Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/21/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herzlich und eröffne die Sitzung. Bevor ich die Tagesordnung aufrufe, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass interfraktionell vereinbart worden ist, die heutige Tagesordnung um die Wahl von Mitgliedern der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ zu erweitern und diese Wahl nach der Fragestunde durchzuführen. Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart worden, die Unterrichtung der Bundesregierung zum Entwurf eines Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes auf Drucksache 18/1418 federführend dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie zur Mitberatung dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu überweisen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung - das hat mir eine besondere Freude bereitet - mitgeteilt: Bundesbericht Forschung und Innovation 2014. Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Sie haben jetzt das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Bericht.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute im Bundeskabinett den Bundesbericht Forschung und Innovation 2014 beschlossen. Es ist ein ausführliches Werk. Anhand vieler Zahlen und Fakten wird darin die derzeitige Stellung Deutschlands in der Welt dargestellt. Es wurden nicht nur die Forschungs- und Innovationsdaten, die sich auf den Bund beziehen, sondern auch all die, die sich auf die Bundesländer beziehen, erhoben und entsprechend eingeordnet. Der Bericht ist sehr dick; er umfasst 700 Seiten. Es handelt sich also wirklich um ein ausführliches Kompendium. Als Quintessenz kann man sagen: Dieser Bericht macht deutlich, dass Deutschland als Forschungs- und Innovationsstandort in den letzten Jahren immer attraktiver geworden ist und an der Spitze liegt. In Bezug auf die Innovationsfähigkeit gibt es weltweit die unterschiedlichsten Rankings. Deutschland ist in diesen Rankings immer im vorderen Feld zu finden. Wenn man den EU-Leistungsanzeiger bezüglich Innovation anschaut, sieht man, dass Deutschland in der Gruppe von fünf Ländern liegt, die als innovationsstärkste Länder in Europa, als sogenannte Innovationsführer, gelten. Neben Deutschland zählen dazu unter anderem die Schweiz, Schweden und Dänemark. Es verwundert immer wieder, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer sehr kleinen Bevölkerung - wir machen 1,2 Prozent der Weltbevölkerung aus - an der Spitze liegt, wenn es um den Export von Hightechgütern geht. Deutschland liegt dabei sogar vor großen Nationen wie China oder den USA. Das spiegelt unsere Leistungsfähigkeit wider. Wir können aus diesem Bericht, was die Entwicklung der letzten Jahre betrifft, viel Erfreuliches herauslesen. Dieser Bericht setzt sich aber auch damit auseinander, was uns das Gutachten von EFI, also der Expertenkommission Forschung und Innovation, ins Stammbuch geschrieben hat. Und in den Bericht wurden die Anregungen des EFI-Gutachtens zur Weiterentwicklung der Innovationskraft Deutschlands aufgenommen; denn die gute Stellung, über die wir uns jetzt freuen, können wir ganz schnell verlieren, wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhalten bleibt bzw. noch gesteigert wird. Danke.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Es liegen mir bereits mehrere Wortmeldungen vor. Ich möchte zunächst dem Kollegen Rupprecht die Möglichkeit geben, seine Fragen zu stellen.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin. Dass Deutschland im Hinblick auf die Innovationsindikatoren an der Spitze steht, ist sehr erfreulich und sehr positiv und macht uns alle ein Stück weit auch stolz. Im Bericht wird aber auch der Aspekt des Braindrains angesprochen. Es wird beklagt, dass die klügsten Köpfe angeblich Deutschland verlassen. Hierzu würden mich Ihre Einschätzung bzw. Ihre Bewertung sowie Überlegungen zu eventuellen Gegenmaßnahmen interessieren.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Über diese Passage im EFI-Gutachten habe ich mich geärgert. Dort wird ja dargestellt, dass Deutschland da ein Problem hätte. Die Daten, die die Gutachter als Grundlage genommen haben, sind aber Durchschnittszahlen aus den Jahren 1996 bis 2011. Die Entwicklung in diesem Zeitraum wurde überhaupt nicht betrachtet. 1996 hatten wir in diesem Bereich ein Problem. Viele junge Leute, viele Spitzenforscher sind weggegangen. Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert. Im Moment sind wir hochattraktiv für Spitzenforscher aus aller Welt. Dies sehen wir bei den Bewerbungen, zum Beispiel auf Alexander-von-Humboldt-Professuren. Ich greife zur Verdeutlichung einmal eine Forschungsgemeinschaft heraus: die Max-Planck-Gesellschaft. Sie betreibt Grundlagenforschung, ist aber auch im Bereich Innovationen tätig. Der Anteil der Doktoranden bei ihr, also von allen, die bundesweit bei der MaxPlanck-Gesellschaft promovieren, beträgt 49 Prozent, bei den Postdoktoranden sind es sogar fast 80 Prozent. Fast 31 Prozent der Direktoren der Max-Planck-Gesellschaft stammen aus dem Ausland. Dies alles ist nur ein Indiz. Aber auch aus Umfragen wird das deutlich: Zwei Drittel der deutschen Wissenschaftler, die derzeit in den USA tätig sind, möchten nach Deutschland zurückkommen. Wir haben auch viele Maßnahmen ergriffen, damit es einfach wird, wenn man nach einem langjährigen Aufenthalt in den USA nach Deutschland zurückkommt. Wir können also sagen, dass Deutschland für internationale Wissenschaftler hochattraktiv ist, und zwar in allen Kategorien: Doktoranden, Postdoktoranden bis hin zu Spitzenforschern. Über diese Situation freuen wir uns sehr. Vor Jahren kannten wir sie so nicht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Fragender hat der Kollege Röspel das Wort.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, es freut uns, dass Sie sich nach dem Ärgern wieder gut erholt haben und frisch wie eh und je vor uns stehen. Mir ging es ähnlich. Ich habe eine Frage zu einer anderen Aussage im EFIGutachten: Teilt die Bundesregierung die dort geäußerte Auffassung, dass das EEG-Gesetz weder Innovationswirkung noch Klimaschutzförderung bewirkt hat?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Ministerin.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Nein, diese Auffassung teilen wir dezidiert nicht. Wenn man sich die Forschungsergebnisse im Bereich der erneuerbaren Energien anschaut, dann zeigt sich, dass es sogar eine anregende Wirkung hat. Sicher kann an der einen oder anderen Stelle mal ein Hemmnis auftreten. Aber die dort geäußerte Einschätzung bezüglich der Wirkung des EEG teilt die Bundesregierung in keiner Weise.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat als nächster Fragender der Kollege Gehring das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, bereits im Jahr 2000 wurde im Rahmen der europaweiten Lissabon-Strategie beschlossen, bis zum Jahr 2010 mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Deutschland hat dieses Mindestziel als vermeintlicher Vorreiter 2014 quasi fast erreicht. Regierungseigene Kommissionen, Wissenschaftsorganisationen und Wirtschaftsverbände sagen Ihnen aber seit Jahren, dass man sich, wenn man bei Innovationen Vorreiter sein will, deutlich ehrgeizigere Ziele setzen muss. Deshalb meine Frage an Sie: Wird sich die Bundesregierung das 3,5-Prozent-Ziel zu eigen machen? Wenn ja, wann wollen Sie es erreichen und wie wollen Sie es finanzieren?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Ministerin.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Danke. - Wir haben die Situation, dass die Zielmarke von 3 Prozent für 2010 aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise verändert wurde. In der Lissabon-Strategie haben wir jetzt das Ziel verankert, dass die EU-Staaten, also die EU 28, im Jahr 2020 3 Prozent erreichen sollen. Davon sind viele Länder weit entfernt. Viele Länder liegen noch unter 2 Prozent. Aber auch Länder wie zum Beispiel die USA liegen nur bei knapp 2,8 Prozent. Es gibt auch einige Länder auf der Welt - forschungsstarke wie Korea und Japan -, die über 3 Prozent liegen. Wir erreichen übrigens nicht erst im Jahr 2014 - obwohl der Bericht für 2014 ist -, sondern wir haben bereits im Jahr 2012 das 3-Prozent-Ziel de facto erreicht. Wir möchten in den nächsten Jahren auch gerne mehr erreichen. Wir haben es aber vermieden, uns eine konkrete Zahl vorzugeben. Wir unternehmen einerseits maximale Anstrengungen, um mehr als 3 Prozent zu erreichen. Andererseits sind andere Zielsetzungen wie die Konsolidierung des Haushalts wichtig. Und schließlich ist 3 Prozent des BIP, des Bruttoinlandsprodukts, ein relativer Wert. Das heißt, wenn wir beim BIP richtig gut liegen, dann macht 3 Prozent absolut sehr viel mehr aus. Das ist also nicht ganz genau zu kalkulieren. Wir wollen weiterhin Vorreiter in Europa sein - das sind wir - und wollen auch die anderen mitziehen und anregen, damit die EU-Staaten insgesamt bis zum Jahre 2020 einen Anteil der Ausgaben für FuE am Bruttoinlandsprodukt von 3 Prozent erreichen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Fragesteller hat der Kollege Rossmann das Wort.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich möchte eine Bemerkung vorwegschicken. Uns liegt ja eine Stellungnahme der Bundesregierung zum EFI-Gutachten vor. Darin wird immer darauf abgehoben, dass es im Jahr 2005 einen Turnaround gegeben hat. Angesichts der Präsidentin muss ich sagen: In Sachen Bildung und Forschung ist der Turnaround schon im Jahr 1998 anzusiedeln. Jetzt zur Frage. In vielen früheren EFI-Gutachten ist auf die steuerliche Forschungsförderung abgehoben worden. Nun konnte man jüngst vom Bundesfinanzminister, der ja Gewicht hat, lesen, er hielte gar nichts davon, weil der Fehlleitungseffekt dieser Maßnahme bei gut 90 Prozent liege, es sich also um Mitnahmeeffekte handelt. Insofern möchte ich Sie fragen: Welche guten Ansätze verfolgt diese Regierung, um jenseits der steuerlichen Forschungsförderung die Bereitstellung von Wagniskapital zu stimulieren und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen zu stützen? Welche besonderen Anregungen dazu können Sie dem EFI-Gutachten entnehmen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Wenn man sich anschaut, was wir in den letzten Jahren unternommen und erreicht haben, dann erkennt man: Ein großer Teil der Gelder aus der Hightech-Strategie für die Wirtschaft, fast 50 Prozent, ist den KMU, also den kleinen und mittleren Unternehmen zugeflossen; aber gemessen daran ist ihre Innovationskraft, das, was sie in diesem Bereich leisten, zu gering. Wir glauben also, dass hier noch eine Schwäche unserer Hightech-Strategie liegt. Deswegen wollen wir bei der Überarbeitung der Hightech-Strategie überlegen - ich werde die Eckpunkte der Weiterentwicklung der Hightech-Strategie, abgestimmt mit allen Ressorts, im Sommer vorlegen -: Welche neuen Formate, welche neuen Maßnahmen sind geeignet, um kleine und mittlere Unternehmen noch besser zu fördern? Die Aussagen des Finanzministers sind korrekt. Aber gleichzeitig hat sich der Finanzminister offen gezeigt, was die Förderung bzw. Erleichterung der Bereitstellung von Wagniskapital anbelangt; das ist ja gerade für Neugründungen sehr wichtig. Um das Thema der steuerlichen Förderung von FuE haben wir in den Koalitionsverhandlungen lange gerungen. Ich denke, der Forschungs- und der Wirtschaftsflügel wollten das sehr gerne, obwohl sie natürlich gesehen haben, welche Kosten damit verbunden sind. Wir werden das nicht heute oder morgen umsetzen; aber ich glaube nicht, dass die Diskussion ein für alle Male beerdigt ist.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie führten aus, wie positiv sich der Hightechbereich in der Bundesrepublik entwickelt hat. Sie werden mir sicher zustimmen, dass er natürlich eine gesunde Basis braucht, die vor allen Dingen immer wieder erneuert werden muss. Jetzt nenne ich Ihnen ein paar Zahlen: 85 Prozent der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler an Forschungseinrichtungen und Universitäten sind nur befristet beschäftigt, die Hälfte davon nur in Teilzeit. Diese Jobs sind natürlich wesentlich weniger attraktiv als Stellen in der Industrie und in der industrienahen Forschung. Aber müssen wir nicht, wenn wir zukünftig unseren Stand halten wollen, sicherstellen, dass die besten Nachwuchskräfte in die Lehre und in die öffentliche Forschung und nicht in die Industrie gehen, weil ansonsten der Abstand zu groß wird und die Kette reißt? Unter dem Aspekt frage ich Sie: Wie wollen Sie mit Ihrer heutigen Politik sicherstellen, dass wir auch in 15 Jahren noch den guten Stand haben, den wir jetzt haben? Wie wollen Sie, wenn Sie jetzt den Bundesländern 6 Milliarden Euro geben, sicherstellen, dass diese wirklich zusätzlich in Bildung und Forschung fließen und nicht zur Schließung von Haushaltslöchern in den Bundesländern eingesetzt werden?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Natürlich brauchen wir die Nachwuchswissenschaftler in den Forschungseinrichtungen; aber zwei Drittel der Forschung in Deutschland werden privatwirtschaftlich, hauptsächlich in großen Unternehmen erbracht. Auch dieser Bereich der Forschung ist attraktiv, und wir brauchen ihn, wenn wir die Spitzenposition halten wollen. Von den zehn forschungsintensivsten bzw. -stärksten Firmen Europas sind fünf in Deutschland angesiedelt, und auch sie brauchen Nachwuchs. Ich würde also nicht von einem Entweder-oder sprechen. Wichtig ist, für junge Leute attraktiv zu sein. Wir haben viele Programme - Sie kennen sie zum Teil - im Rahmen der DFG, aber auch beim DAAD. Der letzte Monitoringbericht bezüglich der Zufriedenheit der Wissenschaftler weist verbesserte Werte aus, weil wir in Deutschland langfristig Sicherheit und Verlässlichkeit bieten, gerade für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Natürlich reden wir vonseiten des Bundes auch mit den Ländern, weil sie die Verantwortung für die Hochschulen haben; das ist in Deutschland ja verfassungsrechtlich ganz klar so geregelt. Ich glaube, dass die Vorstellung, wir müssten nur mehr unbefristete Stellen in den entsprechenden Einrichtungen etablieren, grundfalsch ist, weil Wissenschaft in einem gewissen Maße Fluktuation braucht. Wenn wir - nur theoretisch - sagen würden: „Okay, wir schaffen mehr unbefristete Stellen“, dann wäre dieser Bereich unter Umständen den nachfolgenden Generationen verschlossen. Man kann die Situation in Deutschland nicht einfach mit der in Österreich vergleichen, wie Ihre Fraktion das gerne macht. In Österreich bekommen Sie zwar schnell eine unbefristete Stelle, Sie können diese Stelle aber auch ganz schnell wieder verlieren. In Deutschland ist das nicht so. Man muss überlegen, wie man die unterschiedlichen Systeme vergleichen kann.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Ministerin, ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass wir eine Verabredung haben: Antwortzeit eine Minute, maximal anderthalb Minuten. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich Sie jetzt unterbreche.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich kann schon noch schneller reden, aber -

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Fragender hat der Kollege Kaufmann das Wort und dann Herr Rabanus.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, unser Wohlstand in Deutschland basiert zu einem erheblichen Teil auf Forschung und Innovation. Was können Sie vor diesem Hintergrund zum volkswirtschaftlichen Impact der Innovationspolitik sagen? Welche Indikatoren ziehen Sie dafür heran?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Im Bericht sind die üblichen Indikatoren enthalten, die zur Vergleichbarkeit von verschiedenen Volkswirtschaften herangezogen werden: zum Beispiel der Anteil von Hightechgütern gemessen am Gesamtexport eines Landes, die Forschungsstärke von Unternehmen - ich habe die Zahl genannt: fünf der zehn forschungsstärksten Unternehmen kommen aus Deutschland -, aber auch die Patentanmeldungen. Zu den Patentanmeldungen ist zu sagen, dass Deutschland, was transnationale, also große Patente betrifft, die für den internationalen Markt wichtig sind, jetzt den dritten Platz nach den USA und Japan erreicht hat. Als weiterer Indikator ist auch die Zahl der Beschäftigten im Wissenschafts- und Forschungssystem zu nennen. Die Zahl ist um über 100 000 auf rund 600 000 Beschäftigte gestiegen. Weitergehende volkswirtschaftliche Effekte auf die Situation in Deutschland sind zum Beispiel: Wir haben die höchste Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten, und zugleich auch eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Wir sind der Meinung, dass diese Effekte dem klugen Verhalten Deutschlands, während der Zeit der Finanzund Wirtschaftskrise in Forschung und Innovation zu investieren, geschuldet sind. Dies hat auch dazu beigetragen, dass wir uns so schnell erholt haben und unser Bruttoinlandsprodukt nach der Krise fast doppelt so schnell gewachsen ist wie das der anderen EU-Staaten. Das sind aus meiner Sicht Indikatoren, die belegen, dass Forschung und Entwicklung wirklich und nicht nur in Sonntagsreden ein ganz zentrales Element für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Rabanus das Wort und dann Herr Röspel.

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie haben eben betont, wie wichtig Forschung und Entwicklung in Unternehmen seien. Meine Nachfrage dazu: Gibt es eine Einschätzung der Bundesregierung, wie stabil Forschung und Entwicklung in Unternehmen sind, oder gibt es vielleicht einen Trend oder Tendenzen hin zur Abwanderung? Wenn es diese gibt: Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung, um damit umzugehen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Nicht nur unserem Bericht, sondern auch den Gutachten und den Untersuchungen der ZAB liegt die eindeutige Aussage zugrunde, dass wir im Bereich weniger Branchen sehr stabile Forschungsleistungen haben. Dort sind wir ausgewiesen spitze. Hinzugekommen ist hier der IuK-Bereich. Dort verzeichnen wir stärker Innnovationen, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Für uns ist es sehr wichtig - ich habe vorhin darauf hingewiesen -, dafür zu sorgen, dass es für die kleinen und mittelständischen Unternehmen attraktiver wird, zu forschen, statt nur Produkte weiterzuentwickeln. Ganz zentral ist die Tatsache, dass es uns im Rahmen der Hightech-Strategie, zum Beispiel durch den Spitzencluster-Wettbewerb oder durch die Verbindung von öffentlicher und privater Forschung, gelungen ist, Anreize zu setzen. So sorgen wir mit den Spitzenclustern dafür, dass wir in diesen Bereichen in einigen Jahren Weltspitze sein werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Röspel das Wort.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin. - Die Expertenkommission Forschung und Innovation legt uns ja „Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands“ vor, und das, wie ich finde, seit Jahren in bewährter Manier. Nun ist es so, dass dieser Kommission mittlerweile mit Ausnahme des Vorsitzenden, Professor Harhoff, nur noch - in Anführungsstrichen - Wirtschaftswissenschaftler angehören. Wird die Bundesregierung bei künftigen Berufungen wieder stärker Naturwissenschaftler, Ingenieure und Technologen einbeziehen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ja, Herr Röspel, das werden wir machen. Es gibt ja immer wieder Nachbesetzungen. Im Übrigen wurde der Teil des Gutachtens über das EEG, der uns beiden nicht gefallen hat, von jemandem verfasst, der naturwissenschaftlich qualifiziert ist.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Gehring das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Seit über einem halben Jahr gibt es in dieser Bundesregierung einen großen Konflikt darüber, ob und wie dieses 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildung, Forschung und Wissenschaft so an die Länder verteilt werden kann, dass es den Bildungs- und Forschungseinrichtungen zugutekommt. Am Montag gab es einen bemerkenswerten Vorgang: Die großen Wissenschaftsorganisationen haben sich zum zweiten Mal seit Bestehen der Bundespressekonferenz mit einem Weckruf bzw. einem Alarmsignal an die Republik gewendet und darauf hingewiesen, dass in diesem ganzen Bereich keine Planungssicherheit besteht, weil Sie die großen Finanzierungsfragen noch nicht geklärt haben. Deshalb würde mich sehr interessieren, wann mit einer Einigung zu rechnen ist, ob Sie, wenn es am kommenden Wochenende ein Treffen gibt, an den Gesprächen über Ausgabezeitpunkt und Verteilung der Wissenschafts- und Forschungsmittel beteiligt sind und ob Sie es angesichts des 3,5-Prozent-Ziels, das wir uns eigentlich setzen müssten, angemessen finden, dass es um nur 6 plus 3 Milliarden Euro geht? Im Verhältnis zum sehr großen, umfassenden und teuren Rentenpaket finden wir das unzureichend, wenn wir innovationsstark bleiben wollen.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Forschung und Innovation in Deutschland bezahlen wir nicht aus den Rentenbeiträgen ({0}) - ja, das ist so -, sondern aus Steuermitteln. In den Koalitionsverhandlungen ist ergänzend zu all dem, was schon im Plan stand, gesagt worden: 23 Milliarden Euro Mehrausgaben in dieser Legislaturperiode; und von diesen 23 Milliarden Euro werden 9 Milliarden Euro für den Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung vorgesehen. Das ist, wenn ich richtig rechne, mehr als ein Drittel. Ich denke, das ist eine ganz klare Prioritätensetzung seitens der Koalitionsfraktionen. Die Pressekonferenz von Herrn Hippler, HRK-Chef, Herrn Strohschneider, DFG-Chef, und Herrn Marquardt, Chef des Wissenschaftsrats, habe ich sehr genau verfolgt. Sie sind nicht wegen mangelnder Sicherheit in Aufregung; denn alle außeruniversitären Einrichtungen haben ganz klare Rahmenbedingungen. Und dass sie so schnell wie möglich eine Lösung haben möchten, ist natürlich; dafür haben sie geworben. Das finde ich völlig legitim. Wir sind bei den Verhandlungen auf der Zielgeraden. Ich denke, es wird eine gute Lösung. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als Nächster hat der Kollege Diaby das Wort.

