Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung. Vor Eintritt in unsere
Tagesordnung müssen wir noch eine Schriftführerwahl
durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, für die
Kollegin Martina Renner die Kollegin Kathrin Vogler
als Schriftführerin zu wählen. - Dazu stelle ich Einver-
nehmen fest. Damit ist die Kollegin Vogler als neue
Schriftführerin gewählt.
Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte I a und I b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für
Lebensversicherte ({0})
Drucksache 18/1772
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Matthias W. Birkwald, Dr. Axel
Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Lebensversicherungen auf den Prüfstand stellen - Kein Schnellverfahren zu Lasten der
Versicherten
Drucksache 18/1815
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lebensversicherung ist eine der wichtigsten
Spar- und Altersvorsorgeformen in Deutschland. Ende
2012 gab es 88 Millionen Lebensversicherungsverträge,
oft mit Laufzeiten von 20 und mehr Jahren. Wir wollen
und müssen dieses verbreitete und bewährte Instrument
bewahren. Die Versicherungsnehmer müssen sich darauf
verlassen können, dass sie die in ihren Verträgen zugesagten Leistungen auch in Zukunft erhalten. Dafür
müssen wir die Vorschriften zur Beteiligung an den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren
anpassen.
Solche Bewertungsreserven entstehen dadurch, dass
der Marktwert von festverzinslichen Anleihen bei sinkenden Zinsen über dem ursprünglichen Kaufpreis liegt.
Dabei ist es natürlich so, dass sich der Marktwert bei
festverzinslichen Wertpapieren am Ende der Laufzeit
immer zum Nominalbetrag hin entwickelt, sodass die
Bewertungsreserven nur vorübergehend vorhanden sind.
Diese Bewertungsreserven sind aufgrund der derzeit
niedrigen Zinsen besonders hoch. Sie waren 2012 - das
sind die letzten verfügbaren Zahlen - so hoch wie niemals zuvor. Deshalb müssen sie in einer fairen Weise
zwischen den Versicherten aufgeteilt werden.
Die derzeitige Regelung ist nicht optimal. Durch die
Beteiligung an den Bewertungsreserven wird Versicherungskunden, deren Verträge heute enden, ein Teil der
Zinszahlungen mitgegeben, die das Versicherungsunternehmen erst in Zukunft aus den festverzinslichen Anlagen vereinnahmt. Diese Zinszahlungen stehen also eigentlich den Versicherten zu, deren Verträge nicht heute,
sondern erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten enden.
Sie stehen ihnen dann aber nicht mehr zur Verfügung,
wenn sie bereits ausgeschüttet wurden.
Diese Beteiligungsregelungen gelten seit 2008, und
sie begünstigen rund 7 Millionen Versicherte, deren Verträge in Kürze auslaufen. Aber die mehr als 80 Millionen
Versicherten, deren Verträge noch eine längere Laufzeit
haben, werden dadurch benachteiligt; langfristig würde
die Erfüllung der Versicherungsansprüche aller anderen
Versicherten dadurch gefährdet. Im Übrigen hat das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2005
klargestellt, dass der Gesetzgeber die Ausschüttung der
Bewertungsreserven nicht ausschließlich am Interesse
der heute ausscheidenden Versicherten ausrichten darf;
das sei mit dem Gedanken der Risikogemeinschaft nicht
vereinbar.
So wollen wir also mit unserem Maßnahmenpaket
diese Benachteiligung beenden und dafür sorgen, dass
die Versicherten sich langfristig auf stabile Auszahlungen aus ihren Verträgen verlassen können. An erster
Stelle stehen dabei die garantierten Leistungen. Bewertungsreserven, die für die Sicherung des Garantiezinses
für alle Versicherten benötigt werden, müssen in der Versichertengemeinschaft verbleiben. Um es klar zu sagen:
Von dieser Neuregelung sind nur die Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren betroffen. Die
Regelungen zur Beteiligung ausscheidender Versicherter
an Bewertungsreserven etwa aus Aktien oder Immobilien werden nicht verändert, weil Bewertungsreserven
bei diesen Anlageformen, anders als bei den festverzinslichen Anlagen, nicht notwendigerweise nur einen vorübergehenden Charakter haben. Da ändert sich nichts.
Übrigens ändert sich auch bei den garantierten Leistungen nichts: Die zugesagte Mindestverzinsung wird bei
jedem Vertrag gesichert. Der Zweck ist gerade, die Versicherungsgesellschaften in die Lage zu versetzen, diese
Garantien einzuhalten.
Unser Maßnahmenpaket ist ausgewogen und gerecht.
Im Mittelpunkt stehen die Ansprüche der Versichertengemeinschaften. Wir achten darauf, dass auch die Versicherungsunternehmen, die Anteilseigner und der Vertrieb einen fairen Beitrag leisten. Die Unternehmen
müssen künftig ihre Kunden mit 90 Prozent statt bisher
nur mit 75 Prozent an den Risikoüberschüssen beteiligen. Risikoüberschüsse sind solche, die die Versicherungen dadurch haben, dass sie mit den Sterbetafeln, mit der
Lebenserwartung vorsichtig kalkulieren und man in der
Regel, weil man vorsichtig kalkuliert, gewisse Reserven
hat. Sie müssen in Zukunft in einem größeren Maße den
Versicherten zugutekommen. Wir greifen damit eine seit
langem von Verbraucherschützern erhobene Forderung
auf.
Außerdem müssen die Lebensversicherungen ihr Risikomanagement weiterentwickeln, damit in dem schwieriger werdenden Marktumfeld etwaige Risiken früher erkannt und auch abgestellt werden können. Wir stärken
entsprechend die Handlungsmöglichkeiten der Aufsicht.
Sie soll problematischen Entwicklungen früher und effektiver begegnen können, etwa indem sie mehrjährige
Prognoserechnungen und Sanierungspläne von den Versicherern verlangen kann. Wir werden so die große Stabilität der Lebensversicherungen auch in Zukunft erhalten.
Auch die Eigentümer, also die Aktionäre, müssen zur
Leistungssicherung beitragen. Soweit Bewertungsreserven zur Sicherung des Garantiezinses nicht ausgeschüttet werden können, müssen eben auch die Dividenden
entsprechend gekürzt werden. Das ist eine faire Lastenverteilung zwischen Eigentümern und Kunden.
Wir verlangen vom Versicherungsvertrieb eine höhere
Kostentransparenz, und wir setzen Anreize zur Senkung
der Abschlusskosten, indem wir die Möglichkeiten der
Versicherungsunternehmen, die Abschlusskosten aus
dem Neugeschäft in ihren Bilanzen auf Folgejahre vorzutragen, begrenzen.
Schließlich müssen wir entsprechend der Empfehlung
der Deutschen Aktuarvereinigung - das ist eine Vereinigung, die immer empfiehlt, wie hoch der Garantiezins
sein sollte - den gesetzlichen Garantiezins für neu abzuschließende Verträge absenken, von 1,75 Prozent auf
1,25 Prozent. Diese Regelung gilt aber ausschließlich für
Verträge, die ab 2015 neu abgeschlossen werden. Diese
Absenkung des gesetzlichen Garantiezinses ist notwendig, weil der bisherige Garantiezins inzwischen die Verzinsung sicherer Anlageformen übersteigt. Zehnjährige
Bundesanleihen weisen derzeit eine Verzinsung von nur
rund 1,4 Prozent aus. Deswegen kann eine höhere Garantieverzinsung ab 2015 gesetzlich nicht vorgeschrieben werden.
Mit diesem Maßnahmenpaket schaffen wir eine für
alle Beteiligten tragfähige Lösung, die für mehr Gerechtigkeit zwischen den heute ausscheidenden und den verbleibenden Versicherten sorgt. Mittelabflüsse, sei es
durch übermäßige Dividendenzahlungen oder zu hohe
Kosten im Unternehmen oder eine unverhältnismäßige
Beteiligung der heute ausscheidenden Versicherten an
den Bewertungsreserven, werden gleichmäßig begrenzt.
Mit diesem Gesetzentwurf geben wir der Sicherung
von Garantieleistungen für alle Versicherten den Vorrang
vor hohen Renditen für die heute ausscheidenden Versicherten oder vor den Dividenden für Aktionäre. Wir
wollen damit die Attraktivität der Lebensversicherung
als ein zentrales Instrument zur Altersvorsorge der Menschen in unserem Land langfristig und nachhaltig wahren. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.
({0})
Die Kollegin Susanna Karawanskij hat nun das Wort
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Versicherungslobby
hat es geschafft: Durch Druck auf die Bundesregierung
schaffte sie es, ihre Interessen durchzusetzen. Im Schatten der Weltmeisterschaft, während die Bürgerinnen und
Bürger an den Fernsehapparaten sitzen,
({0})
soll das Lebensversicherungsreformgesetz hier im Bundestag im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden.
({1})
Hier geht es nicht um eine Bagatelle. Hier geht es um
rund 88 Millionen Lebensversicherungen, die mit dem
Versprechen, dass man damit einen Teil seiner Altersvorsorge bestreiten würde, an die Menschen gebracht
wurden. Das wurde nicht nur jahrelang angepriesen, sondern vor allen Dingen auch noch steuerlich gefördert.
Die Versicherungsbranche jammert, und das abgegebene Versprechen soll nun gebrochen werden. Das ist
eine Zumutung für die 62 Millionen Versicherungsnehmer, die es betreffen kann, und diese Zumutung ist nicht
hinnehmbar.
({2})
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, das deutlich
macht, welche Ungerechtigkeit durch diesen Gesetzentwurf droht. Ein freiberuflicher Versicherungsnehmer hat
vor etwa 30 Jahren zur Altersvorsorge Kapitallebensversicherungen bei einem Versicherungsunternehmen abgeschlossen, die dieses und kommendes Jahr fällig werden. Er hat fleißig eingezahlt. Noch vor sechs Jahren
wurde dem Versicherten eine Modellrechnung vorgelegt, in der eine Gesamtversicherungsleistung von rund
203 000 Euro ausgewiesen wurde. Infolge der Finanzkrise ist der Betrag bereits geschmolzen. Nun soll - wie
im Gesetzentwurf vorgeschlagen - auch noch die Beteiligung an den Bewertungsreserven reduziert werden, sodass der Versicherte mit einer Einbuße von 20 000 Euro
rechnen muss. Das ist wahrlich kein Pappenstiel; schließlich geht es um die Altersvorsorge.
Man muss es so knallhart sagen: Mit diesem Gesetz
sollen den Versicherungsnehmern ihre Anteile vorenthalten werden.
({3})
Die den Kunden zustehenden Überschüsse werden nicht
ausbezahlt, sondern von den Versicherungen für die Aufstockung ihres Eigenkapitals einbehalten und dort geparkt.
({4})
Zusätzlich - das ist der eigentliche Skandal - sollen die
Beteiligungen an den Bewertungsreserven drastisch zusammengestrichen werden. So werden den Kunden die
ihnen zugesicherten Anteile vorenthalten;
({5})
denn bereits jetzt gilt die Regelung, dass nur die Hälfte
der Bewertungsreserven an die ausscheidenden Versicherungsnehmer ausgezahlt wird, die andere Hälfte
bleibt bei den Versicherern. Um es deutlich zu sagen:
Hier soll mithilfe von Rechentricks umgeschichtet werden, damit die Branche immer weniger von den erwirtschafteten Gewinnen an ihre Kunden auszahlen muss.
({6})
Wirklich schlimm an der Sache ist, dass der vorliegende Gesetzentwurf durchgebracht werden soll, obwohl ihm keine ordentliche Datenbasis zugrunde liegt.
Es fehlt das entsprechende Zahlenmaterial. Die Antwort
der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Situation der Lebensversicherer war wirklich dürftig. Auf
die Frage, wie sich die Erträge und Gewinne der zehn
größten Versicherungsunternehmen in den letzten zehn
Jahren gestaltet haben, gab es keine Antwort. Es gibt
auch in Bezug auf Einzelunternehmen keine Zahlen
dazu, wie hoch die ausgeschütteten Bewertungsreserven
in der Vergangenheit waren bzw. wie sich deren Situation entwickelt hat. Auch bei der Antwort auf eine Frage
zu den Bilanzanalysen der Versicherungsunternehmen in
Deutschland musste die Bundesregierung passen, weil
keine konkreten Studien vorliegen. Alles in allem ist das
ein skandalöses Spiel, das vor allen Dingen auf dem Rücken der Versicherten stattfinden soll.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir bitten Sie: Nehmen Sie sich gebührend Zeit für dieses wichtige Gesetz,
das so viele Verbraucherinnen und Verbraucher betrifft.
Peitschen Sie den Gesetzentwurf nicht vor der Sommerpause durch. Das Mindeste ist, dass Sie dieses Gesetz
auf eine solide Datenbasis stellen und nicht im Nebel herumstochern, ohne belastbare Zahlen zu den Einzelaspekten der Reformvorschläge vorzulegen. Stellen Sie
sicher, dass die Versicherten Zeit haben, sich beraten zu
lassen und die gesetzlichen Auswirkungen auf ihre Verträge zu überprüfen. Es muss Vertrauensschutz gelten.
Hier darf es keine weiteren Verunsicherungen der Versicherten geben. Vor allen Dingen dürfen die Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer nicht weiter geschröpft werden, nur weil die Lobby wirkungsvoll
Druck ausübt.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Carsten Schneider für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Karawanskij, ich bin mir nicht sicher,
ob Sie den Gesetzentwurf tatsächlich gelesen haben.
({0})
Zumindest die Stellungnahmen der Lobby, deren Interessen wir hier angeblich vertreten, haben Sie offensichtlich
nicht gelesen; denn die sind alles andere als glücklich
über diesen Gesetzentwurf. Im Gegenteil: In den Stellungnahmen, die ich in letzter Zeit bekommen habe,
steht, dass wir das auf keinen Fall so verabschieden sollen.
({1})
Was ist das Ziel dieses Gesetzes? Ziel ist, die Lebensversicherung, die für viele Menschen einen wichtigen
Teil ihrer privaten Altersvorsorge ausmacht, dauerhaft
zu sichern und dafür zu sorgen, dass der versprochene
Carsten Schneider ({2})
Garantiezins auch in den nächsten 10, 15 und 20 Jahren
ausgezahlt und gesichert wird.
Die Lebensversicherung war in den vergangenen Jahren ein sehr intransparentes Produkt. Es gibt - Herr
Minister Schäuble hat darauf hingewiesen - über
90 Millionen Verträge. In diesem Jahr werden knapp
7 Millionen Verträge fällig. Aufgrund der derzeitigen
Niedrigzinsphase und der Tatsache, dass ein Großteil der
Lebensversicherungen in Staatsanleihen investiert hat,
die derzeit noch hohe Kurswerte haben, weil sie einen
Zinscoupon von 3, 4 oder 5 Prozent bieten, entstehen
Buchgewinne. Diese Buchgewinne werden nicht zugunsten der Versicherungsunternehmen ausgeschüttet;
im Gegenteil: Sie werden innerhalb der Versichertengemeinschaft, bei den Versicherten, belassen.
({3})
Innerhalb der Versichertengemeinschaft - zwischen den
Versicherten, deren Vertrag in diesem Jahr fällig wird,
und denen, deren Vertrag in 20 Jahren fällig wird - findet ein Interessenausgleich statt, den wir fairer und gerechter machen wollen.
Ich finde es ja interessant, dass Sie von der Linken
jetzt die Interessen des Kapitals hier vertreten. Ich finde
das bemerkenswert.
({4})
Nehmen wir als Beispiel für die Buchgewinne eine
deutsche Staatsanleihe, die derzeit bei 110 Prozent rentiert. Diese Staatsanleihe würde jetzt zu 110 Prozent ausgezahlt, realisiert wird sie aber am Ende - der Minister
hat darauf hingewiesen - nur mit 100 Prozent. Das heißt,
heute wird ein Betrag ausgezahlt, der in fünf oder zehn
Jahren gar nicht fällig würde. Wenn die Versicherten also
in fünf oder zehn Jahren ihren Ertrag ausgezahlt bekommen wollen, dann kann der Ertrag nicht mehr erbracht
werden. Das ist eine Bevorteilung derjenigen, deren Versicherungsverträge jetzt fällig werden. Sie geht zulasten
der 85 Millionen Versicherungsnehmer, deren Versicherungsverträge später fällig werden. Deshalb regeln wir
heute einen fairen Ausgleich. Dabei haben Sie unsere
Unterstützung, Herr Minister.
({5})
Das ist aber nicht der einzige Punkt. Es gab schon einmal einen Anlauf für diese gesetzliche Regelung. Von
daher können Sie nicht sagen, dass der Gesetzentwurf im
Schweinsgalopp durchgepeitscht wird. Die letzte Bundesregierung hat ebenfalls einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wenn Sie beide Gesetzentwürfe vergleichen, stellen
Sie deutliche Unterschiede fest. Dabei geht es nicht nur
um die Bewertungsreserven, sondern auch um die Frage,
wie in das Geschäftsmodell der Lebensversicherungsunternehmen eingegriffen wird, wie Aktionäre, also die
Eigentümer der Versicherungsunternehmen, an der langfristigen Stabilisierung beteiligt werden. Ich weiß nicht,
ob die CDU/CSU früher von der FDP geknebelt wurde
und jetzt befreit ist, weil die SPD dabei ist;
({6})
auf jeden Fall ist der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt,
deutlich besser.
Wir machen das Produkt Lebensversicherung transparenter. Wir gehen auch auf die vielen Anregungen der
Verbraucherschutzverbände ein, die uns im Übrigen unterstützen.
({7})
Die Provisionen werden transparenter ausgewiesen. Die
kalkulatorischen Abschlusskosten für Versicherungsnehmer werden gekürzt: von 4 Prozent auf 2,5 Prozent. Das
heißt, dass die Verwaltungskosten geringer werden, was
wiederum bedeutet, dass das Produkt für den Kunden
letztendlich besser wird. Es wird dadurch transparenter.
Man kauft dann keine Blackbox, sondern weiß, was die
tatsächlichen Kosten sind und wie hoch der tatsächliche
Ertrag ist.
Der zweite Punkt betrifft das, was die Versicherungsunternehmen jetzt kritisieren, nämlich die Ausschüttungssperre. Was bedeutet das? Wenn ein Unternehmen
in den nächsten Jahren von der Kürzung der Bewertungsreserven Gebrauch macht, gilt gleichzeitig - darauf
lege ich großen Wert - eine Ausschüttungssperre. Es gibt
keine Dividende bzw. Ausschüttung an den Eigentümer,
sondern der Sicherungsbedarf muss zur Stärkung des
Garantiezinses in den Unternehmen verbleiben.
({8})
Das ist auch ein Vorgriff auf zukünftige Regelungen
zu den Lebensversicherungen durch Solvency II. Wir
machen die Unternehmen im Sinne und im Interesse der
Versicherten stabiler. Wer glaubt, dass es da keine Probleme gibt, den verweise ich auf den Bundesbankbericht
zur Stabilität der Lebensversicherungen. Dieser Bericht
kommt zu dem Ergebnis, dass, wenn nichts passiert, in
den nächsten Jahren ein Drittel der Unternehmen in
Schwierigkeiten kommen wird. Ich möchte nicht, dass
wir, nachdem wir schon Banken gerettet haben, als
Nächstes auch noch die Lebensversicherungen retten
und private Kapitalanlagen mit Steuergeld subventionieren müssen.
({9})
In der Haushaltsdebatte, die anschließend auf der Tagesordnung steht, wird deutlich werden, dass wir das Geld
für andere Dinge brauchen.
Von daher ist es nur klug und richtig, dass der Vorschlag - ich freue mich darüber, dass er gemacht wurde aufgegriffen wurde, eine Ausschüttungssperre einzuführen, damit nicht Ertrag aus dem Unternehmen hinaus an
die Aktionäre fließt, sondern im Unternehmen bleibt.
Das führt zu größerer Stabilität. Darauf legen wir als Sozialdemokraten großen Wert.
Der dritte Punkt betrifft die Risikoüberschüsse. Auch
die diesbezügliche Regelung geht künftig zulasten des
Unternehmensgewinns. Wenn die Unternehmen die Sterbetafel zu negativ kalkuliert haben - das war in den
Carsten Schneider ({10})
letzten Jahren wohl öfter der Fall -, dann gingen diese
Überschüsse zu 75 Prozent an die Versicherten und zu
25 Prozent an die Aktionäre. Das ändern wir. Die Gewinne werden nur noch zu 10 Prozent an die Aktionäre
gehen und zu 90 Prozent bei der Versichertengemeinschaft bleiben. Auch das ist ein klarer Schritt hin zu
mehr Gerechtigkeit innerhalb der Versicherungsunternehmen.
({11})
Ich denke aber auch, dass wir in Bezug auf die Form
der Kapitalanlagen - das soll in einer Verordnung geregelt werden - den Versicherungen mehr Möglichkeiten
geben sollten, auch in langfristige Infrastrukturprojekte
zu investieren. Da haben wir in Deutschland recht großen Bedarf. Mit der derzeitigen Verzinsung von 1,4 Prozent für eine zehnjährige Bundesanleihe können Lebensversicherungen jedenfalls dauerhaft keinen wirklich
nennenswerten Beitrag zur Altersvorsorge leisten. Von
daher brauchen sie ein bisschen mehr Freiheit, um auch
in Infrastrukturmaßnahmen zu investieren.
Ich würde mich freuen, wenn das Bundesfinanzministerium den Vorschlag aufgreifen würde, die BaFin bzw.
die Versicherungsaufsicht dadurch zu stärken, dass sie
- so ähnlich, wie wir das im Bankenbereich haben - Eingriffsrechte gegenüber den Versicherungsunternehmen
erhält. Sie sollte auch die Kontrolle über das Geschäftsmodell haben. Damit soll die langfristige Stabilität der
Unternehmen gestärkt werden. Die BaFin wird so ein
schärferes Schwert in der Hand haben, um die Versicherten zu schützen.
Deshalb, Herr Minister, haben Sie für den Entwurf
unsere Unterstützung. Die Richtung stimmt. Es wird
noch die Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages
geben. Dann werden wir zügig entscheiden. Ich glaube,
dieser Fortschritt für die Finanzstabilität ist absolut im
Interesse derjenigen, die in den letzten Jahren Lebensversicherungsverträge unterschrieben haben und sich darauf verlassen wollen, den Garantiezins zu erhalten; sie
können sich darauf verlassen.
Vielen Dank.
({12})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Gerhard Schick das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
vor einigen Jahren die Banken gerettet wurden, wurde
das mit Steuergeld gemacht. Wenn es jetzt darum geht,
die Lebensversicherungen in Deutschland zu stabilisieren, wird das mit dem Geld einiger Kunden gemacht. Ich
finde, das muss man klar aussprechen.
({0})
- Doch!
({1})
- Das stimmt! Wenn Sie das nicht erkennen, haben Sie
leider Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht verstanden,
Herr Zöllmer.
({2})
Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen dem, was der Bundesfinanzminister vor eineinhalb Jahren vorgelegt hat, und dem, was er uns heute
vorlegt. Vor eineinhalb Jahren war eine einseitige Verschiebung von Kundengeldern geplant. Heute wird das
gemacht, was bei einer so wichtigen Rettungsaktion im
Finanzbereich natürlich der Anspruch sein muss: Zumindest ein paar der Fehler, die in diese Situation geführt haben, werden korrigiert. Wir haben vor eineinhalb Jahren
die Einführung einer Ausschüttungssperre vorgeschlagen, sodass auch die Eigentümer beteiligt werden. Sie
haben das damals rundheraus abgelehnt. Jetzt ist dies in
Ihrem Entwurf enthalten. Das ist ein klarer Erfolg für
uns Grüne; denn es war unser Vorschlag.
({3})
Wir haben damals vorgeschlagen, die Aufteilung der
Erträge zwischen den Versicherten und den Unternehmen zu korrigieren, um auch diesen Fehler in der Versicherungsregulierung anzugehen. Sie haben es damals
rundheraus abgelehnt, dies auch nur zu erwägen. Jetzt ist
es in Ihrem Vorschlag enthalten. Auch das ist ein Erfolg
von uns. Es war deswegen richtig, den Gesetzentwurf
vor eineinhalb Jahren zu stoppen.
({4})
Es war und ist auch richtig, dass wir gefordert haben,
dass man, wenn man über Veränderungen bei den Lebensversicherungen redet, auch die schlechte Situation,
die Missstände im Vertrieb systematisch angehen muss.
Wir haben das damals vorgeschlagen, aber es wurde abgelehnt. Jetzt sind zumindest einige entsprechende
Punkte im Entwurf enthalten. Das ist eine klare Verbesserung, die auf unsere Initiative zurückgeht.
Trotzdem muss man sagen: Hier bleibt einiges zu tun.
Wir müssen genau wie damals bei den Banken die Frage
stellen: Wie kamen wir eigentlich in diese Situation?
Eine Ursache ist natürlich auch bei den Vorständen von
Lebensversicherungsunternehmen zu finden, die über
viele Jahre Versprechungen gemacht haben, die sie nicht
einhalten können. Diese Verantwortung muss am heutigen Tage klar benannt werden. Genau wie Bankvorstände tragen auch Versicherungsvorstände Verantwortung.
({5})
Auch die Aufsichtsbehörde, für die Sie, Herr Finanzminister, zuständig sind, muss ihre Aufgaben wahrnehmen. Diese Finanzaufsicht hat im Bereich Versiche3570
rungsaufsicht alle Handlungsmöglichkeiten, die man
sich vorstellen kann. Sie hat aber in den letzten Jahren
zugesehen, wie an die Eigentümer ausgeschüttet wurde,
anstatt die Unternehmen zu stabilisieren, und wie zu
hohe Versprechungen gemacht worden sind. All die
Missstände im Vertrieb - Debeka, ERGO, INFINUS hat sie aus der Zeitung erfahren, anstatt selber zu kontrollieren, was in diesem Sektor passiert. Wir haben hier
einen krassen Fall von Staatsversagen bei der Versicherungsaufsicht. Hier muss dringend etwas geschehen. Wir
erwarten hier Aktivität von Ihnen als Bundesfinanzminister.
({6})
Zu dem Gesetzesvorhaben hier muss man sagen - ich
habe vorhin ein paar positive Veränderungen genannt,
aber vieles muss verbessert werden -: Auf die entscheidende Frage, was da eigentlich gemacht wird, sind die
Antworten sehr dünn. Ich habe gefragt: Wie groß ist
denn der Sicherungsbedarf? Das ist sozusagen das Kernelement dieses Gesetzentwurfs bei den Bewertungsreserven. Über was für Größenordnungen reden wir da?
Keine Antwort von Ihrem Staatssekretär. Wir haben gefragt, ob denn die Veränderung bei den Bewertungsreserven dazu führt, dass die von der Bundesbank diagnostizierte Problemlage wirklich aufgelöst wird, ob sich
diese lindert. Darauf keine Antwort. Deswegen bleibt am
heutigen Tag zu konstatieren - das muss sich in den
nächsten Tagen bei der Beratung ändern -: Das ist Versicherungspolitik im Blindflug. Das sollten wir als Parlamentarier nicht mitmachen.
({7})
Denn nachher heißt es dann, dass wir das hier beschlossen haben.
Deswegen erwarten wir, dass Sie bei diesen Fragen
noch etwas nachlegen. Denn wir müssen bei einer so relevanten Veränderung der Eigentumsverhältnisse, bei einer so relevanten Gesetzgebung, die in die Rechte von
Versicherten eingreift, wissen, was wir tun. Deswegen
werden wir - genau wie bei vielen anderen einzelnen
Punkten im Gesetzgebungsverfahren - auch bei der
grundlegenden Frage, was das für die Kunden und für
den Sektor bedeutet, noch einmal nachhaken. Denn hier
sind wir alle in der Verantwortung. Wir können nicht in
ein paar Jahren sagen, dass wir das nicht genau gewusst
haben. Vielmehr müssen wir die Regierung zwingen, uns
die Zahlen vorzulegen.
Danke.
({8})
Anja Karliczek hat nun das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Worte vorweg zu dem, was
gesagt wurde. Liebe Frau Karawanskij, Sie stehen wieder einmal auf der Seite weniger und lassen mit Ihrer Argumentation die breite Masse der Bevölkerung im Stich.
({0})
Herr Schick, zu Ihnen: Einzelne Zahlen und einzelne
Unternehmen zu nennen, hilft uns in diesem Moment
nicht weiter. Die Situation der verschiedenen Unternehmen ist so unterschiedlich, dass wir einen systemischen
Ansatz gewählt haben, und das ist richtig.
({1})
Die Welt der Zinsen steht auf dem Kopf. Banken
müssen heute Strafen zahlen, wenn sie Geld nicht verleihen. Versicherungen bitten darum, vermehrt in langfristige und im doppelten Sinne des Wortes langweilige
Strukturprojekte investieren zu dürfen. Der durchschnittlich garantierte Zins bei Lebensversicherungen ist höher
als der Marktzins. Das hat es in Deutschland noch nie
gegeben. Herr Schick, das war auch 2008, als der Gesetzentwurf zur Verteilung der Bewertungsreserven verabschiedet wurde, überhaupt noch nicht erkennbar.
Wir wissen nicht, wie lange diese Niedrigzinsphase
noch anhalten wird. Aber wir wissen eines: Bleiben wir
untätig, wird unser Finanzsystem langfristig destabilisiert, und es drohen uns japanische Verhältnisse. Vertrauen verliert sich schneller, als es erworben werden
kann. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt mit dem
Lebensversicherungsreformgesetz die Grundlage dafür
schaffen, das Vertrauen in die Kapitallebensversicherung
als das klassische Mittel zur Altersvorsorge zu erhalten.
({2})
Die Kapitallebensversicherung mit einem garantierten Zins ist nach wie vor ein von den Menschen hochgeschätztes Produkt, um den Lebensstandard im Alter zu
sichern. Es ist ein Produkt, das langfristig trägt und den
Menschen Sicherheit gibt.
Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Punkte unseres
Reformpaketes ansprechen.
Erstens: die Finanzierung der garantierten Zinsen bei
bestehenden Verträgen. Wir fordern die Menschen seit
Jahren zur Eigenvorsorge auf. Viele Menschen sind unserer Aufforderung gefolgt. Mit 90 Millionen Kapitallebensversicherungen hat statistisch gesehen jeder Einwohner 1,1 Verträge, vom Baby bis zum 100-Jährigen.
90 Millionen Mal werden Geld und Vertrauen investiert,
dass der garantierte Wert der Versicherung erhalten
bleibt. Jetzt ist es an uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, Verlässlichkeit zu schaffen und dafür zu sorgen,
dass die von den Versicherern gegebenen Garantien auch
eingelöst werden können. Es ist unsere Aufgabe, der
Sorge vieler Menschen um die private Alterssicherung
etwas entgegenzusetzen.
({3})
Ein zweiter Punkt. Vertrauen setzt eine faire Leistung
voraus, und Vertrauen braucht Transparenz. Die Kapitallebensversicherung ist ein hochkomplexes und stark reguliertes Finanzprodukt. Wir wollen sie mit der notwendigen Transparenz ausstatten. Die Menschen müssen
erkennen können, welche Kosten in ihrer Prämie stecken
und welcher Anteil in den Kapitalaufbau fließt. Nur
dann entsteht Vergleichbarkeit für die Kunden und echter Wettbewerb zwischen den Versicherern. Auch das
schafft Vertrauen.
Ich möchte noch ein Wort an die Kritiker des Gesetzes richten. Vertrauen in die Lebensversicherung verspielt auch, wer stets erklärt, sie werde unattraktiv, und
dann eine Zahl von 40 Milliarden Euro in die Welt setzt,
mit denen die Versicherungsnehmer zusätzlich belastet
würden.
({4})
Woher stammt denn diese Zahl?
Behauptet wird auch, allein 13,5 Milliarden Euro
würden den Kunden durch die Zinszusatzreserve vorenthalten. Richtig ist: Die Zinszusatzreserve wird wieder
vollständig an die Kunden ausgeschüttet. Das ist gesetzlich vorgeschrieben.
Der Umfang der geringeren Beteiligung an den Bewertungsreserven wird mit 3,6 Milliarden Euro beziffert.
Richtig ist: Ohne die nun angestrebte Neuregelung
würde die Überschussbeteiligung der verbleibenden
Kunden - das sind 95 Prozent der Versicherten - noch
niedriger ausfallen. Dann gäbe es aufgrund der aktuell
sehr hohen Auszahlungen bald nichts mehr zu verteilen.
Jetzt haben wir die Aufgabe, im parlamentarischen
Verfahren über die detaillierte Ausgestaltung einiger
Punkte zu sprechen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass dieses Gesetz alle
Beteiligten angemessen in die Pflicht nimmt: Versicherte, Vermittler, Aktionäre und Unternehmen. Aus
meiner Sicht ist das der einzige Weg, die notwendige
Akzeptanz für diese dringenden Reformen herzustellen,
und der einzige Weg, langfristig das Vertrauen in ein
zentrales Produkt unserer Altersvorsorge zu erhalten.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/1772 und 18/1815 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tageordnungspunkte II a und II b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 2014 ({0})
Drucksachen 18/700, 18/702
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017
Drucksachen 17/14301, 18/1026
Wir beginnen nun mit der Beratung der Einzelpläne,
und zwar zunächst derjenigen Einzelpläne, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
Drucksachen 18/1023, 18/1024
Berichterstatter sind die Abgeordneten Kerstin
Radomski, Steffen-Claudio Lemme, Dr. Dietmar Bartsch
und Ekin Deligöz.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Einzelplan 01 einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.2 auf:
hier: Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
Drucksachen 18/1002, 18/1023
Berichterstatter sind die Abgeordneten Johannes
Kahrs, Bernhard Schulte-Drüggelte, Roland Claus und
Anja Hajduk.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 02 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke auch dieser Einzel-
plan mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
Drucksache 18/1024
Berichterstatter sind hier die Kollegen Ulrich Freese,
Kerstin Radomski, Dietmar Bartsch und Tobias Lindner.
Wir stimmen ab über den Einzelplan 03. Wer stimmt
für diesen Einzelplan? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist auch der Einzelplan 03 einstim-
mig angenommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk-
ten II.4 a und II.4 b:
a) Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
Drucksachen 18/1008, 18/1023
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
Drucksache 18/1024
Berichterstatter für den Einzelplan 08 sind die Abge-
ordneten Norbert Brackmann, Hans-Ulrich Krüger,
Gesine Lötzsch und Tobias Lindner. Berichterstatter für
den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - sind die Ab-
geordneten Michael Leutert, Carsten Körber, Bettina
Hagedorn und Tobias Lindner.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte II.4 c
bis II.4 e auf:
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2014
Drucksachen 18/1050, 18/1223
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
Drucksache 18/1762
d) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herstellung des Einvernehmens von Bundes-
tag und Bundesregierung zum Begehren der
Republik Litauen, der dritten Stufe der Euro-
päischen Wirtschafts- und Währungsunion
beizutreten und den Euro als Umlaufwährung
einzuführen
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgeset-
zes i. V. m. § 9a des Gesetzes über die
Zusammenarbeit von Bundesregierung und
Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union
Drucksache 18/1800
e) Beratung der Unterrichtung durch das Bundesministerium der Finanzen gemäß § 9a des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in
Angelegenheiten der Europäischen Union
Beitritt Litauens zum Euroraum
Drucksache 18/1730
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss
Zum Haushaltsbegleitgesetz 2014 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir
dann später befinden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache insgesamt 125 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch; also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion
Die Linke.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
Ende Juni. Wir beraten den Haushalt für dieses Jahr. Im
Juli wird dann der Bundesrat beschließen. Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt wird wahrscheinlich Ende
Juli stattfinden, sodass wir festhalten können, dass es
sieben Monate vorläufige Haushaltsführung gab, ohne
Investitionen demzufolge und mit vielen Dingen, die
nicht gemacht werden konnten. Das ist für das Land mit
Sicherheit nicht von Vorteil gewesen.
({0})
Wir konnten hier hoffen: Was lange währt, wird endlich
gut. - Das ist aber nicht der Fall; denn das ist ein Haushalt der sozialen Spaltung.
({1})
Dieser Haushalt ist nicht zukunftsgewandt, sondern er
verspielt Zukunft.
Wir Mitglieder des Haushaltsausschusses hatten teilweise das Gefühl, in der David-Copperfield-Show zu
sein. Der Regierungsentwurf von vor einigen Monaten
beinhaltete eine Neuverschuldung von 6,5 Milliarden
Euro. Es gab dann monatelange Diskussionen zwischen
den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern und zwischen
den Haushältern, es gab diverse Anträge und auch Veränderungen - teilweise sogar zum Positiven -, und am
Ende standen dort wieder 6,5 Milliarden Euro. Das ist
schon eine Besonderheit. Aber das war Trickserei.
Ich will diesen Trick erklären: Die Koalition hat die
Zinslasten in einer Nachtsitzung einfach einmal um
1,2 Milliarden Euro reduziert,
({2})
und nachdem klar war, dass die Einnahmen aus der
Brennelementesteuer nicht wie geplant anfallen werden,
hat die Koalition die Steuerschätzung neu interpretiert
und gesagt: 1,4 Milliarden Euro neue Einnahmen. Außerdem wurden noch 500 Millionen Euro bei den Bildungsausgaben gestrichen, und in dem Haushalt von
Frau von der Leyen wurde eine globale Minderausgabe
von 400 Millionen Euro eingestellt. So ist da getrickst
worden. Aber: Nicht alle Instrumentarien der Haushaltsplanung sind auch verantwortbar, und nicht jede Operation ist erlaubt.
Lassen Sie mich etwas zum Thema „Schulden und
schwarze Null“ sagen. Über die schwarze Null wird
ganz viel geredet. Ich will kurz und knapp feststellen: Es
gibt in dem Haushalt für das Haushaltsjahr 2014 keine
schwarze Null, sondern 6,5 Milliarden Euro neue Schulden. Die Schuldenbilanz von Herrn Schäuble seit 2009
lautet 112 Milliarden Euro neue Schulden, und das Ende
der Neuverschuldung ist nicht abzusehen. Warten wir
jetzt erst einmal den September ab und schauen wir, wie
an dieser schwarzen Null gebastelt wird. Die weltweite
Zinsentwicklung ist dabei das größte Haushaltsrisiko,
das wir haben. Mehr Schuld gegenüber künftigen Generationen hat bisher kaum ein Finanzminister auf sich geladen.
({3})
Herr Schäuble, Sie wollen offenbar um jeden Preis
mit dem Prädikat „Erster Haushalt ohne Neuverschuldung seit 1969“ aus dem Amt scheiden. Das ist persönlich legitim, und im Übrigen teilen wir das Ziel, dass es
keine Neuverschuldung geben soll.
({4})
Wenn das aber die einzige Richtschnur des politischen
Handelns wird, dann ist das schlicht zu wenig. Ihr Weg
der Ausgabenkürzungen zulasten der Arbeitenden, der
Arbeitsuchenden, der Rentnerinnen und Rentner und der
Kranken ist falsch. Das ist ein Haushalt der sozialen
Spaltung.
({5})
Ich will es hier wiederholen, damit es keine Missverständnisse gibt: Ja, wir als Linke sind dafür, dass die
Schuldenquote heruntergeht und dass Schuldenabbau
betrieben wird. Das ist doch völlig klar. Da, wo wir für
Länderhaushalte Verantwortung tragen, kann man übrigens exemplarisch sehen, wie wir agieren. Gucken Sie
nur nach Brandenburg: Vier Jahre ohne Neuverschuldung, und sogar die Rückzahlung der Schulden hat begonnen.
Ich will den DIHK-Chef Eric Schweitzer zitieren, der
Ihnen bei allem Respekt bescheinigt hat:
Bei der Haushaltskonsolidierung kann ich allerdings keine besonderen Leistungen erkennen. Sie
erfolgt ausschließlich auf Grundlage der guten
Konjunktur …
Wir sagen: Wir brauchen eine andere Einnahmepolitik,
wenn wir die Haushalte wirklich konsolidieren wollen.
({6})
Dafür haben wir entsprechende Vorschläge vorgelegt.
Schauen Sie sie sich an!
Ich will Ihnen noch ein Zitat vortragen:
Die doppelte Aufgabe in Deutschland - die Schulden unseres Landes abzubauen und gleichzeitig vor
allem in Bildung und Infrastruktur zu investieren lässt sich nicht mit dem Wahlversprechen verbinden, gleichzeitig die Steuern zu senken. Sondern im
Gegenteil: Wir werden Steuern sogar erhöhen müssen. Nicht alle Steuern für alle, aber einige Steuern
für wenige.
Das ist ein hervorragendes Zitat aus dem Wahlprogramm
der SPD. Nichts davon ist übriggeblieben. Wo ist denn
irgendeine Maßnahme, mit der Sie die Steuern der Vermögenden und Superreichen in diesem Land erhöhen?
Null! Fehlanzeige! Und das ist falsch.
({7})
Herr Schäuble und Herr Barthle werden sich jetzt
gleich feiern und von der wunderbaren wirtschaftlichen
Entwicklung, von der Rekordbeschäftigung und von
steigenden Löhnen, Gehältern und Renten reden.
({8})
Es wird also ein großes Lob sein.
({9})
Was sind aber die Fakten? Ja, der konjunkturelle Verlauf im ersten Quartal ist besser als in den anderen Jahren. Von Rekordbeschäftigung zu reden, ist angesichts
der Arbeitsplatzvernichtung in den letzten Jahren aber
nicht zu akzeptieren.
({10})
Von 2000 bis 2013 ist die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze
um 1,7 Millionen gesunken. Gleichzeitig ist die Zahl der
Teilzeitarbeitsplätze um 2,5 Millionen, die Zahl der
Minijobs um 500 000, die Zahl der 1-Euro-Jobs um
100 000 und auch die Zahl der Leiharbeitsplätze gestiegen. Das ist die reale Situation. Ihr Arbeitsplatzaufschwung findet im Bereich der prekären Beschäftigung
statt.
({11})
Wenn Sie über steigende Löhne und Gehälter reden,
dann will ich Ihnen auch dazu eine Zahl nennen: Die
Steigerung der preisbereinigten Reallohnsumme seit
2000 liegt bei sage und schreibe 1,7 Prozent. Donnerwetter! In 13 Jahren ist das ja eine große Steigerung.
Deutschland hat im internationalen Vergleich ein
geringes Investitionsniveau.
Das ist ein Zitat von Sigmar Gabriel im Geleitwort
zum Jahreswirtschaftsbericht 2014. Der Mann hat recht.
Die Investitionen sind in den letzten Jahren immer
weiter zurückgegangen: 27,6 Milliarden Euro 2012,
26,1 Milliarden Euro 2013 und 25 Milliarden Euro in
diesem Jahr. Das DIW kritisiert, dass die Verkehrsinfrastruktur dabei ist, sich von einem Standortvorteil zu einem Standortproblem zu entwickeln. Nehmen Sie doch
wenigstens das zur Kenntnis. Das ist das entscheidende
Defizit dieses Haushaltes.
Sie investieren zu wenig in die Zukunft. Im Koalitionsvertrag haben Sie 5 Milliarden Euro an zusätzlichen
Verkehrsinvestitionen in dieser Legislatur vereinbart.
Aber Experten schätzen den Bedarf in jedem Jahr auf
über 7 Milliarden Euro. Sie fahren das Land auf Verschleiß. Schauen Sie sich die Brücken an! Schauen Sie
sich die Netzstruktur an! Schauen Sie sich die Krankenhäuser an! Die Schlagworte „Haushaltskonsolidierung“
und „Schuldenabbau“ sind irreführend. Das sind in
Wahrheit die Schulden für die nächste Generation.
({12})
Mit dem Haushalt 2014 werden wichtige gesellschaftliche Herausforderungen nicht angegangen, und selbst
Ihre Wahlversprechen und Ihr Koalitionsvertrag werden
gebrochen. Die Vermögensungleichheit im Euro-Raum
ist nirgendwo größer als in Deutschland. Das ist eine
skandalöse Entwicklung.
({13})
Weder der ungeheure Reichtum bei wenigen noch die
sich immer mehr öffnende Schere zwischen Arm und
Reich ist irgendwie vom Himmel gefallen. Das ist Ergebnis Ihrer Politik. Die Bundesregierung verzichtet auf
haushaltspolitische Weichenstellungen für mehr Steuergerechtigkeit und für Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit in Deutschland. Absolute Fehlanzeige in diesem Haushalt!
Die Vertreter der Koalitionsfraktionen haben verkündet, alle Menschen in Deutschland sollen ein gutes Leben führen können. Meinen Sie, dass die 3 Millionen Arbeitslosen in Deutschland ein gutes Leben führen
können? Meinen Sie, dass die 900 000 Menschen mit
Grundsicherung im Alter oder diejenigen, die diese wegen Erwerbsminderung bekommen, ein gutes Leben führen können? In Deutschland droht nicht Armut; in
Deutschland gibt es Armut, und das in unserem reichen
Land. Das ist ein Skandal. Da muss man doch als Regierung etwas tun, um das zu ändern.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt ist
nicht gut für unser Land. Er leistet keinen Beitrag zu
mehr sozialer Gerechtigkeit und zu gesellschaftlichem
Zusammenhalt. Dieser Haushalt vernachlässigt sträflich
Zukunftsinvestitionen für unser Land. Dieser Haushalt
ist nicht solide. Die Linke wird diesen Haushalt deshalb
ablehnen.
Herzlichen Dank.
({15})
Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lieber Kollege Bartsch, dass meine
Einschätzung des Haushalts eine andere ist als Ihre, wird
niemanden verwundern. Ich bitte auch um Verständnis
dafür, dass ich nicht auf jeden schrägen Ton Ihrer sozialistisch-kommunistischen Drehorgelmelodie eingehen
werde.
({0})
Das werde ich den anderen Mitgliedern dieses Hohen
Hauses ersparen.
Wir haben es nach langen und intensiven Haushaltsberatungen geschafft, in dieser Woche dem Plenum einen Haushaltsentwurf zur Beratung vorzulegen, der uns
mit großer Freude und auch mit einem gewissen Stolz
erfüllt. Schon der Haushaltsentwurf des Finanzministers
war ein guter Entwurf. Es ist uns gelungen, aus diesem
guten Haushaltsentwurf einen noch besseren zu machen.
Das war eine gemeinsame Leistung der Großen Koalition. Das Ergebnis tragen wir in dieser Woche gerne vor.
Was sind die Kernaussagen dieses Haushaltsentwurfs
2014? Als Erstes haben wir uns das Ziel gesetzt, die Nettokreditaufnahmelinie von 6,5 Milliarden Euro tatsächlich einzuhalten. Nun sagt die Opposition, das sei ein
leeres, inhaltsloses Ziel. Das Gegenteil ist der Fall. Wer
einen ausgeglichenen Haushalt ernsthaft anstrebt und
wer dieses Ziel ernsthaft und nachhaltig verfolgen will,
der muss seinen Willen dadurch beweisen, dass er dieses
Ziel in gleichmäßigen, realistischen und nachvollziehbaren Schritten ansteuert. Wir tun das, indem wir diese
Nettokreditaufnahmelinie einhalten und damit das klare
Signal aussenden: Noch nie waren wir einem ausgeglichenen Haushalt 2015 so nahe wie mit diesem Haushaltsentwurf 2014.
({1})
Die zweite große Kernaussage dieses Haushalts ist,
dass wir die strukturelle Null halten wollten. Sie alle
wissen, das strukturelle Defizit errechnet sich durch Abzug der Konjunkturkomponente und durch Abzug der finanziellen Transaktionen. Wir haben einen nicht nur
strukturell ausgeglichenen Haushalt, wir haben sogar einen kleinen strukturellen Überschuss von 1,3 Milliarden
Euro erwirtschaftet. Das ist eine große Leistung der Großen Koalition, die wir mit Stolz vortragen.
({2})
Das erlaubt mir einen Blick auf die Schuldenbremse.
Wir haben ja in unserem Grundgesetz die nationale
Schuldenbremse verankert. Diese Schuldenbremse verpflichtet uns eigentlich erst 2016, gewisse Grenzen einzuhalten. Wir halten diese Grenzen bereits seit 2012 ein
und unterschreiten sie mit dem Haushalt 2014 deutlich.
Wir könnten aufgrund der Schuldenbremse 34 Milliarden Euro neue Schulden machen, machen aber nur
Schulden in Höhe von 6 Milliarden Euro. Wenn man die
Einzahlungen in den Europäischen Stabilitätsmechanismus abzieht, sind wir bei noch gut 2 Milliarden Euro
neuen Schulden - bei Ausgaben von insgesamt
296,5 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, ich
glaube, das kann sich wirklich sehen lassen. Das ist der
richtige Weg, der letzte große Schritt hin zum ausgeglichenen Haushalt.
Das ist auch ein wichtiges Signal nicht nur an die
Bundesländer, sondern vor allem auch an die Mitgliedsländer der Europäischen Union. Wie schaffen wir das?
Durch absolute Ausgabendisziplin. Maßhalten bei den
Ausgaben und steigende Einnahmen sind das Geheimrezept unseres Erfolgs.
Wenn Sie sich die Ausgaben in diesem Jahr anschauen, dann sehen Sie, dass sie 11 Milliarden Euro
niedriger sind als der Istwert des Jahres 2013. Wenn Sie
sich die Vergleichszahl für 2010 anschauen, dann erkennen Sie, dass wir im Jahr 2014 weniger Geld ausgeben
als im Jahr 2010. Das empfehle ich allen Gebietskörperschaften als Vorbild - seien es Länder, seien es Kommunen, seien es Regionen. Das möge sich bitte jeder einmal
anschauen.
({3})
Das schaffen wir trotz schwieriger Ausgangsbedingungen. Denn seien wir ehrlich: Anfangs der Haushaltsberatungen hatten wir nicht damit gerechnet, dass uns
eine Lücke von knapp dreieinhalb Milliarden Euro ins
Haus steht. Das kam überraschend während der Haushaltsberatungen und hat uns manche Pläne verhagelt.
Wir hätten gern mehr für die Infrastruktur ausgegeben.
Diese Mittel mussten wir streichen. Aber wir haben es
geschafft, diese Lücke von dreieinhalb Milliarden Euro
zu schließen, und zwar durch einen Mix verschiedener
Maßnahmen.
Einerseits haben wir wirklich gespart. Zum Beispiel
geben wir 10 Prozent weniger aus für die Öffentlichkeitsarbeit, für Fachinformationen über alle Ressorts
hinweg. Dies ist möglich, weil das Jahr fast schon zur
Hälfte vorbei ist. Wir haben auch bei den ALG-II-Ausgaben gespart. Das war dort möglich wegen der guten
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Aufgrund möglicherweise nicht rechtzeitig zulaufender Beschaffungsvorhaben im Verteidigungsministerium konnten wir dort
400 Millionen Euro einsparen.
Andererseits haben wir in diesem Haushaltsentwurf
auch Minderausgaben und Mehreinnahmen finden können, die wir dann kenntlich gemacht haben.
({4})
Der größte Brocken dabei sind 1,2 Milliarden Euro weniger Zinsausgaben. Daran kann die Opposition nun herummäkeln, aber Tatsache ist, dass im Haushaltsausschuss die Grünen diesem Änderungsantrag zugestimmt
und die Linken sich enthalten haben. Also hoffe ich doch
sehr, dass es daran keine Kritik gibt.
Die Maßnahmen habe ich bereits genannt. Wir haben
dazu noch die Steuereinnahmen um 600 Millionen Euro
höher angesetzt, als es die Steuerschätzer getan haben.
Lieber Kollege Kindler, darauf werden Sie gleich sicherlich eingehen. Deshalb will ich an dieser Stelle Folgendes sagen:
Erstens. Wer sich bei einem Gesamtetat von knapp
300 Milliarden Euro an 600 Millionen Euro aufhängt,
der zeigt - seien wir einmal ehrlich - kleines Karo.
({5})
Zweitens. Wenn ich mir die jüngsten Einschätzungen der
Wirtschaftsforschungsinstitute - darunter RWI und IFW
in Kiel - und der Deutschen Bundesbank anschaue, dann
muss ich sagen, dass sie ihre Wachstumsprognosen für
2014 nach oben korrigiert haben, nicht nach unten. Deshalb sehen wir uns in dieser Annahme bestätigt.
Wenn wir uns die Steuereinnahmen des Monats Mai
anschauen, dann lagen die schon wieder deutlich höher
als im ersten Quartal. Auch darin sehen wir eine Bestätigung dafür, dass wir mit ruhigem Gewissen diese
600 Millionen Euro Mehreinnahmen ansetzen konnten.
Darüber hinaus sind verschiedene Sicherungsmaßnahmen vorgesehen worden, was den Haushaltsvollzug
anbelangt, und es ist uns gelungen - das will ich auch
betonen -, parlamentarische Schwerpunkte zu setzen,
die aus den Reihen der Großen Koalition an uns Haushälter herangetragen wurden. Der Haushaltsentwurf
2014 enthält also auch einige neue Akzentuierungen und
Schwerpunkte, die im parlamentarischen Verfahren entstanden sind. Diese sind aber gegenfinanziert - auch das
sage ich als Haushälter ganz bewusst -, sodass sie nicht
schuldenerhöhend wirken. Allein 90 Millionen Euro
mehr - das ist ein Zuwachs von 7,5 Prozent - sind für
die Kultur vorgesehen. Das ist ein deutliches Signal in
den gesamten Kulturbereich hinein.
({6})
Wir geben, anders als Sie es darstellen, Herr Kollege
Bartsch, für Bildung und Forschung nicht weniger Geld
aus, sondern 85 Millionen Euro mehr, als im Ansatz des
Finanzministers vorgesehen war.
({7})
Das ist die Realität: 85 Millionen Euro mehr für Bildung
und Forschung im Etat von Frau Wanka.
Im Bereich des BMI gibt es deutliche Zuwächse für
Notwendigkeiten, die wir kenntlich gemacht haben, zum
Beispiel für Integrationskurse oder für Syrien-Flüchtlinge, aber auch für wünschenswerte Maßnahmen. Beispielsweise sind 10 Millionen Euro mehr für das THW
vorgesehen, zum Beispiel für die Beschaffung von Fahrzeugen oder für Ausbildungskurse. Auch das sind deutliche Zeichen. Die Bundeszentrale für politische Bildung
und die politischen Stiftungen statten wir in diesem Etat
ebenfalls mit mehr Mitteln aus.
Darüber hinaus - auch das will ich nicht unerwähnt
lassen - haben wir im Verkehrsetat Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen, die wir gerne noch höher angesetzt hätten, aber die Umstände standen, wie gesagt,
dem entgegen. Dafür haben wir für das kommende Jahr
Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 775 Millionen Euro ausgebracht. Damit ist eine gewisse Stetigkeit
auch im Verkehrsetat gewährleistet.
Des Weiteren haben wir für notwendige Zahlungen
im Zusammenhang mit dem Green Climate Fund Vorsorge getroffen, und zwar ebenfalls in Form von Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 750 Millionen
Euro.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Dieser Haushalt
zeigt, dass wir solide wirtschaften und dass wir in unseren Maßnahmen, Planungen und in unserer Fiskalpolitik
verlässlich sind. Mit dieser Verlässlichkeit erarbeiten wir
uns das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen und Unternehmer, Investoren und Finanzakteure nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Damit ist dieser Haushalt ein gutes Zeichen für
Deutschland, aber auch für Europa. Das sage ich ganz
bewusst in Anbetracht der derzeitigen internationalen
Debatte, was eine mögliche Aufweichung der Stabilitätskriterien anbelangt.
Wir schließen uns der Auffassung von Herrn Renzi
oder von Herrn Hollande nicht an, dass wir mehr Flexibilität brauchen. Es gibt im Regelwerk genügend Flexibilität. Statt darüber nachzudenken, wie man Regeln umgehen kann, sollten wir vielmehr alle darüber
nachdenken, wie man Regeln einhält. Wir tun das. Deswegen bitte ich um Zustimmung für diesen sehr guten
Haushalt.
({8})
Ich erteile nun dem Kollegen Sven-Christian Kindler
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sind jetzt auf der Zielgeraden der Haushaltsberatungen. Auch nach den vielen Beratungen
bleibt es dabei: Es gibt keine strukturellen Änderungen
der Koalition. Ihnen fehlen der Mut und der Wille zu
strukturellen Reformen im Haushalt. Sie verlassen sich
ganz allein auf die gute Konjunktur. Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Dieser Haushalt der Großen
Koalition ist unsolide, ungerecht und zukunftsvergessen.
({0})
Ihr Haushalt ist unsolide, und er ist vor allen Dingen
hart auf Kante genäht. Vor der Bereinigungssitzung hatten Sie ein 3-Milliarden-Euro-Loch. Wie haben Sie das
gestopft? Sie haben keine strukturellen Änderungen vorgenommen. Sie haben weder bei Einnahmen und Ausgaben noch bei den Subventionen angesetzt oder Reformen
vorgesehen. Was haben Sie stattdessen gemacht? Wir haben noch am Montag vor der Bereinigungssitzung alle
gemeinsam - auch Sie, Herr Barthle und Herr Kahrs die Einnahmen aufgrund der Steuerschätzung angepasst.
Donnerstagnacht um 0.30 Uhr haben Sie eine eigene
politische und willkürliche Steuerschätzung aufgestellt
und die Einnahmen um 700 Millionen Euro nach oben
angepasst. Sie haben sich damit kaltschnäuzig über die
Mai-Steuerschätzung hinweggesetzt. Das nenne ich unverschämt und dreist.
({1})
Das zeigt auch das Grundverständnis Ihrer Haushaltspolitik. Sie verweigern die Arbeit und ändern im Haushalt nichts strukturell. Stattdessen hoffen Sie und zocken. Sie sind Zocker. Sie wetten auf die gute
Konjunktur und auf eine gute Zukunft. Das ist Haushaltspolitik im Las-Vegas-Style. Am Roulettetisch setzen Sie alles auf Schwarz, und wenn die Kugel dann auf
Rot landet, ist Ihr Portemonnaie leer, und Sie müssen zur
Bank gehen. Aber diese Zockerei hat nichts mit solider
Haushaltspolitik zu tun.
({2})
Den Gang zur Bank haben Sie übrigens schon eingeplant. Sie haben nachts um halb eins in der Bereinigungssitzung das Haushaltsgesetz geändert. Sie können
nun dieses Jahr 3 Milliarden Euro mehr Schulden machen, indem Sie 2014 alte, nicht verbrauchte Kreditermächtigungen nutzen. Sie müssen darüber den Haushaltsausschuss nicht zeitnah informieren. Sie haben sich
damit im Haushaltsgesetz eine Portokasse geschaffen,
weil Sie Angst haben, dass Sie dieses Jahr mehr Schulden als die geplanten 6,5 Milliarden Euro machen müssen. Wenn Sie diese Schulden machen müssen, dann
wollen Sie darüber weder das Parlament noch die Öffentlichkeit informieren. Das ist versuchte Täuschung
mit Ansage.
({3})
Ihr Haushalt ist zudem ungerecht, Herr Schäuble. Sie
und die Große Koalition loben sich schon jetzt für die
schwarze Null im Jahr 2015. Aber wie finanzieren Sie
das? Sie greifen mit vollen Händen in die Sozialkassen.
Sie greifen in den Gesundheitsfonds und die Rentenkasse. Sie finanzieren das damit auf dem Rücken der
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Das hat aber mit
struktureller Haushaltskonsolidierung nichts zu tun. Die
Zeche dafür zahlen später die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Das ist einfach ungerecht.
({4})
Wir Grüne beantragen dagegen für mehr Gerechtigkeit die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf
420 Euro. Bei der Rente wollen wir den Einstieg in eine
steuerfinanzierte Garantierente für langjährig Versicherte. Damit würden wir vor allen Dingen Frauen und
Geringverdienern helfen, die von Altersarmut besonders
betroffen sind. Sie dagegen nehmen 160 Milliarden Euro
in die Hand und machen nichts gegen Altersarmut. Das
ist das große Gerechtigkeitsproblem bei der schwarz-roten Rentenpolitik.
({5})
Dieser Haushalt ist auch zukunftsvergessen. Wir alle
wissen: Die Infrastruktur in diesem Land verrottet. Wir
leben von der Substanz. Sie tun nichts dagegen. Im Gegenteil: Die Investitionsquote befindet sich bei der Großen Koalition im freien Fall. Sie wird 2018 bei nur noch
8 Prozent liegen. Wir als Grüne haben dagegen mit unseren Änderungsanträgen klargemacht, dass sich die Investitionsquote schon in diesem Haushalt auf 11 Prozent
steigern lässt. Wir wollen einen 3-Milliarden-Euro-Energiesparfonds auflegen und die Mittel für die CO2-Gebäudesanierungsprogramme auf 2 Milliarden Euro aufstocken. Wir wollen 1 Milliarde Euro mehr für den Erhalt
von Straßen und Brücken ausgeben, anstatt neue, überflüssige Autobahnen zu bauen. Das ist der fundamentale
Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik: Sie wollen mehr schlecht als recht den Status quo verwalten.
Wir Grüne wollen gestalten und für morgen in die Zukunft investieren.
({6})
Investitionen für morgen sind Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung sowie in Hochschulen und
Forschung. Aber die für 2015 versprochenen 500 Millionen Euro haben Sie einfach verschoben. Die 1 Milliarde
Euro, die für die Kommunen versprochen war, haben Sie
einfach gestrichen, obwohl gerade in den Kommunen
die meisten Investitionen getätigt werden. Das zeigt, was
das Motto dieser Großen Koalition ist: Kaum versprochen, schon gebrochen!
({7})
- Doch, die Linke klatscht; das siehst du doch.
({8})
- Du bist doch gleich dran, Johannes.
Klar ist auch: Wir wollen die Investitionen konkret
und solide gegenfinanzieren, ohne zusätzliche Schulden
zu machen. Unsere Leitlinie als Grüne lautet: Investieren
statt Subventionieren. Jedes Jahr gibt dieser Staat
50 Milliarden Euro für Investitionen aus, die klimaschädlich sind. Wir Grüne sagen: Davon können wir zu
Beginn schnell 8 Milliarden Euro pro Jahr abbauen. Wir
können Milliarden bei der Privilegierung des Flugverkehrs und von schweren Dienstwagen sowie bei den
Subventionen für Erdöl, Kohle, Agrardiesel und Atomenergie abbauen. Diese klimaschädlichen Subventionen
müssen endlich abgebaut werden.
({9})
Die entscheidende Frage lautet: Was machen Sie als
Große Koalition in diesem Haushalt? Sie schaffen neue
klimaschädliche Subventionen. Sie führen eine Strompreiskompensation in Höhe von 350 Millionen Euro ein.
Im Rahmen des EEG wollen Sie erneut Milliarden an
Subventionen in die Großindustrie pumpen. Das zeigt
wieder einmal: Sie sind eine große Subventionskoalition.
({10})
Da Norbert Barthle die Debatte über die Europapolitik angesprochen hat, will ich ebenfalls darauf eingehen.
Es ist richtig: Wir brauchen Haushaltskonsolidierung
und Reformen in Europa. Wir Grüne halten auch nichts
von Scheindebatten über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der hat genug Flexibilität. Wir Grüne stehen zum
Stabilitätspakt.
({11})
Das große Problem ist aber die einseitige Fokussierung der Konservativen in Europa mit Frau Merkel an
der Spitze auf eine rigide Sparpolitik. Das hat die Rezession verstärkt.
({12})
Das hat die Jugendarbeitslosigkeit in die Höhe getrieben,
weil Mittel für wichtige Investitionen gekürzt wurden.
Für uns Grüne ist klar: Diese einseitige, blinde Sparpolitik in Europa muss beendet werden.
Wir brauchen auch eine Investitionsstrategie für Europa.
({13})
Eine kluge Investitionsstrategie in Europa setzt neben
der Ausgabenseite auf die Einnahmeseite, sie setzt auf
die Beteiligung von Vermögenden, sie geht massiv gegen den Steuerbetrug vor, um Investitionen zu finanzieren. Das heißt aber nicht Investitionen im Sinne von sozialdemokratischem Beton- und Kohlewachstum,
({14})
sondern das heißt Investitionen in die Zukunft, in erneuerbare Energien, in den sozialökologischen Umbau und
in Bildung. Liebe SPD, bisher ist von Ihnen in Sachen
Investitionsstrategie sehr wenig gekommen. Da reichen
keine warmen, vagen Worte vom Vizekanzler.
({15})
Wir Grüne streiten in dieser Haushaltsdebatte nicht
nur für europäische Gerechtigkeit, wir streiten auch für
globale Gerechtigkeit. Auch da hat die Koalition versagt.
Sie haben mindestens 240 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz gestrichen. Wir Grüne dagegen
wollen die Mittel um 500 Millionen Euro erhöhen. Wir
wollen auch einen Aufholplan, um endlich das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen. Wir wollen dafür in diesem Haushalt 1,3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stellen. Wir wollen das
gegenfinanzieren, indem bei Rüstungsprojekten der
Bundeswehr 2 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge statt Milliarden für
neue Rüstungsdesaster - so kann man ganz praktisch im
Haushalt globale Gerechtigkeit umsetzen.
({16})
Auch bei den Einnahmen stehen wir für mehr Gerechtigkeit. Die strukturelle Unterfinanzierung des Staates
muss beendet werden. Die Schere zwischen Arm und
Reich geht weiter auf. Das ist ungerecht. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Wir Grüne wollen unter anderem an die Abgeltungsteuer heran und die
Kapitaleinkommen wie die Arbeitseinkommen wieder
progressiv besteuern. Denn man kann niemandem mehr
erklären, warum Gewinne aus Aktiengeschäften im Regelfall niedriger besteuert werden als Einkommen aus
Lohnarbeit. Das ist extrem ungerecht, das muss dringend
geändert werden.
({17})
Wir Grüne haben in diesem Haushalt konkrete Alternativen vorgelegt, und zwar für Investitionen in die Zukunft. Wir wollen das durch Ausgabenkürzungen, Subventionsabbau und Einnahmeverbesserungen solide
gegenfinanzieren. Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie unseren Alternativen zu! Denn
sonst bleibt Ihr Haushalt leider unsolide, ungerecht und
zukunftsvergessen.
Vielen Dank.
({18})
Für die Sozialdemokraten erteile ich das Wort dem
Kollegen Johannes Kahrs.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben hier eine Rede von Norbert Barthle
für die CDU/CSU gehört, die ich nicht besser hätte halten können. Mein lieber Norbert, ganz herzlichen Dank!
({0})
Man sieht: Die Große Koalition arbeitet, die Große
Koalition funktioniert, die Große Koalition legt einen
soliden Haushalt vor, die Große Koalition weiß, dass
das, was wir machen, gut für unser Land ist. Norbert
Barthle hat das in vorzüglicher Weise vorgetragen. Du
wärest auch ein guter Sozi, jedenfalls in dieser Frage.
({1})
Wir haben auch zwei Reden von den Grünen und den
Linken gehört, die nicht viel Neues zu bieten hatten. Etwas anderes war nach den Haushaltsberatungen auch
nicht zu erwarten. Wir haben auch mitbekommen, dass
die eine oder andere Kritik geäußert worden ist. Das,
finde ich, ist vollkommen in Ordnung. In der Substanz
würden aber auch sie nicht viel ändern; das muss man
einfach zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte jedoch an einen Punkt, der hier eben angesprochen worden ist, gerne anknüpfen. Herr Kindler hat
eben vom Subventionsabbau gesprochen, insbesondere
beim EEG, und auf die Unternehmen, die im weltweiten
Wettbewerb stehen, verwiesen. Erlauben Sie mir dazu
eine Anmerkung, gerade als Sozialdemokrat. Ich halte es
für einen strukturellen Fehler, dass wir in diesem Land in
der Diskussion so tun, als würde unser wirtschaftlicher
Erfolg, der sich auch in Steuereinnahmen niederschlägt,
einfach von selber kommen. Es gibt Unternehmen in
diesem Lande - ob aus den Bereichen Chemie, Kupfer,
Stahl oder andere -, die im internationalen Wettbewerb
stehen.
({2})
Auch ihnen muss man die Möglichkeit geben, gegenüber
der Konkurrenz zu bestehen. Mit Blick darauf, dass die
Preisbildung nicht auf dem deutschen Markt stattfindet
- weil es eben nicht so ist, dass Bäcker in unterschiedlichen Stadtteilen miteinander im Wettbewerb stehen; hier
geht es vielmehr Industriezweige, die Produkte erzeugen, deren Preise auf dem Weltmarkt festgelegt werden -,
muss man einfach feststellen, dass Deutschland auch
Standortnachteile hat: Wir haben zum Beispiel höhere
Löhne als andere; das ist gut so. Dafür haben wir auch
eine höhere Produktivität.
({3})
Was das EEG angeht, Herr Kindler: Wenn man will,
dass es in diesem Land Industriearbeitsplätze gibt, wenn
man nicht will, dass wir uns so deindustriealisieren, wie
es die USA oder England in den letzten Jahren gemacht
haben,
({4})
ist es sinnvoll, vernünftig und richtig, dass man für die
deutsche Industrie etwas tut, dass man für gut bezahlte
deutsche Industriearbeitsplätze etwas tut. Deswegen ist
es notwendig, dass man hier ganz klar sagt: Es muss
Ausnahmen vom EEG geben. Es muss möglich sein,
dass man für Industriezweige, die im internationalen
Wettbewerb stehen, etwas tut. Das sind keine Subventionen. Das hat etwas mit Wettbewerbsfähigkeit und Chancengleichheit zu tun.
({5})
Was Sie hier probieren, ist, dass Sie der deutschen Industrie einen Betonblock an den Fuß binden, damit sie
nicht wettbewerbsfähig ist.
({6})
Ich kann die Grünen ja verstehen. Sie mögen es gut finden, wenn hier viele Unternehmen pleitegehen. Das
kommt ihnen im Hinblick auf die Reduzierung des CO2Ausstoßes und anderes entgegen.
Im Kern stehen wir Sozialdemokraten, steht diese
Koalition für eine erfolgreiche Industrielandschaft, für
Arbeitsplätze,
({7})
für starke Arbeitgeber und starke Arbeitnehmer in diesem Land. Da unterscheiden wir uns von den Grünen.
Wir sind dafür, dass Unternehmen aus Hamburg, aus
dem Ruhrgebiet und anderswoher auf dem Weltmarkt
eine Chance haben. Dafür steht auch dieser Haushalt,
und dafür steht auch diese Koalition. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.
({8})
Am Ende stellt sich heraus, dass Grundkonsens in
diesem Hause ist - von einigen Aufgeregten bei den
Grünen einmal abgesehen -, dass wir der deutschen Industrie ermöglichen wollen, im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein; dazu stehen wir. In meinem
Wahlkreis hat mit Aurubis der international größte Kupferhersteller seinen Sitz. Dieses Unternehmen muss sich
im Wettbewerb bewähren. Dessen Wettbewerber kommen nicht aus Deutschland; sie sind international tätig.
Alle Unternehmen dieser Branche sind demselben Preiskampf ausgesetzt.
Wenn wir es Unternehmen wie Aurubis nicht möglich
machen, wettbewerbsfähig zu sein, dann haben sie keine
Chancen. Wenn wir hier im Rahmen der Haushaltsberatungen darüber reden, wie wir das Geld ausgeben, dann
müssen wir bedenken, dass dieses Geld erst einmal eingenommen werden muss, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Das funktioniert nun einmal nur, wenn wir eine Industrie
haben, die im weltweiten Wettbewerb Chancen hat.
Insofern sage ich - mit Verlaub, Herr Kindler -: Die
hohlen Phrasen, die ich gehört habe, halte ich für falsch.
Ich halte sie in der Sache für falsch, und im Hinblick auf
die deutschen Arbeitsplätze und die deutschen Arbeitnehmer sind sie allemal falsch. Es gilt eben nicht, das
EEG ausnahmslos umzusetzen. Vielmehr sollte man
nach vernünftigen Kriterien vorgehen.
({10})
Man sollte immer die Folgen seines Tuns bedenken.
Man muss weiter denken als von hier bis zum nächsten
Birnbaum.
({11})
Wenn man sich den Haushaltsentwurf, den wir vorgelegt haben, anschaut, stellt man fest: Wir handeln vernünftig. Wir steuern die geringste Neuverschuldung seit
40 Jahren an. Das zeigt: Die Große Koalition funktioniert.
({12})
Das zeigt: CDU, CSU und SPD befinden sich auf einem
guten Kurs. Das zentrale Versprechen des Koalitionsvertrages, solide Staatsfinanzen für eine starke Zukunft zu
schaffen, ist erfüllt; wir arbeiten daran, dass das so weitergeht.
({13})
Im nächsten Jahr wollen wir eine schwarze Null haben. Dass auch Rote für eine schwarze Null kämpfen, ist
nichts Ungewöhnliches. Wir Sozialdemokraten haben
schon in der letzten Großen Koalition dafür gekämpft,
dass im Grundgesetz eine Schuldenbremse verankert
wird. Der eingeschlagene Weg wird jetzt fortgeführt.
Wenn wir im nächsten Jahr bei einer schwarzen Null landen, dann steht das im Einklang mit der mittelfristigen
Finanzplanung. Die Schuldenbremse wird also eingehalten.
Das ist ein großes Versprechen. Es einzuhalten, ist für
diese Große Koalition auch eine große Aufgabe. Sie
wird uns die nächsten Jahre beschäftigen. Der Finanzminister, der sich hierhingestellt und gesagt hat, er stehe
zu dieser schwarzen Null und wolle durchziehen, was
dafür notwendig sei, hat in den nächsten Jahren eine
große Verantwortung; denn man muss dafür viele Bedingungen erfüllen. Jede Abweichung vom notwendigen
Kurs wird für uns alle schwierig und problematisch. Wir
stehen also nicht nur zum Ziel einer schwarzen Null,
sondern haben mit dem Koalitionsvertrag und diesem
Haushalt sehr viel dafür getan, dass dieses Ziel erreichbar ist.
Das Ziel einer schwarzen Null hat viel mit Generationengerechtigkeit zu tun. Wir sagen: Wir machen keine
neuen Schulden mehr in diesem Land. Dazu stehen Sozialdemokraten und CDU/CSU.
({14})
Ich glaube, dass das etwas ist, was man gar nicht laut genug sagen kann. Dieser Haushalt ist der erste Schritt auf
diesem Weg. Ab dem nächsten Jahr wird das so kommen.
Zur Kritik der Opposition. Die Opposition redet über
200 Millionen Euro hier, 600 Millionen Euro da. Wir reden dann über 0,6 Prozent von 300 Millionen Euro.
({15})
- Genau, 300 Milliarden. - Ehrlich gesagt: Herr Kindler,
man kann sich über vieles streiten, den ganzen Tag, aber
es sollte schon einen Hauch von Substanz haben. Dass
wir in so einem Haushalt Spielräume haben, das ist gut
so.
({16})
Wir hatten Pech. Wir hatten Glück. Das eine zu betonen
und das andere nicht, das ist ein bisschen grenzwertig.
Ich verstehe, dass Sie Ihre neun Minuten Redezeit irgendwie füllen müssen, aber im Kern sollte man das
schon ein bisschen substanzieller tun. Wir schätzen uns
sehr - Sie haben auch zum Teil zugestimmt -, aber diese
Kritik war nicht in Ordnung.
Ansonsten möchte ich noch eine Anmerkung machen.
Von den Grünen ist kritisiert worden, wie man mit dem
Stabilitätspakt umgeht. Ich glaube, besser als der Regierungssprecher gestern hätte man es gar nicht sagen können. Herr Seibert hat das sehr vernünftig ausgeführt.
({17})
Er hat gesagt, dass beim Stabilitäts- und Wachstumspakt
beide Worte gelten. Er hat gesagt, dass Fristverlängerungen möglich sind und dass es in der Vergangenheit auch
schon dazu gekommen ist. Er hat gesagt: Negative wirtschaftliche Entwicklungen können beim Defizitverfahren berücksichtigt werden. Er hat gesagt: Die Investitionsklausel trägt größeren Strukturreformen Rechnung.
Er hat gesagt, dass die Bundesregierung zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt steht und auch
eine flexible Anwendung für möglich hält. - An diesem
Pakt wird nichts geändert. Wir brauchen beide Teile. Der
Regierungssprecher hat es gestern festgestellt. Ich gehe
davon aus, dass zwischen Bundeskanzlerin, Vizekanzler
und Finanzminister kein Blatt Papier passt.
Vielen Dank.
({18})
Nächster Redner ist Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Große Koalition arbeitet geschlossen. Das
haben wir auch gerade in den Reden unserer beiden Berichterstatter des Haushaltsausschusses überzeugend gehört.
