Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herzlich und eröffne die Sitzung.
Bevor ich die Tagesordnung aufrufe, möchte ich Sie
darauf hinweisen, dass interfraktionell vereinbart worden ist, die heutige Tagesordnung um die Wahl von
Mitgliedern der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ zu erweitern und diese Wahl nach der
Fragestunde durchzuführen.
Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden,
die Unterrichtung der Bundesregierung zum Entwurf eines Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes auf Drucksache 18/1418 federführend dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie zur Mitberatung dem
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu überweisen.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung - das hat mir eine besondere Freude bereitet - mitgeteilt: Bundesbericht Forschung und Innovation 2014.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Sie haben jetzt
das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Bericht.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir haben heute im Bundeskabinett
den Bundesbericht Forschung und Innovation 2014 beschlossen. Es ist ein ausführliches Werk. Anhand vieler
Zahlen und Fakten wird darin die derzeitige Stellung
Deutschlands in der Welt dargestellt. Es wurden nicht
nur die Forschungs- und Innovationsdaten, die sich auf
den Bund beziehen, sondern auch all die, die sich auf die
Bundesländer beziehen, erhoben und entsprechend eingeordnet. Der Bericht ist sehr dick; er umfasst 700 Seiten. Es handelt sich also wirklich um ein ausführliches
Kompendium.
Als Quintessenz kann man sagen: Dieser Bericht
macht deutlich, dass Deutschland als Forschungs- und
Innovationsstandort in den letzten Jahren immer attraktiver geworden ist und an der Spitze liegt. In Bezug auf
die Innovationsfähigkeit gibt es weltweit die unterschiedlichsten Rankings. Deutschland ist in diesen Rankings immer im vorderen Feld zu finden. Wenn man den
EU-Leistungsanzeiger bezüglich Innovation anschaut,
sieht man, dass Deutschland in der Gruppe von fünf
Ländern liegt, die als innovationsstärkste Länder in Europa, als sogenannte Innovationsführer, gelten. Neben
Deutschland zählen dazu unter anderem die Schweiz,
Schweden und Dänemark.
Es verwundert immer wieder, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer sehr kleinen Bevölkerung
- wir machen 1,2 Prozent der Weltbevölkerung aus - an
der Spitze liegt, wenn es um den Export von Hightechgütern geht. Deutschland liegt dabei sogar vor großen
Nationen wie China oder den USA. Das spiegelt unsere
Leistungsfähigkeit wider.
Wir können aus diesem Bericht, was die Entwicklung
der letzten Jahre betrifft, viel Erfreuliches herauslesen.
Dieser Bericht setzt sich aber auch damit auseinander,
was uns das Gutachten von EFI, also der Expertenkommission Forschung und Innovation, ins Stammbuch geschrieben hat. Und in den Bericht wurden die Anregungen des EFI-Gutachtens zur Weiterentwicklung der
Innovationskraft Deutschlands aufgenommen; denn die
gute Stellung, über die wir uns jetzt freuen, können wir
ganz schnell verlieren, wenn wir nicht dafür sorgen, dass
die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhalten bleibt
bzw. noch gesteigert wird.
Danke.
Vielen Dank. - Es liegen mir bereits mehrere Wortmeldungen vor. Ich möchte zunächst dem Kollegen
Rupprecht die Möglichkeit geben, seine Fragen zu stellen.
Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin. Dass
Deutschland im Hinblick auf die Innovationsindikatoren
an der Spitze steht, ist sehr erfreulich und sehr positiv
und macht uns alle ein Stück weit auch stolz.
Im Bericht wird aber auch der Aspekt des Braindrains
angesprochen. Es wird beklagt, dass die klügsten Köpfe
angeblich Deutschland verlassen. Hierzu würden mich
Ihre Einschätzung bzw. Ihre Bewertung sowie Überlegungen zu eventuellen Gegenmaßnahmen interessieren.
Über diese Passage im EFI-Gutachten habe ich mich
geärgert. Dort wird ja dargestellt, dass Deutschland da
ein Problem hätte. Die Daten, die die Gutachter als
Grundlage genommen haben, sind aber Durchschnittszahlen aus den Jahren 1996 bis 2011. Die Entwicklung
in diesem Zeitraum wurde überhaupt nicht betrachtet.
1996 hatten wir in diesem Bereich ein Problem. Viele
junge Leute, viele Spitzenforscher sind weggegangen.
Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert. Im Moment sind wir hochattraktiv für Spitzenforscher aus aller
Welt. Dies sehen wir bei den Bewerbungen, zum Beispiel auf Alexander-von-Humboldt-Professuren.
Ich greife zur Verdeutlichung einmal eine Forschungsgemeinschaft heraus: die Max-Planck-Gesellschaft. Sie betreibt Grundlagenforschung, ist aber auch
im Bereich Innovationen tätig. Der Anteil der Doktoranden bei ihr, also von allen, die bundesweit bei der MaxPlanck-Gesellschaft promovieren, beträgt 49 Prozent,
bei den Postdoktoranden sind es sogar fast 80 Prozent.
Fast 31 Prozent der Direktoren der Max-Planck-Gesellschaft stammen aus dem Ausland. Dies alles ist nur ein
Indiz. Aber auch aus Umfragen wird das deutlich: Zwei
Drittel der deutschen Wissenschaftler, die derzeit in den
USA tätig sind, möchten nach Deutschland zurückkommen. Wir haben auch viele Maßnahmen ergriffen, damit
es einfach wird, wenn man nach einem langjährigen
Aufenthalt in den USA nach Deutschland zurückkommt.
Wir können also sagen, dass Deutschland für internationale Wissenschaftler hochattraktiv ist, und zwar in allen Kategorien: Doktoranden, Postdoktoranden bis hin
zu Spitzenforschern. Über diese Situation freuen wir uns
sehr. Vor Jahren kannten wir sie so nicht.
Als nächster Fragender hat der Kollege Röspel das
Wort.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, es freut uns, dass Sie
sich nach dem Ärgern wieder gut erholt haben und frisch
wie eh und je vor uns stehen. Mir ging es ähnlich.
Ich habe eine Frage zu einer anderen Aussage im EFIGutachten: Teilt die Bundesregierung die dort geäußerte
Auffassung, dass das EEG-Gesetz weder Innovationswirkung noch Klimaschutzförderung bewirkt hat?
Frau Ministerin.
Nein, diese Auffassung teilen wir dezidiert nicht.
Wenn man sich die Forschungsergebnisse im Bereich
der erneuerbaren Energien anschaut, dann zeigt sich,
dass es sogar eine anregende Wirkung hat. Sicher kann
an der einen oder anderen Stelle mal ein Hemmnis auftreten. Aber die dort geäußerte Einschätzung bezüglich
der Wirkung des EEG teilt die Bundesregierung in keiner Weise.
Jetzt hat als nächster Fragender der Kollege Gehring
das Wort.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, bereits im Jahr 2000
wurde im Rahmen der europaweiten Lissabon-Strategie
beschlossen, bis zum Jahr 2010 mindestens 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Deutschland hat dieses Mindestziel
als vermeintlicher Vorreiter 2014 quasi fast erreicht. Regierungseigene Kommissionen, Wissenschaftsorganisationen und Wirtschaftsverbände sagen Ihnen aber seit
Jahren, dass man sich, wenn man bei Innovationen Vorreiter sein will, deutlich ehrgeizigere Ziele setzen muss.
Deshalb meine Frage an Sie: Wird sich die Bundesregierung das 3,5-Prozent-Ziel zu eigen machen? Wenn ja,
wann wollen Sie es erreichen und wie wollen Sie es finanzieren?
Frau Ministerin.
Danke. - Wir haben die Situation, dass die Zielmarke
von 3 Prozent für 2010 aufgrund der Wirtschafts- und
Finanzkrise verändert wurde. In der Lissabon-Strategie
haben wir jetzt das Ziel verankert, dass die EU-Staaten,
also die EU 28, im Jahr 2020 3 Prozent erreichen sollen.
Davon sind viele Länder weit entfernt. Viele Länder liegen noch unter 2 Prozent. Aber auch Länder wie zum
Beispiel die USA liegen nur bei knapp 2,8 Prozent. Es
gibt auch einige Länder auf der Welt - forschungsstarke
wie Korea und Japan -, die über 3 Prozent liegen.
Wir erreichen übrigens nicht erst im Jahr 2014 - obwohl der Bericht für 2014 ist -, sondern wir haben bereits im Jahr 2012 das 3-Prozent-Ziel de facto erreicht.
Wir möchten in den nächsten Jahren auch gerne mehr erreichen. Wir haben es aber vermieden, uns eine konkrete
Zahl vorzugeben. Wir unternehmen einerseits maximale
Anstrengungen, um mehr als 3 Prozent zu erreichen. Andererseits sind andere Zielsetzungen wie die Konsolidierung des Haushalts wichtig. Und schließlich ist 3 Prozent des BIP, des Bruttoinlandsprodukts, ein relativer
Wert. Das heißt, wenn wir beim BIP richtig gut liegen,
dann macht 3 Prozent absolut sehr viel mehr aus. Das ist
also nicht ganz genau zu kalkulieren.
Wir wollen weiterhin Vorreiter in Europa sein - das
sind wir - und wollen auch die anderen mitziehen und
anregen, damit die EU-Staaten insgesamt bis zum Jahre
2020 einen Anteil der Ausgaben für FuE am Bruttoinlandsprodukt von 3 Prozent erreichen.
Als nächster Fragesteller hat der Kollege Rossmann
das Wort.
Frau Ministerin, ich möchte eine Bemerkung vorwegschicken. Uns liegt ja eine Stellungnahme der Bundesregierung zum EFI-Gutachten vor. Darin wird immer darauf abgehoben, dass es im Jahr 2005 einen Turnaround
gegeben hat. Angesichts der Präsidentin muss ich sagen:
In Sachen Bildung und Forschung ist der Turnaround
schon im Jahr 1998 anzusiedeln.
Jetzt zur Frage. In vielen früheren EFI-Gutachten ist
auf die steuerliche Forschungsförderung abgehoben
worden. Nun konnte man jüngst vom Bundesfinanzminister, der ja Gewicht hat, lesen, er hielte gar nichts
davon, weil der Fehlleitungseffekt dieser Maßnahme bei
gut 90 Prozent liege, es sich also um Mitnahmeeffekte
handelt. Insofern möchte ich Sie fragen: Welche guten
Ansätze verfolgt diese Regierung, um jenseits der steuerlichen Forschungsförderung die Bereitstellung von
Wagniskapital zu stimulieren und insbesondere kleine
und mittlere Unternehmen zu stützen? Welche besonderen Anregungen dazu können Sie dem EFI-Gutachten
entnehmen?
Wenn man sich anschaut, was wir in den letzten Jahren unternommen und erreicht haben, dann erkennt man:
Ein großer Teil der Gelder aus der Hightech-Strategie für
die Wirtschaft, fast 50 Prozent, ist den KMU, also den
kleinen und mittleren Unternehmen zugeflossen; aber
gemessen daran ist ihre Innovationskraft, das, was sie in
diesem Bereich leisten, zu gering. Wir glauben also, dass
hier noch eine Schwäche unserer Hightech-Strategie
liegt. Deswegen wollen wir bei der Überarbeitung der
Hightech-Strategie überlegen - ich werde die Eckpunkte
der Weiterentwicklung der Hightech-Strategie, abgestimmt mit allen Ressorts, im Sommer vorlegen -: Welche neuen Formate, welche neuen Maßnahmen sind geeignet, um kleine und mittlere Unternehmen noch besser
zu fördern?
Die Aussagen des Finanzministers sind korrekt. Aber
gleichzeitig hat sich der Finanzminister offen gezeigt,
was die Förderung bzw. Erleichterung der Bereitstellung
von Wagniskapital anbelangt; das ist ja gerade für Neugründungen sehr wichtig. Um das Thema der steuerlichen Förderung von FuE haben wir in den Koalitionsverhandlungen lange gerungen. Ich denke, der
Forschungs- und der Wirtschaftsflügel wollten das sehr
gerne, obwohl sie natürlich gesehen haben, welche Kosten damit verbunden sind. Wir werden das nicht heute
oder morgen umsetzen; aber ich glaube nicht, dass die
Diskussion ein für alle Male beerdigt ist.
Jetzt hat der Kollege Lenkert das Wort.
Frau Ministerin, Sie führten aus, wie positiv sich der
Hightechbereich in der Bundesrepublik entwickelt hat.
Sie werden mir sicher zustimmen, dass er natürlich eine
gesunde Basis braucht, die vor allen Dingen immer wieder erneuert werden muss. Jetzt nenne ich Ihnen ein paar
Zahlen: 85 Prozent der Nachwuchswissenschaftlerinnen
und -wissenschaftler an Forschungseinrichtungen und
Universitäten sind nur befristet beschäftigt, die Hälfte
davon nur in Teilzeit. Diese Jobs sind natürlich wesentlich weniger attraktiv als Stellen in der Industrie und in
der industrienahen Forschung. Aber müssen wir nicht,
wenn wir zukünftig unseren Stand halten wollen, sicherstellen, dass die besten Nachwuchskräfte in die Lehre
und in die öffentliche Forschung und nicht in die Industrie gehen, weil ansonsten der Abstand zu groß wird und
die Kette reißt? Unter dem Aspekt frage ich Sie: Wie
wollen Sie mit Ihrer heutigen Politik sicherstellen, dass
wir auch in 15 Jahren noch den guten Stand haben, den
wir jetzt haben? Wie wollen Sie, wenn Sie jetzt den Bundesländern 6 Milliarden Euro geben, sicherstellen, dass
diese wirklich zusätzlich in Bildung und Forschung fließen und nicht zur Schließung von Haushaltslöchern in
den Bundesländern eingesetzt werden?
Natürlich brauchen wir die Nachwuchswissenschaftler in den Forschungseinrichtungen; aber zwei Drittel
der Forschung in Deutschland werden privatwirtschaftlich, hauptsächlich in großen Unternehmen erbracht.
Auch dieser Bereich der Forschung ist attraktiv, und wir
brauchen ihn, wenn wir die Spitzenposition halten wollen. Von den zehn forschungsintensivsten bzw. -stärksten
Firmen Europas sind fünf in Deutschland angesiedelt,
und auch sie brauchen Nachwuchs. Ich würde also nicht
von einem Entweder-oder sprechen.
Wichtig ist, für junge Leute attraktiv zu sein. Wir haben viele Programme - Sie kennen sie zum Teil - im
Rahmen der DFG, aber auch beim DAAD. Der letzte
Monitoringbericht bezüglich der Zufriedenheit der Wissenschaftler weist verbesserte Werte aus, weil wir in
Deutschland langfristig Sicherheit und Verlässlichkeit
bieten, gerade für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Natürlich reden wir vonseiten des Bundes
auch mit den Ländern, weil sie die Verantwortung für die
Hochschulen haben; das ist in Deutschland ja verfassungsrechtlich ganz klar so geregelt.
Ich glaube, dass die Vorstellung, wir müssten nur
mehr unbefristete Stellen in den entsprechenden Einrichtungen etablieren, grundfalsch ist, weil Wissenschaft in
einem gewissen Maße Fluktuation braucht. Wenn wir
- nur theoretisch - sagen würden: „Okay, wir schaffen
mehr unbefristete Stellen“, dann wäre dieser Bereich unter Umständen den nachfolgenden Generationen verschlossen. Man kann die Situation in Deutschland nicht
einfach mit der in Österreich vergleichen, wie Ihre Fraktion das gerne macht. In Österreich bekommen Sie zwar
schnell eine unbefristete Stelle, Sie können diese Stelle
aber auch ganz schnell wieder verlieren. In Deutschland
ist das nicht so. Man muss überlegen, wie man die unterschiedlichen Systeme vergleichen kann.
Frau Ministerin, ich muss Sie leider darauf hinweisen,
dass wir eine Verabredung haben: Antwortzeit eine Minute, maximal anderthalb Minuten. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich Sie jetzt unterbreche.
Ich kann schon noch schneller reden, aber -
Als nächster Fragender hat der Kollege Kaufmann
das Wort und dann Herr Rabanus.
Frau Ministerin, unser Wohlstand in Deutschland basiert zu einem erheblichen Teil auf Forschung und Innovation. Was können Sie vor diesem Hintergrund zum
volkswirtschaftlichen Impact der Innovationspolitik sagen? Welche Indikatoren ziehen Sie dafür heran?
Im Bericht sind die üblichen Indikatoren enthalten,
die zur Vergleichbarkeit von verschiedenen Volkswirtschaften herangezogen werden: zum Beispiel der Anteil
von Hightechgütern gemessen am Gesamtexport eines
Landes, die Forschungsstärke von Unternehmen - ich
habe die Zahl genannt: fünf der zehn forschungsstärksten Unternehmen kommen aus Deutschland -, aber auch
die Patentanmeldungen. Zu den Patentanmeldungen ist
zu sagen, dass Deutschland, was transnationale, also
große Patente betrifft, die für den internationalen Markt
wichtig sind, jetzt den dritten Platz nach den USA und
Japan erreicht hat. Als weiterer Indikator ist auch die
Zahl der Beschäftigten im Wissenschafts- und Forschungssystem zu nennen. Die Zahl ist um über 100 000
auf rund 600 000 Beschäftigte gestiegen.
Weitergehende volkswirtschaftliche Effekte auf die
Situation in Deutschland sind zum Beispiel: Wir haben
die höchste Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten,
und zugleich auch eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit.
Wir sind der Meinung, dass diese Effekte dem klugen
Verhalten Deutschlands, während der Zeit der Finanzund Wirtschaftskrise in Forschung und Innovation zu investieren, geschuldet sind. Dies hat auch dazu beigetragen, dass wir uns so schnell erholt haben und unser Bruttoinlandsprodukt nach der Krise fast doppelt so schnell
gewachsen ist wie das der anderen EU-Staaten.
Das sind aus meiner Sicht Indikatoren, die belegen,
dass Forschung und Entwicklung wirklich und nicht nur
in Sonntagsreden ein ganz zentrales Element für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft sind.
Jetzt hat der Kollege Rabanus das Wort und dann Herr
Röspel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie
haben eben betont, wie wichtig Forschung und Entwicklung in Unternehmen seien. Meine Nachfrage dazu: Gibt
es eine Einschätzung der Bundesregierung, wie stabil
Forschung und Entwicklung in Unternehmen sind, oder
gibt es vielleicht einen Trend oder Tendenzen hin zur
Abwanderung? Wenn es diese gibt: Welche Strategie
verfolgt die Bundesregierung, um damit umzugehen?
Nicht nur unserem Bericht, sondern auch den Gutachten und den Untersuchungen der ZAB liegt die eindeutige Aussage zugrunde, dass wir im Bereich weniger
Branchen sehr stabile Forschungsleistungen haben. Dort
sind wir ausgewiesen spitze. Hinzugekommen ist hier
der IuK-Bereich. Dort verzeichnen wir stärker Innnovationen, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.
Für uns ist es sehr wichtig - ich habe vorhin darauf
hingewiesen -, dafür zu sorgen, dass es für die kleinen
und mittelständischen Unternehmen attraktiver wird, zu
forschen, statt nur Produkte weiterzuentwickeln. Ganz
zentral ist die Tatsache, dass es uns im Rahmen der
Hightech-Strategie, zum Beispiel durch den Spitzencluster-Wettbewerb oder durch die Verbindung von öffentlicher und privater Forschung, gelungen ist, Anreize
zu setzen. So sorgen wir mit den Spitzenclustern dafür,
dass wir in diesen Bereichen in einigen Jahren Weltspitze sein werden.
Jetzt hat der Kollege Röspel das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Die Expertenkommission
Forschung und Innovation legt uns ja „Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands“ vor, und das, wie ich finde, seit Jahren in bewährter Manier. Nun ist es so, dass dieser
Kommission mittlerweile mit Ausnahme des Vorsitzenden, Professor Harhoff, nur noch - in Anführungsstrichen - Wirtschaftswissenschaftler angehören. Wird die
Bundesregierung bei künftigen Berufungen wieder stärker Naturwissenschaftler, Ingenieure und Technologen
einbeziehen?
Ja, Herr Röspel, das werden wir machen. Es gibt ja
immer wieder Nachbesetzungen.
Im Übrigen wurde der Teil des Gutachtens über das
EEG, der uns beiden nicht gefallen hat, von jemandem
verfasst, der naturwissenschaftlich qualifiziert ist.
Jetzt hat der Kollege Gehring das Wort.
Seit über einem halben Jahr gibt es in dieser Bundesregierung einen großen Konflikt darüber, ob und wie
dieses 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildung, Forschung und Wissenschaft so an die Länder verteilt
werden kann, dass es den Bildungs- und Forschungseinrichtungen zugutekommt. Am Montag gab es einen bemerkenswerten Vorgang: Die großen Wissenschaftsorganisationen haben sich zum zweiten Mal seit Bestehen der
Bundespressekonferenz mit einem Weckruf bzw. einem
Alarmsignal an die Republik gewendet und darauf hingewiesen, dass in diesem ganzen Bereich keine Planungssicherheit besteht, weil Sie die großen Finanzierungsfragen noch nicht geklärt haben. Deshalb würde
mich sehr interessieren, wann mit einer Einigung zu
rechnen ist, ob Sie, wenn es am kommenden Wochenende ein Treffen gibt, an den Gesprächen über Ausgabezeitpunkt und Verteilung der Wissenschafts- und Forschungsmittel beteiligt sind und ob Sie es angesichts des
3,5-Prozent-Ziels, das wir uns eigentlich setzen müssten,
angemessen finden, dass es um nur 6 plus 3 Milliarden
Euro geht? Im Verhältnis zum sehr großen, umfassenden
und teuren Rentenpaket finden wir das unzureichend,
wenn wir innovationsstark bleiben wollen.
Forschung und Innovation in Deutschland bezahlen
wir nicht aus den Rentenbeiträgen
({0})
- ja, das ist so -, sondern aus Steuermitteln. In den Koalitionsverhandlungen ist ergänzend zu all dem, was
schon im Plan stand, gesagt worden: 23 Milliarden Euro
Mehrausgaben in dieser Legislaturperiode; und von diesen 23 Milliarden Euro werden 9 Milliarden Euro für
den Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung vorgesehen. Das ist, wenn ich richtig rechne, mehr als ein
Drittel. Ich denke, das ist eine ganz klare Prioritätensetzung seitens der Koalitionsfraktionen.
Die Pressekonferenz von Herrn Hippler, HRK-Chef,
Herrn Strohschneider, DFG-Chef, und Herrn Marquardt,
Chef des Wissenschaftsrats, habe ich sehr genau verfolgt. Sie sind nicht wegen mangelnder Sicherheit in
Aufregung; denn alle außeruniversitären Einrichtungen
haben ganz klare Rahmenbedingungen. Und dass sie so
schnell wie möglich eine Lösung haben möchten, ist natürlich; dafür haben sie geworben. Das finde ich völlig
legitim. Wir sind bei den Verhandlungen auf der Zielgeraden. Ich denke, es wird eine gute Lösung.
({1})
Als Nächster hat der Kollege Diaby das Wort.
Frau Ministerin, das EFI-Gutachten wurde mehrfach
erwähnt. Ich möchte fragen, welche Forderungen aus
den letzten EFI-Gutachten die Bundesregierung umsetzen wird bzw. bereits umgesetzt hat.
Herr Diaby - ich habe mir Ihren Namen gemerkt; Sie
haben mich kritisiert, dass ich ihn immer vergesse -, das
EFI-Gutachten wurde vor kurzem veröffentlicht. Viele
der Positionen in diesem Gutachten entsprechen genau
unseren Handlungslinien. Hinsichtlich der Programmpauschale ist zum Beispiel das, was die Experten sich
wünschen, bis jetzt noch nicht umgesetzt, aber wir stehen dazu in Verhandlungen mit den Ländern. Wenn sie
sagen, dass sie Verlässlichkeit im Bereich der außeruniversitären Einrichtungen wollen, dann sage ich: Das machen wir auf jeden Fall, hundertprozentig; wir sind im
Gespräch. Wenn sie sich deutlich für die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie aussprechen, dann sage ich:
Das steht nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern wird
jetzt auch getan. Man kann also sagen, dass wir für den
größten Teil der Schlussfolgerungen ein hohes Maß an
Sympathie haben, aber nicht für jeden Einzelfall. Wo wir
es möglich machen können und es prinzipiell für richtig
halten, versuchen wir seitens der Bundesregierung, diese
Empfehlungen umzusetzen.
Jetzt hat der Kollege Rossmann das Wort.
Frau Ministerin, Kollege Gehring hatte schon auf das
anspruchsvolle 3,5-Prozent-Ziel hingewiesen und nach
Braindrain und Braingain gefragt. Ich möchte die Frage
zuspitzen, weil der Kollege Fuchtel, der Schutzpatron
Griechenlands, hinter Ihnen sitzt: In den südeuropäischen Ländern gibt es große Probleme. Griechenland
beispielsweise investiert aktuell 0,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung. Um die
Zahl zu wiederholen: Griechenland hat in den letzten
zwei, drei Jahren einen enormen Braindrain erlebt, da
100 000 wissenschaftlich qualifizierte Menschen ausgewandert sind. Auf Deutschland bezogen wären das
800 000 Menschen. Ich sage das, damit wir wissen, was
wir dem Land zumuten und welche Entwicklung sich
dort vollzieht. Können Sie sagen, mit welchen Initiativen
die Bundesregierung das, was in ihrer Stellungnahme
enthalten ist, ausfüllen will, wie sie also die Entwicklung
im Bereich Wissenschaft und Forschung in südeuropäischen Ländern, in Ländern, die sich trotz Strukturkrise
entwickeln sollen, befördern will? Was sind die besonderen Anknüpfungspunkte - vom DAAD bis hin zu europäischer Einwirkung -, damit wir 2020 das 3-ProzentZiel tatsächlich in allen Ländern erreichen und es nicht
etwa dazu kommt, dass Deutschland 3,5 Prozent und
Griechenland 1,0 Prozent erreichen?
Wir haben eine Reihe von Maßnahmen in diesen Ländern ergriffen, nicht nur im akademischen Bereich, und
haben auch entsprechende Kontakte. Bezüglich Griechenland - das Land haben Sie ja explizit angesprochen gibt es im Rahmen des DAAD spezielle Programme, um
griechische Studierende und Absolventen zu unterstützen. Wir stocken in der EU die Mittel für ERASMUS
- dafür hat Deutschland sehr gekämpft - um 40 Prozent
auf. Wir führen auch im Bereich der beruflichen Bildung, die in der jetzigen Diskussion noch keine Rolle
spielte und immer wenig beachtet wird, entsprechende
Maßnahmen durch. Auch daran haben diese Länder Interesse. Es gibt ein Memorandum - Griechenland und Spanien sind beispielsweise dabei, aber nicht nur diese -, in
dem wir entsprechende Unterstützung vereinbart haben.
Dabei geht es nicht um einen simplen Export, also nicht
darum, das, was wir in Deutschland machen, in diesen
Ländern vor Ort zu reproduzieren, sondern um Förderung. Gleichzeitig wollen wir - das betrifft insbesondere
den Bereich des Arbeitsministeriums - Jugendliche, die
jetzt die Chance nutzen, in Deutschland eine Ausbildung
zu absolvieren, finanziell unterstützen.
Es gibt zwischen den Universitäten traditionell schon
lange bestehende Kontakte. Diese führen jetzt in dieser
speziellen Situation dazu, dass man auch vonseiten der
deutschen Hochschulen und nicht nur vonseiten des
Bundes die Möglichkeiten nutzt, die es gibt. Speziell
beim DAAD sind wir auf diese Problematik eingegangen.
Jetzt hat der Kollege Lenkert das Wort.
Frau Ministerin, ich hatte vorhin nach den Arbeitsbedingungen gefragt. Ich möchte Sie noch einmal daran
erinnern: 85 Prozent aller Jungabsolventen, die an Hochschulen beschäftigt sind, haben befristete Arbeitsverträge, davon sind zwei Drittel auf weniger als ein Jahr
befristet. Das sind für mich keine Bedingungen, die dafür sorgen, dass ein Wechsel stattfindet, sondern solche
Bedingungen bieten schlicht keine Planbarkeit. Demzufolge wird unserer Industrie irgendwann der Nachwuchs
ausgehen. Die Firma Bayer hat wahrscheinlich aus diesen
Gründen ein riesiges Forschungszentrum in Schanghai
eingerichtet. Dort sind ja die Absolventenzahlen deutlich
höher, und vor allen Dingen bleiben dort die besten Absolventen an den Hochschulen, was die Qualität zukünftiger Absolventen deutlich steigern wird.