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, das EFI-Gutachten wurde mehrfach erwähnt. Ich möchte fragen, welche Forderungen aus den letzten EFI-Gutachten die Bundesregierung umsetzen wird bzw. bereits umgesetzt hat.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Herr Diaby - ich habe mir Ihren Namen gemerkt; Sie haben mich kritisiert, dass ich ihn immer vergesse -, das EFI-Gutachten wurde vor kurzem veröffentlicht. Viele der Positionen in diesem Gutachten entsprechen genau unseren Handlungslinien. Hinsichtlich der Programmpauschale ist zum Beispiel das, was die Experten sich wünschen, bis jetzt noch nicht umgesetzt, aber wir stehen dazu in Verhandlungen mit den Ländern. Wenn sie sagen, dass sie Verlässlichkeit im Bereich der außeruniversitären Einrichtungen wollen, dann sage ich: Das machen wir auf jeden Fall, hundertprozentig; wir sind im Gespräch. Wenn sie sich deutlich für die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie aussprechen, dann sage ich: Das steht nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern wird jetzt auch getan. Man kann also sagen, dass wir für den größten Teil der Schlussfolgerungen ein hohes Maß an Sympathie haben, aber nicht für jeden Einzelfall. Wo wir es möglich machen können und es prinzipiell für richtig halten, versuchen wir seitens der Bundesregierung, diese Empfehlungen umzusetzen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Rossmann das Wort.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Kollege Gehring hatte schon auf das anspruchsvolle 3,5-Prozent-Ziel hingewiesen und nach Braindrain und Braingain gefragt. Ich möchte die Frage zuspitzen, weil der Kollege Fuchtel, der Schutzpatron Griechenlands, hinter Ihnen sitzt: In den südeuropäischen Ländern gibt es große Probleme. Griechenland beispielsweise investiert aktuell 0,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung. Um die Zahl zu wiederholen: Griechenland hat in den letzten zwei, drei Jahren einen enormen Braindrain erlebt, da 100 000 wissenschaftlich qualifizierte Menschen ausgewandert sind. Auf Deutschland bezogen wären das 800 000 Menschen. Ich sage das, damit wir wissen, was wir dem Land zumuten und welche Entwicklung sich dort vollzieht. Können Sie sagen, mit welchen Initiativen die Bundesregierung das, was in ihrer Stellungnahme enthalten ist, ausfüllen will, wie sie also die Entwicklung im Bereich Wissenschaft und Forschung in südeuropäischen Ländern, in Ländern, die sich trotz Strukturkrise entwickeln sollen, befördern will? Was sind die besonderen Anknüpfungspunkte - vom DAAD bis hin zu europäischer Einwirkung -, damit wir 2020 das 3-ProzentZiel tatsächlich in allen Ländern erreichen und es nicht etwa dazu kommt, dass Deutschland 3,5 Prozent und Griechenland 1,0 Prozent erreichen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Wir haben eine Reihe von Maßnahmen in diesen Ländern ergriffen, nicht nur im akademischen Bereich, und haben auch entsprechende Kontakte. Bezüglich Griechenland - das Land haben Sie ja explizit angesprochen gibt es im Rahmen des DAAD spezielle Programme, um griechische Studierende und Absolventen zu unterstützen. Wir stocken in der EU die Mittel für ERASMUS - dafür hat Deutschland sehr gekämpft - um 40 Prozent auf. Wir führen auch im Bereich der beruflichen Bildung, die in der jetzigen Diskussion noch keine Rolle spielte und immer wenig beachtet wird, entsprechende Maßnahmen durch. Auch daran haben diese Länder Interesse. Es gibt ein Memorandum - Griechenland und Spanien sind beispielsweise dabei, aber nicht nur diese -, in dem wir entsprechende Unterstützung vereinbart haben. Dabei geht es nicht um einen simplen Export, also nicht darum, das, was wir in Deutschland machen, in diesen Ländern vor Ort zu reproduzieren, sondern um Förderung. Gleichzeitig wollen wir - das betrifft insbesondere den Bereich des Arbeitsministeriums - Jugendliche, die jetzt die Chance nutzen, in Deutschland eine Ausbildung zu absolvieren, finanziell unterstützen. Es gibt zwischen den Universitäten traditionell schon lange bestehende Kontakte. Diese führen jetzt in dieser speziellen Situation dazu, dass man auch vonseiten der deutschen Hochschulen und nicht nur vonseiten des Bundes die Möglichkeiten nutzt, die es gibt. Speziell beim DAAD sind wir auf diese Problematik eingegangen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, ich hatte vorhin nach den Arbeitsbedingungen gefragt. Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern: 85 Prozent aller Jungabsolventen, die an Hochschulen beschäftigt sind, haben befristete Arbeitsverträge, davon sind zwei Drittel auf weniger als ein Jahr befristet. Das sind für mich keine Bedingungen, die dafür sorgen, dass ein Wechsel stattfindet, sondern solche Bedingungen bieten schlicht keine Planbarkeit. Demzufolge wird unserer Industrie irgendwann der Nachwuchs ausgehen. Die Firma Bayer hat wahrscheinlich aus diesen Gründen ein riesiges Forschungszentrum in Schanghai eingerichtet. Dort sind ja die Absolventenzahlen deutlich höher, und vor allen Dingen bleiben dort die besten Absolventen an den Hochschulen, was die Qualität zukünftiger Absolventen deutlich steigern wird. Jetzt zum zweiten Teil meiner Frage, auf den Sie vorhin nicht eingegangen sind. Sie wollen den Ländern zusätzlich 6 Milliarden Euro für Bildung geben. Wie wollen Sie sicherstellen, dass das Geld in der Bildung ankommt, und wollen Sie das Kooperationsverbot zu diesem Zwecke aufheben?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich habe die Logik Ihrer Frage vorhin schon nicht verstanden. Sie sagen: Wenn die Bedingungen an den Hochschulen für den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht gut sind, dann fehlen die guten Kräfte in der Wirtschaft - so Ihre These. Das Gegenteil müsste dann doch der Fall sein: Nachwuchswissenschaftler müssten ein großes Interesse haben, zu optimalen Bedingungen in die großen Forschungsabteilungen der Wirtschaft zu gehen. Es gibt übrigens auch kein einziges Programm des Bundes, aus dem sich eine Befristung auf ein Jahr oder weniger für die Mitarbeiter an den Hochschulen ableitet, im Gegenteil. Über diesen Punkt haben wir in den Koalitionsverhandlungen diskutiert, also darüber, wie man gegen diese Praxis, dass die Hochschulen Arbeitsverträge oft sehr kurz befristen, angehen kann. Das ist keine Folge, die sich irgendwie aus unseren Gesetzen ergibt, aber in der Praxis ist es so. Das sage ich klipp und klar. Ich kann auch Ihre Dramatisierung, dass es befristete Arbeitsverhältnisse gibt, nicht nachvollziehen. Wenn man promoviert, dann hat man natürlich ein befristetes Arbeitsverhältnis, und danach entscheidet man sich. Das dauert, je nachdem, drei, vier oder fünf Jahre. Das ist ganz normal, und das ist, soweit ich weiß, auch an den Hochschulen in den meisten anderen Ländern so. Was die Sicherheit betrifft: Ich gehe davon aus, dass Bund und Länder ein gemeinsames Interesse daran haben. Mit den 2008 zwischen der Bundeskanzlerin und den Ländern vereinbarten Zielen, zum einen das 10-Prozent-Ziel und zum anderen das 3-Prozent-Ziel, haben wir, glaube ich, eine gute Basis. Natürlich kann der Bund, auch wenn Sie sich das wünschen, die Länder nicht einfach zwangsverpflichten. Wenn man Vereinbarungen trifft, müssen diese aus gegenseitigem Respekt realisiert werden. Wir haben zum Beispiel beim Hochschulpakt und bei der Exzellenzinitiative - hier gibt es ja Bund-Länder-Kooperationen; jeder zahlt seinen Teil gute Erfahrungen gemacht. Das ist zwar nicht immer einfach abrechenbar, aber im Prinzip gibt es da klare Regeln. Ich bin jedenfalls nicht diejenige, die den Ländern einfach etwas vorschreibt. Das kann ich nicht. Noch einen Satz: Für eine Veränderung von Artikel 91 b des Grundgesetzes bin ich sehr. Das halte ich im Wissenschaftsbereich für zwingend notwendig.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Dr. Thomas Feist das Wort.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Investitionen in Forschung und Entwicklung sind immer Investitionen, die, wie ich finde, gerechterweise nur zum Teil mit Wissenschaft zu tun haDr. Thomas Feist ben. Sie haben völlig zu Recht auch auf Ausbildung hingewiesen. Wie lautet Ihr Vorschlag, um in die Zukunft unseres Standortes zu investieren und dabei gleichzeitig etwas für die Gleichwertigkeit von akademischen und beruflichen Bildungsabschlüssen zu tun?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Wir haben gemeinsam mit der Kulturministerkonferenz im Rahmen des DQR die Gleichstellung von Meister- und Bachelorabschlüssen beschlossen. In Dortmund habe ich die ersten Meisterbriefe, in denen das verankert und dokumentiert ist, zusammen mit dem Chef der Handwerkskammer übergeben dürfen. Was wir brauchen, ist eine größere Wertschätzung der dualen Ausbildung, der beruflichen Ausbildung, der Qualität der Arbeit eines Handwerkers und eines Facharbeiters. Das lässt sich durch bunte Flyer und Plakate nicht so einfach erreichen. Hier tun wir sehr viel, und wir werden unsere Bemühungen verstärken. Es ist notwendig, dass man sich gesamtgesellschaftlich klarmacht, in welch schwierige Situation wir kommen, wenn wir junge Menschen nicht in verstärktem Maße für eine duale Ausbildung gewinnen. Dieses Thema ist aber auch im Hinblick auf die Lebenschancen des Einzelnen und die Bildungsgerechtigkeit sehr wichtig. Ich sage es gerne noch einmal - dabei richte ich mich insbesondere an die jungen Menschen, die auf der Zuschauertribüne sitzen -: Wir haben in Deutschland im Moment eine gute Situation. Die Arbeitslosenquote liegt im Schnitt bei etwas über 5 Prozent; die Lage ist regional allerdings sehr unterschiedlich. In dieser Situation herrscht unter denjenigen, die einen akademischen Abschluss haben, eine Arbeitslosenquote von 2,4 Prozent. In der Gruppe derer, die keinen Abschluss haben, beträgt die Arbeitslosenquote über 19 Prozent. Das heißt, jeder Fünfte ohne Abschluss ist ohne Arbeit, und das in einer Situation, in der die Arbeitslosigkeit insgesamt gering ist. Deswegen ist es, was die Bildungsgerechtigkeit betrifft, ganz wichtig, dass sich die Bundesregierung, das Parlament und alle Fraktionen gemeinsam darum bemühen, die Akzeptanz der dualen Ausbildung und ihre Bedingungen zu verbessern. ERASMUS plus bietet sehr attraktive Bedingungen. Wenn jemand zum Beispiel im Rahmen einer Ausbildung zum Handwerker für drei Wochen ins Ausland geht, dann wird dies finanziell und auch in jeder anderen Hinsicht sehr viel stärker unterstützt, als es bei Studenten im Rahmen von ERASMUS der Fall ist. Das ist ein Fingerzeig, dass wir uns hier besonders bemühen wollen. Danke.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Gehring das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass Sie sich stärker um die klügsten Köpfe bemühen wollen. Das steht durchaus im Widerspruch zum zunehmenden Befristungsunwesen an vielen Hochschulen hierzulande; der Kollege von der Linksfraktion hat darauf hingewiesen. Deshalb möchte ich Ihnen die Frage stellen - ich bitte Sie um eine Antwort -: Was tun Sie, um im Hochschul- und Wissenschaftssystem in Deutschland wettbewerbsfähige Beschäftigungsverhältnisse zu gewährleisten, die fair ausgestaltet sind und eine verlässliche Perspektive bieten? Ganz konkret: Wieso nehmen Sie sich kein neues Juniorprofessuren-Programm vor? Wann kommt die Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz? Wie wollen Sie, wie im Koalitionsvertrag angekündigt und versprochen, die Grundfinanzierung der Hochschulen verbessern? Das sind drei Bausteine, die Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen. Es wäre schön, wenn Sie sich hierzu konkret verhalten würden.

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Die Einführung der Juniorprofessur war - Frau Bulmahn, Sie erinnern sich - mit großen Widerständen verbunden. Unser Ziel war es, sie zu einem ganz normalen Instrument der akademischen Karriere zu machen. Das hat funktioniert. Heute gibt es die Juniorprofessur, und sie ist akzeptiert. Allerdings gibt es auch andere Wege, die möglich sind. Zum Beispiel ist bei den Juniorprofessuren - das freut mich besonders - ein viel höherer Frauenanteil als bei allen anderen Professuren zu verzeichnen. Auch in dieser Hinsicht sind sie also ein geeignetes Instrument. Es besteht aber keine Notwendigkeit, Dinge, die angeschoben und initiiert wurden, auf Dauer zu fördern, wenn man dadurch in das normale Regelwerk der Hochschulen eingreift. Die Hochschulen haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie sie mit diesem Thema - Juniorprofessuren und andere Professuren - umgehen. Ich glaube, wenn der Bund, die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen sagen würden: „Wir wollen die Grundfinanzierung der Hochschulen unterstützen“, dann ginge das weit über unseren Auftrag hinaus. Dazu besteht weder eine rechtliche Verpflichtung, noch gibt es ohne Weiteres die entsprechenden Möglichkeiten. Es wäre eine kleine Revolution, wenn wir das hinbekommen würden. Wir wollen, dass die Bedingungen an den Hochschulen verbessert werden, auch dadurch, dass die Grundfinanzierung verbessert wird. Ein Beispiel ist die Exzellenzinitiative. Wozu führt sie? In der Regel hat sie zur Folge, dass in den Hochschulen viel Geld für qualifizierte Arbeitsplätze vorhanden ist. Dass der Anteil junger Menschen, der an einer Hochschule oder Wissenschaftseinrichtung befristet - das ist für sie ein großer Nachteil - beschäftigt ist, so groß ist, hat damit zu tun, dass der Bund die dafür erforderlichen finanziellen Möglichkeiten geschaffen hat. ({0}) - Das wird angegangen, haben wir uns vorgenommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Kaczmarek das Wort.

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich teile das, was Sie zum Thema „Wertschätzung für das duale System“ gesagt haben, voll und ganz. Ich wundere mich manchmal, dass - das haben Sie nicht gesagt; aber so etwas ist manchmal zu lesen - ein Widerspruch zwischen dualem System und akademischer Ausbildung konstruiert wird. Wir erleben doch gerade das Gegenteil: Arbeitgeber fragen nach Anteilen von beruflicher Ausbildung und akademischer Ausbildung. Deswegen die Frage: Sehen Sie noch Nachholbedarf, was den Zugang beruflich Qualifizierter zu den Hochschulen angeht? Müssen wir nicht eher über eine Verschränkung von akademischer und dualer Ausbildung reden?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ja, genau das müssen wir. Ich bin sehr froh, dass dieser simplen Diskussion, akademische Abschlüsse und Berufsabschlüsse gegeneinander auszuspielen, beim EFI-Gutachten dezidiert nicht gefolgt wurde. Eine wichtige Möglichkeit, um die berufliche Ausbildung zu stärken, ist die Erhöhung der Durchlässigkeit. Das heißt, wer nach zwei, drei Jahren Berufsausbildung einen Berufsabschluss erworben und drei Jahre Berufspraxis hat, kann in Deutschland - in dieser Hinsicht sind mittlerweile alle Ländergesetze novelliert worden - mit dieser beruflichen Erfahrung studieren. Man muss kein Abitur nachholen, man braucht nicht den zweiten Bildungsweg zu beschreiten. Man darf allerdings nicht jedes Fach studieren, sondern nur eines, das mit dem Beruf zusammenhängt. Allerdings sind - da müssen wir noch stärker argumentieren - in vielen Bundesländern für solche Bewerber noch große Hürden aufgerichtet, weil man mit Eingangsprüfung, Probesemester oder anderem konfrontiert wird. Das schreckt ab. An dieser Baustelle ist noch zu arbeiten. Rechtlich ist ein solches Verfahren okay; aber damit das Studieren für Bewerber mit beruflichem Hintergrund attraktiv und möglich wird, müssen wir, Bund und Länder, noch gemeinsam darauf hinwirken.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Kaufmann das Wort.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wir wollen ja eines der Hauptinstrumente unserer erfolgreichen Innovationspolitik, die Hightech-Strategie, weiterentwickeln. Welche Rolle spielen dabei Ihres Erachtens die „Forschungsunion Wirtschaft - Wissenschaft“ und eine noch weiter vertiefte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Wir können es uns nicht leisten, dass gute Ideen, dass Patente, die in Deutschland entwickelt werden, ohne Weiteres das Land verlassen. Unser Interesse muss es sein, dass möglichst viel in Deutschland - oder für Deutschland im Ausland - umgesetzt wird. Deswegen kann die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft keine simple Transferschiene sein, sondern dafür braucht man - das ist ein komplexes Gebilde neue Formate. Zum Beispiel der Forschungscampus ist so ein Format. Beim Forschungscampus arbeiten Industrieunternehmen und Hochschulen zusammen, über zehn Jahre, vom Bund unterstützt und gefördert, um im vorwettbewerblichen Bereich abzuklopfen, was für ein Potenzial zum Beispiel eine Bachelorarbeit für ein Produkt oder etwas anderes hat. Das heißt, eine Aufgabe ist es, auch über neue Formate nachzudenken - neben denen, die im Rahmen der Hightech-Strategie schon etabliert sind -, um die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, die ja keine Einbahnstraße sein kann, sondern sehr komplex ist, noch zu stärken. Was den Übergang von Ideen aus der Grundlagenforschung zu Produkten angeht, sind wir in Deutschland sehr, sehr gut. Trotzdem haben wir noch Luft nach oben. Wichtig ist, dass wir auch in der Grundlagenforschung in der Lage sind, zukünftige Herausforderungen zu erkennen und Ideen an einer Stelle zu fördern und zu unterstützen, wo es noch gar nicht um die Verwertbarkeit von Produkten gehen kann. Das haben wir zum Beispiel bei der Batterieforschung oder bei der ressourcenschonenden Produktion erreicht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Zum Schluss hat der Kollege Gehring noch einmal das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Bericht der Bundesregierung ist die Lage wahrscheinlich nicht nur gut und schön beschrieben. Deswegen würde ich Sie jetzt gerne noch einmal fragen: Wo sehen Sie denn eigentlich, wo sieht der Bericht Lücken im Innovationsprozess in Deutschland? Wo müssen wir besser werden, und wie wollen Sie dazu beitragen?

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Ich hatte vorhin erwähnt, Herr Gehring, dass wir die Hightech-Strategie weiterentwickeln. Genau an der Stelle können wir schauen, wo wir Schwächen haben. Damit kann man vieles, glaube ich, bewältigen. Eine der Schwächen war, dass Kleinunternehmen noch nicht umfassend in den Innovationsprozess eingebunden sind. Ein anderes wichtiges Thema ist Wagniskapital. Ich finde nicht, dass wir einfach die amerikanische Variante hier realisieren können. Wir brauchen aber Neuerungen beim Wagniskapital. Wir haben - da bin ich mir mit dem Wirtschaftsminister einig - viele Instrumente, um Gründungen zu unterstützen; aber gerade im Hightechbereich ist da noch einiges möglich. Was für mich keine Schwäche ist, sondern etwas, wo wir stärker werden sollten, ist das Thema „Einbindung der Innovation in die Zivilgesellschaft“. Einige wichtige Themen werden in Deutschland nicht mehr behandelt. Das kann uns Arbeitsplätze kosten. In diesen Bereichen fallen wir zurück. Es ist wichtig, von Anfang an auf die Ängste der Menschen, die es durchaus gibt, zu reagieren, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und sich zu überlegen, wie man dort entsprechend kommunizieren und das durch Forschung begleiten kann; das machen wir jetzt zum Beispiel im Bereich der Energieforschung mit großen Projekten. Das sind einige wichtige Punkte. Es gibt aber noch viele andere. Ich möchte zum Beispiel gerne, dass die Fachhochschulen noch sehr viel stärker in der Breite präsent sind, weil sie Anlaufstellen für die kleinen und mittleren Unternehmen sind. Das ist aus meiner Sicht ein Weg, um Innovationen mehr zu befördern. Ich hoffe auf eine gute Diskussion, wenn wir hier über unsere Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie sprechen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Damit beende ich den Bereich der Themen der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/1433 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Staatssekretärin Frau Fischbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kathrin Vogler auf: Welche Bemühungen unternimmt das Bundesministerium für Gesundheit, um sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten in Deutschland sicher vor gefährlichen und verbotenen Therapieformen wie zum Beispiel „Konversionstherapien“ und „reparative“ Verfahren bei Homosexualität sind, und welche Informationen hat die Bundesregierung über die Verbreitung solcher „Therapien“?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Vogler, ich antworte Ihnen gerne auf Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung, wie im Übrigen auch die Bundesärztekammer und der Weltärztebund, vertritt die Auffassung, dass Homosexualität keine Krankheit ist und keiner Therapie bedarf. Werden trotzdem fragwürdige Therapien angeboten, die geeignet sind, Patientinnen oder Patienten zu schädigen, dann sind die Ärztekammern oder die Approbationsbehörden gefordert, im Einzelfall berufsrechtliche Schritte einzuleiten. Die Bundesregierung hat keine Informationen darüber, wie häufig sogenannte Therapien angeboten werden, die auf die Veränderung einer homosexuellen Orientierung zielen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Hier kann ich gleich ansetzen. Da diese sogenannten Therapien von Homosexualität nach Auffassung der Bundesregierung und auch nach Auffassung der Bundesärztekammer gar keine Therapien sind, weil sie medizinischen Erkenntnissen und dem Stand der Wissenschaft widersprechen, frage ich, welche konkreten Handlungsmöglichkeiten die Bundesregierung sieht, auf die Approbationsbehörden und die Ärztekammern einzuwirken, damit dort zum einen intensiver recherchiert wird, in welchem Umfang es diese Art von seltsamen Therapieversuchen gibt, und zum anderen Sanktionen gegen Ärztinnen und Ärzte verhängt werden, die derlei betreiben.

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Vogler, die Aufsicht über die Berufsausübung der Heilberufe liegt in der Hoheit der Länder. Hier sind also die Länder gefordert. Bei den Ärztekammern sind Gutachterkommissionen eingerichtet, die befragt und angerufen werden können, und auch die Schlichtungsstellen sollen versuchen, den Patienten zu ihrem Recht zu verhelfen. Ich will das noch einmal ganz deutlich sagen: Aufgrund des Patientenschutzes ist es in Deutschland nicht möglich, ohne Einwilligung des Patienten eine Therapie durchzuführen. Wir haben ein Behandlungsvertragsrecht - das ist im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergeschrieben -, das deutlich macht, dass nur allgemein anerkannte fachliche Standards angewandt werden dürfen und dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und die ärztlichen und fachärztlichen Erfahrungen eine Rolle spielen und mit in die Behandlung einfließen sollen, damit das Behandlungsziel auch erreicht wird. Für uns und für die Fachwelt erfüllen die Therapien, die Sie genannt haben, diese Standards nicht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Vogler hat noch eine zweite Zusatzfrage.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Die Frage, die ich gestellt habe, und auch die folgenden Fragen der Kolleginnen und Kollegen basieren auf den Recherchen des Journalisten Christian Deker, der im Selbstversuch Arztpraxen aufgesucht hat, in denen diese angebliche Therapie angeboten wurde. Er hat mit Erstaunen festgestellt, dass diese Therapien auf den Rechnungen - er hatte sich als Privatpatient ausgegeben - teilweise unter anderen Bezeichnun2944 gen abgerechnet wurden. Außerdem musste er bei Nachfrage an die gesetzlichen Krankenversicherungen feststellen - ich zitiere wörtlich -: Auf die Frage, ob das erlaubt sei, antwortet keine einzige der angefragten Versicherungen mit einem klaren Nein. Ich möchte Sie an dieser Stelle gerne fragen: Wie sieht die Bundesregierung die Erstattung solch zweifelhafter Verfahren durch private Krankenversicherungen oder gesetzliche Krankenkassen? Halten Sie das für erlaubt?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wir müssen hier etwas genauer hinsehen. Es gibt Situationen, in denen Betroffene - ich sage es einmal so krankheitswertige Ausprägungen zeigen. Gerade junge Menschen werden mit der Situation konfrontiert, dass sie Fragen haben und noch nicht wissen: Wie sieht es mit der eigenen sexuellen Identität aus? Wohin will ich? - In Einzelfällen kann es möglich und auch nötig sein, wenn es krankheitswertig ist, dass die Therapien verordnet und abgerechnet werden. Aber ich sage noch einmal: In allen anderen Fällen muss der Patient seine Einwilligung zu diesen Therapien geben, sonst dürfen sie nicht durchgeführt werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Petzold das Wort für eine Frage.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Fischbach, wenn es diese hohe Übereinstimmung zwischen Ihrem Haus und der Bundesärztekammer gibt, dann möchte ich Sie gerne fragen, was Sie von der Idee halten, dass die Bundesregierung gemeinsam mit der Bundesärztekammer eine öffentliche Kampagne zum Thema „Homosexualität ist keine Krankheit“ durchführt. Dann wüssten möglicherweise unter anderem die Jugendlichen, von denen Sie gesprochen haben, dass sie vielleicht gar keine Krankheit haben und keine zweifelhafte Therapie benötigen, sondern anderweitig geklärt werden kann, was mit ihnen los ist. Was halten Sie von einer derartigen Kampagne, die dann auch in allen Arztpraxen aushängen könnte, um deutlich zu machen, dass es sich hier um keine Krankheit handelt?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege Petzold, die Bundesregierung finanziert über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung viele Kampagnen und verfügt über wirklich hervorragendes Informationsmaterial. Auf diesem Gebiet laufen sehr viele Kampagnen, gerade auch für die Schule, also genau den Bereich, in dem sich junge Menschen, die in der Persönlichkeitsfindung sind, aufhalten. Diese Kampagnen sind sehr gut und werden sehr gut angenommen; das zeigen die Zahlen der Inanspruchnahme. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben können. Aber wir haben im Moment einiges an Kampagnen auf den Weg gebracht, die genau das beinhalten, was Sie fordern.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt komme ich zur Frage 2 der Abgeordneten Birgit Wöllert. Hier ist um eine schriftliche Beantwortung gebeten worden. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Harald Petzold auf: Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um Betroffene vor den teilweise gesundheitsschädlichen „Konversionstherapien“ bzw. „reparativen“ Verfahren bei Homosexualität zu schützen, und wie werden die Geschädigten von der Bundesregierung unterstützt angesichts der Tatsache, dass nicht nur christlich fundamentalistische Gruppen bis heute meinen, Homosexualität sei eine veränderbare Charaktereigenschaft, sondern auch einige approbierte Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten „Konversionsbehandlungen“ anbieten, um Homosexualität zu „heilen“? Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Liebe Kolleginnen und Kollegen, manches wird jetzt wiederholt, weil die Fragestellungen der vorherigen Fragen fast identisch sind und sich nur in wenigen Details unterscheiden. Nichtsdestotrotz, Herr Kollege Petzold, antworte ich Ihnen gerne wie folgt: Die Bundesregierung ist mit der Bundesärztekammer und dem Weltärztebund der Auffassung, dass Homosexualität keine Erkrankung ist und deshalb keiner Therapie bedarf. Die in Rede stehenden auf Beseitigung einer Homosexualität ausgerichteten Therapien werden in Fachkreisen abgelehnt. Ob die Anwendung oben genannter Therapien im Einzelfall gegen berufsrechtliche Pflichten des Arztes oder Psychotherapeuten verstößt, obliegt - das hatte ich vorhin schon gesagt - der Überprüfung der zuständigen Landesbehörden. Mit dem 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz hat die Bundesregierung wichtige Impulse gesetzt, um Patientinnen und Patienten im Behandlungsverhältnis zu schützen; denn die Entscheidung darüber, ob und welche Behandlung durchgeführt werden soll, trifft der Behandelnde nicht alleine. Rechtliche Grundlage für eine Behandlung ist immer die Einwilligung des Patienten, nachdem er vom Behandelnden - auch das ist wichtig - umfassend aufgeklärt wurde. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zu der beabsichtigten Behandlungsmaßnahme hinzuweisen. Hinweise zu Risiken und Chancen der vorgesehenen Behandlung und zu Behandlungsalternativen dürfen nicht auf eine abstrakte Risikobeschreibung beschränkt sein. Mit dem Patientenrechtegesetz wurde auch § 66 SGB V geändert. Die Krankenkassen sollen nunmehr Versicherte bei dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler unterstützen. Eine fehlerhafte Behandlung kann auch dann vorliegen, wenn keine Erkrankung vorliegt und trotzdem behandelt wird oder wenn falsche Therapiemethoden angewendet werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Kollege Petzold.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Nachfrage, sehr geehrte Frau Kollegin Fischbach. Was halten Sie davon, eine Studie in Auftrag zu geben, mit der wissenschaftlich fundiert erforscht wird, inwieweit derartige Behandlungstherapien in der Ärzteschaft verankert sind und inwieweit durch diese Therapien Schaden angerichtet wird?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Es gibt sehr viele Studien, die sich mit dem Thema beschäftigen. Aber anscheinend - so sieht es im Moment aus - gibt es größere Bedarfe. Wir werden in der Bundesregierung darüber reden und gegebenenfalls auch neue Studien in Auftrag geben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Petzold.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Sie hatten Mechanismen angesprochen, mit denen Patientenrechte geschützt werden. Inwieweit wird das durch die Bundesregierung in der öffentlichen Kommunikation unterstützt, bzw. mit welchen Maßnahmen sorgen Sie dafür, dass so etwas bekannt ist?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wir haben mit der Neubesetzung des Patientenbeauftragten eine Person innerhalb der Bundesregierung, die gerade dafür da ist, dafür zu sorgen, dass die Patientenrechte geschützt und eingehalten werden. Wir haben gerade heute Morgen im Ausschuss gehört, dass die Zahl der Rückmeldungen und Anfragen an diese Stelle sehr groß ist. Bis zu 7 000 Patienten wenden sich an den Patientenbeauftragten. Das zeigt, dass er in seiner Funktion wahrgenommen wird und dass die Rückanbindung dann auch in die Bundesregierung erfolgt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Vogler hatte sich noch für eine weitere Frage gemeldet.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die informierte Einwilligung des Patienten bzw. der Patientin die Voraussetzung für einen gültigen Behandlungsvertrag ist. Ich stelle mir die Frage, wie das vor allem bei Jugendlichen sicherzustellen ist. In diesem Fall sind es ja gar keine Patientinnen und Patienten, sondern es geht um junge Menschen, die gerade in der Phase ihres Coming-out in der Familie, im Freundeskreis und in der Schule Schwierigkeiten haben und vielleicht auch tatsächlich unter psychischen Druck geraten, weil ihre sexuelle Identität nicht allgemein anerkannt ist und sie vielleicht sogar von ihren Eltern zwangsweise einem solchen Scharlatan oder Pseudotherapeuten vorgeführt werden. Wie können sich diese jungen Menschen dagegen wehren, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Rechte junger Schwuler und Lesben zu stärken, damit sie sich gegen solche Zumutungen wehren können?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ganz klar müssen junge Menschen wissen, wo es Beratungsstellen gibt und wo sie jemanden finden, dem sie sich anvertrauen können, gerade auch in den Fällen, in denen die eigene Familie Schwierigkeiten macht oder dem jungen Menschen nicht die Unterstützung gibt, die er braucht, um sich in seiner Identität zu finden. Es ist ganz wichtig, dass er eine Beratungsstelle und eine vertrauensvolle Beratungsperson aufsuchen kann, die ihm hilft. Aber ich sage es noch einmal: Wir haben sehr viele gute Kampagnen und Informationsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gerade auch zum Coming-out-Prozess, wenn man sich fragt: Wie gehe ich damit um? Wie kann ich mein Selbstwertgefühl stärken? - Das muss noch stärker in die Schulen hineingetragen werden. Wir haben viele gute Rückmeldungen aus den Schulen. Ich glaube, es macht auch Sinn, das schon in den Sexualkundeunterricht mit einfließen zu lassen, damit die jungen Menschen früh genug wissen, welche Hilfestellungen es gibt und an wen sie sich wenden können.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe jetzt die Frage 4 des Abgeordneten Harald Petzold auf: Wie können sich Betroffene gegen eine „Konversionstherapie“ schützen, da es trotz der Entpathologisierung von Homosexualität in der ICD-10 ({0}) von 1991 weiterhin Möglichkeiten gibt, die nichtheterosexuelle Orientierung einer Patientin oder eines Patienten wie eine Erkrankung zu behandeln, und welche Initiativen ergreift die Bundesregierung, um die Möglichkeiten, „Konversionstherapien“ unter dem Deckmantel der ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung abrechnen zu können, einzuschränken?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich sage es noch einmal: Es wird sich einiges wiederholen, weil die Fragestellungen nicht sehr voneinander abweichen. Herr Kollege Petzold, angesichts der Tatsache, dass Homosexualität keine Krankheit ist, sollen Betroffene und deren Angehörige in die Lage versetzt werden, sich aktiv gegen eine solche Behandlung zu entscheiden. Voraussetzung dafür sind eine sachliche Aufklärung und Information des Betroffenen über Homosexualität, wie sie zum Beispiel - ich habe das gerade in meiner Antwort auf die Zusatzfrage gesagt - von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erfolgen. Dort werden Homosexualität, homosexuelles Coming-out und homosexuelle Persönlichkeitsentwicklung umfangreich im Rahmen der Sexualaufklärung thematisiert sowie in unterschiedlichen, kostenlosen und leicht zugänglichen Medien - es ist auch wichtig, dass der Zugang einfach ist - als normaler Teil von Sexualität kommuniziert. Im Regelfall ist die Durchführung einer psychotherapeutischen Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und meistens auch zulasten der privaten Krankenversicherung von der Bestätigung des Behandlungsplans durch einen Gutachter abhängig. Dieser prüft auf der Grundlage eines Berichts des Behandelnden, ob die beantragte Psychotherapie im jeweiligen Behandlungsfall indiziert ist. Dies dürfte nach der in meiner Antwort auf Frage 3 erwähnten Einschätzung derartiger Konversionstherapien zu verneinen sein.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Kollege Petzold.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich habe die Nachfrage, was Ihr Ministerium unternimmt angesichts der Tatsache - Frau Vogler hat darauf hingewiesen -, dass in der Zwischenzeit in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, dass derartige Therapien zur Anwendung kommen. Wenn so etwas bekannt wird, muss doch staatsanwaltschaftlich gegen die entsprechenden Therapeuten zum Beispiel wegen Körperverletzung vorgegangen werden.

