Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/4/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Entwurf des GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes auf der Drucksache 18/1307 dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur Mitberatung zu überweisen. Darüber hinaus sollen die Unterrichtungen der Bundesregierung zu Stellungnahmen des Bundesrates und Gegenäußerungen der Bundesregierung auf den Drucksache 18/1574, 18/1575, 18/1577, 18/1579 und 18/1586 zu den bereits überwiesenen Gesetzentwürfen auf den Drucksachen 18/1305, 18/1306, 18/1307, 18/1308 und 18/1311 an die entsprechenden federführenden und mitberatenden Ausschüsse überwiesen werden. Die meisten von Ihnen werden mit den Ziffern vermutlich keine konkreten Texte verbinden. Aber da es sich hier erkennbar um eine technische Erweiterung der bereits vorgenommenen Überweisungen sowie stärkere Mitberatung auch anderer Ausschüsse handelt, ist das vermutlich vereinbarungsfähig. Darf ich zu diesen Vorschlägen also Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute vor 25 Jahren fanden zwei Ereignisse statt, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch eines gemeinsam haben: den Willen der Menschen zu freier Selbstbestimmung. Am 4. Juni 1989 wurde in Peking der Platz des Himmlischen Friedens zum Schauplatz eines blutigen Massakers. Gleichzeitig fanden in Polen die ersten Wahlen statt, die diesen Namen tatsächlich verdienen. Die brutale Gewalt, mit der die chinesische Staatsmacht die friedliche Kundgebung Zehntausender Demonstranten niederschlagen ließ, zerstörte alle Hoffnungen auf ein sich demokratisch wandelndes China. Die Bilder vom Tiananmen-Platz - junge Menschen von Panzern niedergewalzt und zusammengeschossen - gingen 1989 um die Welt, und es gab immer wieder Nachrichten von Folter und langer Haft, die für viele folgte. Sie schockierten im damals noch geteilten Europa all jene, die auf friedlichen politischen Wandel überall in der Welt hofften - nicht zuletzt durch die gleichzeitige Entwicklung in Polen; denn am selben Tag, am 4. Juni 1989, errang in unserem Nachbarland die Solidarnosc einen überwältigenden Wahlsieg. Zum ersten Mal stand in der Folge ein nicht kommunistischer Ministerpräsident an der Spitze eines Landes des Warschauer Paktes. Der friedliche Machtwechsel in Polen gab den Bürgerbewegungen in den anderen Staaten des Ostblocks, auch in der DDR, Auftrieb. Er beförderte einen politischen Prozess, an dessen Ende der Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs in Europa stand. Während die Polen heute dieses herausragende Ereignis ihrer eigenen wie der europäischen Geschichte feierlich würdigen, wird in China jedes Gedenken an das Blutbad vom 4. Juni 1989 rigoros unterbunden. Doch Erinnerung lässt sich nicht verbieten, und sie lässt sich in unserer Zeit auch nicht mehr tilgen. Wir vergessen nicht. ({0}) Wir freuen uns heute mit unseren polnischen Nachbarn. Aber unsere Gedanken sind auch bei den 1989 in China Ermordeten und ihren Angehörigen, bei denen, die in Haft leiden mussten und noch immer leiden müssen. Die Polen und wir Europäer haben vor 25 Jahren erfahren, dass sich der Freiheitswille der Menschen auf Dauer nicht unterdrücken lässt. Deshalb gilt unsere Ermutigung und Solidarität all denen, die in diesen Tagen und Stunden, in welchem Land auch immer, mutig für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. ({1}) Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissen des Informellen Abendessens der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am 27. Mai 2014 in Brüssel sowie zum G-7-Gipfel am 4./5. Juni 2014 in Brüssel Präsident Dr. Norbert Lammert Hierzu liegen drei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. - Auch dies ist offenkundig einvernehmlich. Dann verfahren wir so. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. ({2})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der heute beginnende G-7Gipfel wird das letzte Zusammentreffen der G-7-Staatsund Regierungschefs sein, bevor Deutschland die Präsidentschaft dieser Gruppe übernimmt. Damit kommt große Verantwortung auf unser Land zu. Zuvor wird aber die G 7 heute und morgen in Brüssel viele Beratungen gerade auch mit Blick auf den G-20-Gipfel führen, der im November im australischen Brisbane stattfinden wird. Dazu legen wir für uns als G 7 eine gemeinsame Linie fest. Uns leitet das gemeinsame Verständnis, dass ein starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wirtschaftswachstum nur mit durchgreifenden Strukturreformen und einer wachstumsorientierten Haushaltskonsolidierung zu erreichen ist. Deshalb werden wir unter anderem über Arbeitsmarktreformen sprechen, zum Beispiel über Möglichkeiten, wie wir Investitionen effizient fördern, kleine und mittlere Unternehmen gezielt stärken oder die Erwerbsbeteiligung von Frauen in den G-20-Ländern erhöhen können. Die Entwicklung der Weltkonjunktur ist insgesamt ermutigend. So liegt die IWF-Prognose für das globale Wachstum mit 3,6 Prozent in diesem Jahr auf der Höhe des Durchschnittswertes der Jahre 2000 bis 2013. Für 2015 wird mit 3,9 Prozent sogar ein Wachstum über diesem Durchschnittswert erwartet. Zugleich dürfen wir aber nicht übersehen, dass jedes noch so gute Wachstum auf tönernen Füßen stehen würde, wenn wir nicht weiter konsequent daran arbeiteten, die Lehre aus der verheerenden weltweiten Finanzkrise von 2008 und 2009 zu ziehen. Damit sich eine solche Krise nicht wiederholt, müssen wir die beschlossenen Finanzmarktreformen international entschlossen umsetzen und da, wo es Lücken gibt, weitere beschließen. Hier ist manches erreicht, aber längst noch nicht alles, was dringend notwendig ist. Und mit der Entfernung von der akuten Krise - auch das muss man sagen - wird es eher beschwerlicher als leichter, entsprechende Beschlüsse zu fassen. Wir haben bereits starke Regulierungen, zum Beispiel für globale systemrelevante Banken, erreicht. Aber jetzt - das wird ein Schwerpunkt in Brisbane sein - geht es vor allen Dingen auch darum, dass die Schattenbanken einer strengen Regulierung unterworfen werden. Ansonsten wird es Ausweichbewegungen von den Banken auf die Schattenbanken geben, und die Finanzmarktregulierung wäre wieder außerordentlich lückenhaft. Die G-7-Staaten teilen die gemeinsame Überzeugung, dass ein offenes und freies Wirtschaftssystem Voraussetzung für Wachstum und Stabilität ist. Der freie Welthandel ist hierbei Wachstumsmotor und leistet einen wichtigen Beitrag zu mehr Wachstum, vor allen Dingen aber zu mehr Beschäftigung, ohne dass die öffentliche Haushalte zusätzlich belastet werden. Wir wollen die internationalen Märkte weiter öffnen und Handelsbarrieren abbauen. Wir hören immer wieder - so steht es in den Berichten der OECD -, dass die Handelsschranken in den letzten Jahren eher mehr geworden sind. Wenn wir über freien Handel sprechen, dann geht es sowohl um Fortschritte bei der Welthandelsorganisation, also bei der WTO, als auch um bilaterale Freihandelsabkommen wie zum Beispiel das der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir werden als G 7 deutlich machen, dass wir die Welthandelsorganisation auf dem Weg zum Abschluss der Verhandlungen der Doha-Entwicklungsrunde mit Nachdruck unterstützen. Einen breiten Raum werden heute und morgen selbstverständlich auch Fragen der Energiepolitik einnehmen. Bereits vor einem Monat haben die G-7-Energieminister in Rom die sogenannte Initiative für Energieversorgungssicherheit der G 7 von Rom beschlossen. Mit ihr haben sie sich auf kurzfristige Maßnahmen zur Stärkung der Energiesicherheit verständigt wie zum Beispiel auf Notfallpläne, Gefährdungsanalysen und technische Hilfen. Bis 2015 wollen sie einen umfassenden langfristigen Aktionsplan erarbeiten, mit dem verhindert werden soll, dass Energie als politisches Zwangsmittel eingesetzt wird - ein brisantes Thema, wie wir zum Beispiel an den gegenwärtigen Diskussionen zwischen Russland und der Ukraine um den Gaspreis sehen. Es ist natürlich von hoher ökonomisch-ökologischer Bedeutung, gleichzeitig die Märkte transparenter zu machen, die Versorgung zu diversifizieren und vor allen Dingen auch die Energieeffizienz zu steigern. Denn dies ist zwingend erforderlich, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Dabei spielt auch die Umstellung von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien eine wesentliche Rolle. ({0}) Nur wenn wir die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von fossilen Brennstoffen reduzieren, können wir eine nachhaltige Energieversorgung erreichen. ({1}) Wir werden dies auf dem G-7-Gipfel in Brüssel erneut deutlich machen. Deutschland ist mit seiner Energiewende und einem Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von 25 Prozent einer der Vorreiter einer nachhaltigen Energieversorgung, meine Damen und Herren. ({2}) Dies ist auch mit Blick auf den VN-Klimagipfel Ende 2015 in Paris wichtig, für dessen Gelingen Deutschland als G-7-Präsidentschaft eine wichtige Rolle zukommen wird. Es ist kein Geheimnis, dass die Staatengemeinschaft deutlich mehr Anstrengungen unternehmen muss, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Wir wollen bis 2015 eine umfassende und international bindende Vereinbarung abschließen, die dann 2020 in Kraft tritt. Wir müssen alles daransetzen, dass der Gipfel von Paris ein Erfolg wird; denn ein zweites Scheitern wie in Kopenhagen können wir uns nicht leisten. ({3}) Eng verbunden mit der Klima- und Energiepolitik ist ohne Zweifel die Entwicklungspolitik. Wir werden in Brüssel vor allem die Umsetzung bestehender Initiativen voranbringen. Dies betrifft zum Beispiel die Anfang 2015 in Deutschland stattfindende Konferenz zur Wiederauffüllung des Impffonds GAVI, die kanadische Initiative zur Verbesserung der Mütter- und Kindergesundheit und die amerikanische Initiative zur Ernährungssicherung. Notwendig sind auch weitere Schritte bei vertraglichen Rohstoffpartnerschaften, um Entwicklungsländern bessere Möglichkeiten zu verschaffen, von ihrem Rohstoffreichtum auch wirklich nachhaltig zu profitieren. Wir setzen uns besonders für die Initiative CONNEX ein, die die Länder bei den Vertragsverhandlungen im Rohstoffbereich rechtlich und auch mit geologischer Expertise beraten soll. Die G-7-Staaten sind sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst, eine ambitionierte Agenda für die Zeit nach 2015, das heißt die sogenannte Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung, zu erarbeiten. Sie wissen: Die Millenniumsentwicklungsziele laufen dann aus, und wir brauchen eine Nachfolge. Alle Menschen auf der Welt sollen ein Leben in Würde führen können, und gleichzeitig müssen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen und uns an der Regenerationsfähigkeit der Erde ausrichten - nichts anderes bedeutet Nachhaltigkeit. Das muss uns gelingen. Ich bin unserem Bundespräsidenten a. D. Horst Köhler sehr dankbar, dass er bei der Vorbereitung der zukünftigen Ziele eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. ({4}) Wir setzen uns für eine globale Partnerschaft ein, die bisheriges Denken in Kategorien wie Geber hier und Nehmer dort, Nord hier und Süd dort überwindet. ({5}) Während der deutschen G-7-Präsidentschaft wird dies eine herausgehobene Rolle spielen. Meine Damen und Herren, wenn wir uns all diese Themen des G-7-Gipfels vor Augen führen, mit denen wir uns heute und morgen in Brüssel beschäftigen werden, so könnte man fast meinen, es handele sich um einen ganz normalen Gipfel. Das ist aber natürlich in keiner Weise so. Das wird schon daran deutlich, dass sich seit 16 Jahren die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen - genauso wie heute die Finanzminister - erstmals wieder im G-7-Format, also ohne Russland, und nicht mehr im G-8-Format treffen werden. Das Vorgehen Russlands bei der Annexion der Krim hat diesen Schritt unumgänglich gemacht; denn die G 8 ist eben nicht nur eine ökonomische Gemeinschaft, sondern sie ist auch eine Gemeinschaft, die Werte teilt. Dazu gehört zwingend die Achtung des Völkerrechts, des Rechts souveräner Staaten, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Die Ukraine ist ein solcher völkerrechtlich anerkannter souveräner Staat, dessen territoriale Unversehrtheit Russland verletzt hat. Die Lage in der Ukraine wird deshalb einen breiten Raum in den Beratungen der G 7 einnehmen. Dies war schon beim Informellen Abendessen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel vor einer Woche der Fall, das ja eigentlich zur Beratung der Ergebnisse der Europawahlen angesetzt war. Bei den ebenfalls am 25. Mai abgehaltenen ukrainischen Präsidentschaftswahlen wurde Petro Poroschenko zum Präsidenten gewählt, und zwar bereits im ersten Wahlgang mit einer beeindruckenden Mehrheit. Die OSZE hat diese Wahl anerkannt. Noch Tage vorher gab es Zweifel, ob die Wahl überhaupt durchgeführt werden könnte; aber die große Mehrheit der Ukrainer hat sich nicht einschüchtern lassen, sondern ihre eigene entschlossene Antwort gegeben. Das Wahlergebnis verdeutlicht auch, dass die Kräfte in der Ukraine, die sich nationalistisch radikal präsentieren, glücklicherweise nur sehr geringen Zulauf bekamen. Bis zu diesen Präsidentschaftswahlen hat die Übergangsregierung von Ministerpräsident Jazenjuk in einer äußerst schwierigen Situation viel auf den Weg gebracht: den Beginn eines Verfassungsreformprozesses, der neben rechtsstaatlichen Reformen auch die Fragen von Dezentralisierung und Sprachengebrauch in den Mittelpunkt stellt, die Runden Tische zum Nationalen Dialog für alle Kräfte, die sich von Gewalt distanzieren - ich möchte an dieser Stelle dem Botschafter Ischinger ein ganz herzliches Dankeschön sagen, der sich in diesem Prozess ganz herausragend eingebracht hat -, ({6}) und die Verabschiedung wirtschaftlicher Reformgesetze, um eine wirtschaftliche Gesundheit zu ermöglichen. All dies waren unter den gegebenen Umständen ganz wesentliche Beiträge. Aber, meine Damen und Herren, dieser Weg muss fortgesetzt werden. Er verdient unsere Unterstützung. Ein solches Signal der Unterstützung ging auch vom Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in der letzten Woche aus, und ein solches Signal wollen wir auch vom G-7-Treffen aussenden. Als Bundesregierung verfolgen wir seit Beginn der Ukraine-Krise eine Politik des Dreiklangs. Neben dem ersten Punkt dieses Dreiklangs, der gezielten Unterstützung der Ukraine, steht zweitens das unablässige Bemühen, im Dialog mit Russland eine diplomatische Lösung der Krise zu finden. In unseren Gesprächen - des Außenministers mit dem Außenminister Lawrow, auch in meinen Gesprächen mit Präsident Putin - machen wir deutlich, dass Russland von der Konfrontation zur Kooperation zurückkehren muss. Was wir aktuell sehen, ist allenfalls ein gemischtes Bild. So gibt es ermutigende Zeichen der Respektierung der Wahl und zur Rolle der OSZE, auch der Rückzug eines Teils der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze ist ein positives Zeichen. Aber gleichzeitig spricht die Lage in der Ukraine auch noch eine andere Sprache. Die Annexion der Krim hält an. Berichte der Vereinten Nationen und der OSZE verdeutlichen, dass sich die Menschenrechtssituation auf der Krim vor allem für die Krim-Tataren deutlich verschlechtert hat. Die Situation in der Ostukraine hat sich nach einem ähnlichen Muster, wie wir es schon vorher auf der Krim gesehen haben, dramatisch verschlechtert. Die Berichte der Vereinten Nationen und der OSZE enthalten besorgniserregende Aussagen zu systematischen Übernahmen von offiziellen Gebäuden und von Infrastruktur, zu den Pseudoreferenden in einer Atmosphäre der Gewalt und der Einschüchterung, die meist von prorussischen Separatisten ausgeht. Russlands Föderationsrat hält die Autorisierung militärischer Gewalt gegen die Ukraine aufrecht und bekundet Respekt für die verfassungswidrigen Referenden. Hinzu kommen noch die mehrfachen gewaltsamen Geiselnahmen von Beobachtern der OSZE durch prorussische Separatisten. Angesichts dieser Lage ist es unverändert entscheidend, von einer Tendenz der Destabilisierung zu einer Deeskalation der Lage vor Ort zu kommen. Dabei kommt Russland eine entscheidende Rolle zu. Wir bemühen uns deshalb darum, dass es alsbald zu Kontakten zwischen dem neugewählten Präsidenten in der Ukraine und dem russischen Präsidenten kommt. Ganz entscheidend ist es, dass Präsident Putin seinen Einfluss auf die Separatisten geltend macht, damit sie von Gewalt und Einschüchterung Abstand nehmen, die Waffen abgeben und die Besetzungen beenden. Nur so können wir wieder zu einer friedlichen Situation auf allen Seiten zurückkehren. ({7}) Indem Russland seine Grenzen jedoch nicht oder nicht ausreichend kontrolliert, sodass in großem Umfang Kämpfer und Munition in den Südosten der Ukraine gelangen können, trägt es weiter zur Destabilisierung des Nachbarn bei. Wenn dies nicht aufhört, dann - das ist der dritte Punkt des Dreiklangs unseres Handelns - werden wir uns nicht scheuen, weitere Sanktionen zu verhängen, Sanktionen der im März beschlossenen Stufe 3. Dies hat der Europäische Rat in der letzten Woche bekräftigt. Darüber sind wir uns auch in der G 7 einig. Ich sage es aber noch einmal: Sanktionen sind kein Selbstzweck. Wir wollen sie nicht. Wir wollen eine enge Partnerschaft mit Russland. Aber wenn sie unvermeidlich sein sollten, dann werden wir auch einmütig über sie befinden. Meine Damen und Herren, wir haben einen langen Atem, wenn es darum geht, Freiheit, Recht und Selbstbestimmung auf dem europäischen Kontinent durchzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine auf ihrem selbstbestimmten Weg zu schützen und altem Denken in Einflusssphären aus dem 19. und 20. Jahrhundert mit Antworten des globalen 21. Jahrhunderts zu begegnen. Im Übrigen: Gemeinsame Geschichte begründet keine Gebietsansprüche gegenüber einem souveränen Staat. Gerade Staaten mit gemeinsamer Geschichte sollten mit Respekt und unter Wahrung des Rechts eng zusammenarbeiten und zusammenleben. ({8}) Das ist ja gerade die Grundlage, die uns in weiten Teilen Europas in den letzten Jahrzehnten eine einzigartige Zeit des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands ermöglicht hat. Gemeinsame Geschichte, so schwierig sie auch im Verlaufe der Jahrhunderte immer wieder war, wurde zum Fundament von Gemeinsamkeit und europäischem Zusammenwachsen. Wie glücklich wir in Europa über das europäische Friedenswerk sein können, zeigt ja nicht nur die Lage in der Ukraine, sondern das zeigt auch und vor allem das Elend vieler Menschen anderswo auf der Welt. So werden auf dem G-7-Gipfel auch andere Themen eine Rolle spielen: Der Bürgerkrieg in Syrien hat inzwischen über 160 000 Todesopfer gefordert und destabilisiert die Länder um Syrien herum; Libyen befindet sich in einer instabilen Lage; in Nigeria wütet die schreckliche Terrororganisation Boko Haram. Deshalb müssen wir auch alles daransetzen, in diesen Krisenbereichen das zu tun, was möglich ist, um den Menschen dort wieder ein vernünftiges Leben zu ermöglichen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund zeigt sich: Wir können eigentlich gar nicht dankbar genug sein, dass vor anderthalb Wochen, am 25. Mai, gut 400 Millionen Europäerinnen und Europäer ihr nächstes Europäisches Parlament frei, geheim und fair wählen konnten. Ich freue mich sehr, dass in Deutschland die Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2009 von 43 Prozent auf immerhin fast 48 Prozent gestiegen ist und dass sich in Deutschland die überwiegende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler eindeutig für Europa ausgesprochen hat. ({10}) Dies ist Ausdruck der Überzeugung, dass Europa unsere gemeinsame Zukunft ist. In den vergangenen Wochen habe ich bei vielen Veranstaltungen im ganzen Land viel Zuspruch und Wertschätzung für Europa erfahren, aber eben auch Sorge und Kritik gehört. Unzufriedenheit und Unsicherheit sind in anderen Ländern der Europäischen Union noch viel weiter verbreitet als in Deutschland, wie wir an vielen Wahlergebnissen sehen können. In einigen Ländern gibt es teilweise dramatische Tendenzen der Europaskepsis und des Populismus. Die Ursachen für die Zustimmung zu diesen Parteien sind sicher auch im nationalen Umfeld zu suchen. Dennoch lassen diese Ergebnisse auch den Schluss zu, dass die Bürgerinnen und Bürger bessere Antworten von Europa erwarten. Das verlangt konkret: Wir können und müssen die Europäische Union noch besser machen. Wir müssen alles dafür tun, die Stärkung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und vor allem Beschäftigung in das Zentrum unserer Arbeit zu stellen. Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren, und dabei muss es sich an die selbst gegebenen Regeln und Verträge halten. Wenn wir das verstehen, dann ziehen wir im Übrigen auch die richtige Lehre aus der europäischen Staatsschuldenkrise und verhindern, dass sich eine solche Krise wiederholen kann. Deshalb haben wir beim Informellen Abendessen der Staats- und Regierungschefs der EU in der vergangenen Woche darüber beraten, welche politischen Prioritäten die Arbeit der Europäischen Union und ihrer Institutionen in den nächsten fünf Jahren bestimmen sollten. Alle Staats- und Regierungschefs der EU stimmen darin überein, dass sich das Handeln der Europäischen Union in den kommenden Jahren inhaltlich wie organisatorisch auf die zentralen Zukunftsfragen konzentrieren muss: auf eine Agenda für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, die auch die soziale Dimension zum Tragen bringt; auf eine funktionierende und vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion, die den Zusammenhalt der EU-28 wahrt; auf gemeinsame Antworten zum Klimawandel und in der Energiepolitik einschließlich des Abbaus der Energieabhängigkeit; auf die Stärkung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; auf ein geeintes Außenhandeln der Europäischen Union. Wir wollen unser europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell im globalen Wettbewerb zum Erfolg führen. Dafür müssen wir in den Feldern stark sein, auf denen in Zukunft die globale Wertschöpfung stattfindet. Wir müssen die Potenziale und Möglichkeiten des Freihandels und des Binnenmarkts ausschöpfen und für eine stärkere Dynamik in Forschung, Innovation und Schlüsseltechnologien sorgen. Gerade für Europa und da insbesondere für Deutschland als starkes Industrieland bietet die Verbindung klassischer Industriekompetenz mit Informationstechnologien große Chancen. Mit dem Begriff „Industrie 4.0“ wird die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten beschrieben. Wenn die Europäische Union ihr Handeln auf Schwerpunkte wie diese konzentriert, dann - davon bin ich überzeugt - wird Europa zu neuer Stärke und Stabilität finden und werden die Bürgerinnen und Bürger neues Vertrauen schöpfen. ({11}) Meine Damen und Herren, politische Prioritäten brauchen das Personal, das diese Prioritäten vertreten und umsetzen kann. Das gilt in diesen Wochen vorneweg für die Wahl des nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission. Der Vertrag von Lissabon sieht hierfür vor, dass der Europäische Rat dem Europäischen Parlament unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Europawahl mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlägt, über den dann das Europäische Parlament abstimmt. Das steht in Artikel 17 Absatz 7 der EU-Verträge. Dementsprechend haben wir bei unseren Treffen den Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, beauftragt, die vertraglich vorgesehenen notwendigen Konsultationen zu führen. Er wird dem Europäischen Rat im Juni über die Ergebnisse seiner Konsultationen berichten. Herman Van Rompuy hat angekündigt, die Konsultationen mit den neu gebildeten politischen Gruppierungen des Europäischen Parlaments und ihren neu gewählten Vorsitzenden aufzunehmen. Er wird zudem bilaterale Gespräche mit den Mitgliedern des Europäischen Rates führen. Auch ich führe natürlich viele Gespräche mit meinen europäischen Kollegen über die politischen Inhalte wie auch darüber, dass ich mich für die Wahl des Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei bei der Europawahl, Jean-Claude Juncker, zum nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit einsetze, und so tut dies auch die ganze Bundesregierung, meine Damen und Herren. ({12}) Wir alle kennen die Vorbehalte mancher Mitgliedstaaten, zum Beispiel die Großbritanniens. Damit das klar ist: Ich teile diese Vorbehalte nicht. Aber ebenso klar sage ich auch: Ich halte es für grob fahrlässig, ja eigentlich für inakzeptabel, mit welcher Lockerheit manche darüber sprechen, dass es doch eigentlich gleichgültig sei, ob Großbritannien nun zustimme oder nicht, mehr noch: ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibe oder nicht, nach dem Motto: Reisende soll man nicht aufhalten. Meine Damen und Herren, das ist alles andere als gleichgültig, unwichtig, egal. ({13}) Großbritannien ist wahrlich kein bequemer Partner. Großbritannien hat schon viel von Europa profitiert und bekommen. Doch umgekehrt hat Großbritannien Europa auch schon viel gegeben. Dazu lohnt es sich, in diesem großen Gedenkjahr aus der berühmten Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor beiden Häusern des britischen Parlaments vor fast 30 Jahren zu zitieren. Damals sagte Richard von Weizsäcker mit Blick auf Großbritanniens Widerstand gegen Deutschland im Nationalsozialismus - ich zitiere ihn -: Was wäre aus Europa heute geworden … wenn es - also das britische Volk nicht die Kraft gefunden hätte, seine Existenz aufs Spiel zu setzen …, um die Hoffnung aller europäischen Völker auf eine bessere Zukunft in Freiheit zu bewahren? Großbritannien braucht seine europäische Berufung nicht zu beweisen. Ende des Zitats. ({14}) Bei allen Unterschieden, die schon dadurch deutlich werden, dass Großbritannien am Britischen Pfund festhält und Deutschland aus tiefer Überzeugung für die gemeinsame Währung, den Euro, eintritt, gilt: ({15}) Deutschland und Großbritannien teilen gemeinsame Werte und Interessen. Wir verfolgen gemeinsam wesentliche Ziele, vorneweg das Ziel einer starken, wettbewerbsfähigen Europäischen Union, die ihre Kräfte bündelt. Deshalb führe ich meine Gespräche gerade auch mit Großbritannien in dem europäischen Geist, der uns Europäern über mehr als fünf Jahrzehnte immer wieder geholfen hat, bestmögliche Ergebnisse für alle zu finden. Das erfolgt nicht immer einstimmig. Vor allem ist es manchmal mühsam und anstrengend; es dauert auch. Doch wie schon bei der Überwindung der europäischen Staatsschuldenkrise oder bei der Verabschiedung des europäischen Haushalts bis 2020, so folge ich auch hier dem Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Gute Ergebnisse in Brüssel, die alles bedenken, sind selten überstürzt zustande gekommen. Sie brauchen Zeit. Die haben wir, und deshalb nutze ich sie. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt sich mit aller Kraft dafür ein, dass die Europäische Union verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnt, indem sie ihre Prioritäten zum Wohle der Menschen setzt: für Wachstum, für Beschäftigung und für Wettbewerbsfähigkeit. Nur mit einer starken und stabilen Europäischen Union können wir gemeinsam unsere Interessen und Werte selbstbewusst in der Welt vertreten und behaupten. Denn wir werden nie vergessen: Wir Europäer sind zu unserem Glück vereint. Gleichzeitig setzen wir gemeinsam mit unseren Partnern in der G 7 alles daran, Frieden, Freiheit und Wohlstand in der Welt zu festigen. Dieser großen Aufgabe sind wir uns gerade in diesem Jahr der bedeutenden Gedenktage besonders bewusst. Herzlichen Dank. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, es ist ja neuerdings in der deutschen Debatte zu einem Vorwurf geworden, wenn jemand versucht, etwas zu verstehen. Ich glaube, zumindest das kann man Ihnen, Frau Merkel, nicht vorwerfen: Sie sind wirklich keine Versteherin - weder von Russland noch von Frankreich noch von anderen Ländern -, Sie glauben offenbar eher, die Probleme von oben herab lösen zu können. ({0}) Wir müssen aufhören, eine hochgefährliche halbhegemoniale Stellung, in die die Bundesrepublik wieder hineingerutscht ist, in alter deutscher Manier rücksichtslos auszuspielen. Das schreibt Ihnen und der gesamten Bundesregierung der Philosoph Jürgen Habermas ins Stammbuch. Er meint damit vor allem, aber nicht nur den demütigenden Umgang mit Frankreich. Am 25. Mai ist bei den Europawahlen in Frankreich der Front National von Marine Le Pen stärkste politische Kraft geworden. Auch in anderen europäischen Ländern haben nationalistische, rechtspopulistische, teils offen faschistische Kräfte - wie die Goldene Morgenröte in Griechenland - kräftig zugelegt. Wenn das nicht als Weckruf taugt, dass es in Europa nicht so weitergehen kann wie bisher, worauf wollen Sie dann noch warten? ({1}) Darauf, dass Frau Le Pen französische Präsidentin wird? Und jetzt sagen Sie nicht, Deutschland habe mit der wirtschaftlichen Misere in Frankreich nichts zu tun. Die Agenda 2010 war nicht nur eine massenhafte Enteignung deutscher Arbeitnehmer, die heute im Schnitt 3,6 Prozent weniger Lohn bekommen als im Jahr 2000, sondern das durch Leiharbeit, Werkverträge, Minijobs, sachgrundlose Befristung ermöglichte Lohndumping deutscher Unternehmen war natürlich auch ein massiver Angriff auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Konkurrenten, denen solche Knebelinstrumente zur Erpressung ihrer Arbeitnehmer nicht zur Verfügung standen. ({2}) Auch damit hängt zusammen, dass zum Beispiel Länder wie Frankreich und Italien seit Einführung des Euro einen erheblichen Teil ihrer industriellen Kapazitäten verloren haben. Der französische Mindestlohn liegt mit 9,53 Euro über 1 Euro höher als der Mindestlohn, den Sie jetzt mit dem Gestus einer sozialen Heldentat endlich in Deutschland einführen wollen und den Sie auch noch durch Ausnahmen durchlöchern werden. Sicher, nach Ihrer Logik könnte Frankreich seinen Mindestlohn natürlich auch absenken. Wahrscheinlich sehen Sie es sogar als Erfolg Ihrer Politik an, dass mittlerweile unter dem Druck der Krise die Löhne europaweit sinken; dass ein Großangriff auf Arbeitnehmerrechte gleich der Agenda 2010 jetzt in ganz Europa läuft; dass überall die Ausgaben für Bildung, für Gesundheit, für Renten zusammengestrichen und die Sozialsysteme zerstört werden. Aber finden Sie es wirklich so erstaunlich, dass sich immer mehr Menschen von einem Europa abwenden, das sie als Lobbyistenklub für Banken und große Unternehmen empfinden und das sie verantwortlich machen für die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze, für die Zerstörung ihDr. Sahra Wagenknecht rer sozialen Sicherheit und ihres Wohlstands; dass immer mehr Menschen eine EU als Bedrohung empfinden, die nichts mehr zu tun hat mit den großen Ideen der Freiheit, der Demokratie, der Solidarität und der Sozialstaatlichkeit, die sie stattdessen entmündigt und ihre demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten einschränkt, eine EU, die unter Solidarität nur noch den perversen Vorgang versteht, Hunderte Milliarden für Rettungsschirme zu verpulvern, die am Ende nur reichen Anlegern und Banken etwas nützen, eine EU, die mit ihrem Marktfanatismus und ihrer Wirtschaftshörigkeit die Kluft zwischen Arm und Reich in Europa immer tiefer aufreißt? ({3}) Wer sich wundert, dass auf einem solchen Boden die nationalistische und rechtspopulistische Saat gedeiht, der hat nichts, aber auch wirklich gar nichts verstanden. ({4}) Das ist auch Ihre Saat, Frau Merkel, das ist auch das Ergebnis der von Ihnen verantworteten Politik. ({5}) Wer glaubt, eine Lösung der Euro-Krise sei auf den Weg gebracht, weil Hedgefonds inzwischen wieder griechische Staatsanleihen kaufen, der verwechselt die Welt der Finanzzocker mit dem realen Leben. ({6}) Ein arbeitsloser Jugendlicher in Spanien, der auf absehbare Zeit keine realistische Chance auf einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben hat, oder ein diabeteskranker Grieche, der nicht mehr weiß, wie er sein Insulin bezahlen soll, die haben den Luxus einer solchen Verwechslung nicht; ihr Leben spielt in der realen Welt, und sie spüren, dass diese ihnen kaum noch eine Zukunft bietet. Wenn sich das nicht ändert, wenn die Krisenlasten nicht endlich von denen getragen werden, die von der ganzen Party profitiert haben, wenn die Armut in Europa weiter wächst und wenn der soziale Ausgleich scheitert, dann scheitert Europa, und das ist dann auch Ihre Mitverantwortung, Frau Bundeskanzlerin. ({7}) In der Ukraine ist Europa schon gescheitert. Das Land versinkt in einem blutigen Bürgerkrieg. Wie schön klangen doch die blumigen Versprechungen, die Sie den Ukrainern noch vor wenigen Monaten gemacht haben. Angeblich wollte die deutsche Regierung die Kräfte, die für Demokratie, für Freiheit und für Europa sind, gegen jene unterstützen, die für Oligarchie, für Armut und für Korruption stehen. Heute unterstützen Sie eine Regierung, der vier Minister einer offen antisemitischen und antirussischen Nazipartei angehören, eine Regierung, die den Konflikt erst richtig angeheizt hat und heute brutal Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt. ({8}) Sie stützen einen Präsidenten, der seine Wahlkampagne mit seinem milliardenschweren Raubvermögen und einem eigenen Fernsehsender betrieben hat, einen Oligarchen, der dem früheren Staatschef Janukowitsch an Korruption, Gangstertum und krummen Geschäften in nichts nachsteht und der übrigens auch einmal sein Minister war. Damit es nicht zu peinlich wird, belügen Sie die Öffentlichkeit hinsichtlich der wahren Situation in der Ukraine, zu der eben gehört, dass schwerreiche Oligarchen wie afghanische Warlords eigene Privatarmeen finanzieren und das Land schamlos ausplündern, während ein Großteil der Ukrainer in drückender Armut lebt, einer Armut, die sich infolge der jetzt dem Land von der EU und vom IWF diktierten Kürzungen weiter verschärfen wird. Sie verschweigen, dass bewaffnete Schlägertrupps des Rechten Sektors nach wie vor auf dem Maidan kampieren, dass sich Linke in vielen Teilen der Ukraine nicht mehr ohne Gefahr für Leib und Leben frei bewegen können und dass die Regierung statt einer Entwaffnung dieser marodierenden Nazibanden lieber ein Parteiverbot der Kommunistischen Partei betreibt. Der Mord an über 40 Zivilisten in einem Gewerkschaftshaus in Odessa, das von diesem rechten Mob angezündet wurde und in dem die Opfer lebendig verbrannten, ist leider keine russische Propaganda, sondern grausame Realität, ({9}) eine Realität, die mit dem von Ihnen gemalten Bild einer weltoffenen proeuropäischen Ukraine nichts zu tun hat. ({10}) Ist es nicht geradezu verantwortungslos, einer Regierung, die so offenkundig elementarste demokratische Maßstäbe verletzt, auch noch mit Milliarden an EU-Geld unter die Arme zu greifen? Wäre es nicht sehr viel naheliegender, sich dafür einzusetzen, dass die Raubvermögen der Oligarchen endlich der ukrainischen Bevölkerung zurückgegeben werden? Da liegt genug Geld, um die Finanzprobleme der Ukraine zu lösen. ({11}) Schluss mit Oligarchie und Korruption! Demokratie und bessere soziale Absicherung: Das waren die Anliegen der ursprünglichen Maidan-Bewegung. Sie wurden von den aktuellen Machthabern in Kiew komplett verraten - auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, indem Sie diese Machthaber unterstützen. ({12}) Was für die EU gilt, das gilt genauso für die Ukraine. Nur wenn die Menschen eine soziale Perspektive haben, wird auch das Land eine haben. Die erste Bedingung dafür ist ein Ende des Bürgerkriegs. Der neue Präsident unternimmt noch nicht einmal den Versuch, die Lage zu deeskalieren. Er will keine Gespräche und keine Verhandlungen, sondern den gnadenlosen Einsatz militärischer Gewalt, obwohl jede Erfahrung lehrt, dass es in Bürgerkriegen keine schnellen Siege gibt, sondern nur endloses Blutvergießen. Frau Merkel und Herr Steinmeier, wenn Sie nach all den Fehlschlägen Ihrer Ukraine-Diplomatie zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik zurückkehren wollen, dann setzen Sie Poroschenko unter Druck, den Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen ({13}) und den Weg zu Verhandlungen und einem Waffenstillstand zu eröffnen. Dann können Sie das Putin auch glaubwürdig sagen und ihn entsprechend unter Druck setzen. ({14}) Dazu gehört es aber eben, die legitimen Interessen aller Seiten ernst zu nehmen. Genau das hat der Westen gegenüber Russland über Jahre sträflich vernachlässigt. Heute sieht es doch selbst der frühere US-Verteidigungsminister Robert Gates so, dass die NATO-Osterweiterung ein Fehler war, ein Fehler, der - so Gates wörtlich „die Ziele der Allianz untergrub und das, was die Russen als ihre nationalen Lebensinteressen betrachteten, verantwortungslos ignorierte“. Genauso verantwortungslos ist es, über Artikel 10 des EU-Assoziierungsabkommens die Ukraine in eine gemeinsame Verteidigungspolitik mit der EU und damit faktisch in eine Kooperation mit der NATO einbinden zu wollen. Genauso verantwortungslos ist die absurde Sanktionsdebatte, die das Klima weiter verschlechtert ({15}) und die das Potenzial hat, der deutschen und der europäischen Wirtschaft massiv zu schaden, während sich USamerikanische Gas- und Ölkonzerne ins Fäustchen lachen. Es gibt keinen Frieden und keine Sicherheit in Europa ohne oder gegen Russland. ({16}) Es liegt deshalb in der unbedingten Verantwortung der Bundesregierung, sich klar und entschieden gegen Obamas erschreckende Kriegsrhetorik und die angekündigte Truppenstationierung in Osteuropa auszusprechen. Wir brauchen keine weitere militärische Provokation. ({17}) Wir brauchen auch nicht noch mehr Waffen in dieser waffenstarrenden Welt. ({18}) Wer genau 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges und nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges immer noch über führbare Kriege inmitten von Europa nachdenkt und fantasiert, ({19}) der ist, muss ich sagen, krank im Kopf und der muss in die Schranken gewiesen werden, egal ob er Obama, Rasmussen oder sonst wie heißt. ({20}) Deshalb, Frau Merkel: Lösen Sie sich endlich aus dem Schlepptau dieser US-Kriegspolitik. ({21}) Setzen Sie sich - möglichst gemeinsam mit Frankreich dafür ein, dass Europa sich diesem Eskalationskurs verweigert. Der französische Historiker Emmanuel Todd hat Deutschland ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. ({22}) - Emmanuel Todd. Falls Sie den Namen noch nicht gehört haben, sollten Sie sich einmal belesen. ({23}) Ich zitiere ihn: Unbewusst … sind die Deutschen heute dabei, ihre Katastrophen bringende Rolle für die anderen Europäer - und eines Tages auch für sich selbst - wieder einzunehmen. ({24}) Wenn Ihnen das nicht zu denken gibt, wenn Sie das als Frechheit denunzieren, dann tut es mir wirklich leid. ({25}) Frau Bundeskanzlerin, die deutsche Europapolitik stand einmal in einer anderen Tradition. Sie stand in einer Tradition, die begründet wurde durch den Bruderkuss Charles de Gaulles und Adenauers im Elysée, durch den Händedruck Mitterrands und Helmut Kohls über den Gräbern von Verdun und durch den Kniefall Willy Brandts in Warschau, mit dem er Deutschland für immer verpflichtete, gegen Judenhass und Rassismus in aller Welt vorzugehen, und der den Geist seiner Ost- und Entspannungspolitik symbolisch zum Ausdruck brachte. Knüpfen Sie endlich wieder an diese Tradition der deutschen Außen- und Europapolitik an! ({26})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie tragenden Minister und all das, was in diesem Zusammenhang insbesondere der deutsche Außenminister Frank Steinmeier in den letzten Tagen und Wochen getan hat. ({0}) Da meine Redezeit begrenzt ist, liebe Kollegin Wagenknecht, nur zwei Hinweise: Erstens. Es ist unakzeptabel, das, was wir hier in Deutschland politisch umsetzen und was wir auch kontrovers diskutieren, in irgendeiner Weise mit dem Erstarken faschistischer und fremdenfeindlicher Kräfte in einen Zusammenhang zu bringen. Das ist weder die Politik der Union noch die Politik der Grünen noch die Politik der Sozialdemokraten. ({1}) Zweitens. Es ist genauso unakzeptabel und unredlich, hier ständig über die Frage eines Krieges zu reden, während die Mitglieder aller Fraktionen und der Regierung - die Kanzlerin hat das noch einmal deutlich gemacht sich klar gegen militärische Lösungen ausgesprochen haben. Das müssen Sie doch irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen. ({2}) Reden wir jetzt einmal darüber, was uns in Europa verbindet. Ich finde, es ist ein wichtiger Punkt, dass am D-Day auch Deutsche in Tradition dessen, was Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 zur Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und in Europa und zu der besonderen Verantwortung, die wir haben, erklärt hat, den Alliierten danken. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundeskanzlerin an diesem Tag auch mit Präsident Putin redet. Sie hat unser volles Vertrauen dafür, diesen Dialog mit Russland fortzusetzen. ({3}) Es gibt einen zweiten Punkt. Ich danke allen Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachtern ({4}) der CSU, der CDU, der Grünen, der SPD und der Linkspartei, die als Vertreter der OSZE und anderer internationaler Organisationen in die Ukraine gereist sind, um dort nicht nur in Worten, sondern auch durch Präsenz und demokratisches Handeln für faire, gerechte und freie Wahlen einzustehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür gilt ihnen, hoffe ich, der Dank des ganzen Hauses. Das war eine richtige und mutige Tat. Ich selbst durfte vor zehn Jahren bei der Orangen Revolution in Donezk, der Partnerstadt meiner Heimatstadt Bochum, mit dabei sein. Das war diesmal leider nicht möglich. Diesen Weg der Partnerschaft und des Einstehens für Demokratie durch das ganze Haus müssen wir auch gemeinsam weitergehen. ({5}) Der dritte Punkt. Wir haben am 25. Mai die Direktwahl zum Europäischen Parlament durchgeführt. Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Parlamentarisierung der Gemeinschaft, dass die Fraktionen der Europäischen Volkspartei - dazu gehören die Christdemokraten mit ihrem künftigen Vorsitzenden Manfred Weber -, der Grünen mit ihrer Vorsitzenden Rebecca Harms, der Sozialdemokraten mit ihrem künftigen Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz sowie der Linkspartei mit ihrer Fraktionsvorsitzenden Gabi Zimmer und, nicht zu vergessen, die liberale Fraktion, die zusammen über 500 Mitglieder des neugewählten Parlaments repräsentieren und auch alle hier im Bundestag vertreten sind, direkt nach der Wahl gesagt haben: Ja, wir stehen mit unseren Parteifamilien dazu, dass der Sieger der Europawahl zuerst die Möglichkeit bekommt, als Präsident gewählt zu werden. Das ist Jean-Claude Juncker, ein Christdemokrat aus Luxemburg. Wir alle wünschen Jean-Claude Juncker alles Gute, dass es ihm gelingt, eine Mehrheit zu finden. Wir erwarten von den Staats- und Regierungschefs, dass sie dies akzeptieren. Sie sind nicht mehr Formateur einer europäischen Regierung, der Kommission, sondern sie sind der politische Notar, der Dinge voranbringen muss, und wir werden sie dabei unterstützen. ({6}) Ich sage das auch, weil das ein Stück Geschichte des Deutschen Bundestages ist. Unsere Vorgängerinnen und Vorgänger haben schon in den 60er-Jahren dafür gekämpft, dass das Europäische Parlament direkt gewählt wird. Das war noch zu Adenauers Zeiten. Wir haben als Zweites durchgesetzt, dass es eine parlamentarische Frauenquote gibt, was auch in der SPD nicht ganz einfach war. Das war in der Zeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Wir haben drittens im Europäischen Parlament ein kommunales Wahlrecht durchgesetzt und erreicht, dass das Europäische Parlament gleichberechtigt mit entscheidet. Das war schon zur Zeit Helmut Kohls. Das Ganze ist dann mit dem Vertrag von Lissabon vollendet worden. Axel Schäfer ({7}) Und wir haben viertens mit einer Initiative des Deutschen Bundestages und des SPD-Abgeordneten Professor Dr. Jürgen Meyer, Ulm, erreicht, dass wir eine europäische Bürgerinitiative, das heißt die Möglichkeit der direkten Demokratie, in die europäischen Verträge aufnehmen. Das ist ein gemeinsamer parlamentarischer Erfolg in Europa. Aber das ist auch das Ergebnis aller proeuropäischen Kräfte, die im Bundestag wirken. Damit sollten wir gerade nach dem 25. Mai stolz und selbstbewusst umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Der 25. Mai war leider auch ein Tag der Erstarkung von antieuropäischen, fremdenfeindlichen, nationalistischen bis hin zu rechtsextremistischen Kräften. Diese sollten wir hier in diesem Haus gemeinsam bekämpfen. Wir gehen keinen Schritt zurück. Wir stehen zu dem, was in Hunderten Verträgen in allen Mitgliedstaaten seit über 60 Jahren mit verfassungsgebenden Mehrheiten an Europa bzw. an Gemeinschaft geschaffen worden ist. Wir brauchen uns für nichts, was in Europa als Gemeinschaft vorangebracht worden ist, zu entschuldigen, für absolut nichts und bei niemandem. Wir machen das mit geradem Rücken und mit klarem Blick, und wir führen diese Auseinandersetzung mit offenem Visier. ({9}) Das heißt gleichzeitig: Wir stellen uns jeder Kritik, die an konkreten europäischen Problemen wie der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, der Bankenkontrolle und Maßnahmen zur Antidiskriminierung geübt wird. ({10}) Aber wir werden nicht zulassen, dass diejenigen, die die Europäische Union in Wort und Tat zerstören wollen, auf keinen Widerstand stoßen. Ich sage als Sozialdemokrat ganz klar in Richtung Großbritannien und in Erinnerung an das, wofür schon Helmut Schmidt als Kanzler anlässlich der Volksabstimmung 1975 gekämpft hat, als es darum ging, dass das United Kingdom in der Europäischen Gemeinschaft bleibt: Wir werden alles tun, dass Großbritannien dabeibleibt. Nutzen wir die Möglichkeiten, die wir politisch haben, sei es über bilaterale Partnerschaften oder in europäischen Gremien. Aber eines ist auch klar: Herr Cameron, der in Europa im Bremserhäuschen sitzt, darf nicht den Zug der europäischen Einigung zum Entgleisen bringen. Das werden wir nicht zulassen. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, fünf Fraktionen im Europäischen Parlament werden einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der Wahlsieger Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wird. Der Deutsche Bundestag sollte genau dies unterstützen. Glück auf! ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, nach Ihrer Rede frage ich mich erneut: Was haben Sie uns eigentlich zum Kommissionspräsidenten sagen wollen? Herr Schäfer hat ein paar klare Worte gesagt. Von Ihnen habe ich gehört: Ja oder vielleicht; ja, wenn nicht Frau Lagarde, oder „mal sehen“. - Das Lavieren hat kein Ende. Es hat erst einen Katholikentag gebraucht, damit Sie fünf Tage nach der Europawahl wenigstens einmal den Namen von Herrn Juncker ausgesprochen haben. ({0}) - Ich finde das großartig. - Ich finde das aber vor allen Dingen paradox. Da wird diese Europawahl zum Duell der Spitzenkandidaten ausgerufen - in diesem Fall muss man bei der männlichen Formulierung bleiben -, auf der einen Seite die Konservativen und auf der anderen Seite die Sozialdemokraten, und danach sind es im Europaparlament die Grünen, die Liberalen und die Sozialdemokraten, die sagen: Der Konservative soll sich um eine Mehrheit bemühen. - Frau Merkel, ich finde, das, was Sie hier tun, ist eine Schwächung der Europäischen Union, eine Schwächung des Europäischen Parlaments. ({1}) Es ist damit auch eine Schwächung der europäischen Idee. Wenn es darum geht, Demokratie durchzusetzen, dann muss Schluss sein mit der Hinterzimmerpolitik. Darum geht es in diesen Tagen in Europa. ({2}) Zwischendurch habe ich mir einmal vorgestellt, was gewesen wäre, wenn nach einer Bundestagswahl die Wahlsiegerin Frau Merkel hieße und dann jemand sagen würde: Sie werden es bestimmt nicht! ({3}) Ich kann mich an eine solche Situation erinnern; das war 2005. ({4}) Das ist regelrecht schröderesk, was Sie hier machen, Frau Merkel. Insofern sage ich klar und deutlich: Bekennen Sie sich endlich zu den Mehrheiten, und sagen Sie eindeutig, was Sie tatsächlich wollen! Ich finde, Sie können zu dem Spitzenkandidaten, den Sie ausgerufen haben, stehen. Sie sollten nicht herumlaufen und sagen: Schauen wir einmal, was das Europäische Parlament macht; das könnten wir am Ende noch berücksichtigen. Da hilft es auch nichts, Paragrafen vorzulesen. Wenn man für Europa kämpfen will, dann muss man das mit Leidenschaft tun, gerade an so einer Stelle. ({5}) Was es heißt, wenn man das nicht macht, was es heißt, wenn man Europa von vornherein diffamiert, das kann man ganz gut bei Ihrem Kollegen aus Bayern sehen, Herrn Seehofer. ({6}) - Herr Seehofer ist aber aus Bayern. ({7}) Er ist dort Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender. Frau Hasselfeldt musste schon zu sehr starken Worten greifen. ({8}) „Testosterongesteuert“ hat sie Herrn Seehofer genannt. Da scheint einiges los zu sein in der CSU. ({9}) Ich kann nur sagen: Entweder man bekennt sich zu Europa, oder man bereitet denen den Boden, die mit Populismus und Ausländerfeindlichkeit arbeiten, die gegen eine Willkommenskultur in Deutschland sind, die dagegen sind, dass dieses Europa tatsächlich eine gemeinsame Sozialunion ist und bleibt, die dagegen sind, Europa stark zu machen. Denen bereitet man auf diese Weise den Boden. Deswegen ganz klar und deutlich: Wer für Europa kämpft, macht es nicht wie die CSU in Bayern. ({10}) Meine Damen und Herren, die Krise in der Ukraine zeigt uns sehr gut, wie sehr wir Frieden und Rechtsstaatlichkeit zu schätzen wissen sollten. Der Kampf dafür hier bei uns ist eben auch ein Zeichen für die Leute, die dort mit ihrem Leben dafür eintreten, dass das gelingt. Frau Wagenknecht, wenn ich mir Ihr Weltbild anschaue, das Sie uns heute hier präsentiert haben, ({11}) dann muss ich sagen: Kein Wort über die Krim, kein Wort über den Exodus der Tataren, kein Wort darüber, dass dort tatsächlich Wahlen stattgefunden haben! Entschuldigung, bedeutet Ihnen denn das gar nichts? ({12}) Sie reden hier wieder von dem Einfluss von Neofaschisten in der Regierung der Ukraine. Meine Güte, die haben am Sonntag, als auch die Europawahl stattfand, bei der Wahl zum Präsidenten der Ukraine noch nicht einmal 2 Prozent der Stimmen bekommen. Können Sie das wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen, auch wenn das vielleicht einen Moment an Ihrem Weltbild kratzt, Frau Wagenknecht? ({13}) Wenn Sie sich hierhinstellen und versuchen, mit billigstem Populismus auf dem Rücken der Menschen in der Ukraine, die es wahrlich nicht leicht haben, ich weiß nicht was zu erreichen - möglicherweise wollen Sie in Ihrer eigenen Partei eine Mehrheit bekommen; manchmal scheint mir das der eigentliche Grund für Ihre Rede zu sein -, dann kann ich nur sagen: Das geht nicht. Dort versuchen Menschen, ein demokratisches Land aufzubauen, dort versuchen Menschen, für Frieden zu sorgen. Sie werden unterstützt, ja, sie werden auch von uns unterstützt. Wer das nicht akzeptiert und wer das nicht mit unterstützt, der stellt sich außerhalb von Friedensbemühungen und außerhalb von Demokratie, Frau Wagenknecht. ({14}) Die Herausforderungen in Europa werden wahrlich nicht geringer. Die Europäische Union muss mit ehrgeizigen Klimazielen in die UN-Verhandlungen im nächsten Jahr gehen. Ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen wäre doch einmal etwas. Frau Merkel, Sie stellen sich hierhin, sagen: „wichtig, wichtig“, aber Sie handeln nicht danach. Klar, wir müssen unsere Abhängigkeit von russischen Gasimporten verringern, aber doch bestimmt nicht durch Fracking oder durch Atomenergie und ganz bestimmt nicht durch Kohleenergie. ({15}) Es geht um den Ausbau der erneuerbaren Energien, es geht um die Energieunion, vor allem durch den Umstieg auf die Erneuerbaren. Das wäre die Fortsetzung des Friedensprojekts Europa im 21. Jahrhundert. Barack Obama hat vorgelegt und gezeigt, dass Klimaschutz Führung und Mut braucht und man sich auch einmal gegen Mehrheiten stellen muss, wenn man Verantwortung für die Zukunft übernehmen will. Wo ist Ihr Engagement für ambitionierte Klimaschutzziele? Sie sagen, Deutschland sei Vorreiter. Ich sage: Nein, Deutschland war einmal Vorreiter, aber inzwischen steigen die CO2-Emissionen wieder, und der Ausbau der erneuerbaren Energien wird ohne Not ausgebremst. Wenn Klimaschutz wirklich Chefsache wäre, dann würden Sie, meine Güte, im Herbst nach New York zur Klimakonferenz fahren, statt zu Hause zu bleiben und das Klima Klima sein zu lassen. ({16}) Mit Blick nach Brandenburg muss man klar und deutlich sagen: Wer jetzt neue Tagebaue aufmacht, um noch mehr dreckige Kohle zu fördern, der macht das zu 80 Prozent gegen die Bevölkerung in Brandenburg und der macht es zu 100 Prozent gegen den Klimaschutz. SPD und Linke haben das beschlossen, und ich kann nur sagen: Das hat nichts mit Klimaschutz zu tun. Sie sollten hier nicht mehr herumlaufen und davon reden, dass Sie den Kohleausstieg wollen; Sie sollten hier nicht mehr herumlaufen und davon reden, dass Sie für den Klimaschutz sind. ({17}) Das gilt auch für das Fracking. Wenn eine Verordnung beschlossen werden soll, die am Ende dafür sorgt, dass für 86 Prozent der Fläche in Deutschland Fracking erlaubt ist, dann hat das mit Trinkwasserschutz und Gesundheitsschutz nichts mehr zu tun; vielmehr geht es darum, Fracking grundsätzlich zu erlauben. Darum soll man nicht herumreden. Auch das hat nichts mit Klimaschutz zu tun. ({18}) Meine Damen und Herren, am Schluss will ich auf etwas eingehen, was mich an Ihrer Rede, Frau Merkel, geärgert hat, ({19}) ja, besonders betroffen gemacht hat. Wenn man über die Krisenherde in der Welt mit drei Sätzen redet, wenn man darüber redet, wie die Situation in Syrien ist und gleichzeitig kein Wort dazu verliert, dass wir nicht nur die Aufgabe haben, im Rahmen der Möglichkeiten dort zu helfen, sondern dass es ein Mindestmaß an Menschlichkeit wäre, wenn wir endlich sagen würden: „Wir müssen hier mehr Flüchtlinge aufnehmen“, ({20}) dann entgegne ich klar und deutlich: Das ist eine falsche Schwerpunktsetzung. Ich will Ihnen sagen: Wenn wir in Europa eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik machen wollen, dann heißt das für uns als Erstes, Verantwortung hier in Deutschland zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass wir eine Willkommenskultur haben, dafür zu sorgen, dass wir ein offenes Europa haben, dafür zu sorgen, dass wir ein Europa der Vielfalt haben, ein Europa, das wir nicht den Rechten an die Hand geben, ein Europa, bei dem wir klar und deutlich sagen: Nein, die AfD ist keine Partei, die sich in irgendeiner Weise für Europa einsetzt, sondern eine Partei, die sich gegen Europa einsetzt. Das sollten Sie Ihren Kollegen in Sachsen vielleicht einmal klar und deutlich sagen. Schließlich stellen sich Herr Tillich und Herr Flath hin und behaupten, sie könnten sich vorstellen, nach der Landtagswahl mit der AfD zusammenzuarbeiten. ({21}) Das ist eine klare Ansage gegen Europa, und das ist auch eine klare Ansage gegen all das, was wir mit Vielfalt und Liberalität in unserem Land und in Europa erreichen wollen. ({22}) Ein solidarisches, friedfertiges Europa, darum muss es auch an dieser Stelle gehen. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Nun erhält die Kollegin Dağdelen das Wort für eine Kurzintervention.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Rede gerade erinnerte mich an den großen Dichter und Denker Bertolt Brecht, der einmal treffend formuliert hat: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! ({0}) Es entsetzt mich - ich bin darüber wirklich schockiert -, dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass sich mit den geringen Stimmenzahlen für die Kandidaten der Swoboda oder des Rechten Sektors das Problem des Neofaschismus, das Problem des Antisemitismus in der Ukraine erledigt habe. ({1}) Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt. Drei Minister der Regierung in Kiew, also der Regierung der Ukraine, sind Mitglied der neofaschistischen Partei Swoboda. Ein Minister dieser Regierung steht der Swoboda nahe. Ein weiterer Minister gehört der UNAUNSO, einer neofaschistischen Organisation, an. Das heißt, eigentlich haben fünf Minister dieser Regierung einen neofaschistischen Hintergrund. Der Rechte Sektor kontrolliert weiterhin den ukrainischen Sicherheitsapparat. ({2}) Sie haben vergessen, davon zu sprechen, dass der Präsidentschaftskandidat der extrem rechten Radikalen Partei, Oleg Ljaschko, über 1,5 Millionen Stimmen und damit über 8 Prozent bei der sogenannten Präsidentschaftswahl bekommen hat. Sie haben von diesen Wahlen gesprochen, ohne auch nur ein einziges Mal darauf hinzuweisen, unter was für Kriegsumständen sie stattgefunden haben. ({3}) Kandidatinnen und Kandidaten, zum Beispiel von Borotba oder der KP in der Ukraine, und viele andere haben ihre Kandidaturen zurückgezogen, weil sie von Faschisten bedroht worden sind. Der Kandidat der Partei der Regionen ist während seiner Kandidatur unter Hausarrest gestellt worden. Wie kann man da eigentlich von freien, fairen Wahlen sprechen, frage ich Sie. ({4}) Ich bin wirklich entsetzt darüber, wie hier die Faschisten, die Antisemiten verharmlost werden. ({5}) Ich bin entsetzt über diesen Tabubruch der deutschen Außenpolitik, die von Ihnen, Frau Kollegin, mitgetragen wird. Das ist wirklich schändlich. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Göring-Eckardt hat das Wort zur Erwiderung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Dağdelen, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie Wahlen, die in der Ukraine stattgefunden haben, ignorieren wollen. ({0}) Frau Dağdelen, ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie die Situation in einem Land mit einer Freiheitsbewegung, die auf dem Maidan begann und die in alle Teile des Landes ausgeweitet worden ist, so sehen. Unter schwierigsten Bedingungen haben dort Wahlen stattgefunden. Diese schwierigsten Bedingungen waren wohl vor allem, dass insbesondere im Osten der Ukraine Separatisten, die aus Russland unterstützt worden sind, dafür gesorgt haben, dass Menschen Angst hatten, ins Wahllokal zu gehen. Trotzdem haben es viele gemacht. Trotzdem wurde versucht, diese Wahlen so frei und so fair wie möglich durchzuführen. ({1}) Die OSZE hat klar und deutlich festgestellt: Ja, diese Wahlen waren frei. Ja, diese Wahlen sind zu akzeptieren. Frau Dağdelen, ich finde, dann könnten Sie auch einmal eine Sekunde darüber nachdenken, ob Sie diese Wahlen ebenfalls akzeptieren können. ({2}) Ich glaube, dass Sie nicht akzeptieren, dass es ein schwieriger Weg ist, bei dem es nicht einfach Ja und Nein gibt. Es ist ein schwieriger Weg, dafür zu sorgen, dass Demokratie auch tatsächlich einziehen kann, dass Korruption tatsächlich bekämpft werden kann; dafür sind die Leute nämlich auf die Straße gegangen. ({3}) Es ist wohl klar und deutlich - das sage ich für die Fraktionen, die hier in diesem Haus sitzen, für die SPD, für die Union genauso wie für uns, und für jedes Mitglied der Bundesregierung -: Niemand hier wird Faschisten unterstützen wollen. Sie sollten aufhören mit dieser absurden Unterstellung, Frau Dağdelen! ({4}) Wenn Sie Bert Brecht zitieren wollen, Frau Dağdelen, tun Sie das gern weiter. Ich jedenfalls werde nicht akzeptieren, dass Sie mich eine Verbrecherin nennen. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich will ausdrücklich sagen, dass es auch in einer politischen Auseinandersetzung und in einer heftigen Debatte - das möchte ich an Sie richten, Frau Dağdelen nicht gerechtfertigt ist, Kolleginnen und Kollegen etwas zu unterstellen, für das es überhaupt keine sachliche Begründung gibt. ({0}) Jetzt hat der Kollege Schockenhoff das Wort. ({1})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will unterstreichen, was die Bundeskanzlerin zu Recht betont hat: Die Ukrainer haben Petro Poroschenko bei einer Wahlbeteiligung von deutlich über 60 Prozent im ersten Wahlgang mit 54 Prozent zu ihrem Präsidenten gewählt. Das ist ein starkes Zeichen. Die CDU/CSUBundestagsfraktion gratuliert Herrn Poroschenko zu diesem wichtigen Sieg. Er tritt eine äußerst schwierige Aufgabe an. Die Debatte, die wir hier führen, verwundert mich schon etwas. Es lohnt sich aber nicht, darauf weiter einzugehen. Herr Schäfer hat zu Recht allen gedankt, die als Wahlbeobachter dabei waren. Frau Dağdelen, Mitglieder Ihrer Fraktion waren an der OSZE-Wahlbeobachtermission beteiligt, und sie haben diese Wahl als frei und fair bezeichnet. Wenn Ihnen, Frau Dağdelen, nun das Ergebnis nicht passt - Sie haben wörtlich von einer „sogenannten Präsidentschaftswahl“ gesprochen -, dann zeigt dies, dass Sie noch nicht in der Demokratie angekommen sind. Sie sind nach wie vor zutiefst von totalitärem Denken geprägt. ({0}) Ich will auch auf einen anderen Umstand ausdrücklich hinweisen. Herr Poroschenko ist in allen Wahlkreisen des gesamten Landes mit deutlicher Mehrheit ge3270 wählt worden - selbst in den umkämpften Orten im Osten. Da dies in der Vergangenheit anders war - die Wahlergebnisse der führenden Kandidaten zeigten im Osten und im Westen deutliche Unterschiede -, hat dieses Wahlergebnis einen ganz besonderen politischen Stellenwert. Herr Poroschenko ist der Präsident aller Ukrainer. Das ist das wichtige Ergebnis der Wahl vom 25. Mai. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Präsidentenwahl setzen die Ukrainer ein klares Zeichen. Es ist der unmissverständliche Auftrag, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung sowie für die politische, wirtschaftliche und soziale Einheit des Landes zu sorgen. Die Ankündigung des gewählten Präsidenten, zuerst in den Osten der Ukraine zu reisen und sich um die Stärkung der Wirtschaft und um die Verbesserung der sozialen Lage dort zu kümmern, ist dafür eine sehr wichtige Botschaft. Es muss darum gehen, dass die Menschen im Osten der Ukraine wieder Vertrauen in die Politik finden, die in Kiew gemacht wird, zumal es in der Vergangenheit leider auch gravierende Fehler mit Blick auf die Menschen im Osten des Landes gegeben hat. Gerade die Menschen im Osten der Ukraine müssen schnell von den Wirtschafts- und Finanzhilfen des IWF und der EU profitieren; denn dort ist die wirtschaftliche und soziale Lage besonders schwierig. Dies wäre auch eine wichtige Antwort an die Separatisten. Denn dann lautet die Botschaft für die Menschen in den umkämpften Gebieten: Während die Separatisten für Unsicherheit und Terror sorgen, während Moskau Waffen und Kämpfer schickt, leistet Kiew auch mithilfe der EU und mit unserer Unterstützung konkrete Beiträge, damit es den Menschen in der Ostukraine Stück für Stück besser geht und ihre Region wirtschaftlich modernisiert wird. Die Menschen dort wollen endlich sicher und in Frieden leben. Dazu brauchen sie unsere Unterstützung. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Schockenhoff, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Das Wahlergebnis ist deshalb auch ein starkes Signal gegen die Gewalt der Separatisten und Terroristen und gegen die Einmischung von außen. Die Ukrainer wollen ihren eigenen, selbstbestimmten Weg gehen. Mit den Stimmzetteln haben sie allen russischen Destabilisierungsaktivitäten der letzten Wochen eine klare Absage erteilt. Das sollte Moskau endlich akzeptieren. Doch was ist die Realität des russischen Handelns? Inzwischen sprechen die Separatisten ganz offen davon, dass sie von russischen Soldaten unterstützt werden und sich ihrem Kommando unterstellt haben. Letzte Woche haben wir aus dem Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine Zahlen dazu erhalten: Circa 800 russische Berufssoldaten befinden sich allein in den Städten Lugansk, Slowjansk und Donezk. Weiterhin sind dort 600 russische Freiwillige - vor allem pensionierte oder aus der Armee ausgeschiedene russische Soldaten. Diese Zahlen dürften in der Zwischenzeit weit höher sein; denn wir hören jeden Tag von neuen Militärkonvois, die aus Russland in die Ukraine einsickern. Der russische Grenzschutz schaut dem tatenlos zu. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt deshalb nachdrücklich die Aufforderung der Staats- und Regierungschefs der EU von Anfang der Woche an Moskau, „seinen Einfluss auf die bewaffneten Separatisten zu nutzen, um die Lage in der Ostukraine zu deeskalieren und vorrangig zu verhindern, dass Separatisten und Waffen in die Ukraine gelangen“. Aber wir müssen feststellen, dass Russland dazu bisher nicht bereit ist. Wenn russische Soldaten und andere mit modernsten russischen Waffen ausgerüstete Kämpfer mit Billigung der russischen Grenztruppen und damit mit Billigung Moskaus in die Ukraine eindringen können, dann ist dies auch eine Form militärischer Intervention Russlands in der Ukraine. Nach der Annexion der Krim stellt Russland mit diesen militärischen Destabilisierungsaktivitäten im Osten der Ukraine auch weiterhin grundsätzliche Elemente der europäischen Friedensordnung und die über viele Jahre erarbeiteten Regelwerke einer europäischen Sicherheitsarchitektur infrage. Russland belastet durch sein Verhalten Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa weiterhin schwer. Unsere Bündnispartner im Osten, insbesondere die baltischen Staaten und Polen, fühlen sich besonders bedroht. Ich sage ganz deutlich: Deren Sorgen sind auch unsere Sorgen. Deshalb ist es richtig, dass die NATOStaaten bereits eine Verstärkung ihrer Streitkräfte und zusätzliche Truppen auf dem Boden unserer östlichen Partner und in der Ostsee beschlossen haben. ({0}) Ob dort darüber hinaus auch permanente Stationierungen erforderlich werden, wird bis zum NATO-Gipfel Anfang September zu prüfen sein. Das wird sehr davon abhängen, ob Russland sein unberechenbares und aggressives Verhalten, vor allem gegenüber der Ukraine, fortsetzt. Ich sage aber auch - das ist von meinen Vorrednern bis auf eine Ausnahme bestätigt worden -: Wir alle wissen und sind überzeugt, dass dieser Konflikt militärisch nicht zu lösen ist. Deshalb wird es notwendig sein, dass die neue ukrainische Führung unter Beteiligung und mit Hilfe der USA und der EU das Gespräch mit Moskau sucht, um eine Lösung zu finden, die die Gewalttätigkeit beendet, die zur Entwaffnung der illegal bewaffneten Gruppen und zum Abzug der russischen Soldaten und Geheimdienstkräfte führt und die die Souveränität und Integrität der Ukraine sichert. Es ist genauso notwendig, auf Moskau einzuwirken, damit es zu konstruktiven und lösungsorientierten GeDr. Andreas Schockenhoff sprächen bereit ist. Wir bedanken uns bei der Bundeskanzlerin und beim Außenminister für ihre Bemühungen, die wir auch weiterhin mit Nachdruck unterstützen. ({1}) In diesem Zusammenhang ein Wort zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland: Es gibt Menschen - auch ein ehemaliger Bundeskanzler gehört dazu -, die davon reden, dass die Krim - so wörtlich für immer weg sei. Das ist nichts anderes als die Anerkennung von Landraub und Völkerrechtsbruch. Deswegen begrüßt und unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nachdruck, dass die Staats- und Regierungschefs der EU die unrechtmäßige Eingliederung der Krim in die Russische Föderation erneut scharf verurteilt und zum Ausdruck gebracht haben, dass sie diese Annexion nicht anerkennen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand weiß heute, unter welchen Voraussetzungen und wann die Krim wieder zur Ukraine gehören wird. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass die Wiedervereinigung Deutschlands möglich war und dass die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen konnten. Warum sollte das nicht auch für die Krim möglich werden? Gerade wir Deutschen, die nach 40 Jahren unsere Einheit wiedererlangen konnten, sollten nicht so reden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Menschen in der Ukraine haben große Erwartungen an ihren neu gewählten Präsidenten Poroschenko. Zugleich sind die Herausforderungen im Zusammenhang mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderung enorm. Die Reformbemühungen im Bereich der Justiz, der Staatsanwaltschaft und im Sicherheitssektor sowie zur Bekämpfung von Korruption sind eine echte Herausforderung. Deshalb begrüßen wir sehr, dass die Europäische Union und auch die einzelnen Mitgliedstaaten der EU umfangreiche Unterstützung zugesagt haben bzw. bereits konkrete Hilfe leisten. Herr Poroschenko möchte so bald wie möglich den Handelsteil des Assoziierungsabkommens unterschreiben. Auch das sollten wir nachdrücklich unterstützen, zumal alle russischen Vorwürfe, dieses Abkommen würde der russischen Wirtschaft schaden, in sich zusammengebrochen sind. Russland hat in den Verhandlungen mit der Europäischen Union dazu keinerlei Belege vorlegen können. Um es klar zu sagen: Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte machen. Wir müssen dabei den schwierigeren Weg gehen: mit den Mitteln der Soft Power und des Völkerrechts gegen russische militärische Destabilisierung und Völkerrechtsbruch. Dies ist kein Konflikt fern im Osten der Ukraine. Dies ist ein Konflikt, der uns direkt angeht. ({3}) Es geht um Frieden, um Sicherheit und die Stärke des Rechts in ganz Europa. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt erhält zunächst Herr Hunko das Wort zu einer Kurzintervention.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben mich vorhin als Wahlbeobachter angesprochen; ich habe die Wahlen in Odessa beobachtet. ({0}) - Auch er hat eben von den Wahlbeobachtern der Linksfraktion gesprochen. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass die Wahlen in Odessa, in Kiew, in Lwiw und in anderen Städten fair und friedlich abgelaufen sind. Das Problem aber ist - auch das ist von den internationalen Organisationen benannt worden -, dass ein Großteil der Wähler im Gebiet Donezk und Lugansk, das 5,1 Millionen Wähler, also ein Siebtel der Wahlbevölkerung, umfasst, nicht wählen konnte, weil dort Bürgerkrieg herrscht, ({1}) und dass eine Reihe von oppositionellen Kandidaten aus dem Spektrum der Kommunistischen Partei, zum Beispiel der Kandidat Simonenko, und aus dem Spektrum der Partei der Regionen aufgrund von Übergriffen, die es gegeben hat - sogar im Parlament; das kann man ja nachprüfen -, ihre Kandidatur aus Angst zurückgezogen hat. Auch das muss man benennen, wenn man abwägen will, wie die Wahlen zu beurteilen sind. ({2}) Ich möchte Sie fragen - denn, Herr Schockenhoff, Sie sind auf die Situation im Osten sehr intensiv eingegangen -, ob Sie bereit sind, öffentliche Signale in Richtung Poroschenko, in Richtung der Übergangsregierung in Kiew dahin gehend zu senden, dass der gegenwärtige Militäreinsatz gestoppt wird, dass Waffenruhe eintritt, um zu Verhandlungen zu kommen. Wir haben jetzt die Situation, dass sogar die Luftwaffe gegen einzelne Städte in der Region Lugansk eingesetzt wird. Das kann doch nicht sein. Dies ist doch kein Weg, um zu einer Deeskalation im Osten zu kommen. ({3}) Eine zweite Frage möchte ich stellen. Es wurde in der Debatte darauf hingewiesen: Das Problem mit den Faschisten ist nicht so groß. ({4}) - Es wurde vorhin gesagt - ({5}) - Entschuldigung, hören Sie doch einmal zu! ({6}) Es wurde vorhin gesagt: Tjagnibok hat weniger als 2 Prozent erhalten; das Problem ist damit doch kleiner, als wir es darstellen. ({7}) - Das erkläre ich überhaupt nicht. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Darf ich darum bitten, dass wir wieder zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen. ({0}) - Nein, Entschuldigung, Herr Kauder, es geht nicht darum, Herrn Hofreiter anzugreifen. Ich sage nur: Wir sollten zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen und keine Unterstellungen machen, Herr Hunko. ({1})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es wurde vorhin gesagt - das ist auch richtig -, dass die Swoboda-Partei -