({0})
Eine kleine Anmerkung muss ich machen, Herr Kollege
Kahrs - ich spreche in Übereinstimmung mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion -: Den
Kollegen Barthle geben wir nicht her. Der bleibt schon
bei uns.
({1})
Zunächst will ich mich nun bei den Kollegen im
Haushaltsausschuss für die intensive Arbeit, für die
große Unterstützung und die gute Zusammenarbeit bedanken. Der Erfolg dieser gemeinsamen Arbeit und der
Anstrengungen kommt den Menschen in unserem Lande
zugute; denen dienen wir alle gemeinsam.
({2})
Es gibt den Widerspruch zwischen Wirtschaftswachstum und Haushaltskonsolidierung nicht. Dieser Widerspruch ist einer der verbreiteten Irrtümer, die wir seit
Jahren konsequent widerlegen. Wir sind in Europa nicht
nur Stabilitätsanker, sondern auch Wachstumslokomotive, und zwar mit einer Politik, mit der wir durch eine
konsequente, stetige Rückführung der als Folge der Finanzkrise zu hoch gewordenen Verschuldung dafür sorgen, dass Vertrauen in unserem Lande wächst und deswegen der private Konsum und auch die Investitionen
hoch sind. Entscheidend sind dabei nicht die öffentlichen, sondern die privaten Investitionen. Dafür muss
man durch eine langfristige, stetige Finanz- und Haushaltspolitik die richtigen Rahmenbedingungen setzen.
Abbau der Verschuldung und keine Diskussion über
Steuererhöhungen, das sind die wichtigen Parameter.
Deswegen haben wir eine wirtschaftliche Lage, die
besser ist, als sie leider in vielen anderen europäischen
Ländern derzeit ist. Das Institut für Weltwirtschaft hat in
diesen Tagen prognostiziert, in diesem Jahr würden wir
ein reales Wachstum von bis zu 2 Prozent und im kommenden Jahr von 2,5 Prozent haben. Die Lage hat sich
gegenüber den amtlichen Schätzungen ein wenig verbessert. Daher haben wir im Vergleich zu den Steuerschätzungen auch einen gewissen Spielraum, um auf Entwicklungen, die uns durch vorläufige Entscheidungen
von Finanzgerichten ereilt und zu Abweichungen von
der Steuerschätzung geführt haben, reagieren zu können.
2,0 Prozent Wachstum in diesem Jahr und 2,5 Prozent
Wachstum im kommenden Jahr, das ist eine ordentliche,
am oberen Rand unseres Potenzialwachstums liegende
wirtschaftliche Entwicklung. Das zeigt, dass wir wirtschaftlich auf einem erfolgreichen Kurs sind. Im ÜbriBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
gen haben wir auch eine gute Lage am Arbeitsmarkt,
was überhaupt nicht heißt, dass wir uns nicht weiter bemühen müssen, vorhandene und neu auftauchende Probleme schrittweise zu lösen. Aber mit diesem Haushalt
haben wir Handlungsfähigkeit erzielt.
Ich will eine Bemerkung hinzufügen: Von unserer
wirtschaftlichen Lage profitieren nicht zuletzt unsere
Partner in Europa.
({3})
Nach Untersuchungen von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten haben wir eine Exportelastizität von 0,9.
Das heißt, wenn unser Export 10 Milliarden Euro höher
ist, dann bewirkt das Vorlieferungen in Höhe von 9 Milliarden Euro durch unsere Partner in Europa nach
Deutschland. Die anderen Länder profitieren von unserer wirtschaftlichen Stärke. Deswegen wäre es im Interesse europäischer Solidarität das Dümmste, was wir
machen könnten, wenn wir Deutschland schwächen
würden.
({4})
Um insgesamt stärker zu werden, müssen auch wir Deutsche unserer Verantwortung ein Stück weit gerecht werden.
Herr Kollege Bartsch, mit allem Respekt, es geht
schief, wenn Sie uns in einer Rede in zwei Sätzen hintereinander vorwerfen, wir würden viel zu viel sparen und
viel zu viele Schulden machen. Das muss schiefgehen.
Sie können nicht gleichzeitig rechts und links überholen,
wenn Sie einen Crash vermeiden wollen. Ich würde Ihnen raten: Überlegen Sie das nächste Mal, welche Tricks
Sie machen. Sie können nicht ausführen, wir würden die
Verschuldung unsinnig zurückführen, und gleichzeitig
sagen, wir hätten die höchsten Schulden aller Zeiten. Es
ist schade um den Versuch, eine seriöse Debatte zu führen.
Wir haben uns konsequent dafür entschieden - das
entspricht übrigens europäischem Regelwerk; auch daran muss man erinnern -, dass wir die zu hohe Verschuldung schrittweise zurückführen, damit wir in einem
Zeitraum von zehn Jahren - das werden wir wohl schaffen - auf eine gesamtstaatliche Verschuldung von
60 Prozent im Verhältnis zu unserer wirtschaftlichen
Leistungskraft zurückkommen. Davon sind wir noch
weit entfernt. Aber wir können in dieser Legislaturperiode - wir sind auf einem guten Weg - die Verschuldung in der mittelfristigen Finanzplanung auf unter
70 Prozent senken. Das ist die entscheidende Voraussetzung. Dazu leistet dieser Haushalt einen wichtigen Beitrag, und zwar in diesem Jahr ohne strukturelle Neuverschuldung, mit einer Neuverschuldung von letztmalig
6,5 Milliarden Euro. Ich hoffe, dass wir es schaffen.
Wenn uns nichts Unvorhersehbares dazwischenkommt,
schaffen wir es auch, dass wir ab dem kommenden Jahr
ohne Neuverschuldung auskommen. Das ist notwendig,
weil wir damit die Wachstumskräfte stärken.
Wir erfüllen das, was wir im Koalitionsvertrag versprochen haben: Im Rahmen des Haushalts stärken wir
die öffentlichen Investitionen. Wir unterstützen die Länder und Gemeinden im Bereich von Bildung und Forschung zulasten des Bundeshaushaltes, damit sie ihre
Handlungsfähigkeit in der Bildungs- und Forschungspolitik - vor allen Dingen geht es aber auch um eine
Stärkung der kommunalen Investitionen - verbessern
können. Wir bleiben dabei, dass wir die Forschungsausgaben - im internationalen Vergleich stehen wir mit an
der Spitze - auf 3 Prozent unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung festschreiben. Das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Das setzen wir mit diesem Haushalt und im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung
um.
Meine Damen und Herren, angesichts der Debatte
über Investitionen will ich noch einmal sagen: Das Allerwichtigste bei diesem wahnsinnig schnellen Wandel
in der technologischen Entwicklung, in dieser globalisierten, weltweit vernetzten Wirtschaft ist, dass wir in
Forschung und Entwicklung an der Spitze bleiben. Deswegen ist die Aufrechterhaltung einer hohen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in Deutschland ein
Schlüssel für nachhaltiges Wachstum und damit für unsere Fähigkeit, angesichts unserer demografischen Entwicklung auch in Zukunft soziale Sicherheit und soziale
Gerechtigkeit gewährleisten zu können. Genau darum
geht es in unserer Finanzpolitik.
({5})
Der Haushalt und diese Finanzpolitik schaffen auch
Spielraum für private Investitionen. - Übrigens, Herr
Bartsch, dass wir den Bundeshaushalt so spät verabschieden, hat damit zu tun, dass wir im letzten Jahr gewählt haben.
({6})
Das ist gar nicht anders möglich. Die Diskontinuität einer Legislaturperiode bedeutet, dass man den Haushalt
erst einmal neu einbringen muss. Das Parlament braucht
dann ein paar Wochen Zeit, um intensiv zu beraten. Es
ist mit Hochdruck gearbeitet worden. Deswegen weiß
ich nicht, was Sie daran kritisieren, es sei denn, Sie haben etwas gegen Wahlen. Das war ja früher einmal umstritten. Das sollten wir aber nicht wieder tun, um es
ganz ruhig zu sagen.
({7})
Es tut mir furchtbar leid, aber es war ein so alberner Vorwurf, dass man ihn doch einmal zurückweisen muss.
Wir gehen diesen Weg jedenfalls konsequent weiter.
Es ist entscheidend, dass wir diese Linie auch so verfolgen, wie wir es gesagt haben.
Ich will den Bemerkungen Folgendes hinzufügen: Indem wir Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer finanzpolitischen Handlungsfähigkeit schaffen und zugleich
das Vertrauen darin schaffen, dass wir in den kommenden Jahren nicht die Steuern erhöhen, sorgen wir für bes3582
sere Rahmenbedingungen im Hinblick auf eine Verstärkung der privaten Investitionstätigkeit. Genau darauf
werden wir uns konzentrieren müssen.
Wir müssen weiter daran arbeiten, im Bereich der
Mittelstandsfinanzierung die Rahmenbedingungen zu
verbessern. Wir müssen vor allen Dingen daran arbeiten
- ich will nicht alles wiederholen -, dass wir die Rahmenbedingungen für Existenzgründungen in unserem
Lande verbessern. Wir müssen angesichts der Gewohnheit, viel weniger über den Kapitalmarkt zu finanzieren
als in angelsächsischen Ländern, zumindest für die Startup-Unternehmen eine bessere Wagniskapitalkultur
schaffen.
({8})
Wir werden in unserer Politik die entsprechenden Anreize dafür schaffen, auch in steuerlicher Hinsicht. Denn
genau darin liegt der Schlüssel für eine Verstärkung der
Investitionstätigkeit in unserem Land.
({9})
Das muss im Übrigen auch der Weg für Europa sein.
Wir brauchen in Europa genau denselben Weg: Zurückgewinnung von Vertrauen durch Festhalten am Stabilitäts- und Wachstumspakt und Stärkung der Investitionen
durch eine effizientere Mittelverwendung in der Europäischen Union. Zu Beginn einer neuen Legislaturperiode im
Europäischen Parlament und in der Europäischen Kommission besteht eine Menge Handlungsbedarf. Darauf
sollte man sich konzentrieren, anstatt eine Diskussion zu
führen, bei der der Verdacht entsteht, man würde die alten Fehler wiederholen. Wir haben einen schweren Fehler gemacht, indem wir uns nicht an die Regeln gehalten
haben. Wir sollten diesen Fehler nicht wiederholen. Wir
sehen, dass der andere Weg der richtige ist. Diesen müssen wir konsequent weitergehen.
Im Übrigen möchte ich bei dieser Gelegenheit Folgendes sagen: Man hat unsere europäische Währung in
den letzten Jahren totgesagt. Ich finde es doch ganz bemerkenswert, dass es uns entgegen vielerlei Skepsis mit
der richtigen Politik - sie besteht darin, Solidarität denjenigen gegenüber zu zeigen, die Solidarität brauchen,
aber Hilfe immer in Form von Hilfe zur Selbsthilfe zu
leisten; das bedeutet auch Konditionalität - gelungen ist,
den Euro zu stabilisieren und ihn damit aus der Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten herauszuführen. Die
Folge ist, dass wir heute wieder über eine der angesehensten Reservewährungen verfügen.
Ein Bericht der OECD beschäftigt sich mit den Ländern, die Strukturreformen durchführen. Es ist schon bemerkenswert, dass die Länder in Europa, die einem Stabilitätsprogramm unterlagen oder noch unterliegen, in
der Durchführung von Strukturreformen am erfolgreichsten waren. Die wirtschaftlichen Erfolge sind in Irland, in Spanien, in Portugal, in Zypern und in Griechenland bei allen Schwierigkeiten nicht zu übersehen.
Deswegen ist dieser Weg - solide Finanzen und Strukturreformen - der richtige, um die Länder aus den
Schwierigkeiten herauszuholen.
({10})
Dass sich der Euro einer großen Anziehungskraft
erfreut, zeigt die Tatsache, dass wir heute im Rahmen
dieser Haushaltswoche zugleich über den Antrag der Republik Litauen, der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion beizutreten und den Euro als Umlaufwährung einzuführen, beraten. Ich bitte sehr darum, dass wir
diesem Antrag zustimmen.
({11})
Litauen hat große, erfolgreiche Anstrengungen unternommen, seine Wirtschaft zu reformieren. Wenn ich
manche Klagen in Europa höre oder lese und dann
schaue, welche Anstrengungen unsere baltischen Partner
in Europa erfolgreich unternommen haben, dann muss
ich sagen: Man kann ein ganzes Stück daraus lernen. Insofern ist der Antrag Litauens und die Empfehlung der
Europäischen Kommission, dass Litauen zum 1. Januar
2015 der Währungsunion beitreten soll, wiederum ein
Beweis dafür, dass dieser Weg der richtige ist. Wir gratulieren Litauen zu den erreichten Erfolgen und freuen uns
auf ein weiteres Mitglied in unserer gemeinsamen europäischen Währung.
({12})
Wir sind mit dem Haushalt 2014 auf einem guten
Weg. Die Finanzpolitik kann nicht alles - die Politik
kann sowieso nicht alles -, aber sie kann die Weichen im
Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit so stellen, dass die Menschen Arbeit und
Beschäftigung haben und die soziale Sicherheit in diesem Lande besser gewährleistet ist als in den meisten anderen Ländern dieser Welt. Das ist die Aufgabe unserer
Finanzpolitik. Deswegen wünsche ich mir für die Haushaltsberatungen in dieser Woche, dass wir uns in genau
diesem Geist um die bestmöglichen Lösungen bemühen.
Herzlichen Dank.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich,
die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schäuble, Sie haben sich an mehreren Stellen mit
der sehr guten Rede von Herrn Bartsch auseinandergesetzt. Das zeigt, dass unsere Kritik angekommen ist.
Aber Sie haben dann versucht, einen Widerspruch aufzumachen. Wir wollen daher nochmals versuchen, es Ihnen
zu erklären: Sie sparen auf Kosten der zukünftigen Generationen, Sie sparen auf Kosten der Sozialversicherungen, Sie sparen auf Kosten der Kommunen, und trotzdem sind Sie der Schuldenfinanzminister Deutschlands.
Das ist der Widerspruch, den Sie nicht erkennen können.
Die Lösung liegt darin, mehr Steuergerechtigkeit zu
schaffen. Wir müssen das Geld dort abholen, wo es vorhanden ist.
({0})
So könnte man in die Zukunft investieren und einen soliden Haushalt aufstellen.
Herr Kahrs, Sie prahlen hier damit, dass kein Blatt Papier mehr zwischen CDU/CSU und SPD passt. Ich möchte
einmal daran erinnern: Es war der SPD-Kanzlerkandidat
Steinbrück - manche erinnern sich noch an ihn -, der im
Wahlkampf gesagt hat: Mehr soziale Gerechtigkeit in
diesem Land wird es nur mit mehr Steuergerechtigkeit
geben. - Dieser Haushalt leistet keinen Beitrag zu mehr
Steuergerechtigkeit. Infolgedessen, Herr Steinbrück, ist
dieser Haushalt unsozial; aber die SPD sagt, es passe
kein Blatt Papier zwischen sie und die CDU/CSU. Auch
Sie von der SPD stehen für einen unsozialen Haushalt
2014.
({1})
Herr Schäuble, Sie haben den Beitritt Litauens zur
Euro-Zone angesprochen; auch ich will über dieses
Thema reden. Mit Litauen soll nun ein neues Mitglied in
die Euro-Zone aufgenommen werden, obwohl die Probleme noch lange nicht gelöst sind. Eine Vergrößerung
der Euro-Zone löst ihre strukturellen Probleme nicht. In
den letzten Jahren ist ganz deutlich geworden, dass die
Europäische Währungsunion eine Fehlkonstruktion ist.
Von der Einführung des Euros bis zum Ausbruch der ersten großen Krise hat es keine zehn Jahre gedauert. Diese
Krise hält nun schon seit sechs Jahren an, und ein Ende
ist nicht in Sicht.
Wenn wir einen krisenresistenten Euro wollen, dann
müssen wir seine Konstruktionsfehler beheben. Das bedeutet zum Beispiel: ein Ende des Steuerdumpings, massive öffentliche Investitionen und eine strenge Regulierung der Finanzmärkte. Deutschland muss endlich seine
riesigen Außenhandelsüberschüsse abbauen: durch höhere Löhne, Renten und Sozialleistungen. Solange diese
grundlegenden Korrekturen nicht vorgenommen worden sind, ist es unverantwortlich, die Euro-Zone zu vergrößern.
({2})
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Litauen
die Maastricht-Kriterien einhält und damit die Beitrittsvoraussetzungen formal erfüllt. Auch das wissen wir
spätestens seit der Krise: Diese Kriterien sind keine vernünftige Grundlage für eine Beitrittsentscheidung. Gerade jene Faktoren, die bei der Krisenentstehung ganz
entscheidend waren - Lohnniveau, Produktivität, Größe
des Finanzsektors, private Verschuldung -, werden überhaupt nicht berücksichtigt.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Wir stimmen
auch deshalb nicht zu, weil es sich offensichtlich um
eine Entscheidung gegen die litauische Bevölkerung
handelt. Laut Eurobarometer sind 56 Prozent gegen den
Euro-Beitritt. Die Regierung Litauens verweigert ein
Referendum. Wir sind der Meinung, dass ein solch wichtiger, zukunftsweisender Schritt auf keinen Fall gegen
den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden darf.
Das ist ein Grund, warum wir heute nicht zustimmen
werden.
Vielen Dank.
({3})
Für die Sozialdemokraten erteile ich dem Kollegen
Dr. Hans-Ulrich Krüger das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der in dieser Woche zur Verabschiedung vorliegende Haushalt des Jahres 2014 ist Zeugnis der Leistungsfähigkeit, der Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch
des Gestaltungswillens der Großen Koalition. Wir sind
auf dem Weg - es klang schon mehrfach an -, im nächsten Haushaltsjahr ohne neue Verschuldung auszukommen. Insgesamt betragen die Ausgaben 296,5 Milliarden
Euro, die Nettokreditaufnahme beträgt 6,5 Milliarden
Euro. Das ist die niedrigste Neuverschuldung seit 40 Jahren; da waren einige von uns - ich gehöre bedauerlicherweise nicht dazu - noch gar nicht geboren. Natürlich ist
es auch das Ergebnis des aktuellen entschlossenen Handelns. Es ist aber auch das Ergebnis mutiger Reformen
in der Vergangenheit unter Gerhard Schröder - daran
darf man am heutigen Tag erinnern -, die dazu geführt
haben, dass wir andere Akzente gesetzt haben als unsere
Nachbarländer. Die Früchte unserer Bemühungen dürfen
wir heute ernten.
({0})
Wir gestalten also auf der einen Seite einen strukturell
ausgeglichenen Haushalt, auf der anderen Seite haben
wir in den Koalitionsverhandlungen ein gutes, sozial gerechtes und vor allen Dingen auch finanzierbares Investitionsprogramm kreiert.
Der Einzelplan 08, also der Finanzhaushalt, ist im
Großen und Ganzen ein reiner Verwaltungshaushalt. Er
ist unstreitig in die Haushaltsplanberatungen hinein- und
nahezu unstreitig wieder herausgekommen, und das ist
auch gut so. Er weist ein Ausgabensoll von knapp
5,2 Milliarden Euro aus. Das ist im Wesentlichen unverändert geblieben. Das Soll stieg gegenüber 2013 um
170 Millionen Euro. Der Löwenanteil, wie bei derartigen Haushalten üblich, entfiel durch Aufstockungen und
Gehaltssteigerungen auf den Bereich Personal.
In diesem Fall gibt es eine Besonderheit, die wir als
Parlament nicht vergessen sollten. Zum 1. Juli 2014
übernimmt der Bund den Einzug der Kfz-Steuer. Bereits
seit dem Jahre 2009 bekommen wir die Erträge aus dieser Steuer aufgrund einer diesbezüglichen Vereinbarung
überwiesen, müssen den Ländern aber, die seitdem im
Wege der Organleihe für uns tätig sind, 170 Millionen
Euro pro Jahr zahlen. Vor diesem Hintergrund erscheint
die Aufstockung des Personaletats in einem anderen
Licht, wenn man bedenkt, dass diese 170 Millionen Euro
Verwaltungsaufkommen nunmehr wegfallen werden.
({1})
Diese große Aufgabe ist - mein Dank gebührt insbesondere den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des
Finanzministers - bravourös gemeistert worden,
({2})
indem qualifiziertes Personal aus Überhängen anderer
Ressorts, zum Beispiel des Verteidigungsressorts, aber
auch der Deutschen Bahn AG oder der Nachfolgeunternehmen der Post, zum Beispiel Vivento, übernommen
wurde. Insgesamt wurden wir mit qualifizierten Damen
und Herren versorgt, die bei uns, entsprechende Leistungsbereitschaft und -qualität vorausgesetzt, nunmehr
einen sicheren Arbeitsplatz finden. Es ist gut, dass diese
Aufgabe relativ reibungslos vollzogen wurde.
In der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses ist es
im Rahmen der berühmten Bereinigung zu weiteren
wichtigen Verbesserungen gekommen, die ich an dieser
Stelle kurz Revue passieren lassen möchte.
({3})
Insbesondere ist für mich die Erhöhung der Städtebauförderungsmittel von 455 Millionen Euro auf
700 Millionen Euro von Bedeutung. Das Programm „Soziale Stadt“ erhält 150 Millionen Euro. Darauf können
wir aufbauen und sagen: Daraus entwickeln wir ein Leitprogramm der Städtebauförderung zugunsten von Stadtteilsanierungen in Kommunen, die es dringend nötig haben.
({4})
Parallel dazu haben wir - hier werden wir uns in den
kommenden Jahren verstärkt anstrengen müssen - Investitionszuschüsse für die Neuauflage des Programms
„Altersgerechter Wohnraum“ beschlossen. Denn - und
das ist völlig klar - wir werden nicht nur alle älter, wir
wollen auch während des Älterwerdens vermehrt in unserem angestammten sozialen Umfeld bleiben, aber nur
1 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes in der Bundesrepublik Deutschland ist altersgerecht. Von daher benötigen wir bis 2020 2,5 Millionen zusätzliche Wohnungen, welche mindestens das Kriterium „barrierearm“
erfüllen. Dieser Herausforderung müssen wir uns nicht
irgendwann stellen, sondern wir müssen uns ihr jetzt
stellen. Mit dem vorliegenden Haushalt schaffen wir einen vernünftigen Einstieg. Nun gilt es, diesen Bereich
noch mehr in unseren Fokus zu rücken und weiter auszubauen.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle haben dafür gekämpft, dass die Mittel für Integrationskurse
nicht weiter gekürzt werden.
({6})
40 Millionen Euro sind hierfür veranschlagt. Diese
40 Millionen Euro gerettet zu haben, das ist eine Leistung. Jeder, der in seinem Wahlkreis Träger der Erwachsenenbildung hat, weiß, wie sehr sich diese um Migrantinnen und Migranten kümmern, die ihrerseits ihren
Platz in unserer, hoffentlich dann in unserer gemeinsamen Gesellschaft finden wollen. Er weiß vor diesem
Hintergrund, wie wichtig jeder einzelne Euro ist, der in
diesem Bereich ausgegeben wird. Das ist gut so, und
zwar sowohl aus moralisch-ethischen als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen.
({7})
Erwähnen möchte ich auch noch zwei Einzelpositionen:
Durch die Erhöhung des Zuschusses für die Bundeszentrale für politische Bildung haben wir die Möglichkeit, einen Akzent zu setzen; denn im Rahmen der
politischen Aufklärung wird für alle Menschen in
Deutschland Gutes getan.
Durch die Erhöhung der Mittel für das THW untermauern wir nun das, was wir in Sonntagsreden allzu oft
betont, aber allzu selten untermauert haben. Wir sorgen
dafür, dass die Menschen, die sich einem bestimmten
Leitgedanken verpflichtet fühlen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, die in ihrer Freizeit aus Solidarität
ihre Knochen hinhalten, um bei Katastropheneinsätzen
etc. zu helfen, eine vernünftige Ausbildung und eine vernünftige Ausrüstung erhalten. Das ist das, was wir unter
Respekt vor dem Ehrenamt, unter Respekt vor solidarischer Leistung verstehen.
({8})
Parallel dazu haben wir in den letzten Wochen die
prioritären Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt: Die Anerkennung von Lebensleistung von Menschen im Rahmen unseres Rentenpakets, die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die Erhöhung der
Erwerbsminderungsrente - das sind Dinge, die wir im
Rahmen der Großen Koalition beschlossen und in die
Tat umgesetzt haben. Wir haben auch den Haushaltsansatz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
auf rund 14 Milliarden Euro erhöht; auch diesen Beschluss haben wir umgesetzt.
In den nächsten Wochen wird es darum gehen - das
ist ein wesentlicher Baustein dieses Themenpakets -, die
Einführung des Mindestlohns zu beschließen, damit jeder, der vollschichtig arbeitet, in bescheidenem Rahmen
von seinem Lohn leben kann und nicht staatlicher Hilfe
anheimfällt. Dieser Satz soll und muss gelten. Es darf
kein Erfolgsmodell sein, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern sagen: Ich zahle dir wenig, hol dir doch den Rest
vom Sozialamt. Mit dieser unwürdigen Situation muss
endlich Schluss gemacht werden. Von daher möchte ich
an dieser Stelle mit Blick auf die anstehenden Debatten
an die Zweifler appellieren, an diejenigen, die Bedenken
haben bzw. säen. Ich bitte Sie, Ihre Bedenken zugunsten
einer vernünftigen Lösung zu überwinden und einen
grundsätzlichen Mindestlohn ab dem 1. Januar 2015 einzuführen. Die Gewährung dieses Mindestlohns - das
sage ich als Berichterstatter für den Einzelplan 08 muss dann aber auch kontrolliert werden. Von daher
kündige ich bereits jetzt an, dass wir uns in den Haushaltsberatungen der nächsten Jahre darüber zu unterhalDr. Hans-Ulrich Krüger
ten haben - je nach Ausgestaltung der Kriterien für die
Kontrolle -, wie viele Damen und Herren zur Ausgestaltung eines effizienten Kontrollsystems eingesetzt bzw.
übergeleitet werden können und sollen.
({9})
Das ist aber kein Thema für heute, sondern für den schon
mehrfach beschworenen September.
Jetzt möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und
Kollegen bedanken. Als Neuling im Haushaltsausschuss
habe ich festgestellt, dass das Klima von gegenseitigem
Vertrauen, gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Anerkennung getragen ist. Das ist gut so und das sollte,
denke ich, auch in den nächsten Jahren so bleiben.
Ich danke Ihnen.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir
zeigt die heutige Debatte eines: Was die Zukunftsgestaltung des Haushalts angeht, kann die Große Koalition leider nur das ganz kleine Karo.
({0})
Der Kollege Krüger müsste sich hier nicht - Zitat - auf
die letzten mutigen Reformen von Schröder in der rotgrünen Zeit berufen. Sie sind Teil der Großen Koalition,
Sie sind in Verantwortung und könnten gestalten. Stattdessen verwalten Sie nur den Status quo.
({1})
Schlimmer noch: Sie haben noch nicht einmal den Anspruch, für die Zukunft zu gestalten.
Dabei könnten die Rahmenbedingungen gar nicht
besser sein als jetzt: eine brummende Konjunktur, noch
sind die sozialen Sicherungssysteme stabil, gute Steuereinnahmen und historisch niedrige Zinsen. Das sind die
Bedingungen, die eigentlich dazu prädestinieren, die
Dinge in die Hand zu nehmen und Reformen durchzuführen. Vor allem verpflichten sie, heute schon an morgen, an den demografischen Wandel und die Entwicklung dieses Landes zu denken. Stattdessen rechnen Sie
sich in Nacht-und-Nebel-Aktionen im Haushaltsausschuss so lange alles so zurecht, bis es irgendwie passt,
damit Sie keine strukturellen Veränderungen herbeiführen müssen.
In einem irren Sie sich aber. Sie glauben, das alles sei
auf immer und ewig festgeschrieben. Ist es aber nicht!
Das alles ist sehr fragil. Sie bauen den Haushalt und
auch Ihre Konsolidierung auf Sand. Sie brauchen die
strukturellen Reformen. Sie müssen - wir Grünen machen Ihnen dafür Vorschläge - eine ehrliche Ausgabenkritik durchführen. Wir brauchen den systematischen
Subventionsabbau, und wir brauchen auch die Investitionen in Infrastruktur. Leider gehen Sie all diese Sachen
nicht an, weil Sie hier nicht zuletzt die Debatte in Ihren
eigenen Reihen fürchten. Da müssen Sie ehrlich zu sich
selbst sein.
({2})
Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Schauen Sie
sich den Bereich Bildung an. Sie haben groß herumgetönt - 6 plus 3 Milliarden Euro -, wie viel Geld in diesem Bereich investiert wird.
({3})
Es gibt keine Rede, in der nicht erwähnt wird, wie wichtig diese Investitionen sind.
({4})
Aber was machen Sie? Sie verschieben es, Sie verschleiern, Sie reden sich das gegenseitig irgendwie glatt, und
es passiert erst einmal nichts.
({5})
Jenseits dessen, dass wir noch einmal darüber reden
müssen, ob das Geld überhaupt ausreichen wird, passiert
nichts, vor allem nichts Verbindliches.
({6})
Herr Schäuble, Sie reden davon, wie wichtig die
FuE-Mittel, also die Mittel für Forschung und Entwicklung, in diesem Lande sind. Wir stimmen Ihnen da absolut zu. Da sind wir komplett bei Ihnen. Die Zukunft der
Wissenschaftspakte in diesem Lande aber ist komplett
offen. Die Universitäten warten insbesondere im Hinblick auf Planbarkeit geradezu darauf, dass sie irgendwelche Antworten bzw. Zusagen von Ihnen bekommen.
Eine Antwort darauf von Ihnen gibt es jedoch noch
nicht. Allein das zu beschwören, bringt dieses Land
nicht weiter.
Zur BAföG-Reform: Viele reden nicht darüber. Jetzt
zieht die zweite Generation von Studierenden an uns
vorbei, die immer noch darauf wartet, dass es irgendwelche Reformen und Strukturveränderungen in diesem Bereich gibt. Von Ihnen kommt da - außer Verschiebebahnhöfen - nichts.
({7})
Schlimmer noch! Der demografische Wandel ist für
dieses Land wahrscheinlich die größte Herausforderung
überhaupt. Auch darin haben Sie recht, auch darin stimmen wir zu. Was aber ist Ihre Antwort darauf? Sie greifen in die Sozialkassen und konsolidieren Ihren Haushalt
auf Kosten der Beitragsmittel bzw. durch die Leistungen
der Beitragszahler. Der Gesundheitsfonds und die Rentenkasse werden komplett leergemacht. Die Bundesagentur für Arbeit liegt schon an der kurzen Leine. Sie
könnte inzwischen noch nicht einmal bei der kleinsten
Krise reagieren, um den Arbeitsmarkt wieder zu stabilisieren. Sie machen das ohne Rücksicht auf alle Erkenntnisse, die wir über den demografischen Wandel und die
Kosten haben, die noch auf uns zukommen werden.
Eine nachhaltige Politik der Verantwortung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, schaut anders aus. Mit diesem Haushalt können Sie das noch nicht darlegen. Aber
der nächste Haushalt kommt bestimmt, und mir fehlt das
Vertrauen in die Große Koalition, dass Sie das irgendwie
hinkriegen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Brinkhaus,
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir
am 8. April den Haushalt einbrachten, haben wir gesagt,
dass wir die 6,5 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung
halten werden. Wir haben sie gehalten, obwohl wir unterwegs noch einen ziemlich großen Rucksack - mit der
Rückzahlung der Brennelementesteuer und einigen anderen Sachen - aufgesattelt bekommen haben.
Wir hätten es uns auch einfach machen und sagen
können:
({0})
Die strukturelle Verschuldung können wir noch ein bisschen höher ansetzen. Dann erreichen wir immer noch einen strukturell ausgeglichenen Haushalt. - Wir haben es
uns aber ganz bewusst nicht einfach gemacht und gesagt,
dass wir diese 6,5 Milliarden Euro halten. Diese 6,5 Milliarden Euro sind nämlich ein Zeichen dafür, dass wir
nächstes Jahr die schwarze Null erreichen wollen. Ich
glaube, wir hätten viel Vertrauen verloren, wenn wir
nicht schon jetzt beim ersten Anlauf den wichtigen Zwischenschritt gemacht und gesagt hätten: Wir satteln nicht
noch etwas drauf.
Ich glaube auch, meine Damen und Herren, dass dieser Haushalt 2014 mit den 6,5 Milliarden Euro ein ziemlich wichtiger Zwischenschritt ist hin zu unserem großen
Ziel der schwarzen Null. Um in der Fußballersprache zu
bleiben: Das Halbfinale haben wir, glaube ich, gewonnen. Jetzt müssen wir 2015 noch das Finale gewinnen.
Das ist etwas, über das wir uns so richtig freuen können.
({1})
Ich kann ja verstehen, dass diese Freude von der Opposition nicht geteilt wird. Ich kann auch verstehen, dass Sie,
wenn der Haushalt Freitag verabschiedet worden ist, keinen Autokorso über den Ku’damm machen, weil Sie
sich so freuen.
({2})
Aber die Kritik, die Sie an diesem Haushalt geäußert
haben, Herr Bartsch, erinnerte ein bisschen an die
70er-Jahre. Herr Kindler, auch Ihre Kritik war ziemlich
bemüht. Das, was Sie gesagt haben, war weder substanziell noch sonderlich überzeugend. Im Prinzip müssen
Sie eines anerkennen: Es läuft ziemlich gut. Es läuft
ziemlich gut,
({3})
weil die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land viele
Steuern zahlen. Das heißt, sie arbeiten fleißig, sie haben
Jobs. Die Wirtschaft brummt. Auch das ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis der guten Politik verschiedener Regierungen.
Ich möchte - bei allem Respekt vor unserem jetzigen
Koalitionspartner - an dieser Stelle eines ganz ausdrücklich sagen: Das ist auch das Ergebnis der christlich-liberalen Koalition. Ein Teil des Ruhms gehört auch der
FDP, bei der ich mich ausdrücklich dafür bedanken
möchte,
({4})
dass sie in der letzten Legislaturperiode an dieser Stelle
so gut und so effizient vorgearbeitet hat, sodass das hier
heute überhaupt möglich ist.
({5})
Ich möchte mich auch gerne bei den Haushältern bedanken. Sie haben einen harten Job. Wir haben viele
neue Abgeordnete in der Arbeitsgruppe Haushalt, die
sich in dieses Thema eingearbeitet haben. Ich schaue die
beiden haushaltspolitischen Sprecher an. Sie haben Ihre
Arbeit richtig gut gemacht. Sie haben das richtig klasse
gemacht. Das lässt darauf hoffen, dass es auch in Zukunft mit diesen Haushältern klasse laufen wird.
({6})
Ich möchte mich auch ausdrücklich bei den Sozialdemokraten bedanken. Denn das Projekt eines ausgeglichenen Haushalts ohne neue oder höhere Steuern gehört
- einmal abgesehen vom Kollegen Kahrs - nicht zu den
Lieblingsprojekten der Sozialdemokratie.
({7})
Genauso gibt es auch einige Projekte in der Großen Koalition - ich blicke zur Arbeitsministerin -, die nicht zu
unseren Lieblingsprojekten gehören. Aber eine Große
Koalition muss immer ausbalanciert sein. Das hat mit
Geben und Nehmen zu tun. Das hat an dieser Stelle sehr
gut geklappt, und zwar auch deswegen, weil der Bundesfinanzminister und unsere Haushaltspolitiker an der einen oder anderen Stelle in Bezug auf die Wünsche, die
die SPD gehabt hat, sehr flexibel gewesen sind. Ich
würde mir wünschen, Frau Nahles, dass Sie bei den anstehenden Beratungen zum Mindestlohn auch diese Flexibilität an den Tag legen und uns einmal an der einen
oder anderen Stelle entgegenkommen.
({8})
Wir reden heute neben dem Haushalt über noch ein
weiteres ganz wichtiges Thema. Ich schaue in Richtung
Tribüne. Wir reden heute über Litauen. Wir alle freuen
uns darüber, dass Litauen der Euro-Zone beitreten wird.
Das ist schon mehrfach gesagt worden. Das ist wirtschaftlich in Ordnung. Die Kriterien sind abgeprüft worden. Ich denke, auch von der Art und Weise, wie Litauen
Sachverhalte angeht, wie Litauen die Reformen vorangetrieben hat, ist es eine Verstärkung im Euro-Raum.
Darüber freuen wir uns. Im Übrigen ist es gerade in den
heutigen Zeiten auch ein wichtiges politische Signal, die
baltischen Staaten enger an die Europäische Union zu
binden, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Aber Litauen ist in die Euro-Zone eingetreten unter
der Prämisse, dass es einen Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt, der eingehalten wird. Auch wenn es vielleicht
anders gemeint war, die Signale, die die europäischen
Sozialistenführer in der letzten Woche abgegeben haben,
waren nicht gut. Wenn Sie darüber reden, dass in einem
Stabilitäts- und Wachstumspakt, der ohnehin schon sehr
flexibel ist, eine Flexibilisierung vonnöten ist, dann ist
das das falsche Signal. Ich würde sogar sagen: Es ist ein
schlimmes Signal. Denn dadurch geht Vertrauen verloren. In der Finanzkrise war Vertrauen verloren gegangen.
Dieses Vertrauen haben wir uns mühsam wieder erarbeitet, indem wir uns an die Regeln, die wir uns selbst gesetzt haben, gehalten haben. Das war neu und anders.
Wenn dieses Vertrauen jetzt erschüttert wird, ist das
nicht gut.
Es lenkt darüber hinaus von einer Sache ab, nämlich
davon, dass das Wichtigste für die europäische Konsolidierung Strukturreformen sind. Wir werden als Koalition
weiterhin auf diese Strukturreformen achten müssen,
auch wenn der eine oder andere meint, dass das in der
heutigen Zeit nicht mehr notwendig ist. Diese sind der
Schlüssel zum Erfolg. Die andere Seite von Strukturreformen - der Bundesfinanzminister hat es ausgeführt sind konsolidierte Haushalte. Das eine wird ohne das andere nicht funktionieren. Deswegen ist es wichtig, dass
die Bundesregierung hier in Deutschland diese Linie so,
wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart ist, mit allen Ministern geschlossen vertritt und überhaupt keine Zweifel
daran lässt, dass das von uns auch in der Zukunft durchgezogen wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns dem Haushalt zuwenden, dann stellen wir erstens fest, dass gute
Haushaltspolitik immer auch etwas damit zu tun hat,
dass man den Menschen in diesem Lande etwas zumuten
und unbequem sein muss. Das, was die Kollegin von den
Grünen gerade gesagt hat, ist richtig: Natürlich ist es
nicht selbstverständlich, dass alles so bleibt, wie es ist.
Aber wir haben momentan gute Zeiten und müssen deswegen für schlechtere Zeiten vorsorgen;
({9})
das ist auch die Linie unserer Haushaltspolitik.
({10})
Das bedeutet - das ist besonders die Linie der Union -,
dass das Erwirtschaften immer noch wichtiger ist als das
Verteilen. Wir müssen in jedem Einzelplan immer wieder deutlich machen, dass es darum geht, die richtigen
Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu setzen, um
vernünftige Steuereinnahmen zu generieren. Das kommt
in der einen oder anderen Diskussion in diesem Hause
bei der Opposition leider viel zu kurz.
Der zweite Punkt im Hinblick auf Haushalte ist, dass
der Staat keine Supernanny ist. Ich glaube, wir müssen
deutlich machen: Wir können uns nicht um alles kümmern. Wir können nicht hundertprozentige Gerechtigkeit
schaffen. Wir können auch nicht jeden Wunsch, so nachvollziehbar er auch ist, erfüllen; das geht nicht. Dementsprechend muss man im Rahmen der Haushaltspolitik
handeln.
Der dritte Punkt, der für vernünftige Haushaltspolitik
entscheidend ist, ist, dass man nicht nur die Gegenwart
im Blick hat, sondern auch die Zukunft. Es kommt eben
nicht nur darauf an, dass es den Menschen heute gut
geht, sondern es kommt auch darauf an, dass es den
Menschen in Zukunft gut geht.
Ganz konkret heißt das - auch das ist angesprochen
worden, und es ist richtig -: Wir müssen in unseren
Haushalten mehr investieren. Wir müssen die Investitionsquote steigern. Die Kritik, die daran vonseiten der
Opposition geübt wird, finde ich richtig klasse. Wer sind
denn diejenigen, die einen Konsumvorschlag nach dem
anderen in die Haushaltsberatungen einbringen? Das
sind die Linken und die Grünen.
({11})
Insofern: Lassen Sie sich an Ihren Taten und nicht an Ihren Worten messen. Wir werden darauf achten, dass die
Investitionen auch in Zukunft gesteigert werden; das ist
die erste wichtige Sache.
({12})
Die zweite wichtige Sache, die Sie, Herr Bartsch,
überhaupt nicht verstanden haben, ist: Vernünftige Haushalte bekommt man nicht hin, wenn man die Einnahmeseite optimiert, sondern das schafft man immer nur über
die Ausgabenseite. Es ist richtig: Wir müssen die Ausgaben priorisieren. Wir müssen darauf achten, dass die
Ausgaben effizienter werden. Darin liegt der Schlüssel
für eine vernünftige Haushaltskonsolidierung.
Der dritte Punkt ist - das habe ich schon mehrfach gesagt, weil man das immer wieder betonen muss -: Wir
müssen auch die Zukunft im Blick haben und dürfen
nicht nur die Gegenwart im Blick haben. Wir dürfen
Dinge, die wir heute finanzieren müssen, nicht in die Zukunft verschieben; auch das ist ganz wichtig.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Uns geht es gut.
Zweitens. Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht
nachlassen, weder in Europa noch in Deutschland.
Drittens. Wir müssen die Zukunft im Blick haben.
Wenn wir das tun, dann haben wir 2015 und auch nachhaltig einen vernünftigen Haushalt. Ich bin optimistisch,
Herr Kahrs, dass wir das auch mit der SPD hinbekommen.
Danke schön.
({13})
Der Kollege Dr. Axel Troost ist der nächste Redner
für die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Budgetrecht ist ein großes Recht des Parlaments. Deswegen sind Haushaltsberatungen immer etwas Besonderes. Aber zum Haushalt gehören eben nicht nur die Ausgaben, sondern auch die Einnahmen.
({0})
Deswegen will ich als Finanzpolitiker etwas dazu sagen.
In der Tat: Wir haben ein neues Parlament gewählt,
und wir haben eine neue Koalition. Im Gegensatz zu all
den Wahlkampfaussagen werden die Fragen, wer die
Ausgaben eigentlich finanziert und wie es um die Steuergerechtigkeit in diesem Land steht, in dieser Koalition
und in der SPD inzwischen überhaupt nicht mehr gestellt. Zwar haben wir im Finanzausschuss interessante
Debatten über den Mehrwertsteuersatz für Hörbücher
geführt; aber ansonsten herrscht absolute Stille.
Man hört immer wieder das Argument: Wir haben die
höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik. - Das ist eine Aussage ohne großen Inhalt;
denn in einer wachsenden Wirtschaft mit Inflation hat
man immer steigende Steuereinnahmen. In nahezu jedem Jahr seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland
lagen die Steuereinnahmen des laufenden Jahres über
denen des Vorjahres. Man müsste sich große Sorgen machen, wenn es nicht so wäre; denn dann wären wir in einer Krise.
({1})
Es muss aber auch immer wieder gesagt werden: Verglichen mit der letzten Steuerschätzung vor der Finanzkrise, also im Jahr 2008, haben wir immer noch rund
40 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen, als damals in der Prognose für 2012/2013 geschätzt worden
ist.
Eine Aussage zu Steuerbelastungen kann man nur
treffen, wenn man sie ins Verhältnis zur wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit setzt, wenn man sich also die sogenannte Steuerquote anschaut. In der Tat: Die Steuerquote
war in den letzten 30 Jahren relativ konstant. Sie ist vergleichsweise niedrig. Von zu hohen Steuern in der Bundesrepublik kann also überhaupt keine Rede sein.
Was die Steuerquote nicht aussagt, ist, wer die Steuern zahlt. Da muss man eine dramatische Verschiebung
feststellen: weg von den Reichen und den Unternehmen
hin zur Masse, die inzwischen diesen Staatshaushalt
finanziert. An dieser Stelle muss ein Einnahmen-, ein
Steuerkonzept ansetzen. Da sind wir als Linke leider die
Einzigen, die hier den Finger auf die Wunde legen.
({2})
Eine weitere Baustelle, die mir ganz wichtig ist, ist
der Steuervollzug. Es ist ein offenes Geheimnis, dass
dem Bund, aber auch den Ländern und Kommunen Jahr
für Jahr hohe Milliardenbeträge verloren gehen, weil einige Bundesländer kein Interesse daran haben, ihre Unternehmen ordentlich zu prüfen. Wissenschaftliche Untersuchungen gehen davon aus, dass den Haushalten
dadurch nach wie vor bis zu 10 Milliarden Euro pro Jahr
verloren gehen. Im Zuge der letzten Föderalismusreform
haben wir versucht, das zu ändern. Das ist gescheitert.
Bundesfinanzminister Eichel hat immerhin beschlossen, dass innerhalb von zehn Jahren das Bundeszentralamt für Steuern personell deutlich aufgestockt wird: dass
die Zahl der Bundesbetriebsprüfer um 500 Personen erhöht wird. Das ist eine Verfünffachung. Das hört sich toll
an, ist es aber leider nicht, weil schon damals die Übernahme von über 7 000 erfahrenen Prüfern von den Ländern erforderlich gewesen wäre, verbunden mit einer alleinigen Zuständigkeit des Bundes für die Prüfung von
Großbetrieben.
({3})
Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes, der uns
vorliegt, ist von den zusätzlichen 500 Planstellen bisher
nur ein kleiner Teil besetzt. Aus den Ländern werden
maximal 100 Menschen mit Prüferfahrung kommen; der
Rest soll ohne Spezialwissen eingestellt werden. Der
Bundesrechnungshof moniert - ich zitiere -: Statt den
Bundestag über die geänderten Rahmenbedingungen zu
informieren, konzentriert sich das Bundesfinanzministerium vorrangig auf die rein nominelle Zielerreichung
von 500 zusätzlichen Betriebsprüfern bis zum Jahr 2016. Zu Deutsch: Die Zahl soll irgendwie erreicht werden;
um qualifiziertes Prüfen geht es überhaupt nicht. Dort
wird auch noch einmal beschrieben, das diese Prüfer
auch inhaltlich überhaupt nicht in die Lage versetzt werden, die Prüfungen entsprechend vorzunehmen, und man
deswegen nach wie vor davon ausgehen muss, dass hohe
Milliardenbeträge, die nach dem geltenden Steuerrecht
zu zahlen wären, nicht erzielt werden, weil es sozusagen
im Vollzug scheitert. Hier hat der Bund eine hohe VerDr. Axel Troost
antwortung. Das Bundesfinanzministerium sagt, man
habe das nicht weiter verfolgt, weil man die Bund-Länder-Beziehungen nicht habe belasten wollen.
Das reicht nicht aus. Wir brauchen dringend zusätzliche Einnahmen, nicht nur über neue Steuern, sondern
auch durch eine Verbesserung des Steuervollzuges. Da
ist das Bundesfinanzministerium dringend gefordert;
denn man kann nur sagen - da würde ich dem Kollegen
Brinkhaus völlig widersprechen -: Wer der nächsten Generation kaputte Infrastruktur und kaputte Umwelt übergibt, lebt auf Kosten der Kinder und Enkel. - Das muss
man immer wieder so deutlich formulieren.
Danke schön.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Lothar Binding, SPD.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich
kann mir doch nicht verkneifen, eine kleine Bemerkung
zu Ralph Brinkhaus zu machen, der behauptet hat, wir
verdankten auch Schwarz-Gelb diesen wirtschaftlichen
Aufschwung. Ehrlich gesagt glaube ich, dass die notwendige Voraussetzung, dass wir überhaupt die Krise
haben bewältigen können, die Agenda 2010 war. Sie war
an Einzelpunkten schmerzhaft für uns; aber sie war notwendig, ganz wichtig. Andernfalls hätten wir weder das
Konjunkturpaket I noch das Konjunkturpaket II noch die
Abwrackprämie stemmen können. Die Agenda 2010,
das waren gesellschaftliche Strukturreformen mit Zukunftsaspekt.
({0})
Dagegen war Wirtschaftsförderung durch Senkung der
Mehrwertsteuer für Hotelleistungen keine Strukturmaßnahme, die zukunftsweisend ist, sondern Klientelpolitik.
({1})
Darin unterscheidet sich unser Ansatz von dem Ansatz
der Vorgängerregierung. Jetzt regieren wir gleichwohl
zusammen, und jetzt funktioniert eine ganze Menge.
({2})
Axel Troost hat gesagt: Es scheitert am Vollzug der
Steuergesetze. - Den Steueranspruch des Staates durchzusetzen, ist natürlich wichtig. In diesem Zusammenhang will ich dem Zoll einmal gratulieren. Die Steuerfahnder aus NRW haben in zwei Containern brisantes
Material aus einer Offshore-Bank auf den Cayman Islands gefunden und dieses beschlagnahmt. Inzwischen
ist klar, dass es von einer ehemaligen Schweizer Privatbank stammt, nämlich der Coutts-Bank, deren Mutter interessanterweise die Royal Bank of Scotland ist. Hieran
merkt man, wie gut es ist, dass man den Vollzug klug organisiert, sodass hier etwas gelingen kann.
({3})
In dieser Woche tun wir noch viel mehr. Vor einigen
Jahren - das muss man auch sagen - wäre das mit der
CDU/CSU wahrscheinlich noch nicht ganz leicht möglich gewesen. Aber man merkt: Wir haben uns in der
Großen Koalition aufeinander zubewegt.
Ich nenne einmal ein Beispiel: Es ist schlecht, wenn
zum Beispiel ein Herr Porsche mit 1 Milliarde Euro jongliert, zu dieser Milliarde noch stille Reserven hinzufügt
und das alles - weitere Stichworte sind: Personengesellschaften, Körperschaften, Entstrickungsbesteuerung durcheinanderwirbelt, sodass Herr Schäuble zum guten
Schluss einen dreistelligen Millionenbetrag in seiner
Kasse auf der Minusseite buchen muss. - Das wollen wir
nicht. Deshalb werden wir die grenzüberschreitende
Steuergestaltung bekämpfen. Hier arbeiten wir zusammen. Es geht um § 50 i Einkommensteuergesetz. Das haben wir sehr klug geregelt.
Wir werden diese Steuerschlupflöcher systematisch
schließen. Das heißt nicht, dass nicht immer wieder neue
gefunden werden, aber wir werden sie immer wieder
schließen.
({4})
- Ja, genau.
Daneben packen wir das Programm gegen Base
Erosion and Profit Shifting, also gegen die Gewinnverlagerung ins Ausland, gemeinsam mit der OECD an. Das
ist ein Riesenprojekt. Ich glaube, das ist ein Schritt, von
dem wir vor einigen Jahren nur haben träumen können.
Ich will Herrn Schäuble für die Bemerkung danken,
die er hinsichtlich der Abschaffung der Abgeltungsteuer
gemacht hat, weil die Idee sehr klug ist, wieder zu einer
synthetischen Besteuerung zurückzukommen. Das müssen wir erreichen. Das Gegenteil nennen wir ja, um einmal den Fachbegriff zu nutzen, Schedulenbesteuerung,
also Schubladenbesteuerung. Schedulenbesteuerung bedeutet, dass es für Einkünfte aus unterschiedlichen Einkunftsquellen unterschiedliche Schubladen gibt. Wenn
die Einkünfte also in eine ganz bestimmte Steuerschublade fließen, ist der zu zahlende Steuersatz ganz niedrig.
Jetzt darf jeder genau einmal raten, in welche Steuerschublade alle Leute ihre Einkommen verschieben. Natürlich verschieben sie sie in die Steuerschublade, in der
der Steuersatz am niedrigsten ist.
Das Ziel ist also, weg von der Schedulenbesteuerung
und hin zu einer synthetischen Besteuerung zu kommen.
Das wäre sehr gut. Sehr gut ist auch die Verschärfung bei
der strafbefreienden Selbstanzeige.
({5})
Ich glaube, man darf sagen: Es ist historisch, dass wir
die Neuverschuldung im nächsten Jahr auf null bringen
können. Das ist seit Urzeiten erstmalig wieder der Fall.
Natürlich haben wir auch ein bisschen Glück: Wir haben
Lothar Binding ({6})
Glück, dass die Konjunkturlage gut ist. Wir haben
Glück, dass die Zinslage gut ist. Das gilt jedenfalls für
diejenigen, die Schulden haben, und da der Staat Schulden hat, ist die Zinslage gut; für die Sparer ist sie nicht
ganz so gut. Außerdem haben wir Glück, dass wir im
Moment das Staatsvermögen und die Infrastruktur unterfinanzieren. Das sind schon drei dicke Brocken, die uns
helfen, diese Null zu erreichen.
Wir müssen diese Null aber auch langfristig absichern, damit wir in zehn Jahren sagen können: „Das war
eine historische Null“, und nicht sagen müssen, dass wir
die Null nur in einem oder zwei Jahren erreicht haben.
({7})
Hier muss mehr passieren.
Ich glaube auch, dass wir noch einmal über die Steuerpolitik nachdenken müssen ({8})
natürlich nicht in der Großen Koalition; das haben wir
verabredet und ist völlig klar. Herr Schäuble sagt: Keine
Diskussionen über Steuererhöhungen! Das wird sicherlich noch einmal zu diskutieren sein.
({9})
- Dietmar Bartsch applaudiert jetzt. Er verkleidet seine
Kritik gerne in die Frage: Wo ist eigentlich Ihr Programm?
({10})
Laut Ihrem Programm wollten Sie doch Steuererhöhungen. Ihr wolltet doch die Vermögensteuer und dass die
Leute, die 40 000 Euro am Tag verdienen, stärker besteuert werden.
({11})
- Das stimmt.
Ich will das jetzt nur kurz erklären: Wir haben in dieser Koalition einen Kompromiss gemacht, und genau
das haben wir für diesen Kompromiss geopfert. Ich sage
jetzt aber auch einmal, wo unser Programm eins zu eins
funktioniert - und das ist auch gesellschaftliche und historische Zukunftspolitik für unser Volk, und zwar unabhängig vom Geld; man muss nämlich selbst als Finanzer
und Haushälter gelegentlich auch einmal vom Geld wegkommen -: Der Mindestlohn ist eine historische Sache.
({12})
Ich könnte begründen, warum er eigentlich schon 1872
hätte eingeführt werden müssen. Das Rentenpaket ist
eine historische Sache. Die Energiewende ist eine historische Sache.
({13})
Gleiches gilt für die Stärkung der Kommunen sowie die
Verbesserungen im Mietrecht und im Wohnungsbau. Das
sind kleine Dinge mit großer Wirkung. Ähnlich ist es bei
Kultur und Integration. Auch das Technische Hilfswerk
- es wurde vorhin als ein wichtiger Punkt dieser Haushaltspolitik erwähnt - stärken wir; das haben wir gemeinsam beschlossen. Auch in der Flüchtlingspolitik haben wir Verbesserungen erreicht.
({14})
Das sind alles sehr gute Sachen. Damit gestalten wir,
um ein Wort der Grünen aufzunehmen, weil es nämlich
klug ist, in dieser Weise zu handeln.
({15})
Finanzminister Schäuble hat, wie ich finde, einen guten Satz gesagt. Er lautet: Im Moment profitieren die
Nachbarn von unserer guten Lage. - Diese Aussage unterschreibt jeder. Ich möchte hinzufügen: Wir profitieren
aber auch von unseren Nachbarn. - Angesichts unseres
Exportes ist klar, warum es klug ist, dafür zu sorgen,
dass es den Nachbarn gutgeht, sodass auch wir wieder
profitieren. Das gilt nicht nur im Sinne eines Profits; darauf komme ich gleich zurück.
Hier sind wir an einer Stelle angekommen, die die eigentliche Reichweite dieses Haushalts beschreibt. Wenn
wir uns nur auf unser Staatsgebiet beziehen, wenn wir
uns nur auf die Zahlen unseres Haushaltes beschränken,
dann denken wir nicht weit genug. Dieser Haushalt geht
weit über unsere Grenzen hinaus. Das bedeutet, dass wir
auch die Lage der anderen in den Blick nehmen müssen.
Wenn wir beobachten, dass die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern steigt, und zwar gravierend und in beängstigender Form, wenn wir sehen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in anderen Ländern bis auf einen Wert von
50 Prozent steigt, wenn wir feststellen, dass die finanziellen Möglichkeiten dieser Länder zur Stärkung der
Binnennachfrage und für den Aufbau der Infrastruktur
nicht mehr ausreichen, dann frage ich mich: Wie lange
kann das für Deutschland noch gutgehen? Wir haben
schließlich nicht nur Handelsbeziehungen, sondern wir
haben auch menschliche Beziehungen zu diesen Ländern. Wir müssen schauen: Was passiert in diesen Ländern, was sich auch auf unsere Situation auswirken
könnte? Wer das Ganze nur ökonomisch sieht, der blickt
nicht weit genug. Ruinierte Staaten, auch wenn der Ruin
selbstverschuldet ist, sind schlechte Kunden, um es einmal darauf zu reduzieren.
Wir sehen aber neben diesem Aspekt auch noch Folgendes: Welche Zukunft kann Europa haben, wenn sich
die Entwicklung in diesen Regionen so fortsetzt? Was
wird aus arbeitslosen Jugendlichen, deren Eltern schon
arbeitslos waren? Was passiert da eigentlich? Da muss
man auch politisch handeln. Die Frage ist nicht nur: Was
Lothar Binding ({16})
passiert als Folge dieser Entwicklung in der Gesellschaft? Ich will das Ganze einmal auf eine Frage reduzieren - hier sind schließlich Politiker im Raum -: Wen
werden diese Menschen in fünf oder zehn Jahren wählen, wenn es uns nicht gelingt, diese Entwicklung zu
stoppen? Auch das ist eine Aufgabe der reichsten Nation
in Europa.
({17})
Deshalb müssen wir über den Stabilitäts- und Wachstumspakt nachdenken, insbesondere über das Wachstum.
Am allerwichtigsten ist qualitatives Wachstum; denn wir
haben gelernt: Austerität ist kein nachhaltiges Konzept.
({18})
Wir haben gerade gesagt: Die Nullverschuldung müssen
wir für die Zukunft sichern. Zukunftssicherung heißt,
nachhaltig zu denken. Weder in den anderen Ländern
noch bei uns ist Austerität ein nachhaltiges Konzept.
Austerität bis zum Ende gedacht, heißt immer, dass man
verhungert. Dagegen muss man etwas tun, und zwar
rechtzeitig. Deshalb müssen wir helfen, dass auch alle
anderen Länder genug Zeit haben, die Zielvorgaben, die
wir verabredet haben, zu erreichen. In diesem Sinne
muss man über den Stabilitäts- und Wachstumspakt
nachdenken, auch mit Blick auf unsere Haushaltspolitik,
um auf europäischer Basis zukunftsfähig zu werden.
({19})
Jetzt möchte ich als einen kleinen Nachklapp in meiner Rede einen anderen Punkt aufgreifen. Vorhin gab es
einen ganz konkreten steuerpolitischen Vorschlag, der
sich auf die Abgeltungsteuer bezog. Christian Kindler,
du hast formuliert, dass Dividenden deutlich geringer
besteuert würden als die Arbeitseinkommen. - Das ist
falsch.
({20})
- Auch nicht im Regelfall. Die Abgeltungsteuer besteht
aus drei Kategorien. Die Abgeltungsteuer besteuert den
Zins mit 25 Prozent. Da hättest du mit deiner Aussage
recht gehabt. Die Abgeltungsteuer besteuert darüber hinaus den Verkauf von Wertpapieren. Auch da hättest du
recht gehabt. Aber ausgerechnet dein Beispiel mit der
Dividende ist falsch; denn die Dividende bringt für eine
Körperschaft im Trennungssystem eine Vorbelastung
von 30 Prozent mit sich, vom Gewinn werden 70 Prozent ausgeschüttet. 25 Prozent davon sind 17,5 Prozent.
17,5 plus 30 sind 47,5. Es gibt keinen Arbeitnehmer, der
im Rahmen der Einkommensteuer 47,5 Prozent zahlt.
Deshalb ist diese These falsch. Damit wollte ich hier unbedingt einmal aufräumen.
({21})
Ich glaube, es ist ganz klug, wenn man hier Steuerpolitik
differenzierter betrachtet. Eine gewisse Genauigkeit gehört auch dazu, wenn man Finanzpolitik betreibt.
Schönen Dank.
({22})
Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Lothar, ich muss jetzt das Rednerpult aus den hohen
Höhen, in denen du gerade warst, ein bisschen herunterholen. - Ein wenig langweilig ist es ja schon mit der
GroKo. So heißt es immer wieder: Wir haben uns da aufeinander zubewegt. Toll! Wir liegen uns in den Armen. Es erinnert so ein bisschen an die Schland-Jünger draußen auf der Fanmeile.
({0})
Geil, geil, geil seid ihr, wirklich.
Jetzt tut es mir fast leid, dass ich hier zu einem Thema
rede, bei dem wir mit der Großen Koalition übereinstimmen, nämlich zu Litauen. Ich möchte nur ausdrücklich
darauf hinweisen: Wir machen das nicht, weil wir die
Große Koalition geil finden, sondern weil Litauen es
verdient hat und wir dem Land herzlich gratulieren, dass
es so weit gekommen ist.
({1})
Vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass Seine Exzellenz, der
Herr Botschafter, extra einen grünen Schlips umgebunden hat. Ich zumindest möchte das so werten, dass hier
noch ein bisschen Farbe ins Spiel kommt. Nicht
schwarz-rot, sondern grün ist die Farbe der Hoffnung.
({2})
Herzlichen Glückwunsch, Litauen! Ich möchte aber
auch eines ganz deutlich sagen. Ich glaube, dass das, was
die Linkspartei hier macht - Glas halb voll oder Glas
halb leer -, ein bisschen blöd ist, weil Sie ja letztlich den
Eindruck erwecken,
({3})
als gäbe es sachliche Zweifel. Die sachlichen Zweifel,
die Sie hier vorgetragen haben, sind vielleicht allgemeine Erwägungen über den Zustand der Euro-Zone.
Aber sachliche Zweifel an dem vorliegenden Punkt, ob
Litauen die Kriterien erfüllt, die in den Verträgen stehen
und die man erfüllen muss, um den Euro als Umlaufwährung einzuführen, haben Sie nicht vorgetragen. Anstatt den Mut zu haben, hier zu sagen, dass die Kriterien
erfüllt sind, versuchen Sie, sich ein bisschen billig herauszustehlen. Das finde ich schade für Litauen.
({4})
Wir halten fest, dass die Kriterien erfüllt sind: Preisstabilität, Inflationsrate, keine übermäßigen öffentlichen
Defizite und auch dauerhaft stabile Zinssätze. Ich glaube
sogar, dass Litauen heute besser in der Lage ist, den
Euro einzuführen, als beim letzten knapp gescheiterten
Versuch, weil Litauen im Rahmen der Krise vieles richtig gemacht hat: Der Finanzmarkt ist heute aufgeräumter
als vorher, und in Litauen wurde klug investiert. Die
Litauer haben in der Krise kleine und mittelständische
Unternehmen mit Krediten unterstützt, damit sie ihre
Produktion erneuern können, um beim Export besser zu
werden.
({5})
Natürlich ist es so, dass viele Menschen aus Litauen
ausgereist sind. Aber in den Verträgen steht, dass nur
diese vier Kriterien abgeprüft werden müssen. Litauen
hat sich über Jahre sehr angestrengt, diese Kriterien einzuhalten, nachdem es seit über zehn Jahren in der Wechselkursbindung ist. Wenn ein Land wie Litauen seine
strategische Entscheidung trifft, so nahe wie möglich in
die EU eingebunden zu sein, und in der jetzigen Krise
der Euro-Zone beitreten will,
({6})
dann ist es unsere Verantwortung, zu prüfen, ob die Kriterien eingehalten worden sind, und dann, wenn sie eingehalten worden sind, das auch zu bestätigen. Das gehört
zur Fairness dazu. Litauen hat sich diesen Beitritt verdient.
Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, den ich wichtig finde. Ich glaube, dass die großen Zukunftsherausforderungen für Litauen gewürdigt werden müssen. Das ist
die soziale Lage, die in der Krise natürlich auch gelitten
hat. Dass man in Litauen jetzt versucht, durch eine bessere Stufe in der Wertschöpfungskette in der Produktion
bessere Löhne zu zahlen, ist uns bezüglich der sozialen
Lage wichtig. Genauso wichtig ist es, dass Litauen durch
bessere Ausbildung auch in der Wertschöpfungskette
nach oben kommt und wirtschaftlich erfolgreicher sein
kann. Investition in Bildung ist ebenso wichtig wie Stabilität im Bereich der Währung und im Bereich des
Finanzsektors.
Deswegen möchte ich ganz herzlich sagen: Lietuva,
herzlich willkommen im Euro! Unsere Fraktion ist auf
dem Antrag mit dabei und unterstützt, dass Sie dazustoßen.
Vielen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Norbert
Brackmann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Leihen ist einfach, aber der Zahltag wird hart.
Deswegen ist dieser Bundeshaushalt, den wir in dieser
Woche verabschieden wollen, auch ein Zeichen für die
Stabilität, die wir erreichen wollen, ein wichtiger Schritt
in eine stabile Zukunft.
6,5 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung und damit
ein strukturell ausgeglichener Haushalt: Das kann sich
nicht nur in Deutschland sehen lassen, sondern wir sind
damit auch Vorbild in Europa. Weil Europa eine so wichtige Bedeutung für die Menschen auch in Deutschland
hat, will ich das Thema ein bisschen vertiefen. Heute
wurde Kritik daran geübt, dass die Löhne seit 2002 - ich
wunderte mich schon, warum Sie so weit zurückgegangen sind, lieber Kollege Bartsch - eine geringe Reallohnsteigerung erfahren haben.
({0})
- 1,7 Prozent: Das ist die Zahl für die letzten zehn Jahre.
Eine Reallohnsteigerung von 1,3 Prozent allein im ersten
Quartal 2014 ist der Beleg dafür, dass eine Politik der
Zurückhaltung über viele Jahre hinweg und eine Politik
der Strukturreformen den Menschen letztlich guttut. Das
sehen die Lohnarbeiter jetzt an ihren Lohntüten, und das
ist, meine ich, ein deutliches und gutes Zeichen.
({1})
Das bedeutet aber auch - der Kollege Binding hat bereits darauf hingewiesen -, dass eine Politik, die auf
Strukturreformen und Zurückhaltung angelegt ist, am
Ende auch von Erfolg gekrönt ist. Denn es ist eben kein
Zufall - ich glaube auch nicht an Zufälle in der Politik -,
dass wir in Deutschland fast Vollbeschäftigung haben
und die Steuereinnahmen sprudeln und dass genau diese
Strukturreformen auch in den Ländern in der südlichen
Peripherie Europas, die heute ihre Probleme haben,
nachhaltig wirken können. Wir müssen mit dieser Stabilitäts- und Wachstumspolitik in Europa konsequent bleiben, damit auch diesen Ländern wieder eine Chance erwächst, sich künftig selbst mit den Haaren aus dem
Sumpf zu ziehen und ihren Bürgerinnen und Bürgern
wieder so viel Gutes tun zu können, wie zum Beispiel
wir es in Deutschland in diesem Jahr machen können.
Dieser Haushalt mit einem Haushaltsvolumen von
296,5 Milliarden Euro zeigt, dass er auch eine sehr
starke soziale Komponente hat. Im Übrigen zeigt schon
diese Zahl, dass wir bei den Ausgaben Zurückhaltung
üben. Denn im letzten Jahr haben wir noch 307 Milliarden Euro ausgegeben. Der Haushalt ist also nicht nur
deshalb so erfolgreich, weil er über eine gute Wirtschaft
und gute Steuereinnahmen finanziert ist, sondern auch
durch Ausgabenreduktion.
Aber dieser Haushalt eröffnet auch Spielräume für die
Menschen. Fast jeder dritte Euro - 90 Milliarden Euro
der insgesamt 296 Milliarden Euro - gehen in die Rente,
in die altersbedingte Erwerbslosigkeit oder in die altersbedingte Grundsicherung. 90 Milliarden Euro geben wir
bereits für diesen Bereich aus. Das zeigt auch, liebe KolNorbert Brackmann
leginnen und Kollegen, dass die soziale Komponente in
diesem Haushalt eine große Rolle spielt. Wir haben an
dem schon hervorragenden Werk unseres Finanzministers, der auch hier nicht nur Flagge gezeigt, sondern insbesondere Wort gehalten hat auf dem Weg in die
schwarze Null, die für 2015 angestrebt ist, noch die eine
oder andere Änderung vornehmen können.
Lieber Kollege Bartsch, wenn Sie darauf hinweisen,
dass 400 Millionen Euro beim Arbeitslosengeld II gekürzt worden sind, stellt sich die Frage, wessen Interessen Sie sich dabei zu eigen machen. 400 Millionen Euro
weniger beim Arbeitslosengeld II bedeuten weniger
Langzeitarbeitslose in Deutschland. Negativ betroffen
sind allenfalls all diejenigen, die für diese Langzeitarbeitslosen die Betreuung übernommen haben. Aber wer
dafür ist, dass Langzeitarbeitslose in Beschäftigung
kommen, muss dies eigentlich positiv zur Kenntnis nehmen und sich darüber freuen, dass wir diesen Weg gegangen sind, und zwar erfolgreich.
49 Prozent des gesamten Haushalts gehen in den Bereich Soziales. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es
ist bereits darauf hingewiesen worden: Die Achillesferse
liegt ein Stück weit bei der Infrastruktur. Wir werden
zwar auch in diesem Haushalt 500 Millionen Euro mehr
ausgeben, als ursprünglich geplant war. Insofern hat der
Koalitionsvertrag schon ein Zeichen gesetzt. Aber wir
stellen fest, dass dies nur der Anfang sein kann. Viele
Maßnahmen sind leider noch nicht so finanziert, wie
man sich das wünscht. Aber man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass es bereits mit dem Haushalt 2014 keine
Probleme gab, überall dort, wo Investitionen wegzubrechen drohten, Zusagen zu machen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel hat der Bund finanzielle Zusagen für
den Ersatz der Rader Hochbrücke gemacht. Des Weiteren ist es uns im Haushaltsausschuss gelungen, die Anfangsfinanzierung für eine wichtige Strecke im NordOstsee-Kanal, die nicht nur für Norddeutschland, sondern auch für den internationalen Seeverkehr und damit
für Gesamtdeutschland von herausragender Bedeutung
ist, sicherzustellen und insgesamt 260 Millionen Euro
zuzusagen, sodass diese wichtige Zukunftsinvestition
getätigt werden konnte.
({2})
Dies ist ein großer Erfolg dieser Koalition.
({3})
Damit wollen wir nicht hinter dem Berg halten.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass es nur sehr
begrenzt hilfreich ist, wenn die Länder, die sich eigentlich unserer Stabilitätspolitik anschließen müssen, mit
ständig neuen, unbezahlbaren Forderungen gegenüber
dem Bund nur davon ablenken, dass sie selbst noch
wichtige Aufgaben vor sich haben; denn der Fiskalvertrag sieht für 2020 vor, dass Länder und Kommunen
keine neuen Schulden machen dürfen. Aber die Finanzpolitik, die dort heutzutage betrieben wird, deutet auf etwas ganz anderes hin. Etwas mehr Verantwortung hätten
wir den Ländern schon zugetraut. Gerade angesichts der
großen Leistungen des Bundes bitten wir die Länder darum, mehr Verantwortung zu übernehmen.
({4})
Zu guter Letzt zeichnet diesen Bundeshaushalt noch
etwas anderes aus. Derjenige Haushalt ist der beste, in
dem man nichts Überflüssiges will und nichts Notwendiges entbehrt. Genau das ist uns in Beratungen im Haushaltsausschuss gelungen. Dies ist ein Haushalt, in dem
das Notwendige sicher finanziert ist. Aber Überflüssiges
können und werden wir uns nicht mehr leisten. Insofern
handelt es sich um einen gerechten Haushalt, den wir als
erfolgreiche Koalition am Ende der Woche hoffentlich
mit großer Mehrheit verabschieden werden.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich für die Sozialdemokraten das Wort dem Kollegen Christian Petry.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein fast ausgeglichener Haushalt ist die Voraussetzung - vieles haben wir heute darüber gehört - für
eine soziale und gerechte Politik. Es ist eine große Verantwortung, auch in Europa eine solche Politik durchzusetzen. Dies sage ich im Hinblick auf die auch hier schon
geführte Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Dabei sind die Vorgaben flexibel. Die Spielräume
der Volkswirtschaften müssen gegeben sein, um Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Man möge nur an die
Krise 2009 denken. Was hat Deutschland denn getan? Es
war doch gut, dass wir die Vorgaben flexibel gestaltet
und verändert haben. Das hat uns durch die Krise gebracht und uns letztlich gestärkt. Davon profitieren wir
heute. Vor diesem Hintergrund ist das richtig, was
Sigmar Gabriel gesagt hat: Die Akzentuierung muss
sein, auf Wachstum zu setzen. - Das kann man nur zweimal unterstreichen.
({0})
Die Finanzwirtschaft darf einem solchen Prozess
nicht entgegenstehen. Was in Paris vereinbart wurde, ist
im Hinblick auf die Gesamtsituation in Europa zu sehen.
Der französische Präsident Hollande muss letztlich ausbaden, was seine Vorgänger verursacht haben. Die
Hauptursachen lassen sich in der Zeit der Regierung
Chirac finden. Herr Hollande hat vielleicht seins dazugetan. Aber man darf die Ausgangssituation in Frankreich
nicht vergessen. Deutschland sollte in der Lage sein, die
neue Ausrichtung in Frankreich zu unterstützen. Ziel
sind Impulse für die Wirtschaft, mehr Arbeitsplätze und
Beschäftigung sowie für mehr soziale Gerechtigkeit in
Europa.
({1})
Unter diesem Eindruck beraten wir heute auch über
den Beitritt Litauens, über die Vergrößerung der EuroZone. Litauen möchte ab dem 1. Januar 2015 den Euro
einführen. Wir als Bundestag sind zur Stellungnahme
aufgefordert.
Litauen erfüllt die notwendigen Aufnahmekriterien.
Es hat eine hohe Preisstabilität mit einer Inflationsrate
von 0,6 Prozent, ein Haushaltsdefizit von nur 2,1 Prozent, einen Staatsschuldenstand von 40 Prozent - das ist
weit unter dem Referenzwert von 60 Prozent -, einen
stabilen Wechselkurs gegenüber dem Euro, und die langfristigen Zinsen liegen bei 3,2 Prozent. Das alles sind
hervorragende Eckdaten, sodass man sagen muss: Das
hört sich zunächst einmal sehr gut an.
({2})
Aber: Die Litauerinnen und Litauer haben dafür etwas bringen müssen. Das war sehr schmerzhaft. Das darf
man nicht vergessen. Es gab Kürzungen bei der Altersrente um 8 Prozent, Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung, Kürzungen bei dem Gehalt der Beschäftigten im öffentlichen Dienst von über 12 Prozent. Das sind
harte Einschnitte, die dort getragen wurden, damit heute
die Voraussetzungen erfüllt sind, dass Litauen dem
Euro-Raum beitreten kann. Ich glaube, man muss der Litauer Bevölkerung und der Litauer Politik ein großes
Kompliment dafür machen, dass sie dies durchgestanden
haben. Deshalb muss sich die Einführung des Euros in
Litauen auch positiv auswirken. Sonst wird es mit der
Akzeptanz vor Ort schwierig.
Das sogenannte Scoreboard des makroökonomischen
Ungleichgewichtsverfahrens - ein Zungenbrecher, wenn
man es vorlesen muss; das ist ganz schlimm - weist zwei
Probleme in Litauen aus, auf die auch ich hinweisen
möchte: einmal das Leistungsbilanzdefizit von 12,9 Prozent, zum anderen die hohe Arbeitslosigkeit von 12 Prozent. Deshalb wünschen wir uns, dass die Einführung
des Euros einen ähnlichen Effekt hat wie in Estland
2011. Im ersten Jahr ist der Export Estlands in den EuroRaum um 31 Prozent gestiegen. Wir wünschen uns, dass
dies auch in Litauen passiert und die Menschen vor Ort
sehen, dass sie etwas von dem Beitritt zum Euro-Raum
haben.