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich sage es noch einmal: Die Aufsicht über die Berufsausübung bei den Heilberufen obliegt den Ländern. Es geht darum, dass sich die Betroffenen melden und Anzeige erstatten, damit entsprechend gehandelt werden kann. Die Bundesregierung kann für niemanden einen Arzt verklagen. Sie kann in den entsprechenden Fällen nur auf die Länder einwirken, für große Öffentlichkeit zu sorgen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Für eine zweite Zusatzfrage hat der Kollege Petzold das Wort.

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben die Möglichkeiten, Zugang zu den entsprechenden Informationen zu bekommen, angesprochen. Meine zweite Zusatzfrage lautet deswegen: Sind Sie als Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums bereit, beispielsweise auf der Startseite Ihrer Internetpräsentation einen sehr schnellen Zugang zu den entsprechenden Informationen zu schaffen bzw. das, was Sie hier über die fachliche Auffassung Ihres Hauses gesagt haben, dort zu dokumentieren, und zwar leicht auffindbar und erkennbar?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wir überarbeiten die Internetseite unseres Hauses ständig und überlegen in Gesprächen immer gemeinsam, an welchen Stellen bestimmte Sachverhalte aufgenommen werden sollen bzw. aufgenommen werden müssen. Das werden wir auch in diesem Fall tun.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dann hat die Kollegin Vogler noch eine Frage.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen, dass es umfangreiches Aufklärungsmaterial gibt, das kostenlos und leicht zugänglich zur Verfügung steht. Sie haben des Weiteren auf die Sexualaufklärung vor Ort in Schulen und in den Kommunen hingewiesen. Nun frage ich Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass in letzter Zeit in vielen Kreisen und Kommunen gerade die Projekte zur Sexualaufklärung Jugendlicher aus Geldmangel oder aus politischer Opportunität gestrichen worden sind bzw. erst gar nicht bewilligt worden sind. Ich war kürzlich in Paderborn, um eine Spende unseres Fraktionsvereins an den Verein pro familia zu überbringen, der super Aufklärungsarbeit leistet und super Präventionsprojekte für Jugendliche und Menschen mit Behinderung durchführt. Dieser Verein bekommt aber vom Kreis Paderborn keinen einzigen Cent dafür. Meine Frage lautet: Kann sich die Bundesregierung vorstellen, Kommunen dabei zu unterstützen und sie aufzufordern, sich diesen Fragen wieder mehr zuzuwenden?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, Sie verstehen sicherlich, dass ich keine Zusage machen kann, dass die Bundesregierung jetzt Paderborn unterstützt in der Ausübung der Tätigkeiten, die die Kommune aufgrund des SGB VIII vor Ort leisten muss. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung über Modellprojekte diese Themen immer wieder in die Fläche bringt. Das werden wir - genauso wie bisher - auch in diesem Fall tun. Wir können an der Stelle nur immer wieder darauf hinweisen, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hervorragende Materialien kostenlos zur Verfügung stellt. Auch die Stadt Paderborn, bei der Sie waren, könnte darauf zurückgreifen und eine vielleicht noch bessere Aufklärungsarbeit leisten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Harald Weinberg sowie die Fragen 7 und 8 der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Frage 9 des Kollegen Dr. André Hahn, die Fragen 10 und 11 des Kollegen Stephan Kühn sowie die Fragen 12 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn und 13 des Kollegen Herbert Behrens werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: In welcher Höhe hat Deutschland in den vergangenen zehn Jahren finanzielle Mittel für Bauten des US-Militärs und der NSA in Deutschland, beispielsweise das European Cryptologic Center - „Dagger Complex“ - in Darmstadt bzw. Wiesbaden, beigesteuert - bitte einzeln aufschlüsseln nach Jahren und Bauprojekten -, und was ist gegebenenfalls der Grund für deutsche Zahlungen für einen US-Geheimdienst, der nach Dokumenten Edward Snowdens verdächtig ist, Millionen von Kommunikationsverbindungen deutscher Staatsbürger illegal, anlasslos und verdachtsunabhängig ausgespäht, gespeichert und ausgewertet zu haben, und für Zahlungen für das US-Militär, die in zehn Jahren 600 Millionen Euro betragen haben sollen ({0})? Zur Beantwortung erhält die Staatssekretärin Frau Schwarzelühr-Sutter das Wort.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, entsprechend den Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut - ZA NTS sowie mit den in Deutschland stationierten US-Streitkräften bilateral abgeschlossenen Vereinbarungen - das sind die Auftragsbautengrundsätze ({0}) - werden die Baumaßnahmen der US-Streitkräfte - Neubau-, Umbau- und Erweiterungsbauten - sowie Bauunterhalt in der Regel von der Bundesrepublik Deutschland für die US-Streitkräfte durchgeführt. Die Baukosten dieser Baumaßnahmen werden vollständig von den US-Streitkräften getragen. Zudem entschädigen die US-Streitkräfte den Bund für die Durchführung der Baumaßnahmen. Diese Entschädigung - durchschnittlich 6 Prozent der Baukosten - deckt nicht die tatsächlichen Kosten der Planungs- und Bauherrenleistungen, die der Bund den Ländern für die Tätigkeit der organgeliehenen Bauverwaltungen erstattet. Diese Differenz, das heißt der Finanzierungsbeitrag des Bundes, betrug in den letzten zehn Jahren insgesamt rund 824 Millionen Euro. Eine detaillierte Aufschlüsselung nach Jahren und Bauprojekten ist aufgrund der sehr umfangreichen Projektanzahl in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich und zudem wegen der Vielzahl und Kleinteiligkeit der Maßnahmen mit erheblichem Personalaufwand verbunden. Auftraggeber der vom Bund für die USStreitkräfte durchgeführten Baumaßnahmen sind ausschließlich Dienststellen der US-Streitkräfte. Baumaßnahmen für nichtmilitärische Einrichtungen sind durch die vorgenannten Abkommen und Vereinbarungen nicht gedeckt und werden von der Bundesregierung bzw. von den für den Bund tätigen Bauverwaltungen auch nicht übernommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Heißt das konkret - ich habe nach der NSA gefragt -, dass für NSA und CIA - das sind Geheimdienste der Vereinigten Staaten von Amerika - keinerlei Kosten anfallen, seien es Kosten für die Durchführung der Bauten, seien es Kosten für den Geländekauf oder Ähnliches? Ich habe auch zwei Beispiele genannt.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich kann meine Antwort nur wiederholen: Es gibt eine Unterscheidung zwischen denjenigen Baumaßnahmen, die durch die Abkommen und die bilateralen Vereinbarungen gedeckt sind, und denen, die es nicht sind. Dabei verweise ich auf meine vorherige Antwort.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt muss ich die zwei weiteren Fragen miteinander verbinden, weil Sie meine Frage nicht beantwortet haben. Heißt das konkret, dass für diese Baumaßnahmen, also etwa die Verlegung der NSA-Dienststelle von Darmstadt offenbar nach Wiesbaden, keinerlei Kosten von der Bundesregierung getragen werden? Sie haben auch eine weitere Frage nicht beantwortet: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass Deutschland rund 800 Millionen Euro insgesamt für solche Baumaßnahmen ausgibt?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Der Grund - ich hatte das eingangs gesagt - sind die Abkommen, die wir mit den US-Streitkräften haben. Sie beziehen sich auf den Dagger Complex in Darmstadt. Da wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene Baumaßnahmen mit einem Gesamtvolumen der Baukosten von unter 5 Millionen Euro im Auftragsbauverfahren von der Bundesbauverwaltung für die Streitkräfte durchgeführt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen damit zur Frage 15 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl: Kann das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, BMUB, ausschließen, dass im letzten und in diesem Jahr in den diversen Gesprächen zwischen Vertretern des BMUB und der Atommüll-/Abfallverursacher zu Endlager- und Entsorgungsfragen wie beispielsweise zum Schacht Konrad ({0}) von Abfallverursacherseite eine mögliche Veränderung des bisherigen Systems der Entsorgungsrückstellungen ins Spiel gebracht wurde, und hatte das BMUB vor dem 11. Mai 2014 von etwaigen Gesprächen anderer Bundesressorts, insbesondere des Bundeskanzleramtes, mit Vertretern der AKW-betrei2948 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn benden Energiekonzerne bzw. der Abfallverursacher zu einer möglichen Veränderung des bisherigen Systems der Entsorgungsrückstellungen und/oder übergeordneten Überlegungen einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und Atommüll in dieser Wahlperiode gegebenenfalls Kenntnis? Frau Staatssekretärin, auch hier haben Sie das Wort.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Kollegin KottingUhl, zu dieser Thematik hat es weder Verhandlungen der Bundesregierung mit Vertretern der Energiekonzerne gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung. Dass am Rande von sonstigen Gesprächen einzelne EVU-Vertreter an Vertreter des BMUB oder anderer Ressorts diese oder ähnliche Überlegungen herangetragen haben, kann seitens des BMUB denktheoretisch nicht ausgeschlossen werden. Die Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung und die Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung sowie der Entsorgung zu tragen. Die für die radioaktiven Abfälle verantwortlichen Energiekonzerne haben hierfür in den Handelsbilanzen Rückstellungen in Höhe von circa 36 Milliarden Euro, Stichtag: 31. Dezember 2013, passiviert. Nach dem geltenden Verursacherprinzip liegt die volle Kostenverantwortung bei den Unternehmen. Dabei muss gewährleistet sein, dass die erforderlichen finanziellen Mittel im Bedarfsfall zur Verfügung stehen. Entsprechend dem Koalitionsvertrag wird die Bundesregierung über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen mit den Energieversorgungsunternehmen Gespräche führen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kotting-Uhl, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter. Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, was den zweiten Teil betrifft, also die Frage, wer die Verantwortung trägt. Der erste Teil Ihrer Antwort, was die Kenntnis über Gespräche, sofern es überhaupt welche gab, betrifft, widerspricht einer Antwort, die mein Kollege Krischer aus dem Ministerium von Herrn Gabriel bekommen hat. Darin sind nämlich Gespräche zwischen Herrn Gabriel und Herrn Altmaier einerseits mit Herrn Terium von RWE und Herrn Teyssen von Eon andererseits durchaus bestätigt worden. Es heißt in dieser Antwort, dass entsprechende Überlegungen vonseiten der Kernkraftwerke betreibenden Energieversorgungsunternehmen in allgemeiner Form und ohne Konkretisierungen Mitgliedern der Bundesregierung vorgetragen wurden. Hat Ihr Ministerium davon überhaupt keine Kenntnis gehabt? Hat man Sie also durch das Ministerium für Wirtschaft und Energie über diese Gespräche nicht in Kenntnis gesetzt?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich habe gerade betont: Es gab keine Verhandlungen und auch keine Beschlüsse. Dass dieses Thema am Rande irgendwelcher anderen Gespräche mit BMUBVertretern behandelt wurde, kann ich denktheoretisch nicht ausschließen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Zweite Zusatzfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Halten Sie es denn für möglich, Frau Staatssekretärin, dass die Energieversorger bei solchen Gesprächen in allgemeiner Form darstellen, was sie sich vorstellen, und dass darauf überhaupt nicht reagiert wird, dass man das Ganze also stumm zur Kenntnis nimmt? Gab es Ihrer Kenntnis nach keinerlei Reaktion? Zweitens. Ist das BMUB davon in Kenntnis gesetzt worden, dass es gar keine Reaktion gab, bzw. davon, dass es eine gab?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich möchte noch einmal darauf verweisen, dass es keine Verhandlungen und Beschlüsse gab, die dieses Thema zum Inhalt hatten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Es gibt noch weitere Nachfragewünsche. Zunächst hat die Kollegin Lemke das Wort.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Verhandlungen und Beschlüsse“ habe ich verstanden, Frau Staatssekretärin. Vielen Dank für die Auskunft. Ich möchte nur zum Punkt Gespräche nachfragen; den Punkt „Verhandlungen und Beschlüsse“ lassen wir einmal außen vor. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Wirtschaftsministerium und Kanzleramt in Gesprächen mit den EVU über die Frage Entsorgungsrückstellungen gesprochen haben und dass sie das BMUB darüber nicht informiert haben?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Die Liste der Gespräche und Gesprächsteilnehmer ist ja nachher Gegenstand einer Frage von Herrn Meiwald, gerichtet an das BMUB, und einer weiteren Frage, gerichtet an das BMWi. Ich möchte jetzt einfach darum bitten, dass ich Ihnen diese Liste nachher zukommen lassen darf. ({0}) - Es gab keine Gespräche, in denen dieses Thema im Mittelpunkt stand. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Natürlich können Sie eine weitere Nachfrage stellen, Frau Lemke. Ich bitte Sie aber, dafür meine Worterteilung abzuwarten und nicht dazwischenzurufen. - Bitte, Frau Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe verstanden, dass offensichtlich, so wie Sie es sagten, keine Gespräche zwischen den EVU und dem BMUB stattgefunden haben. Aber wir haben in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer in den letzten Tagen erfahren, dass BMWi und Kanzleramt mit den EVU sehr wohl darüber gesprochen haben; nicht verhandelt und nicht beschlossen, aber gesprochen haben. Ich wollte nur wissen, ob das BMUB über diese Gespräche, die in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer dargelegt worden sind, informiert wurde.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich kann das nicht ausschließen, aber ich verweise dazu noch einmal auf die folgenden Fragen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat sich noch die Kollegin Höhn zu Wort gemeldet.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, es gab gerade dieser Tage im Handelsblatt einen Artikel, in dem deutlich wurde, dass der Vattenfall-Konzern die Haftungsmöglichkeiten für zukünftige Kosten im Zusammenhang mit dem Atommüll jetzt einfach auf seine deutsche Tochter überträgt. Die Haftung, für die sonst der gesamte Konzern die Verantwortung gehabt hätte, liegt jetzt nur noch bei der deutschen Tochter. Das Ganze läuft seit 2012. Ist das BMUB über diese Umstrukturierung nicht informiert worden? Hat es sich darüber nicht informiert? Das ist doch bekannt! Wie konnte das BMUB in eine solche Falle laufen angesichts der Tatsache, dass sich die Unternehmen zunehmend aus der Verantwortung für zukünftige Schäden ziehen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Frau Höhn, Sie verknüpfen jetzt mehrere Themenbereiche, nämlich das Thema der Entsorgungsfonds und die Frage, wie Vattenfall sich unternehmerisch aufgestellt hat. Ich möchte beide Themen gern trennen. Zu dem Thema Entsorgung hat es, wie ich es gerade gesagt habe, keine Verhandlungen und keine Beschlüsse gegeben. Ich könnte jetzt der Frage von Frau KottingUhl vorgreifen, die darauf gerichtet ist, zu erfahren, wie sich die Situation für die Muttergesellschaft durch Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge verändert hat. Ich kann die Antwort auf diese Frage gern vorziehen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat aber zunächst die Kollegin Verlinden das Wort.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, Sie könnten nicht ausschließen, dass es einen Austausch oder Informationen über diese Gespräche im Bundeskanzleramt und im Wirtschaftsministerium gegeben hat. Dann frage ich Sie jetzt ganz direkt: Welche Form von Besprechungen und schriftlichen Abstimmungen hat es denn zu dem Thema „AKW-Rückbau“ und zu dem Thema „Atommüllentsorgung und die betreffenden Rückstellungen“ zwischen den beiden zuständigen Ressorts, also dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium, in dieser Wahlperiode bisher gegeben? Wann haben diese Besprechungen, insbesondere auf Leitungsebene, stattgefunden, und was war das Ergebnis dieser Besprechungen grundsätzlicher Art? Solche Besprechungen müssten Sie ja durchgeführt haben, nehme ich einmal an, weil das Thema ziemlich relevant ist.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Auch Sie greifen einer Frage vor, nämlich der Frage von Herrn Meiwald. Aber ich beantworte sie Ihnen gern, Frau Verlinden. Folgende Gespräche auf Leitungsebene des BMUB mit hochrangigen Vertretern von Kernkraftwerke betreibenden Energiekonzernen fanden in dieser Legislaturperiode statt: Am 25. April 2014 gab es ein Telefonat von Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Dr.-Ing. Bernhard Fischer von Eon Generation GmbH zum Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsgegenstand. Am 19. Mai 2014 gab es ein Telefonat von Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Dr.-Ing. Hans-Josef Zimmer von EnBW. Auch dabei ging es um das Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsthema. ({0}) - Sie wollten die Gespräche und die Termine wissen. Ich trage es Ihnen gerade detailliert vor. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen jetzt zur nächsten Frage. ({0})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Schriftverkehr gibt es keinen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Entschuldigung! Wir haben noch eine ganze Reihe von Fragen zu dem Themenkomplex. Ich würde einfach darum bitten, dass im Rahmen der Behandlung der weiteren Fragen noch Nachfragen gestellt werden. ({0}) Ich rufe jetzt die Frage 16 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf: Bestehen nach Kenntnis des BMUB jeweils zwischen der Vattenfall Europe Sales GmbH einerseits und der Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und der Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG andererseits jeweils Gewinnabführungs- und/oder Beherrschungsverträge, und falls nein, welche Konsequenzen ergeben sich hieraus aus Sicht des BMUB bezüglich einer möglichen oder nicht möglichen finanziellen Heranziehung der Vattenfall Europe Sales GmbH im nuklearen Haftungsfall oder bei einem Nichtausreichen der finanziellen Mittel der beiden oben genannten Betreibergesellschaften von Brunsbüttel und Krümmel für Rückbau und Entsorgung des betreffenden Atomkraftwerks und Atommülls?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Frau Kotting-Uhl, gemäß der Solidarvereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen ist jedes Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge in Bezug auf die Betreibergesellschaften derjenigen Kernkraftwerke abzuschließen, für die sie die Muttergesellschaften sind. Hieraus ergibt sich eine unbegrenzte Haftung der jeweiligen Muttergesellschaft mit ihrem gesamten Betriebsvermögen für finanzielle Verbindlichkeiten, die beim Inhaber des Kernkraftwerks entstehen. Bei Vattenfall ist die Vattenfall GmbH als Vertragspartner der Solidarvereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, Beherrschungsoder Gewinnabführungsverträge in Bezug auf die Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und die Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG abzuschießen. Die in der Frage adressierte Vattenfall Europe Sales GmbH ist eine für den Vertrieb zuständige Tochtergesellschaft Vattenfalls.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Staatssekretärin. - Wir wissen bereits, dass bei Vattenfall keine Beherrschungsverträge mehr mit der Mutterfirma - dem großen schwedischen Konzern - existieren, sondern dass das bereits auf die deutsche Tochter übertragen wurde. Es gibt durchaus Hinweise, dass eventuell geplant ist, innerhalb der deutschen Holding diese beiden AKW-Betriebsgesellschaften abzuspalten bzw. zu isolieren. Ich möchte jetzt gerne von Ihnen erfahren, ob Sie wissen, welche Laufzeit diese Verträge zwischen den Betriebsgesellschaften und der Muttergesellschaft haben und ob die deutsche Vattenfall Holding, solange diese Verträge bestehen, verpflichtet ist, die Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und die Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG finanziell zu unterstützen, falls deren eigene Mittel - das ist der Hintergrund der Frage - für die Verpflichtungen in Bezug auf den Rückbau und die Entsorgung nicht ausreichen. Ist das BMUB darüber informiert?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Zu der finanziellen Verantwortung der Vattenfall GmbH: Gemäß der Solidarvereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen ist die Vattenfall GmbH zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH verpflichtet. Letztere wiederum ist verpflichtet, jeweils einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag mit der Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und der Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG abzuschließen. Bis zum Herbst 2012 bestand ein im Jahr 2008 geschlossener Beherrschungsvertrag zwischen dem schwedischen Mutterkonzern Vattenfall AB und der Vattenfall Europe AG, die zum damaligen Zeitpunkt Vertragspartner der Solidarvereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen war. Durch die Verschmelzung der Vattenfall Europe AG mit der Vattenfall Deutschland GmbH entstand die heutige Vattenfall GmbH, und der Beherrschungsvertrag mit Vattenfall AB endete. Für die finanziellen Verbindlichkeiten der Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. OHG und der Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. OHG haften aufgrund der in der Solidarvereinbarung angeordneten Verpflichtung zum Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen die Vattenfall GmbH und die Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich habe noch eine weitere Frage, um das vielleicht noch ein bisschen verständlicher zu machen: Hat die Bundesregierung bzw. das Bundesumweltministerium Erkenntnisse darüber, in welcher Höhe die Betriebsgesellschaften in Brunsbüttel und in Krümmel ihre Rückstellungen jeweils auf Rückbau, Zwischenlagerung und Endlagerung verteilen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Es wird regelmäßig überprüft, ob die Rückstellungen entsprechend vorgenommen worden sind. Ich gehe davon aus - mir liegen keine anderen Erkenntnisse vor -, dass dies geschah.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Höhn hat sich noch gemeldet; sie hat jetzt das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich hatte eben eine Frage gestellt, die Sie auch jetzt nicht beantwortet haben, obwohl Sie eine entsprechende Antwort angekündigt hatten. Seit 2012 gibt es eine Umstrukturierung im Vattenfall-Konzern. Danach ist in Bezug auf zukünftige Schäden zu befürchten, dass eine ausreichende Haftung nicht mehr gewährleistet werden kann. Hat es keinerlei Gespräche zwischen dem damaligen BMU, dem jetzigen BMUB, und Vattenfall darüber gegeben, wie man dieses Risiko minimieren kann?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Frau Höhn, mit Ihrer Frage unterstellen Sie im Prinzip, dass Vattenfall seinen Haftungsverpflichtungen nicht nachkommt. Ich habe versucht, Ihnen darzulegen, dass sich die Rechtsform von Vattenfall zwar geändert hat, die Verpflichtung als solche aber nicht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Peter Meiwald.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie fragen: Gibt es vonseiten des BMUB eine Einschätzung dazu, wie hoch die Summe der Rückstellungen eigentlich sein müsste, um die auflaufenden Kosten für Zwischenlagerung, Rückbau der Kraftwerke Krümmel und Brunsbüttel und Endlagerung zu decken? Gibt es dazu Abschätzungen auf Basis der dem BMUB vorliegenden Referenzstudien für den AKW-Rückbau? Können Sie einschätzen, ob die Kraftwerksbetreiber über ausreichend Rückstellungen verfügen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrter Kollege Meiwald, ich hatte eingangs gesagt, dass mit Stichtag Ende letzten Jahres Rückstellungen in Höhe von ungefähr 36 Milliarden Euro vorhanden waren. Die Energieversorgungsunternehmen sind zur Übernahme der Kosten für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung verpflichtet. Das ist der Stand der Dinge.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Frage 17 des Abgeordneten Oliver Krischer wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 18 der Abgeordneten Steffi Lemke auf: Welche neueren schriftlichen Erkenntnisse liegen dem BMUB zu den Kosten des Rückbaus und der Entsorgung von Leistungsreaktoren und des betreffenden betrieblichen und des Rückbauatommülls vor - bitte jeweils konkrete Angabe von Titel, Autor und Datum machen -, und welche Konsequenzen ergeben sich für das BMUB aus diesen Erkenntnissen in Bezug auf einen etwaigen Veränderungsbedarf am bisherigen System der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls, insbesondere bezüglich Verfügbarkeit und Insolvenzfestigkeit? Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrte Frau Kollegin Lemke, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit liegen keine neueren schriftlichen Unterlagen zu den Kosten der Stilllegung und des Rückbaus von Leistungsreaktoren sowie der Entsorgung der betreffenden radioaktiven betrieblichen und Rückbauabfälle vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Lemke, bitte.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das heißt, die Referenzkostenstudie der Firma NIS zum Rückbau in Greifswald ist dem BMUB unbekannt?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Frau Lemke, das muss ich prüfen. Das weiß ich nicht; das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich würde Ihnen das schriftlich nachreichen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, dann würde ich gern meine zweite Nachfrage stellen, wenn ich darf.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Gern.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Nachfrage bezieht sich auch auf Ihre Antwort auf die Frage der Kollegin Höhn. Nachdem die EVU in den letzten Wochen presseöffentlich bekannt gegeben haben, dass sie die Entsorgungskosten gern auf die öffentliche Hand übertragen möchten: Vertrauen Sie den EVU, dass es keinerlei Bestrebungen gibt, sich dieser Kostenrelevanz möglicherweise zu entziehen, zum Beispiel durch Umstrukturierungen in Unternehmen? Die Bundesregierung scheint auch nach dem Diskurs über den öffentlichen Entsorgungsfonds darauf zu vertrauen, dass alle EVU den gesetzlichen Verpflichtungen bezüglich ihrer Entsorgungsrückstellungen freiwillig und vollständig nachkommen werden, und zwar auch in Anbetracht der europäischen Finanzmarktkrise, die wir in den letzten Jahren erlebt haben.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich verweise noch einmal darauf, dass die Energieversorgungsunternehmen die volle Kostenverantwortung tragen. Die Rückstellungen wurden in besagter Höhe gebildet. Gemäß dem Koalitionsvertrag werden wir in diesem Zusammenhang mit den Unternehmen Gespräche führen, um sicherzustellen, dass sie ihrer Verpflichtung nachkommen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie vertrauen ihnen also tatsächlich.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Das habe ich so nicht gesagt, Frau Kollegin Lemke. Wir überprüfen die rechtliche Situation. Wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass die rechtlichen Vorgaben nicht eingehalten werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Kollegin Kotting-Uhl auf, die sich ebenfalls zu einer Nachfrage gemeldet hat.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, ich entnehme Ihren bisherigen Ausführungen, dass die Bundesregierung darauf vertraut, dass die Rückstellungen vorhanden, ausreichend und insolvenzfest sind. Den Vorstoß der drei Konzerne - es geht dabei um Stiftung, Bad Bank usw. und um das Angebot, die Rückstellungen dort einzuzahlen; damit werden alle Risiken auf die öffentliche Hand übertragen - kann man durchaus so interpretieren, dass innerhalb der Konzerne die Sorge besteht, dass diese Rückstellungen nicht ausreichen und dass das, was sich in den Rückstellungen befindet, nicht insolvenzsicher ist. Dies erschließt sich schon daraus, dass die Rückstellungen zum Teil in Kohlekraftwerke und andere nicht zukunftsfähige Bereiche gesteckt wurden. Gibt es im BMUB ausgehend von dem Artikel im Spiegel und den Gesprächen der Energieversorgungsunternehmen mit Minister Gabriel und Minister Altmaier Überlegungen bezüglich der Insolvenzsicherheit der Rückstellungen? Oder geht die Bundesregierung nach wie vor davon aus, dass alles in trockenen Tüchern und damit sicher ist?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Die Bundesregierung hat diesen Punkt aus dem Koalitionsvertrag aufgenommen. Über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen werden wir mit den Energieversorgungsunternehmen sprechen, das heißt, wir sprechen darüber, wie die Rückstellungen gesichert werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat Frau Höhn das Wort für eine weitere Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin gesagt, dass bezüglich des Vorschlags einer Bad Bank keine offiziellen Gespräche stattgefunden haben, sondern nur am Rande darüber gesprochen wurde. Wir haben gerade verschiedene andere Komplexe angesprochen, beispielsweise die Umstrukturierung von Vattenfall. Es gibt auch noch den Komplex der Schadensersatzklage von Vattenfall gegen die Bundesregierung in einer Höhe von 3,7 Milliarden Euro wegen der kurzfristig veränderten Laufzeit, die Angela Merkel durchgesetzt hat. Haben über all diese Komplexe - also Umstrukturierung und Klagen; nicht nur Vattenfall, sondern auch die anderen Konzerne haben entsprechende Klagen angedroht keine offiziellen Gespräche zwischen BMU und den Unternehmen stattgefunden?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Frau Kollegin Höhn, ich habe vorhin gesagt, dass es keine Verhandlungen und Beschlüsse gab. Was die Inhalte von Gesprächen betrifft, verweise ich auf die Fragen von Herrn Meiwald an das BMUB und an das BMWi. Natürlich wird es immer wieder Gespräche geben. Auch in den letzten 14 Jahren - hier schließe ich andere Regierungskonstellationen nicht aus - haben Gespräche mit Energieversorgungsunternehmen immer wieder stattgefunden. Die Themen und Inhalte werde ich nachher bei der Beantwortung der nachfolgenden Fragen detailliert aufzeigen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Wilms das Wort für eine weitere Nachfrage.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau SchwarzelührSutter, ich möchte einen Blick nach Schleswig-Holstein, in den Norden werfen. Erwartet das BMUB, falls das Urteil des OVG Schleswig zum Zwischenlager Brunsbüttel rechtskräftig wird, zusätzliche Zwischenlagerkosten, und zwar nicht nur unmittelbar für das Zwischenlager Brunsbüttel, sondern bundesweit? Wie weit sind Sie hier mit Ihren Überlegungen? Sind Sie über den Stand von Gesprächen hinausgekommen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrte Frau Kollegin Wilms, wir beschäftigen uns mit dem Castorrücktransport und dementsprechend mit den Zwischenlagern. Sie können versichert sein, dass wir alles dafür tun werden, unserer Pflicht und Verantwortung nachzukommen und die Energieversorgungsunternehmen, die dafür die Verantwortung tragen und die Kosten übernehmen müssen, entsprechend mit einzubeziehen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Zdebel das Wort für eine weitere Nachfrage.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, die Mittel für Rückstellungen werden im Wesentlichen investiert; sie stehen also kurzfristig gar nicht zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund frage ich noch einmal: Mit welcher Strategie geht die Bundesregierung in die Gespräche mit den Energiekonzernen, was die Rückstellungen angeht? Sie haben bisher nur gesagt, dass Sie Gespräche führen wollen. Es ist mir aber überhaupt noch nicht klar, mit welcher Strategie Sie diese Gespräche führen wollen, um dafür zu sorgen, dass die Rückstellungen tatsächlich insolvenzsicher gestaltet werden. Dazu muss es doch schon Vorstellungen der Bundesregierung geben.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Herr Zdebel, ich hatte schon vorhin auf den Koalitionsvertrag hingewiesen. Es ist uns wichtig, dass den rechtlichen Verpflichtungen nachgekommen wird und die Rückstellungen sicher sind. Wir nehmen das ernst, und deswegen wollen wir diese Gespräche führen; das haben wir schon frühzeitig im Koalitionsvertrag fixiert.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen jetzt zur Frage 19 des Abgeordneten Peter Meiwald: Welche Gespräche des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit mit hochrangigen Vertretern von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen fanden in dieser Wahlperiode auf Leitungsebene statt - bitte differenzierte Angaben machen wie in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 19 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 17/11922 in Verbindung mit der Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage 17 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf Bundestagsdrucksache 17/12042, also Datum, Teilnehmer und Themen -, und in welchen dieser Gespräche ging es auch um Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der Atomkraftwerke bzw. des Atommülls dieser Energiekonzerne? Frau Staatssekretärin, Sie haben wieder das Wort.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Herr Meiwald, folgende Gespräche auf Leitungsebene des BMUB mit hochrangigen Vertretern Kernkraftwerke betreibender Energiekonzerne fanden in dieser Legislaturperiode statt: Am 25. April 2014 Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Herrn Dr. Bernhard Fischer von der Eon Generation GmbH: Telefonat zum Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsgegenstand. Am 19. Mai 2014 Staatssekretär Jochen Flasbarth mit Dr. Hans-Josef Zimmer von EnBW: Telefonat zum Thema Standortzwischenlager. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls waren kein Gesprächsgegenstand. Am 12. Februar 2014 die Bundesministerin mit Dr. Johannes Teyssen von Eon. Thema des Gesprächs war die Energiepolitik, und zwar die Energiewende und der Klimaschutz, die Klimaziele für 2030 und die Reform des ETS. Am 12. Februar 2014 ein Gespräch der Bundesministerin mit Peter Terium, Dr. Johannes Teyssen, Gérard Mestrallet, Fulvio Conti, Ignacio S. Galán, Dr. Gertjan Lankhorst, Daniel Benes, Dr. Gerhard Roiss, Dr. h. c. Tapio Kuula, also mit Vertretern entsprechender Unternehmen. Hier ging es um ein Gespräch der Bundeskanzlerin unter Teilnahme von Bundesminister Altmaier, Bundesministerin Hendricks und Bundesminister Gabriel mit Vorstandsvorsitzenden europäischer Energiekonzerne zu Fragen der europäischen Energiepolitik. Am 21. Februar 2014 gab es ein Gespräch der Bundesministerin und des Abteilungsleiters KI - Klimaschutzpolitik - mit Herrn Terium und Herrn Heinacher von RWE. Da ging es um aktuelle energiepolitische Themen wie Strompreise, Netzausbau und Klimaziele. In keinem dieser Gespräche ging es um Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der AKW bzw. des Atommülls dieser Energiekonzerne.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Kollege Meiwald.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die detaillierte Übersicht. Ich muss Sie, nachdem Sie mehrfach auf den Koalitionsvertrag und seine Implikationen hingewiesen haben, trotzdem fragen: Gibt es eine inhaltliche Begründung dafür, dass die im Koalitionsvertrag angedeuteten Gespräche mit dem Ziel, die Verpflichtung zum Rückbau zu klären, noch nicht stattgefunden haben?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Mir ist keine inhaltliche Begründung bekannt.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine weitere Frage, die ein bisschen in eine andere Richtung geht: Kann das BMUB bestätigen, dass es hinsichtlich des bisherigen Systems der EVU-Rückstellungen Änderungsbedarf gibt, und wenn ja, welchen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt erhält die Kollegin Kotting-Uhl das Wort zu einer Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, Sie vertreten hier die Bundesregierung und insbesondere das Bundesumweltministerium. Ich finde, diese Antworten kann man so nicht durchgehen lassen; es tut mir leid. Wir haben den Atomausstieg beschlossen. Da ist klar: Die AKW müssen rückgebaut werden. Wir haben ein Standortauswahlgesetz beschlossen, wir haben die Einsetzung einer Kommission beschlossen, die sich mit Grundsatzfragen befassen wird; sie wird morgen zum ersten Mal tagen. Bei all dem geht es um die Lagerung des hochradioaktiven Mülls. Davor geht es nun um den Rückbau der Atomkraftwerke, denn er steht an. Es kann nicht sein, dass Gespräche mit den Energieversorgern über Klimaschutz, europäische Energiepolitik und was weiß ich was alles stattfinden - all das ist extrem wichtig -, aber kein Wort über das gewechselt wird, was jetzt in Deutschland akut ansteht: nämlich der Rückbau und daran anschließend die Entsorgung, über die man sich jetzt Gedanken machen muss. Es stellt sich auch die Frage, ob ausreichend Rückstellungen vorhanden sind und ob diese insolvenzsicher sind. Ich kann mir schlichtweg nicht vorstellen - ansonsten müsste ich der Bundesregierung und dem BMUB absolute Ignoranz vorwerfen -, dass Sie mit den Energieversorgern kein Jota über diese elementar wichtigen Fragen, deren Klärung jetzt ansteht, gesprochen haben. Deswegen möchte ich Sie noch einmal fragen: Sind Sie sich absolut sicher, dass in all den Gesprächen oder auch in anderen Gesprächen, die Sie uns vielleicht jetzt nicht aufgelistet haben, nicht über diese wichtigen Fragen gesprochen wurde?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Frau Kotting-Uhl, die Bundesregierung ist sich ihrer Verpflichtung bewusst. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Ausstieg aus der Atomenergie. Dazu sind bereits gesetzliche Regelungen vorhanden. Es ist kein neuer Aspekt, dass Kernkraftwerke stillgelegt und rückgebaut werden, dass Atommüll zwischengelagert und entsorgt werden muss. Wir befinden uns, wie Sie es angedeutet haben, in einem Prozess. Auch den Rücktransport der Castoren möchte ich ansprechen. Aufgrund des in diesem Zusammenhang geschlossenen Kompromisses haben wir das Standortauswahlgesetz auf den Weg gebracht. Morgen findet die konstituierende Sitzung der Endlagerkommission statt. Insofern ist eine gesetzliche Grundlage vorhanden. Ich habe Ihnen bereits gesagt: Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass spezifisch zu diesem Thema Gespräche mit Vertretern geführt wurden, auch nicht am Rande.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Bärbel Höhn das Wort zu einer Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Vattenfall hat wegen der Kürzung der vereinbarten Laufzeit und des Atomausstiegs gegen die Bundessregierung geklagt und fordert eine Entschädigung in Höhe von 3,7 Milliarden Euro. Auch andere Unternehmen klagen. Bei den Klagen geht es um eine Summe von insgesamt 15 Milliarden Euro. Jetzt wird versucht, diese 15 Milliarden Euro, die ein erheblicher Schaden für den Steuerzahler wären, quasi in eine Bad Bank zu überführen. Es wäre für Angela Merkel natürlich ein schöner Erfolg, wenn sie über diese 15 Milliarden Euro nicht mehr reden müsste. Können Sie bestätigen, dass über diese Aspekte - 15 Milliarden Euro, Bad Bank - in all den Gesprächen, die Sie aufgeführt haben, nicht gesprochen worden ist?