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Hunko, ich darf daran erinnern: In der Auseinandersetzung ist keine Bewertung dahin gehend getroffen worden, dass damit das Problem gering sei. Das ist nicht getan worden. Das können Sie sicherlich im Protokoll nachlesen. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann werde ich es anders formulieren. Es wurde vorhin gesagt, dass der Kandidat der Swoboda weniger als 2 Prozent erhalten hat. ({0}) Ich frage Sie: Werden Sie darauf hinwirken, dass die Swoboda-Partei, die immer noch in der Regierung ist, aus der Regierung ausscheidet? Warum sitzt sie noch in der Regierung, wenn sie doch so wenig Rückhalt hat? ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Schockenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hunko, das Problem ist, dass eine Wahl, von der Sie sagen, dass diese Wahl frei und fair abgelaufen sei, von der vor Ihnen sitzenden Frau Dağdelen als eine „sogenannte Wahl“ bezeichnet wird, weil ihr das Ergebnis nicht passt. ({0}) Von diesem totalitären Denken müssen Sie Abstand nehmen. Alles andere haben wir vorhin deutlich gesagt. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Franz Thönnes das Wort. ({0})

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Wahlbeobachter des Deutschen Bundestages waren am 25. Mai in Kiew und in anderen Teilen der Ukraine unterwegs. Am Ende stellen alle fest - auch Kollege Hunko hat es gerade wiedergegeben -: Diese Wahl hat eindeutig den vereinbarten Prinzipien entsprochen, die die OSZE zu bewerten hatte. Vielleicht war es sogar mit die demokratischste Wahl, die bisher in der Ukraine stattgefunden hat. Die Wahl folgte einem eindeutigen, klaren, demokratischen Verfahren und hat ein Ergebnis gebracht, das denjenigen zugutekommt, die die Wahlen unter schwierigen Umständen vorbereitet haben; sie verdienen unsere Anerkennung. Dem neuen Präsidenten Petro Poroschenko ist zu gratulieren. ({0}) Vor der Wahl gab es von Russland Erklärungen, die besagten, man werde das Ergebnis akzeptieren. Man muss sagen: Angesichts der Spannungen war das schon ein wichtiger Schritt. Aber eigentlich haben wir alle darauf gewartet, dass auch Moskau nach der Wahl deutlich sagt: Wir erkennen die Entscheidung des ukrainischen Volkes eindeutig an. ({1}) Dazu gehört auch die Erwartung, dass ein entsprechend hochrangiger Gast aus Russland teilnimmt, wenn Präsident Poroschenko am kommenden Samstag in das Amt eingeführt wird. Auch dadurch könnte die Anerkennung der Wahlentscheidung zum Ausdruck gebracht werden. Deutschland bringt sie zum Ausdruck; ich denke, es ist gut, dass Bundespräsident Gauck in Kiew dabei sein wird. ({2}) Die Wahlbedingungen waren natürlich eine große Herausforderung. Im Osten sind die Wahlen zum großen Teil von Extremisten, von bewaffneten und gewalttätigen Gruppen, behindert worden, die teilweise Wahlurnen zerschlagen haben, die Menschen in Wahllokalen bedroht und an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert haben. Das zeigt ganz klar und eindeutig, welches Verhältnis diese Gruppen zur Demokratie haben; sie stehen nicht für eine gute Zukunft der Ukraine. Doch in anderen Teilen des Landes hat es geradezu einen Wahlenthusiasmus gegeben: Menschen, die bei 30 Grad zwei oder zweieinhalb Stunden vor dem Wahllokal in der Schlange stehen, um von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, nachmittags um 16 Uhr schon 60 Prozent Wahlbeteiligung, in einigen Regionen bis zu 80 Prozent. Welch ein glaubhaftes Zeichen, wie wichtig man die Demokratie in diesem Land nimmt! ({3}) Die Menschen sind im Kern - das müssen wir als Wahlbeobachter der OSZE sagen - am Ende ihre eigenen demokratischen Wahlbeobachter geworden, weil sie genau sehen konnten, dass jeder seinen Ausweis vorzeigen musste, dass man den Empfang der Wahlzettel quittieren musste. Ich denke, das war ein gutes Zeichen. Es war ein eindrucksvolles Beispiel für lebendige Demokratie, und es war - das ist wichtig - ein deutliches Bekenntnis dazu, dass man eine geeinte und keine gespaltene Ukraine haben will. ({4}) Auch ich sage es jetzt hier - das muss man wahrscheinlich wiederholen -: Es war auch ein eindeutiges Zeichen gegen rechts, ein eindeutiges Votum gegen rechts. Man will die Zukunft der Ukraine nicht mit Nationalisten, nicht mit Faschisten, nicht mit Antisemiten gestalten. Das Votum war eindeutig dagegen gerichtet. ({5}) Damit sagt keiner, dass die rechte Bewegung weg wäre; sie ist weiterhin entschieden mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen. Sie dürfen aber auch nicht negieren, dass das Abkommen vom 21. Februar eine inklusive Regierung vorsah, sodass die damals existierenden Kräfte einzubeziehen waren, ({6}) und dass das Parlament, das vom Volk demokratisch legitimiert worden ist, diese Regierung gewählt hat. Also müssen so schnell wie möglich Neuwahlen in der Ukraine erfolgen, mit einem vergleichbaren Resultat, sodass keine Antisemiten, keine Faschisten und keine Nationalisten im Parlament sitzen. Das ist die richtige Antwort. ({7}) Mit der Wahl ist klar geworden: Die einseitige Propaganda, dass die ganze Maidan-Bewegung faschistisch wäre, wie wir es teilweise aus russischen Medien hören und es manchmal auch hier geäußert wird, ist widerlegt; ihr wurde der Nährboden entzogen. Wer im Zusammenhang mit der Ukraine mit Schwarz-Weiß-Bildern arbeitet, trägt nicht dazu bei, dass eine friedliche Lösung gefunden wird. Spricht man mit den Menschen, die in der Schlange stehen, darüber, welche Erwartungen sie haben, so wird deutlich: Es geht um Demokratie, es geht um bessere Lebensbedingungen, es geht um einen Blick in Richtung Europa. Es geht auch um die aktive Bekämpfung der Korruption. Der Präsident trägt nun große Verantwortung. Auch die Kraft der Versöhnung und des Verhandelns ist gefordert. Aber diese Kraft wird von allen Beteiligten erwartet. Es ist ein Lichtblick, dass Russland und die Ukraine zurzeit pragmatisch über Gaspreise verhandeln. Das ist ein wichtiger Schritt. Dieser Pragmatismus ist auch notwendig, wenn es darum geht, dass wir von Russland erwarten, dass es sich wieder aktiv einschaltet, um die zwei OSZE-Teams aus der Geiselhaft zu befreien. ({8}) Dieser Pragmatismus wird erwartet, wenn es darum geht, dass auch von russischer Seite ein Beitrag dazu geleistet wird, dass die Gewalt, dass das Sterben in der Region beendet wird, dass Moskau die Separatisten aufruft, den Kampf, auch die Attacken gegen die ukrainischen Sicherheitskräfte und das Besetzen von Häusern, einzustellen. All das zeigt: Es besteht die Notwendigkeit, die Kraft aufzubringen, um zu einer Verhandlungslösung beizutragen. Deswegen wird neben dem Truppenabzug, den Russland inzwischen wohl zu drei Vierteln geleistet hat, auch erwartet - diese Erwartung richtet sich auch an die ukrainische Regierung -, dass man gemeinsam pragmatisch etwas für die Grenzsicherung unternimmt, dass nicht permanent Wagenkolonnen von bewaffneten und militarisierten Menschen die Grenze passieren können, dass damit ein Beitrag geleistet wird, dass sozusagen der „Nachschub“ von Gewaltpotenzial endlich aufhört. Eigentlich müsste Moskau ein großes Interesse daran haben. Wenn es Moskau mit der in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingebrachten Resolution ernst ist und wenn durch die Resolution auch noch die territoriale Integrität der Ukraine gewährleistet werden würde, dann wäre das ein gutes Zeichen, das zu mehr Glaubwürdigkeit beitragen würde. Das wäre ein ganz wichtiger und zentraler Schritt. Vier zentrale Pfeiler sind meines Erachtens für die Stabilität in der Ukraine notwendig. Der erste Pfeiler war die Entscheidung für die jetzt abgehaltene Präsidentschaftswahl. Der zweite Pfeiler wird sein, den Verfassungsprozess zügig voranzutreiben. Der dritte Pfeiler wird sein, in der zweiten Jahreshälfte Neuwahlen auszurufen. Der vierte Pfeiler wird sein, eine neue Regierung zu wählen. Damit wäre für die Ukraine ein entscheidender Schritt auf dem Weg in eine gute Zukunft getan. Abschließend möchte ich festhalten - das ist für uns ganz zentral; das wird auch in Zukunft so sein -: Die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister haben unsere Unterstützung bei dieser wichtigen Arbeit, mit Besonnenheit und mit Balance in Brüssel eine gemeinsame Antwort der Europäischen Union zu finden. Heute ist das Friedensgutachten 2014 vorgelegt worden. Ich glaube nicht, dass es ein guter Ratschlag ist, Verteidigungsetats zu erhöhen. Eigentlich geht es darum, Verzicht auf Konfrontation und Festhalten am Dialog zu üben. Für Europa, die USA und auch für Russland gilt: So wie wir hierbei Verlässlichkeit zu bewahren haben, erwarten wir auch auf der anderen Seite Verlässlichkeit durch klar belegbare Handlungen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir erwarten, dass die Schlussakte von Helsinki eingehalten wird. Wir erwarten von Russland, dass es garantiert: keine Androhung und kein Gebrauch von Gewalt, die Unverletzbarkeit der Grenzen, die territoriale Integrität der Staaten und eine friedliche Konfliktlösung. Für unsere gemeinsame Zukunft in Europa erwarten wir hierzu eine klare Antwort aus Moskau. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das Wort hat jetzt Manuel Sarrazin von Bündnis 90/ Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich die Kanzlerin ins Kreuzfeuer nehmen und mich nicht so sehr mit der Linkspartei beschäftigen. ({0}) - Sie sind noch da? Das ist hervorragend. Denn ich finde das Spiel um die Kommissionspräsidentschaft schon bemerkenswert. Oftmals ist von einem Demokratiedefizit der EU die Rede, Frau Kanzlerin. Ich glaube, wir erleben gerade eher ein Politikdefizit mancher Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat. Das ist das eigentliche Problem. ({1}) Ich möchte Sie da nicht ganz ausnehmen. Sie wissen, dass ich nicht der Gemeinste hier im Haus bin, aber, ganz ehrlich gesagt: Sie haben monatelang aus dem Kanzleramt verlauten lassen: Ach, das mit den Spitzenkandidaturen, das wird am Ende schon anders werden. Dass Sie sich jetzt hinter Cameron und dieser relativ billigen Drohung, vielleicht aus der EU auszutreten, verstecken, passt nicht zu Ihrem Format. Ich glaube, Sie haben viel mehr Format zu bieten. ({2}) Frau Kanzlerin, die Menschen in Deutschland haben ein Recht darauf, einen oder zwei Tage nach der Europawahl zu erfahren, welche Position Deutschland hinsichtlich der Besetzung des Spitzenpostens in der EU-Kommission vertritt. Sie hätten das genauso klar sagen können wie Herr Cameron. Das schließt ja nicht aus, dass man mit ihm redet. ({3}) Wenn Sie an dieser Stelle das Gesicht Englands wahren wollen, heißt das nicht, dass Sie Herrn Cameron die ganze Bank hinterherschmeißen müssen. ({4}) Das wirkliche Problem von Herrn Cameron dürfen Sie aber nicht unterschätzen. Das wirkliche Problem von Herrn Cameron ist der Rechtspopulismus von UKIP und anderen. Sie können ihn unterstützen, indem Sie zur AfD und den deutschen Rechtspopulisten klar Stellung beziehen. Zeigen Sie klare Kante und sagen Sie, dass für Rechtspopulisten kein Platz ist. Damit wären Sie Herrn Cameron ein Vorbild. Ihm nützt es nichts, wenn aus den Reihen der CDU schon fast Koalitionsangebote unterbreitet werden. ({5}) Wenn wir darüber reden, dass man klare Kante gegen rechts zeigen sollte, muss man auch sagen, dass sich manche hier im Haus deutlichere Aussagen der Linkspartei über Kollegen wie Herrn Dugin, Herrn Naryschkin, Herrn Schirinowski oder andere, die in Russland etwas zu sagen haben, wünschen. Das kommt in Ihren Reden nie vor. Vielleicht würde das aber auch helfen. ({6}) Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Diese Präsidentschaftswahlen sind eine große Chance für die Ukraine, weil sie zur Stabilisierung beitragen können, weil sie für eine neue Stimmung in Kiew sorgen ({7}) und weil niemand, mit dem man in der Ukraine spricht, auch nicht die Vertreter der Partei der Regionen, die Legitimität dieser Wahl anzweifelt. Also sollten auch wir es nicht tun. Wenn man das macht, handelt man nicht im Interesse der Vertreter der Ostukraine. ({8}) Herr Poroschenko hat angekündigt, den Verfassungsprozess voranzutreiben und Neuwahlen durchzuführen. Das ist doch genau der Weg, den Sie wollen. Sie wollen doch, dass man über Wahlen die Geister der Vergangenheit, die Geister, die bei der Wahl 2012 erfolgreich waren - wie Swoboda -, endlich auf das Maß zurückschrumpft, das ihnen zusteht: am besten raus aus dem Parlament! ({9}) Wenn wir möchten, dass die Menschen im Osten der Ukraine an diesen Prozessen partizipieren können, wenn wir möchten, dass ihre Interessen im neuen Parlament vertreten werden, wenn wir möchten, dass der Osten im Verfassungsprozess bei der schwierigen Frage der Gestaltung der Macht - Präsident, Parlament, Regierung Gehör findet, dann muss es in unserem Interesse sein, dass in Donezk, in Lugansk und in anderen Städten ein politisches Klima herrscht, in dem man sich traut, auf demokratische Weise politisch zu streiten. Ich glaube, dass die Separatisten diesen Gebieten einen Bärendienst erweisen. Die Menschen im Osten der Ukraine haben schlichtweg Angst. Sie haben inzwischen Angst davor, auf die Straße zu gehen, weil Tausende von Kämpfern aus dem Kaukasus mit schwerem Gerät auf den Straßen stehen. Das ist kein Klima, in dem der Osten seine Anliegen in Kiew durchsetzen kann. Das müssen Sie meiner Ansicht nach deutlicher adressieren. ({10}) - Herr Gehrcke, in meinen Gesprächen in Kiew hat niemand, auch nicht die Vertreter aus der Ostukraine, die dort sehr gut vernetzt waren, auch niemand von der Partei der Regionen, in Abrede gestellt, dass Russland zumindest nichts tut, um eine Einflussnahme zu verhindern. ({11}) Es wurde vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass Russland auf diesem Weg seine Interessen in der Ukraine vertritt, und Russland hat ein Interesse an der Destabilisierung und der Delegitimierung des neuen Präsidenten, der gerade durch Wahlen legitim gewählt wurde. Das sollten wir Russland bei allem Verständnis, das man haben kann, nicht durchgehen lassen. ({12}) Wenn man möchte, dass die Antiterroroperation beendet wird, ({13}) dann muss man auch dafür sein, dass schweres Kriegsgerät und Kämpfer nicht mehr in die Ukraine einsickern können. ({14}) Ich finde es absolut richtig, mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, friedlich auf Russland einzuwirken und das einzufordern. Wir haben bei den Wahlen gesehen, dass die Drohung mit Sanktionen ein effektives Mittel ist, um darauf hinzuwirken, dass man sich aufeinander zubewegt. Ich glaube, dass der Kreml etwas Bewegung gezeigt hat. Deswegen sollte man den politischen Druck auf Russland hochhalten. Auf diese Weise gewinnt man gleichzeitig Glaubwürdigkeit in Bezug darauf, die ukrainische Regierung in die Pflicht zu nehmen, den Verfassungsprozess und die Neuwahlen demokratisch und freiheitlich anzugehen. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Elisabeth Motschmann das Wort. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Wagenknecht, Frau Dağdelen, Sie haben sich in dieser Debatte komplett aus der Außenpolitik abgemeldet. Mit Polemik, Populismus und Demagogie - welche Sie anderen vorwerfen - kann man kein einziges Problem lösen. Man kann nur hoffen, dass Sie in diesem Land niemals irgendeine Regierungsverantwortung tragen werden. ({0}) Die Kanzlerin hat zu Recht gesagt, dass der G-7-Gipfel nicht unter normalen Bedingungen stattfindet: nicht Sotschi, sondern Brüssel ist der Treffpunkt, nicht Putin, sondern die EU ist Gastgeber, nicht acht, sondern sieben Staaten nehmen teil. Russland wurde ausgeladen, und das ist genau das richtige Zeichen. Diejenigen, die sich in Brüssel nicht treffen, werden sich nun allerdings in der Normandie zum Gedenken an den D-Day treffen. Darin könnte man einen Widerspruch sehen. Ich sehe darin aber eine Chance, auf dieser anderen Ebene eine Begegnung möglich zu machen, Gespräche zu führen und ein Stück weiterzukommen. Deshalb wünsche ich der Kanzlerin alles Gute für diese Gespräche. ({1}) Die Einverleibung der Krim - das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen, weil wir es immer wieder sagen müssen; Frau Wagenknecht, Sie vergessen das - war ein schwerwiegender Bruch des Völkerrechts. Das kann die westliche Welt nicht hinnehmen. Die Destabilisierung der Ostukraine durch russische Separatisten, durch russische Soldaten mit russischen Pässen - wir wissen es doch inzwischen -, ist eine nicht akzeptable Situation und Provokation, und zwar nicht nur für die Ukraine, sondern für jeden demokratischen Staat. Wladimir Putin nimmt - auch das will ich ganz deutlich sagen - für seine politischen Ziele Menschenrechtsverletzungen und den Tod vieler Menschen, vieler Zivilisten, vieler Soldaten in Kauf. Das zeigt, dass Russland nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt hat. ({2}) - Sie auch nicht, Herr Gehrcke. Darüber müssen wir noch reden. Umso positiver ist zu bewerten, dass die Reaktionen des Westens trotz unterschiedlicher Positionen besonnener, verantwortungsbewusster und abgestimmter waren und sind. Die Devise lautet Deeskalation. Dazu haben die Bundeskanzlerin und der Außenminister maßgeblich beigetragen. Dafür danke ich ihnen herzlich. Es ist richtig, an einer politischen Lösung zu arbeiten. Es ist richtig, alle Gesprächsmöglichkeiten auszuschöpfen. Es ist richtig, notwendige Sanktionen Schritt für Schritt umzusetzen. Das alles ist kein Ausdruck von Schwäche, sondern von Stärke. Das sage ich, weil manche ja auf die Idee kommen, das sei eine schwache Außenpolitik. Ich finde, das ist eine starke Außenpolitik. Es ist richtig, der Ukraine nun mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Ein erster Erfolg war die Präsidentschaftswahl; das wurde hier schon wiederholt gesagt. Die Wahlbeteiligung war erfreulich, und das Ergebnis war es auch. Erfreulich war natürlich auch - auch das wollen Sie nicht wahrhaben - das vernichtende Ergebnis für die rechten Parteien, insbesondere für die Swoboda-Partei. ({3}) - Da sind wir uns dann einmal einig. Das ist ja schön. Der neu gewählte Präsident steht nun vor einer großen Aufgabe. Seine nächsten Ziele sind die Parlamentswahlen, die Verfassungsreform und der nationale Dialog. Poroschenko muss nun selbstverständlich auch mit Russland verhandeln. Dabei bleibt zu hoffen, dass Putin diese Wahl nicht nur verbal akzeptiert, sondern den Worten nun auch Taten folgen lässt. Der Abzug seiner Truppen aus dem Grenzgebiet der Ukraine ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber weitere Taten müssen folgen. Alle Mitarbeiter der OSZE müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden; ich glaube und hoffe, dass wir uns auch da einig sind. Die Grenzen müssen so gesichert werden, dass kein Nachschub von Soldaten und Waffen mehr möglich ist; da bin ich mir schon nicht mehr so sicher, ob das passiert. Sämtliche Separatisten müssen ihre Waffen niederlegen. Die russische Medienpropaganda, die übrigens in all diesen Ländern - nicht nur in der Ukraine, sondern auch in den baltischen Ländern - nach wie vor betrieben wird, muss natürlich auch endlich ein Ende finden. Des Weiteren dürfen wir nicht zulassen - auch das hat die Kanzlerin gesagt -, dass Gas als Mittel der Erpressung oder gar als Waffe gegen einen souveränen Staat eingesetzt wird. Vor kurzem war ich im Baltikum, das ja zu 100 Prozent vom Gas aus Russland abhängig ist. Der 29-jährige Abgeordnete Smiltens von der liberal-konservativen Partei in Lettland hat mir etwas gesagt, das mich doch zum Nachdenken brachte. Er sagte: Wir wollen lieber in Riga frieren als in Sibirien. - Man hat dort Angst. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. In den letzten Tagen gab es wichtige Vorstöße, etwa von Günther Oettinger im Hinblick auf das Gas. Wir haben gestern von einer Initiative Barack Obamas erfahren. Er verstärkt mit 1 Milliarde Dollar die militärische Sicherheit. Dabei handelt es sich um ein Sicherheitspaket für Polen und die baltischen Länder. Das ist keine Kriegsstrategie, Frau Wagenknecht, ({4}) sondern das ist eine Antwort, die wir leider geben müssen, wenn auf der anderen Seite unendlich viele Soldaten an den Grenzen stehen. ({5}) - Den haben wir aber nicht angefangen, Herr Gehrcke. Überlegen Sie einmal, wer angefangen hat! Ich hoffe und wünsche, dass der G-7-Gipfel zu einer großen Geschlossenheit der beteiligten Länder führt ({6}) und dass wir dazu erheblich beitragen können. Das wird die Kanzlerin mit Sicherheit sehr gut tun. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katarina Barley von der SPD das Wort. ({0})