Jetzt zum zweiten Teil meiner Frage, auf den Sie vorhin nicht eingegangen sind. Sie wollen den Ländern zusätzlich 6 Milliarden Euro für Bildung geben. Wie wollen Sie sicherstellen, dass das Geld in der Bildung
ankommt, und wollen Sie das Kooperationsverbot zu
diesem Zwecke aufheben?
Ich habe die Logik Ihrer Frage vorhin schon nicht
verstanden. Sie sagen: Wenn die Bedingungen an den
Hochschulen für den wissenschaftlichen Nachwuchs
nicht gut sind, dann fehlen die guten Kräfte in der Wirtschaft - so Ihre These. Das Gegenteil müsste dann doch
der Fall sein: Nachwuchswissenschaftler müssten ein
großes Interesse haben, zu optimalen Bedingungen in
die großen Forschungsabteilungen der Wirtschaft zu gehen.
Es gibt übrigens auch kein einziges Programm des
Bundes, aus dem sich eine Befristung auf ein Jahr oder
weniger für die Mitarbeiter an den Hochschulen ableitet,
im Gegenteil. Über diesen Punkt haben wir in den Koalitionsverhandlungen diskutiert, also darüber, wie man gegen diese Praxis, dass die Hochschulen Arbeitsverträge
oft sehr kurz befristen, angehen kann. Das ist keine
Folge, die sich irgendwie aus unseren Gesetzen ergibt,
aber in der Praxis ist es so. Das sage ich klipp und klar.
Ich kann auch Ihre Dramatisierung, dass es befristete
Arbeitsverhältnisse gibt, nicht nachvollziehen. Wenn
man promoviert, dann hat man natürlich ein befristetes
Arbeitsverhältnis, und danach entscheidet man sich. Das
dauert, je nachdem, drei, vier oder fünf Jahre. Das ist
ganz normal, und das ist, soweit ich weiß, auch an den
Hochschulen in den meisten anderen Ländern so.
Was die Sicherheit betrifft: Ich gehe davon aus, dass
Bund und Länder ein gemeinsames Interesse daran haben. Mit den 2008 zwischen der Bundeskanzlerin und
den Ländern vereinbarten Zielen, zum einen das 10-Prozent-Ziel und zum anderen das 3-Prozent-Ziel, haben
wir, glaube ich, eine gute Basis. Natürlich kann der
Bund, auch wenn Sie sich das wünschen, die Länder
nicht einfach zwangsverpflichten. Wenn man Vereinbarungen trifft, müssen diese aus gegenseitigem Respekt
realisiert werden. Wir haben zum Beispiel beim Hochschulpakt und bei der Exzellenzinitiative - hier gibt es ja
Bund-Länder-Kooperationen; jeder zahlt seinen Teil gute Erfahrungen gemacht. Das ist zwar nicht immer
einfach abrechenbar, aber im Prinzip gibt es da klare Regeln. Ich bin jedenfalls nicht diejenige, die den Ländern
einfach etwas vorschreibt. Das kann ich nicht.
Noch einen Satz: Für eine Veränderung von Artikel 91 b des Grundgesetzes bin ich sehr. Das halte ich im
Wissenschaftsbereich für zwingend notwendig.
Jetzt hat der Kollege Dr. Thomas Feist das Wort.
Frau Ministerin, Investitionen in Forschung und Entwicklung sind immer Investitionen, die, wie ich finde,
gerechterweise nur zum Teil mit Wissenschaft zu tun haDr. Thomas Feist
ben. Sie haben völlig zu Recht auch auf Ausbildung hingewiesen. Wie lautet Ihr Vorschlag, um in die Zukunft
unseres Standortes zu investieren und dabei gleichzeitig
etwas für die Gleichwertigkeit von akademischen und
beruflichen Bildungsabschlüssen zu tun?
Wir haben gemeinsam mit der Kulturministerkonferenz im Rahmen des DQR die Gleichstellung von
Meister- und Bachelorabschlüssen beschlossen. In Dortmund habe ich die ersten Meisterbriefe, in denen das
verankert und dokumentiert ist, zusammen mit dem Chef
der Handwerkskammer übergeben dürfen.
Was wir brauchen, ist eine größere Wertschätzung der
dualen Ausbildung, der beruflichen Ausbildung, der
Qualität der Arbeit eines Handwerkers und eines Facharbeiters. Das lässt sich durch bunte Flyer und Plakate
nicht so einfach erreichen. Hier tun wir sehr viel, und wir
werden unsere Bemühungen verstärken. Es ist notwendig, dass man sich gesamtgesellschaftlich klarmacht, in
welch schwierige Situation wir kommen, wenn wir
junge Menschen nicht in verstärktem Maße für eine duale Ausbildung gewinnen. Dieses Thema ist aber auch
im Hinblick auf die Lebenschancen des Einzelnen und
die Bildungsgerechtigkeit sehr wichtig.
Ich sage es gerne noch einmal - dabei richte ich mich
insbesondere an die jungen Menschen, die auf der Zuschauertribüne sitzen -: Wir haben in Deutschland im
Moment eine gute Situation. Die Arbeitslosenquote liegt
im Schnitt bei etwas über 5 Prozent; die Lage ist regional allerdings sehr unterschiedlich. In dieser Situation
herrscht unter denjenigen, die einen akademischen Abschluss haben, eine Arbeitslosenquote von 2,4 Prozent.
In der Gruppe derer, die keinen Abschluss haben, beträgt
die Arbeitslosenquote über 19 Prozent. Das heißt, jeder
Fünfte ohne Abschluss ist ohne Arbeit, und das in einer
Situation, in der die Arbeitslosigkeit insgesamt gering
ist. Deswegen ist es, was die Bildungsgerechtigkeit betrifft, ganz wichtig, dass sich die Bundesregierung, das
Parlament und alle Fraktionen gemeinsam darum bemühen, die Akzeptanz der dualen Ausbildung und ihre Bedingungen zu verbessern.
ERASMUS plus bietet sehr attraktive Bedingungen.
Wenn jemand zum Beispiel im Rahmen einer Ausbildung zum Handwerker für drei Wochen ins Ausland
geht, dann wird dies finanziell und auch in jeder anderen
Hinsicht sehr viel stärker unterstützt, als es bei Studenten im Rahmen von ERASMUS der Fall ist. Das ist ein
Fingerzeig, dass wir uns hier besonders bemühen wollen.
Danke.
Jetzt hat der Kollege Gehring das Wort.
Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass Sie
sich stärker um die klügsten Köpfe bemühen wollen.
Das steht durchaus im Widerspruch zum zunehmenden
Befristungsunwesen an vielen Hochschulen hierzulande;
der Kollege von der Linksfraktion hat darauf hingewiesen. Deshalb möchte ich Ihnen die Frage stellen - ich
bitte Sie um eine Antwort -: Was tun Sie, um im Hochschul- und Wissenschaftssystem in Deutschland wettbewerbsfähige Beschäftigungsverhältnisse zu gewährleisten, die fair ausgestaltet sind und eine verlässliche
Perspektive bieten? Ganz konkret: Wieso nehmen Sie
sich kein neues Juniorprofessuren-Programm vor? Wann
kommt die Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz? Wie wollen Sie, wie im Koalitionsvertrag angekündigt und versprochen, die Grundfinanzierung der
Hochschulen verbessern? Das sind drei Bausteine, die
Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs
schaffen. Es wäre schön, wenn Sie sich hierzu konkret
verhalten würden.
Die Einführung der Juniorprofessur war - Frau
Bulmahn, Sie erinnern sich - mit großen Widerständen
verbunden. Unser Ziel war es, sie zu einem ganz normalen Instrument der akademischen Karriere zu machen.
Das hat funktioniert. Heute gibt es die Juniorprofessur,
und sie ist akzeptiert. Allerdings gibt es auch andere
Wege, die möglich sind.
Zum Beispiel ist bei den Juniorprofessuren - das freut
mich besonders - ein viel höherer Frauenanteil als bei allen anderen Professuren zu verzeichnen. Auch in dieser
Hinsicht sind sie also ein geeignetes Instrument. Es besteht aber keine Notwendigkeit, Dinge, die angeschoben
und initiiert wurden, auf Dauer zu fördern, wenn man
dadurch in das normale Regelwerk der Hochschulen eingreift. Die Hochschulen haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie sie mit diesem Thema - Juniorprofessuren
und andere Professuren - umgehen.
Ich glaube, wenn der Bund, die Bundesregierung, die
Koalitionsfraktionen sagen würden: „Wir wollen die
Grundfinanzierung der Hochschulen unterstützen“, dann
ginge das weit über unseren Auftrag hinaus. Dazu besteht weder eine rechtliche Verpflichtung, noch gibt es
ohne Weiteres die entsprechenden Möglichkeiten. Es
wäre eine kleine Revolution, wenn wir das hinbekommen würden. Wir wollen, dass die Bedingungen an den
Hochschulen verbessert werden, auch dadurch, dass die
Grundfinanzierung verbessert wird.
Ein Beispiel ist die Exzellenzinitiative. Wozu führt
sie? In der Regel hat sie zur Folge, dass in den Hochschulen viel Geld für qualifizierte Arbeitsplätze vorhanden ist. Dass der Anteil junger Menschen, der an einer
Hochschule oder Wissenschaftseinrichtung befristet
- das ist für sie ein großer Nachteil - beschäftigt ist, so
groß ist, hat damit zu tun, dass der Bund die dafür erforderlichen finanziellen Möglichkeiten geschaffen hat.
({0})
- Das wird angegangen, haben wir uns vorgenommen.
Jetzt hat der Kollege Kaczmarek das Wort.
Frau Ministerin, ich teile das, was Sie zum Thema
„Wertschätzung für das duale System“ gesagt haben,
voll und ganz. Ich wundere mich manchmal, dass - das
haben Sie nicht gesagt; aber so etwas ist manchmal zu
lesen - ein Widerspruch zwischen dualem System und
akademischer Ausbildung konstruiert wird. Wir erleben
doch gerade das Gegenteil: Arbeitgeber fragen nach Anteilen von beruflicher Ausbildung und akademischer
Ausbildung. Deswegen die Frage: Sehen Sie noch Nachholbedarf, was den Zugang beruflich Qualifizierter zu
den Hochschulen angeht? Müssen wir nicht eher über
eine Verschränkung von akademischer und dualer Ausbildung reden?
Ja, genau das müssen wir. Ich bin sehr froh, dass dieser simplen Diskussion, akademische Abschlüsse und
Berufsabschlüsse gegeneinander auszuspielen, beim
EFI-Gutachten dezidiert nicht gefolgt wurde.
Eine wichtige Möglichkeit, um die berufliche Ausbildung zu stärken, ist die Erhöhung der Durchlässigkeit.
Das heißt, wer nach zwei, drei Jahren Berufsausbildung
einen Berufsabschluss erworben und drei Jahre Berufspraxis hat, kann in Deutschland - in dieser Hinsicht sind
mittlerweile alle Ländergesetze novelliert worden - mit
dieser beruflichen Erfahrung studieren. Man muss kein
Abitur nachholen, man braucht nicht den zweiten Bildungsweg zu beschreiten. Man darf allerdings nicht jedes Fach studieren, sondern nur eines, das mit dem Beruf
zusammenhängt. Allerdings sind - da müssen wir noch
stärker argumentieren - in vielen Bundesländern für solche Bewerber noch große Hürden aufgerichtet, weil man
mit Eingangsprüfung, Probesemester oder anderem konfrontiert wird. Das schreckt ab. An dieser Baustelle ist
noch zu arbeiten. Rechtlich ist ein solches Verfahren
okay; aber damit das Studieren für Bewerber mit beruflichem Hintergrund attraktiv und möglich wird, müssen
wir, Bund und Länder, noch gemeinsam darauf hinwirken.
Jetzt hat der Kollege Kaufmann das Wort.
Frau Ministerin, wir wollen ja eines der Hauptinstrumente unserer erfolgreichen Innovationspolitik, die
Hightech-Strategie, weiterentwickeln. Welche Rolle
spielen dabei Ihres Erachtens die „Forschungsunion
Wirtschaft - Wissenschaft“ und eine noch weiter vertiefte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik?
Wir können es uns nicht leisten, dass gute Ideen, dass
Patente, die in Deutschland entwickelt werden, ohne
Weiteres das Land verlassen. Unser Interesse muss es
sein, dass möglichst viel in Deutschland - oder für
Deutschland im Ausland - umgesetzt wird. Deswegen
kann die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft keine simple Transferschiene sein, sondern
dafür braucht man - das ist ein komplexes Gebilde neue Formate. Zum Beispiel der Forschungscampus ist
so ein Format. Beim Forschungscampus arbeiten Industrieunternehmen und Hochschulen zusammen, über zehn
Jahre, vom Bund unterstützt und gefördert, um im vorwettbewerblichen Bereich abzuklopfen, was für ein Potenzial zum Beispiel eine Bachelorarbeit für ein Produkt
oder etwas anderes hat. Das heißt, eine Aufgabe ist es,
auch über neue Formate nachzudenken - neben denen,
die im Rahmen der Hightech-Strategie schon etabliert
sind -, um die Zusammenarbeit von Wissenschaft und
Wirtschaft, die ja keine Einbahnstraße sein kann, sondern sehr komplex ist, noch zu stärken.
Was den Übergang von Ideen aus der Grundlagenforschung zu Produkten angeht, sind wir in Deutschland
sehr, sehr gut. Trotzdem haben wir noch Luft nach oben.
Wichtig ist, dass wir auch in der Grundlagenforschung in
der Lage sind, zukünftige Herausforderungen zu erkennen und Ideen an einer Stelle zu fördern und zu unterstützen, wo es noch gar nicht um die Verwertbarkeit von
Produkten gehen kann. Das haben wir zum Beispiel bei
der Batterieforschung oder bei der ressourcenschonenden Produktion erreicht.
Zum Schluss hat der Kollege Gehring noch einmal
das Wort.
Im Bericht der Bundesregierung ist die Lage wahrscheinlich nicht nur gut und schön beschrieben. Deswegen würde ich Sie jetzt gerne noch einmal fragen: Wo sehen Sie denn eigentlich, wo sieht der Bericht Lücken im
Innovationsprozess in Deutschland? Wo müssen wir besser werden, und wie wollen Sie dazu beitragen?
Ich hatte vorhin erwähnt, Herr Gehring, dass wir die
Hightech-Strategie weiterentwickeln. Genau an der
Stelle können wir schauen, wo wir Schwächen haben.
Damit kann man vieles, glaube ich, bewältigen.
Eine der Schwächen war, dass Kleinunternehmen
noch nicht umfassend in den Innovationsprozess eingebunden sind.
Ein anderes wichtiges Thema ist Wagniskapital. Ich
finde nicht, dass wir einfach die amerikanische Variante
hier realisieren können. Wir brauchen aber Neuerungen
beim Wagniskapital.
Wir haben - da bin ich mir mit dem Wirtschaftsminister einig - viele Instrumente, um Gründungen zu unterstützen; aber gerade im Hightechbereich ist da noch einiges möglich.
Was für mich keine Schwäche ist, sondern etwas, wo
wir stärker werden sollten, ist das Thema „Einbindung
der Innovation in die Zivilgesellschaft“. Einige wichtige
Themen werden in Deutschland nicht mehr behandelt.
Das kann uns Arbeitsplätze kosten. In diesen Bereichen
fallen wir zurück.
Es ist wichtig, von Anfang an auf die Ängste der
Menschen, die es durchaus gibt, zu reagieren, die Sorgen
der Menschen ernst zu nehmen und sich zu überlegen,
wie man dort entsprechend kommunizieren und das
durch Forschung begleiten kann; das machen wir jetzt
zum Beispiel im Bereich der Energieforschung mit großen Projekten.
Das sind einige wichtige Punkte. Es gibt aber noch
viele andere. Ich möchte zum Beispiel gerne, dass die
Fachhochschulen noch sehr viel stärker in der Breite präsent sind, weil sie Anlaufstellen für die kleinen und mittleren Unternehmen sind. Das ist aus meiner Sicht ein
Weg, um Innovationen mehr zu befördern.
Ich hoffe auf eine gute Diskussion, wenn wir hier
über unsere Eckpunkte für die Weiterentwicklung der
Hightech-Strategie sprechen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es Fragen zu
anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das
ist nicht der Fall. Damit beende ich den Bereich der Themen der heutigen Kabinettssitzung.
Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung
der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/1433
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung
steht die Staatssekretärin Frau Fischbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Welche Bemühungen unternimmt das Bundesministerium
für Gesundheit, um sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten in Deutschland sicher vor gefährlichen und verbotenen
Therapieformen wie zum Beispiel „Konversionstherapien“
und „reparative“ Verfahren bei Homosexualität sind, und welche Informationen hat die Bundesregierung über die Verbreitung solcher „Therapien“?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Vogler, ich antworte Ihnen gerne auf Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung, wie im Übrigen auch die
Bundesärztekammer und der Weltärztebund, vertritt die
Auffassung, dass Homosexualität keine Krankheit ist
und keiner Therapie bedarf. Werden trotzdem fragwürdige Therapien angeboten, die geeignet sind, Patientinnen oder Patienten zu schädigen, dann sind die Ärztekammern oder die Approbationsbehörden gefordert, im
Einzelfall berufsrechtliche Schritte einzuleiten.
Die Bundesregierung hat keine Informationen darüber, wie häufig sogenannte Therapien angeboten werden, die auf die Veränderung einer homosexuellen
Orientierung zielen.
Frau Vogler.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Hier kann ich
gleich ansetzen. Da diese sogenannten Therapien von
Homosexualität nach Auffassung der Bundesregierung
und auch nach Auffassung der Bundesärztekammer gar
keine Therapien sind, weil sie medizinischen Erkenntnissen und dem Stand der Wissenschaft widersprechen,
frage ich, welche konkreten Handlungsmöglichkeiten
die Bundesregierung sieht, auf die Approbationsbehörden und die Ärztekammern einzuwirken, damit dort zum
einen intensiver recherchiert wird, in welchem Umfang
es diese Art von seltsamen Therapieversuchen gibt, und
zum anderen Sanktionen gegen Ärztinnen und Ärzte verhängt werden, die derlei betreiben.
Frau Vogler, die Aufsicht über die Berufsausübung
der Heilberufe liegt in der Hoheit der Länder. Hier sind
also die Länder gefordert.
Bei den Ärztekammern sind Gutachterkommissionen
eingerichtet, die befragt und angerufen werden können,
und auch die Schlichtungsstellen sollen versuchen, den
Patienten zu ihrem Recht zu verhelfen.
Ich will das noch einmal ganz deutlich sagen: Aufgrund des Patientenschutzes ist es in Deutschland nicht
möglich, ohne Einwilligung des Patienten eine Therapie
durchzuführen. Wir haben ein Behandlungsvertragsrecht
- das ist im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergeschrieben -, das deutlich macht, dass nur allgemein anerkannte
fachliche Standards angewandt werden dürfen und dass
die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und die ärztlichen und fachärztlichen Erfahrungen eine Rolle spielen
und mit in die Behandlung einfließen sollen, damit das
Behandlungsziel auch erreicht wird.
Für uns und für die Fachwelt erfüllen die Therapien,
die Sie genannt haben, diese Standards nicht.
Frau Kollegin Vogler hat noch eine zweite Zusatzfrage.
Vielen Dank. - Die Frage, die ich gestellt habe, und
auch die folgenden Fragen der Kolleginnen und Kollegen basieren auf den Recherchen des Journalisten
Christian Deker, der im Selbstversuch Arztpraxen aufgesucht hat, in denen diese angebliche Therapie angeboten
wurde. Er hat mit Erstaunen festgestellt, dass diese Therapien auf den Rechnungen - er hatte sich als Privatpatient ausgegeben - teilweise unter anderen Bezeichnun2944
gen abgerechnet wurden. Außerdem musste er bei
Nachfrage an die gesetzlichen Krankenversicherungen
feststellen - ich zitiere wörtlich -:
Auf die Frage, ob das erlaubt sei, antwortet keine
einzige der angefragten Versicherungen mit einem
klaren Nein.
Ich möchte Sie an dieser Stelle gerne fragen: Wie
sieht die Bundesregierung die Erstattung solch zweifelhafter Verfahren durch private Krankenversicherungen
oder gesetzliche Krankenkassen? Halten Sie das für erlaubt?
Wir müssen hier etwas genauer hinsehen. Es gibt Situationen, in denen Betroffene - ich sage es einmal so krankheitswertige Ausprägungen zeigen. Gerade junge
Menschen werden mit der Situation konfrontiert, dass
sie Fragen haben und noch nicht wissen: Wie sieht es mit
der eigenen sexuellen Identität aus? Wohin will ich? - In
Einzelfällen kann es möglich und auch nötig sein, wenn
es krankheitswertig ist, dass die Therapien verordnet und
abgerechnet werden. Aber ich sage noch einmal: In allen
anderen Fällen muss der Patient seine Einwilligung zu
diesen Therapien geben, sonst dürfen sie nicht durchgeführt werden.
Jetzt hat der Kollege Petzold das Wort für eine Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Fischbach, wenn es diese hohe Übereinstimmung zwischen Ihrem Haus und der Bundesärztekammer gibt,
dann möchte ich Sie gerne fragen, was Sie von der Idee
halten, dass die Bundesregierung gemeinsam mit der
Bundesärztekammer eine öffentliche Kampagne zum
Thema „Homosexualität ist keine Krankheit“ durchführt. Dann wüssten möglicherweise unter anderem die
Jugendlichen, von denen Sie gesprochen haben, dass sie
vielleicht gar keine Krankheit haben und keine zweifelhafte Therapie benötigen, sondern anderweitig geklärt
werden kann, was mit ihnen los ist. Was halten Sie von
einer derartigen Kampagne, die dann auch in allen Arztpraxen aushängen könnte, um deutlich zu machen, dass
es sich hier um keine Krankheit handelt?
Herr Kollege Petzold, die Bundesregierung finanziert
über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
viele Kampagnen und verfügt über wirklich hervorragendes Informationsmaterial. Auf diesem Gebiet laufen
sehr viele Kampagnen, gerade auch für die Schule, also
genau den Bereich, in dem sich junge Menschen, die in
der Persönlichkeitsfindung sind, aufhalten.
Diese Kampagnen sind sehr gut und werden sehr gut
angenommen; das zeigen die Zahlen der Inanspruchnahme. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben können. Aber wir haben im
Moment einiges an Kampagnen auf den Weg gebracht,
die genau das beinhalten, was Sie fordern.
Jetzt komme ich zur Frage 2 der Abgeordneten Birgit
Wöllert. Hier ist um eine schriftliche Beantwortung gebeten worden.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Harald Petzold
auf:
Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um
Betroffene vor den teilweise gesundheitsschädlichen „Konversionstherapien“ bzw. „reparativen“ Verfahren bei Homosexualität zu schützen, und wie werden die Geschädigten von
der Bundesregierung unterstützt angesichts der Tatsache, dass
nicht nur christlich fundamentalistische Gruppen bis heute
meinen, Homosexualität sei eine veränderbare Charaktereigenschaft, sondern auch einige approbierte Ärztinnen und
Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
„Konversionsbehandlungen“ anbieten, um Homosexualität zu
„heilen“?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, manches wird jetzt
wiederholt, weil die Fragestellungen der vorherigen Fragen fast identisch sind und sich nur in wenigen Details
unterscheiden. Nichtsdestotrotz, Herr Kollege Petzold,
antworte ich Ihnen gerne wie folgt: Die Bundesregierung
ist mit der Bundesärztekammer und dem Weltärztebund
der Auffassung, dass Homosexualität keine Erkrankung
ist und deshalb keiner Therapie bedarf. Die in Rede stehenden auf Beseitigung einer Homosexualität ausgerichteten Therapien werden in Fachkreisen abgelehnt. Ob
die Anwendung oben genannter Therapien im Einzelfall
gegen berufsrechtliche Pflichten des Arztes oder Psychotherapeuten verstößt, obliegt - das hatte ich vorhin
schon gesagt - der Überprüfung der zuständigen Landesbehörden.
Mit dem 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz hat die Bundesregierung wichtige Impulse gesetzt,
um Patientinnen und Patienten im Behandlungsverhältnis zu schützen; denn die Entscheidung darüber, ob und
welche Behandlung durchgeführt werden soll, trifft der
Behandelnde nicht alleine. Rechtliche Grundlage für
eine Behandlung ist immer die Einwilligung des Patienten, nachdem er vom Behandelnden - auch das ist wichtig - umfassend aufgeklärt wurde. Bei der Aufklärung ist
auch auf Alternativen zu der beabsichtigten Behandlungsmaßnahme hinzuweisen. Hinweise zu Risiken und
Chancen der vorgesehenen Behandlung und zu Behandlungsalternativen dürfen nicht auf eine abstrakte Risikobeschreibung beschränkt sein.
Mit dem Patientenrechtegesetz wurde auch § 66
SGB V geändert. Die Krankenkassen sollen nunmehr
Versicherte bei dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler unterstützen. Eine fehlerhafte Behandlung kann auch
dann vorliegen, wenn keine Erkrankung vorliegt und
trotzdem behandelt wird oder wenn falsche Therapiemethoden angewendet werden.
Kollege Petzold.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Nachfrage, sehr geehrte Frau Kollegin Fischbach. Was halten
Sie davon, eine Studie in Auftrag zu geben, mit der wissenschaftlich fundiert erforscht wird, inwieweit derartige
Behandlungstherapien in der Ärzteschaft verankert sind
und inwieweit durch diese Therapien Schaden angerichtet wird?
Es gibt sehr viele Studien, die sich mit dem Thema
beschäftigen. Aber anscheinend - so sieht es im Moment
aus - gibt es größere Bedarfe. Wir werden in der Bundesregierung darüber reden und gegebenenfalls auch
neue Studien in Auftrag geben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Petzold.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Sie hatten Mechanismen angesprochen, mit denen Patientenrechte geschützt werden.
Inwieweit wird das durch die Bundesregierung in der öffentlichen Kommunikation unterstützt, bzw. mit welchen
Maßnahmen sorgen Sie dafür, dass so etwas bekannt ist?
Wir haben mit der Neubesetzung des Patientenbeauftragten eine Person innerhalb der Bundesregierung, die
gerade dafür da ist, dafür zu sorgen, dass die Patientenrechte geschützt und eingehalten werden. Wir haben gerade heute Morgen im Ausschuss gehört, dass die Zahl
der Rückmeldungen und Anfragen an diese Stelle sehr
groß ist. Bis zu 7 000 Patienten wenden sich an den Patientenbeauftragten. Das zeigt, dass er in seiner Funktion
wahrgenommen wird und dass die Rückanbindung dann
auch in die Bundesregierung erfolgt.
Frau Vogler hatte sich noch für eine weitere Frage gemeldet.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie haben völlig
zu Recht darauf hingewiesen, dass die informierte Einwilligung des Patienten bzw. der Patientin die Voraussetzung für einen gültigen Behandlungsvertrag ist. Ich
stelle mir die Frage, wie das vor allem bei Jugendlichen
sicherzustellen ist. In diesem Fall sind es ja gar keine Patientinnen und Patienten, sondern es geht um junge Menschen, die gerade in der Phase ihres Coming-out in der
Familie, im Freundeskreis und in der Schule Schwierigkeiten haben und vielleicht auch tatsächlich unter psychischen Druck geraten, weil ihre sexuelle Identität nicht
allgemein anerkannt ist und sie vielleicht sogar von ihren
Eltern zwangsweise einem solchen Scharlatan oder
Pseudotherapeuten vorgeführt werden. Wie können sich
diese jungen Menschen dagegen wehren, und welche
Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Rechte
junger Schwuler und Lesben zu stärken, damit sie sich
gegen solche Zumutungen wehren können?