({3})
Auch für die Zukunft muss es wichtig sein, dass die baltischen Staaten über den Stabilitäts- und Wachstumspakt
gefördert werden, damit sie flexibel genug wirtschaften
können für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, der
mit dem Beitritt zusammenhängt. Künftig wird das bereits 2003 beschlossene Rotationsprinzip bei der Europäischen Zentralbank und beim Rat gelten. Deutschland
verliert circa alle fünf Monate für vier Wochen sein
Stimmrecht. Ich möchte hier klar sagen: Wenn man die
Währungsunion als europäisches Projekt versteht und
nicht als Ansammlung nationaler Interessen, dann ist
dies auch absolut in Ordnung.
({4})
Es wird für die Zukunft in dem Bereich der EU-Gremien eine Neuorientierung geben müssen. Bei einer derart großen Anzahl von Mitgliedern werden wir die
Strukturen überdenken müssen. Es wird nicht mehr jeder
überall vertreten sein können. So wird die Leitungsebene
entsprechend angepasst werden müssen. Das ist eine
Riesenaufgabe, das wird sehr lange dauern. Ob es gelingt, weiß ich nicht. Aber, wie gesagt, eine große Aufgabe steht in diesem Zusammenhang vor uns.
Es ist ein guter Tag für Europa. Litauer, seid uns willkommen! Wir wollen ein sozial gerechtes Europa der
Bürger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie
bitte diesem Punkt, der Euro-Einführung in Litauen zum
1. Januar 2015, zu.
Vielen Dank und Glück auf!
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dies ist der erste Haushalt dieser neuen Großen Koalition. Es ist ein guter Haushalt. Es ist uns gelungen, gemeinsam den bereits in den letzten Jahren
beschrittenen Weg der Haushaltskonsolidierung erfolgreich fortzusetzen - und das, obwohl wir mit großen
Herausforderungen zu kämpfen hatten, wie etwa der
Entscheidung zur Kernbrennstoffsteuer und weiteren
Herausforderungen, die zu bewältigen waren, auf die ich
nicht näher einzugehen brauche.
Das vorgesehene Ziel der Nettokreditaufnahme von
6,5 Milliarden Euro konnte trotzdem eingehalten werden. Das war uns wichtig. Das ist ein ausgezeichneter
Wert, wie wir ihn seit 40 Jahren, seit Franz Josef Strauß‘
Zeiten, nicht mehr gesehen haben.
Kollege Binding, Sie haben eben von dem ausgeglichenen Haushalt gesprochen, den wir für 2015 anstreben. Ich bin sicher, wir werden dieses Ziel erreichen.
Das wäre das erste Mal seit urdenklichen Zeiten. Ich
komme aus der Nähe von Passau. Es gab einmal einen
Bundesfinanzminister Fritz Schäffer, der in den 1950erJahren den sogenannten Juliusturm aufgebaut hat. Nur:
Auch anderen fiel das Sparen nicht so leicht; darum ist
er nicht so lange Finanzminister geblieben.
({0})
Das wollte ich nur einfließen lassen.
Die Opposition kritisiert naturgemäß den Haushaltsentwurf, wie wir ihn beschlossen haben. Aber diese Kritik ist unberechtigt. Die Entwicklung gibt uns recht. Die
Bundesbank, die Wirtschaftsforschungsinstitute, alle bescheinigen uns, dass wir eine sehr gute Entwicklung zu
verzeichnen haben. Sie korrigieren die WachstumszahBartholomäus Kalb
len nach oben. Die wirtschaftliche Lage in unserem
Land ist ausgezeichnet.
Wir freuen uns, dass es uns die Gesamtsituation ermöglichen wird, im nächsten Jahr einen absolut ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Der Bundesfinanzminister wird schon in den nächsten Wochen den
Haushaltsentwurf für das nächste Jahr vorlegen. Ich bin
davon überzeugt, dass er uns einen ganz großartigen
Entwurf vorstellen wird. Im Herbst werden wir darüber
zu beraten haben.
Wir müssen natürlich weiterhin Disziplin bei der Ausgabenpolitik üben; das ist vorhin schon gesagt worden.
Wir müssen die Prioritäten einhalten, und wir müssen,
was die Prioritäten betrifft, den Weg fortsetzen, den wir
bereits in den zurückliegenden Legislaturperioden eingeschlagen haben: Ausgaben für Zukunftsinvestitionen, in
Bildung und Forschung, Infrastruktur und Kinderbetreuung. Vielleicht darf auch gesagt werden - Kollege
Brackmann hat es vorhin gesagt -: Wir haben vieles getan, um die Kommunen zu entlasten. Diesen Weg werden wir fortsetzen. Sobald Spielräume gegeben sind,
werden wir uns darum bemühen, die Investitionsausgaben insgesamt zu steigern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können
am Beispiel Deutschlands sehen, dass solide Finanzen
die Grundlage für soziale Stärke und Wirtschaftswachstum sind. Die Einhaltung der Haushaltsregeln ist vernünftig für alle, die wir in der Europäischen Union und
in der Währungsunion zusammengeschlossen sind. Das
Einhalten dieser Regeln liegt allerdings in der nationalen
Verantwortung. Es ist Grundvoraussetzung dafür, dass
die Bürger genauso wie die Realwirtschaft und die Finanzinvestoren Vertrauen in den Staat, in unser politisches Handeln haben können. Europa braucht einen
Stabilitätsanker. Wir müssen die Konsolidierungsanstrengungen weiter vorantreiben. Sie bedingen sich gegenseitig. Deutschland ist der Stabilitätsanker in Europa.
Die Schuldenkrise, die wir zu einem beachtlichen Teil
überwunden haben, hat uns vor große Herausforderungen gestellt. Wir haben Solidarität geübt. Wir haben
auch in den Krisenländern feststellen können, dass sich
die Erfolge einstellen; der Finanzminister hat es vorhin
dargestellt. Alle hatten große Anstrengungen zu unternehmen, harte Einschnitte hinzunehmen, eine schwierige
Wegstrecke zurückzulegen. Aber die Erfolge sind doch
sehr beachtlich, und sie geben zu großer Hoffnung Anlass.
Das Wachstum in Europa zieht wieder an. Das Vertrauen in die Euro-Zone ist zurückgekehrt. Alle Beteiligten an den Finanzmärkten haben gesehen, dass es sich
nicht lohnt, gegen den Euro zu spekulieren. Alles andere, was im Hinblick auf eine mögliche Aufweichung
der Stabilitätskriterien unternommen würde, wäre kontraproduktiv, wäre schädlich und würde uns wieder zurückwerfen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder,
die noch nicht so weit sind - damit meine ich nicht nur
diejenigen, die unter dem Rettungsschirm waren -, müssen ihre Hausaufgaben machen, müssen strukturelle Veränderungen vornehmen. Das gilt auch für unsere hochgeschätzten Freunde und Nachbarn im Westen. Aber es
gilt auch bei uns: Wir dürfen keine strukturellen Fehler
machen. Wenn ich an die jüngste Debatte, an die Forderungen des DGB zur Rente schon mit 60 denke, dann
sage ich: Liebe Leute, lasst die Tassen im Schrank! Wir haben, glaube ich, was die Rentenpolitik betrifft,
sehr viel und genug gemacht.
Wir müssen insgesamt in Europa am Stabilitätskurs
festhalten. Wann, wenn nicht jetzt, sind die Länder in der
Lage, zu konsolidieren - bei diesem Zinsumfeld, bei den
Rahmenbedingungen, wie wir sie jetzt vorfinden? Es ist
vorhin schon genannt worden, wie zurzeit die Renditen
für langfristige Staatsanleihen sind. Es ist nicht nur so,
dass wir uns sehr günstig refinanzieren können, sondern
Gott sei Dank sind auch die Reformstaaten, die Krisenländer wieder in ein normales Fahrwasser gekommen.
Wenn die spanischen und die italienischen Papiere mit
3 Prozent verzinst werden, dann ist das doch eine ganz
vernünftige Situation. Selbst Zypern konnte vor kurzem
Papiere zu unter 5 Prozent auf den Markt bringen.
({2})
Dieses niedrige Zinsniveau und die Politik der EZB
dazu sind nicht ganz unumstritten - das müssen wir zugeben - und nicht ganz ohne Risiken. Wir haben bei der
aktuellen Haushaltsplanung natürlich auch davon profitiert. Aber sollte diese Politik länger anhalten, dann birgt
das auch Gefahren für uns alle. Wir können das da oder
dort durchaus schon erkennen. An der einen oder anderen Stelle zeichnen sich spekulative Blasen im Aktienmarkt, im Immobilienmarkt usw. ab. Wir müssen darauf
achten, dass hier nicht Gefahren und Risiken entstehen,
die wir dann wieder mit viel Aufwand bekämpfen müssen.
Betroffen von dieser Politik ist nicht nur der Versicherungssektor - den haben wir heute früh schon betrachtet -, sondern betroffen sind natürlich auch alle anderen
Bereiche. Eine Politik des billigen Geldes - das haben
wir in den USA gesehen - birgt auf die Dauer auch erhebliche Gefahren. Sie kann kein Ersatz für Strukturreformen sein; ich habe es bereits gesagt.
Auch die schwächeren südeuropäischen Banken müssen natürlich schauen, dass sie ihre Probleme lösen und
lösen können. Die EZB legt großen Wert darauf, dass sie
auf der einen Seite eine großzügige Kreditvergabe an die
Realwirtschaft machen können. Auf der anderen Seite
wollen wir auch den Stresstest der Banken. Wir wollen
stabile Banken, und wir wollen nicht wieder irgendwann
feststellen müssen, dass Kredite vergeben worden sind,
die uns dann im Bankensektor große Probleme bereiten,
weil die notwendigen Bonitäten beispielsweise nicht gegeben gewesen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie gesagt,
wir müssen mit den Reformanstrengungen vorankommen. Das müssen wir schon angesichts der großen demografischen Herausforderungen, vor denen wir in
Deutschland und in Europa stehen. Wir müssen dafür
sorgen, dass die Investitionstätigkeit weiter voranschreitet. Dazu brauchen wir ein wettbewerbsfähiges Steuersystem, wie wir es haben. Unsere Wirtschaft hat gute
Rahmenbedingungen. Die Wirtschaft boomt. Wir haben
die höchste Zahl von versicherungspflichtig Beschäftigten, und wir haben die höchste Zahl von Erwerbstätigen
in Deutschland. Dieses Klima müssen wir weiter pflegen. Die Rahmenbedingungen sind, wie gesagt, sehr gut.
Steuererhöhungen kommen und kamen für uns nicht
infrage; das gilt insbesondere auch mit Blick auf den
Mittelstand. Wir wollen auf keinen Fall irgendwelche
steuerpolitischen Versprechungen machen, wenn wir sie
im politischen Handeln nicht solide abbilden können.
Das heißt, wir müssen alles das sichern, was wir jetzt haben. Ich halte es für ein bisschen zu kurz gesprungen,
wenn immer nur von der Notwendigkeit der Abschaffung oder Korrektur der kalten Progression gesprochen
wird. Im Hinblick auf unseren Mittelstand, auf unsere
Facharbeiter werden wir, wenn wir Spielräume haben
- aber auch erst dann; diese Spielräume sehe ich jetzt
noch nicht -, darangehen müssen, unter strukturellen
Gesichtspunkten unseren gesamten Einkommensteuertarif einmal unter die Lupe zu nehmen. Ich denke hier an
den Steuersatz im mittleren Bereich, ich denke an den
Höchststeuersatz, der schon sehr früh greift und unsere
mittelständischen Facharbeitskräfte in besonderer Weise
trifft. Hier werden wir uns anstrengen müssen, wenn wir
dann das Notwendige tun wollen. Aber wir wollen keine
falschen Versprechungen machen.
Ich glaube, wir müssen Schritt für Schritt vorangehen,
eins nach dem anderen machen. Im Moment ist es die
Haushaltskonsolidierung. Dann müssen wir uns Spielräume erarbeiten, damit wir mehr für Investitionen tun
können und damit wir im Bereich der Abgaben und
Steuern die strukturellen Maßnahmen, die notwendig
sind, ergreifen können. Ich sage aber auch: Das geht
nicht von heute auf morgen. Dazu brauchen wir Geduld.
Dazu brauchen wir die notwendigen Spielräume, und
dazu brauchen wir auch Zeit.
Ich danke ganz herzlich.
({3})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Uwe Feiler, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Januar 2015 beabsichtigt Litauen, der
Euro-Zone beizutreten. Das gibt mir Anlass, dieses für
Europa, aber auch für Deutschland wichtige Ereignis etwas ausführlicher zu behandeln. Ich freue mich, dass der
Botschafter der Republik Litauen, Seine Exzellenz
Matulionis, heute hier anwesend war und ich die Gelegenheit hatte, mit ihm ein paar kurze Worte zu wechseln.
Nach Estland und Lettland sehen wir auch in Litauen
die positiven Folgen der EU-Osterweiterung. Nachdem
Litauen vor zehn Jahren der Europäischen Union beigetreten ist, hat es eine beeindruckende Wirtschaftsentwicklung zu verzeichnen. Dazu beglückwünsche ich Litauen ausdrücklich und zolle den Litauern mein Lob.
({0})
Es wurden weitgehende Wirtschafts- und Rechtsreformen durchgeführt. Die Haushaltspolitik wird umsichtig geführt. Das trägt jetzt Früchte: Das Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 2004 fast verdoppelt. Die
Gesamtverschuldung mit circa 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt sogar unter dem Durchschnitt des
Wertes für die Mitglieder der Währungsunion. Das Konvergenzkriterium der Geldstabilität ist ebenfalls erfüllt.
Die Wirtschaftsleistung hat wieder das Niveau von vor
der Finanzkrise erreicht. Für 2014 und 2015 wird weiterhin ein Wirtschaftswachstum von über 3 Prozent prognostiziert.
Meine Damen und Herren, die Litauer wissen den
Euro als eine gemeinsame europäische Währung zu
schätzen. Sie wissen auch, dass es für sie unabdingbar
war, der Euro-Zone so schnell wie möglich beizutreten.
Schließlich wird das Baltikum als zusammenhängender
Wirtschaftsraum von Investoren wahrgenommen. Estland
sowie Lettland haben den Euro bereits eingeführt. Darüber hinaus wird der Euro in unruhigen Zeiten im Osten
Europas längst als Stabilitätsfaktor und Stabilitätsanker
wahrgenommen.
Die EZB identifiziert mit ihrem Bericht auch wirtschaftspolitische Herausforderungen und Reformbedarf,
zum Beispiel bei der Flexibilisierung des Kündigungsschutzrechts und der Besteuerung des Faktors Arbeit.
Die Arbeitslosigkeit von knapp über 10 Prozent sowie
steigender Fachkräftemangel in einigen Branchen aufgrund der großen Auswanderungsquoten sind ebenfalls
gegenwärtige Herausforderungen.
Heute problematischer denn je ist sicher die allgemein bekannte Abhängigkeit des Landes von ausländischen Energiequellen. Die nicht einfache Vergangenheit
und die gleichzeitige Abhängigkeit von Russland im
Energie- und Transportsektor spielen eine nicht unerhebliche Rolle in der wirtschaftlichen Situation des Landes.
Das gesamte Baltikum leidet an einer schlechten Anbindung an das europäische Energienetz. Die Abhängigkeit
von ausländischen Anbietern schlägt sich daher in höheren Preisen nieder. Um dies zu ändern, eröffnet Litauen
Ende des Jahres einen Flüssigkeitsterminal und baut
Stromleitungen nach Polen und Schweden. Somit erlangt es dann Zugang zum europäischen Energienetz.
Das ist nur zu begrüßen; denn die Unabhängigkeit im
Energiesektor ist seit der Ukraine-Krise insbesondere für
die osteuropäischen Staaten wichtiger denn je.
Auch wenn die Zusammenarbeit im Energiesektor einiges zu wünschen übrig lässt: Russland ist und bleibt
ein wichtiger Handelspartner für Litauen. Russland ist
der wichtigste ausländische Absatzmarkt für litauische
Güter. Im Jahr 2013 hat sich der Warenexport dorthin
auf 4,9 Milliarden Euro summiert, was 19,8 Prozent der
Gesamtausfuhr ausmacht. Die Hälfte davon betrifft WaUwe Feiler
ren, die in Litauen selbst erzeugt wurden. Die andere
Hälfte macht der Transit von Waren aus anderen Ländern aus. Durch die Einführung des Euro bietet sich allerdings auch die Chance, mehr Waren in den EuroRaum zu liefern.
In Litauen leben im Gegensatz zu Estland und Lettland nur circa 5 Prozent Russen. Wie ich in dem persönlichen Gespräch mit dem litauischen Botschafter erfahren habe, ist die Mehrheit der russischen Minderheit in
Litauen für die Euro-Einführung - und das auch zu
Recht. Die Euro-Einführung ist in erster Linie die Erfüllung der Verpflichtung, die Litauen mit dem EU-Beitritt
eingegangen ist. In zweiter Linie ist sie eine freie wirtschaftliche Entscheidung der Republik Litauen. Herr
Ulrich, Verträge beruhen auf Gegenseitigkeit. Wir können nicht auf der einen Seite von Litauen fordern, den
Euro einzuführen, und dann aber, wenn die Beitrittskriterien erfüllt sind, den Beitritt verweigern. Das ist
scheinheilig und dient nicht der Sache.
Wir ermutigen die Republik Litauen, den eingeschlagenen Weg zur dauerhaften Sicherung stabiler öffentlicher Finanzen und einer Politik der Stärkung sowie von
Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit fortzusetzen und
gleichzeitig die noch offenen Reformen, zum Beispiel in
den Bereichen des Rentensystems und des Arbeitsmarktes, voranzutreiben.
Der Beitritt Litauens hat jedoch einen besonderen Nebeneffekt - das haben wir eben schon gehört -: Das betrifft den EZB-Rat. Mit Litauen werden erstmals 19 Zentralbankpräsidenten vertreten sein. Somit tritt das
Rotationsverfahren in Kraft. Alle fünf Monate wird dann
auch der Präsident der Deutschen Bundesbank zwar
nicht sein Teilnahme- und sein Rederecht, aber sein
Stimmrecht für einen Monat verlieren. Entscheidungen
zu finanziellen Angelegenheiten des Euro-Systems
- zum Beispiel Einzahlung und Änderung des EZB-Kapitals, Anpassung von Kapitalschlüsseln, Verteilung der
monetären Einkünfte sowie der Gewinne und Verluste sind vom Rotationsprinzip jedoch ausgenommen.
Fakt ist, dass Deutschland 27 Prozent des EZB-Kapitals eingezahlt hat und entsprechend haftet. Diese Tatsache spiegelt sich bereits jetzt nicht in den Abstimmungsverfahren - ein Mitglied, eine Stimme - wider. Es ist
legitim, die Frage zu stellen, wie es sein kann, dass der
größte Anteilseigner sein Stimmrecht nicht permanent
ausüben kann. Es werden auch Befürchtungen laut, dass
das Rotationsverfahren missbraucht werden könnte.
Rein theoretisch ist dies denkbar.
Es sollte natürlich kein Denkverbot dabei geben, nach
anderen, gegebenenfalls besseren Verfahren zu suchen,
die die Kapitalverhältnisse und Haftungsrisiken gerechter widerspiegeln. Man muss dabei jedoch sagen, dass
der mögliche Missbrauch höchst unwahrscheinlich ist
und einen gravierenden Eingriff in die Prinzipien der
Europäischen Union bedeuten würde. Wir sollten unseren Partnern in der EU nicht von vornherein unterstellen,
sie warten nur auf den Zeitpunkt, an dem Deutschland
vorübergehend über kein Stimmrecht in der EZB verfügt, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Wir
dürfen des Weiteren nicht vergessen, dass nicht nur
Deutschland, sondern auch alle anderen Mitglieder ihr
Stimmrecht vorübergehend verlieren.
Zu Recht hat der Kollege Brinkhaus kürzlich darauf
hingewiesen, dass es insbesondere wichtig sei, dass
Deutschland mit Sabine Lautenschläger-Peiter im EZBDirektorium vertreten ist. Die sechs Mitglieder des EZBDirektoriums behalten auch nach Einführung des Rotationsverfahrens ihr ständiges Stimmrecht. Wir sollten
uns also darauf konzentrieren, weiterhin in diesem Direktorium vertreten zu sein.
Auch wenn es ein wichtiges Thema ist, sollte die Diskussion über das Rotationsverfahren nicht den eigentlichen Grund der heutigen Beratung überschatten: den
Beitritt der Republik Litauen zur Euro-Zone. Wir begrüßen ausdrücklich die erfolgreichen Anstrengungen Litauens, die Bedingungen für die Euro-Einführung zu erfüllen, und unterstützen den Antrag Litauens auf den
Beitritt zur Euro-Zone. Wir freuen uns auf die künftige
Zusammenarbeit mit Litauen als einem vertrauenswürdigen und wirtschaftlich stabilen Partner.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Feiler. - Damit schließe
ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Abstimmungen,
und zwar zunächst über den Einzelplan 08 - Bundesministerium der Finanzen - in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof. Wer stimmt dafür? Ich
bitte um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Einzelplan 20 mit allen
Stimmen des Hohen Hauses angenommen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt II.4 c.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2014.
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/1762, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/1050 und
18/1223 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/1816 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
Ich bitte um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Bei Zustimmung der Fraktion Die
Linke, Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung durch die Große Koalition ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
Vizepräsident Johannes Singhammer
ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Neinstimmen von der
Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Gesetzentwurf ist damit mit Zustimmung von CDU/CSU
und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen
und den Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt II.4 d. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1800 mit
dem Titel „Herstellung des Einvernehmens von Bundestag und Bundesregierung zum Begehren der Republik
Litauen, der dritten Stufe der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion beizutreten und den Euro als Umlaufwährung einzuführen“. Hierbei geht es um die Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23
Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 a des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union. Wer stimmt für diesen Antrag? Ich
bitte um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist
damit dieser Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und Grünen angenommen. Der Deutsche Bundestag gibt damit grünes Licht für den Beitritt Litauens zur
Europäischen Währungsunion.
({0})
Tagesordnungspunkt II.4 e. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1730 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt II.5 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit
Drucksachen 18/1023, 18/1024
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten
Steffen-Claudio Lemme, Christian Hirte, Dr. André
Berghegger, Roland Claus und Sven-Christian Kindler.
Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch und gehe deshalb davon aus, dass
das so beschlossen ist.
Ich eröffne die Aussprache und darf zuallererst dem
Kollegen Ralph Lenkert, Die Linke, das Wort erteilen.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wenn ich den Einzelplan 16 beurteilen
müsste, würde ich schreiben: Sie waren bemüht. - Sie
waren bemüht, aber Sie ignorieren vollständig, was passiert: die Dürren in Afrika, die Überschwemmungen in
Bangladesch. Sie ignorieren, dass Menschen umsiedeln
müssen, sie ihre Heimat verlieren, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört sind, sei es durch den Klimawandel,
sei es durch die rücksichtslose Ausbeutung der Natur.
Erinnern wir uns an unsere Jugendzeit. Wie oft gab es
da starke Unwetter? Laut Wikipedia wurden in den 70erJahren vier Extremwetterereignisse in Europa registriert.
({0})
In den 80er-Jahren waren es fünf, in den 90er-Jahren schon
zwölf. Von 2000 bis 2010 waren es 17. Allein in den letzten vier Jahren gab es 14 Extremwetterereignisse. - Der
Klimawandel lässt grüßen. Aber was machen Sie? Insgesamt 400 Millionen Euro für den vorbeugenden Klimaschutz werden in verschiedenen Einzelplänen gestrichen; Sie werden uns erklären, wo Sie was wie versteckt
haben. Dieses Geld fehlt nun für den vorbeugenden Klimaschutz, sei es in der Bundesrepublik, sei es in anderen
Ländern. Bezahlen werden dies die Menschen, die nicht
ausweichen können; bezahlen werden es die Ärmsten
der Armen. Aber auch Ihre Klientel, die Wirtschaft, wird
dafür bezahlen müssen. Wir finden, das ist eine nicht vorausschauende, eine rücksichtslose Politik. Diese lehnen
wir ab.
({1})
Ihr wichtigstes Klimaschutzelement war der CO2Zertifikatehandel. Er funktioniert nicht; das wissen wir.
Es sind auch keine Ansätze zu erkennen, weder im
Haushalt noch in Ihrer Politik, dass sich das ändert. Aber
dem Haushalt ist zu entnehmen, dass Sie den Industrieunternehmen jetzt die Kosten, die durch den Handel mit
CO2-Zertifikaten entstehen, erstatten wollen. Das müssen Sie mir einmal erklären: Der Klimaschutz soll durch
CO2-Zertifikate vorangetrieben werden. Die Wirtschaft
soll motiviert werden, klimaschutzfreundlicher und ressourcensparender zu produzieren. Und jetzt entschädigen Sie die Wirtschaft, indem Sie die Kosten, die dadurch vielleicht entstehen könnten, in Höhe von
350 Millionen Euro übernehmen? Ich fordere Sie auf:
Streichen Sie diese Förderung aus dem Energie- und Klimafonds, und setzen Sie dieses Geld für echten Klimaschutz ein! Dann könnten wir sagen: Sie haben sich nicht
nur bemüht, sondern wenigstens einen kleinen Schritt
getan.
({2})
Beim vorbeugenden Klimaschutz haben Sie versagt.
Wie sieht es nun beim Schutz vor den Auswirkungen des
Klimawandels aus? Bei der Jahrhundertflut 2002 gab es
in der Bundesrepublik Schäden in Höhe von 18 Milliarden Euro. 8 Milliarden Euro haben wir für die erneute
Jahrhundertflut 2013 als Sofortmaßnahme bereitgestellt.
Ja, das ist eine gute Leistung, die wir gemeinsam vollbracht haben; aber man muss sich, von den materiellen
Schäden einmal abgesehen, fragen: Wie fühlen sich die
Menschen an Elbe, Elster, Oder, Saale und Rhein, die bei
jedem Regenguss Angst haben, und wie fühlen sich die
Menschen in NRW angesichts der Unwetter, die gerade
zu Pfingsten tobten, wenn sie hören, dass die Koordinierung des Hochwasserschutzes zwischen den Ländern
nicht besser wird, weil Sie nicht einmal lächerliche
3 Millionen Euro für eine Koordinierungsstelle bereitstellen wollen? Das müssen Sie den Menschen erklären,
ich kann es nicht.
({3})
Nicht nur beim Thema Hochwasser haben wir es mit
mangelndem Schutz vor Wasser zu tun. Es betrifft auch
ein ganz anderes Thema: In der Asse kommt das Wasser
wahrscheinlich schneller, als Sie sich durchringen, etwas
zu unternehmen. Zur sogenannten Lex Asse, nach der
Sie 2033 eventuell so weit sein wollen, Müll herauszuholen, sage ich: Frau Hendricks, setzen Sie mehr Geld
ein
({4})
für eine Parallelforschung hinsichtlich der Lagerfindung! Setzen Sie Geld ein, damit der Müll endlich aus
der Asse kommt und wir vor allen Dingen einen sicheren
Verwahrort in der Bundesrepublik finden! Dafür können
Sie das Geld einsetzen, das Sie weiterhin in die Totgeburt Gorleben und in den Schacht Konrad stecken. Nutzen Sie dieses Geld, schließen Sie Gorleben, und machen Sie damit den Weg frei für eine vernünftige
Forschung, für eine vernünftige Lösung!
({5})
- Da Sie sich hier aufregen, Herr Kollege: Nutzen Sie
das Geld auch, um die Altlasten zu beseitigen, die aus
der Urangewinnung von vor 1960 in Ostdeutschland resultieren und nicht von der Wismut GmbH erfasst werden!
({6})
Dieses Geld könnten Sie gut dafür einsetzen.
({7})
Ich möchte aber auch einen positiven Aspekt der in
den Haushaltsberatungen vorgenommenen Änderungen
erwähnen. Dass Sie der Region rund um die Asse jetzt
mehr Geld zur Verfügung stellen, auch wenn es nicht
viel ist, damit die Region die Nachteile ausgleichen
kann, mit denen sie seit Jahrzehnten leben muss, ist
wirklich ein guter Schritt. Das begrüßen wir. Das ist ein
kleiner Lichtblick in diesem Haushaltsentwurf.
Der Einbau von Rußpartikelfiltern sollte gefördert
werden. Ich kann verstehen, dass Sie sagen: Alte Dieselfahrzeuge sollen weg. - Es gibt aber Menschen in diesem Land, die sich neue Fahrzeuge nicht leisten können.
Diese Menschen können ihre Fahrzeuge aufgrund von
immer mehr Umweltzonen nicht mehr in jeder Stadt nutzen. Sie sollen aber flexibel auf den Arbeitsmarkt reagieren und dorthin gehen, wo es Arbeit gibt. Diese Menschen
sind auf das Fahrzeug angewiesen. Sie unterstützen die
Umrüstung der Fahrzeuge nicht. Das ist sozialpolitisch
eine Katastrophe. Mit dieser Nichtunterstützung erhöhen
Sie lediglich den Zwang, Neufahrzeuge zu kaufen. Das
ist auch ressourcentechnisch schändlich. Ich sage Ihnen:
Führen Sie die Rußpartikelförderung fort! Wir brauchen
diese Förderung nur noch wenige Jahre. Damit entlasten
Sie die Umwelt und die kleinen Leute, die nicht viel
Geld haben. Damit unterstützen Sie uns alle und sorgen
dafür, dass wir eine Gesellschaft bekommen, in der nicht
nur die Interessen der Großindustrie vertreten werden,
sondern auch die der kleinen Menschen.
({8})
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt ansprechen, der mich geschockt hat. Am 19. Juni 2014 hat
die Firma VW erklärt, das Kältemittel R1234yf doch
einzusetzen. Es geht um eine Einsparung von 2 Gramm
CO2 pro Kilometer; um so viel besser als andere soll dieses Kältemittel sein. Kommt es aber zu einem Fahrzeugbrand - das geschieht pro Jahr 30 000 Mal in Deutschland -, entsteht Flusssäure. Dadurch, dass Sie Daimler,
VW und andere Firmen nicht in ihrem Vorhaben unterstützen, diese von der EU vorgegebene Umstellung nicht
durchzuführen, riskieren Sie im Fall von Unfällen die
Gesundheit von Tausenden von Menschen. Ich finde, das
ist schändlich. Sie sollten all Ihre Kraft dafür einsetzen,
bei der EU dafür zu kämpfen, dass dieses Mittel verboten wird. Ich wünsche mir - diese Ergänzung sei mir gestattet -, dass dieses Mittel verboten wird.
Kollege Lenkert, setzen Sie jetzt bitte einen Punkt.
Ja. - Ich wünsche mir, dass dieses Mittel vom Markt
verschwindet.
Ich wünsche mir, dass Sie beim Entwurf des nächsten
Haushalts Ihre Hausaufgaben machen, damit wir einen
Haushalt bekommen, der für die Menschen und für die
Umwelt gut ist und nicht für die Unternehmen.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Steffen-Claudio
Lemme das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Lenkert, Sie zeichnen ein
völlig falsches Bild, insbesondere des Haushalts für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich will
versuchen, das in meiner Rede richtigzustellen, und zwar
sehr sachlich und ohne viel Polemik - das überlassen wir
Ihnen.
({0})
Vor circa zwei Monaten, bei der ersten Lesung des
Bundeshaushalts, stand ich hier und verdeutlichte, dass
im Regierungsentwurf des Umwelt- und Bauetats richtige Schwerpunkte bei Umwelt, Klima, Natur und Städtebau gesetzt wurden. Gleichzeitig kündigte ich an, dass
wir als Berichterstatter der Koalition im parlamentarischen Verfahren versuchen würden, an der einen oder
anderen Stelle Verbesserungen herbeizuführen. Ich freue
mich, dass das, wie dieser Haushalt zeigt, gelungen ist.
({1})
Zur Haushaltskonsolidierung und zur Einhaltung der
geplanten Neuverschuldung musste bei den einzelnen
Häusern nochmals gespart werden. Im Zuge der Haushaltsberatungen haben wir in unserem Bereich allerdings
einen Mittelaufwuchs ermöglicht. Dies verdeutlicht die
- trotz seines verhältnismäßig geringen Gesamtvolumens - hohe Relevanz des Umwelt- und Bauressorts für
diese Bundesregierung.
Ich möchte erläutern, in welchen Bereichen wir während der Beratungen Änderungen vorgenommen haben:
Erstens. In der ersten Lesung sprach ich an, dass ich
mich persönlich für den altersgerechten Umbau starkmachen werde. Ich bin sehr froh darüber, dass wir zusätzlich 10 Millionen Euro verankern konnten und das neue
Zuschussprogramm „Altersgerecht Umbauen“ somit
schon in diesem Jahr starten können.
({2})
Wir planen auch, bis zum Jahr 2018 sogar 54 Millionen
Euro zu investieren. Das Programm, welches von
Schwarz-Gelb eingestampft wurde, fördert alters- und
behindertengerechte Bau- und Umbaumaßnahmen mit
direkten Bundesmitteln. Diese Zukunftsinvestition ist
dringend notwendig; denn durch den demografischen
Wandel benötigen wir bis zum Jahr 2020 zusätzlich
2,5 Millionen barrierearme Wohnungen in unserem
Land.
Zweitens. In der Städtebauförderung sind die deutliche Mittelaufstockung und die Stärkung des Programms
„Soziale Stadt“ ein großer sozialdemokratischer Erfolg.
Neu ist nun, dass wir innerhalb der Städtebauförderung
das neue Bundesprogramm „Nationale Projekte“ einfügen konnten, um künftig besonders bedeutsame innovative Projekte zu unterstützen. Hierunter fällt auch das
UNESCO-Welterbe, das 2014/15 einen Schwerpunkt
darstellen wird.
({3})
Die dritte Veränderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, betrifft das Nationale Naturerbe. Dieses soll um
mindestens 30 000 Hektar erweitert werden. Bislang
wurden dabei Flächen von der Privatisierung ausgenommen und kostenlos an interessierte Länder, Umweltverbände oder Stiftungen übertragen. Da sie bei der Bewirtschaftung jedoch zunehmend an ihre finanziellen
Grenzen stoßen und die neuen Flächen nicht vollständig
übernehmen können, haben wir zusätzliche 4 Millionen
Euro für eine Bundeslösung bereitgestellt. Diese Bundeslösung mit Bewirtschaftung durch die Bundesanstalt
für Immobilienaufgaben sichert die Flächen für den Naturschutz und entlastet gleichzeitig die Umweltverbände.
Viertens - das steht dem diametral entgegen, was Sie,
Herr Lenkert, hier gesagt haben - haben wir den AsseFonds um 500 000 Euro auf nunmehr 1 Million Euro erhöht. Ab 2015 sollen 3 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stehen. Damit gewähren wir den betroffenen
Menschen in der Region um die Schachtanlage Asse II
dauerhafte Unterstützung.
({4})
Fünftens kommen wir zu guter Letzt zu dem vielleicht sogar wichtigsten Thema, dem Klimaschutz. Herr
Kindler, in unserer letzten Debatte haben Sie den Vorwurf erhoben, wir würden den internationalen Klimaschutz mit unserem Haushalt beerdigen und damit ein
verheerendes Signal in die Welt setzen.
({5})
Hierzu möchte ich zunächst anmerken, dass wir nun im
Haushalt des Entwicklungsministeriums die notwendigen Änderungen bezüglich des UN-Klimafonds - Green
Climate Fund - vorgenommen haben. Wir können im
Herbst Zusagen in Höhe von bis zu 750 Millionen Euro
machen. Auch haben wir sichergestellt - das war uns besonders wichtig -, dass die vorgesehenen Gelder gemeinsam von BMZ und BMUB bewirtschaftet werden.
Sie sehen somit: Wir senden kein verheerendes Signal
in die Welt, sondern bekennen uns im Gegenteil mit der
Unterstützung für den Klimaschutz in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu unserer internationalen
Verantwortung.
({6})
Das ist gerade für die UN-Klimakonferenz in Paris im
nächsten Jahr, auf der ein verbindliches Klimaabkommen beschlossen werden soll, ein wichtiges politisches
Signal.
({7})
Kollege Lemme, gestatten Sie eine Bemerkung oder
Frage des Kollegen Kindler?
Sehr gerne.
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Kollege Lemme,
es ist richtig, dass die Bundesregierung in den HausSven-Christian Kindler
haltsberatungen gerade noch die Kurve gekriegt und eine
Verpflichtungsermächtigung von 750 Millionen Euro
eingestellt hat. Aus unserer Sicht ist auch das für eine
bedarfsgerechte Ausstattung des Green Climate Fund
noch zu wenig. Wenn wir aber über den Haushalt 2014
reden, müssen wir auch über die Barmittel reden.
Es gibt eine Studie von Oxfam, die zeigt, dass dieses
Jahr durch die Verschiebungen zwischen dem Energieund Klimafonds, dem Haushalt des Umweltministeriums
und dem Haushalt des Entwicklungsministeriums mindestens 240 Millionen Euro an Barmitteln gekürzt werden. Das halte ich, ehrlich gesagt, für ein verheerendes
Signal an die Klimakonferenz in Paris. Wir kritisieren,
dass Sie die Mittel in diesem Haushalt um 240 Millionen
Euro kürzen. Wie stehen Sie dazu?
Herr Kindler, diese Kritik von Oxfam haben wir zur
Kenntnis genommen. Wir haben, gemeinsam mit dem
BMUB, auch eine Erläuterung dazu bekommen. Wir arbeiten daran, dass genau hier keine Kürzungen vorgenommen werden und wir weiterhin strukturell eine Vorreiterrolle in diesem Bereich haben. Dafür sind wir recht
gut aufgestellt.
({0})
In einem Punkt möchte ich eine Bitte an Ministerin
Hendricks richten: Das Niveau der deutschen Klimafinanzierung konnte gegenüber dem Vorjahr um 50 Millionen Euro gesteigert werden. Das ist gut. Gleichzeitig
stehen wir aber vor der Herausforderung - 2009 in
Kopenhagen haben die Industrieländer dies zugesagt -,
die Klimafinanzierung bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu steigern. Als Haushälter würde ich mir
wünschen, dass wir frühzeitig und nachvollziehbar über
die Überlegungen informiert werden, über welche bilateralen Instrumente und multilateralen Klimafonds und in
welcher Höhe wir in den kommenden Jahren einen Beitrag zur Erreichung dieses Ziel leisten. Wir sollten also
auch der Frage nachgehen: Wie viel sollen die Privatwirtschaft und die alternativen Finanzierungsquellen in
diesem Bereich beisteuern? In diesem Sinne hoffe ich
auf eine transparente Darstellung eines sogenannten
Aufwuchspfades.
Umwelt- und Baupolitik wird wie kein anderer Bereich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verbunden.
Das Dreisäulenmodell definiert Nachhaltigkeit als ökonomische, ökologische und soziale Zukunftsverantwortung. Lassen Sie mich dies am Haushalt 2014 konkretisieren: Erstens. Die ökonomische Nachhaltigkeit ist Ziel
unserer Anstrengungen bei der Rückführung der Neuverschuldung. Zweitens. Ökologische Verantwortung
übernehmen wir, wie geschildert, als wirtschaftlich
wohlhabendes Land durch unsere Vorreiterrolle bei der
internationalen Klimafinanzierung. Drittens. Soziale
Nachhaltigkeit müssen wir insbesondere im Umgang mit
dem demografischen Wandel bedenken; im Wohnungsbereich setzen wir dabei mit den neuen Zuschüssen zum
altersgerechten Umbau eine wichtige Wegmarke.
Ja, wir stehen vor weiteren Herausforderungen. Dennoch meine ich - meine früheren Aussagen hierzu finde
ich bekräftigt -: Der Haushaltsplan geht mit den durch
den Haushaltsausschuss beschlossenen Änderungen, die
uns jetzt vorliegen, in die richtige Richtung. Wir wollen
ihn so verabschieden.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Steffi Lemke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Lemme, ich gratuliere Ihnen als Hauptberichterstatter für die von Ihnen hier geschilderten Erfolge, die Sie im Verhandlungsprozess im Sinne von
Umwelt und Naturschutz erreicht haben. Insbesondere
- das hatten wir im Vorfeld deutlich gemacht - das Nationale Naturerbe liegt uns sehr am Herzen. Dass es dafür jetzt eine finanzielle Lösung im Sinne des Naturschutzes gibt, begrüßen wir ausdrücklich. Ich wünsche
Ihnen, Frau Hendricks, bei der konkreten Umsetzung
dieses Projektes den notwendigen langen Atem. Als ich
vor elf Jahren aus dem Bundestag ausgeschieden bin,
stand dieses Thema brandaktuell auf der Agenda.
Wir diskutieren heute aber hauptsächlich über den
Etat eines Umweltministeriums, das zum ersten Mal seit
mehr als zehn Jahren ohne die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien agiert. Alle Erfolge, zu denen ich,
wie gesagt, gerne gratuliere, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Entscheidung, die erneuerbaren
Energien aus dem Zuständigkeitsbereich des Umweltministeriums herauszuverlagern, dazu führt, dass das
zentrale Projekt eines jeden Umweltministers jetzt den
Interessen der Wirtschaft und den Interessen des Wirtschaftsministers untergeordnet worden ist.
({0})
Das Chaos, das Sie uns heute auch in organisatorischer Hinsicht mit der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, die die inhaltliche Katastrophe dieses Gesetzes nur ein bisschen kaschiert, bescheren, hat seine
Ursache darin, dass die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien aus dem Umweltministerium herausgelöst
worden ist. Das, was wir Grüne vor zwölf Jahren in einem schweren Kampf gegen die SPD und den damaligen
Wirtschaftsminister Clement durchgesetzt haben
({1})
- inzwischen sind ja die meisten in der SPD froh, dass er
sie verlassen hat -, haben Sie im vergangenen Jahr rückgängig gemacht. Das ist das zentrale Manko, das das
Umweltministerium in den nächsten mindestens vier
Jahren - ich weiß nicht, ob diese Entscheidung jemals
zurückholbar sein wird - mit sich herumschleppen wird.
Frau Hendricks, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede
zum Etat gesagt, dass die Bekämpfung der Klimakatastrophe die zentrale globale Herausforderung des
21. Jahrhunderts ist und dass im Zentrum Ihrer Amtszeit
als Umweltministerium das Ziel stehen muss, die Klimakatstrophe zu bekämpfen. Ich werde mich jetzt nicht in
den Streit zwischen den Haushältern einmischen, ob die
vorgesehenen 240 Millionen Euro noch zur Verfügung
gestellt werden, ob daran noch gearbeitet wird oder ob
sie verloren gegangen sind. Denn gegenwärtig legen Sie
uns eine Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz vor,
die den Klimaschutz in Deutschland um Jahre zurückwirft und den Ausbau des einzigen umweltfreundlichen
Energieträgers, den wir haben, bremst. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird in vielen Regionen vollständig
zum Erliegen gebracht. Stattdessen fängt Ihr Wirtschaftsminister jetzt auch noch eine Debatte über Fracking als Alternative an.
({2})
- Das ist absurd; da gebe ich Ihnen vollkommen recht.
({3})
Ich will jetzt gar nicht auf abstruse Vorwürfe gegen
Frackinggegner im Zusammenhang mit der UkraineKrise eingehen, aber ich muss Ihnen sagen: Sie haben in
der für ein jedes Umweltministerium zentralen Frage zu
Beginn dieser Legislaturperiode grandios versagt. Sie
von der SPD haben zugestanden, dass diese Strukturfrage - Strukturfragen sind immer Machtfragen; das
muss ich Ihnen nicht erläutern - zugunsten von Wirtschaftsinteressen und zulasten aller Umwelt- und Klimaschutzinteressen entschieden wurde. Sie haben die
Energiewende und damit die Bekämpfung der Klimakatastrophe komplett zurück in die Hände des Wirtschaftsministers gegeben. Ich weiß nicht, ob manchmal der Eindruck entsteht, dass Frau Merkel und Herr Gabriel, nur
weil sie einmal Umweltminister gewesen sind, irgendetwas mit der Umwelt am Hut hätten. Sie haben den Klimaschutz und die Bekämpfung der Klimakatstrophe mit
dieser Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz komplett zurück in die Hände der Wirtschaft gegeben.
({4})
- Sie müssen mir jetzt nicht mit so billigen Zwischenrufen zur Parteizugehörigkeit des Staatssekretärs in diesem
Ressort kommen. Ich habe Ihnen vorhin schon einmal
gesagt, dass wir schwerste Kämpfe mit Wirtschaftsminister Clement ausgefochten haben. Wir hatten damals SPD-Umweltpolitiker an unserer Seite - Hermann
Scheer sei stellvertretend genannt -, die bereit waren, die
damalige Entscheidung gemeinsam mit Umweltpolitikern anderer Parteien - es gab sie vereinzelt auch in der
CSU und der CDU - und mit unseren Umweltpolitikern
gegen Herrn Clement und die Betonlobby in der SPD
durchzusetzen.
({5})
- Ich glaube, Sie waren heute Morgen noch nicht im Plenum, als Ihr Kollege Herr Kahrs hier eine Beton-undStahl-Rede für die Industrieinteressen gehalten hat.
({6})
Lesen Sie sie vielleicht noch einmal nach. Ich fand diese
Rede sehr beeindruckend. Sie wurde mit großer Leidenschaft vorgetragen. Ich glaube, sie hat deutlich gemacht,
unter welchen Vorzeichen die Bekämpfung der Klimakatastrophe und die Umweltpolitik in dieser Legislaturperiode bei Ihnen stehen. Das ist meine Hauptkritik am
Etat dieses Ministeriums.
Bei allem Lob für die Details führt kein Weg daran
vorbei, dass Sie eine folgenschwere strategische Fehlentscheidung getroffen haben. Ich hatte es bereits gesagt: Umweltpolitiker verschiedener Parteien und Fraktionen haben das Umweltministerium in den letzten
zehn, zwölf Jahren zu einem Strategiezentrum aufgebaut, das sich in die Diskurse über den Umbau unserer
Industriegesellschaft an den strategisch entscheidenden
Stellen einmischen konnte. Wenn Sie sich die jetzige
Schwerpunktsetzung anschauen, stellen Sie fest: Es geht
um die Errichtung eines Bundesamtes für kerntechnische
Entsorgung, um die Asse-Problematik und, und, und; all
das haben Sie, Frau Hendricks, in Ihrer Einbringungsrede aufgezählt. Bei aller Wertschätzung für die „Soziale
Stadt“ - unsere Fraktion hat sich immer dafür eingesetzt und für die Städtebauförderung muss man festhalten: An
den zentralen Weichenstellungen nimmt das Umweltministerium gegenwärtig nicht teil.
({7})
- Ich spiele überhaupt nichts gegeneinander aus. Ich
sage Ihnen nur, dass Sie die Zuständigkeit für den entscheidenden Kernbereich abgegeben haben und sich das
im Etat dieses Ministeriums widerspiegelt.
Ich biete Ihnen im Namen unserer Fraktion erneut an,
dass Umweltpolitiker Arm in Arm gegen diese Interessen kämpfen. Das, was Sie uns mit der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgelegt haben, kann kein
Umweltpolitiker - sei er SPD-Mitglied, sei er CDU-Mitglied, sei er CSU-Mitglied, sei er Linke-Mitglied - guten
Gewissens unterstützen; denn es würgt die Energiewende und damit die Bekämpfung der Klimakatastrophe
ab.
Danke.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Christian
Hirte das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich gerade im Hinblick auf die Rede
der Kollegin Lemke sagen, dass es vielleicht doch ganz
gut ist, dass die Energiepolitik mittlerweile zentral im
Bundeswirtschaftsministerium koordiniert wird, weil
das erstens die Möglichkeit eröffnet, endlich einmal etwas in einem Konzept voranzubringen.
({0})
Zweitens erhalten dadurch diejenigen, die sich mit der
Politik und dem Etat des BMU - jetzt: BMUB - beschäftigen, die Möglichkeit, sich wieder auf das Thema
zu konzentrieren, das Ihnen von den Grünen besonders
am Herzen liegen sollte, nämlich den Natur- und Klimaschutz.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bekommen,
ganz grundsätzlich gesagt, endlich die schwarze Null.
Generationen von Finanzministern haben sich an diesem
Ziel abgearbeitet. Franz Josef Strauß hat als Letzter eine
schwarze Null geschafft; das war Ende der 60er-Jahre.
({2})
Erst Wolfgang Schäuble und unserer Koalition ist es
wieder gelungen, in diesem Jahr, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und für das nächste und
die kommenden Jahre die Schuldenaufnahme ganz einzustellen. Um aktuell in der Fußballsprache zu sprechen,
würde ich einmal sagen: Das ist ein klares 1 : 0 für
Wolfgang Schäuble und unsere Koalition.
({3})
Die schwarze Null ist keine - wie von der Opposition
behauptet wird - Trickserei des Finanzministers; schon
gar nicht erkauft sich die Koalition die schwarze Null
mit einem Griff in die Sozialkassen. Entgegen der Nörgelei ist der Haushaltsentwurf ein Ergebnis, mit dem die
Große Koalition eindrucksvoll in diese Legislatur gestartet ist.
Die Mütterrente kommt. Die nicht von allen geliebte
Rente mit 63 wird Wirklichkeit. Ich gebe zu: Mit Letzterem habe auch ich ein bisschen Bauchschmerzen. Aber
viel entscheidender ist für mich, dass wir endlich unser
Schuldenproblem - Herr Binding hat es vorhin schon gesagt - nachhaltig in den Griff bekommen. Man kann
nicht mit dem Finger auf Griechenland zeigen und Reformen fordern, aber gleichzeitig sich selbst einen
schlanken Fuß machen und zu Hause untätig bleiben.
Der ausgeglichene Haushalt Deutschlands ist nicht nur
für die Zukunft Deutschlands wichtig. Er zeigt auch unseren bislang weniger erfolgreichen Nachbarn, dass wir
selbst ernst nehmen, was wir von anderen fordern.
({4})
Wir werden damit nicht nur unserer nationalen Verantwortung, sondern auch unserer internationalen Vorbildrolle gerecht.
Begehrlichkeiten gibt es freilich immer, und die Bedürfnisse sind grundsätzlich größer als die Möglichkeiten. So hätte ich mir etwa gewünscht, dass wir mit dem
Einzelplan 16 die Förderung der Rußpartikelfilter auf
den Weg bringen.
({5})
Erstens hätte ich das gerade vor dem Hintergrund der
Diskussion um Umweltzonen und Feinstaubbelastung
für sinnvoll gehalten. Zweitens wäre das eine gute Förderung für den Mittelstand und für die Handwerker gewesen. Leider hat sich hierfür in der parlamentarischen
Beratung am Ende keine Mehrheit gefunden; so ist es
halt manchmal.
Nun bin ich aber Realist genug, um zu wissen, dass
die Ausgaben nicht dauerhaft über den Einnahmen liegen können. Diesen Realismus hätte ich mir trotz der guten Zusammenarbeit mit den Kollegen Kindler und
Claus auch von der Opposition gewünscht. Bei der Auflage des 10-Millionen-Euro-Programms „Altersgerecht
Umbauen“ sind wir noch einer Meinung, dass dies ein
wichtiges und absolut gerechtfertigtes Zugeständnis an
den demografischen Wandel darstellt. Allerdings haben
die Grünen mit ihrer Forderung nach einem Klimawohngeld in Höhe von 100 Millionen Euro den eben angesprochenen Realismus wohl doch etwas vermissen lassen.
Ich greife jetzt gerne noch einmal auf, was vorhin
auch vom Kollegen Kindler in der Nachfrage angesprochen wurde, nämlich die behauptete Klage, dass wir erhebliche Kürzungen bei der Klimafinanzierung vornehmen.
({6})
Dem ist nicht so.
({7})
Richtig ist vielmehr, dass eine ganz exakte Aussage, wie
viel Geld wir für die Klimafinanzierung in die Hand nehmen, erst ganz am Ende mit dem Jahresabschluss möglich sein wird.
({8})
Das liegt unter anderem daran, dass wir erst dann genau
wissen, wie es mit den Zusagen an Partnerregierungen
und mit den Beauftragungen sowie weiteren Bewilligungen aussieht.
({9})
Entgegen der Aussage des von Ihnen angesprochenen
Oxfam-Berichtes wird die Klimafinanzierung mit rund
1,8 Milliarden Euro auf hohem Niveau fortgesetzt.
BMZ, BMUB und BMF haben sich dabei auf einen Modus verständigt, der seit der Klimakonferenz von Doha
im Jahre 2012 als Messlatte zu verstehen ist. Dabei werden nämlich bei bilateralen Vorhaben die Zusagen und
bei multilateralen Beiträgen die Auszahlungen gezählt.
Eine Ausnahme bildet lediglich der EKF. Dort versucht
man, die vorherigen Zusagen aus den Jahren 2011 bis
2013 angemessen ins Verhältnis zu setzen.
Vor allem die Jahre 2011 und 2012 fallen, wenn es um
den Klimaschutz geht, besonders ins Gewicht, weil wir
mit den Mitteln aus den Einzelplänen 16 und 23 gut in
die „Fast-Start-Periode“ gestartet sind und auch in der
Nachfolge weitere zusätzliche Klimamittel zur Verfügung gestellt haben. Ich erinnere nur daran, dass allein in
Doha ein Mittelaufwuchs von 1,4 Milliarden Euro in
2012 auf 1,8 Milliarden Euro in 2013 angekündigt
wurde. Das zeigt, dass wir uns auf einem hohen Niveau
befinden.
Versprochen wurde bei internationalen Klimaverhandlungen schon viel, am Ende kommt es aber nicht
darauf an, was man verspricht, sondern darauf, was man
praktisch tut.
({10})
Entscheidend ist also, was am Ende tatsächlich geleistet
und an Zahlungen auf den Weg gebracht wird, und,
meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen - auch
von den Grünen -, ich glaube, in Bezug auf unseren engagierten Klimaschutz im weltweiten Maßstab müssen
wir uns in Deutschland überhaupt nicht verstecken.
({11})
Lassen Sie mich noch ganz wenige Anmerkungen zu
wenigen Einzeltiteln machen:
Es ist vorhin schon kurz erwähnt worden: Wir geben
im Bereich des Naturschutzes deutlich mehr aus und
steigern die Ausgaben um 8 Millionen Euro von 49 auf
57 Millionen Euro. Diese Mittel sollen vor allem der naturnahen Begleitforschung für die Energiewende zur
Verfügung gestellt werden.
Bei der Asse muss man, glaube ich, zugeben, dass
man heute noch gar keine seriöse und gesicherte Bedarfsschätzung der Kosten für die Zukunft vornehmen
kann. Hier sind für die Zukunft durchaus noch Finanzierungsrisiken zu erwarten. Die Diskussion um die Asse
hat aber gerade dazu geführt, dass wir den Asse-Fonds
für 2014 im Zuge der Haushaltsberatungen auf 1 Million
Euro aufgestockt haben und auch für die kommenden
Jahre noch einmal mehr Geld in die Hand nehmen werden. Ich will nicht verhehlen, dass wir bei der Verwendung der Mittel durchaus ein Auge auf diesen Fonds legen werden, weil wir den Eindruck vermeiden wollen,
dass für den Wahlkreis von Sigmar Gabriel Wahlgeschenke verteilt worden wären.
Schließlich haben wir mit der Sperrung der Hälfte aller neu aufzubauenden Stellen im neuen Bundesamt für
kerntechnische Entsorgung nicht nur unter fiskalischen
Gesichtspunkten, sondern auch unter dem Gesichtspunkt
der Akzeptanz einen wichtigen Schritt gemacht. Es soll
eben gerade nicht der Eindruck entstehen, dass mit dem
Bundesamt vorab Entscheidungen getroffen werden sollen und der Endlagersuchkommission beim Deutschen
Bundestag lediglich eine Statistenrolle zugewiesen wird.
In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und
Herren, darf ich mich für die Zusammenarbeit bedanken.
In der aktuellen Fußballsprache würde ich sagen: Nach
dem Spiel ist vor dem Spiel. In wenigen Wochen geht es
weiter.
Vielen Dank.
({12})
Nun hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara
Hendricks, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Haushalt für das Jahr 2014 mit
dem Anspruch aufgestellt, Deutschlands Zukunft zu gestalten. Das gilt selbstverständlich auch für den Einzelplan 16. Die Bereiche Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit sind für die Zukunft unseres Landes
relevant - sie sind sogar systemrelevant, wie man so
sagt -, um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern.
Deutschland ist aber nicht allein in Europa und in der
Welt. Deshalb werden wir insbesondere beim internationalen Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen und
andere Staaten dabei mitnehmen. Die UN-Klimakonferenz in Paris in rund 18 Monaten wird eine Schicksalsstunde. Jetzt ist der Zeitpunkt, die Weichenstellungen
vorzunehmen, damit ein neues, weltweites, ambitioniertes und verbindliches Klimaabkommen zustande kommt.
({0})
Die Bundesregierung setzt mit dem Haushaltsentwurf
2014 die richtigen Signale. Wir sind dabei, mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 die Weichen so zu
stellen, dass Deutschland nicht nur seine Verpflichtungen erfüllt. Das tun wir ohnehin; denn wir haben unsere
Einsparungen nach dem Kioto-Protokoll schon jetzt gut
erreicht. Die Bundesregierung hat sich aber vorgenomBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
men, mehr zu tun und damit zu zeigen, dass Klimaschutz
eben nicht im Widerspruch zu einer guten wirtschaftlichen Entwicklung steht, sondern sie im Gegenteil sogar
beflügelt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde alles dafür tun, dass die Konferenz in Paris ein Erfolg wird, und
freue mich über jede Unterstützung aus den Reihen des
Deutschen Bundestages.
({2})
Dass Handlungsbedarf besteht, wird auch anderswo
verstanden. Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung
von Präsident Obama, den CO2-Ausstoß mit einer konkreten Zielvorgabe bis 2030 zu senken. Auch wenn wir
in der EU, vor allem in Deutschland, noch wesentlich
ambitioniertere Ziele haben, wird damit doch die bisherige Blockade in der amerikanischen Klimaschutzpolitik
durchbrochen. Das ist ein wichtiges Signal zum richtigen Zeitpunkt.
Das Beispiel von Präsident Obama muss auch in anderen Staaten Schule machen, die im Klimaschutz bislang noch zu zögerlich sind. Die Notwendigkeit und das
Verlangen nach Lösungen sind größer als je zuvor. Die
Menschheit erwartet von der UN-Klimakonferenz zu
Recht, dass endlich geliefert wird.
Schließlich hat der Schutz von Klima und Umwelt
nicht nur ökologische und ökonomische, sondern immer
auch soziale Folgen. Ich will den Zusammenhalt von
Umweltgerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit stärker
thematisieren. Ich glaube, dass sich eine verantwortungsbewusste Politik gerade in diesem Spannungsfeld
nicht mit den herrschenden Zuständen oder mit dem bislang Erreichten zufriedengeben darf. Das ist auch ein
politischer Gestaltungsanspruch, der sich im Einzelplan 16 widerspiegelt.
Für Deutschland ist belegt, dass Menschen mit einem
sogenannten niedrigeren Sozialstatus häufiger in erhöhtem Maß negativen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind.
Sie wohnen öfter in Wohnungen, die verstärkt von Straßenverkehr, Lärm und verkehrsbedingten Luftschadstoffen betroffen sind. Außerdem leiden sie häufiger unter
Feuchtschäden in der Wohnung und haben schlechteren
Zugang zu Grünflächen. Bei Kindern mit niedrigerem
Sozialstatus wurde durchschnittlich eine höhere Bleikonzentration im Blut festgestellt als bei Kindern mit
mittlerem oder hohem Sozialstatus. Diese Menschen
sind also sozial und ökologisch benachteiligt. Damit dürfen wir uns und werde ich mich nicht abfinden.
({3})
Ich bin der Überzeugung, dass eine ökologische
Wende, die zu Benachteiligungen bei den unteren und
mittleren Einkommensgruppen führt, keine Akzeptanz
in der Mehrheit der Bevölkerung finden kann und wird.
Auf der anderen Seite wird das Versprechen einer besseren Zukunft ohne eine intakte Umwelt ein leeres Versprechen bleiben. Gutes Leben ist eben nur auf dem Fundament einer guten Umwelt möglich.
Deshalb gehören die soziale und die ökologische Dimension zusammen. Wir müssen die wirtschaftliche Entwicklung vom Naturverbrauch bei der Energiebereitstellung, beim Wasser- und Rohstoffverbrauch und bei der
Nutzung von Natur und Landschaft entkoppeln. Was wir
brauchen, ist eine Effizienzrevolution beim Energie- und
beim Ressourcenverbrauch.
({4})
Ich bin davon überzeugt, wenn wir es schaffen, die ökologische Frage zu beantworten, dann schaffen wir auch
sozialen Frieden, und wenn wir den sozialen Frieden
stärken, dann schaffen wir damit die besten Voraussetzungen für eine bessere Umwelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt den schönen
Satz, dass die Wirtschaft letztlich eine hundertprozentige
Tochterfirma der Umwelt sei. Allein im Umweltschutz
sind bei dieser Tochterfirma inzwischen rund 2 Millionen Menschen in Deutschland beschäftigt. Die deutsche
Umweltschutzgeschichte ist damit eine wirklich große
Erfolgsgeschichte. Unsere heimische Ingenieurskunst ist
weltweit gefragt. Gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister werde ich deshalb in absehbarer Zeit eine Exportinitiative Umwelttechnologien starten.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist meines Erachtens, den
Naturschutz mit der Stadtentwicklung zu verknüpfen.
Der urbane Naturschutz soll ohnehin in meinem Verantwortungsbereich ein größeres Gewicht bekommen. Bis
Ende des Jahres wird in meinem Haus ein sogenanntes
Grünbuch zu diesem Thema erarbeitet werden. Ein
Schwerpunkt ist, Naturschutz in vernachlässigten Nachbarschaften und Quartieren zu fördern und damit zur Lebensqualität der Menschen beizutragen.
({5})
Ich will mich außerdem dafür einsetzen, dass die
Luftverschmutzung weiter abnimmt. Wir können sie
zwar nicht mehr sehen und riechen wie früher, aber sie
ist - denken Sie nur an Feinstaub oder an die anhaltende
Stickoxidbelastung - weiter vorhanden und damit eine
Gefahr für uns alle. Unter anderem deshalb war die Entscheidung richtig, die Bereiche Bauen und Stadtentwicklung in den Geschäftsbereich meines Ministeriums zu
übertragen. Das hat viel Zuspruch und Zustimmung erfahren. Dafür bin ich dankbar.
Die Schnittmengen mit den klassischen Themen meines Hauses sind groß. Jetzt nutzen wir die Synergien, indem die Bereiche Bauen und Stadtentwicklung mit den
übrigen Abteilungen vernetzt und wirksam integriert
werden. Die dafür notwendigen Organisationsentscheidungen sind getroffen und werden umgesetzt.
Wie Sie wissen, haben wir uns im Bereich Bauen viel
vorgenommen. Mit dem Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen wollen wir helfen, wieder mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland zu schaffen.
({6})
Wir wollen, dass Menschen dort, wo sie wohnen wollen,
bezahlbaren Wohnraum vorfinden. Wir wollen, dass sie
auch später noch dort wohnen bleiben können, wenn der
Wohnraum dem Lebensalter angepasst werden muss,
weil man nicht mehr so leicht die Treppen heraufkommt.
Deshalb sind Programme wie das altersgerechte Umbauen und die Unterstützung neuer Wohnformen genauso wichtig wie die vielen anderen Instrumente, die
dazu beitragen, dass Menschen ein lebenswertes Wohnumfeld haben. Ich bin daher an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und in den
Fachausschüssen dankbar, die mitgewirkt haben, dass
zum Beispiel die Mittel für die Städtebauförderung deutlich erhöht werden konnten.
({7})
Mit dem Programm „Soziale Stadt“, mit dem Stadtumbau und dem städtebaulichen Denkmalschutz werden
wir Städte und Gemeinden gleichermaßen unterstützen.
Wir investieren in ein gutes Zusammenleben und gegen
ein Auseinanderdriften unserer Gesellschaft.
Sie haben es schon gesehen: Es gibt von der Kollegin
Baerbock den Wunsch nach einer Frage oder Bemerkung. - Bitte schön.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich habe jetzt fast bis
zum Ende Ihrer Rede gewartet, um noch einmal das
Thema Klimafinanzierung anzusprechen. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht eine Antwort auf die Frage geben, warum es hier zu den Kürzungen gekommen ist.
Die Kürzungen sind ja insbesondere im Einzelplan 23 zu
finden, der gemeinsam mit dem BMU verwaltet wird.
Vielleicht können Sie noch einmal dazu etwas sagen,
weshalb es da zu Kürzungen kommt.
Um ein konkreteres Beispiel zu nennen - auch wenn
das ein relativ kleiner Topf ist -: Der Waldklimafonds
wurde halbiert. Warum ist es dort zu den Kürzungen gekommen, obwohl insbesondere der Waldschutz eines der
prioritären Ziele des internationalen Klimaschutzes ist
und Deutschland sich ja eigentlich mit dem REDD+-Programm als Vorreiter in diesem Bereich hervortun wollte?
Liebe Kollegin, Sie haben vollkommen recht: Mit
dem REDD+-Programm ist und bleibt Deutschland ein
Vorreiter. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass
wir zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen in Höhe
von 750 Millionen Euro ab dem nächsten Jahr ausgebracht haben. Wir haben die Klimafinanzierung - das ist
schon von meinen Vorrednern dargestellt worden - auf
dem Niveau von 1,8 Milliarden Euro stabilisiert. Wir
sind damit beispielhaft und warten darauf, dass andere
Länder im Hinblick auf die Klimakonferenz hoffentlich
schon auf dem Ban-Ki-moon-Gipfel im September dieses Jahres vergleichbare Zusagen machen werden.
Die Kritik von Oxfam kann ich so nicht nachvollziehen. Wir haben bedauerlicherweise erst heute den Mitgliedern des Bundestages eine detaillierte Ausarbeitung
der Kommunikation zu diesem Thema zukommen lassen. Wir hatten eine gemeinsame Zusammenkunft, bei
der das auch von Ihnen, Herr Kindler, schon einmal angesprochen worden war. Oxfam musste naturgemäß davon ausgehen, dass Sie die Ergebnisse der Bereinigungssitzung noch nicht kannten. Das ist klar. Insofern wird
das schon einmal widerlegt. Das ist zwar im Übrigen
eine sehr technische Ausarbeitung, aber ich bitte Sie, sie
zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaube
nämlich, dass man gut nachweisen kann, dass Oxfam mit
seiner Kritik nicht recht hat. 1,8 Milliarden Euro Bundesmittel pro Jahr müssen auch erst einmal sinnvoll eingesetzt werden, und dafür sorgen wir.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz sicher werde
ich auch im Naturschutz weiter vorangehen, zum einen,
weil ich die Natur liebe, wie wahrscheinlich die meisten
Menschen. Zum anderen sind Natur und Landschaft aber
auch ein wichtiger Ausgleich für von Arbeit, Stress und
Lärm geprägte Menschen. Die Natur zu schützen, wird
immer eines der wichtigsten Themen des BMUB sein.
Wir werden unsere Förderprogramme für Naturschutzvorhaben von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung und das Bundesprogramm Biologische Vielfalt
fortführen. Wir werden 30 000 Hektar an Flächen aus
dem Eigentum des Bundes dauerhaft für den Naturschutz sichern, und wir werden uns gemeinsam mit den
Ländern darum kümmern, dass die Natura-2000-Gebiete
ordentlich geschützt werden.
Im Übrigen verbrauchen wir immer noch jeden Tag
74 Hektar unbebaute Freiflächen. In der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie wurde als Ziel vereinbart, den
Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu begrenzen. Bedauerlicherweise sieht es derzeit nicht danach aus, dass wir dieses Ziel bis 2020 erreichen. Denn
dazu hat es in den letzten zwei Jahrzehnten leider zu wenige Anstrengungen gegeben. Aber seien Sie gewiss,
dass ich dieses Ziel nicht fallen lassen werde. Wir sollten
es gemeinsam weiterverfolgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wahrscheinlich
größte gesellschaftspolitische Projekt in dieser Legislaturperiode ist die Energiewende, die Sie, liebe Kollegin
Lemke, im Zusammenhang mit diesem Haushalt angesprochen haben, obwohl das Thema eigentlich beim
Haushalt des Wirtschaftsministeriums anstehen würde.
({1})
Dann haben Sie noch einmal die Chance, liebe Steffi.
({2})
Ich muss nicht daran erinnern, welche Ereignisse
dazu geführt haben, dass sich die Bundesregierung zu
diesem weltweit beachteten Projekt entschieden hat. Wir
stehen jetzt vor der Herausforderung, die Energiewende
zum Erfolg zu führen, die Menschen dabei mitzunehmen
und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands
dabei nicht zu schmälern. Diese Aufgabe liegt beim
Wirtschafts- und Energieminister in guten Händen.
Gleichwohl werden alle Kabinettskolleginnen und -kollegen daran mitwirken müssen, genauso wie am Aktionsprogramm Klimaschutz 2020, welches in meiner
Verantwortung auf den Weg gebracht worden ist.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit arbeitet an wichtigen Themen, die auf der energiepolitischen Tagesordnung stehen, zum Beispiel am Thema Atomendlagerung, welches heute schon angesprochen worden ist, oder am
Thema Fracking. Das Wasserhaushaltsgesetz sei als
Stichwort genannt. Darum kümmern wir uns.
Im April haben, wie Sie alle wissen, Bundestag und
Bundesrat die Kommission „Lagerung hoch radioaktiver
Abfallstoffe“ eingesetzt. Noch in diesem Jahr wird das
Bundesamt für kerntechnische Entsorgung in meinem
Geschäftsbereich errichtet, wenn auch zunächst auf einer
niedrigen Basis.
Fracking im Schiefergas oder Kohlegestein werden
wir sicher nicht verantworten können, solange uns diese
Technik zwar Energie liefern würde, aber gleichzeitig
unser Grundwasser gefährdet. Auch bei diesen Themen
sollten wir es dringend unterlassen, soziale und ökologische Interessen gegeneinanderzustellen.
({3})
Wir setzen auf Energieeffizienz und erneuerbare
Energien. Sie machen uns unabhängiger von immer teurer werdenden Importen, egal woher. Die Abkehr von
der nuklear-fossilen Energieversorgung kann Deutschland deshalb zur erfolgsreichsten Volkswirtschaft der
Welt machen. Ja, ich bin sicher: Sie wird Deutschland
zur erfolgsreichsten Volkswirtschaft der Welt machen.
Ich hatte bereits bei der Einbringung darauf hingewiesen, dass der Einzelplan 16 mit den Haushalten der Vorjahre nicht mehr vergleichbar ist. Hier spiegeln sich vor
allen Dingen der neue Zuschnitt des Hauses und die
neuen Zuständigkeiten wider. Das Gesamtvolumen hat
sich im Vergleich zum Haushalt 2013 mehr als verdoppelt und liegt nun bei insgesamt über 3,6 Milliarden
Euro. Ich möchte allen nochmals danken, die den Einzelplan 16 mitgestaltet haben. Damit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, den ökologischen und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu sichern.
Frau Ministerin, Sie dürfen weiterreden. Aber von
nun an geht es zulasten der Redezeit der Kollegen der
SPD.
({0})
Sie erlauben mir bitte noch den Abschluss. Ich bin
ganz schnell.
Bei der Fülle der Aufgaben, die vor uns liegen, fühle
ich mich manchmal wie Tim Bendzko in der Liederzeile
„Muss nur noch kurz die Welt retten“. Aber ich bin sicher: Eigentlich wollen wir das ja alle.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Bundesministerin Hendricks, Sie haben
sich im Kabinett der schwierigen Aufgabe gestellt, die
Umweltaktivistin und die Baulöwin in einer Person zu
sein. Jetzt erfahre ich, dass Sie auch noch die Planstelle
zum Weltretten innehaben wollen. Wir werden Sie sehr
kritisch begleiten, und Sie sollten, glaube ich, dafür
dankbar sein.
({0})
Als wir im April den Etat, über den wir nun abschließend beraten, besprochen haben, wurden zu den Themen
„sozialer Wohnungsbau“ und „Städtebauförderung“ insbesondere von den Kolleginnen und Kollegen der SPD,
der Linken und der Grünen Veränderungen angemahnt
und Vorschläge gemacht. Wir haben nun erreicht, dass
immerhin 150 Millionen Euro für „Soziale Stadt“ und
10 Millionen Euro für den altersgerechten Umbau im
Etat stehen. Das ist ein schöner, gemeinsamer Erfolg.
Das ist etwas. Links wirkt. Links mehr könnte noch viel
mehr wirken.
({1})
Ich will Ihnen auch zusichern, Frau Bundesministerin: Immer dort, wo Sie, wie Sie es eben beschrieben haben, das Ökologische mit dem Sozialen in Einklang
bringen, können Sie mit unserer Unterstützung rechnen.
Aber wir müssen uns auch die Realitäten anschauen;
denn die Vorgängerregierung hat die Städtebauförderung
gründlich und nachhaltig kaputt gemacht. Sie selbst haben den Begriff der „Wiederbelebung“ eingeführt. Wenn
man etwas wiederbeleben will, gibt man zu, dass es tot
bzw. fast tot war. Die Mittel für den altersgerechten Umbau sind sicherlich wichtig. Wenn ich die Summe aber
umrechne, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass sich
damit beispielsweise gerade einmal 15 angebaute Fahrstühle in einer Plattenbausiedlung realisieren lassen.
Wir müssen uns natürlich auch das Problem des Etats
2014 vor Augen führen. Wir haben für Investitionen nur
einen Korridor von vier Monaten, von August bis November, zur Abfinanzierung des Haushalts zur Verfügung. Da kann ich den Bundesminister mit seiner Verliebtheit in die schwarze Null und seinem Ansinnen, auf
die Haushaltsreste zu spekulieren, ein bisschen verstehen. Aber wir sind verdammt noch mal auch dafür zuständig, dass die Mittel, die wir für vernünftige Vorhaben einplanen und einsetzen, abfinanziert werden.
({2})
Da hilft es nichts, dass der Bundesfinanzminister auf den
Einwand von Dietmar Bartsch entgegnet: Herr Bartsch,
haben Sie eigentlich nicht mitbekommen, dass wir Wahlen hatten? - Das haben wir sehr wohl mitbekommen.
Aber dass Sie danach monatelang im Koalitionsbildungskoma verharrt haben, lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({3})
Leider gibt es erneut keine Bewegung bei den Altschulden von Wohnungsunternehmen. Man muss inzwischen erklären, was das überhaupt ist. Altschulden gehen
auf Außenhandelsdefizite der DDR zurück, die ohne
sachlichen Bezug auf werthaltige Unternehmen der
Wohnungswirtschaft und der Landwirtschaft im Jahre
1990 umgelegt wurden und seitdem den Banken riesige
Profite ohne eigene Leistungen beschert haben. Nun
habe ich das in der Volkskammer vor x Jahren kritisiert,
aber dass das im 25. Jahr des Mauerfalls, dem wir entgegengehen, immer noch ein Thema ist, hätte ich nicht für
möglich gehalten. Ich wollte schon sagen: Das ist ein
Treppenwitz der Geschichte. Aber nein, ich muss sagen:
Das ist eine Treppentragödie der Geschichte, für die
auch Sie Verantwortung tragen.
({4})
Das kann man sich in verschiedenen Städten anschauen. Ich nehme als Beispiel eine Wohnungsgenossenschaft in Röblingen am See. Das ist der Wohnort einer Landrätin, die vor einer Woche mit über 80 Prozent
der Stimmen gewählt wurde. Sie hat gegen den Amtsinhaber der CDU gewonnen. Sie gehört der Partei Die
Linke an und muss sich jetzt mit dem Problem herumschlagen.
({5})
Die Röblinger Genossenschaft hat 17 solcher Plattenbauten. Sie schafft es gerade einmal, eine pro Jahr zu sanieren, weil die Altschuldenproblematik sie bedrückt
und ihr den Freiraum nimmt, den sie eigentlich brauchte.
Insofern bleiben wir bei unserer Kritik. Es ist ein
Haushalt der Ignoranz gegenüber dem Osten und auch
ein Haushalt der sozialen Spaltung. Deshalb brauchen
wir auch mit Blick auf künftige Aufgaben einfach viel
mehr Mut, ein regionales Gemeinwesen zu denken. Wir
werden Ihnen auch weiterhin kritisch vorrechnen, dass
Sie mit dem Verkauf der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft bundeseigene Wohnungen an eine Heuschrecke
verkauft haben. Alle Befürchtungen, die wir von dieser
und anderen Stellen geäußert haben, sind in der Realität
übertroffen worden. Das ist eine Negativbilanz, die auf
Ihr Konto geht.