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich kann Ihnen versichern, Frau Höhn, dass die Bundeskanzlerin an die Verantwortung der Energieversorger appelliert und diese an ihre Pflichten erinnert hat. Mir liegen aber keine weiteren Erkenntnisse vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Verlinden das Wort zu einer Nachfrage.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben verschiedene Rückmeldungen über die Gespräche mit den EVU bekommen, bei denen es mehr oder weniger intensiv um dieses Thema ging. Ich möchte auf meine Frage von eben zurückkommen. Mir ist es wichtig, zu erfahren: Gab es einen Austausch innerhalb der Bundesregierung, also zwischen den Ressorts? ({0}) Gab es Besprechungen auf Leitungsebene zwischen Umweltministerium, Energieministerium und Kanzleramt über die vielen verschiedenen Gespräche, die jeweils mit den EVU geführt worden sind, um eine gemeinsame Linie abzustecken, um gemeinsam festzulegen, wie man politisch weiter vorgeht? Dazu haben wir jetzt noch gar nichts gehört. Ich würde mich freuen, wenn Sie noch ein bisschen konkreter schildern würden, welche Absprachen zwischen den verschiedenen Ressorts, die mit sehr unterschiedlichen Positionen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, stattfanden.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrte Frau Verlinden, natürlich sprechen Ressorts untereinander über bestimmte Themen. Es wäre ja auch schlimm, wenn wir das nicht täten. Aber es gab keine Absprachen, wie Sie das eben gesagt haben, oder Beschlüsse. Weitere Erkenntnisse liegen mir dazu nicht vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Miersch das Wort zu einer Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden, dass diese Bundesregierung - im Gegensatz zu früheren Bundesregierungen, beispielsweise der letzten, die versucht hat, mit den Atomkonzernen einen Deal über die Laufzeitverlängerung zu schließen - mit den Energieversorgern keinen Deal dergestalt eingehen will, Forderungen im Rahmen einer Klage vor intransparenten Schiedsgerichten mit Fragen der Laufzeitverlängerung und der Endlagerung zu verbinden, sondern darauf verweist, dass es rechtliche Verpflichtungen gibt? Habe ich Sie richtig verstanden, dass über das, was die vier großen Konzerne gegenwärtig als Signal aussenden, gegebenenfalls im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens, eines Gesetzgebungsverfahrens, gesprochen werden muss, um die rechtlichen Verpflichtungen möglicherweise noch rechtssicherer zu machen, als das bisher der Fall ist?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich glaube, es ist in unser aller Interesse, dass die Rückstellungen für die rechtlichen Verpflichtungen der Energieversorgungsunternehmen gesichert sind. Verknüpfungen in diesem Zusammenhang sind mir nicht bekannt. Sie sind auch nicht beabsichtigt, weil das schwierig wäre. Wir wollen die volle Kostenübernahme durch die Energieversorgungsunternehmen für die Aufgaben, die sie im Bereich Stilllegung, Rückbau, Entsorgung haben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Julia Verlinden auf: Wann genau - möglichst Datum bitte - hatte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in dieser Wahlperiode erstmals Kenntnis von Überlegungen von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen bezüglich möglicher Veränderungen des bisherigen Systems der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls und/oder übergeordneten Überlegungen einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und Atommüll - bitte differenzieren nach Fachebene, Leitungsebene und Hausspitze -, und welche Konsequenzen wurden aus dieser Kenntnis gezogen - bitte mit zeitlicher Angabe? Frau Staatssekretärin, Sie haben wieder das Wort.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Liebe Kollegin Verlinden, es fanden in dieser Legislaturperiode keine Verhandlungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit mit hochrangigen Vertretern der Kernkraftwerke betreibenden Energiekonzerne über deren Überlegungen zu möglichen Veränderungen des bisherigen Systems der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Kernkraftwerke und des radioaktiven Abfalls oder zu Überlegungen einer Art Bad Bank statt. Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den Rückbau und auch die Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus sowie der Endlagerung zu tragen. Entsprechend dem Koalitionsvertrag wird die Bundesregierung über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen mit den Energieversorgungsunternehmen Gespräche führen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Heißt das, dass das Umweltministerium keine Kenntnisse von den Plänen der EVU hatte, eine Bad Bank zu installieren? Heißt das, das Umweltministerium hat während der ganzen Gespräche mit den EVU in den letzten Monaten und Jahren nie erfahren, dass es solche Überlegungen geben könnte, dass es in die Richtung gehen könnte, über die jetzt politisch diskutiert wird?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich hatte vorhin die Themen und Inhalte einzeln aufgeführt. Wir werden sicherlich im Rahmen dessen, was im Koalitionsvertrag steht, jetzt Gespräche führen. Ich möchte diesen Gesprächen aber nicht vorgreifen.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne eine zweite Nachfrage stellen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Bitte.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welche Erkenntnisse hat das Umweltministerium darüber, ob das Kanzleramt, das sich ja auch mit diesem Thema beschäftigt hat, möglicherweise zu einem Aufweichen des bisherigen Verursacherprinzips in dem Sinne bereit wäre, dass die Kosten für den Rückbau vom Steuerzahler getragen werden?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Auch wenn Sie jetzt noch einmal versuchen, mich aus einer anderen Perspektive heraus festzunageln, kann ich nur nochmals darauf hinweisen, dass die Gespräche, die wir geführt haben, andere Themen zum Inhalt hatten. Es gab ein Gespräch im Kanzleramt über die europäische Energiepolitik. Insofern kann ich Ihnen keine neuen Erkenntnisse meinerseits vortragen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Höhn das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben bisher immer über Gespräche geredet. Es gibt aber auch andere Arten der Kommunikation. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Energiekonzerne Überlegungen hinsichtlich einer Bad Bank anstellen und diese Idee in keiner Form an die Bundesregierung herantragen. Hat es denn in irgendeiner anderen Form - schriftlich, wie auch immer - Ideen bzw. Skizzen der Unternehmen gegeben, die an das BMU bzw. jetzt an das BMUB, an das Kanzleramt oder an die Bundesregierung herangetragen wurden, um sich über diese Idee, die jetzt öffentlich diskutiert wird, vorher in irgendeiner Form mit der Bundesregierung oder dem BMUB auszutauschen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, davon ist mir nichts bekannt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Krischer das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre Ausführungen. - Diese kann man ja so zusammenfassen: Über Gespräche, Überlegungen und Inhalte ist nichts bekannt. Man fragt sich dann, worüber gesprochen worden ist. Ich möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Es gibt einen Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2011, in dem sehr dezidiert festgestellt wird, dass es für die Bundesregierung keinerlei Transparenz bezüglich der Werthaltigkeit der Rückstellungen innerhalb der Konzerne gibt und man sich insofern auf etwas verlassen muss, dessen Substanz man gar nicht kennt. Meine Frage lautet: Ist Ihnen dieser Bericht bekannt, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Bericht, um Transparenz bezüglich der Werthaltigkeit der Rückstellungen in den Konzernbilanzen herzustellen?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Lieber Kollege Krischer, aus diesem Grund ist in den Koalitionsvertrag die Aussage aufgenommen worden, dass wir diese rechtliche Verpflichtung sichern wollen. Wir werden das im Laufe dieser Legislaturperiode tun.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Kotting-Uhl das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, der Verweis auf den Passus im Koalitionsvertrag hilft uns jetzt angesichts der Sachlage nicht wirklich weiter. Es ist einfach nur erstaunlich, dass das bisher nur dort steht und die entsprechenden Gespräche nicht geführt wurden. Ich finde das hier heute demonstrierte Desinteresse der Bundesregierung an diesen Fragen schon bemerkenswert. Um ehrlich zu sein, es ist auch fahrlässig, wenn es denn so ist. Ich möchte ein Stück zurückgehen, und zwar in das Jahr 2011. Mir ist bewusst, dass Sie da noch nicht Staatssekretärin waren und das BMUB noch nicht in SPDHand war. Trotzdem muss Ihr Haus Sie ja über solche Dinge informieren, vor allem vor einer solchen Fragestunde. Die Idee einer Bad Bank ist ja nicht erst jetzt entstanden. Vielmehr hat die Investitionsbank Lazard diese Idee bereits 2011 entwickelt und publikgemacht. Ist es Ihrer Kenntnis nach denn so, dass auch in den Jahren 2011 und 2012 - wir haben bisher immer nur von 2013 und 2014 gesprochen -, also in den ersten zwei Jahren nach Entwicklung dieses Modells, für das sich die Energiekonzerne sicher sehr interessiert haben, bei der Bundesregierung kein Interesse daran bestand? Gab es in den Jahren 2011 und 2012 irgendwann einmal Gespräche mit den Energieversorgern über diese Idee einer Bad Bank? Denn bei den Energieversorgern, bei den Konzernen ist dies garantiert ventiliert worden. Hat sich die Bundesregierung dafür nicht interessiert oder doch?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich kann dazu jetzt keine Auskunft geben, würde Ihnen aber schriftlich nachreichen, ob und gegebenenfalls welche Gespräche es in jener Zeit zu diesem Thema gegeben hat. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Zdebel das Wort zu einer Nachfrage.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe noch eine Nachfrage zu dem Bericht des Bundesrechnungshofs, den der Kollege Krischer gerade erwähnt hat. Mir kommt das langsam wie ein Stück aus dem Tollhaus vor. Einerseits haben Sie gerade dargestellt, Frau Staatssekretärin, dass Sie davon überzeugt sind, dass die Rückstellungen sicher sind, und dass Sie Gespräche darüber führen wollen. Andererseits können Sie jetzt aber nichts Konkretes dazu sagen, wie Sie den Bericht des Bundesrechnungshofs letztlich bewerten. Der Bericht des Bundesrechnungshofs enthielt ja eine vernichtende Kritik. Dort stand, dass die Bundesregierung im Moment überhaupt nicht in der Lage ist, die Rückstellungen der Konzerne fachlich zu bewerten. Da stellt sich für mich die Frage: Hat sich diese Situation seit 2011 geändert? Wenn dem nicht so ist, stellt sich die Frage, wie Sie dann so überzeugt sagen können, dass die Rückstellungen der Konzerne im Moment sicher sind, wie Sie dies gerade in diversen Antworten auf Nachfragen immer wieder zumindest vermittelt haben.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sehr geehrter Kollege Zdebel, ich habe gesagt: Die Rückstellungen sind in den Bilanzen vorhanden. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass wir auf die rechtliche Verpflichtung und die Umsetzung der rechtlichen Verpflichtung Wert legen und diese sichern wollen und dass wir deshalb entsprechende Gespräche aufnehmen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Die Fragen beziehen sich zunächst auf den gleichen Themenkomplex. Wir kommen zunächst zur Frage 21 des Kollegen Krischer: Wann genau - möglichst Datum bitte - hatte das Bundeskanzleramt in dieser Wahlperiode erstmals Kenntnis von Überlegungen von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen bezüglich möglicher Veränderungen des bisherigen Systems der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls und/oder übergeordneten Überlegungen einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und Atommüll - bitte differenzieren nach Fachebene, Leitungsebene und Hausspitze -, und welche Konsequenzen wurden aus dieser Kenntnis gezogen ({0})? Frau Staatssekretärin.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Lieber Kollege Krischer, auch Sie fragen nach Gesprächen, und zwar im Bereich des Bundeskanzleramtes. Ich antworte Ihnen wie folgt: Die Idee einer Stiftung für Kernkraftwerke unter Beteiligung des Bundes ist aus den Medien bekannt; darüber wird seit geraumer Zeit diskutiert. Entsprechende Überlegungen wurden in Gesprächen mit dem Chef des Bundeskanzleramtes am 21. Februar 2014 und am 27. März 2014 von Vertretern der Energieversorgungsunternehmen in allgemeiner Form und ohne Konkretisierung angesprochen. Konkrete Pläne sind allerdings nicht vorgestellt worden. Deshalb hat es weder Verhandlungen der Bundesregierung mit Vertretern der Energiekonzerne zu dieser Thematik gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn diese Überlegungen vorgestellt worden sind und Sie sagen, diese Gespräche hätten keinerlei konkrete Formen angenommen, dann würde mich interessieren, was dort substanziell vorgetragen worden ist. Ein Gespräch muss ja irgendeinen Inhalt und einen gewissen Grad an Konkretisierung haben; sonst macht das ja gar keinen Sinn. Ich bitte, zu erläutern, was dort vorgetragen worden ist. Ich bitte, weiterhin zu erläutern, wie sich die Bundesregierung zu den, wie Sie sagen, in unkonkreter Form dargestellten Vorschlägen positioniert hat oder ob man am Ende gar keine Meinung dazu geäußert hat und nur still und schweigend danebengesessen und dann den Raum verlassen hat. Ich bitte um eine Darstellung, wie ich mir das vorzustellen habe.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Krischer, es gibt in allen möglichen Gesprächen - das passiert wahrscheinlich auch bei Ihnen immer wieder einmal Vorschläge, die sehr unkonkret an jemanden herangetragen werden. Es gibt also kein konkretes Arbeitspapier oder sonst etwas. Deshalb hat es auch keine Beschlüsse und keine Verhandlungen zu diesem Thema gegeben. Ich war bei den Gesprächen nicht dabei. Insofern kann ich Ihnen nicht erläutern, was sonst noch besprochen wurde.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Krischer, Ihre zweite Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aus welchem Anlass sind diese Gespräche denn geführt worden? War der Anlass, dass man konkret über dieses Thema sprechen wollte, oder gab es einen anderen Anlass und man ist rein zufällig bei einer netten Tasse Kaffee - so habe ich Sie jetzt verstanden - darauf zu sprechen gekommen? Ich gehe davon aus, dass solche Gespräche nicht spontan entstehen, sondern dass es da einen gewissen Vorlauf gibt. Deshalb würde mich interessieren: Was waren der konkrete Hintergrund und der Anlass für die Einladungen? Wie, in welcher Form und wo haben diese Gespräche stattgefunden?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Krischer, mir ist zum Anlass der Einladungen und zum Prozedere nichts bekannt. Ich habe Ihnen nur die beiden Termine genannt, die mir das Kanzleramt mitgeteilt hat. Aber ich kann dort gerne nachfragen und Ihnen diese Frage schriftlich beantworten. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Fragestellerin hat die Kollegin Höhn das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben ja zumindest die Information über die Termine dieser Gespräche. In der Regel werden, wenn über solche neuen Ideen diskutiert wird, Vermerke angefertigt. Gibt es Vermerke über diese Gespräche? Wenn ja, können wir sie bekommen? Wenn nein, warum sind über diese Gespräche keine Vermerke angefertigt worden?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich kann weder bestätigen noch dementieren, dass über diese Gespräche des Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Energieversorgungsunternehmen Vermerke angefertigt worden sind. Auch da müsste ich mich erkundigen. Das werde ich gerne tun. Ich kann Ihnen, was das Rechtliche angeht, jetzt allerdings nicht zusagen, dass wir solche Vermerke weitergeben dürfen. Aber ich werde das weiterleiten und Ihnen dann eine entsprechende Antwort zukommen lassen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Frage 22 der Abgeordneten Steffi Lemke wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 23 des Abgeordneten Peter Meiwald: Von welchen Gesprächen von Vertretern der Bundesregierung mit Vertretern von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen, in denen es auch um Überlegungen der Energieversorgungsunternehmen zu einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und Atommüll ging, hatte der Regierungssprecher Steffen Seibert am 12. Mai 2014 Kenntnis, als er gegenüber Medien sagte, es habe diesbezüglich „keine Verhandlungen und Beschlüsse“ gegeben, aber auf Nachfrage entsprechende „Gespräche“ nicht dementierte ({0})? Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär Seibert hat in der Regierungspressekonferenz am 12. Mai 2014 mit Blick auf die in den Medien thematisierte Frage einer öffentlich-rechtlichen Stiftung für die Kernkraftwerke in Deutschland klargestellt, dass es keine Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen und keine entsprechenden Beschlüsse gegeben hat. Er hat darüber hinaus auf eine Nachfrage die Vermutung geäußert, dass diese Thematik in der Vergangenheit in Gesprächen eine Rolle gespielt hat.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Meiwald.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, wie muss man sich das vorstellen: Hat es im Vorfeld der Pressekonferenz Rückfragen explizit nur zu Verhandlungen und Beschlüssen gegeben, oder lautete die Ressortabfrage anders? Wie kam es dazu, dass der Kollege Seibert diese Aussagen da so gemacht hat?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich war bei der Pressekonferenz nicht dabei. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es vor der Pressekonferenz eine Abfrage in den Ministerien gegeben hat. Ich gehe aber sicher davon aus, dass der Regierungssprecher wusste, dass es keine Beschlüsse und keine Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen zu diesem Thema gegeben hat. Der Regierungssprecher wird aber selbstverständlich davon ausgegangen sein, dass wir - allein aufgabenbedingt - vielfältige Gespräche führen; deshalb hat er solche Gespräche nicht ausgeschlossen.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie uns eine Einschätzung dazu geben, wie das Kanzleramt sich in diesen Gesprächen gegenüber dieser grundsätzlichen und ja noch eher vagen Idee verhalten hat? Wurde deutlich gemacht, dass es für die Bundesregierung auf keinen Fall akzeptabel ist, da auch den Steuerzahler in die Verantwortung zu nehmen? Oder in welcher Form kann man sich diese Gespräche vorstellen?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Da fehlt mir einfach die Kenntnis, weil ich selber nicht Gesprächsteilnehmerin war. Ich kann Ihnen keine Auskunft dazu geben.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie das schriftlich nachreichen?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ja, ich kann nachfragen - wenn die Gesprächspartner mich da informieren. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen zur Frage 24 der Abgeordneten Verlinden: Wann genau - möglichst Datum bitte - hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in dieser Wahlperiode erstmals Kenntnis von Überlegungen von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen bezüglich möglicher Veränderungen des bisherigen Systems der Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke und des Atommülls und/oder übergeordneten Überlegungen einer Art Bad Bank für Atomkraftwerke und Atommüll - bitte differenzieren nach Fachebene, Leitungsebene und Hausspitze -, und welche Konsequenzen wurden aus dieser Kenntnis gezogen bitte mit zeitlicher Angabe? Auch hier haben Sie wieder das Wort, Frau Staatssekretärin.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Danke schön. - Liebe Kollegin Verlinden, die Idee einer Stiftung für Kernkraftwerke unter Beteiligung des Bundes ist aus den Medien bekannt und wird seit geraumer Zeit diskutiert. Entsprechende Überlegungen wurden vonseiten Kernkraftwerke betreibender Energieversorgungsunternehmen in allgemeiner Form und ohne Konkretisierung auch Mitgliedern der Bundesregierung vorgetragen, so zum Beispiel vom Vorstandsvorsitzenden der Eon SE, Dr. Johannes Teyssen, oder vom Vorstandsvorsitzenden von RWE, Peter Terium, in Gesprächen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie am 13. Februar 2014 bzw. am 18. Februar 2014. Konkrete Pläne sind der Bundesregierung allerdings nicht vorgestellt worden. Deshalb hat es weder Verhandlungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mit Vertretern der Energiekonzerne zu dieser Thematik gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Pläne“ wäre ja auch spannend: Sie sind ja die Regierung, Sie machen die Politik, nicht die EVU.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Sie haben nach Vorschlägen gefragt, die die EVU an uns herangetragen haben.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau. Aber Sie haben gerade von „Plänen“ gesprochen. Zu meiner Nachfrage. Ich würde noch gerne wissen: Da Sie davon schon wussten, bevor das im Spiegel thematisiert wurde und eine öffentliche Debatte darüber ausgelöst wurde, hatten Sie ja schon Gelegenheit, das hausintern zu diskutieren und zu beraten. Wie wird denn jetzt das BMWi darauf reagieren, was sind jetzt die Konsequenzen daraus? Wird es konkrete Initiativen und Maßnahmen geben? Welche werden das konkret sein?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Da es keine konkreten Vorschläge gibt, mit denen man sich auseinandersetzen könnte, hat es auch keine konkreten Maßnahmen im BMWi gegeben.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hätte noch eine Nachfrage.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ja, Sie können noch eine Nachfrage stellen.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, können Sie denn zumindest ausschließen, dass das in der Konsequenz dazu führen wird, dass öffentliche Mittel zur Abwicklung der privat betriebenen Atomanlagen eingesetzt werden? Können Sie ausschließen, dass diese Idee der Bad Bank zur realen Politik wird?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Verlinden, die Diskussion um eine solche Stiftungslösung oder andere Lösungen dauert ja schon sehr viel länger an. Es gab auch zu rot-grünen Zeiten verschiedene Vorschläge dazu. Ich meine mich zu erinnern, dass sich letzte Woche auch Frau Höhn - wenn auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten - im Hinblick auf eine Stiftungslösung öffentlich geäußert hat. Insofern ist bei allem Verständnis zu sagen: Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Vorschläge dazu. Die müssen ordentlich bewertet werden. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir uns mit den Energieversorgungsunternehmen auseinandersetzen und Gespräche dazu führen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt erhält die Kollegin Höhn das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, in der Tat, da haben Sie recht: Über eine solche Lösung wird schon länger diskutiert, schon deswegen, weil man die Rückstellungen sichern will. Deshalb wundern wir uns ja auch, dass Sie in der Bundesregierung offiziell nicht darüber reden. Überall in der Gesellschaft wird darüber geredet, wie man diese Rückstellungen sichern kann, aber offensichtlich nicht innerhalb der Bundesregierung. Deshalb frage ich: Wie wollen Sie die Probleme eigentlich zusammenbringen? Erstens. Diese 36 Milliarden Euro werden nicht ausreichen, um die Atomkraftwerke abzubauen. Wie wollen Sie also diese 36 Milliarden Euro und zusätzliche Gelder, die dafür letzten Endes fällig werden, sichern? Zweitens. Wie gehen Sie eigentlich mit den Forderungen der Energiekonzerne um, die jetzt aufgrund der zurückgenommenen Laufzeitverlängerung mit Klagen Schadensersatz für den Atomausstieg fordern, zu dem es holterdiepolter und ohne Unterschrift der Konzerne kam? Hier geht es ja um zweistellige Milliardenbeträge. Das ist also eine richtig fette Summe, die auch den Bundeshaushalt stark tangiert. Gibt es in irgendeiner Form offizielle Gespräche und Überlegungen innerhalb Ihres Hauses oder auch innerhalb des Bundeskanzleramtes darüber, wie man damit umgeht und wie man eine bestmögliche Lösung für diesen Bundeshaushalt erreichen kann?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Höhn, selbstverständlich wird im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - und ich gehe davon aus, auch in den anderen Häusern - zu diesen Themenfeldern gearbeitet. Wie gesagt: Es gibt unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten, an denen gearbeitet wird, aber es gibt noch keine einheitliche Auffassung der Bundesregierung. Wir werden nicht mit Einzelvorschlägen oder Einzelbewertungen an die Öffentlichkeit gehen und uns mit Sicherheit im Parlament damit befassen. Frau Höhn, Ihre Frage und dieser ganze Fragenkomplex sind aber einzig und allein darauf ausgerichtet, welche Verhandlungen es mit den Energieversorgungsunternehmen gegeben hat, und das habe ich beantwortet. Wir werden im parlamentarischen Raum mit Sicherheit Gelegenheit haben, uns über die Sicherung der Rücklagen, über die Höhe der zu erwartenden Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke usw. auseinanderzusetzen; das ist klar.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Kotting-Uhl die Möglichkeit zu einer Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, es geht um die mögliche Änderung des bisherigen Rückstellungssystems. Sie haben jetzt ausgeführt, dass es sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt und dass wir uns darüber auseinandersetzen werden. Es gibt aber eine ganz klare Trennlinie zwischen diesen unterschiedlichen Möglichkeiten. Hier geht es darum, ob wir bereit sind, in öffentlicher Verantwortung sowohl Haftungsrisiken als auch finanzielle Risiken zu übernehmen, oder ob wir die Verantwortung für diese Risiken bei den Konzernen belassen. Auf den Punkt gebracht: Das eine Modell sieht einen öffentlich-rechtlichen Fonds vor, für den verschiedene Ausführungen angedacht sind. In diesen Fonds werden die Rückstellungen überführt. Alles, was darüber hinaus geht, bleibt aber in der Verantwortung der Konzerne, das heißt, sie sind weiterhin über diese 36 Milliarden Euro hinaus, um die es bisher geht und die in diesem Fonds verwaltet werden sollen, haftungspflichtig. Bei dem anderen Modell gibt es auch verschiedene Möglichkeiten. Im Kern haben die Konzerne jetzt aber vorgeschlagen, dass mit den 36 Milliarden Euro die finanzielle Verpflichtung der Konzerne erfüllt ist. Hier möchte ich Sie schon fragen, ob ganz klar ist, dass die zweite Variante nicht infrage kommt, sondern dass die Variante 1 - die finanziellen Risiken verbleiben auch über die 36 Milliarden Euro hinaus bei den Konzernen - auch Linie der Bundesregierung ist.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Noch einmal ganz klar: Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den Rückbau und auch die Zwischenlagerung des Atommülls liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus und der Endlagerung zu tragen. Damit haben sie eben auch für entsprechende Rückstellungen in den Bilanzen zu sorgen. Das ist ja das Thema, um das es geht. Es ist also ganz klar: Die Kostenverantwortung liegt klar bei den Energieversorgungsunternehmen. Es muss aber auch geregelt werden - das ist ein anderes Thema -, wie diese Rücklagen gegen Insolvenz oder was auch immer abzusichern sind.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage des Kollegen Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich habe jetzt gehört, dass es Diskussionen, Gespräche, Meinungsbildungen usw. gibt, die noch nicht konkretisiert werden können. Ich hätte jetzt einfach gerne eine Antwort auf die ganz banale Frage, welches Ressort innerhalb der Bundesregierung die Federführung in puncto Rückstellungen für den AKW-Rückbau, für dessen Sicherstellung und auch gegebenenfalls für den Fonds - in welcher Form auch immer - hat und wie ein Arbeitsprozess zu diesem Thema organisiert wird. Wenn ich die Äußerungen der Kollegin aus dem Umweltministerium richtig verstehe, sieht man hier ja doch schon die Notwendigkeit, irgendetwas zu tun.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Krischer, ich glaube, es ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Mitglieder der Bundesregierung, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Ministerien ihrer Arbeit nachkommen, Gespräche in unterschiedlichen Konstellationen führen, sich mit unterschiedlichen Vorschlägen befassen und im Endeffekt Vorbereitungen für weiterführende Gespräche treffen. Die Federführung ist allein schon an der Zuordnung Ihrer Fragen zu dem entsprechenden Geschäftsbereich zu erkennen. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die selbstständige Wortergreifung ist jedenfalls nicht zulässig. Außerdem sage ich allen, die am Thema interessiert sind: Es gibt noch weitere Fragen von anderen Kolleginnen und Kollegen zu diesem Komplex, sodass ich denke, dieses Thema wird noch vertieft werden können. Wir kommen zur Frage 25 der Kollegin Dr. Valerie Wilms: Welche Gespräche des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mit hochrangigen Vertretern von Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzernen fanden in dieser Wahlperiode auf Leitungsebene statt - bitte differenzierte Angaben machen wie in Bundestagsdrucksache 17/11922 zu Frage 19 in Verbindung mit Bundestagsdrucksache 17/12042 zu Frage 17, also Datum, Teilnehmer und Themen -, und in welchen dieser Gespräche ging es auch um Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung der Atomkraftwerke bzw. des Atommülls dieser Energiekonzerne? Frau Staatssekretärin, bitte.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Wilms, Sie fragen nach den Gesprächen, die hochrangige Vertreter des BMWi geführt haben. Aufgabenbedingt pflegen Mitglieder der Bundesregierung, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Parlamentarische Staatssekretäre sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der Bundesministerien Kontakte mit einer Vielzahl von Akteuren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat für die Beantwortung der mündlichen Frage eine hausinterne Abfrage durchgeführt. Insbesondere aufgrund der für die Beantwortung mündlicher Fragen zur Verfügung stehenden kurzen Zeit kann jedoch eine lückenlose Aufstellung nicht garantiert werden. Es wurden Gespräche mit Unternehmensvertretern geführt, in deren Portfolio sich auch Kernkraftwerke befinden. Aus den nachfolgenden Daten kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass dort über konkrete Vorschläge der Unternehmen bzw. Branchen zum weiteren Verfahren des Umgangs mit kerntechnischen Anlagen gesprochen wurde. Dies vorausgeschickt beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Am 28. Januar 2014 hat Bundesminister Sigmar Gabriel ein Gespräch mit Energieproduzenten zum EEG geführt. Teilnehmer waren Dr. Leonhard Birnbaum ({0}), Peter Terium ({1}), Dr. Frank Mastiaux ({2}), Ewald Woste ({3}), Andreas Feicht ({4}), Fritz Brickwedde ({5}), Dr. Günther Häckl ({6}), Sylvia Pilarsky-Grosch ({7}), Helmut Lamp ({8}), Jens Eckhoff ({9}), Dr. Krawinkel ({10}), Sven Becker ({11}), Michael Riechel ({12}), Dr. Werner Brinker ({13}), Fred Jung ({14}), Hartmut Brösamle ({15}), Hans-Dieter Kettwig ({16}), Frank Asbeck ({17}), Bernhard Beck ({18}), Dr. Florian Bieberbach ({19}), Markus Wessel-Ellermann ({20}), Ronny Meyer ({21}). Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Am 12. Februar 2014 hat Sigmar Gabriel ein Gespräch mit Peter Terium ({22}), Dr. Johannes Teyssen ({23}), Gérard Mestrallet ({24}), Fulvio Conti ({25}), Ignacio S. Galán ({26}), Dr. Gertjan Lankhorst ({27}), Daniel Benes ({28}), Dr. Gerhard Roiss ({29}), Dr. h. c. Tapio Kuula ({30}) geführt. An diesen Gesprächen der Bundeskanzlerin mit Vorstandsvorsitzenden europäischer Energiekonzerne zu Fragen der europäischen Energiepolitik haben auch Bundesminister Altmaier und Bundesministerin Hendricks teilgenommen. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiver Abfälle sind nicht besprochen worden. Am 13. Februar 2014 führte Sigmar Gabriel ein Gespräch mit Dr. Johannes Teyssen ({31}) und Dr. Leonhard Birnbaum ({32}). Es ging dabei um Kapazitätsmärkte, um das EEG, um Emissionshandel und die Situation von Kernkraftwerken allgemein. Dort wurden auch Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken und radioaktiven Abfällen besprochen. Am 18. Februar 2014 führte Bundesminister Gabriel ein Gespräch mit Herrn Peter Terium ({33}), Herrn Heinacher ({34}) und Alexander Nolden ({35}). Hierbei ging es um die finanzielle Situation von RWE, Kapazitätsmärkte, das EEG, Emissionshandel und die Situation der Kernkraftwerke allgemein. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken und radioaktiven Abfällen wurden in dem Zusammenhang besprochen. Am 27. Februar 2014 führte Bundesminister Gabriel ein Gespräch mit Dr. Frank Mastiaux und MdL Dr. Nils Schmid. Es handelte sich um einen Antrittsbesuch des Dr. Mastiaux, und es ging um EnBW allgemein, um das EEG und die Energiewende, um Kapazitätsmechanismen, Netzreserve, Emissionshandel und Offshorewindenergie. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken und radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Am 14. März 2014 gab es ein Gespräch des Bundesministers Gabriel mit T. J. Hatakka ({36}), mit S. Kleimeier ({37}), Peter Terium ({38}), Dr. Mastiaux ({39}), Dr. B. Zinow ({40}), E. Woste ({41}), A. Kuhlmann ({42}), M. G. Feist ({43}), Dr. F. Bieberbach ({44}), C. Dany ({45}) und Raimund Otto ({46}). In dem Gespräch ging es um Kapazitätsmechanismen und die EEG-Reform. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken und radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Uwe Beckmeyer hat am 6. März 2014 ein Gespräch geführt mit Arnaud Bellanger, Aufsichtsratsvorsitzender der Areva Wind GmbH, Michael Munder-Oschimek, einer der Geschäftsführer der Areva Wind GmbH, Wolfgang Wilms, ein weiterer Geschäftsführer der Areva Wind GmbH, und Joachim Arndt, ebenfalls Geschäftsführer der Areva Wind GmbH. Es ging in dem Gespräch um Offshorewindenergie, die EEG-Novelle und den Standort Bremerhaven. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke - also ich - hat am 7. April 2014 ein Gespräch mit Bernd Dubberstein ({47}), Manfred Paasch, Vorstand der Edis AG und Vorsitzender des Vereins „pro Brandenburg“, und Andreas Kimmel von der Edis AG geführt. Es ging in diesem Gespräch um Infrastruktur- und Netzausbau in Ostdeutschland. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Staatssekretär Rainer Baake führte am 28. Januar 2014 ein Gespräch mit Dr. Frank Mastiaux ({48}), Christoph Dany ({49}), Dr. Leonhard Birnbaum ({50}) sowie Vertreterinnen und Vertretern anderer Organisationen. In dem Gespräch ging es um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Am 18. Februar 2014 führte Herr Baake ein Gespräch mit Johannes Lambertz ({51}), Dr. Ingo Luge ({52}) sowie mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Organisationen. Auch in diesem Gespräch ging es um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Am 18. Februar 2014 führte Herr Baake ein Gespräch mit Peter Terium von RWE. Auch in diesem Gespräch ging es um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen waren nicht Gesprächsgegenstand. Am 14. März 2014 führte Herr Baake ein Gespräch mit Dr. Johannes Teyssen von Eon SE. Bei dem Gespräch waren auch anwesend Tuomo J. Hatakka ({53}), Peter Terium ({54}), Dr. Frank Mastiaux ({55}), Dr. Florian Bieberbach ({56}), Werner Albrecht ({57}), Stephan Schwarz ({58}), Herbert König ({59}) sowie Vertreter und Vertreterinnen anderer Organisationen. Es ging auch in diesem Gespräch um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen waren nicht Gesprächsgegenstand. Am 20. März 2014 hat Herr Baake ein Gespräch geführt mit Eberhard Schomburg von Eon, Fred Schulz von Eon, Thiess Hansen von Eon und Mike Winkel von Eon. Auch in diesem Gespräch ging es um das EEG. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen sind auch dort nicht besprochen worden. Am 10. April 2014 führte Herr Baake ein Gespräch mit Dr. Ingo Luge von Eon, Dr. Frank Mastiaux von EnBW sowie Vertreterinnen und Vertretern anderer Organisationen. In diesem Gespräch ging es um die Versorgungssicherheit in Süddeutschland. Aspekte des Rückbaus und der Entsorgung von Kernkraftwerken bzw. radioaktiven Abfällen wurden nicht besprochen. Da Sie sich das nicht alles merken konnten, bekommen Sie das selbstverständlich schriftlich, genauso wie die Protokollanten. ({60})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung hat die Antwortzeit von zwei Minuten, die normalerweise üblich ist, geringfügig überzogen.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich danke, Herr Präsident. Aber sonst hätte ich nicht so ausführlich antworten können.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das diente der Vollständigkeit, hat aber bei dem einen oder anderen auf der Besuchertribüne zu Irritationen geführt. Die Regierung hat jedenfalls vollständig und sehr ausführlich geantwortet. Frau Dr. Wilms, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, Sie haben meine Frage sehr ausführlich beantwortet. Herzlichen Dank. Wenn ich es aber richtig sehe, haben wir zu dem Punkt, wo es brennt und bei dem es darum geht, dass wir als Gesamtgesellschaft im Zweifelsfall dafür eintreten müssen, von Ihnen keine erschöpfende Auskunft bekommen. Wir konnten aber anhand Ihrer Aufzählung sehr gut verfolgen, wie intensiv die Lobbyisten vorbeimarschieren, wenn es um das EEG geht. Allein deswegen ist die Liste, die Sie uns schriftlich zur Verfügung stellen wollen, wertvoll. Nun zu meiner Nachfrage. Sie haben gesagt, dass Sie mindestens zweimal über das Thema „AKW und Rückbau“ gesprochen haben. Ich möchte wissen, welche Aussagen das BMWi dabei getroffen hat, welche Positionen das BMWi dabei vertreten hat und ob dort möglicherweise schon Zugeständnisse in Richtung des Vorschlags der Atomwirtschaft erörtert wurden.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Wilms, Sie haben mich danach gefragt, mit welchen hochrangigen Vertretern von atomkraftwerkbetreibenden Energiekonzernen wir Gespräche geführt haben. ({0}) Ich kann Ihnen sagen, welche Gespräche wir in der Zwischenzeit noch geführt haben. Aber daraus zu schließen, dass an dieser Stelle ein besonders großer Lobbyismus ausgebrochen sei, halte ich für ein bisschen abenteuerlich, wenn ich das bemerken darf. Ich versuche, auf Ihre Fragen so erschöpfend wie möglich zu antworten. ({1}) Wie ich vorhin gesagt habe, ist es in den beiden Gesprächen, die ich auch aufgezählt habe, am Rande um sehr unkonkrete Vorschläge gegangen. Es hat keine Zugeständnisse, Beschlüsse oder sonst irgendetwas gegeben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Wilms, Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Gleicke, ich will auf die Rückstellungen zurückkommen. Liegen Ihnen Hinweise vor, dass auch andere Stellen Überlegungen in diese Richtung anstellen? Ich denke zum Beispiel an die Gewerkschaft IG BCE. Welche Informationen liegen Ihrem Hause vor?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich kann Ihnen dazu keine Auskunft geben. Ich weiß einfach nicht, ob es dazu Gespräche gegeben hat. Da müsste ich mich zuerst erkundigen. Was meinten Sie mit Ihrem Hinweis auf die IG BCE? Ich frage das, damit ich meinem Haus möglichst konkrete Informationen weitergeben kann. Meinten Sie die Rückstellungen für Atomkraftwerke?