Ganz klar müssen junge Menschen wissen, wo es Beratungsstellen gibt und wo sie jemanden finden, dem sie
sich anvertrauen können, gerade auch in den Fällen, in
denen die eigene Familie Schwierigkeiten macht oder
dem jungen Menschen nicht die Unterstützung gibt, die
er braucht, um sich in seiner Identität zu finden. Es ist
ganz wichtig, dass er eine Beratungsstelle und eine vertrauensvolle Beratungsperson aufsuchen kann, die ihm
hilft.
Aber ich sage es noch einmal: Wir haben sehr viele
gute Kampagnen und Informationsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gerade auch
zum Coming-out-Prozess, wenn man sich fragt: Wie
gehe ich damit um? Wie kann ich mein Selbstwertgefühl
stärken? - Das muss noch stärker in die Schulen hineingetragen werden. Wir haben viele gute Rückmeldungen
aus den Schulen. Ich glaube, es macht auch Sinn, das
schon in den Sexualkundeunterricht mit einfließen zu
lassen, damit die jungen Menschen früh genug wissen,
welche Hilfestellungen es gibt und an wen sie sich wenden können.
Ich rufe jetzt die Frage 4 des Abgeordneten Harald
Petzold auf:
Wie können sich Betroffene gegen eine „Konversionstherapie“ schützen, da es trotz der Entpathologisierung von Homosexualität in der ICD-10 ({0}) von
1991 weiterhin Möglichkeiten gibt, die nichtheterosexuelle
Orientierung einer Patientin oder eines Patienten wie eine Erkrankung zu behandeln, und welche Initiativen ergreift die
Bundesregierung, um die Möglichkeiten, „Konversionstherapien“ unter dem Deckmantel der ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung abrechnen zu können, einzuschränken?
Ich sage es noch einmal: Es wird sich einiges wiederholen, weil die Fragestellungen nicht sehr voneinander
abweichen.
Herr Kollege Petzold, angesichts der Tatsache, dass
Homosexualität keine Krankheit ist, sollen Betroffene
und deren Angehörige in die Lage versetzt werden, sich
aktiv gegen eine solche Behandlung zu entscheiden. Voraussetzung dafür sind eine sachliche Aufklärung und
Information des Betroffenen über Homosexualität, wie
sie zum Beispiel - ich habe das gerade in meiner Antwort auf die Zusatzfrage gesagt - von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erfolgen. Dort
werden Homosexualität, homosexuelles Coming-out
und homosexuelle Persönlichkeitsentwicklung umfangreich im Rahmen der Sexualaufklärung thematisiert sowie in unterschiedlichen, kostenlosen und leicht zugänglichen Medien - es ist auch wichtig, dass der Zugang
einfach ist - als normaler Teil von Sexualität kommuniziert.
Im Regelfall ist die Durchführung einer psychotherapeutischen Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und meistens auch zulasten der privaten
Krankenversicherung von der Bestätigung des Behandlungsplans durch einen Gutachter abhängig. Dieser prüft
auf der Grundlage eines Berichts des Behandelnden, ob
die beantragte Psychotherapie im jeweiligen Behandlungsfall indiziert ist. Dies dürfte nach der in meiner
Antwort auf Frage 3 erwähnten Einschätzung derartiger
Konversionstherapien zu verneinen sein.
Kollege Petzold.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich habe die
Nachfrage, was Ihr Ministerium unternimmt angesichts
der Tatsache - Frau Vogler hat darauf hingewiesen -,
dass in der Zwischenzeit in der Öffentlichkeit bekannt
geworden ist, dass derartige Therapien zur Anwendung
kommen. Wenn so etwas bekannt wird, muss doch
staatsanwaltschaftlich gegen die entsprechenden Therapeuten zum Beispiel wegen Körperverletzung vorgegangen werden.
Ich sage es noch einmal: Die Aufsicht über die Berufsausübung bei den Heilberufen obliegt den Ländern.
Es geht darum, dass sich die Betroffenen melden und
Anzeige erstatten, damit entsprechend gehandelt werden
kann. Die Bundesregierung kann für niemanden einen
Arzt verklagen. Sie kann in den entsprechenden Fällen
nur auf die Länder einwirken, für große Öffentlichkeit
zu sorgen.
Für eine zweite Zusatzfrage hat der Kollege Petzold
das Wort.
Sie haben die Möglichkeiten, Zugang zu den entsprechenden Informationen zu bekommen, angesprochen.
Meine zweite Zusatzfrage lautet deswegen: Sind Sie als
Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums bereit,
beispielsweise auf der Startseite Ihrer Internetpräsentation einen sehr schnellen Zugang zu den entsprechenden
Informationen zu schaffen bzw. das, was Sie hier über
die fachliche Auffassung Ihres Hauses gesagt haben,
dort zu dokumentieren, und zwar leicht auffindbar und
erkennbar?
Wir überarbeiten die Internetseite unseres Hauses
ständig und überlegen in Gesprächen immer gemeinsam,
an welchen Stellen bestimmte Sachverhalte aufgenommen werden sollen bzw. aufgenommen werden müssen.
Das werden wir auch in diesem Fall tun.
Dann hat die Kollegin Vogler noch eine Frage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen,
dass es umfangreiches Aufklärungsmaterial gibt, das
kostenlos und leicht zugänglich zur Verfügung steht. Sie
haben des Weiteren auf die Sexualaufklärung vor Ort in
Schulen und in den Kommunen hingewiesen. Nun frage
ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass in letzter Zeit in
vielen Kreisen und Kommunen gerade die Projekte zur
Sexualaufklärung Jugendlicher aus Geldmangel oder aus
politischer Opportunität gestrichen worden sind bzw.
erst gar nicht bewilligt worden sind.
Ich war kürzlich in Paderborn, um eine Spende unseres Fraktionsvereins an den Verein pro familia zu überbringen, der super Aufklärungsarbeit leistet und super
Präventionsprojekte für Jugendliche und Menschen mit
Behinderung durchführt. Dieser Verein bekommt aber
vom Kreis Paderborn keinen einzigen Cent dafür.
Meine Frage lautet: Kann sich die Bundesregierung
vorstellen, Kommunen dabei zu unterstützen und sie
aufzufordern, sich diesen Fragen wieder mehr zuzuwenden?
Frau Kollegin, Sie verstehen sicherlich, dass ich keine
Zusage machen kann, dass die Bundesregierung jetzt Paderborn unterstützt in der Ausübung der Tätigkeiten, die
die Kommune aufgrund des SGB VIII vor Ort leisten
muss. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung über Modellprojekte diese Themen immer
wieder in die Fläche bringt. Das werden wir - genauso
wie bisher - auch in diesem Fall tun.
Wir können an der Stelle nur immer wieder darauf
hinweisen, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung hervorragende Materialien kostenlos zur
Verfügung stellt. Auch die Stadt Paderborn, bei der Sie
waren, könnte darauf zurückgreifen und eine vielleicht
noch bessere Aufklärungsarbeit leisten.
Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Harald
Weinberg sowie die Fragen 7 und 8 der Abgeordneten
Maria Klein-Schmeink werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die
Frage 9 des Kollegen Dr. André Hahn, die Fragen 10
und 11 des Kollegen Stephan Kühn sowie die Fragen 12
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
und 13 des Kollegen Herbert Behrens werden ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
In welcher Höhe hat Deutschland in den vergangenen zehn
Jahren finanzielle Mittel für Bauten des US-Militärs und der
NSA in Deutschland, beispielsweise das European Cryptologic Center - „Dagger Complex“ - in Darmstadt bzw. Wiesbaden, beigesteuert - bitte einzeln aufschlüsseln nach Jahren
und Bauprojekten -, und was ist gegebenenfalls der Grund für
deutsche Zahlungen für einen US-Geheimdienst, der nach
Dokumenten Edward Snowdens verdächtig ist, Millionen von
Kommunikationsverbindungen deutscher Staatsbürger illegal, anlasslos und verdachtsunabhängig ausgespäht, gespeichert und ausgewertet zu haben, und für Zahlungen für das
US-Militär, die in zehn Jahren 600 Millionen Euro betragen
haben sollen ({0})?
Zur Beantwortung erhält die Staatssekretärin Frau
Schwarzelühr-Sutter das Wort.
Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, entsprechend den
Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut - ZA NTS sowie mit den in Deutschland stationierten US-Streitkräften bilateral abgeschlossenen Vereinbarungen - das
sind die Auftragsbautengrundsätze ({0}) - werden die Baumaßnahmen der US-Streitkräfte - Neubau-,
Umbau- und Erweiterungsbauten - sowie Bauunterhalt
in der Regel von der Bundesrepublik Deutschland für die
US-Streitkräfte durchgeführt. Die Baukosten dieser Baumaßnahmen werden vollständig von den US-Streitkräften getragen. Zudem entschädigen die US-Streitkräfte
den Bund für die Durchführung der Baumaßnahmen.
Diese Entschädigung - durchschnittlich 6 Prozent der
Baukosten - deckt nicht die tatsächlichen Kosten der
Planungs- und Bauherrenleistungen, die der Bund den
Ländern für die Tätigkeit der organgeliehenen Bauverwaltungen erstattet. Diese Differenz, das heißt der Finanzierungsbeitrag des Bundes, betrug in den letzten
zehn Jahren insgesamt rund 824 Millionen Euro.
Eine detaillierte Aufschlüsselung nach Jahren und
Bauprojekten ist aufgrund der sehr umfangreichen Projektanzahl in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht
möglich und zudem wegen der Vielzahl und Kleinteiligkeit der Maßnahmen mit erheblichem Personalaufwand
verbunden. Auftraggeber der vom Bund für die USStreitkräfte durchgeführten Baumaßnahmen sind ausschließlich Dienststellen der US-Streitkräfte. Baumaßnahmen für nichtmilitärische Einrichtungen sind durch
die vorgenannten Abkommen und Vereinbarungen nicht
gedeckt und werden von der Bundesregierung bzw. von
den für den Bund tätigen Bauverwaltungen auch nicht
übernommen.
Herr Kollege Ströbele.
Danke. - Heißt das konkret - ich habe nach der NSA
gefragt -, dass für NSA und CIA - das sind Geheimdienste der Vereinigten Staaten von Amerika - keinerlei
Kosten anfallen, seien es Kosten für die Durchführung
der Bauten, seien es Kosten für den Geländekauf oder
Ähnliches? Ich habe auch zwei Beispiele genannt.
Ich kann meine Antwort nur wiederholen: Es gibt
eine Unterscheidung zwischen denjenigen Baumaßnahmen, die durch die Abkommen und die bilateralen Vereinbarungen gedeckt sind, und denen, die es nicht sind.
Dabei verweise ich auf meine vorherige Antwort.
Herr Ströbele.
Jetzt muss ich die zwei weiteren Fragen miteinander
verbinden, weil Sie meine Frage nicht beantwortet haben. Heißt das konkret, dass für diese Baumaßnahmen,
also etwa die Verlegung der NSA-Dienststelle von
Darmstadt offenbar nach Wiesbaden, keinerlei Kosten
von der Bundesregierung getragen werden? Sie haben
auch eine weitere Frage nicht beantwortet: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass Deutschland rund
800 Millionen Euro insgesamt für solche Baumaßnahmen ausgibt?
Der Grund - ich hatte das eingangs gesagt - sind die
Abkommen, die wir mit den US-Streitkräften haben. Sie
beziehen sich auf den Dagger Complex in Darmstadt. Da
wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene Baumaßnahmen mit einem Gesamtvolumen der Baukosten
von unter 5 Millionen Euro im Auftragsbauverfahren
von der Bundesbauverwaltung für die Streitkräfte durchgeführt.
Wir kommen damit zur Frage 15 der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl:
Kann das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit, BMUB, ausschließen, dass im
letzten und in diesem Jahr in den diversen Gesprächen zwischen Vertretern des BMUB und der Atommüll-/Abfallverursacher zu Endlager- und Entsorgungsfragen wie beispielsweise zum Schacht Konrad ({0})
von Abfallverursacherseite eine mögliche Veränderung des
bisherigen Systems der Entsorgungsrückstellungen ins Spiel
gebracht wurde, und hatte das BMUB vor dem 11. Mai 2014
von etwaigen Gesprächen anderer Bundesressorts, insbesondere des Bundeskanzleramtes, mit Vertretern der AKW-betrei2948
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
benden Energiekonzerne bzw. der Abfallverursacher zu einer
möglichen Veränderung des bisherigen Systems der Entsorgungsrückstellungen und/oder übergeordneten Überlegungen
einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und Atommüll in dieser Wahlperiode gegebenenfalls Kenntnis?
Frau Staatssekretärin, auch hier haben Sie das Wort.
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Kollegin KottingUhl, zu dieser Thematik hat es weder Verhandlungen der
Bundesregierung mit Vertretern der Energiekonzerne gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung. Dass am Rande von sonstigen Gesprächen
einzelne EVU-Vertreter an Vertreter des BMUB oder anderer Ressorts diese oder ähnliche Überlegungen herangetragen haben, kann seitens des BMUB denktheoretisch nicht ausgeschlossen werden.
Die Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb
der Kernkraftwerke, die Stilllegung und die Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt
sämtliche Kosten der Stilllegung sowie der Entsorgung
zu tragen. Die für die radioaktiven Abfälle verantwortlichen Energiekonzerne haben hierfür in den Handelsbilanzen Rückstellungen in Höhe von circa 36 Milliarden
Euro, Stichtag: 31. Dezember 2013, passiviert. Nach
dem geltenden Verursacherprinzip liegt die volle Kostenverantwortung bei den Unternehmen. Dabei muss gewährleistet sein, dass die erforderlichen finanziellen
Mittel im Bedarfsfall zur Verfügung stehen. Entsprechend dem Koalitionsvertrag wird die Bundesregierung
über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen
mit den Energieversorgungsunternehmen Gespräche
führen.
Frau Kotting-Uhl, Sie haben das Wort zur ersten
Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter.
Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, was den
zweiten Teil betrifft, also die Frage, wer die Verantwortung trägt.
Der erste Teil Ihrer Antwort, was die Kenntnis über
Gespräche, sofern es überhaupt welche gab, betrifft, widerspricht einer Antwort, die mein Kollege Krischer aus
dem Ministerium von Herrn Gabriel bekommen hat. Darin sind nämlich Gespräche zwischen Herrn Gabriel und
Herrn Altmaier einerseits mit Herrn Terium von RWE
und Herrn Teyssen von Eon andererseits durchaus bestätigt worden. Es heißt in dieser Antwort, dass entsprechende Überlegungen vonseiten der Kernkraftwerke
betreibenden Energieversorgungsunternehmen in allgemeiner Form und ohne Konkretisierungen Mitgliedern
der Bundesregierung vorgetragen wurden. Hat Ihr
Ministerium davon überhaupt keine Kenntnis gehabt?
Hat man Sie also durch das Ministerium für Wirtschaft
und Energie über diese Gespräche nicht in Kenntnis gesetzt?
Ich habe gerade betont: Es gab keine Verhandlungen
und auch keine Beschlüsse. Dass dieses Thema am
Rande irgendwelcher anderen Gespräche mit BMUBVertretern behandelt wurde, kann ich denktheoretisch
nicht ausschließen.
Zweite Zusatzfrage.
Halten Sie es denn für möglich, Frau Staatssekretärin,
dass die Energieversorger bei solchen Gesprächen in allgemeiner Form darstellen, was sie sich vorstellen, und
dass darauf überhaupt nicht reagiert wird, dass man das
Ganze also stumm zur Kenntnis nimmt? Gab es Ihrer
Kenntnis nach keinerlei Reaktion?
Zweitens. Ist das BMUB davon in Kenntnis gesetzt
worden, dass es gar keine Reaktion gab, bzw. davon,
dass es eine gab?
Ich möchte noch einmal darauf verweisen, dass es
keine Verhandlungen und Beschlüsse gab, die dieses
Thema zum Inhalt hatten.
Es gibt noch weitere Nachfragewünsche. Zunächst
hat die Kollegin Lemke das Wort.
„Verhandlungen und Beschlüsse“ habe ich verstanden, Frau Staatssekretärin. Vielen Dank für die Auskunft.
Ich möchte nur zum Punkt Gespräche nachfragen;
den Punkt „Verhandlungen und Beschlüsse“ lassen wir
einmal außen vor. Habe ich Sie richtig verstanden, dass
Wirtschaftsministerium und Kanzleramt in Gesprächen
mit den EVU über die Frage Entsorgungsrückstellungen
gesprochen haben und dass sie das BMUB darüber nicht
informiert haben?
Die Liste der Gespräche und Gesprächsteilnehmer ist
ja nachher Gegenstand einer Frage von Herrn Meiwald,
gerichtet an das BMUB, und einer weiteren Frage, gerichtet an das BMWi. Ich möchte jetzt einfach darum bitten, dass ich Ihnen diese Liste nachher zukommen lassen
darf.
({0})
- Es gab keine Gespräche, in denen dieses Thema im
Mittelpunkt stand.
({1})
Natürlich können Sie eine weitere Nachfrage stellen,
Frau Lemke. Ich bitte Sie aber, dafür meine Worterteilung abzuwarten und nicht dazwischenzurufen. - Bitte,
Frau Lemke.
Ich habe verstanden, dass offensichtlich, so wie Sie es
sagten, keine Gespräche zwischen den EVU und dem
BMUB stattgefunden haben. Aber wir haben in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer in den letzten
Tagen erfahren, dass BMWi und Kanzleramt mit den
EVU sehr wohl darüber gesprochen haben; nicht verhandelt und nicht beschlossen, aber gesprochen haben. Ich
wollte nur wissen, ob das BMUB über diese Gespräche,
die in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer
dargelegt worden sind, informiert wurde.
Ich kann das nicht ausschließen, aber ich verweise
dazu noch einmal auf die folgenden Fragen.
Jetzt hat sich noch die Kollegin Höhn zu Wort gemeldet.
Frau Staatssekretärin, es gab gerade dieser Tage im
Handelsblatt einen Artikel, in dem deutlich wurde, dass
der Vattenfall-Konzern die Haftungsmöglichkeiten für
zukünftige Kosten im Zusammenhang mit dem Atommüll jetzt einfach auf seine deutsche Tochter überträgt.
Die Haftung, für die sonst der gesamte Konzern die Verantwortung gehabt hätte, liegt jetzt nur noch bei der
deutschen Tochter. Das Ganze läuft seit 2012.
Ist das BMUB über diese Umstrukturierung nicht informiert worden? Hat es sich darüber nicht informiert?
Das ist doch bekannt! Wie konnte das BMUB in eine
solche Falle laufen angesichts der Tatsache, dass sich die
Unternehmen zunehmend aus der Verantwortung für zukünftige Schäden ziehen?
Frau Höhn, Sie verknüpfen jetzt mehrere Themenbereiche, nämlich das Thema der Entsorgungsfonds und
die Frage, wie Vattenfall sich unternehmerisch aufgestellt hat. Ich möchte beide Themen gern trennen.
Zu dem Thema Entsorgung hat es, wie ich es gerade
gesagt habe, keine Verhandlungen und keine Beschlüsse
gegeben. Ich könnte jetzt der Frage von Frau KottingUhl vorgreifen, die darauf gerichtet ist, zu erfahren, wie
sich die Situation für die Muttergesellschaft durch Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge verändert
hat. Ich kann die Antwort auf diese Frage gern vorziehen.
({0})
Jetzt hat aber zunächst die Kollegin Verlinden das
Wort.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, Sie könnten nicht ausschließen, dass es einen Austausch oder Informationen über diese Gespräche
im Bundeskanzleramt und im Wirtschaftsministerium
gegeben hat. Dann frage ich Sie jetzt ganz direkt: Welche Form von Besprechungen und schriftlichen Abstimmungen hat es denn zu dem Thema „AKW-Rückbau“
und zu dem Thema „Atommüllentsorgung und die betreffenden Rückstellungen“ zwischen den beiden zuständigen Ressorts, also dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium, in dieser Wahlperiode bisher gegeben?
Wann haben diese Besprechungen, insbesondere auf Leitungsebene, stattgefunden, und was war das Ergebnis
dieser Besprechungen grundsätzlicher Art? Solche Besprechungen müssten Sie ja durchgeführt haben, nehme
ich einmal an, weil das Thema ziemlich relevant ist.
Auch Sie greifen einer Frage vor, nämlich der Frage
von Herrn Meiwald. Aber ich beantworte sie Ihnen gern,
Frau Verlinden.
Folgende Gespräche auf Leitungsebene des BMUB
mit hochrangigen Vertretern von Kernkraftwerke betreibenden Energiekonzernen fanden in dieser Legislaturperiode statt:
Am 25. April 2014 gab es ein Telefonat von Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Dr.-Ing. Bernhard Fischer
von Eon Generation GmbH zum Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung
der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsgegenstand.
Am 19. Mai 2014 gab es ein Telefonat von Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Dr.-Ing. Hans-Josef Zimmer
von EnBW. Auch dabei ging es um das Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsthema.
({0})
- Sie wollten die Gespräche und die Termine wissen. Ich
trage es Ihnen gerade detailliert vor.
({1})
Wir kommen jetzt zur nächsten Frage.
({0})
Schriftverkehr gibt es keinen.
({0})
Entschuldigung! Wir haben noch eine ganze Reihe
von Fragen zu dem Themenkomplex. Ich würde einfach
darum bitten, dass im Rahmen der Behandlung der weiteren Fragen noch Nachfragen gestellt werden.
({0})
Ich rufe jetzt die Frage 16 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Bestehen nach Kenntnis des BMUB jeweils zwischen der
Vattenfall Europe Sales GmbH einerseits und der Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und der Kernkraftwerk
Krümmel GmbH & Co. OHG andererseits jeweils Gewinnabführungs- und/oder Beherrschungsverträge, und falls nein,
welche Konsequenzen ergeben sich hieraus aus Sicht des
BMUB bezüglich einer möglichen oder nicht möglichen finanziellen Heranziehung der Vattenfall Europe Sales GmbH
im nuklearen Haftungsfall oder bei einem Nichtausreichen der
finanziellen Mittel der beiden oben genannten Betreibergesellschaften von Brunsbüttel und Krümmel für Rückbau und
Entsorgung des betreffenden Atomkraftwerks und Atommülls?
Frau Kotting-Uhl, gemäß der Solidarvereinbarung
zwischen den Energieversorgungsunternehmen ist jedes
Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge in Bezug auf
die Betreibergesellschaften derjenigen Kernkraftwerke
abzuschließen, für die sie die Muttergesellschaften sind.
Hieraus ergibt sich eine unbegrenzte Haftung der jeweiligen Muttergesellschaft mit ihrem gesamten Betriebsvermögen für finanzielle Verbindlichkeiten, die beim Inhaber des Kernkraftwerks entstehen.
Bei Vattenfall ist die Vattenfall GmbH als Vertragspartner der Solidarvereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, Beherrschungsoder Gewinnabführungsverträge in Bezug auf die Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und die Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG abzuschießen.
Die in der Frage adressierte Vattenfall Europe Sales
GmbH ist eine für den Vertrieb zuständige Tochtergesellschaft Vattenfalls.
Frau Kotting-Uhl.
Danke schön, Frau Staatssekretärin. - Wir wissen bereits, dass bei Vattenfall keine Beherrschungsverträge
mehr mit der Mutterfirma - dem großen schwedischen
Konzern - existieren, sondern dass das bereits auf die
deutsche Tochter übertragen wurde. Es gibt durchaus
Hinweise, dass eventuell geplant ist, innerhalb der deutschen Holding diese beiden AKW-Betriebsgesellschaften abzuspalten bzw. zu isolieren.
Ich möchte jetzt gerne von Ihnen erfahren, ob Sie wissen, welche Laufzeit diese Verträge zwischen den Betriebsgesellschaften und der Muttergesellschaft haben
und ob die deutsche Vattenfall Holding, solange diese
Verträge bestehen, verpflichtet ist, die Kernkraftwerk
Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und die Kernkraftwerk
Krümmel GmbH & Co. OHG finanziell zu unterstützen,
falls deren eigene Mittel - das ist der Hintergrund der
Frage - für die Verpflichtungen in Bezug auf den Rückbau und die Entsorgung nicht ausreichen. Ist das BMUB
darüber informiert?
Zu der finanziellen Verantwortung der Vattenfall
GmbH: Gemäß der Solidarvereinbarung zwischen den
Energieversorgungsunternehmen ist die Vattenfall GmbH
zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit der Vattenfall Europe Nuclear Energy
GmbH verpflichtet. Letztere wiederum ist verpflichtet,
jeweils einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag mit der Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co.
OHG und der Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co.
OHG abzuschließen.
Bis zum Herbst 2012 bestand ein im Jahr 2008 geschlossener Beherrschungsvertrag zwischen dem schwedischen Mutterkonzern Vattenfall AB und der Vattenfall
Europe AG, die zum damaligen Zeitpunkt Vertragspartner der Solidarvereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen war. Durch die Verschmelzung
der Vattenfall Europe AG mit der Vattenfall Deutschland
GmbH entstand die heutige Vattenfall GmbH, und der
Beherrschungsvertrag mit Vattenfall AB endete. Für die
finanziellen Verbindlichkeiten der Kernkraftwerk
Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und der Kernkraftwerk
Krümmel GmbH & Co. OHG haften aufgrund der in der
Solidarvereinbarung angeordneten Verpflichtung zum
Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen die Vattenfall GmbH und die Vattenfall Europe
Nuclear Energy GmbH.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich habe noch
eine weitere Frage, um das vielleicht noch ein bisschen
verständlicher zu machen: Hat die Bundesregierung
bzw. das Bundesumweltministerium Erkenntnisse darüber, in welcher Höhe die Betriebsgesellschaften in
Brunsbüttel und in Krümmel ihre Rückstellungen jeweils auf Rückbau, Zwischenlagerung und Endlagerung
verteilen?
Es wird regelmäßig überprüft, ob die Rückstellungen
entsprechend vorgenommen worden sind. Ich gehe davon aus - mir liegen keine anderen Erkenntnisse vor -,
dass dies geschah.
Danke schön.
Frau Höhn hat sich noch gemeldet; sie hat jetzt das
Wort.
Frau Staatssekretärin, ich hatte eben eine Frage gestellt, die Sie auch jetzt nicht beantwortet haben, obwohl
Sie eine entsprechende Antwort angekündigt hatten.
Seit 2012 gibt es eine Umstrukturierung im Vattenfall-Konzern. Danach ist in Bezug auf zukünftige Schäden zu befürchten, dass eine ausreichende Haftung nicht
mehr gewährleistet werden kann. Hat es keinerlei Gespräche zwischen dem damaligen BMU, dem jetzigen
BMUB, und Vattenfall darüber gegeben, wie man dieses
Risiko minimieren kann?
Frau Höhn, mit Ihrer Frage unterstellen Sie im Prinzip, dass Vattenfall seinen Haftungsverpflichtungen
nicht nachkommt. Ich habe versucht, Ihnen darzulegen,
dass sich die Rechtsform von Vattenfall zwar geändert
hat, die Verpflichtung als solche aber nicht.
Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Peter
Meiwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie fragen: Gibt es vonseiten des BMUB
eine Einschätzung dazu, wie hoch die Summe der Rückstellungen eigentlich sein müsste, um die auflaufenden
Kosten für Zwischenlagerung, Rückbau der Kraftwerke
Krümmel und Brunsbüttel und Endlagerung zu decken?
Gibt es dazu Abschätzungen auf Basis der dem BMUB
vorliegenden Referenzstudien für den AKW-Rückbau?
Können Sie einschätzen, ob die Kraftwerksbetreiber
über ausreichend Rückstellungen verfügen?
Sehr geehrter Kollege Meiwald, ich hatte eingangs
gesagt, dass mit Stichtag Ende letzten Jahres Rückstellungen in Höhe von ungefähr 36 Milliarden Euro vorhanden waren. Die Energieversorgungsunternehmen sind
zur Übernahme der Kosten für Stilllegung, Rückbau und
Entsorgung verpflichtet. Das ist der Stand der Dinge.