({6})
Beim Hochwasserschutz - mein letzter Punkt - haben
wir leider immer noch kein abgestimmtes nationales
Konzept. Die Konzepte enden im Moment an den Landesgrenzen. Da macht aber bekanntlich das Hochwasser
nicht halt. Als finanzielle Quelle haben Sie, Frau Bundesministerin, bislang lediglich die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Die ist aber im Agrarministerium angesiedelt.
Das klingt so ein bisschen nach dem spanischen Sprichwort: Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten.
Wir brauchen also in der Tat andere Vorschläge, die
wir eingebracht haben. Im Übrigen ist Besserung nur in
Sicht, wenn Sie auf die Linke hören. Frau Ministerin,
wer heute sein Heil im Gestern sucht, ist an der Seite der
CDU gut aufgehoben, wer Morgen will, der braucht
links.
({7})
Die nächste Rednerin für die CDU/CSU ist die Kollegin Marie-Luise Dött.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 2014 setzt im Umwelt- und Baubereich die richtigen
Prioritäten. Die Mittel, die Deutschland für den internationalen Klimaschutz bereitstellt, steigen weiter an. Wir
halten unsere Zusagen ein. Mit dem Aktionsprogramm
Klimaschutz werden wir die derzeit bestehende Lücke
zur Erfüllung unserer nationalen Klimaziele schließen.
Wichtig ist es, bei allen Maßnahmen soziale Ausgewogenheit zu sichern. Für die Unternehmen müssen wir die
europäische und internationale Wettbewerbsfähigkeit
auf allen Stufen der Wertschöpfung berücksichtigen. Das
haben wir bei der Novelle des EEG hinbekommen, und
das muss auch bei der Weiterentwicklung der Klimapolitik gelten.
Wir haben mit den im Haushalt zusätzlich bereitgestellten 4 Millionen Euro die Grundlagen geschaffen,
weitere 30 000 Hektar in das Nationale Naturerbe zu
überführen. Mit der Erhöhung der Mittel für den AsseFonds auf 1 Million Euro 2014 und auf 3 Millionen Euro
ab 2015 signalisieren wir den Menschen in der Region
unsere Unterstützung bei der Bewältigung der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Lagerung von Atommüll.
Es ist richtig, dass die Kompetenz beim Hochwasserschutz - übrigens auch für die Finanzierung - bei den
Bundesländern liegt. Die Hochwasserereignisse der vergangenen Jahre haben aber auch gezeigt, dass eine Koordinierung der Maßnahmen sinnvoll ist. Es war deshalb
folgerichtig, im Koalitionsvertrag die Erarbeitung eines
nationalen Hochwasserschutzprogramms sowie die Einrichtung eines Sonderrahmenplans „Präventiver Hochwasserschutz“ zu verankern.
({0})
Die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern laufen.
Meine Damen und Herren, wir reden heute über den
Bundeshaushalt 2014, obwohl wir schon mitten im Jahr
sind. Ich will mit Nachdruck darauf hinweisen, dass ab
dem Bundeshaushalt 2015 dringend zusätzliche Mittel
für den Hochwasserschutz veranschlagt werden müssen.
Angesichts der enormen Schäden durch die Hochwasser
ist das gut angelegtes Geld.
Mit dem Haushalt 2014 treten wir auch im Bereich
der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive
Stoffe in eine neue Phase der Arbeit ein. Erster zentraler
Baustein ist die Einrichtung der Kommission „Lagerung
hoch radioaktiver Abfallstoffe“, die ihre Arbeit bereits
aufgenommen hat. Ich wünsche dieser Kommission für
die kommenden Monate viel Erfolg. Den wird es allerdings nur dann geben, wenn alle Beteiligten gegenseitiges Vertrauen aufbauen, einander zuhören und vor allem
aufeinander zugehen. Ich wünsche mir von allen Beteiligten, dass sie sich zu jedem Zeitpunkt der Arbeit ihrer
Verantwortung bewusst sind.
Wie immer bei den Haushaltsverhandlungen kann
nicht alles finanziert werden, was sich die Umweltpolitiker wünschen. Besonders bedauere ich persönlich, dass
es nicht gelungen ist, die Mittel für die Förderung der
Nachrüstung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mit
Dieselrußpartikelfiltern bereitzustellen.
({1})
Ich hätte mir hier etwas mehr Unterstützung vom Koalitionspartner gewünscht. Gleichwohl bildet der Haushalt
2014 auch im Umweltbereich eine solide finanzielle Basis für die Umsetzung der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag.
In der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik setzt
die Koalition Schritt für Schritt ihre Vorhaben um. Die
Ausstattung der Städtebauförderung eröffnet neue Gestaltungsspielräume. Mit 210 Millionen Euro ist dabei
der Stadtumbau der absolute Schwerpunkt. Die Herausforderungen des demografischen und wirtschaftsstrukturellen Wandels rechtfertigen diese klare Ausfertigung.
Alle anderen Programme, auch die „Soziale Stadt“, ordnen sich dem unter. Hier hat die Bundesministerin die
Weichen richtig gestellt. Dieser Bedarf wird sich auch
bei der tatsächlichen Mittelverwendung durch die Länder abbilden. Die Rolle des Programms die „Soziale
Stadt“ als Leitprogramm der sozialen Integration wird
gestärkt, ist aber nicht allein Aufgabe der Städtebauförderung. Der Schlüssel zum Erfolg des Programms
liegt im Zusammenwirken der zuständigen Ressorts
und nicht im Portemonnaie der Bundesbauministerin.
Nach 15 Programmjahren sollte das endlich einmal realisiert werden.
({2})
Wir haben uns in den Haushaltsgesprächen erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Bund national bedeutsame Vorhaben der Städtebauförderung eigenständig unterstützt. Damit leisten wir vor allem einen Beitrag dazu,
dass wirklich wichtige Projekte zügig realisiert werden
können. Ich bin gespannt auf die Projektauswahl. Wir
setzen auf ein überdurchschnittliches Investitionsvolumen und ein hohes Innovationspotenzial. Dieses Programm soll etwas Besonderes sein und keine simple Alternative zu den bewährten Bund-Länder-Programmen.
Ich bin auch begeistert von den Themen der ersten
beiden Förderjahre: Welterbestätten, energetische Stadtsanierung und Stadtbegrünung. Seit Jahren setze ich
mich dafür ein, mehr Parks und Grünanlagen in der
Stadtentwicklung zu realisieren. Sie gehören zu einem
ausgewogenen, entwickelten Stadtteil. In den Unternehmen des Garten- und Landschaftsbaus gibt es viele herausragend ausgebildete Planer. Sie können mit Mut und
Ideenreichtum neue Gartenarchitektur in der Stadt erlebbar machen.
Ebenso freue ich mich darüber, dass der Regierungsentwurf bei der Unterstützung des altersgerechten Umbaus von Wohnungen deutlich verbessert wurde. Wir
wollen es älteren Menschen ermöglichen, solange es ihnen guttut, in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Das
vertraute Wohnumfeld und die familiäre Geborgenheit
sind wichtige Anker im Alltag. Für die Wiederbelebung
des Programms haben sich CDU und CSU seit Jahren
engagiert - zunächst als Kreditvariante und nun wieder
als Zuschussprogramm. Das ist ein schöner Erfolg.
({3})
Auch in der Wohnungspolitik sind die finanziellen
Weichen richtig gestellt. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hatte die Fortführung der Mittelzuweisungen
für die soziale Wohnraumförderung bis einschließlich
2019 beschlossen. Ebenso wurden erste Vorbereitungen
für eine Wohngelderhöhung ab 2015 getroffen. Darauf
baut die Bundesbauministerin auf. Sie wird zügig den erforderlichen Gesetzentwurf vorlegen. Das Wohngeld
muss in seiner Leistungsfähigkeit verbessert werden.
({4})
Rentner und Arbeitslose sind die größten Empfängergruppen. Ihr Verbleib im Wohngeldsystem schützt die
Kommunen vor zusätzlichen Lasten in anderen sozialen
Sicherungssystemen.
Mit dem geplanten Bündnis für Wohnen wird das Ziel
verfolgt, den Wohnungsbau in Deutschland anzukurbeln.
Ob das damit gelingt, ist auch von seiner Konzeption abhängig. Hier sehe ich noch Beratungsbedarf in der Koalition. Ein weiterer Gesprächskreis mit allen und jedem
birgt die Gefahr des Scheiterns in sich. Liebe Frau Bundesministerin, hier sehe ich wirklich noch Gesprächsbedarf in der Koalition.
Für die Belebung des Wohnungsbaus ist auch eine
kritische Auseinandersetzung mit den Kosten des Wohnungsbaus erforderlich.
({5})
Wenn die Kosten weiter steigen und die Mieteinnahmen
nicht kostendeckend sind, wird der Mietwohnungsbau
weiter hinter dem Bedarf zurückbleiben. Dieser Trend ist
bereits erkennbar. Daher wollen wir eine Baukostensenkungskommission. So steht es im Koalitionsvertrag. Ich
erwarte Impulse zur Entfrachtung und Entschlackung
staatlicher Bauvorschriften auf allen Ebenen. Darauf
kann die Bundesbauministerin aufbauen. Es geht um das
Grundbedürfnis der Menschen nach angemessenem
Wohnraum zu fairen Preisen. Das muss in den Mittelpunkt der Bauvorschriften gerückt werden - nicht die
Vielzahl finanzieller, wirtschaftlicher und ideeller Inte3610
ressen jener, die beim Bau von neuen Wohnungen mitreden und mitverdienen wollen. Hier hat sich eine Schieflage entwickelt. Den Preis dafür bezahlen Häuslebauer
und Mieter gleichermaßen. Da hilft dann auch keine
Mietpreisbremse.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Peter
Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einmal an prominenter Stelle in der Tagesordnung über den Einzelplan 16: Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit. Es ist eine gute Nachricht, dass
wir einmal nicht abends um neun oder um zehn über dieses wichtige Thema reden.
Was dürfen die Menschen in unserem Land von dieser
Debatte erwarten? Antworten zu den Aktivitäten der Regierung, Ihres Ministeriums, werte Frau Hendricks, zu
den drängenden Herausforderungen, vor denen Deutschland im globalen Kontext in diesem Rumpfjahr 2014 in
den Bereichen Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit noch steht!
Was sind diese drängenden Herausforderungen? Der
Klimaschutz ist schon verschiedentlich angesprochen
worden. Ein Klimahaushalt sieht allerdings anders aus
als das, was wir jetzt hier angeboten bekommen haben.
({0})
Unsere Fraktion hat einen entsprechenden Antrag eingebracht, in dem wir unter Einhaltung der nötigen Haushaltsdisziplin zeigen, wie ein Umsteuern zurück auf den
Pfad des Klimaschutzes möglich ist. Doch diese Regierung will offensichtlich weder ein Klimaschutzgesetz
noch einen Klimahaushalt. Dienstwagenprivileg - bleibt
unangetastet. Kerosinbesteuerung im Inland - offenbar
unerwünscht. CO2-Mindestpreis - nicht angedacht.
Liebe Frau Dött, den von Ihnen postulierten Mittelanstieg im Klimaschutz hat nicht einmal die Ministerin in
ihrer aktuellen Aufstellung, von der sie gerade sprach, in
ihrem eigenen Haushalt gefunden. Das ist ein Optimismus, den wir nicht teilen können.
({1})
Dazu kommt eine klare Niederlage - das ist heute schon
angesprochen worden - des Umweltministeriums gegen
die Spielgemeinschaft aus Wirtschaftsministerium, großen alten Stromkonzernen und der IG BCE bei dem in
diesen Wochen hier durchgepeitschten EEG. Wir kennen
die verschiedenen Änderungsanträge, die uns vielleicht
heute noch erwarten, noch nicht. Aber nach dem, was
wir bisher kennen, sieht es so aus, als ob es eine klare
Niederlage des Umweltministeriums gegenüber den anderen Interessen gibt.
Kohleausstieg: Deutschlands Klimagasausstoß steigt
seit zwei Jahren wieder an, dank der dreckigen Kraftwerke, die mit Braun- und Steinkohle befeuert werden.
Das schadet Klima und Gesundheit. Im Einzelplan 16 ist
dies ein wichtiges Thema. Führen Sie doch wenigstens
die Quecksilbergrenzwerte der USA ein.
({2})
Dann müssten die Kohlekraftwerke schon jetzt abgeschaltet oder zumindest anders befeuert werden. Und
was ist mit CO2-Jahreshöchstlasten, einem CO2-Mindestpreis und, und, und?
Ein Wort zum Fracking, liebe Frau Ministerin, weil
Sie es gerade angesprochen haben. Die Frackingmethode zur Erschließung von Erdgas ist nicht nur bei
Schiefergaslagerstätten oder unter Kohleflözen unverantwortbar. Wassergefährdungen durch die Chemikaliencocktails im Frackfluid und in den Flowbacks sind
auch bei der Stimulation von Gasaustritten aus anderen
Lagerstätten gefährlich. Das Vorsorgeprinzip zugunsten
der nachfolgenden Generationen muss unabhängig von
der Lagerstätte gelten. Wir würden uns freuen, wenn Sie
diese Position innerhalb der Regierung durchsetzen
könnten. Hier ist natürlich der Wirtschaftsminister gefragt.
({3})
Welche Herausforderungen drohen uns noch? Ressourcenschutz ist ein wichtiges Thema. Konferenzen
dazu finden allenthalben im In- und Ausland statt. Anreize für echten Ressourcenschutz in der Produktion,
aber auch im Bergbau oder in der Weiterentwicklung einer echten Kreislauf- und Kaskadenwirtschaft fehlen
weiterhin in diesem Haushalt. Wir brauchen ein Wertstoffgesetz mit dynamischen, ambitionierten Recyclingquoten.
Wir brauchen endlich ein modernes Bergrecht, das den
Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ins Zentrum bergbaulicher Genehmigungen stellt. Und wir brauchen eine weiterentwickelte Ressourcenstrategie, die es
für Produzenten endlich attraktiv macht, nicht mehr
Wergwerfprodukte herzustellen, sondern ressourcensparend zu produzieren.
({4})
Zu alledem findet sich in diesem Haushaltsentwurf
nichts.
Luftreinhaltung: Auch das ist ein wichtiges Thema; es
ist eben schon angesprochen worden. Feinstaubemissionen durch Baumaschinen, Dieselloks und Schiffe - dazu
sehe ich keinerlei Aktivitäten in dieser Regierung, die
hier gegensteuern.
Ammoniak aus der Agrarindustrie: Gemeinsam mit
dem Landwirtschaftsausschuss hatten wir im Umweltausschuss eine sehr gute Anhörung dazu. Aber gute Erkenntnisse im Umweltausschuss und im Ministerium
reichen nicht aus. Es braucht Konsequenzen. Diese Konsequenzen müssen gegen das Landwirtschaftsministerium und die Agrarlobby durchgesetzt werden.
({5})
- Ich habe nichts gegen Bauern - danke für den Hinweis -,
ganz im Gegenteil.
({6})
- Es geht um die Großagrarindustrie und nicht um Bauern. Mit unseren diversen Anträgen haben wir deutlich
gemacht, dass wir sehr wohl auf der Seite der bäuerlichen Familienbetriebe stehen.
({7})
Aber es kann nicht sein, dass zulasten unserer Natur, der
Trinkwasserversorgung, der Luftreinhaltung und ähnlicher Dinge eine Produktion ausgeweitet wird, die an den
Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht.
({8})
- Oh doch, ich kann einiges dazu beitragen, aber das gehört nicht in den Einzelplan. Das machen wir später.
Ökologischer Hochwasserschutz: Auch der großen
Ankündigung eines nationalen Hochwasserschutzprogramms fehlt leider bisher die materielle Hinterlegung
im Haushalt. Das ist eben schon angeklungen. Ein Konzept, das über rein technischen Hochwasserschutz durch
Deicherhöhungen hinausweisen könnte - Stichworte:
Auenrenaturierung, großflächige Retentionsräume und
Ähnliches -, ist für uns bisher noch nicht einmal im Ansatz erkennbar.
Was ist mit dem ökologisch-sozialen Umbau im Wohnungsbestand? Frau Dött hat gerade viel Lob geäußert.
Was wird aus dem Wohngeld, das Sie überarbeiten wollten? Mit welchen Haushaltsmitteln soll die aus Klimaschutzgründen notwendige Quote von 3 Prozent energetischer Sanierung im Gebäudebestand erreicht werden?
Wo ist der Heizkostenzuschuss, den Ihre Fraktion, Frau
Ministerin, noch in der letzten Legislatur vehement gefordert hat? Nicht einmal ein Miniförderprogramm für
ökologische Baustoffe finden wir im hier vorgelegten
Haushalt.
Reaktorsicherheit: Auch das gehört zu diesem Ministerium; dann habe ich meinen Rundumschlag beendet.
Was passiert in Ihrem Haus, um international den Atomausstieg voranzubringen? Sogar auslaufende Atomverträge mit Indien und Brasilien werden verlängert; zum
Nutzen der Atomindustrie, nicht aber zum Schutz der
Menschen vor den Gefahren der Atomindustrie.
Ich komme zum Schluss. Gute Politik setzt insbesondere im Umweltbereich klare Prioritäten auf Klimaschutz, Energiewende, Ökologie und Gesundheitsschutz.
Dafür braucht es deutlich mehr Grün. Wir würden uns
freuen, wenn wir in den zukünftigen Beratungen der
Haushalte dieser Regierung etwas mehr davon wiederfinden würden.
Vielen Dank.
({9})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. André
Berghegger.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Angestrengt, zufrieden und den Blick fest auf das nächste Ziel gerichtet das könnte die derzeitige Gemütsbeschreibung unserer
Fußballer im fernen Brasilien sein. Hoffentlich dauert
das noch eine Weile an. Wir werden es am Donnerstag
sicherlich feststellen.
Diese Beschreibung könnte aber auch auf die meisten
Anwesenden hier im Saal zutreffen. Ich denke, wir werden am Freitag, nach langer vorläufiger Haushaltsführung, den Beschluss über den Haushalt 2014 fassen. Es
war eine Kraftanstrengung, weil wir im Rahmen der
Haushaltsplanberatungen die ein oder andere Entwicklung zu verkraften hatten, die die Finanzlage belastet
hat; das Stichwort „Brennelementesteuer“ ist hier schon
gefallen. Es ist aber geglückt, auf diese Situation zu reagieren. Wir werden einen strukturell ausgeglichenen
Haushalt bei einer Neuverschuldung von 6,5 Milliarden
Euro haben. Deshalb sind wir hochzufrieden.
Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, auf
welch hohem Niveau wir noch vor kürzester Zeit lagen.
Noch 2010, zu Beginn der letzten Legislaturperiode, war
in einem Jahr eine Neuverschuldung von 86 Milliarden
Euro zu verzeichnen. Ein Abbau ist nach und nach erfolgt. 2015 werden wir den ersten Haushalt ohne Neuverschuldung seit über 40 Jahren anstreben. Dieser historischen Chance sind wir sehr nah. Deswegen haben
wir dieses Ziel fest im Blick. So weit zur Analogie.
({0})
Aus meiner Sicht zeigt dieser beeindruckende Weg in
der Haushaltspolitik Folgendes: Sparen und Wachstum
sind keine Gegensätze. Das erwarten die Bürgerinnen
und Bürger von uns, und zwar zu Recht. Denn diese
Politik ist nachhaltig, sie erhöht die Wettbewerbsfähigkeit in unserem Land und ist zukunftsgerichtet. Sie sichert damit unseren Lebensstandard. Daran sollten wir
festhalten.
Wir beraten hier heute den Einzelplan 16, also den
Etat des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit. Der Entwurf des Haushaltsplans 2014 war hierfür eine sehr gute Grundlage. Mein
Dank gilt dem Finanzminister Schäuble für die sehr gute
Vorarbeit, der Fachministerin Frau Hendricks für die
konstruktiven Beratungen in ihrem Haus und vor allen
Dingen den Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachausschuss und dem Haushaltsausschuss für die gute Zusammenarbeit und die enge Abstimmung der Änderungswünsche.
({1})
Zugegebenermaßen: Wertmäßig gab es keine allzu
großen Veränderungen. Die empfohlenen Änderungen
des Haushaltsausschusses wollen wir jedoch umsetzen.
Dennoch können wir dabei Schwerpunkte, insbesondere
im Baubereich, setzen:
Der erste Schwerpunkt ist das altersgerechte Umbauen. Wir werden das bestehende KfW-Darlehensprogramm durch Investitionszuschüsse ergänzen. Wir haben
gehört, dass dahin gehend großes Einvernehmen bei allen Fraktionen besteht. Aber, lieber Steffen Lemme, das
Vorgängerprogramm ist - ich habe mir notiert, was du
gesagt hast - von der alten Regierung nicht „eingestampft“ worden. Ich würde es eher so formulieren: Das
Vorgängerprogramm ist zu Zeiten der Krise aufgelegt
worden. Es sollte die Wirtschaft ankurbeln und ist einfach ausgelaufen. - Ich würde den Vorschlag machen,
wir besinnen uns auf die Gemeinsamkeiten. Gemeinsam
werden wir ein neues Programm auflegen.
({2})
Ich denke, dass wir mit dem Vorgängerprogramm
Großes erreicht haben. Wir werden in diesem Jahr mit
10 Millionen Euro starten und bis 2018 über 50 Millionen Euro - diese Zahl wurde genannt - einsetzen. Der
Grund ist einleuchtend: Die Zahl der älteren Menschen
wird in Zukunft deutlich zunehmen. Es wird häufiger
Mobilitätseinschränkungen geben. Wir müssen Wohnungen in großem Umfang an diese Situation anpassen. Barrierefreie und barrierearme Wohnungen sind bei weitem
zu wenig vorhanden. Ein Kredit hilft eben nicht immer.
Denn Menschen haben manchmal ein Alter erreicht, in
dem sie keinen Kredit mehr aufnehmen wollen oder können. Deshalb ist dieser Investitionszuschuss sinnvoll angelegt.
({3})
Durch das altersgerechte Umbauen erreichen wir einen individuellen Nutzen. Wir erhöhen - das hat die
Ministerin vorhin sehr gut herausgestellt - die Lebensqualität; denn die Menschen können so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben. Aber wir
werden auch einen gesellschaftlichen Nutzen erzielen;
denn je länger man zu Hause leben und wohnen kann,
desto später muss man in teure stationäre Pflegeeinrichtungen. Insofern ist es ein Vorteil für alle.
({4})
Herr Claus, das altersgerechte Umbauen dient nicht
nur dem Anbau von Fahrstühlen in großen Wohneinheiten. Es dient auch dazu; aber manchmal reicht schon der
Umbau einer Dusche zu einer barrierefreien Dusche oder
das Anfügen einer Rampe. Das sind kleine Investitionen.
Wenn Sie entsprechende Zahlen zugrunde legen, dann
erkennen Sie: Es gibt eine Vielzahl von Situationen, die
man berücksichtigen kann. Damit erklärt sich der große
Nutzen des Programms.
({5})
Dieser Haushalt ist mitnichten ein - so haben Sie es
genannt - „Haushalt der Ignoranz gegenüber dem Osten“. Wir haben gemeinsam den Anspruch: Es soll ein
Haushalt für das gesamte Bundesgebiet sein, der die Lebenssituation aller Menschen verbessert.
({6})
Der zweite Schwerpunkt: Städtebauförderung. Zwar
werden wir hier im Vergleich zum Regierungsentwurf
keine zusätzlichen Mittel einsetzen, weil bereits mit dem
Regierungsentwurf eine deutliche Aufstockung erfolgt
ist, aber wir werden die Strukturen verändern. Angesprochen wurde die Einfügung des Bundesprogramms zur
Förderung von national bedeutsamen Projekten. Das
heißt, der Bund wird bestimmte Projekte direkt unterstützen, ohne die sonst übliche finanzielle Aufteilung,
die Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Kommunen. Dadurch können Projekte von überregionaler,
überragender und teilweise finanziell besonders großer
Dimension unterstützt werden. Sonst wären die Kommunen vor Ort teilweise überfordert. Wir beginnen in diesem Jahr mit 2,5 Millionen Euro. Mit insgesamt 50 Millionen Euro in den nächsten Jahren werden wir hier sehr
viel Gutes tun. Wir senden damit ein deutliches Signal
an alle Kommunen: Wir unterstützen sie bei großen gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben, insbesondere beim
demografischen, sozialen und ökonomischen Wandel
und im Bereich des Klimaschutzes.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die unterschiedlichen Programme und Projekte zur Städtebauförderung
in ganz Deutschland in unterschiedlichster Form wirken
können. Ich kenne ein Beispiel aus meiner Heimatstadt
Melle, einem Mittelzentrum mit knapp 50 000 Einwohnern im Landkreis Osnabrück. Wir wären dort mit bestimmten Situationen überfordert; Industriebrachen im
Innenstadtbereich würden von der Kommune oder von
Investoren jahrelang nicht angepackt. Jetzt ergibt sich
vielleicht die Möglichkeit, einen - so formuliert man es
technisch - Rückbau und eine Nachverdichtung im
Wohnbaubereich mitten in der Stadt vorzunehmen. Das
ist, was wir wollen. Wir brauchen keine neue Fläche; wir
nutzen die vorhandenen Flächen und tun insgesamt etwas Gutes. Insofern sind die Städtebauprogramme für
unser gesamtes Land sehr gut.
({7})
Wir sind sowohl beim Einzelplan 16 als auch beim
gesamten Haushalt auf gutem Wege. Konsolidieren und
Gestalten ist kein Widerspruch; das zeigt dieser Haushalt
sehr deutlich. Ich bitte Sie um Zustimmung zu den Änderungen durch den Haushaltsausschuss und um Zustimmung zu diesem Einzelplan.
Lieber Christian Hirte, es gibt in dieser Zeit weitere
Zitate aus der Fußballersprache. Ich möchte mit dem
Satz schließen: Das nächste Spiel ist immer das
schwerste. - Freuen wir uns auf die nächsten Haushaltsberatungen!
({8})
Für die Sozialdemokraten erteile ich dem Kollegen
Sören Bartol das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Lenkert, ich finde es sehr unanständig, dass
Sie hier als Redner der Linkspartei am Anfang mit den
Ängsten der Menschen in der Asse-Region gespielt haben und versucht haben, uns deutlich zu machen, dass
die Rückholung der Abfälle aus der Asse daran scheitern
könnte, dass kein Geld bereitsteht. Das ist einfach nicht
richtig.
({0})
Sie wissen selber ganz genau: Es ist ein technisches Problem. Wir haben im Februar 2013 mit großer Mehrheit
ein Asse-Gesetz beschlossen, wir erhöhen die Mittel im
Asse-Fonds. Ich glaube, wir sollten alle gemeinsam den
Menschen in dieser Region deutlich machen: Wir wollen, wenn es technisch irgendwie möglich ist, diese
falsch gelagerten radioaktiven Abfälle zurückholen.
({1})
Herr Kollege Bartol, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lenkert?
Ja.
Herr Kollege Bartol, zur Klarstellung: Den AsseFonds habe ich als „Lichtblick“ bezeichnet, weil er dafür
sorgt, dass die Nachteile für die Region ausgeglichen
werden. Wir haben ihn begrüßt. So viel zur Korrektur Ihrer Kritik.
Der andere Punkt ist: Sie müssen mehr Engagement
an den Tag legen, das heißt, Parallelinvestitionen tätigen,
damit die Bergung der Fässer in der Asse schneller erfolgen kann. Das bedeutet, dass die entsprechenden Vorentwicklungen in Angriff genommen werden müssen, aber
auch, dass die Gelder bereitgestellt werden für die Technik, die benötigt wird, um die Konditionierung unter
Tage vorzunehmen. In Bezug auf alle diese technischen
Aspekte könnten Sie viel mehr bewegen, Sie könnten
viel schneller vorangehen. Das machen Sie aber nicht,
und das werfen wir Ihnen vor.
({0})
Herr Lenkert, das Positive ist: Sie argumentieren jetzt
schon sehr viel differenzierter als in Ihrer Rede. Trotzdem ist ihr Vorwurf immer noch falsch; denn wir tun alles dafür - das haben wir hier im Deutschen Bundestag
parteiübergreifend debattiert und auch umgesetzt -, dass
es möglichst schnell gelingt, die Abfälle aus der Asse
herauszuholen. Sie wissen doch, welche großen, auch
technischen Probleme behoben werden müssen, um dies
möglich zu machen.
Die Kosten, die auf uns zukommen werden, werden
astronomisch sein; auch das wissen wir. Der Deutsche
Bundestag muss aber ganz klar und deutlich sagen: Jawohl, das ist es uns wert. Wenn es technisch möglich ist,
scheuen wir keine Kosten, um die Vorgänge im Bereich
Asse zu stoppen. - Hier nur zu versuchen, den Menschen
zu suggerieren, diese Koalition würde nichts dafür tun,
die radioaktiven Abfälle aus der Asse herauszuholen,
das ist - um es einmal deutlich zu sagen - nicht wirklich
anständig.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Beschluss
des Bundeshaushalts 2014 setzen wir eine zentrale sozialdemokratische Forderung um: Wir erhöhen die Bundesmittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen
Euro. Liebe Kollegin Lemke, dass Sie jetzt für die Grünen anfangen, die 700 Millionen Euro für die Städtebauförderung gegen Umweltthemen auszuspielen, ist
- das muss ich ganz ehrlich sagen - ein Armutszeugnis
für grüne Bau- und Wohnungspolitik. Denn eigentlich
war immer Konsens, auch für die Grünen, dass wir das
gemeinsam wollen. Wir sollten uns nun freuen, dass sich
in diesem Bereich etwas tut.
Die Koalition aus CDU/CSU und SPD ermöglicht einen Investitionsschub für die Zukunft unserer Städte und
Gemeinden.
Herr Kollege Bartol, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder Anmerkung der Kollegin Lemke?
Na gut.
({0})
Man muss ja keine Frage stellen; Sie können ja auch ein
Statement abgeben.
Echt jetzt? - Ich kenne die Geschäftsordnung, danke.
Aber Sie können sich trotzdem über mehr Redezeit
freuen.
Herr Bartol, ich will nur richtigstellen: Ich habe die
Städtebauförderung überhaupt nicht kritisiert, ich habe
sie für richtig befunden. Ich habe gesagt, dass das ein
gutes Vorhaben ist. Ich habe Sie insgesamt zu Ihren Erfolgen bei diesen Haushaltsverhandlungen beglückwünscht. Das war also nicht mein Punkt.
Ich habe kritisiert, dass Sie sich mit Ihren strategischen Entscheidungen aus zentralen Feldern wie Klimaschutz, Bekämpfung der Klimakatastrophe und der
Energiewende zurückgezogen haben, dass Sie an diesen
strategischen Schnittstellen das Ministerium massiv ge3614
schwächt haben, indem Sie den Bereich der erneuerbaren Energien in das Wirtschaftsministerium verlagert haben, und dass Sie damit auf dem zentralen Spielfeld von
Umwelt, Naturschutz und Klimaschutz eine Schwächung des Hauses erreicht haben, das Umwelt-, Naturschutz- und Klimaschutzinteressen wahrnehmen muss.
Das Städtebauprogramm „Soziale Stadt“ kann auch
ein anderes Ressort übernehmen. Als Rot-Grün regiert
hat, haben wir das schon einmal in einem anderen Ressort gut umgesetzt. Aber für Umwelt und Klimaschutz
kann nur das Umweltministerium zuständig sein. Hier
versagen Sie kläglich.
Frau Lemke, in Ihrem Redebeitrag wird die Wertschätzung, die Sie der Städtebauförderung insgesamt
entgegenbringen, sehr deutlich. Genau das meinte ich
mit dem Ausspielen dieser beiden Fachgebiete. Barbara
Hendricks hat die Erfolge dieser Koalition in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik deutlich gemacht. Ich
glaube, dass das Thema erneuerbare Energien bei
Sigmar Gabriel, der ja auch einen Umwelthintergrund
hat ({0})
das wissen Sie doch selber -, sehr gut aufgehoben ist
und dass die verschiedenen Themen in dieser Koalition
angemessen behandelt werden. Was Sie aber nicht gemacht haben, Frau Lemke - da hätte ich doch mehr erwartet -: Sie haben nicht die Chancen dargestellt, die
sich ergeben, wenn die Bereiche Umwelt und Bauen in
einem Ministerium verwoben werden.
Die Ministerin hat anhand einiger Punkte bereits dargestellt, in welchen Bereichen sie etwas vorlegen
möchte. Ich finde, das sind keine Nebensächlichkeiten
der deutschen Politik. Vielmehr geht es um die zentrale
Fragestellung: Wie geht es den Menschen in unseren Regionen, in unseren Städten und Gemeinden? Ich hätte da
etwas mehr Wertschätzung erwartet.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
diese Koalition wieder an die gute Tradition der Bauund Stadtentwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte anknüpft. Wir haben die ideologischen Auseinandersetzungen beendet und arbeiten gemeinsam daran,
die Städtebauförderung zu stärken und weiterzuentwickeln. Dafür gilt mein ausdrücklicher Dank den Haushältern, den Baupolitikerinnen und Baupolitikern. Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion, haben in den letzten Monaten kenntnisreich
und mit großer Ausdauer mit uns über die Ausgestaltung
der Programmstruktur bis ins kleinste Detail diskutiert.
Dafür noch einmal mein Dank. Mein Dank gilt auch dem
Bundesministerium für die fachliche Begleitung. Das
Ergebnis ist ein starkes Signal an Städte und Gemeinden,
an die vielen, die sich vor Ort, in ihrem Wohnumfeld für
konkrete Verbesserungen engagieren.
Auch wenn es bereits gesagt worden ist, möchte ich
aufgrund meiner jahrelangen Verbundenheit mit diesem
Thema Folgendes noch einmal hervorheben: Das Programm „Soziale Stadt“ - so haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart - wird mit dem Haushalt 2014 zum
starken Leitprogramm der sozialen Integration in der
Städtebauförderung. Nächste Woche wird hier in Berlin
der „Preis Soziale Stadt“ zum achten Mal vergeben. Die
dort prämierten Projekte haben jetzt endlich wieder eine
verlässliche finanzielle Zukunftsperspektive. 2011 haben
die Auslober des Preises - GdW, Mieterbund und Arbeiterwohlfahrt - mit anderen das „Bündnis für eine soziale
Stadt“ gegründet, unterstützt von Quartiersmanagerinnen und Quartiersmanagern. Für ihr Engagement möchte
ich allen am Bündnis Beteiligten herzlich danken. Sie
haben bewiesen, was Stadtentwicklungsprozesse dringend brauchen: einen ganz langen Atem.
Wir stärken die Städtebauförderung nicht nur finanziell, sondern wir wollen sie auch inhaltlich weiterentwickeln. Das geht nicht vom grünen Tisch aus, sondern nur
mit den Beteiligten in Ländern und Kommunen, in Wirtschaft und Verbänden. Unser Ziel ist es, die Programmumsetzung vor Ort zu vereinfachen und die Bündelung
von Förderprogrammen zu erleichtern. Mein Anliegen
ist es insbesondere, die Beteiligung in allen Programmen
der Städtebauförderung zu verankern. Da können wir
viel von dem Programm „Soziale Stadt“ lernen: Verfügungsfonds, Quartiersräte, echte Entscheidungsalternativen, das Denken jenseits von Ressortgrenzen. Das ist
ein Lernprogramm für die Verwaltung und für die Bürgerinnen und Bürger. In der eigenen Straße und im eigenen Stadtteil über die eigenen Lebensbedingungen bestimmen zu können, ist eine wesentliche Voraussetzung
für eine gute Lebensqualität. Nur so funktioniert gute
Stadtentwicklung.
Die Stärkung der Städtebauförderung ist ein Baustein
des wohnungsbau- und stadtentwicklungspolitischen
Programms dieser Koalition. Unsere Ziele sind lebenswerte Städte und bezahlbares Wohnen. Die Mietpreisspirale in wachsenden Städten dreht sich weiter, und das hat
Folgen für die soziale Mischung und das Miteinander in
den Städten.
Wir werden zuerst zügig die Reform des Wohngelds
angehen. Erstmals seit 2009 werden wir das Wohngeld
wieder an die Miet- und Einkommensentwicklung anpassen. Damit steigt auch die Zahl der Wohngeldberechtigten wieder. Weniger Menschen mit geringem Einkommen werden gezwungen sein, allein wegen hoher Wohnund Nebenkosten Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung im Alter zu beantragen. Gleichzeitig entlastet das
die kommunalen Haushalte bei den Kosten der Unterkunft.
Außerdem werden wir die Mietpreisbremse einführen. Ich glaube, das war nicht nur für die SPD ein zentrales Wahlkampfthema, sondern auch für CDU und CSU.
Wir brauchen die Mietpreisbremse als kurzfristig wirksames Instrument, um Mieterinnen und Mieter vor überzogenen Mietforderungen zu schützen.
({2})
Damit es deutlich gesagt wird: Wir alle wissen, dass die
Mietpreisbremse den Neubau nicht ersetzen kann; aber
sie begrenzt Exzesse auf angespannten Wohnungsmärkten - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Mietpreisbremse wird den Neubau nicht abwürgen. Deswegen
bleibt es Ziel dieser Koalition, ein möglichst frühes Inkrafttreten der Mietpreisbremse zu erreichen.
({3})
Auf angespannten Wohnungsmärkten brauchen wir
Neubau. Wir brauchen mehr Wohnraum, der familiengerecht, altersgerecht, energiesparsam und klimaschonend
ist. Der Bund wird das nur gemeinsam mit den Ländern,
der Bau- und Wohnungswirtschaft und dem Mieterbund
erreichen können. Neben neuen Impulsen bei der sozialen Wohnraumförderung und bei der Förderung genossenschaftlichen Neubaus mangelt es vor allen Dingen an
Bauland zu vertretbaren Preisen.
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben dazu einen Beitrag leisten soll. Die verbilligte Abgabe von ehemals militärisch
genutzten Grundstücken ist ein erster Schritt, der im
Haushalt 2015 umgesetzt werden muss. Weitere Schritte
müssen folgen; denn die Beschränkung auf Konversionsliegenschaften ist in meinen Augen zu eng.
({4})
Der Bund kann und muss die Liegenschaftspolitik als
Gestaltungsinstrument nutzen. Nicht der Höchstpreis,
sondern Konzepte der Kommunen für bezahlbaren
Wohnraum und eine lebendige Stadt müssen entscheidend sein.
Gutes und bezahlbares Wohnen ist ein Gesamtpaket
aus Neubau, Umbau des Bestandes und sozialer Flankierung. Deswegen ist es gut, dass Barbara Hendricks das
„Bündnis für bezahlbares Wohnen“ im Juli startet. Auch
dafür vielen Dank.
Danke schön.
({5})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Georg
Nüßlein, dem ich das Wort erteile.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen! Meine
Herren! Wenn wir von Verantwortung für die Schöpfung
sprechen, meinen wir von der Union immer die Verantwortung für Mensch und Natur gemeinsam. Wir verstehen darunter einen sparsamen Umgang mit endlichen
Ressourcen, eine klare Orientierung am Gebot der Wirtschaftlichkeit und ein starkes Vertrauen in die Kräfte von
Innovation und Wettbewerb im Bereich der Marktwirtschaft. Das ist unser Leitbild einer modernen Umweltund Baupolitik, meine Damen und Herren.
({0})
Genau dieses Leitbild spiegelt aus meiner Sicht der
Haushalt, den wir hier diskutieren, wider.
Weil verschiedene Kollegen hier auf die Klimapolitik
eingegangen sind, will ich Folgendes deutlich unterstreichen: In der Tat ist es so, dass die Energiewende in
Deutschland Kern unserer Klimapolitik ist. Nachdem
wir heute die Verhandlungen zum EEG endgültig abgeschlossen haben - das war angesichts der besonderen Situation, nämlich dass die EU gemeint hat, sich hier übermäßig einbringen zu müssen, sehr schwierig -, kann ich
Ihnen versichern, dass wir diese Energiewende nicht abwürgen werden. Ganz im Gegenteil: Wir leisten mit dem
neuen EEG einen Beitrag dazu, dass die Akzeptanz für
dieses Gesetz erhalten bleibt, indem wir es kostenorientiert ausrichten.
({1})
Das halte ich für ganz entscheidend.
Die Kollegin Lemke hat auf die Zuständigkeit des
Wirtschaftsministeriums hingewiesen. Diese Zuständigkeit haben wir von der Union uns schon lange Zeit gewünscht, weil wir wissen, dass es jetzt nach vielen Jahren reiner Förderung des Aufbaus von Kapazitäten der
erneuerbaren Energien darum gehen muss, ein neues
Energiemarktdesign zu erstellen. Es geht darum, die erneuerbaren Energien nicht mehr nach dem Motto „Koste
es, was es wolle“ zu fördern, sondern sie in einen neuen
Strommarkt zu integrieren.
Ich darf Ihnen sagen: Mir gefällt nicht alles, was der
Koalitionspartner in Gestalt des Wirtschaftsministers an
der Stelle vorträgt.
({2})
Zum Beispiel bin ich dezidiert der Auffassung, dass es
nicht darum geht, die Geschäftsmodelle der Versorger zu
verschonen. Das wird uns nicht gelingen. Es geht vielmehr darum, die Kosten gleichmäßig so zu verteilen,
dass sie bezahlbar bleiben und wir ein Industriestaat
bleiben. Ich sage das ganz bewusst, weil es Gott sei
Dank mittlerweile auch gelungen ist, bei den Verhandlungen klarzustellen, dass der allergrößte Teil des Parlaments der Auffassung ist, dass wir die energieintensive
Industrie von zu viel Unbill in Form einer EEG-Umlage,
die mittlerweile auf 6,24 Cent gestiegen ist, befreien
müssen, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen kann.
Eines muss uns auch klar sein: Die Energiewende
wird von anderen nur übernommen, wenn sich unser
Wohlstand weiter erhöht. Uns wird niemand nacheifern,
wenn Klimaschutz am Schluss nicht zu mehr Wirtschaftswachstum führt, sondern zu weniger. Das kann
man, meine Damen und Herren, insbesondere nicht von
den Schwellenländern erwarten, die, von einem niedrigen Niveau ausgehend, andere Erwartungen an die Zukunft mit Blick auf die Wohlstandsmehrung haben. Deshalb ist der Ansatz, den wir hier gemeinsam mit den
Kollegen aus dem Wirtschaftsressort erarbeitet haben,
vollständig richtig.
({3})
Ich meine, dass die Energiewende Deutschland in der
Klimapolitik eine Stimme, Gewicht und Glaubwürdigkeit verleiht. Dieses Kapital werden wir auch bei den
Verhandlungen zum neuen globalen Klimaschutzabkommen, das wir Ende nächsten Jahres in Paris abschließen
wollen, in die Waagschale werfen. Deutschland ist allen
Unkenrufen zum Trotz ein verlässlicher und glaubwürdiger Akteur in der Klimapolitik. Die Ministerin hat das
unter Bezugnahme auf die Haushaltszahlen, auf die
1,8 Milliarden Euro, eindrucksvoll dargestellt.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass im
Haushalt von Gerd Müller die Verpflichtungsermächtigung von 750 Millionen Euro eingestellt ist. Das ist eine
Menge Geld; es macht uns in dem Zusammenhang handlungsfähig. Ich möchte, um hier Missverständnissen vorzubeugen, deutlich unterstreichen: Es kommt nicht allein
auf den Betrag in Euro und Cent an, den man hineinsteckt; am Schluss - da zitiere ich Helmut Kohl - ist entscheidend, was hinten herauskommt.
({4})
Ich glaube, dass wir manches effizienter und besser machen, als Sie denken.
({5})
Natürlich gehört zur Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik auch, dass wir unsere Hausaufgaben zu Hause
machen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich den Vorschlag der Frau Bundesministerin, ein Aktionsprogramm
„Klimaschutz“ zu erarbeiten. Dieses Programm soll dabei helfen, die gesteckten Klimaziele bis 2020 wirklich
zu erreichen.
Lassen Sie uns dabei gemeinsam schauen, wo wir aktuell stehen, was wir vielleicht noch verbessern können
und wo es in den Sektoren sinnvolle weitere Einsparpotenziale bei den Treibhausgasemissionen gibt, und zwar
in einem breit angelegten und transparenten Prozess.
Lassen Sie uns aber auch strikt das Wirtschaftlichkeitsgebot beachten. Zu Recht vereinbartes Ziel dieser Koalition ist es, mit engagiertem Klimaschutz Deutschlands
Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und nicht zu senken.
Ich bin zuversichtlich, dass wir hier tragfähige Lösungen
finden.
Das gilt auch für die Reform des EU-Emissionshandels. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Reformdiskussion in Brüssel konstruktiv begleitet und mitgestaltet.
Gut ist aber auch, dass sie dabei insbesondere Vorkehrungen einfordert, wie eine Abwanderung der emissionsintensiven Produktion ins Ausland vermieden werden
kann. Wir werden uns deshalb die Vorschläge zur Marktstabilitätsreserve gemeinsam ganz genau anschauen
müssen. Denn Klimaschutz, aus dem wirtschaftliche
Nachteile entstehen, wird bei den Menschen keine Unterstützung finden. Ich will aber, dass er Unterstützung
findet.
Für eine erfolgreiche Klimapolitik, für den Erfolg der
Energiewende, für eine erfolgreiche Umweltpolitik insgesamt brauchen wir die Akzeptanz der Menschen. Das
ist auch der Grund, warum wir in dieser Woche eine
Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch beschließen
werden, die es den Ländern ermöglicht, länderspezifische Regeln über die Mindestabstände zu Windkraftanlagen festzulegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit
diesem neuen Instrument einen besseren Ausgleich zwischen den Interessen der vom Windenergieausbau betroffenen Bürger und den Erfordernissen einer erfolgreichen Energiewende schaffen.
({6})
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bin
sehr verwundert, wie wenig Vertrauen Sie in bürgernahe
Regelungen haben. Glauben Sie mir, die Länder werden
verantwortungsbewusst mit diesem Instrument umgehen.
({7})
Wenn Sie es nicht glauben, schauen Sie sich den in Bayern bereits vorliegenden Gesetzentwurf an. Die Meinung
der vom Windausbau betroffenen Bürgerinnen und Bürger ist eindeutig. Das hat auch die Anhörung zu diesem
Thema gezeigt. Es zeugt von enormer Ignoranz, die vorhandenen Bedenken und auch Ängste der Bevölkerung
einfach vom Tisch zu wischen. So schaffen Sie bestimmt
keine Akzeptanz. Wer sich so verhält, gefährdet den Erfolg der Energiewende.
({8})
Wir brauchen noch mehr Akzeptanz, noch mehr Begeisterung. Deshalb ist es wichtig, dass wir das, wofür
wir eintreten, nämlich für die Bewahrung der Schöpfung, für eine faszinierende, vielfältige und natürliche
Umwelt, unmittelbar erfahrbar machen. Dass wir in den
Haushaltsverhandlungen zusätzliches Geld für die Überführung von weiteren mindestens 30 000 Hektar Fläche
in das Nationale Naturerbe zur Verfügung stellen konnten, ist aus meiner Sicht ein wichtiges Signal. Wir steigern damit nicht nur die Biodiversität, sondern gestalten
auch ein attraktives Lebensumfeld für die Menschen.
Genau das ist - es wurde schon angesprochen - ein
zentrales Anliegen im Bereich der Städtebauförderung.
Hier konnten wir in der Tat einen guten und soliden
Sprung nach vorne machen und die Themen so ausrichten,
dass wir gezielt fördern können. Das Förderprogramm
„Altersgerecht Umbauen“ halte ich für zeitgerecht und
wichtig. Die dafür bereitgestellten 10 Millionen Euro
muss man im Zusammenhang mit dem sehen, was die
KfW an der Stelle tut. Hier können wir durchaus zeigen,
dass wir auf einem richtigen, guten Weg sind.
({9})
Meine Damen und Herren, auch mit der Mietpreisbremse sind wir auf einem richtigen, guten Weg,
({10})
allerdings nur dann, Herr Kollege Bartol, wenn wir sie
mit Maßnahmen kombinieren, die dabei helfen, die
schwierige Situation auf den Wohnungsmärkten zu verbessern. Wir wären auf einem schlechten Weg, wenn wir
meinen würden, allein dadurch, dass der Staat Preisgrenzen festsetzt, könne man dafür sorgen, dass die Mieten
signifikant sinken. Das Gegenteil ist der Fall: Eine Preisgrenze führt zu Investitionsattentismus und dazu, dass
wir letztlich weniger Wohnungen und damit teurere Mieten haben.
Nur die Kombination macht also Sinn: auf der einen
Seite die Mietpreisbremse und auf der anderen Seite
Maßnahmen, die dazu beitragen, die Situation auf dem
Wohnungsmarkt zu entspannen. Das werden wir, wie ich
denke, nach der Sommerpause im Detail verhandeln. Ich
bin davon überzeugt, meine Damen und Herren, dass wir
eine gute Lösung hinbekommen werden.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({11})
Letzter Redner zum Einzelplan 16 ist der Kollege
Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Regierungsentwurf zu den Kapiteln 1601
bis 1607 des BMUB hat ein Volumen von 2,78 Milliarden Euro, davon 57,1 Millionen Euro für den Natur- und
Artenschutz; das entspricht etwa 2 Prozent des vorgenannten Haushaltsansatzes des Ministeriums. Mehrere
Redner haben schon darauf hingewiesen, dass in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 5. Juni
dieses Jahres 4 Millionen Euro zusätzlich für das Nationale Naturerbe als Erstattung an die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben aufgenommen wurden. Jemanden,
der sich für den Naturschutz besonders engagiert, freut
das natürlich.
({0})
In meiner bisherigen beruflichen Praxis habe ich mit
meinen Kolleginnen und Kollegen schon viele Haushaltsbereinigungssitzungen durchführen müssen. Es stand
aber in der Regel zum Schluss weniger Geld zur Verfügung als vorher. Deshalb ist das eine sehr gute Entwicklung. Frau Ministerin, ich würde mich freuen, wenn man
uns im Umweltausschuss nach der Sommerpause einen
Maßnahmenkatalog vorlegen und erläutern würde, wie
diese zusätzlichen 4 Millionen Euro eingesetzt werden.
Die Erläuterungen, die wir bisher bekommen haben, waren sehr umfangreich und sehr gut. So kann man sich
auch als neuer Abgeordneter schnell in die Materie einarbeiten.
({1})
Lieber Kollege Hirte, ich darf Sie ganz kurz korrigieren: Es sind nicht 57 Millionen Euro, die damit zur Verfügung stehen, sondern 61 Millionen Euro. Das sind
20 Prozent mehr als im Vorjahr bzw. 40 Prozent mehr als
im Jahr 2012.
Die Mehrausgaben sind für die Begleitforschung zum
Ausbau der erneuerbaren Energien vorgesehen. Damit
werden die Auswirkungen der Energiewende auf den
Natur- und Landschaftshaushalt und Maßnahmen zu deren naturverträglicher Ausgestaltung untersucht. Es soll
ein Beitrag dazu geleistet werden, die Energiewende im
Einklang mit den Zielen der Bundesregierung zum Erhalt der biologischen Vielfalt umzusetzen. Aus diesen
Mitteln wird außerdem die Finanzierung von Leistungen
des im Koalitionsvertrag vereinbarten Kompetenzzentrums „Naturschutz und Energiewende“, das zu einer
Versachlichung der Debatte und zur Vermeidung von
Konflikten vor Ort führen soll, in Höhe von circa 1 Million Euro gesichert. Dass die Naturschutzbegleitforschung dringend erforderlich ist, zeigen erste Erkenntnisse über die negativen Auswirkungen der Vermaisung
der Landschaft auf die Biodiversität.
Die Arbeit der Verbände spielt für den Naturschutz in
unserem Land eine große Rolle. Daher unterstützt der
Bund im Rahmen der Projektförderung zahlreiche Verbände und sonstige Vereinigungen auf den Gebieten des
Umwelt- und Naturschutzes mit Zuschüssen in Höhe
von jährlich 12 Millionen Euro. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich darf Sie beruhigen: Greenpeace, eine Organisation, die nicht nur durch spektakuläre Aktionen,
sondern neuerdings auch durch erfolglose Spekulationen
mit Spendengeldern auffällt, erhält nach meinem Kenntnisstand keine Zuschüsse vom Bund.
({2})
Die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“
- sie wurde im November 2007 von der Bundesregierung beschlossen - soll in diesem Jahr mit 15 Millionen
Euro unterstützt werden. Gefördert werden insgesamt
14 Vorhaben. Die bewilligten Vorhaben können nur einzelne Bundesländer betreffen wie zum Beispiel das Aller-Projekt in Niedersachsen, mehrere Bundesländer
umfassen wie zum Beispiel die Vernetzung der Lebensräume für die Wildkatze, an der insgesamt neun Bundesländer beteiligt sind, oder von bundesweiter Relevanz
sein wie die Unterstützung der Naturschutzjugend im
NABU.
Der Titel 882 01 beinhaltet Zuweisungen zur Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und
Landschaft von gesamtstaatlicher Bedeutung; er ist in
gleicher Höhe wie im Vorjahr veranschlagt. Der Bund
trägt höchstens 75 Prozent der einmaligen Projektausgaben. Grundsätzlich sind mindestens 10 Prozent der Kosten von den Projektträgern zu finanzieren. Der verbleibende Anteil ist vom jeweiligen Land aufzubringen. Bei
der Auswahl der Projekte wird ein besonders strenger
Maßstab hinsichtlich der Beurteilung der gesamtstaatlichen Bedeutung und des beabsichtigten Projektergebnisses angelegt. Für 2014 werden acht Vorhaben aus fünf
verschiedenen Bundesländern neu aufgenommen.
Nicht nur durch direkt aus dem Haushalt des BMUB
finanzierte Maßnahmen werden Beiträge zum Naturund Landschaftsschutz geleistet: Bei jeder Infrastrukturmaßnahme sind Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen erforderlich. Die Kosten dafür belaufen sich mittlerweile
auf bis zu 25 Prozent der Gesamtkosten. Ich denke, dass
man in der Zukunft noch mehr als bisher auf die ökologische Wirksamkeit achten muss. Einzelne Baumgruppen, Hecken, vielleicht mit ein paar Sitzkrücken dekoriert, sind nachhaltig für das Honorar der Planer, für den
Natur- und Artenschutz wohl eher nicht.
({3})
Die Realisierung einiger weniger größerer Maßnahmen, die in ihrer Vielschichtigkeit vernetzt werden, ist
unter gesamtökologischer Betrachtung wesentlich nachhaltiger als die Realisierung vieler kleiner Maßnahmen.
Ich sage nur: Klotzen, nicht kleckern! - Das erfordert
natürlich eine gründliche Vorbereitung. Da unsere Planungszeiträume mittlerweile sehr lang sind, ist dafür aus
meiner Sicht auch ausreichend Zeit vorhanden.
Auch das angestrebte Hochwasserschutzprogramm
kann Beiträge zu einer nachhaltigen Natur- und Landschaftsentwicklung leisten, wenn es gelingt, die Veränderungen in den Auen der großen Flüsse und Ströme unter ökologischen Gesichtspunkten umzusetzen. Dazu ist
es jedoch notwendig, die unterschiedlichen Nutzungsinteressen auszugleichen, damit Akzeptanz vor Ort erreicht wird. Eine frühzeitige Einbeziehung der Landnutzer in die Planungsprozesse ist dringend erforderlich.
Ich habe Verständnis dafür, dass wir uns hier zunächst
ein wenig Zeit lassen, um die Konflikte, die sich vor Ort
ergeben können, vorweg auszuräumen. Man sollte hier
wirklich nach dem Motto „Gründlichkeit vor Eile“ vorgehen. Deshalb kann ich zum Beispiel Ihre Bemerkung
gegenüber der Ministerin nicht verstehen, Herr Meiwald.
Ich glaube, wir sollten uns hier wirklich Zeit lassen, um
die Sache gründlich vorzubereiten.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energiewende
stellt auch aus naturschutzfachlicher Sicht eine große
Herausforderung dar. Das Bundesamt für Naturschutz
wird eine Reihe von Fragestellungen fachlich bearbeiten
und den naturschutzrechtlichen Vollzug in der ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nord- und Ostsee
übernehmen. Die personellen Voraussetzungen dafür
werden mit dem Stellenplan 2014 geschaffen: Es sind elf
neue Stellen vorgesehen.
Das BfN als zuständige Fachbehörde hat die Aufgabe,
die einzelnen Formen der Gewinnung erneuerbarer
Energien an Land sowie Projekte der Energieleitung und
-speicherung aus Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes zu untersuchen und bundesweit tragfähige Lösungen
zu entwickeln. Der Ausbau von Offshorewindparks soll
wesentlich zum Erreichen der Energiewende beitragen.
Als Vollzugsbehörde muss das Bundesamt eine Fläche
von 34 000 Quadratkilometern - das entspricht etwa der
Fläche Nordrhein-Westfalens - bearbeiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am
26. März 2014 wurde der Bericht „Die Lage der Natur in
Deutschland“ veröffentlicht. Dieser Bericht konnte nur
erstellt werden, weil viele ehrenamtliche Naturschützer
zusammen mit den Behörden die Daten von über
12 000 Stichproben zusammengetragen haben. Wir haben damit in Deutschland einen einmaligen Datenschatz,
der weiterzuverarbeiten ist. Ich möchte mich an dieser
Stelle bei den vielen ehrenamtlichen Naturschützern bedanken, die viel Zeit dafür aufgewendet haben, um diese
Daten zusammenzutragen.
({5})
Bei vielen von ihnen wurde das Interesse für Naturund Artenschutz bereits im Jugendalter geweckt - oft
durch einen interessanten Biologieunterricht. Mir wird
hier schon ein wenig bange, wenn ich höre, dass im Südwesten der Republik darüber nachgedacht wird, diesen
Biologieunterricht abzuschaffen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Vielen Dank. - Herr Kollege Schulze, das war Ihre
Jungfernrede hier im Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch dazu von meiner Seite und sicher auch im
Namen des gesamten Hauses.
({0})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor, über die wir zuerst abstimmen:
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1817? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1818? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.6 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
Drucksachen 18/1023, 18/1024
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Berichterstatter sind die Abgeordneten Petra Hinz
({1}), Helmut Heiderich, Dr. Gesine Lötzsch und Ekin
Deligöz.
Zu diesem Einzelplan liegen vier Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Gesine
Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({2})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Bevor ich über Geld rede, möchte
ich eine grundsätzliche Bemerkung vorab machen: Vor
einigen Tagen ging die Meldung durchs Land, dass jeder
zehnte Fehltag von Beschäftigten auf Rückenleiden zurückzuführen ist. Rückenbeschwerden kommen vor allen Dingen bei Menschen vor, die schwere körperliche
Arbeiten verrichten müssen, etwa auf dem Bau oder in
der Pflege, bei Kraftfahrern - wegen der oft belastenden
Körperhaltung - und bei Arbeitslosen - wegen des psychischen Drucks, dem sie ausgesetzt sind.
Die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, macht
immer mehr Menschen krank. Wer auf knallharte Konkurrenz, maximale Arbeitsverdichtung und 24-Stunden-Flexibilität setzt, der überfordert jeden Menschen
und jedes Gesundheitssystem. Darum sage ich: Wenn es
uns gelingen würde, unsere Arbeits- und Lebenswelt solidarischer und gerechter zu gestalten, dann könnten wir
auch die Krankheitskosten rapide senken, und ich denke,
das ist das Gebot der Stunde.
({0})
Allerdings gibt es - das wissen wir alle aus leidvoller
Erfahrung - natürlich auch viele Unternehmen auf dem
Gesundheitsmarkt, denen einen multimorbider Patient
lieber ist als ein gesunder Versicherter. Die Gesundheit
wird immer mehr zur Ware. Ich finde, das ist das Hauptproblem in unserem Gesundheitssystem. Dieses Problem
wollen und müssen wir lösen.
({1})
Dazu brauchen wir erstens eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen müssen und dürfen, und
zweitens eine viel strengere Regulierung des Gesundheitsmarktes.
Damit bin ich auch schon beim Geld. Gerade an der
Gesundheitspolitik der Bundesregierung lässt sich leider
sehr gut zeigen, wie man mit kreativer Buchführung einen Bundeshaushalt scheinbar, aber eben nur scheinbar,
sanieren kann. Der Finanzminister und viele Kollegen
haben heute schon von der schwarzen Null gesprochen.
Herr Schäuble hat sich vorgenommen, ab 2015 ohne
neue Schulden auszukommen. Das wäre ein gutes Ziel,
wenn man dieses Ziel ehrlich angehen würde. Aber leider wird getrickst, was das Zeug hält. Am Gesundheitsetat kann man das besonders gut zeigen.
Wie passiert dieses Tricksen? Der Bundeshaushalt
wird entlastet, indem zum Beispiel der Zuschuss für den
Gesundheitsfonds für zwei Jahre um insgesamt 6 Milliarden Euro willkürlich gekürzt wird. Der Zuschuss soll
dann ab 2017 wieder erhöht werden. Aber wer weiß
schon, was im Jahr 2017 sein wird und welche Regierung dann im Amt sein wird. Die Probleme schön in die
Zukunft zu verschieben, hat mit Nachhaltigkeit wenig zu
tun.
({2})
Das Institut für Weltwirtschaft aus Kiel hat prognostiziert, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen in
diesem Jahr ein Defizit von 1,7 Milliarden Euro und im
nächsten Jahr von 6,1 Milliarden Euro haben werden.
Grund sind vor allen Dingen die immer schneller steigenden Kosten für das Krankengeld allein aufgrund der
demografischen Entwicklung.
Wir haben in der Debatte um den Einzelplan des
Ministeriums von Frau Hendricks viel über das altersgerechte Wohnen gehört. Aber natürlich muss auch bei den
Gesundheitskosten einkalkuliert werden, wie sich unsere
immer älter werdende Gesellschaft entwickelt. Die
Krankenkassen haben in dieser Situation leider nur eine
Möglichkeit, die Kürzung des Bundeszuschusses und die
steigenden Gesundheitskosten auszugleichen: Sie müssen sich das Geld bei den Versicherten holen. Das ist
nicht in Ordnung, das ist sozial ungerecht, das lehnen
wir ab.
({3})
Auch wenn der Gesundheitsminister immer wieder
bestreitet, dass die Krankenkassenbeiträge steigen werden: Es wird zwangsläufig dazu kommen. Dafür gibt es
nämlich eine einfache Rechnung: Die Kosten für das Gesundheitssystem steigen schneller als die Löhne, die Gehälter und die Renten. In den vergangenen zehn Jahren
sind die Einnahmen der Krankenkassen nur um 2 Prozent jährlich gestiegen, die Ausgaben aber um 3,7 Prozent. Deshalb stieg der Beitragssatz regelmäßig. Das
wird in Zukunft auch nicht anders sein, wenn sich in diesem Land nicht grundsätzlich etwas ändert. Ich finde,
gerade im Gesundheitssystem muss sich sehr viel grundsätzlich ändern.
Die Arbeitgeber sind von CDU und CSU aus der solidarischen Finanzierung entlassen worden, die SPD hat
damit offensichtlich keine Probleme. Nun sind wir in der
Situation, dass die Kostensteigerungen zu 100 Prozent
von den Versicherten getragen werden müssen. Das ist
besonders ungerecht; denn der Sozialausgleich, der eine
Deckelung vorsah, ist abgeschafft worden. Ich hätte
nicht gedacht, dass ich in diesem Haus die FDP einmal
positiv erwähnen muss. Aber dieser Sozialausgleich mit
Deckelung, also die Begrenzung der Zusatzbeiträge auf
2 Prozent des Einkommens, ist unter einem FDP-Ge3620
sundheitsminister eingeführt worden und unter einem
christdemokratischen Minister wieder abgeschafft worden. Herr Gröhe, das war wirklich eine falsche Entscheidung von Ihnen.
({4})
Was hier vorliegt, hat mit einer gerechten Gesundheitspolitik nichts zu tun. Wir könnten, wenn wir wollten, die Gesundheitskosten insgesamt senken, wenn wir
in Deutschland - ich habe das schon einmal betont, ich
will es aber wiederholen - endlich eine solidarische Bürgerversicherung einführen würden. Viele sind dafür. Ich
finde, man muss dies nicht nur ansprechen, sondern
muss die Mehrheiten auch organisieren und dann hier im
Haus entsprechend abstimmen.
Die Kürzung des Bundeszuschusses wäre nicht erforderlich, wenn wir in diesem Land endlich eine gerechte
Steuerpolitik durchsetzen würden. Ich sage Ihnen: Der
Koalitionsvertrag von Union und SPD enthält einen
Grundfehler, nämlich den, auf eine gerechte Steuerpolitik zu verzichten. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist ein Thema, das Sie in Ihren
Reihen, in Ihrer Partei noch einmal sehr gründlich diskutieren sollten. Denn es stand ja auch in Ihrem Wahlprogramm: Nur mit einer gerechten Steuerpolitik kann man
dieses Land gerecht und sozial gestalten.
Meine Damen und Herren, kreative Buchführung ist
etwas, was man Systemen oder Leuten vorwirft, die gern
tricksen. Ich möchte nicht einem Haushalt zustimmen,
der vor allen Dingen von kreativer Buchführung lebt.
Die Linke wird den Einzelplan 15 ablehnen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist der
Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Zuhörer! Während wir hier über Zahlen und
Strukturen debattieren, sind in unserem Land im Gesundheitsbereich, im Pflegebereich, aber auch als pflegende Angehörige Millionen Menschen im Einsatz, die
jeden Tag mehr leisten - jedenfalls viele von ihnen -, als
es ihre Pflicht ist. Ich glaube, in einer solchen Debatte ist
es auch einmal notwendig, darauf hinzuweisen, dass
diese Menschen unsere Anerkennung verdienen. Denn
hinter all den Projekten, über die wir hier debattieren,
stehen immer wieder Menschen, die das Ganze in unserem System umsetzen.
({0})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn wir
unser Gesundheitssystem insgesamt betrachten, können
wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns damit weltweit sehen lassen können. Auch dort, wo solche Vergleiche durchgeführt werden - gerade aktuell wieder einer
vom Commonwealth Fund -, stellt sich heraus, dass wir
in vielen Punkten im Vorderfeld oder an der Spitze stehen. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo es darum
geht, dass jeder Mensch Zugang zur Gesundheitsversorgung hat und keine Hürden im Wege stehen. Das liegt,
glaube ich, ganz wesentlich daran, dass wir in Deutschland noch immer ein sehr gut funktionierendes Hausarztsystem haben.
Auf diesen Punkt will ich zu Beginn näher eingehen.
Wir haben ja gestern, sozusagen punktgenau, die Positionen des Sachverständigenrats vorgelegt bekommen,
und gerade zum Hausarztsystem wird dort einiges vorgeschlagen. Ich halte die Forderung, dass wir einen Landärztezuschlag einführen sollten, für sehr sinnvoll, und
ich glaube, unsere Fachpolitiker sind gut beraten, wenn
sie diese Frage in den nächsten Wochen und Monaten
einmal aufnehmen und darüber näher diskutieren. Die
Hausärzte sind in einer Situation - dies wird besonders
deutlich in den dünn besiedelten Gebieten -, die uns Veranlassung geben sollte, sehr nachhaltig darüber nachzudenken, ob wir das System so beibehalten können und
wie wir es weiterentwickeln können.
Ich will Ihnen einmal als Beispiel ein paar Zahlen
nennen, die ich mir von meinem Landrat in meinem
Wahlkreis habe geben lassen. In diesem Landkreis gibt
es zurzeit 90 Hausärzte. Von diesen Hausärzten sind im
kommenden Jahr 22 älter als 65 Jahre. Das heißt, sie suchen nach einem Nachfolger.
({1})
Wenn wir noch fünf Jahre weitergehen, 2020, dann sind
es bereits 41. Das heißt, knapp die Hälfte derer, die heute
aktiv sind, brauchen dann einen Nachfolger.
Ich glaube, dass wir, wenn wir jetzt darüber reden,
junge Mediziner stärker in die Richtung der Allgemeinmedizin, der Hausarztversorgung zu bringen, einen zeitlichen Vorlauf von mehreren Jahren, von vier, fünf,
sechs Jahren, einzukalkulieren haben. Wenn wir also
heute damit beginnen, dann beziehen wir uns auf eine
Situation in fünf Jahren und sind damit schon beim Jahr
2020. Deswegen muss an dieser Stelle an den positiven
Beschlüssen, die wir in den letzten Jahren in diesem Bereich schon umgesetzt haben, möglichst weiter angeknüpft werden. Da haben wir schon eine ganze Menge
getan. Aber es zeigt sich, das reicht noch nicht. Deshalb
müssen wir da weiter vorangehen.
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt packen wir in dieser Koalition eine ganze Reihe von neuen
strukturellen Veränderungen an. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir beispielsweise in der Qualitätssicherung einen deutlichen Schritt nach vorn machen. Wir
finanzieren ein neues Institut der Qualitätssicherung.
Wir wollen damit die Versorgungsqualität in diesem Bereich deutlich verbessern. Ich glaube, mit dem Haushalt
und den damit im Zusammenhang stehenden gesetzlichen Beschlüssen setzen wir ein deutliches positives
Zeichen für die Zukunft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen
einen weiteren Schwerpunkt im Bereich der Pflege, und
zwar auf verschiedene Weise. Wir haben das Amt des
Pflegebeauftragten mit einer eigenständigen Organisation und einer eigenständigen Position neu geschaffen.
Ich glaube, dass wir auf diese Weise die Situation der
von Pflege Betroffenen, aber auch der Beschäftigten im
Pflegebereich deutlich verbessert haben. Damit haben
die Betroffenen eine neue, starke Stimme. Damit setzen
wir in diesem Haushalt einen Schwerpunkt für die Zukunft, der sich insgesamt sehen lassen kann.
Wir sorgen weiterhin dafür, dass mit neuen und zusätzlichen Mitteln im Haushalt die Unabhängige Patientenberatung weitergeführt und vor allen Dingen ausgeweitet werden kann. Auch diesen Bereich stärken wir
mit den von uns zur Verfügung gestellten finanziellen
Mitteln weiter und leisten damit auch insgesamt für die
Zukunft Vorsorge.
Wir haben des Weiteren im Rahmen des Berichterstattergespräches und in den Verhandlungen mit dem
Hause möglich machen können, dass durch Umschichtungen von Finanzmitteln die HIV-Stiftung zusätzliche
Haushaltsmittel bekommt. Es werden 10 Millionen Euro
zusätzlich in den Haushalt eingestellt. Damit können wir
die HIV-Stiftung für die nächsten Jahre absichern.
({2})
Das heißt aber nicht, dass wir damit die Verursacher
aus der Verantwortung entlassen. Auch diejenigen in der
Industrie und in den Unternehmen, die damals mitverantwortlich waren, müssen weiter ihre Beiträge leisten,
damit wir die HIV-Stiftung auch nach Ende dieser Legislaturperiode über 2017 hinaus sichern können.
Wir haben mit diesem neuen Haushalt auch die Absicht und sind bereits in der Vorbereitung, ein Präventionsgesetz zu entwickeln und damit einen Bereich der
Medizin zu verbessern, der bisher immer noch sehr wenig beachtet wird. Denn wir wissen alle, dass es Krankheitsentwicklungen gibt, die wir durch Prävention verhindern oder zumindest einschränken könnten. Dafür
brauchen wir entsprechende Programme und Projekte.
Wir haben kürzlich im Rahmen der Plattform für Bewegung und Ernährung, die seit einigen Jahren Projekte
von verschiedenen Trägern anbietet, eine Konferenz
durchgeführt. Wir kennen seit vielen Jahren Präventionsbewegungen, zum Beispiel den Trimm Trab, den es früher gab. Auf der Konferenz ist deutlich gemacht worden,
dass wir den Bereich der Prävention weiter verstärken
müssen, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen,
den die Frau Kollegin eben angesprochen hat, auch von
dieser Seite aus anzugehen.
Wir alle wissen: Die wirtschaftliche Leistung gemessen am BIP erhöht sich je nachdem, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickelt, etwa um 2 Prozentpunkte pro Jahr. Die Gesundheitsausgaben - Sie haben
es gesagt - sind stärker gestiegen. Deswegen müssen wir
von zwei verschiedenen Seiten an diese Aufgabe herangehen.
Wir müssen uns auf der einen Seite bemühen, die
Kostensteigerung im Gesundheitswesen zu beschränken.
Das kann auch durch eine stärkere Prävention geschehen. Wir müssen auf der anderen Seite die gesellschaftliche Debatte führen, dass wir mit dem Anstieg der Wirtschaftskraft in Deutschland in Zukunft mehr Geld für
den Bereich Gesundheit und Pflege brauchen werden,
weil sich die Gesellschaft verändert.
Für beide Wege müssen wir, sowohl die Haushälter
als auch die Fachpolitiker, miteinander streiten, damit
wir die Zukunft des Gesundheitswesens und der Pflegeversicherung in Deutschland entsprechend sichern.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem Vorwurf machen, die Finanzierung der Bundesregierung im
Gesundheitswesen sei nicht sachgerecht, um es vorsichtig zu beschreiben. Ich bitte, zu bedenken, dass die momentanen Rücklagen in Höhe von rund 30 Milliarden
Euro so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Kranken- und Pflegeversicherung sind. Auch das muss erwähnt werden, wenn es um die Finanzierung geht.
({3})
Ich will auch daran erinnern, dass die Bundesregierung
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die fehlenden Mittel
im Gesundheitsfonds aufgesattelt hat. Nun werden diese
Mittel wieder abgebaut, da wir in einer wirtschaftlich
prosperierenden Phase sind. Man kann der Bundesregierung nicht vorhalten, dass dies nicht ordnungsgemäß ist.
Mit dem vorliegenden Haushalt zum Gesundheitswesen packen wir eine Reihe struktureller Veränderungen
für die Zukunft an. Wir gehen einige Probleme an, die
sich in den letzten Jahren gezeigt haben. Wir werden zu
Lösungen kommen - da bin ich mir sicher -, die für die
Bürger und die Beteiligten im Gesundheitswesen eine
Verbesserung gegenüber dem heutigen Stand darstellen.
Deswegen sollten Sie dem Haushalt zustimmen. Er stellt
eine Verbesserung für die Zukunft dar.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Debatte über den Gesundheitsetat verfolgt, stellt man auf den ersten Blick fest, dass sehr viel
Einigkeit herrscht. Niemand kann ernsthaft gegen
Krebsforschung oder die Förderung der Kindergesundheit sein; das gilt auch für viele andere Projekte. Wenn
ich aber genauer hinschaue, fallen mir vor allem zwei
große Baustellen auf, auf die ich näher eingehen will,
Herr Minister.
Die erste Baustelle ist das, was Sie zum Schluss Ihrer
Rede angesprochen haben, Herr Heiderich, nämlich der
Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds. Was ist das eigentliche Problem? Sie schaffen kein Vertrauen. Im Gegenteil: Es wurde bereits siebenmal in den Gesundheitsfonds eingegriffen. Mit jeder Kürzung provozieren Sie
Beitragssatzsteigerungen. Diese Steigerungen werden alleine von den Arbeitnehmern getragen; das ist das Problem. Die Arbeitgeber sind dank Ihrer Gesetze fein raus.
({0})
Wenn Sie in der Anhörung genau zugehört haben,
dann wissen Sie, dass alle Experten, auch diejenigen, die
Sie eingeladen hatten, darauf hingewiesen haben: Es
sind zwei kommunizierende Röhren. Wenn Sie an der einen Stelle kürzen, dann wird an anderer Stelle Geld fehlen, und die Beiträge werden steigen.
({1})
Die ersten Krankenkassen haben bereits darauf hingewiesen, dass sie knapp bei Kasse sind und rote Zahlen
schreiben, und haben angekündigt, die Versicherungsnehmer stärker finanziell zu beteiligen. Das ist doch das
Problem, über das wir reden.
({2})
Sie tun so, als wäre der Zuschuss des Bundes zum Gesundheitsfonds eine große Gefälligkeitsleistung. Das ist
er aber nicht. Der Bund sagt: Wir übernehmen Kosten
und solidarisieren uns. - Es geht um Leistungen, die der
Solidarität der gesamten Gesellschaft bedürfen, zum
Beispiel bei der Kindererziehung, der Schwangerschaft,
in der Elternzeit und während der Mutterschaft. Der
Bundeszuschuss wird gewährt, weil es sich um gesamtgesellschaftliche Aufgaben handelt, und nicht, weil Sie
so großzügig, lieb und nett sind. Dieser Zuschuss erfüllt
eine bestimmte Funktion. Würden Sie sich zu dieser
Funktion bekennen, könnten Sie nicht willkürlich in die
Kasse greifen. Aber genau das tun Sie. Sie nehmen das
Geld der Versicherungsnehmer und konsolidieren damit
Ihren Haushalt. Sie stopfen damit die Löcher. Eigentlich
müsste man sagen: Schämen Sie sich dafür, dass Sie das
überhaupt machen und diese Gelder so falsch verwenden!