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich meinte die Rückstellungen.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Alles klar.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Jetzt haben Herr Kollege Krischer und Frau Kollegin Höhn jeweils eine Zusatzfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, ich möchte die Frage von eben noch einmal konkret stellen. Sie haben gesagt, ich hätte anhand der Zuweisung der Fragen für die Beantwortung sehen können, bei wem die Federführung bei Rückstellungen für den Atomkraftwerkerückbau innerhalb der Bundesregierung liegt. Ich muss leider feststellen: Ich konnte es nicht sehen. Das ist sicherlich mein Versehen. Ich bitte Sie deshalb: Vielleicht nennen Sie mir - das können Sie sehr kurz machen - einfach den Namen des Ressorts, das in der Frage der Rückstellungen für den AKW-Rückbau und die Entsorgung die Federführung innerhalb der Bundesregierung hat.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Das BMWi hat innerhalb der Bundesregierung die Federführung für die Rückstellungen. Das BMUB hat die Federführung für die Vorgaben zur nuklearen Stilllegung und Entsorgung, das heißt indirekt für die Höhe der finanziellen Lasten sowie für das Atomhaftungsrecht. Für die steuerlichen Aspekte hat das BMF die Federführung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin gesagt, Sie wollten die genaue Frage wissen, damit Sie den richtigen Arbeitsauftrag an das Ministerium geben können. Das ist der richtige Weg. Nun gibt es zwei Termine, bei denen sich immerhin der Minister mit den Chefs von Eon und RWE getroffen hat, nämlich am 13. und am 18. Februar, und über diese Rückstellungen offensichtlich geredet worden ist. Das haben Sie bestätigt. Gibt es denn Arbeitsaufträge des Ministers nach diesen Gesprächen für das Ministerium?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Das ist mir nicht bekannt.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie da nachforschen und mich darüber informieren?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Das kann ich gerne machen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen zur Frage 26 der Kollegin Dr. Valerie Wilms: Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie werthaltig die Rückstellungen in den Konzernbilanzen von RWE derzeit noch sind, bitte differenzieren nach Ressort und Datum?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Liebe Frau Kollegin Wilms, diesmal antworte ich etwas kürzer. Zu dieser Thematik hat es weder Verhandlungen der Bundesregierung mit Vertretern der Energiekonzerne gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung. Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Ablaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den Rückbau und auch die Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus sowie der Endlagerung zu tragen. Dafür haben die Unternehmen Rückstellungen in Milliardenhöhe gebildet. Es muss gewährleistet sein, dass die finanziellen Mittel für diese Zwecke jederzeit gesichert zur Verfügung stehen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Nachfrage, Frau Dr. Wilms.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank für die kurze Antwort, Kollegin Gleicke, so müssen wir beide nicht ganz so lange hier stehen. Ich habe doch noch eine Nachfrage an der Stelle. Das Thema ist jetzt in der Presse. Wenn ich Ihre Antwort, wie ich sie wahrgenommen habe, richtig interpretiere, dann hegen Sie keine Zweifel an der Bewertung dieser Rückstellungen, nämlich ob diese noch ausreichend werthaltig sind. Was wird das BMWi jetzt machen? Wird es das einfach so stehenlassen - Sie haben eben gesagt, dass Ihr Ressort zuständig ist -, oder wollen Sie jetzt herangehen, sich das anschauen, sich intensiv mit den Konzernen auseinandersetzen und fragen, wo wirklich Rückstellungen vorhanden sind? Es geht darum, ob sie in Euro vorhanden sind; denn Rückstellungen sind eine theoretische Geschichte und können irgendwann einmal zu Geld gemacht werden, wenn man Glück hat. Werden Sie jetzt Wirtschaftsprüfer in die Unternehmen schicken, oder was haben Sie vor?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Liebe Frau Kollegin Wilms, es ist ganz einfach so, dass wir uns tatsächlich im Handelsrecht befinden. Das heißt, dass die Unternehmen gemäß ihrer Risiken Rückstellungen bilden müssen. Das ist auch bei der Nuklearwirtschaft so. Insofern werden diese Rückstellungen selbstverständlich von unabhängigen Wirtschaftsprüfern geprüft. Auch die Finanzverwaltungen prüfen; denn das muss im entsprechenden Bereich sein. Wenn sich Veränderungen ergeben, zum Beispiel weil sich bestimmte Maßnahmen oder was auch immer verteuern oder Anlagen, in denen diese Rückstellungen angelegt sind, nicht mehr so werthaltig sind, haben die Unternehmen Vorsorge zu treffen und ihre Rückstellungen zu erhöhen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Gleicke, das ist die hehre Theorie; das stimmt alles von der Theorie her. Aber Sie wissen doch auch, dass in der Praxis sehr viel Bewertungsspielraum vorhanden ist. Mit anderen Worten: Offen ist, wie man mit der Bewertung von Rückstellungen umgeht. Bilanzkosmetik - die zulässig ist - wird durchaus häufig vorgenommen. Uns ist durch die Presse dargestellt worden, dass dieses Thema von den Konzernen - Sie selber haben es eben gesagt - zumindest in zwei Gesprächen angeschnitten wurde. Wenn sogar die Betreiber dieser Atomkraftwerke über eine Bad Bank zur Finanzierung des Rückbaus von Atomanlagen nachdenken, dann frage ich mich doch wirklich, warum bei Ihnen nicht langsam die Alarmglocken läuten, warum Sie diese Bewertung nicht einmal von unabhängiger Seite vornehmen lassen und wirklich die Details untersuchen, um zu erfahren, für wann was geplant ist.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Wilms, ich habe Ihnen gesagt, dass es sich dabei um sehr unkonkrete Vorschläge handelte, dass also nicht die gesamte Maschinerie des Ministeriums in Gang gesetzt worden ist, um entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Ich habe Ihnen außerdem gesagt, dass für uns die Energieversorgungsunternehmen die uneingeschränkte Verantwortung für den Rückbau der Atomkraftwerke und für die Zwischenlagerung und die Entsorgung des Atommülls haben und dass sie dafür Rücklagen zu bilden haben, genauso wie der Bergbau Rücklagen für seine Ewigkeitslasten bilden muss. Dies wird von Wirtschaftsprüfern und von den Finanzverwaltungen geprüft. Ich habe keinen Anlass, zu meinen, dass sich die Unternehmen nicht gesetzeskonform verhalten. Ich gehe davon aus, dass sie sich, genauso wie es seriöse Kaufleute tun, mit den rechtlichen Dingen auseinandersetzen. Sie können versichert sein, Frau Kollegin Wilms: Dieses Thema verlässt uns nicht; ich habe es vorhin schon einmal gesagt. Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie macht sich darüber Gedanken, wie wir diesen Themenbereich abarbeiten können. Wir werden Ihnen zu gegebener Zeit Vorschläge unterbreiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt zwei Nachfragewünsche; den einen hat Frau Kollegin Kotting-Uhl, den anderen Frau Kollegin Höhn, beide Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kotting-Uhl, bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin Gleicke, allein die Tatsache, dass die Konzerne diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt haben, muss zum Nachdenken anregen. Jeder politische Mensch fragt sich: Warum haben die das wohl gemacht? Was für Überlegungen gibt es im BMWi bzw. was ist Ihre Interpretation bezüglich der Frage, warum diese Konzerne die Überlegung, eine halbstaatliche Bad Bank zu schaffen, überhaupt auf den Tisch legen sollten, wenn der Grund dafür doch nur sein kann, dass sie selber Zweifel an der Werthaltigkeit ihrer Rückstellungen haben?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Kotting-Uhl, es ist ganz klar, dass die Opposition sehr frühzeitig Gedankenspiele in den zuständigen Ministerien kennen möchte. Aber ich werde Ihnen heute in dieser Fragestunde diese Fragen nicht beantworten können, da ich nicht bei jedem Vorschlag einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters, der im politischen Raum oder im wirtschaftlichen Raum auf die Tagesordnung kommt, sofort ins Nachdenken gerate; so etwas geht ja gar nicht. Wir denken permanent nach. Wenn wir Vorschläge haben, dann werden wir sie Ihnen auch unterbreiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Höhn, Sie haben als Nächste das Wort zu einer Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