Die Frage 17 des Abgeordneten Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 der Abgeordneten Steffi Lemke
auf:
Welche neueren schriftlichen Erkenntnisse liegen dem
BMUB zu den Kosten des Rückbaus und der Entsorgung von
Leistungsreaktoren und des betreffenden betrieblichen und
des Rückbauatommülls vor - bitte jeweils konkrete Angabe
von Titel, Autor und Datum machen -, und welche Konsequenzen ergeben sich für das BMUB aus diesen Erkenntnissen in Bezug auf einen etwaigen Veränderungsbedarf am bisherigen System der Rückstellungen für Rückbau und
Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls, insbesondere bezüglich Verfügbarkeit und Insolvenzfestigkeit?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Kollegin Lemke, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit liegen keine neueren schriftlichen Unterlagen
zu den Kosten der Stilllegung und des Rückbaus von
Leistungsreaktoren sowie der Entsorgung der betreffenden radioaktiven betrieblichen und Rückbauabfälle vor.
Frau Lemke, bitte.
Das heißt, die Referenzkostenstudie der Firma NIS
zum Rückbau in Greifswald ist dem BMUB unbekannt?
Frau Lemke, das muss ich prüfen. Das weiß ich nicht;
das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich würde Ihnen das schriftlich nachreichen.
Frau Präsidentin, dann würde ich gern meine zweite
Nachfrage stellen, wenn ich darf.
Gern.
Meine Nachfrage bezieht sich auch auf Ihre Antwort
auf die Frage der Kollegin Höhn. Nachdem die EVU in
den letzten Wochen presseöffentlich bekannt gegeben
haben, dass sie die Entsorgungskosten gern auf die öffentliche Hand übertragen möchten: Vertrauen Sie den
EVU, dass es keinerlei Bestrebungen gibt, sich dieser
Kostenrelevanz möglicherweise zu entziehen, zum Beispiel durch Umstrukturierungen in Unternehmen? Die
Bundesregierung scheint auch nach dem Diskurs über
den öffentlichen Entsorgungsfonds darauf zu vertrauen,
dass alle EVU den gesetzlichen Verpflichtungen bezüglich ihrer Entsorgungsrückstellungen freiwillig und vollständig nachkommen werden, und zwar auch in Anbetracht der europäischen Finanzmarktkrise, die wir in den
letzten Jahren erlebt haben.
Ich verweise noch einmal darauf, dass die Energieversorgungsunternehmen die volle Kostenverantwortung
tragen. Die Rückstellungen wurden in besagter Höhe gebildet. Gemäß dem Koalitionsvertrag werden wir in diesem Zusammenhang mit den Unternehmen Gespräche
führen, um sicherzustellen, dass sie ihrer Verpflichtung
nachkommen.
Sie vertrauen ihnen also tatsächlich.
Das habe ich so nicht gesagt, Frau Kollegin Lemke.
Wir überprüfen die rechtliche Situation. Wir haben keine
Erkenntnisse darüber, dass die rechtlichen Vorgaben
nicht eingehalten werden.
Ich rufe die Kollegin Kotting-Uhl auf, die sich ebenfalls zu einer Nachfrage gemeldet hat.
Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, ich entnehme Ihren bisherigen Ausführungen, dass die Bundesregierung darauf vertraut, dass die Rückstellungen vorhanden, ausreichend und insolvenzfest sind. Den Vorstoß
der drei Konzerne - es geht dabei um Stiftung, Bad Bank
usw. und um das Angebot, die Rückstellungen dort einzuzahlen; damit werden alle Risiken auf die öffentliche
Hand übertragen - kann man durchaus so interpretieren,
dass innerhalb der Konzerne die Sorge besteht, dass
diese Rückstellungen nicht ausreichen und dass das, was
sich in den Rückstellungen befindet, nicht insolvenzsicher ist. Dies erschließt sich schon daraus, dass die
Rückstellungen zum Teil in Kohlekraftwerke und andere
nicht zukunftsfähige Bereiche gesteckt wurden.
Gibt es im BMUB ausgehend von dem Artikel im
Spiegel und den Gesprächen der Energieversorgungsunternehmen mit Minister Gabriel und Minister Altmaier
Überlegungen bezüglich der Insolvenzsicherheit der
Rückstellungen? Oder geht die Bundesregierung nach
wie vor davon aus, dass alles in trockenen Tüchern und
damit sicher ist?
Die Bundesregierung hat diesen Punkt aus dem Koalitionsvertrag aufgenommen. Über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen werden wir mit den
Energieversorgungsunternehmen sprechen, das heißt,
wir sprechen darüber, wie die Rückstellungen gesichert
werden.
Jetzt hat Frau Höhn das Wort für eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin gesagt, dass
bezüglich des Vorschlags einer Bad Bank keine offiziellen Gespräche stattgefunden haben, sondern nur am
Rande darüber gesprochen wurde. Wir haben gerade verschiedene andere Komplexe angesprochen, beispielsweise die Umstrukturierung von Vattenfall. Es gibt auch
noch den Komplex der Schadensersatzklage von Vattenfall gegen die Bundesregierung in einer Höhe von
3,7 Milliarden Euro wegen der kurzfristig veränderten
Laufzeit, die Angela Merkel durchgesetzt hat. Haben
über all diese Komplexe - also Umstrukturierung und
Klagen; nicht nur Vattenfall, sondern auch die anderen
Konzerne haben entsprechende Klagen angedroht keine offiziellen Gespräche zwischen BMU und den Unternehmen stattgefunden?
Frau Kollegin Höhn, ich habe vorhin gesagt, dass es
keine Verhandlungen und Beschlüsse gab. Was die Inhalte von Gesprächen betrifft, verweise ich auf die Fragen von Herrn Meiwald an das BMUB und an das
BMWi. Natürlich wird es immer wieder Gespräche geben. Auch in den letzten 14 Jahren - hier schließe ich andere Regierungskonstellationen nicht aus - haben Gespräche mit Energieversorgungsunternehmen immer
wieder stattgefunden. Die Themen und Inhalte werde ich
nachher bei der Beantwortung der nachfolgenden Fragen
detailliert aufzeigen.
Jetzt hat die Kollegin Wilms das Wort für eine weitere
Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau SchwarzelührSutter, ich möchte einen Blick nach Schleswig-Holstein,
in den Norden werfen. Erwartet das BMUB, falls das Urteil des OVG Schleswig zum Zwischenlager Brunsbüttel
rechtskräftig wird, zusätzliche Zwischenlagerkosten,
und zwar nicht nur unmittelbar für das Zwischenlager
Brunsbüttel, sondern bundesweit? Wie weit sind Sie hier
mit Ihren Überlegungen? Sind Sie über den Stand von
Gesprächen hinausgekommen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Wilms, wir beschäftigen
uns mit dem Castorrücktransport und dementsprechend
mit den Zwischenlagern. Sie können versichert sein,
dass wir alles dafür tun werden, unserer Pflicht und Verantwortung nachzukommen und die Energieversorgungsunternehmen, die dafür die Verantwortung tragen
und die Kosten übernehmen müssen, entsprechend mit
einzubeziehen.
Jetzt hat der Kollege Zdebel das Wort für eine weitere
Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, die Mittel für Rückstellungen werden im Wesentlichen investiert; sie stehen also kurzfristig gar nicht
zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund frage ich noch
einmal: Mit welcher Strategie geht die Bundesregierung
in die Gespräche mit den Energiekonzernen, was die
Rückstellungen angeht? Sie haben bisher nur gesagt,
dass Sie Gespräche führen wollen. Es ist mir aber überhaupt noch nicht klar, mit welcher Strategie Sie diese
Gespräche führen wollen, um dafür zu sorgen, dass die
Rückstellungen tatsächlich insolvenzsicher gestaltet
werden. Dazu muss es doch schon Vorstellungen der
Bundesregierung geben.
Herr Zdebel, ich hatte schon vorhin auf den Koalitionsvertrag hingewiesen. Es ist uns wichtig, dass den
rechtlichen Verpflichtungen nachgekommen wird und
die Rückstellungen sicher sind. Wir nehmen das ernst,
und deswegen wollen wir diese Gespräche führen; das
haben wir schon frühzeitig im Koalitionsvertrag fixiert.
Wir kommen jetzt zur Frage 19 des Abgeordneten
Peter Meiwald:
Welche Gespräche des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit mit hochrangigen
Vertretern von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen fanden in dieser Wahlperiode auf Leitungsebene statt
- bitte differenzierte Angaben machen wie in der Antwort der
Bundesregierung zu Frage 19 der Kleinen Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 17/11922 in
Verbindung mit der Antwort der Bundesregierung auf die
schriftliche Frage 17 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
auf Bundestagsdrucksache 17/12042, also Datum, Teilnehmer
und Themen -, und in welchen dieser Gespräche ging es auch
um Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der Atomkraftwerke bzw. des Atommülls dieser Energiekonzerne?
Frau Staatssekretärin, Sie haben wieder das Wort.
Herr Meiwald, folgende Gespräche auf Leitungsebene des BMUB mit hochrangigen Vertretern Kernkraftwerke betreibender Energiekonzerne fanden in dieser Legislaturperiode statt:
Am 25. April 2014 Staatssekretär Jochen Flasbarth
mit Herrn Dr. Bernhard Fischer von der Eon Generation
GmbH: Telefonat zum Thema Standortzwischenlager.
Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW
bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsgegenstand.
Am 19. Mai 2014 Staatssekretär Jochen Flasbarth mit
Dr. Hans-Josef Zimmer von EnBW: Telefonat zum
Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus
und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsgegenstand.
Am 12. Februar 2014 die Bundesministerin mit
Dr. Johannes Teyssen von Eon. Thema des Gesprächs
war die Energiepolitik, und zwar die Energiewende und
der Klimaschutz, die Klimaziele für 2030 und die Reform des ETS.
Am 12. Februar 2014 ein Gespräch der Bundesministerin mit Peter Terium, Dr. Johannes Teyssen, Gérard
Mestrallet, Fulvio Conti, Ignacio S. Galán, Dr. Gertjan
Lankhorst, Daniel Benes, Dr. Gerhard Roiss,
Dr. h. c. Tapio Kuula, also mit Vertretern entsprechender
Unternehmen. Hier ging es um ein Gespräch der Bundeskanzlerin unter Teilnahme von Bundesminister
Altmaier, Bundesministerin Hendricks und Bundesminister Gabriel mit Vorstandsvorsitzenden europäischer
Energiekonzerne zu Fragen der europäischen Energiepolitik.
Am 21. Februar 2014 gab es ein Gespräch der Bundesministerin und des Abteilungsleiters KI - Klimaschutzpolitik - mit Herrn Terium und Herrn Heinacher
von RWE. Da ging es um aktuelle energiepolitische Themen wie Strompreise, Netzausbau und Klimaziele.
In keinem dieser Gespräche ging es um Aspekte des
Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls dieser Energiekonzerne.
Kollege Meiwald.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank,
Frau Staatssekretärin, für die detaillierte Übersicht. Ich
muss Sie, nachdem Sie mehrfach auf den Koalitionsvertrag und seine Implikationen hingewiesen haben, trotzdem fragen: Gibt es eine inhaltliche Begründung dafür,
dass die im Koalitionsvertrag angedeuteten Gespräche
mit dem Ziel, die Verpflichtung zum Rückbau zu klären,
noch nicht stattgefunden haben?
Mir ist keine inhaltliche Begründung bekannt.
Ich habe eine weitere Frage, die ein bisschen in eine
andere Richtung geht: Kann das BMUB bestätigen, dass
es hinsichtlich des bisherigen Systems der EVU-Rückstellungen Änderungsbedarf gibt, und wenn ja, welchen?
Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor.
Jetzt erhält die Kollegin Kotting-Uhl das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, Sie vertreten hier die Bundesregierung und insbesondere das Bundesumweltministerium. Ich finde, diese Antworten kann
man so nicht durchgehen lassen; es tut mir leid. Wir haben den Atomausstieg beschlossen. Da ist klar: Die
AKW müssen rückgebaut werden. Wir haben ein Standortauswahlgesetz beschlossen, wir haben die Einsetzung
einer Kommission beschlossen, die sich mit Grundsatzfragen befassen wird; sie wird morgen zum ersten Mal
tagen. Bei all dem geht es um die Lagerung des hochradioaktiven Mülls.
Davor geht es nun um den Rückbau der Atomkraftwerke, denn er steht an. Es kann nicht sein, dass Gespräche mit den Energieversorgern über Klimaschutz, europäische Energiepolitik und was weiß ich was alles
stattfinden - all das ist extrem wichtig -, aber kein Wort
über das gewechselt wird, was jetzt in Deutschland akut
ansteht: nämlich der Rückbau und daran anschließend
die Entsorgung, über die man sich jetzt Gedanken machen muss. Es stellt sich auch die Frage, ob ausreichend
Rückstellungen vorhanden sind und ob diese insolvenzsicher sind.
Ich kann mir schlichtweg nicht vorstellen - ansonsten
müsste ich der Bundesregierung und dem BMUB absolute Ignoranz vorwerfen -, dass Sie mit den Energieversorgern kein Jota über diese elementar wichtigen Fragen,
deren Klärung jetzt ansteht, gesprochen haben. Deswegen möchte ich Sie noch einmal fragen: Sind Sie sich absolut sicher, dass in all den Gesprächen oder auch in anderen Gesprächen, die Sie uns vielleicht jetzt nicht
aufgelistet haben, nicht über diese wichtigen Fragen gesprochen wurde?
Frau Kotting-Uhl, die Bundesregierung ist sich ihrer
Verpflichtung bewusst. Sie beschäftigt sich intensiv mit
dem Ausstieg aus der Atomenergie. Dazu sind bereits
gesetzliche Regelungen vorhanden. Es ist kein neuer
Aspekt, dass Kernkraftwerke stillgelegt und rückgebaut
werden, dass Atommüll zwischengelagert und entsorgt
werden muss. Wir befinden uns, wie Sie es angedeutet
haben, in einem Prozess. Auch den Rücktransport der
Castoren möchte ich ansprechen. Aufgrund des in diesem Zusammenhang geschlossenen Kompromisses haben wir das Standortauswahlgesetz auf den Weg gebracht. Morgen findet die konstituierende Sitzung der
Endlagerkommission statt. Insofern ist eine gesetzliche
Grundlage vorhanden.
Ich habe Ihnen bereits gesagt: Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass spezifisch zu diesem Thema
Gespräche mit Vertretern geführt wurden, auch nicht am
Rande.
Jetzt hat die Kollegin Bärbel Höhn das Wort zu einer
Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Vattenfall hat wegen der Kürzung der vereinbarten Laufzeit und des Atomausstiegs gegen die Bundessregierung geklagt und fordert eine Entschädigung in
Höhe von 3,7 Milliarden Euro. Auch andere Unternehmen klagen. Bei den Klagen geht es um eine Summe von
insgesamt 15 Milliarden Euro. Jetzt wird versucht, diese
15 Milliarden Euro, die ein erheblicher Schaden für den
Steuerzahler wären, quasi in eine Bad Bank zu überführen. Es wäre für Angela Merkel natürlich ein schöner Erfolg, wenn sie über diese 15 Milliarden Euro nicht mehr
reden müsste. Können Sie bestätigen, dass über diese
Aspekte - 15 Milliarden Euro, Bad Bank - in all den Gesprächen, die Sie aufgeführt haben, nicht gesprochen
worden ist?
Ich kann Ihnen versichern, Frau Höhn, dass die Bundeskanzlerin an die Verantwortung der Energieversorger
appelliert und diese an ihre Pflichten erinnert hat. Mir
liegen aber keine weiteren Erkenntnisse vor.
Jetzt hat die Kollegin Verlinden das Wort zu einer
Nachfrage.
Wir haben verschiedene Rückmeldungen über die Gespräche mit den EVU bekommen, bei denen es mehr
oder weniger intensiv um dieses Thema ging. Ich
möchte auf meine Frage von eben zurückkommen. Mir
ist es wichtig, zu erfahren: Gab es einen Austausch innerhalb der Bundesregierung, also zwischen den Ressorts?
({0})
Gab es Besprechungen auf Leitungsebene zwischen Umweltministerium, Energieministerium und Kanzleramt
über die vielen verschiedenen Gespräche, die jeweils mit
den EVU geführt worden sind, um eine gemeinsame Linie abzustecken, um gemeinsam festzulegen, wie man
politisch weiter vorgeht? Dazu haben wir jetzt noch gar
nichts gehört. Ich würde mich freuen, wenn Sie noch ein
bisschen konkreter schildern würden, welche Absprachen zwischen den verschiedenen Ressorts, die mit sehr
unterschiedlichen Positionen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, stattfanden.
Sehr geehrte Frau Verlinden, natürlich sprechen Ressorts untereinander über bestimmte Themen. Es wäre ja
auch schlimm, wenn wir das nicht täten. Aber es gab
keine Absprachen, wie Sie das eben gesagt haben, oder
Beschlüsse. Weitere Erkenntnisse liegen mir dazu nicht
vor.
Jetzt hat der Kollege Miersch das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden,
dass diese Bundesregierung - im Gegensatz zu früheren
Bundesregierungen, beispielsweise der letzten, die versucht hat, mit den Atomkonzernen einen Deal über die
Laufzeitverlängerung zu schließen - mit den Energieversorgern keinen Deal dergestalt eingehen will, Forderungen im Rahmen einer Klage vor intransparenten
Schiedsgerichten mit Fragen der Laufzeitverlängerung
und der Endlagerung zu verbinden, sondern darauf verweist, dass es rechtliche Verpflichtungen gibt? Habe ich
Sie richtig verstanden, dass über das, was die vier großen
Konzerne gegenwärtig als Signal aussenden, gegebenenfalls im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens, eines Gesetzgebungsverfahrens, gesprochen werden muss,
um die rechtlichen Verpflichtungen möglicherweise
noch rechtssicherer zu machen, als das bisher der Fall
ist?
Ich glaube, es ist in unser aller Interesse, dass die
Rückstellungen für die rechtlichen Verpflichtungen der
Energieversorgungsunternehmen gesichert sind. Verknüpfungen in diesem Zusammenhang sind mir nicht bekannt. Sie sind auch nicht beabsichtigt, weil das schwierig wäre. Wir wollen die volle Kostenübernahme durch
die Energieversorgungsunternehmen für die Aufgaben,
die sie im Bereich Stilllegung, Rückbau, Entsorgung haben.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Julia
Verlinden auf:
Wann genau - möglichst Datum bitte - hatte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in dieser Wahlperiode erstmals Kenntnis von Überlegungen von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen
bezüglich möglicher Veränderungen des bisherigen Systems
der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls und/oder übergeordneten
Überlegungen einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und
Atommüll - bitte differenzieren nach Fachebene, Leitungsebene und Hausspitze -, und welche Konsequenzen wurden
aus dieser Kenntnis gezogen - bitte mit zeitlicher Angabe?
Frau Staatssekretärin, Sie haben wieder das Wort.
Liebe Kollegin Verlinden, es fanden in dieser Legislaturperiode keine Verhandlungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit mit hochrangigen Vertretern der Kernkraftwerke
betreibenden Energiekonzerne über deren Überlegungen zu möglichen Veränderungen des bisherigen Systems der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung
der Kernkraftwerke und des radioaktiven Abfalls oder zu
Überlegungen einer Art Bad Bank statt.
Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren
Auslaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den
Rückbau und auch die Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der
Stilllegung, des Rückbaus sowie der Endlagerung zu tragen. Entsprechend dem Koalitionsvertrag wird die Bundesregierung über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen mit den Energieversorgungsunternehmen
Gespräche führen.
Frau Kollegin Verlinden.
Heißt das, dass das Umweltministerium keine Kenntnisse von den Plänen der EVU hatte, eine Bad Bank zu
installieren? Heißt das, das Umweltministerium hat während der ganzen Gespräche mit den EVU in den letzten
Monaten und Jahren nie erfahren, dass es solche Überlegungen geben könnte, dass es in die Richtung gehen
könnte, über die jetzt politisch diskutiert wird?
Ich hatte vorhin die Themen und Inhalte einzeln aufgeführt. Wir werden sicherlich im Rahmen dessen, was
im Koalitionsvertrag steht, jetzt Gespräche führen. Ich
möchte diesen Gesprächen aber nicht vorgreifen.
Ich würde gerne eine zweite Nachfrage stellen.
Bitte.
Welche Erkenntnisse hat das Umweltministerium darüber, ob das Kanzleramt, das sich ja auch mit diesem
Thema beschäftigt hat, möglicherweise zu einem Aufweichen des bisherigen Verursacherprinzips in dem
Sinne bereit wäre, dass die Kosten für den Rückbau vom
Steuerzahler getragen werden?
Auch wenn Sie jetzt noch einmal versuchen, mich aus
einer anderen Perspektive heraus festzunageln, kann ich
nur nochmals darauf hinweisen, dass die Gespräche, die
wir geführt haben, andere Themen zum Inhalt hatten. Es
gab ein Gespräch im Kanzleramt über die europäische
Energiepolitik. Insofern kann ich Ihnen keine neuen Erkenntnisse meinerseits vortragen.
Jetzt hat die Kollegin Höhn das Wort zu einer weiteren Nachfrage.
Wir haben bisher immer über Gespräche geredet. Es
gibt aber auch andere Arten der Kommunikation. Ich
kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Energiekonzerne Überlegungen hinsichtlich einer Bad Bank anstellen und diese Idee in keiner Form an die Bundesregierung herantragen. Hat es denn in irgendeiner anderen
Form - schriftlich, wie auch immer - Ideen bzw. Skizzen
der Unternehmen gegeben, die an das BMU bzw. jetzt an
das BMUB, an das Kanzleramt oder an die Bundesregierung herangetragen wurden, um sich über diese Idee, die
jetzt öffentlich diskutiert wird, vorher in irgendeiner
Form mit der Bundesregierung oder dem BMUB auszutauschen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, davon ist mir nichts
bekannt.
Jetzt hat der Kollege Krischer das Wort zu einer weiteren Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre Ausführungen. - Diese kann man ja so zusammenfassen:
Über Gespräche, Überlegungen und Inhalte ist nichts bekannt. Man fragt sich dann, worüber gesprochen worden
ist.
Ich möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen. Es gibt einen Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2011, in dem sehr dezidiert festgestellt
wird, dass es für die Bundesregierung keinerlei Transparenz bezüglich der Werthaltigkeit der Rückstellungen innerhalb der Konzerne gibt und man sich insofern auf etwas verlassen muss, dessen Substanz man gar nicht
kennt. Meine Frage lautet: Ist Ihnen dieser Bericht bekannt, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus diesem Bericht, um Transparenz
bezüglich der Werthaltigkeit der Rückstellungen in den
Konzernbilanzen herzustellen?
Lieber Kollege Krischer, aus diesem Grund ist in den
Koalitionsvertrag die Aussage aufgenommen worden,
dass wir diese rechtliche Verpflichtung sichern wollen.
Wir werden das im Laufe dieser Legislaturperiode tun.
Jetzt hat die Kollegin Kotting-Uhl das Wort zu einer
weiteren Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, der Verweis auf den Passus im
Koalitionsvertrag hilft uns jetzt angesichts der Sachlage
nicht wirklich weiter. Es ist einfach nur erstaunlich, dass
das bisher nur dort steht und die entsprechenden Gespräche nicht geführt wurden. Ich finde das hier heute demonstrierte Desinteresse der Bundesregierung an diesen
Fragen schon bemerkenswert. Um ehrlich zu sein, es ist
auch fahrlässig, wenn es denn so ist.
Ich möchte ein Stück zurückgehen, und zwar in das
Jahr 2011. Mir ist bewusst, dass Sie da noch nicht Staatssekretärin waren und das BMUB noch nicht in SPDHand war. Trotzdem muss Ihr Haus Sie ja über solche
Dinge informieren, vor allem vor einer solchen Fragestunde. Die Idee einer Bad Bank ist ja nicht erst jetzt entstanden. Vielmehr hat die Investitionsbank Lazard diese
Idee bereits 2011 entwickelt und publikgemacht. Ist es
Ihrer Kenntnis nach denn so, dass auch in den Jahren
2011 und 2012 - wir haben bisher immer nur von 2013
und 2014 gesprochen -, also in den ersten zwei Jahren
nach Entwicklung dieses Modells, für das sich die Energiekonzerne sicher sehr interessiert haben, bei der Bundesregierung kein Interesse daran bestand? Gab es in den
Jahren 2011 und 2012 irgendwann einmal Gespräche mit
den Energieversorgern über diese Idee einer Bad Bank?
Denn bei den Energieversorgern, bei den Konzernen ist
dies garantiert ventiliert worden. Hat sich die Bundesregierung dafür nicht interessiert oder doch?
Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich kann
dazu jetzt keine Auskunft geben, würde Ihnen aber
schriftlich nachreichen, ob und gegebenenfalls welche
Gespräche es in jener Zeit zu diesem Thema gegeben
hat.
({0})
Jetzt hat der Kollege Zdebel das Wort zu einer Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe noch
eine Nachfrage zu dem Bericht des Bundesrechnungshofs, den der Kollege Krischer gerade erwähnt hat. Mir
kommt das langsam wie ein Stück aus dem Tollhaus vor.
Einerseits haben Sie gerade dargestellt, Frau Staatssekretärin, dass Sie davon überzeugt sind, dass die Rückstellungen sicher sind, und dass Sie Gespräche darüber führen wollen. Andererseits können Sie jetzt aber nichts
Konkretes dazu sagen, wie Sie den Bericht des Bundesrechnungshofs letztlich bewerten. Der Bericht des Bundesrechnungshofs enthielt ja eine vernichtende Kritik.
Dort stand, dass die Bundesregierung im Moment überhaupt nicht in der Lage ist, die Rückstellungen der Konzerne fachlich zu bewerten.
Da stellt sich für mich die Frage: Hat sich diese Situation seit 2011 geändert? Wenn dem nicht so ist, stellt
sich die Frage, wie Sie dann so überzeugt sagen können,
dass die Rückstellungen der Konzerne im Moment sicher sind, wie Sie dies gerade in diversen Antworten auf
Nachfragen immer wieder zumindest vermittelt haben.
Sehr geehrter Kollege Zdebel, ich habe gesagt: Die
Rückstellungen sind in den Bilanzen vorhanden. Ich
habe auch darauf hingewiesen, dass wir auf die rechtliche Verpflichtung und die Umsetzung der rechtlichen
Verpflichtung Wert legen und diese sichern wollen und
dass wir deshalb entsprechende Gespräche aufnehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
Die Fragen beziehen sich zunächst auf den gleichen
Themenkomplex.
Wir kommen zunächst zur Frage 21 des Kollegen
Krischer:
Wann genau - möglichst Datum bitte - hatte das Bundeskanzleramt in dieser Wahlperiode erstmals Kenntnis von
Überlegungen von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen bezüglich möglicher Veränderungen des bisherigen
Systems der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der
Atomkraftwerke und des Atommülls und/oder übergeordneten Überlegungen einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke
und Atommüll - bitte differenzieren nach Fachebene, Leitungsebene und Hausspitze -, und welche Konsequenzen
wurden aus dieser Kenntnis gezogen ({0})?
Frau Staatssekretärin.
Lieber Kollege Krischer, auch Sie fragen nach Gesprächen, und zwar im Bereich des Bundeskanzleramtes.
Ich antworte Ihnen wie folgt: Die Idee einer Stiftung für
Kernkraftwerke unter Beteiligung des Bundes ist aus den
Medien bekannt; darüber wird seit geraumer Zeit diskutiert. Entsprechende Überlegungen wurden in Gesprächen mit dem Chef des Bundeskanzleramtes am 21. Februar 2014 und am 27. März 2014 von Vertretern der
Energieversorgungsunternehmen in allgemeiner Form
und ohne Konkretisierung angesprochen. Konkrete
Pläne sind allerdings nicht vorgestellt worden. Deshalb
hat es weder Verhandlungen der Bundesregierung mit
Vertretern der Energiekonzerne zu dieser Thematik gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung.
Herr Kollege Krischer.
Wenn diese Überlegungen vorgestellt worden sind
und Sie sagen, diese Gespräche hätten keinerlei konkrete
Formen angenommen, dann würde mich interessieren,
was dort substanziell vorgetragen worden ist. Ein Gespräch muss ja irgendeinen Inhalt und einen gewissen
Grad an Konkretisierung haben; sonst macht das ja gar
keinen Sinn. Ich bitte, zu erläutern, was dort vorgetragen
worden ist. Ich bitte, weiterhin zu erläutern, wie sich die
Bundesregierung zu den, wie Sie sagen, in unkonkreter
Form dargestellten Vorschlägen positioniert hat oder ob
man am Ende gar keine Meinung dazu geäußert hat und
nur still und schweigend danebengesessen und dann den
Raum verlassen hat. Ich bitte um eine Darstellung, wie
ich mir das vorzustellen habe.