({3})
Wenn Sie wirklich den Willen hätten, den Haushalt zu
konsolidieren, hätten Sie sich unsere Vorschläge zu eigen gemacht. Warum bauen Sie nicht die ökologisch
schädlichen Subventionen ab? Dann würden Sie auch etwas für die Gesundheit in diesem Land tun. Oder: Warum sind Sie nicht mutiger bei der Abgeltungsteuer? Warum wird Einkommen aus Erwerbstätigkeit eigentlich
anders besteuert als Einnahmen aus Kapital? Entsprechende Änderungen hier würden mit der Aufwertung der
menschlichen Arbeit einhergehen. Ideen also, wie sich
der Haushalt konsolidieren ließe, gibt es in ausreichendem Maße. Sie müssen nicht in den Haushalt des Gesundheitsministeriums eingreifen, dessen Mittel ohnehin
sehr knapp bemessen sind. Ich bin auf der Seite des
Ministers,
({4})
der seinen Etat verteidigt und verhindern will, dass seine
Mittel so missbraucht werden.
({5})
Auch wir Grünen sind für eine Bürgerversicherung,
gerade weil wir an die Gesamtsolidarität glauben. Jeder
sollte einzahlen. Die Versicherten sollten nicht eine bestimmte Gruppe sein und quasi unter sich bleiben, während sich andere herauskaufen können. Eine Bürgerversicherung würde die Finanzierungsbasis erweitern und
vor allem für mehr Nachhaltigkeit in einer sich demografisch verändernden Gesellschaft sorgen.
Das wird doch die größte Herausforderung sein, vor der
wir in diesem System stehen werden.
Jetzt komme ich zur zweiten Baustelle: zum Pflegebegriff. Sie machen einige Schritte in die richtige Richtung. Teile dieses Leistungsgesetzes werden wir wahrscheinlich unterstützen. Sie gehen aber nicht an den
Pflegebegriff heran. Die Verlierer werden die Demenzkranken sein. Die Verlierer werden genau die Menschen
sein, um die wir uns sorgen wollen.
({6})
Sie können sich darüber aufregen, so viel Sie wollen.
Der erste Sozialverband hat bereits eine Klage angekündigt.
({7})
Ich finde, wir sollten uns an dieser Stelle nicht vom Bundesverfassungsgericht treiben lassen, sondern von der
Vernunft und einer guten Politik. Da reicht es eben nicht,
wenn Sie hier stöhnen. Tun Sie etwas dagegen, nehmen
Sie das in die Hand! Machen Sie eine Strukturreform!
Wagen Sie einmal etwas!
Sie aber wollen einen Pflegefonds schaffen. Was passiert denn mit einem Pflegefonds? Kurzfristig senken Sie
die Beiträge, langfristig haben Sie ein Budget, in das Sie
wieder willkürlich hineingreifen werden, um Versichertenmittel zu missbrauchen. Unter dem Strich ändern Sie
aber nichts an der Qualität der Pflege; genau das ist doch
der Schwachpunkt. Wir müssen die Qualität der Pflege
verbessern, und wir dürfen nicht einfach passiv sein und
Schattenhaushalte schaffen. Gehen Sie an den Pflegebegriff heran, aber richtig, und machen Sie eine Pflegereform, die diesen Namen verdient, Herr Minister.
({8})
Wir haben im Rahmen des Berichterstattergesprächs
das wichtige Thema Hebammen besprochen. Auch da
reicht es nicht, passiv zu bleiben. Wir haben inzwischen
im Zusammenhang mit den Haftpflichtprämien, die die
Hebammen zahlen müssen, genug Argumente für eine
Regressbeschränkung oder einen Haftungsfonds. Wir
haben geprüft, Sie haben geprüft, es liegen einige Vorschläge auf dem Tisch. Es ist jetzt an der Zeit, zu handeln. Sie, Herr Gröhe, als Minister und ich als Haushälterin, aber auch als Mutter zweier Kinder, wir waren uns
einig: Jede schwangere Frau hat einen Anspruch auf eine
Hebammenbetreuung. Die ersten schwangeren Frauen
bekommen aber jetzt zu hören: Hol dir bloß keine Hebamme; die gibt es bald nicht mehr.
({9})
Wie weit sind wir denn gekommen?
({10})
Wie weit sind wir gekommen, dass Sie schwangere
Frauen im Stich lassen und diese sich nicht mehr darauf
verlassen können, wirklich eine Hebamme zu bekommen?
({11})
- Nein, es wird nicht peinlich. Mich wundert nicht, dass
aus diesen Reihen genau diese Reaktion kommt. Etwas
anderes hätte ich nicht verstanden. Wo waren Sie denn,
als die Hebammen im Petitionsausschuss waren? Wo
sind Sie denn, wenn sie auf die Straße gehen? Beschäftigen Sie sich einmal mit diesem Thema, und grölen Sie
hier nicht herum!
({12})
So viel Ignoranz auf einem Haufen versammelt habe ich,
ehrlich gesagt, selten im Parlament erlebt.
({13})
Mich wundert es übrigens auch nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD jetzt in der Großen Koalition ganz still sind; denn es gibt auch so etwas wie
Fremdschämen in diesem Haus.
({14})
Es gibt noch einen Punkt, den ich erwähnen will, Herr
Minister. Wir haben vorgeschlagen, 35 Millionen Euro
mehr für die Weltgesundheitsorganisation einzustellen.
Das ist nicht viel Geld, aber es ist Geld für eine wichtige
Sache. Da geht es nicht nur um die ODA-Quote, sondern
die WHO leidet unter der schlechten Planbarkeit und
mangelnder Finanzierung. Es geht um den Kampf gegen
Polio und Tuberkulose. Ich fände es sehr gut, wenn sich
Ihr Haus an diesem großen Projekt, bei dem es um eine
gemeinsame Verantwortung geht, mit einem freiwilligen
Beitrag Deutschlands an die WHO beteiligen würde.
({15})
Es gibt einige Dinge, die wir ausdrücklich unterstützen; auch das will ich erwähnen. Dazu gehört die HIVStiftung. Wir Grüne sind dabei, weil wir der Meinung
sind, dass das richtig angelegte Mittel sind. Es ist gut,
dass wir dafür eine Lösung gefunden haben. Wir sind
übrigens auch dabei, wenn es um die Kürzung des
Pflege-Bahrs geht. Ich wünschte mir ganz ehrlich - das
habe ich Ihnen auch schon gesagt - etwas mehr. Das
funktioniert nicht, das läuft schief, das wird nicht in Anspruch genommen. Sie wollen damit das Pflegerisiko
privatisieren. Das ist ein falscher Ansatz, und das, was
nicht funktioniert, kann man genauso gut streichen. Das
Geld kann man an anderer Stelle viel sinnvoller ausgeben.
({16})
Ich finde es auch sehr gut, dass Sie im Bereich der
Kindergesundheit Mittel eingestellt haben, weil auch die
aktuelle KiGGS-Studie zeigt, dass wir in diesem Bereich
sehr sensibel sein müssen und dass auch hier Kinderarmut eine Rolle spielt. Das ist zwar eine erschreckende
Erkenntnis, aber eine wahre Erkenntnis. Wir müssen in
diesem Bereich aktiver werden.
Herr Minister, ich wünsche Ihnen viel Mut, die notwendigen Grundsatzdebatten anzugehen und sich von
Ihren Kollegen nicht entmutigen zu lassen.
({17})
Ich wünsche mir, dass ich die gleiche Rede demnächst
nicht wieder halten muss.
Herr Minister, unsere Unterstützung hätten Sie.
({18})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das
Wort Petra Hinz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zum Thema Fremdschämen sage ich jetzt einmal nichts; denn jeder muss für sich selbst bewerten, wer
sich für wen zu schämen hat.
Ich möchte denen, die uns jetzt zuhören, schon sehr
deutlich machen: Wir befinden uns gerade in der abschließenden Beratung des Einzelplans des Bundesministeriums für Gesundheit. Es geht hier nicht darum,
wer populistisch möglichst viele Themen abarbeiten und
dadurch möglicherweise sogar noch Verwirrung stiften
kann. Wenn es uns gemeinsam wirklich um die Menschen geht, die pflegebedürftig sind, um die Kinder und
um all die Punkte, die gerade angesprochen worden sind,
dann sollten gerade wir Haushälter mit Fakten argumentieren; alles andere machen unsere Fachkolleginnen und
Fachkollegen in den Ausschüssen.
Ich habe meine Rede zur Einbringung dieses Einzelplans mit einem Zitat beendet. Dieses Zitat möchte ich
gerne aufgreifen:
Wir sollten alles für die Gesundheit tun. Wir haben
ja sonst nichts zu tun.
Petra Hinz ({0})
Seit dem 10. April haben wir, die Haushälterinnen
und Haushälter, in der Tat gemeinsam mit den Fachkolleginnen und Fachkollegen über unterschiedliche Themen beraten, etwa über den Pflegebereich. Was die Personalsituation im Ministerium angeht, haben wir
erfahren - das haben wir gerade schon gehört -, dass es
einen neuen Staatssekretär gibt. Wir haben über Querschnittsaufgaben, über internationale Zusammenarbeit,
über die HIV-Stiftung, über Hebammen und auch über
Kindergesundheit gesprochen.
Gerade als Haushälterin möchte ich erst einmal ein
paar Eckdaten des Haushaltes nennen. Dieser Einzelplan
umfasst insgesamt 11 Milliarden Euro. Es ist ein sehr
großer Haushalt; er hat am Gesamthaushalt einen Anteil
von rund 3,7 Prozent. Die Zahl, auf die es ankommt, ist
die, über deren Verwendung wir entscheiden: 78,6 Millionen Euro, großzügig betrachtet 80 Millionen Euro.
Über diese Summe reden wir jetzt gerade. Wir diskutieren über Prioritäten und überlegen, wie wir dieses Geld
vernünftig ausgeben können.
Wie in allen anderen Etats auch gibt es in diesem Einzelplan Absenkungen. Zum Beispiel werden die Mittel
für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit um 10 Prozent gesenkt. Ich denke, die noch zur Verfügung stehenden Mittel reichen absolut aus; denn dieses Haushaltsjahr umfasst nur noch ein halbes Jahr. Auch das muss deutlich
gesagt werden: Es geht nicht um die Mittel für ein ganzes Haushaltsjahr. Insofern wird diese Absenkung unserem Minister kein bisschen wehtun.
Darüber hinaus haben wir für das Ministerium weitere fünf Stellen beschlossen, zwei zur Unterstützung der
Reformprozesse in Griechenland. Dabei geht es um die
Umsetzung unserer Erfahrungen mit unserem Gesundheitssystem. Man überlegt sich, inwieweit man das Beste
von unserem Gesundheitssystem übernehmen will. Darüber hinaus ist eine Stelle beschlossen, um den WHOReformprozess nachhaltig und konstruktiv zu unterstützen. Außerdem ist eine Stelle zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in strukturschwachen Gebieten
und im ländlichen Raum beschlossen. Das Ganze klingt
zwar ein bisschen technokratisch, aber es gehört zur
Haushaltsberatung dazu.
Jetzt möchte ich auf den Punkt Absenkung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds zu sprechen
kommen. Ich habe der gesamten Debatte über den Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, sehr aufmerksam zugehört. Gegenstand der Diskussion war immer wieder die Frage, ob wir Steuern erhöhen oder
Steuern senken sollen. Wir reden nicht über einzelne
Wahlprogramme - dieses Thema ist seit dem 22. September 2013 durch -, sondern wir reden über einen gemeinsam beschlossenen Koalitionsvertrag.
({1})
Darin sind Eckpunkte unserer Politik beschrieben. Was
nach dem September 2017 gemacht wird, ist eine andere
Sache. Wir haben gemeinsame Ziele, und die setzen wir
auch um.
Im Hinblick auf den Gesundheitsfonds wird immer
wieder behauptet - auch hier heute Morgen -, wir plünderten die Rentenkassen und wir plünderten den Gesundheitsfonds. Bei der Einbringung dieses Haushalts
hat mein Kollege Lauterbach den Gesundheitsfonds
noch einmal erklärt. Wenn auch ich es jetzt machen
würde, würden Sie von der Opposition seine Berechtigung sicherlich ebenfalls wieder abstreiten. Daher verweise ich einfach einmal auf die öffentliche Anhörung
zum Haushaltsbegleitgesetz 2014. Der Vertreter des Bundesrechnungshofs, Dr. Elles, hat gesagt - ich zitiere -:
Dass der Bund zulasten der Versicherten konsolidiere, ist nicht unsere Auffassung. Auch unser Bericht lässt nicht einmal ansatzweise eine solche
Aussage durchscheinen; denn das entspricht nicht
unserer Analyse des Gesetzesvorhabens.
Das war vom Bundesrechnungshof. Dazu könnte man
eventuell noch sagen: „Geschenkt!“, aber das trifft so
nicht zu.
Professor Dr. Klaus-Dirk Henke von der Technischen
Universität Berlin hat ausgeführt:
In den 30 Jahren, in denen ich das System beobachte, hat es angesichts der vorhandenen Überschüsse bei den 130 GKVen und im Gesundheitsfonds noch nie eine so opulente Finanzlage gegeben
wie derzeit.
Er hat auch über das Thema der versicherungsfremden Leistungen gesprochen. Aber das müssen dann die
Fachkolleginnen und Fachkollegen diskutieren. Es gibt
andere Länder, die dazu eine klarere Festlegung haben
als wir.
({2})
Ich maße mir nicht an, das zu bewerten. Ich bin Haushälterin. Das machen dann unsere Fachkolleginnen und
Fachkollegen.
Ich kann noch jemanden zitieren, und zwar den Professor Dr. Ulrich von der Universität Bayreuth:
Die Funktionalität des Fonds ist nicht beeinträchtigt. Das kann schon deshalb nicht sein, weil der
Gesundheitsfonds dann nicht einen Euro weniger
hat.
Da ist nämlich die Frage: Wie setzt sich der Gesundheitsfonds insgesamt zusammen?
Wir halten fest: Wegen der Absenkung des Bundeszuschusses in diesem Haushaltsjahr wird weder ein Beitrag
erhöht noch ein Beitrag gesenkt. Wir haben eine klare
Zielrichtung. Wir haben gesagt - darauf vertraue ich einfach einmal -, dass danach wieder mehr Mittel für den
Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds bereitgestellt
werden.
Über Pflege und Pflegebedürftigkeit haben wir im
Rahmen der Haushaltsberatungen gesprochen. Da haben
wir Wort gehalten. Für das, was in den ersten Schritten
auf den Weg gebracht werden muss, stellen wir auch die
entsprechenden Mittel bereit. Es ist gerade schon angePetra Hinz ({3})
sprochen worden, dass wir nun statt eines Beauftragten
einen Staatssekretär mit entsprechendem Personal haben.
Inhalte. Es wird dringend Zeit, dass der Staatssekretär
sich mit den Haushältern einmal zusammensetzt, um
seine Vorschläge vorzustellen. Ich denke, das war bei
den Haushaltsberatungen in der Kürze der zur Verfügung
stehenden Zeit einfach nicht möglich.
Fazit. Im Haushalt spiegelt sich unsere Prioritätensetzung auf den Bereich Pflege deutlich wider. Wir werden
die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern. Das
ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Für die Verbesserung der Pflege stehen allein in unserem Haushalt - ich komme gleich noch darauf, warum
ich sage „in unserem Haushalt“ - 5,4 Millionen Euro zur
Verfügung.
Für die neue Pflegekampagne sind 3 Millionen Euro
vorgesehen.
Das Thema Demenz ist sehr qualifiziert mit den Fachkolleginnen und Fachkollegen der Fraktionen besprochen worden. Es wird einiges auf den Weg gebracht. Ich
teile auch in diesem Fall nicht Ihre Auffassung.
({4})
Jetzt komme ich zu dem Punkt Querschnittsaufgaben,
Maßnahmen, Finanzen. Da ist meine Erfahrung: Das ist
ein spannendes Ministerium. Es gibt herausragende Themen. Davon sind alle Generationen betroffen. Große Herausforderungen, große Themen und große Aufgaben
stehen vor uns. Dazu gebe ich den Kolleginnen und Kollegen den Hinweis: Querschnittsaufgaben im Bereich
Pflege und Gesundheit werden auch bei der Kollegin
Schwesig im Familienministerium wahrgenommen. Zu
nennen sind hier weiter die Fachkräfteoffensive im
Pflege- und Sozialbereich, die Stärkung der Rolle der
Kommunen in der Pflege - auch das ist ein ganz wichtiges Thema, wenn wir die Stärkung der Kommunen wollen -, die medizinische Rehabilitation, Entgeltersatzleistungen für Arbeitsuchende und insbesondere für befristet
beschäftigte Schwangere, Leistungsverbesserungen für
demenziell Erkrankte, Schnittstellen zum Bereich Bildung und Forschung. Das sind die Themen, die wir im
Rahmen der Haushaltsberatungen benannt und analysiert
haben. Sie müssen jetzt natürlich noch im Fachausschuss
inhaltlich beraten werden.
Eines möchte ich noch hervorheben, und zwar den
Bereich der Kindergesundheit. In diesem Haushalt wird
diese Leerstelle wieder mit Geld gefüllt, mit 500 000
Euro. In vielen Bereichen - das ist schon angesprochen
worden - geht es um den Gesundheitszustand insgesamt.
Hier sollten wir in der Tat bei den Jüngsten anfangen. Im
Haushalt 2014 stehen also 500 000 Euro für unterschiedliche Projekte zur Verfügung.
Gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung. Da
gibt es zwölf weitere Maßnahmen. Für Aufklärung zur
Organspende stellen wir 7,5 Millionen Euro ein, für die
Aufklärungskampagne zur Steigerung der Durchimpfung 3 Millionen Euro und für die Kampagne zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen 2,1 Millionen
Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt komme ich
noch einmal zum Thema Organspende. Die Aufstockung
der Mittel für die Aufklärung zur Organspende geschieht
vor dem Hintergrund, dass in dem Bereich unverantwortlich gehandelt wurde. Es sind nicht alle Ärzte und
schon gar nicht alle Krankenhäuser betroffen, aber schon
die einzelnen Fälle, die Verhaltensweisen einzelner Verwaltungschefs haben möglicherweise dazu geführt, dass
die Menschen den Organspendeausweis zwar ausfüllen,
aber das Kreuz nicht an der richtigen Stelle machen. Insofern haben wir wie folgt entschieden: Um gerade diesem Missstand, diesem Missbrauch und diesen Fehlentscheidungen, die da getroffen worden sind - es ist ein
Skandal; ich nenne es auch so -, zu begegnen, wollen
wir die Mittel für die Kampagne aufstocken und in der
Bevölkerung noch einmal dafür werben, dass wieder in
stärkerem Maße Organspendebereitschaft erklärt wird.
({5})
Jetzt spreche ich die Haftung an; unabgestimmt, aber
in anderen Bereichen reden wir auch über Haftungsfragen. Wenn der einzelne Arzt oder einzelne Krankenhausleitungen so unverantwortlich handeln, muss man
darüber nachdenken, ob in diesem Fall die gesamtgesellschaftliche Haftung greift. Es kann nicht sein, dass wir
noch einmal so viel Geld investieren, um solche Dinge
auszumerzen.
Über die Bekämpfung von Aids haben wir schon gesprochen. Frau Professor Pott von der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung hat uns in den Gesprächen noch einmal sehr deutlich gemacht, wie wichtig im
Bereich Aids die Aufklärung ist. Die Infektionszahlen
gehen zwar zurück, aber trotzdem muss in diesem Bereich eine ganze Menge investiert werden. Bei den
Drogen ist es ähnlich. Es entstehen immer wieder neue
Drogen, gerade in Grenzregionen. Wir werden auf das
Thema eingehen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“. Wenn wir Haushälter nicht so darauf gedrungen
hätten, dass bereits im Haushalt 2014 wieder Gelder bereitgestellt werden, dann wäre dieser Titel nicht mehr
aufgetaucht. Es kann einfach nicht sein, von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr Mittel einzustellen, sondern es
muss eine gesellschaftspolitische Verpflichtung sein, ein
ganz klares Ja zu sagen. Die 400 Betroffenen, die zurzeit
noch leben, müssen sich auf unsere Aussage verlassen
können. Wir haben 10 Millionen Euro in den Haushalt
eingestellt. Aber die fortfolgenden Jahre nach 2017 müssen angegangen werden. Daran müssen wir arbeiten.
Zum Thema Hebammen. Für mich ist wichtig, dass
die Frauen, die werdenden Mütter, die Familien, die Väter, die Eltern entscheiden können, welche Hebamme sie
wollen. Ich möchte als Politikerin kein Bindeglied zwischen Arzt, Krankenkassen, Versicherungen und der
Petra Hinz ({6})
Hebamme sein. Ich möchte politisch entscheiden. Das
heißt, ich möchte den betroffenen Frauen die Möglichkeit geben, sich für eine Hebamme entscheiden zu können.
Ich bedanke mich bei allen ganz herzlich, den Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern, bei allen,
die dazu beigetragen haben, dass wir für 2014 einen guten und runden Haushalt eingebracht haben. Insbesondere bedanke ich mich bei meinem Kollegen Herrn
Blienert und meiner Kollegin Hilde Mattheis.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
bin normalerweise sehr großzügig, aber ich werde im
weiteren Verlauf der Debatte stark auf die Einhaltung der
Zeit achten müssen; denn wir haben Sondersitzungen der
Fraktionen vereinbart. Sonst verschiebt sich alles nach
hinten.
Nächster Redner in der Debatte ist für die Bundesregierung der Minister Hermann Gröhe.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst darf auch ich mich herzlich bedanken bei der
Kollegin Hauptberichterstatterin, bei den Mitberichterstattern für den engagierten Einsatz rund um den Etat des
Einzelplans 15, beim Haushaltsausschuss insgesamt für
die konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Wochen.
Ich glaube, es ist uns gemeinsam gelungen, einen Haushaltsplan aufzustellen, der seinen Beitrag dazu leistet,
dass wir auch für die Zukunft eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für die Menschen in unserem Land sichern.
Es freut einen natürlich besonders, wenn sogar die
Opposition sagt: Wir wollen den Minister unterstützen.
Ich danke dafür, bitte aber auch, sich in öffentlicher Debatte von Haushaltsklarheit und -wahrheit leiten zu lassen. Ich werde mir erlauben, zu den Bereichen Bundeszuschuss und Kassenbeiträge, Pflege und Hebammen
das eine oder andere anzumerken, damit der von der
Opposition betriebenen Legendenbildung rechtzeitig widersprochen wird.
Meine Damen, meine Herren, ich beginne mit dem
Thema Beitragssatz, Beitragsentwicklung, Lage in der
gesetzlichen Krankenversicherung, Bundeszuschuss. Ja,
es ist so: Die gesetzliche Krankenversicherung ist gut finanziert. Sie hat im vergangenen Jahr deutliche Überschüsse erzielt. Sie verfügt über hohe Rücklagen:
13,6 Milliarden Euro in der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds und in den Kassen insgesamt noch einmal über 17 Milliarden Euro. Wann hat es dies zuletzt
gegeben? Kollegin Hinz hat entsprechende Stellungnahmen zitiert.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir leisten aus der Liquiditätsreserve einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung; das ist wahr. Aber es bleibt unverändert bei 14 Milliarden Euro, die aus Steuermitteln
bzw. aus dem Bundeszuschuss für versicherungsfremde
Leistungen bereitgestellt werden. Es ist falsch, dass deswegen Krankenbehandlungen nicht finanziert werden
könnten oder deswegen irgendein Beitragssatz erhöht
würde; das entspricht nicht der Wahrheit.
({0})
Wahr ist, dass wir die prall gefüllte Liquiditätsreserve
nutzen, um durch eine wachstumsorientierte Haushaltskonsolidierung unsererseits einen Beitrag zu sicheren
Arbeitsplätzen zu leisten, die notwendige Grundlage eines solidarischen Gesundheitswesens sind. Wir haben
sehr deutlich gesagt: Wir wissen, dass die Alterung der
Gesellschaft und der medizinische bzw. medizinischtechnische Fortschritt zu eher steigenden Gesundheitsausgaben führen werden. Deshalb haben wir bereits im
Haushaltsbegleitgesetz festgelegt, dass der Bundeszuschuss wieder auf 14 Milliarden Euro bzw. auf dann
14,5 Milliarden Euro erhöht werden muss.
Es ist falsch, jetzt in irgendeiner Weise Panik zu machen; das sage ich auch angesichts mancher Kassandrarufe aus der letzte Woche rund um das Thema Beiträge.
Tatsache ist, dass der in Zeiten rot-grüner Bundesregierung eingeführte gesetzliche Zusatzbeitrag von 0,9 Beitragssatzpunkten zukünftig entfällt. Stattdessen entscheiden die einzelnen Kassen selber, in welcher Höhe sie
einen einkommensabhängigen Beitrag erheben. Bereits
im April haben sieben Krankenversicherungen mit mehr
als 9 Millionen Versicherten angekündigt, dass sie mit
einem individuellen Beitrag von weniger als 0,9 Prozent
auskommen werden. Der Wettbewerb wirkt also; darauf
habe ich bereits vor wenigen Wochen hier an dieser
Stelle hingewiesen. Ungeachtet der Beitragsdebatte der
letzten Woche hat just am Samstag die AOK PLUS, der
Marktführer in Sachsen und Thüringen mit 2 Millionen
Versicherten, erklärt, dass sie den Beitrag senken will.
Es zeigt sich: Der Wettbewerb greift.
({1})
Sie weisen in den Debatten zum Teil auf die Finanzzahlen des ersten Quartals hin. Das erste Quartal fällt in
Bezug auf die Beitragseinnahmen gewöhnlich etwas
schwächer aus als das vierte Quartal. Außerdem weist es
negative Zahlen in Höhe von 270 Millionen Euro auf.
Die Wahrheit ist aber eben auch, dass davon allein
240 Millionen Euro auf Prämienausschüttungen und
über 50 Millionen Euro auf freiwillige Leistungsverbesserungen entfallen. Die Krankenkassen handeln im
Sinne der Versicherten, wenn sie zu hohe Beiträge über
Prämien rückerstatten. Sie sind keine Sparkasse. Dieses
Verhalten liegt also im Interesse der Versicherten in unserem Land.
({2})
Natürlich sind wir verpflichtet, erstens für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen - das tun wir, beispielsweise beim Risikostrukturausgleich - und zweitens den
Ausgabenanstieg im Blick zu behalten. Eine der ersten
Aktivitäten dieser Bundesregierung im Bereich der Gesundheitspolitik war es, durch das 14. SGB-V-Änderungsgesetz den Preisstopp für Arzneimittel zu verlängern und
den Herstellerrabatt auf 7 Prozent festzuschreiben. Das
erspart der gesetzlichen Krankenversicherung 650 Millionen Euro im Jahr.
({3})
Das heißt, unsere Politik setzt auf Wettbewerb, auf Qualität - das neue Qualitätsinstitut ist genannt worden und auf Wirtschaftlichkeit. Genau das ist der Dreiklang,
mit dem wir gute Strukturen für die Versicherten in diesem Land erreichen.
({4})
Uns ist es wichtig, dass es dabei bleibt: Die Menschen
können sich, wo auch immer sie leben und wie prall ihr
Geldbeutel gefüllt ist oder eben auch nicht, darauf verlassen, dass sie eine gute Versorgung bekommen.
({5})
Deswegen ist die ausreichende Versorgung mit Hausärzten so ein wichtiger Punkt auf der Agenda der Bundesregierung. Wir haben die Hausarztverträge bereits gestärkt
und werden im Sommer an Maßnahmen aus der letzten
Legislaturperiode anknüpfen und weitere Anreize für die
Niederlassung im ländlichen Raum schaffen. Deswegen
werden wir natürlich die Vorschläge des Sachverständigenrats, der am 30. September 2014 im Rahmen einer
fachöffentlichen Veranstaltung hier in Berlin tagt, intensiv diskutieren. Uns ist wichtig, dass auch weiterhin gilt,
dass es gerade in einer älter werdenden Gesellschaft, in
der immer häufiger Mehrfacherkrankungen vorkommen,
eine gute, auch die Sektoren überschreitende, integrierte
Versorgung gibt.
Wir haben da mit Einführung der spezialfachärztlichen Versorgung, die Ambulantes und Stationäres zusammenführt, bereits Wichtiges getan. Der Innovationsfonds wird künftig mit 300 Millionen Euro im Jahr
ausgestattet. Genau solche innovativen sektorübergreifenden Versorgungsformen sollen besonders gefördert
werden, damit wir der veränderten Lage bei den Erkrankungen in unserem Land in angemessener Weise Rechnung tragen.
({6})
Dazu gehört für mich auch - hier sehe ich gesetzgeberischen Handlungsbedarf - eine verstärkte Nutzung der
Möglichkeiten der Telemedizin. Hier eröffnen sich viele
Möglichkeiten. Ich habe vor kurzem mit einem Schlaganfallpatienten gesprochen, dessen Herzschrittmacher
die entsprechenden Daten permanent an die überwachende Arztpraxis überträgt, die dann die Möglichkeit
hat, Vorhofflimmern im Anbeginn, noch bevor Schwierigkeiten überhaupt spürbar sind, zu entdecken und die
Medikation darauf einzustellen. Wir müssen bei der Nutzung dieser Formen moderner Medizin vorankommen.
Da gab es zu lange Streit. Wir werden da jetzt wirklich
Gas geben, meine Damen und Herren.
({7})
Dann möchte ich etwas zum Thema Pflege sagen. Mit
welch leichter Hand hier so getan wird, als ob da nichts
geschähe! Das entspricht nun wirklich nicht der Wahrheit.
({8})
Wir werden das Leistungsvolumen der parititätisch finanzierten Pflegeversicherung in dieser Legislaturperiode um am Ende insgesamt 5 Milliarden Euro pro Jahr,
also um mehr als 20 Prozent erhöhen, und wir beginnen
damit zum 1. Januar nächsten Jahres. Frau Deligöz, ausgerechnet die Dementen, von denen Sie gerade behauptet haben, wir ließen sie im Stich, profitieren wesentlich
von den Leistungsverbesserungen. Denn beispielsweise
machen wir ab dem 1. Januar 2015 Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und all die Dinge, die bisher überhaupt
erst ab Zuerkennung der Pflegestufe 1 zur Verfügung
standen, allen Angehörigen von Pflegebedürftigen der
Pflegestufe 0 zugänglich, die in der Familie häufig sehr
stark gefordert sind. Es hätte sich gehört, diese Leistungsverbesserungen für Demente und ihre Angehörigen
hier zu erwähnen.
({9})
Natürlich handeln wir in Bezug auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff - gar keine Frage. Auch da wird
Tempo gemacht: Zeitgleich mit dem Kabinettsbeschluss
zum ersten Pflegestärkungsgesetz, zu den Leistungsverbesserungen zum 1. Januar nächsten Jahres, haben wir
einen flächendeckenden Versuch zur Bewertung des
neuen Begutachtungsverfahrens gestartet. Der Expertenbeirat zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs hat eine solche Erprobungsphase
ausdrücklich verlangt. Wir führen sie durch. Wir haben
gesagt: Das muss zügig geschehen. In diesem Sommer
finden 4 000 Begutachtungen parallel nach altem und
neuem Begutachtungsverfahren statt. Wir werden die Ergebnisse im vierten Quartal auswerten und zu Beginn
des neuen Jahres zum Gegenstand der Erarbeitung des
zweiten Pflegestärkungsgesetzes machen. Also wird
auch bei der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs Tempo gemacht.
Dann haben Sie die Hebammensituation angesprochen. Das war ein bisschen viel Demo und ein bisschen
wenig Sachkenntnis.
({10})
Ich kann nur eines sagen: Ich habe diesem Haus am
29. April den Bericht der interministeriellen Arbeits3628
gruppe „Versorgung mit Hebammenhilfe“ zugeleitet und
die Vorstellung am 30. April mit konkreten Vorschlägen
zur Qualitätssicherung, zum Sicherstellungszuschlag
und zur Datenlage verbunden. Der Bundestag hat in der
ersten Juniwoche entsprechende Beschlüsse gefasst. Wenige Wochen nachdem ich die Vorschläge unterbreitet
habe - drei Sitzungswochen später -, sind sie in diesem
Haus per Gesetz beschlossen worden. Das ist zügiges
Handeln. Es bleibt Weiteres zu tun. Da geben wir Gas;
da brauchen wir keine Ermahnungen. Wir sind da auf einem guten Weg. Die Menschen in unserem Land, vor allem die Hebammen, können sich auf unsere Unterstützung verlassen.
Meine Damen, meine Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und für die Mitarbeit am Haushalt. Ich bitte
Sie um Zustimmung.
Danke.
({11})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt der Kollege Harald Weinberg.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich will ich zu unseren Änderungsanträgen reden.
Dennoch will ich kurz auf Dinge eingehen, die Herr
Heiderich, Frau Hinz und Herr Minister Gröhe gesagt
haben.
Herr Heiderich, in dem Augenblick, in dem Sie ausgesprochen haben, dass es im Gesundheitsfonds und bei
den Kassen eine Rücklage von 30 Milliarden Euro gebe,
ist diese Rücklage wieder um einige Millionen abgeschmolzen; das muss man sehen. Im Jahr werden insgesamt 195 Milliarden Euro an Versicherungsbeiträgen sozusagen verteilt; das sind pro Tag gut 0,5 Milliarden
Euro. Wir haben die Situation, dass inzwischen etliche
Krankenkassen im operativen Geschäft, also im Jahresvergleich, rote Zahlen schreiben, das heißt, dass sie auf
ihre Rücklagen zurückgreifen müssen.
({0})
Frau Hinz, zu den Rücklagen im Gesundheitsfonds.
Der Bundesrechnungshof hat in seiner Stellungnahme
etwas anderes gesagt. Er hat unter anderem ausgeführt,
dass 2015 die Situation eintreten kann, dass die im Gesundheitsfonds enthaltene Mindestreserve, die etwa bei
9 Milliarden Euro liegt, unterschritten wird und dass
man dann logischerweise entweder die Beiträge erhöhen
muss - was man nicht tun wird - oder aber die Zuweisungen an die Krankenkassen vermindern muss.
({1})
Das bedeutet, dass die Krankenkassen wiederum ihre
Rücklagen aufbrauchen, was dazu führt, dass die Zusatzbeiträge relativ schnell eingeführt werden könnten.
({2})
Jetzt möchte ich auf unsere Änderungsanträge eingehen. Zum ersten Änderungsantrag zum Thema Krankenhausinvestitionen. Bei der Krankenhausfinanzierung ist
es derzeit alleinige Aufgabe der Länder, für Gebäude,
Großgeräte und Instandhaltung zu sorgen. Die Länder
kommen dieser Aufgabe aber nur noch schlecht nach.
1991 zahlten sie dafür 3,6 Milliarden, jetzt etwa 2,6 Milliarden Euro. Das entspricht, wenn man die Inflationsrate berücksichtigt, gegenüber 1991 einer Halbierung.
({3})
Es ist bereits abzusehen, dass die Situation eher noch
schlechter als besser werden wird; denn bis Ende dieses
Jahrzehnts treten auch noch die Schuldenbremsen der
Länder in Kraft.
Das Ganze erhöht im Übrigen auch noch den Privatisierungsdruck, vor allen Dingen bei kleineren öffentlichrechtlichen und frei-gemeinnützigen Krankenhäusern in
der Fläche, weil es denen kaum möglich ist, Investitionen über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Insofern geht
es uns mit dem vorliegenden Änderungsantrag auch darum, der absehbaren nächsten Übernahmewelle durch
große Klinikkonzerne entgegenzutreten.
Die Sicherstellung der stationären Versorgung muss
aus unserer Sicht eine öffentliche Aufgabe bleiben.
({4})
Deshalb wollen wir, dass der Bund 2,5 Milliarden Euro
für Krankenhausinvestitionen dazugibt. Für jeden Euro,
den die Bundesländer zusätzlich investieren, soll der
Bund 1 Euro drauflegen. Anders ist aus unserer Sicht der
Investitionsstau, der inzwischen auf 50 Milliarden Euro
geschätzt wird, nicht zu stemmen.
Weder können veraltete bzw. fehlende Geräte, unzeitgemäße, unpraktische und unhygienische Bauten die Zukunftsvision vieler Krankenhäuser sein, noch darf der
Verkauf an Klinikkonzerne der letzte Ausweg für die
Krankenhausträger sein. Wir fordern das ja inzwischen
seit mehreren Wahlperioden. „Steter Tropfen höhlt den
Stein“, heißt das Sprichwort. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Union hat vor kurzem über die Beteiligung des Bundes an den Krankenhausinvestitionen gesprochen.
Die Koalitionsdisziplin wird Union und SPD heute sicherlich wieder dazu bewegen, unseren Änderungsantrag mit ihrer Mehrheit wegzustimmen, aber ich bin zuversichtlich, dass unsere Idee bald umgesetzt werden
wird. Anders geht es nämlich nicht mehr. Auch die Länder sollten das einsehen, weil sonst die staatliche Krankenhausplanung insgesamt auf der Kippe steht und von
einer Finanzierung durch die Krankenkassen abgelöst
werden wird. Wer wie wir will, dass die Krankenhausplanung eine öffentliche und politische Aufgabe bleibt,
kann das nicht wollen.
({5})
Zum zweiten Änderungsantrag, in dem es um nichtkommerzielle Pharmaforschung geht. Bei der Erforschung neuer Arzneimittel gibt es ein Problem, und zwar
ein grundsätzliches, das wir dringend lösen müssen, weil
die kommerzielle Pharmaindustrie es nicht lösen kann.
Ein Pharmaunternehmen erforscht neue Wirkstoffe nicht
in erster Linie, weil es Kranken damit helfen kann - sicher auch -, sondern es hat, wie jedes Unternehmen, ein
Interesse: Profitabilität.
Wenn aber klar ist, dass mit einem an sich sinnvollen
Medikament kein Gewinn zu machen ist, dann wird auch
nicht weiter geforscht. Das ist so bei Medikamenten, die
gegen seltene Erkrankungen helfen, die also nur eine
kleine Absatzgruppe, einen kleinen Markt, haben. Das
ist auch der Fall bei armutsassoziierten Krankheiten wie
Malaria, Wurmkrankheiten oder Denguefieber. Zigmillionenfach treten diese Krankheiten auf, Millionen Menschen sterben jedes Jahr daran, aber geforscht wird wenig. Deshalb fordern wir jährlich eine halbe Milliarde
Euro für die nichtkommerzielle Erforschung der Medikamente gegen diese Krankheiten.
Die kleinen Ansätze, die es bisher gibt, etwa die Fördermaßnahmen des Forschungsministeriums mit gut
5 Millionen Euro, reichen bei weitem nicht aus. Ich
möchte darauf hinweisen - sonst könnte man jetzt sagen,
das ist wieder eine sozialistische Marotte von uns -: Die
USA haben bereits 2009 1,5 Milliarden Dollar öffentliche Gelder in die Erforschung vernachlässigter Krankheiten gesteckt. Das ist das 200-Fache von dem, was die
Bundesregierung derzeit plant. Mit unserer Forderung
könnten wir uns also auf Augenhöhe mit den USA bewegen.
({6})
Thema Drogenforschung. Die Bundesregierung will
die Mittel für Modellmaßnahmen und Forschungsvorhaben zum Drogenmissbrauch um 500 000 Euro auf
2,9 Millionen Euro senken. Das halten wir für falsch.
Wir fordern, diese Kürzung rückgängig zu machen. Es
gibt großen Forschungsbedarf, vor allem was die Wirksamkeit der bestehenden Illegalisierung des Drogenkonsums angeht. Viele namhafte Experten gehen davon aus,
dass das heutige Drogenstrafrecht mehr schadet als
nutzt. Wir fordern Sie auf: Lassen Sie uns diese ideologieverblendete Diskussion endlich auf eine sachliche
Grundlage stellen und wissenschaftlich erforschen, ob
eine Legalisierung und Regulierung von Drogen und ihres Konsums hilfreicher sein könnten als eine moralisch
verbrämte Verbotspolitik.
({7})
Der Änderungsantrag zum Drug-Checking betrifft
ebenfalls das Thema Drogen. Wir fordern 400 000 Euro
für die Erforschung von Drug-Checking. Worum geht es
dabei? Das ist vergleichbar mit dem bayerischen Reinheitsgebot bei der Droge Nummer eins, dem Bier.
({8})
Drug-Checking bedeutet, dorthin zu gehen, wo viele
Menschen Drogen konsumieren, und ihnen vor Ort einen
Test anzubieten, um festzustellen, wie rein bzw. wie verunreinigt die entsprechenden Drogen sind.
Herr Kollege Weinberg, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme gleich zum Schluss. - Das hat mehrere
Vorteile: So können Schädigungen durch Verunreinigungen verhindert werden, man kann Daten über die Qualität der jeweiligen Drogen erheben, und man hat die Gelegenheit, die Konsumentinnen und Konsumenten über
die Substanzen zu informieren. In Österreich, den Niederlanden und der Schweiz hat man damit gute Erfahrungen gesammelt.
Herr Kollege Weinberg!
Ich denke, all diese Themen sind wichtig und müssen
auch von Ihnen behandelt werden. Ich befürchte, Sie
werden unsere Änderungsanträge nicht mit beschließen.
Die Themen können Sie aber nicht vom Tisch wischen.
Sie werden uns erhalten bleiben und weiter beschäftigen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Burkhard Blienert, SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan, den wir jetzt beraten, ist gemessen am Gesamthaushalt mit rund 11 Milliarden Euro eher ein kleinerer
Einzelplan. Bekanntermaßen sind von diesen 11 Milliarden Euro - das wurde heute schon mehrfach gesagt 10,5 Milliarden Euro durch den Bundeszuschuss an den
Gesundheitsfonds festgelegt. Den restlichen Haushaltsmitteln von 500 Millionen Euro stehen die Milliarden
gegenüber, die im gesamten Gesundheitssystem bewegt
werden und den Gesamteindruck prägen. Laut GKV
summierten sich die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung 2012 auf 173 Milliarden Euro. Das ist
natürlich noch nicht alles. Das bestimmt meistens die öffentliche Debatte über die Gesundheitsversorgung in
Deutschland, so auch heute in unserer Haushaltsdebatte.
Auch wenn der Anteil des Einzelplans 15 - abgesehen
vom Zuschuss - eher gering ist, sind die Wirkungen insgesamt nicht kleinzureden, da wichtige Projekte dadurch
an- und durchfinanziert werden können.
Mit dem Haushalt 2014, der aufgrund des fortgeschrittenen Jahres jedoch nur noch begrenzte Wirkung
entfalten wird, stellen wir die Weichen für die kommen3630
den Jahre. Davon abgesehen besteht natürlich noch viel
Reformbedarf im Bereich des Gesundheitswesens. Diesen Herausforderungen haben wir uns als Koalition gestellt - ich möchte Beispiele nennen -: Wir waren es, die
das Preismoratorium für Arzneimittel noch im Dezember 2013 bis 2017 verlängert haben.
({0})
Wir waren es, die das Instrument der unsozialen Kopfpauschalen abgeschafft haben. Das ist Politik nach dem
Motto: „Gesagt. Getan. Gerecht.“ Das ist Ausdruck einer
verlässlichen und gerechten Gesundheitspolitik.
({1})
Nun zu den anstehenden Herausforderungen. Die Koalition arbeitet ihre gesundheitspolitische Agenda Punkt
für Punkt weiter ab, ohne dabei die Zahlen insgesamt aus
den Augen zu verlieren. Wir beschließen daher Maßnahmen, die solide gerechnet und finanziert sind. Wir schieben die Reformen an, die den Bürgerinnen und Bürgern
ein Leben mit einer bestmöglichen Gesundheitsversorgung und -vorsorge ermöglichen.
Damit bin ich bei den beiden Punkten, die in den
nächsten Monaten anstehen: Pflege und Prävention. An
dieser Stelle kommt der Bundeshaushalt des BMG ins
Spiel. Im Pflegebereich stehen uns große gesellschaftliche Herausforderungen bevor. Wir setzen uns mit einem
Teil dieser Probleme auseinander und stellen in dieser
Legislaturperiode in zwei Stufen insgesamt 6 Milliarden Euro für die Pflegekassen zusätzlich zur Verfügung.
Bis 2030 gehen Experten zusätzlich von 1 Million
Hilfebedürftiger aus. Der Anteil der demenziell Erkrankten wird dementsprechend ansteigen, und der steigende
Anteil der professionellen Pflege wird mit einem sich erhöhenden Personalbedarf einhergehen. Es gibt noch
viele weitere Herausforderungen, die jeder anschaulich
beobachten kann, der vor Ort in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen unterwegs ist.
Im Bereich der Pflege haben wir jetzt 3 Millionen
Euro für eine Pflegekampagne eingestellt. Ich glaube,
das ist auch dringend notwendig, um weiter Aufklärung
und Information zu betreiben.
({2})
Mit diesem Geld können Programmmaßnahmen finanziert werden, und es kann die Einführung des neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs realisiert werden. Zudem
können Fachkampagnen durchgeführt werden, um für
die Pflegeberufe zu werben und deren Attraktivität zu
steigern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Bereich der
Prävention gilt es, ähnlich dicke Bretter zu bohren. Prävention muss als Querschnittsaufgabe begriffen werden.
Arbeitsschutz und geschlechtsspezifische Krankheitssymptome müssen verstärkt in den Fokus der Gesundheitspolitik gerückt werden. Das Präventionsgesetz, welches wir uns für die Legislaturperiode vorgenommen
haben, wird hierzu Antworten finden und Regelungen
vorsehen.
Prävention braucht aber auch Mittelerhöhungen für
Gesundheitsförderung bzw. für die Arbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Daher werden
auch hier über 43 Millionen Euro für den Bereich Prävention und Aufklärungsarbeit aufgebracht. Allein für
den Bereich Drogen- und Suchtmittelmissbrauch stehen
über 12 Millionen Euro zur Verfügung. Im Bereich HIV/
Aids stehen über 13 Millionen Euro zur Verfügung.
Auch hier gibt es ein deutliches Plus.
Aus meiner Sicht ist es besonders erfreulich, dass die
BZgA insgesamt 4 Millionen Euro mehr als 2013 bekommt und somit ihre wichtige Aufklärungsarbeit fortführen kann.
({3})
Wir haben es geschafft, einen weiteren wichtigen Akzent
zu setzen. Den möchte ich nochmals in Erinnerung rufen: 10 Millionen Euro mehr zur Sicherung der HIVAids-Stiftung sind im Haushalt aufgrund der parlamentarischen Beratungen in den Ausschüssen verankert worden. Das ist ein großer Fortschritt.
Es ist kein großes Geheimnis, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an manchen Stellen
weitergehende Reformvorstellungen im Gesundheitsbereich haben. Wir werden diese auch nicht aufgeben. Es
ist aber nun einmal unsere Aufgabe, das Realisierbare
anzugehen und umzusetzen.
Wir Sozialdemokraten haben an unterschiedlichen
Stellen Kürzungen des schwarz-gelben Haushaltsentwurfs rückgängig gemacht. Schwerpunkte haben wir auf
die Bereiche „Prävention“ und „Pflege“ gelegt.
({4})
Der Haushalt 2014 sichert den Fortbestand von Maßnahmen und Projekten zur Suchtaufklärung und Drogenberatung. Er sichert die Aufklärungsarbeit der BZgA.
Mit dem neuen Titel zur Pflegekampagne geben wir eine
Antwort auf den demografischen Wandel und stärken
den gesamten Pflegebereich.
Auch die Beschlüsse über den Zuschuss für den Gesundheitsfonds sind verantwortbar, auch wenn in den
Jahren 2014 und 2015 der befristete Bundeszuschuss
sinkt und erst wieder ab 2016 sein Ausgangsniveau erreichen wird. Im Jahr 2017 wird er auf jährlich 14,5 Milliarden Euro steigen. Er ist also schwankend. Angesichts
der Rücklagen ist dieses aber vertretbar. So ergeben sich
nicht zwingend Auswirkungen auf die Beitragshöhe der
Beitragszahlerinnen und -zahler. Die Aussagen der Experten bei der öffentlichen Anhörung hierzu haben dies
deutlich klargestellt.
Natürlich bleiben immer Fragen offen - wie eben die
Bewertung der versicherungsfremden Leistungen. Das
ist ein Problem, das wir an dieser Stelle aber nicht lösen
können, sondern das müssen wir als Aufgabe mitnehmen
und im Ausschuss beraten.
Die Koalition handelt, ihre Maßnahmen wirken. Die
Opposition täte gut daran, die richtigen Weichenstellungen an der Stelle mitzutragen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({5})
Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen
ist die nächste Rednerin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ohne Hellseherin zu sein, ist mir völlig klar, dass mit dieser schwarz-roten Regierung die wachsenden Probleme
im deutschen Gesundheitswesen nicht annähernd gelöst
werden. Die Große Koalition bietet keine Vision, wie die
Gesundheitsversorgung in Zukunft aussehen soll und
wie diese solidarisch finanziert werden kann. Demografischer Wandel und Fachkräftemangel seien hier beispielhaft erwähnt.
({0})
Stattdessen doktert Schwarz-Rot an einzelnen Stellschrauben eines zunehmend maroden Systems herum.
Zwar werden mit Minimalkompromissen einzelne
Punkte aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet, jedoch
bleibt es die nächsten Jahre bei der ungerechten und unsinnigen Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Es bleibt dabei, dass die gesetzlich
Versicherten die absehbaren Kostensteigerungen alleine
tragen müssen. Es bleibt dabei, dass die Über- und Unterversorgung sowie die Fehlanreize weiter existieren.
Es bleibt dabei, dass wichtige Vorhaben auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben werden, wie die Einführung des neuen Pflegebegriffs, eine Krankenhausreform
oder das Präventionsgesetz. Diese Koalition verschleppt
alle Reformen, die den Patienten und ihren Angehörigen,
den Versicherten und den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen würden. Es bleibt bei notdürftigen Reparaturen in der Krankenversorgung. Von einer modernen
Gesundheitspolitik ist diese Regierung meilenweit entfernt.
({1})
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen.
Schwarz-Rot hat sich ins Stammbuch, also in den Koalitionsvertrag, folgenden Satz geschrieben:
Wir werden noch 2014 ein Präventionsgesetz verabschieden, das insbesondere die Prävention und
Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kita,
Schule, Betrieb und Pflegeheim und die betriebliche Gesundheitsförderung stärkt und alle Sozialversicherungsträger einbezieht.
Im März versprach Staatssekretärin Fischbach, dass
im Frühsommer 2014 - das ist ungefähr jetzt - Eckpunkte für ein Präventionsgesetz vorgelegt würden.
Letzte Woche haben wir erfahren, Herr Minister Gröhe,
dass der Starttermin für das Präventionsgesetz auf Januar
2015 verschoben wurde. Herr Heiderich hat hier so getan, als wäre das Präventionsgesetz schon da. Sie, Herr
Minister Gröhe, haben in Ihrer Rede erstaunlicherweise
überhaupt keinen Ton dazu gesagt. Was ist denn da jetzt
die Fortsetzung?
({2})
Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir geben Gas. Aber das, was Sie beim Präventionsgesetz machen, erinnert mich eher an einen Eierlauf mit Hindernissen. Nach
wie vor streiten sich Union und SPD über die wesentlichen Inhalte dieses Gesetzes. Inwieweit sollen die Länder und Kommunen für Prävention zuständig sein? Welcher Stellenwert soll auf Lebenswelten bezogenen
Aktivitäten eingeräumt werden? Wie kann eine vernünftige und nachhaltige Finanzierung aussehen? Warum, so
fragt man sich, übernimmt man nicht entsprechende Gesetzentwürfe aus der rot-grünen Regierungszeit, Entschließungen des Bundesrates oder Anträge der Opposition, darunter übrigens auch einige der SPD, aus der
letzten Wahlperiode?
({3})
Was ist eigentlich das Problem?
({4})
Für uns Grüne steht nach wie vor fest: Wir brauchen
ein Präventionsgesetz, das an den Problemen der Menschen und ihren Lebenswelten ansetzt, das die Kompetenzen der Menschen und ihre Beteiligung an der Gestaltung ihrer Umwelt stärkt sowie endlich einen Beitrag
zum Abbau sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen leistet. Deshalb erneuern wir Grüne heute
unseren Appell: Die Zukunft der Prävention und der Gesundheitsförderung kann nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Kommunen gestaltet werden.
Dafür braucht es aber Mut für einen Paradigmenwechsel. Dieser ist bei Ihnen, bei dieser Großen Koalition,
bisher leider nicht zu erkennen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Jens
Spahn, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Irgendwie schaffen Sie es ja immer,
den Gesundheitsdebatten vorzusitzen. Ich weiß nicht, ob
das in Reminiszenz an alte Zeiten ist,
({0})
aber wir freuen uns sehr darüber.
Alles Zufall oder irgendwelche dunklen Mächte.
Ich glaube, jede Gesundheitsdebatte dieser Legislaturperiode war bisher von Ihnen präsidiert. Es freut uns
natürlich sehr, dass Sie uns dabei begleiten.
Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, Ihnen ginge
das alles zu langsam.
({0})
Ich glaube, Sie sollten einmal einen Strich unter die ersten sechs Monate ziehen und sich ansehen, was wir in
der Gesundheitspolitik - übrigens in einer seltenen Einigkeit im Vergleich zu den letzten Legislaturperioden geschafft haben, umzusetzen. Das reicht von der Pharmaspargesetzgebung, die schon erwähnt wurde, über
eine neue Systematik in der GKV-Finanzierung, die einerseits den Wettbewerb sicherstellt, gleichzeitig aber
auch eine jahrelange alte Auseinandersetzung, die es
hier im Haus gegeben hat, befriedet, bis hin zu dem, was
wir gerade zur Pflege vorliegen haben, und zu den Planungen zum Versorgungsgesetz und zum Präventionsgesetz in der zweiten Jahreshälfte.
({1})
Wenn man sich dies ansieht, kann man, glaube ich, mit
Fug und Recht sagen: Gesundheitspolitik ist zu Beginn
einer Legislaturperiode noch nie so inhaltstief, so konstruktiv und mit so vielen guten Ergebnissen in wenigen
Monaten gemacht worden, wie es in den letzten Monaten gelungen ist. Es mag Ihnen schwerfallen, das anzuerkennen. Aber ich glaube, unter dem Strich kann man das
so sagen. Wir sind auch ein Stück weit stolz darauf, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Wenn man sich die Situation der gesetzlichen Krankenversicherung anschaut, muss man sagen: Sie steht allen Unkenrufen zum Trotz gut da. Das hat in finanzieller
Hinsicht natürlich mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung zu tun; das gilt auch für die anderen sozialen
Sicherungssysteme und für den Bundeshaushalt. Es hat
aber auch damit zu tun - das vergisst der eine oder andere -, dass wir in den Jahren 2010 und 2011 einen harten Sparkurs gefahren haben, der den Beschäftigten im
Gesundheitswesen eine Menge abverlangt hat. Aber dadurch ist es - im Verbund mit der guten wirtschaftlichen
Entwicklung - gelungen, von einem drohenden großen
Defizit im Jahr 2010 in eine Situation zu kommen, die
wir in den sozialen Sicherungssystemen über Jahrzehnte
nicht hatten: dass wir Überschüsse und Rücklagen zu
verzeichnen haben.
({3})
Rücklagen sind die beste Vorsorge für eine gute Versorgung in der Zukunft. Deswegen freue ich mich erst einmal darüber, dass wir Rücklagen haben und dass die gesetzliche Krankenversicherung gut dasteht.
({4})
Da hilft das Schlechtreden, das Sie gerade an den Tag
gelegt haben, nicht. Ich glaube, die Menschen spüren,
dass es der gesetzlichen Krankenversicherung gerade gut
geht.
({5})
Das eröffnet im Übrigen die Möglichkeit, den Bundeszuschuss in diesem Jahr zu kürzen. Es macht doch
auch wenig Sinn, in der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds weitere Rücklagen aufzubauen, die wir kaum
sinnvoll anlegen können, während gleichzeitig der Bundesminister der Finanzen Schulden machen müsste, um
den Bundeszuschuss zu finanzieren.
({6})
Es macht doch mehr Sinn, die Liquiditätsreserve in
dieser Situation ein Stück weit zu reduzieren, um in späteren Jahren - das ist ja gelungen und im Bundeshaushalt
schon festgeschrieben - einen höheren Bundeszuschuss
zu haben. Das ist vernünftig; das wissen Sie. Sonst bitte
ich Sie - das gilt auch für Sie, Herr Weinberg -, sich
noch einmal intensiv mit den Mechanismen des Gesundheitsfonds auseinanderzusetzen. Die Höhe der Liquiditätsreserve hat mit der Entwicklung der Beitragssätze
nichts zu tun. Es können in Anhörungen noch so viele
Sachverständige erzählen, was sie wollen; es wird dadurch nicht richtiger. Die Liquiditätsreserve hat nichts
damit zu tun. Maßgeblich für die Höhe des Beitragssatzes ist ausschließlich die jährliche Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben. Bitte lernen Sie endlich, diese
Unterscheidung vorzunehmen! Denn das führt sonst zu
einer unnötigen Verwirrung in der öffentlichen Debatte,
oder es wird populistisch genutzt. Das macht es aber
auch nicht besser.
({7})
Wir nutzen die gute finanzielle Situation, um den Versorgungsaspekt stärker in den Mittelpunkt zu rücken.
Natürlich interessieren sich viele Menschen für die
Frage: Wie wird die gesetzliche Krankenversicherung
finanziert? Aber mindestens genauso sehr beschäftigt die
allermeisten die Fragen: Habe ich eigentlich noch einen
Hausarzt vor Ort? Wie lange muss ich auf einen Facharzttermin warten? Wie ist es um die Hygiene im KranJens Spahn
kenhaus bestellt? Was ist, wenn ich an einem Freitagnachmittag aus dem Krankenhaus entlassen werde, sich
aber niemand so recht darum gekümmert hat, wie es mit
der Medikation weitergeht oder ob eine häusliche Krankenhilfe benötigt wird?
({8})
Wir haben mit dem Versorgungsgesetz schon in der
letzten Legislatur wichtige Akzente gesetzt. Wir haben
auch im Koalitionsvertrag vereinbart - diese Debatte
wird nach der Verabschiedung des Finanzgesetzes
pünktlich nach der Sommerpause beginnen -: Wir wollen die Versorgungsthemen in den Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Debatte rücken. Dabei geht es um
die Fragen: Wie erleben Patienten den Versorgungsalltag? Wie können wir diesen ganz konkret verbessern?
Ich lade Sie herzlich ein, dabei konstruktiv mitzumachen. Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme
der Welt.
({9})
Ich glaube, auch das spüren die Menschen; nicht umsonst will jeder, der im Ausland erkrankt, so schnell wie
möglich zurück nach Deutschland. Aber auch im besten
Gesundheitssystem der Welt gibt es noch Verbesserungsbedarf.
({10})
Wir nutzen die gute finanzielle Lage, um das anzugehen
und den Patientenalltag konkret zu verbessern. Sie sind
herzlich eingeladen, dabei mitzumachen.
({11})
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, nämlich
zu der Frage: Wie geht die finanzielle Entwicklung weiter? Das eine Thema sind die Versorgungsthemen; dabei
geht es um die Patientensicht. Bei dem anderen Thema
geht es darum, dass wir absehen können - auch das gehört zur Wahrheit dazu, ohne Zweifel -, dass die Ausgaben stetig stärker steigen als die Einnahmen; das ist
schon seit einigen Jahren so, wird durch die gute wirtschaftliche Entwicklung aber etwas überlagert. Deshalb
werden wir ab 2015/2016 natürlich wieder über steigende Beitragssätze und im Zweifel auch über zu deckende Defizite reden müssen. Da sollten wir uns nichts
vormachen; damit müssen wir umgehen.
({12})
Kluge Politik nutzt die guten Zeiten, um über Strukturen zu reden, damit man nicht wieder die klassischen
Spargesetze alter Art auf den Weg bringen muss. Mit
dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz haben wir
schon in der letzten Legislatur wichtige strukturelle Veränderungen bei der Arzneimittelpreisfindung vorgenommen. Für Arzneimittel werden in Deutschland keine
Mondpreise mehr gezahlt; höhere Preise werden nur
noch für tatsächlich bessere Arzneimittel erstattet. Das
ist eine wichtige Strukturveränderung.
Jetzt muss es gelingen - es ist uns natürlich bewusst,
dass das unendlich viel schwerer ist, weil das noch einmal ganz anders in die Versorgung eingreift -, dass Bund
und Länder über die Krankenhausstruktur in Deutschland reden und die Fragen klären: Was ist für eine flächendeckende Versorgung nötig? Was muss erreichbar
sein in der Fläche? Wie stellen wir das sicher? Und: Wie
ist die Abstufung - bis hin zur Universitätsmedizin - in
den gemeinsamen Verbünden: Wer muss was machen,
und was muss wie vorgehalten werden zusammen mit
den Ländern? Wir wissen, dass das eine große, eine
schwierige Debatte wird. Wir werden in den nächsten
Monaten sehen, wie weit es gelingen kann, sie grundsätzlich zu gestalten.
Eines ist jedenfalls sicher: Wer nicht irgendwann
Spargesetze klassischer Art machen will, muss jetzt bereit sein, grundsätzlich über die Strukturen der Gesundheitsversorgung zu reden, stationär wie ambulant sowie
im Zusammenspiel der beiden Systeme.
({13})
Wir als Koalition sind jedenfalls bereit dazu. Wir laden
die Ländern herzlich ein, mit uns darüber zu reden. Wir
laden Sie ebenfalls dazu ein. Auch da arbeiten wir ganz
konkret: In der nächsten Woche wird die Runde mit den
Ländern zum zweiten Mal tagen. Auch da wäre es gut,
wenn weniger genörgelt würde und mehr konstruktiv
mitgemacht würde; das wäre, glaube ich, ein guter Ansatz.
({14})
Das bringt mich abschließend noch einmal konkret
zum Bundeshaushalt. Ich möchte zum Ersten ganz herzlich dafür danken, auch als Stiftungsratsvorsitzender der
Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIVinfizierte Personen“, dass es - darauf ist schon hingewiesen worden - in den Haushaltsberatungen gelungen ist,
die 10 Millionen Euro, die wir brauchen, um die Stiftung
erst einmal bis 2017 zu finanzieren, tatsächlich sicherzustellen.
({15})
Gott sei Dank leben HIV-infizierte Menschen mittlerweile länger, als man damals angenommen hat. Um die
Leistungen sicherzustellen, braucht es eine entsprechende Finanzierung. Jetzt sind wir alle gemeinsam gefordert, für die Zeit nach 2017 gemeinsam mit den
Pharmaunternehmen und den Blutspendediensten und
den Ländern eine Anschlusslösung zu finden, damit wir
diese Stiftung dauerhaft finanzieren können. Auch da
möchte ich Sie alle herzlich einladen, mitzuwirken. Die
Debatte wird noch schwer genug. Aber ich bin sehr froh
und dankbar, dass es gelungen ist, erst einmal bis 2017
Sicherheit für die Betroffenen, die auf diese Renten angewiesen sind, herzustellen.
({16})
Das bringt mich abschließend noch einmal zu den
Linken. Es ist wie immer bei Ihnen: Im Himmel ist Jahrmarkt. Sie legen hier Anträge vor, die mal eben 3 Milliarden Euro Mehrausgaben mit sich brächten. Keinen
einzigen Satz, nicht einmal einen Nebensatz, verschwenden Sie darauf, wie das finanziert werden soll.
({17})
- Ich sehe in den beiden Anträgen, die Sie hier zur Abstimmung vorgelegt haben, keinen einzigen Nebensatz
zur Finanzierung.
({18})
Sie fordern mal wieder, dass der Bund für die Länder
einspringt. Es ist ja auch bemerkenswert, dass Ihrer Meinung nach der Bund ständig, immer wieder aufs Neue,
Landesaufgaben einfach übernehmen soll.
({19})
Das ist natürlich die einfachste Lösung. Sie versprechen
mit wohlfeilen Worten zusätzliche Gelder - da nickt erst
mal jeder -, aber sagen am Ende nicht, wer das bezahlen
soll.
({20})
Das ist Haushaltspolitik, die in die Irre führt. Was nützt
es, vorzugaukeln, was man alles Schönes machen
könnte?
Wir machen solide Finanzpolitik in der gesetzlichen
Krankenversicherung, in der gesetzlichen Pflegeversicherung und im Bundeshaushalt.
({21})
Wir versprechen nicht mehr, als wir halten können; aber
das, was wir machen, machen wir dann auch gut. Das
unterscheidet uns deutlich von Ihnen. Das ist, glaube ich,
auch der Grund, warum wir hier regieren und Sie hier in
der Opposition sind.
({22})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Edgar Franke, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Lesung zum Einzelplan 15 - Gesundheit ist nicht nur ein Zeitpunkt, zurückzuschauen, sondern
auch, sich mit der Gesundheitspolitik in dieser Legislaturperiode zu befassen, gerade wenn man am Ende der
Debatte redet. Ich kann Herrn Spahn nur zustimmen: Ich
freue mich auch, dass eine so sachkundige Präsidentin
bei dieser Debatte zugegen ist.
In dieser Wahlperiode sind zwei wichtige, zwei gute
Gesetze beschlossen worden: das 14. SGB-V-Änderungsgesetz zum einen und zum anderen das GKVFQWG, das Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich kann die auch heute in der Debatte geäußerte Kritik an diesen beiden Gesetzen jedenfalls im
Kern - das muss ich ausdrücklich sagen - nicht teilen.
Das 14. SGB-V-Änderungsgesetz ist alles andere als
wirkungslos geblieben. Ganz im Gegenteil: Es hat den
Preisstopp von 2009 verlängert. Der Herr Minister hat
ausdrücklich gesagt, dass das Gesetz die Zeitspanne, in
der der Preisstopp für die patentgeschützten Medikamente gilt, im Interesse der Versicherten verlängert hat.
Das hat immerhin über 600 Millionen Euro gebracht.
Hier davon zu sprechen, dass es keine Wirkung hat,
geht an der Realität vorbei. Mit dem Zwangsrabatt sind
wir vielmehr an die Grenzen der verfassungsrechtlichen
Legitimität von politischen Entscheidungen gegangen;
denn auch die Eigentumsrechte der Unternehmen nach
Artikel 14 Grundgesetz - die Rücklagen betragen insgesamt 30 Milliarden Euro - sind natürlich immer zu berücksichtigen.
Die Bundesregierung hat also gehandelt und die notwendigen Maßnahmen für bezahlbare Medikamente ergriffen, und dafür ist sie zu loben.
Das GKV-FQWG, das Gesetz zur Weiterentwicklung
der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen
Krankenversicherung,
({0})
ist ein richtungsweisendes und gutes Gesetz,
({1})
obwohl es sprachlich sicherlich ein Wortungetüm ist.
Auch hier ist die Argumentation der Opposition nicht
stimmig. Die Absenkung des Bundeszuschusses auf
10,5 Milliarden Euro führt nämlich nicht zu einer
zwangsläufigen Erhöhung der Krankenkassenbeiträge
- die Kollegin Hinz und der Kollege Spahn haben zu
recht darauf hingewiesen -;
({2})
denn, Frau Klein-Schmeink, die Mindereinnahmen sind
durch eine Entnahme aus der Liquiditätsreserve in diesem Jahr locker auszugleichen, und der Gesundheitsfonds ist nun wahrlich prall gefüllt. Frau KleinSchmeink, 2014 werden wir also keine Probleme bekommen.
({3})
Allerdings ist in Zukunft zu klären - das glaube ich
schon -, was versicherungsfremde Leistungen im Einzelnen ausmacht; denn da der Bundeszuschuss aus politischen Opportunitätsgründen von Jahr zu Jahr variiert,
besteht natürlich immer die Gefahr, dass man Gesundheitspolitik nach Kassenlage macht.
({4})
Ich glaube, hierauf muss man in Zukunft schon schauen.
Die endgültige Abschaffung der Kopfpauschale ist
ein wirklicher Sieg der politischen Vernunft, Frau KleinSchmeink. Das Prinzip, dass der Chef denselben Beitrag
wie seine Sekretärin bezahlt, ist in der gesetzlichen
Krankenversicherung endgültig gestorben.
({5})
Das ist ein politischer Sieg der Gerechtigkeit im System
und ein Erfolg der SPD. Das kann man hier in dieser Debatte auch einmal ausdrücklich sagen.
({6})
Ferner stärkt das Gesetz die Finanzstruktur der Kassen. Das ist zwar erst der erste Schritt hin zur vollständigen Beitragssatzautonomie, aber es gibt keinen Einheitsbeitrag mehr. Auch das muss man sagen. Damit schafft
man grundsätzlich Wettbewerb, und der Wettbewerb ist
auch fair, weil wir einen vollständigen Finanzausgleich
zwischen den Krankenkassen über den Gesundheitsfonds vereinbart haben. Ich glaube, die Zahlen zeigen,
dass die finanziellen Spielräume der Kassen viel größer
sind, als der GKV-Spitzenverband vielfach behauptet.
Auch das kann man in dieser Debatte einmal ausdrücklich sagen.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen
nicht nur einen Preiswettbewerb, sondern wir wollen vor
allen Dingen einen Qualitätswettbewerb.
({8})
Deshalb haben wir in der Koalitionsvereinbarung auch
beschlossen, dass wir ein Qualitätsinstitut im Gesundheitswesen einrichten. Dadurch werden wir mehr Transparenz bekommen. Die Daten sollen und werden verständlich und vor allen Dingen verbraucherfreundlich
aufbereitet werden. Das korrespondiert auch mit unserem Willen, eine Qualitätsoffensive im Gesundheitswesen zu ergreifen. Das wird das Gesundheitswesen qualitativ und absolut besser machen.
Meine Damen und Herren, einer der Schwerpunkte in
der Gesundheitspolitik in diesem Jahr wird sicherlich die
Prävention sein. Ich glaube, das ist inzwischen schon der
vierte Anlauf. Seit zehn Jahren diskutieren wir das
Thema Prävention. Es wurde heute auch schon gesagt,
dass die Techniker Krankenkasse vermeldet hat, dass der
höchste Krankenstand ihrer Versicherten seit 14 Jahren
zu verzeichnen war. Im Durchschnitt, so die TK, fehlte
2013 jeder Beschäftigte 15 Tage.
Ich glaube, ein Präventionsgesetz ist wichtiger denn
je, zumal 10 Prozent der Fehlzeiten mit Rückenschmerzen begründet wurden. Auch die Zahlen zeigen, dass wir
eine erneuerte Präventionsstrategie brauchen. Frau
Schulz-Asche, darüber, dass diese Präventionsstrategie
natürlich an den Lebenswelten der Menschen anknüpfen
muss, brauchen wir uns, glaube ich, nicht zu streiten. Sie
hilft nicht nur, Krankheitszeiten zu verhindern und damit
Kosten zu sparen, sondern - das ist das Entscheidende sie hilft, dass Menschen gesund sind und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
({9})
Ich bin sicher, dass wir dazu in diesem Jahr einen Kabinettsbeschluss fassen und spätestens im nächsten Jahr
ein Gesetz vorlegen werden, das diese Anforderungen
erfüllt.
({10})
Das entscheidende gesundheitspolitische Thema aber
ist und bleibt die Pflege. Sie ist eine sozialdemokratische
Herzensangelegenheit. Ich sehe gerade Frau Mattheis,
die in der letzten Legislaturperiode für verbesserte Leistungen für Pflegebedürftige und für einen erweiterten
Pflegebedürftigkeitsbegriff gekämpft hat.
Das Gesundheitssystem in Deutschland - das wissen
wir alle - steht vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft vor enormen Herausforderungen. Jetzt
wird - das werden wir nächste Woche beraten - vieles
von dem, was Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen - um es politisch korrekt auszudrücken, Frau
Klein-Schmeink -, politische Realität werden. In zwei
Schritten gibt es im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes insgesamt 5 Milliarden Euro mehr für die Pflege.
Das ist eine erhebliche Summe. Eine Verbesserung der
Leistungen aus der Pflegeversicherung um rund 20 Prozent zum 1. Januar 2015 kann sich beileibe auch poli3636
tisch sehen lassen. Dass die Pflege auch am Bett der Patienten ankommt, ist mit diesem Gesetz gewährleistet.
({11})
In einem zweiten Schritt werden wir, Frau KleinSchmeink, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einführen, und zwar noch in dieser Legislaturperiode.
({12})
Auch das sollte nicht geringgeschätzt werden.
Lassen Sie mich noch einen Satz zum Thema Krankenhaus sagen. Das Krankenhaus, das gute Pflege anbietet - das ist mir persönlich ein Herzensanliegen -, muss
dafür finanziell belohnt werden. Gute Pflege muss in Zukunft in Fallpauschalen abgebildet werden. Letztlich
kann man dann die Pflege auch besser bezahlen. Diesen
Punkt darf man in der politischen Diskussion nicht vergessen.
Schließlich und endlich muss Pflege stärker lokal eingebunden werden. Wir brauchen - das sage ich als ehemaliger Bürgermeister ausdrücklich - eine Rekommunalisierung der Pflegeinfrastruktur. Wir brauchen
quartiersbezogene Sozialpolitik. Auch das ist ein Thema,
das uns fraktionsübergreifend alle interessieren sollte.
({13})
Das heißt, vor Ort müssen kommunale Wohnungsbaugesellschaften, mobile Krankenpflegestationen, kirchliche
und freie Träger zusammenarbeiten, damit durch niedrigschwellige Angebote gewährleistet ist, dass ältere
Menschen in ihrem sozialen Umfeld verbleiben können.
Wir werden auch ein zweites Versorgungsstrukturgesetz auf den Weg bringen. Mit diesem Gesetz werden
viele Forderungen aufgenommen werden, die wir diskutiert haben, viele sogenannte sozialdemokratische Herzensangelegenheiten, Frau Klein-Schmeink, wie ich sie
eben schon bezeichnet habe: Servicestellen zur Vereinbarung eines Arzttermins innerhalb von vier Wochen,
eine weitere Stärkung der hausärztlichen Versorgung,
eine weitergehende Öffnung von Krankenhäusern für
unterversorgte Gebiete, Desease-Management-Programme für Menschen mit Rückenerkrankungen und
Depressionen, erleichterte Zulassung von MVZ. Sie sehen, in der Gesundheitspolitik ist das sozialdemokratische Profil deutlich zu erkennen.
Herr Kollege.
Wir werden viele unserer Herzensangelegenheiten
umsetzen - im Interesse der Patientinnen und Patienten
in Deutschland.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Maria Michalk, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, die heutige Haushaltsdebatte auch zu diesem
Haushaltsplan zeigt ganz deutlich, vor welchen Veränderungen und Herausforderungen wir in unserer Gesellschaft stehen. Einerseits hat niemand bestritten, wie
wichtig es ist, einen insgesamt ausgeglichenen Haushalt
aufzustellen. Auch wenn die Opposition Kritik geübt
hat, hat man doch den Neid darüber, dass wir das jetzt
schaffen, ganz deutlich herausgehört.
({0})
Das ist gut so. Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dass dies jetzt möglich ist.
({1})
- Ich komme gleich darauf, liebe Frau Kollegin SchulzAsche. - Andererseits wissen wir natürlich auch - das
haben meine Vorredner alle bestätigt -, dass wir vor immer neuen Herausforderungen stehen. Ich möchte in die
fiskalische und finanzpolitische Debatte eine andere Facette hineinbringen, nämlich die demografische Entwicklung; sie wurde schon genannt. Immer mehr Menschen in unserem Land werden immer älter. Der Wunsch
nach Lebensverlängerung reicht weit in die Antike zurück. Medizinische Ratgeber hat es gegeben, und auch
künstlerisch wurde dieses Phänomen gestaltet. An den
Werken erfreuen wir uns übrigens heute noch.
Jetzt ist dieser Wunsch Wirklichkeit, es ist kein
Traum mehr. Die Langlebigkeit ist erreicht. Welch ein
Glück für uns und vor allen Dingen für die Mädchen, die
heute geboren werden, die in der Lebenserwartung ein
Alter von 100 Jahren erreichen können. Darauf müssen
wir reagieren; denn diese Veränderungen sind nicht nur
quantitativ - wir nennen das demografischer Wandel -,
sondern erfordern auch qualitative Veränderungen und
Umstrukturierungen.
