein Zeichen des guten Willens. Es ist unsere unmissverständliche Ansage, den Weg
der Ukraine in ein demokratisches, rechtsstaatliches
Land tatkräftig zu unterstützen.
({0})
An dieser Stelle will ich auch ausdrücklich auf den
guten Einfluss der OSZE bei der Befriedung des Konflikts hinweisen. Die Mittel, die wir dafür ausgeben - der
Mitgliedsbeitrag -, liegen seit Jahren unverändert bei
17,5 Millionen Euro. Das ist gut angelegtes Geld, und
ich rege an, dass der Ministerrat der OSZE unbedingt
über eine Erhöhung des Budgets nachdenken sollte, was
dann auch der Parlamentarischen Versammlung zugutekommt.
Die Stärke der parlamentarischen Seite der Organisation ist: Wir bringen Menschen zusammen. Wir bringen
sie dazu, miteinander zu reden, sich nicht die Köpfe einzuschlagen und sogar zu Ergebnissen zu kommen.
Am 11. April 2014 waren wir mit der ukrainischen
und der russischen Delegation in Wien. Wir haben erreicht, dass die Mitglieder dieser Delegation über drei
Stunden miteinander gesprochen haben. Ergebnis war,
dass erstens über die ukrainischen Rentenbezieher auf
der Krim Vereinbarungen getroffen wurden und dass
zweitens Vereinbarungen getroffen wurden, wie die Ukrainer, die auf der Krim leben, an den Wahlen beteiligt
werden. Schon wenige Tage nach diesen Vereinbarungen
wurde dann in Kiew ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Parlamentarier können sich also positiv einbringen. Dazu werden aber auch die entsprechenden
Mittel notwendig sein.
Einen klaren Schwerpunkt bei den Beratungen haben
wir auf die Stärkung der zivilen Krisenprävention und
Konfliktberatung gelegt. Zum einen stehen jetzt zusätzli3812
che Projektmittel zur Verfügung, und zum anderen verstärken wir die erfolgreiche Arbeit des Zentrums für
Internationale Friedenseinsätze durch zusätzliches Personal. Auch das war nicht ganz einfach. Aber trotzdem
ist es uns in den Beratungen gelungen, hierfür zusätzliche Mittel zu finden und zur Verfügung zu stellen.
Es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, dass Ausbildungspartnerschaften durch das Auswärtige Amt auch in
Zukunft gefördert werden können und das Engagement
verstärkt werden kann. Es stehen jetzt 1 Million Euro zur
Verfügung, um erste Projekte in diesem Jahr anzustoßen.
({1})
Berufliche Aus- und Weiterbildung nach deutschem
Vorbild und der Export der dualen Ausbildung sind kein
ausschließliches Instrument der Entwicklungshilfe. Im
Gegenteil: Dort, wo deutsche Unternehmen Niederlassungen haben, können und sollen Angebote ähnlich der
hiesigen Ausbildung gemacht werden. Nicht der Mercedes oder der Volkswagen, die Werkzeugmaschine oder
das Haushaltsgerät allein sind das Qualitätsprodukt.
Auch die Ausbildung der Menschen, die diese herstellen,
gehört untrennbar dazu.
Ausbildung ist ein nachhaltiges und wichtiges Instrument einer zukunftsfähigen Außenpolitik, das allerdings
nicht auf die Kooperation der davon profitierenden Wirtschaft verzichten sollte. Mir geht es dabei nicht um die
Eins-zu-eins-Kopie des deutschen Systems. Vielmehr können wir helfen, die im Ausland vorhandenen Strukturen
weiterzuentwickeln. Auch darum geht es bei der Ausbildungspartnerschaft.
Auch wenn wir über den europäischen Tellerrand blicken und uns engagieren, so vergessen wir nicht, dass
ebenfalls in Europa wichtige Aufgaben zu erledigen
sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in der
Ukraine ist es wichtig, den Gesprächsfaden in Russland
nicht abreißen zu lassen, sondern den Dialog zu pflegen.
Russland war und ist unser Nachbar und Wirtschaftspartner, den wir bei unseren Entscheidungen mit bedenken müssen. Deshalb werden wir auch den Petersberger
Dialog weiterführen und stärken.
Wir stellen mit jeweils 1 Million Euro einen Zukunftsfonds sowohl für Italien als auch für Griechenland
bereit, mit denen geholfen werden soll, die Vergangenheit mit Projekten vor Ort aufzuarbeiten. Die in Nürnberg eingerichtete internationale Akademie Nürnberger
Prinzipien werden wir ebenfalls, allerdings nicht alleine,
institutionell fördern, weil hier ein Forschungsinstitut
zur Weiterentwicklung des internationalen Strafrechts an
historischem Ort entsteht. Angesichts weltweit zunehmender Übergriffe staatlicher Institutionen und auch
nichtstaatlicher Gruppierungen, die die Bevölkerung terrorisieren, drangsalieren und schwere Menschenrechtsverletzungen begehen - man denke hier nur an Mali -,
wird hier die notwendige Arbeit unter anderem mit Richtern aus diesen Ländern geleistet. Solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht ungestraft bleiben.
An diesem Institut wird gelehrt, wie wir seinerzeit in
Deutschland Kriegsverbrechen aufgearbeitet haben.
Neben diesen wichtigen Anliegen ist auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ein Schwerpunkt.
Wir wollen sie als tragende Säule der deutschen Außenpolitik auf- und ausbauen. Deshalb sind wir froh, dass es
uns gelungen ist, die vorgesehenen Kürzungen von
17 Millionen Euro beim DAAD weitestgehend zurückzunehmen. Die Arbeit, die der DAAD und das GoetheInstitut als Mittlerorganisation für Deutschland leisten,
können wir gar nicht hoch genug einschätzen.
Hier werden junge Menschen an die deutsche Sprache
herangeführt, an das, was uns ausmacht. Die zur Verfügung gestellten Stipendien helfen, nicht nur Fachleute in
Deutschland auszubilden und sie möglichst hier zu behalten, sondern auch, ein Netzwerk mit Menschen zu
knüpfen, die später weltweit an wichtigen Stellen sitzen
und Kenner und Fürsprecher für unser Land sind. Deshalb plädiere ich dafür, dass die jetzt zu verteilenden
Sondermittel für Bildung und Forschung auch für weitere Projekte des Auswärtigen Amtes in Sachen Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zur Verfügung gestellt
werden. Das ist in die Zukunft angelegtes Geld für ein
gutes und friedliches Miteinander.
({2})
Ich gehe davon aus, dass die Opposition mit ihren zusätzlichen Anträgen, die mehrere 100 Millionen Euro
umfassen, es mit dem Außenministerium eigentlich gut
meint. Aber zugegeben, mangels seriöser Deckungsvorschläge
({3})
bleibt uns letztendlich nichts anderes übrig, als sie abzulehnen. Sie können doch nicht das eine Ministerium gegen das andere ausspielen und dann sagen, das sei seriös.
({4})
Ich würde mich freuen, wenn wir für den von uns vorgelegten Haushalt die breite Unterstützung des Hauses
finden würden, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Welt ist in einem Wandel von atemberaubender Geschwindigkeit. Die Konflikte reihen sich aneinander. Sie
kommen immer schneller, und viele von ihnen gehen
auch nicht wieder weg. Im Südchinesischen Meer ist der
Konflikt längst nicht gelöst. Die Atomverhandlungen
mit dem Iran sind am Scheideweg. Es deutet sich ein
Krisenbogen von Somalia über Südsudan und die Zentralafrikanische Republik bis nach Mali an.
Der Nahe Osten ist in einer der schwierigsten Situationen seiner Geschichte. Die Kerry-Initiative steckt zumindest derzeit noch in einer Sackgasse. Hoffentlich
gibt es zumindest nach diesem Sommer einen Neuanlauf.
Der sogenannte Arabische Frühling ist in vielen Ländern zu einem Albtraum geworden. Es gibt auch Hoffnung wie in Tunesien, aber in vielen anderen Ländern ist
das alles für viele Menschen mittlerweile nur noch mit
großem Leid verbunden. Nach Syrien droht nun mit dem
Irak das zweite große Land im Nahen Osten zu implodieren.
Herr Außenminister, Sie haben Anfang des Jahres gesagt - ich zitiere -: „Deutschland ist ein bisschen zu
groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten.“
Wir teilen diese Auffassung.
Auch vieles, was der Bundespräsident sagt, verstehen
wir im Gegensatz zu von der Leyen, Gysi und Dieter
Dehm nicht in erster Linie militärisch. Deshalb finden
wir mehr Verantwortung - das ist das Leitmotiv Ihrer
Reden in den letzten Monaten gewesen - völlig richtig.
({0})
Das Problem ist, dass aus einem Leitmotiv noch lange
kein gelungenes Musikstück wird. Es ist offenkundig,
dass sich ein Land wie Deutschland mit diplomatischen
und zivilen Instrumenten um mehr Verantwortung bemüht und dass Konfliktvor- und Konfliktnachsorge sehr
viel stärker als bisher in den Mittelpunkt geschoben werden müssen.
Sie haben in München gesagt - ich zitiere erneut -:
„Die Übernahme außenpolitischer Verantwortung muss
immer konkret sein.“ Es gibt nichts Besseres, um diese
Konkretion nachzuweisen, als einen Haushalt. Sie haben
mit dem Review-Prozess einen sehr guten Prozess angestoßen, um noch einmal genau zu überprüfen, was in der
deutschen Außenpolitik anders werden muss und wo wir
stehen. Das ist gut und richtig. Der gesamte Prozess wird
von uns unterstützt. Aber macht es nicht Sinn, dass man
am Anfang eines solchen Prozesses auch auf Großengagements schaut und überlegt, was man falsch gemacht
hat? Macht es nicht Sinn, dass wir endlich eine wissenschaftliche unabhängige Evaluation vom größten Einsatz
in der Geschichte der Bundeswehr in Afghanistan bekommen? Es wurde immer wieder beantragt, und es
wurde immer wieder abgelehnt. Das zeugt nicht unbedingt davon, dass der Review-Prozess nun konkret werden soll.
({1})
- Sie haben Experten eingeladen, denen Sie selbst keine
wirklich ernsthaften Fragen gestellt haben.
Was die zivile Krisenprävention angeht, ist im Haushalt mehr Geld für Projekte vorgesehen. Das ist richtig.
Unser Anliegen war aber, die Institutionen zu stärken.
Wir haben in Anträgen gefordert, den Ressortkreis zu
stärken. Sie sind abgelehnt worden.
Der interfraktionelle Antrag zu Syrien ist daran gescheitert, dass die Regierungsfraktionen keine konkreten
Zahlen zur humanitären Hilfe und zur Aufnahme von
Flüchtlingen drin haben wollten.
Bei den diplomatischen und den zivilen Instrumenten
geht es auch um Personal, und zwar um Justizpersonal.
Wir haben nicht genug Personal. Wo bleibt die Initiative,
um mehr Justizpersonal für internationale Einsätze zu
bekommen?
Was Polizeieinsätze angeht, hat mein Fraktionsvorsitzender heute Morgen die Zahl der aus Deutschland entsandten Polizisten bei den VN-Missionen genannt: Es
sind 19. Jenseits davon hat Deutschland derzeit 236 Polizisten in Auslandseinsätzen. Nepal schickt 900. Ich
glaube nicht, dass das etwas mit dem Gewicht und der
wirtschaftlichen Stärke zu tun hat, die Sie völlig zu
Recht angemahnt haben.