De facto ist der Vorschlag der EVU, eine Bad Bank zur Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke zu schaffen, ein Eingeständnis, dass sie mit den bisherigen Rückstellungen in Höhe von 36 Milliarden Euro nicht hinkommen. Deshalb die Frage: Wie bewertet eigentlich das Ministerium die Rückstellungen der EVU in Höhe von 36 Milliarden Euro? Gibt es eine Einschätzung, ob man mit dieser Summe hinkommt oder ob man mehr braucht?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Frau Kollegin Höhn, wir kennen es von anderen Themenbereichen, dass Preissteigerungen stattfinden - Stichwort „Endlagersuchgesetz“ -, dass sich also Kosten verändern können. Es finden immer wieder Gespräche miteinander und ein Austausch untereinander statt, damit die Unternehmen Risiken seriös bewerten und Rücklagen bilden können. Ich sage aber noch einmal ganz klar: Die Bundesregierung stellt fest, dass nach Recht und Gesetz allein die Energieversorgungsunternehmen für die Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke verantwortlich sind und Rücklagen zu bilden haben. Ich gehe davon aus, dass sich die Unternehmen an dieser Stelle nach Recht und Gesetz verhalten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen nun zur Frage 27 des Kollegen Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke: Stimmt die Meldung des Magazins Der Spiegel vom 12. Mai 2014, dass der Bundesregierung ein Vorschlag von Eon, RWE und EnBW zur Unterbringung ihrer Atomausstiegsrücklagen in einer öffentlich-rechtlichen Stiftung für den Betrieb und Rückbau der deutschen Atomkraftwerke sowie für die Atommülllagerung vorliegt? Frau Staatssekretärin, bitte.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege, Sie haben zwei Fragen gestellt. Wegen des Sachzusammenhangs würde ich sie gern zusammen beantworten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Dann rufe ich jetzt auch die Frage 28 des Kollegen Hubertus Zdebel auf: Wenn ja, was beinhaltet der Vorschlag der genannten Unternehmen bezüglich des Aufgabenbereiches der vorgeschlagenen Stiftung und der künftigen Haftung für die Kosten des Atomausstieges und der Atommüllentsorgung ({0})?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Der Bundesregierung liegt kein entsprechendes Konzept vor. Das ist hier schon mehrfach deutlich geworden. Weder hat es Verhandlungen der Bundesregierung mit Vertretern der Energiekonzerne zu dieser Thematik gegeben, noch gibt es dazu Beschlüsse innerhalb der Bundesregierung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Zdebel, bitte.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, ist das nicht ein bisschen eine semantische Feinheit? Sie haben gerade ausgeführt, dass es sehr wohl zumindest allgemeine Gespräche von Herrn Minister Gabriel mit RWE und Eon zu der ganzen Frage gegeben hat. Dann sagen Sie aber: Es liegt uns kein Plan oder ausgearbeitetes Konzept vor. - Es geht doch im Prinzip darum, zumindest in dieser Frage: War die Bundesregierung über entsprechende Überlegungen der Konzerne informiert? Dazu müssten Sie einräumen, dass bei diesen Gesprächen zumindest in allgemeiner Form darüber informiert worden ist.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade gesagt, dass es diese allgemeinen Gespräche gegeben hat. Sie gehören zu unserer Arbeit; das ist also systemimmanent, will ich mal sagen. Aber Sie haben mich gefragt - auf Ihre Frage bezieht sich meine Antwort -, was Inhalt dieser Vorschläge war. Ich habe Ihnen gesagt: Die Vorschläge waren unkonkret. Ich kann dazu keine Ausführungen machen, weil es quasi keinen konkreten Vorschlag gibt. ({0}) Ich bitte dafür herzlich um Verständnis.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen? Sie haben insgesamt vier Nachfragen, weil die beiden Fragen zusammen beantwortet wurden. - Bitte.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde dann ganz gern noch eine Nachfrage stellen. Frau Gleicke, wir haben das hier die ganze Zeit schon in unterschiedlichsten Varianten gehört. Mir kommt das ein bisschen weltfremd vor. Was ist denn da2966 runter zu verstehen, dass über allgemeine Vorstellungen, was diese Fragen angeht, informiert worden ist?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich will noch einmal betonen: Diese Diskussion ist älter als die Spiegel-Meldungen oder sonst etwas. Ich habe das vorhin auch schon auf die Nachfragen der Kolleginnen und Kollegen der Grünen gesagt. Natürlich gibt es in öffentlichen Debatten, auch in der Presse oder so immer wieder Vorschläge, die hinlänglich unkonkret sind. Sie fragen mich aber quasi nach Auswirkungen sowie nach einem Modell, das die Energieversorger vorgelegt haben sollen. Das haben sie nicht getan; sie haben das Thema angesprochen, das mit „Rückbau und Entsorgung“ zu beschreiben ist. Insofern kann ich keine Aussage zu irgendeinem Konzept der Energieversorger machen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Möchten Sie noch eine Nachfrage stellen? - Das ist nicht der Fall. Schönen Dank. Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Bärbel Höhn sowie die Frage 31 der Kollegin Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth bereit. Die Frage 32 der Kollegin Sevim Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Wir haben jetzt noch Zeit für die Beantwortung einer Frage. Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Niema Movassat auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa am 2. Mai 2014, bei dem 46 größtenteils linke oder gewerkschaftlich organisierte Aktivisten starben, womöglich noch bei weitem mehr Menschen - bis zu 116 - umkamen, die zum Teil vor dem Brand erschossen bzw. erdrosselt wurden, und warum hat sie sich als Reaktion auf diese Morde und zur vollständigen Aufklärung der Tat nicht umgehend für die Entsendung einer OSZE-Beobachtermission in die Ukraine eingesetzt ({0})? Das wird die letzte Frage in der heutigen Fragestunde sein, weil wir dann zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen müssen.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich hoffe, dass ich noch so zu informieren vermag, wie das meine geschätzte Kollegin mit den vielen detailreichen Angaben zu den Treffen getan hat. Lieber Herr Kollege Movassat, selbstverständlich laufen in der Ukraine entsprechende strafrechtliche Ermittlungen. Darüber hinaus hat das ukrainische Parlament bereits am 13. Mai eine eigene Untersuchungskommission zur Aufklärung der Ereignisse in Odessa am 2. Mai eingesetzt. Diese Untersuchungskommission wird von den beiden Abgeordneten Anton Kisse - Partei der Regionen - und von Wadym Merikow - Batkiwschtschyna geleitet. Sie wissen sicher auch, dass für die Bundesregierung Bundesaußenminister Steinmeier in Kiew und in Odessa am 14. Mai 2014 mit der ukrainischen Regierung und den regionalen Behörden über die tragischen Ereignisse gesprochen hat. Er hat noch einmal die große Bedeutung unterstrichen, die die Bundesregierung der vollständigen Aufklärung der Ereignisse beimisst. Darüber hinaus ist die sogenannte Sonderbeobachtungsmission der OSZE seit April 2014 mit einem Team vor Ort in Odessa. Es beobachtet die Sicherheitslage und berichtet an alle OSZE-Teilnehmerstaaten. Diese OSZE-Missionen haben gemäß ihrem Mandat einen umfassenden Auftrag zur Konfliktprävention. Darunter, Herr Kollege, fällt jedoch nicht die Überwachung einzelner polizeilicher oder auch gerichtlicher Verfahren.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke, habe ich. - Meine Nachfrage bezieht sich auf Erkenntnisse der Bundesregierung rund um den Brand. Es war wohl so, dass sich die Polizei in Odessa zurückzog, als der Brand ausbrach, dass die Feuerwehr blockiert wurde oder erst gar nicht herausgefahren ist, während dort Menschen verbrannten. Meine Frage ist: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, warum die Polizei nicht gegen die Brandstifter einschritt und die Feuerwehr das Feuer nicht löschte?

Not found (Gast)

Herr Kollege Movassat, das Problem besteht darin, dass sehr widersprüchliche Aussagen und Informationen vorliegen. Insofern hat die Bundesregierung ein außerordentlich großes Interesse, dass die Untersuchungsergebnisse baldmöglichst vorgelegt werden. Es laufen, wie gesagt, auch strafrechtliche Ermittlungen. Darüber hinaus hoffen wir, dass auch die Untersuchungskommission des ukrainischen Parlaments Licht in das Dunkel zu bringen vermag. - Ich will noch einmal zusammenfassen: Wir haben sehr widersprüchliche Erkenntnisse und Informationen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Sie haben das Wort zur zweiten und letzten Zusatzfrage. Bitte.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, in der Tat sind die Informationen - das ist wahr - teilweise widersprüchlich. Es ist aber so, dass, nachdem der Brand stattgefunden hatte, die ukrainischen Medien davon sprachen, dass hier Patrioten Separatisten zurückgeschlagen hätten, und der Gouverneur der Region bezeichnete den Mord an den Menschen im Gewerkschaftshaus als legal. Insofern lautet meine Frage an die Bundesregierung: Glauben Sie wirklich, dass diese Kommission der ukrainischen Regierung hierzu einen neutralen und unabhängigen Bericht vorlegen kann? Oder ist sie nicht durch diese sozusagen gelenkte Berichterstattung, die dort stattfindet und die Geschehnisse ganz einseitig darstellt, voreingenommen?

Not found (Gast)