Was heißt das? Die Berufseinstiege werden immer
flexibler, immer später werden Familien gegründet, wir
haben eine zunehmende Singularisierung - insofern ist
die familiäre Hilfe eine andere geworden -, der Lebensstil hat sich verändert, vor allem der Blick auf die gesundheitliche Vorsorge, auf die Ernährung, auf die Bewegung hat sich verändert. Wir diskutieren heute also
nicht mehr, wie alt wir werden, sondern, wie wir alt werden. Das ist dieser qualitative Sprung, auf den wir auch
in der Gesundheitspolitik immer wieder eine neue Antwort finden müssen.
Ich sage es auch an dieser Stelle: Auch wenn wir von
den älter werdenden Menschen in unserer Gesellschaft
sprechen und darauf reagieren, dürfen wir niemals vergessen, dass wir genauso unsere Kinder und ihre Bedürfnisse im Blickpunkt der gesundheitlichen Versorgung
behalten müssen. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft
Kinderärzte, Kinderstationen und vieles andere mehr.
Ich möchte noch einen anderen Aspekt hinzufügen:
Wir sollten uns auch daran erinnern und die Erkenntnis
pflegen, wie sehr der Mensch die natürlichen Reize
- auch das hat etwas mit Gesundheitspolitik zu tun - von
Licht und Luft, von Kälte und Wärme, von Ruhe und
Bewegung und ein ausgewogenes Gesundheitsverhalten
braucht, um gesund zu bleiben. Es geht also darum, gesund zu bleiben. Das ist unsere erste Aufgabe.
Erst als zweiten Punkt diskutieren wir die Kardinalfrage, um die sich auch der Haushalt rankt: Was müssen
wir in Zukunft tun und worauf müssen wir in Zukunft
stärker achten, um Menschen, die erkrankt sind, rasch,
kompetent, solidarisch, wirtschaftlich, wenn möglich
wohnortnah zu helfen, wieder gesund zu werden, oder
ihren Gesundheitszustand so zu beeinflussen und sie so
zu versorgen, dass sie in Würde leben können und dann,
wenn es zu Ende geht, auch in Würde sterben können?
Darum geht es. Das nennen wir: eine bedarfsgerechte
Versorgung auch für die Zukunft sichern.
Deshalb möchte ich an ein paar Punkten zu dem, was
schon gesagt worden ist, noch einmal ausführen, worum
wir uns schon in der Vergangenheit gekümmert haben
und was das heute für uns bedeutet.
Erstens. Wir haben Anreizmöglichkeiten für Praxisniederlassungen oder Praxisübernahmen im ländlichen
Raum geschaffen. Junge Mediziner entscheiden sich
trotzdem nicht immer dafür, aufs Land zu gehen, weil
andere Rahmenbedingungen wie zum Beispiel der
Wohnort oder das Vorhandensein von Kindergarten oder
Schule oder Kulturangebote nicht stimmen. Das können
wir Gesundheitspolitiker nicht allein lösen.
Zweitens. Wir diskutieren seit Jahren modifizierte
Zulassungsbedingungen für Medizinstudenten. Trotzdem wissen wir, dass die Universitäten da ihre eigene
Philosophie fahren - mit der Folge, dass der Arztmangel
nicht nur droht, sondern dass wir in bestimmten Fachgebieten echten Fachkräftemangel haben.
Drittens. Wir haben Anschubfinanzierungen für Verträge der integrierten Versorgung eingeführt und ausgereicht. Jetzt, wo das Prinzip von den Leistungserbringern
verstanden worden ist und außerhalb der Anschubfinanzierung vermehrt neue IV-Verträge eingereicht werden,
stellen wir fest, dass viele - aus welchen Gründen auch
immer - nicht genehmigt werden. Warum, ist die Frage.
Damit müssen wir uns in Zukunft beschäftigen.
Wir haben - viertens - Medizinische Versorgungszentren eingerichtet und immer wieder modifiziert, diskutieren aber aktuell trotzdem, dass wir auch facharztgleiche
MVZ zulassen wollen.
Fünftens. Auch Praxiskliniken sind eine wichtige
Säule im Versorgungsalltag. Trotzdem kämpfen sie nach
wie vor mit der Schwierigkeit, dass sie nicht wie im
Krankenhaus eine Fallpauschale abrechnen können, obwohl der EBM für ihre Kostenstruktur nicht ausreicht.
Das heißt, wir haben auch hier etwas Gutes getan, sind
aber noch nicht am Ende der Diskussion angekommen
und beschäftigen uns weiter damit.
In den Krankenhäusern wachsen ebenfalls die Aufgaben. Immerhin fließt jeder dritte Euro der Beitragszahler
in den Krankenhausbereich. Da muss doch eigentlich
eine gute Versorgung möglich sein. Trotzdem setzen wir
- Herr Spahn hat darauf hingewiesen - eine Bund-Länder-Kommission ein, die an Konzepten arbeitet.
Ich will siebtens aufführen: Vor 25 Jahren wurde der
Medizinische Dienst der Krankenversicherung als fachlich unabhängiger Begutachtungs- und Beratungsdienst
für alle Leistungsbereiche eingerichtet. Er macht die
Pflegeeinstufung, und zwar hochkompetent und sehr
schnell innerhalb der vorgeschriebenen vier Wochen.
Davon konnte ich mich letzte Woche bei einer Vor-OrtAktion einen ganzen Tag überzeugen.
Trotzdem ist er aktuell nicht nur von den Patientenvertretern mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht so recht
unabhängig zu sein. Auch darauf müssen wir eine Antwort suchen.
Ich möchte noch einen Punkt aufführen. Das von uns
beschlossene Qualitätsinstitut wird mit Sicherheit eine
wichtige Aufgabe erfüllen. Aber ich warne jetzt schon
davor, dass wir alles überfrachten und mit der gesamten
Datenlage starten wollen. Dann werden wir nie starten.
Wir müssen auch hierbei den Mut haben, bestimmte Indikationen herauszusuchen und damit erst einmal anzufangen.
Was will ich damit sagen?
Frau Kollegin Michalk.
Wir haben ganz viele Dinge in den Versorgungsalltag
eingeführt und darauf geachtet und auch dazu beigetragen, dass sie wirken. Trotzdem bleibt die Aufgabe, den
Versorgungsalltag weiter zu beobachten und die entsprechenden Antworten zu geben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deshalb ist dieser Haushalt die richtige Antwort auf
diese vielen Fragen. Ich bitte Sie herzlich, ihm zuzustimmen.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. - Letzter Redner in dieser Debatte ist
der Kollege Reiner Meier, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der
heutigen Debatte komme ich nicht um eine Feststellung
herum: Es ist erstaunlich, welche Verrenkungen gemacht
werden, um ein Haar in der Suppe unseres hervorragenden Menüs zu finden.
({0})
Ich darf zusammenfassend noch einmal die Fakten
geraderücken. Fakt ist, dass die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung seit Jahren hervorragend ist.
({1})
Die Kassen konnten in den letzten Jahren sogar Reserven in Milliardenhöhe anhäufen.
({2})
An dieser guten Lage ändert auch der vielbeschworene Verlust von 270 Millionen Euro im ersten Quartal
dieses Jahres nichts. Man muss sich nämlich auch die
Arbeit machen, nachzulesen - bitte, schauen Sie sich das
an -, woher dieser „Verlust“ kommt: Allein 55 Millionen
Euro machen sogenannte Satzungsleistungen der Versicherungen aus. Das sind Leistungen, die nicht gesetzlich
zwingend sind, aber von den Versicherungen freiwillig
gewährt werden.
({3})
Der Löwenanteil von rund 236 Millionen Euro geht
auf Prämien zurück, die die Kassen an die Versicherten
ausbezahlt haben, um sie an ihrer guten wirtschaftlichen
Situation teilhaben zu lassen.
({4})
Wenn ich mir noch die Finanzreserven von rund
27,7 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds und den
Krankenkassen vor Augen halte, ist eines offensichtlich:
Verglichen mit einem Schuldenstand von 8,4 Milliarden
Euro vor zehn Jahren ist die Finanzlage heute wahrlich
nicht schlecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({5})
Es ist und bleibt deshalb die richtige Entscheidung,
dass wir den Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds
für die Jahre 2014 und 2015 vorübergehend abgesenkt
haben, um zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes
beizutragen. Klar ist nämlich eines: Kürzungen bei den
Zuweisungen an die Krankenkassen wird es nicht geben.
Den Krankenkassen werden in diesem und auch im
nächsten Jahr die vollen 14 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Es ergibt aber keinen Sinn, diese Summe nur über
Neuverschuldung zu finanzieren und dafür auch noch
Zinsen zu bezahlen, wenn auf der anderen Seite die
gesetzlichen Krankenversicherungen gleichzeitig fast
30 Milliarden Euro auf der hohen Kante haben. Schulden zu machen, um an anderer Stelle Milliardenreserven
zu halten, kann doch nicht Sinn der Sache sein. Das kann
unmöglich Sinn dieser Sache sein!
({6})
Auch wenn es schon oft gesagt wurde, muss ich an
dieser Stelle nochmals daran erinnern, dass wir im Rahmen des Konjunkturpakets II den Bundeszuschuss für
die Jahre 2009 und 2010 erhöht haben, um die krisenbedingten Einnahmeausfälle der gesetzlichen Krankenversicherung abzulindern. Und: Wir reden doch nicht über
Peanuts. Der Bund hat aus Steuermitteln insgesamt
9,5 Milliarden Euro mehr eingezahlt als vorgesehen. Im
Übrigen ist es nicht so, dass wir dieses Geld aus dem
Fonds abziehen würden. Das Geld, das wir nun zur Entlastung des Bundeshaushalts aus der Liquiditätsreserve
zur Verfügung stellen, wird ab 2017 in voller Höhe sukzessive in den Gesundheitsfonds zurückfließen.
Die gesundheitspolitischen Diskussionen in den vergangenen 20 Jahren haben gezeigt: Wir könnten innerhalb
der Krankenversicherung gar nicht so viel reformieren,
wie wir auf der anderen Seite an Einnahmen verlieren
würden, wenn die Konjunktur einbrechen würde. Ohne
eine Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung bleiben alle Reformen im sozialen Bereich Stückwerk.
({7})
Um es auf den Punkt zu bringen: Sozial ist, was Arbeit
schafft.
({8})
Aufgrund der günstigen Rahmenbedingungen kommen
wir erstmals seit vielen Jahren ohne Sparmaßnahmen
und Leistungskürzungen im Bereich der Krankenversicherung aus. Wir können stattdessen für alle den allgemeinen GKV-Beitrag erst einmal senken. Die damit verbundene Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags hilft,
Arbeitsplätze zu sichern. Denn Arbeitsplätze sind die
Quelle, aus der sich letztendlich die Sozialkassen speisen, und dies nicht zu knapp.
Kommen wir zu den Zusatzbeiträgen. Mit den einkommensabhängigen Zusatzbeiträgen haben wir die BeiReiner Meier
tragsautonomie und den Wettbewerb der Krankenkassen
gestärkt. Der Versicherte kann sich für die Kasse entscheiden, die seinen Bedürfnissen am besten entgegenkommt. Die Kassen haben gleichzeitig ein ureigenes Interesse an stabilen Beiträgen; denn die Transparenz für
den Verbraucher haben wir entschieden gestärkt. Wenn
eine Krankenkasse künftig einen Zusatzbeitrag erheben
oder erhöhen will, muss sie ihre Versicherten in einem
gesonderten Schreiben darauf aufmerksam machen und
den durchschnittlichen Zusatzbeitrag aller Kassen nennen. Neben einer Belehrung über ein Sonderkündigungsrecht müssen die Krankenkassen ihre Versicherten auf
die Internetseite des GKV-Spitzenverbandes verweisen,
auf der alle Kassen mit ihren Zusatzbeiträgen aufgelistet
sind. So kann jeder auf einen Blick sehen, ob die Leistungen seiner Kasse zur Höhe des Zusatzbeitrags passen.
({9})
Qualität ist ein weiteres Stichwort. Ein zentrales Anliegen ist für uns, die Qualität der stationären Versorgung zu verbessern.
({10})
Deshalb haben wir das Institut für Qualitätssicherung
und Transparenz im Gesundheitswesen auf den Weg gebracht. Künftig soll sich die Vergütung der Krankenhausleistungen stärker an der Qualität orientieren. Die
Qualitätsindikatoren werden dann erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser haben. Deshalb ist es wichtig, dass Qualitätsprüfungen risikoadjustiert erfolgen. Das gilt insbesondere
für die Ergebnisqualität in den Krankenhäusern. Zum
Beispiel ist die Mortalitätsrate bei Universitätskliniken
und bei der Maximalversorgung oft höher, weil diese
Häuser die komplizierten und besonders riskanten Fälle
behandeln. Das muss berücksichtigt werden; denn nur so
können zwischen Krankenhäusern faire Leistungsvergleiche zustande kommen.
({11})
Damit möchte ich schließen. Die Koalition hat in den
vergangenen Monaten bewiesen, dass sie in der Lage
und gewillt ist, den anstehenden Herausforderungen im
Gesundheitswesen zeitnah und effektiv zu begegnen.
Herr Minister, Ihnen gilt mein besonderer Dank.
({12})
Im Bereich der Arzneimittelpreise und der GKV-Finanzierung haben wir schon viel erreicht. In Kürze werden wir den Grundstein für eine große, umfassende Pflegereform legen, die spürbare Verbesserungen für
Millionen unserer Bürger bringen wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 - Bundesministerium für Gesundheit - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1819? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1820? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1821? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/1822? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU,
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der
CDU/CSU hat gebeten, jetzt die Sitzung für etwa eine
Stunde zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung
wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.7 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Drucksachen 18/1016, 18/1023
Die Berichterstattung für diesen Haushalt haben die
Abgeordneten Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike
Gottschalck und Ekin Deligöz.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jörn Wunderlich.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf den Tribünen! Haushaltspolitik: Sie
wird auch die Königsdisziplin der Politik genannt. Im
Haushalt werden die Weichen für die Zukunft gestellt.
Die Frage bleibt: Wie werden die Weichen gestellt, und
wohin soll die Fahrt gehen?
Für die Jugendverbände gibt es in diesem Haushalt einen Aufwuchs von 1 Million Euro. Das ist schön.
({0})
Aber woher kommt das Geld? Und wo bleibt bei den
Haushaltsüberlegungen und -beschlüssen die Aufgabe
der Bekämpfung der Kinderarmut? Das vermisse ich
durch die Bank weg. Die Kinderstudie von World Vision
hat 2013 festgestellt, dass sich ein Fünftel der Kinder abgehängt fühlt und dass sich Kinder am meisten wünschen, dass die Eltern ordentliche Arbeit haben.
Frau Schwesig, Sie haben gestern Abend beim ASB
noch betont, wie wichtig Familieneinkommen ist und
dass Kinderarmut damit zusammenhängt. Dass Kinder
die Spirale der Elternarmut fortsetzen, wissen wir schon
lange. Seit 2005 - seit ich im Bundestag bin - höre ich
die entsprechenden Debatten. Seit 2005 hoffen die Menschen im Lande auf eine veränderte Politik, die aus der
Spirale der Armut herausführt. Sie hoffen auf eine Politik, die Wege aufzeigt, davon wegzukommen, dass die
Aufgaben im Gemeinwesen, ob Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit, Kultur oder was auch immer, stets auf
den Kostenfaktor reduziert werden.
Seit 2005 hat sich nichts wesentlich geändert. Weder
seinerzeit die Große Koalition noch Schwarz-Gelb haben etwas zum Besseren verändert.
({1})
- Gut, das Elterngeld und den Kitaausbau. Aber die Kinderarmut ist gewachsen.
({2})
- Zum Betreuungsgeld wollte ich heute eigentlich nichts
sagen.
Noch immer kann sich Deutschland nicht als das familienfreundliche Land in Europa präsentieren. Kinder
sind nach wie vor ein Armutsrisiko. An der Bekämpfung
der Kinderarmut wird nur marginal herumgewerkelt.
Nicht umsonst wünschen sich die achtjährigen Kinder
nach der Studie von World Vision am meisten, dass die
Eltern eine existenzsichernde Arbeit haben. Die Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland ist nach wie
vor Antwort der Menschen auf Ehrlichkeit und Verlässlichkeit in der Familienpolitik.
Schon Frau von der Leyen hat damals immer wieder
Wert darauf gelegt und betont, den Kindern, die nicht auf
der Sonnenseite, sondern auf der Schattenseite des Lebens geboren werden, eine besondere Hilfe zukommen
lassen zu wollen. Leider vermisse ich seit 2005 bis heute
irgendwelche Aussagen dazu, was die Regierung konkret bereit ist zu unternehmen, um die gesellschaftlichen
Ursachen der Probleme zu beseitigen. Kinderarmut ist
eines der wesentlichen Probleme in unserer Gesellschaft.
Die Ursachen müssen angegangen werden.
({3})
Immer mehr Kinder sind armutsgefährdet. Ich frage
Sie: Was wollen Sie dagegen unternehmen? Immer mehr
Senioren stehen inzwischen bei den Tafeln an. Was wollen Sie dagegen unternehmen? Immer mehr Alleinerziehende sind von Armut bedroht oder betroffen. Was wollen Sie dagegen unternehmen? Eine Antwort darauf gibt
jedenfalls der Haushalt nicht her. Ich nenne als Beispiel
den Kinderzuschlag als ein wirksames Mittel der Armutsbekämpfung. Im Entwurf für 2014 wurden noch
etwa 379 Millionen Euro veranschlagt. Das waren schon
circa 8 Millionen Euro weniger als im Jahr zuvor. Ich
wäre froh gewesen, wenn es bei diesen 8 Millionen Euro
geblieben wäre. Aber im Haushaltsausschuss wurde er
am 7. Mai auf Antrag der Koalition um weitere 11 Millionen Euro gekürzt. In der Bereinigungssitzung wurde
er auf Antrag der Koalitionäre erneut um 14,6 Millionen
Euro gekürzt.
({4})
33,7 Millionen Euro weniger! Dieses Geld würde für die
Armutsbekämpfung dringend gebraucht. Eigentlich
hätte der Kinderzuschlag ausgebaut werden müssen, damit er mehr Familien erreicht.
({5})
Der Ausbau des Kinderzuschlags ist und bleibt eine Forderung der Linken; denn Kinderarmut kann sich
Deutschland nicht leisten.
Immerhin wissen wir, woher die Mittel für die Jugendverbände und den Fonds „Heimerziehung in der
DDR“ kommen. Dass die Mittel für den Fonds „Heimerziehung in der DDR“ aufgestockt werden, findet unsere volle Unterstützung. Aber dass die Finanzierung im
Einzelplan 17 auf Kosten des Kindergeldes/Kinderzuschlags erfolgt, ist unerhört. Der Fonds gehört in den
Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung -, da es
sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt.
Solange nur im eigenen Haushaltsplan umgeschichtet
wird oder Mittel bei den Betroffenen im ALG-II-Bezug
nicht ankommen wie Unterhaltsvorschuss, Elterngeld
oder Betreuungsgeld - das alles wird angerechnet -,
kann man sich den Aufwuchs schönreden, wenn im
Haushalt des Arbeitsministeriums entsprechende EinJörn Wunderlich
sparungen entstehen. Bis heute haben wir von der Regierung keine Antwort bekommen, wie hoch die Einsparungen bei Arbeit und Sozialem sind. Die Betroffenen
jedenfalls haben davon nichts.
Konkret vermisse ich echten Gestaltungswillen zur
Verhinderung von Armut. Keiner darf gezwungen sein,
sein Einkommen oder seine Rente durch das Sammeln
von Leergut aus Mülltonnen aufzubessern, wie wir es
tagtäglich immer häufiger an den S-Bahn-Stationen erleben können. Aber dafür muss man erst einmal S-BahnStationen aufsuchen und darf die Augen nicht vor der
Realität verschließen.
Um auf die Alleinerziehenden zurückzukommen: Es
verwundert sehr, dass Alleinerziehende mit gemeinsamem Sorgerecht von den Bonusmonaten des ElterngeldPlus ausgeschlossen werden sollen. Dies läuft dem im
letzten Jahr hier in diesem Haus verabschiedeten Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge völlig zuwider.
Auch die sogenannte Klarstellung bei den Mehrlingsgeburten bedarf einer Richtigstellung. Es sollte doch so
sein, dass pro Kind ein Elterngeldanspruch besteht und
nicht pro Geburt. Die jetzige Klarstellung soll unter Ausschluss von Elterngeldansprüchen 100 Millionen Euro
sparen. Sparpolitik ist aber verfehlte Familienpolitik.
Und warum immer bei der Familie? Ich kenne da ganz
andere Politikfelder. Aber der Verteidigungsetat steht
heute nicht auf der Tagesordnung.
Gewalt gegen Frauen ist ein weiterer wesentlicher
Punkt. Nach wie vor ist ungeklärt, wie die bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern aussehen soll.
Die Linke fordert nach wie vor einen Rechtsanspruch
auf Schutz und eine bundeseinheitliche Finanzierung.
Ich will nur drei Beispiele nennen, um die Dramatik zu
verdeutlichen. 2005 gab es in Bayern jährlich noch
knapp 13 000 Fälle häuslicher Gewalt. 2013 waren es
schon 20 000, 80 Prozent davon weibliche Opfer. In
34 Prozent der Fälle mussten Kinder Gewalt miterleben
oder waren Zeugen der Gewalt. In Köln gibt es gerade
einmal zwei Frauenhäuser mit 46 Betten. Jährlich werden 1 000 Frauen mit ihren Kindern wegen Überfüllung
abgewiesen. In Heilbronn dürfen Frauenhäuser von Gewalt betroffene Frauen nicht mehr aufnehmen, wenn sie
aus Nachbargemeinden kommen, und zwar aus Kostengründen. Das muss beendet werden. Hier muss Abhilfe
her.
({6})
Frau Ministerin Schwesig, Sie haben angekündigt,
dass Sie sich stark bei den Ländern einbringen werden,
um zu einer Lösung zu kommen. Da wir schon einmal
bei den Ländern sind: Der Aufbau der Strukturen in den
Ländern hinsichtlich Beratungsangeboten der Antidiskriminierungsstelle müsste dringend fortgeführt werden. Dafür braucht Frau Lüders mehr Geld. Ich frage
Sie: Warum wird ihr das nicht zur Verfügung gestellt?
Zum Rechtsextremismus wird mein Kollege gleich
bestimmt noch Ausführungen machen. Ich weiß nur: Die
1,5 Millionen Euro Aufwuchs reichen jetzt nicht aus.
50 Millionen Euro wären eigentlich notwendig gewesen.
Ich denke, wir alle wissen, an welcher der Regierungsparteien dieser Ansatz gescheitert ist. Manchmal hat
man eben Pech mit Partnern. Aber: Am Ende wird alles
gut, und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das
Ende. - Oscar Wilde.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Manuela
Schwesig.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Ohne Moos nix los. - In meiner Einbringungsrede habe ich zitiert, wie Jugendliche
ihren Finanzbedarf in knapper Form formulieren. Wenn
es ihnen dann gelungen ist, den Eltern ein paar Euro Taschengeld zusätzlich abzuhandeln, schreiben sie vielleicht eine kurze SMS: THX. Thanks. Danke.
So kurz will ich es mit Ihnen nicht machen. Ich
möchte mich hier ganz herzlich bedanken. Danke an die
Haushälterinnen und Haushälter und auch an die Fachpolitiker für die konstruktive Diskussion, die konstruktiven Verhandlungen und die Unterstützung für den Haushalt meines Ressorts. Uns ist ein Haushalt 2014
gelungen, der dafür sorgt, dass wir Gerechtigkeit für die
Generationen in Deutschland bieten können.
Unmittelbar vor der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss war ich beim Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag. Dort wurden Statements von Jugendlichen
vorgestellt, die mich sehr darin bestätigt haben, was ich
in diesem Haus als Zielsetzung meines Einzelplans vorgestellt habe: Generationengerechtigkeit. Die Jugendlichen wünschen sich ein gutes Ausbildungssystem, ein
gutes Bildungssystem, sie fordern mehr Fördermittel für
Chancengleichheit. Sie wollen vor allem gehört werden,
und sie wollen mitgestalten. Deshalb freue ich mich
sehr, dass der Haushaltsausschuss eine Mittelaufstockung in Höhe von 1 Million Euro zur Stärkung der Jugendverbandsarbeit beschlossen hat. Dieses Geld geht in
gute Hände, in die Hände der jungen Generation.
({0})
Jugendverbände sind Sprachrohr der Jugend in der
Öffentlichkeit. Jugendverbände tragen die Jugendarbeit
vor Ort, und das in einer unglaublichen Vielfalt: von der
Trachtenjugend bis zur Sportjugend, von den Pfadfindern bis zur Jugendfeuerwehr. Bei meinem Treffen mit
den Vertretern der Jugendverbände war ich beeindruckt,
dass wenige junge Leute für so viele junge Menschen in
unserem Land da sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir
mit zusätzlichen Mitteln diese Verbandsarbeit unterstützen können. Mein Ziel für die Verhandlungen zum Haushalt 2015 ist, dass das keine einmalige Sache war, sondern dass es uns gelingt, diesen Zusatzbetrag zu
verstetigen.
({1})
Denn die Jugendverbände sind ein wichtiger Partner für
mich und sicherlich auch für Sie in der Eigenständigen
Jugendpolitik.
Der Haushalt 2014 ist auch eine gute Basis, ein guter
Ausgangspunkt für Kinderpolitik. Alle Kinder haben ein
Recht auf Schutz, Beteiligung und individuelle Förderung. Wir stärken den Schutz mit der Bundesinitiative
„Frühe Hilfen“. Wir stärken die Bildung, indem wir
mehr Geld für die Sprachförderung in Kitas einsetzen.
Ein Schlüssel für gute Bildung ist frühkindliche Bildung.
Was in der Kita, der Kindertagespflege an Bildung vermittelt und erlebt wird, ist Grundlage für Chancengleichheit und gute individuelle Förderung von Anfang an.
Mit Sprachförderung fängt es an. In den nächsten Jahren investiert der Bund, wie versprochen, 6 Milliarden
Euro in die Bildungskette Kita - Schule - Hochschule.
Das ist wichtig. Das Geld, das wir im Kitabereich investieren werden, will ich im Dialog mit den Länderministern einsetzen. Deshalb haben wir uns zu einer Konferenz zum Thema „Qualität in der Kindertagesbetreuung“
für diesen Herbst verabredet. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam vorangehen, wenn es darum
geht, weitere Kitaplätze zu bauen und mit guter individueller Förderung für Bildung von Anfang an zu sorgen.
Herr Wunderlich, das ist die Antwort auf das Problem
der Kinderarmut. Das Hauptproblem bei der Kinderarmut ist doch, dass die Bildungschancen von Kindern
heute immer noch vom Geldbeutel der Eltern abhängen,
und damit muss Schluss sein. Da können wir mit guter
Bildungsinfrastruktur für eine Veränderung sorgen. Dieser Haushalt sorgt dafür, dass wir mehr Geld für Sprachförderung ausgeben. Wir werden zukünftig Kitas ausbauen, damit auch die alleinerziehende Verkäuferin für
ihr Kind einen Kitaplatz hat und so ihrem Job nachgehen
kann, um endlich aus der Armutsfalle herauszukommen.
Das ist gezielte Kinderarmutsbekämpfung.
({2})
Meine Damen und Herren, Chancengleichheit für
Kinder macht auch Familien stark. Starke Familien sind
wichtig für Kinder. Im Zentrum moderner Familienpolitik steht Partnerschaftlichkeit - Partnerschaftlichkeit in
der Familie, Partnerschaftlichkeit von Frauen und Männern und Partnerschaftlichkeit bei der Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. Heute gehen immer mehr Mütter einem Beruf nach, und immer mehr Väter wollen sich am
Familienleben beteiligen. Das Elterngeld ist für die Familien eine hochwirksame Leistung. Deshalb freue ich
mich, dass wir mit diesem Haushalt 470 Millionen Euro
mehr Elterngeld zur Verfügung stellen. Das ist eine gute
Botschaft für die Familien in Deutschland.
({3})
Und wir machen weiter mit dem ElterngeldPlus.
14 Prozent aller Paare mit kleinen Kindern teilen sich
partnerschaftlich Beruf und Familie, 60 Prozent wollen
es aber. Wir wollen diese Lücke zwischen Wunsch und
Wirklichkeit schließen. Ein wichtiger Schritt dahin ist
das ElterngeldPlus. Wir haben es schon verabredet, und
wir werden an dieser Stelle weitermachen. Der Gesetzentwurf ist beschlossen. Ich bin sicher, dass wir im Bundesrat und im Bundestag gute Beratungen haben werden.
Auch die Alleinerziehenden werden vom ElterngeldPlus
profitieren.
Vereinbarkeit ist aber auch ein Thema für Familien
mit pflegebedürftigen Angehörigen. Deshalb arbeiten
wir derzeit an einem Gesetzentwurf für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Wir werden die zehntägige Pflegeauszeit bezahlen und mit der Pflegereform
das Geld bereitstellen.
Meine Damen und Herren, Partnerschaftlichkeit ist
für mich auch ein Gleichstellungsthema. Gleichstellung
heißt, gleiche Rechte für Männer und Frauen endlich in
der Lebenswirklichkeit durchsetzen. Das, was im Grundgesetz steht, muss auch in der Lebenswirklichkeit der
Frauen ankommen. Insofern freue ich mich, dass wir in
der Ressortabstimmung zum Entwurf eines Gesetzes für
mehr Teilhabe von Frauen in Führungspositionen sind.
Wir werden mit dem ElterngeldPlus für mehr Partnerschaftlichkeit und damit für mehr Gleichstellung von
Frauen und Männern sorgen und gleichzeitig mit dem
Gesetz für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in
Führungspositionen für mehr Gleichstellung von Frauen
und Männern in Führungsetagen sorgen. Die Quote wird
kommen, und die Quote wird wirken.
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin damit schon
etwas weiter in der Zukunft, etwas weiter in der Legislaturperiode. Wir reden aufgrund der Wahlen und des Neuanfangs der parlamentarischen Arbeit relativ spät über
den Haushalt 2014; das wissen wir. Es ist sehr wichtig,
dass wir diesen Haushalt beschließen; denn die Träger
unserer Programme, unsere Partner und Zuwendungsnehmer, warten dringend darauf, auch die Träger von
wichtigen Programmen für Demokratie und Vielfalt, mit
denen ich im Gespräch darüber bin, wie wir das neue
Bundesprogramm ab 2015 auf die Beine stellen. Vor
dem Wunsch nach mehr Geld besteht hier vor allem der
Wunsch nach Verstetigung. Wir sind in guten Gesprächen.
Es warten aber auch diejenigen auf dieses Geld, auf
diesen Haushalt, deren Rechte als Kinder mit Füßen getreten worden sind. Das sind die Menschen, die in Heimen der ehemaligen DDR aufgewachsen sind. Das Unrecht, das diesen Menschen in der Vergangenheit
angetan wurde, kann man mit Geld nicht rückgängig machen. Aber Behandlung oder psychologische Beratung
können den Betroffenen helfen, heute ein besseres Leben
zu führen. Daran dürfen wir nicht sparen.
Mir als Vertreterin einer jüngeren Generation, die in
Ostdeutschland aufgewachsen ist und dann die Freiheit
im neuen Gesamtdeutschland nutzen konnte, ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass andere, die in der DDR gelitten
haben, mindestens Unterstützung bekommen. Deshalb
ist es gut, dass wir den Fonds für die Heimkinder aus der
DDR schon für dieses Jahr um 14,6 Millionen Euro aufgestockt haben und dies in den nächsten Jahren fortsetzen werden. Das ist eine Frage der Verantwortung, eine
Frage der Haltung, insbesondere im Jahr 25 nach dem
Mauerfall.
({5})
Ich sage dafür ausdrücklich Danke.
Ich finde es unredlich, Herr Wunderlich, dass Sie den
Kinderzuschlag gegen dieses Thema ausspielen. Sie wissen ganz genau, dass wir beim Kinderzuschlag nicht kürzen. Es handelt sich um Mittel, die nicht abfließen würden. Dass wir diese Mittel nicht in den Haushalt
schicken, sondern denjenigen geben, die als Kinder massives Unrecht erlebt haben, das ist Gerechtigkeit. Die
Kinder von heute gegen die Kinder von damals auszuspielen, ist unredlich. Dagegen wehre ich mich.
({6})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir arbeiten schon
am nächsten Haushalt. Mein Anliegen ist es dabei, in so
wichtigen Feldern wie der Engagementpolitik, der Arbeit für Demokratie und Vielfalt Programme zu bündeln
und nachhaltige Strukturen zu stärken. Auf jeden Fall
werde ich Ihnen einen Einzelplan 2015 vorlegen, der erneut das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt,
so wie wir es im Haushalt 2014 tun.
Gerechtigkeit für alle Generationen, Gleichstellung
von Männern und Frauen, Chancengleichheit für die
Kinder in diesem Land - das ist meine Haltung, das ist
meine Politik, und dafür ist der Haushalt 2014 eine gute
Grundlage.
Vielen Dank.
({7})
Als nächste Rednerin hat Katja Dörner jetzt das Wort.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Die Ministerin hat ihre Rede begonnen
mit: „Ohne Moos nix los.“ Ich muss leider sagen: Das ist
eine sehr passende Überschrift für den Etat des Familienministeriums.
({0})
Ende Mai ist eine wichtige Entscheidung gefallen,
und zwar eine Entscheidung, die weit über den Haushalt
2014 hinausreicht. Es hat endlich eine Einigung über die
Verteilung der 6 Milliarden Euro in dem sogenannten
Bildungspaket gegeben. Jetzt könnte man denken: 6 Milliarden Euro, das ist gar nicht so wenig Geld.
({1})
Wenn man aber sieht: über vier Jahre gestreckt, für alle
Bundesländer, von der Kita über die Schule bis zu den
Hochschulen, dann erkennt man: Es sind faktisch Peanuts.
({2})
Wenn man das mit den 10 Milliarden Euro vergleicht,
die die Rentenreform, die dieses Haus unlängst beschlossen hat, jedes Jahr kosten wird,
({3})
dann sieht man: Dieses Verhältnis stimmt überhaupt
nicht. Die Bundesregierung hat sich davon verabschiedet, tatsächlich in die Zukunft zu investieren.
({4})
Die 6 Milliarden Euro sind verteilt. Ich muss leider
sagen: Ministerin Schwesig ging als Verliererin vom
Feld. Gerade einmal 1 Milliarde Euro soll es für die Kitas zusätzlich geben, und diese Zusätzlichkeit ist tatsächlich noch nicht einmal gegeben; darauf komme ich noch
zu sprechen.
Für jede und jeden hier, die und der es wirklich ernst
meint mit der Verbesserung frühkindlicher Bildung, mit
mehr Chancengleichheit für alle Kinder von Anfang an,
ist diese Summe ein reiner Witz. Ministerin Schwesig
selber wollte 2 Milliarden Euro vom Kuchen haben. Was
hat sie bekommen? Nicht einmal die Hälfte! Ich finde,
das ist eine blamable Leistung.
Es ist noch nicht einmal 1 Milliarde Euro. Wie kommt
das? Die Einigung hinsichtlich der Verteilung der Mittel
besagt, dass das Sondervermögen auf bis zu 1 Milliarde
Euro aufgestockt werden soll. Laut Bundesregierung befinden sich in diesem Sondervermögen noch rund 450
Millionen Euro. Das würde heißen: Es gibt eine Aufstockung um 550 Millionen Euro.
Aber über die 450 Millionen Euro im Sondervermögen ist zu sagen: Das Geld ist zwar noch nicht ausgegeben, aber es ist bereits zu fast 100 Prozent bewilligt. Das
heißt, dieses Geld ist faktisch schon weg. Diese Rechnung „450 Millionen Euro plus 550 Millionen Euro im
Sondervermögen, das macht 1 Milliarde Euro“ ist eine
reine Milchmädchenrechnung, weil die 450 Millionen
Euro für zukünftige Investitionen gar nicht mehr zur
Verfügung stehen.
({5})
100 Millionen Euro soll es zusätzlich für die Qualitätsverbesserung in den Kitas geben, aber auch das erst
in 2017.
Ergebnis: Für den Kitabereich gibt es mitnichten
1 Milliarde Euro zusätzlich; es sind gerade einmal
650 Millionen Euro. Ich finde es wirklich ungeheuerlich,
wie mit dieser angeblichen 1 Milliarde Euro für die Kitas
Augenwischerei betrieben wird. Ich finde, das kann man
so nicht stehen lassen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
({6})
Die Vereinbarung für den Kitabereich ist eine Katastrophe, weil wir angesichts dieser mickrigen Summen
genau das nicht machen können, was wir eigentlich tun
müssten, nämlich tatsächlich in die Kitaqualität investie3644
ren. Ich nenne einmal das Stichwort „Bundesqualitätsgesetz“. Das wird in dieser Legislatur wohl nicht mehr
kommen.
Stattdessen bleibt uns das völlig unsinnige Betreuungsgeld erhalten, das uns schon jetzt jährlich eine halbe
Milliarde Euro kostet. Wir haben jetzt die ersten Studien
zu der Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahme bekommen, auch aus dem Familienministerium. Sie besagen
ganz klar: Das Betreuungsgeld verschärft die Bildungsungleichheit in unserem Land. Deshalb ist für uns Grüne
ganz klar: Wir Grüne wollen das Betreuungsgeld abschaffen und stattdessen in Kitas und frühkindliche Bildung investieren. Wir wollen tatsächlich Ernst machen
mit guter Bildung für alle Kinder von Anfang an.
({7})
Ich möchte noch auf zwei Vorhaben eingehen, die uns
in Form von Gesetzgebung ins Haus stehen. Seit Freitag
letzter Woche - die Ministerin hat es angesprochen - ist
der Referentenentwurf eines Gesetzes in der Welt für
eine Frauenquote in Aufsichtsräten. Ich finde es natürlich gut, dass es endlich zu einer gesetzlichen Regelung
kommt. Wir alle wissen, dass die freiwilligen Vereinbarungen nichts gebracht haben. Aber eine 30-ProzentQuote und die nur für börsennotierte Unternehmen, das
heißt für insgesamt 101 Unternehmen, ist wirklich kein
großer Wurf. Wir Grüne haben gestern in der Fraktion
einen eigenen Gesetzentwurf beschlossen, der eine 40Prozent-Quote, und zwar auch für mitbestimmungspflichtige Unternehmen, vorsieht. Wenn wir Grüne von
Gleichstellung von Frauen sprechen, dann bleiben wir
nicht auf halber Strecke stecken.
({8})
Zweiter Punkt: das ElterngeldPlus. Auch hier ist es
gut und überfällig, dass die Ungerechtigkeit beseitigt
wird, dass Eltern, die zeitnah nach der Geburt des Kindes Teilzeit arbeiten, weniger vom Elterngeld profitieren
als Eltern, die eher die klassische Rollenaufteilung wählen. Aber an einer entscheidenden Stelle wird eine andere Gerechtigkeitslücke gerade nicht geschlossen, und
zwar bei der Anrechnung des Elterngeldes auf das
ALG II. Auch Eltern im ALG-II-Bezug haben ein Anrecht auf eine Schonzeit nach der Geburt ihrer Kinder.
Die Anrechnung des Elterngeldes muss wieder zurückgenommen werden. Auch das muss im Zusammenhang
mit dem ElterngeldPlus thematisiert und diskutiert werden.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Ich
bin wirklich froh, dass das unsägliche Anti-Linksextremismus-Programm vom Tisch ist. Wir kennen alle den
Evaluierungsbericht des Deutschen Jugendinstituts aus
2013, wonach die daraus geförderten Projekte als einseitig, methodisch schwach und stark gesteuert bezeichnet
worden sind. Es ist aus unserer Sicht absolut richtig,
wieder den Fokus darauf zu richten, wo der Schuh tatsächlich drückt.
Letzte Woche haben wir den Verfassungsschutzbericht bekommen. Dieser Bericht zeigt die erschreckende
Tatsache auf, dass die rechtsextreme Gewalt gegenüber
2012 um 20 Prozent gestiegen ist. An diesem Punkt
müssen wir beherzt handeln. Ich erwarte, dass die Ministerin das umsetzt, was sie angekündigt hat, nämlich die
Mittel gegen Rechtsextremismus relevant aufzustocken
und zu verstetigen. Auch hier, Frau Ministerin, haben
wir uns über Ihre Ankündigungen gefreut. Aber auch
hier gilt: An Ihren Taten werden wir Sie messen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Alois Rainer für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir blicken auf sehr konstruktive Gespräche und Beratungen für den Bundeshaushalt 2014 zurück. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei unseren Koalitionären für die gute Zusammenarbeit in den
Beratungen ganz besonders bedanken.
({0})
- Bitte.
Wir haben seit langem - um es genau zu sagen, seit
1969; damals noch unter dem CSU-Finanzminister
Franz Josef Strauß - erstmals wieder die Möglichkeit,
für die kommenden Jahre ab 2015 einen Haushalt ohne
Neuverschuldung vorzulegen und sogar Überschüsse zu
erzielen. Dies ist gerade für die junge Generation in unserem Land von sehr großer Bedeutung. Dass man gute
Politik trotz Haushaltskonsolidierung machen kann,
zeigt der vorliegende Entwurf zum Haushalt 2014. Auf
der einen Seite sparen wir, und auf der anderen Seite investieren wir in diejenigen, die uns am wichtigsten sind,
nämlich in die Menschen und die Familien in Deutschland.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Familienpolitik ist auch Politik der Verantwortung. Dass wir Verantwortung übernehmen, machen wir sehr deutlich mit
den Ansätzen im Einzelplan 17, im Einzelplan des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist eine Politik
zu erkennen, die das Miteinander aller Generationen in
unserem Land fördert. Daher sprechen wir auch in diesem Jahr von Ausgaben in Höhe von circa 7,9 Milliarden
Euro. Dies macht deutlich, wie wichtig uns die Menschen und insbesondere die Familien in unserem Land
sind.
({1})
So haben wir den größten Posten im Einzelplan 17,
nämlich das Elterngeld, nochmals erhöht, und zwar um
470 Millionen Euro auf 5,37 Milliarden Euro. Damit
bleibt das Elterngeld nach wie vor ein sehr wichtiges Instrument im Rahmen unserer Verantwortung gegenüber
den Familien in Deutschland.
({2})
Darüber hinaus ist es eine wesentliche Unterstützung für
Familien nach der Geburt eines Kindes. So fängt das Elterngeld einen Einkommenswegfall auf, wenn Eltern
nach der Geburt für ihr Kind da sein wollen und ihre berufliche Arbeit unterbrechen oder einschränken. Dass es
gut ist, das Elterngeld nochmals zu erhöhen, zeigt die
positive Entwicklung bei den Geburtenzahlen in
Deutschland. Auch freut es mich sehr, dass immer mehr
Väter die Möglichkeit nutzen, ihre Kinder in den ersten
Lebensmonaten intensiv zu begleiten. Dieser gesellschaftliche Wandel ist gut; er zeigt zugleich, dass das
Angebot von den Familien angenommen wird.
({3})
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass Eltern
und junge Familien die Möglichkeit haben, selbst über
die Betreuungs- und Erziehungsaufgaben in der Familie
oder im privaten Umfeld zu entscheiden. So war es auch
richtig, dass wir das Betreuungsgeld im Familienetat
umgesetzt haben.
({4})
- Nein, das haben wir schon davor gemacht. - Gerade
diese Wahlfreiheit ist es, die den Menschen in unserem
Land das Selbstvertrauen schenkt, mehr Verantwortung
zu übernehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
mir ist bekannt, dass Sie gute Nachrichten für die Regierungsfraktionen gerne übersehen oder auch überhören.
Daher nehme ich mir gerne Zeit, Sie nicht über die neuesten analytischen Auswertungen des Statistischen Bundesamts vom Juni 2014 im Unklaren zu lassen. Es gab
bekannt, dass das Betreuungsgeld bereits im ersten
Quartal 2014 für knapp 146 000 Kinder abgerufen
wurde. Allein diese Zahl belegt ausdrücklich den Erfolg
des Betreuungsgeldes.
({5})
Weil das so ist, haben wir den entsprechenden Ansatz
um 460 Millionen Euro auf jetzt 515 Millionen Euro angehoben.
Es freut mich, dass die zusätzlichen Zuweisungen an
die Conterganstiftung in Höhe von 120 Millionen Euro
verstetigt worden sind. Damit wird sichergestellt, dass
die Leistungen für Contergangeschädigte in Form der
Conterganrenten und medizinischen Hilfen weiter erbracht werden können.
Ein Punkt, der mir besonders am Herzen liegt, ist der
Bundesfreiwilligendienst. Hier engagieren sich Frauen
und Männer für das Allgemeinwohl in unserer Gesellschaft. Es war wichtig, dass es uns gelungen ist, dafür zu
sorgen, dass die wertvolle Arbeit, die Freiwillige in
Deutschland leisten, fortgesetzt werden kann. Damit
senden wir ein wichtiges Signal an alle Freiwilligen, und
wir machen deutlich, dass ihr Dienst geschätzt wird und
es nicht nur um bloße Zahlen geht. Ich bin froh, dass wir
dieses Ziel erreicht haben und wir auch künftig jedem,
der einen Freiwilligendienst antreten möchte, dies ermöglichen können.
({6})
Auch freue ich mich sehr - die Ministerin hat es
schon angesprochen -, dass wir in der Bereinigungssitzung zusammen mit unserem Koalitionspartner 1 Million Euro mehr für die Jugendverbandsarbeit in
Deutschland durchsetzen konnten. Oft sind es die Jugendverbände vor Ort, die ehrenamtliches Engagement
zeigen, sich selbst organisieren und einen unverzichtbaren Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung
leisten.
({7})
Zum Schluss möchte ich ein Thema ansprechen, das
mich derzeit besonders bewegt, nämlich die künftige finanzielle Ausstattung der Mehrgenerationenhäuser.
Dazu wurde im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir
ein Konzept entwickeln, um die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser nach dem Wegfall der ESF-Mittel
im Haushalt zu verstetigen. Mit den Mehrgenerationenhäusern, die die Potenziale aller Generationen im Querschnitt der Gesellschaft fördern, haben wir eine innovative Antwort auf die demografischen Herausforderungen
geschaffen.
In diesen Mehrgenerationenhäusern werden das Wissen und die Kompetenzen aller Generationen unter einem Dach zusammengeführt. Junge Menschen lernen
hier von älteren gegenseitige Rücksichtnahme, aber auch
Toleranz und Verantwortung. Für Seniorinnen und Senioren bietet sich durch die Begegnungen und den Austausch mit Jüngeren die Gelegenheit, Neues zu entdecken und sich aktiv einzubringen.
Mit dieser Vielzahl und Vielfalt an generationenübergreifenden Angeboten und Aktivitäten prägen gerade
diese Häuser, diese Einrichtungen ein positives Altersbild in der Gesellschaft und leisten ihren Beitrag zu einem zukunftsorientierten Umgang mit den gesellschaftlichen Herausforderungen des demografischen Wandels.
({8})
Von daher ist es aus meiner Sicht dringend notwendig,
dass wir die Ende 2014 wegfallenden europäischen Fördermittel ab dem Jahr 2015 im Haushalt verstetigen.
({9})
Wir können und wir dürfen die Kommunen und die Betreiber der Mehrgenerationenhäuser nicht im Regen stehen lassen.
Insgesamt kann man festhalten, dass die Mittel im
Einzelplan 17 gut investiert sind. Natürlich gibt es auf
der einen oder auf der anderen Seite immer noch Wünsche - das ist normal -, aber das große Ziel für die Zukunft - wie schon eingangs gesagt -, einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden aufzustellen, ist
gerade für unsere nachfolgende Generation wichtig, und
daran wollen und werden wir auch in Zukunft festhalten.
Herr Wunderlich, die Frau Ministerin hat Ihnen schon
gesagt, dass der Kinderzuschlag nicht gekürzt worden
ist. Er wurde einfach nicht in der entsprechenden Höhe
abgerufen.
({10})
Diese Mittel waren frei und wären an den Bundeshaushalt zurückgeflossen. Hätten wir den Bundesfreiwilligendienst einfach so unberücksichtigt oder die Heimkinder Ost entsprechend unversorgt lassen sollen? Es war
schlichtweg einfach nicht richtig, was Sie gesagt haben.
({11})
Dies wollte ich zum Abschluss noch sagen. Ich liege
noch gut in meiner Zeit. Ich hoffe, diese Zeit wird mir irgendwann einmal gutgeschrieben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Zumindest für Haushaltsdebatten haben wir dafür
klare Regeln, dass das in den Fraktionen entsprechend
ausgeglichen wird.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike
Gottschalck das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Familienministerium ist das Gesellschaftsministerium. Für unseren Etat sind knapp 8 Milliarden
Euro vorgesehen. Von diesen 8 Milliarden Euro werden
88 Prozent für wichtige gesetzliche Leistungen wie Elterngeld, Unterhaltsvorschuss oder auch Zuweisungen
für die Conterganstiftung ausgegeben. Sehr viele Menschen in unserem Land profitieren von diesem Etat.
Von Gleichstellung und Chancen für unsere Kinder
über mehr Partnerschaftlichkeit in der Familie bis hin zu
einer Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements
oder eines aktiven und selbstbestimmten Alterns: Am
Etat des Ministeriums für Familie, Frauen, Senioren und
Jugend hängen wichtige Gestaltungsaufgaben von unschätzbarem Wert und von hoher Bedeutung für unser
Land und unsere Gesellschaft.
Mit dem Haushalt 2014 haben wir erste große Schritte
unternommen, um unseren gesellschaftlichen Auftrag,
den wir auch im Koalitionsvertrag verankert haben, umzusetzen. Die Haushälter haben den Entwurf in den letzten Wochen noch ein wenig optimiert. Ich denke, wir
können heute feststellen: Diesem Haushalt können wir
ruhigen Gewissens und sehr zufrieden zustimmen.
({0})
Ich möchte kurz auf einige Punkte eingehen, weil die
Kritik geäußert wurde, wir würden viel zu wenig machen. Ich will an dieser Stelle betonen, Frau Dörner:
6 Milliarden Euro als Peanuts zu bezeichnen - ich finde,
das ist schon ziemlich peinlich.
({1})
Wir alle haben leider keine Gelddruckmaschine. Außerdem waren die Anträge der Grünen nicht wirklich gegenfinanziert.
({2})
- Es gibt einen Spruch: Wer schreit, hat unrecht.
Es gibt wichtige Punkte. Zum Beispiel wird der Mittelansatz für die Qualifizierungsoffensive erhöht. Außerdem investieren wir in die frühkindliche Bildung. In diesem Bereich werden wir in Zukunft noch viel mehr
Mittel einsetzen; die Ministerin hat das eben ausgeführt.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das eingehen, was Herr Wunderlich zum Kinderzuschlag gesagt
hat: Das ist keine Leistungskürzung. Das sagte auch
schon der Kollege Alois Rainer. Im Topf war einfach
noch Geld, weil es weniger Fälle gab. Es ist nicht so,
dass es weniger Alleinerziehende gibt, aber es gab weniger Fälle, und deswegen war in dem Topf „Kinderzuschlag“ noch Geld vorhanden. Dieses Geld haben wir
gesichert, um es für den BFD und für den Fonds „Heimkinder Ost“ einzusetzen. Ich gebe der Ministerin ausdrücklich recht: Man darf die Kinder von heute nicht gegen diejenigen ausspielen, die in der DDR Heimkinder
waren. Das ist einfach unsäglich.
({3})
Ich habe offensichtlich ein vollkommen anderes Weltbild als die Linke. Wenn man Ihnen zuhört, könnte man
den Eindruck gewinnen, dass in ganz Deutschland nur
arme, dramatisch finanzschwache Familien wohnen.
({4})
Es gibt viele Menschen, die unter wirklich schwierigen
Umständen leben, und es gibt zu viel Kinderarmut. In
Deutschland gibt es aber auch ganz viele Familien, in
denen beide Elternteile arbeiten und ganz gut verdienen.
Trotzdem müssen sie zusehen, dass sie ihr Familienleben
organisiert bekommen. Auch für diese Familien sind wir
und das Ministerium zuständig.
({5})
Wir müssen diese Leute motivieren, nach Möglichkeit
noch mehr Kinder zu bekommen. Das ist wichtig für die
Sozialkassen, damit auch in Zukunft Menschen gefördert werden können.
({6})
Vielen Menschen helfen wir im Übrigen auch mit dem
Mindestlohn. Ich denke, das ist der beste Weg, um zukünftig Kinderarmut zu verhindern.
({7})
Wir haben an dem Gesetzentwurf gefeilt und dabei
viel erreicht. Meinem geschätzten Kollegen Alois Rainer
und mir war die Jugendverbandsarbeit besonders wichtig. Wir konnten 1 Million Euro mobilisieren. Außerdem
konnten wir erreichen, dass der Bundesfreiwilligendienst seine wichtige Aufgabe weiter ausüben kann. In
diesem Bereich gab es aufgrund eines Fehlers der Vorgängerregierung leider eine Finanzierungslücke. Wir haben das im Haushaltsausschuss zurechtgerückt. Daher
kann der beliebte Bufdi auf bewährtem Niveau fortgeführt werden.
In wunderbarer Zusammenarbeit mit dem Familienministerium und dem Finanzministerium haben wir den
Fonds für die Heimkinder Ost aufgefüllt, weil das ein
wirklich wichtiges Thema ist. Das haben wir im Koalitionsvertrag versprochen, und wir haben Wort gehalten.
Ich denke, das ist eine ganz wichtige Botschaft.
({8})
Während wir in dieser Woche den Haushalt 2014 verabschieden, beginnen bereits die Arbeiten am Bundeshaushalt 2015. Erlauben Sie mir daher einen kleinen
Ausblick: In diesem Haushalt wird es Veränderungen geben. Ich nenne das ElterngeldPlus, das die partnerschaftliche Erziehung von Kindern zukünftig noch stärker fördern wird. Ich will aber auch mit den Problemen nicht
hinterm Berg halten - diesbezüglich schließe ich mich
ausdrücklich den Ausführungen meines Kollegen Alois
Rainer, der das eben verdeutlicht hat, an -: Wir brauchen
Geld für die Mehrgenerationenhäuser, weil sie für uns in
Deutschland sehr wichtig sind.
({9})
An die Adresse von Steffen Kampeter richte ich die
Bitte, diese Forderung in den Beratungen aufzunehmen;
denn bisher verliefen die Verhandlungen nicht ganz so
erfreulich, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir erwarten schon, dass es zu der Verstetigung, die im Koalitionsvertrag steht, kommt.
Im Einzelplan 17 sind auch die Mittel für das BAFzA,
das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche
Aufgaben, zu finden. Hier müssen wir im Haushalt 2015
einen Blick auf die Evaluierung im Zusammenhang mit
den übertragenen Aufgaben werfen. Das BAFzA hat
sehr viele Stellen mit kw-Vermerken, inzwischen aber
25 wichtige Aufgaben übertragen bekommen, zum Beispiel das Hilfetelefon für Frauen in Not. Immerhin rufen
da, obwohl es ein neues Angebot ist, täglich schon
130 Frauen, die professionell beraten werden, in höchster Not an. Ich denke, dass wir darauf einmal genau
schauen müssen. Über die Stellen wurde damals im
Haushaltsausschuss ausführlich beraten. Man kam dann
zu dem Schluss, dass da gekürzt werden muss. Inzwischen ist es aber so, dass das BAFzA wichtige Aufgaben
übernommen hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns allen ist
bewusst, dass in einem Haushalt mit 88 Prozent Pflichtleistungen nur noch wenig zu schaffen ist. Trotzdem
möchte ich mich ausdrücklich bei der Ministerin und ihrem Team bedanken; denn sie haben es hinbekommen,
trotz aller Finanzzwänge auch in diesem Haushalt ihre
Duftmarken zu setzen, ein beeindruckendes Tempo vorzulegen und viel Tatkraft zu beweisen. Ich denke, das
war richtig gut. Auch für die gute und gedeihliche Zusammenarbeit möchte ich mich im Namen der SPDFraktion hier recht herzlich bedanken.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Redezeit ist um. Deswegen will ich nur noch sagen: Der
Haushalt 2014 ist eine solide Grundlage für eine zukunftsweisende Gesellschaftspolitik. Daher bitte ich um
die Zustimmung aller hier im Hause. Vielleicht kann die
Opposition über ihren Schatten springen.
Danke schön.
({11})
Nun hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, ich glaube, ich muss etwas Wasser in
den Wein gießen. Das wird Sie aber nicht überraschen.
Im Vorwort Ihres Haushaltes steht geschrieben, Deutschland sei ein familienfreundliches Land. Ich sage Ihnen:
Nein, das stimmt nicht, Deutschland ist kein familienfreundliches Land. Mit dieser Aussage stehe ich auch
nicht allein da, sondern die Mehrheit der Bevölkerung
teilt diese Meinung.
In der letzten Studie der Stiftung für Zukunftsfragen
bejahten nur 15 Prozent der Befragten die Aussage,
Deutschland sei kinderfreundlich. Damit rangiert
Deutschland im europäischen Vergleich auf dem allerletzten Platz. Das hat die Presse genüsslich ausgeschlachtet; denn in Dänemark - das Land ist Spitzenreiter - stimmten 90 Prozent der Befragten der Aussage zu,
ihr Land sei kinderfreundlich.
In der Presse wurde - das ist das eigentlich Interessante - allerdings nicht reflektiert, dass es zwei Jahre zuvor eine ähnliche Umfrage gab. Damals waren in
Deutschland - das ist immer noch ein katastrophaler
Wert - immerhin 21 Prozent - also 6 Prozentpunkte
mehr - der Auffassung, Deutschland sei kinderfreundlich. Somit haben wir einen rückläufigen Trend. Eigent3648
lich sollte dieser Trend durch die Politik umgedreht werden. Zumindest war das der politische Wille.
So wurde 2007 zum Beispiel - auch damals von einer
Großen Koalition - per Gesetz das Elterngeld eingeführt
und das Erziehungsgeld abgeschafft. Auch in diesem
Haushalt stehen wieder über 5 Milliarden Euro dafür zur
Verfügung. Ziel dieses Gesetzes war aber explizit, die
Geburtenrate anzuheben. Dieser Effekt ist eben nicht
eingetreten. Es gibt heute genauso viele Geburten in
Deutschland wie im Jahr 2007. Herr Kollege Rainer, ich
weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen. Ich kann
nämlich den von Ihnen genannten Trend aus der Statistik
nicht herauslesen. Kinderfreundlicher ist das Land in
den Augen der Bevölkerung auch nicht geworden.
Genauso verhält es sich mit dem Kitaausbau. Er ist
eine Notwendigkeit, reicht aber bei weitem nicht aus, die
selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Genauso notwendig
ist eine gute Betreuung in den Kitas. Weiter ist es notwendig, dass die Kitas Öffnungszeiten haben, die mit
den Arbeitszeiten der Eltern übereinstimmen. Die Qualität ist eben genauso wichtig.
Statt an diesen Dingen bzw. an den realen Problemen
zu arbeiten, haben Sie auf Betreiben der CSU das Betreuungsgeld - die „Herdprämie“ - eingeführt und finanzieren es mit über 500 Millionen Euro pro Jahr.
({0})
Dagegen läuft eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, eingereicht vom SPD-geführten Hamburger Senat. Im Bundestag gibt es eine breite Mehrheit - sie umfasst Linke, Grüne und SPD sowie wahrscheinlich auch
Teile der CDU - gegen diese Familienförderung aus dem
letzten Jahrhundert.
({1})
- Vorletzten Jahrhundert!
({2})
Ich bin der Meinung, dass es an der Zeit ist, die Frage zu
stellen, was in Deutschland trotz der Sozialleistungen,
die zur Verfügung gestellt werden, schiefläuft, und warum sich an der Einstellung Kindern gegenüber nicht
viel geändert hat.
Ich bin davon überzeugt, dass sich auch in den kleinen und ganz banalen Dingen im Alltag etwas ändern
muss. Ich glaube, alle, die Kinder haben, wissen, wovon
ich spreche. Wer zum Beispiel einmal mit einem Kinderwagen in einen ICE eingestiegen ist, weiß, was ich
meine. Man muss schon sehr sportlich sein, um in den
Zug hineinzukommen, und wenn man es geschafft hat,
ist man sozusagen geparkt, weil man mit dem Kinderwagen nicht weiterkommt; denn er passt nicht durch die
Gänge. Diese Liste von Beispielen könnte ich beliebig
lange fortsetzen. Wie gesagt, Sie alle kennen das.
In Deutschland wird meines Erachtens Gesellschaft
viel zu wenig aus dem Blickwinkel von Kindern, Familien oder Schwangeren betrachtet. Wenn über Kinder gesprochen wird, ist immer die Rede von Problemen und
davon, dass Kinder zu viel kosten, dass die persönliche
Freiheit eingeschränkt ist, dass die Karriere durch Kinder behindert wird oder dass Kinder zu laut sind. Solche
Einstellungen können sich auch ganz schnell zu echten
Mauern auftürmen, wie zum Beispiel in Berlin, wo ein
Investor tatsächlich eine 5 Meter hohe Mauer errichten
ließ, um den Lärm des angrenzenden Kinder- und Jugendzentrums von seinen neu errichteten Eigentumsvillen fernzuhalten. Ich nenne hier dieses Beispiel, weil es
für mich ein Paradebeispiel dafür ist, wie sich Kinderunfreundlichkeit im Alltag manifestiert.
Frau Ministerin, ich vermisse in Ihrem Haushalt die
innovativen Elemente. Sie schreiben tatsächlich nur den
alten Haushalt von Kristina Schröder fort. Sie haben
aber selbst formuliert, dass Sie eine moderne Familienpolitik und eine gute Kinderpolitik machen wollen. Dazu
benötigen wir in Deutschland aber zuallererst ein kinderfreundliches Klima. Die 500 Millionen Euro, welche
jetzt für das Betreuungsgeld ausgegeben werden müssen, wären meines Erachtens besser für Maßnahmen geeignet, mit denen positive Anreize für Kinderfreundlichkeit geschaffen werden.
Man könnte das Geld aber auch dafür verwenden,
Kinderarmut zu bekämpfen - das ist hier schon mehrfach angesprochen worden, Frau Kollegin Gottschalck -,
aber dieses Wort kommt ja leider im Koalitionsvertrag
nicht vor. Kinderarmut existiert aber real. 2,5 Millionen
Kinder in Deutschland sind von Kinderarmut bedroht
oder leben in Kinderarmut. Wir Linke haben konkret dazu
einen Antrag vorgelegt. Seine Umsetzung würde 500 Millionen Euro kosten; das wären genau die 500 Millionen
Euro für das Betreuungsgeld. Wir schlagen vor, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten, die Grenze von 72 Monaten Bezugsdauer und die Altersgrenze von zwölf Jahren aufzuheben. Das wäre ein ganz konkreter Vorschlag,
um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von
der Koalition, Frau Ministerin, dieser Haushalt ist zukunftsunfähig. Er tut nichts gegen die Kinderunfreundlichkeit in Deutschland, auch nichts gegen die Kinderarmut. Aus diesen Gründen können wir diesem Etat in der
Form nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin
Nadine Schön das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In diesen
Tagen kommen wir wegen der Fußballweltmeisterschaft
in Brasilien auch in unserem Land nicht so ganz um das
Thema Fußball herum, gerade in der Woche, in der
Nadine Schön ({0})
Deutschland noch ein wichtiges Vorrundenspiel hat. Ich
bin hier im Parlament bestimmt nicht die Erste, die einen
Fußballvergleich heranzieht. Die aktuellen Haushaltsdebatten sind gerade dazu prädestiniert, sie mit dem bekannten Spruch von Sepp Herberger zu vergleichen
({1})
- genau, Herr Wunderlich hat es schon gesagt -: Nach
dem Spiel ist vor dem Spiel.
({2})
Während wir Mitte des Jahres 2014 den Haushalt für
2014 verabschieden, finden parallel bereits die Vorberatungen für den Haushalt 2015 statt. Deshalb will ich in
meiner Rede nicht nur über den Haushalt 2014 reden,
sondern schon einen kleinen Ausblick auf das geben,
was wir im nächsten Jahr in der Großen Koalition an familienpolitischen Maßnahmen planen, was die zukünftigen Schwerpunkte der Familienpolitik sein werden.
Wir haben in der Großen Koalition drei Ziele. Wir
wollen erstens mit unserer Politik den Zusammenhalt in
der Gesellschaft stärken. Wir wollen zweitens, dass Familie in Deutschland gelebt werden kann. Wir wollen
drittens, dass dort Hilfe geleistet wird, wo Hilfe gebraucht wird, dass wir die Menschen, die in Not sind, an
der richtigen Stelle unterstützen. Der Haushalt 2014
spiegelt genau diese Bemühungen wider.
Beginnen wir mit dem Thema Zusammenhalt der Gesellschaft. Es ist natürlich sehr schwer, dies in Haushaltszahlen abzulesen. Einen Zusammenhalt in Haushaltszahlen auszudrücken, ist ein Widerspruch in sich.
Aber es gibt auch in diesem Haushalt ein paar Punkte,
die belegen, dass das Miteinander der Menschen in unserem Land auch für uns in Berlin ein wichtiges Anliegen
ist. Nehmen wir das Thema Bundesfreiwilligendienst;
Frau Pahlmann wird darauf nachher noch näher eingehen. Dass sich in den letzten drei Jahren 128 000 Menschen in Deutschland freiwillig in den Dienst der Sache
gestellt und sich ein halbes Jahr oder ein Jahr lang für
andere Menschen eingesetzt haben, ist wirklich eine hervorragende Leistung. Das gilt vor allem dann, wenn man
sich vor Augen führt, mit welchen Kommentaren die
Einführung des Bundesfreiwilligendienstes vor drei Jahren begleitet wurde. Damals haben viele gesagt: Das
wird nichts. Kein Mensch macht den Bundesfreiwilligendienst. Das wird ein Flop. - Der Bundesfreiwilligendienst ist ein Riesenerfolgsmodell; wir können stolz darauf sein. Ich bin froh, dass wir auch in diesem Jahr die
notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, damit die freiwillig Dienstleistenden ihre Arbeit aufnehmen können.
({3})
Ein weiterer Punkt ist das Thema Jugendarbeit; heute
Abend sitzen ja viele junge Menschen auf der Zuschauertribüne. Die Jugendarbeit werden wir noch stärker unterstützen, als es bisher der Fall war. Es fließt schon sehr
viel Geld in die Förderung ehrenamtlicher Strukturen,
die durch eine gewisse hauptamtliche Basis unterstützt
werden. Deshalb haben wir den Ansatz für die Jugendverbandsarbeit um 1 Million Euro aufgestockt.
Aber Geld ist eben nicht alles, sondern zu Geld gehört
auch Anerkennung. Deshalb will ich an dieser Stelle die
Gelegenheit nutzen, um auf den Deutschen Engagementpreis hinzuweisen. Ende des Monats läuft die Bewerbungsphase aus. Auf der Homepage zum Deutschen Engagementpreis findet man viele nützliche Informationen
zum ehrenamtlichen Engagement. Mit diesem Preis wird
das Ehrenamt nicht nur finanziell unterstützt - das ist
ganz gut und ganz nett -, sondern vor allem auch ideell.
Unsere Politik gilt den Ehrenamtlichen. Das gilt sowohl
für den Haushalt als auch im täglichen Leben.
Der zweite wichtige Punkt neben dem Zusammenhalt
der Gesellschaft ist, dass Familie gelebt werden kann;
dazu haben die Kollegen schon viel gesagt. Familie ist
ein Wert, der auch von jungen Menschen wieder als
wichtig erachtet wird; das besagen die Ergebnisse aller
aktuellen Studien und Umfragen. Ich finde, es ist eine
schöne Entwicklung, dass Familie wieder wichtiger
wird.
Kollege Leutert, ich war ganz überrascht über Ihre
Ansätze im Bereich der Familienpolitik und darüber,
dass Sie das wichtige Thema Familienfreundlichkeit in
den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt haben. Sonst heißt es
vonseiten der Linken ja immer: Wir brauchen mehr
Geld! - Dabei geben wir in Deutschland für die Familienpolitik mehr Geld aus als alle anderen europäischen
Länder. Allerdings haben wir das Problem, dass
Deutschland als nicht familienfreundlich genug wahrgenommen wird. Wir dürfen nicht nur auf das Geld
schauen, sondern müssen uns auch fragen: Was können
wir darüber hinaus tun, um familienfreundlicher zu werden? Das ist ein guter Ansatz, über den wir schon öfter
diskutiert haben. Ich bin froh, dass wir jetzt auch die
Linken auf unserer Seite haben. Über diesen Punkt können wir sehr gerne weiter diskutieren.
({4})
Wir unterstützen Familien mit kleinen Kindern durch
das Elterngeld und das Betreuungsgeld. Mittlerweile
fließen 5,8 Milliarden Euro in diese Projekte. Zum
ElterngeldPlus führen wir gerade Beratungen durch. Wir
werden das Elterngeld noch flexibler und partnerschaftlicher gestalten. Es ist unser großes Anliegen, das Erfolgsmodell Elterngeld für junge Familien noch attraktiver zu machen, damit es den Bedürfnissen junger
Familien genau entspricht.
Wir werden auch weiterhin die Kinderbetreuung stärken. Dabei geht es etwa um das Thema Sprachförderung
und um die Qualifizierungsoffensive. Dafür haben wir in
diesem Haushalt 126 Millionen Euro veranschlagt. Zu
sagen, der Bund halte sich bei diesem Thema heraus, ist
wirklich unwahr. Wir unterstützen die Kommunen und
die Länder bei der Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe.
Das werden wir auch weiterhin tun.
({5})
Nadine Schön ({6})
Wir werden auch unser Programm zu familienbewussten Arbeitszeiten fortführen. Herr Leutert, Sie haben recht: Familienfreundlichkeit muss sich in allen Bereichen der Gesellschaft zeigen, auch im Arbeitsleben.
Deshalb ist es richtig, dass die guten Projekte der letzten
Legislaturperiode mit Mitteln dieses Haushalts weitergeführt werden. Die Arbeitswelt ist im Hinblick auf die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiger
Punkt. Aber ich sage auch ganz klar an die Adresse der
Unternehmen: Es reicht nicht, nur flexible Arbeitszeiten
anzubieten. Auch die Strukturen in den Unternehmen
müssen sich ändern, und die Karrierewege müssen angepasst werden. Erst dann haben wir eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und echte Familienfreundlichkeit erreicht. Unser Gesetz zum Thema „Frauen in
Führungspositionen“ wird die eine oder andere Diskussion in den Unternehmen sicherlich noch einmal anregen
und beschleunigen, und das ist gut so.
({7})
Immer brisanter in den Familien wird das Thema
Pflege. Nicht jeder hat Kinder, aber jeder hat Eltern; deshalb ist Pflege in jeder Familie früher oder später ein
Thema. Minister Gröhe ist mit großem Engagement bei
der Sache; aber auch wir Familienpolitiker haben hier
eine Verantwortung. Wir müssen das Konzept der Familienpflegezeit weiterentwickeln. Dafür steht derzeit
schon 1 Million Euro im Haushalt. Es ist uns ein Anliegen, dass Familien Beruf und Pflege besser miteinander
vereinbaren können. Das ist ein wichtiges Thema; denn
viele Familien fragen sich: Wie schaffe ich es, meine Berufstätigkeit mit der Pflege meiner Angehörigen zu verbinden? - Wir müssen die Menschen, die diese wichtige
Aufgabe übernehmen, besser unterstützen. Wir müssen
mehr hinhören: Was sind eure Bedürfnisse? Was muss
getan werden? - Die Familienpflegezeit ist ein wichtiger
Ansatz; damit sind wir aber ganz sicher noch nicht am
Ende der Diskussion.
Der dritte Punkt unserer Familienpolitik ist: Hilfe
leisten, wo Hilfe gebraucht wird. Wir haben in diesem
Frühjahr ein Gesetz zur vertraulichen Geburt auf den
Weg gebracht. Wir haben die vertrauliche Geburt implementiert. Mit diesem neuen Modell helfen wir Frauen,
die schwanger sind, aber damit hadern und noch nicht
wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Deshalb gibt es hier spezifische Beratung und die Möglichkeit, das Kind anonym unter guten und hygienischen Bedingungen zur Welt zu bringen und die eigenen Daten
- das ist aus rechtlichen Gründen erforderlich - anonym
zu sichern. Wir stellen für dieses wichtige Projekt und
für die Unterstützung von ungewollt Kinderlosen
12 Millionen Euro in den Haushalt ein. Damit stärken
wir Menschen, die sich in diesen schwierigen Lebenssituationen befinden.
Wir stärken außerdem das Programm „Frühe Hilfen“.
Wir haben gerade wieder erschreckende Zahlen zur Gewalt gegen Kinder und zur Gewalt in Familien gehört.
Hier bringt unser Programm „Frühe Hilfen“ die richtigen
Ansatzpunkte. Es ist ein kluges Modell, zusammen mit
den Ländern und den Kommunen zu schauen, wie man
die Netzwerke auf der einen Seite und die Eltern auf der
anderen Seite stärken kann. Ein ganz wichtiger Punkt ist:
Wie kann man die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz
stärken? An diesem Punkt müssen wir ansetzen; denn
die Erziehungskompetenz der Eltern ist der Schlüssel zu
weniger Gewalt gegen Kinder und damit der Schlüssel
zu glücklichen Familien und gesunden Kindern - was
wir in unserem Land erreichen wollen.
({8})
Der Dreiklang „Zusammenhalt der Gesellschaft“,
„Familie leben“ und „Hilfe bieten“ wird auch in Zukunft
die Richtschnur unserer Familienpolitik sein. Wir wollen
aber genauso, dass auch künftige Generationen noch
Möglichkeiten haben, das Land zu gestalten. Deshalb ist
uns als Unionsfraktion auch die Schuldenbremse wichtig. Wir wollen der nächsten Generation keine Schuldenberge hinterlassen. Deshalb wird auch die Aufstellung
des nächsten Haushaltes nicht leicht. Die Schuldenbremse gilt, wir müssen den Haushalt konsolidieren.
Gleichzeitig wollen wir die Familien unterstützen, die
Hilfe brauchen. Deshalb werden die anstehenden Beratungen ganz sicher nicht leicht.
Ich darf zum Schluss noch einmal Sepp Herberger zitieren mit einer weiteren Fußballweisheit, die da heißt:
Das nächste Spiel ist immer das schwerste.
({9})
Zur Information an die Unionsfraktion: Der Kredit,
den der Kollege Rainer hinterlassen hat,
({0})
ist hiermit aufgebraucht; aber Sie haben ja noch drei Reden auf der Redeliste.
({1})
Aber zuallererst hat die Kollegin Franziska Brantner
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie heute
bei uns sind! In einem Spiegel-Interview vom Dezember
hat Frau Schwesig noch erklärt, dass es von Bundesseite
aus „eine ordentliche Summe Geld“ für die Kitas geben
wird. Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig: Es sollten
erst 2 Milliarden Euro sein. Dann hieß es: 1 Milliarde
Euro. Jetzt sind es noch 550 Millionen Euro.
Jetzt seien Sie einmal ganz ehrlich, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD: Ist eine halbe Milliarde Euro
für vier Jahre ein gutes Ergebnis für die Kitas, oder war
Herr Schäuble nicht einfach sehr pfiffig? Das könnte
man ja auch einmal sagen: Er hat doch ganz klug und
lustig-pfiffig verhandelt. - Für die Kinder in diesem
Land ist das aber kein gutes Ergebnis.
({0})
Herr Rainer, es hat mich schon überrascht, dass Sie
vorhin einfach gesagt haben - der Kollege ist gar nicht
mehr da -, das Betreuungsgeld sei wunderbar. Ich finde
es wirklich beeindruckend, dass jemand von der Regierungsseite die eigene Analyse aus dem Hause der Ministerin einfach ignorieren kann, die eindeutig sagt: Das
Betreuungsgeld trägt zu größerer sozialer Ungerechtigkeit bei. Ich finde es ganz schön mutig, das zu ignorieren
und zu sagen, das sei trotzdem ein Erfolg, also einfach
gegen die Fakten anzureden und zu sagen: Die Realität
ist uns doch egal. Hauptsache, es passt in unsere Ideologie!