({2})
Vieles von dem, was Sie in den letzten Monaten konkret getan haben, kann und muss man loben, beispielsweise Ihr Engagement in der Ukraine. Was Sie zusammen mit der Troika gerade im Februar auf dem Maidan
und um den Maidan herum erreicht haben, wurde von
uns gelobt. Wir bleiben auch dabei. Im Übrigen bestreitet niemand, dass es auch Faschisten gibt, auch in der
ukrainischen Regierung.
({3})
Auch wir Grüne bestreiten das nicht. Wir bekämpfen
diese Faschisten genauso. Aber im Gegensatz zu Ihnen,
meine Damen und Herren von der Linken, sind wir nicht
bereit, alle in die gleiche Ecke zu stellen und zu behaupten, dass alle Faschisten sind, die dort die Macht an sich
gerissen haben.
({4})
Wenn wir nicht nur zuschauen sollen, frage ich mich,
was wir tun sollen. Libyen, ein Land in unmittelbarer
Nachbarschaft Europas, zerfällt. Die Kollegin Keul hat
in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen,
dass wir mehr tun müssen. Es gab sehr viele Gründe,
warum wir beim Libyen-Einsatz nicht dabei waren.
Wenn wir aber schon nicht dabei waren, stellt sich die
Frage, ob wir mit Libyen überhaupt nichts mehr zu tun
haben wollen oder ob es nicht sinnvoll ist, dass wir dort
als Nachsorge des Konflikts deutlich mehr tun. Schließlich handelt es sich um einen Nachbarstaat der Europäischen Union.
({5})
Weitere Beispiele. Die VN schreien gerade regelrecht
nach mehr Engagement im Südsudan und bitten um
Hilfe. Aber wir sind noch nicht einmal bereit, in die
Nähe der Mandatsobergrenze zu gehen. Beim Irak ver3814
hält es sich wie folgt: Gerade weil wir 2003 bei dem Einsatz, den die Amerikaner begonnen und bei dem sie so
viel falsch und kaputt gemacht haben, nicht dabei waren
und gerade weil al-Maliki - das ist in diesem Hohen
Hause nun Common Sense - in den letzten drei Jahren
alles getan hat, um die Keime der Dynamik und der
Hoffnung im Irak zu zerstören, finden wir in diesem
Land anders Gehör und besitzen eine andere Glaubwürdigkeit. Ich frage mich aber, wo die Stimme erhoben
wird, um Druck zu machen und dafür zu sorgen, dass die
nächste Regierung im Irak auf die Belange der Sunniten
anders eingeht.
({6})
Sie haben völlig recht: Deutschland ist zu groß, um
nur an der Seitenlinie zu stehen. Aber noch einmal: Das
muss konkret sein. Wir müssen deutlich mehr tun. Das,
was bisher gemacht wurde, reicht nicht. Wir sind froh,
dass in einigen Bereichen sehr viel mehr gemacht wird
als in der letzten Legislaturperiode. Aber die Ansprüche,
die Sie nun formuliert haben, sind deutlich höher als diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode gestellt wurden. Deshalb werden wir Sie anders messen. Wir wollen
nicht, dass Deutschland an der Seitenlinie steht. Dabei
ist anzumerken: Deutschland steht im Fall Irak gar nicht
an der Seitenlinie, sondern sitzt auf der Couch und
schaut sich die Bilder im Fernsehen an. Wir wollen aber,
dass Deutschland eine andere Rolle in der zivilen Vorund Nachsorge von Konflikten spielt.
Ich möchte ganz zum Schluss noch etwas Persönliches sagen. Ich persönlich bin mit vielem, was der Herr
Außenminister macht, einverstanden. Ich finde, dass nun
einiges besser ist als in den vier Jahren zuvor. Aber ich
möchte an dieser Stelle - ich glaube, ich spreche hier
nicht nur für mich - dem ehemaligen Außenminister viel
Kraft und seiner Familie viel Geduld wünschen, damit er
eine schnelle Genesung erzielen kann. Ich glaube, dass
das in unser aller Sinne ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Diesem Wunsch hat sich das gesamte Haus angeschlossen.
Nun spricht der Kollege Alois Karl für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kollegen des Deutschen Bundestags! Sehr geehrter Herr Außenminister! Lieber Herr Steinmeier! Wer im
Lauf des Tages die Haushaltsdebatten verfolgt hat, stellt
fest, dass sich fast alles nach einem gewissen Ritual abspielt. Wir als Regierungsfraktionen loben unsere Einzelhaushalte quasi über den Schellenkönig
({0})
und die Opposition kritisiert.
({1})
Herr Nouripour hat allerdings gerade mit dem Loben begonnen. Das hat mir gut gefallen. Sie sind auf dem richtigen Weg, wenn Sie das so ausdrücken.
({2})
Auch wenn das eine oder andere bei manchem Einzelhaushalt kritisiert werden kann, beim Haushalt des
Außenministers wirklich nicht. Sie könnten ihm zustimmen. Das wäre ein Aufschlag, der durch die Presse
gehen würde. Nicht nur Herr Oppermann, sondern auch
Sie wären dann in der Zeitung.
({3})
Das wäre doch einmal etwas. Das würde ich Ihnen gönnen.
({4})
Herr Dehm, Jean-Claude Juncker wird nicht automatisch Präsident der Kommission.
({5})
Auch bei der Linken kommt die Weisheit nicht automatisch. Hier bedarf es einer gewissen Prozedur.
({6})
Wir verabschieden heute den Haushalt des Bundesaußenministers, einen Bikinihaushalt, könnte man sagen,
kurz und knapp, Herr Steinmeier.
({7})
Aber er umfasst doch das Wesentliche, und er erregt
Aufmerksamkeit. Das sind die Attribute, die man dem
Haushalt wie auch einem guten Bikini zuerkennen
möchte.
Herr Außenminister, Sie haben vor kurzem in einer
Rede und auch in dem Gespräch mit den Berichterstattern gesagt: Es hat den Anschein - so haben Sie sich ausgedrückt -, als habe Außenpolitik wieder Konjunktur. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht und überlegt:
Was hat er denn damit gemeint? In der Tat, es ist schon
so, dass sich in den letzten 25 Jahren zum Beispiel viele
außenpolitische Probleme, die Europa jahrelang und
jahrzehntelang im Griff gehabt haben, gelöst haben und
außenpolitische Themen verschwunden sind.
Es hat sich vieles zum Guten gewendet. Wenn ich nur
an Folgendes denke: die Aussöhnung mit Frankreich, die
Wiedervereinigung Deutschlands, Deutschland als geachteter Partner in der Welt, der Niedergang des Warschauer Pakts als bedrohliches militärisches Bündnis.
All das hat sich in der Tat hervorragend in unserer Gegenwart entwickelt. Es ist schon so, dass es in der Außenpolitik nicht alle acht Tage Ausschläge wie AmplituAlois Karl
den geben kann und spektakuläre Aktionen stattfinden
können. Es ist vielmehr eine kontinuierliche und ruhige
Arbeit, die von uns Außenpolitikern und von Ihnen, Herr
Steinmeier, an erster Stelle gemacht wird. Das Spektakuläre an der deutschen Außenpolitik ist, glaube ich, die
Berechenbarkeit, die Verlässlichkeit und die Unaufgeregtheit, mit der wir uns unseren Aufgaben stellen. In der
Tat, Probleme sind immer da, und sie werden nie zur
Gänze gelöst werden. Das sieht man in Osteuropa, im
Nahen Osten, im Mittelmeerraum usw.
Die Ereignisse vor 25 Jahren haben einem großen Bedrohungspotenzial in Europa ein Ende bereitet. Viele
Bedrohungsszenarien haben sich verflüchtigt, aber dennoch: Die Welt ist nicht friedlicher geworden. Jeden Tag
kann auch über uns wieder Unfriede hereinbrechen. Ich
nenne als Beispiel für eine Gefahr den islamistischen
Terrorismus. Sicher ist aber, dass wir mit unserer Außenpolitik Beiträge leisten können, um Frieden und Freiheit
und der Achtung der Menschenrechte in Europa und
weltweit Geltung zu verschaffen.
Wir meinen, dass wir auf einem richtigen Weg sind.
Würden wir Generationen vor uns befragen, so würden
sie sagen, dass sie die heutige Situation in Deutschland
für sich herbeigesehnt hätten, dass diese Situation geradezu ihre Idealvorstellung gewesen wäre. Wenn wir die
Generation von vor 100 Jahren, 1914, befragen würden,
die den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebt hat, mit
20 Millionen Toten am Schluss, dann würde sie in der
gleichen Weise antworten wie jene Generation, die vor
75 Jahren gelebt und den Beginn des Zweiten Weltkriegs
erlebt hat, am Ende mit 60 Millionen Toten, 20 Millionen davon Russen,
({8})
6 Millionen Deutsche und 6 Millionen ermordete Juden.
Sie würden in der jetzigen Situation möglicherweise
dankbar sein, möglicherweise dankbarer als manche von
uns, die das als völlig selbstverständlich hinnehmen. Das
ist die Gefahr, in der wir leben, nämlich dass wir vieles
oder gar alles als selbstverständlich hinnehmen.
Wir haben erleben können, dass die beiden deutschen
Staaten heute wiedervereinigt sind, dass wir von keinem
einzigen äußeren Feind mehr umgeben sind, dass wir
seit 1945 fast 70 Jahre Frieden haben. Das ist es, was unsere aktive Außenpolitik auch in der Zukunft betreiben
wird. Wir werden von uns aus in Europa, aber auch in
anderen Erdteilen dazu beizutragen, Frieden und Freiheit
zu gewährleisten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, all das ist
natürlich haushaltsmäßig auszustatten. Frau Barnett hat
darüber kurz gesprochen. Es ist, glaube ich - Frau
Barnett, ich spreche in Ihrem Namen und auch im Namen der anderen Kollegen -, durchaus eine schöne Aufgabe, wenn man an dem Schnittpunkt von Haushaltspolitik und Außenpolitik arbeiten kann und wenn man
weiß, dass unser Geld gut angelegt ist.
Wir sind im westlichen Bündnis fest verankert. Eine
der Konstanten unserer Außenpolitik ist, dass wir fest
auf der Seite des Westens stehen, dass wir uns bemühen,
in anderen Ländern als verlässlicher Partner aufzutreten.
Diese Konstanten sind allerdings nicht überall Allgemeingut. Ich zitiere eine Umfrage zum Ukraine-Konflikt: 45 Prozent der Befragten haben gesagt, wir sollten,
fest im Westen stehend, diesen Konflikt zu lösen versuchen. 49 Prozent, also mehr, haben gesagt, wir sollten
uns heraushalten, uns also möglichst nicht einmischen.
- Die Maxime der deutschen Außenpolitik ist das nicht.
Wir können uns in der Tat nicht heraushalten. Wir müssen schon aktiv Außenpolitik betreiben, und wir müssen
auch Farbe bekennen.
Wenn der Bundespräsident, wenn die Bundeskanzlerin, wenn die Verteidigungsministerin und wenn Sie,
sehr geehrter Herr Außenminister, betont haben, dass
wir mehr Verantwortung in der Welt als bisher übernehmen müssen, dann ist das, meine ich, richtig. Unsere
Verpflichtung ist es - erwachsend aus der Situation heraus, dass wir in den letzten 25 Jahren in Deutschland
Hervorragendes schaffen konnten -, allen anderen dabei
zu helfen, dass auch ihnen der Friede, die Freiheit und
die Achtung der Menschenrechte zugutekommen.