Herr Kollege Krischer, es gibt in allen möglichen Gesprächen - das passiert wahrscheinlich auch bei Ihnen immer wieder einmal Vorschläge, die sehr unkonkret an
jemanden herangetragen werden. Es gibt also kein konkretes Arbeitspapier oder sonst etwas. Deshalb hat es
auch keine Beschlüsse und keine Verhandlungen zu diesem Thema gegeben. Ich war bei den Gesprächen nicht
dabei. Insofern kann ich Ihnen nicht erläutern, was sonst
noch besprochen wurde.
Herr Krischer, Ihre zweite Nachfrage.
Aus welchem Anlass sind diese Gespräche denn geführt worden? War der Anlass, dass man konkret über
dieses Thema sprechen wollte, oder gab es einen anderen Anlass und man ist rein zufällig bei einer netten
Tasse Kaffee - so habe ich Sie jetzt verstanden - darauf
zu sprechen gekommen? Ich gehe davon aus, dass solche
Gespräche nicht spontan entstehen, sondern dass es da
einen gewissen Vorlauf gibt. Deshalb würde mich interessieren: Was waren der konkrete Hintergrund und der
Anlass für die Einladungen? Wie, in welcher Form und
wo haben diese Gespräche stattgefunden?
Herr Kollege Krischer, mir ist zum Anlass der Einladungen und zum Prozedere nichts bekannt. Ich habe
Ihnen nur die beiden Termine genannt, die mir das Kanzleramt mitgeteilt hat. Aber ich kann dort gerne nachfragen und Ihnen diese Frage schriftlich beantworten.
({0})
Als nächste Fragestellerin hat die Kollegin Höhn das
Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie haben ja zumindest die Information über die Termine dieser Gespräche. In der Regel werden, wenn über solche neuen Ideen diskutiert
wird, Vermerke angefertigt. Gibt es Vermerke über diese
Gespräche? Wenn ja, können wir sie bekommen? Wenn
nein, warum sind über diese Gespräche keine Vermerke
angefertigt worden?
Ich kann weder bestätigen noch dementieren, dass
über diese Gespräche des Chefs des Bundeskanzleramtes
mit den Energieversorgungsunternehmen Vermerke angefertigt worden sind. Auch da müsste ich mich erkundigen. Das werde ich gerne tun. Ich kann Ihnen, was das
Rechtliche angeht, jetzt allerdings nicht zusagen, dass
wir solche Vermerke weitergeben dürfen. Aber ich
werde das weiterleiten und Ihnen dann eine entsprechende Antwort zukommen lassen.
Die Frage 22 der Abgeordneten Steffi Lemke wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 23 des Abgeordneten Peter
Meiwald:
Von welchen Gesprächen von Vertretern der Bundesregierung mit Vertretern von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen, in denen es auch um Überlegungen der Energieversorgungsunternehmen zu einer Art Bad Bank für
Atomkraftwerke und Atommüll ging, hatte der Regierungssprecher Steffen Seibert am 12. Mai 2014 Kenntnis, als er gegenüber Medien sagte, es habe diesbezüglich „keine Verhandlungen und Beschlüsse“ gegeben, aber auf Nachfrage
entsprechende „Gespräche“ nicht dementierte ({0})?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Seibert hat in der Regierungspressekonferenz am
12. Mai 2014 mit Blick auf die in den Medien thematisierte Frage einer öffentlich-rechtlichen Stiftung für die
Kernkraftwerke in Deutschland klargestellt, dass es
keine Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und
den Energieversorgungsunternehmen und keine entsprechenden Beschlüsse gegeben hat. Er hat darüber hinaus
auf eine Nachfrage die Vermutung geäußert, dass diese
Thematik in der Vergangenheit in Gesprächen eine Rolle
gespielt hat.
Herr Kollege Meiwald.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, wie muss man
sich das vorstellen: Hat es im Vorfeld der Pressekonferenz Rückfragen explizit nur zu Verhandlungen und
Beschlüssen gegeben, oder lautete die Ressortabfrage
anders? Wie kam es dazu, dass der Kollege Seibert diese
Aussagen da so gemacht hat?
Ich war bei der Pressekonferenz nicht dabei. Ich kann
Ihnen nicht sagen, ob es vor der Pressekonferenz eine
Abfrage in den Ministerien gegeben hat.
Ich gehe aber sicher davon aus, dass der Regierungssprecher wusste, dass es keine Beschlüsse und keine
Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen zu diesem Thema gegeben hat. Der Regierungssprecher wird aber selbstverständlich davon ausgegangen sein, dass wir - allein aufgabenbedingt - vielfältige
Gespräche führen; deshalb hat er solche Gespräche nicht
ausgeschlossen.
Können Sie uns eine Einschätzung dazu geben, wie
das Kanzleramt sich in diesen Gesprächen gegenüber
dieser grundsätzlichen und ja noch eher vagen Idee verhalten hat? Wurde deutlich gemacht, dass es für die Bundesregierung auf keinen Fall akzeptabel ist, da auch den
Steuerzahler in die Verantwortung zu nehmen? Oder in
welcher Form kann man sich diese Gespräche vorstellen?
Da fehlt mir einfach die Kenntnis, weil ich selber
nicht Gesprächsteilnehmerin war. Ich kann Ihnen keine
Auskunft dazu geben.
Können Sie das schriftlich nachreichen?
Ja, ich kann nachfragen - wenn die Gesprächspartner
mich da informieren.
({0})
Wir kommen zur Frage 24 der Abgeordneten
Verlinden:
Wann genau - möglichst Datum bitte - hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in dieser Wahlperiode
erstmals Kenntnis von Überlegungen von Atomkraftwerke
betreibenden Energiekonzernen bezüglich möglicher Veränderungen des bisherigen Systems der Rückstellungen für
Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls und/oder übergeordneten Überlegungen einer Art Bad
Bank für Atomkraftwerke und Atommüll - bitte differenzieren nach Fachebene, Leitungsebene und Hausspitze -, und
welche Konsequenzen wurden aus dieser Kenntnis gezogen bitte mit zeitlicher Angabe?
Auch hier haben Sie wieder das Wort, Frau Staatssekretärin.
Danke schön. - Liebe Kollegin Verlinden, die Idee einer Stiftung für Kernkraftwerke unter Beteiligung des
Bundes ist aus den Medien bekannt und wird seit geraumer Zeit diskutiert. Entsprechende Überlegungen wurden vonseiten Kernkraftwerke betreibender Energieversorgungsunternehmen in allgemeiner Form und ohne
Konkretisierung auch Mitgliedern der Bundesregierung
vorgetragen, so zum Beispiel vom Vorstandsvorsitzenden der Eon SE, Dr. Johannes Teyssen, oder vom Vorstandsvorsitzenden von RWE, Peter Terium, in Gesprächen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und
Energie am 13. Februar 2014 bzw. am 18. Februar 2014.
Konkrete Pläne sind der Bundesregierung allerdings
nicht vorgestellt worden. Deshalb hat es weder Verhandlungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Energie mit Vertretern der Energiekonzerne zu dieser
Thematik gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung.
„Pläne“ wäre ja auch spannend: Sie sind ja die Regierung, Sie machen die Politik, nicht die EVU.
Sie haben nach Vorschlägen gefragt, die die EVU an
uns herangetragen haben.
Genau. Aber Sie haben gerade von „Plänen“ gesprochen.
Zu meiner Nachfrage. Ich würde noch gerne wissen:
Da Sie davon schon wussten, bevor das im Spiegel thematisiert wurde und eine öffentliche Debatte darüber
ausgelöst wurde, hatten Sie ja schon Gelegenheit, das
hausintern zu diskutieren und zu beraten. Wie wird denn
jetzt das BMWi darauf reagieren, was sind jetzt die Konsequenzen daraus? Wird es konkrete Initiativen und
Maßnahmen geben? Welche werden das konkret sein?
Da es keine konkreten Vorschläge gibt, mit denen
man sich auseinandersetzen könnte, hat es auch keine
konkreten Maßnahmen im BMWi gegeben.
Ich hätte noch eine Nachfrage.
Ja, Sie können noch eine Nachfrage stellen.
Frau Staatssekretärin, können Sie denn zumindest
ausschließen, dass das in der Konsequenz dazu führen
wird, dass öffentliche Mittel zur Abwicklung der privat
betriebenen Atomanlagen eingesetzt werden? Können
Sie ausschließen, dass diese Idee der Bad Bank zur realen Politik wird?
Frau Kollegin Verlinden, die Diskussion um eine solche Stiftungslösung oder andere Lösungen dauert ja
schon sehr viel länger an. Es gab auch zu rot-grünen Zeiten verschiedene Vorschläge dazu.
Ich meine mich zu erinnern, dass sich letzte Woche
auch Frau Höhn - wenn auch unter anderen rechtlichen
Gesichtspunkten - im Hinblick auf eine Stiftungslösung
öffentlich geäußert hat. Insofern ist bei allem Verständnis zu sagen: Selbstverständlich gibt es unterschiedliche
Vorschläge dazu. Die müssen ordentlich bewertet werden. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt,
dass wir uns mit den Energieversorgungsunternehmen
auseinandersetzen und Gespräche dazu führen.
Jetzt erhält die Kollegin Höhn das Wort zu einer weiteren Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, in der Tat, da haben Sie recht:
Über eine solche Lösung wird schon länger diskutiert,
schon deswegen, weil man die Rückstellungen sichern
will. Deshalb wundern wir uns ja auch, dass Sie in der
Bundesregierung offiziell nicht darüber reden. Überall in
der Gesellschaft wird darüber geredet, wie man diese
Rückstellungen sichern kann, aber offensichtlich nicht
innerhalb der Bundesregierung. Deshalb frage ich: Wie
wollen Sie die Probleme eigentlich zusammenbringen?
Erstens. Diese 36 Milliarden Euro werden nicht ausreichen, um die Atomkraftwerke abzubauen. Wie wollen
Sie also diese 36 Milliarden Euro und zusätzliche Gelder, die dafür letzten Endes fällig werden, sichern?
Zweitens. Wie gehen Sie eigentlich mit den Forderungen der Energiekonzerne um, die jetzt aufgrund der zurückgenommenen Laufzeitverlängerung mit Klagen
Schadensersatz für den Atomausstieg fordern, zu dem es
holterdiepolter und ohne Unterschrift der Konzerne
kam?
Hier geht es ja um zweistellige Milliardenbeträge.
Das ist also eine richtig fette Summe, die auch den Bundeshaushalt stark tangiert. Gibt es in irgendeiner Form
offizielle Gespräche und Überlegungen innerhalb Ihres
Hauses oder auch innerhalb des Bundeskanzleramtes darüber, wie man damit umgeht und wie man eine bestmögliche Lösung für diesen Bundeshaushalt erreichen
kann?
Frau Kollegin Höhn, selbstverständlich wird im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - und ich
gehe davon aus, auch in den anderen Häusern - zu diesen Themenfeldern gearbeitet. Wie gesagt: Es gibt unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten, an denen gearbeitet
wird, aber es gibt noch keine einheitliche Auffassung der
Bundesregierung. Wir werden nicht mit Einzelvorschlägen oder Einzelbewertungen an die Öffentlichkeit gehen
und uns mit Sicherheit im Parlament damit befassen.
Frau Höhn, Ihre Frage und dieser ganze Fragenkomplex sind aber einzig und allein darauf ausgerichtet, welche Verhandlungen es mit den Energieversorgungsunternehmen gegeben hat, und das habe ich beantwortet.
Wir werden im parlamentarischen Raum mit Sicherheit Gelegenheit haben, uns über die Sicherung der
Rücklagen, über die Höhe der zu erwartenden Kosten für
den Rückbau der Atomkraftwerke usw. auseinanderzusetzen; das ist klar.
Jetzt hat die Kollegin Kotting-Uhl die Möglichkeit zu
einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es geht um die mögliche Änderung des bisherigen Rückstellungssystems. Sie haben
jetzt ausgeführt, dass es sehr viele unterschiedliche
Möglichkeiten gibt und dass wir uns darüber auseinandersetzen werden.
Es gibt aber eine ganz klare Trennlinie zwischen diesen unterschiedlichen Möglichkeiten. Hier geht es darum, ob wir bereit sind, in öffentlicher Verantwortung
sowohl Haftungsrisiken als auch finanzielle Risiken zu
übernehmen, oder ob wir die Verantwortung für diese
Risiken bei den Konzernen belassen.
Auf den Punkt gebracht: Das eine Modell sieht einen
öffentlich-rechtlichen Fonds vor, für den verschiedene
Ausführungen angedacht sind. In diesen Fonds werden
die Rückstellungen überführt. Alles, was darüber hinaus
geht, bleibt aber in der Verantwortung der Konzerne, das
heißt, sie sind weiterhin über diese 36 Milliarden Euro
hinaus, um die es bisher geht und die in diesem Fonds
verwaltet werden sollen, haftungspflichtig.
Bei dem anderen Modell gibt es auch verschiedene
Möglichkeiten. Im Kern haben die Konzerne jetzt aber
vorgeschlagen, dass mit den 36 Milliarden Euro die finanzielle Verpflichtung der Konzerne erfüllt ist.
Hier möchte ich Sie schon fragen, ob ganz klar ist,
dass die zweite Variante nicht infrage kommt, sondern
dass die Variante 1 - die finanziellen Risiken verbleiben
auch über die 36 Milliarden Euro hinaus bei den Konzernen - auch Linie der Bundesregierung ist.
Noch einmal ganz klar: Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den Rückbau und auch die
Zwischenlagerung des Atommülls liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt
sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus und der
Endlagerung zu tragen. Damit haben sie eben auch für
entsprechende Rückstellungen in den Bilanzen zu sorgen. Das ist ja das Thema, um das es geht.
Es ist also ganz klar: Die Kostenverantwortung liegt
klar bei den Energieversorgungsunternehmen. Es muss
aber auch geregelt werden - das ist ein anderes Thema -,
wie diese Rücklagen gegen Insolvenz oder was auch immer abzusichern sind.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Krischer.
Frau Staatssekretärin, ich habe jetzt gehört, dass es
Diskussionen, Gespräche, Meinungsbildungen usw. gibt,
die noch nicht konkretisiert werden können. Ich hätte
jetzt einfach gerne eine Antwort auf die ganz banale
Frage, welches Ressort innerhalb der Bundesregierung
die Federführung in puncto Rückstellungen für den
AKW-Rückbau, für dessen Sicherstellung und auch gegebenenfalls für den Fonds - in welcher Form auch immer - hat und wie ein Arbeitsprozess zu diesem Thema
organisiert wird. Wenn ich die Äußerungen der Kollegin
aus dem Umweltministerium richtig verstehe, sieht man
hier ja doch schon die Notwendigkeit, irgendetwas zu
tun.
Herr Kollege Krischer, ich glaube, es ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Mitglieder der Bundesregierung, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
den einzelnen Ministerien ihrer Arbeit nachkommen,
Gespräche in unterschiedlichen Konstellationen führen,
sich mit unterschiedlichen Vorschlägen befassen und im
Endeffekt Vorbereitungen für weiterführende Gespräche
treffen. Die Federführung ist allein schon an der Zuordnung Ihrer Fragen zu dem entsprechenden Geschäftsbereich zu erkennen.
({0})
Die selbstständige Wortergreifung ist jedenfalls nicht
zulässig. Außerdem sage ich allen, die am Thema interessiert sind: Es gibt noch weitere Fragen von anderen
Kolleginnen und Kollegen zu diesem Komplex, sodass
ich denke, dieses Thema wird noch vertieft werden können.
Wir kommen zur Frage 25 der Kollegin Dr. Valerie
Wilms:
Welche Gespräche des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Energie mit hochrangigen Vertretern von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen fanden in dieser Wahlperiode auf Leitungsebene statt - bitte differenzierte Angaben
machen wie in Bundestagsdrucksache 17/11922 zu Frage 19 in
Verbindung mit Bundestagsdrucksache 17/12042 zu Frage 17,
also Datum, Teilnehmer und Themen -, und in welchen dieser
Gespräche ging es auch um Aspekte des Rückbaus und der
Entsorgung der Atomkraftwerke bzw. des Atommülls dieser
Energiekonzerne?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Kollegin Wilms, Sie fragen nach den Gesprächen, die hochrangige Vertreter des BMWi geführt
haben. Aufgabenbedingt pflegen Mitglieder der Bundesregierung, Parlamentarische Staatssekretärinnen und
Parlamentarische Staatssekretäre sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der Bundesministerien Kontakte
mit einer Vielzahl von Akteuren.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
hat für die Beantwortung der mündlichen Frage eine
hausinterne Abfrage durchgeführt. Insbesondere aufgrund der für die Beantwortung mündlicher Fragen zur
Verfügung stehenden kurzen Zeit kann jedoch eine lückenlose Aufstellung nicht garantiert werden.
Es wurden Gespräche mit Unternehmensvertretern
geführt, in deren Portfolio sich auch Kernkraftwerke befinden. Aus den nachfolgenden Daten kann aber nicht
der Schluss gezogen werden, dass dort über konkrete
Vorschläge der Unternehmen bzw. Branchen zum weiteren Verfahren des Umgangs mit kerntechnischen Anlagen gesprochen wurde.
Dies vorausgeschickt beantworte ich Ihre Frage wie
folgt: Am 28. Januar 2014 hat Bundesminister Sigmar
Gabriel ein Gespräch mit Energieproduzenten zum EEG
geführt. Teilnehmer waren Dr. Leonhard Birnbaum ({0}), Peter Terium ({1}), Dr. Frank Mastiaux ({2}),
Ewald Woste ({3}), Andreas Feicht ({4}), Fritz
Brickwedde ({5}), Dr. Günther Häckl ({6}), Sylvia
Pilarsky-Grosch ({7}),
Helmut Lamp ({8}), Jens Eckhoff ({9}), Dr. Krawinkel ({10}), Sven Becker ({11}), Michael Riechel ({12}), Dr. Werner
Brinker ({13}), Fred Jung ({14}), Hartmut
Brösamle ({15}), Hans-Dieter Kettwig ({16}), Frank Asbeck ({17}), Bernhard Beck
({18}), Dr. Florian Bieberbach ({19}), Markus Wessel-Ellermann ({20}), Ronny Meyer ({21}). Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung
von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen.
Am 12. Februar 2014 hat Sigmar Gabriel ein Gespräch mit Peter Terium ({22}), Dr. Johannes
Teyssen ({23}), Gérard Mestrallet ({24}), Fulvio Conti ({25}),
Ignacio S. Galán ({26}), Dr. Gertjan
Lankhorst ({27}), Daniel Benes
({28}), Dr. Gerhard Roiss ({29}), Dr. h. c. Tapio Kuula ({30}) geführt. An diesen Gesprächen der Bundeskanzlerin mit Vorstandsvorsitzenden europäischer Energiekonzerne zu Fragen der europäischen Energiepolitik
haben auch Bundesminister Altmaier und Bundesministerin Hendricks teilgenommen. Aspekte des Rückbaus
und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiver Abfälle sind nicht besprochen worden.
Am 13. Februar 2014 führte Sigmar Gabriel ein Gespräch mit Dr. Johannes Teyssen ({31}) und Dr. Leonhard
Birnbaum ({32}). Es ging dabei um Kapazitätsmärkte,
um das EEG, um Emissionshandel und die Situation von
Kernkraftwerken allgemein. Dort wurden auch Aspekte
des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken
und radioaktiven Abfällen besprochen.
Am 18. Februar 2014 führte Bundesminister Gabriel
ein Gespräch mit Herrn Peter Terium ({33}), Herrn
Heinacher ({34}) und Alexander Nolden ({35}). Hierbei ging es um die finanzielle Situation von RWE, Kapazitätsmärkte, das EEG, Emissionshandel und die Situation der Kernkraftwerke allgemein. Aspekte des
Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken und
radioaktiven Abfällen wurden in dem Zusammenhang
besprochen.
Am 27. Februar 2014 führte Bundesminister Gabriel
ein Gespräch mit Dr. Frank Mastiaux und MdL Dr. Nils
Schmid. Es handelte sich um einen Antrittsbesuch des
Dr. Mastiaux, und es ging um EnBW allgemein, um das
EEG und die Energiewende, um Kapazitätsmechanismen, Netzreserve, Emissionshandel und Offshorewindenergie. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von
Kernkraftwerken und radioaktiven Abfällen wurden
nicht besprochen.
Am 14. März 2014 gab es ein Gespräch des Bundesministers Gabriel mit T. J. Hatakka ({36}), mit S.
Kleimeier ({37}), Peter Terium ({38}), Dr. Mastiaux
({39}), Dr. B. Zinow ({40}), E. Woste ({41}), A.
Kuhlmann ({42}), M. G. Feist ({43}), Dr. F.
Bieberbach ({44}), C. Dany
({45}) und Raimund Otto ({46}). In dem Gespräch ging es um Kapazitätsmechanismen und die EEG-Reform. Aspekte des Rückbaus
und der Entsorgung von Kernkraftwerken und radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Uwe Beckmeyer
hat am 6. März 2014 ein Gespräch geführt mit Arnaud
Bellanger, Aufsichtsratsvorsitzender der Areva Wind
GmbH, Michael Munder-Oschimek, einer der Geschäftsführer der Areva Wind GmbH, Wolfgang Wilms,
ein weiterer Geschäftsführer der Areva Wind GmbH,
und Joachim Arndt, ebenfalls Geschäftsführer der Areva
Wind GmbH. Es ging in dem Gespräch um Offshorewindenergie, die EEG-Novelle und den Standort
Bremerhaven. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen
wurden nicht besprochen.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke
- also ich - hat am 7. April 2014 ein Gespräch mit Bernd
Dubberstein ({47}), Manfred Paasch, Vorstand der
Edis AG und Vorsitzender des Vereins „pro Brandenburg“, und Andreas Kimmel von der Edis AG geführt.
Es ging in diesem Gespräch um Infrastruktur- und Netzausbau in Ostdeutschland. Aspekte des Rückbaus und
der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven
Abfällen wurden nicht besprochen.
Staatssekretär Rainer Baake führte am 28. Januar
2014 ein Gespräch mit Dr. Frank Mastiaux ({48}),
Christoph Dany ({49}), Dr. Leonhard
Birnbaum ({50}) sowie Vertreterinnen und Vertretern anderer Organisationen. In dem Gespräch ging es um das
EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von
Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden
nicht besprochen.
Am 18. Februar 2014 führte Herr Baake ein Gespräch
mit Johannes Lambertz ({51}), Dr. Ingo Luge ({52}) sowie mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Organisationen. Auch in diesem Gespräch ging es um das EEG.
Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht
besprochen.
Am 18. Februar 2014 führte Herr Baake ein Gespräch
mit Peter Terium von RWE. Auch in diesem Gespräch
ging es um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen waren nicht Gesprächsgegenstand.
Am 14. März 2014 führte Herr Baake ein Gespräch
mit Dr. Johannes Teyssen von Eon SE. Bei dem Gespräch waren auch anwesend Tuomo J. Hatakka ({53}), Peter Terium ({54}), Dr. Frank
Mastiaux ({55}), Dr. Florian Bieberbach ({56}), Werner Albrecht ({57}),
Stephan Schwarz ({58}), Herbert König
({59}) sowie Vertreter und Vertreterinnen anderer Organisationen. Es ging auch in diesem
Gespräch um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der
Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen waren nicht Gesprächsgegenstand.
Am 20. März 2014 hat Herr Baake ein Gespräch geführt mit Eberhard Schomburg von Eon, Fred Schulz
von Eon, Thiess Hansen von Eon und Mike Winkel von
Eon. Auch in diesem Gespräch ging es um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen sind auch dort nicht
besprochen worden.
Am 10. April 2014 führte Herr Baake ein Gespräch
mit Dr. Ingo Luge von Eon, Dr. Frank Mastiaux von
EnBW sowie Vertreterinnen und Vertretern anderer Organisationen. In diesem Gespräch ging es um die Versorgungssicherheit in Süddeutschland. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw.
radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen.
Da Sie sich das nicht alles merken konnten, bekommen Sie das selbstverständlich schriftlich, genauso wie
die Protokollanten.
({60})
Die Bundesregierung hat die Antwortzeit von zwei
Minuten, die normalerweise üblich ist, geringfügig überzogen.
Ich danke, Herr Präsident. Aber sonst hätte ich nicht
so ausführlich antworten können.
Das diente der Vollständigkeit, hat aber bei dem einen
oder anderen auf der Besuchertribüne zu Irritationen geführt. Die Regierung hat jedenfalls vollständig und sehr
ausführlich geantwortet.
Frau Dr. Wilms, wollen Sie noch eine Zusatzfrage
stellen? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben meine Frage sehr ausführlich beantwortet.
Herzlichen Dank.
Wenn ich es aber richtig sehe, haben wir zu dem
Punkt, wo es brennt und bei dem es darum geht, dass wir
als Gesamtgesellschaft im Zweifelsfall dafür eintreten
müssen, von Ihnen keine erschöpfende Auskunft bekommen. Wir konnten aber anhand Ihrer Aufzählung sehr
gut verfolgen, wie intensiv die Lobbyisten vorbeimarschieren, wenn es um das EEG geht. Allein deswegen ist
die Liste, die Sie uns schriftlich zur Verfügung stellen
wollen, wertvoll.
Nun zu meiner Nachfrage. Sie haben gesagt, dass Sie
mindestens zweimal über das Thema „AKW und Rückbau“ gesprochen haben. Ich möchte wissen, welche Aussagen das BMWi dabei getroffen hat, welche Positionen
das BMWi dabei vertreten hat und ob dort möglicherweise schon Zugeständnisse in Richtung des Vorschlags
der Atomwirtschaft erörtert wurden.
Frau Kollegin Wilms, Sie haben mich danach gefragt,
mit welchen hochrangigen Vertretern von atomkraftwerkbetreibenden Energiekonzernen wir Gespräche geführt haben.
({0})
Ich kann Ihnen sagen, welche Gespräche wir in der Zwischenzeit noch geführt haben. Aber daraus zu schließen,
dass an dieser Stelle ein besonders großer Lobbyismus
ausgebrochen sei, halte ich für ein bisschen abenteuerlich, wenn ich das bemerken darf. Ich versuche, auf Ihre
Fragen so erschöpfend wie möglich zu antworten.
({1})
Wie ich vorhin gesagt habe, ist es in den beiden Gesprächen, die ich auch aufgezählt habe, am Rande um
sehr unkonkrete Vorschläge gegangen. Es hat keine Zugeständnisse, Beschlüsse oder sonst irgendetwas gegeben.
Frau Wilms, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Gleicke, ich will
auf die Rückstellungen zurückkommen. Liegen Ihnen
Hinweise vor, dass auch andere Stellen Überlegungen in
diese Richtung anstellen? Ich denke zum Beispiel an die
Gewerkschaft IG BCE. Welche Informationen liegen Ihrem Hause vor?
Ich kann Ihnen dazu keine Auskunft geben. Ich weiß
einfach nicht, ob es dazu Gespräche gegeben hat. Da
müsste ich mich zuerst erkundigen.
Was meinten Sie mit Ihrem Hinweis auf die IG BCE?
Ich frage das, damit ich meinem Haus möglichst konkrete Informationen weitergeben kann. Meinten Sie die
Rückstellungen für Atomkraftwerke?
Ja, ich meinte die Rückstellungen.
Alles klar.
Jetzt haben Herr Kollege Krischer und Frau Kollegin
Höhn jeweils eine Zusatzfrage.
Frau Kollegin, ich möchte die Frage von eben noch
einmal konkret stellen. Sie haben gesagt, ich hätte anhand der Zuweisung der Fragen für die Beantwortung
sehen können, bei wem die Federführung bei Rückstellungen für den Atomkraftwerkerückbau innerhalb der
Bundesregierung liegt. Ich muss leider feststellen: Ich
konnte es nicht sehen. Das ist sicherlich mein Versehen.
Ich bitte Sie deshalb: Vielleicht nennen Sie mir - das
können Sie sehr kurz machen - einfach den Namen des
Ressorts, das in der Frage der Rückstellungen für den
AKW-Rückbau und die Entsorgung die Federführung innerhalb der Bundesregierung hat.