({1})
Da wir jetzt über die Investitionen für die Kitas reden,
können wir uns ja vielleicht auch einmal fragen - gerade
kam der Zuruf zu den Ländern -, wie wir es schaffen,
dass das Geld wirklich zielgerichtet bei den Kitas ankommt. Dafür brauchen wir ein Qualitätsgesetz, über das
wir sicherstellen können, dass die Gelder vor Ort ankommen. Das ist doch unsere Aufgabe.
({2})
Ich finde, wir sollten daran arbeiten. Ich weiß, dass
Sie das wollen, Frau Schwesig, und ich finde das absolut
richtig. Unsere Unterstützung haben Sie, weil diejenigen, die sich in den Verhandlungen für die kleinen Kinder einsetzen, immer den Kürzeren ziehen werden, wenn
wir es nicht schaffen, dieses Gesetz voranzubringen.
Hier können Sie auf unsere Unterstützung zählen. Wir
kämpfen mit an Ihrer Seite für die Qualität in den Kitas
und für unsere kleinen Kinder in Deutschland.
({3})
- Die einzelnen Bundesländer will ich jetzt nicht erwähnen.
Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der im Haushalt leider nicht stark genug berücksichtigt wird. Wir alle
finden es beschämend, dass rund 2,5 Millionen Kinder
in Deutschland in Armut leben. 15 Prozent der Kinder in
Deutschland leben in Haushalten mit Hartz-IV-Bezug.
Wo tauchen diese Kinder und ihre Familien im Haushalt
auf? Selbst die Erhöhung des Kinderzuschlags - und
auch sie wäre nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung - ist in weiter Ferne. Wir müssen endlich die Konsequenzen aus der Evaluation der Ehe- und Familienförderung ziehen und uns an die Umgestaltung der
Leistungen machen.
Frau Schön, Sie haben es ja richtig gesagt: Wir geben
in Deutschland in diesem Bereich sehr viel Geld aus. Die Frage ist nur: Geben wir es richtig aus, sodass wir
die Ziele, die Sie genannt haben - davon können wir alle
wahrscheinlich relativ viele unterschreiben -, damit
auch erreichen? Unserer Meinung nach tun Sie das nicht.
Die Evaluierung hat auch gezeigt: Sie erreichen die
selbstgesetzten Ziele mit diesen Geldern nicht. Gehen
Sie dieses schwierige Thema deshalb endlich einmal an
- Sie sind eine Große Koalition und haben eine große
Mehrheit -, und zeigen Sie Mut, diese Gelder in
Deutschland endlich wirklich im Sinne der Kinder zu
vergeben, und zwar unabhängig vom Trauschein der Eltern, sodass es Gerechtigkeit gibt und Kinderarmut in
Deutschland effektiv bekämpft wird.
({4})
Beim ElterngeldPlus geht es voran. Große Teile davon finden wir richtig. Die Kollegin hat es aber schon erwähnt: Wir finden es schwierig, dass es bei jenen, die
Hartz IV beziehen, angerechnet wird.
Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang noch einen Punkt zu erwähnen: Es geht um Flexibilisierung.
Wir wünschen uns, dass das Ganze noch wesentlich flexibler gestaltet wird. In anderen europäischen Ländern,
zum Beispiel in Belgien und Schweden, kann die Elternzeit vierteltägig genommen und entsprechend verlängert
werden. Das kostet de facto nicht mehr, verschafft den
Eltern aber die Flexibilität, die sie wollen, sodass sie das
ganz individuell gestalten können. Wenn wir schon Flexibilität in dieses System hineinbringen: Warum erhöhen
Sie sie nicht ganz stark, indem die Elternzeit vierteltägig
genommen und somit das Elterngeld über einen entsprechend längeren Zeitraum bezogen werden kann?
Frau Schwesig, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Regierungsfraktionen, mit dem Haushalt 2014 können
Sie uns vielleicht noch vertrösten, weil Sie neu im Amt
sind, aber für 2015 erwarten wir Taten, vor allem zur Bekämpfung von Kinderarmut. Wir zählen auf Sie.
({5})
Der Herr Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Wunderlich telefoniert. Lieber geschätzter
Kollege Wunderlich, ich komme noch einmal zu der Sache mit dem Kinderzuschlag zurück, auch wenn ich gefühlt der 27. Redner bin, der das korrigiert.
({0})
Ganz im Sinne von Oscar Wilde, den Sie so gerne zitieren, sage ich: „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen
haben und den Mund halten.“ Da das Thema vom Tisch
ist und die Angelegenheit bereinigt ist, bitte ich Sie: Wir
sollten nicht verschiedene Dinge miteinander vermischen, die nichts miteinander zu tun haben.
Marcus Weinberg ({1})
Ich will in meiner Rede darauf hinweisen, dass der
Anfang der Haushaltsberatungen immer eine gute Gelegenheit bietet, sehr konkret zu definieren: Worin investiert man, und wo setzt man politische Schwerpunkte?
Es ist auch immer so, dass eine Haushaltsberatung insgesamt dazu dient, zu überlegen: Was ist eigentlich die
Philosophie, möglicherweise sogar der gute Geist einer
Koalition, wenn es um die Frage geht, wie Familienpolitik aussehen sollte? Nadine Schön hat schon viel dazu
gesagt, was uns bei der Entwicklung von familienpolitischen Maßnahmen in den nächsten Jahren prägt.
Ich möchte ihre Ausführungen gerne noch um drei
Punkte ergänzen. Der erste Punkt ist das Thema Wahlfreiheit. Wir sehen, dass Familien und Betroffene für
sich in einer verstärkten Form von Wahlfreiheit entscheiden müssen, was die richtigen Mittel oder Möglichkeiten
sind. Der zweite Punkt betrifft die Chancengerechtigkeit
auf mehreren Ebenen. Es geht um die Frage des Einkommens, um die Rolle von Mann und Frau sowie inzwischen auch um die Frage von Jung und Alt und darum,
hier einen Ausgleich zu schaffen. Der dritte Punkt ist die
immer häufiger in unserer Gesellschaft geführte Diskussion, im Zusammenhang mit Familienbildern die Lebensqualität zu stärken. Diese Lebensqualität hängt von
folgendem Dreieck der Familienpolitik ab: finanzielle
Leistung auf der einen Seite, Infrastrukturmaßnahmen
auf der anderen Seite und Zeitmanagement auf der dritten Ebene.
Ich möchte die Grünen, weil sie mehrfach die finanziellen Leistungen dieser Bundesregierung kritisiert
haben, daran erinnern - ich erwähne es mittlerweile
ungern -: Wir haben den Etat im Bereich der Familienpolitik im Vergleich zum letzten rot-grünen Etat, an dem
Sie beteiligt waren, um über 76 Prozent gesteigert. Es ist
ein deutliches Signal der letzten Jahre gewesen, dass in
Familien investiert wird.
({2})
Es gilt, bei den Grundlagen zu sehen, dass sich Familienbilder und Leitbilder natürlich verändern. Es wird
unsere Aufgabe sein, in der Zukunft diese veränderten
Familienbilder verstärkt anzuerkennen. Ich meine damit,
die Vielfalt bedarfsgerecht zu unterstützen und dabei
Vertrauen zu haben, dass die Familien, wenn sie die
Wahl haben, am besten wissen, was sie zu tun haben und
welche Leistungen sie in Anspruch nehmen können, und
dabei den Eltern nichts vorzuschreiben, also diesen Bereich zu entideologisieren. Jahrzehntelang haben wir genau das gemacht, nämlich ideologisiert. Diese Zeit muss
vorbei sein. Vielmehr muss die Anerkennung der Freiheit ganz oben auf unserer Agenda stehen.
({3})
Das heißt dann auch, dass Familienleistungen zu
überprüfen sind. Da Familienleistungen in bestimmten
Jahrzehnten unter gewissen gesellschaftlichen Bedingungen entwickelt wurden, wird man immer wieder
überprüfen müssen: Sind sie noch aktuell? Helfen sie
noch da, wo sie helfen sollen? Das werden wir tun. All
das müssen wir aber auch unter dem Gesichtspunkt der
Haushaltskonsolidierung sehen, das ein Grundziel ist.
Nadine Schön hat es deutlich gemacht: Unter dem Strich
ist das Wichtigste für die nachfolgende Generation, für
unsere Kinder, dass wir ihnen so wenig Schulden wie
möglich hinterlassen; denn sie sind diejenigen, die diese
Schulden begleichen müssen. Diese Last sollten wir ihnen nehmen.
({4})
Wenn man sich die familienpolitischen Maßnahmen
von heute und der nächsten Jahre anschaut, dann ist es
wichtig, nicht nur zu überlegen, was wir in der Politik
wollen, sondern die Frage ist: Was sind die Wünsche
und Erfordernisse, die von Familien definiert werden?
Wenn man sich die TOP 4 der Erwartungen von Eltern
an die Familienpolitik ansieht, dann stellt man fest, dass
sich in den letzten Jahren nicht viel verändert hat, obwohl bereits viel passiert ist. Es sind die Themen Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Ausbau von Krippenplätzen, Stärkung junger Familien und Schaffung besserer
Bildungschancen, gerade für Kinder bedürftiger Familien. Das ist auch unser Ansatz, unsere rote Linie, die
sich seit vielen Jahren durch unsere Familienpolitik
zieht.
Eines ist hinzugekommen und wird sich im Laufe der
nächsten Jahre noch verstärken - das bildet dieser Haushalt ab; es wird in den nächsten Jahren noch stärker abgebildet werden -: Das ist der Wunsch vieler Mütter und
Väter, gemeinsam und partnerschaftlich Erwerbstätigkeit und Familienarbeit zusammenzubringen. Das ist
auch unser Ansinnen in der Politik. Wir sehen, dass
mehr junge Väter mehr Zeit mit Kindern verbringen
wollen, dass aber auch mehr junge Mütter wieder verstärkt arbeiten wollen. Danach hat sich die Politik auszurichten. Das machen wir.
({5})
Der erste Schritt war, zu sagen: Das Elterngeld ist
die richtige Maßnahme. Jetzt kommt der zweite Schritt,
indem wir sagen: Diese Maßnahme muss mit dem ElterngeldPlus noch verstärkt werden. Insbesondere der
Wunsch nach mehr Partnerschaftlichkeit wird sich in
den Maßnahmen der Politik abbilden.
Wenn ich von dem Dreieck Infrastruktur, Geld und
Zeitmanagement spreche, dann kann man mit Blick auf
den Haushalt erstens feststellen, dass beim Krippenausbau Enormes geleistet worden ist. Es wurden 5,4 Milliarden Euro für mittlerweile über 800 000 Betreuungsplätze bereitgestellt. Das betraf den Rechtsanspruch ab
1. August 2013. Jahrelang von der Opposition belächelt,
hat es geklappt. Jetzt wird man schauen, wie der weitere
Bedarf ist, und dann wird man Lösungen finden - das ist
eine klare Zusage -, wie dieser weitere Bedarf abgebildet wird.
Dazu bekommen die Länder bis jetzt noch einmal
845 Millionen Euro für die Betriebskosten, und ab 2017
kommen noch einmal 100 Millionen Euro hinzu.
Marcus Weinberg ({6})
Damit ist auch verbunden, dass die Länder gerade bei
dem Gesichtspunkt der Qualitätssteigerung in der Verantwortung stehen. Denn es ist so, dass, wenn wir ab
2017 diese Mittel in Höhe von jährlich fast 1 Milliarde
Euro bereitstellen, damit die Erwartung verbunden ist,
dass uns die Länder dann auch deutlich signalisieren,
dass Qualitätssteigerungen angestrebt werden.
Der zweite Punkt ist die Einführung des Elterngeldes;
dafür wurden mittlerweile im Etat 2014 deutlich über
5 Milliarden Euro veranschlagt. Es ist also ein Erfolgsmodell, das angenommen wurde und deshalb auch entsprechend ausgebaut wird.
Drittens will ich noch einmal die Schwerpunktkitas
Sprache ansprechen. Hierfür sind im Jahr 2014 126 Millionen Euro eingestellt worden. Gerade auch im Hinblick auf das Thema Bildungschancen - das ist ja immer
Ihr Thema - haben viele Maßnahmen der Vergangenheit
gut gewirkt - übrigens nicht nur im Bereich der Familie,
sondern auch im Bereich der Bildung. Ich habe hierzu
noch das „Haus der kleinen Forscher“ und Ähnliches im
Kopf. Wer das erlebt hat, weiß, dass Bildungsimplikationen mehr und mehr an Bedeutung gewonnen haben und
auch ausgeweitet wurden.
Der Bundesfreiwilligendienst und die Mehrgenerationenhäuser sind bereits angesprochen worden und werden
noch einmal angesprochen werden. Dies sind wichtige
Themen genauso wie das Thema Familienpflegezeit,
wofür 1,1 Millionen Euro bereitgestellt wurden. Auch
hier werden wir uns darauf einstellen müssen, dass wir
in fünf oder in zehn Jahren über ganz andere Summen
und Maßnahmen sprechen werden, um dies abzufedern
und dem demografischen Wandel entgegenzuwirken.
Fazit für den Haushalt 2014: Sicherung, Bewahrung
und Verstetigung von guten Maßnahmen der letzten
Jahre. Diese werden fortgeführt, verstetigt und an der einen und an der anderen Stelle neu justiert.
Noch ein Ausblick auf 2015. Das Thema Flexibilisierung der Elternzeit ist angesprochen worden. Ich freue
mich, dass die Grünen da mit an unserer Seite stehen,
wenn es darum geht, dass dies ein wichtiges Thema ist.
Nun kann man lange darüber reden, das noch flexibler
zu gestalten. Ich meine aber, familienpolitische Maßnahmen müssen auch im Einvernehmen mit der Wirtschaft,
insbesondere mit dem Mittelstand, entwickelt werden.
Wir haben nichts davon, wenn wir versuchen, Themen
nur über gesetzliche Grundlagen durchzusetzen, sondern
es muss ein Einvernehmen geben.
({7})
Wenn mittelständische Betriebe das so akzeptieren,
ist es übrigens auch in deren Sinne; denn diese haben ja
ein Interesse an Fachkräften und auch ein Interesse daran, dass zum Beispiel aus Teilzeit wieder Vollzeit wird.
Insoweit gibt es da eine sogenannte Win-win-Situation
für beide Seiten. Das ElterngeldPlus verbessert die
Kombination von Teilzeit und Elterngeld. Über diese
Flexibilisierung wollen wir dazu kommen, dass die Familien wirklich sehr individuell abbilden können, was
sie sich wünschen - auch mit dem Partnerschaftsbonus.
Als entscheidendes Kriterium bzw. als Überbau muss
für uns gelten: Wir wollen eine familiengerechte Arbeitswelt statt einer arbeitsgerechten Familie. Das heißt,
der Ansatz muss immer sein, dass Familie das ist, was
uns prägt, auch wenn sich die traditionellen Familienbilder verändert haben. Auch wenn es dort neue Justierungen und neue Veränderungen gibt, ist es so, dass sich die
Arbeitswelt auch nach der Familie ausrichten muss. Deswegen wird man genau überlegen, welche Rechtsansprüche es gibt. Ich nenne beispielsweise die Rückkehr in
Vollzeit nach Teilzeit. Wir müssen sehen, welche familienpolitischen Maßnahmen wir überprüfen müssen.
Ich glaube, es wird notwendig, die familienpolitischen Leistungen noch stärker zu bündeln und strategisch noch besser aufzustellen, auch unter Effizienzgesichtspunkten, also unter dem Kriterium, welcher Euro
eigentlich für die Familien, für die Gesellschaft - auch
unter dem Gesichtspunkt von Bildungsimplikationen welchen Mehrwert hat. Das wird in den nächsten Jahren
eine Aufgabe sein.
Das Zweite wird sein, noch stärker die Vielfalt der
verschiedenen Lebensentwürfe zu akzeptieren und durch
konkrete Maßnahmen zu unterstützen. Die Situation von
Alleinerziehenden ist noch nicht gelöst. Wir haben uns
in der Koalitionsvereinbarung dazu geäußert; das wird
noch ein Thema sein, das auf der Agenda steht.
Insoweit, glaube ich, haben wir mit dem Haushalt
2014 in konsequenter Art und Weise das fortentwickelt
und weiter ausgebaut, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben. Dafür bin ich sehr dankbar.
Jetzt möchte ich ein zweites Mal Oscar Wilde - Sie
zitieren ihn ja immer so gern - zitieren: Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.
({8})
In diesem Sinne einen schönen Restabend.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Stefan
Schwartze das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass wir mit diesem Haushalt besonders die eigenständige Jugendpolitik in den Fokus nehmen. Zurzeit reden alle über Rente und Pflege. Das ist richtig und wichtig. Vor der Sommerpause beschließen wir noch den
Mindestlohn. Damit bekämpfen wir Erwerbsarmut und
Kinderarmut.
({0})
Unsere Zukunft sind unsere Jugendlichen von heute.
Sie werden den demografischen Wandel auf ihren Schul3654
tern tragen müssen, und diese Generation hat jedes
Recht, sich jetzt einzubringen.
Leider wurde in der Vergangenheit der Fokus auf die
Fehler gerichtet, die Jugendliche gemacht haben. Eine
solche einseitige Definition von Jugendlichen ist in einer
so vielfältigen Gesellschaft wie der unseren fatal. Heute
sind wir glücklicherweise weiter.
Unsere Gesellschaft kann Jugendlichen zugestehen,
sich auszuprobieren. Wir verstehen Jugendliche als Heranwachsende, die ihr Leben selbst gestalten. Deswegen
ist es wichtig, dass sie Raum zum Ausprobieren, für die
Entwicklung der Persönlichkeit und auch für Fehler bekommen, dass sie eine zweite Chance oder auch weitere
Chancen bekommen. Nur, die Möglichkeit, ein Leben zu
gestalten, Chancen zu erfahren und Perspektiven aufzubauen, hängt immer noch viel zu stark vom Elternhaus
ab.
Deshalb gilt, dass wir alle Jugendlichen bei den Entscheidungen und Maßnahmen, die sie betreffen, mitnehmen und mitmachen lassen müssen. Deshalb gilt, dass
eine eigenständige Jugendpolitik in unserer Zeit integrierend und zuhörend sein muss.
({1})
Deshalb gilt, dass wir die Organisationen und Institutionen stärken und fördern müssen, die dies ermöglichen. Im Mittelpunkt unserer Politik stehen deshalb die
Jugendverbände. Es ist ein großer Erfolg, dass es uns gelungen ist, mit diesem Haushalt die Jugendverbandsarbeit deutlich zu stärken und 1 Million Euro mehr für die
Jugendverbände bereitzustellen.
({2})
Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Es braucht ein
ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ Dieses Dorf sind
bei uns die Schulen, Vereine und Jugendverbände. Deswegen muss auch im Rahmen der Ganztagsschulen, aber
auch ganz besonders in Zeiten eines erhöhten Leistungsdrucks für viele Jugendliche die Zusammenarbeit von
Jugendverbänden und Schulen gestärkt werden.
({3})
Dabei sind eine bessere Kommunikation und mehr Flexibilität notwendig. Hier muss die eigenständige Jugendpolitik jetzt ansetzen und Vorschläge gründlich diskutieren und ausarbeiten.
Ich habe eben gesagt, dass wir unseren Jugendlichen
mehr zuhören müssen. Zuhören heißt aber auch, die
Kommunikationsform der Jugendlichen aufzunehmen
und anzunehmen. Um Jugendlichen zuhören zu können,
müssen die Erwachsenen, die sie umgeben - Eltern, Lehrer, Betreuer -, auch ihre Kommunikationsformen beherrschen. Konkret heißt dies, dass wir Jugendliche dabei begleiten müssen, verantwortungsvoll mit den neuen
Medien umzugehen. Nicht die neuen Medien sind das
Problem, sondern dass wir die Jugend damit alleine lassen.
({4})
Fest steht: Starke Jugendliche kommen aus starken
Familien. Es ist die Aufgabe dieses Hauses, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Eltern zu schaffen.
So ist die deutliche Steigerung der Mittel beim Elterngeld ein großer Erfolg, besonders deshalb, weil auch immer mehr Väter das Elterngeld und die Elternzeit in Anspruch nehmen.
({5})
Mit dem ElterngeldPlus werden wir noch stärkere
Akzente hinsichtlich der partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen können. Der Gesetzentwurf dazu greift die Wünsche einer Vielzahl von Eltern auf. 60 Prozent von ihnen wollen Erwerbsarbeit und
Familie partnerschaftlich teilen.
Bisher gelingt das nur 14 Prozent. Das ElterngeldPlus
wird helfen, dieses favorisierte Lebensmodell wirklich
zu leben,
({6})
ein Modell, bei dem die Partner in gleichem Umfang erwerbstätig sind und sich gleichermaßen um Haushalt
und Familie kümmern, ein Modell, das es ihnen ermöglicht, aktive Vorbilder zu sein und am Leben ihrer Kinder tatsächlich teilzuhaben. Lasst uns das jetzt anpacken!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Pantel für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haushalt für das laufende Jahr ist unter Dach und Fach. Er
setzt gerade im Bereich des Familienministeriums die
richtigen Akzente. Woran können die Bürgerinnen und
Bürger erkennen, ob eine Regierung gute Politik macht?
Man könnte sich fragen: Geht es mir persönlich, unserer
Gemeinschaft und unserem Land besser oder schlechter
durch die politischen Entscheidungen? Ich möchte einige Aspekte aufzeigen, die Antworten auf diese Fragen
geben.
Wir sorgen dafür, dass der Zusammenhalt zwischen
den Generationen in unserer Gesellschaft gefestigt wird
und Familien ausreichend Unterstützung erhalten. Wir
haben als Union lange für die Mütterrente gekämpft. Es
ist mehr als gerecht, dass die rund 9 Millionen betroffenen Väter und Mütter durch die Erhöhung der Mütterrente nun mehr Geld zur Verfügung haben.
({0})
Ältere Väter und Mütter haben nicht die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten, wie es sie heute gibt.
Deshalb ist es eine Frage der Gerechtigkeit, deren Erziehungsleistungen besser als bisher anzuerkennen.
({1})
Wir wollen, dass Familien selbst entscheiden, wie sie
leben möchten. Familie hat für uns einen hohen Wert. So
stellt diese Koalition alleine für das Betreuungs- und das
Elterngeld fast 6 Milliarden Euro zur Verfügung. Das
Betreuungsgeld erhöhen wir ab August von 100 auf
150 Euro. Im ersten Quartal dieses Jahres wurde das Betreuungsgeld für 146 000 Kinder ausgezahlt. Das übertrifft alle Erwartungen und zeigt, dass die Familien dieses Angebot annehmen. Abgesehen davon, dass es das
Recht und die Pflicht der Eltern ist, ihre Kinder zu erziehen, hat mir bisher keiner überzeugend darlegen können,
dass nur die staatliche Betreuung richtig ist. Das Betreuungsgeld zu streichen, wie es die Grünen fordern, und
ausschließlich die staatliche Betreuung von Kindern auszubauen, ist ein Irrweg und hat nichts mit Wahlfreiheit
zu tun.
({2})
Das Betreuungsgeld ist zusammen mit dem Elterngeld und zukünftig mit dem ElterngeldPlus ein Baustein
für die Anerkennung verschiedener Lebensentwürfe.
Der Staat soll den Familien nicht vorschreiben, wie sie
zu leben haben, sondern er soll sie dabei unterstützen,
dass sie so leben können, wie sie selber es wollen.
({3})
Der Erfolg des Betreuungsgeldes zeigt: Viele Eltern wollen sich selbst um ihre Kinder kümmern. Eine starke und
stabile Bindung zwischen Eltern und Kindern ist die
beste Investition in eine generationenübergreifende Gemeinschaft und eine sichere Zukunft. Dafür braucht man
Zeit für Kinder.
({4})
- Es gibt ein paar, die vielleicht ein bisschen mehr brauchen und wollen.
Unser Ansatz ist, dass wir die Familien entscheiden
lassen, was sie wollen, und dass die Politik nicht zu wissen glaubt, was besser für die Familien ist.
({5})
Die Opposition ignoriert diese Tatsache, wenn sie das
Betreuungsgeld kürzen oder abschaffen möchte.
Kollegin Pantel, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Leutert?
Ja, klar.
Bitte.
Frau Kollegin, Sie sprechen von der Wahlfreiheit. Die
Eltern sollen entscheiden, ob sie Betreuungsgeld in Anspruch nehmen oder ob sie ihre Kinder in der Kita betreuen lassen. Ist Ihnen bewusst, dass die Wahlfreiheit
nur auf bestimmte Gruppen zutrifft, dass aber ALG-IIBezieherinnen gezwungen sind, Betreuungsgeld zu beantragen? Sie haben überhaupt keine Chance, zu wählen.
Beim Jobcenter hört die Wahlfreiheit auf, weil es mit
Hartz IV verrechnet wird.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir können das gerne später vertiefen. Nur so viel: Wenn ich einen Job und einen Kitaplatz habe, dann verdiene ich natürlich mehr Geld als dann, wenn ich Betreuungsgeld
bekomme. Natürlich verbessert das Betreuungsgeld die
finanzielle Situation, wenn ich zu Hause bleibe. Sie tun
so, als ob ich sofort einen Kitaplatz und auch einen Arbeitsplatz hätte, wenn ich das Betreuungsgeld nicht
hätte. Das eine bedingt das andere nicht unbedingt.
Es gibt mehrere Studien - die wurden hier eben andeutungsweise zitiert -, die besagen, dass die Tatsache,
dass jemand wenig Geld oder einen Migrationshintergrund hat, ein Indiz dafür sei, dass die Betreuung zu
Hause eine schlechtere sei. Dem kann ich mich nicht anschließen.
({0})
Weder das Geld noch der Migrationshintergrund sagen
etwas über die Qualität der Betreuung zu Hause aus.
({1})
- Man muss den Einzelfall betrachten. Das können wir
gerne machen.
Der Bund engagiert sich auch weiterhin beim Ausbau
der Kinderbetreuung. Ab 2015 wird der Betrieb von neu
geschaffenen Kitaplätzen mit jährlich 845 Millionen
Euro finanziert. In einem speziellen Sondervermögen
stehen rund 2,7 Milliarden Euro für den Bau und die
Einrichtung neuer Betreuungsplätze zur Verfügung, auf
die die Länder anteilig zugreifen können. Die Mittel für
Bau- und Sanierungsmaßnahmen sind dadurch sichergestellt.
Der demografische Wandel betrifft junge genauso wie
ältere Menschen. Wir nutzen diese Chance und richten
unsere Gemeinschaft an den neuen Bedürfnissen aus.
Mehrgenerationenhäuser nehmen das Bild von der früher existierenden Großfamilie auf. Sie fördern den Zusammenhalt über Generationen hinweg. Sie bieten für
alle die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichen Kompetenzen an der passenden Stelle einzubringen. Hier haben
alle Generationen einen Raum, den sie ganz unterschiedlich miteinander und füreinander gestalten können.
Der Bund sichert für die bestehenden Mehrgenerationenhäuser auch zukünftig die finanziellen Rahmenbe3656
dingungen, auch wenn die Förderung über den Europäischen Sozialfonds wegfällt. Jetzt haben wir das erst
einmal gesichert. Ich hoffe, dass wir das auch danach
weiterhin sichern können. Die Mehrgenerationenhäuser
sind ein unverzichtbares Angebot geworden. Hier zeigen
sich auch die vielfältigen Möglichkeiten von bürgerschaftlichem Engagement.
Wir alle wissen, dass der Staat nicht alle Aufgaben lösen kann, selbst wenn er es wollte. Unsere Gemeinschaft
ist stark, wenn auch das freiwillige Engagement stark ist.
Beim Bundesfreiwilligendienst werden wir alle Zusagen
einhalten. Das Interesse und die Nachfrage sind sehr
groß, und im Verlauf des Haushaltsverfahrens haben unsere Haushälter die zusätzlich notwendigen 20 Millionen
Euro bereitgestellt. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
({2})
Bürgerinnen und Bürger im Bundesfreiwilligendienst
engagieren sich zum Beispiel im Zivil- und Katastrophenschutz. Wir in Düsseldorf haben gerade jetzt bei
dem großen Sturm erlebt, wie wichtig dieser Einsatz ist.
Es ist gut, dass das THW mit diesem Haushalt 10 Millionen Euro zusätzlich erhält. Der Bundesfreiwilligendienst
ist ein Musterbeispiel für Gemeinsinn. Er ist ein unverzichtbares Kulturgut geworden. Wir werden weiterhin
alle Anstrengungen unternehmen, um Barrieren abzubauen. Jeder, der sich engagieren will, soll sich engagieren können.
({3})
Wenn wir hier über den Haushalt sprechen, dann sollten wir uns auch die Alternativen ansehen, die die Opposition in den vergangenen Wochen geboten hat: Da gab
es Ausgabenwünsche ohne Ende. Unsere Koalition stellt
dem Familienministerium fast 8 Milliarden Euro zur
Verfügung und schafft es gleichzeitig, einen strukturell
ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
({4})
Davon profitieren die kommenden Generationen, die dadurch ihre Zukunft selbst gestalten können.
({5})
Ich bedanke mich an dieser Stelle für die gute Arbeit
unserer Haushälterinnen und Haushälter, die das persönliche Wohl der Bürgerinnen und Bürger genauso im
Blick hatten wie das große Ganze. Dieser Haushalt stärkt
unsere Familien, unterstützt unsere Seniorinnen und
Senioren, gibt Männern und Frauen die notwendigen
Wahlmöglichkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf und stärkt die Chancen von Kindern und Jugendlichen. Der Haushalt des Ministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend wächst im Vergleich zum
Vorjahr um mehr als 1 Milliarde Euro. Wir setzen die
richtigen Akzente und halten Maß. Daran erkennt man
eben eine gute Regierung.
Herzlichen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Petra
Crone das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Meine Damen und Herren! Der Haushalt, der heute hier
zur Abstimmung steht, kann für den Rest des Jahres
wichtige Akzente setzen. Herzlichen Dank, Frau Ministerin! Ich freue mich sehr darüber. Auch wenn aus Sicht
der Opposition der Teufel im Detail stecken mag, sind in
ihm doch einige von der SPD lang ersehnte Akzente enthalten.
({0})
Dieser Haushalt mahnt auch dringende Arbeit für die
kommenden Jahre an. Darum beschäftigt mich am meisten der Blick nach vorn. Auch auf die Gefahr hin, dass
ich wiederhole, was einige schon gesagt haben: Mir als
Seniorenpolitikerin ist die Verlängerung des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser II ein ganz wichtiges
Anliegen.
({1})
Mit diesem Haushalt stellt sich das Problem zwar
nicht direkt, doch er weist auf den Wegfall der ESF-Mittel und auch auf das Auslaufen des Programms hin. Aber
glücklicherweise ist sich die Große Koalition einig, dass
eine Verlängerung über 2014 hinaus gewünscht wird.
({2})
Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, gehen noch einen
Schritt weiter: Wir setzen uns für eine Verstetigung der
Mehrgenerationenhäuser ein, und diese möglichst flächendeckend überall im Land.
({3})
Denn wir können nicht gebetsmühlenartig den Zusammenhalt von Alt und Jung in unserer älter werdenden
Gesellschaft anmahnen; aber dann bei der Verlängerung
der nicht nur von Alois Rainer, von mir und eigentlich
von allen gewünschten Förderung der Mehrgenerationenhäuser prinzipiell werden.
Daher habe ich eine ganz dringende Bitte: Lassen Sie
uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam dafür
sorgen, dass in den Eckpunkten des Haushaltes 2015 der
Titel für die Mehrgenerationenhäuser steht.
({4})
Ich wende mich damit an den in diesem Hause heute am
meisten angesprochenen Mann: Herr Kampeter, ich
hoffe, Sie sorgen ebenfalls dafür.
({5})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ein weiteres Thema
brennt seit Jahren nicht nur auf meinen Nägeln: die Altenpflegeausbildung bzw. die geplante Reform der Pflegeausbildung. Die bereitgestellten Mittel beim Gesundheitsministerium für gezielte Fachkampagnen, die die
Attraktivität und insbesondere die Wertschätzung der
Pflegeberufe steigern sollen, sind sicherlich begrüßenswert.
({6})
Ich erinnere aber selbstkritisch daran, dass öffentlichkeitswirksame Fachkampagnen nicht neu sind. Bereits
2003 gab es unter Rot-Grün den Runden Tisch Pflege.
Dann hat eine Familienministerin von der Leyen der Altenpflege medienwirksam den roten Teppich ausgerollt
und ein Festival der Altenpflege inszeniert. Aber die Ergebnisse waren insgesamt ziemlich übersichtlich. Fachkampagnen sind sicher gut und wichtig. Ich freue mich
aber, dass im Koalitionsvertrag nun eine weitreichende
Reform der Pflegeberufe verabredet worden ist.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Altenpflegerinnen und Altenpfleger der Zukunft haben es wirklich verdient, dass wir uns endlich um eine bessere und attraktivere Ausbildung kümmern.
({8})
Der kontinuierliche Aufwuchs beim Etat für das Deutsche Zentrum für Altersfragen ist angesichts unserer älter werdenden Gesellschaft im Grunde erfreulich. Das
DZA ist unter den vier geförderten Institutionen mit über
2,7 Millionen Euro das mit dem größten Finanzvolumen.
Natürlich kommt dann auch die Frage auf, welche öffentlichen Aufgaben es eigentlich neben den Surveys
und den Altenberichten der Bundesregierung übernimmt. Ich fände es ziemlich gut, wenn das DZA auch
im Rahmen der Demografiestrategie des Bundes einen
unabhängigen Beitrag leisten könnte.
({9})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich freue mich im
Übrigen sehr, dass der Kürzungswahn bei der Antidiskriminierungsstelle beendet ist.
({10})
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Anstieg bei
der ADS und damit das erste deutliche Signal der Wertschätzung ihrer Arbeit.
Insgesamt konnten in diesem Haushalt 2014 wichtige
Akzente gesetzt werden. Aber wir müssen uns in den
kommenden Jahren gerade in einer Großen Koalition
den großen Herausforderungen des demografischen
Wandels stellen, und zwar ohne, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, Jung gegen Alt auszuspielen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun die Kollegin
Ingrid Pahlmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Facetten des Haushalts wurden von meinen
Vorrednern bereits beleuchtet. Liebe Kollegin Petra
Crone, auch wir als CDU/CSU freuen uns, dass viele unserer Ziele sich in diesem Haushalt wiederfinden und berücksichtigt werden.
({0})
Ich möchte heute bei der Budgetdebatte den Blick besonders auf die Freiwilligendienste lenken. Sie sind
durch die Haushaltsberatungen auf sichere Füße gestellt
worden. Vielleicht können wir alle uns nachher - ich bin
die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hinter diesem Punkt versammeln; vielleicht macht die
Opposition da auch mit.
Heute in einer Woche, nämlich genau am 1. Juli, jährt
sich die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes zum
dritten Mal. Allen Bedenken und Unkenrufen zum Trotz
- Frau Schön hat es schon erwähnt - hat der Bundesfreiwilligendienst nach dem Ende des Zivildienstes alle Erwartungen übertroffen und sich zu einem Modell mit
überragendem Erfolg entwickelt.
({1})
Über alle Generationen hinweg erfreut er sich seit seiner
Einführung vor drei Jahren eines gewaltigen Zuspruchs
und zeigt, wie viele in unserer Gesellschaft bereit sind,
sich einzusetzen, für andere da zu sein, Erfahrungen weiterzugeben und ein Miteinander zu leben.
Rund 100 000 Freiwillige beiderlei Geschlechts und
aller Altersgruppen engagierten sich seit Juli 2011. Auch
in diesem Jahr gibt es wieder rund 35 000 Bufdis in unserem Land. Sie leisten ihren Dienst in den unterschiedlichsten Bereichen: im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich, auf dem Gebiet des Sports, bei der
Integration oder im Zivil- und Katastrophenschutz. Sie
bringen den Einrichtungen oftmals einen frischen und
manchmal erfrischenden Blick von außen. Auch sind sie
unverzichtbarer Bestandteil in den bundesweit über
450 Mehrgenerationenhäusern, deren Finanzierung - es
wurde bereits gesagt - wir ebenfalls für dieses Jahr sichern konnten. Ich bin sehr froh, dass innerhalb der Koalition Einigkeit darüber herrscht, die bestehenden
Mehrgenerationenhäuser zu erhalten und die in Zukunft
wegbrechenden Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds gemeinsam aufzufangen.
Bufdis finden sich in allen Altersgruppen. Ein besonderer Erfolg des Konzepts ist, dass sich in seinem Rahmen auch Menschen mittleren Alters sowie Senioren
und Seniorinnen freiwillig engagieren können. Gerade
die zuletzt Genannten sind eine sehr heterogene Gruppe:
zum Teil Menschen ohne Bildungsabschluss, die von
Arbeitslosengeld II leben, sich sanft wieder in die Arbeitswelt eingliedern wollen und eine neue berufliche
Chance erhoffen; Ältere, oftmals auch Frauen, die lange
ehrenamtlich tätig waren und ihr Engagement über den
Freiwilligendienst intensiver gestalten wollen; Menschen im Ruhestand, die sich engagieren möchten und
nach dem Arbeitsleben nach sinnvoller Betätigung suchen.
Mittlerweile sind rund 40 Prozent der Bufdis älter als
27 Jahre. Für sie bietet sich auch die Möglichkeit, sich in
Teilzeit zu engagieren. Dadurch erhöht sich die Attraktivität des Freiwilligendienstes für ältere Menschen. Sie
alle bringen ihre umfangreichen Erfahrungen ein, geben
sie weiter. So profitieren einerseits die Bundesfreiwilligendienstler, andererseits die Einsatzstellen und nicht
zuletzt die Menschen, die durch ihr Handeln unterstützt
werden.
({2})
In einer Gesellschaft des längeren Lebens ist das Engagement älterer Menschen gleichermaßen sinnstiftend
und gesundheitsfördernd für die Engagierten; es ist
gleichzeitig aber auch unverzichtbare Expertise für die
Gestaltung unserer Gesellschaft.
Freiwilligendienste bilden Empathie, soziales Empfinden und Gewissen. Dies ist eine gesellschaftliche
Aufgabe und nach dem Wegfall des verpflichtenden Zivildienstes besonders wichtig.
Die bewährten Jugendfreiwilligendienste, die seit
50 bzw. 30 Jahren bestehen - hier gab es ja an der einen
oder anderen Stelle gewisse Sorgen -, haben unter dieser
Entwicklung nicht gelitten; im Gegenteil: Durch die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes haben wir das
freiwillige Engagement in seiner Vielfalt gestärkt. Rund
100 000 Menschen jährlich leisten inzwischen einen
Freiwilligendienst: ob Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst.
Erst vor wenigen Wochen konnten wir in diesem Bereich ein anderes Jubiläum feiern. Viele von Ihnen waren
dort. Wir haben 50 Jahre Freiwilliges Soziales Jahr gefeiert. Seit einem halben Jahrhundert bietet das Gesetz
zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres den
rechtlichen Rahmen, in dem sich junge Menschen bis
zur Vollendung des 27. Lebensjahres ein Jahr lang im sozialen Bereich engagieren. Mit der Erweiterung um das
Freiwillige Ökologische Jahr rund 30 Jahre später wurde
der Freiwilligendienst über den sozialen Bereich hinaus
auch auf den Umweltbereich ausgedehnt. Mit der Öffnung des Freiwilligendienstes für alle Altersgruppen
durch die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes
vor drei Jahren sind diese Dienste insgesamt aus ihrer
Nische herausgerückt und in der Mitte der Gesellschaft
angekommen.
Erste Ergebnisse einer laufenden Evaluation belegen
die hohe Qualität der Dienste: 85 Prozent der Befragten
waren mit ihrer Tätigkeit sehr oder überwiegend zufrieden, 88 Prozent der Befragten würden den Freiwilligendienst weiterempfehlen.
Sehr geehrte Damen und Herren der Linken, auch Sie
müssen zur Kenntnis nehmen: Der Bundesfreiwilligendienst ist eine Erfolgsgeschichte.
({3})
Mit Ihrer Forderung nach dessen Abschaffung, wie Sie
es zuletzt in den Beratungen des Familienausschusses
über den Haushalt erneut auf das Tapet brachten, beweisen Sie wieder einmal Ihre Realitätsferne und Ihre Ignoranz der zivilgesellschaftlichen Gestaltungskraft.
({4})
Der Haushaltsausschuss hat den Freiwilligen und den
Einsatzstellen des Bundesfreiwilligendienstes zum dreijährigen Geburtstag indes ein besonderes Geschenk gemacht. Ich möchte den Haushältern von Union und SPD
danken, dass es gelungen ist, in langwierigen und sicherlich durchaus schwierigen Beratungen die fehlenden
20 Millionen Euro für den Bundesfreiwilligendienst bereitzustellen.
({5})
Denn es wäre sowohl den Einsatzstellen wie auch den
Bufdis nicht zu vermitteln gewesen, dass durch einen
Berechnungsfehler im System ihre Arbeit gelitten hätte.
Durch das Handeln der Haushälter, die dieses erkannt
haben, konnte ein Einstellungsstopp beim Bundesfreiwilligendienst verhindert werden. So werden in diesem
Jahr rund 187 Millionen Euro in diesen Dienst investiert.
Es ist nicht nur, aber auch für die Kommunen eine gute
Nachricht, die von der noch vor wenigen Monaten drohenden Einfrierung der Haushaltsmittel für die kommunalen Einsatzstellen besonders stark betroffen gewesen
wären.
Abschließend möchte ich an dieser Stelle allen danken, die sich aus freien Stücken für die Allgemeinheit
engagieren und damit das gute Miteinander in unserer
Gesellschaft stärken,
({6})
die, wie es ein 18-jähriger Bufdi formuliert hat, von anderen Menschen lernen, neue Bereiche kennenlernen,
sich weiterentwickeln und etwas für die Gesellschaft tun
möchten. Vor diesem Engagement können wir alle nur
den Hut ziehen und versuchen, sie mit all unseren Möglichkeiten zu unterstützen, wo immer es nur geht; denn
ihr Handeln ist von unschätzbarem Wert für den Zusammenhalt in unserem Land. Sie alle machen die Gesellschaft aus, die uns so wichtig ist und in der wir leben
wollen. Deshalb werden wir auch in Zukunft daran arbeiten, jedem, der einen Freiwilligendienst leisten
möchte, dies auch zu ermöglichen.
({7})
Dabei ist die finanzielle Ausstattung durch Bund und
Länder die eine Seite der Medaille. Anerkennung, Würdigung jenseits monetärer Zuwendung ist die andere
Seite. Daran müssen wir im Interesse aller Freiwilligen
und im Interesse der Zivilgesellschaft verstärkt arbeiten;
denn ihr Einsatz ist unbezahlbar und wichtig für uns als
Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.
({8})
Kollegin Pahlmann, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich wünsche Ihnen sicherlich im Namen des gesamten Hauses viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
({0})
Der Präsidentin sei erlaubt, anzumerken: Wenn Rednerinnen und Redner schon bei der ersten Rede bemerken, dass sie die Redezeit überzogen haben, dann gibt es
Hoffnung für die Zukunft.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 17? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Unionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.8 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft
Drucksachen 18/1010, 18/1023
Die Berichterstattung haben die Kollegen Cajus
Caesar, Ulrich Freese, Roland Claus und Sven-Christian
Kindler inne.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppierungen in den Reihen der Fraktionen, aber auch auf der
Regierungsbank jetzt zügig vorzunehmen und die entsprechende Aufmerksamkeit herzustellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Vielleicht beschäftigen wir uns, wenn wir über Landwirtschaft und Ernährung sprechen, nicht mit dem größten Haushalt; aber wir reden über ein lebensnotwendiges
Thema.
Auf unserem Planeten leiden fast 900 Millionen Menschen an Hunger, während zugleich 1,4 Milliarden Menschen krankhaft übergewichtig sind. Im vergangenen
Jahr ist weltweit so viel Getreide geerntet worden wie
noch nie zuvor: 2,5 Milliarden Tonnen. Aber nur 45 Prozent dieser Ernte - nicht einmal die Hälfte - diente als
Lebensmittel. Der Rest wurde zu Tierfutter, zu Sprit und
zu Industrierohstoffen verarbeitet.
({0})
Die vorherrschende Agrarpolitik ist eine wichtige Ursache für Klimawandel, Artensterben, Umweltvergiftung, Wasserknappheit, Krankheiten, Kinderarmut und
Ungerechtigkeit.
({1})
Es ist ein krankes System, das dringend verändert werden muss. Die Linke will eine Landwirtschaft, die die
Menschen versorgt und nicht die globalen Märkte.
({2})
Wir wollen soziale und ökologische Weichen stellen,
und dafür kann auch in einem Bundeshaushalt etwas getan werden.
({3})
Wir haben über 20 Vorschläge gemacht, wie der Einzelplan 10 in diese Richtung verändert und verbessert werden könnte. Ich will drei Beispiele herauspicken und hier
kurz vorstellen:
Erstens. Wir wollen, dass Deutschland den Weltagrarbericht unterstützt und international verantwortlich handelt. Was es bedeutet, international verantwortlich zu
handeln, wird in ebendiesem Weltagrarbericht skizziert.
Über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben darin im Jahr 2008 den Stand des Wissens über die
globale Landwirtschaft, ihre Geschichte und ihre Zukunft zusammengetragen. Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Denkschulen
waren daran beteiligt. Diese Arbeit ist mit dem Weltklimabericht vergleichbar, der inzwischen für die Politik
auf dieser Welt prägend ist. Der Bericht ist unbequem
und alarmierend. Er warnt davor, einfach so weiterzumachen wie bisher.
Im Weltagrarbericht wird gefordert, den Hunger in
den Ländern des Südens nicht mit Exportpolitik oder mit
Nahrungsmittellieferungen zu bekämpfen,
({4})
sondern die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vor Ort zu verbessern.
Denn sie sind das Rückgrat der Welternährung und nicht
die großen Betriebe und Agrarkonzerne der Industrieländer, die viel zu viel Öl, Wasser, Boden und Dünger verbrauchen. Es geht nicht allein um die Erträge, die in der
Landwirtschaft erzielt werden, sondern gleichrangig darum, dass die Bäuerinnen und Bauern von ihrer Arbeit
leben können. Auch dafür setzt sich die Linke ein.
Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie den
Bericht mit ihrer Unterschrift anerkennt und die Agrarund Entwicklungspolitik daran ausrichtet. Wir haben beantragt, dass 500 000 Euro zur Verfügung gestellt werden, damit der Weltagrarbericht fortgeschrieben werden
kann.
Der zweite Punkt, der uns wichtig ist, betrifft den
ökologischen Landbau. Das ist die umwelt- und klimaschonendste Form der Agrarwirtschaft. Wir Linke wollen, dass mehr Bauernhöfe auf Bio umstellen und dass
mehr Menschen genug Geld im Portemonnaie haben für
gute Ökolebensmittel. Die sind zwar nicht unbedingt gesünder, aber sie sind mit weniger Chemie belastet, und
vor allem sind sie besser für die Umwelt.
({5})
Biobauern verschmutzen Erde und Wasser weniger
mit Pflanzenschutzmitteln und Dünger und sorgen für
mehr Artenvielfalt. Weil die meisten ökologisch wirtschaftenden Agrarbetriebe sehr arbeitsintensiv sind, leistet der Ökolandbau außerdem einen wichtigen Beitrag
zur Beschäftigung in den ländlichen Räumen.
Hierfür braucht es nicht nur die Unterstützung beim
täglichen Einkauf. Eine politische Aufgabe kann nicht
privatisiert werden. Es braucht den Beitrag der Politik,
und ein solcher Beitrag kann und muss das Bundesprogramm Ökologischer Landbau leisten.
({6})
Bisher werden nur 6,3 Prozent der landwirtschaftlichen
Nutzfläche der Bundesrepublik ökologisch bewirtschaftet. Wir sagen: Da geht wesentlich mehr.
Es hat verschiedene Gründe, dass Agrarbetriebe nicht
auf Bio umstellen. Nach wie vor sind Saatgut, Zuchtlinien, Pflanzenschutz usw. nicht genügend erforscht, es
herrscht auch ein ruinöser Wettbewerb auf dem Biomarkt, und es fehlt an Beratung und Wissenstransfer.
Mit dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau
soll nach unserer Meinung vor allem die Forschungskapazitäten ausgebaut und dafür gesorgt werden, dass einheimische ökologische Erzeugnisse besser bekannt gemacht und vermarktet werden. Wir haben beantragt, dass
das Bundesprogramm dafür um 8 Millionen Euro aufgestockt wird und dass es gänzlich dem Ökolandbau zugutekommt und nicht - wie es im Namenszusatz dieses
Programmes beschrieben ist - auch andere nachhaltige
Formen der Landwirtschaft gefördert werden, weil damit
dem Ökolandbau etwas entgeht. Diese anderen Formen
müssen durch andere Programme finanziert werden.
Sie haben unseren Antrag leider abgelehnt, aber immerhin ist ein Vorschlag der Linksfraktion aufgenommen
worden, nämlich einen eigenen Titel für Eiweißfutterpflanzenprojekte einzustellen. 3 Millionen Euro stellen
Sie dafür zur Verfügung. Ich sage Ihnen, warum wir das
wollen. Das Problem ist, dass Tierhaltungsbetriebe eiweißhaltiges Futtermittel importieren. Zu großen Teilen
wird es aus Südamerika importiert, und dort werden
Nutzflächen in Konkurrenz zu den Kleinbauern vor allem von großen Agrarkonzernen bewirtschaftet. Wir
brauchen eine eigene Eiweißfuttermittelproduktion. Dafür braucht es Forschung und Unterstützung. Wir müssen perspektivisch aufhören, Lebensmittel zu importieren. Wir müssen die Ernährungssouveränität überall
respektieren.
({7})
Schließlich möchte ich noch einen letzten Punkt ansprechen.
Kollegin Leidig, das können Sie gerne tun, tun das
aber jetzt auf Kosten Ihrer Kollegin.
Gut, dann erwähne ich nur, dass wir die Subventionen
für den Agrardiesel schrittweise streichen wollen, dass
wir damit jährlich 43 Millionen Euro einsparen könnten
({0})
und dass mit diesem Geld sehr viel sinnvolle sozial-ökologische Projekte gefördert werden könnten anstatt Sprit
zu verbrennen.
Besten Dank.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Cajus
Caesar das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst geht mein Dank an den Minister
Christian Schmidt und natürlich auch an die anwesenden
Staatssekretäre. Der Minister steht für einen starken
ländlichen Raum, er steht für eine multifunktionale
Landwirtschaft, und er steht für bäuerliche Betriebe, die
sich entwickeln können. Dafür darf ich ihm an dieser
Stelle, auch im Namen meiner Fraktion, herzlichen Dank
sagen.
({0})
Ich darf mich auch beim Team des Ministeriums für
die gute Zuarbeit bedanken. Wir haben alle Informationen erhalten. Ich darf mich besonders bei den Mitberichterstattern bedanken: bei Ulrich Freese, bei SvenChristian Kindler und bei Roland Claus, der im Moment
nicht hier ist. Herzlichen Dank für die faire Zusammenarbeit.
Die Union steht für eine Landwirtschaft des unternehmerischen Mittelstandes. Wir stehen aber auch für geCajus Caesar
sunde Ernährung, und wir stehen für eine Entwicklung
des ländlichen Raums. Wir, die Große Koalition, messen
dem ländlichen Raum, der 90 Prozent der Fläche
Deutschlands ausmacht, große Bedeutung für die Entwicklung unseres Landes bei. Wir sehen darin große
Chancen für die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft,
für all diejenigen, die mit ihren Familien im ländlichen
Raum ihre Heimat gefunden haben. Deshalb danke ich
all denen, die sich im und für den ländlichen Raum engagieren.
({1})
Ländlicher Raum bedeutet Arbeit und Einkommen.
Wir, die Union, setzen in diesem Bereich Schwerpunkte.
Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Der Mensch im
Mittelpunkt - das bedeutet auch, Verantwortung für Tier
und Umwelt zu übernehmen. Dementsprechend setzt unsere Facharbeitsgruppe mit Franz-Josef Holzenkamp, mit
Alois Gerig, mit Marlene Mortler und unserem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dr. Franz Josef Jung
Akzente. Deshalb haben wir mit unseren Partnern von
der SPD in der Großen Koalition einen Haushalt gestaltet, der sich sehen lassen kann.
({2})
Wir setzen in diesem Haushalt zusätzliche Mittel für
die sogenannte Eiweißstrategie ein. Wir sehen darin die
große Chance, dass auf Dauer weniger Importe notwendig sind. Wir sehen darin die Chance für Innovationen
für unsere Landwirtschaft insgesamt.
Wir halten die Tierwohlinitiative mit den entsprechenden Modell- und Demonstrationsvorhaben für die
richtige Vorgehensweise. Wir haben dafür 3 Millionen
Euro im Haushalt verankert. Diese 3 Millionen Euro
sind uns, auch wenn das kein riesiger Betrag ist, sehr
wichtig. An dieser Stelle darf ich denjenigen aus dem
bäuerlichen Metier danken, die diesbezüglich zusammen
mit der mittelständischen Wirtschaft etwas voranbringen. Wir sind damit auf dem richtigen Weg. Das ist die
Vorgehensweise der Union: Mit den Menschen vor Ort
und mit den Beschäftigten wollen wir Akzente setzen.
Ich glaube, das ist der richtige Weg.
({3})
Wir setzen auf Forschung und Innovation. Deshalb
sind uns unsere Forschungsinstitute sehr wichtig. Wir
haben sie personell und finanziell gut ausgestattet; denn
Forschung und Innovation bedeuten Zukunft für unsere
Landwirtschaft, für unsere Forstwirtschaft, für unsere
Fischerei, für all diejenigen, die in diesem Bereich Aktivitäten entfalten.
Wir haben mit diesem Haushalt Akzente gesetzt, insbesondere im Bereich der Forst- und Waldwirtschaft.
Nun kann man denken, dass das ein kleiner Randbereich
ist. Man sollte aber genau hinschauen: In der Forst- und
Holzindustrie gibt es mehr Arbeitsplätze als in der Automobilindustrie. Das sollte man nicht vergessen. Mit einem Umsatz von 170 Milliarden Euro ist das ein riesiger
Bereich. Dieser Aufgabe stellen wir uns.
({4})
Wir haben in dieser Koalition gemeinsam festgelegt,
dass uns dieser Bereich wichtig ist. Daher setzen wir
5 Millionen Euro für die internationale nachhaltige
Waldbewirtschaftung ein. 20 Prozent des weltweiten
CO2-Ausstoßes werden durch Waldvernichtung erzeugt.
Jährlich werden 13 Millionen Hektar Wald vernichtet.
Deshalb ist es richtig, dass wir das Holzhandels-Sicherungs-Gesetz auf den Weg gebracht haben; aber es muss
auch mit Leben erfüllt werden. Deshalb müssen die
finanziellen und personellen Rahmenbedingungen richtig ausgestaltet werden. Das ist der richtige Weg. Im Bereich der nationalen Waldwirtschaft haben wir ebenfalls
entsprechende Mittel verankert. Ich glaube, auch diesbezüglich sind wir auf dem richtigen Weg. Wir wollen diesen Weg weitergehen; denn ein umweltfreundlich erzeugter Rohstoff bedeutet Arbeitsplätze, Wertschöpfung
und letztendlich auch eine stoffliche Verwertung sowie
durch die Kaskadennutzung auch eine energetische Nutzung. Dies ist ein wichtiger Bereich für uns. Deshalb haben wir ihn in diesem Haushalt entsprechend abgebildet.
Wir sind dankbar dafür, dass maßgebliche Verbände
unsere Politik unterstützen.
({5})
- Wir waren sehr froh, Sven-Christian Kindler, dass wir
in diesem Bereich sehr positive Resonanz der Verbände
- des WWF, des NABU, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und des Bundes Deutscher Forstleute -, erhalten haben, um die entsprechenden Antworten geben
zu können. Die Menschen vor Ort sind uns also wichtig.
Auch die Verbände, welche die Menschen vertreten, sind
uns wichtig. Wir als Union sind an der Seite dieser Menschen.
({6})
Wir haben auch sehr intensiv über den Bereich der
nachwachsenden Rohstoffe diskutiert. Dieser Bereich,
der insgesamt mit 60 Millionen Euro ausgestattet ist
- Alois Gerig lächelt gerade, weil er dort Verantwortung
trägt -, ist uns wichtig, weil er auch Zukunftsprojekte
auf den Weg bringt. Ich nenne nur die Erforschung neuer
Biogaspflanzen und Energiepflanzenfruchtfolgen. Er beinhaltet aber auch Projekte, die dazu führen sollen, dass
beispielsweise durch Mikroalgenanbau Kraftstoff erzeugt werden kann. Das sind aktuelle Projekte, die finanziell von uns ausgestattet worden sind, weil sie zukunftsfähig sind. Mit ihnen werden die nachwachsenden
Rohstoffe gut erforscht.
In vielen Bereichen reden wir über Vermaisung. Deshalb ist es richtig, dass wir alle Alternativen betrachten.
Ganz davon abgesehen gibt es gar keine Vermaisung;
denn viele Bereiche haben unter 10 Prozent oder nur
15 Prozent Maisanteil. Das sollte an dieser Stelle fairerweise auch einmal zum Ausdruck gebracht werden.
({7})
Im Hinblick auf den Stellenplan haben wir sehr wohl
in Betracht gezogen, wie die Bürger uns sehen. Die Bürger wollen sehen, was sie kaufen. Sie wollen aber auch
sehen, wie es produziert wird. Deshalb setzen wir durch
die entsprechenden Forschungsmittel in der Lebensmittelsicherheit auf Rahmenbedingungen für gesunde Ernährung.
Wir sind, glaube ich, auch beim Tierwohl auf dem
richtigen Weg. Dort wollen wir entsprechende Maßnahmen sowohl im Forschungsbereich als auch im praktischen Bereich auf den Höfen selbst durchführen. Das
soll im Miteinander von bäuerlichen Familienbetrieben
bzw. bäuerlichem Mittelstand und dem Bürger geschehen, der die Produkte - so denke ich - ganz gerne als
Nahrung zu sich nimmt, um diese Verbindung herzustellen bzw. diesen Kreis zu schließen. Dieses Miteinander
soll stattfinden, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Es
soll nicht gegeneinander gearbeitet werden. Das ist uns
wichtig.
Nach dem Hochwasser haben wir - das kann sich sehen lassen - 8 Milliarden Euro für die Flutopferhilfe bereitgestellt. Das haben wir unbürokratisch getan; deshalb
sind auch so viele Mittel abgeflossen. Wir wollen aber
- deshalb haben wir diesen Akzent gesetzt - nicht nur
reparieren, sondern zukünftig in besonderem Maße in
diesem Bereich präventiv tätig werden. Darum haben
wir als Haushaltsausschuss einen Maßgabebeschluss initiiert. Wir wollen, wenn in wenigen Wochen die Ergebnisse in Bezug auf den Hochwasserrahmenplan vorliegen, diese präventiven Maßnahmen in den dann
folgenden Monaten mit Leben erfüllen. Deshalb haben
wir mit dem Maßgabebeschluss die Bundesregierung
aufgefordert, aktiv zu werden, sobald die Ergebnisse
vorliegen und wir die entsprechenden länderübergreifenden Maßnahmen auf den Weg bringen können.
({8})
- Das ist ein wichtiger Bereich. Sehr richtig! - Die
Große Koalition setzt mit diesem Haushalt Akzente. Sie
handelt im Sinne der Zukunftsfähigkeit des ländlichen
Raums sowie einer hochwertigen und gesunden Ernährung. Natürlich handelt sie im Rahmen von Klima- und
Umweltschutz, aber auch, um Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu sichern und weitere hinzuzugewinnen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Der Kollege Sven-Christian Kindler spricht nun für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben in der Landwirtschaft in Deutschland heute mit sehr vielfältigen Problemen zu kämpfen.
Dabei geht es unter anderem um industrielle Massentierhaltung, Monokulturen, gentechnisch verändertes Saatgut,
({0})
die Dominanz von Agrarkonzernen gegenüber bäuerlichen Betrieben und das Höfesterben, das wir in
Deutschland erleben. Die Frage ist: Was macht die Bundesregierung, was machen eigentlich Sie als Landwirtschaftsminister, Herr Schmidt? Sie machen weiter wie
bisher. Das ist „business as usual“. Keine neuen Ideen,
keine Antworten auf die großen Probleme in der Landwirtschaft. Ich sage Ihnen: So kann es nicht weitergehen.
Wir brauchen in Deutschland endlich eine Agrarwende.
({1})
- Da brauchen Sie bei der Union gar nicht zu lachen.
({2})
Die großen Probleme zeigen sich auch in diesem
Agrarhaushalt, zum Beispiel war die Aufhebung der
Zweckbindung der Mittel für das Bundesprogramm
Ökologischer Landbau ein riesiger Fehler. Dies hat den
Ökolandbau auf Bundesebene enorm geschwächt.
({3})
Dabei entstehen gerade im Ökolandbau viele nachhaltige
Arbeitsplätze. Dort sorgt man für Naturschutz, für Umweltschutz, und es entstehen leckere Produkte. Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, das Bundesprogramm Ökologischer Landbau zu kastrieren. Es muss
endlich gestärkt werden.
({4})
- Ich bin im Gegensatz zu Ihnen im Haushaltsausschuss
und habe den Haushalt auch gelesen.
({5})
Ich würde Ihnen einen Blick in den Haushalt empfehlen.
Gleichzeitig haben wir immer größere Probleme in
der agroindustriellen Landwirtschaft. Diese werden immer offensichtlicher. Das jüngste Beispiel sind die antibiotikaresistenten Krankheitserreger in Wurst und
Schinken. Ihren Ursprung haben diese Bakterien auch
im massiven, häufig unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung. Die Mastställe sind
quasi ein Fitnessstudio für Bakterien. Eine wirksame Reaktion der Bundesregierung bleibt bisher aus. Das ist unverantwortlich gegenüber den Menschen und auch gegenüber den Tieren.
({6})
Für diese immer wiederkehrenden Lebensmittelskandale sind nicht nur einzelne schwarze Schafe verantwortlich. Das sind keine Einzelfälle. Vielmehr handelt es sich
um strukturelle Probleme der Agrarpolitik, einer Agrarpolitik, die ihren Fokus eben nicht auf Verbraucherschutz legt, ihren Fokus nicht auf Tierschutz und nicht
auf Klimaschutz legt, sondern auf industrielle Massentierhaltung und Großbetriebe. Die Lebensmittelskandale
sind nicht ein Fehler im System, sondern das System ist
der Fehler.
({7})
Die Bundesregierung schützt dieses System auf Teufel komm raus. Der Bundesregierung geht es in der
Agrarpolitik leider nicht um gesunde Ernährung, um gesunde Böden und um gesunde Tiere. Ihnen geht es doch
primär um die Interessen der Agrarlobby. Bestes Beispiel dafür ist die Gentechnik. Minister Schmidt, Sie haben angekündigt, dass Sie angeblich ein nationales Anbauverbot in Deutschland erreichen wollen. Als das
europaweite Verbot von Genmais in Brüssel anstand, hat
die Bundeskanzlerin allerdings mit der Enthaltung in
Brüssel dafür gesorgt, dass dem Genmais der Weg geebnet wird. Frau Merkel hat damit gegen den Willen der
breiten Bevölkerung verstoßen und der Gentechniklobby
in Europa Tür und Tor geöffnet. Hier in Deutschland mit
dem Verbot Scharade spielen und in Brüssel für die Konzerne den Genmais durchkämpfen - das ist die Methode
Merkel. Diese Doppelmoral, diese Doppelzüngigkeit bei
der Gentechnik finde ich wirklich unerträglich.
({8})
Frau Merkel, Herr Schmidt, Sie sind damit Erfüllungsgehilfen der Gentechniklobby. Sie alle kennen das
Papier der Gentechniklobby in Brüssel, die einen konkreten Plan vorgelegt hat, wie man die Gentechnik in
Europa gegen den Willen der breiten Bevölkerung wieder hoffähig macht. Nach diesem Plan agiert jetzt die
Bundesregierung. Das nationale Anbauverbot war ja
eine Idee der Konzerne. Die Konzerne müssen der Optout-Lösung zustimmen, damit das Ganze rechtssicher
ist. Ich frage mich, wo wir eigentlich sind.
({9})
Herr Schmidt, Sie haben gesagt, Sie seien Koch und
nicht Kellner. Dann verhalten Sie sich bitte auch so, und
lassen Sie sich von der Lobby nicht Ihre Politik diktieren.
({10})
Für die großen Agrarkonzerne setzt sich die Bundesregierung leider auch bei den anstehenden Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA, TTIP,
und mit Kanada, CETA, ein. Es zeigt sich leider, dass als
Erstes der Konzernprofit kommt. Das dahinter ist nachrangig. Diese Abkommen sind ein großer Angriff auf
Verbraucherschutzstandards, auf Tierschutzstandards
und auf Lebensmittelstandards. Diese Abkommen sind
auch ein Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat.
({11})
Schauen wir uns einmal die rechtsstaatliche Seite an:
Sonderprivilegien bei Gerichten für bestimmte Gruppen,
in diesem Fall Konzerne, und eine Justiz, die im Geheimen tagt, die nicht öffentlich tagt. Das ist tiefstes Mittelalter, das ist ideengeschichtlich vor der Aufklärung. Wir
sagen ganz klar: Diese Konzernjustiz geht gar nicht.
Herr Schmidt, ich fordere Sie auf: Erteilen Sie dieser
Konzernjustiz eine klare Absage!
({12})
Dabei geht es auch anders. Die Agrarpolitik muss sich
nicht vor den Karren der Agrarlobby spannen lassen.
Das hat Renate Künast bewiesen.
({13})
- Ja, so ist es; Sie wissen das doch genau.
({14})
Renate Künast hat auf Bundesebene den Ökolandbau
und die Agrarwende eingeleitet. Schwarz-Gelb und die
Große Koalition machten die Rolle rückwärts. Viele
grüne Agrarminister zeigen in den Ländern, wie es geht.
Ich komme aus Niedersachsen, dem Landwirtschaftsland Nummer eins. Ich kann Ihnen sagen: Wenn man
durch das Land fährt, ist spürbar, wie die sanfte Agrarwende der rot-grünen Landesregierung wirkt. Herr
Schmidt, ich lade Sie ein: Kommen Sie nach Niedersachsen und schauen Sie sich an, wie man die Abkehr
von der Massentierhaltung und der Agroindustrie schaffen kann! Ich bin mir sicher, der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer erklärt Ihnen gerne,
wie man die Agrarwende auch auf Bundesebene einleiten kann.
({15})
Wir haben Ihnen auch im Hinblick auf den Haushalt
gezeigt, wie man die Agrarwende auf Bundesebene vorantreiben kann. Klimaschutzprogramm, Subventionsabbau beim Agrardiesel, Investitionshilfen für bäuerliche
Betriebe, Ökolandbauforschung, all das haben wir im
Ausschuss beantragt. Sie haben es abgelehnt; das ist klar.
Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz und Verbraucherschutz spielen für die Große Koalition keine Rolle. Eine
echte Agrarwende gibt es eben nur mit den Grünen.
Vielen Dank.
({16})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Ulrich Freese
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kindler,
in Niedersachsen sind Sie ja erst seit anderthalb Jahren
mit uns gemeinsam an der Regierung. Das Land Niedersachsen am heutigen Tage in dieser Art und Weise für
seine Agrarpolitik zu loben, obwohl ein nicht unerheblicher Anteil der Erträge der Flächen nicht für den Teller,
sondern für den Tank ist, halte ich für unangemessen.
({0})
Es gibt kein anderes Bundesland, in dem ein so großer
Anteil in der Energiewirtschaft eingesetzt wird.
Die zweite Bemerkung. Wenn unsere Exporte aus
dem Bereich der Landwirtschaft und der Ernährungswirtschaft ein Volumen von 66 Milliarden Euro haben
und davon 80 Prozent in die Europäische Union fließen,
wo ja hohe Lebensmittelstandards gefordert sind, dann
können die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft
in Deutschland nicht schlecht sein. Dann müssen sie beispielhaft sein; denn unsere Produkte werden in allen
Ländern nachgefragt.
({1})
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um den
Haushalt 2014 und perspektivisch natürlich auch um den
Haushalt 2015. Das, was wir zu entscheiden haben - ich
habe das schon in meiner Einbringungsrede gesagt -,
stammt aus Zeiten einer CDU/CSU-FDP-Regierung
bzw. von einem von der Union geführten Ministerium.
Durch konstruktive und gute sachliche und fachliche Arbeit unter Einbeziehung der Fachpolitiker - meiner Ansicht nach ist sie allerdings noch ausbaufähig - ist es gelungen, sozialdemokratische Vorstellungen zum Teil
schon in den Haushalt 2014 einzubeziehen.
Cajus Caesar hat auf die Eiweißstrategie hingewiesen.
Es ist dem sozialdemokratischen Engagement zu verdanken, dass hierfür perspektivisch ein eigener Haushaltstitel im Ministerium hinterlegt ist. Es wurde klar definiert,
dass es um einen Betrag von 3 Millionen Euro geht;
auch aus anderen Bereichen des Haushalts sind bestimmte Punkte übernommen worden. Für die Zukunft
sind also 3 Millionen Euro, verbunden mit Ausbauzielen, hinterlegt. Die Eiweißpflanzenstrategie ist nämlich
strategisch bedeutsam - das haben einige Rednerinnen
und Redner hier klar und deutlich zum Ausdruck gebracht -, um die Futtermittelwirtschaft auf eigene und
gesunde Beine zu stellen.
({2})
Ein weiterer Punkt ist nicht unwichtig. Als ich auf
dem Verbandstag des Landesbauernverbandes Brandenburg war, hat mich ein Begriff in dem, was wir tun, sehr
bestärkt, und zwar der Begriff „nasse Enteignung“. Dass
wir uns nun auf den Weg machen und durch den Maßgabebeschluss einen nationalen Hochwasserschutzplan für
die Bundesrepublik Deutschland in den Haushalt 2015
hineinbringen, ist ein deutliches Signal an alle, die von
Hochwasser geschädigt sind.
({3})
Ich will sagen, dass mich die Aussage der Ministerin
Hendricks in der Bereinigungssitzung sehr erfreut hat,
dass das Ministerium Schmidt und das Ministerium
Hendricks gemeinsam beim Bundesfinanzminister - für
das Haushaltsjahr 2014 beim BMEL angesiedelt 40 Millionen Euro als ersten Schritt für den nationalen
Hochwasserschutzplan angemeldet haben. Wir werden
sie dabei unterstützen, dass dies auch 2015 tatsächlich
realisiert wird.
Als weiterer Punkt ist für uns Sozialdemokraten von
großer Bedeutung, dass wir mit der sozialen Ungerechtigkeit im Bereich der Altersversorgung der Landwirte
aufräumen und damit beginnen, vernünftige Regelungen
herbeizuführen. Die Hofabgabeklausel muss für das
Haushaltsjahr 2015 endlich modifiziert werden.
({4})
Die Gutachten sind eindeutig und zeigen uns den Weg
auf. Wir haben bei der Einbringung des Haushaltes gesagt: 10 Prozent Abschlag, wenn der Hof weitergeführt
wird; das wird auch vom Thünen-Institut vorgeschlagen.
Das halte ich für eine vernünftige sachliche Regelung,
die wir gemeinschaftlich anstreben sollten.
({5})
Herr Minister, die sportliche Aufgabe wird nun darin
bestehen, bei der Aufstellung und Beratung des Haushalts für 2015 hierfür auch die notwendigen finanziellen
Untersetzungen zu bedenken und klarzustellen, dass wir
dieses gemeinsame Ziel in dieser Wahlperiode, am besten zu Beginn des Jahres 2015, endlich angehen werden. - Ich sehe, die rote Lampe leuchtet. Meine Kolleginnen und Kollegen, die aus fachpolitischen Gründen
noch sprechen werden, werden an der einen oder anderen Stelle noch vertiefend darauf eingehen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung und
Landwirtschaft, Christian Schmidt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vorneweg: Herzlichen Dank dem Fachausschuss und dem Haushaltsausschuss, den Berichterstattern, für die auch bei unterschiedlichen Positionen im
Ergebnis doch sehr konsensuale Aufstellung des Einzelplans 10: mit 5,3 Milliarden Euro sogar noch etwas on
top drauf, zwar nicht sehr viel, aber immerhin, auch in
einem Bereich, Kollege Freese, der das Thema Wald und
andere Themen betrifft. Herzlichen Dank dafür!
Wir haben damit für 2014 Verlässlichkeit für Bauernfamilien und Verbraucherinnen und Verbraucher geschaffen. Der Haushalt steht für die bäuerlich-nachhaltige Landwirtschaft, für die Sicherung gesunder
Lebensmittel, für den Schutz des Waldes durch Nutzung
und für attraktive ländliche Räume.
Wir setzen - ich darf den Hinweis gerne aufnehmen auch in der landwirtschaftlichen Sozialpolitik wichtige
Akzente. Die Sozialpolitik ist in der finanziellen Struktur des Etats meines Hauses das Schwergewicht. Dort federn wir durch eine Mittelaufstockung die Folgen des
geringeren Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds
ab. Das sind allein in diesem Jahr 37 Millionen Euro, mit
denen wir unsere Landwirte vor einer einseitigen Belastung schützen, die wir aber - um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen - nicht allein dem Finanzminister anlasten. Wir haben die Mittel auch aus eigenen
Reserven mit Zustimmung des BMF aktiviert.
Die soziale Sicherung der Bauernfamilien und eine
geregelte Hofnachfolge sind wesentliche Säulen für eine
zukunftsfeste Landwirtschaft in Deutschland. Wir haben
in der Koalitionsvereinbarung die Neugestaltung der
Hofabgabeklausel zugesagt, und wir werden uns auch
daran halten.
({0})
Dabei werden wir sowohl die Interessen der ausscheidenden Generation als auch die Interessen der kommenden Junglandwirte im Auge behalten.
Kollege Freese, gestatten Sie mir, auf einen Punkt
hinzuweisen, der mir aufgefallen ist: Bei allem Respekt
vor denen, die sich um das Thema kümmern - wir kennen die Arbeitsgruppen -: Das sind keine Organisationen oder Gruppen, die vor extremer Jugendlichkeit sprühen. Das heißt nicht, dass deren Hinweise nicht in
Ordnung sind, aber ich finde schon, dass wir auch mit
der jungen Generation sprechen müssen, wenn wir über
Sozialpolitik reden, und das will ich tun.
({1})
Ich will zugleich noch auf einen anderen Punkt hinweisen, der sich auf die Substanz der Höfe und der Vermögen bezieht: In den nächsten Wochen findet in Karlsruhe eine mündliche Verhandlung statt, in der es um die
Erbschaftsteuer geht, also ein anderes Thema. Mittelbar
kann diese Verhandlung aber durchaus auch Bezüge zur
Generationenfolge im landwirtschaftlichen Betrieb haben. Deswegen werden wir die Erfahrungen und Erkenntnisse, die sich daraus ergeben, in unsere Beratungen
mit aufnehmen. Das lässt sich auch zeitlich gut parallelisieren; denn ich gehe davon aus - das hört man -, dass
hierzu möglicherweise noch in diesem Jahr etwas gesagt
werden muss. Wir haben aber Argumente dafür, dass die
Betriebsvermögen nicht mit weiteren Substanzsteuern
belastet werden sollten. Das muss der Ausgangspunkt
sein.
({2})
Ein Thema beim morgen beginnenden Deutschen Bauerntag wird sein, dass wir unseren Landwirten mit dem
durch die Energiewende bedingten Flächenverbrauch
- wir werden in dieser Woche ja noch über den Kompromiss beraten, der zum EEG gefunden worden ist ({3})
und mit den Vorschriften zum Dünge- und Pflanzenschutz nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Der
Boden ist Geschäftsgrundlage unserer Bauern, und das
muss er auch bleiben.
Einer bäuerlich nachhaltigen Landwirtschaft den Rücken zu stärken, ist auch ein wichtiges Anliegen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie vertrauen auf die
Leistungsträger in der Fläche, stellen jedoch zugleich
hohe Ansprüche an die Erzeuger von Nahrungsmitteln
und Energie, an die Pflege der Kulturlandschaften und
vor allem an die Produkte. Das tun sie zu Recht.
Die Gemeinsame Agrarpolitik gibt Antworten auf
diese hohen Ansprüche. Sie wurde jahrelang hart verhandelt. Jetzt steht sie sowohl auf europäischer Ebene
als auch in Deutschland vor der Umsetzung. Ich bedanke
mich auch hier noch einmal dafür, dass das eine oder andere abschließend angepasst worden ist - natürlich im
Wege der Kompromissfindung -, sodass wir die Zahlungen zum 1. August 2014 mit einer, wie ich finde, guten
Perspektive auf eine neue Basis stellen können, indem
4,5 Prozent der Mittel aus der ersten Säule - den Direktzahlungen - in die zweite Säule umverteilt werden.