Mit Kriegseinsatz hat das natürlich nichts zu tun. Herr
Dehm, nachdem Ihr junger Kollege aus Brandenburg
diese dummen Sätze gesprochen hat, wäre es gut gewesen, wenn Sie oder heute früh Ihr Fraktionsvorsitzender
Gysi dazu eine ganz deutliche Stellungnahme abgegeben
hätten. Das ist nicht geschehen. Es wäre gut, wenn Sie
mehr sagen würden, als Gysi es getan hat, indem er gesagt hat, dass er hier nicht für jeden Genossen und für
jede Äußerung geradestehen kann. Es war eine ganz
dumme und ganz unkluge Bemerkung, den Bundespräsidenten quasi einen Kriegstreiber zu nennen.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dem Recht
des Stärkeren können wir in der Tat nicht das Wort reden. Wir haben unsere Aufgaben, auch in der Ukraine;
das ist angesprochen worden. Herr Steinmeier, Sie waren
da, und Sie haben zusammen mit Fabius und Sikorski,
dem polnischen Außenminister, viele Gespräche geführt.
Ich glaube, Sie haben die Dinge vorangebracht. Es war
leider ein Mitglied Ihrer Partei, das gesagt hat, es sehe
zurzeit keinen, der die Initiative ergreife und der die
Dinge in der Ukraine vorwärtsbringen könnte. „Doch!“,
würde ich dem früheren Bundeskanzler - er kommt
dummerweise aus Ihrer Partei - entgegenhalten. Ich
würde ihm sagen: Steinmeier macht doch etwas.
Steinmeier ist jemand, der die Initiative ergriffen hat. Sie haben dazu beigetragen, dass sich die OSZE an der
Konfliktlösung beteiligt, dass der Botschafter Ischinger
seinen Beitrag dazu leistet und dass Wahlen in der
Ukraine stattfinden konnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
auf einen anderen Punkt eingehen - von der Ukraine
nicht so weit weg -: auf das Baltikum. Herr Steinmeier,
Sie waren vor wenigen Wochen da, weil das Baltikum
heuer ein Jubiläum feiert. Auch da sind die Menschen,
etwa 2 Millionen, vor 25 Jahren aufgestanden und haben
den sogenannten baltischen Weg begründet, als Zeichen
nach außen, dass sie sich von der Herrschaft der Sowjetunion loslösen wollen. Das war einer der Marksteine neben dem Durchschneiden des Eisernen Vorhanges durch
den österreichischen Außenminister Alois Mock und den
ungarischen Außenminister Gyula Horn in Sopron, womit man nach außen deutlich gezeigt hat, dass die Proletarier der Welt ihre Ketten abwerfen. Allerdings hat Karl
Marx das anders gemeint: Er hat die Ketten des Kapitalismus gemeint. In Osteuropa hat man aber die Ketten
des Kommunismus und des Sozialismus abgeworfen. Im
Baltikum erleben wir seit 25 Jahren hervorragende Entwicklungen. Die Balten sind Ihnen, Herr Steinmeier, und
uns insgesamt dankbar, dass wir in dieser Weise zu ihnen
stehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Konflikte
gibt es mehrfach: im Nahen Osten, im Mittelmeerraum
und an anderen Orten. Wir haben vor wenigen Jahren
den Arabischen Frühling erlebt und reiben uns heute mit
Erstaunen die Augen, wenn wir sehen, dass es geradezu
eine Trendumkehr gibt: In Ägypten folgt dem autokratischen System Mubarak und dem autokratischen System
der Muslimbrüder möglicherweise ein weiteres autokratisches System unter der Herrschaft von al-Sisi. Trotzdem wollen wir dort Transformationspartnerschaften begründen. Dafür geben wir 39 Millionen Euro aus.
Weitere 20 Millionen Euro fließen in Wissenschaftspartnerschaften.
Wir verfolgen mit großem Entsetzen die Situation in
Syrien. Es sind 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge, 1 Million Flüchtlinge im kleinen Libanon, 600 000 Flüchtlinge in Jordanien und 600 000 Flüchtlinge in der Türkei. Wir haben in unserem Haushalt mehr als 300
Millionen Euro dafür eingestellt, um hier humanitäre
Hilfe zu leisten. Wir wissen, dass wir da außer- oder
überplanmäßig noch etwas tun müssen.
Die Initiative von Bundesminister Gerd Müller,
1 Milliarde Euro zusätzlich aufzubringen, finde ich sehr
bedenkenswert; allerdings ist das natürlich eine Aufgabe
der Gebergemeinschaft der Welt.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,
uns fehlt ab und zu der finanzielle Spielraum, weil unsere Haushalte schon determiniert sind durch dauerhafte
Ausgaben, zum Beispiel durch Zahlungen an die Vereinten Nationen und deren Unterorganisationen.
Lieber Herr Bundesaußenminister, wir beteiligen uns
augenblicklich an 15 Friedensmissionen - über Jahre bei
den einen und über Jahrzehnte bei den anderen. Zu ihrem Beginn war es sicherlich richtig, dass wir uns beteiligt haben. Heute, meine ich manchmal, muss man kritisch nachfragen, ob alles noch seine Richtigkeit hat, ob
nicht auch einmal etwas beendet werden kann.
Bei der UNRWA ist das das Gleiche. Das ist eine Unterorganisation, die seit 65 Jahren humanitäre Hilfe in
Palästina leistet.
({11})
Da muss ich fragen, ob das die nächsten 65 Jahre so weitergehen kann.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin am Ende, liebe Frau Präsidentin, und komme
zu meinem letzten Schachtelsatz, wenn Sie nichts dagegen haben.
({0})
Das hängt von Ihren Kollegen ab. Die müssen für den
Schachtelsatz sozusagen bezahlen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind in
einer Zeit, wo wir den Haushalt konsolidieren wollen.
Wir möchten im Herbst dieses Jahres einen Haushalt
vorlegen, der eine Neuverschuldung von null hat. Das
wird eine große Leistung sein - 45 Jahre nachdem zuletzt Franz Josef Strauß einen Haushalt mit Nullverschuldung vorgelegt hat.
Der Gesamthaushalt sinkt um 4,4 Prozent, der Haushalt des Bundesaußenministers steigt um 4,4 Prozent.
Das ist eine gewisse Reverenz an die Arbeit der Mitarbeiter dort, an unsere Außenpolitik und an Sie persönlich, lieber Herr Steinmeier. Wir stimmen dem Haushalt
zu und bitten die anderen Fraktionen, uns das gleichzutun.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Danke, Herr Kollege. - Erst einmal schönen guten
Abend von meiner Seite aus!
Jetzt hat das Wort Außenminister Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Lieber Alois Karl, ganz herzlichen Dank Ihnen und
den Berichterstattern für die offenen und freundlichen
Beratungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten
hatten. Danke auch für die humorvolle Eröffnung Ihres
Beitrags eben. Ich kenne mich bei Bikinis überhaupt
nicht aus, aber Sie haben ja mitgeteilt, dass das eine eher
knappe Ausführung sei.
Es kommt auf die Figur an.
Das kann ich noch weniger beurteilen. - Aber die Eröffnung lässt einen hoffnungsfroh zurück; denn wenn
das der Bikini-Haushalt ist, dann hoffe ich doch darauf
- wir stehen vor den Beratungen für den Haushalt
2015 -, dass die wärmenden Wollhosen für den nächsten
Winter bald nachgeliefert werden, lieber Herr Karl.
({0})
Herzlichen Dank Ihnen allen! Ich danke Ihnen auch
dafür, dass wir den Einzelplan 05 hier trotz Fußballweltmeisterschaft beraten können - zwischen zwei Übertragungen im deutschen Fernsehen.
({1})
Ich freue mich darüber, dass der Haushalt erstens Interesse findet und dass hier zweitens ernsthaft über Außenpolitik diskutiert wird. Viele haben im Augenblick nur
Brasilien und Fußball im Kopf, und Fußball hat wenig
mit Außenpolitik zu tun - das gebe ich gerne zu -, wenngleich es doch Bezüge gibt.
Im Fußball kann immerhin gestritten werden. Es kann
zum Beispiel darüber gestritten werden, ob der Elfmeter
für Griechenland gestern Abend berechtigt war oder
nicht.
({2})
Es kann darüber gestritten werden, ob der Biss ins
Schulterblatt noch regelkonform ist. Aber warum kann
darüber gestritten werden, und warum hat das am Ende
etwas mit unserem Thema zu tun? Es kann darüber gestritten werden, weil dort Regeln bestehen, weil Spielregeln bestehen, weil das Spielregeln sind, die im Prinzip
anerkannt sind, und weil es eine unabhängige Institution
gibt, die durch einen Pfiff entscheiden kann, was gilt und
was nicht gilt.
Das alles fehlt, meine Damen und Herren, in einem
größer werdenden Teil der internationalen Beziehungen,
wobei schon das Wort „Beziehungen“ mit Blick auf die
Entwicklung im Mittleren Osten fast ein Euphemismus
ist. Wir erleben, wie staatliche Strukturen in Syrien und
im Irak gegenwärtig zerfallen. Auch dort, wo im sunnitisch-schiitischen Ringen um die Vorherrschaft in der islamischen Welt das tägliche Blutvergießen kein Ende
nimmt, auch dort, wo zwischen Bagdad und dem Mittelmeer ein riesiger gesetzloser, herrschaftsloser Raum zu
entstehen droht, der zum Tummelplatz von Söldnern,
Terroristen und kriminellen Clans werden könnte, auch
dort, wo es kein Schwarz-Weiß gibt und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse immer schwerfällt, haben
wir in einem gewissen Maß Verantwortung.
Die Verantwortung beginnt damit, dass wir überprüfen, ob die alte Philosophie „Der Feind des Feindes ist
unser Freund“ noch gültig sein darf. Mit dieser Philosophie sind in Syrien Monster gezüchtet worden, Gruppen,
die im Kampf gegen Assad begonnen haben, die moderate Opposition zu vernichten und Herrschaftsansprüche
mit rücksichtsloser Brutalität auch außerhalb Syriens zu
verfolgen. Der Feind des Feindes ist nicht schon deshalb
unser Freund. Das sollte die Lehre aus diesem Konflikt
sein.
({3})
Das Vordringen der ISIS-Gruppen mit dieser Geschwindigkeit, das wir dort erleben - einige haben es
hier zum Ausdruck gebracht -, ist für viele eine Überraschung gewesen. Wir alle haben das in den letzten Tagen
am Fernsehen verfolgt. Ich selbst war in der Türkei und
habe mir die Bedrohungslage in der Nachbarschaft angesehen. Ich habe mit den Kurden im Nordirak gesprochen. Wir müssen uns einfach bewusst sein: So schlimm
die Sache ist, Hilfe von außen ist im Augenblick nur
ganz schwer möglich. Ich glaube, dass wir zu den Menschen einfach ehrlich sein müssen. Die Lösung muss im
Augenblick eher von innen, aus dem Irak selbst, kommen.
Ich habe heute die Äußerungen von Maliki mit einiger Sorge gehört. Ich glaube, es wird überhaupt nur dann
Chancen für eine politische Lösung im Irak geben, wenn
die politische Elite im Irak bereit ist, eine Regierung zu
formen, in der alle Religionen und alle Regionen tatsächlich integriert sind. Nur dann wird es gelingen, die
augenblickliche Verbindung zwischen ISIS und den vielen Enttäuschten, vor allen Dingen aus dem sunnitischen
Lager, wieder aufzubrechen. Nur dann wird dem Vormarsch von ISIS tatsächlich die Basis entzogen werden
können. Das wird aber nicht reichen. Wir müssen versuchen - wir sind dabei -, den Nachbarstaaten deutlich zu
machen, dass keiner, aber auch wirklich keiner ein Interesse am Zerfall der staatlichen Integrität des Irak hat. Es
würde im Zweifel alles noch schlimmer machen in dieser Region des Mittleren Ostens.