Das BMWi hat innerhalb der Bundesregierung die Federführung für die Rückstellungen. Das BMUB hat die
Federführung für die Vorgaben zur nuklearen Stilllegung
und Entsorgung, das heißt indirekt für die Höhe der
finanziellen Lasten sowie für das Atomhaftungsrecht.
Für die steuerlichen Aspekte hat das BMF die Federführung.
Frau Höhn, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin gesagt, Sie
wollten die genaue Frage wissen, damit Sie den richtigen
Arbeitsauftrag an das Ministerium geben können. Das ist
der richtige Weg. Nun gibt es zwei Termine, bei denen
sich immerhin der Minister mit den Chefs von Eon und
RWE getroffen hat, nämlich am 13. und am 18. Februar,
und über diese Rückstellungen offensichtlich geredet
worden ist. Das haben Sie bestätigt. Gibt es denn Arbeitsaufträge des Ministers nach diesen Gesprächen für
das Ministerium?
Das ist mir nicht bekannt.
Können Sie da nachforschen und mich darüber informieren?
Das kann ich gerne machen.
Danke.
Wir kommen zur Frage 26 der Kollegin Dr. Valerie
Wilms:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber,
wie werthaltig die Rückstellungen in den Konzernbilanzen
von RWE derzeit noch sind, bitte differenzieren nach Ressort
und Datum?
Liebe Frau Kollegin Wilms, diesmal antworte ich
etwas kürzer. Zu dieser Thematik hat es weder Verhandlungen der Bundesregierung mit Vertretern der Energiekonzerne gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse
innerhalb der Bundesregierung. Die uneingeschränkte
Verantwortung für den sicheren Ablaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den Rückbau und auch die
Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle liegt bei den
Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus
sowie der Endlagerung zu tragen. Dafür haben die Unternehmen Rückstellungen in Milliardenhöhe gebildet.
Es muss gewährleistet sein, dass die finanziellen Mittel
für diese Zwecke jederzeit gesichert zur Verfügung stehen.
Eine Nachfrage, Frau Dr. Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank für die
kurze Antwort, Kollegin Gleicke, so müssen wir beide
nicht ganz so lange hier stehen. Ich habe doch noch eine
Nachfrage an der Stelle. Das Thema ist jetzt in der
Presse. Wenn ich Ihre Antwort, wie ich sie wahrgenommen habe, richtig interpretiere, dann hegen Sie keine
Zweifel an der Bewertung dieser Rückstellungen, nämlich ob diese noch ausreichend werthaltig sind.
Was wird das BMWi jetzt machen? Wird es das einfach so stehenlassen - Sie haben eben gesagt, dass Ihr
Ressort zuständig ist -, oder wollen Sie jetzt herangehen,
sich das anschauen, sich intensiv mit den Konzernen
auseinandersetzen und fragen, wo wirklich Rückstellungen vorhanden sind? Es geht darum, ob sie in Euro vorhanden sind; denn Rückstellungen sind eine theoretische
Geschichte und können irgendwann einmal zu Geld gemacht werden, wenn man Glück hat. Werden Sie jetzt
Wirtschaftsprüfer in die Unternehmen schicken, oder
was haben Sie vor?
Liebe Frau Kollegin Wilms, es ist ganz einfach so,
dass wir uns tatsächlich im Handelsrecht befinden. Das
heißt, dass die Unternehmen gemäß ihrer Risiken Rückstellungen bilden müssen. Das ist auch bei der Nuklearwirtschaft so. Insofern werden diese Rückstellungen
selbstverständlich von unabhängigen Wirtschaftsprüfern
geprüft. Auch die Finanzverwaltungen prüfen; denn das
muss im entsprechenden Bereich sein.
Wenn sich Veränderungen ergeben, zum Beispiel weil
sich bestimmte Maßnahmen oder was auch immer verteuern oder Anlagen, in denen diese Rückstellungen angelegt sind, nicht mehr so werthaltig sind, haben die Unternehmen Vorsorge zu treffen und ihre Rückstellungen
zu erhöhen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Gleicke, das ist
die hehre Theorie; das stimmt alles von der Theorie her.
Aber Sie wissen doch auch, dass in der Praxis sehr viel
Bewertungsspielraum vorhanden ist. Mit anderen Worten: Offen ist, wie man mit der Bewertung von Rückstellungen umgeht. Bilanzkosmetik - die zulässig ist - wird
durchaus häufig vorgenommen.
Uns ist durch die Presse dargestellt worden, dass dieses Thema von den Konzernen - Sie selber haben es
eben gesagt - zumindest in zwei Gesprächen angeschnitten wurde. Wenn sogar die Betreiber dieser Atomkraftwerke über eine Bad Bank zur Finanzierung des Rückbaus von Atomanlagen nachdenken, dann frage ich mich
doch wirklich, warum bei Ihnen nicht langsam die
Alarmglocken läuten, warum Sie diese Bewertung nicht
einmal von unabhängiger Seite vornehmen lassen und
wirklich die Details untersuchen, um zu erfahren, für
wann was geplant ist.
Frau Kollegin Wilms, ich habe Ihnen gesagt, dass es
sich dabei um sehr unkonkrete Vorschläge handelte, dass
also nicht die gesamte Maschinerie des Ministeriums in
Gang gesetzt worden ist, um entsprechende Vorschläge
auszuarbeiten. Ich habe Ihnen außerdem gesagt, dass für
uns die Energieversorgungsunternehmen die uneingeschränkte Verantwortung für den Rückbau der Atomkraftwerke und für die Zwischenlagerung und die Entsorgung
des Atommülls haben und dass sie dafür Rücklagen zu
bilden haben, genauso wie der Bergbau Rücklagen für
seine Ewigkeitslasten bilden muss. Dies wird von Wirtschaftsprüfern und von den Finanzverwaltungen geprüft.
Ich habe keinen Anlass, zu meinen, dass sich die Unternehmen nicht gesetzeskonform verhalten. Ich gehe davon aus, dass sie sich, genauso wie es seriöse Kaufleute
tun, mit den rechtlichen Dingen auseinandersetzen.
Sie können versichert sein, Frau Kollegin Wilms:
Dieses Thema verlässt uns nicht; ich habe es vorhin
schon einmal gesagt. Auch das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie macht sich darüber Gedanken,
wie wir diesen Themenbereich abarbeiten können. Wir
werden Ihnen zu gegebener Zeit Vorschläge unterbreiten.
Es gibt zwei Nachfragewünsche; den einen hat Frau
Kollegin Kotting-Uhl, den anderen Frau Kollegin Höhn,
beide Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Kotting-Uhl, bitte.
Frau Staatssekretärin Gleicke, allein die Tatsache,
dass die Konzerne diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt
haben, muss zum Nachdenken anregen. Jeder politische
Mensch fragt sich: Warum haben die das wohl gemacht?
Was für Überlegungen gibt es im BMWi bzw. was ist
Ihre Interpretation bezüglich der Frage, warum diese
Konzerne die Überlegung, eine halbstaatliche Bad Bank
zu schaffen, überhaupt auf den Tisch legen sollten, wenn
der Grund dafür doch nur sein kann, dass sie selber
Zweifel an der Werthaltigkeit ihrer Rückstellungen haben?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, es ist ganz klar, dass die
Opposition sehr frühzeitig Gedankenspiele in den zuständigen Ministerien kennen möchte. Aber ich werde
Ihnen heute in dieser Fragestunde diese Fragen nicht beantworten können, da ich nicht bei jedem Vorschlag einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters, der im politischen Raum oder im wirtschaftlichen Raum auf die
Tagesordnung kommt, sofort ins Nachdenken gerate; so
etwas geht ja gar nicht. Wir denken permanent nach.
Wenn wir Vorschläge haben, dann werden wir sie Ihnen
auch unterbreiten.
Frau Kollegin Höhn, Sie haben als Nächste das Wort
zu einer Nachfrage.
De facto ist der Vorschlag der EVU, eine Bad Bank
zur Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke zu
schaffen, ein Eingeständnis, dass sie mit den bisherigen
Rückstellungen in Höhe von 36 Milliarden Euro nicht
hinkommen. Deshalb die Frage: Wie bewertet eigentlich
das Ministerium die Rückstellungen der EVU in Höhe
von 36 Milliarden Euro? Gibt es eine Einschätzung, ob
man mit dieser Summe hinkommt oder ob man mehr
braucht?
Frau Kollegin Höhn, wir kennen es von anderen Themenbereichen, dass Preissteigerungen stattfinden - Stichwort „Endlagersuchgesetz“ -, dass sich also Kosten verändern können. Es finden immer wieder Gespräche
miteinander und ein Austausch untereinander statt, damit die Unternehmen Risiken seriös bewerten und Rücklagen bilden können.
Ich sage aber noch einmal ganz klar: Die Bundesregierung stellt fest, dass nach Recht und Gesetz allein
die Energieversorgungsunternehmen für die Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke verantwortlich
sind und Rücklagen zu bilden haben. Ich gehe davon
aus, dass sich die Unternehmen an dieser Stelle nach
Recht und Gesetz verhalten.
Wir kommen nun zur Frage 27 des Kollegen Hubertus
Zdebel, Fraktion Die Linke:
Stimmt die Meldung des Magazins Der Spiegel vom
12. Mai 2014, dass der Bundesregierung ein Vorschlag von
Eon, RWE und EnBW zur Unterbringung ihrer Atomausstiegsrücklagen in einer öffentlich-rechtlichen Stiftung für den
Betrieb und Rückbau der deutschen Atomkraftwerke sowie
für die Atommülllagerung vorliegt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege, Sie haben zwei Fragen gestellt. Wegen
des Sachzusammenhangs würde ich sie gern zusammen
beantworten.
Dann rufe ich jetzt auch die Frage 28 des Kollegen
Hubertus Zdebel auf:
Wenn ja, was beinhaltet der Vorschlag der genannten Unternehmen bezüglich des Aufgabenbereiches der vorgeschlagenen Stiftung und der künftigen Haftung für die Kosten des
Atomausstieges und der Atommüllentsorgung ({0})?
Der Bundesregierung liegt kein entsprechendes Konzept vor. Das ist hier schon mehrfach deutlich geworden.
Weder hat es Verhandlungen der Bundesregierung mit
Vertretern der Energiekonzerne zu dieser Thematik gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung.
Kollege Zdebel, bitte.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ist das nicht ein bisschen eine semantische Feinheit? Sie
haben gerade ausgeführt, dass es sehr wohl zumindest
allgemeine Gespräche von Herrn Minister Gabriel mit
RWE und Eon zu der ganzen Frage gegeben hat. Dann
sagen Sie aber: Es liegt uns kein Plan oder ausgearbeitetes Konzept vor. - Es geht doch im Prinzip darum, zumindest in dieser Frage: War die Bundesregierung über
entsprechende Überlegungen der Konzerne informiert?
Dazu müssten Sie einräumen, dass bei diesen Gesprächen zumindest in allgemeiner Form darüber informiert
worden ist.
Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade gesagt, dass es
diese allgemeinen Gespräche gegeben hat. Sie gehören
zu unserer Arbeit; das ist also systemimmanent, will ich
mal sagen. Aber Sie haben mich gefragt - auf Ihre Frage
bezieht sich meine Antwort -, was Inhalt dieser Vorschläge war. Ich habe Ihnen gesagt: Die Vorschläge waren unkonkret. Ich kann dazu keine Ausführungen machen, weil es quasi keinen konkreten Vorschlag gibt.
({0})
Ich bitte dafür herzlich um Verständnis.
Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen? Sie haben
insgesamt vier Nachfragen, weil die beiden Fragen zusammen beantwortet wurden. - Bitte.
Ich würde dann ganz gern noch eine Nachfrage stellen. Frau Gleicke, wir haben das hier die ganze Zeit
schon in unterschiedlichsten Varianten gehört. Mir
kommt das ein bisschen weltfremd vor. Was ist denn da2966
runter zu verstehen, dass über allgemeine Vorstellungen,
was diese Fragen angeht, informiert worden ist?
Ich will noch einmal betonen: Diese Diskussion ist älter als die Spiegel-Meldungen oder sonst etwas. Ich habe
das vorhin auch schon auf die Nachfragen der Kolleginnen und Kollegen der Grünen gesagt. Natürlich gibt es in
öffentlichen Debatten, auch in der Presse oder so immer
wieder Vorschläge, die hinlänglich unkonkret sind. Sie
fragen mich aber quasi nach Auswirkungen sowie nach
einem Modell, das die Energieversorger vorgelegt haben
sollen. Das haben sie nicht getan; sie haben das Thema
angesprochen, das mit „Rückbau und Entsorgung“ zu
beschreiben ist. Insofern kann ich keine Aussage zu irgendeinem Konzept der Energieversorger machen.
Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen? - Das ist
nicht der Fall. Schönen Dank.
Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Bärbel Höhn sowie die Frage 31 der Kollegin Sevim Dağdelen werden
schriftlich beantwortet. Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Energie.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael
Roth bereit.
Die Frage 32 der Kollegin Sevim Dağdelen wird
schriftlich beantwortet.
Wir haben jetzt noch Zeit für die Beantwortung einer
Frage. Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Niema
Movassat auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
dem Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa am 2. Mai
2014, bei dem 46 größtenteils linke oder gewerkschaftlich organisierte Aktivisten starben, womöglich noch bei weitem
mehr Menschen - bis zu 116 - umkamen, die zum Teil vor
dem Brand erschossen bzw. erdrosselt wurden, und warum hat
sie sich als Reaktion auf diese Morde und zur vollständigen
Aufklärung der Tat nicht umgehend für die Entsendung einer
OSZE-Beobachtermission in die Ukraine eingesetzt ({0})?
Das wird die letzte Frage in der heutigen Fragestunde
sein, weil wir dann zum nächsten Tagesordnungspunkt
kommen müssen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich hoffe, dass ich
noch so zu informieren vermag, wie das meine geschätzte Kollegin mit den vielen detailreichen Angaben
zu den Treffen getan hat.
Lieber Herr Kollege Movassat, selbstverständlich laufen in der Ukraine entsprechende strafrechtliche Ermittlungen. Darüber hinaus hat das ukrainische Parlament
bereits am 13. Mai eine eigene Untersuchungskommission zur Aufklärung der Ereignisse in Odessa am 2. Mai
eingesetzt. Diese Untersuchungskommission wird von
den beiden Abgeordneten Anton Kisse - Partei der Regionen - und von Wadym Merikow - Batkiwschtschyna geleitet.
Sie wissen sicher auch, dass für die Bundesregierung
Bundesaußenminister Steinmeier in Kiew und in Odessa
am 14. Mai 2014 mit der ukrainischen Regierung und
den regionalen Behörden über die tragischen Ereignisse
gesprochen hat. Er hat noch einmal die große Bedeutung
unterstrichen, die die Bundesregierung der vollständigen
Aufklärung der Ereignisse beimisst.
Darüber hinaus ist die sogenannte Sonderbeobachtungsmission der OSZE seit April 2014 mit einem Team
vor Ort in Odessa. Es beobachtet die Sicherheitslage und
berichtet an alle OSZE-Teilnehmerstaaten.
Diese OSZE-Missionen haben gemäß ihrem Mandat
einen umfassenden Auftrag zur Konfliktprävention. Darunter, Herr Kollege, fällt jedoch nicht die Überwachung
einzelner polizeilicher oder auch gerichtlicher Verfahren.
Schönen Dank. - Haben Sie eine Nachfrage, Herr
Kollege?
Ja, danke, habe ich. - Meine Nachfrage bezieht sich
auf Erkenntnisse der Bundesregierung rund um den
Brand. Es war wohl so, dass sich die Polizei in Odessa
zurückzog, als der Brand ausbrach, dass die Feuerwehr
blockiert wurde oder erst gar nicht herausgefahren ist,
während dort Menschen verbrannten. Meine Frage ist:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, warum
die Polizei nicht gegen die Brandstifter einschritt und die
Feuerwehr das Feuer nicht löschte?
Herr Kollege Movassat, das Problem besteht darin,
dass sehr widersprüchliche Aussagen und Informationen
vorliegen. Insofern hat die Bundesregierung ein außerordentlich großes Interesse, dass die Untersuchungsergebnisse baldmöglichst vorgelegt werden. Es laufen,
wie gesagt, auch strafrechtliche Ermittlungen. Darüber
hinaus hoffen wir, dass auch die Untersuchungskommission des ukrainischen Parlaments Licht in das Dunkel zu
bringen vermag. - Ich will noch einmal zusammenfassen: Wir haben sehr widersprüchliche Erkenntnisse und
Informationen.
Sie haben das Wort zur zweiten und letzten Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, in der Tat sind die Informationen
- das ist wahr - teilweise widersprüchlich. Es ist aber so,
dass, nachdem der Brand stattgefunden hatte, die ukrainischen Medien davon sprachen, dass hier Patrioten
Separatisten zurückgeschlagen hätten, und der Gouverneur der Region bezeichnete den Mord an den Menschen
im Gewerkschaftshaus als legal. Insofern lautet meine
Frage an die Bundesregierung: Glauben Sie wirklich,
dass diese Kommission der ukrainischen Regierung
hierzu einen neutralen und unabhängigen Bericht vorlegen kann? Oder ist sie nicht durch diese sozusagen gelenkte Berichterstattung, die dort stattfindet und die Geschehnisse ganz einseitig darstellt, voreingenommen?
Zum einen gibt es strafrechtliche Ermittlungen, zum
anderen gibt es eine vom Parlament eingesetzte Untersuchungskommission. Wir haben derzeit keinen Anlass,
daran zu zweifeln, dass diese Untersuchungskommission
ihrer Aufgabe gerecht werden wird. Sie können sich,
Herr Kollege Movassat, darauf verlassen, dass wir uns
selbstverständlich regelmäßig über die Zwischenergebnisse informieren werden. Wir wissen selbstverständlich
auch, dass die unterschiedlichsten Verantwortlichen, die
in der Ukraine präsent sind - egal ob Parlamentarierinnen und Parlamentarier oder Vertreter der internationalen Organisationen, - dieses Thema in allen Gesprächen
ansprechen. Selbstverständlich gilt das auch für Vertreter
der Bundesregierung, die immer wieder um Aufklärung
bitten.
Schönen Dank. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden gemäß den Vorschriften unserer Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe auf den Zusatzpunkt 1:
Wahl von Mitgliedern der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und Satz 3
des Standortauswahlgesetzes
Drucksache 18/1452
Hierzu liegt uns ein gemeinsamer Wahlvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1452 vor. Wer
stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist mit
den Stimmen der einbringenden Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen.
Ich rufe auf den Zusatzpunkt 2:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Freilassung der von Boko Haram entführten
Schulmädchen in Nigeria
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Seit einiger Zeit bewegt uns das Schicksal von 200 jungen Mädchen und Frauen - vielleicht sind es auch ein
wenig mehr -, die in Nigeria brutal entführt wurden und
nach Ankündigung der Gruppe, die sie entführt hat, als
Sklavinnen verkauft oder zwangsverheiratet werden sollen. Diese Gruppe, Boko Haram, hat sich nicht nur zu
der Entführung bekannt, sondern hat diese jungen Mädchen und Frauen in einer widerlichen Art und Weise öffentlich zur Schau gestellt. Sie hat damit gezeigt, was für
einen Charakter sie hat.
Wir alle - bis vielleicht auf diejenigen, die schon vor
Ort waren - haben unsere Informationen nur aus zweiter
oder dritter Hand. Deswegen habe ich mich heute mit
Menschen unterhalten, die im Norden Nigerias unterwegs sind und die einen genaueren Überblick über das
haben, was dort passiert. Dazu gehören beispielsweise
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Open Doors“,
aber auch von anderen Organisationen.
Es gibt in den großen Zeitungen eine ganze Reihe von
analytischen Berichten darüber, was hinter dieser Tat
steckt. Es wird über Machtfragen, Geldfragen, ethnische
Fragen und Landfragen spekuliert. Das ein oder andere
spielt natürlich eine Rolle. Wir brauchen aber gar nicht
zu spekulieren. Es gibt nämlich eine Fülle von Dokumenten von Boko Haram, die den Kern der Gruppe aufzeigen. In diesen Dokumenten wird eindeutig und klar
formuliert: Wir wollen - zumindest im Norden Nigerias -,
eine islamische Republik, einen Teil Afrikas, in dem
ausschließlich die Scharia herrscht. - Das ist nicht einfach so dahingesprochen. In beachtlichen Teilen im Norden des Landes wurde die Scharia bereits überfallartig
eingeführt.
Boko Haram hat nicht nur erklärt, dass die Scharia in
ganz Nigeria eingeführt werden soll, sondern auch, dass
sie in diesem Land keine Christen haben will. Es ist also
nicht wie in anderen Staaten, wo man die Scharia auch
auf Minderheiten ausdehnt. Boko Haram will, dass die
Christen aus Nigeria verschwinden. Das ist eine klare
Andeutung, die zeigt, dass es im Kern nicht um eine
ethnische Auseinandersetzung oder etwas anderes geht.
Im Kern geht es vielmehr darum, dass Boko Haram die
Christen aus dem Land verdrängen will und nicht davor
zurückschreckt, Kindern - es sind übrigens auch Jungen
überfallen worden - in brutalster Art und Weise ein solches Verbrechen anzutun, und zwar, weil sie auch Christen sind oder vielleicht, weil sie Christen sind. Ich finde,
wir haben daher allen Grund, dies auch offen anzusprechen.
({0})
Sie wissen alle, dass mich die Frage der Religionsfreiheit seit vielen Jahren beschäftigt. Ich bin sehr vorsichtig, wenn es um die Frage geht: Wo handelt es sich um
ethnische Konflikte, und wo geht es tatsächlich um Religionsfreiheit? In diesem Fall in Nigeria geht es um Religionen.
Warum sich Boko Haram so hat ausdehnen können,
hat viele Gründe. Wir stellen seit einiger Zeit eine Veränderung fest. Waren es früher vor allem Staaten, die Gläubige, darunter Christen, verfolgt haben, so sind es nun
zunehmend Gruppen, die deswegen stark sind, weil das
staatliche Gewaltmonopol nicht mehr existiert. Genau
dies ist auch in Nigeria der Fall. Um diese Probleme zu
bekämpfen, müssen wir alles daransetzen, dass der Staat
seinen Aufgaben nachkommen kann. Wir müssen klar
und deutlich sagen: Wir werden die Verfolgung von
Menschen, die glauben, nicht zulassen. Dabei geht es
uns um die Glaubensfreiheit generell. Aber die Wahrheit
ist leider, dass die am meisten verfolgte Gruppe die
Christen sind, und zwar vor allem dort, wo Muslime in
der Mehrheit sind und die Macht haben. Dies muss offen
angesprochen werden. Die Wahrheit ist politisch immer
korrekt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin
Annette Groth, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
alle sind berührt von dem Schicksal der über 200 Mädchen, die von Boko Haram verschleppt wurden. Diese
unschuldigen Mädchen und jungen Frauen wurden Geiseln einer kriminellen Bande.
Seit vielen Jahren begeht Boko Haram furchtbare
Menschenrechtsverletzungen. Tausende Menschen wurden in den vergangenen Jahren in Dörfern, Kirchen,
Schulen und Polizeistationen massakriert. Dies wurde
allerdings lange Zeit in unseren Medien kaum erwähnt.
Jetzt müssen alle erdenklichen Mühen unternommen
werden, um die Mädchen zu finden und zu ihren Familien zurückzubringen.
({0})
Ich bin aber überzeugt, dass militärische Gewalt nicht
geeignet ist, um dieses Ziel zu erreichen, nicht nur weil
dadurch das Leben der Mädchen gefährdet würde, sondern auch weil ich die massive Kampagne, die die nigerianische Armee gegen Boko Haram führt, keineswegs
für die richtige Antwort halte.
({1})
Das Vorgehen der Armee hat bereits Tausende Opfer, darunter viele unbeteiligte Zivilisten, gefordert. Und vor
allem ändert es nichts an den Ursachen, aufgrund derer
sich viele junge Menschen Boko Haram angeschlossen
haben.
Nigeria ist einer der bevölkerungsreichsten Staaten
und der größte Ölproduzent Afrikas. Dennoch herrschen
große Armut, Korruption und ein brutaler Polizeiapparat
in diesem Land. Im Norden Nigerias, wo Boko Haram
besonders stark ist, leben etwa 70 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1 US-Dollar pro Tag. Die Reichen
leben in Saus und Braus.
Innerhalb der jungen Bevölkerung haben sich Perspektivlosigkeit und eine weitverbreitete Wut auf die
korrupten Eliten fest verankert. Das ist ein idealer Nährboden für fanatische Gruppen, die sich um die Jugendlichen kümmern und deren Wut und Hoffnungslosigkeit
für ihre Zwecke missbrauchen. Durch den Beitritt zu
Boko Haram erhalten diese Jugendlichen ein regelmäßiges Einkommen und im Rahmen dieser Gruppe einen
gesellschaftlichen Status.
Vor zwei Wochen ist im britischen Guardian ein Artikel erschienen, der die Zusammenhänge zwischen den
sozialen und politischen Gegebenheiten und dem Terror,
den Boko Haram gegen die nigerianische Bevölkerung
ausübt, sehr klar aufzeigt. Eindrücklich schildert der Autor, wie der durch den fortschreitenden Klimawandel
entstandene Mangel an fruchtbarem Land und sauberem
Wasser immer mehr Hunger, Krankheiten und Armut
produziert.
Das vom US-Kongress finanzierte Institute for Peace
geht genau wie das nigerianische Militär davon aus, dass
zwischen Klimawandel und Gewalt in Nigeria ein kausaler Zusammenhang besteht. Sehr viele Soldaten der
Boko Haram sind Menschen, die vor Dürre und Nahrungsmittelknappheit auch aus den Nachbarländern Nigerias geflohen sind.
Die Ausbreitung von Boko Haram, al-Qaida und ähnlichen fanatischen Gruppen in Nigeria, Mali und anderswo wäre ohne Unterstützung zum Beispiel durch
den algerischen Geheimdienst nicht möglich gewesen.
Auch einige Golfstaaten wie zum Beispiel Katar und
Saudi-Arabien unterstützen diese Gruppen. All dies geschieht auch mit dem Wissen westlicher Geheimdienste.
Kürzlich hat die Bundesregierung wieder einmal Waffenexporte in Höhe von 29 Millionen Euro nach Algerien und mehr als 31 Millionen Euro nach Saudi-Arabien
genehmigt. Das ist einfach skandalös.
({2})
Darüber hinaus haben die Kriegseinsätze der westlichen Staaten zum Beispiel in Libyen und im Irak dazu
geführt, dass riesige Mengen von Waffen in die Region
hineingepumpt wurden und heute von diesen fanatischen
Gruppen eingesetzt werden. Dort gibt es mehr Waffen
als Brot. Das ist doch wirklich wahnsinnig.
Die völkerrechtswidrige Kriegslogik des Westens hat
ein Klima geschaffen, das die Wut auf den Westen als
ideologischen Nährboden für diese Gruppen mit ihren
perversen Zielen angeheizt hat. Auch deswegen fordern
wir Linke seit vielen Jahren, die militärischen Abenteuer
in dieser Region endlich zu beenden und eine zivile Außenpolitik einzuleiten. Statt Waffen brauchen die Menschen echte Entwicklungsperspektiven.
({3})
Die deutsche und die europäische Außenpolitik müssen
endlich Verantwortung übernehmen. Diesen fanatischen
Gruppen muss der finanzielle Nachschub entzogen werden. Gleichzeitig müssen ökonomische und soziale
Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung der Staaten in der Region befördert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute müssen wir
alle mit den Mitteln der Diplomatie auf eine schnelle
Freilassung der Mädchen hinwirken, und ich hoffe, dass
es bald zu einer Freilassung kommt.
Vielen Dank.
({4})
Als nächster Rednerin erteile ich Edelgard Bulmahn,
SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben:
die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die
Augen der Kinder.
So der italienische Dichter und Philosoph Dante
Alighieri im 14. Jahrhundert. Das Kostbarste, was Eltern
haben, sind ihre Kinder. Wer Menschen verachtet, wer
sie zutiefst verletzen will, ihnen den größtmöglichen
Schaden zufügen will, der nutzt genau dies aus.