Zum einen gibt es strafrechtliche Ermittlungen, zum anderen gibt es eine vom Parlament eingesetzte Untersuchungskommission. Wir haben derzeit keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass diese Untersuchungskommission ihrer Aufgabe gerecht werden wird. Sie können sich, Herr Kollege Movassat, darauf verlassen, dass wir uns selbstverständlich regelmäßig über die Zwischenergebnisse informieren werden. Wir wissen selbstverständlich auch, dass die unterschiedlichsten Verantwortlichen, die in der Ukraine präsent sind - egal ob Parlamentarierinnen und Parlamentarier oder Vertreter der internationalen Organisationen, - dieses Thema in allen Gesprächen ansprechen. Selbstverständlich gilt das auch für Vertreter der Bundesregierung, die immer wieder um Aufklärung bitten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden gemäß den Vorschriften unserer Geschäftsordnung behandelt. Ich rufe auf den Zusatzpunkt 1: Wahl von Mitgliedern der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und Satz 3 des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/1452 Hierzu liegt uns ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1452 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen der einbringenden Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen. Ich rufe auf den Zusatzpunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Freilassung der von Boko Haram entführten Schulmädchen in Nigeria Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit einiger Zeit bewegt uns das Schicksal von 200 jungen Mädchen und Frauen - vielleicht sind es auch ein wenig mehr -, die in Nigeria brutal entführt wurden und nach Ankündigung der Gruppe, die sie entführt hat, als Sklavinnen verkauft oder zwangsverheiratet werden sollen. Diese Gruppe, Boko Haram, hat sich nicht nur zu der Entführung bekannt, sondern hat diese jungen Mädchen und Frauen in einer widerlichen Art und Weise öffentlich zur Schau gestellt. Sie hat damit gezeigt, was für einen Charakter sie hat. Wir alle - bis vielleicht auf diejenigen, die schon vor Ort waren - haben unsere Informationen nur aus zweiter oder dritter Hand. Deswegen habe ich mich heute mit Menschen unterhalten, die im Norden Nigerias unterwegs sind und die einen genaueren Überblick über das haben, was dort passiert. Dazu gehören beispielsweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Open Doors“, aber auch von anderen Organisationen. Es gibt in den großen Zeitungen eine ganze Reihe von analytischen Berichten darüber, was hinter dieser Tat steckt. Es wird über Machtfragen, Geldfragen, ethnische Fragen und Landfragen spekuliert. Das ein oder andere spielt natürlich eine Rolle. Wir brauchen aber gar nicht zu spekulieren. Es gibt nämlich eine Fülle von Dokumenten von Boko Haram, die den Kern der Gruppe aufzeigen. In diesen Dokumenten wird eindeutig und klar formuliert: Wir wollen - zumindest im Norden Nigerias -, eine islamische Republik, einen Teil Afrikas, in dem ausschließlich die Scharia herrscht. - Das ist nicht einfach so dahingesprochen. In beachtlichen Teilen im Norden des Landes wurde die Scharia bereits überfallartig eingeführt. Boko Haram hat nicht nur erklärt, dass die Scharia in ganz Nigeria eingeführt werden soll, sondern auch, dass sie in diesem Land keine Christen haben will. Es ist also nicht wie in anderen Staaten, wo man die Scharia auch auf Minderheiten ausdehnt. Boko Haram will, dass die Christen aus Nigeria verschwinden. Das ist eine klare Andeutung, die zeigt, dass es im Kern nicht um eine ethnische Auseinandersetzung oder etwas anderes geht. Im Kern geht es vielmehr darum, dass Boko Haram die Christen aus dem Land verdrängen will und nicht davor zurückschreckt, Kindern - es sind übrigens auch Jungen überfallen worden - in brutalster Art und Weise ein solches Verbrechen anzutun, und zwar, weil sie auch Christen sind oder vielleicht, weil sie Christen sind. Ich finde, wir haben daher allen Grund, dies auch offen anzusprechen. ({0}) Sie wissen alle, dass mich die Frage der Religionsfreiheit seit vielen Jahren beschäftigt. Ich bin sehr vorsichtig, wenn es um die Frage geht: Wo handelt es sich um ethnische Konflikte, und wo geht es tatsächlich um Religionsfreiheit? In diesem Fall in Nigeria geht es um Religionen. Warum sich Boko Haram so hat ausdehnen können, hat viele Gründe. Wir stellen seit einiger Zeit eine Veränderung fest. Waren es früher vor allem Staaten, die Gläubige, darunter Christen, verfolgt haben, so sind es nun zunehmend Gruppen, die deswegen stark sind, weil das staatliche Gewaltmonopol nicht mehr existiert. Genau dies ist auch in Nigeria der Fall. Um diese Probleme zu bekämpfen, müssen wir alles daransetzen, dass der Staat seinen Aufgaben nachkommen kann. Wir müssen klar und deutlich sagen: Wir werden die Verfolgung von Menschen, die glauben, nicht zulassen. Dabei geht es uns um die Glaubensfreiheit generell. Aber die Wahrheit ist leider, dass die am meisten verfolgte Gruppe die Christen sind, und zwar vor allem dort, wo Muslime in der Mehrheit sind und die Macht haben. Dies muss offen angesprochen werden. Die Wahrheit ist politisch immer korrekt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Annette Groth, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle sind berührt von dem Schicksal der über 200 Mädchen, die von Boko Haram verschleppt wurden. Diese unschuldigen Mädchen und jungen Frauen wurden Geiseln einer kriminellen Bande. Seit vielen Jahren begeht Boko Haram furchtbare Menschenrechtsverletzungen. Tausende Menschen wurden in den vergangenen Jahren in Dörfern, Kirchen, Schulen und Polizeistationen massakriert. Dies wurde allerdings lange Zeit in unseren Medien kaum erwähnt. Jetzt müssen alle erdenklichen Mühen unternommen werden, um die Mädchen zu finden und zu ihren Familien zurückzubringen. ({0}) Ich bin aber überzeugt, dass militärische Gewalt nicht geeignet ist, um dieses Ziel zu erreichen, nicht nur weil dadurch das Leben der Mädchen gefährdet würde, sondern auch weil ich die massive Kampagne, die die nigerianische Armee gegen Boko Haram führt, keineswegs für die richtige Antwort halte. ({1}) Das Vorgehen der Armee hat bereits Tausende Opfer, darunter viele unbeteiligte Zivilisten, gefordert. Und vor allem ändert es nichts an den Ursachen, aufgrund derer sich viele junge Menschen Boko Haram angeschlossen haben. Nigeria ist einer der bevölkerungsreichsten Staaten und der größte Ölproduzent Afrikas. Dennoch herrschen große Armut, Korruption und ein brutaler Polizeiapparat in diesem Land. Im Norden Nigerias, wo Boko Haram besonders stark ist, leben etwa 70 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1 US-Dollar pro Tag. Die Reichen leben in Saus und Braus. Innerhalb der jungen Bevölkerung haben sich Perspektivlosigkeit und eine weitverbreitete Wut auf die korrupten Eliten fest verankert. Das ist ein idealer Nährboden für fanatische Gruppen, die sich um die Jugendlichen kümmern und deren Wut und Hoffnungslosigkeit für ihre Zwecke missbrauchen. Durch den Beitritt zu Boko Haram erhalten diese Jugendlichen ein regelmäßiges Einkommen und im Rahmen dieser Gruppe einen gesellschaftlichen Status. Vor zwei Wochen ist im britischen Guardian ein Artikel erschienen, der die Zusammenhänge zwischen den sozialen und politischen Gegebenheiten und dem Terror, den Boko Haram gegen die nigerianische Bevölkerung ausübt, sehr klar aufzeigt. Eindrücklich schildert der Autor, wie der durch den fortschreitenden Klimawandel entstandene Mangel an fruchtbarem Land und sauberem Wasser immer mehr Hunger, Krankheiten und Armut produziert. Das vom US-Kongress finanzierte Institute for Peace geht genau wie das nigerianische Militär davon aus, dass zwischen Klimawandel und Gewalt in Nigeria ein kausaler Zusammenhang besteht. Sehr viele Soldaten der Boko Haram sind Menschen, die vor Dürre und Nahrungsmittelknappheit auch aus den Nachbarländern Nigerias geflohen sind. Die Ausbreitung von Boko Haram, al-Qaida und ähnlichen fanatischen Gruppen in Nigeria, Mali und anderswo wäre ohne Unterstützung zum Beispiel durch den algerischen Geheimdienst nicht möglich gewesen. Auch einige Golfstaaten wie zum Beispiel Katar und Saudi-Arabien unterstützen diese Gruppen. All dies geschieht auch mit dem Wissen westlicher Geheimdienste. Kürzlich hat die Bundesregierung wieder einmal Waffenexporte in Höhe von 29 Millionen Euro nach Algerien und mehr als 31 Millionen Euro nach Saudi-Arabien genehmigt. Das ist einfach skandalös. ({2}) Darüber hinaus haben die Kriegseinsätze der westlichen Staaten zum Beispiel in Libyen und im Irak dazu geführt, dass riesige Mengen von Waffen in die Region hineingepumpt wurden und heute von diesen fanatischen Gruppen eingesetzt werden. Dort gibt es mehr Waffen als Brot. Das ist doch wirklich wahnsinnig. Die völkerrechtswidrige Kriegslogik des Westens hat ein Klima geschaffen, das die Wut auf den Westen als ideologischen Nährboden für diese Gruppen mit ihren perversen Zielen angeheizt hat. Auch deswegen fordern wir Linke seit vielen Jahren, die militärischen Abenteuer in dieser Region endlich zu beenden und eine zivile Außenpolitik einzuleiten. Statt Waffen brauchen die Menschen echte Entwicklungsperspektiven. ({3}) Die deutsche und die europäische Außenpolitik müssen endlich Verantwortung übernehmen. Diesen fanatischen Gruppen muss der finanzielle Nachschub entzogen werden. Gleichzeitig müssen ökonomische und soziale Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung der Staaten in der Region befördert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute müssen wir alle mit den Mitteln der Diplomatie auf eine schnelle Freilassung der Mädchen hinwirken, und ich hoffe, dass es bald zu einer Freilassung kommt. Vielen Dank. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder. So der italienische Dichter und Philosoph Dante Alighieri im 14. Jahrhundert. Das Kostbarste, was Eltern haben, sind ihre Kinder. Wer Menschen verachtet, wer sie zutiefst verletzen will, ihnen den größtmöglichen Schaden zufügen will, der nutzt genau dies aus. Unschuldige Kinder und Jugendliche zu Geiseln zu machen, zeugt von einer unvorstellbar rohen und brutalen Rücksichtslosigkeit und Unmenschlichkeit. ({0}) Wer so handelt, gibt seine eigene Menschlichkeit auf und verabschiedet sich bewusst von grundlegenden Werten, die allen Kulturen und Religionen der Welt gemeinsam sind. Die Entführung von über 270 Mädchen aus einer Schule in Chibok im Norden Nigerias ist aber auch eine Tat, die ein gezieltes Statement gegen die Bildung und damit auch gegen bessere Lebenschancen von Mädchen und jungen Frauen sein soll. Wer den Islam als Rechtfertigung hierfür heranzieht, wie es der Anführer der Terrorgruppe Boko Haram tut, verhöhnt den Islam. ({1}) Anschläge wie die Entführung der Schülerinnen in Nigeria sind leider kein Einzelfall: Seit Jahren - meine Vorredner haben darauf hingewiesen - begeht Boko Haram immer wieder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Erst gestern wurden bei einem Anschlag in Jos mindestens 120 Menschen getötet. Nigeria - das dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen - war ein von Toleranz geprägter Vielvölkerstaat. Das macht die Dramatik und das Problem dieser Entwicklung so deutlich. Die Führer der katholischen und der muslimischen Religionsgruppe betonen immer wieder, es gebe keinen Krieg der Religionen; Opfer seien Christen und Muslime. Die religiösen Führer - das ist ein Stück Hoffnung - setzen sich immer wieder für Ausgleich und Toleranz ein. Eine grundlegende Ursache des Konfliktes liegt in der sozioökonomischen Ungleichheit zwischen dem Norden und dem Süden. Nährboden für Boko Haram sind wirtschaftliche und soziale Benachteiligungen der Menschen im Norden des Landes, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption und Verlust des Vertrauens in staatliche Institutionen. Vom beachtlichen Wirtschaftswachstum der letzten Jahre und von den wertvollen Ressourcen, die es in diesem Land gibt, profitieren die meisten Menschen im Norden, aber auch im Süden nicht. Die Regierung steht deshalb vor einer doppelten Herausforderung: Erstens muss sie den Terror bekämpfen. Aber sie darf dabei nicht stehen bleiben. Sie muss zweitens Armut bekämpfen und Menschen wieder eine Perspektive geben, und zwar unabhängig davon, wo sie leben. Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg, an der wirtschaftlichen Entwicklung, Respekt vor Menschenrechten, Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Religionen sind wichtige Voraussetzungen dafür, damit dem Terrorismus in diesem Land und einer solchen Gruppe wie Boko Haram der Nährboden entzogen wird. ({2}) Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Ja, ich bin sehr froh, dass es die Konferenz in Paris gegeben hat. Sie hat deutlich gemacht, dass eine derart massive menschenverachtende Verletzung von grundlegenden Menschenrechten von der internationalen Staatengemeinschaft nicht akzeptiert werden kann und darf. Das ist ein wichtiges Signal, im Übrigen auch deshalb, weil damit nicht nur Nigeria, sondern auch seine Nachbarstaaten sowie Europa und die USA deutlich gemacht haben, dass wir alle die Verantwortung dafür tragen, dass den Menschen wieder eine gerechtere Teilhabe an wirtschaftlicher Entwicklung ermöglicht wird. Nur so kann der Nährboden für Terrorismus ausgetrocknet werden. Ich sage ausdrücklich auch: Es darf keine rein militärische Antwort geben, sondern eine Antwort muss im echten Sinne des Wortes umfassend sein. Deshalb müssen wir über Entwicklungshilfe und über unsere wirtschaftlichen Hilfen unseren Teil zum Aufbau und zur Stärkung rechtsstaatlicher und demokratischer Institutionen und Strukturen in diesem Land beitragen. Wir müssen dafür sorgen, dass Korruption bekämpft wird und dass sich gute Regierungsführung wieder stärker etabliert. Damit können die Voraussetzungen für eine bessere ökonomische Entwicklung in allen Teilen des Landes geschaffen werden. Ich habe bereits erwähnt, dass auch die Bekämpfung von Armut, Hunger und Not notwendig ist. Hier stehen wir ebenfalls in der Verantwortung, über die Entwicklungshilfe zu reagieren. Wir stehen über die Entwicklungshilfe hinaus auch in der Verantwortung, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unserem Land, aber auch zwischen der EU und dieser Region die nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Meine sehr geehrten Herren und Damen, die deutsche Politik trägt hier eine Verantwortung. Wir müssen unseren Beitrag leisten, auf einen positiven Wandel hinzuwirken. Dazu ist es wichtig, dass wir uns auch auf Regierungsebene an einem institutionalisierten Dialog beteiligen, dass wir diesen Dialog nutzen und dass wir ihn tatsächlich führen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Boko Haram ist ein Synonym für schlimmste Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt nicht nur die Entführung der Schülerinnen und die Drohung, die Mädchen auf dem Markt zu verkaufen oder zu versklaven. Insgesamt wurden bisher weit über 4 000 Menschen ermordet, die Verletzten, die Vertriebenen, die Traumatisierten wurden nie gezählt, konnten vielleicht auch nicht gezählt werden, und das Morden geht bekanntlich weiter, wie die gestrigen Nachrichten bestätigten. Deshalb ist es verdammt traurig, dass erst die Entführung der Mädchen die globale Betroffenheit ausgelöst hat. ({0}) Herr Kauder, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, war völlig richtig. Aber ich denke, wir sollten hier sehr aufpassen: Es ist unsere Aufgabe, klarzustellen, dass das Problem Boko Haram kein religiöses Problem ist. Mit Religion lassen sich diese Hassverbrechen nicht begründen und, wie Frau Bulmahn richtig sagte, schon gar nicht mit dem Islam oder dem islamischen Glauben. ({1}) Das reiche Land Nigeria hat sich nicht unverschuldet in diese Situation manövriert, aus der es heute alleine nicht mehr herauskommt. Präsident Goodluck hat die Situation lange völlig falsch eingeschätzt und falsch reagiert. Führende Politiker und hohe Militärs haben sogar lange Zeit versucht, die Terrorakte für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Viele Menschen, im Prinzip die ganze Nation, zahlen dafür einen extrem hohen Preis. Jetzt stellt sich die Frage nach internationaler Solidarität, die auch dem Schutz der Nachbarstaaten Kamerun, Benin, Tschad, Niger gilt. Diese Länder leiden ebenfalls verstärkt unter dem Terror Boko Harams. Ich denke, es ist unser aller Aufgabe, hier einzuschreiten. Boko Haram sucht neue Rückzugsgebiete und neue Ziele. Eine Destabilisierung der ganzen Region, die bestimmt zwölfmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, ist nicht ausgeschlossen. Auch deshalb haben sich jetzt die USA, Großbritannien und Frankreich mit den genannten Ländern zusammengetan. Sie versuchen, eine Lösung zu finden. Sie versuchen vor allen Dingen, die Mädchen zu finden und zu befreien. Die Mädchen müssen zurück zu ihren Familien, und sie müssen zurück in die Schulen. Wir müssen uns viele Fragen stellen: Wer steckt hinter Boko Haram? Wie ist die Entstehungsgeschichte? Woher bekommt Boko Haram die Waffen? Welche Rolle spielt die nigerianische Regierung? Welche Rolle spielen unsere Waffenexporte? Und wir müssen auch die Frage stellen: Welche Rolle spielt die endemische Korruption in diesem Land? Der Fairness halber muss ich sagen, dass man diese Frage so nicht formulieren darf. Man müsste sie anders formulieren, nämlich: Wie lange haben westliche Staaten und Konzerne mit den unterschiedlichen korrupten Regierungen Nigerias hervorragend zusammengearbeitet und die Korruption dadurch befördert und gefördert? Shell ist doch nur das bekannte Beispiel. Sie erinnern sich: Der Ölkonzern hat mit den unterschiedlichen Regierungen jahrzehntelang bestens zusammengearbeitet. Sie haben letztlich gemeinsam das Volk der Ogoni bekämpft. Das Volk hat fürchterlich gelitten. Zusammen haben sie, Shell und die Regierung, letztlich auch den Bürgerrechtler und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa über ein Gerichtsurteil ermorden lassen. Da frage ich schon: Tragen wir nicht auch Mitverantwortung? ({2}) Nigeria ist aus rein ökonomischer Sicht sehr erfolgreich - Frau Bulmahn hat es angesprochen -, aber es gilt eine einfache Regel: Wachstum braucht Regeln; denn sonst wird es zerstörerisch. Es bedeutet sehr oft Ausgrenzung jener, die eben nicht direkt vom Wachstum profitieren. Damit trägt ein unkontrolliertes, nicht reguliertes Wachstum oftmals den Kern der staatlichen Zerstörung in sich. Das ist nicht nur in Nigeria der Fall; das ist in vielen Ländern der Fall. Hier kommt auch unsere Verantwortung ins Spiel. Es gibt viele Punkte, an denen unsere Verantwortung ansetzt. Ich greife hier nur einen Bereich heraus: Es ist unsere Aufgabe, diejenigen Unternehmen, die in Nigeria und in anderen armen Ländern investieren, zu ermutigen, auch weiterhin zu investieren. Wir müssen aber von diesen Unternehmen zwingend verlangen, dass sie dafür sorgen, dass Menschenrechte, ökologische und soziale Standards eingehalten werden. Die Konzerne sind für ihren Wirkungskreis verantwortlich. Aber auch wir Politiker im Bundestag und auf europäischer Ebene sind letztlich für europäische und deutsche Konzerne mitverantwortlich, und ich sehe, dass wir diese Verantwortung noch nicht wahrnehmen. ({3}) Ohne soziale und ökologische Gerechtigkeit wird Nigeria keine Lösungen finden. Einer heutigen Befreiung der Mädchen, die wir alle verlangen und wünschen, würden zukünftig noch mehr Tote durch weitere Terrorakte folgen. Wir müssen in vielen Bereichen Verantwortung übernehmen: im Rüstungsbereich, im Finanzbereich, im Bereich der Kontrolle der internationalen Unternehmen, im Klimabereich. Nehmen wir unsere Verantwortung doch endlich ernst! Die Mädchen haben das verdient. Danke schön. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sabine Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Verbrechen der Entführung von mehr als 200 nigerianischen Mädchen ist so ungeheuerlich, dass es sprachlos macht, sprachlos vor der Menschenverachtung der Täter von Boko Haram, sprachlos vor der Grausamkeit, Kinder für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Für eine solche Tat kann es keine Rechtfertigung und auch keine Relativierung geben. ({0}) Von dieser Aktuellen Stunde heute muss das Signal ausgehen, dass der Deutsche Bundestag diese Menschenrechtsverbrechen geschlossen und uneingeschränkt verurteilt. ({1}) Und sie muss klarmachen, dass wir alle verhältnismäßigen Maßnahmen unterstützen, die zur Befreiung der Mädchen führen. Diese Zielsetzungen hat heute im Übrigen auch der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einer schriftlichen Erklärung zum Ausdruck gebracht. Der amerikanische Kolumnist Nicholas Kristof hat letzte Woche gefragt: Warum habt ihr solche Angst vor klugen Mädchen? Seine Antwort, etwas zusammengefasst: Weil gebildete Mädchen den größten Albtraum für Gruppen wie Boko Haram darstellen. - Gebildete Mädchen verwandeln Gesellschaften zum Positiven, sie beleben das gesellschaftliche Leben und die Betriebe, sie tragen zum Wirtschaftswachstum und zur Verbesserung des Lebensstandards der Menschen bei. Was also können wir tun? Die internationale Gemeinschaft - das ist mehrfach angeklungen - muss bei der Suche und gegebenenfalls Befreiung der Mädchen engagiert bleiben. Der von Präsident Hollande am Wochenende hierzu abgehaltene Gipfel und die dort beschlossene Kooperation der Länder der Region und der internationalen Gemeinschaft sind zu begrüßen. Deutschland sollte sich hier weiterhin entsprechend seinen Möglichkeiten intensiv beteiligen. Wir müssen aber auch fragen: Wie geht es dann weiter? Die Bewegung Boko Haram wird ja nicht einfach „weggehen“, sondern sie wächst. Ähnlich wie in Mali müssen wir neben den akuten, unmittelbaren Maßnahmen der Terrorbekämpfung eine Doppelstrategie fahren. Zum einen müssen wir dazu beitragen, die örtlichen Sicherheitsstrukturen zu reformieren und die zivile Überwachung zu stärken. Diese scheinen in der gesamten Region überfordert zu sein, mit der islamistischen Gewalt fertigzuwerden. Als Entwicklungspolitikerin sehe ich zum anderen aber auch eine Aufgabe darin, mit zivilen Mitteln Gruppen wie Boko Haram den Nährboden zu entziehen. Zivile Mittel der Entwicklungszusammenarbeit dienen erstens dazu, Bildung zu stärken, von Mädchen und Jungen, und zweitens dazu, die Gesundheitssituation der Menschen zu verbessern. Wie schwierig diese Gesundheitssituation in Teilen von Nigeria ist, belegt zum Beispiel der Umstand, dass ein Ausbruch von Polio dort wieder eine Gefahr ist. Diese Gefahr ist umso größer, wenn staatliche Institutionen aus Sicherheitsgründen in manche Regionen gar nicht gelangen, um Impfungen durchzuführen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Drittens brauchen wir zivile Mittel, um Arbeitsplätze für die Menschen zu schaffen. Denn ohne Arbeitsplätze haben sie keine Perspektive, suchen Flucht in Radikalisierung und finden diese bei Boko Haram. Im März zum Beispiel wurden in Nigeria 16 Menschen totgetreten, als sich eine halbe Million Menschen um circa 5 000 Regierungsarbeitsplätze beworben hatten. Das Trauerspiel ist - auch das ist angeklungen -, dass Nigeria als Ölexporteur Ressourcen hat und sogar ein Mitteleinkommensland ist. Dennoch lebt die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Wir müssen also zügig und überlegt das angehen, was für die Zukunft zu tun ist. Aber Priorität muss jetzt haben, undogmatisch alles Vertretbare zu unterstützen, um diese Mädchen zu befreien und zurück in ihre Familien zu bringen und auch zurück in die Schule. Herzlichen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich das Wort Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede in der heutigen Aktuellen Stunde gerne meiner Tochter und ihren Freundinnen widmen. Rosa, Larissa, Chiara, Kira, Diana, Angela und Alice besuchen die 9. Klasse des Gymnasiums in Emsdetten. Sie sind ganz normale Teenager und schon deshalb keine besonders begeisterten Schülerinnen. Aber sie wissen, dass Bildung, gute Bildung eine Voraussetzung für einen interessanten Beruf und ein selbstständiges Leben ist. Sie wollen Lehrerin oder Lektorin, Steuerberaterin oder Grafikerin werden. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass sie sich diese Wünsche erfüllen können. Am 14. April dieses Jahres endeten ganz ähnliche Träume von über 200 Mädchen im Norden Nigerias auf brutale Weise. Aus ihrer Schule wurden sie nachts entführt und verschleppt. Eine gewalttätige Sekte namens Boko Haram hat diese Mädchen zu Zielobjekten gemacht, und das nur, weil sie lernen und sich aus Unwissenheit und Abhängigkeit befreien wollten. Durch diese Entführung haben die gewaltsamen Konflikte in Nigeria erstmals große internationale Aufmerksamkeit erhalten; sie haben sozusagen 200 Gesichter bekommen. Wir können uns einfühlen in die Angst dieser Jugendlichen, in die Verzweiflung ihrer Eltern oder in die Wut all der Menschen in Nigeria, die sich solche Übergriffe nicht mehr gefallen lassen wollen und gegen die Untätigkeit ihrer Regierung auf die Straße gehen. Unsere Gefühle sind bei den Menschen dort. Auch wenn die weltweite Solidaritätskampagne sicher nicht unmittelbar die Freilassung der Schülerinnen erreichen wird, so hat sie zumindest die Verantwortlichen in Nigeria und den Nachbarländern wachgerüttelt. Auch ich möchte den Kolumnisten Nicholas Kristof von der New York Times zitieren, und zwar etwas genauer. Er fragt: „Warum lassen sich Fanatiker so schrecken durch Bildung für Mädchen?“ Er antwortet: Es gibt keine machtvollere Kraft, um eine Gesellschaft umzugestalten. Die größte Bedrohung für den Fanatismus sind nicht Raketen, die von Drohnen abgefeuert werden, sondern Mädchen, die Bücher lesen. Er bedauert deshalb, dass der Westen viel, viel mehr in Drohnen und Raketen investiert als in Bildung. Da, finde ich, hat er recht. ({0}) Ich möchte auch die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie zitieren, die sich mehr Komplexität in der Debatte wünscht, auch in den westlichen Medien. In der FAZ vom Wochenende forderte sie von uns: Hört auf, es euch so leicht zu machen! Es ist nicht wie mit den Taliban. Nicht alles in der Welt muss in eure vorgefertigten kleinen Schubladen passen. Auch sie sieht ein militärisches Eingreifen von außen skeptisch und fragt sich und uns: Wenn ich die Präsidentin von Nigeria wäre, würde ich unsere Soldaten nach Amerika schicken, um dessen innenpolitische Probleme zu lösen? Ich glaube, wir müssen bei aller Betroffenheit und Empörung gerade auf solche nachdenklichen Stimmen hören. Wir können die innenpolitischen Konflikte in Nigeria nicht stellvertretend lösen. Nicht wir werden diejenigen sein, welche die Mädchen zurückbringen. Aber wir können diejenigen ermutigen, die Wege aus Hass und Gewalt suchen. ({1}) Als Beispiele nenne ich den Priester James Wuye und den Imam Muhammad Ashafa. Beide waren militante Glaubenskämpfer, der eine in einer christlichen Miliz und der andere in einer muslimischen - reiner Zufall, dass nicht der eine den anderen tötete. Irgendwann aber begegneten sie sich und stellten, jeder für sich, fest: Es geht hier gar nicht um Religion, sondern es geht um Macht, Geld und knappe Ressourcen. - Dann gründeten sie das Interreligiöse Zentrum für Mediation, mit dem sie seit fast 20 Jahren unter ihren Landsleuten die Gedanken von Versöhnung und Feindesliebe verbreiten. Beiden gemeinsam wurde im letzten Jahr sowohl der Deutsche Afrika-Preis als auch der Hessische Friedenspreis verliehen. Dass ihr Engagement überhaupt in Deutschland wahrgenommen wurde, ist einem Projekt des Zivilen Friedensdienstes zu verdanken. Leider aber gibt es im Moment keine solchen Friedensdienstprojekte mit Unterstützung der Bundesregierung mehr in Nigeria. Projekte in derart schwierigen und umkämpften Regionen sind aufwendig und teuer. Die Bundesregierung hat die Mittel für den Zivilen Friedensdienst eingefroren. Diese Entscheidung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist einfach falsch. ({2}) Investieren wir doch in die Zukunft! Unterstützen wir Friedenskräfte und Versöhnungsarbeit, nicht nur, aber eben auch in Nigeria! Denn auch dieser Konflikt wird nicht mit Waffengewalt gelöst werden können, sondern nur - dazu haben ja schon einige vor mir Kluges gesagt mit sozialer Gerechtigkeit und ziviler Konfliktbearbeitung. So könnten wir Verantwortung übernehmen: für den Frieden und für die Freilassung dieser Mädchen und aller anderen Entführten. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin Michaela Engelmeier-Heite von der SPD-Fraktion. ({0})