Ja, wir müssen auch realisieren, dass ohne den Nachbarstaat Iran am Ende nichts zu erreichen sein wird.
Auch mit diesem Tabu müssen wir brechen. Deshalb:
Wir müssen im Augenblick - wo wir im Irak nicht über
den notwendigen Einfluss verfügen, um die richtigen
Dinge auf den Weg zu bringen; jedenfalls ist das meine
Auffassung - von unserer Seite helfen, die Explosivkraft
dieses Konflikts, die ungeheuer ist, vor allen Dingen mit
Blick auf die Nachbarregionen zu entschärfen.
Viele haben hier gesagt: Das Flüchtlingsdrama ist ein
Flüchtlingsdrama wegen der Vielzahl der Flüchtlinge.
Davon ist nichts zurückzunehmen. Aber es ist eben auch
eine Gefährdung für fragile Nachbarstaaten wie den Libanon oder etwa Jordanien. 1,4 Millionen Flüchtlinge allein in Jordanien! Würden alle syrischen Flüchtlinge ihre
Kinder in die libanesischen Schulen schicken, wären
jetzt mehr syrische als libanesische Kinder in den Schulen. Damit wäre das Schulsystem überfordert. Faktisch
ist es natürlich so, dass die meisten ihre Kinder gar nicht
in die Schule schicken. Das führt dazu, dass jetzt im Libanon eine Generation Kinder von syrischen Flüchtlingsfamilien ohne jeden Kontakt mit Bildung aufwächst. Es ist
deshalb gut - das sage ich ganz ausdrücklich, auch mit
Blick auf die Länder -, dass der Bundesinnenminister
gemeinsam mit den Landesinnenministern beschlossen
hat, mehr Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Es ist
gut, dass Bundesminister Müller 50 Millionen Euro zusätzlich für Flüchtlinge einsetzen wird.
Ich bin dennoch davon überzeugt, dass wir mehr tun
müssen. Wir müssen in dem vergleichsweise wohlhabenden Europa mehr tun, um das Leid vor Ort zu verringern.
Das muss sich bei uns in der Haushaltsplanung widerspiegeln. Das tut es in gewissem Umfang auch. Aber es betrifft
nicht nur uns, sondern auch die europäischen Partnerstaaten. Ich habe gerade die europäischen Partnerstaaten in einem gemeinsamen Brief mit Herrn de Maizière ermuntert,
dasselbe zu tun wie wir, nämlich Flüchtlingskontingente in
einer bestimmten Größenordnung aufzunehmen. Ich
weiß: 30 000 oder 40 000 Flüchtlinge sind gegenüber
den 1,4 Millionen Flüchtlingen, die Libanon bereits aufgenommen hat, wenig. Aber wenn 28 europäische Staaten das Gleiche täten, dann ließe sich die Not in der Region wenigstens signifikant verringern. Dazu müssen
wir bereit sein.
({4})
Ich bin gestern aus Kiew zurückgekommen. Ich bin
ein weiteres Mal in der Region gewesen, weil ich finde,
dass wir jetzt in einer historischen und entscheidenden
Phase sind. Ich glaube, nur wer sich wirklich mit dem
Konflikt auseinandersetzt und die Strukturen betrachtet,
der weiß, wie das Verhalten des neugewählten Präsidenten Poroschenko in einer Situation einzuschätzen ist, in
der die Mehrheit der Bevölkerung etwas anderes will als
einen Friedensplan. Die Mehrheit der Bevölkerung
wünscht eine aktive Bekämpfung der Separatisten im
Osten. Wer sich ein bisschen in diesen Konflikt hineinkniet, der kann vielleicht nachspüren, was für ein Mut
dazugehört, als neugewählter Präsident in einer solchen
Situation nicht die Alternative einer aktiven polizeilichen und militärischen Bekämpfung zu wählen, sondern
einen Friedensplan vorzulegen, der ein Angebot an diejenigen ist, zu denen das Vertrauen im Augenblick völlig
zerbrochen ist.
Deshalb, lieber Herr Dehm, finde ich das, was Sie
hier am Mikrofon veranstaltet haben, so infam.
({5})
Denn niemand von uns hat in der Vergangenheit irgendetwas verschwiegen.
({6})
Niemand von uns hat gesagt, dass es auf dem Maidan
keinen rechten Sektor gab. Niemand von uns hat behauptet, dass eine umfängliche Aufklärung aller Verbrechen stattgefunden hat.
({7})
Niemand von uns hat das behauptet. Nur Sie machen es
sich, verdammt noch mal, viel zu einfach,
({8})
indem Sie die gesamte politische Führung in der Ukraine
zu Faschisten erklären.
Ich will Ihnen nichts von Ihren Meinungen nehmen.
Machen Sie weiter so. Sie werden dafür keine Zustimmung finden, weder im Deutschen Bundestag noch in
der Öffentlichkeit. Nur ein Satz, den Sie vielleicht bedenken sollten: Warum werden eigentlich die Separatisten von den Faschisten in ganz Europa unterstützt, von
der Front National über Geert Wilders und deutsche
Neofaschisten bis hin zu italienischen Neofaschisten?
({9})
Wenn Sie den Eindruck haben, dass es dort Faschismus
gibt, dann müssen Sie doch thematisieren, warum es gerade die Faschisten in ganz Europa sind, die gegen diese
ukrainische Regierung kämpfen.
({10})
So wird doch ein Zusammenhang daraus. Insofern sage
ich: Das, was Sie hier tun, ist eine Verzweiflungstat, weil
Sie schlicht und einfach keine Haltung zu einer UkraineKrise finden,
({11})
die in der Tat ein bisschen komplexer und schwieriger zu
verstehen ist, als Sie hier tun.
({12})
Wir haben gestern in Kiew ein langes Gespräch mit
dem Präsidenten Poroschenko gehabt. Ich muss Ihnen
ganz offen sagen: Ich habe Kiew verlassen, bin zum
Flughafen gefahren und habe gedacht, dass wir zwar
nicht den Durchbruch geschafft haben, aber ein Stück
weiter sind.
({13})
Ich habe wirklich gedacht, dass wir ein Stück weiter sind
und zur Entschärfung der Krise beitragen können,
({14})
weil mitten im Gespräch mit Poroschenko die Nachricht
hereingekommen war, dass Präsident Putin bereit ist, auf
die vom Föderationsrat erteilte Interventionsvollmacht
zu verzichten. Das erschien wie eine wirkliche Entspannung der Situation, weil es ein erstes Signal war, dass
wir die Talsohle vielleicht durchschritten haben könnten.
Mit diesem Eindruck bin ich gestartet. Als ich gestern
Nachmittag in Brüssel landete, erfuhr ich von dem Abschuss des Hubschraubers, bei dem es neun Tote gab.
Das zeigt, wie fragil die gegenwärtige Lage ist. Es
zeigt mir aber auch, dass wir gar keine andere Möglichkeit haben, als zu versuchen, immer wieder anzusetzen
und nach Möglichkeiten zu suchen - ich bin immer noch
davon überzeugt, dass es geht -, tatsächlich eine Entschärfung der Krise zu erreichen.
Ich will mich ganz herzlich auch dafür bedanken, dass
die Ausstattung der Auswärtigen Kulturpolitik mit diesem Haushalt deutlich besser geworden ist. Ich freue
mich darüber, dass Jungs und Mädchen aus aller Welt in
der Lage sein werden, unsere verdammt schwere Sprache zu lernen, vielleicht auf deutsche Schulen zu gehen,
hoffentlich deutsche Stipendien zu erhalten.
Ich will ebenfalls mit einem persönlichen Wort schließen; das liegt mir am Herzen. Mein Amtsvorgänger und
langjähriger Kollege Guido Westerwelle ist, wie Sie wissen, schwer erkrankt. Im Namen der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Auswärtigen Amts und mit Sicherheit auch in Ihrem Namen möchte ich sagen: Wir wünschen Guido Westerwelle alle Kraft, die erforderlich ist,
für den Kampf gegen die Krankheit und für eine vollständige Genesung.
Vielen Dank.
({15})
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. Der Bundestag schließt sich diesen Wünschen von Herzen an.
Nächster Redner in der Debatte: Michael Leutert für
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich will in der Kürze der Zeit versuchen,
auf einen Punkt einzugehen. In unserem Berichterstattergespräch haben Sie in einem sehr nachdenklichen Beitrag Ihre Einschätzung darüber gegeben, wie es derzeit
in der Welt aussieht. Ich fand es schon sehr bedrückend,
was Sie erzählt haben. Man kann den Eindruck bekommen, dass derzeit vieles um uns herum zusammenbricht;
das wurde schon angesprochen. Ob das die Ukraine ist
- die gerade Thema war -, ob das Irak, Syrien oder der
ganze Nahe Osten ist, ob in Afrika, zum Beispiel in der
Zentralafrikanische Republik: Überall gibt es Probleme.
Die Bundeswehr ist derzeit an 18 internationalen Einsätzen beteiligt. Weltweit gibt es 17 Friedensmissionen der
UN.
Man denkt immer, das alles ist sehr weit weg, aber
dem ist nicht so. Die am weitesten entfernten Krisenherde liegen 5 000 Kilometer von hier, das sind zehn
Flugstunden. Wenn man die Situation auf der Karte betrachtet, sieht man, dass es in Fernasien und auf dem
ganzen amerikanischen Kontinent keinen einzigen Einsatz gibt.
Die Einsätze finden in den Krisenherden um uns herum statt: Afrika, Mittlerer und Naher Osten, aber auch
in Europa, und das wird immer wieder vergessen. Allein
in Europa gibt es sechs Einsätze: einen im Kosovo, zwei
im Mittelmeer, einen in der Türkei, einen auf Zypern
- er hat dieses Jahr im Übrigen 50-jähriges Jubiläum und einen in der Ukraine. Das bedeutet, die Probleme
finden nicht irgendwo da draußen statt, sondern sie sind
nicht fern von hier.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Die Probleme können nicht militärisch
gelöst werden, aber sie müssen gelöst werden. Wenn ich
mir die Debatten der letzten Wochen und Monate hier in
Deutschland anschaue, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob wir in der Lage sind, dazu beizutragen, diese
Konflikte zu lösen.
Es gibt viele, die meinen, Deutschland müsse sich international mehr engagieren, auch militärisch. Viele sind
der Meinung, das müsse nicht nur Deutschland tun, sondern eigentlich Europa. Allerdings befindet sich die Europäische Union derzeit in einem Zustand, angesichts
dessen man bezweifeln mag, ob sie dazu in der Lage ist:
Finanz- und Schuldenkrise, ökonomische Probleme und
soziale Verwerfungen und meines Erachtens auch ganz
klar politische Probleme. Dies wird am Postengeschacher nach der Wahl zum Europäischen Parlament
deutlich, bei dem es darum geht, ob nun der eine Kommissionspräsident wird und der andere dafür Parlamentspräsident.
({0})
Das ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler,
so als hätten wir überhaupt keine Wahlen gehabt.
({1})
Wir brauchen in Europa - und darum geht es mir klare, transparente, verlässliche und demokratische
Strukturen, auf die sich die Menschen verlassen können.