Unschuldige Kinder und Jugendliche zu Geiseln zu
machen, zeugt von einer unvorstellbar rohen und brutalen Rücksichtslosigkeit und Unmenschlichkeit.
({0})
Wer so handelt, gibt seine eigene Menschlichkeit auf und
verabschiedet sich bewusst von grundlegenden Werten,
die allen Kulturen und Religionen der Welt gemeinsam
sind.
Die Entführung von über 270 Mädchen aus einer
Schule in Chibok im Norden Nigerias ist aber auch eine
Tat, die ein gezieltes Statement gegen die Bildung und
damit auch gegen bessere Lebenschancen von Mädchen
und jungen Frauen sein soll. Wer den Islam als Rechtfertigung hierfür heranzieht, wie es der Anführer der Terrorgruppe Boko Haram tut, verhöhnt den Islam.
({1})
Anschläge wie die Entführung der Schülerinnen in
Nigeria sind leider kein Einzelfall: Seit Jahren - meine
Vorredner haben darauf hingewiesen - begeht Boko Haram immer wieder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Erst gestern wurden bei einem Anschlag in Jos mindestens 120 Menschen getötet.
Nigeria - das dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen - war ein von Toleranz geprägter Vielvölkerstaat.
Das macht die Dramatik und das Problem dieser Entwicklung so deutlich. Die Führer der katholischen und
der muslimischen Religionsgruppe betonen immer wieder, es gebe keinen Krieg der Religionen; Opfer seien
Christen und Muslime. Die religiösen Führer - das ist
ein Stück Hoffnung - setzen sich immer wieder für Ausgleich und Toleranz ein.
Eine grundlegende Ursache des Konfliktes liegt in der
sozioökonomischen Ungleichheit zwischen dem Norden
und dem Süden. Nährboden für Boko Haram sind wirtschaftliche und soziale Benachteiligungen der Menschen
im Norden des Landes, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption und Verlust des Vertrauens
in staatliche Institutionen. Vom beachtlichen Wirtschaftswachstum der letzten Jahre und von den wertvollen Ressourcen, die es in diesem Land gibt, profitieren
die meisten Menschen im Norden, aber auch im Süden
nicht.
Die Regierung steht deshalb vor einer doppelten Herausforderung: Erstens muss sie den Terror bekämpfen.
Aber sie darf dabei nicht stehen bleiben. Sie muss zweitens Armut bekämpfen und Menschen wieder eine Perspektive geben, und zwar unabhängig davon, wo sie
leben. Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg, an der wirtschaftlichen Entwicklung, Respekt vor Menschenrechten, Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Religionen
sind wichtige Voraussetzungen dafür, damit dem Terrorismus in diesem Land und einer solchen Gruppe wie
Boko Haram der Nährboden entzogen wird.
({2})
Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Ja, ich bin sehr froh, dass es die Konferenz in Paris
gegeben hat. Sie hat deutlich gemacht, dass eine derart
massive menschenverachtende Verletzung von grundlegenden Menschenrechten von der internationalen Staatengemeinschaft nicht akzeptiert werden kann und darf.
Das ist ein wichtiges Signal, im Übrigen auch deshalb,
weil damit nicht nur Nigeria, sondern auch seine Nachbarstaaten sowie Europa und die USA deutlich gemacht
haben, dass wir alle die Verantwortung dafür tragen, dass
den Menschen wieder eine gerechtere Teilhabe an wirtschaftlicher Entwicklung ermöglicht wird. Nur so kann
der Nährboden für Terrorismus ausgetrocknet werden.
Ich sage ausdrücklich auch: Es darf keine rein militärische Antwort geben, sondern eine Antwort muss im
echten Sinne des Wortes umfassend sein. Deshalb müssen wir über Entwicklungshilfe und über unsere wirtschaftlichen Hilfen unseren Teil zum Aufbau und zur
Stärkung rechtsstaatlicher und demokratischer Institutionen und Strukturen in diesem Land beitragen. Wir müssen dafür sorgen, dass Korruption bekämpft wird und
dass sich gute Regierungsführung wieder stärker etabliert. Damit können die Voraussetzungen für eine bessere ökonomische Entwicklung in allen Teilen des Landes geschaffen werden.
Ich habe bereits erwähnt, dass auch die Bekämpfung
von Armut, Hunger und Not notwendig ist. Hier stehen
wir ebenfalls in der Verantwortung, über die Entwicklungshilfe zu reagieren. Wir stehen über die Entwicklungshilfe hinaus auch in der Verantwortung, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unserem Land,
aber auch zwischen der EU und dieser Region die nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, die deutsche
Politik trägt hier eine Verantwortung. Wir müssen unseren Beitrag leisten, auf einen positiven Wandel hinzuwirken. Dazu ist es wichtig, dass wir uns auch auf
Regierungsebene an einem institutionalisierten Dialog
beteiligen, dass wir diesen Dialog nutzen und dass wir
ihn tatsächlich führen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen
Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Boko Haram ist ein Synonym für schlimmste Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt nicht nur die Entführung
der Schülerinnen und die Drohung, die Mädchen auf
dem Markt zu verkaufen oder zu versklaven.
Insgesamt wurden bisher weit über 4 000 Menschen
ermordet, die Verletzten, die Vertriebenen, die Traumatisierten wurden nie gezählt, konnten vielleicht auch nicht
gezählt werden, und das Morden geht bekanntlich weiter, wie die gestrigen Nachrichten bestätigten. Deshalb
ist es verdammt traurig, dass erst die Entführung der
Mädchen die globale Betroffenheit ausgelöst hat.
({0})
Herr Kauder, was Sie zu diesem Thema gesagt haben,
war völlig richtig. Aber ich denke, wir sollten hier sehr
aufpassen: Es ist unsere Aufgabe, klarzustellen, dass das
Problem Boko Haram kein religiöses Problem ist. Mit
Religion lassen sich diese Hassverbrechen nicht begründen und, wie Frau Bulmahn richtig sagte, schon gar nicht
mit dem Islam oder dem islamischen Glauben.
({1})
Das reiche Land Nigeria hat sich nicht unverschuldet
in diese Situation manövriert, aus der es heute alleine
nicht mehr herauskommt. Präsident Goodluck hat die Situation lange völlig falsch eingeschätzt und falsch reagiert. Führende Politiker und hohe Militärs haben sogar
lange Zeit versucht, die Terrorakte für ihre politischen
Zwecke zu instrumentalisieren. Viele Menschen, im Prinzip die ganze Nation, zahlen dafür einen extrem hohen
Preis.
Jetzt stellt sich die Frage nach internationaler Solidarität, die auch dem Schutz der Nachbarstaaten Kamerun,
Benin, Tschad, Niger gilt. Diese Länder leiden ebenfalls
verstärkt unter dem Terror Boko Harams. Ich denke, es
ist unser aller Aufgabe, hier einzuschreiten. Boko Haram
sucht neue Rückzugsgebiete und neue Ziele. Eine Destabilisierung der ganzen Region, die bestimmt zwölfmal
so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, ist nicht
ausgeschlossen. Auch deshalb haben sich jetzt die USA,
Großbritannien und Frankreich mit den genannten Ländern zusammengetan. Sie versuchen, eine Lösung zu finden. Sie versuchen vor allen Dingen, die Mädchen zu
finden und zu befreien. Die Mädchen müssen zurück zu
ihren Familien, und sie müssen zurück in die Schulen.
Wir müssen uns viele Fragen stellen: Wer steckt hinter Boko Haram? Wie ist die Entstehungsgeschichte?
Woher bekommt Boko Haram die Waffen? Welche Rolle
spielt die nigerianische Regierung? Welche Rolle spielen
unsere Waffenexporte? Und wir müssen auch die Frage
stellen: Welche Rolle spielt die endemische Korruption
in diesem Land? Der Fairness halber muss ich sagen,
dass man diese Frage so nicht formulieren darf. Man
müsste sie anders formulieren, nämlich: Wie lange haben westliche Staaten und Konzerne mit den unterschiedlichen korrupten Regierungen Nigerias hervorragend zusammengearbeitet und die Korruption dadurch
befördert und gefördert? Shell ist doch nur das bekannte
Beispiel. Sie erinnern sich: Der Ölkonzern hat mit den
unterschiedlichen Regierungen jahrzehntelang bestens
zusammengearbeitet. Sie haben letztlich gemeinsam das
Volk der Ogoni bekämpft. Das Volk hat fürchterlich gelitten. Zusammen haben sie, Shell und die Regierung,
letztlich auch den Bürgerrechtler und Schriftsteller Ken
Saro-Wiwa über ein Gerichtsurteil ermorden lassen. Da
frage ich schon: Tragen wir nicht auch Mitverantwortung?
({2})
Nigeria ist aus rein ökonomischer Sicht sehr erfolgreich - Frau Bulmahn hat es angesprochen -, aber es gilt
eine einfache Regel: Wachstum braucht Regeln; denn
sonst wird es zerstörerisch. Es bedeutet sehr oft Ausgrenzung jener, die eben nicht direkt vom Wachstum
profitieren. Damit trägt ein unkontrolliertes, nicht reguliertes Wachstum oftmals den Kern der staatlichen Zerstörung in sich. Das ist nicht nur in Nigeria der Fall; das
ist in vielen Ländern der Fall.
Hier kommt auch unsere Verantwortung ins Spiel. Es
gibt viele Punkte, an denen unsere Verantwortung ansetzt. Ich greife hier nur einen Bereich heraus: Es ist unsere Aufgabe, diejenigen Unternehmen, die in Nigeria
und in anderen armen Ländern investieren, zu ermutigen, auch weiterhin zu investieren. Wir müssen aber von
diesen Unternehmen zwingend verlangen, dass sie dafür
sorgen, dass Menschenrechte, ökologische und soziale
Standards eingehalten werden. Die Konzerne sind für
ihren Wirkungskreis verantwortlich. Aber auch wir Politiker im Bundestag und auf europäischer Ebene sind
letztlich für europäische und deutsche Konzerne mitverantwortlich, und ich sehe, dass wir diese Verantwortung
noch nicht wahrnehmen.
({3})
Ohne soziale und ökologische Gerechtigkeit wird Nigeria keine Lösungen finden. Einer heutigen Befreiung der
Mädchen, die wir alle verlangen und wünschen, würden
zukünftig noch mehr Tote durch weitere Terrorakte folgen. Wir müssen in vielen Bereichen Verantwortung
übernehmen: im Rüstungsbereich, im Finanzbereich, im
Bereich der Kontrolle der internationalen Unternehmen,
im Klimabereich. Nehmen wir unsere Verantwortung
doch endlich ernst! Die Mädchen haben das verdient.
Danke schön.
({4})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin
Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Verbrechen der
Entführung von mehr als 200 nigerianischen Mädchen
ist so ungeheuerlich, dass es sprachlos macht, sprachlos
vor der Menschenverachtung der Täter von Boko Haram,
sprachlos vor der Grausamkeit, Kinder für ihre Ziele zu
instrumentalisieren. Für eine solche Tat kann es keine
Rechtfertigung und auch keine Relativierung geben.
({0})
Von dieser Aktuellen Stunde heute muss das Signal
ausgehen, dass der Deutsche Bundestag diese Menschenrechtsverbrechen geschlossen und uneingeschränkt
verurteilt.
({1})
Und sie muss klarmachen, dass wir alle verhältnismäßigen Maßnahmen unterstützen, die zur Befreiung der
Mädchen führen. Diese Zielsetzungen hat heute im Übrigen auch der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einer schriftlichen Erklärung
zum Ausdruck gebracht.
Der amerikanische Kolumnist Nicholas Kristof hat
letzte Woche gefragt: Warum habt ihr solche Angst vor
klugen Mädchen? Seine Antwort, etwas zusammengefasst: Weil gebildete Mädchen den größten Albtraum für
Gruppen wie Boko Haram darstellen. - Gebildete Mädchen verwandeln Gesellschaften zum Positiven, sie beleben das gesellschaftliche Leben und die Betriebe, sie tragen zum Wirtschaftswachstum und zur Verbesserung des
Lebensstandards der Menschen bei.
Was also können wir tun? Die internationale Gemeinschaft - das ist mehrfach angeklungen - muss bei der Suche und gegebenenfalls Befreiung der Mädchen engagiert
bleiben. Der von Präsident Hollande am Wochenende
hierzu abgehaltene Gipfel und die dort beschlossene Kooperation der Länder der Region und der internationalen
Gemeinschaft sind zu begrüßen. Deutschland sollte sich
hier weiterhin entsprechend seinen Möglichkeiten intensiv beteiligen.
Wir müssen aber auch fragen: Wie geht es dann weiter? Die Bewegung Boko Haram wird ja nicht einfach
„weggehen“, sondern sie wächst. Ähnlich wie in Mali
müssen wir neben den akuten, unmittelbaren Maßnahmen der Terrorbekämpfung eine Doppelstrategie fahren.
Zum einen müssen wir dazu beitragen, die örtlichen Sicherheitsstrukturen zu reformieren und die zivile Überwachung zu stärken. Diese scheinen in der gesamten Region überfordert zu sein, mit der islamistischen Gewalt
fertigzuwerden. Als Entwicklungspolitikerin sehe ich
zum anderen aber auch eine Aufgabe darin, mit zivilen
Mitteln Gruppen wie Boko Haram den Nährboden zu
entziehen.
Zivile Mittel der Entwicklungszusammenarbeit dienen erstens dazu, Bildung zu stärken, von Mädchen und
Jungen, und zweitens dazu, die Gesundheitssituation der
Menschen zu verbessern. Wie schwierig diese Gesundheitssituation in Teilen von Nigeria ist, belegt zum Beispiel der Umstand, dass ein Ausbruch von Polio dort
wieder eine Gefahr ist. Diese Gefahr ist umso größer,
wenn staatliche Institutionen aus Sicherheitsgründen in
manche Regionen gar nicht gelangen, um Impfungen
durchzuführen und präventive Maßnahmen zu ergreifen.
Drittens brauchen wir zivile Mittel, um Arbeitsplätze für
die Menschen zu schaffen. Denn ohne Arbeitsplätze haben sie keine Perspektive, suchen Flucht in Radikalisierung und finden diese bei Boko Haram. Im März zum
Beispiel wurden in Nigeria 16 Menschen totgetreten, als
sich eine halbe Million Menschen um circa 5 000 Regierungsarbeitsplätze beworben hatten.
Das Trauerspiel ist - auch das ist angeklungen -, dass
Nigeria als Ölexporteur Ressourcen hat und sogar ein
Mitteleinkommensland ist. Dennoch lebt die Hälfte der
Bevölkerung unter der Armutsgrenze.
Wir müssen also zügig und überlegt das angehen, was
für die Zukunft zu tun ist. Aber Priorität muss jetzt haben, undogmatisch alles Vertretbare zu unterstützen, um
diese Mädchen zu befreien und zurück in ihre Familien
zu bringen und auch zurück in die Schule.
Herzlichen Dank.
({2})
Als Nächster erteile ich das Wort Kollegin Kathrin
Vogler, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte meine Rede in der heutigen
Aktuellen Stunde gerne meiner Tochter und ihren Freundinnen widmen. Rosa, Larissa, Chiara, Kira, Diana,
Angela und Alice besuchen die 9. Klasse des Gymnasiums in Emsdetten. Sie sind ganz normale Teenager und
schon deshalb keine besonders begeisterten Schülerinnen. Aber sie wissen, dass Bildung, gute Bildung eine
Voraussetzung für einen interessanten Beruf und ein
selbstständiges Leben ist. Sie wollen Lehrerin oder Lektorin, Steuerberaterin oder Grafikerin werden. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass sie sich diese Wünsche erfüllen können.
Am 14. April dieses Jahres endeten ganz ähnliche
Träume von über 200 Mädchen im Norden Nigerias auf
brutale Weise. Aus ihrer Schule wurden sie nachts entführt und verschleppt. Eine gewalttätige Sekte namens
Boko Haram hat diese Mädchen zu Zielobjekten gemacht, und das nur, weil sie lernen und sich aus Unwissenheit und Abhängigkeit befreien wollten. Durch diese
Entführung haben die gewaltsamen Konflikte in Nigeria
erstmals große internationale Aufmerksamkeit erhalten;
sie haben sozusagen 200 Gesichter bekommen.
Wir können uns einfühlen in die Angst dieser Jugendlichen, in die Verzweiflung ihrer Eltern oder in die Wut
all der Menschen in Nigeria, die sich solche Übergriffe
nicht mehr gefallen lassen wollen und gegen die Untätigkeit ihrer Regierung auf die Straße gehen. Unsere Gefühle sind bei den Menschen dort. Auch wenn die weltweite Solidaritätskampagne sicher nicht unmittelbar die
Freilassung der Schülerinnen erreichen wird, so hat sie
zumindest die Verantwortlichen in Nigeria und den
Nachbarländern wachgerüttelt.
Auch ich möchte den Kolumnisten Nicholas Kristof
von der New York Times zitieren, und zwar etwas genauer. Er fragt: „Warum lassen sich Fanatiker so schrecken durch Bildung für Mädchen?“ Er antwortet:
Es gibt keine machtvollere Kraft, um eine Gesellschaft umzugestalten. Die größte Bedrohung für
den Fanatismus sind nicht Raketen, die von Drohnen abgefeuert werden, sondern Mädchen, die Bücher lesen.
Er bedauert deshalb, dass der Westen viel, viel mehr in
Drohnen und Raketen investiert als in Bildung. Da, finde
ich, hat er recht.
({0})
Ich möchte auch die nigerianische Schriftstellerin
Chimamanda Ngozi Adichie zitieren, die sich mehr
Komplexität in der Debatte wünscht, auch in den westlichen Medien. In der FAZ vom Wochenende forderte sie
von uns:
Hört auf, es euch so leicht zu machen! Es ist nicht
wie mit den Taliban. Nicht alles in der Welt muss in
eure vorgefertigten kleinen Schubladen passen.
Auch sie sieht ein militärisches Eingreifen von außen
skeptisch und fragt sich und uns:
Wenn ich die Präsidentin von Nigeria wäre, würde
ich unsere Soldaten nach Amerika schicken, um
dessen innenpolitische Probleme zu lösen?
Ich glaube, wir müssen bei aller Betroffenheit und
Empörung gerade auf solche nachdenklichen Stimmen
hören. Wir können die innenpolitischen Konflikte in Nigeria nicht stellvertretend lösen. Nicht wir werden diejenigen sein, welche die Mädchen zurückbringen. Aber
wir können diejenigen ermutigen, die Wege aus Hass
und Gewalt suchen.
({1})
Als Beispiele nenne ich den Priester James Wuye und
den Imam Muhammad Ashafa. Beide waren militante
Glaubenskämpfer, der eine in einer christlichen Miliz
und der andere in einer muslimischen - reiner Zufall,
dass nicht der eine den anderen tötete. Irgendwann aber
begegneten sie sich und stellten, jeder für sich, fest: Es
geht hier gar nicht um Religion, sondern es geht um
Macht, Geld und knappe Ressourcen. - Dann gründeten
sie das Interreligiöse Zentrum für Mediation, mit dem
sie seit fast 20 Jahren unter ihren Landsleuten die Gedanken von Versöhnung und Feindesliebe verbreiten.
Beiden gemeinsam wurde im letzten Jahr sowohl der
Deutsche Afrika-Preis als auch der Hessische Friedenspreis verliehen.
Dass ihr Engagement überhaupt in Deutschland wahrgenommen wurde, ist einem Projekt des Zivilen Friedensdienstes zu verdanken. Leider aber gibt es im
Moment keine solchen Friedensdienstprojekte mit Unterstützung der Bundesregierung mehr in Nigeria. Projekte in derart schwierigen und umkämpften Regionen
sind aufwendig und teuer. Die Bundesregierung hat die
Mittel für den Zivilen Friedensdienst eingefroren. Diese
Entscheidung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist einfach falsch.
({2})
Investieren wir doch in die Zukunft! Unterstützen wir
Friedenskräfte und Versöhnungsarbeit, nicht nur, aber
eben auch in Nigeria! Denn auch dieser Konflikt wird
nicht mit Waffengewalt gelöst werden können, sondern
nur - dazu haben ja schon einige vor mir Kluges gesagt mit sozialer Gerechtigkeit und ziviler Konfliktbearbeitung. So könnten wir Verantwortung übernehmen: für
den Frieden und für die Freilassung dieser Mädchen und
aller anderen Entführten.
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin
Michaela Engelmeier-Heite von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 200 junge Mädchen verschwinden in Nigeria, entführt von Terroristen und an einen unbekannten
Ort verschleppt. „Terroristen“ - ja, natürlich -, anders
kann man die Entführer, die islamistische Gruppe Boko
Haram, nicht nennen. Ich glaube, dass kein Mensch
überhaupt ermessen kann, was diese Mädchen erleiden:
hilflos Terroristen und ihrer Willkür ausgeliefert, herausgerissen aus einem Leben, das vielleicht nicht rundum
sorglos war, einem Leben, das ohne Zweifel auch durch
Armut geprägt war, aber einem Leben im Kreise ihrer
Familie und in ihrer gewohnten Umgebung.
Seit einem Monat - seit einem Monat! - nur noch
Angst und Verunsicherung: Angst vor einer ungewissen
Zukunft, Angst vor möglicher Vergewaltigung, Angst
vor einem möglichen Verkauf für wenige Naira, Versklavung und Zwangsehe. Immer drängender wird der Ruf:
Befreit unsere Töchter! Bring back our girls! - Wer eigene Kinder hat, wird verstehen, welchen Schmerz, welche Angst die Eltern und Angehörigen der mehr als
200 entführten Mädchen in Nigeria seit Wochen durchleiden. Wo sind die Mädchen? Was ist mit ihnen passiert? Fragen, auf die es keine Antwort gibt, noch nicht,
auch nicht auf die Frage: Wird mir mein Kind wiedergebracht? - Und darum muss es gehen, das ist erst einmal
das Wichtigste: Die Mädchen müssen gefunden und befreit werden.
({0})
Und sie müssen so schnell wie möglich zu ihren Familien zurückgebracht werden.
Viel zu lange wurde die von der Terrorgruppe Boko
Haram ausgehende Gefahr unterschätzt und ignoriert.
Seit Jahren überzieht sie das Land mit Anarchie und Terror, verübt feige Mordanschläge und zwingt Menschen
zur Flucht aus ihrer Heimat im Norden Nigerias. Mehr
als 3 000 Tote gehen auf das Konto von Boko Haram.
Gestern wurden bei feigen Anschlägen erneut unschuldige Menschen Opfer, 118 Menschen; und es ist zu befürchten, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. Es gibt
noch keinen Bekennerbrief von Boko Haram; aber es ist
zu befürchten, dass auch für diese Anschläge Boko
Haram verantwortlich ist. Deswegen sage ich: Boko
Haram muss gestoppt werden!
Viel zu lange blieb der Weltöffentlichkeit verborgen,
was in Nigeria geschah, aber nicht nur in Nigeria, sondern auch in der Region. Denn eines ist sicher: Boko
Haram verfolgt nicht nur das Ziel, Nigeria zu destabilisieren. Diese Gruppe breitet sich bereits in den Nachbarländern Nigerias aus und stellt eine immer größere regionale und internationale Bedrohung dar.
Seit der Entführung dieser mehr als 200 Mädchen im
vergangenen Monat steht Boko Haram jetzt jedoch nicht
mehr „nur“ die nigerianische Regierung entgegen. In diesem Zusammenhang begrüßt die SPD-Fraktion die Einberufung eines Krisengipfels durch den französischen Präsidenten François Hollande am vergangenen Wochenende
in Paris. Der dort von Nigeria und seinen vier Nachbarn
- Benin, Kamerun, Niger und Tschad - gemeinsam mit
Frankreich verabschiedete Aktionsplan dokumentiert
den festen Willen, an der Seite Nigerias gegen Boko
Haram vorzugehen.
Auch wir dürfen unsere Augen nicht mehr vor dem
menschenverachtenden Vorgehen von Boko Haram verschließen. Unser Platz ist an der Seite derjenigen, die
dem terroristischen Wirken von Boko Haram Einhalt gebieten wollen. Wir alle verurteilen die Terroranschläge
und die Entführung der nigerianischen Mädchen auf das
Schärfste. Zu groß ist die weltweite Anteilnahme am
Schicksal der Mädchen, als dass wir tatenlos bleiben
könnten. Es muss daher alles getan werden, um die Mädchen sehr schnell aus den Fängen der Terroristen zu befreien.
({1})
Es muss ferner alles getan werden, um zu einer Lösung des Konflikts und seiner Ursachen in Nigeria beizutragen. Wir dürfen die Ursachen von Konflikten, die
Ursachen, die dazu führen, dass terroristische Gruppen
wie Boko Haram - aber auch andere militante Gruppen junge Frauen, Männer und Kinder für ihre kranken Aktivitäten und Ziele rekrutieren können, nie aus den Augen
lassen. Vielmehr müssen wir alles dafür tun, um mögliche
und tatsächliche Ursachen von Konflikten anzugehen. Gerade die Armut im Norden Nigerias zu bekämpfen, einem
Land mit einem enormen Wirtschaftspotenzial, und das
Gefälle zwischen dem reichen Süden und dem armen
Norden abzubauen, würde dazu beitragen, solchen Terrorgruppen im übertragenen Sinne das Wasser abzugraben. Hier ist die internationale Entwicklungspolitik
gefordert, hier ist die deutsche Entwicklungspolitik gefordert. Hierfür stehen uns äußerst wirksame Maßnahmen und Instrumente zur Verfügung, um unserem Partnerland Nigeria bei der Gestaltung einer friedlichen und
sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung zur Seite zu stehen.
Heute - und solange die Mädchen nicht befreit wurden - geht es aber vorrangig darum, alle Möglichkeiten
zu eruieren und zu ergreifen, die nötig sind, um sie sicher zu ihren Familien zurückzubringen.
({2})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Cem
Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, keiner von uns kann sich das Leid der Mädchen
und der Familien vorstellen. Chibok ist eine kleine Stadt
im Nordosten von Nigeria. Jeder dort kennt mindestens
ein Mädchen, das entführt wurde. Als Vater zweier Kinder - darunter eine Tochter - sage ich aber auch: Dies ist
eben keine innere Angelegenheit Nigerias. Wir alle sind
gefragt, alles dafür zu tun, dass einerseits die Mädchen
freikommen und andererseits der Terrororganisation
Boko Haram endlich das Handwerk gelegt wird.
({0})
Die Weltgemeinschaft hat reagiert. Die Kampagne
„#BringBackOurGirls“ hat weltweit das Mitgefühl zum
Ausdruck gebracht. Sie war ein Weckruf - übrigens auch
für die Regierung in Nigeria, die ja erst noch verstehen
musste, dass die Bewohner des Nordens ebenfalls ihre
Bürger sind. Aber Bilder in sozialen Medien alleine
- auch das gehört zur Wahrheit - bringen die Mädchen
nicht zurück.
Boko Haram bedroht Hunderttausende Menschen in
Nigeria und über die Grenzen des Landes hinaus. Sie
sind verantwortlich für Vertreibung, für Mord, für Bombenanschläge, für Menschenhandel und Erpressung. Ihre
Taten sind perfide, und ihre Ideologie ist - um das sehr
klar zu sagen - eine Pervertierung des islamischen Glaubens.
Bekämpfen können und müssen wir diese grausamen
Menschenfeinde zusammen - egal ob wir Christen, ob
wir Juden, ob wir Muslime, ob wir Atheisten sind. Aber
die theologischen Grundlagen für die verbrecherischen
Taten können ihnen allein nur die Muslime entziehen.
Deshalb muss überall dort, wo Religion für niedere Zwecke missbraucht wird, klar und deutlich gesagt werden:
„Wer sich Boko Haram oder anderen Terrororganisationen anschließt, der beleidigt den Islam, weil er ein Feind
aller Muslime in der Welt ist“ - egal welchen individuellen Grad an Religiosität man hat.
({1})
Ja, es stimmt - alle Vorredner und Vorrednerinnen haben darauf hingewiesen -: Nigeria leidet unter Armut,
unter Korruption, einem Ressourcenfluch, wie man fast
schon sagen muss, und den schrecklichen Folgen des
Klimawandels. Wir wissen: Dort, wo Armut und die Folgen des Klimawandels am stärksten zu spüren sind, findet die Terrorgruppe Boko Haram ihre Kämpfer. Darum
müssen wir alle alles dafür tun, um ihnen diese Grundlage zu entziehen.