Dr. Katarina Barley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wir haben heute schon sehr viel über Frieden und Demokratie gehört. Heute Morgen haben wir an zwei Ereignisse in China und Polen erinnert. Wir diskutieren sehr viel über die Ukraine. Ich finde, gerade an einem solchen Tag sollte man auch einmal sagen, wie froh wir sein können, dass wir in diesem Haus so engagiert streiten, wie wir es hier tun, und wie froh wir angesichts der Vergangenheit, die wir haben, sein können, dass wir in einem Land leben, in dem Demokratie und Frieden inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir unsere Verantwortung wahrgenommen haben und Teil der Europäischen Union geworden sind, Teil einer Institution, die als Friedensprojekt angelegt ist und dies hoffentlich auch immer bleiben wird. Die ersten Wahlen zum Europäischen Parlament nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages liegen hinter uns. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind zu diesen Wahlen mit zwei zentralen Versprechen angetreten, nämlich Europa sozialer und demokratischer machen zu wollen. Dem zweiten Versprechen - Europa noch demokratischer zu machen - kommen wir gerade ein Stück näher. Denn die großen Parteienfamilien hatten sich entschieden, für das Amt des Kommissionspräsidenten, eines der wichtigsten Ämter der Europäischen Union, europäische Spitzenkandidaten ins Rennen zu schicken. Die Bürgerinnen und Bürger sollten über dieses wichtige Amt entscheiden - ein großer Schritt zu mehr Demokratie in Europa. Die Alternativen lagen klar auf der Hand. Die Spitzenkandidaten waren Martin Schulz und Jean-Claude Juncker. Beide haben sich einer öffentlichen Diskussion gestellt, von der man, wenn man sie mit der Diskussion über die Europawahlen der vergangenen Jahre vergleicht, sagen muss: Es gab ein viel stärkeres Interesse der Medien, der Öffentlichkeit und - wahrscheinlich haben auch Sie es an den Wahlkampfständen gemerkt - der Wählerinnen und Wähler an diesem Europa, weil es mit Personen, mit Gesichtern, und erst dann mit Programmen verbunden wurde. Die Tendenz sinkender Wahlbeteiligungen ist gestoppt worden bei dieser Europawahl; wir haben es schon gehört. In Deutschland ist die Wahlbeteiligung sogar erheblich gestiegen. Ich denke, auf dieses neue Vertrauen, das Europa dadurch gewonnen hat, müssen wir jetzt aufbauen, und das Versprechen, das die Parteien vor der Wahl unter Beteiligung fast aller Staats- und Regierungschefs gegeben haben, muss auch nach der Wahl gelten. Ich bin wirklich froh, dass die Bundesregierung das ebenso sieht und Jean-Claude Juncker als Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten unterstützt. ({0}) Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass in vier europäischen Staaten - in Großbritannien, Griechenland, Frankreich und Dänemark - extreme oder antieuropäische oder beide Merkmale vereinende Parteien jeweils auf dem ersten Platz gelandet sind. Was machen wir nun mit einem solchen Ergebnis, das den extremen Parteien links wie rechts einen so enormen Zulauf beschert hat? Die erste Möglichkeit wäre, das als Signal gegen die europäische Einigung zu sehen und dementsprechend Europa einzuschränken, sich für weniger Europa zu entscheiden und damit in gewisser Weise der britischen Linie unter David Cameron zu folgen. Die zweite Möglichkeit - es wird Sie nicht verwundern, dass dies von mir favorisiert wird - ist, das Wahlergebnis durchaus als Kritik am gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union zu verstehen, sich zu fragen, wo Europa besser werden muss, und die Europäische Union entsprechend weiterzuentwickeln. Denn wir wissen: Für viele Menschen ist die EU auch mit Befürchtungen, Unsicherheiten und Ängsten, teilweise auch mit erheblichen Einschränkungen verbunden. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass die Europäische Union ein Projekt bleibt - und noch stärker wird -, das das Leben der Menschen spür- und wahrnehmbar zum Positiven hin verändert. Das ist die Linie, die wir Sozialdemokraten vertreten. ({1}) Nach der Wahl geht es wieder an die inhaltliche Arbeit. Worum muss es gehen? Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Wachstum und Beschäftigung zu schaffen, muss im Zentrum unserer gemeinsamen Anstrengungen für Europa stehen. ({2}) Martin Schulz hat es einmal klar und deutlich formuliert: „Ohne Arbeit kein Zusammenhalt und keine Zukunft.“ ({3}) Wir brauchen einen Pakt für gute Arbeit und existenzsichernde Mindestlöhne in ganz Europa. Die sozialen Sicherungssysteme und die Arbeitnehmerrechte müssen gestärkt werden. Sozial- und Steuerdumping müssen beendet werden. Das dringlichste Problem ist sicherlich die Jugendarbeitslosigkeit. Die Jugend - im Süden Europas insbesondere - braucht eine konkrete Zukunftsperspektive; denn das sind die Menschen, die weiter an dem Haus Europa bauen sollen. Sie müssen Europa als einen Ort erleben, der ihnen Möglichkeiten eröffnet und sie eben nicht hängen lässt. Die Jugendbeschäftigungsinitiative und ihr Hauptschwerpunkt, die Jugendgarantie, müssen ein Erfolg werden. Damit das klappt, sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission gefragt - und natürlich der neue Kommissionspräsident; denn Europa ist mehr als die Addition von 28 Einzelinteressen. Wir dürfen bei allem Klein-Klein die zentralen Herausforderungen nicht aus den Augen verlieren. Wir kämpfen weiter für ein soziales und solidarisches Europa, für ein Europa, das Chancen und Perspektiven bietet, für ein Europa, von dem die Menschen sagen, es trägt dazu bei, dass ihr Leben besser wird, ebenso die Perspektive für das Leben ihrer Kinder. Das ist unser Ziel und dafür streiten wir weiter. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Florian Hahn von der CDU/CSU. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Name und der Ort des diesjährigen Gipfels der wichtigsten Industrienationen zeigen bereits: Es hat sich etwas verändert in dieser Welt. Wir sprechen von einem G-7- und nicht mehr von einem G-8-Gipfel. Die Regierungschefs tagen in Brüssel und nicht, wie ursprünglich geplant, in Sotschi in Russland. Beides ist ein markanter Ausdruck der veränderten Rahmenbedingungen deutscher und westlicher Außenpolitik angesichts der Ereignisse der letzten Monate in der Ukraine. Durch den Ausschluss Russlands aus dem Kreis der großen Acht sind wir auf den Stand von 1998 zurückgefallen. Gleichzeitig sind wir mit unseren Partnern in den G 7 als Werte- und Sicherheitsgemeinschaft noch näher zusammengerückt. Im Hinblick auf den Debattenbeitrag unserer Kollegin Wagenknecht von vorhin muss ich sagen: Das erinnert mich schon sehr an ihre frühere Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform. Sie haben gesagt, es gebe keinen Frieden in Europa ohne oder gegen Russland. Ich sage Ihnen: Es gibt keinen Frieden in Europa, wenn sich nicht alle an das Völkerrecht halten, und das gilt auch für Russland. ({0}) Die Annexion der Krim durch Russland war und ist eine massive Verletzung des geltenden Völkerrechts. Das ist mit unseren gemeinsamen Werten in keiner Weise vereinbar. Deshalb war der Schritt, nur unter den G 7 zu tagen, notwendig und richtig - im Sinne unserer Glaubwürdigkeit und unserer Prinzipientreue und für uns Deutsche insbesondere auch im Spiegel unserer Geschichte. Gleichzeitig haben wir uns - allen voran unsere Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister - in den letzten Monaten mit ganzer Kraft dafür eingesetzt, den Gesprächsfaden zu allen Beteiligten festzuhalten und gemeinsam nach politischen Lösungen zu suchen. Dies geschah aus der tiefen Überzeugung, dass es in unserer Verantwortung liegt, alle diplomatischen Mittel auszuschöpfen, und vor dem Hintergrund unserer Geschichte, da wir um den besonderen Wert wissen, auch unter schwierigen Bedingungen immer wieder das Gespräch zu suchen. Wenn wir heute auf die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine schauen, dann sehen wir neben den vielen bedrückenden Nachrichten erstmals seit vielen Wochen wieder schwache Hoffnungsschimmer. Das besonnene, aber entschlossene Handeln der Bundesregierung, der EU und der internationalen Staatengemeinschaft war also nicht umsonst. Das kann die Linke so viel negieren, wie sie möchte. Die klaren Mehrheiten bei den Präsidentschafts- und den Bürgermeisterwahlen für Poroschenko und Klitschko sind ein starkes Signal nach innen und nach außen. Sie zeigen: Der ganz überwiegende Teil der ukrainischen Bevölkerung ist geeint in dem Bekenntnis zur Demokratie und zu europäischen Werten. Besonders erfreulich ist, dass auch die Menschen im von Unruhen erschütterten Osten des Landes trotz der zahlreichen Einschüchterungsversuche und Blockaden durch prorussische Separatisten ein eindeutiges Votum für die Freiheit und Einheit des Landes abgegeben haben. Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung des russischen Präsidenten, das Wahlergebnis zu respektieren und mit der neuen ukrainischen Führung zu kooperieren. Die Lage in der Ostukraine ist aber noch immer brandgefährlich. Es gibt noch immer schwere Gefechte und viele Tote. Hier sind wir in der Verantwortung, auch weiterhin alle diplomatischen Mittel auszuschöpfen, um zu einer Stabilisierung beizutragen. Zugleich müssen wir aber in der EU und in der NATO einig bleiben und fest zu unseren Partnern und zu unseren bisherigen Entscheidungen stehen. Nur ein entschlossenes Bündnis, das mit einer Stimme spricht, wird ernst genommen. Ich begrüße es deshalb sehr, dass unsere Bundesministerin von der Leyen noch einmal betont hat, dass die Sorgen unserer östlichen Partner auch unsere Sorgen sind. Auch Poroschenko ist in der Verantwortung, durch kluges und entschiedenes Handeln Herr der Lage zu werden und sein Volk zu schützen. Dabei die richtigen und angemessenen Mittel zu finden, ist sicherlich eine extreme Herausforderung. Nicht zuletzt ist Putin in der Verantwortung, seinen Einfluss auf die Separatisten zu nutzen und zu einer Deeskalation beizutragen. Raketentests in Grenznähe sind sicher nicht das erhoffte Signal, das wir uns wünschen. Putin ist in den vergangenen Wochen wieder kleine Schritte auf den Westen zugegangen. Dazu gehören sein Engagement zur Freilassung der von den Milizen festgehaltenen OSZE-Beobachter, seine Forderung, das sogenannte Referendum in der Region Donezk zu verschieben, um zunächst die notwendigen Bedingungen für einen Dialog zu schaffen, und die Ankündigung, mit der neuen Führung in der Ukraine zusammenzuarbeiten. Das waren kleine Schritte, aber sie führen in die richtige Richtung. Jetzt gilt es: Putin muss seinen Ankündigungen endlich auch Taten folgen lassen. Die wenig konstruktive russische Haltung auf dem jüngsten NATORussland-Rat ist hier noch kein Aufbruchssignal gewesen. Wir fordern den russischen Präsidenten auf, einen Weg der Kooperation einzuschlagen und in die Mitte der internationalen Staatengemeinschaft zurückzufinden. Dazu gehören unter anderem eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen ukrainischen Führung und ein gemeinsames Engagement zur Stabilisierung der Lage in der Ostukraine. Die Grenze zur Ostukraine muss besser kontrolliert und das Einsickern von Kämpfern und Waffen wirksam unterbunden werden. Außerdem muss die Energieversorgung der Ukraine sichergestellt werden. Der Gaspreis darf nicht dauerhaft dazu missbraucht werden, politischen Druck aufzubauen. Nicht zu vernachlässigen ist: Es muss eine angemessene Lösung gefunden werden, um der ukrainischen Bevölkerung wieder einen Zugang zur Krim zu ermöglichen. Es ist unser ausdrücklicher Wunsch, dass ein G-8Gipfel irgendwann wieder stattfinden wird. Klar ist aber auch: Bis dahin ist noch viel zu tun. Ich sage es noch einmal: Wir sehen derzeit einige Hoffnungsschimmer in der Ukraine. Das sind Chancen für uns, für Poroschenko, für Putin, vor allem aber für die Ukraine und die Menschen vor Ort. Ich bin mir sicher, die überwältigende Mehrheit des Bundestages will tatkräftig daran mitwirken, damit wir alle gemeinsam diese Chancen nutzen. Ich habe eingangs gesagt: Die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine haben die Rahmenbedingungen deutscher und westlicher Außen- und Sicherheitspolitik verändert. Damit verbunden müssen wir uns wieder mit Fragen auseinandersetzen, die angesichts der europäischen Einigung und stabiler internationaler Partnerschaften lange Zeit keine oberste Priorität mehr besaßen. Der Reiz der Friedensdividende hat zu lange den Blick auf die Fragen verdeckt, wie wir uns langfristig in der NATO und in der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik positionieren wollen. Welche Fähigkeiten wollen wir erhalten? Welche Fähigkeiten müssen wir gemeinsam entwickeln, um neuen Bedrohungsszenarien begegnen zu können? Wir müssen vor allem innerhalb Europas die gemeinsame Sicherheitspolitik vertiefen und endlich weitere konkrete Projekte auf den Weg bringen. In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch der Diskussion stellen, ob wir in Deutschland und in Europa ausreichend Mittel für unsere Sicherheit aufwenden. Auch die Frage der Energieabhängigkeit muss in den Fokus rücken. Wir dürfen nicht zulassen, dass über die Energieversorgung politischer Druck auf Deutschland, auf die Europäische Union oder die Staaten der internationalen Gemeinschaft ausgeübt werden kann. Wir dürfen nicht dauerhaft erpressbar sein. Deshalb begrüße ich mit Nachdruck, dass sich die G 7 dieser wichtigen Frage annehmen und einen gemeinsamen Aktionsplan entwickeln wollen. Darüber hinausgehend stellt sich für uns die Aufgabe, mittelfristig eine Strategie zu erarbeiten, wie wir unsere Bezugsquellen, insbesondere beim Gas, diversifizieren, Transportwege sichern und eine leistungsfähige europäische Infrastruktur sicherstellen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gleichzeitig befürworten wir das klare Bekenntnis der großen Sieben zur Weiterentwicklung der internationalen Handelsliberalisierung. Das war immer unsere Politik. Dieser Weg hat Deutschland immer gutgetan; denn Deutschland - vor allem auch meine Heimat Bayern - gehört als Exportspitzenreiter zu den größten Profiteuren eines offenen Weltmarktes und teilharmonisierter Wirtschaftsräume. ({1}) Das gilt für Europa wie für die zahlreichen internationalen Handelsabkommen. Das europäische Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, ist und bleibt deshalb zuallererst eine Riesenchance für unser Land und auch für Europa. Die USA sind einer der wichtigsten Exportmärkte für unsere Unternehmen, und wir sind mit Abstand wichtigster Handelspartner der USA innerhalb der Europäischen Union: 30 Prozent aller EU-Exporte in die USA kommen aus Deutschland. Durch TTIP würde der weltweit größte Binnenmarkt mit rund 800 Millionen Menschen entstehen. Schätzungen gehen für Europa von einem jährlichen Wachstumsimpuls von fast 120 Milliarden Euro und 400 000 neuen Arbeitsplätzen aus. Ich sage es noch einmal: Das ist zuallererst eine Riesenchance und wäre auch ein Konjunkturprogramm gegen die hohe Arbeitslosigkeit in den Krisenstaaten - ohne Steuermittel. ({2}) Ich sage aber auch ganz klar: TTIP darf es nicht um jeden Preis geben. Die Verhandlungen müssen transparent und offen und unter enger Einbindung der Mitgliedstaaten, ihrer Parlamente und der allgemeinen Öffentlichkeit geführt werden. Die Kommission hat hier in letzter Zeit erste Schritte eingeleitet und die von vielen Seiten geäußerten Bedenken ernst genommen. Dieser Weg muss unbedingt fortgesetzt werden. Das Freihandelsabkommen darf unter keinen Umständen zu einer Absenkung unserer hohen Schutzniveaus führen, beispielsweise in den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Tierschutz, Gesundheitsschutz und Arbeitnehmerschutz. Es muss natürlich auch ein besonderes Augenmerk auf das Thema Datenschutz gelegt werden. Es muss abgesichert sein, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls nicht durch Schiedsgerichte unterwandert werden können. An einer so ausgestalteten Partnerschaft wollen und werden wir als CSU und als Union mit voller Kraft mitarbeiten. Abschließend bleibt zu sagen: Der diesjährige G-7Gipfel nimmt sich der wichtigen Fragen unserer Zeit an. Ich bin sicher, die Bundeskanzlerin wird unsere Interessen wie gewohnt und, wie sie es auch kürzlich bei dem Treffen der Regierungschefs der EU-Staaten getan hat, mit starker Stimme und Durchsetzungskraft einbringen und vertreten. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben dabei unsere volle Unterstützung. Herzlichen Dank. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich Kollegen Klaus Barthel, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich hat uns heute das Thema Ukraine besonders beschäftigt und vieles andere überlagert. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Regierungserklärung darüber hinaus viele andere Facetten hatte; Kollegin Barley und Kollege Hahn haben schon einiges angesprochen. Ich will mich jetzt, auch wenn es vielleicht auf Anhieb nicht sehr emotional erscheint, ein bisschen mit den wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigen. Die Kanzlerin hat darauf hingewiesen, dass es bei dem bevorstehenden G-7-Treffen auch um die Vorbereitung des G-20Gipfels gehen soll. Insofern lohnt sich ein Blick auf die Lage der Weltwirtschaft. Die Kanzlerin - sie musste das Plenum leider schon verlassen - hat ein eher rosiges Bild von der Weltwirtschaft gezeichnet und gesagt, dass das Wachstum relativ hoch ist. Wir alle können nur hoffen, dass sie recht hat. Aber ich mahne zur Vorsicht. Wir haben nämlich eine äußerst labile Situation der Weltwirtschaft. Russland zum Beispiel ist schon ohne die Sanktionen ökonomisch unter starkem Druck, etwa durch den Kapitalabfluss, um nur ein Beispiel zu nennen. In der derzeitigen Sanktionsdebatte bedrohen wir uns gegenseitig mit wirtschaftlichem Schaden. Aber nicht nur dieser Konflikt belastet die Weltwirtschaft, sondern in fast allen Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien und Südafrika kriselt es vor sich hin. Die Wachstumsraten sind rückläufig. In den USA war das Wachstum im ersten Quartal negativ. Wie es in Japan weitergeht, weiß man nicht genau. Die Verschuldung steigt, und wir wissen nicht, ob die Abenomics wirklich zum Ziel führen. Die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, kommt in ihrem aktuellen Weltarbeitsbericht zu dem Ergebnis, dass die Arbeitslosigkeit weltweit weiter ansteigen wird, und zwar um zusätzliche 3,2 Millionen Menschen in diesem Jahr und damit auf über 200 Millionen Menschen 2014, und dass sich dieser Anstieg bis auf 213 Millionen Menschen im Jahr 2018 fortsetzen wird. Der Schwerpunkt dieses Anstiegs wird laut Weltarbeitsreport der ILO in Nordafrika, in Nahost und in Zentral-, Ost- und Südosteuropa liegen. Ich komme später darauf zurück. Die ILO, die ich zitiert habe, ist übrigens keine arbeitspolitische Organisation, sondern sie arbeitet tripartistisch mit Unternehmen, Regierungen und Gewerkschaften. Deswegen soll und muss auf dem G-7-Gipfel auch über die Weltwirtschaft geredet werden. Der Europäischen Union kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, die wir uns noch einmal klarmachen müssen. Wir haben uns insbesondere in Deutschland, aber auch in der EU in den letzten zehn Jahren ziehen lassen. Unsere Exportkonjunktur war auf das Wachstum in den Ländern gestützt, die ich gerade genannt habe: in den Schwellenländern und in anderen Ländern dieser Welt. Aber es ist klar: Das kann und wird nicht so weitergehen. Alle, die sich mit Prognosen beschäftigen, sagen: Für Europa sind keine Impulse mehr aus der restlichen Welt zu erwarten. Die Europawahl - auch das müssen wir an dieser Stelle sagen - war eine Absage der Wählerinnen und Wähler an die bisherige Wirtschaftspolitik in Europa. Deswegen sind Äußerungen aus der Bundesregierung wie die von Staatsminister Roth, die EU müsse sich um Wachstum kümmern, ausdrücklich zu unterstreichen. In Italien formuliert Herr Renzi das ähnlich. Selbst in Spanien legt Ministerpräsident Rajoy jetzt ein Konjunkturprogramm auf. Darüber kann man zwar durchaus streiten, aber vielleicht findet die Europäische Zentralbank mehr Gehör, ({0}) die vorletzte Woche ihren Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht hat. Ich will nur einige Stichworte nennen. Darin ist die Rede von der „Möglichkeit eines scharfen und ungeordneten Abbaus der jüngsten Kapitalflüsse“. Zu Deutsch: Es existieren Spekulationsblasen. Wir haben es mit einer Überhitzung der Finanzmärkte zu tun. Es gibt zu viele faule Kredite. Der Wendepunkt sei nicht erreicht, heißt es. Es gebe unsichere konjunkturelle Perspektiven und ein signifikantes Risiko einer weiteren Verschlechterung der Kreditqualität. Des Weiteren wird festgestellt, dass der Schattenbanksektor und die Derivatemärkte noch nicht im Griff sind, sondern weiter wachsen. Selbst Musterländer in Europa wie Finnland und die Niederlande erleben einen Rückgang ihrer Wirtschaftsleistung. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir es nicht noch einmal darauf anlegen dürfen, dass die Europäische Zentralbank - da stehen morgen Beschlüsse an die europäische Konjunktur und Finanzmarktstabilität retten muss. Vielmehr müssen wir sehen, dass das eine politische Aufgabe ist. Ich hoffe, dass von den bevorstehenden Gipfeln klare Signale zum Handeln ausgehen. ({1}) Das heißt, wir brauchen eine Kurskorrektur, auch vonseiten der Europäischen Kommission. Es geht nicht um irgendwelches personelles Geplänkel, sondern um die inhaltliche Ausrichtung. Der Kurs von Barroso und Konsorten muss beendet werden. Die wirtschafts- und sozialpolitische Geisterfahrt, die noch immer stattfindet - die Europäische Kommission polemisiert beispielsweise gegen unsere Rentenpolitik und den Mindestlohn und fordert, dass in den Krisenländern noch mehr gespart wird und in den öffentlichen Haushalten noch mehr Kürzungen vorgenommen werden -, führt überhaupt nicht zum Ziel. Deswegen brauchen wir auf europäischer Ebene ein neues Programm, das sowohl zur Bewältigung der eigenen Krise als auch zur Vorbeugung einer weltweiten Wirtschaftskrise beiträgt. Dabei müssen wir eine wichtige Rolle spielen. Wir müssen uns in der Bundesrepublik auch selber ehrlich machen. Wir in der Großen Koalition haben diesen Kurswechsel doch längst vollzogen. Wir geben mehr für Bildung und Forschung aus. Daher kann man von Spanien, Griechenland, Italien und Frankreich nicht das Gegenteil verlangen. Wir geben mehr für öffentliche Investitionen aus, wie unser Bundeshaushalt zeigt, den wir in der nächsten Sitzungswoche verabschieden. Wir sorgen dafür, dass die Löhne steigen, die Gewerkschaften gestärkt werden und der Mindestlohn eingeführt wird. Wir geben mehr für soziale Leistungen, für Pflege und Renten aus.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Der Kollege Schlecht von der Fraktion Die Linke würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie das zulassen?