Wir brauchen Strukturen und Regeln - über Regeln hat
der Außenminister gerade gesprochen -, denen die Menschen in Europa auch wieder vertrauen. Das geht nur,
wenn wir endlich dafür sorgen, dass die EU eine Verfassung bekommt, die auch dem Europäischen Parlament
die notwendigen Rechte zuschreibt, und die Kommission
({2})
vom Parlament bestimmt wird, so wie es eine ganz normale demokratische Gepflogenheit ist. Egal was in der
Vergangenheit stattgefunden hat: Das ist die heutige
Faktenlage. Ich bin der Meinung, wir brauchen einen
Neustart für eine europäische Verfassung.
({3})
Diese Debatte zu führen und den Prozess zu begleiten, ist auch Aufgabe des Auswärtigen Amts. So steht
zum Beispiel im Vorwort des heute abzustimmenden
Etats: Das Auswärtige Amt dient dem Aufbau eines vereinten Europas. - Das spiegelt sich bei den Ausgaben
aber überhaupt nicht wider.
Zwei Titel im Etat des Auswärtigen Amts beschäftigen sich mit Europa. Der eine Titel lautet „Förderung
des europäischen Gedankens“ und ist mit 800 000 Euro
ausgestattet, der andere Titel lautet „Intensivierung der
europäischen Integration“ und hat 2 Millionen Euro.
Mehr nicht. Insgesamt sind das 2,8 Millionen Euro. Vorhin wurde davon gesprochen, dass 3,6 Milliarden Euro
ein Bikinihaushalt sind. Was sind dann diese 2,8 Millionen Euro für die europäische Integration?
({4})
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, ich glaube, es ist ein Fehler, dass wir dafür
nicht mehr Geld bereitstellen. Wenn sich Europa nicht
schnell zu einer echten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Union weiterentwickelt, werden wir die
Konflikte in und um Europa nicht lösen können. Eine
Währungsunion allein reicht dafür nicht.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Ich bin davon überzeugt - das ist mein letzter Schachtelsatz -: Nur ein demokratisches, soziales, friedliches
und stabiles Europa wird die Kraft haben, die Krisen um
uns herum und die Krisen in Europa nachhaltig zu lösen.
Dazu sollten wir unseren Beitrag auch im Haushalt leisten.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. Der Schachtelsatz hielt
sich aber in Grenzen.
({0})
Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Leutert, zu Ihren Einschätzungen zur Europapolitik und zu den Aktivitäten des Auswärtigen Amts
möchte ich nur so viel sagen: Die Bundesregierung bemüht sich, beispielsweise den Europäischen Auswärtigen Dienst weiter zu stärken und damit der europäischen
Außenpolitik ein Gesicht zu geben. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag beteiligen sich aktiv
an den Bemühungen, die gemeinsame Wirtschafts- und
Währungsunion weiter aufrechtzuerhalten.
Ich glaube, die Euro-Krise bzw. die Verschuldungskrise in Europa hat gezeigt, dass gerade die Bundesrepublik Deutschland zu Europa steht und mit großen Beträgen dafür einsteht. Gradmesser der Europapolitik ist
nicht, wie viele Broschüren zur Europapolitik man
druckt, sondern ob man bereit ist, in allen Feldern der
Politik Vergemeinschaftungen voranzutreiben, und ob
man bereit ist, demokratische Kontrolle zu gewähren,
was wir im Deutschen Bundestag tun. Ich glaube, die
Zahl, die Sie genannt haben, stimmt nicht ganz.
Als die Amerikaner ihre Idee, den Fokus ihrer Außenpolitik vornehmlich auf Asien zu richten, präsentiert haben, haben sie sich wahrscheinlich nicht träumen lassen,
dass dieses Vorhaben - Pivot to Asia - so schnell und so
rasant gestoppt würde. Der Arabische Frühling ist nur
ein Grund, warum man mit dieser geplanten Neuprogrammierung der amerikanischen Außenpolitik strandete. Auch wir haben, als wir unsere Schwerpunktsetzung vornahmen, sicherlich mit vielen Krisen auf der
Welt gerechnet, aber vor zwölf Monaten hätte kaum jemand prognostiziert, dass wir uns heute so intensiv mit
der Ukraine beschäftigen müssen. Vor sechs Monaten
hätte kaum jemand prognostiziert, dass wir bezüglich
des Irak heute nicht über die Förderung staatlicher Strukturen reden, sondern über die Gefahr der Errichtung eines Gottesstaates diskutieren müssen.
Das sind die Fragen, mit denen sich Außenpolitik beschäftigen muss. Deshalb gilt jetzt, da wir den Etat des
Auswärtigen Amts beraten, der Dank den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihren Dienst im Auswärtigen Amt und im Diplomatischen Korps leisten und
die daran beteiligt sind, dass wir als Friedensmacht
Deutschland Schwerpunkte setzen. Ich danke allen, die
für unser Land ihren Dienst tun, und insbesondere ihren
Familien, die häufig über Jahre Entbehrungen hinnehmen, um die Tätigkeit ihres Ehe- bzw. Lebenspartners zu
unterstützen. Deshalb gilt mein ganz herzlicher Dank all
denjenigen, die ihren Dienst für Deutschland an dieser
Stelle tun.
({0})
Die Expertise, die wir hier im Haus haben, die Parlamentarier sammeln, die aber auch die uns nahe stehenden Stiftungen und die all diejenigen sammeln, die in der
Außenpolitik Deutschlands aktiv sind, reicht bei weitem
nicht aus, um Ereignisse zu prognostizieren. Die wechselhaften Ereignisse im Rahmen des Arabischen Frühlings sind nur ein Beispiel dafür. Deshalb finde ich es
richtig - der Kollege Karl hat es angesprochen -, dass
wir in diesem Bereich weiterhin einen Schwerpunkt,
auch einen finanziellen Schwerpunkt setzen, um auf Ereignisse reagieren zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Situation in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist.
Deutschland stand der Intervention in Libyen sehr reserviert gegenüber. Sicherlich wäre es besser gewesen,
wenn man einen Plan für die Zeit nach Gaddafi gehabt
hätte. Gleiches gilt natürlich für die Intervention im Irak.
Deshalb ist es besonders wichtig, jetzt nicht so zu tun,
als hätte das alles nicht stattgefunden. Vielmehr müssen
wir die Länder, die sich im Transformationsprozess befinden oder in denen der Transformationsprozess vollkommen ins Stocken geraten ist, weiterhin besonders
unterstützen. Ich finde, die politischen Stiftungen, die
aus meiner Sicht eine hervorragende Expertise gesammelt haben und sehr gute Arbeit leisten, werden zu
Recht besonders unterstützt.
Was die wechselhaften Ereignisse in der arabischen
Welt angeht, möchte ich nur darauf verweisen, dass in
der vergangenen Woche der tunesische Premierminister
hier war. Trotz aller Schwierigkeiten, die in Ägypten
vorhanden sind, und trotz aller Herausforderungen, die
wir in Libyen sehen, sollte nicht vergessen werden, dass
Tunesien gerade einen sehr großen Fortschritt macht.
Das sollten wir an dieser Stelle erwähnen. Wir sollten
auch dort genau hinschauen, wo es gut läuft. Das will
unsere Fraktion auch tun.
({1})
Was den Irak angeht, möchte ich an das anknüpfen,
was gerade gesagt worden ist. Ich begrüße es ausdrücklich, dass unser Außenminister, der im Moment wichtige
Telefonate führt, mit den Kurden gesprochen hat. Die
schlechte Nachricht, die heute aus Bagdad kam, möchte
ich sehr stark kritisieren. Maliki weigert sich, eine Einheitsregierung zu bilden. Ich halte es für einen sehr großen Fehler, die Sunniten systematisch von der Macht
fernzuhalten und die Kurden systematisch an den Rand
zu drängen. Ich glaube, das wird nicht zur Stabilisierung
des Landes beitragen, ganz im Gegenteil.
({2})
Zur Genese dieses Konfliktes muss aktuell gesagt
werden: Wir sollten uns vielleicht um die Länder, in denen wir nicht besonders stark diplomatisch und auch
nicht durch Militär vertreten sind, intensiver kümmern.
Das gilt insbesondere für den Irak. Unsere Fraktion
kümmert sich, was die humanitäre Hilfe angeht, um die
Binnenflüchtlinge. Es gibt also nicht nur das Engagement von Volker Kauder, der sich vor allem für die
Christen in aller Welt einsetzt. Innerhalb des Irak gibt es
2,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Es gibt sowohl aus Syrien als auch aus dem Süden des Irak einen Riesenandrang auf Kurdistan. Das zeigt doch, dass dieses Land
eventuell vor einer weitaus größeren humanitären Katastrophe steht, als uns die momentanen Kämpfe um einige Ölhochburgen erahnen lassen.
Wenn heute überlegt wird, was wir konkret tun können und wo Deutschland mehr Verantwortung zeigen
kann, kann man nicht von einer Militarisierung der Außenpolitik sprechen, sondern ich glaube, dass wir den
humanitären Beitrag ganz klar in den Mittelpunkt unserer Außenpolitik stellen. Das tun wir auch mit diesem
Bundeshaushalt und mit dem, was wir im Etat von Herrn
Müller - und zwar jedes Jahr - mobilisieren.
({3})
Was die Situation in Kurdistan und im Irak insgesamt
angeht, ist es, glaube ich, schon vonnöten, dass sich
Deutschland stärker einbringt. Das gilt auch gerade für
eines der wichtigsten außenpolitischen Ziele, das wir
verfolgen, nämlich für das Existenzrecht des jüdischen
Staates Israel aktiv einzutreten.
Gerade das, was sich im Unruheherd Mittlerer Osten
tut, zeigt uns doch eigentlich, dass von einer Verschiebung des Schwerpunktes unserer Außenpolitik nach
Asien überhaupt keine Rede sein kann. Ganz im Gegenteil: Wir werden in Zukunft wahrscheinlich genauso viel
Aufmerksamkeit wie in der Vergangenheit - wenn nicht
sogar mehr - in die Regionen Nordafrika und Mittlerer
Osten investieren müssen. Das wird viele Ressourcen
binden, die uns eventuell an anderer Stelle fehlen werden.
In den letzten Wochen ist häufig gesagt worden, dass
sich die europäische Außenpolitik immer nur um einen
großen Konflikt kümmern kann. Das bereitet mir natürlich große Sorgen. Ich frage mich: Was sind unsere Kapazitäten? Wie können wir sie am effizientesten einsetzen? Ich glaube, dass in dieser Hinsicht der Haushalt
gelungen ist.
Herr Minister, auch die unter Ihrem Vorgänger Guido
Westerwelle angestoßenen Organisationsreformen haben
das Auswärtige Amt fit gemacht, auf diese Herausforderungen reagieren zu können. Wir als Parlament wollen
das Auswärtige Amt dabei unterstützen.
Ich komme zum letzten Punkt. Das kleine Zaunkönigtum der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist gerade schon angesprochen worden. Auch ich freue mich
darüber, dass es gelungen ist, etwas mehr Geld zu mobilisieren. Es wäre schön, wenn wir es bis zum Herbst
schaffen würden, noch deutlich mehr Geld dafür auszugeben.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank, Philipp Mißfelder. - Nächster Redner
der Debatte ist Manuel Sarrazin für das Bündnis 90/Die
Grünen.
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, dass die Einschätzung, dass sich die Ukraine in
einer entscheidenden Phase befindet, sehr richtig ist. Ich
bin sehr froh darüber, dass Herr Steinmeier diesen Eindruck schon sehr früh zum Ausdruck gebracht hat und
dass offenkundig das notwendige Bewusstsein für die
Situation vorhanden ist.