Trotzdem sage ich: Es kann und darf keine Rechtfertigung für Terrorismus geben - zumal gegen die Zivilbevölkerung und besonders, wie in diesem Fall, gegen Kinder. Wenn die mehrheitlich muslimischen Länder in der
Welt den ihnen zustehenden Platz in der menschlichen
Zivilisation einnehmen wollen, dann werden sie das nur
schaffen, wenn die Ketten der Frauen gesprengt werden
und die Frauen 50 Prozent der Macht in diesen Ländern
erhalten. Nur dann werden sie den Platz einnehmen können, der ihnen auf unserem Planeten zusteht.
({2})
Der Islam kann schon gar nicht als Rechtfertigung
dienen. Mohammed, der Prophet aller Muslime, hat in
zahlreichen Überlieferungen auf das Streben nach Wissen hingewiesen:
Sucht das Wissen, selbst wenn es in China wäre. …
Das Streben nach Wissen ist eine heilige Pflicht für
jeden Muslim, Mann oder Frau.
Er hat eben nicht nur „Mann“ gesagt; der Prophet sprach
von „Mann oder Frau“.
Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des
Märtyrers. … Wer sein Heim auf der Suche nach
Wissen verlässt, schreitet auf den Wegen Gottes.
Er hat also nicht gesagt: Wer sein Heim verlässt und sich
Boko Haram anschließt, ist auf den Wegen Gottes.
Lesen, Schreiben und Lernen überhaupt: Das ist das
Recht jedes Kindes. Und es ist die Pflicht aller Eltern
und von uns Erwachsenen, die Grundlagen dafür zu
schaffen. Bildung ist eben nicht haram; Morde, Entführungen und Terror sind haram, und zwar in jeder Religion und in jeder Weltanschauung.
Die Bundesregierung muss sich mit der Europäischen
Union aktiv für die bedingungslose Freilassung der
Mädchen einsetzen. Wir alle müssen der Bevölkerung
Nigerias eine Zukunftsperspektive bieten: ohne Terror,
ohne Korruption und ohne Armut. Das geht uns alle etwas an. Auch wir alle stehen da in der Verantwortung.
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Dagmar
Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte erst einmal meinen Dank dafür sagen, dass heute
diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema möglich gemacht wurde. Es ist wichtig für uns, wichtig für die internationale Gemeinschaft, wichtig für unser Parlament,
zu zeigen, dass wir bei Verletzungen von Menschenrechten nicht wegschauen, dass wir nicht wegschauen, wenn
Terror und Gewalt ganze Regionen, Gebiete und Länder
destabilisieren.
234 Mädchen wurden im Norden Nigerias entführt,
über 40 Mädchen konnten noch flüchten. Sie haben erzählt, wie ihre als Soldaten verkleideten Entführer sie
wie Vieh auf Lastwagen geladen haben. Da haben die
Mädchen gemerkt, dass sie nicht in Sicherheit gebracht,
sondern entführt werden sollten. Diese 40 Mädchen
konnten fliehen, aber von den übrigen 234 Mädchen
fehlt jede Spur.
Wir sind über den weltweiten Aufschrei über diese
Tat froh. Wir sind entrüstet über die Zurschaustellung
dieser Mädchen in der Hidschab, dem islamischen Gewand, die erste Sure des Koran lesend. Dabei hat man
gemerkt, dass sie dazu gezwungen wurden. Wir sind
auch deswegen über den weltweiten Aufschrei froh, weil
für das Massaker vor einigen Wochen, bei dem über
60 Schuljungen niedergemetzelt worden sind, kein Mitglied der internationalen Gemeinschaft überhaupt auch
nur ein Schulterzucken übrig hatte.
Es ist von den Kolleginnen und Kollegen schon erwähnt worden: Die Entführung hat im Norden Nigerias
stattgefunden, einer der ärmsten Gegenden der Welt in
einem der reichsten Länder Afrikas. Wie geht das zusammen? Auf der einen Seite ist der Norden Nigerias die
ärmste Region und hat inzwischen Somalia als gewalttätigste Region abgelöst. Auf der anderen Seite gibt es im
Land Ölvorkommen, Jachten, Klubs, also Reichtum par
excellence, hohe Einnahmen aus Ölgeschäften, die sich
jedoch die Eliten des Landes in die eigene Tasche stecken, während sie den Norden des Landes, den anderen
Teil der Bevölkerung, vergessen.
Durch diese Diskrepanz zwischen dem Zerfall eines
Staates und dem vermeintlichen Aufschwung wurde der
Nährboden für die islamistische Terroristengruppe Boko
Haram geschaffen. Unsere Aufgabe und die Aufgabe der
internationalen Gemeinschaft ist es, die entstandene
Kluft wieder mit überwinden zu helfen.
({0})
Boko Haram wird auch als „Taliban Nigerias“ bezeichnet. Diese Gruppe möchte einen neuen Staat, ein mittelalterliches islamistisches Kalifat in Nigeria errichten.
Leider wird Boko Haram immer mächtiger, weil der
Nährboden für diese Gruppe nun einmal da ist.
Über 2 000 Menschen wurden allein dieses Jahr durch
Boko Haram getötet. 250 000 Nigerianer sind im Land
auf der Flucht, über 60 000 Menschen haben das Land
verlassen. Das Töten und Morden nimmt kein Ende. Erst
gestern haben wir gehört, dass 118 Menschen in Jos
durch eine Autobombe ums Leben gekommen sind, wieder überwiegend Frauen.
Nigeria ist, wie gesagt, eines der reichsten Länder in
Afrika. Wie kann es dazu kommen, dass ein Land mit
der mächtigsten Armee in Afrika des Terrorismus nicht
Herr wird? Wie kann es dazu kommen, dass die Zentralregierung jegliche Kontrolle in Abuja verloren hat? Wie
kann es dazu kommen, dass es Präsident Jonathan nicht
schafft, diesem Terrorismus beizukommen?
Wir sind dankbar, dass es durch die Social-MediaKampagne möglich geworden ist, dass die internationale
Gemeinschaft auf dieses Problem aufmerksam geworden
ist, dass die Präsidenten Nigerias und seiner Nachbarländer in Paris zusammengekommen sind. Es ist das erste
Mal, dass der nigerianische Präsident mit dem kamerunischen Präsidenten zusammengetroffen ist. Aber die Afrikaner müssen hier zusammenhalten.
Wir hoffen, dass der Sicherheitsrat am Donnerstag
Boko Haram offiziell als Terrororganisation einstuft und
auf die Sanktionsliste gegen das Terrornetzwerk setzt.
Wichtig ist aber, dass wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit mithelfen, die Perspektivlosigkeit
des Nordens zu beseitigen. Für Bildung und Jobs zu sorgen, das sind die Aufgaben, die sich stellen. Gerade
Mädchen und Frauen sind in Afrika diejenigen, mit denen wir die Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung
verbinden.
Das Verbrechen der Terroristen ist ein doppelter Anschlag: sowohl gegen die Menschenrechte als auch gegen die Frauen Afrikas. Das Wichtigste ist, die Kinder
zurück zu ihren Familien zu bringen.
({1})
Wir sind mit unserem Herzen, aber auch mit unseren
Hoffnungen bei den Familien, die abends mit dem Gedanken schlafen gehen: Bitte bringt uns unsere Kinder
zurück! - Ich glaube, jeder von uns kann das nachvollziehen.
Wir können nur an die Entführer appellieren: Geben
Sie die Mädchen frei! Aber vor allem müssen wir an die
verantwortlichen Akteure appellieren, wirklich alles zu
tun, was in unserer Macht steht, damit die Mädchen wieder in Freiheit kommen. Wir appellieren auch an uns
alle: Lassen Sie uns nicht unsere Politik von der Hand
der Terroristen diktieren! Ich glaube, das ist ganz wichtig.
Wir können nur mit Nachdruck den Appell der
Social-Media-Kampagne wiederholen: Bringt diese
Mädchen unversehrt und unbeschadet zu den Familien
zurück! Bring back our girls!
({2})
Liebe Kollegen, ich appelliere auch an Sie: Bitte machen
Sie mit! Lassen Sie Ihre Website mit der Kampagne verlinken. Ich glaube, es hilft, auch wenn es nur wenig ist.
Vielen Dank.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich Kollegen Frank
Schwabe, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Es ist zwar schon oft gesagt worden; aber ich will es dennoch wiederholen: Unser ganzes Beileid gehört den Angehörigen der Opfer der
terroristischen Anschläge von gestern und der letzten
Monate und Jahre. Betroffen sind im Übrigen Angehörige vieler Religionsgruppen, Muslime und Christen.
Unser Mitgefühl gilt auch den Angehörigen und Freunden der entführten Mädchen. Die sogenannte Terrorgruppe Boko Haram hat nicht nur die Mädchen, sondern
im Prinzip ein ganzes Land in Geiselhaft genommen.
Alle Anstrengungen der nigerianischen Regierung
ebenso wie die internationale Unterstützung durch die
afrikanischen Staaten - ich finde, auch das muss man
immer wieder betonen -, aber auch durch die USA,
Frankreich und andere sind richtig und begrüßenswert.
Die Debatte heute ist richtig und muss sein. Ihr wohnt
zwar wieder ein Fehler inne, den man aber machen
muss, wenn solche aktuellen Ereignisse auftreten. Denn
wir haben uns eigentlich vorgenommen, Afrika nicht nur
als Krisenkontinent wahrzunehmen; wir wollen auch
über Potenziale und Erfolge reden. Gerade die afrikapolitischen Leitlinien, die heute durch das Bundeskabinett verabschiedet worden sind, bieten dafür einen
ausgewogenen Ansatz, würdigen die eigenen Anstrengungen Afrikas im Rahmen eigener Konfliktlösungsstrategien und betonen die Notwendigkeit einer sozial
gerechten Entwicklung und die Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit als Grundlagen jeder Entwicklung.
Nigeria selbst ist das ökonomisch stärkste Land Afrikas, ein Land mit einem enormen Bevölkerungswachstum, enormen Rohstoffreserven und stark zunehmender
Bedeutung weltweit. Es ist das zentrale Land auf dem
afrikanischen Kontinent. Nigeria ist aber auch geschüttelt von Militärdiktaturen, ein Land mit äußerst großen
Herausforderungen durch die Vielfalt der Bevölkerung
- es gibt allein mehr als 500 Sprachen - und geprägt
durch Rohstoffkonflikte, die schon angesprochen worden sind.
Genau das ist sicherlich der Hintergrund oder zumindest die Hintergrundmelodie des Konfliktes rund um
Boko Haram. Es sind Vertreter der katholischen Kirche
und muslimische Führer - Kollegin Bulmahn hat eingangs darauf hingewiesen -, die betonen, dass es im
Kern eben nicht um einen Religionskonflikt geht, was
schon dadurch deutlich wird, dass es mindestens genauso viele muslimische wie christliche Opfer gibt. Es
gibt aber die Gefahr, dass aus diesem Konflikt ein Religionskonflikt wird. Deshalb - das will ich zweimal unterstreichen - sollten die internationale Gemeinschaft
und insbesondere wir es unterlassen, diesen Konflikt
entsprechend darzustellen. Ich finde, wir sollten uns da
an die christlichen und muslimischen Führer halten und
es entsprechend darstellen.
({0})
Auf die Bildung ist schon umfassend eingegangen
worden. Deswegen kann ich nur betonen: Die Bildung
ist eine zentrale Frage auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Leider haben heutzutage in Nigeria nicht alle
Mädchen eine Schulausbildung. Es darf aber in der Tat
niemandem zum Verhängnis werden, dass er sein Anrecht auf Bildung wahrnimmt. Wie bereits gesagt, sind
insbesondere Schulen Angriffen von Terrorgruppen ausgesetzt. Nigeria ist dabei leider kein Einzelfall. In mindestens 30 Ländern weltweit werden Schulen zum bewussten Ziel von Terroristen und bewaffneten Gruppen.
Bildung ist eine Bedrohung für ihre Absichten. Deshalb
muss es ein zentrales, internationales Anliegen sein, dass
Schulen einen besonderen Schutz bekommen und dass
das von allen Ländern, im Übrigen auch von Deutschland, respektiert und international vereinbart wird.
({1})
Viele Konflikte in Nigeria basieren auf der Ausbeutung von Rohstoffen, wie das Schicksal von Ken SaroWiwa zeigt, das wir sicherlich alle noch in Erinnerung
haben. Deswegen sind Fortschritte bei der Verabredung
internationaler, sozialer, kultureller und ökonomischer
Standards von zentraler Bedeutung. Das ist die zentrale
Aufgabe, die wir hier im Deutschen Bundestag haben.
({2})
Der Kampf gegen Terrorismus muss auch immer ein
Kampf um den Erhalt von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sein. Daher ist es von zentraler Bedeutung,
dass Regierungen, die gegen Terrorismus kämpfen, nicht
selbst gegen die Prinzipien von Menschenrechten und
Rechtsstaatlichkeit verstoßen, die sie eigentlich aufrechterhalten wollen.
({3})
Deswegen muss es uns Sorge bereiten, dass die Regierung in Nigeria oft gegen Menschenrechte verstößt, auch
im Kampf gegen Boko Haram. Am Ende wird Terrorismus mit den stärksten polizeilichen und militärischen
Mitteln nicht besiegt werden können, wenn ihm nicht
der gesellschaftliche Boden entzogen wird. Doch der gesellschaftliche und ökonomische Fortschritt kommt leider - das wurde hier bereits mehrfach betont - bei vielen
Menschen im Land nicht an. Korruption ist ein riesengroßes Problem. Präsident Jonathan Goodluck hat dazu
richtigerweise gesagt: „Ich kann nicht feiern, solange
nicht alle Nigerianer die positiven Auswirkungen unseres Wachstums spüren.“ Der im März 2014 vorgestellte
Nigeria’s Soft Approach to Counter Terrorism, der auf
die sozioökonomischen Ursachen des Konflikts mit
Boko Haram abzielt, ist dazu ein richtiger Ansatz. Aber
wir müssen die Regierung auch auffordern, ihn Realität
werden zu lassen.
({4})
Nigeria muss also Fortschritte beim Einsatz für die
soziale Teilhabe und bei der Durchsetzung menschenrechtlicher Standards machen. Dazu gehört auch die
Abschaffung der Todesstrafe. Der Kampf gegen den Terrorismus muss rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht werden. Wenn die Regierung Nigerias diesen Weg geht,
dann hat sie unsere volle Unterstützung verdient.
Ich will betonen: Wir alle hoffen, dass die entführten
Mädchen schnellstmöglich freikommen.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort Charles M.
Huber, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Das Thema Boko Haram hat natürlich aufgrund der Schrecklichkeit des Sachverhalts und der Vorgänge Einfluss auf das Gesamtbild von Afrika. Ich nutze
die Gelegenheit hier, Afrika auch in anderer Form darzustellen, und zwar in Bezug auf das Land, aus dem ich
stamme bzw. mein Vater stammt. Mein Vater stammt aus
dem Senegal und war als Diplomat für dieses Land tätig.
Der Senegal ist zu 94 Prozent von Moslems und zu
6 Prozent von Christen bewohnt. Mein Vater war also
Diplomat in einer islamischen Gesellschaft. Sein Onkel
war Staatspräsident Senghor, ein katholisches Staatsoberhaupt bei 94 Prozent Moslems. Wenn ich meine Verwandten im Senegal besuche, dann sehe ich, dass zu
Weihnachten ein Christbaum aufgestellt wird. Wenn ich
den Senegal in Zeiten des Ramadan besuche, dann sehe
ich, dass die Christen zusammen mit den Moslems das
Ende des Fastenmonats feiern.
Der Name „Boko Haram“ klingt in unseren europäischen Ohren zunächst einmal relativ harmlos. Es gab
ähnliche Gruppierungen in anderen Bürgerkriegen, zum
Beispiel in Sierra Leone die West Side Boys. Auch dieser Name klingt harmlos. Tatsache ist, dass es sich bei
diesen Gruppierungen überwiegend um Jugendliche
handelt, die für eine Mission wie diese rekrutiert werden.
Zu Deutsch heißt Boko Haram in etwa: westliche Bildung verboten. - Tatsache ist auch, dass es sich um eine
Terrorvereinigung handelt. Die Ereignisse der letzten
Wochen haben gezeigt, wie gefährlich diese Vereinigung
ist.
Seit 2010 gehen 200 Anschläge auf das Konto von
Boko Haram. Nach Erhebungen von Amnesty International gab es seit Anfang 2014 bereits 1 500 Tote. Am
14. April, dem Tag, an dem die jungen Mädchen entführt
wurden, gab es am Rande von Abuja einen Anschlag auf
einen Busbahnhof mit 71 Toten und 200 Verletzten. Die
Bevölkerung redet von 200 Toten und noch mehr Verletzten. Der überwiegende Teil - das wurde hier schon
häufiger angesprochen - waren absurderweise Moslems.
Den Gott, der dies angeordnet hat, gibt es meines Erachtens nicht. Die Zeiten, in denen hier unter religiösem
Vorwand Christen Christen gemeuchelt haben, hießen
Mittelalter. Das haben wir längst hinter uns gelassen. Ich
kann Ihnen sagen: Afrika will da nicht hin.
Was die Ursachenanalyse betrifft, so gibt es interne
und externe Faktoren. Es wurden zahlreiche interne Faktoren angesprochen, zum Beispiel Korruption, Misswirtschaft und schlechte Regierungsführung. Zu den externen Faktoren gehört, dass Boko Haram einem Netzwerk
angehört, welches mit al-Qaida und al-Schabab in Verbindung steht und welches sich unter dem Vorwand der
religiösen Läuterung die Destabilisierung eines Kontinents und die Verhinderung seiner wirtschaftlichen Entwicklung zum Ziel gesetzt hat.
Ich möchte hier kurz auf eine Bemerkung meines Vorredners von den Grünen, Herrn Kekeritz, eingehen. Herr
Kekeritz, Sie haben von Waffenlieferungen gesprochen.
Wir wissen - das zeigt das Beispiel Ruanda -, dass in einem Land, in dem sich ein Bürgerkrieg oder Krisen anbahnen, auch ohne Waffenlieferungen Menschen höchst
effizient anderen Leid zufügen können. In Ruanda gab
es 300 000 oder noch mehr Tote; ich habe die genaue
Zahl nicht im Kopf. Damals gab es keine Waffenlieferungen, sondern die Menschen haben Macheten benutzt.
Zum anderen: Boko Haram ist, wie bereits angesprochen, Teil eines Netzwerks. Es steht in Verbindung mit
al-Qaida. Es gibt einen Gürtel, der sich entlang der
Sahelzone zieht. Er reicht hinunter bis nach Guinea. In
Guinea gibt es einen Austausch von Kokain gegen Waffen mit südamerikanischen Gruppen. Dieser Austausch
hat nichts mit Waffenexporten aus Deutschland zu tun.
Das möchte ich hier klarstellen.
Afrika ist dennoch ein Chancenkontinent, und Nigeria
ist, wie viele andere Länder Afrikas, ein tolerantes Land.
Ich habe in vielen Gesprächen mit Botschaftern aus
Afrika diese Angst gespürt. Sie sagten: Wir bekommen
das Phänomen des Terrorismus alleine nicht in den Griff. Das bezieht sich nicht allein auf Nigeria; vielmehr ist das
Phänomen des Terrorismus ein weitgehend unterschätztes Problem in Afrika.
Da ich sehe, dass ich meine Redezeit schon überschritten habe, möchte ich zum Ende kommen. Afrikas
Bevölkerung braucht Vertrauen, vor allen Dingen Vertrauen in den Staat. Dazu möchte ich sagen: Wir leben
mit dem Staat, und für uns ist der Staat selbstverständlich. Wir haben eine Rentenversicherung, wir haben eine
Krankenversicherung, wir haben Arbeitslosengeld I und
Arbeitslosengeld II. Jemand, der das für sich in Anspruch nehmen kann, glaubt an den Staat. Wir müssen
helfen, in Afrika Strukturen aufzubauen, damit die Menschen an den Staat glauben und solche Phänomene keine
Chance mehr in der Zukunft haben.
Vielen Dank, und entschuldigen Sie, dass ich die Redezeit überschritten habe.
({0})
Als letztem Redner erteile ich in dieser Debatte dem
Kollegen Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Mehr als 200 Mädchen in Nigeria sind
seit Mitte April entführt. Die Aktion „#BringBackOurGirls“, gerade von meiner Kollegin in diesem Saal angesprochen, steht für weltweite Solidarität. Auch der
Ausschuss, dem ich angehöre, der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, AwZ, hat
diese Tat einhellig verurteilt. Diese Haltung kommt auch
in den Kommentaren der verschiedenen Sprecher heute
Nachmittag hier zum Ausdruck. Das ist gut so. Ich bin
als Menschenrechtler natürlich damit einverstanden,
dass wir emotional auf diese Entführung reagieren, dass
unser Herz reagiert. Aber es braucht auch unseren Kopf
und unsere Hände, die dem folgen müssen; sonst bleibt
es am Schluss bei heißer Luft.
Das Herz als Erstes. In dem Statement, international
über Facebook verbreitet, heißt es: „our Girls“ - unsere
Mädchen. Das geht uns, wie mein Kollege Özdemir vorhin gesagt hat, sehr wohl etwas an; schließlich geht es
um Menschenrechte, um Sicherheitspolitik, um die weltweite Fragilität in solchen Umfeldern. Vieles dieser Art
existiert nicht nur latent, sondern ist uns präsent vor Augen. Wir sehen es in der Ukraine, in Zentralafrika und in
Frank Heinrich ({0})
Syrien. Man könnte noch einige weitere Länder aufzählen. Immer wieder ist in solchen Konflikten die Religion
ein zentraler Faktor. Egal um welche Religion es geht:
Eigentlich sollte es um die Herzensbildung, um Aufklärung, um interreligiösen Dialog gehen, der in Nigeria an
vielen Stellen beispielhaft praktiziert wird. Dem stehen
Fanatismus und Instrumentalisierung der Religion entgegen. Das haben Sie, Frau Bulmahn, sehr deutlich gemacht.
Wenn für den Umgang mit Menschenrechten allerdings nur das Herz zählt, dann kommt es sehr oft zu einer Betroffenheit, die lähmt. Aber wer sich gar nicht erst
berühren lässt, wird auch nicht aktiv. Um etwas zu bewegen, darf es nicht beim heißen Herzen bleiben; vielmehr
braucht man dazu sehr wohl einen kühlen Kopf. So lässt
sich überhaupt auf die Straße und ins Dasein bringen,
was es wirklich braucht.
Wir dürfen uns auch nicht von der Entwicklung in Nigeria ablenken lassen - Boko Haram wünscht das wahrscheinlich -; denn die ist sehr positiv. Wir haben gehört,
dass Nigeria ein Vielvölkerstaat, ein toleranter Staat ist.
Boko Haram könnte damit Erfolg haben, dass wir einfach ins gleiche Horn blasen. Die Islamisten richten ihre
Botschaft auch gegen den Westen, auch gegen uns. Von
unserer Reaktion darauf hängt ab, ob sie mehr oder weniger Erfolg haben.
Was die Ablenkung von politischen Aktionen angeht:
Es gab kurz nach der Entführung in Nigeria eine Konferenz. Darüber ist kaum etwas berichtet worden; denn die
Berichterstattung in den Medien war drei Tage lang von
den Meldungen über die Entführung dieser Mädchen beherrscht. Als erster Schritt ist das gut. Für einen zweiten
Schritt braucht es allerdings mehr.
Wir müssen in Erinnerung behalten: Es gibt sehr positive Schritte in der Entwicklung von Nigeria. Nigeria ist
führend in der ECOWAS; es spielt dort eine tragende
politische Rolle. Außerdem gibt es viele bilaterale Verträge mit diesem Staat. Fortschritte gibt es auch im Bereich der MDGs. Ich verweise auf die Halbierung der
Kinder- und Müttersterblichkeit, sehr wohl wissend,
dass der Süden und der Norden des Landes hierbei möglicherweise gravierende Unterschiede aufweisen. Die
absolute Armut in Nigeria ist von 68 Prozent auf 34 Prozent reduziert worden. Auch diese Reduzierung ist, bezogen auf das ganze Land, ungleich verteilt.
Für uns als Menschenrechtler ist es bedeutsam, dass
es dort eine demokratisch legitimierte Regierung gibt.
Da gibt es eine gewisse Übereinstimmung, eine Art
Code of Conduct. Menschenrechtsverletzungen werden
gerichtlich verfolgt. Dies gilt, auch wenn - da haben Sie
recht, Herr Kollege - Amnesty International immer
wieder von Folterungen und Tötungen berichtet. Die
müssen wir weiter anmahnen, auch wenn sie unrechtmäßig an Mitgliedern von Boko Haram vorgenommen werden.
Insofern müssen wir all die Fragen stellen - ich werde
sie nicht wiederholen -, die heute in diesem Saal aufgeworfen wurden. Ziel ist, die tiefer liegenden Konfliktursachen zu bekämpfen. Darauf geht die heute Morgen im
Ausschuss verabschiedete Erklärung ein. Positiv kann
bei all dem sein, dass durch die Afrika-Strategie der
Bundesregierung Dinge auf den Weg gebracht werden,
die die Ursachen dieser Konflikte mit bekämpfen.
Für den zweiten Schritt ist also wichtig, nach dem
Herzen den Kopf zu gebrauchen. Bei der Vorbereitung
dieser Rede fielen mir heute Morgen Zeilen eines Liedes
von Manfred Siebald ein, die meine Kindheit mit geprägt haben. Darin heißt es: „Ist schon alles gesagt? Sind
wir wirklich schon dort, wo das Reden aufhört und die
Tat folgt dem Wort?“ - Ja, dann braucht es unsere
Hände.
Konkrete Maßnahmen - auch die will ich nicht alle
wiederholen -: Es braucht zielgesteuerte Entwicklungshilfe hin zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Nigeria
ist Kooperationsland. Wir fordern, auch als AwZ, als
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die internationale Gemeinschaft muss investieren, hauptsächlich in Bildung und in Arbeitsplätze. Zivile Mittel, wie
Kollegin Weiss es vorhin erwähnt hat, müssen ins Land
fließen, auch zur Bekämpfung von Energiearmut. An die
Regierung Nigerias appellieren wir, die Zivilgesellschaft
einzubeziehen und zu stärken. Es braucht eine Stärkung
der NGOs im Land, auch was Menschenrechte angeht,
sowie eine breitere Beteiligung an der wirtschaftlichen
Entwicklung, zum Beispiel beim Öl.
Im konkreten Fall der entführten Mädchen geht es, in
Abstimmung mit den USA und anderen Partnern, um
Hilfe bei der Suche nach den Mädchen sowie möglicherweise langfristig um gezielte Ausbildung und Begleitung
bei Ermittlungen und Terrorbekämpfung. Da können wir
uns beteiligen. Ein wichtiger Schritt war letzte Woche
der Gipfel zu Boko Haram in Paris. Zudem müssen die
Nachbarländer, vor allem Kamerun, im Kampf gegen
Boko Haram unterstützt werden. Sie bilden einen Rückzugsraum für deren Leute.
Ich fasse zusammen: Zum Ersten müssen wir tun, was
wir hier heute gesagt haben. Zum Zweiten müssen wir
weiterhin den Grundwasserspiegel - ich sage das im
übertragenen Sinne - von Wohlstand, von Menschenrechtsbedingungen zu heben helfen, sowohl im Norden
Nigerias als auch in der Region allgemein. Zum Dritten:
Bring back our girls! Wir verurteilen die Entführung
aufs Allerschärfste und fordern von Boko Haram die sofortige Freilassung der Mädchen. Set them free!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das war der letzte Beitrag in einer, wie ich denke,
sehr ernsten und sehr wichtigen Debatte. Alle Fraktionen
haben gezeigt, dass der Deutsche Bundestag sich als
Stimme der Menschenrechte in der Welt versteht. Wir
sind zwar am Schluss der Tagesordnung, aber bei diesem
Thema sicherlich nicht am Ende. Wir werden es aufVizepräsident Peter Hintze
merksam und mit öffentlicher Wirksamkeit weiter begleiten.
({0})
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. Mai 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.