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Barthel, die Andeutungen hören sich, so wie ich sie verstehe, ganz gut an. Sie sind offenbar der Meinung, dass ein europäisches Konjunktur- oder Investitionsprogramm notwendig ist. Sehen Sie denn Chancen, dass die Austeritätspolitik, über deren Sinn nun in Italien, Frankreich und Spanien diskutiert wird und die diesen Ländern maßgeblich von Deutschland aufoktroyiert wurde, zurückgenommen wird und dass die Bundesregierung ein Zukunfts-, Investitions- oder Marshallprogramm für die südeuropäischen Länder auflegt? Sehen Sie denn tatsächlich eine Chance, dass diese Regierung und diese Große Koalition hier in Deutschland einen entsprechenden Kurswechsel in der Europapolitik vornehmen?

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe gerade versucht, darzulegen, dass ich dafür nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Chance sehe; sonst hätte ich das nicht erwähnt. Der eine Ansatzpunkt ist, dass wir diesen wirtschaftspolitischen Wechsel bereits vollzogen haben. Aber auch die Mehrheiten in Europa haben sich verändert. Bei dem Programm der Kommission geht es nicht um Herrn Schulz oder Herrn Juncker, sondern um eine andere europäische Politik. ({0}) Wir von der Großen Koalition streiten für Wachstumsimpulse, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und für mehr Investitionen. Ohne Investitionen wird auch das, was die Kanzlerin erwähnt hat - Industrie 4.0, digitale Gesellschaft und Energiewende -, nicht zustande kommen. Für ein entsprechendes Umdenken lassen sich inzwischen Anzeichen in ausreichender Zahl finden. Ich würde mich freuen, wenn es dafür nicht nur vonseiten der Grünen, sondern auch von Ihrer Seite, Herr Schlecht, Unterstützung gäbe und wenn nicht immer alles in Bausch und Bogen verdammt würde. ({1}) Ich komme zum Schluss, da meine Redezeit sowieso fast abgelaufen war, als die Zwischenfrage gestellt wurde.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das stimmt zu 100 Prozent.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur darauf hinweisen: Es lohnt sich, sich diese Studien der Internationalen Arbeitsorganisation mit Blick auf die Weltwirtschaft und die Verarmungsprozesse, die gerade in Europa ablaufen, anzuschauen, und es lohnt sich, über das angesprochene Freihandelsabkommen zu debattieren; denn, Kollege Hahn, wenn wir wollen, dass dieses Abkommen wirklich etwas für Beschäftigung und Wohlstand bringt, dann müssen wir dafür sorgen, dass es nicht einfach nur freien Handel gibt, sondern dass die sozialen Standards, an denen wir hier arbeiten, nämlich die Lebensqualität, die Einkommenssituation, die Mitbestimmung usw., verbessert werden. Das müssen wir über solche internationalen Handelsabkommen absichern. Wir sollten nicht sagen, dass wir das Freihandelsabkommen auf jeden Fall abschließen, weil Freihandel per se gut ist. Dafür braucht es Regeln auf dem Weltmarkt, und dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen. Ich hoffe, dass wir in Europa an einem Strang ziehen. Ich glaube, dass die Koalition es tut. Aber wir müssen auch innerhalb Europas und im Rahmen der G 7 und G 20 schon noch ein Stück Überzeugungsarbeit leisten. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen sehr breiten Raum hat sehr zu meiner und vielleicht auch zu Ihrer Freude das Thema Entwicklungspolitik bei der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum G-7Gipfel in Brüssel eingenommen. Das heißt, Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Bestandteil der Außen- und Sicherheitsarchitektur nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas. Ich finde das richtig, ich finde das gut. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir darüber reden. Ich glaube, dass die Themensetzungen der Troika unter der Führung Deutschlands, die den Gipfel organisiert hat - die Frau Bundeskanzlerin hat es eben gesagt -, richtig waren. Die Themen sind mit der Unterstützung unserer Bundeskanzlerin, die im Übrigen eine wunderbare Anwältin für Entwicklungspolitik ist, was wir alle wissen, gesetzt worden. Ich freue mich darüber und danke ihr sehr herzlich dafür. Aus der Vielfalt der Themen wurden die Themen auf dem G-7-Gipfel herausgesucht, die wichtig sind und auf die die Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Eines dieser Themen - das beschäftigt uns auch in Deutschland immer wieder - sind Steuern und Abgaben, aber auch Steuerhinterziehung und Korruption. Wir als Entwicklungspolitiker wissen, dass Korruption eines der wichtigsten Hindernisse für die Entwicklung in den Ländern ist. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe und die der internationalen Gemeinschaft, darauf zu achten, dass die Entwicklung der Länder vorangehen kann. Dazu gehört auch, dass wir Strafverfolgungsbehörden und Steuerfahndungsbehörden einrichten. Bei dieser Aufgabe sollten wir den Entwicklungsländern unsere Unterstützung zusagen, weil dieses ihnen selber nützt. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir in diesem Zusammenhang Hilfestellung leisten. Das kann Deutschland allerdings nicht alleine machen; das ist vielmehr eine internationale Aufgabe, und deshalb ist es richtig und gut, dass das auf dem G-7-Gipfel an vorderster Stelle behandelt wird. Die Senkung der Müttersterblichkeit - MDGs 4 und 5 - ist nach wie vor eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, die dringend gelöst werden muss. Diese läuft als Nachfolge der Muskoka-Initiative 2010 in Kanada im Jahre 2015 aus. Das muss ein Thema sein, mit dem wir uns auf internationaler Ebene auseinandersetzen müssen. Damals sind 5 Milliarden Dollar seitens der internationalen Gemeinschaft zugesagt worden. Es muss jetzt über eine Nachfolgeregelung geredet werden, weil die Mütter- und Kindersterblichkeit für die Zukunft der Länder sehr wohl ein wichtiges Thema ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen. Das gilt auch für die Themen sexuelle und reproduktive Gesundheit, Zwangsverheiratung, Kinderheirat und Genitalverstümmelung. Alles das behindert die Entwicklung einer Gesellschaft, vor allem deshalb, weil es Frauen daran hindert, sich in die Gesellschaft einzubringen, ihre Stärken auszuspielen, die Gesellschaft zu stützen und nach vorne zu bringen. Ich freue mich in diesem Zusammenhang - auch die Bundeskanzlerin hat es schon gesagt -, dass wir die GAVI-Wiederauffüllungskonferenz nächstes Jahr wahrscheinlich hier in Berlin, aber zumindest in Deutschland haben werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Ernährungssicherung. Ich freue mich, dass unser Minister Müller dieses Thema zu seinem Thema gemacht hat, es als prioritär identifiziert hat. Es handelt sich um ein internationales Thema. Wichtig ist auch, dass wir erkennen, dass dieses Thema innerhalb der internationalen Gemeinschaft behandelt werden muss. In Camp David haben wir vereinbart, dass wir bis 2020 die Anzahl der Hungernden um 50 Millionen reduzieren. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Auch da können wir nicht allein handeln; das muss im internationalen Kontext passieren. Zur Rohstoffinitiative. Natürlich ist es wichtig, dass wir über die Rohstoffe reden. Die Rohstoffe sollten vor allen Dingen dazu da sein, Einkommen in den Entwicklungsländern zu generieren. Die Entwicklungsländer müssen über ihre Rohstoffe und ihre Güter Einkommen und Steuern generieren. Sie müssen über die Erlöse, die sie im Zusammenhang mit ihren Rohstoffen erzielen, selber entscheiden können. Ich finde, das muss international an erster Stelle diskutiert werden. Wir müssen eine gemeinsame Lösung finden; denn wir müssen dazu beitragen, dass die Länder in der Lage sind, sich selber zu erhalten und ohne unsere Unterstützung ihre Haushalte aufzustellen. Ich glaube, das ist wichtig. Zu all diesem gehören die Rohstoffe dazu. Wir können dazu beitragen, dass es in diesem Bereich faire Verträge mit allen Beteiligten gibt. Dieser G-7-Gipfel mit seinen Themenstellungen, auch den entwicklungspolitischen, ist genau richtig im Hinblick auf das, was an großen Ereignissen im nächsten Jahr auf uns zukommt. Das sind der Klimagipfel Ende 2015 in Paris, die Post-2015-Agenda und vor allen Dingen die G-7-, vielleicht auch G-8-Präsidentschaft Deutschlands. Wir haben da eine große Aufgabe vor uns. Ich erinnere mich an den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Im Vorfeld fand eine hervorragende Parlamentarierkonferenz mit 170 Parlamentariern aus der ganzen Welt statt. Das entwicklungspolitische Thema dabei war „Gesundheit in den Entwicklungsländern“. Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen würde, wieder ein entwicklungspolitisches Thema zu finden, mit dem wir uns im Vorfeld der G-7- oder G-8-Präsidentschaft nächstes Jahr einbringen können. Es wäre ein super Zeichen, wenn wir Parlamentarier uns sowohl an der Themensetzung als auch an der Bearbeitung der Themen beteiligten. Herzlichen Dank. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in der Aussprache zur Regierungserklärung erteile ich das Wort dem Kollegen Detlef Seif, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Kollegen Katrin Göring-Eckardt und Manuel Sarrazin zur Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten kann ich nicht nachvollziehen. Eins ist klar: Die Union ist bundesweit und die EVP ist europaweit die stärkste Kraft geworden. Das heißt, wir haben den Anspruch, den Kommissionspräsidenten zu stellen. Das steht außer Frage. Die Kanzlerin hat das ausdrücklich erklärt. Aber die Probleme sind vielschichtiger. Die Kanzlerin hat erläutert: Artikel 17 des EU-Vertrages ist nicht ohne Grund so ausgestaltet worden. Die EU hat 28 MitgliedDetlef Seif staaten. Es gibt das Europäische Parlament. Es bedarf zunächst Konsultationen der dann zu bildenden Fraktionen im Europäischen Parlament mit den Regierungschefs und keiner öffentlichen Diskussion. Wenn wir Änderungen der Institutionen wünschen, sollten wir aufhören, die Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten zum Spielball machtpolitischer Auseinandersetzungen zu machen. Das schadet dem Amt. ({0}) Meine Damen und Herren, wir können der Bundeskanzlerin dankbar dafür sein, dass sie in diesem Verfahren wie in vielen anderen Verfahren der ruhende Pol ist und kein Marktschreier, der herumbrüllt und mit dem Holzhammer auf Cameron einschlägt. Wir haben die staatspolitische Verantwortung, mit den anderen Mitgliedstaaten vernünftig zusammenzuarbeiten. Auch wenn wir die Meinung des britischen Premiers vielleicht nicht teilen, zählt seine Meinung. Warten Sie doch das Verfahren ab. Wir werden danach sehen, wer Kommissionspräsident wird. Kaum sind die Wahlen vorbei, gibt es auch schon die ersten Ratschläge, nicht nur aus Paris, Rom, Madrid und Athen, sondern auch von unserem Staatsminister Michael Roth. Herr Barthel, auch Sie haben das in Ihre Rede eingebaut: Wir brauchen einen grundsätzlichen Wandel in der politischen Ausrichtung. - So war Ihre Aussage. ({1}) Aber treffen Sie damit den Kern der Sache? Die Vorschläge sind sicherlich gut gemeint, aber wir alle wissen doch: Wir haben zunächst einmal länderspezifische Probleme. Die Krisen der Vergangenheit, angefangen von der Finanzmarktkrise über die Staatsschuldenkrise bis zur Wirtschaftskrise in einzelnen Ländern, hängen doch nicht damit zusammen, dass keine Sozialleistungen gezahlt wurden. Das Gegenteil ist der Fall: Es wurden Riesenbeträge für den Konsum zur Verfügung gestellt. Es wurden die Stabilitätskriterien nicht eingehalten. Ich warne davor, die Politik, die uns in den letzten Jahren auf den richtigen Pfad gebracht hat, zu korrigieren. Soweit Sie das im Sinne von Konjunkturprogrammen meinen, im Sinne von - ich übersetze das einmal in die europäische Sprache - „zweckgerichteter Verwendung der Strukturförderungsmittel“, haben Sie unsere volle Unterstützung. Auch wir sind für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Auch wir sind dafür, Wachstumsimpulse zu setzen, aber nicht dadurch, dass wir denselben Fehler wie in der Vergangenheit machen. ({2}) Eines ist klar: Solide Staatsfinanzen sind die Voraussetzung auch für künftiges Wachstum, aber sie schöpfen es nicht. Deshalb ist es wichtig, dass die Fehler, die zurzeit immer noch bestehen, überwunden werden. Man kann sich nur an den Kopf fassen: In Griechenland sind immer noch keine Kredite an kleine und mittlere Unternehmen aus KfW-Mitteln ausgegeben. Wir haben die Krise seit Jahren. Das hat noch nicht funktioniert. Erst in den nächsten Wochen soll das umgesetzt werden. Es gibt immer noch nicht ausreichende Verwaltungsstrukturen. Steuererhebung, Steuereinzug funktionieren immer noch nicht richtig. Das sind die Probleme, die wir haben. Wenn die überwunden sind, dann geht es auch mit den Wachstumsimpulsen aufwärts. Meine Damen und Herren, es gibt vielfältige Ursachen für das Ergebnis der Europawahl; man kann das nicht verallgemeinern. Betrachten Sie das einmal länderspezifisch: Es gibt Länder, in denen die linken Kräfte besonders zugelegt haben. Das sind in erster Linie die Programmländer. Es gibt Länder, in denen die rechten Kräfte zugelegt haben. Das sind die Länder, die überwiegend mit europäischer Politik zu leben haben, zum Beispiel im Bereich der Zuwanderung. ({3}) Wir müssen uns Gedanken machen, welche Politik wir auf europäischer Ebene umsetzen. Wir können nicht verallgemeinern und sagen: Dieses oder jenes ist der Grund. Ganz entscheidend ist, Herr Barthel: Hier wird die wichtigste Frage, die ich für die nächsten Monaten sehe, kaum erörtert: Wer von Ihnen geht denn davon aus, dass die EU-Kommission in den letzten Jahren die Kräfte, die sie vom Personal und auch von den Mitteln her gehabt hätte, tatsächlich genutzt hat? Woran liegt das? Haben wir eine Bundesregierung mit 28 Ministern? Das könnten wir uns nicht vorstellen. Die Minister würden sich behindern. So viele Kompetenzen gibt es gar nicht. Da würde jeder dem anderen eine Kompetenz wegnehmen. Es gäbe Überschneidungen. Genau das sieht man auch an dem Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das Jahr 2014. Wenn man einmal da hineinguckt, wenn man sich vor Augen führt, wie erkennbar die gegenseitige Blockade der Kommissare ist, kommt man zu dem Schluss: Das ist die dringendste Maßnahme, die wir auf den Weg bringen müssen. ({4}) Wir wissen, bei den europäischen Verträgen und bei dem Machtgefüge können wir nicht sagen: Wir ändern das jetzt, und zwar so, wie es ja eigentlich auch im Vertrag vorgesehen ist: Verkleinerung der Kommission auf eine Zahl von Mitgliedern, die zwei Dritteln der Zahl der Mitgliedstaaten entspricht. Das wird nicht funktionieren. Also müssen wir einen anderen Weg wählen. Wolfgang Schäuble hat einen guten Vorschlag gemacht. Diesen Vorschlag sollten wir aufgreifen und mit Nachdruck vertreten und durchsetzen: Dem Kommissionspräsidenten sollten Vizepräsidenten an die Seite gestellt werden, die die Kernkompetenzen bearbeiten, und den Vizepräsidenten sollten die anderen Kommissare fachlich zugeordnet sein. Wir müssen erst einmal eine Organisation und Arbeitsmöglichkeiten schaffen, die inhaltlich optimales Arbeiten erlauben. Das ist zurzeit nicht umgesetzt, und das wird eine unserer Hauptaufgaben sein. ({5}) Jetzt geht es um Inhalte, und es geht auch darum: Mich erinnert die Europäische Union - bis auf die sehr erfolgreiche Krisenpolitik, die wir, insbesondere natürlich der Rat, auf den Weg gebracht und umgesetzt haben - so ein bisschen an eine Durchwurschtelunion. Man könnte es auf Englisch auch als „muddling-through union“ bezeichnen: Man hat ein Ziel, man will es erreichen - Augen zu und durch. Das merken wir bei allen wichtigen Themen, auch bei den Themen der Gegenwart. Fangen wir an bei der Gemeinschaftswährung. Die Gemeinschaftswährung wurde auf den Weg gebracht, ohne dass effektiv sichergestellt wurde, dass sich die Euro-Länder tatsächlich an die Haushaltsdisziplin halten. Dieses große Problem war Mitauslöser der Krise. In Griechenland wurde der Euro eingeführt, obwohl die strengen Stabilitätskriterien dort nicht erfüllt waren Augen zu und durch. In der Vergangenheit wurden neue Mitglieder aufgenommen, obwohl man wusste, dass man bei einigen Kapiteln noch nicht so weit war. Es wurde gesagt: Das wird schon werden. - Bei Rumänien und Bulgarien ist es aber nicht geworden. Dort gibt es einen hohen Korruptionsgrad, und auch die Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern ist nicht so, wie wir uns das wünschen. Während des Aufnahmeprozesses schien alles in Ordnung zu sein. Wir haben aber keine Kriterien, mit denen wir kontrollieren können, dass dies auch mittel- und längerfristig der Fall ist. Da müssen wir in der Zukunft besser aufpassen. Ein weiterer Punkt. Nachbarschaftspolitik wird betrieben, ohne dass man bemerkt, dass es sich dabei um Außenpolitik handelt - mit allen Risiken und Chancen. Schauen Sie nur in die Ukraine; ich will das gar nicht weiter ausführen. Wir brauchen eine Europäische Union, die die wichtigen Themen nicht ausschließlich politisch entscheidet und die Folgen ihres Tuns bedenkt. Auch hier brauchen wir klare Kriterien. Kurz und abschließend gesagt: Die Organisation der EU-Kommission ist grundsätzlich zu ändern. Die Europäische Union soll nur Regelungen für die Dinge auf den Weg bringen, die einheitlich geregelt werden müssen. Da sind die Briten, die Niederländer und die Dänen nicht unsere Gegner. Sie haben das Thema angestoßen, und damit tragen sie dazu dabei, Europa zu verbessern. Nur die wichtigen übergreifenden Themen gehören nach Europa, aber nicht das Klein-Klein. Wenn das die EU-Kommission, die hoffentlich neu formiert und anders organisiert wird, bei ihrer Arbeit beherzigt, dann hat das Projekt Europa, das für uns alle eine Herzensangelegenheit ist, eine gute Chance. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zur Abstimmung über die drei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke. ({0}) Entschließungsantrag auf Drucksache 18/1621. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. ({1}) Entschließungsantrag auf Drucksache 18/1622. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. ({2}) Entschließungsantrag auf Drucksache 18/1623. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. ({3}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des ElterngeldPlus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Manuela Schwesig. - Bitte schön, Frau Ministerin.

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass das Bundeskabinett heute den von mir vorgelegten Gesetzentwurf zum ElterngeldPlus mit Partnerschaftsmonaten und der flexibleren Elternzeit verabschiedet hat. Wir gehen mit diesen Vorschlägen neue Wege in der modernen Familienpolitik. Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken und setzen dabei vor allem auf das Thema Partnerschaftlichkeit. Die Lebenswirklichkeit von jungen Paaren in Deutschland hat sich verändert. 60 Prozent der Paare mit Kindern unter drei Jahren wünschen sich sowohl eine partnerschaftliche Teilung der Erziehungs- und der Hausarbeit als auch Zeit für den Job. Und genau darum geht es beim ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten: Wir wollen zukünftig ermöglichen, dass Mütter und Väter, die während des Elterngeldbezugs früh in den Job einsteigen und Teilzeit arbeiten, nicht länger Nachteile haben. Vielmehr erhalten sie das ElterngeldPlus länger als das bisherige Elterngeld. Wenn sie die Elternzeit partnerschaftlich teilen, sich also beide Zeit für das Kind oder die Kinder nehmen, und beide in Teilzeit in einem Korridor zwischen 25 und 30 Stunden arbeiten gehen, gibt es zusätzliche Partnerschaftsmonate. Das ist die Idee des ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und vor allem die Partnerschaftlichkeit zwischen Männern und Frauen stärken. Dies gilt natürlich auch für Alleinerziehende. Auch sie können von den zusätzlichen Partnerschaftsmonaten profitieren. Ein weiterer Punkt im vorliegenden Gesetzentwurf ist die Flexibilisierung der Elternzeit. Wir wollen, dass Eltern die Möglichkeit haben, die dreijährige Elternzeit bis zum achten Lebensjahr ihres Kindes flexibler aufzuteilen. Das bedeutet, dass die Elternzeit nicht vor allem am Anfang der Lebenszeit des Kindes voll genommen werden muss, sondern noch Luft nach hinten ist und man die Möglichkeit hat, auch später noch eine Auszeit zu nehmen, zum Beispiel wenn ein Kind zur Schule kommt. Die Elternzeit kann laut Gesetzentwurf zukünftig ohne Zustimmung des Arbeitgebers genommen werden. Auch an dieser Stelle wollen wir die Eltern stärken. In einer dritten Komponente des vorliegenden Gesetzentwurfes geht es um eine Klarstellung im Hinblick auf die sogenannten Mehrlingsgeburten. Das Bundessozialgericht hat geurteilt, dass das Gesetz an der Stelle derzeit unklar ist und Eltern von Mehrlingskindern im Grunde - neben dem Mehrlingsbonus - doppelt Elterngeld beziehen können. Wir wollen an dieser Stelle klarstellen, dass es für Eltern von Mehrlingen einen einmaligen Anspruch auf Elterngeld und wie bisher einen Mehrlingsbonus von 300 Euro gibt. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, das ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten und der flexibleren Elternzeit ist ein wichtiges familienpolitisches Vorhaben der Regierungskoalition. Wir wollen neue Wege beschreiten. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken. Wir wollen vor allem dafür Sorge tragen, dass Männer und Frauen sowohl Zeit für Kinder als auch Zeit für den Job haben. Dieser partnerschaftliche Gedanke tut nicht nur den Familien gut, sondern ist auch für eine moderne Gleichstellungspolitik wichtig. Denn er unterstützt vor allem auch Frauen, die wieder in den Job einsteigen wollen. An Frauen darf nicht alles - Job und Kinder - hängen bleiben. Das neue ElterngeldPlus sorgt deshalb dafür, dass auch die Männer Zeit für Kinder haben. Die positive Nachricht ist: Die Politik muss das nicht verordnen. Die Politik kann das fördern und unterstützen. Denn die jungen Väter von heute wünschen sich das. Jeder zweite Vater möchte seine Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzieren. Auch das sollten wir fördern. Wenn beide Elternteile Zeit für die Familie haben, tut das am Ende nicht nur den Eltern, sondern auch und vor allem den Kindern gut. In diesem Sinne freue ich mich auf die parlamentarischen Beratungen im Bundesrat und natürlich in diesem Hohen Hause. Wir gehen einen weiteren guten Schritt. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Vielen Dank. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die erste Frage hat der Kollege Wunderlich, Fraktion Die Linke.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Schwesig, vielen Dank für die Einführung in das ElterngeldPlus. Es tun sich jedoch einige Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der vorgesehenen Erwerbsstundenvoraussetzung. Es ist ja geplant, dass 25 bis 30 Wochenstunden gearbeitet werden soll, wenn man in den Genuss des ElterngeldPlus und des Partnerschaftsbonus kommen will. Halten Sie diese Zahl von Erwerbsstunden für realistisch, insbesondere im Hinblick auf Alleinerziehende?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Ich halte es für realistisch. Man muss hier zwei Dinge voneinander trennen. Das ElterngeldPlus, also den längeren Elterngeldbezug während der Teilzeitarbeit, bekommen alle unabhängig von der Stundenzahl und unabhängig davon, ob der Partner Teilzeit arbeitet oder nicht. Lediglich die Partnerschaftsmonate - vier Monate für den Vater und vier Monate für die Mutter - gibt es nur dann, wenn beide parallel Teilzeit arbeiten. Damit wollen wir dem partnerschaftlichen Gedanken, den 60 Prozent der Paare haben, aber nur 14 Prozent realisieren, Rechnung tragen. Der Korridor von 25 bis 30 Stunden ist gewählt worden, weil wir damit keine Minijobs unterstützen wollen. Wir wollen einen Arbeitszeitkorridor, der eine wirtschaftliche Existenz ermöglicht. Das ist insbesondere für Alleinerziehende wichtig. Deshalb ist dieser Korridor zwischen 25 und 30 Stunden insbesondere vor dem Hintergrund einer sicheren Erwerbstätigkeit, einer guten Erwerbsperspektive und der Armutsvermeidung gut gewählt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage hat die Kollegin Frau Dr. Hein, ebenfalls Fraktion Die Linke.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu den Mehrlingsgeburten. Warum wird das Urteil des Bundessozialgerichtes, in dem steht, dass Eltern bei Zwillings- oder Mehrlingsgeburten nicht nur pro Geburt, sondern für jedes neugeborene Kind einen eigenen Elterngeldanspruch haben, so nicht umgesetzt? Um wie viel würde der Haushalt entlastet, wenn Sie es so machen, wie Sie es beschrieben haben?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Bei der Einführung des Elterngeldes wurde die besondere Situation von Mehrlingseltern berücksichtigt. Man hat sich damals ganz bewusst dafür entschieden, dass auch diese Eltern den grundsätzlichen Elterngeldanspruch in der Dauer von zwölf plus zwei Partnermonaten haben. Aber weil zwei Kinder auch eine besondere finanzielle Herausforderung sind, gibt es einen Extrabonus von 300 Euro. Das Bundessozialgericht hat jetzt geurteilt - weil das Gesetz an dieser Stelle nicht klar formuliert war -, dass es neben den 300 Euro zukünftig auch möglich sein kann, dass man zwei mal zwölf plus zwei Partnermonate nimmt. Das hört sich natürlich gut an. Aber es geht weit über das hinaus, was der Gesetzgeber damals gewollt hat. Mehr geht immer; gar keine Frage. Aber das Urteil bewirkt Mehrkosten von 100 Millionen Euro. An dieser Stelle stellen wir im Gesetz nur klar: Es gibt nicht weniger, sondern es gibt wie immer die 300 Euro. Damit können wir die Mehrkosten in Höhe von 100 Millionen Euro, die jetzt schon pro Jahr entstehen, auffangen und können diesen Betrag auch zur Finanzierung des Elterngeldes nutzen, weil das Elterngeld insgesamt sehr dynamisch ist. Wie Sie aus dem Haushalt wissen, sind die Mittel für das Elterngeld mittlerweile auf insgesamt 5 Milliarden Euro angestiegen. Es waren damals ungefähr 3 Milliarden Euro geplant. Diese Entwicklung hat sich ergeben, weil die Löhne steigen und damit auch das Elterngeld steigt und weil immer mehr Männer Elterngeld beanspruchen und deren gute Gehälter zu Buche schlagen. Ich denke, das Gesamtpaket ist für Mehrlingseltern eine gute Lösung, weil sie weiterhin das bekommen, worauf sie auch bisher einen Anspruch hatten. Wir müssen aber zusehen, dass das Elterngeld uns finanziell nicht ganz um die Ohren fliegt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Der Kollege Marcus Weinberg hat heute erstens Geburtstag und zweitens beschlossen, ihn mit uns zu verbringen. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Er hat jetzt eine Frage an die Frau Bundesministerin. Bitte.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Es ist mir natürlich eine große Ehre, mit Ihnen meinen Geburtstag zu verbringen. Ich greife das auf, was die Ministerin gesagt hat, dass nämlich immer mehr junge Väter mehr Zeit mit den Kindern verbringen wollen. Insoweit bedeutet diese Flexibilisierung eine neue Epoche, um Arbeitszeit, Erwerbstätigkeit und Familienzeit zusammenzubringen. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass dies heute im Kabinett verabschiedet wurde. Es ist mehr als nur das, was im Koalitionsvertrag steht: Es ist tatsächlich eine neue Epoche. Es gab aber Kritik der Arbeitgeber, die gesagt haben, dass die neuen Möglichkeiten, gerade die flexiblere Elternzeit, zu Problemen führen würden. Können Sie einmal skizzieren, wie Sie mit der Kritik der Arbeitgeber und der Verbände umgegangen sind?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Das kann ich gerne tun. Vorweg auch von mir herzlichen Glückwunsch und vor allem Zeit für die Familie, möglichst heute noch an Ihrem Geburtstag. Es gibt die Kritik der Arbeitgeber, die sagen: Wenn die Eltern ohne unsere Zustimmung in Elternzeit gehen können, dann ist es für uns schwieriger; die Flexibilisierung sehen wir kritisch. - Aus deren Sicht kann man dies so sehen. Aber am Ende mussten wir uns entscheiden. In der gemeinsamen Abwägung, die sich auch schon im Koalitionsvertrag findet, haben wir gesagt: Wir wollen die Familien stark machen. Wir wollen damit deutlich machen, dass die Eltern auf Elternzeit Anspruch haben. Es ist eine wichtige Schonzeit für die Familien, es ist eine wichtige Zeit für die Paare, um in der Partnerschaft zusammenzukommen. Wir sind den Arbeitgebern insoweit entgegengekommen, als wir die Frist für die Anmeldung der Elternzeit von 8 auf 13 Wochen erhöhen, sodass die Arbeitgeber mehr Planungssicherheit haben. So sind wir den Arbeitgebern entgegengekommen, aber setzen das klare Zeichen: Familien haben Vorfahrt. Das ist ein wichtiges Zeichen; denn wir können nicht nur in unseren Sonntagsreden sagen: „Die Familien sind wichtig“, sondern müssen dann, wenn es zum Schwur kommt, auch so handeln. Ich denke, das ist jetzt ein guter Kompromiss.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster hat der Kollege Rix, SPD-Fraktion, das Wort.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. - Frau Ministerin, schon in den ersten Medienberichten zu dem Gesetzentwurf ist eine positive Resonanz zu erkennen. Das hätte sich manch anderer an dieser Stelle eines Gesetzgebungsverfahrens auch gewünscht. Herzlichen Dank für die Vorlage, die das Kabinett jetzt dem Bundesrat und dem Bundestag zuleitet. Das ist ein erster wichtiger Schritt beim gesamten Thema Familienarbeitszeit. Ich finde, das ist unserer Koalition und Ihrem Hause besonders gut gelungen. Ich möchte eine Nachfrage stellen. Wir beschäftigen uns immer mit dem Thema „Teilzeit und Vollzeit“, das natürlich auch bei der Elternzeit eine Rolle spielt. Welche Möglichkeiten haben Eltern beim ElterngeldPlus, in Teilzeit zu gehen, und können sie wieder in Vollzeit gehen? Welche gesetzlichen Regelungen sind dort geplant?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Schon heute haben die Eltern die Möglichkeit, in Teilzeit zu gehen. Wenn Eltern das in der Elterngeldzeit tun, dann werden sie zurzeit benachteiligt. Ich habe aktuell eine E-Mail von einer jungen Frau auf dem Tisch, die beschreibt, dass sie aus beruflichen Gründen gerne während der Elterngeldzeit in Teilzeit arbeiten will, weil ihr das in ihrem Job langfristig eine bessere Perspektive gebe. Sie beschreibt aber, dass es sich für sie gar nicht lohnt, weil der Elterngeldanspruch sonst verfällt. Wir wollen mit dem ElterngeldPlus die Teilzeitarbeit unterstützen. Nach meiner Einschätzung geht es nicht nur um eine finanzielle Unterstützung, sondern auch um eine Wertschätzung. In der Vergangenheit wurde Teilzeitarbeit viel zu häufig abgewertet. Ich finde es richtig, dass Eltern die Möglichkeit haben, in bestimmten Lebensphasen, zum Beispiel wenn sie kleine Kinder haben, die Arbeitszeit zu reduzieren - man könnte auch bei der Pflege darüber nachdenken -, ohne große Nachteile zu haben, ohne auf das Abstellgleis zu geraten, auch ohne finanzielle Nachteile zu erleiden. Wir helfen mit dem ElterngeldPlus und erhoffen uns von den Partnerschaftsmonaten, dass sich Paare dadurch auf die Diskussion einlassen - viele tun es jetzt schon -: Wie können wir die Zeit für die Arbeit und die Zeit für die Familie aufteilen? - Richtig gut flankiert wird diese Idee, wenn das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit kommt, damit Teilzeit keine dauerhafte Sackgasse ist. Deshalb freue ich mich sehr, dass meine Kollegin Arbeitsministerin Nahles nach ihren anderen Mammutprojekten ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren angeht. Wir brauchen ein Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit. Teilzeit darf keine Sackgasse sein.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Fragestellerin erteile ich Frau Kollegin Crone, SPD-Fraktion, das Wort.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich auch, dass dieses neue Gesetz bald das Licht der Welt erblickt. Es ist bestimmt sehr schön, allerdings manchmal auch ein bisschen kompliziert. Deswegen habe auch ich eine Nachfrage: Wie wirkt sich das für Selbstständige aus? Wie profitieren sie davon?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Vielen Dank. - Es ist einzuräumen, dass das Elterngeld und das ElterngeldPlus kompliziert wirken. Das liegt meines Erachtens aber auch daran, dass die Lebenssituation in jeder Familie unterschiedlich ist. Das Gute ist, dass wir hier nicht eine Einheitslösung für die Familien vorgeben, sondern zukünftig die Familien - ob alleinerziehend, ob in Partnerschaft - ihrer Lebenssituation entsprechend auf den Baukasten „Elterngeld, Partnerschaftsmonate, ElterngeldPlus“ zurückgreifen können, so wie es zu ihrer Lebenswelt passt. Das ist für Selbstständige unheimlich wichtig. Selbstständige profitieren genauso wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom ElterngeldPlus und vielleicht noch einen Tick mehr, weil es gerade die Selbstständigen, die Kleinunternehmerinnen und -unternehmer sind, die sich oft nicht eine Auszeit von zwölf plus zwei Monaten leisten können, sondern sagen: Ich muss mich spätestens nach sechs Monaten in meiner Firma sehen lassen. - Mit dem ElterngeldPlus werden sie jetzt viel besser unterstützt. Insofern freue ich mich, dass gerade das Unternehmertum, dass die Selbstständigen und die Soloselbstständigen - das hilft vor allem auch den Frauen - mit dem ElterngeldPlus und den Partnerschaftsmonaten eine besondere Unterstützung erhalten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Kömpel, SPD-Fraktion.