Ich glaube, wir müssen uns vor dem Hintergrund der
hoffnungerweckenden Nachrichten vor Augen halten,
dass die Androhung von Sanktionen, intelligent vorgetragen, auf die Dauer doch eine gewisse Wirkung hat.
Diesen Moment müssen wir jetzt in zweierlei Hinsicht
nutzen. Herr Poroschenko muss auf dem Weg, den er
bisher gegangen ist, gestärkt werden. Da schließe ich
mich an das an, was Sie gesagt haben. Außerdem müssen wir, so gut es geht, mit der Androhung von Sanktionen den Kreml drängen, die Lage, was die Schließung
der Grenze angeht, auch von der russischen Seite aus zu
stabilisieren.
Die Kapazität der Europäischen Union, für Stabilität
in ihrer Nachbarschaft zu sorgen, wird entscheidend dafür sein, wie Europa in 5, 10 oder 15 Jahren aufgestellt
sein wird. Ich glaube, früher oder später wird der Zeitpunkt kommen, an dem man in der Europäischen Union
einen mutigeren Ansatz braucht und auch über Beitritte
aus diesem Teil der Nachbarschaft reden muss; denn
sonst wird man diese Stabilität nicht erreichen.
Die neue Legislaturperiode des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission ist auch eine
Chance für einen Neustart in Europa. Viele sagen zu
Recht: Im Rahmen der Krise sind Europa und der Euro
zumindest nicht zerbrochen. Aber weil die Krise nicht
überwunden ist, brauchen wir einen Neustart. Ich
glaube, wir müssen jetzt in der deutschen Europapolitik
den Mut finden, aus diesem Neustart heraus Impulse für
Europa zu geben.
Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen den
Fehler gemacht, in der Europapolitik eine Art Kick and
Rush aufzuführen. Wenn man das tut, dann scheidet man
- das hat man ja gesehen - relativ schnell aus.
({0})
Kick and Rush ist, dass man den Ball blind nach vorne
pölt und dann David Cameron sagt, er solle hinterherrennen in der Hoffnung, dass das schon klappen wird. So
ähnlich hat es in dem Fall Frau Merkel - nicht Herr
Steinmeier - gemacht. Sie hat in der Frage der Besetzung der Position des Kommissionspräsidenten monatelang Herrn Juncker schlechtgeredet, gegen ihn intrigiert
und bei Herrn Cameron den Eindruck erweckt: Am Ende
verhindern wir den Mann gemeinsam. - Jetzt zeigt sich,
dass sich beide verspekuliert haben.
({1})
- Sie können doch nicht bestreiten, dass England blamabel aus der Weltmeisterschaft ausgeschieden ist. Sie können mir auch nicht einreden, dass Frau Merkel nicht über
Monate hinweg versucht hat, Herrn Juncker erst in ihrer
Parteifamilie zu schwächen und als Kandidaten zu verhindern, und dann aus dem Kanzleramt klare Signale gesendet hat, man würde den Mann nicht wählen.
({2})
Wenn man sich anschaut, welche Auswirkungen diese
Situation in England haben wird, wie Herr Farage und
die Rechtspopulisten jetzt mit Freudengeschrei auf diese
Nachricht springen werden, wäre es klüger gewesen, einen anderen Stil in der Europapolitik zu wählen. Man
hätte den Engländern eine klare Ansage machen sollen,
dass man an den Geist der Verträge glaubt, statt Herrn
Cameron in sein Verderben laufen zu lassen und am
Ende so zu tun, als hätte man damit nichts zu tun gehabt.
Herr Außenminister, Sie sind auch der Europaminister. Wir Grüne werden Ihre Arbeit als Minister nicht nur
daran messen, wie Sie in internationalen Krisen handeln,
sondern wir wollen auch, dass Sie einen Neustart in der
Europapolitik beginnen und mit Ihrem Amt mehr Impulse in der Europapolitik setzen, als es in der letzten
Legislaturperiode der Fall war. Wir wollen, dass Sie das
Kanzleramt in Fragen der Zukunft der Europäischen
Union und der europäischen Demokratie sowie in Fragen von Wachstum, aber auch Erweiterung herausfordern.
Wir möchten, dass Deutschland wieder zu einem Motor der europäischen Politik wird, und zwar nicht in der
Systematik, wie sie in den letzten Jahren vorgeherrscht
hat. Da hat man versucht, europäische Institutionen zu
schwächen, gegen die gemeinsamen europäischen Ansätze zu arbeiten und mit der berühmten intergouvernementalen Unionsmethode Nebenschienen aufzubauen.
Wir glauben, dass es Ihre Aufgabe ist, dort Paroli zu bieten. Wir als Opposition werden Sie immer unterstützen,
wenn Sie an diesen Stellen so handeln, und wenn Sie
nicht genug liefern, werden wir Sie kritisieren und zu
mehr Anstrengungen anhalten.
({3})
Im großen Konflikt der kommenden Jahre wird es darum gehen, dass wir unterschiedliche Wertemodelle haben; diese stehen auch gerade in einer Art kompetitivem
Wettbewerb. Wenn wir in unsere Nachbarschaft schauen,
sehen wir, dass es um Demokratie gegenüber Autokratie
geht. Es geht um die Rechte eines jeden Individuums gegenüber einer Rekreation von Volkskörpern, die angeblich mehr wert seien. Es geht auch um politischen Pluralismus gegenüber einer eindeutigen ideologischen
Meinung, der sich ganze Völker unterordnen sollen.
Wir glauben, dass Europa nur dann Stärke und Attraktivität haben wird, wenn wir uns trauen, zu unserem Modell zu stehen und mit Überzeugung dafür einzustehen.
Wir brauchen eine klare Ansage, dass wir von Europa
überzeugt sind. Das gilt im Europäischen Rat, wenn es
um Herrn Juncker und um die Agenda für die Kommission geht. Das gilt gegenüber Herrn Putin und gegenüber
der AfD.
Vielen Dank.
({4})
Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner in der Debatte Nobert Spinrath für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Vor fünf Wochen haben wir bei der Wahl zum Europäischen Parlament eine
deutliche Zäsur erlebt. Der Anteil radikaler, europaskeptischer oder populistischer Parteien beträgt rund 20 ProNorbert Spinrath
zent, eine Entwicklung, die uns sicherlich nicht kaltlassen kann.
Erstaunlich aber finde ich, wie schnell so mancher das
Ergebnis für die eigenen Interessen interpretierte. Im
Vereinigten Königreich wurde Premier Camerons Partei
abgestraft. Dennoch glaubt er, daraus für sich ein Mandat zur Fundamentalopposition in Brüssel ableiten zu
können. Auch wenn es so scheint, als bediene er damit
seine nationale Wählergalerie: Seine Politik der Konfrontation und der Verunglimpfung gegenüber der Gemeinschaft wird scheitern, weil sie einen künstlichen
Gegensatz zwischen einem „Wir“ und einem „Die da“
schafft.
Ich sage: Wirtschaftlichen und politischen Erfolg
werden alle Mitgliedstaaten wie auch das Vereinigte Königreich nur gemeinsam für sich, aber auch für Europa
erzielen können. Wir brauchen nicht weniger Europa,
und wir brauchen keine Reduzierung auf einen reinen
Binnenmarkt, sondern wir brauchen ein anderes, ein besseres Europa, ja, auch ein soziales Europa. Ich bin ganz
sicher, dass Frank-Walter Steinmeier, der ja nicht nur
Außen-, sondern auch Europaminister ist, gemeinsam
mit Staatsminister Michael Roth dafür sorgt, dass wir in
diesem Sinne in Europa vorankommen.
Im Europawahlergebnis spiegelt sich eine tiefe Verunsicherung der Menschen wider. Gründe sind die Finanzmarktkrise, die Globalisierung, die Zuwanderung, bewaffnete Konflikte um Europa herum und die zunehmende
Konkurrenz aus Asien. Die Märkte werden als Bedrohung wahrgenommen. Wirklich etwas zu verlieren aber
haben die Menschen in den Krisenländern. Dadurch entsteht Angst. Der Sieg von SYRIZA in Griechenland zum
Beispiel ist Ausdruck dieser Angst. Die Krise hat dort
oftmals Lebensentwürfe, Hoffnungen und Perspektiven
zerstört. Dies allein der Troika, der EU und auch
Deutschland anzulasten, ist menschlich nachvollziehbar.
Es geht aber an den Ursachen vorbei. Diese sind vor
Jahrzehnten im eigenen Land entstanden.
Wir müssen feststellen: Diese Angst beschränkt sich
nicht nur auf die derzeitigen Krisenländer, sondern sie
hat auch den Kern Europas, den Kern der EU erreicht.
Das Abschneiden des - ich nenne es einmal so - Familienunternehmens Front National in Frankreich ist Ausdruck einer auch dort tief sitzenden Verunsicherung.
Seit Jahren versuchen wir, den Menschen nahezubringen, die Europäische Union als ihr Europa zu begreifen.
Dies wird zunehmend schwieriger, wenn sich dieselben
Menschen verunsichert fühlen, wenn sie Ängste entwickeln. Gerade der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte
dazu dienen, für eine stabile Finanzpolitik der Mitgliedstaaten zu sorgen und dadurch auch die Voraussetzungen
für Wachstum und folglich für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu schaffen. Deshalb denke ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es möglich bleiben muss,
Spielräume zu nutzen. Das bedingt natürlich, dass sich
die betroffenen Staaten dazu verpflichten, nachhaltige
Reformanstrengungen in einem überschaubaren Zeitraum durchzuführen.
Wir Deutsche wissen doch, wovon wir reden. Vor
zehn Jahren gaben uns unsere EU-Partner den Spielraum, eigene Versäumnisse der Vergangenheit durch mutige Reformen zu beseitigen. Zugegeben: Das war damals nicht immer ganz konfliktfrei. Dass Deutschland
vergleichsweise unbeschadet durch die Krisen gekommen ist und die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt
positiv blieb, beruht auf diesen Reformen. Das deutsche
Beispiel ist deshalb das beste Argument für eine kluge
Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
({0})
Was uns Deutschen damals recht war, das müssen wir
heute auch anderen zubilligen. Denn wo öffentliche Investitionen unterbleiben, wo private Investoren wegen
der Schwäche der Wirtschaft ausfallen, da braucht es europäischer Hilfe, um Wachstum zu generieren. Der Stabilitätspakt ist eben auch ein Wachstumspakt; man kann
das nicht oft genug sagen, und man muss den Versuch,
ihn auf die erste Vokabel zu reduzieren, zurückweisen.
Austerität allein - so hat es gestern mein Kollege Lothar
Binding an diesem Pult erklärt - kann kein nachhaltiges
Konzept für Europa sein. Wir Sozialdemokraten verfolgen deshalb keine andere Strategie. Aber wir wollen die
Möglichkeiten, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt
hergibt, konsequent nutzen. Das Handeln muss dann in
den Mitgliedstaaten erfolgen.
Ein besseres Europa lässt die Menschen in sozialer
Sicherheit leben und sichert den gesellschaftlichen Frieden. Nur dort, wo sozialer Frieden herrscht, kann auch
wirtschaftlicher Wohlstand wachsen. Gerade junge Menschen brauchen eine Perspektive. Es muss möglich sein,
zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit Kredite aufzunehmen, auch für Krisenländer, die sich in der Haushaltskonsolidierung befinden.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Ich denke an die Zeit, und ich komme zum Schluss;
vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich glaube, wenn die Menschen so weit verunsichert
werden, dass sie sich vielleicht sogar dauerhaft von diesem Friedens- und Stabilitätsprojekt Europa abwenden,
dann werden wir möglicherweise einen hohen Preis dafür zahlen, einen zu hohen Preis, nämlich den Fortbestand der Europäischen Union.
Kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede!
Ein letzter Satz: Die größte Bedrohung für den sozialen Frieden innerhalb Europas ist die Perspektivlosigkeit
junger Menschen; denn wer selbst keine Perspektiven
hat, wird schwerlich für zukünftige Generationen Perspektiven und dauerhaften Frieden schaffen können.
Vielen Dank.
({0})
Es tut mir leid, wenn ich Sie in dieser spannenden Debatte auf Ihre Redezeit hinweisen muss.
({0})
Aber wir haben heute schon so lange debattiert, dass ich
alle Kolleginnen und Kollegen bitte, sich möglichst an
die Redezeit zu halten.
Nächste Rednerin: Erika Steinbach für die CDU/
CSU.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Spinrath, man muss Fehler, die man
vor zehn Jahren gemacht hat, nicht wiederholen.
({0})
Außerdem enthält unser Koalitionsvertrag eine eindeutige Aussage zu der Thematik; so weit dazu.
({1})
Die außenpolitischen Herausforderungen, die wir zu
bewältigen haben, haben sich nach dem Ende des Kalten
Krieges signifikant verändert. Die Hoffnungen, die viele
daran knüpften, eine Welt in Frieden zu haben, diese
Hoffnungen haben sich leider nicht erfüllt, nicht einmal
innerhalb Europas, wie uns gerade das russische Verhalten gegenüber der Ukraine deutlich zeigt. So ist die internationale Staatengemeinschaft noch immer auf der
Suche nach Mechanismen, mit denen sich die heutigen,
oft sehr unübersichtlichen und komplexen Konflikte und
ihre Folgen bewältigen lassen.
Deutschland stellt sich dieser Aufgabe mit einer Außenpolitik, die sowohl die deutschen Interessen als auch
unsere Werte berücksichtigt. Wir machen eine wertgeleitete Außenpolitik. Mit dem Eintreten für Demokratie
und mit dem Eintreten für Menschenrechte hat sich unser Land in der Völkergemeinschaft über die Jahre ein
hohes Ansehen erworben und ist auch zu einem gefragten Partner geworden.
Die zahlreichen Brennpunkte weltweit, etwa der Bürgerkrieg in Syrien, die jüngste Eskalation im Irak oder
die Krisenregionen Afrikas, aber auch die bedrängte
Ukraine, das alles hält uns zunehmend in Atem. Massenhafte Menschenrechtsverletzungen und immer neue humanitäre Katastrophen stellen uns auch vor immer größere Herausforderungen. Leider ist ein Ende überhaupt
nicht abzusehen.
Prioritäten zu setzen, ist in Anbetracht der Vielzahl
der Konflikte, deren Zahl sich ja gemehrt hat, nicht
leicht; letztlich müssen wir sie alle als Herausforderung
im Blickfeld behalten und gemeinsam mit unseren
Partnern auf der Ebene der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, auf staatlicher Ebene und - unverzichtbar - natürlich auch mit den Nichtregierungsorganisationen an Lösungen arbeiten.
Systematische Verstöße gegen Menschenrechte verletzen nicht nur die Würde der jeweiligen Opfer, sie können auch den Frieden und die internationale Sicherheit in
einer ganzen Region bedrohen. Wir bekommen das tagtäglich vor Augen geführt. Das hat Auswirkungen bis
hierher nach Deutschland. Da mache sich niemand etwas
vor: Der Konflikt in Syrien führt uns das in drastischer
Weise nun schon seit über zwei Jahren vor Augen.
Dieser Bürgerkrieg hat bislang über 160 000 Tote gefordert. Rund 1 Million Menschen wurden verletzt. Fast
3 Millionen Syrer sind auf der Flucht innerhalb des eigenen Landes und in die umliegenden Staaten hinein, und
sie suchen Zuflucht auch in Europa. Die Aufnahmekapazität der Nachbarländer, insbesondere des Libanon, ist
bereits dramatisch überschritten. Da ist kaum noch Platz.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat die schwerste humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten verursacht. Deutschland hat den Schwerpunkt seiner humanitären Hilfe auf
die syrischen Flüchtlinge vor Ort gelegt. So haben wir
seit 2012 rund 520 Millionen Euro bereitgestellt, um die
Not der Menschen vor Ort zu lindern. Mit der zunehmenden Dauer des Konfliktes hat Deutschland darüber
hinaus natürlich auch syrische Flüchtlinge hier im Lande
aufgenommen - deutlich mehr als alle anderen EU-Staaten. Trotzdem ist das nur ein Tropfen auf den heißen
Stein.
Syrien ist aber nur einer der Brandherde weltweit, der
eine ganze Region destabilisieren kann und zu destabilisieren droht. Wir müssen uns vor Augen führen: Weltweit sind mehr als 40 Millionen Menschen auf der
Flucht. Dieses Elend lässt sich nicht hier bei uns in
Deutschland durch die Aufnahme von Flüchtlingen beheben. Selbst wenn wir es wollten: Es wäre nicht möglich.
Es lässt sich auch nicht in Europa beheben. Ich sage
es jetzt einmal ganz provokant: Das satte und bequeme
Europa wird früher oder später überrollt werden und aus
den Fugen geraten, wenn wir nicht gemeinsam versuchen, die Brandherde zu löschen - möglichst mit allen
Möglichkeiten durch Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort
({2})
und - das füge ich auch hinzu - als Ultima Ratio auch
mit dem Einsatz von Sicherheitskräften, um Leben zu
retten.
Das trifft in weiten Teilen unserer Bevölkerung nicht
auf große Zustimmung. Ich höre das, und Sie hören das
wahrscheinlich auch: Was geht uns das eigentlich an?
Was haben wir da verloren? Dem müssen wir wirklich
mit Engagement entgegenhalten: Wenn wir unseren
Wohlstand, unsere Demokratie und unsere Werte bewahren wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, den Millionen Flüchtlingen vor Ort mit allen Möglichkeiten, die
uns geboten sind, zur Seite zu stehen. Ich bin der festen
Überzeugung: Wenn Deutschland, wenn Europa, wenn
die demokratischen Staaten dieser Welt nicht gemeinsam
alles tun, um dieses massenhafte Elend vor Ort einzuErika Steinbach
dämmen und zu lindern, dann werden wir früher oder
später bei uns im Lande selbst die Folgen zu spüren bekommen.
Es wird keine einzige Mauer geben - und sei sie noch
so hoch -, die imstande wäre, verzweifelte Bürgerkriegsund Armutsflüchtlinge abzuhalten. Es wird auch kein
Meer geben - und sei es noch so breit -, das hindernd
wirken könnte. Die pure Not wird Menschen hierhertreiben, wenn wir nicht alles tun, um vor Ort Linderung zu
verschaffen.
Es ist gut, dass sich die Bundesregierung in ihrer Außenpolitik von dieser Erkenntnis leiten lässt. Jeder dritte
Euro des Haushaltes des Auswärtigen Amtes wird aus
gutem Grund für Frieden und für Stabilität in Krisenregionen ausgegeben. Das ist gut und richtig.
Ich danke Ihnen.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Steinbach. - Nächster
Redner in der Debatte ist Michael Stübgen für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
versuchen, in wenigen Sätzen die Ergebnisse der Europawahl - sie ist inzwischen schon ein paar Wochen her etwas genauer zu analysieren.
Vor der Europawahl ist viel diskutiert worden, viele
Bedenken sind geäußert worden; denn diese Europawahl
stand unter einem besonders schwierigen Vorzeichen.
Wir befinden uns nach wie vor - hoffentlich - am Ende
der sogenannten Euro-Finanzierungskrise. In der Europäischen Union gibt es eine ganze Reihe sogenannter
Euro-Krisenländer. Obwohl wir die Stabilität des Euro
nach außen hervorragend sichern konnten, ist es eindeutig, dass gerade in den Euro-Krisenländern die fiskalischen, sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen negativen Folgen noch längst nicht überwunden sind.
Wenn Menschen Zukunftsangst haben, die Arbeitslosigkeit enorm hoch ist, die Jugendarbeitslosigkeit aufgrund fehlender Ausbildungsmöglichkeiten für junge
Menschen grassiert und alte Menschen Angst um ihre
Renten haben, dann passiert es oft, dass diese Menschen
eher rechten und linken Populisten folgen, die scheinbar
einfache Antworten haben und natürlich mit dem Finger
auf andere zeigen, die an allem angeblich Schuld sein
sollen.
Deshalb haben viele, auch ich, vor dieser Europawahl
Bedenken gehabt. Das Ergebnis dieser Europawahl ist
eindeutig: Vier Fünftel der in ganz Europa gewählten
Abgeordneten gehören Parteien und Gruppierungen an,
die sich eindeutig für Europa einsetzen. Diese Abgeordneten gehören ganz unterschiedlichen politischen Familien an und haben ganz unterschiedliche politische Überzeugungen, aber sie sind für Europa. Wenn eine Wahl in
einer solchen Krise so ausgeht, zeigt das für mich ganz
deutlich: Das ist ein Stabilitätsbeweis für die Europäische Union. Die Menschen in Europa wollen Europa.
Das ist ein gutes Ergebnis dieser Europawahl.
({0})
Ich möchte noch kurz auf die Wahlergebnisse in zwei
Mitgliedsländern eingehen, die mich doch etwas überrascht haben, weil sie eben nicht typisch waren. Das
erste Land ist Großbritannien; es ist schon einige Male
genannt worden. In Großbritannien hat die Partei UKIP
- sie nennt sich UK Independence Party - immerhin
27 Prozent der Stimmen bekommen. Sie verfolgt als einziges Ziel - das ist der einzige politische Inhalt -, im Europaparlament dafür zu sorgen, dass Großbritannien
möglichst schnell aus der Europäischen Union austritt.
Worin liegen die Ursachen dafür, dass es in Großbritannien dazu kommen konnte? Meine Überzeugung ist:
Neben der historisch bedingten Tatsache, dass die Insellage und ein erhöhtes Selbstbewusstsein - Stichwort:
ehemaliges Empire etc. - dazu geführt haben, dass Großbritannien mental eher unabhängiger agiert als zentraleuropäische Länder, liegt ein wesentlicher Grund darin,
dass alle politischen Führungen der letzten 20 Jahre, ob
David Cameron oder vor ihm Gordon Brown, ob Tony
Blair, John Major oder Maggie Thatcher - ihr Verhalten
in Fontainebleau ist dafür geradezu beispielhaft -, während ihrer Regierungszeit immer meinten, dem Volk in
erster Linie mit europakritischen Tönen kommen und sagen zu müssen, was in Europa alles nicht funktioniert.
Ich meine nicht, dass wir über das, was in Europa
nicht funktioniert, nicht diskutieren sollten; das tun wir
in diesem Haus sehr oft. Aber wenn man nicht voranstellt, wie wichtig und gut Europa ist, dann braucht man
sich nicht zu wundern, dass die Menschen dann einer
Partei folgen, die sagt: Dann machen wir diesem europäischen Elend ein Ende.