Ich meine, dass wir die zweite Säule auch für das eine
oder andere im Blick behalten müssen, was wir in der
nächsten Zeit und in den nächsten Jahren gestalterisch
noch tun können. Die Verbraucher, die Bürgerinnen und
Bürger und auch die Landwirte wünschen sich eine Bewirtschaftung der Flächen, die im Einklang mit der Umwelt steht. Dazu gibt es nicht nur das Schlagwort des
Greening, sondern auch die Umsetzung des Greening,
das den Wechsel der Fruchtfolgen, den wirksamen
Schutz von Dauergrünland und ökologische Vorrangflächen vorschreibt - all das, ohne pauschal wertvolle Flächen stillzulegen. Ich denke, wir haben hier einen guten
Weg gefunden.
Im Bereich des Tierwohls werden wir - das ist heute
angesprochen worden - in absehbarer Zeit von verschiedenen Seiten Unterstützung erhalten. Ich denke, dass
sich daran auch der Deutsche Bauernverband mit seiner
Initiative und der Handel beteiligen werden. Daneben
werden wir auch weitere wichtige Verantwortliche in
diese Tierwohlinitiative mit einbeziehen. Von meiner
Seite aus werde ich dem Koalitionsvertrag natürlich
auch Folge leisten, und wir werden seitens meines Hauses weitergehende Initiativen zu diesem Thema ergreifen.
Es geht um Forschungsprojekte. Wie können wir verhindern, dass jedes Jahr 45 Millionen männliche Küken
sterben müssen oder dass, wie wir neulich gelernt haben,
trächtige Rinder geschlachtet werden? Es geht um Innovation. Wie modernisiert man, und zwar ökonomisch
tragbar, einen Stall so, dass das Schwänzebeißen in der
Rindermast verhindert wird? Es geht um Demonstrationsvorhaben. Wer taugt als Vorbild, vielleicht für eine
ganze Branche? Es geht um Best Practice, also darum,
sich vom anderen, egal ob inländisch oder ausländisch,
das Gute abzuschauen. Das ist für mich ein ganz wichtiger Weg.
In den nächsten drei Jahren geben wir 30 Millionen
Euro für Innovationen im Rahmen einer nachhaltigen
Nutztierhaltung aus, 12 Millionen Euro für die Minimierung von Antibiotika in der Lebensmittelkette und
21 Millionen Euro für Modell- und Demonstrationsvorhaben. Noch einmal herzlichen Dank an die Haushälter
für die Unterstützung dieser Initiative.
({4})
Wir werden die Forschung noch weiter ausbauen. Ich
habe nicht zum Haushalt 2015 zu reden, aber ich darf
meinen Grundoptimismus anmelden, dass gezielte Forschung auch in dieser Zeit einen Platz in unserem Etat
finden wird.
Ich bekenne mich zur Tierhaltung in Deutschland,
keine Frage. Sie muss wissensbasiert das Wohl des einzelnen Tieres im Blick behalten. Es muss aber auch darüber informiert werden, was die Grundlagen und Notwendigkeiten der Nahrungsmittelversorgung sind, die
sich daraus ergibt.
Ich will zum Thema TTIP - Herr Kollege Kindler, Sie
haben das angesprochen - einen Satz sagen. Ja, ich bin
sehr dafür, dass wir nicht nur über Transparenz diskutieren, sondern auch Transparenz haben. Mein tüchtiger
Parlamentarischer Staatssekretär Peter Bleser hat mir
heute einen guten Vorschlag unterbreitet. Er hat gesagt:
Lasst doch einmal Vertreter der amerikanischen FDA,
also der Food and Drug Administration, amerikanische
und europäische Wissenschaftler - wir werden sie nicht
zusammen einsperren - miteinander diskutieren. Wir
stellen Fragen, und wir lassen uns auch über unterschiedliche Positionen informieren. Es wird sicherlich
viele Punkte geben, wo wir einen völlig anderen Ansatz
haben, dem die andere Seite nicht folgen kann.
Mir wäre es schon recht, wenn wir die Diskussion ein
klein wenig, lieber Kollege Kindler, über das Plakatieren
von Chlorhühnchen hinaus führen würden.
({5})
Schon auf Plakaten kann man nicht unterscheiden, wo
sich das Chlor wirklich befindet. Wir sollten uns schon
die Mühe machen, dass wir diese Themen intensiv diskutieren.
Herr Minister, würden Sie, kurz bevor die Ihnen von
der Fraktion zugedachte Redezeit zu Ende ist, eine Frage
des Kollegen Kindler zulassen?
Aber sehr gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Minister. - Das Wort „Chlorhühnchen“ habe ich in meiner Rede nicht erwähnt.
Das ist richtig.
Gut. - Mir ging es neben der Gefahr für Verbraucher
und Lebensmittelstandards vor allen Dingen um die
Frage von Rechtsstaatlichkeit. Ich kann nicht verstehen,
warum es, wie gesagt, notwendig ist, bestimmten Gruppen Sonderprivilegien vor Geheimgerichten einzuräumen, gerade zwischen funktionierenden Rechtsstaaten
wie der Europäischen Union und den USA.
Meine Frage in meiner Rede auch an Sie war, ob Sie
sich klar gegen „investor to state arbitration“ und Konzernjustiz aussprechen und deutlich sagen: Ein Abkommen mit solchen Regelungen kann es nicht geben.
Lieber Kollege, Sie hatten das Ganze in die vordemokratische Zeit verlegt. Meine Antwort ist daher Ja und
Nein. Investitionsschutzabkommen waren das klassische
Instrument, um beim Handel mit Ländern, die dazu neigten, alle zwei Jahre die Produktionsmittel zu verstaatlichen, sicherzustellen, dass derjenige, der investiert hat,
seine Mittel behält. So war das, und so ist es.
({0})
- Ich glaube, das ist unbestritten. - Lassen Sie uns den
Gedanken weiterentwickeln. Ich weiß, ich bin zu leise
und zu zurückhaltend, aber ich denke, und dann muss
man manchmal auch zuhören.
({1})
Jeder so, wie er es gelernt hat und wie er es kann. In dieser Sache kenne ich mich ziemlich gut aus.
Ich bin sehr mit Ihnen einer Meinung, lieber Kollege
Kindler, dass es nicht sein kann, dass im Rahmen von
Abkommen zwischen demokratischen Staaten demokratische Entscheidungen infrage gestellt werden, wenn sie
nach internationalen Regeln getroffen wurden. Ich darf
darauf hinweisen: Die WTO gibt uns internationale Regeln, und in diesem Rahmen müssen wir uns bewegen.
Wenn wir im Rahmen dieser Regeln beispielsweise ein
nationales Anbauverbot für gentechnisch veränderte Organismen aussprechen, kann es nicht sein, dass durch
Schiedsverfahren, die von amerikanischen oder brasilianischen Anwaltskanzleien oder von wem auch immer
angestrengt werden, Entscheidungen gefällt werden, die
das aushebeln. Das kann nicht sein. Das wäre in der Tat
vordemokratisch.
({2})
Deswegen empfehle ich schon jetzt - das als Hinweis die sehr gute Ausarbeitung und Positionierung zur Lektüre, die die Europäische Kommission im letzten Jahr zu
dieser Frage gemacht hat.
Das kann nicht sein, und das darf nicht sein. Was allerdings schon sein muss, ist, dass in einem Schiedsverfahren Streitigkeiten zwischen Beteiligten gelöst werden
können. Denn ein solches Abkommen wird es auf der
Welt nicht geben, bei dem es keine unterschiedlichen
Auslegungen gibt.
Herr Minister, ich habe den Eindruck, dass der Kollege Kindler einsieht, dass er fast Ihrer Meinung ist.
({0})
Wenn Sie jetzt noch einen schönen Schlusssatz formulieren, könnten wir in der weiteren Debatte fortfahren.
({1})
Herr Präsident! Ihrer Anregung folgend und auf das
Angebot verweisend, dass wir dieses Thema dann nicht
nur bei der Bleser’schen Veranstaltung vertiefen,
möchte ich betonen, dass wir uns sauber Grundlagen legen, bevor wir allgemein über diese Dinge diskutieren.
Denn der Schutz des Waldes durch Nutzung, die Stimme
der ländlichen Räume und das Hochwasserthema, das
angesprochen worden ist, sind Fragen, mit denen wir uns
auch in diesem Haushalt - jedenfalls ansatzweise, was
das Hochwasser betrifft - beschäftigen werden.
Ich bedanke mich sehr, dass wir auch im Rumpfhaushaltsjahr 2014 in der Lage sein werden, Akzente zu setzen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Karin Binder für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Diese Woche,
noch kurz vor der Sommerpause, wird uns die abschließende Beratung des Bundeshaushalts 2014 aufgetischt.
Wir beraten einen Speiseplan, dessen Zutaten schon zur
Hälfte aufgegessen sind. Da bleibt natürlich auch im
Haushalt des Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung einiges auf der Strecke, vor allem die gesunde
Ernährung, der gesundheitliche Verbraucherschutz und
letztlich die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Sie selbst, Herr Minister, haben am 8. April in dieses
Mikrofon gesprochen - ich zitiere -:
Der gesundheitliche Verbraucherschutz wird im
Zuge der weiteren Globalisierung eine immer größere und wichtigere Rolle spielen.
Aber welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Ich habe
jetzt in Ihrer Rede wirklich nur die Themen Landwirtschaft und TTIP gehört. Ihre Feststellungen vom 8. April
schlagen sich leider nicht in den Zahlen und in den Projekten des Haushaltsplans 2014 nieder.
Herr Minister, wo bleibt Ihr Gestaltungswille? Ich
frage Sie: Was machen Sie gegen die Schadstoffflut in
importierten Kinderspielzeugen? Welche Folgen hat es
für die Gesundheit vieler Menschen, wenn die Zutaten
für unsere Lebensmittel weltweit zu Dumpinglöhnen angebaut werden, um dann von den Handelskonzernen zu
Dumpingpreisen an- und verkauft zu werden? An welcher Stelle im Haushalt haben Sie Mittel für die Überwachung der globalisierten Lebensmittelindustrie eingestellt? Welche Mittel setzen Sie ein, um das sogenannte
Freihandelsabkommen zwischen USA und EU und auch
das CETA daraufhin zu untersuchen, welche Auswirkungen sie auf unsere Lebensmittel, die Verbraucherrechte
und unsere Verbraucherinnen und Verbraucher haben?
Das alles fehlt mir in diesem Haushalt. Diese Bundesregierung setzt sich bislang mit wichtigen Projekten und
anstehenden Herausforderungen nicht genügend auseinander - zumindest noch nicht. Deshalb nutze ich jetzt
die Gelegenheit, schon einmal einen Blick auf das Haushaltsjahr 2015 zu werfen. Wir werden nämlich bereits im
September, also in wenigen Wochen, mit den Haushaltsberatungen beginnen.
Im Bereich „Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz“ haben wir uns mit wirklich wichtigen
Projekten und Fragen zu beschäftigen. Ich nenne an erster Stelle gefährliches Kinderspielzeug. Damit die Gesundheit von Kindern nicht weiter durch Spielzeuge, die
Krebs erzeugen, Allergien hervorrufen oder Erbgut schädigen können, gefährdet werden kann, muss die Kontrolle der Spielwarenhersteller und der Importeure verbessert werden. Das ist nur dann möglich, wenn Sie die
Zuständigkeit dafür auf die Bundesebene verlagern und
die amtliche Überwachung auf das BVL übertragen.
Denn ich behaupte, dass die internationalen Konzerne
nicht von kommunalen Behörden überprüft werden können.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Forschung. Wie
wirken sich künstliche Nanostoffe im Essen, in den Lebensmitteln aus, oder was hinterlässt der Einsatz von
Nanotechnologie in der Herstellung? Welche Folgen hat
eine globalisierte Lebensmittelherstellung für die Lebensmittelsicherheit in der gesamten Produktionskette?
Zur Beantwortung dieser Fragen brauchen wir die
Forschung, zum Beispiel beim Max-Rubner-Institut. Sie
muss ausgebaut werden.
Auch das Thema Lebensmittelsicherheit ist ein sehr
wichtiges Thema. Die amtliche Lebensmittelüberwachung muss auf unzulässige Bestandteile, Schadstoffe,
korrekte Kennzeichnung und gefährliche Keime kontrollieren. Das alles ist bei einer globalisierten Lebensmittelindustrie heute nicht mehr über kommunale Behörden
möglich. Deshalb ist eine Koordinierung auf Bundesebene nötig.
({0})
Dafür brauchen wir entsprechende Mittel, und wir brauchen viel mehr Kontrolleure, um diesen wichtigen Bereich, der für die Gesundheit vieler Menschen notwendig
ist, so auszubauen, dass er funktioniert.
Wir haben ein weiteres Thema: die Ernährungssituation von Kindern in Deutschland. Wir brauchen eine flächendeckende Untersuchung zu diesem Thema. Wir wissen, dass viele Kinder fehlernährt sind. Es gibt nicht nur
das Problem zu dicker Kinder, sondern auch der Fehlernährung.
Wie sieht die Ernährungssituation von Jugendlichen
und Kindern in Deutschland inzwischen aus? Wir brauchen die Mittel, um dies zu erfassen, zu untersuchen und
Schlüsse daraus zu ziehen. Ich denke nämlich, ein weiterer wichtiger Punkt wäre das Thema Kita- und Schulverpflegung. Ein erster Schritt, mit dem die Situation vieler
Kinder verbessert werden könnte, wäre die Kofinanzierung des EU-Schulobstprogramms durch den Bund. So
kämen endlich alle Kinder und Jugendlichen in den Genuss einer täglichen Portion Obst und Gemüse.
Ich habe gelesen, dass Baden-Württemberg jetzt
1 Million Euro mehr in den Haushalt einstellen wird.
Wenn man das durch 250 000 Kinder teilt, dann sind das
4 Euro pro Kind. Entschuldigung! Wie kann man mit
4 Euro ein Kind ein Jahr lang mit Obst und Gemüse verpflegen? Das reicht nicht.
({1})
- Die Länder haben nicht die Mittel dafür. Sonst wären
sie doch schon längst dabei. Das ist ein Problem.
({2})
Weitere Probleme mit der Schulverpflegung haben
wir durch die unsinnige Mehrwertsteuer. Wir müssen
endlich die Mehrwertsteuer abschaffen, wenn es um
Schul- und Kitaverpflegung geht. Wir brauchen natürlich auch fachliche Beratung und Unterstützung der
Schulen und der Kitas unter anderem durch die Vernetzungsstellen „Schulverpflegung“. Ein Projekt wie dieses, das sich bewährt hat, muss man langfristig sichern.
({3})
Es reicht nicht, das Projekt an die Länder zu übergeben,
wenn man weiß, dass es dann wieder stirbt. Dann stirbt
nämlich die Schulverpflegung insgesamt.
Herr Minister, wir hätten noch viele Vorschläge zu
machen. Wir setzen auf eine vernünftige Beratung mit
Ihnen. Davon, dass Sie Vorschläge anhören und annehmen, bin ich überzeugt. Aber wir würden uns sehr
freuen, wenn wir das gemeinsam anpacken könnten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, und - ja einen schönen Abend!
({4})
Ein noch schönerer Abend als dieser lässt sich
schwerlich vorstellen. - Nun hat die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Das Budget für den Bereich
„gesundheitlicher Verbraucherschutz und Ernährung“ ist
in diesem Jahr kleiner geworden. Das liegt vor allem daran, dass ein Teil der Mittel für Verbraucherschutz und
Verbraucherinformation in das Bundesministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz gewandert ist. Es bleiben aber nach wie vor 16,8 Millionen Euro. Was steckt
da drin? Darin stecken unter anderem Fördermittel für
Projekte, die Kinder für das Kochen begeistern sollen,
für die Vernetzungsstellen „Schulverpflegung“, für Ernährungsbildungsprojekte, für die Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung und für das Portal „Lebensmittelklarheit“. Für dieses Jahr ist die Finanzierung all
dieser Projekte sichergestellt.
Wichtig ist aber, dass wir diese Unterstützung in den
nächsten Jahren konsequent fortsetzen. Das gilt nicht nur
für die Ernährungsbildung, sondern auch - das ist mir
besonders wichtig - für das Portal „Lebensmittelklarheit“. Für all diejenigen, die nicht wissen, was das ist:
Das ist ein Projekt der Verbraucherzentrale. Verbraucherinnen und Verbraucher können dort Projekte melden,
von denen sie sich getäuscht fühlen. Das Ganze wird gesammelt und ausgewertet und wurde bereits durch eine
fundierte Verbraucherforschung begleitet. Diese müssen
wir fortführen, keine Frage.
({0})
Wir müssen aber auch endlich Konsequenzen aus den
Erkenntnissen und Ergebnissen dieses Portals und seiner
Begleitforschung ziehen. Diese lauten nämlich: Viele
Definitionen, Verkehrsbezeichnungen und Leitsätze für
Lebensmittel werden von den Verbraucherinnen und
Verbrauchern nicht verstanden und als irreführend empfunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf geeinigt, das zu ändern. Das sollten wir alsbald angehen.
Wir müssen nicht nur „Lebensmittelklarheit“ weiterfinanzieren. Auch die Arbeit der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission muss sich künftig stärker an den
Bedürfnissen der Konsumenten nach Klarheit und Wahrheit orientieren. Auch hier für all diejenigen, die diese
Kommission nicht kennen: Die Lebensmittelbuch-Kommission ist das Gremium, das erarbeitet, woraus zum
Beispiel Früchtetee, Geflügelwürstchen oder AlaskaSeelachs bestehen sollten. Wer sitzt in diesem Gremium?
Zu gleichen Teilen Wissenschaftler, Mitarbeiter der Lebensmittelüberwachung sowie Verbraucherverbände und
die Lebensmittelwirtschaft. Wenn Letztere nicht will,
dass ein Leitsatz oder eine Definition neu gefasst wird,
dann blockiert sie eben. Wir wollen, dass die Verbrauchererwartung künftig das stärkste Gewicht bekommt.
Das ist bisher nicht der Fall. Im Moment darf in Geflügelwürstchen Schweinespeck stecken, und die AlaskaSeelachs-Schnitzel sind zwar rosa gefärbt, haben aber
mit Lachs nicht das Geringste zu tun.
Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, ich weiß, dass
Sie die Arbeit der Lebensmittelbuch-Kommission gerade evaluieren lassen. Deshalb möchte ich unterstreichen, wie wichtig es aus Sicht der SPD ist, dass die Lebensmittelkennzeichnung künftig verbrauchergerechter
und die Erarbeitung der Leitsätze für die Bürgerinnen
und Bürger nachvollziehbarer und transparenter wird.
Ich sage Ihnen auch, warum das so wichtig ist. Laut einer Studie ärgern sich 80 Prozent der Konsumenten beim
Einkauf über unverständliche Angaben auf dem Etikett.
81 Prozent sagen, dass sie anhand der vorhandenen Informationen nicht einschätzen können, ob ein Produkt
gut oder schlecht ist, welche Qualität es also hat. Genau
das müssen wir ändern, und zwar nicht nur im Interesse
der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch im
Interesse aller guten, seriösen und ehrlichen Anbieter.
Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher Qualitäten
verlässlich erkennen und unterscheiden können, sind sie
auch bereit, für ein gutes Produkt einen angemessenen
und fairen Preis zu zahlen.
({1})
Selbstverständlich ist es deshalb wichtig, in die Verbraucher- und Ernährungsbildung, in Aufklärungsangebote
zu investieren.
Gute Verbraucherpolitik darf sich aber gerade nicht
nur in Informationskampagnen für die Verbraucher erschöpfen. Sie muss auch die Anbieter in die Verantwortung nehmen. Lebensmittel müssen so gekennzeichnet
sein, dass jeder auch ohne Lupe, ohne Lexikon und ohne
Hochschulabschluss verstehen kann, was er oder sie
kauft. Daran gemeinsam zu arbeiten, liebe Kolleginnen
und Kollegen, verehrter Herr Minister Schmidt, darauf
freue ich mich.
Vielen Dank.
({2})
Nicole Maisch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, bei einem Ihrer ersten Besuche bei uns im Ausschuss haben Sie gesagt, Ernährung
sei Ihr Kernthema. Davon ist leider nicht viel zu merken,
nicht in der Rede, die Sie gehalten haben, nicht in diesem Haushalt und auch nicht anhand sonstiger Initiativen. Für Ihr angebliches Schwerpunktthema Ernährung
haben Sie keinen Arbeitsplan, und für 1,5 Millionen
Euro im Ernährungsbereich haben Sie jetzt, im Juni, wo
das Haushaltsjahr schon zur Hälfte herum ist, immer
noch keine Verwendung. Der Vorwurf des unsichtbaren
Ministers, wenn es um gesunde Ernährung geht, trifft
leider voll ins Schwarze.
({0})
Sie verwalten still und leise, wie Sie es hier vorgetragen haben, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit
vor sich hin. Aber man kann auf Ihrer Homepage nachlesen, was Sie so tun. Immerhin führen Sie die Kampagne
gegen Lebensmittelverschwendung Ihrer Vorgängerin
Frau Aigner fort. Auch Sie beteuern auf Podiumsdiskussionen, wie wichtig Ihnen die Wertschätzung von
Lebensmitteln ist. Natürlich lassen Sie auch Informationsbroschüren drucken. Aber das reicht nicht aus. Broschüren alleine lösen keine gesellschaftlichen Probleme.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Konzepte vorlegen,
wie wir von den 11 Millionen Tonnen genießbarer Lebensmittel, die jährlich in Deutschland im Müll landen,
herunterkommen.
({1})
Wir fragen Sie: Wo sind die verbindlichen branchenspezifischen Zielvereinbarungen mit der Wirtschaft? Wo
ist der Innovationswettbewerb zur Müllvermeidung, und
wo sind die Forschungsprojekte, die wir gemeinsam in
der letzten Legislatur in diesem Bereich fraktionsübergreifend beschlossen haben?
Herr Minister Schmidt, Ihr Haus ist in den Koalitionsverhandlungen arg gerupft worden. Sie als Ernährungsminister müssen jetzt beweisen, dass Ihr Haus noch
mehr ist als ein weiterer Versorgungsposten für die CSU.
Gelegenheit dazu gäbe es genug. Nehmen Sie die neue
Studie der Bertelsmann Stiftung zur miserablen Qualität
der Kita- und Kindergartenverpflegung in Deutschland.
Nur jede dritte Betreuungseinrichtung bietet kleinen
Kindern ein gesundes Mittagessen an. 1,2 Millionen
Kinder in diesem Land bekommen nach der Bewertung
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung mieses Essen:
zu wenig Obst, zu wenig Gemüse, zu viel Fleisch, zu
wenig frische Lebensmittel. An den Schulen in diesem
Land sieht es nicht besser aus.
Das sollte bei Ihnen als Ernährungsminister Kreativitätsschübe auslösen und „leise und langsam“ durch „laut
und wütend“ ersetzen. Das sollte Sie zum Nachdenken
über Ihr unsinniges Kooperationsverbot bringen, das
dem Bund verbietet, den Schulen beim Thema Verpflegung unter die Arme zu greifen.
({2})
Aber was machen Sie? Sie lassen sogar die Finanzierung für die Schulvernetzungsstellen nach 2017 im Ungewissen. Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert.
Jeder fand es wichtig, jeder fand es gut, was die Schulvernetzungsstellen machen, aber Geld geben möchte der
Bund nicht. Wir halten das für unverantwortlich. Das ist
Sparen am falschen Ende.
({3})
Da wir gerade beim Sparen am falschen Ende sind:
Genauso unverantwortlich ist die fehlende Finanzierung
des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund. Dieses Institut, europaweit einzigartig und seit
Jahrzehnten anerkannt, hat vor der Kinderkommission
des Deutschen Bundestages einen Hilferuf abgesetzt.
Dieses Institut, das für Forscherinnen und Forscher aus
ganz Europa einzigartige Basisarbeit betreibt, steht vor
dem Aus; denn es gibt keine gesicherte Finanzierung für
dieses Forschungsinstitut mehr.
Die Geschäftsführung, die wissenschaftliche Leitung,
wird seit einiger Zeit ehrenamtlich betrieben. Ich finde,
das kann nicht sein.
({4})
Die Langzeitforschung und die Forschungsergebnisse
müssen wir retten. Ich fordere Sie auf: Nutzen Sie das
Geld, das im Haushalt noch nicht verplant ist! Retten Sie
das FKE! Geben Sie 500 000 Euro aus, stellen Sie eine
richtige Geschäftsführung und ein Sekretariat ein, damit
diese wichtigen Forschungsergebnisse für die Gesundheit unserer Kinder nicht verloren gehen!
({5})
Ein weiteres unrühmliches Beispiel dafür, dass unter
dieser Großen Koalition beim Thema Kindergesundheit
einiges im Argen liegt, ist der Umgang mit der Nationalen Stillkommission. Sie ist bei einer zum Geschäftsbereich Ihres Ministeriums gehörenden Behörde, beim
Bundesinstitut für Risikobewertung, angesiedelt. Diese
Kommission ist derzeit faktisch nicht arbeitsfähig, weil
die zuständige Stelle am BfR finanziell heruntergestuft
und mit weiteren Aufgaben überfrachtet wurde und sich
keiner mehr findet, der diesen Job machen will. Wir finden, das ist ein untragbarer Zustand. Die Förderung des
Stillens ist einer der wichtigsten Bausteine zur Übergewichtsprävention bei Kindern. Das ist wissenschaftlich
unumstritten; das ist ganz eindeutig. Ich finde, es ist für
Deutschland peinlich, wenn wir nicht in der Lage sind,
die Nationale Stillkommission arbeitsfähig zu halten und
angemessen auszustatten.
({6})
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt und Ihre
Politik der letzten sechs Monate lassen noch viel Luft
nach oben. Das gilt besonders für den Tierschutz. Die
Vorgängerregierung hat mit der missglückten Tierschutznovelle in einigen Bereichen für mehr Schaden als
Nutzen gesorgt. Wir erwarten von dieser Koalition, dass
hier nachgebessert wird. Wir werden ganz genau hinschauen, ob Sie wirklich mehr Tierschutz erreichen oder
nur mehr Chancen zum Export von deutschem Fleisch in
die ganze Welt realisieren. Wenn Sie den Schutz der
Tiere, der im Grundgesetz verankert ist, wirklich ernst
nehmen, dann müssen Sie Schluss machen mit dem System der tierquälerischen industriellen Massentierhaltung. Das ist eine Systemfrage in der Landwirtschaft.
Wir werden genau hinschauen, wie vor allem die SPD
diese Systemfrage beantwortet.
({7})
Das bedeutet für die Union - wenn sie den Tierschutz so
ernst nimmt -, dass man auch einmal den einen oder anderen Konflikt aushalten muss, etwa mit den Bauernverbandsfunktionären außerhalb, aber auch innerhalb der
Fraktion. Wir werden genau schauen, ob ein schwarzer
Agrarminister so etwas austragen kann.
Wir Grüne wollen, dass der Tierschutz in Deutschland
mächtiger wird. Wir fordern einen Tierschutzbeauftragten mit angemessener Amtsausstattung und das Verbandsklagerecht für Tierschutzorganistionen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Tierversuchen
sagen.
Aber ganz schnell, bitte.
Ja, das schaffe ich ganz schnell. - Wir finden, dass
das Thema „Ersatzmethoden für Tierversuche“ finanziell wesentlich mehr unterstützt werden muss. Sie
haben zwar die Finanzmittel für die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch aufgestockt, aber nicht etwa,
um Alternativen zu Tierversuchen zu erforschen, sondern lediglich um ein Internetportal zu pflegen. Wir finden, das kann es nicht sein. Da hätten Sie nachlegen
müssen.
({0})
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist leider
die agrar- und ernährungspolitische Fortsetzung von
Schwarz-Gelb unter anderer Flagge. Das ist peinlich für
die SPD, und es ist schlecht für die Menschen und Tiere
in diesem Land. Wer daran gezweifelt hat, ob es nötig
ist, zur nächsten „Wir haben es satt“-Demo zu fahren,
dem sage ich: Leute, ihr müsst fahren. Das ist leider
auch unter Schwarz-Rot unbedingt notwendig.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Franz-Josef
Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Maisch, ich fand Sie im Ausschuss viel netter. Eines aber kann ich Ihnen versichern: Konfliktscheu sind
wir Schwarzen garantiert nicht.
({0})
Aber an den Konflikten werden wir gemeinsam Spaß haben.
Zunächst möchte ich allen Beteiligten, die diesen
Haushalt aufgestellt haben, Danke sagen: Herrn Minister
mit seinem ganzen Team, sämtlichen Ministerien, den
Haushältern, allen Fachgruppen. Ich finde, wir haben einen guten Haushalt aufgestellt. Er trägt der Konsolidierungsnotwendigkeit Rechnung - wir wissen, dass wir
nur das ausgeben können, was wir im Portemonnaie haben -, aber setzt gleichzeitig die richtigen Signale.
Meine Damen und Herren, die jüngste Verbraucherbefragung im Auftrag des BMEL hat festgestellt, dass
80 Prozent aller Verbraucher mit der Qualität der Lebensmittel der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft sehr zufrieden sind. Sie erfreuen sich an der Vielfalt und an der Hochwertigkeit deutscher Lebensmittel.
Das ist eine gute Botschaft. Da dürfen wir uns auch einmal freuen; da dürfen wir auch einmal lächeln.
Frau Binder, ein sehr deutlicher Hinweis auf die Qualität unserer Ernährung ist die Tatsache, dass die Menschen in unserem Land immer älter werden. Es gab noch
nie so viele Alte wie heute, und die durchschnittliche Lebenserwartung steigt weiter. Das ist das beste und deutlichste Zeichen dafür, wie gesund unsere Ernährung ist;
das ist ganz einfach feststellbar.
({1})
In einem pflichte ich allen Beteiligten bei - Frau
Drobinski-Weiß hat ein paar Punkte angesprochen -: Es
bleibt einiges zu tun.
Ich kann die gute Stimmung aber nachvollziehen;
denn Landwirtschaft in Deutschland steht für Verantwortung, für Vielfalt und auch für Erfolg. Darauf können wir
stolz sein; damit können wir auch selbstbewusst umgehen. Wir als Land- und Ernährungswirtschaft in
Deutschland sind wer. In der gesamten Kette sind es
etwa 5 Millionen Arbeitskräfte; das ist die zentrale Wirtschaftssäule des ländlichen Raums. Wir investieren im
ländlichen Raum, in sichere Arbeitsplätze dort, allein im
ersten Halbjahr 2014 6 Milliarden Euro. Das bedeutet
Investitionen in moderne Technik, mehr Umweltschutz,
mehr Tierschutz und mehr Effizienz. Das ist der richtige
Weg. Wir machen es so, anstatt Verbote zu fordern, was
zu Produktionsverlagerungen führt, womit wir dem Tieroder Umweltschutz einen Bärendienst erweisen. Das ist
Ihr Weg, und der ist falsch.
({2})
Zum Thema Forschung. Das ist mir ein besonderes
Anliegen, weil Forschung letztendlich - da sind wir uns
alle einig, denke ich - Zukunft bedeutet. Die Landwirtschaft in Deutschland ist gut aufgestellt. Aber auch wir
sehen in verschiedenen Bereichen die Notwendigkeit
von Weiterentwicklungen. Ich will einige Beispiele ansprechen: Wie können wir das Tierwohl in Deutschlands
Ställen verbessern? Deshalb machen wir Praxis- und Demonstrationsversuche. Wir wollen nicht verbieten, sondern Lösungen erarbeiten. - Wie können wir negative
Effekte auf die Umwelt verringern? Deshalb gibt es bei
uns den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Deshalb sind wir
dabei, in der Düngeverordnung bessere Bedingungen für
unsere Umwelt zu erreichen. - Wie können wir die Produktivität im Ökolandbau verbessern, damit auch dort
die Nachhaltigkeit gesteigert wird? Deshalb - das ist,
glaube ich, vorhin nicht richtig verstanden worden - sehen wir in diesem Haushalt mehr Forschungsförderung
für den Ökolandbau vor.
Meine Damen und Herren, zu welcher Produktionsform sich ein Landwirt auch immer entschließt: Entscheidend ist stets die enge Verzahnung zwischen Ökologie, Ökonomie und letztendlich auch sozialen
Aspekten. Dieses Zieldreieck müssen wir immer im
Blick haben, weil wir anders keine intelligente Lösung
für die Landwirtschaft von morgen finden, die alle
Punkte berücksichtigt.
({3})
Deshalb unterstützen wir in unserem Haushalt die Forschung in der Gesamtsumme mit immerhin etwa 500 Millionen Euro. Das sind Mittel für Forschung, für Nachhaltigkeit und für mehr Innovation.
Zudem haben wir die Eiweißstrategie verankert. Dafür gibt es einen eigenen Titel - das wurde schon mehrfach angesprochen -, und das ist auch richtig. Wilhelm
Priesmeier, du hast mich sehr frühzeitig angesprochen:
Können wir das nicht machen? Das ist uns wichtig. Wir waren uns sofort einig und haben das gemeinsam
auf den Weg gebracht. So arbeiten Koalitionen vernünftig zusammen. So gehört sich das. Gleichzeitig hat das
den Nebeneffekt, dass mehr Forschungsmittel für den
Ökolandbau in dem entsprechenden Bundesprogramm
zur Verfügung stehen.
({4})
- Da dürfte selbst die Opposition klatschen. Das müsste
doch eigentlich in Ihrem Sinne sein. Gucken Sie doch
nicht so griesgrämig drein!
Ich will an dieser Stelle, weil es um Eiweiß geht, auch
das Thema Greening noch einmal ansprechen. Wir hatten lange Diskussionen über die Anwendung von Pflanzenschutz. Meine Damen und Herren, wenn wir den
Eiweißanbau fördern wollen, dann ist es richtig, auf öko3672
logischen Vorrangflächen Eiweißpflanzen so anzubauen,
dass wir sie auch ernten können.
({5})
Deshalb gehört letztendlich der Pflanzenschutz mit dazu.
Deshalb war das eine richtige Entscheidung. Wenn man
einfordert, mehr für die Eiweißstrategie zu tun, wie es
die Grünen machen,
({6})
dann dürfte man sich in dieser Frage eigentlich nicht verwehren.
Ich will noch etwas zum Thema „Internationales und
Agrarexporte“ sagen, weil das eine zunehmende Bedeutung hat. Ich bedaure, dass Grüne und Linke die Absatzunterstützung des Ministeriums zusammenstreichen
wollen. Meine Damen und Herren, es geht um KMUFörderung, um die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Das, was in allen Wirtschaftsbranchen gewollt wird und gewollt ist, kann doch in der
Landwirtschaft nicht falsch sein. Wenn Sie diese Position nicht verlassen, dann arbeiten Sie gegen die deutschen Bauern; das muss man so deutlich sagen.
({7})
Man kann hier als Beispiel den Milchpreis anführen.
Dieser Milchpreis, über den sich deutsche Milchbauern
freuen, würde nicht einmal annähernd erreicht, wenn wir
nicht die Exportmöglichkeiten hätten. Sie lehnen den
Export ab. Dann müssen Sie aber auch die Frage beantworten: Wie wollen Sie mit Importen umgehen? Wollen
Sie uns abschotten? Wollen Sie den deutschen Bürgerinnen und Bürgern ausländische Lebensmittel vorenthalten? Wie wollen Sie es letztendlich handhaben? Export
ist nichts Unanständiges und Verwerfliches. Export ist
notwendig für ein ausreichendes und vernünftiges Familieneinkommen deutscher Bauern.
({8})
Ich möchte - das ist mir ein Anliegen - noch einige
Sätze zu den Schwellen- und Entwicklungsländern sagen. Auch im Zusammenhang mit dem Export wird uns
immer wieder vorgehalten, wir würden gegen diese Länder arbeiten. Meine Damen und Herren, damit es klar
bleibt oder dem einen oder anderen klar wird: Wir wollen keine Exportsubventionen. Wir lehnen sie ab. Sie
dürfen nicht wiederkommen. Wir wollen aber für wichtige Länder als Türöffner fungieren. Hier macht das
BMEL, mit Minister Schmidt vorneweg, einen sehr guten Job, wofür wir dankbar sind. Wir stocken, wie in diesem Haushalt ersichtlich ist, beispielsweise die Mittel
für die bilaterale technische Zusammenarbeit um fast
2,5 Millionen Euro auf. Ich finde, das ist ein lohnendes
Projekt, und bin verwundert, dass die Grünen diesen Titel streichen wollen. Wir setzen diese Mittel in Projekte
für die Ausbildung von Landwirten in Entwicklungsländern und in Schwellenländern ein, damit sie produktiver
werden. Sie sind dagegen, weil Sie Kommunikationskampagnen, beispielsweise gegen Grüne Gentechnik,
machen wollen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie die Bedienung der Angstindustrie! Das bringt Ihnen nichts ein.
({9})
Wir sind auch im gesundheitlichen Verbraucherschutz
gut unterwegs. Lieber Christian Schmidt, es ist ein großer Erfolg, dass der gesundheitliche Verbraucherschutz
in unserem Ministerium verbleibt. Hier ist die Fachkompetenz. Ich kann mir nicht vorstellen, verehrte Kollegin
Herr Kollege!
- ja, ich komme zum letzten Satz -, dass eine Veterinärabteilung in einem Querschnittsressort wie dem BMJ
Sinn macht. Deshalb ist es an dieser Stelle richtig aufgehoben.
Meine Damen und Herren, in den kommenden Jahren
haben wir die große Aufgabe, uns in einer kritischen
Diskussion mit der Landwirtschaft und der Gesellschaft
auseinanderzusetzen. Ich lade Sie alle ein, dieses miteinander sachlich und realistisch zu tun, in die Zukunft gerichtet und so, wie es die 300 000 Bauernfamilien in
Deutschland verdienen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Crone für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Der Prozess, eine europäische Waldkonvention ins Leben zu rufen, ist am
21. Mai in Wien gescheitert. Es war der fünfte Versuch,
und zum fünften Mal lief der Anlauf ins Leere. Nach
vielen Verhandlungstagen blieben bis zum Schluss zehn
wesentliche Punkte offen. So gab es beispielsweise keine
Einigung unter den Staaten, wie Wald überhaupt zu definieren sei; nur um eine elementar strittige Position zu benennen. Darum, liebe Kollegen und Kolleginnen, sollten
wir das Ende der Verhandlungen zur europäischen Waldkonvention akzeptieren. Das weitere Vorgehen wird auf
der nächsten regulären Ministerkonferenz Forest Europe
Mitte des nächsten Jahres zu besprechen sein.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, gemeinsam für Schutz, Erhalt sowie Wiederaufbau
von Wäldern und Waldstrukturen und für eine damit verbundene Waldfinanzierung einzutreten. Jetzt ergibt sich
für Deutschland in diesem Sinne die einmalige Chance,
eine Vorreiterrolle in einem Prozess einzunehmen, der
die vielen internationalen Übereinkünfte zum Wald zum
einen koordiniert und zum anderen unter einem multilateralen Dach in kooperativer Art und Weise bündelt.
Die Übereinkünfte zum Wald - der Prozess Wald sind stark fragmentiert: FLEGT, REDD+, CBD oder das
Waldforum der Vereinten Nationen, um nur einige zu
nennen. In der internationalen Waldpolitik Deutschlands
engagieren sich neben dem BMEL weitere Bundesministerien: das BMUB und das BMZ. Gemeinsam sollten wir einen Prozess anstoßen, der die vorhandenen internationalen Übereinkünfte so belässt, aber durch eine
koordinierende Dachorganisation besser miteinander
verzahnt, bündelt und dadurch vorantreibt.
({0})
Frau Kollegin Crone, darf der Kollege Kindler eine
Zwischenfrage stellen?
Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Wir befinden uns in einer Haushaltswoche und in einer Haushaltsdebatte. Sie haben gerade die
internationalen Initiativen zum Wald angesprochen, die
auch ich für sinnvoll und unterstützenswert halte. Dazu
passt allerdings nicht, dass die Bundesregierung in ihrem
Haushaltsentwurf die Mittel aus dem Energie- und Klimafonds für den Waldklimafonds von 28 Millionen auf
14 Millionen Euro gesenkt hat; das ist eine Halbierung.
Wie erklären Sie sich das? Das ist ja eine dramatische
Kürzung, die international ein verheerendes Signal aussendet.
Herr Kollege, Sie rennen da bei mir offene Türen ein.
Ich bin auch nicht ganz einverstanden damit, dass es
dazu gekommen ist. Aber wir haben andere Positionen
aus dem Bereich der nachhaltigen Waldbewirtschaftung
im Haushalt. Ich komme gleich noch zu diesem Punkt.
Insofern hören Sie mir bitte gut zu.
({0})
Der neu geschaffene Haushaltstitel im Einzelplan 10
„Internationale nachhaltige Waldbewirtschaftung“ soll
beispielsweise bilaterale Forstprojekte in Uganda, Russland, Kenia oder Uruguay fördern. Bislang sind viele
Details der künftigen Zusammenarbeit mit den Partnerländern im Abstimmungsprozess. Gemeinsam mit dem
BMEL werden wir die Schwerpunkte setzen und den
Prozess der Mittelvergabe an Partner und Organisationen transparent gestalten. Immerhin handelt es sich um
5 Millionen Euro. Eine solche Transparenz und gute
Kommunikation hätte ich mir auch für die Planung dieses Haushalts gewünscht, lieber Kollege.
({1})
Sehr geehrter Herr Minister, ich habe mich gefreut,
dass Sie sich Anfang des Jahres - Sie haben es eben erwähnt - ausdrücklich und mehrmals zum Ziel bekannt
haben, 5 Prozent der deutschen Waldflächen nutzungsfrei zu halten, trotz der anhaltenden Widerstände. Ich
möchte Sie ausdrücklich bei der Umsetzung des 5-Prozent-Ziels unterstützen. Die SPD-Fraktion ist an Ihrer
Seite.
({2})
Der öffentliche Wald hat bei der Erfüllung des 5-Prozent-Ziels eine Vorbildfunktion; das ist klar. In Wittgenstein, in Südwestfalen,
({3})
hat erstmals ein privater Waldbesitzer 350 Hektar seines
Waldes nutzungsfrei gestellt. Wir sollten überlegen, welche freiwilligen Anreize, welche privatrechtlichen Vereinbarungen wir Privatwaldbesitzern anbieten können.
({4})
Mit Spannung erwarte ich in diesem Zusammenhang die
Daten aus der Bundeswaldinventur 2012.
Sehr geehrte Damen und Herren, die nationale Waldpolitik wird mit zusätzlichen 5 Millionen Euro im Einzelplan 10 gefördert. - Jetzt komme ich zu Ihrer Frage,
Herr Kollege Kindler. - Ich will nicht verhehlen, dass
ich mir lieber eine finanzielle Stärkung des Waldklimafonds gewünscht hätte. Er startete ja erst im vergangenen
Jahr als „Meilenstein“ - O-Ton BMELV - und ist untrennbar mit der nachhaltigen Bewirtschaftung unserer
Wälder verbunden. Mir ist noch nicht ganz klar, wie genau die Mittelstärkung im bestehenden Programm aussehen soll. Wir müssen bei der Ausgestaltung der Projekte
aus diesem Titel daher auf zweierlei achten: erstens, dass
wir keine Doppelstrukturen und neuen Bürokratien mit
Steuermitteln schaffen, die ausschließlich privatwirtschaftliche Interessen subventionieren, und zweitens,
dass wir sicherstellen, dass die Projektmittel tatsächlich
in den Wald fließen und nicht allein in Broschüren verschwinden.
Ein letzter Punkt: Die Überdüngung mit Stickstoff,
unter anderem aus der Landwirtschaft, ist nach wie vor
ein Problem in unseren Wäldern. Bitte lassen Sie uns
vorrangig nicht die Symptome, sondern die hohen Stickstoffemissionen als Ursachen bekämpfen.
Ich freue mich auf eine transparente Debatte, wenn
wir über die Programme für die internationale und nationale Waldbewirtschaftung reden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. - Der Präsident jagt mich davon.
({5})
Jeder Blick auf die Uhr zeigt doch, dass die Geduld
des Präsidenten beinahe unerschöpflich ist.
({0})
Jetzt ist der Kollege Thomas Mahlberg an der Reihe,
der für die CDU/CSU-Fraktion spricht.
({1})
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
liegt in der Natur der Sache, dass in Bezug auf den Haushalt jeder eine etwas andere Wahrnehmung hat. Ich für
meinen Teil kann sagen - und ich hatte das Gefühl, dass
Christian Schmidt dies sehr deutlich gemacht hat -, dass
gerade der Haushalt für das BMEL eine sehr solide Basis
für unsere Arbeit darstellt. Aber nicht nur das: Ich finde,
er ist auch eine sehr gute Antwort auf die großen Herausforderungen, mit denen wir im Landwirtschaftsbereich
und in der Lebensmittelbranche konfrontiert sind, wie
- ich will nur einige Punkte nennen - Welternährung,
Nachhaltigkeit, Klimawandel, Lebensmittelsicherheit
und Akzeptanz der Tierhaltung. Das sind keine neuen
Punkte. Sie sind schon von meinen Vorrednern angesprochen worden. Es ist immer etwas schwierig, wenn
man nicht als Erster zu einem Thema spricht.
Ein Menschenrecht auf Nahrung klingt wie selbstverständlich, gerade in dem Land, in dem wir leben. Aber
leider ist dieses grundlegende Menschenrecht nicht überall auf dieser Welt gewährleistet. Rund 840 Millionen
Menschen leiden Hunger, fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist unterernährt. Das sind keine Zahlen aus dem
Mittelalter, sondern Fakten aus dem 21. Jahrhundert,
über die ich hier spreche. Die Sicherung der Welternährung ist eine riesige Herausforderung, die im Laufe der
Zeit nicht kleiner, sondern noch größer werden wird;
denn wir erwarten, dass die Weltbevölkerung bis zum
Jahre 2050 auf 9 Milliarden Menschen steigen wird.
Gleichzeitig werden Ressourcen wie Boden und Wasser
knapper. Auch die Auswirkungen von Klimawandel und
Naturkatastrophen verschärfen die Situation. Vor diesem
düsteren Hintergrund ist es, wie ich finde, sehr erfreulich, dass der Kampf gegen den Hunger auch für die
Bundesregierung höchste Priorität hat.
({0})
Das zeigt sich gerade im Einzelplan 10, in dem ein zusätzlicher Titel zur Welternährung geschaffen wurde, um
einen weiteren Beitrag zur Ernährungssicherung in der
Welt zu leisten.
Die Nachhaltigkeit und die Eindämmung des Klimawandels sind weitere wichtige Baustellen für die Landwirtschaft. Schon heute ist die Basisressource Boden
Teil eines weiten Konfliktfeldes; denn jeden Tag werden
über 70 Hektar Fläche neu in Anspruch genommen. Die
Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsherstellung, Bebauung und Energiegewinnung ist nur noch mit einem
klugen nachhaltigen Konzept zu lösen. Dieses Konzept
muss auf der einen Seite die Folgen des Klimawandels
bedenken und auf der anderen Seite dem Klimawandel
selbst entgegensteuern. Nur wenn wir unsere landwirtschaftliche Produktion klima- und ressourcenschonend
gestalten, werden wir auch in Zukunft das Land effizient
bewirtschaften und andere natürliche Ressourcen nutzen
können. Deshalb freue ich mich sehr, dass das Bundesministerium insgesamt 510 Millionen Euro für Forschung und Nachhaltigkeit vorgesehen hat.
Von unserer Nahrung erwarten wir alle gemeinsam
nicht nur, dass sie unter nachhaltigen Gesichtspunkten
hergestellt wurde. Wir wollen in allererster Linie sichere
und gesunde Lebensmittel haben, die wir ohne Bedenken und mit Genuss verzehren können. Das Prinzip der
Lebensmittelsicherheit bildet einen weiteren Schwerpunkt im Haushaltsplan des BMEL. Das ist, wie ich
meine, wichtig und richtig; denn die Gewährleistung des
gesundheitlichen Verbraucherschutzes entlang der gesamten Lebensmittelkette ist eine komplexe Aufgabe,
die wir zu lösen haben. Diese Komplexität, die mit der
fortschreitenden Globalisierung der Warenströme - das
war gerade auch Thema bei einem meiner Vorredner,
und das kann ich nur zu gut aufgrund meiner früheren
beruflichen Tätigkeit beurteilen - und auch der Entwicklung neuer Produkte, die es auf dem Markt gibt, einhergeht, nimmt deutlich zu.
Für gesunde Lebensmittel tierischer Herkunft brauchen wir sichere und rückstandsfreie Futtermittel; denn
nur ausgewogen ernährte Tiere liefern uns gesunde und
qualitativ hochwertige Erzeugnisse - die Produkte kennen Sie: Fleisch, Eier und Milch zum Beispiel -, die für
uns von besonderer Bedeutung sind. Futtermittelsicherheit ist also eine Voraussetzung für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit. Zur Gewährleistung der Futtermittelsicherheit haben wir in Deutschland ein sehr
engmaschiges Kontrollnetz, das insbesondere durch
Qualitätssicherungssysteme - viele dürften Ihnen bekannt sein - wie GMP oder QS der Unternehmen ergänzt
werden.
Meiner Ansicht nach ist es die originäre Aufgabe des
Staates, für effiziente Kontrollen der Lebensmittelkette
zu sorgen und diese zu finanzieren. Ich finde es wenig
hilfreich, wenn einzelne Bundesländer - das Bundesland
Niedersachsen ist hier schon angesprochen worden sich aus dieser Aufgabe herausstehlen und die Finanzierung den zu kontrollierenden Unternehmen aufbürden.
({1})
- Sehr geehrter Herr Kollege Kindler, Sie haben eben
sehr lobend über Ihren Umweltminister in Niedersachsen gesprochen.
({2})
Das ist das, was bei mir hängen geblieben ist. Wenn ich
durch Niedersachsen reise, höre ich keine Lobreden auf
diesen Umweltminister.
({3})
- Ich glaube, ich bewege mich in Niedersachsen nicht
nur innerhalb meiner Partei. Ich höre in Niedersachsen
keine Lobreden,
({4})
sondern eher Skepsis. Ich finde es mehr als merkwürdig,
wenn, während sich die Bundesländer über ein solches
Thema austauschen, ein Bundesland vorprescht und die
Unternehmen als erstes und einziges Bundesland belastet, anstatt eine mit den Ministern der anderen Länder
abgesprochene vernünftige und konzeptionelle Lösung
zu finden.
({5})
Ich habe mir einmal die Frage gestellt, wie es wohl
wäre, wenn Ihr Minister Verkehrsminister geworden
wäre. Dann wäre mir auf einer Fahrt nach Hannover
wahrscheinlich Folgendes passiert: Ich wäre in eine Polizeikontrolle gekommen, hätte meine Papiere vorgezeigt,
und der Polizeibeamte hätte gesagt: Alles in Ordnung;
aber bevor Sie weiterfahren, müssen Sie 25 Euro zahlen.
Das ist die Pauschale, die Sie jetzt bezahlen müssen.
({6})
Das ist genau das, was Ihr Minister mit den Betrieben in
Niedersachsen veranstaltet.
({7})
Diese Maßnahmen kommen, glaube ich, von dem Herrn,
von dem Sie eben gesprochen haben.
Verantwortung ist ein wichtiges Stichwort, wenn es
um die Nutztierhaltung geht. Das Staatsziel Tierschutz
verpflichtet uns, mit unseren Mitgeschöpfen verantwortungsvoll umzugehen. Ich finde, gerade unsere Landwirte in Deutschland tun das in besonderem Maße.
({8})
Das liegt sicherlich auch daran, dass Tierschutz das ureigene Interesse der Landwirte in unserem Land ist. Viele
Verbraucherinnen und Verbraucher wollen von uns wissen, wie ihre Lebensmittel hergestellt wurden und unter
welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden. Es ist
unsere Aufgabe, für eine umfassende und sachliche Information der Gesellschaft über die moderne Nutztierhaltung zu sorgen. Viele Menschen in diesem Land haben, glaube ich, noch ein sehr romantisches Bild von der
Landwirtschaft. Sie denken oft an die Bauernhofidylle,
die uns in Büchern geschildert wird. Tatsächlich ist die
Landwirtschaft heute aber durch den technologischen
Fortschritt geprägt, bei dem Innovationen eine große
Rolle spielen.
Ich glaube, nur mit Transparenz und einer sachlichen
Diskussion können wir mehr Akzeptanz und Verständnis
für die unternehmerische und effiziente Nutztierhaltung
gewinnen. Herr Kollege Kindler, ich spreche Sie in diesem Zusammenhang noch einmal direkt an: Ich glaube,
Kampagnen, mit denen man den Leuten Angst vor Lebensmitteln macht, sind nicht hilfreich. Das ist der falsche Weg.
({9})
Wir haben sichere Lebensmittel. Wir haben gute Lebensmittel. Die Leute können diese Lebensmittel mit Genuss
verzehren.
({10})
Bei Ihnen ist das ein politisches Programm; das verstehe
ich. Sie suchen Themen, und das ist ein prima Thema.
({11})
Ich habe nur noch ein paar Sekunden Redezeit. Daher
will ich die Schulverpflegung, die hier Thema war, nur
kurz ansprechen.
Das wird in zwei Sekunden aber schwierig.
Zwei Sekunden? - Ich will nur Folgendes sagen: Das
Ministerium hat sich klar dazu bekannt, das Programm
IN FORM weiterzuführen. Ich finde, das ist ein sehr
wichtiges Programm. Es ist wichtig für die Vernetzungsarbeit, die in den Ländern geleistet wird, damit Kitaverpflegung und Schulverpflegung gut organisiert werden.
Das ist keine Einbahnstraße. Hier sind auch die Länder
gefragt.
({0})
Der Bund leistet hierzu seinen Teil. Er hat Mittel bereitgestellt. Natürlich reden wir auch über die Anschlussfinanzierung nach 2017. Ich finde, in diesem Bereich ist
der Bund beispielgebend, indem er diese Mittel für die
Vernetzungsarbeit bereitgestellt hat.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Spiering für
die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor allen Dingen liebe Schülerinnen
und Schüler! Toll, dass Sie zu dieser Zeit hier noch auf3676
passen und mit dabei sind. Das finde ich ganz toll für
dieses Hohe Haus.
({0})
Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, Sie haben in Ihrer Rede eben davon gesprochen, Forschung bzw. gezielte Forschung hat einen Platz im Haushalt 2014/2015.
In der Tat wird im landwirtschaftlichen Bereich eine
halbe Milliarde Euro für Forschung freigesetzt. Ich
möchte ein Thema ansprechen, mit dem ich mich, seitdem ich hier im Bundestag bin, beschäftige. Jetzt habe
ich auch immer eine schöne, kleine Fibel über Bioökonomie dabei. Das ist ein Thema, welches mich sehr
fasziniert. Ich möchte meine Rede als Appell verstanden
wissen, Forschung gemeinsam über viele Häuser hinweg
zu betreiben.
Deutschland macht sich auf den Weg. Mit der Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie wollen wir optimale wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen für eine biobasierte Wirtschaft schaffen. Wir wollen
eine Wirtschaft, die sektorübergreifend mit möglichst
wenig fossilen Brennstoffen auskommt und naturbelassene Stoffe nutzt, dabei aber gleichzeitig neue, nachhaltig erzeugte Produkte und Dienstleistungen hervorruft
und unsere weltweite Spitzenposition bei Innovation und
Technologie sicherstellt. Dabei sollen ökonomisches
Wachstum und ökologische Verträglichkeit Hand in Hand
gehen.
({1})
Für die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie
stehen bisher in den Haushalten des Bildungs- und Forschungsministeriums sowie des Landwirtschaftsministeriums respektable Summen zur Verfügung. Doch wir reden hier von einer nationalen Wirtschaftsstrategie, liebe
Kolleginnen und Kollegen. So wurde aus meiner Sicht
bei der Halbzeitkonferenz Bioökonomie in Berlin vor
wenigen Wochen zu Recht festgestellt, dass dies eigentlich das ganze Kabinett angeht. Ich freue mich, dass sich
besonders Bundesforschungsministerin Wanka und Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt diesem Thema persönlich gewidmet haben. Wer bei der Ausstellung und
bei der Konferenz war, hat gesehen, welches unglaubliche Spektrum sich dort in Bezug auf naturbelassene
Rohstoffe gezeigt hat und auch welche unglaubliche
Produktionskette sich einstellen kann. Die Dimension ist
für uns in vielen Bereichen überhaupt noch nicht absehbar.
Hierbei geht es nicht um den nachhaltig produzierten
Dübel, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern um eine
Veränderung der Ressourcenentwicklung und Materialströme. Wir wollen den Quantensprung einer deutlichen
Verminderung des Einsatzes von Kohlenwasserstoffprodukten wie Öl und Gas hin zu nachhaltigen Materialien
erreichen.
({2})
- Danke! - Ich rede deshalb von Quantensprung, da wir
beim Einsatz von nachhaltigen Ressourcen die gleiche
Effizienz, den gleichen oder sogar einen besseren Wirkungsgrad als beim Einsatz fossiler Brennstoffe erreichen wollen. Sie alle wissen, glaube ich, dass wir, wenn
wir über fossile Brennstoffe reden, mit maximalen Wirkungsgraden zwischen 40 und 45 Prozent - teilweise
sind es 50 Prozent - rechnen. Wir haben aber immer mit
50 Prozent Verlusten zu rechnen. Das muss man, finde
ich, wenn man nachhaltige Wirtschaft betreibt, immer
deutlich sehen.
({3})
Wo liegen die Einsatzgebiete? Sie liegen zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie. Diese bildet in
Deutschland den viertgrößten Wirtschaftszweig und besteht vorwiegend aus kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wie Sie alle wissen, sind mittelständische
und kleine Betriebe Basis und Rückgrat der deutschen
Wirtschaft. Insbesondere in den westlichen Industriestaaten zeichnet sich ein starker Trend hin zu biobasierten und nachhaltig produzierten Lebensmitteln ab. Dieser Entwicklung liegt eine extrem leistungsfähige
Industrie zugrunde.
Die weltweit wichtigste Wertschöpfungskette reicht
von der Energie- und Rohstoffgewinnung über die Verarbeitung bis hin zu den physiologischen und sozialen
Konsequenzen unseres Konsumverhaltens. Allein in den
USA werden innerhalb dieser Wertschöpfungskette jährlich mehr als 4 Billiarden Wattstunden eingesetzt. Man
kann das auch umformulieren und von 4 mal 106 Gigawattstunden sprechen. Das ist die Einheit, mit der wir
üblicherweise rechnen. Es handelt sich also um eine unglaubliche Energiemenge. Ich kann das auch anders formulieren: 15 Prozent des weltweiten Energievolumens
werden in der Agrarwirtschaft verbucht. Das scheint
eine sehr stichhaltige und konstante Zahl zu sein. Ich
glaube, daran werden wir etwas ändern müssen. Wir
werden effizienter werden müssen, und wir werden andere Mittel und Wege finden müssen, um diesen Energieverbrauch zu reduzieren.
({4})
Für die Kultivierung von Getreide, für die Viehzucht
und für die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse
werden Energie, Wasser und Nutzflächen benötigt. Eine
Zahl: Für die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch
wird etwa das Zehnfache der Energie eingesetzt, die für
die Produktion der gleichen Menge Brotweizen erforderlich ist. Daraus ergibt sich für uns, glaube ich, eine Konsequenz. - Da die Redezeituhr abläuft, werde ich es jetzt
kurz machen.
Damit sich die Bioökonomie durchsetzen kann, muss
die Performance stimmen. Es geht also um die Energiefrage im Ganzen, um die energetische Nutzung von Biomasse und damit auch um das diese Woche so heiß diskutierte EEG. Alles hängt mit allem zusammen.
Deswegen glaube ich: Die Bioökonomie braucht
starke Partner. Biobasierte Wirtschaft ist eine Querschnittsaufgabe. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir
als Haus die Bereiche Wirtschaft und Umwelt mit einbeziehen würden und in der Kombination von vier starken
Häusern genügend Energie freisetzen, um sich mit der
Frage der Bioökonomie auseinanderzusetzen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, haben wir Mut zur Zukunft,
Mut zur Forschung und Mut zur Bioökonomie! Mit der
Unterstützung der vier genannten Häuser und mit dem
Einsatz, den Sie, Herr Schmidt, jetzt schon zeigen, bin
ich mir sicher, wir können das leisten.
Herzlichen Dank.
({5})
Marlene Mortler erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden heute über den zehntgrößten Haushalt innerhalb der Ressorts der Bundesregierung. Ich
meine, 5,3 Milliarden Euro sind ein stolzer Betrag, ein
Betrag, der gut angelegt ist. Er ist für mich aber noch
mehr. Das sage ich nicht nur, weil ich vom Bauernhof
komme, nicht nur, weil ich seit vielen Jahren in diesem
Hause Agrarpolitik mache, sondern auch, weil für mich
das Landwirtschaftsressort eines der absoluten Schlüsselressorts bei der Bewältigung der Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts ist.
({0})
Was erwartet uns in Zukunft? Ich freue mich, dass
sich heute einige Kollegen mehr mit der Zukunft als mit
der Vergangenheit beschäftigt haben. Uns erwartet eine
wachsende Weltbevölkerung. 10 Milliarden Menschen,
das ist die Zahl, die wir auf uns zukommen sehen. Uns
erwartet eine noch viel schneller auf uns zukommende
Nachfrage nach Lebensmitteln. Essgewohnheiten ändern
sich. Immer mehr Menschen auf der Welt verfügen trotz
aller Rückschritte und Wirren auf diesem Planeten über
ein Mindestmaß an Wohlstand. Wir alle wollen, dass
sich dieser Trend fortsetzt, auch auf dem Teller. Aber das
sind nur zwei der entscheidenden Trends. Der dritte
heißt Klimawandel. Ich habe noch kein vernünftiges Klimaschutzszenario gesehen, das ohne einen substanziellen Beitrag der Landwirtschaft auskommt.
({1})
Wir brauchen die Biomasse schon heute als erneuerbaren Energieträger. Wir werden sie in Zukunft noch mehr
brauchen - Klammer auf, Klammer zu -, trotz EEG. Ohnehin werden wir die Endlichkeit fossiler Ressourcen
mehr und mehr zu spüren bekommen. Wir werden immer mehr auf die Güter der Natur angewiesen sein, ob
als Baustoff, ob als Grundstoff in der chemischen Industrie oder als Blaupause unserer technischen Entwicklungen.
Die Landwirtschaft kann hier eine Schlüsselfunktion
übernehmen, wenn man sie lässt. Der Bedarf steigt kontinuierlich, doch die Rahmenbedingungen werden nicht
einfacher. Wir müssen davon ausgehen, dass für die
landwirtschaftliche Produktion weltweit künftig nicht
mehr, sondern weniger Flächen zur Verfügung stehen als
heute. Natürlich will niemand, dass für die Äcker die
letzten Regenwälder weichen und Steppenlandschaften
gerodet werden. Deshalb lassen Sie mich an dieser Stelle
zwei Dinge sagen.
Erstens. Ob Mensch und Natur in Frieden miteinander
leben, ob Nachhaltigkeit funktioniert oder nur ein Modewort bleibt, ob Klimaschutz einmal wirklich zur Realität
wird, das alles wird sich ganz wesentlich in ländlichen
Räumen entscheiden, im Stall und auf dem Acker.
({2})
Zweitens. Nachhaltigkeit wird es nicht ohne Fortschritt und Effizienz geben. Das kann vor dem Hintergrund der globalen Lage nicht funktionieren. Fruchtbare
Ackerflächen sind eine der knappsten Ressourcen, die
wir haben.
Deutschland hat das Glück, ein Gunststandort zu sein,
gesegnet mit gutem Klima und guten Böden.
({3})
- Und Wasser, Kollege Bleser. - Deshalb bitte ich alle,
denen wirklich daran gelegen ist, die globalen Herausforderungen im Hinblick auf Ernährungssicherheit, Klimaschutz und auch Waldschutz zu bewältigen: Verharren Sie in der Agrarpolitik nicht in Naivität und
rückwärtsgewandter Romantik!
({4})
Wir haben eine Verantwortung, der wir uns stellen müssen. Das sind wir auch unseren Kindern schuldig.
({5})
Es geht um die Entwicklung neuer Produkte. Es geht um
sinnvolles, umweltverträgliches Düngen. Es geht um
fortschrittliche Bearbeitungsmethoden.
Jüngst konnte ich die Feldtage in Sachsen-Anhalt besuchen. Wer diese Feldtage erlebt hat - ich wünsche mir,
dass ganz viele junge Menschen sie besuchen, weil sie
dort einen ganz anderen Einblick in die Zusammenhänge
bekommen und viel über die Zukunft lernen -, der setzt
in Zukunft darauf, dass Deutschland ein weltweit führender Technologiestandort sein, bleiben bzw. werden
muss. Dann, meine Damen und Herren, werden wir einen substanziellen Beitrag zur Lösung der weltweiten
Ernährungsprobleme leisten und den Klimaschutz weiter
voranbringen.
An genau dieser Stelle liegen die Ansichten in diesem
Haus aber weit auseinander. Genau hier erkennen wir,
wer sich wirklich für eine globale Bewältigung der Zu3678
kunftsherausforderungen einsetzt. Lieber Minister
Christian Schmidt, ein herzliches Dankeschön, dass Sie
in der Lage sind, über den sprichwörtlichen Tellerrand
blicken!
Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zeigt
auch der vorliegende Haushalt.
({6})
Ich finde es richtig, dass 70 Prozent des Agrarhaushaltes
in die Agrarsozialpolitik fließen, weil es diese 70 Prozent sind, denen wir die starke und stabile Bauernschaft
im Land verdanken; ich bin Berichterstatterin für dieses
Feld und weiß genau um die Bedeutung jeder dieser
Maßnahmen. Wir können diese 70 Prozent aber nur verantworten, weil wir weit über eine halbe Milliarde Euro
für Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation bereitstellen - ich wiederhole das gerne -, und das allein im
Agrarhaushalt. Wie Sie wissen, werden auch über den
Forschungsetat Maßnahmen finanziert, die für die Zukunftsfähigkeit unserer Landwirtschaft von großer Bedeutung sind.
Meine Damen, meine Herren, ich bitte Sie um Unterstützung einer Agrarpolitik, die erkennt, welche Schlüsselfunktion die Landwirtschaft in diesem Jahrhundert
hat, die bereit ist, diese Verantwortung wahrzunehmen,
und für die eben deshalb Fortschritt, Effizienz und Ertragssteigerung keine Schimpfworte sind und keine
Feindbilder darstellen. Genau darum geht es. Aus diesem Grund bitte ich um Ihre Zustimmung zum Agrarhaushalt des Jahres 2014.
Ich danke Ihnen.
({7})
Bevor ich das Rednerpult verlasse, möchte ich noch
einen herzlichen Glückwunsch sagen - ich hoffe, man
hat es mir gerade richtig zugeflüstert; ich habe auch noch
etwas Redezeit, Herr Präsident -, und zwar dem Kollegen Johann Saathoff zum heutigen Namenstag. Ist er
noch da?
({8})
- Genau, als letzter Redner der Debatte.
Der Kollege Saathoff erhält nun zum Abschluss und
als Höhepunkt der heutigen Haushaltsdebatte das Wort. Bitte schön.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Frau
Mortler, Sie haben für eine Premiere in meinem Leben
gesorgt. Es ist allererste Mal in meinem Leben, dass mir
jemand zum Namenstag gratuliert. Ganz herzlichen
Dank dafür!
({0})
Ich gebe offen und frei zu: Ich habe gar nicht gewusst,
dass er heute ist.
({1})
Das macht Frau Mortler ab jetzt jedes Jahr; dann werden Sie sich daran gewöhnen.
Danke, Herr Präsident.
Es gibt in der Landwirtschaftspolitik viel zu tun, liebe
Kolleginnen und Kollegen. An erster Stelle steht als zentrale Zukunftsaufgabe aus meiner Sicht ganz klar die
Entwicklung der ländlichen Räume.
Die SPD-Bundestagsfraktion beschäftigt sich schon
seit einigen Jahren intensiv mit der Entwicklung der
ländlichen Räume. Unter der Federführung meines Kollegen Willi Brase
({0})
haben wir Sozialdemokraten vor kurzem hier im Deutschen Bundestag eine Konferenz zu diesem Thema
durchgeführt.
Wir sind uns alle einig, dass die Wichtigkeit der ländlichen Entwicklung deutlich stärker als bisher betont
werden muss. Aus meiner Sicht ist es bei der Entwicklung der ländlichen Räume auch notwendig, das parlamentarische Bewusstsein für diese Problematik zu stärken. Die Mehrheit der Parlamentarier lebt nämlich im
Gegensatz zur Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
nicht im ländlichen Raum und erlebt somit dessen Entwicklung und dessen Probleme nicht am eigenen Leibe.
({1})
Schulen, Arztpraxen, Dorfläden sterben. Die ländlichen
Regionen verlieren zunehmend Einwohner, die sie eigentlich tragen sollen. Ich war vor meiner Wahl in den
Deutschen Bundestag über zehn Jahre hauptamtlicher
Bürgermeister der Gemeinde Krummhörn. Das ist ländlicher Raum, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie er im
Buche steht. Von den 19 Ortschaften der Gemeinde sind
mittlerweile 11 ohne jegliches Gewerbe. Jedes Jahr verloren wir deutlich Einwohner, und die Geburtenzahlen
haben sich in diesen zehn Jahren fast halbiert. Die immensen Investitionen in die Dorferneuerung schienen
ohne Dorfbewohner ihren Sinn zu verlieren. Es war
deutlich zu erkennen, dass die Menschen ihrem Arbeitsplatz hinterherziehen - eine Folge der drastisch gestiegenen Mobilitätskosten. Außerdem suchen sie die Nähe zu
Geschäften, Schulen, Kindertagesstätten und Freizeiteinrichtungen.
Aus dieser Erfahrung heraus halte ich es für unabdingbar, dass es uns mit einem Maßnahmenplan zur Reattraktivierung des ländlichen Raums gelingt, dort auch
wieder Wertschöpfung stattfinden zu lassen.
({2})
Wir müssen uns verabschieden von der reinen Produktion landwirtschaftlicher Produkte; stattdessen muss zur
Produktion die Veredelung der Produkte kommen. Hierbei geht es vor allem um regionale Produkte, die wieder
zu identifizieren, herzustellen und zu vermarkten sind.
Regionalität als Marke ist - insbesondere im Tourismus noch nicht ausreichend erkannt. Vor allem ist Regionalität nicht beliebig kopierbar.
({3})
Wenn über regionale Wertschöpfung wieder Arbeitsplätze im ländlichen Raum entstehen, wird das dazu führen, dass wieder vermehrt Menschen auf dem Land wohnen wollen.
Als zweites Element werden wir die Dorferneuerung
als reines Programm für den Tiefbau umwandeln müssen
in eine Art soziale Dorferneuerung,
({4})
die zum Ziel hat, Initiativen und Projekte des sozialen
Miteinanders und des sozialen Zusammenhaltes zu fördern. Ich denke da nicht nur an Dorfgemeinschaftshäuser, sondern auch an Dorfläden und soziale Hilfseinrichtungen wie Dorf- oder Gemeindekümmerer. Den
Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss geholfen werden, wenn sie erkennen, dass die Lebensbedingungen im ländlichen Raum durch Solidarisierung gehalten und verbessert werden können.
({5})
Um das zu schaffen, möchte die Koalition die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ perspektivisch zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ weiterentwickeln. Für meine Heimat Ostfriesland ist das - wie für
viele andere Regionen in Deutschland auch - ein wichtiges Thema. Zum einen halte ich es nicht nur, aber auch
als Deichrichter der Deichacht Krummhörn für unbedingt erforderlich, dass die Mittel für den Küstenschutz
trotz der Erweiterung um den Hochwasserschutz für
Flüsse und trotz der Erweiterung um die Entwicklung
ländlicher Räume in unverminderter Höhe erhalten bleiben.
({6})
Der Küstenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat
nicht ohne Grund Verfassungsrang. Ich kann mir vorstellen, dass sich der ein oder andere alpin sozialisierte Abgeordnete
({7})
manchmal fragt, ob die Mittel für den Küstenschutz in
dieser Höhe und in dieser Kontinuität erforderlich sind.
({8})
„Beter düür, as neet to kopen“ ist hier die ostfriesische
Devise.
({9})
Denn die Vernachlässigung des Küstenschutzes - das
lehrt uns die Geschichte und das zeigen uns Beispiele
aus anderen Ländern - ist nicht billiger, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vernachlässigung ist unbezahlbar.
({10})
Ende vergangenen Jahres fegte Orkan „Xaver“ über die
Nordsee. Die Flutlinie war genauso hoch wie 1962. Den
stetigen Küstenschutzmaßnahmen ist es zu verdanken,
dass ein solcher Orkan heute keine Katastrophe mehr zur
Folge hat.
Künftig werden wir auch den präventiven Hochwasserschutz mit einem Sonderrahmenplan absichern; dieser
soll bereits im Haushalt 2015 berücksichtigt werden. Die
zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird im Herbst
tagen; dann können Entscheidungen zu Maßnahmen und
Mitteln getroffen werden.
Hier sollen in den nächsten Jahrzehnten Flussauen renaturiert, Polder angelegt und weitere Schritte zur Erreichung der Ziele der EG-Wasserrahmenrichtlinie getan
werden, die auch Prävention beim Hochwasserschutz
bedeuten. Eines ist auch hier klar: Vorsorgemaßnahmen
kommen uns volkswirtschaftlich wesentlich günstiger
als Hochwasserschäden ohne präventive Maßnahmen.
Im Herbst werden wir dann weitere Schritte zur Umsetzung der GAP in Deutschland gehen. Außerdem werden wir uns mit der Hofabgabeklausel beschäftigen, wie
wir heute schon mehrfach gehört haben. Wir müssen dabei die agrarstrukturelle Wirkung der Verpflichtung zur
Hofabgabe genau betrachten. Dabei stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Verpflichtung zur Hofabgabe zur
Erlangung der verdienten Rente heute noch zeitgemäß
ist.
Sie sehen also: Die Koalition hat noch einiges vor.
Das gilt auch für den Bereich der Eiweißpflanzen.
Wir bekommen mit der Eiweißpflanzenstrategie 3 Millionen Euro zusätzlich für den ökologischen Landbau.
Das ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung und
darf an dieser Stelle ruhig einmal erwähnt werden.
({11})
Sojabohnen, Lupinen und Erbsen bereichern die Fruchtfolge, fördern die Bodenfruchtbarkeit und tragen insgesamt zur biologischen Vielfalt bei. Aus SPD-Sicht möchte
ich auch noch ergänzen, dass es sich dabei nicht um gentechnisch veränderte Pflanzen handelt, sondern im
Gegenteil: Das ist ein erster Schritt zu mehr Unabhängigkeit von Futtermittelimporten und gentechnisch veränderten Pflanzen.
({12})
Wir werden die Forschung in den Bereichen Bodenstruktur, Pflanzengesundheit und Nährstoffversorgung
sowie andere landwirtschaftliche Fachfragen weiter voranbringen. Damit unterstützen wir eine Strategie, die
mit der Entkopplung der Direktzahlungen begonnen hat
und langfristig den Erhalt öffentlicher Gelder vollständig
an die Erbringung öffentlicher Leistungen koppelt.
({13})
Im Rahmen des Direktzahlungs-Durchführungsgesetzes
haben wir ja gerade eine Mittelumschichtung in die
zweite Säule, die Ausweisung ökologischer Vorrangflächen, den Erhalt von Dauergrünland und die Besserstellung kleinerer Betriebe beschlossen. Jetzt wollen wir mit
der Eiweißpflanzenstrategie einen weiteren wichtigen
Schritt machen.
Wie ich schon sagte: Es gibt viel zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. Packen wir es an!
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 10, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit der
Mehrheit der Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition ist der Einzelplan 10 damit angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 25. Juni 2014,
9 Uhr, ein.
Wenn Sie mögen, können Sie gleich hier bleiben.
({0})
Wenn Sie nicht mögen, wünsche ich Ihnen noch einen
angenehmen Ausklang des Abends. Das gilt insbesondere auch für unsere Gäste auf den Besuchertribünen,
denen ich für ihr Interesse danke.
Die Sitzung ist geschlossen.