Michaela Engelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004266, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 200 junge Mädchen verschwinden in Nigeria, entführt von Terroristen und an einen unbekannten Ort verschleppt. „Terroristen“ - ja, natürlich -, anders kann man die Entführer, die islamistische Gruppe Boko Haram, nicht nennen. Ich glaube, dass kein Mensch überhaupt ermessen kann, was diese Mädchen erleiden: hilflos Terroristen und ihrer Willkür ausgeliefert, herausgerissen aus einem Leben, das vielleicht nicht rundum sorglos war, einem Leben, das ohne Zweifel auch durch Armut geprägt war, aber einem Leben im Kreise ihrer Familie und in ihrer gewohnten Umgebung. Seit einem Monat - seit einem Monat! - nur noch Angst und Verunsicherung: Angst vor einer ungewissen Zukunft, Angst vor möglicher Vergewaltigung, Angst vor einem möglichen Verkauf für wenige Naira, Versklavung und Zwangsehe. Immer drängender wird der Ruf: Befreit unsere Töchter! Bring back our girls! - Wer eigene Kinder hat, wird verstehen, welchen Schmerz, welche Angst die Eltern und Angehörigen der mehr als 200 entführten Mädchen in Nigeria seit Wochen durchleiden. Wo sind die Mädchen? Was ist mit ihnen passiert? Fragen, auf die es keine Antwort gibt, noch nicht, auch nicht auf die Frage: Wird mir mein Kind wiedergebracht? - Und darum muss es gehen, das ist erst einmal das Wichtigste: Die Mädchen müssen gefunden und befreit werden. ({0}) Und sie müssen so schnell wie möglich zu ihren Familien zurückgebracht werden. Viel zu lange wurde die von der Terrorgruppe Boko Haram ausgehende Gefahr unterschätzt und ignoriert. Seit Jahren überzieht sie das Land mit Anarchie und Terror, verübt feige Mordanschläge und zwingt Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat im Norden Nigerias. Mehr als 3 000 Tote gehen auf das Konto von Boko Haram. Gestern wurden bei feigen Anschlägen erneut unschuldige Menschen Opfer, 118 Menschen; und es ist zu befürchten, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. Es gibt noch keinen Bekennerbrief von Boko Haram; aber es ist zu befürchten, dass auch für diese Anschläge Boko Haram verantwortlich ist. Deswegen sage ich: Boko Haram muss gestoppt werden! Viel zu lange blieb der Weltöffentlichkeit verborgen, was in Nigeria geschah, aber nicht nur in Nigeria, sondern auch in der Region. Denn eines ist sicher: Boko Haram verfolgt nicht nur das Ziel, Nigeria zu destabilisieren. Diese Gruppe breitet sich bereits in den Nachbarländern Nigerias aus und stellt eine immer größere regionale und internationale Bedrohung dar. Seit der Entführung dieser mehr als 200 Mädchen im vergangenen Monat steht Boko Haram jetzt jedoch nicht mehr „nur“ die nigerianische Regierung entgegen. In diesem Zusammenhang begrüßt die SPD-Fraktion die Einberufung eines Krisengipfels durch den französischen Präsidenten François Hollande am vergangenen Wochenende in Paris. Der dort von Nigeria und seinen vier Nachbarn - Benin, Kamerun, Niger und Tschad - gemeinsam mit Frankreich verabschiedete Aktionsplan dokumentiert den festen Willen, an der Seite Nigerias gegen Boko Haram vorzugehen. Auch wir dürfen unsere Augen nicht mehr vor dem menschenverachtenden Vorgehen von Boko Haram verschließen. Unser Platz ist an der Seite derjenigen, die dem terroristischen Wirken von Boko Haram Einhalt gebieten wollen. Wir alle verurteilen die Terroranschläge und die Entführung der nigerianischen Mädchen auf das Schärfste. Zu groß ist die weltweite Anteilnahme am Schicksal der Mädchen, als dass wir tatenlos bleiben könnten. Es muss daher alles getan werden, um die Mädchen sehr schnell aus den Fängen der Terroristen zu befreien. ({1}) Es muss ferner alles getan werden, um zu einer Lösung des Konflikts und seiner Ursachen in Nigeria beizutragen. Wir dürfen die Ursachen von Konflikten, die Ursachen, die dazu führen, dass terroristische Gruppen wie Boko Haram - aber auch andere militante Gruppen junge Frauen, Männer und Kinder für ihre kranken Aktivitäten und Ziele rekrutieren können, nie aus den Augen lassen. Vielmehr müssen wir alles dafür tun, um mögliche und tatsächliche Ursachen von Konflikten anzugehen. Gerade die Armut im Norden Nigerias zu bekämpfen, einem Land mit einem enormen Wirtschaftspotenzial, und das Gefälle zwischen dem reichen Süden und dem armen Norden abzubauen, würde dazu beitragen, solchen Terrorgruppen im übertragenen Sinne das Wasser abzugraben. Hier ist die internationale Entwicklungspolitik gefordert, hier ist die deutsche Entwicklungspolitik gefordert. Hierfür stehen uns äußerst wirksame Maßnahmen und Instrumente zur Verfügung, um unserem Partnerland Nigeria bei der Gestaltung einer friedlichen und sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung zur Seite zu stehen. Heute - und solange die Mädchen nicht befreit wurden - geht es aber vorrangig darum, alle Möglichkeiten zu eruieren und zu ergreifen, die nötig sind, um sie sicher zu ihren Familien zurückzubringen. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, keiner von uns kann sich das Leid der Mädchen und der Familien vorstellen. Chibok ist eine kleine Stadt im Nordosten von Nigeria. Jeder dort kennt mindestens ein Mädchen, das entführt wurde. Als Vater zweier Kinder - darunter eine Tochter - sage ich aber auch: Dies ist eben keine innere Angelegenheit Nigerias. Wir alle sind gefragt, alles dafür zu tun, dass einerseits die Mädchen freikommen und andererseits der Terrororganisation Boko Haram endlich das Handwerk gelegt wird. ({0}) Die Weltgemeinschaft hat reagiert. Die Kampagne „#BringBackOurGirls“ hat weltweit das Mitgefühl zum Ausdruck gebracht. Sie war ein Weckruf - übrigens auch für die Regierung in Nigeria, die ja erst noch verstehen musste, dass die Bewohner des Nordens ebenfalls ihre Bürger sind. Aber Bilder in sozialen Medien alleine - auch das gehört zur Wahrheit - bringen die Mädchen nicht zurück. Boko Haram bedroht Hunderttausende Menschen in Nigeria und über die Grenzen des Landes hinaus. Sie sind verantwortlich für Vertreibung, für Mord, für Bombenanschläge, für Menschenhandel und Erpressung. Ihre Taten sind perfide, und ihre Ideologie ist - um das sehr klar zu sagen - eine Pervertierung des islamischen Glaubens. Bekämpfen können und müssen wir diese grausamen Menschenfeinde zusammen - egal ob wir Christen, ob wir Juden, ob wir Muslime, ob wir Atheisten sind. Aber die theologischen Grundlagen für die verbrecherischen Taten können ihnen allein nur die Muslime entziehen. Deshalb muss überall dort, wo Religion für niedere Zwecke missbraucht wird, klar und deutlich gesagt werden: „Wer sich Boko Haram oder anderen Terrororganisationen anschließt, der beleidigt den Islam, weil er ein Feind aller Muslime in der Welt ist“ - egal welchen individuellen Grad an Religiosität man hat. ({1}) Ja, es stimmt - alle Vorredner und Vorrednerinnen haben darauf hingewiesen -: Nigeria leidet unter Armut, unter Korruption, einem Ressourcenfluch, wie man fast schon sagen muss, und den schrecklichen Folgen des Klimawandels. Wir wissen: Dort, wo Armut und die Folgen des Klimawandels am stärksten zu spüren sind, findet die Terrorgruppe Boko Haram ihre Kämpfer. Darum müssen wir alle alles dafür tun, um ihnen diese Grundlage zu entziehen. Trotzdem sage ich: Es kann und darf keine Rechtfertigung für Terrorismus geben - zumal gegen die Zivilbevölkerung und besonders, wie in diesem Fall, gegen Kinder. Wenn die mehrheitlich muslimischen Länder in der Welt den ihnen zustehenden Platz in der menschlichen Zivilisation einnehmen wollen, dann werden sie das nur schaffen, wenn die Ketten der Frauen gesprengt werden und die Frauen 50 Prozent der Macht in diesen Ländern erhalten. Nur dann werden sie den Platz einnehmen können, der ihnen auf unserem Planeten zusteht. ({2}) Der Islam kann schon gar nicht als Rechtfertigung dienen. Mohammed, der Prophet aller Muslime, hat in zahlreichen Überlieferungen auf das Streben nach Wissen hingewiesen: Sucht das Wissen, selbst wenn es in China wäre. … Das Streben nach Wissen ist eine heilige Pflicht für jeden Muslim, Mann oder Frau. Er hat eben nicht nur „Mann“ gesagt; der Prophet sprach von „Mann oder Frau“. Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers. … Wer sein Heim auf der Suche nach Wissen verlässt, schreitet auf den Wegen Gottes. Er hat also nicht gesagt: Wer sein Heim verlässt und sich Boko Haram anschließt, ist auf den Wegen Gottes. Lesen, Schreiben und Lernen überhaupt: Das ist das Recht jedes Kindes. Und es ist die Pflicht aller Eltern und von uns Erwachsenen, die Grundlagen dafür zu schaffen. Bildung ist eben nicht haram; Morde, Entführungen und Terror sind haram, und zwar in jeder Religion und in jeder Weltanschauung. Die Bundesregierung muss sich mit der Europäischen Union aktiv für die bedingungslose Freilassung der Mädchen einsetzen. Wir alle müssen der Bevölkerung Nigerias eine Zukunftsperspektive bieten: ohne Terror, ohne Korruption und ohne Armut. Das geht uns alle etwas an. Auch wir alle stehen da in der Verantwortung. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erst einmal meinen Dank dafür sagen, dass heute diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema möglich gemacht wurde. Es ist wichtig für uns, wichtig für die internationale Gemeinschaft, wichtig für unser Parlament, zu zeigen, dass wir bei Verletzungen von Menschenrechten nicht wegschauen, dass wir nicht wegschauen, wenn Terror und Gewalt ganze Regionen, Gebiete und Länder destabilisieren. 234 Mädchen wurden im Norden Nigerias entführt, über 40 Mädchen konnten noch flüchten. Sie haben erzählt, wie ihre als Soldaten verkleideten Entführer sie wie Vieh auf Lastwagen geladen haben. Da haben die Mädchen gemerkt, dass sie nicht in Sicherheit gebracht, sondern entführt werden sollten. Diese 40 Mädchen konnten fliehen, aber von den übrigen 234 Mädchen fehlt jede Spur. Wir sind über den weltweiten Aufschrei über diese Tat froh. Wir sind entrüstet über die Zurschaustellung dieser Mädchen in der Hidschab, dem islamischen Gewand, die erste Sure des Koran lesend. Dabei hat man gemerkt, dass sie dazu gezwungen wurden. Wir sind auch deswegen über den weltweiten Aufschrei froh, weil für das Massaker vor einigen Wochen, bei dem über 60 Schuljungen niedergemetzelt worden sind, kein Mitglied der internationalen Gemeinschaft überhaupt auch nur ein Schulterzucken übrig hatte. Es ist von den Kolleginnen und Kollegen schon erwähnt worden: Die Entführung hat im Norden Nigerias stattgefunden, einer der ärmsten Gegenden der Welt in einem der reichsten Länder Afrikas. Wie geht das zusammen? Auf der einen Seite ist der Norden Nigerias die ärmste Region und hat inzwischen Somalia als gewalttätigste Region abgelöst. Auf der anderen Seite gibt es im Land Ölvorkommen, Jachten, Klubs, also Reichtum par excellence, hohe Einnahmen aus Ölgeschäften, die sich jedoch die Eliten des Landes in die eigene Tasche stecken, während sie den Norden des Landes, den anderen Teil der Bevölkerung, vergessen. Durch diese Diskrepanz zwischen dem Zerfall eines Staates und dem vermeintlichen Aufschwung wurde der Nährboden für die islamistische Terroristengruppe Boko Haram geschaffen. Unsere Aufgabe und die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist es, die entstandene Kluft wieder mit überwinden zu helfen. ({0}) Boko Haram wird auch als „Taliban Nigerias“ bezeichnet. Diese Gruppe möchte einen neuen Staat, ein mittelalterliches islamistisches Kalifat in Nigeria errichten. Leider wird Boko Haram immer mächtiger, weil der Nährboden für diese Gruppe nun einmal da ist. Über 2 000 Menschen wurden allein dieses Jahr durch Boko Haram getötet. 250 000 Nigerianer sind im Land auf der Flucht, über 60 000 Menschen haben das Land verlassen. Das Töten und Morden nimmt kein Ende. Erst gestern haben wir gehört, dass 118 Menschen in Jos durch eine Autobombe ums Leben gekommen sind, wieder überwiegend Frauen. Nigeria ist, wie gesagt, eines der reichsten Länder in Afrika. Wie kann es dazu kommen, dass ein Land mit der mächtigsten Armee in Afrika des Terrorismus nicht Herr wird? Wie kann es dazu kommen, dass die Zentralregierung jegliche Kontrolle in Abuja verloren hat? Wie kann es dazu kommen, dass es Präsident Jonathan nicht schafft, diesem Terrorismus beizukommen? Wir sind dankbar, dass es durch die Social-MediaKampagne möglich geworden ist, dass die internationale Gemeinschaft auf dieses Problem aufmerksam geworden ist, dass die Präsidenten Nigerias und seiner Nachbarländer in Paris zusammengekommen sind. Es ist das erste Mal, dass der nigerianische Präsident mit dem kamerunischen Präsidenten zusammengetroffen ist. Aber die Afrikaner müssen hier zusammenhalten. Wir hoffen, dass der Sicherheitsrat am Donnerstag Boko Haram offiziell als Terrororganisation einstuft und auf die Sanktionsliste gegen das Terrornetzwerk setzt. Wichtig ist aber, dass wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit mithelfen, die Perspektivlosigkeit des Nordens zu beseitigen. Für Bildung und Jobs zu sorgen, das sind die Aufgaben, die sich stellen. Gerade Mädchen und Frauen sind in Afrika diejenigen, mit denen wir die Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung verbinden. Das Verbrechen der Terroristen ist ein doppelter Anschlag: sowohl gegen die Menschenrechte als auch gegen die Frauen Afrikas. Das Wichtigste ist, die Kinder zurück zu ihren Familien zu bringen. ({1}) Wir sind mit unserem Herzen, aber auch mit unseren Hoffnungen bei den Familien, die abends mit dem Gedanken schlafen gehen: Bitte bringt uns unsere Kinder zurück! - Ich glaube, jeder von uns kann das nachvollziehen. Wir können nur an die Entführer appellieren: Geben Sie die Mädchen frei! Aber vor allem müssen wir an die verantwortlichen Akteure appellieren, wirklich alles zu tun, was in unserer Macht steht, damit die Mädchen wieder in Freiheit kommen. Wir appellieren auch an uns alle: Lassen Sie uns nicht unsere Politik von der Hand der Terroristen diktieren! Ich glaube, das ist ganz wichtig. Wir können nur mit Nachdruck den Appell der Social-Media-Kampagne wiederholen: Bringt diese Mädchen unversehrt und unbeschadet zu den Familien zurück! Bring back our girls! ({2}) Liebe Kollegen, ich appelliere auch an Sie: Bitte machen Sie mit! Lassen Sie Ihre Website mit der Kampagne verlinken. Ich glaube, es hilft, auch wenn es nur wenig ist. Vielen Dank. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich Kollegen Frank Schwabe, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Es ist zwar schon oft gesagt worden; aber ich will es dennoch wiederholen: Unser ganzes Beileid gehört den Angehörigen der Opfer der terroristischen Anschläge von gestern und der letzten Monate und Jahre. Betroffen sind im Übrigen Angehörige vieler Religionsgruppen, Muslime und Christen. Unser Mitgefühl gilt auch den Angehörigen und Freunden der entführten Mädchen. Die sogenannte Terrorgruppe Boko Haram hat nicht nur die Mädchen, sondern im Prinzip ein ganzes Land in Geiselhaft genommen. Alle Anstrengungen der nigerianischen Regierung ebenso wie die internationale Unterstützung durch die afrikanischen Staaten - ich finde, auch das muss man immer wieder betonen -, aber auch durch die USA, Frankreich und andere sind richtig und begrüßenswert. Die Debatte heute ist richtig und muss sein. Ihr wohnt zwar wieder ein Fehler inne, den man aber machen muss, wenn solche aktuellen Ereignisse auftreten. Denn wir haben uns eigentlich vorgenommen, Afrika nicht nur als Krisenkontinent wahrzunehmen; wir wollen auch über Potenziale und Erfolge reden. Gerade die afrikapolitischen Leitlinien, die heute durch das Bundeskabinett verabschiedet worden sind, bieten dafür einen ausgewogenen Ansatz, würdigen die eigenen Anstrengungen Afrikas im Rahmen eigener Konfliktlösungsstrategien und betonen die Notwendigkeit einer sozial gerechten Entwicklung und die Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit als Grundlagen jeder Entwicklung. Nigeria selbst ist das ökonomisch stärkste Land Afrikas, ein Land mit einem enormen Bevölkerungswachstum, enormen Rohstoffreserven und stark zunehmender Bedeutung weltweit. Es ist das zentrale Land auf dem afrikanischen Kontinent. Nigeria ist aber auch geschüttelt von Militärdiktaturen, ein Land mit äußerst großen Herausforderungen durch die Vielfalt der Bevölkerung - es gibt allein mehr als 500 Sprachen - und geprägt durch Rohstoffkonflikte, die schon angesprochen worden sind. Genau das ist sicherlich der Hintergrund oder zumindest die Hintergrundmelodie des Konfliktes rund um Boko Haram. Es sind Vertreter der katholischen Kirche und muslimische Führer - Kollegin Bulmahn hat eingangs darauf hingewiesen -, die betonen, dass es im Kern eben nicht um einen Religionskonflikt geht, was schon dadurch deutlich wird, dass es mindestens genauso viele muslimische wie christliche Opfer gibt. Es gibt aber die Gefahr, dass aus diesem Konflikt ein Religionskonflikt wird. Deshalb - das will ich zweimal unterstreichen - sollten die internationale Gemeinschaft und insbesondere wir es unterlassen, diesen Konflikt entsprechend darzustellen. Ich finde, wir sollten uns da an die christlichen und muslimischen Führer halten und es entsprechend darstellen. ({0}) Auf die Bildung ist schon umfassend eingegangen worden. Deswegen kann ich nur betonen: Die Bildung ist eine zentrale Frage auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Leider haben heutzutage in Nigeria nicht alle Mädchen eine Schulausbildung. Es darf aber in der Tat niemandem zum Verhängnis werden, dass er sein Anrecht auf Bildung wahrnimmt. Wie bereits gesagt, sind insbesondere Schulen Angriffen von Terrorgruppen ausgesetzt. Nigeria ist dabei leider kein Einzelfall. In mindestens 30 Ländern weltweit werden Schulen zum bewussten Ziel von Terroristen und bewaffneten Gruppen. Bildung ist eine Bedrohung für ihre Absichten. Deshalb muss es ein zentrales, internationales Anliegen sein, dass Schulen einen besonderen Schutz bekommen und dass das von allen Ländern, im Übrigen auch von Deutschland, respektiert und international vereinbart wird. ({1}) Viele Konflikte in Nigeria basieren auf der Ausbeutung von Rohstoffen, wie das Schicksal von Ken SaroWiwa zeigt, das wir sicherlich alle noch in Erinnerung haben. Deswegen sind Fortschritte bei der Verabredung internationaler, sozialer, kultureller und ökonomischer Standards von zentraler Bedeutung. Das ist die zentrale Aufgabe, die wir hier im Deutschen Bundestag haben. ({2}) Der Kampf gegen Terrorismus muss auch immer ein Kampf um den Erhalt von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sein. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass Regierungen, die gegen Terrorismus kämpfen, nicht selbst gegen die Prinzipien von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit verstoßen, die sie eigentlich aufrechterhalten wollen. ({3}) Deswegen muss es uns Sorge bereiten, dass die Regierung in Nigeria oft gegen Menschenrechte verstößt, auch im Kampf gegen Boko Haram. Am Ende wird Terrorismus mit den stärksten polizeilichen und militärischen Mitteln nicht besiegt werden können, wenn ihm nicht der gesellschaftliche Boden entzogen wird. Doch der gesellschaftliche und ökonomische Fortschritt kommt leider - das wurde hier bereits mehrfach betont - bei vielen Menschen im Land nicht an. Korruption ist ein riesengroßes Problem. Präsident Jonathan Goodluck hat dazu richtigerweise gesagt: „Ich kann nicht feiern, solange nicht alle Nigerianer die positiven Auswirkungen unseres Wachstums spüren.“ Der im März 2014 vorgestellte Nigeria’s Soft Approach to Counter Terrorism, der auf die sozioökonomischen Ursachen des Konflikts mit Boko Haram abzielt, ist dazu ein richtiger Ansatz. Aber wir müssen die Regierung auch auffordern, ihn Realität werden zu lassen. ({4}) Nigeria muss also Fortschritte beim Einsatz für die soziale Teilhabe und bei der Durchsetzung menschenrechtlicher Standards machen. Dazu gehört auch die Abschaffung der Todesstrafe. Der Kampf gegen den Terrorismus muss rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht werden. Wenn die Regierung Nigerias diesen Weg geht, dann hat sie unsere volle Unterstützung verdient. Ich will betonen: Wir alle hoffen, dass die entführten Mädchen schnellstmöglich freikommen. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Charles M. Huber, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Boko Haram hat natürlich aufgrund der Schrecklichkeit des Sachverhalts und der Vorgänge Einfluss auf das Gesamtbild von Afrika. Ich nutze die Gelegenheit hier, Afrika auch in anderer Form darzustellen, und zwar in Bezug auf das Land, aus dem ich stamme bzw. mein Vater stammt. Mein Vater stammt aus dem Senegal und war als Diplomat für dieses Land tätig. Der Senegal ist zu 94 Prozent von Moslems und zu 6 Prozent von Christen bewohnt. Mein Vater war also Diplomat in einer islamischen Gesellschaft. Sein Onkel war Staatspräsident Senghor, ein katholisches Staatsoberhaupt bei 94 Prozent Moslems. Wenn ich meine Verwandten im Senegal besuche, dann sehe ich, dass zu Weihnachten ein Christbaum aufgestellt wird. Wenn ich den Senegal in Zeiten des Ramadan besuche, dann sehe ich, dass die Christen zusammen mit den Moslems das Ende des Fastenmonats feiern. Der Name „Boko Haram“ klingt in unseren europäischen Ohren zunächst einmal relativ harmlos. Es gab ähnliche Gruppierungen in anderen Bürgerkriegen, zum Beispiel in Sierra Leone die West Side Boys. Auch dieser Name klingt harmlos. Tatsache ist, dass es sich bei diesen Gruppierungen überwiegend um Jugendliche handelt, die für eine Mission wie diese rekrutiert werden. Zu Deutsch heißt Boko Haram in etwa: westliche Bildung verboten. - Tatsache ist auch, dass es sich um eine Terrorvereinigung handelt. Die Ereignisse der letzten Wochen haben gezeigt, wie gefährlich diese Vereinigung ist. Seit 2010 gehen 200 Anschläge auf das Konto von Boko Haram. Nach Erhebungen von Amnesty International gab es seit Anfang 2014 bereits 1 500 Tote. Am 14. April, dem Tag, an dem die jungen Mädchen entführt wurden, gab es am Rande von Abuja einen Anschlag auf einen Busbahnhof mit 71 Toten und 200 Verletzten. Die Bevölkerung redet von 200 Toten und noch mehr Verletzten. Der überwiegende Teil - das wurde hier schon häufiger angesprochen - waren absurderweise Moslems. Den Gott, der dies angeordnet hat, gibt es meines Erachtens nicht. Die Zeiten, in denen hier unter religiösem Vorwand Christen Christen gemeuchelt haben, hießen Mittelalter. Das haben wir längst hinter uns gelassen. Ich kann Ihnen sagen: Afrika will da nicht hin. Was die Ursachenanalyse betrifft, so gibt es interne und externe Faktoren. Es wurden zahlreiche interne Faktoren angesprochen, zum Beispiel Korruption, Misswirtschaft und schlechte Regierungsführung. Zu den externen Faktoren gehört, dass Boko Haram einem Netzwerk angehört, welches mit al-Qaida und al-Schabab in Verbindung steht und welches sich unter dem Vorwand der religiösen Läuterung die Destabilisierung eines Kontinents und die Verhinderung seiner wirtschaftlichen Entwicklung zum Ziel gesetzt hat. Ich möchte hier kurz auf eine Bemerkung meines Vorredners von den Grünen, Herrn Kekeritz, eingehen. Herr Kekeritz, Sie haben von Waffenlieferungen gesprochen. Wir wissen - das zeigt das Beispiel Ruanda -, dass in einem Land, in dem sich ein Bürgerkrieg oder Krisen anbahnen, auch ohne Waffenlieferungen Menschen höchst effizient anderen Leid zufügen können. In Ruanda gab es 300 000 oder noch mehr Tote; ich habe die genaue Zahl nicht im Kopf. Damals gab es keine Waffenlieferungen, sondern die Menschen haben Macheten benutzt. Zum anderen: Boko Haram ist, wie bereits angesprochen, Teil eines Netzwerks. Es steht in Verbindung mit al-Qaida. Es gibt einen Gürtel, der sich entlang der Sahelzone zieht. Er reicht hinunter bis nach Guinea. In Guinea gibt es einen Austausch von Kokain gegen Waffen mit südamerikanischen Gruppen. Dieser Austausch hat nichts mit Waffenexporten aus Deutschland zu tun. Das möchte ich hier klarstellen. Afrika ist dennoch ein Chancenkontinent, und Nigeria ist, wie viele andere Länder Afrikas, ein tolerantes Land. Ich habe in vielen Gesprächen mit Botschaftern aus Afrika diese Angst gespürt. Sie sagten: Wir bekommen das Phänomen des Terrorismus alleine nicht in den Griff. Das bezieht sich nicht allein auf Nigeria; vielmehr ist das Phänomen des Terrorismus ein weitgehend unterschätztes Problem in Afrika. Da ich sehe, dass ich meine Redezeit schon überschritten habe, möchte ich zum Ende kommen. Afrikas Bevölkerung braucht Vertrauen, vor allen Dingen Vertrauen in den Staat. Dazu möchte ich sagen: Wir leben mit dem Staat, und für uns ist der Staat selbstverständlich. Wir haben eine Rentenversicherung, wir haben eine Krankenversicherung, wir haben Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II. Jemand, der das für sich in Anspruch nehmen kann, glaubt an den Staat. Wir müssen helfen, in Afrika Strukturen aufzubauen, damit die Menschen an den Staat glauben und solche Phänomene keine Chance mehr in der Zukunft haben. Vielen Dank, und entschuldigen Sie, dass ich die Redezeit überschritten habe. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner erteile ich in dieser Debatte dem Kollegen Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 200 Mädchen in Nigeria sind seit Mitte April entführt. Die Aktion „#BringBackOurGirls“, gerade von meiner Kollegin in diesem Saal angesprochen, steht für weltweite Solidarität. Auch der Ausschuss, dem ich angehöre, der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, AwZ, hat diese Tat einhellig verurteilt. Diese Haltung kommt auch in den Kommentaren der verschiedenen Sprecher heute Nachmittag hier zum Ausdruck. Das ist gut so. Ich bin als Menschenrechtler natürlich damit einverstanden, dass wir emotional auf diese Entführung reagieren, dass unser Herz reagiert. Aber es braucht auch unseren Kopf und unsere Hände, die dem folgen müssen; sonst bleibt es am Schluss bei heißer Luft. Das Herz als Erstes. In dem Statement, international über Facebook verbreitet, heißt es: „our Girls“ - unsere Mädchen. Das geht uns, wie mein Kollege Özdemir vorhin gesagt hat, sehr wohl etwas an; schließlich geht es um Menschenrechte, um Sicherheitspolitik, um die weltweite Fragilität in solchen Umfeldern. Vieles dieser Art existiert nicht nur latent, sondern ist uns präsent vor Augen. Wir sehen es in der Ukraine, in Zentralafrika und in Frank Heinrich ({0}) Syrien. Man könnte noch einige weitere Länder aufzählen. Immer wieder ist in solchen Konflikten die Religion ein zentraler Faktor. Egal um welche Religion es geht: Eigentlich sollte es um die Herzensbildung, um Aufklärung, um interreligiösen Dialog gehen, der in Nigeria an vielen Stellen beispielhaft praktiziert wird. Dem stehen Fanatismus und Instrumentalisierung der Religion entgegen. Das haben Sie, Frau Bulmahn, sehr deutlich gemacht. Wenn für den Umgang mit Menschenrechten allerdings nur das Herz zählt, dann kommt es sehr oft zu einer Betroffenheit, die lähmt. Aber wer sich gar nicht erst berühren lässt, wird auch nicht aktiv. Um etwas zu bewegen, darf es nicht beim heißen Herzen bleiben; vielmehr braucht man dazu sehr wohl einen kühlen Kopf. So lässt sich überhaupt auf die Straße und ins Dasein bringen, was es wirklich braucht. Wir dürfen uns auch nicht von der Entwicklung in Nigeria ablenken lassen - Boko Haram wünscht das wahrscheinlich -; denn die ist sehr positiv. Wir haben gehört, dass Nigeria ein Vielvölkerstaat, ein toleranter Staat ist. Boko Haram könnte damit Erfolg haben, dass wir einfach ins gleiche Horn blasen. Die Islamisten richten ihre Botschaft auch gegen den Westen, auch gegen uns. Von unserer Reaktion darauf hängt ab, ob sie mehr oder weniger Erfolg haben. Was die Ablenkung von politischen Aktionen angeht: Es gab kurz nach der Entführung in Nigeria eine Konferenz. Darüber ist kaum etwas berichtet worden; denn die Berichterstattung in den Medien war drei Tage lang von den Meldungen über die Entführung dieser Mädchen beherrscht. Als erster Schritt ist das gut. Für einen zweiten Schritt braucht es allerdings mehr. Wir müssen in Erinnerung behalten: Es gibt sehr positive Schritte in der Entwicklung von Nigeria. Nigeria ist führend in der ECOWAS; es spielt dort eine tragende politische Rolle. Außerdem gibt es viele bilaterale Verträge mit diesem Staat. Fortschritte gibt es auch im Bereich der MDGs. Ich verweise auf die Halbierung der Kinder- und Müttersterblichkeit, sehr wohl wissend, dass der Süden und der Norden des Landes hierbei möglicherweise gravierende Unterschiede aufweisen. Die absolute Armut in Nigeria ist von 68 Prozent auf 34 Prozent reduziert worden. Auch diese Reduzierung ist, bezogen auf das ganze Land, ungleich verteilt. Für uns als Menschenrechtler ist es bedeutsam, dass es dort eine demokratisch legitimierte Regierung gibt. Da gibt es eine gewisse Übereinstimmung, eine Art Code of Conduct. Menschenrechtsverletzungen werden gerichtlich verfolgt. Dies gilt, auch wenn - da haben Sie recht, Herr Kollege - Amnesty International immer wieder von Folterungen und Tötungen berichtet. Die müssen wir weiter anmahnen, auch wenn sie unrechtmäßig an Mitgliedern von Boko Haram vorgenommen werden. Insofern müssen wir all die Fragen stellen - ich werde sie nicht wiederholen -, die heute in diesem Saal aufgeworfen wurden. Ziel ist, die tiefer liegenden Konfliktursachen zu bekämpfen. Darauf geht die heute Morgen im Ausschuss verabschiedete Erklärung ein. Positiv kann bei all dem sein, dass durch die Afrika-Strategie der Bundesregierung Dinge auf den Weg gebracht werden, die die Ursachen dieser Konflikte mit bekämpfen. Für den zweiten Schritt ist also wichtig, nach dem Herzen den Kopf zu gebrauchen. Bei der Vorbereitung dieser Rede fielen mir heute Morgen Zeilen eines Liedes von Manfred Siebald ein, die meine Kindheit mit geprägt haben. Darin heißt es: „Ist schon alles gesagt? Sind wir wirklich schon dort, wo das Reden aufhört und die Tat folgt dem Wort?“ - Ja, dann braucht es unsere Hände. Konkrete Maßnahmen - auch die will ich nicht alle wiederholen -: Es braucht zielgesteuerte Entwicklungshilfe hin zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Nigeria ist Kooperationsland. Wir fordern, auch als AwZ, als Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die internationale Gemeinschaft muss investieren, hauptsächlich in Bildung und in Arbeitsplätze. Zivile Mittel, wie Kollegin Weiss es vorhin erwähnt hat, müssen ins Land fließen, auch zur Bekämpfung von Energiearmut. An die Regierung Nigerias appellieren wir, die Zivilgesellschaft einzubeziehen und zu stärken. Es braucht eine Stärkung der NGOs im Land, auch was Menschenrechte angeht, sowie eine breitere Beteiligung an der wirtschaftlichen Entwicklung, zum Beispiel beim Öl. Im konkreten Fall der entführten Mädchen geht es, in Abstimmung mit den USA und anderen Partnern, um Hilfe bei der Suche nach den Mädchen sowie möglicherweise langfristig um gezielte Ausbildung und Begleitung bei Ermittlungen und Terrorbekämpfung. Da können wir uns beteiligen. Ein wichtiger Schritt war letzte Woche der Gipfel zu Boko Haram in Paris. Zudem müssen die Nachbarländer, vor allem Kamerun, im Kampf gegen Boko Haram unterstützt werden. Sie bilden einen Rückzugsraum für deren Leute. Ich fasse zusammen: Zum Ersten müssen wir tun, was wir hier heute gesagt haben. Zum Zweiten müssen wir weiterhin den Grundwasserspiegel - ich sage das im übertragenen Sinne - von Wohlstand, von Menschenrechtsbedingungen zu heben helfen, sowohl im Norden Nigerias als auch in der Region allgemein. Zum Dritten: Bring back our girls! Wir verurteilen die Entführung aufs Allerschärfste und fordern von Boko Haram die sofortige Freilassung der Mädchen. Set them free! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das war der letzte Beitrag in einer, wie ich denke, sehr ernsten und sehr wichtigen Debatte. Alle Fraktionen haben gezeigt, dass der Deutsche Bundestag sich als Stimme der Menschenrechte in der Welt versteht. Wir sind zwar am Schluss der Tagesordnung, aber bei diesem Thema sicherlich nicht am Ende. Wir werden es aufVizepräsident Peter Hintze merksam und mit öffentlicher Wirksamkeit weiter begleiten. ({0}) Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. Mai 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.