({1})
Großbritannien braucht politische Führung für Europa. Das ist entscheidend. Es reicht nicht, ein Referendum darüber zu machen, ob man in Europa bleiben will
oder nicht. Vielmehr muss sich die politische Klasse zu
Europa bekennen. Ich hoffe, dass das noch geschehen
wird. Das, was David Cameron jetzt im Zusammenhang
mit der Nominierung des Kommissionspräsidenten
macht, ist das Gegenteil von politischer Führung.
Ich will noch kurz auf das Wahlergebnis in Frankreich
eingehen. In Frankreich hat eine dezidiert rechtsradikale
und antieuropäische Partei, der Front National, 25 Prozent der Stimmen bekommen. Die regierenden Sozialisten sind weit abgeschlagen dahinter gelandet. Aber auch
die konservative Partei konnte nicht von der Schwäche
der Regierungspartei profitieren.
Worin liegen hierfür die Ursachen? In Frankreich
fanden 2012 Präsidentschaftswahlen statt. Die Franzosen - das ist eindeutig - wollten Sarkozy nicht mehr ha3826
ben. Der Präsidentschaftskandidat Hollande hat in seinem Wahlkampf - daran können sich die meisten
sicherlich erinnern - den Fehler gemacht, den Menschen
das Blaue vom Himmel zu versprechen: früheres Renteneintrittsalter - auf der Höhe der Euro-Krise wohlgemerkt -, höhere Renten, höhere Löhne und höheres Arbeitslosengeld. Er wurde gewählt, mit einem
fulminanten Ergebnis.
Mittlerweile haben die Franzosen in den vergangenen
zwei Jahren allerdings gemerkt, dass es in Frankreich
nicht nur nicht besser, sondern kontinuierlich schlechter
wird. Neben der Tatsache, dass es jedem Politiker gerade
im Wahlkampf eine Lehre sein sollte, nicht so zu agieren
und nichts zu versprechen, was man nicht mit hoher
Wahrscheinlichkeit umsetzen kann, entwickelt sich dies
alles auch zu einem gefährlichen europäischen Problem.
Frankreich ist das letzte Euro-Land, das faktisch noch
nicht mit Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialreformen angefangen hat. Deshalb wächst seit vier Jahren in Frankreich die Arbeitslosigkeit kontinuierlich, ohne auch nur
ein einziges Mal rückläufig zu sein. Sie wächst Jahr um
Jahr, Monat um Monat. Das Haushaltsdefizit vergrößert
sich. Frankreich ist im Defizitverfahren und wird es weder in diesem noch im nächsten Jahr schaffen, sein Defizit abzubauen.
Es wird nicht ausreichen, darüber zu reden, ob wir
den Fiskalvertrag ändern bzw. aufweichen können und
ob es möglich ist, dass ein Land mehr Zeit braucht. Natürlich können wir das. Das beinhalten schon die bestehenden Regeln. Entscheidend ist, dass Frankreich jetzt
mit Reformen beginnt.
Es ist nicht nur eine französische Krise. Wir alle wissen spätestens seit der Euro-Finanzierungskrise, dass die
Finanzmärkte, was die Risikobewertung von EuroStaatsanleihen angeht, manchmal jahrelang vor sich hinschlummern, ohne etwas zu merken und zu ändern.
Wir wissen aber auch und haben es alle bei Staatsanleihen erlebt, dass die Kapitalmärkte dann ganz plötzlich
rabiat, ohne jede Vorwarnung und nicht angemessen,
sondern absolut hysterisch reagieren. Das ist eine Gefahr
für ganz Europa. Deswegen halte ich es für notwendig,
dass wir einerseits die Flexibilität des Fiskalvertrags und
des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch für Frankreich nutzen. Andererseits müssen aber auch die neue
Kommission bzw. der Europäische Rat dafür sorgen,
dass die Reformpolitik in Frankreich beginnt. Sonst werden die nächsten Jahre für uns und auch für die Europäische Union sehr schwierig sein.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Stübgen. - Letzter Redner
in der Debatte: Dr. Christoph Bergner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als letzter Redner dieser Debatte möchte ich mit wenigen Bemerkungen noch einmal die Aufmerksamkeit auf
den Einzelplan 05 und die Schlussfolgerungen lenken,
die wir für diese Beratungen ziehen sollten. Die Debatte
und in besonderer Weise die Rede unseres Bundesaußenministers haben uns verdeutlicht, dass die deutsche Außenpolitik gegenwärtig in einer besonderen Verantwortung steht, die nicht oder nur schwer mit den
Herausforderungen vergleichbar ist, vor denen die deutsche Außenpolitik in den letzten Jahren gestanden hat.
Ich möchte ausdrücklich die Leistungen der Bundesregierung bei der Krisenbewältigung, Friedenssicherung
und Festigung des europäischen Zusammenhaltes würdigen und unserem Bundesaußenminister besonders für
seinen Einsatz zur Verständigung in unterschiedlichsten
Krisenherden, bei dem er sich wahrlich nicht schont, ein
ausdrückliches Wort des Dankes sagen.
({0})
Meine Damen und Herren, eine solche Politik verdient Unterstützung, und sie verdient auch ausdrücklich
die Unterstützung durch unsere Haushaltsentscheidungen. Dazu möchte ich auf drei Aspekte hinweisen.
Der erste Aspekt betrifft den Haushalt in seinem Gesamtvolumen. Kollege Karl und Frau Barnett haben als
Haushaltsberichterstatter zu Recht darauf hingewiesen:
Wir befinden uns in der Phase der Konsolidierung.
Trotzdem ist es wichtig, richtig und notwendig, dass das
Gesamtvolumen des Haushaltes jetzt ein höheres Niveau
hat als der Vorwahlentwurf. Ich denke, das wird den gegenwärtigen Erfordernissen in besonderer Weise gerecht.
Zweiter Punkt. Wir haben in dieser Wahlperiode Ausgabenschwerpunkte außerhalb der Außenpolitik: Bildung, Forschung, Kommunalfinanzen und Kinderbetreuung. Das alles ist in Ordnung. Aber wir sollten gerade
vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Herausforderungen darauf achten, dass diese Ausgabenbereiche, die
sehr stark mit der Verantwortung der Länder korrespondieren, nicht zu Erwartungshaltungen in den Ländern
führen, die dann bundeseigene Aufgaben wie die Außen-,
Verteidigungs- und Entwicklungspolitik auf andere
Weise beschneiden. Da sollten wir als Außenpolitiker
eine besondere Wachsamkeit entwickeln.
({1})
Dritter Punkt. Rasante Entwicklungen im außenpolitischen Umfeld stellen uns immer vor die Frage, ob wir lagebedingte Änderungen am Haushalt vornehmen können. Die Haushälter haben sich dazu Gedanken gemacht
und Entscheidungen getroffen. Ad-hoc-Entscheidungen
sind immer schwierig; denn es geht zuerst um Ausgabeermächtigungen. Die Umsetzungsvoraussetzungen
spielen dann oft nur eine untergeordnete Rolle. Wir haben eine Reduzierung bei den Verpflichtungsermächtigungen im Bereich der Transformationspartnerschaften
vorgenommen. Ich gebe Kollege Mißfelder recht, dass
es nicht möglich ist, das auf null herunterzufahren.
Vor dem Hintergrund der gegenwärtig schwierigen
Situation der östlichen Nachbarschaftspolitik der EU
und der Ukraine-Krise will ich auf die Bedeutung der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gerade für die
östlichen Nachbarstaaten und die Staaten des östlichen
Europas hinweisen.
({2})
Ich habe in einem Positionspapier des Auswärtigen
Amts aus dem Jahr 2011 nachgelesen. Damals wurde
festgestellt - ich darf zitieren -:
Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Eisernen Vorhangs sind die Ressourcen und Präsenzen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik noch sehr ungleich zwischen West- und Osteuropa verteilt. Hier
besteht Nachholbedarf.
Das wird unter anderem anhand der Goethe-Institute und
der Zahl der Auslandsschullehrer belegt.
Ich unterstelle, dass seit 2011 eine ganze Menge im
Sinne des Ausgleichs geschehen ist. Ich finde es trotzdem richtig, dass die Haushälter unter dem Eindruck der
aktuellen Entwicklung zumindest den Versuch unternommen haben, mit dem Haushaltstitel „Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Ukraine, Moldawien, Georgien und Belarus“ - ich erlaube mir, zu sagen,
dass vielleicht bei der nächsten Haushaltsänderung auch
Armenien und Aserbaidschan aufgenommen werden
sollten - im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ein Zeichen zu setzen, dass hier mehr getan
werden muss.
Wir werden dieser Region in der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik nicht allein dadurch gerecht, dass
wir Erfahrungen und Strukturen des westlichen Europas
auf das östliche Europa übertragen. Vielmehr haben wir
spezifische Anknüpfungspunkte, derer wir uns bewusst
werden sollten. Ich verweise beispielhaft auf das deutsche Schulwesen in Rumänien, das über Jahrhunderte
die Vermittlung der deutschen Sprache in einer Effizienz
betrieben hat, die mit unseren Mittlern auf keine Weise
zu leisten ist. Dabei kommt es mehr auf die Unterstützung des Bestehenden als auf die Erweiterung anderer
Institutionen an. Ich verweise auf die vielfältigen kulturellen Beziehungen, die wir mit Mittelosteuropa und
Osteuropa haben und die ihren Ausdruck noch immer in
der Existenz deutscher Minderheiten finden. Das ist ein
Anknüpfungspunkt für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, der aus meiner Sicht intensiver genutzt
werden sollte.
Mit Blick auf die begrenzte Redezeit habe ich noch
einen einzigen Hinweis zu geben. Es hat einmal eine
Diskussion darüber gegeben, wie die Auswärtige Kulturpolitik konzipiert sein soll: im Sinne einer Interessenvertretung Deutschlands oder im Sinne eines ergebnisoffenen Austauschprozesses. Ich will diese Diskussion hier
nicht führen. Aber ich will darauf hinweisen, dass wir
gut beraten sind, einen langen Atem zu haben, wenn es
darum geht, in Krisenzeiten Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu betreiben.
Konkret gesagt: Obwohl gegenwärtig unsere Beziehungen zu Russland erkennbaren Belastungen ausgesetzt
sind und wir uns bewusst an einem Sanktionsregime beteiligt haben, sollte das Jahr der russischen Sprache und
Literatur in Deutschland und das Jahr der deutschen
Sprache und Literatur in Russland uneingeschränkt
durchgeführt werden. Ich glaube, hier kann Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik ein wichtiges Zeichen setzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bergner. - Ich schließe
die Aussprache.
Ich danke Ihnen für eine sehr intensive Debatte zu einem sehr späten Zeitpunkt. Ich bin ziemlich sicher, dass
unsere Gäste im Hohen Haus gespürt haben, dass alle
Fraktionen und unser Außenminister in einer Welt, die
voller Konflikte ist und so viel entgrenzte Gewalt erfährt, um Antworten auf sehr schwierige Fragen ringen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1850? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zustimmung gab es
vom Bündnis 90/Die Grünen, Ablehnung von der CDU/
CSU und der SPD, Enthaltung von der Linkspartei.
Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges
Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 05 ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, abgelehnt haben Bündnis 90/Die Grünen und
die Linkspartei.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche den Haushältern und Haushälterinnen
noch einen guten Restappetit. Sie haben ihn wirklich
verdient. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen für
morgen Abend - hoffentlich bei schönem Wetter - zum
Sommerfest der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ein. Ich verspreche Fußball inklusive. Einlass ist
circa 17.30 Uhr. Ich garantiere Ihnen, dass wir einen
schönen Abend zusammen verbringen werden.
Die Sitzung ist geschlossen. Einen guten Restabend.