Birgit Kömpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004330, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Zunächst möchte ich erwähnen, dass ich es fast bedauere, dass ich vor 16 Jahren bzw. 11 Jahren meine Kinder bekommen habe, weil ich glaube, dass es die Eltern heutzutage durch die entsprechenden Angebote sehr viel leichter haben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie das mit der Aufgabenverteilung zu Hause war: Es war selbstverständlich, dass ich als Frau sowohl als Selbstständige gearbeitet als auch alle anderen Pflichten mit übernommen habe. Meine Frage an Sie, sehr verehrte Frau Ministerin: Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Aufgaben wirklich partnerschaftlich geteilt werden?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Man kann sich nicht wirklich in die Diskussion der Paare einmischen; die muss jedes Paar für sich führen. Aber das Gute ist: Die jungen Väter von heute sind schon viel weiter. Jeder zweite Vater sagt: Ich möchte meine Arbeitszeit reduzieren, weil ich mehr für meine Familie da sein möchte. - Jede zweite Mutter sagt: Ich möchte wieder früh in meinen Job einsteigen, aber bitte nicht in einen Minijob, mit dem ich keine Perspektive habe, sondern mit einer guten Perspektive, was die Stunden angeht. Eine Frau hat nur dann die Möglichkeit, wieder gut in ihren Job einzusteigen, wenn sie in der Partnerschaft Unterstützung durch den Mann hat. Eine erste Idee, die Partnerschaftlichkeit zu unterstützen, wurde in den früheren Regelungen zum Elterngeld durch die Partnermonate verwirklicht. Mit dem Partnerschaftsbonus machen wir nun einen viel größeren Schritt. Wir fördern damit die parallele Erwerbstätigkeit und die parallele Zeit für Kinder. Wir geben deswegen den angesprochenen Stundenkorridor vor. Wir wollen keine feste Stundenzahl vorschreiben, wir wollen nur dafür sorgen, dass die Stundenzahl eine Höhe erreicht, die wirtschaftlich trägt, möglichst für beide, für die Frau und den Mann. Wir erhoffen uns von diesem Anreiz, dass sich die Paare, die ein solches Modell wollen, dafür entscheiden und dass vielleicht auch andere Paare sich entsprechende Gedanken machen. Ich glaube nicht, dass es ein familienpolitisches Instrument gibt, das den Familien alleine helfen kann. Es geht immer um einen Mix aus Zeit, Infrastruktur und Geld. Hinter jedem familienpolitischen Instrument sollte aber eine Botschaft stehen. Die Botschaft des ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten ist: Wir wollen, dass ihr Job und Familie vereinbaren könnt und dass ihr es in guter Partnerschaft tut. - Die Partnerschaft zwischen den Geschlechtern stellt auch eine wichtige gleichstellungspolitische Komponente dar.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Dr. Schlegel, SPD-Fraktion.

Dr. Dorothee Schlegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, herzlichen Dank. - Frau Ministerin, ich habe zu diesem Geburtstagsgeschenk, das Sie uns bzw. den Vätern und Müttern machen, noch eine Frage zur Statistik: Wie viele Eltern bzw. wie viele Alleinerziehende werden dieses Angebot wohl annehmen? - Danke schön.

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Es gibt derzeit 45 000 Elterngeldbezieher, die schon während der Elterngeldzeit in Teilzeit arbeiten und dadurch den angesprochenen Nachteil haben. Es gibt derzeit 500 Paare, die sich das partnerschaftlich teilen. Das stärkste Beispiel ist, wenn Mutter und Vater jeweils sieben Monate parallel Elternzeit nehmen. Dann ist aber nach sieben Monaten Schluss mit der finanziellen Unterstützung in Form von Elterngeld. Mit dem ElterngeldPlus können sie die Dauer auf 14 Monate erhöhen. Bei den Berechnungen für das ElterngeldPlus gehen wir von der Basis aus, dass sich künftig mindestens 7 000 Paare für die Partnerschaftsmonate, die partnerschaftliche Aufteilung, entscheiden. Wir werden sehen, wie sich das tatsächlich entwickelt. Das hängt ja auch von den flankierenden Maßnahmen ab, zum Beispiel vom Recht einer Rückkehr in Vollzeit nach Teilzeit.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Fragestellerin erteile ich das Wort Frau Kollegin Dr. Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Die Elternzeit endet ja, wenn das Kind das achte Lebensjahr erreicht. Ich möchte gerne wissen, aus welchem Grund Sie sich entschieden haben, die Grenze beim achten Lebensjahr zu ziehen. Der Gesetzentwurf geht auf den Achten Familienbericht zurück, in dem vorgeschlagen wird, die Altersgrenze bei 14 Jahren zu ziehen. Manche gehen sogar weiter und sprechen sich für eine Grenze bei 18 Jahren aus. Wir wissen, dass zum Bespiel der Übergang in die weiterführende Schule für manche Kinder eine schwierige Lebensphase ist, in der die Eltern eigentlich gern Zeit hätten. Von daher die Frage an Sie: Warum bis zum achten Lebensjahr?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Bis zum 14. Lebensjahr wäre wünschenswert. Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen darüber beraten. Wir verlängern aber nicht nur den Zeitraum, in dem Elterngeld bezogen werden kann, bis zum achten Lebensjahr. Jetzt ist es so, dass am Anfang zwei Jahre Elternzeit genommen werden müssen und nur ein Jahr nach hinten hinaus verlagert werden kann. Mit der vorgesehenen flexiblen Elternzeit sorgen wir dafür, dass zwei Jahre nach hinten hinaus verlagert werden können. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn dieser Zeitraum bis zum 14. Lebensjahr verlängert würde. Wir unternehmen jetzt einen ersten wichtigen Schritt zur Flexibilisierung der Elternzeit. Um das für die Arbeitswelt handhabbar zu gestalten, haben wir uns entschieden, zunächst die Möglichkeit zu schaffen, dass zwei Jahre Elternzeit aufgespart und bis zum achten Lebensjahr des Kindes genommen werden können. Damit müssen Erfahrungen gesammelt werden. Alles andere hätte aus Sicht der Arbeitgeber sehr viel Planungsunsicherheit mit sich gebracht. Das ist ein Kompromiss, den wir in den Verhandlungen gefunden haben. Ich finde es wichtig, dass zumindest die Einschulungszeit berücksichtigt wird. Wir werden das ElterngeldPlus und die Partnerschaftsmonate evaluieren. Wir werden Erfahrungen mit der Elternzeit sammeln. Ich bin gespannt, wie viele Paare von diesem Angebot Gebrauch machen werden. Ich persönlich glaube nicht, dass die Arbeitgeber besorgt sein müssen. Nach meiner Einschätzung werden infolge dieser Flexibilisierung viele sagen: Ich will früh in den Beruf zurückkehren - die meisten wollen nach einem Jahr wieder in den Job einsteigen, meistens nicht in Vollzeit, sondern mit einer vollzeitnahen Teilzeit -; ich habe aber die Sicherheit, dass ich, wenn es aus irgendeinem Grund nicht klappt, wenn es meinem Kind dabei nicht gut geht oder es Probleme bei der Einschulung gibt, noch einmal Elternzeit in Anspruch nehmen kann. - Wir werden sehen, wie viele davon Gebrauch machen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage kommt von der Frau Kollegin Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass Sie mit der Elterngeldreform, die jetzt ansteht, eine Gerechtigkeitslücke schließen, was das Teilelterngeld angeht. Eine andere Gerechtigkeitslücke bleibt aber aus Sicht der Fraktion der Grünen ganz klar bestehen. Sie besteht darin, dass Familien mit einem sehr geringen Einkommen, die ALG II beziehen, von dieser Reform gar nicht profitieren, weil bekanntermaßen das Elterngeld - das gilt auch für alle Reformschritte, die jetzt anstehen - weiterhin beim Regelsatz angerechnet wird. Das ist aus unserer Sicht eine weitere Gerechtigkeitslücke, die man dringend schließen sollte. Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD waren in der letzten Legislaturperiode völlig einer Meinung mit uns, dass das unbedingt angepackt werden sollte. Insofern meine Frage an Sie: Haben Sie das ins Kabinett eingebracht? Gedenken Sie, sich für die Gleichstellung der Eltern, die ein geringes Einkommen beziehen, an dieser Stelle einzusetzen?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Es ist wichtig, dass Eltern, die ein geringes Einkommen haben, durch das Elterngeld unterstützt werden. Das gilt zum Beispiel für Studierende, die neben dem BAföG 300 Euro Elterngeld bekommen. Es ist so, wie Sie es sagen: Wenn Eltern arbeitslos sind, dann können sie 300 Euro Elterngeld beziehen; aber spätestens, wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen, wird es angerechnet. Das wird kritisch gesehen. Wir haben darüber schon in den Koalitionsverhandlungen beraten. Wir haben uns aber nicht darauf geeinigt, Eltern, die ALG II beziehen, das Elterngeld wieder anrechnungsfrei zu zahlen. Ich finde aber, die größere Gerechtigkeitslücke besteht darin, dass diese Eltern vor der Geburt ihres Kindes offensichtlich keine Arbeitsmarktperspektive hatten. Ziel muss es sein, diesen Eltern eine Arbeitsmarktperspektive zu bieten, damit die dauerhafte Ungerechtigkeit, die weit über den Elterngeldbezug hinausgeht, geschlossen wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Fragestellerin gebe ich das Wort Frau Kollegin Schulte, SPD-Fraktion.

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Präsident. - Die Ministerin hat die Vorteile des ElterngeldPlus für die Familien schon gut erläutert. Ich möchte Sie gerne fragen, welche Vorteile die Arbeitgeber vom ElterngeldPlus haben. Die zweite Frage lautet -

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nur eine Frage. Es gibt noch ein paar andere, die Fragen stellen wollen. Deswegen bitte immer nur eine Frage.

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, okay. Entschuldigung.

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Die Arbeitgeber haben aus meiner Sicht immer Vorteile, wenn die Familien gestärkt werden; denn in den Familien sind Frauen und Männer, die als Fachkräfte in der Arbeitswelt gebraucht werden. Unternehmen beschweren sich über den Fachkräftemangel. Insbesondere den Frauen werden in der Arbeitswelt noch nicht die Chancen angeboten, die sie verdient haben und die unsere Unternehmen eigentlich nutzen müssten. Deshalb ist es gut, dass mit dem ElterngeldPlus der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben, insbesondere von Frauen, unterstützt wird. Das haben auch die Arbeitgeber erkannt. Sie unterstützen das ElterngeldPlus mit den Partnerschaftsmonaten. Vereinzelte Stimmen, zum Beispiel die des DIHKChefs Schweitzer, unterstützen die Idee der Familienarbeitszeit, weil man erkannt hat, dass wir die Frauen auch dadurch unterstützen, dass auch die Männer Zeit für Familie haben; denn dadurch haben die Frauen viel bessere Arbeitsmarktperspektiven. Das ist für die Frauen gut, weil sie für ihr Einkommen und für ihre Rente Jobs brauchen, die gut bezahlt werden; aber es ist natürlich auch aus Sicht der Arbeitgeber für die Bekämpfung des Fachkräftemangels gut. Deshalb glaube ich, dass sich auch die Arbeitgeber mit der flexiblen Elternzeit anfreunden können. Wichtig ist, dass in Deutschland beides geht, Familie und Job, und dass es nicht immer ein Gegeneinander ist. Dieses Gegeneinander, dass sich eine Frau zwischen Job und Kindern entscheiden muss - dies betrifft vor allem junge Frauen -, passt nicht in das 21. Jahrhundert.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächste Fragestellerin hat sich Frau Kollegin Yüksel, SPD-Fraktion, gemeldet.

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sie haben eben konkret das ElterngeldPlus genannt. Ich würde Sie bitten, noch einmal konkret auf die Änderungen bei Mehrlingsgeburten einzugehen; denn darüber haben wir heute, glaube ich, noch nicht viel gehört. - Danke.

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Streng genommen gibt es im Gesetz keine Änderung hinsichtlich der Mehrlingsgeburten, sondern eine Klarstellung. Als das Elterngeld eingeführt worden ist, hat man sich für die Mehrlingsgeburten überlegt, neben dem Elterngeld - die Eltern haben einen Anspruch auf Elterngeld für die Dauer von zwölf plus zwei Monaten - einen Mehrlingsbonus von 300 Euro pro Kind zu zahlen. Man hat sich damals entschieden, dieses Geld zur Verfügung zu stellen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die finanziellen Aufwendungen natürlich höher sind, wenn es zum Beispiel zwei Kinder sind. Das fängt ganz schlicht beim Windelkauf an. Jeder, der ein Kind hat, weiß, wie viel das kostet. Diese 300 Euro gibt es weiterhin. Das Sozialgericht hat geurteilt, dass die Frage, ob diese Eltern für zwei Kinder einmalig oder zweimalig zwölf plus zwei Monate Elterngeld beziehen können, im Gesetz nicht klar geregelt ist. Das Gericht sagt: Weil es nicht klar ist, bekommen die Eltern beides, doppeltes Elterngeld und den Mehrlingsbonus von 300 Euro. Wir schaffen an dieser Stelle eine gesetzliche Klarstellung und machen das Gesetz korrekter. Für die Mehrlingseltern wird es weiterhin diese 300 Euro geben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächste Fragestellerin hat Frau Kollegin Pantel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Ministerin, dass das eine große Verbesserung für die Familien ist, ist, glaube ich, unbestrit3290 ten, egal ob es der Partnerschaftsbonus ist, ob es die flexibler gestaltete Wiedereingliederung ist oder eben auch die Verbesserung der finanziellen Lage der Familien. Wann haben Sie vor, uns vorzustellen, wie was von den Familien angenommen wurde? Gibt es da schon einen festen Zeitplan? Wann, glauben Sie, können Sie uns die ersten Ergebnisse berichten?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Ich würde mich freuen, wenn das parlamentarische Verfahren es ermöglicht, dass das Parlament das Gesetz zum 1. Januar 2015 verabschiedet, sodass das ElterngeldPlus und die Partnerschaftsmonate für alle Geburten ab 1. Juli 2015 gelten können. Die Änderungen müssen vor Ort noch umgesetzt werden. Die Elterngeldstellen, die sich in den Ländern befinden, müssen das natürlich ordentlich umsetzen und die Paare gut beraten können. Diese tolle Flexibilität, die es dadurch gibt, bedeutet natürlich gleichzeitig, dass man Paare darüber gut beraten können muss. Dafür braucht man Zeit. Als ehemalige Landesministerin weiß ich, dass man für die Umsetzung einen Zeitpuffer braucht. Das Gesetz könnte dann ab 1. Juli 2015 zu wirken beginnen. Wir haben geplant, 2017 mit der Evaluation zu beginnen, weil wir natürlich ein Stück Strecke brauchen, um zu schauen, wie es wirkt. Wir können dann in 2017 erste Evaluationsergebnisse vorlegen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Wunderlich hat noch eine Frage.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

25 bis 30 Wochenarbeitsstunden sind völlig utopisch, sagt auch der VAMV. Bei Alleinerziehenden funktioniert das gar nicht. Aber davon einmal abgesehen: Warum sollen denn Alleinerziehende, die mit dem Kindesvater das gemeinsame Sorgerecht haben, von den Partnermonaten, vom ElterngeldPlus ausgenommen werden? Es läuft doch gerade den Sorgerechtsregelungen, für die wir in der letzten Legislaturperiode gekämpft haben, nämlich dem Sorgerecht bzw. der Sorgepflicht für beide Eltern, zuwider, wenn alleinerziehende Mütter oder Väter oder Paare, die nicht verheiratet sind und zusammenleben, letztlich vor die Alternative gestellt werden: entweder ElterngeldPlus und Bonus oder gemeinsames Sorgerecht in alleiniges Sorgerecht ändern. Man muss sich entscheiden zwischen dem gemeinsamen Sorgerecht für das gemeinsame Kind oder für die Partnermonate. Das kann doch nicht der Sinn sein. Ich denke, darüber müssen wir im Rahmen der Gesetzgebung dringend reden. Ich denke, da ist wirklich Änderungsbedarf angesagt. Oder sehen Sie das anders?

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich das, was Sie sagen, richtig verstanden habe. Ich verstehe den Punkt, den Sie ansprechen, nicht. ({0}) - Ja, in Bezug auf Alleinerziehende verstehe ich das schon. Es ist doch jetzt so: Bei einem gemeinsamen Sorgerecht müsste es in unserem Interesse sein, dass sich zum Beispiel auch die Väter an der Elternzeit beteiligen; das ist bei einem gemeinsamen Sorgerecht ja nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Jetzt komme ich zu den Alleinerziehenden, bei denen das gemeinsame Sorgerecht - ich sage es einmal salopp eher auf dem Papier steht, in der Realität aber nicht praktiziert wird, weil die Frau doch ganz alleine mit dem Kind ist. Über diese Fälle haben wir gesprochen, auch mit dem Verband. Da muss man sich aber fragen: Welche praktische Lösung gibt es? Wir können ja nicht die Elterngeldstellen beauftragen, das zu überprüfen; das wäre ein bisschen schwierig. In dem Fall, in dem eine Alleinerziehende das alleinige Sorgerecht hat, sie also definitiv alleine für das Kind verantwortlich ist, kann sie zusätzlich zu den Regelungen, von denen sie Gebrauch machen kann - oder er; es gibt ja auch alleinerziehende Männer mit alleinigem Sorgerecht -, die vollen Partnerschaftsmonate und Boni bekommen. Was die Wochenstunden anbetrifft, würde ich Ihnen gerne mitgeben: Es muss unser Interesse sein, dass Alleinerziehende wenigstens durch die genannte Zahl von Wochenstunden abgesichert sind. Dass das in der Realität oft nicht der Fall ist, weil es keine adäquate Kinderbetreuung gibt, ist ein zusätzliches Problem. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch bei diesem Thema vorankommen. Ich wundere mich über Ihre Aussage, weil ich weiß, dass gerade Sie - völlig zu Recht - kritisieren, dass es nicht sein kann, dass viele betroffene Frauen nur wenige Wochenstunden arbeiten und daher keine gute existenzielle Absicherung haben. Der Korridor von 25 bis 30 Stunden soll dazu führen, dass man nicht sagt: „Na gut, wenn die Frau noch zehn Stunden Teilzeit macht, dann ist die Welt ja wieder in Ordnung“; er soll dazu beitragen, dass die Frau eine höhere Stundenzahl bekommt. Es ist so, wie Sie sagen: Das ist eine Sache, die wir im parlamentarischen Verfahren gerne noch vertiefen können. Ich wollte nur berichten, warum der Korridor zustande gekommen ist, nämlich deshalb, weil es auch um die wirtschaftliche Existenz geht. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Gibt es noch weitere Fragen zum Thema der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es andere Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Regierungsbefragung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde Drucksache 18/1589 Vizepräsident Peter Hintze Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Sevim Dağdelen und die Fragen 3 und 4 der Abgeordneten Agnieszka Brugger werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Günter Krings bereit. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Andrej Hunko auf: Welche Antworten bzw. sonstigen Hinweise kann die Bundesregierung ein Jahr nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden zur weltweiten Spionagepraxis von US-Behörden über die erhoffte „zeitnahe Beantwortung“ auf die zahlreichen „übermittelten Fragenkataloge“ mitteilen ({0}), und inwiefern bzw. in welchem Umfang hat die Bundesregierung mittlerweile zwar Antworten erhalten oder Erkenntnisse gewonnen, sich allerdings dagegen entschieden, diese „dann auch dem Parlament öffentlich bekannt geben ({1}) können“ ({2})? Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Hunko, das Bundesministerium des Innern hat mit Schreiben vom 11. Juni, mit Schreiben vom 26. August und mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 Fragen an die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin gerichtet. Auf keines dieser Schreiben - wie in den Medien, glaube ich, schon bekannt geworden ist - liegt bisher eine entsprechende Antwort vor. Die Botschaft des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland in Berlin wurde mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 24. Juni 2013 um Beantwortung eines Fragenkatalogs gebeten. Sie antwortete am gleichen Tag, dass die britische Regierung grundsätzlich zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten nicht öffentlich Stellung nehme; derartige Gespräche seien der Ebene der Nachrichtendienste vorbehalten. Weitere Fragen wurden der britischen Botschaft mit Schreiben vom 5. November 2013 gestellt. Darauf wurde am 7. November, zwei Tage später, geantwortet; es wurde für die weitere Sachverhaltsaufklärung erneut auf die Ebene der Nachrichtendienste verwiesen. Die damalige Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat sich bereits kurz nach dem Bekanntwerden der Vorgänge mit Schreiben vom 12. Juni 2013 an US-Justizminister Eric Holder gewandt und ihn darum gebeten, die Rechtsgrundlage für Prism und seine Anwendung zu erläutern. Sie hat US-Justizminister Holder mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 an die gestellten Fragen erinnert. Eine Antwort des US-Justizministeriums an das deutsche Justizministerium liegt nach unserem Wissen bisher nicht vor. Mit Schreiben vom 24. Juni 2013 hat die damalige Bundesministerin der Justiz ebenfalls kurz nach dem Bekanntwerden der entsprechenden Vorgänge, den britischen Justizminister Christopher Grayling und die britische Innenministerin Theresa May gebeten, die Rechtsgrundlage für Tempora und dessen Anwendungspraxis zu erläutern. Der britische Justizminister hat auf das Schreiben der damaligen Bundesministerin der Justiz mit seinem Schreiben vom 2. Juli 2013 geantwortet. Darin erläutert er die rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit der britischen Nachrichtendienste und für deren Kontrolle. Vertreter der Bundesregierung haben sich in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der amerikanischen und der britischen Regierung für eine zeitnahe Beantwortung der übermittelten Fragenkataloge eingesetzt und im Rahmen dieser Gespräche auch Sachverhalte erörtert, die Gegenstand der Fragenkataloge waren. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass sich die Fragestellungen mit der Aufklärungsarbeit des 1. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode, die von der Bundesregierung unterstützt wird, überschneiden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege Hunko?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Vielen Dank, Herr Dr. Krings. Morgen ist, glaube ich, der Jahrestag der Snowden-Enthüllungen. Es gab, wie Sie gerade erwähnt haben, eine Reihe von Schreiben der Bundesregierung an die USA, die offenbar alle, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht beantwortet worden sind. Meine Frage ist: Sind Sie der Meinung, dass hier mit genug Nachdruck vorgegangen wurde, oder welche Mittel sehen Sie, noch zu einer Antwort zu kommen? Oder sind Sie der Meinung, dass es bei dieser Nichtbeantwortung bleiben wird? Dann müsste man ja sagen, dass es keine Antwort geben wird, und das entsprechend kommunizieren.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Abgeordneter, ich teile die Feststellung - das habe ich ja im Prinzip detailliert, wie es gewünscht war, aufgelistet -: Es gab Schreiben, die seitens der Amerikaner unbeantwortet geblieben sind. Von daher habe ich bereits in einer Bundestagsrede vor einigen Monaten gesagt, dass das Antwortverhalten der Amerikaner im Hinblick auf diese konkreten Fragen absolut unbefriedigend ist; das ist offensichtlich. Die Briten haben geantwortet, allerdings nur in formaler Hinsicht und auf den Verweis auf die nachrichtendienstlichen Verbindungslinien und Gesprächskanäle beschränkt. Insofern sind die Antworten auf diese konkreten Fragestellungen in der Tat unbefriedigend. Es gibt keine völkerrechtlichen Zwangsmittel, die da in Betracht kommen. Es gibt allerdings durchaus Gespräche zwischen den Nachrichtendiensten, auch zwischen den Regierungen. Der Bundesinnenminister war erst kürzlich in den Vereinigten Staaten. Über die The3292 men wird also gesprochen, übrigens - das kann ich bei dieser Gelegenheit feststellen - eher in den USA als in Großbritannien, wenn Sie mir diese persönliche Einschätzung gestatten. Die Kritik aus Deutschland - seitens der Bundesregierung, aber auch aus anderen Kreisen in Deutschland - hat durchaus Widerhall gefunden. Es gab sehr konkrete Ankündigungen des amerikanischen Präsidenten, die natürlich noch nicht im Einzelnen umgesetzt sind, dass sich Dinge verändern werden, auch im Hinblick auf den Schutz nichtamerikanischer Staatsbürger vor entsprechenden Aktivitäten. Es gibt insofern schon Widerhall, aber eben keine Beantwortung der konkreten Fragestellungen; dafür fehlen uns in der Tat denkbare Zwangsmittel.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Hunko? Bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Noch einmal die konkrete Frage: Rechnen Sie noch mit einer Beantwortung, oder rechnen Sie nicht mehr mit einer Beantwortung der Fragen?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich rechne nicht mit einer Beantwortung der konkreten Schreiben. Ich rechne aber damit - und bin da sogar sehr zuversichtlich -, dass wir über die Themen, die dort angesprochen werden, weiter im Gespräch bleiben und es dort auch weitere Reaktionen geben wird und auch Veränderungen erfolgen werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Frage dazu vom Kollegen Ströbele, Bündnis 90/ Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Staatssekretär. Da bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen. Ich erinnere mich an den letzten Sommer ganz gut: Da waren in der Tat sowohl Minister als auch die Chefs der Dienste in den USA. Sie kamen wieder und haben gesagt: Die Fragen, die die Bundesregierung schriftlich an die US-Regierung gestellt hat, werden - so hieß es erst - innerhalb von sechs Wochen beantwortet, weil zuvor noch einige Dokumente heruntergestuft werden müssen. Dann waren sie wieder da, und als sie zurückkamen, wurde gesagt: Das dauert noch ein bisschen. Der Termin für die Beantwortung wurde dreimal verschoben. Der Endtermin, den ich mitbekommen habe, war Mitte Dezember 2013, also kurz vor Weihnachten. Das war dann aber auch nicht der Fall. Herr de Maizière war jetzt dort zu Besuch, was sicher richtig und wichtig war. Hat er bei dieser Gelegenheit etwas dazu gesagt? Hat er gefragt, warum sie ihre festen Versprechen nicht einhalten? Oder waren das keine Versprechen? Sie haben selber gesagt, sich auch darüber geärgert zu haben, dass es keine Antworten gibt. Versucht man, der Sache auf den Grund zu gehen, warum das nicht der Fall ist und wie das entschuldigt wird?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich kann und will jetzt keine Einzelheiten aus den vertraulichen Gesprächen des Ministers mit amerikanischen Stellen berichten. Wichtig und richtig ist aber - ich glaube, das ist heute im Innenausschuss auch hinreichend zum Ausdruck gekommen -, dass genau die Themen, die Gegenstand der schriftlichen Anfragen waren, auch in den Gesprächen des Ministers zur Sprache gekommen sind. Über diese Themen wird also gesprochen, und zwar nicht nur auf dieser Ebene, sondern auch auf fachlicher Ebene zwischen den Ministerien und den Nachrichtendiensten. Dass die Briefe mit den konkreten Anfragen unbeantwortet geblieben sind, halte auch ich für unbefriedigend. Das heißt aber nicht, dass wir nicht zuversichtlich sind, bei diesen Themen weiterzukommen und Informationen zu erhalten. Im Übrigen wäre es auch noch nicht befriedigend und keine hinreichende Antwort auf die Briefe gewesen, wenn bestimmte Rechtsregeln und Entscheidungen von amerikanischen Gerichten heruntergestuft worden wären, was einmal in Aussicht gestellt worden ist. Es ist jetzt wichtig, dass wir den Dialog mit den Amerikanern vertiefen. Dafür gibt es unter anderem den Cyber-Dialog, den das Auswärtige Amt mit den Amerikanern jetzt beginnt, um in den Themen weiterzukommen, um Lösungen zu finden und um die amerikanische Praxis gegenüber deutschen Staatsbürgern zu verändern. Darum geht es jetzt, nicht so sehr darum, sklavisch zu sagen: Wir haben bestimmte Fragen in den Briefen gestellt, die jetzt beantwortet werden müssen. - Das wäre zwar wünschenswert und richtig; aber mir geht es jetzt um den Erfolg in der Sache und nicht um diese drei Briefe aus dem letzten Jahr.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Andrej Hunko, Fraktion Die Linke: Welche weiteren Details kann die Bundesregierung zu Inhalt, Dauer, Kostenübernahmen und Teilnehmern des unter Federführung des Bundeskriminalamts organisierten Expertenaustauschs beim Spezialeinsatzkommando Hannover zur Fortbildung der Spezialkräfte der brasilianischen Militärpolizei Batalhão de Operações Policiais Especiais, BOPE, und der Divisão de Operações Especiais, DOE, in Vorbereitung auf die Fußball-WM in Brasilien mitteilen, und inwiefern wurde Erkenntnissen der Bundesregierung über die in der städtischen Kriegsführung spezialisierten BOPE bezüglich etwaiger unverhältnismäßiger Gewalteinsätze, einer rigorosen und aggressiven Grundhaltung und von der brasilianischen Zivilgesellschaft und internationalen Menschenrechtsorganisatoren geäußerten Kritik an der Einheit, die sich im Siegerfilm der Berlinale 2008 Tropa de Elite widerspiegeln, bei der Fortbildung Rechnung getragen?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Hunko, grundsätzliches Ziel aller Maßnahmen der polizeilichen Aufbauhilfe ist natürlich auch die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie verfolgt das Ziel, bestehende Reformprozesse in den jeweiligen Empfängerstaaten voranzubringen. Die Bundesregierung orientiert sich hierbei nicht an fiktiven Filmen wie dem von Ihnen erwähnten Film Tropa de Elite, der auch bereits einige Jahre alt ist, sondern an den eigenen Grundsätzen für polizeiliche Aufbauhilfe. Zudem darf ich erwähnen, dass die in diesem Film offenbar thematisierten Sondereinheiten in Rio de Janeiro unter ganz anderen - auch dramatischen - Bedingungen und einer ganz anderen Sicherheitslage arbeiten müssen als die von der Maßnahme, um die es hier geht, begünstigten Einheiten aus der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Schon aus diesem Grund ist ein Vergleich mit einem solch fiktiven Film aus meiner Sicht unsinnig. Im konkreten Fall wurde am 30. Januar 2013 über den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes ein bereits mehrfach vorgetragenes Ersuchen des Innenministers des brasilianischen Bundesstaates Distrito Federal rund um die Hauptstadt Brasilia zur Fortbildung von Spezialkräften der BOPE und der DOE in Vorbereitung auf die anstehenden Großereignisse - Fußballweltmeisterschaft 2014 und Olympische Spiele 2016 - in Brasilien übermittelt. Das Ersuchen wurde sowohl durch das Bundesministerium des Innern als auch durch das Auswärtige Amt geprüft und die Umsetzung vor dem Hintergrund der Stärkung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit befürwortet. Aufgrund des positiven Votums wurde das Ersuchen schließlich über die Bund-Länder-Koordinierungsstelle für polizeiliche Aufbauhilfe an das Landeskriminalamt Niedersachsen in Hannover, Bereich Spezialeinsatzkommando - SEK -, vermittelt. Das entsprechende Einsatzkommando SEK Niedersachsen führte daraufhin vom 28. Oktober bis zum 15. November 2013 in Deutschland einen Fortbildungslehrgang durch, welcher vom Bundeskriminalamt mit 8 650 Euro finanziell unterstützt wurde. Insgesamt nahmen zehn brasilianische Vollzugsbeamte an der Veranstaltung teil. Während der dreiwöchigen Ausbildungsmaßnahme wurden das Sicherheitskonzept Fußball am Beispiel eines Bundesligaspiels, verschiedene Taktiken unter anderem bei Bus- und Flugzeuginterventionen im Falle von Geiselnahmen und das Personenschutzkonzept vermittelt sowie Schießübungen durchgeführt und Selbstverteidigungstechniken eingeübt. Die jeweiligen Inhalte wurden stets nach rechtsstaatlichen Grundsätzen vermittelt. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit bei solchen Maßnahmen und Strategien zur Deeskalation waren und sind zentrale Inhalte derartiger Lehrgänge.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege Hunko?

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, vielen Dank. - Ich will noch einmal erläutern, worum es geht. Durch deutsche Polizeien wird eine, so kann man sagen, höchst umstrittene brasilianische Militärpolizei aus- und fortgebildet, die nicht nur in dem Film, sondern auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International wegen ihrer Brutalität kritisiert wird. Das Logo dieser brasilianischen Polizei zeigt einen Totenkopf mit zwei Revolvern und einem Schwert. Dies alles findet vor dem Hintergrund der bald beginnenden WM statt. In Brasilien gibt es aus meiner und auch aus unserer Sicht zu Recht Proteste, weil die Bevölkerung aus ihren Wohnvierteln vertrieben wird und im sozialen Bereich ein eklatanter Mangel herrscht, während gleichzeitig teure Stadien gebaut werden. Halten Sie es vor diesem Hintergrund für sinnvoll, eine solche Militärpolizei in Deutschland fortzubilden?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich erkenne durchaus an, dass es im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien Fragestellungen gibt. Sie haben auf die sozialen Missstände hingewiesen; es gibt auch andere Bereiche. Aber das heißt natürlich nicht, dass wir an der Sicherheit der Fußballer und auch der Fans aus Deutschland, die nach Brasilien reisen, kein Interesse haben. Im Übrigen gilt das auch für nichtdeutsche Teilnehmer und Fans in Brasilien. Wir wollen natürlich, dass diese Fußballweltmeisterschaft - die Entscheidung für Brasilien ist so getroffen worden sicher ablaufen wird. Teil des Sicherheitskonzepts sind offensichtlich auch Militärpolizeieinheiten, die - noch einmal - in den verschiedenen Teilen Brasiliens sehr unterschiedlich operieren. Die Sicherheitslage in Rio de Janeiro, die Sie in Ihrer Frage als Anknüpfungspunkt genommen haben, ist offenbar eine ganz andere als die in Brasilia, der Hauptstadt, die durch Gewalttaten nicht in dem Maße aufgefallen ist, wie wir das zum Teil von anderen Teilen Brasiliens hören mussten oder wie es von den Medien kolportiert worden ist. Insofern ist die Zusammenarbeit mit diesen Einheiten absolut gerechtfertigt, umso mehr, als es gerade auch darum geht, rechtsstaatliche Prinzipien und Deeskalationsprinzipien in die Ausbildung einfließen zu lassen. Insofern glaube ich, dass wir einen Beitrag zu einem Mehr an Sicherheit bei dieser Fußballweltmeisterschaft, aber auch zu einem Mehr an Rechtsstaatlichkeit bei den Sicherheitskräften geleistet haben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Frage? - Bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist sehr häufig so, dass, wenn es um umstrittene Sicherheitskooperationen geht, argumentiert wird: Wir kümmern uns darum, dass rechtsstaatlich und deeskalativ vorgegangen wird und dass die Menschenrechte beachtet werden. - Können Sie konkretisieren, in welcher Form das in die Fortbildung eingeflossen ist?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich darf noch einmal darauf hinweisen: Teil des Sicherheitskonzeptes bzw. des Lehrgangskonzeptes sind Deeskalationsstrategien, beispielsweise der in Deutschland juristisch entwickelte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei staatlichen und polizeilichen Maßnahmen. Das ist ein zentraler Teil der Lehrgangsinhalte, nicht nur im Fall Brasiliens, sondern auch bei anderen Kooperationen mit Ländern. Man mag bestimmte Kritikpunkte formulieren; aber ich bin mir sehr sicher, dass das, was wir in Deutschland an Ausbildung vermitteln konnten, zu mehr Rechtsstaatlichkeit geführt hat und im Ergebnis nicht nur der Sicherheit, sondern auch dem Vorgehen, im positiven Sinne auch dem bürgerrechtlichen Vorgehen der Kräfte zugutegekommen ist.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die Frage 7 der Kollegin Halina Wawzyniak wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister zur Verfügung. Ich rufe Frage 8 des Kollegen Dr. Gerhard Schick auf: Bedeuten die Äußerungen des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, der bei einer Veranstaltung am 30. April 2014 an der Universität Bielefeld Medienberichten zufolge ({0}) gesagt hat: „OMT - wir werden die Voraussetzungen dafür nicht schaffen, das geht nur einstimmig. … Denn Entscheidungen des ESM sind einstimmig, und wir werden ein solches Programm nach dieser Ankündigung der EZB nicht beschließen“, dass die Bundesregierung keinem Unterstützungsprogramm für einen Staat der Euro-Zone im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, mehr zustimmen wird, da dadurch die Europäische Zentralbank, EZB, die Möglichkeit erhielte, im Rahmen ihres Programms „Outright Monetary Transactions“, OMT, bei Bedarf unbegrenzt Staatsanleihen dieses Staates zu kaufen? Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Vielen Dank, Herr Präsident. - Der ESM wird aktiv, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des EuroWährungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist. Ein Programm muss zudem mit strenger Konditionalität hinsichtlich der notwendigen Reformen versehen sein. Nur wenn alle Voraussetzungen nach dem ESM-Vertrag vorliegen und der Deutsche Bundestag zugestimmt hat, darf der deutsche Gouverneur im ESMRat einer Hilfe zustimmen. Das sind die zentralen Voraussetzungen, unter denen die Bundesregierung auch künftig ein verlässlicher Partner sein wird. Die wirtschaftliche Lage im Euro-Raum hat sich deutlich stabilisiert. Die Krisenpolitik der Währungsunion hat sich daher als äußerst erfolgreich erwiesen. Durch Strukturreformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kommen die Programmländer allmählich auf einen nachhaltigen Wachstumskurs. Das Vertrauen der Kapitalmärkte in Anlagen im Euro-Raum ist wieder deutlich gestiegen. Spanien, Irland und zuletzt auch Portugal haben ihre Programme erfolgreich abgeschlossen und können sich wieder selbstständig an den Kapitalmärkten refinanzieren. Es gibt daher keinen Anlass, über ein neues ESM-Programm zu spekulieren.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Dr. Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das beantwortet meine Frage leider nicht. Das Zitat, das ich in meiner Frage angeführt habe, ist eindeutig. Es geht nicht darum, ob man das Programm braucht oder nicht; vielmehr heißt es in dem Zitat des Ministers in Bezug auf das entsprechende Maßnahmenprogramm OMT der Europäischen Zentralbank: „… wir werden die Voraussetzungen dafür nicht schaffen“, und weiter: „… wir werden ein solches Programm nach dieser Ankündigung der EZB nicht beschließen“. Darin geht es nicht darum, dass die wirtschaftliche Lage so ist, wie sie ist, und es geht auch nicht darum, ob es irgendwelche Bedingungen gibt, sondern es ist ein klares politisches Statement. Meine Frage ist: Steht die Bundesregierung zu dieser Aussage „Wir werden ein solches Programm nicht beschließen“, oder folgt die Bundesregierung dem, was Sie gerade vorgetragen haben, und korrigiert insofern den Bundesfinanzminister? Das sind nämlich zwei unterschiedliche Aussagen. Ich glaube, es ist wichtig, dass das im Parlament geklärt wird.

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Herr Kollege Schick, das, was ich eben vorgetragen habe, ist die Position der Bundesregierung, zu der auch der Bundesfinanzminister steht. Er hat mit seiner Äußerung deutlich gemacht, dass ohne Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland ein entsprechendes Programm nicht auf den Weg gebracht werden kann.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist die Äußerung des Bundesfinanzministers, die ich zitiert habe, insofern missverständlich gewesen und durch Ihre heutigen Äußerungen korrigiert worden?

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Meine Äußerung heute entspricht der gemeinsamen Haltung des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung. Ich habe nicht entdecken können, Herr Kollege Schick, dass daran etwas missverständlich ist.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Dr. Axel Troost und die Frage 11 des Kollegen Volker Beck werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 12 des Kollegen Volker Beck, die Frage 13 der Kollegin Veronika Bellmann und die Fragen 14 und 15 des Kollegen Markus Kurth werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Frage 16 des Kollegen Harald Ebner wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Inwieweit trifft es zu, dass die Bundesregierung in ihren Haushaltsentwurf 2014 ({0}) bereits mehrere Hundert Millionen Euro eingestellt hat zur Verausgabung schon ab 2014 - nebst Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre - für die Beschaffung militärischer Drohnen MALE-UAS im System SAATEG, obwohl die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, mehrfach öffentlich erklärt hatte, vor solchen Beschaffungsentscheidungen müsse eine vertiefte „gesellschaftliche Debatte über den Einsatz von Drohnen“ stattfinden und es gebe „aktuell keinen Entscheidungsdruck“ ({1}), und hält die Bundesregierung an der Zustimmung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Beschluss des Rates der europäischen Staats- und Regierungschefs vom 19./20. Dezember 2013 fest, prioritär eine europäische militärische Drohne zu „entwickeln“ ({2}), obwohl das Bundesministerium der Verteidigung durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr „marktverfügbare“ Systeme primär von fünf außereuropäischen Anbietern untersuchen ließ ({3}) und nachdem nun kürzlich die Bundesministerin der Verteidigung ein entsprechendes Angebot dreier europäischer Unternehmen „heftig, brüsk und knapp“ zurückwies ({4})? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe bereit. Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Ströbele, ich antworte Ihnen wie folgt: Die im Haushaltsentwurf 2014 vorgesehenen Haushaltsmittel für die Realisierung eines durch Piloten ferngesteuerten Luftfahrzeugs der MALE-UAS-Klasse - MALE-UAS steht für Medium Altitude Long Endurance Unmanned Aerial System sind Mittel, die bei einer Beschaffungsentscheidung im Jahr 2014 für einen Kauf von unbemannten Aufklärungssystemen verwendet werden könnten. Mit der Einarbeitung dieser Werte in den Haushaltsentwurf ist keine Entscheidung für die Beschaffung eines solchen Systems präjudiziert. Ein Vertragsschluss für den Kauf eines marktverfügbaren unbemannten Aufklärungssystems als sogenannte Überbrückungslösung zur kurzfristigen Schließung der bestehenden Fähigkeitslücke würde im Rahmen der etablierten Verfahren erst nach der parlamentarischen Billigung einer entsprechenden Beschaffungsvorlage, einer sogenannten 25-Millionen-EuroVorlage, erfolgen. Unabhängig davon unterstützt das Bundesministerium der Verteidigung grundsätzlich die Ratsschlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember 2013. Darin begrüßt der Europäische Rat „die Entwicklung von ferngesteuerten Flugsystemen ({0}) im Zeitrahmen 2020-2025: Vorarbeiten für ein Programm für die nächste Generation von europäischen ferngesteuerten Flugsystemen mit mittlerer Flughöhe und großer Flugdauer ({1})“. So weit das Zitat. Eine deutsche Beteiligung an weiteren Arbeiten ist damit nicht präjudiziert. Entscheidungen in Bezug auf die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden nicht vor der im Koalitionsvertrag vereinbarten Prüfung völker- und verfassungsrechtlicher, sicherheitspolitischer und ethischer Fragen getroffen. Die erwähnte Untersuchung des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr zu alternativen MALE-Plattformen dient einer generellen Markterkundung mit Blick auf verfügbare MALE-Systeme.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, den ersten Teil Ihrer Antwort habe ich nicht ganz verstanden. Es wird eine nicht unerhebliche Millionensumme in den Haushalt eingestellt, und Sie sagen: Ob sie genutzt wird, also ob wir das Geld tatsächlich brauchen, wissen wir noch gar nicht. - Das wird dann ab 2014, also ab diesem Jahr, für einen längeren Zeitraum bewilligt, und zwar mit Verpflichtungsermächtigungen. Dabei wissen Sie noch gar nicht, ob das genutzt wird, weil die Diskussion, die Sie zu Recht einfordern, noch nicht stattgefunden hat. Man braucht doch keine Mittel einzustellen, wenn man noch gar nicht weiß, ob man sie nutzen will.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Ströbele, zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen - es war der Kürze der Antwort geschuldet, dass ich darauf noch nicht ausdrücklich eingegangen bin; aber es ist sicherlich auch keine neue Information für Sie -, dass das Haushaltsrecht das Königsrecht des Parlaments ist und dass der Deutsche Bundestag, dem Sie genauso angehören wie ich, über den Haushalt 2014 noch gar nicht beschlossen hat. Daher bin ich an dieser Stelle in der Verlegenheit, etwas zu kommentieren, was der, dessen Recht es ist, abschließend darüber zu entscheiden, nämlich der Deutsche Bundestag, noch gar nicht entschieden hat. Ich beziehe mich nur auf den Haushaltsentwurf, der seitens der Bundesregierung eingebracht wurde. Dazu gehört natürlich, dass für verschiedene Fälle Vorsorge getroffen wird und entsprechende Mittel bereitgestellt werden müssen, im Übrigen für dieses Jahr für militärische Beschaffung in einem überschaubaren Umfang um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen. Das ist ein völlig übliches Verfahren, Herr Kollege Ströbele. Das kann auch gar nicht anders sein. Wir als Deutscher Bundestag können keine Beschlüsse fassen, für die im Haushalt keine Vorsorge getroffen ist. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Morgen wird über die Verlängerung des KFOR-Mandats im Kosovo entschieden. Nach dem Antrag der Bundesregierung wird dieses Mandat bis in das nächste Jahr verlängert. Selbstverständlich ist auch dafür im Entwurf des Haushalts 2014 Vorsorge getroffen, genauso wie in der Planung für 2015. Wenn der Deutsche Bundestag der Verlängerung dieses Mandats nicht zustimmt, wird das Geld dafür selbstverständlich nicht gebraucht. Wenn aber entsprechende Beschlüsse gefasst werden, müssen diese auch finanziell unterlegt sein. Das ist ganz normales Haushaltsrecht.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Unterschied besteht darin, dass die Soldaten schon da sind. Aber darauf will ich nicht näher eingehen. Auch den zweiten Teil meiner Frage sehe ich als nicht beantwortet an. Die Frau Bundeskanzlerin hat zu dem Beschluss des Europäischen Rates - den haben Sie eben zitiert -, in dem festgelegt werden sollte, dass prioritär eine europäische militärische Drohne entwickelt werden soll, gesagt, dass sie das unterstützt und richtig findet. Aber einige Zeit später wird - wenn das, was in der FAZ zu lesen war, stimmt - heftig, brüsk und knapp zurückgewiesen, dass die drei europäischen Unternehmen, die ein entsprechendes Angebot unterbreitet haben, in Betracht kommen.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Zunächst lege ich Wert auf die Feststellung, Herr Ströbele, dass der von Ihnen behauptete Unterschied so nicht besteht. Es geht nicht darum, dass Soldaten schon irgendwo sind. Wenn aus Sicht der Bundesregierung Mandate verlängert werden sollen, dann kann dies nur geschehen, wenn im Haushalt entsprechend Vorsorge getroffen wird. Wenn keine Verlängerung erfolgt, werden die Soldaten abgezogen. Dann mögen dafür in dem entsprechenden Jahr außerplanmäßig Kosten entstehen. Aber die für den Einsatz im Haushalt vorgesehenen Mittel werden dann nicht verausgabt werden müssen. Darüber hinaus gibt es den von Ihnen angesprochenen bzw. skizzierten Widerspruch nicht. Ich habe Ihnen gesagt, dass das Bundesministerium der Verteidigung zu dem steht, was der Europäische Rat im Hinblick auf dort zu leistende Entwicklungsarbeiten beschlossen hat. Die Bundesministerin der Verteidigung hat in dem Artikel, den Sie ansprechen, darauf hingewiesen, wie es üblicherweise sein sollte, nämlich dass die Politik eine Lücke in der militärischen Fähigkeit feststellt und sich dann mit der Frage an die Industrie wendet, welches Unternehmen eine Lösung dafür anbieten kann. Das ist das übliche Verfahren. Wir sind bei weitem noch nicht in diesem Stadium. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass für den 30. Juni eine öffentliche Anhörung des Verteidigungsausschusses mit dem Titel „Völker-, verfassungsrechtliche sowie sicherheitspolitische und ethische Aspekte im Zusammenhang mit unbemannten Luftfahrzeugen, die über Aufklärung hinaus auch weitergehende Kampffähigkeiten haben“ geplant ist. Das ist aus Sicht der Bundesregierung und - so denke ich - der sie tragenden Koalitionsfraktionen ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte, die wir über dieses Gebiet führen wollen. Ich bin dankbar, dass diese Anhörung einvernehmlich - das ist mein Kenntnisstand -, im Konsens der Obleute, beschlossen worden ist. Das ist die Debatte, die wir jetzt führen wollen. Entscheidungen sind in keiner Weise getroffen worden. Dazu verweise ich auf die Antwort, die ich Ihnen schon gegeben habe, nämlich dass mit der Unterstützung der Ratsschlussfolgerung eine deutsche Beteiligung an weiteren Arbeiten nicht präjudiziert ist. Es gibt keinerlei Präjudiz über eine bestimmte Entwicklung, die wir selbst wollen, oder über den Kauf von bestimmten Systemen. Die von Ihnen angesprochene Antwort meines Vorgängers Christian Schmidt auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Hunko macht auch deutlich, dass dem, was das BAAINBw dort untersucht hat, keine konkrete Beschaffungsabsicht zugrunde lag. Ich bitte deshalb, nichts hineinzuinterpretieren, wo nichts hineinzuinterpretieren ist, weil noch nichts entschieden ist und noch keine Debatten geführt worden sind, insbesondere noch nicht abschließend.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Elke Ferner bereit. Ich rufe Frage 18 der Abgeordneten Veronika Bellmann auf: Welche Perspektiven haben Schulverweigererprojekte aus dem Förderprogramm „Die 2. Chance“, die ursprünglich am 31. Dezember 2013 auslaufen sollten, aber bis zum 30. Juni 2014 unter der Maßgabe verlängert wurden, bis dahin verlässliche Rahmenbedingungen für eine Fortführung der Projekte zu schaffen, und wie sieht der neue Zeitplan dafür aus? Frau Staatssekretärin, bitte.

Elke Ferner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000535

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Bellmann, das ESF-Bundesprogramm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“ wäre regulär Ende Dezember 2013 beendet gewesen und wurde einmalig bis Ende Juni 2014 verlängert. Die Schulverweigererprojekte haben zukünftig die Möglichkeit, sich über ihre Kommune beim neuen ESF-Bundesvorhaben „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ zu bewerben. Die Vorbereitungen für das neue ESF-Modellprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ laufen jetzt auf Hochtouren. Die Standorte der bisherigen ESF-Programme - ich sagte es bereits - können sich über die Antragstellung ihrer Kommune für eine Teilnahme am neuen Modellprogramm bewerben, sofern sie die Ausschreibungskriterien erfüllen. Für den Beginn des Interessenbekundungsverfahrens und die damit verbundene Veröffentlichung der Förderrichtlinien müssen jedoch zunächst die finanztechnischen Rahmenbedingungen für die ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 im Detail feststehen. Die Interessenbekundung ist für den Sommer 2014 vorgesehen. Mit dem Programmbeginn ist im vierten Quartal 2014 zu rechnen, sofern bis dahin das operationelle Programm des Bundes von der EU-Kommission genehmigt wurde. Mit einer Entscheidung der EU-Kommission ist nach derzeitigem Stand im Oktober 2014 zu rechnen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Bellmann?

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte schön.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das heißt, dass es in jedem Fall eine Lücke, also eine Unterbrechung des Programms, geben wird, weil es keine Überbrückung, beispielsweise aus dem Bundeshaushalt, geben wird?

Elke Ferner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000535

Die Verlängerung bis Ende 2014 wurde über Restmittel aus dem ESF finanziert. Es stehen dafür derzeit keine weiteren Mittel zur Verfügung. Es ist so, dass das Programm eigentlich im Dezember 2013 abgeschlossen gewesen wäre. Es war allen Beteiligten von vornherein klar, dass es 2013 abgeschlossen ist. Es wurde dann mithilfe der ESF-Mittel bis Mitte des Jahres verlängert. Die Kommission hat die Fristen, die ursprünglich vorgesehen waren, leider nach hinten verschoben, sodass die Kommission nach derzeitigem Stand erst im Oktober dieses Jahres über das operationelle Programm entscheidet. Wir wollen das trotzdem so weit vorbereiten, dass schon im Sommer ein Interessenbekundungsverfahren stattfinden kann, sodass eine Vorauswahl getroffen werden kann, wenn am Ende die Förderkriterien von der Kommission fest beschieden worden sind.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das neue Programm ist, wie Sie es jetzt angedeutet haben, schon relativ weit in der Entwicklung. Können Sie etwas zu den Laufzeiten der Programme sagen? Ich habe ein bisschen ein Problem damit, wenn Programme, die die Arbeit mit Menschen, ob Jung oder Alt oder Jugendlichen, insbesondere benachteiligten Jugendlichen, zum Inhalt haben, durch die kurzen Laufzeiten ihre Wirkung am Ende etwas verfehlen. Es ist schwierig, wenn dort keine Kontinuität hineinkommt. Das ist sowohl für die Jugendlichen als auch für die Pädagogen schwierig; denn nicht alle Pädagogen, die die Programmführung übernehmen, sind auch geeignet oder berufen. Deswegen sind wir immer sehr froh, wenn wir geeignete Leute finden, die mit den Jugendlichen arbeiten. Wenn das nach kurzer Zeit wieder aufhört, verfehlt das Programm letztendlich sein Ziel. Insofern meine Frage: Haben Sie bei der Beantragung der Programme kontinuierlich längere Laufzeiten, wie sie in den bisherigen Programmen üblich waren, eingeplant?

Elke Ferner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000535

Die Laufzeit der Programme hängt mit der ESF-Förderperiode zusammen. Diese Förderperiode war zuletzt von 2007 bis 2013, und sie wird jetzt von 2014 bis 2020 sein, also jeweils sechs bis sieben Jahre. Das ist von der EU vorgegeben; darauf haben wir keinen Einfluss. Wir können sagen: Das ist uns zu kurz; wir machen nicht mit. Die Alternative ist: Wir nutzen diese Periode. Insofern ist man jetzt daran interessiert, dass dieses ESF-Bundesprogramm weiterläuft. Zunächst einmal ist es auf vier Jahre befristet. Ich gehe aber davon aus, dass sich das Programm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ bewähren wird, dass es über die gesamte ESF-Förderperiode laufen wird. Wir haben prinzipiell das Problem bei Bundesprogrammen, ob über ESF-Mittel oder über Bundesmittel gefördert, dass der Bund dafür nicht originär zuständig ist; denn die Jugendhilfe ist eindeutig eine kommunale Aufgabe. Wir versuchen, mit zusätzlichen Modellprogrammen zu helfen. Diese Programme sind aber - das muss ich leider sagen - zeitlich befristet.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold bereit. Die Fragen 19 und 20 der Kollegin Heidrun Bluhm werden nicht aufgerufen, weil die Kollegin Bluhm nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Frage 21 des Abgeordneten Christian Kühn ({0}) wird schriftlich beantwortet. Vizepräsident Peter Hintze Wir kommen zur Frage 22 der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen: Was sind die Gründe der Bundeskanzlerin für ihre Absage der Teilnahme am VN-Klimagipfel von Ban Ki-moon im September 2014, und ist der Bundesregierung bekannt, ob der US-Präsident Barack Obama oder Chinas Präsident Xi Jinping teilnehmen werden? Herr Staatssekretär, bitte.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Die Bundeskanzlerin begrüßt das persönliche Engagement des UN-Generalsekretärs und hat ihre volle politische Unterstützung versichert, auch wenn ihr persönlich eine Teilnahme aus terminlichen Gründen nicht möglich sein wird. Deutschland wird bei diesem Treffen hochrangig vertreten sein. Eine Entscheidung, wer für die Bundesregierung teilnimmt, wird rechtzeitig vor dem Klimagipfel in New York bekannt gegeben. Über die Teilnahme anderer Staats- und Regierungschefs liegt uns zurzeit keine offizielle Information vor.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Pronold. - Auch wenn es mich immer wieder freut, mit Ihnen in einer Diskussion zu stehen, wundert es mich jetzt doch, dass das Bundeskanzleramt hier nicht antwortet; schließlich war die Frage, weswegen Frau Merkel an diesem Gipfel nicht teilnimmt, an das Bundeskanzleramt gerichtet. Gefragt war auch danach, was die Gründe dafür sind, welche Termine dieser Teilnahme also entgegenstehen. Diese Fragen stellen sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass der jetzige Chef des Bundeskanzleramts in seiner Zeit als Umweltminister in Warschau die Aussage getätigt hat, dass die damalige Bundesregierung begrüßt, dass bis Anfang 2015 allen Staaten Pläne zur CO2-Emissionsminderung vorlegen werden. Diese Aussage findet man auch jetzt noch auf der Internetseite Ihres Hauses. Dort wird außerdem betont: Deutschland setzt sich dafür ein, dass möglichst viele Staaten bereits auf dem im September auf Einladung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon stattfindenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs - das steht explizit auf der Seite des BMU Angaben machen. Distanziert sich jetzt das BMU von dieser damals getätigten Aussage? Noch einmal: Aufgrund welcher anderen Termine kann Frau Merkel nicht selber zu diesem Gipfel reisen?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Ich weiß als Mitglied der Bundesregierung sehr viel; aber ich kenne nicht jeden Termin und jede Begründung der Bundeskanzlerin. Wir werden diesbezüglich nachfragen und Ihnen mitteilen, was sie an diesem Tag anderes und wahrscheinlich auch Wichtigeres machen wird. Ansonsten gilt - wir haben das im Ausschuss schon mehrmals miteinander besprochen -: Das vordringliche Ziel der Bundesregierung ist, die CO2-Einsparvorgaben einzuhalten. Sie wissen ganz genau, dass unsere Bundesregierung in diesem Bereich nicht nur in Europa, sondern in der Welt wirklich führend ist. Das bringen nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch alle Minister, egal ob in früherer oder in heutiger Funktion, an vielen Stellen immer wieder zum Ausdruck.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie noch eine Zusatzfrage?

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Meine Frage war außerdem, welche anderen Staats- und Regierungschefs an diesem Gipfel teilnehmen. Sie haben gesagt, Ihnen lägen dazu keine Erkenntnisse vor. Obama hat ja persönlich erklärt, dass er teilnimmt. Das sollte auch der Bundesregierung bekannt sein. Auch Frankreich hat seine Teilnahme zugesagt. Insofern frage ich noch einmal - Ihre Antwort können Sie mir schriftlich nachreichen -, welche anderen Staatsund Regierungschefs gegenüber der Bundeskanzlerin oder der Bundesregierung schon geäußert haben, dass sie teilnehmen. Auch Großbritannien hat seine Teilnahme schon in Erwägung gezogen.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Darum habe ich gesagt: Uns liegen keine offiziellen Informationen diesbezüglich vor. Selbstverständlich können auch Mitglieder der Bundesregierung Zeitung lesen und Medienberichte zur Kenntnis nehmen, aber wir wollen Ihnen qualifizierte Auskünfte geben. Wenn wir diese Mitteilung als Bundesregierung offiziell erhalten, können wir sie an Sie weitergeben. Solange sie uns offiziell nicht vorliegt, ist es mir leider nicht möglich, das so zu beantworten. Aber wenn Sie das eh schon aus Zeitung und Fernsehen wissen, stellt sich mir die Frage, warum Sie die Bundesregierung noch fragen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine Frage.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Pronold, da ich zwar davon ausgehe, dass Sie meine Einschätzung teilen, dass es ein Skandal ist, dass Frau Merkel am Gipfel nicht teilnimmt, das hier aber öffentlich nicht äußern können, möchte ich Sie fragen, ob angesichts der jüngsten Äußerungen von Präsident Obama die Bundesregierung die Entscheidung, dass Frau Merkel am Gipfel nicht teilnimmt, überdenken wird, da sie ja - ich glaube, das habe ich aus der Zeitung erfahren - gesagt hat: Es muss etwas passieren angesichts der dramatischen Entwicklung bei der Klimakatastrophe. - Vor dem Hintergrund der Daten, die wir diesbezüglich haben, und der Tatsache, dass selbst die USA, die bisher nicht als prioritäre Klimaschützer bekannt geworden sind, teilnehmen werden und Obama ein ambitioniertes Programm angekündigt hat - mehr noch nicht, aber zumindest angekündigt -, frage ich also: Wird die Bundesregierung die Entscheidung der Nichtteilnahme jetzt überdenken?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Sie dürfen davon ausgehen, dass das, was ich hier sage, und das, was ich nicht sage, miteinander vereinbar ist. Ich bitte Sie, mir nicht zu unterstellen, dass ich etwas für einen Skandal halte, was keiner ist. Es ist an der Bundeskanzlerin, zu entscheiden, woran sie teilnimmt, und zu berücksichtigen, welche anderen terminlichen Verpflichtungen da sind. Man kann der Bundesregierung nun alles Mögliche vorwerfen, aber mit Sicherheit nicht, dass wir uns nicht mit allem Nachdruck für die Klimaschutzziele einsetzen. Wir haben sogar ambitioniertere Klimaschutzziele, als wir sie oft in internationalen Vereinbarungen vorfinden, und das wissen Sie auch; ein Beispiel ist die europäische Ebene. Deswegen ist die Bundesregierung hier führend. Wir freuen uns darüber, dass jetzt auch Präsident Obama auf die Linie einschwenkt, die die Bundesregierung schon über Jahre hinweg verfolgt und mit der sie beispielgebend vorangeht. Ob das Änderungen an der Planung der Bundeskanzlerin zur Folge haben wird, kann ich Ihnen nicht sagen. Da es bisher wichtige Gründe gibt, dass die Bundeskanzlerin nicht teilnehmen kann, sondern aus dem Bereich der Bundesregierung hochrangig vertreten sein wird, wird sich an der Planung, vermute ich, nichts ändern.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Damit kommen wir zur Frage 23 der Kollegin Annalena Baerbock zur gleichen Thematik: Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass das Fernbleiben der Bundeskanzlerin vom VN-Klimagipfel im September 2014 von der internationalen Staatengemeinschaft dahin gehend interpretiert werden könnte, dass der Klimaschutz in der Bundesregierung nicht die höchste Priorität genießt und sich die Bundeskanzlerin der VN-Klimastrategie verweigert? Herr Staatssekretär.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Sie fragen mich - das ist auch schon aus den vorherigen Nachfragen deutlich geworden -, ob ich die besondere Gefahr sehe, dass aus der Nichtteilnahme der Bundeskanzlerin geschlossen werden könne, dass die Bundesregierung das Einhalten der Klimaziele nicht mehr ernst nimmt. Diese Gefahr sehe ich nicht. Erstens wird die Bundesregierung hochrangig vertreten sein. Zweitens tritt die Frau Bundeskanzlerin - das ist Ihnen auch bekannt - in der internationalen Klimaschutzpolitik sehr ambitioniert auf. Das persönliche Engagement der Bundeskanzlerin zeigt sich zum Beispiel auch in dem von ihr ins Leben gerufenen jährlichen Petersberger Klimadialog, zu dessen fünfter Sitzung die Bundesregierung in diesem Jahr circa 35 Minister und hochrangige politische Vertreter Mitte Juli nach Berlin einlädt. Der Dialog mit persönlicher Beteiligung der Bundeskanzlerin wird zur Vorbereitung sowohl des informellen Gipfeltreffens in New York als auch der 20. Vertragsstaatenkonferenz Ende 2014 in Lima beitragen. Darüber hinaus hat die Bundeskanzlerin angekündigt, Klimaschutz zu einem wichtigen Thema der deutschen G-7Präsidentschaft im Jahr 2015 zu machen, um so einen starken Impuls für die Verabschiedung eines ambitionierten internationalen Klimaschutzabkommens bei der 21. Vertragsstaatenkonferenz 2015 in Paris zu geben. Damit sind alle Befürchtungen, die Sie so wohlmeinend in Richtung Bundesregierung formulieren, wirklich ausgeräumt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie dazu eine Nachfrage, Frau Kollegin?

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, weil die Befürchtungen noch nicht ausgeräumt sind. Zum einen möchte ich nur einmal darauf hinweisen, dass dieser Gipfel nicht „Gipfel der höchsten Vertreter der Länder“, sondern explizit „Gipfel der Staats- und Regierungschefs“ heißt. Deswegen entspricht ein Ersatz durch höchste Vertreter nicht dem, was da angekündigt wurde. Zum anderen: Wenn das höchste Priorität genießt, was in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin heute zumindest rhetorisch so angeklungen ist, und die Bundeskanzlerin die G-7-/G-8-Präsidentschaft dem Klimaschutz widmen will, wäre es dann nicht sehr ratsam, insbesondere bei einer G-7-Präsidentschaft, auf dem Treffen, auf dem alle führenden Staats- und Regierungschefs anwesend sind - Sie haben auch von einem vorbereitenden Treffen gesprochen -, auch selbst anwesend zu sein, um das zu diskutieren? Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Umweltagentur heute deutlich gemacht hat, dass die EU ihre Klimaschutzziele für 2020 schon so gut wie erreicht hat - nämlich 19,7 Prozent CO2-Einsparung -, frage ich: Müsste es jetzt nicht einen neuen Aufschlag vonseiten der Bundeskanzlerin und der EU geben, für den Ban-Kimoon-Gipfel noch einmal nachzubessern? Alles andere würde ja bedeuten, dass man in den nächsten sechs Jahren keine weiteren Anstrengungen bei der Einsparung von CO2-Emissionen unternehmen möchte, während andere Länder, wie gerade die USA, angekündigt haben, in diesem Bereich weiter voranzuschreiten.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Die erste der beiden Fragen, die Sie gerade gestellt haben, würde ich nicht anders beantworten als vorhin. Deswegen erübrigt sich eine weitere Antwort. Zu Ihrer zweiten Frage. Die Bundesregierung - allen voran die Bundeskanzlerin und die Ministerin - hat immer deutlich gemacht, dass sie sehr ambitioniert an Klimaschutzziele herangeht. Es ist erfreulich, wenn wir auf europäischer Ebene dem Ziel näher gekommen sind, als dies bisher vermutet wurde. Aber das ist natürlich kein Grund, nachzulassen. Wir müssen weiter ambitioniert voranschreiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Baerbock, Ihre zweite Nachfrage.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade gesagt: „weiter ambitioniert voranschreiten“. Werden Sie also noch einmal nachbessern und neue Ziele vorlegen?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Sie haben die großartige Fähigkeit, aus Antworten ganz komische Schlussfolgerungen zu ziehen. ({0}) Wir treten auf europäischer Ebene sehr stark dafür ein, dass wir in Europa weiterkommen. Darüber haben wir heute im Ausschuss gesprochen. Auf europäischer Ebene stellt sich die Situation so dar, dass nicht alle Staaten die Erreichung von ambitionierten Klimaschutzzielen in dem Maße verfolgen, wie wir das tun. Auf internationaler Ebene, also über die europäische Ebene hinaus, gibt es jetzt die positiven Signale aus den USA. Nichtsdestotrotz sind wir insgesamt sehr weit von dem Anspruch der Bundesregierung entfernt, das globale Klimaschutzziel zu erreichen. Deswegen werden wir weiter dafür kämpfen, dass die Vereinbarungen eingehalten werden und dass wir zu besseren internationalen Übereinkommen gelangen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Pronold, da Sie meine Bedenken nicht haben ausräumen können und da ich Ihnen wohlmeinend unterstelle, dass Sie es eigentlich für einen Skandal halten, dass Frau Merkel nicht zum Klimagipfel fährt, habe ich folgende Nachfrage: Wird das Bundesumweltministerium darauf drängen, dass im Bundeskanzleramt Überlegungen angestellt werden, die Planungen von Frau Merkel zu verändern und doch zum Klimagipfel zu fahren? Bei all meiner Wertschätzung für Frau Bundesumweltministerin Hendricks muss ich sagen: Sie ist nicht die Bundeskanzlerin. Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin ambitionierter für Klimaschutz verhandeln kann, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Präsident Obama anwesend sein wird. Werden Sie diesbezüglich tätig werden?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Da das Bundeskanzleramt vertreten ist, wird diese Debatte das Bundeskanzleramt vermutlich erreichen. Darüber hinaus handelt es sich um eine Frage, die vorhin schon indirekt gestellt worden ist. Die Termingestaltung ist die Entscheidung der Bundeskanzlerin. Selbstverständlich wird die Bundesregierung die Klimaschutzziele, die sie sich selber gesetzt hat, auch auf internationaler Ebene mit aller Macht verfolgen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. Die Frage 24 der Kollegin Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 25 und 26 der Kollegin Höhn werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 27 und 28 der Kollegin Rößner werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries zur Verfügung. Die Frage 29 der Kollegin Kotting-Uhl wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Jan van Aken auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den illegalen Reexport von Pistolen des Typs SP2022 des Herstellers SIG Sauer aus den USA nach Kolumbien - bitte unter Angabe des genauen Datums der Kenntnisnahme -, und was hat sie seit Kenntnisnahme des Sachverhalts unternommen, um diesen aufzuklären? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat durch die öffentliche Berichterstattung und damit in Zusammenhang stehenden Pressemeldungen Kenntnis von dem Vorwurf der Lieferung von Pistolen des Modells SP2022 des Hersteller SIG Sauer nach Kolumbien erlangt. Der Vorwurf wiegt in unseren Augen schwer, und der Vorgang muss aufgeklärt werden. Der in den Medien dargestellte Sachverhalt wirft noch zahlreiche Fragen auf. Deswegen müssen wir zunächst den Sachverhalt klären. Dazu hat das Ministerium seine nachgeordnete Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, beauftragt, den Vorwürfen nachzugehen und den Sachverhalt umfassend aufzuklären.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte schön.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Eigentlich ist die Zusatzfrage relativ simpel. Heißt das, dass Sie während der Aufklärung überhaupt keine Rüstungsexportgenehmigungen mehr für die USA erteilen? Die Frage ergibt sich daraus, dass das Bundeswirtschaftsministerium mir vor einigen Wochen auf eine Kleine Anfrage schriftlich geantwortet hat - ich zitiere -: Bei erwiesenen Verstößen gegen Endverbleibszusicherungen wird die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für den betreffenden Empfänger - hier: USA grundsätzlich so lange ausgesetzt, bis der Sachverhalt geklärt und die Gefahr erneuter ungenehmigter Reexporte ausgeräumt ist. Wir haben hier erwiesene Verstöße gegen die Endverbleibszusicherung. Sie klären noch auf. Insofern wäre die logische Konsequenz aus dem, was Sie mir geschrieben haben: erst einmal keine Genehmigungen mehr für die USA.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gerade vorgetragen, dass der Sachverhalt, wie er in den Medien berichtet wird, für uns noch zahlreiche Fragen aufwirft und mit verschiedenen Unsicherheiten behaftet ist. Das betrifft sowohl die Annahmen zu möglichen Lieferwegen als auch die in Rede stehenden Stückzahlen der Pistolen, die aus deutscher Produktion stammen sollen. Deswegen kann ich Ihnen nicht sagen, dass tatsächlich ein solcher Verstoß vorliegt. Ich habe Ihnen gerade gesagt und deutlich gemacht, dass wir noch nicht hundertprozentig wissen, ob ein solcher Verstoß vorliegt, und deshalb das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beauftragt haben, den Vorwürfen nachzugehen und den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Deswegen kann ich Ihre Nachfrage nicht mit Ja beantworten, weil sie einen Sachverhalt unterstellt, der nicht gegeben ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Zypries, ich gestehe zu, dass es noch ganz viele Fragen gibt. Die habe ich auch. Die möchte ich auch gerne beantwortet haben. Sie wissen aber zwei Dinge ganz sicher: Erstens. Es gab - das haben Sie mir schriftlich gegeben - keine Exportgenehmigung für diese Pistole aus Deutschland. Zweitens. Diese Pistole ist jetzt in Kolumbien mit dem Aufdruck „Made in Germany“; die Fotos haben Sie gesehen. Das heißt, es ist ein erwiesener Verstoß. Insofern können Sie sich hier nicht herausreden. Wenn Sie mir schriftlich mitteilen, dass bei erwiesenen Verstößen bis zur Aufklärung des Sachverhaltes erst einmal ausgesetzt wird, dann ist doch jetzt der Moment, wo Sie aufhören müssten, Exportgenehmigungen für die USA zu erteilen.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, es bleibt dabei, dass die Wege, auf denen geliefert wurde, unserer Auffassung nach nicht hundertprozentig geklärt sind. Deswegen teile ich Ihre Schlussfolgerung nicht. Ich bitte Sie einfach, einen Moment zuzuwarten. Dann können wir uns entweder hier oder bei anderer Gelegenheit gerne wieder darüber unterhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann kommen wir zur Frage 31 des Kollegen Jan van Aken: Wurden seitens der Bundesregierung Genehmigungen für den Export von Fertigungsunterlagen - Technologieunterlagen und Ähnliches - sowie von Komponenten für diese Pistole in die USA erteilt, und, wenn ja, benötigen die USA Reexportgenehmigungen für die auf Basis der Fertigungsunterlagen produzierten Pistolen sowie für alle Pistolen, die mit den Komponenten gefertigt wurden? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Genehmigungen für Rüstungsgüter und Rüstungstechnologie werden nur bei Vorliegen von Endverbleibserklärungen, die grundsätzlich ein Reexportverbot mit Erlaubnisvorbehalt enthalten, erteilt. Die Frage zielt im Übrigen auf die Offenlegung des Inhalts von Ausfuhrgenehmigungen für ein konkretes Unternehmen ab. Aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen kann die Bundesregierung dazu keine Auskunft erteilen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Zypries, das meinen Sie nicht ernst, oder? Sie wissen - Sie waren selbst einmal im Bereich der Juristerei tätig -, dass es, wenn dort steht: „grundsätzlich nur mit Reexportgenehmigung“, dann nicht heißt „immer“. Deswegen habe ich konkret nachgefragt, ob es in diesem einen konkreten Fall, in dem wir illegalerweise deutsche Pistolen in Kolumbien finden, eine Reexportgenehmigungsverpflichtung für die Lizenzlieferung gab und ob es überhaupt eine solche Lizenzvergabe gegeben hat. Auf beides verweigern Sie jetzt die Antwort. Das können Sie nicht ernst meinen. Hier gibt es eigentlich eine andere Praxis in Ihrem Hause.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Sehr verehrter Herr Abgeordneter, da muss ich Ihre beiden Zusatzfragen mitnehmen und im Hause nachfragen. In meinen Unterlagen hier steht nichts dazu, und ich weiß es schlicht nicht. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, dann ist das so verabredet. Wir kommen zur Frage 32 der Kollegin Heike Hänsel: Wie viele deutsche Pistolen des Typs SIG Sauer SP2022 wurden nach Kenntnis der Bundesregierung unter Bruch der deutschen Exportrichtlinien nach Kolumbien geliefert oder weitergeliefert, und von wem bzw. über welchen Weg gelangten die Waffen nach Erkenntnissen der Bundesregierung nach Kolumbien ({0})?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das Ministerium hat nach Bekanntwerden der Vorwürfe das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, also eine nachgeordnete Behörde, beauftragt - Sie haben es eben wahrscheinlich schon bei der Beantwortung der Frage Ihres Kollegen mitbekommen -, den Vorwürfen nachzugehen und den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Das ist noch nicht abgeschlossen. Deswegen würde ich auch Sie bitten, insoweit zu warten, bis die Ergebnisse vorliegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gleichwohl haben Sie das Recht zu einer Nachfrage, Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage; denn diese Waffenexporte sind ja mit einer Endverbleibserklärung verbunden. Meine Frage: Wie prüfen Sie den Endverbleib? - Offensichtlich sind hier Waffen weitergeliefert worden; zumindest gab es Genehmigungen für die Ausfuhr der Waffen in die USA, und sie sind dann in Kolumbien gelandet. Also: In welcher Form prüfen Sie denn eigentlich den Endverbleib von Waffen?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Wenn wir eine Genehmigung erteilen, dann prüfen wir den Endverbleib anhand von Informationen, die wir aus dem jeweiligen Land erhalten. Wenn es Zweifel gibt, dass die Waffen beim Empfänger verbleiben, dann werden Ausfuhranträge abgelehnt. Aber wir können natürlich nicht, wenn wir Ausfuhren einmal genehmigt haben, neben den Waffen stehen bleiben und gucken, was mit ihnen passiert; das geht nicht. Wir müssen darauf vertrauen, dass die Zusicherung eingehalten wird. Wenn sie nicht eingehalten wird, passiert genau das, was der Kollege van Aken eben zitiert hat: Dann werden keine neuen Ausfuhrgenehmigungen mehr erteilt. Das heißt, die Strafe, wenn Sie so wollen, folgt erst mit dem nächsten Antrag. Wie sollten wir ansonsten in einem Land, in das einmal exportiert wurde, etwas vollziehen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Mich würde des Weiteren interessieren: Wie kann es denn sein, dass zum Beispiel Journalisten und die Medien mehr über den Endverbleib von Waffen wissen als die Bundesregierung, die diese Waffenexporte genehmigt? Wie erklären Sie sich das?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Ich weiß nicht, was Sie jetzt damit meinen. Es kann ja nur so sein, dass irgendjemand einer bestimmten Waffe hinterherrecherchiert. Das macht aber die Bundesregierung nicht, wie ich gerade gesagt habe. Wir vertrauen darauf, dass sich unsere Vertragspartner vertragsehrlich verhalten. Es gibt beim Export ja eine Auflage, und wir gehen davon aus, dass sie eingehalten wird. Wenn nicht, dann kann es eben nur Sanktionen geben; das ist wie auch sonst manchmal im Leben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege HansChristian Ströbele das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, dazu habe ich dann doch eine Zusatzfrage. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ das ist ein alter Grundsatz; Sie kennen ihn wahrscheinlich auch. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe keine Journalisten: Würden Sie - nicht Sie persönlich, sondern die Bundesregierung oder die einschlägigen Stellen - dann nie etwas davon erfahren, wenn sich ein Land nicht an die Vertragsverpflichtungen hält?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Es können sich auch aus anderen Umständen solche Erkenntnisse ergeben. ({0}) - Was weiß ich? Man kann sich aber auf alle Fälle andere Umstände vorstellen, unter denen man mitbekommt, dass bestimmte Waffen weitergeliefert wurden, obwohl sie nicht weitergeliefert werden durften.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege van Aken hat noch eine Nachfrage.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gestatten Sie mir vor der Nachfrage einen kurzen Kommentar: Natürlich kann man neben einer Waffe stehen bleiben; die Amerikaner tun das zum Beispiel. Es ist absolut möglich - auch nach Abgabe einer Endverbleibserklärung -, noch Jahre später vor Ort zu kontrollieren, wo eine Waffe geblieben ist. Im Rahmen des sogenannten Blue-Lantern-Programms der Amerikaner findet das regelmäßig statt. Sie haben sich politisch entschieden, das nicht zu tun. Das ist aber etwas ganz anderes, als zu sagen, man könne es nicht. Sie wollen es nicht. Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber sagen. Ich habe eine weitere Frage zu dem ganzen Komplex: Gibt es jetzt eigentlich Ermittlungen der Staatsanwaltschaft?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das weiß ich nicht. ({0}) - Wir sind ja im Moment, wie ich Ihnen schon sagte, an dem Punkt, dass das Bundesamt die Frage klärt, was da eigentlich passiert ist, und den Sachverhalt ermittelt. ({1}) Man könnte selbstverständlich parallel dazu einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft stellen; das wäre sicherlich möglich. Es würde zwar nichts passieren, weil die warten würde, bis das Bundesamt den Sachverhalt richtig ermittelt hat, aber nichtsdestotrotz will ich gerne klären, ob so etwas schon einmal gemacht wurde. Danke schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe nun die Frage 33 der Kollegin Heike Hänsel auf: Gedenkt die Bundesregierung, vom US-Außenministerium eine Erklärung über die Nichteinhaltung der Endverbleibserklärung im Zusammenhang mit den ursprünglich an die US-Armee gelieferten deutschen Waffen des Typs SIG Sauer SP2022 und nach Kolumbien ohne Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ({0}) gelangten Waffen zu verlangen, und hat die Bundesregierung die US-Armee folgerichtig nun von der Belieferung mit weiteren Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern ausgeschlossen ({1})?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, wir wollen - wie ich das eben bereits mehrfach sagte - den Sachverhalt zunächst aufklären. Dann werden wir die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Staatssekretärin. - Ich habe also jetzt gelernt, dass die Bundesregierung nicht sehr gut über den Endverbleib von Waffen, für die sie die Exportgenehmigung erteilt hat, informiert ist. Es gibt viele Maßnahmen, um solche Vorgänge zu kontrollieren. Es könnte ein regelmäßiger Mechanismus eingeführt werden. Nach Ihren Aussagen werden jetzt Nachforschungen von der nachgeordneten Behörde eingeleitet. Meine konkrete Frage lautet: Wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass die Waffen von den USA weitergeliefert wurden, wird die Schlussfolgerung dann sein, dass es keine Ausfuhrgenehmigungen mehr geben wird? Und wird es Sanktionen gegenüber der US-Regierung geben?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Wenn der Sachverhalt aufgeklärt ist, dann werden wir entscheiden, was wir tun. Genau so ist es.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine generelle Frage. Gibt es eigentlich eine rechtliche Verpflichtung deutscher Rüstungsunternehmen, zu melden, wenn sie selbst Hinweise auf Zuwiderhandlungen in Bezug auf die Endverbleibserklärung haben? Wie wird gegebenenfalls eine Unterlassung, also wenn die Unternehmen dies nicht melden, sanktioniert?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Diese Frage kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Die Frage müssen wir schriftlich beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, das halten wir so fest. - Danke. Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Inwieweit trifft es zu, dass der Bundessicherheitsrat in seiner Sitzung am 7. Mai 2014 nicht auf Widerstand des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, hin ({0}) „fast zwei Drittel Exportanträge“ für Rüstungsgüter „abgelehnt“ hat, sondern die meisten und heiklen Exportbeschlussvorlagen lediglich von der Tagesordnung abgesetzt hat mit der Folge, dass für Juni 2014 eine neuerliche Sitzung vorgesehen ist und derzeit über 200 Vorlagen unbeschieden bewusst offengehalten werden ({1}), und wie wird die Bundesregierung die Genehmigungspraxis gestalten, wenn das Bundesverfassungsgericht die derzeitige Praxis auf meine Verfassungsklage hin beanstandet, und insbesondere die vom Deutschen Bundestag am 8. Mai 2014 verlangte rasche Unterrichtung über Rüstungsexportentscheidungen über eine Änderung der Geschäftsordnung hinaus regeln? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Ströbele, Sie wissen ja, dass der Bundessicherheitsrat geheim tagt und dass der Deutsche Bundestag über die abschließenden Genehmigungsentscheidungen informiert wird. Das Kabinett hat dazu heute eine neue Geschäftsordnung beschlossen, sodass der Deutsche Bundestag künftig schneller informiert werden wird. Wie Ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ausgehen mag, darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren. Wenn uns die Entscheidung vorliegt, werden wir uns selbstverständlich danach richten, soweit sich aus dieser Entscheidung Verpflichtungen für die Bundesregierung ergeben sollten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Ich habe in meiner Frage ja zitiert, dass „fast zwei Drittel der Exportanträge“ für Rüstungsgüter „abgelehnt“ wurden. Können Sie sagen, ob darunter auch Exportanträge gewesen sind, für die schon vorher eine Genehmigung vorgelegen hat bzw. über die schon eine Vorentscheidung getroffen wurde?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich keine Auskünfte aus den Sitzungen des Bundessicherheitsrates geben darf; jenseits der Tatsache, dass ich nicht dabei war.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine allgemeine Frage, die Sie mir vermutlich auch nicht beantworten können. Ich habe heute einen Brief vom Bundesverfassungsgericht bekommen, in dem auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Frage des Kollegen van Aken Bezug genommen worden ist. Darin heißt es, dass die Entscheidung der jeweiligen Bundesregierungen aus den vergangenen Jahren angeblich für die spätere Lieferung, für die Endentscheidung verbindlich sein sollen. Ist das zutreffend?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Ich verstehe die Frage nicht. Die Entscheidungen sollen verbindlich sein?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt ja eine Voranfrage, eine Genehmigung und dann gibt es noch einmal - Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Sie meinen, dass die Entscheidungen über die Voranfragen verbindlich sind?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, die Vorentscheidungen.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Die Voranfragen haben natürlich eine Bindungswirkung, sonst gäbe es sie nicht. Sie sind selber Jurist und wissen das deshalb eigentlich auch. Natürlich können sie geändert werden, es sind ja nur Voranfragen. Sie können dann geändert werden, wenn sich die Verhältnisse in dem Land, in das exportiert werden soll, geändert haben oder wenn Besorgnis besteht, dass dort Menschenrechtsverletzungen und Ähnliches begangen werden. Dann wird das erneut überprüft. ({0}) - Nein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ströbele, ich bitte, jetzt nicht ins Zwiegespräch einzutreten, so spannend das auch sein mag. ({0}) Der Kollege van Aken hat die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage. Dann wird die Informationsübermittlung hier sicherlich funktionieren.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist richtig gemein, dass mir meine Frage als Zusatzfrage angerechnet wird; denn der Kollege Ströbele hatte die Frage schon schriftlich gestellt. Ich frage Sie jetzt noch einmal ganz einfach: Ist es richtig, dass im Juni wieder eine Sitzung des Bundessicherheitsrates stattfindet? Heute Morgen hat das Kabinett neue Transparenzregeln für den Bundessicherheitsrat beschlossen. Heute Mittag haben wir eine Liste der Entscheidungen des Bundessicherheitsrates erhalten. Es gibt in Sachen Transparenz ja einen neuen Wind, so schwach er auch sein mag; deswegen frage ich: Das Datum der nächsten Sitzung des Bundessicherheitsrates dürfen Sie mir doch nennen?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nein. ({0}) Bis jetzt war es Usus, dass man es nicht sagen darf. Fakt ist wenigstens, dass ich es nicht sagen kann, weil ich es nicht weiß.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Mit dieser Klarstellung sind wir am Ende der Fragen des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, die hier mündlich beantwortet werden. Die Frage 35 des Kollegen Christian Kühn soll schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Dr. Julia Verlinden werden entsprechend unseren Richtlinien schriftlich beantwortet. Für diejenigen auf den Besuchertribünen, die sich jetzt fragen, was das heißt, sage ich: Der Gegenstand dieser Fragen ist noch Gegenstand von Debatten in dieser Sitzungswoche des Bundestages. Deshalb werden sie in der Fragestunde nicht beantwortet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juni 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für all Ihre Vorhaben am heutigen Tag.